2 - Initiative gegen Armut durch Pflege

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2 - Initiative gegen Armut durch Pflege
Sonntag Aktuell, 17. Mai 2015
2 POLITIK
DINGE DER WOCHE
Schon wieder Sonntag. Haben
Sie auch nichts verpasst?
Blond ist
die Zukunft
Es musste ja so kommen: Nach der Bremer Bürgerschaftswahl ist der Markt für
politisch unerfahrene Blondinen ohne
Parteibuch wie leer gefegt. EchthaarPerücken sind nur noch in den Farbnuancen „Frittengelb“ und „HrubeschGold“ erhältlich. Frauen und Cabriohalterinnen, die entfernt an den jungen Heino oder eine weizenblonde Schönheit
und Gucci-Taschen-Trägerin wie Lencke
Steiner erinnern, erzielen Spitzenwerte
bei Nichtwählern, Protestwählern und
Fans von „Germany’s Next Topmodel“,
was ungefähr dasselbe ist. Ein Desaster.
Während Kleinstwesenforscher noch
über die inhaltlichen Motive für die völlig überraschende Vermehrung der FDPWahlpopulation an der Weser spekulieren (Klimawandel? Morbus Lindner?),
haben die Strategen der großen Volksschrumpfparteien längst ihre oberflächlichen Lehren aus dem Wahldesaster in
der Hansestadt gezogen. Weder rot, grün
noch schwarz scheint die Hoffnung der
Parteiendemokratie zu sein. Blond ist die
Zukunft. Beste Aussichten für rhetorisch
begabte Schaumfestiger.
Nun denn. Jürgen Klopp wird möglicherweise neuer Trainer bei Real Madrid
– oder Berti Vogts. Hauptsache blond.
Anders die AfD: Frauke Petry findet frisurtechnisch noch keine farblich passende Alternative für Parteichef Bernd Lucke und plädiert daher für einen radika-
1,5
Milliarden Euro Steuerentlastung
Geld zurück vom Staat
Der Staat hat so viel Geld, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zum ersten Mal seit zehn Jahren die Steuerzahler entlasten will: um 1,5 Milliarden
Euro im Jahr. Ein verheirateter Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern entrichtet schon knapp 34 Prozent seines Einkommens an Steuern und Abgaben.
Bassem Youssef
Dem ägyptischen Komiker
war fast nichts heilig. Und
die TV-Show des Herzchirurgen war populär. Doch
im Mai 2014 wurde Bassem
Youssef der Druck zu groß.
Er schaltete seine SatireSendung ab. Jetzt wurde er
in New York zum Moderator
der Emmy-Verleihung
gekürt. Ein schöner Erfolg!
Da erfahren wir, wie er andeutete, Neues über die
„lebhafte Unterhaltungsindustrie“ in seiner Region.
Die Gewinnzahlen vom 15./16. 5. 2015 – Woche 20
Lotto: 6 aus 49
14 15 16 34 40 47
Superzahl 5
Spiel 77 8 117 134
Eurojackpot
5 aus 50
2 aus 10
Super 6 816 394
12
Glücksspirale
9
55
157
4596
25 143
289 655 und 012 522
Wenn Angehörige die Pflege übernehmen: Männer sind dabei noch eine Minderheit.
FOTO: OBS/HERTIE-STIFTUNG
Endstation Hartz IV
für Pflegende
Angehörige versorgen zwei Drittel aller 2,5 Millionen Pflegebedürftigen. Den Kassen bleiben
so Milliardenausgaben erspart. Doch oft geraten die Familienhelfer an finanzielle Grenzen oder
gar in Armut. Die Betroffenen finden das ungerecht und fordern Abhilfe.
Liebling der Woche
FOTO: DPA
Zahl der Woche
len Schnitt im Nackenbereich – oder
einen Rechtsruck in der tiefbraunen
Scheitelgegend.
Die SPD denkt längst darüber nach,
ihre Generalsekretärin (dunkelhaarig, intellektuell) durch einen linksföhnenden
Star-Coloristen zu ersetzen, um bei den
kommenden Wahlen wieder mehr Stimmen zu ondulieren. Arbeiterlieder werden umfrisiert („Völker, tönt die Signale!“), zerzauste Parteiprogramme auftoupiert und an der Sonne gebleicht. Genossen mit Resthaar sowie noch nicht zurück- oder komplett weggetretene sozialdemokratische Bürgermeister bekommen champagnerfarbene Strähnen verpasst, um sich künftig deutlicher von anderen Parteien abzugrenzen wie etwa . . .
wie hießen die noch mal? . . . auch egal.
Der grau melierte Joachim Gauck warnt
bereits vor einer Blondifizierung der Gesellschaft und drohte erneut mit einer
pastoralen, abendfüllenden Rede zu irgendeinem historischen Thema.
Man muss es aber versuchen. Schließlich ist die Wahlmüdigkeit und geistige
Klumnachtung unserer Tage ein riesengroßes Problem, nicht nur für Bremen
und die Demokratie, sondern auch für
all jene Männer, die ihren willensschwachen Frauen morgens dabei zusehen
müssen, wie sie bei diesem ekligen Aprilwetter im Mai zwischen zwei Paar Schuhen schwanken. Stundenlang! Stets fragt
man sich im Leben, was besser ist: Riemchensandale oder Gummistiefel? Gucci
oder Jute? VfB oder Kickers? Ausharren
oder streiken? FDP oder etwas in Lilablassrosa? Die Entscheidung fällt immer
schwerer. Und am Ende sitzt man auf
seiner Couch, glotzt den „härtesten Abstiegskampf aller Zeiten“ („Bild“), liest
eine blond gefärbte Glosse und vergisst
das Ankreuzen. Tja.
TOMO PAVLOVIC
14
18
38
9
46
10
10 Euro
20 Euro
50 Euro
500 Euro
5000 Euro
100 000 Euro
Prämienziehung
Die monatliche Sofortrente von 7500 Euro gewinnen
die Losnummern 9 462 572 und 0 437 377.
Klassenlotterie
Ziehungsergebnisse der Süddeutschen
Klassenlotterie vom Samstag, 16. Mai 2015
Im 136. Gewinnspiel, 6. Klasse, wurden
30 304 Gewinne mit einer Gesamtgewinnsumme
von 7 460 000 Euro ermittelt:
1 Million Euro entfällt auf die Losnummer:
0 469 477
100 000 Euro entfallen auf die Losnummer:
1 775 254
50 000 Euro entfallen auf die Losnummer:
1 343 155
10 000 Euro entfallen auf die Losnummer:
0 927 938
Je 1000 Euro entfallen auf die Endziffern:
8 847
Je 200 Euro entfallen auf die Endziffern: 74
Es sind keine Ergänzungszüge angefallen.
(Alle Angaben ohne Gewähr)
IMPRESSUM
Sonntag Aktuell erscheint als siebte Ausgabe für: Ausgabe Zeitungsmarkt Stuttgart Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten.
Backnanger Kreiszeitung, Bietigheimer Zeitung/Bönnigheimer Zeitung/Sachsenheimer Zeitung, Cannstatter/Untertürkheimer
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VON ELKE RUTSCHMANN
Sabine Feldt hat sich gerade von ihrem Kaffeebesuch verabschiedet und räumt den Tisch
ab. Kurz genießt sie den Moment in ihrem
Häuschen in Gschwend, einer Gemeinde mit
knapp 5000 Einwohnern auf der Ostalb. Sie
hat jetzt jede Menge Zeit und tut sich dennoch nicht leicht, das Vakuum zu füllen.
Vor knapp vier Wochen ist ihre Mutter im
Alter von 95 Jahren gestorben. Sabine Feldt
hat sie jahrelang gepflegt. 13 Jahre hat sie in
Teilzeit gearbeitet, um so mehr Zeit für ihre
Mutter zu haben. Ihr Arbeitgeber in Ulm war
sehr kulant. Drei Tage arbeitete sie vor Ort, an
den anderen Tagen unterstützte sie die
Mutter mit Fahrdiensten, Einkäufen und
Arztbesuchen. 2007 erlitt ihre Mutter einen
Schlaganfall, von 2011 an benötigte sie dann
eine Rundumbetreuung.
Die Softwareentwicklerin hängt
ihren Job an den Nagel
Sabine Feldt hat nicht lange gezögert, ihre
Arbeit als Softwareentwicklerin und IT-Analystin aufgegeben und ist nach Gschwend gezogen, um ihre Mutter zu pflegen. Obwohl sie
keinerlei Bezug zu diesem Ort hatte. Da waren diese Erlebnisse im Pflegeheim, in das sie
ihre Mutter eigentlich für vier Wochen geben
wollte: der Geruch, die mangelnde Zeit des
Personals für eine individuelle Pflege und
eine liebevolle Zuwendung. „Ich habe genauso geheult wie meine Mutter, und nach zwei
Wochen habe ich sie wieder geholt“, erzählt
Sabine Feldt. Als Single ist es ihr leichter gefallen, sich auf das neue Leben einzulassen,
weil sie nur für ihre Mutter verantwortlich
war. „Aber mein Lebensplan hat sich natürlich fundamental verändert. Es ist dann
schwer, den Kontakt zu Freunden zu halten“,
sagt die 61-Jährige. Selbst telefonieren
ist schwierig, wenn der Patient praktisch
24 Stunden am Tag Betreuung braucht.
Der Fall von Sabine Feldt ist kein Einzelschicksal. Angehörige pflegen zwei Drittel
aller 2,5 Millionen Pflegebedürftigen in
Deutschland. Damit sparen die Kassen
Milliarden an Ausgaben für professionelle
Pflegedienste. Der AOK-Bundesverband hat
ausgerechnet, dass Familienmitglieder in der
häuslichen Pflege eine gesamtwirtschaftliche
Leistung von 29 Milliarden Euro erbringen.
Das übertrifft die jährlichen Leistungen der
Pflegeversicherung in Höhe von 23 Milliarden Euro um sechs Milliarden.
Auch Sabine Feldt hat sich mit diesem
Thema auseinandergesetzt. 2011 suchte sie
nach Lösungen und Gleichgesinnten. So hat
sie von der Interessengemeinschaft „wir
pflegen e. V.“ erfahren, wurde 2012 in den
Vorstand gewählt und ist zuständig für die
Finanz- und Mitgliederverwaltung. „Ich bin
eigentlich kein politischer Mensch, aber in
diesem Bereich liegt so viel im Argen, dass ich
mich einbringen wollte“, sagt die gebürtige
Berlinern. Sie berichtet von den Grenzen der
psychischen und physischen Belastung, als
ihre Mutter irgendwann nicht mehr laufen,
sehen und kaum noch hören konnte. Sie hatte
selten ein freies Wochenende.
In dieser Zeit lebte sie von ihren Ersparnissen, der Rente ihrer Mutter und dem verbleibenden Teil des Pflegegeldes. Weil auch
die Sozialstation noch einmal die Woche vorbeischaute, wurde davon noch einmal ein
Betrag abgezogen. Aber sie war froh über den
Austausch mit dem Pflegedienst. „Pflegende
Angehörige werden viel zu oft mit den damit
verbundenen Unsicherheiten und Ängsten –
vor allem hinsichtlich der eigenen Zukunft –
alleingelassen“, sagt Feldt.
Nicht jeder pflegende Angehörige hält die
finanziellen Belastungen lange durch. Und
wenn die Reserven und Familienrenten aufgebraucht sind, ist er gezwungen, Sozialhilfe
in Anspruch zu nehmen. Betroffene halten es
für ungerecht, dass pflegende Angehörige zuerst all ihre Rücklagen bis auf die Vermögensfreigrenze von 2600 Euro aufbrauchen müssen, bevor sie Hartz-IV-Leistungen erhalten.
Angehörige von Pflegebedürftigen in Heimen
haben dagegen relativ hohe Freibeträge für
die eigene Alterssicherung, wenn sie zum
Elternunterhalt herangezogen werden.
Für ihre Krankenversicherung musste
Feldt monatlich 150 Euro selbst zahlen, in die
Arbeitslosenversicherung zahlte sie freiwillig
ein und bezieht nach dem Tod der Mutter
nun erst einmal Arbeitslosengeld. In die Armutsfalle ist sie nur deshalb nicht getappt,
weil sie 30 Jahre lang sehr gut verdient hat
und so ausreichend Rücklagen bilden konnte.
Niedrige Rentenbeiträge
Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit beziehen bundesweit
284 000 Menschen, die zu Hause pflegen,
Hartz IV. Susanne Hallermann von der Initiative „Armut durch Pflege“ prangert deshalb
an, dass man durch die Rentenversicherung
zwar abgesichert ist, aber die Rentenbeiträge
orientieren sich an relativ niedrigen Stundenzahlen. So werden in der Pflegestufe 3 höchstens 28 Stunden wöchentliche Arbeitszeit
angesetzt. Wer 2014 ohne Unterbrechung
gepflegt hat, erwarb in einem Jahr bei Pflegestufe 3 maximal 22,25 Euro monatliche Ren-
tenanwartschaft. „Wir fordern, dass die gesamte Zeit, die Pflegende aufwenden, bei der
Rente berücksichtigt wird“, so Susanne Hallermann. Ginge es nach ihr, erhielten pflegende Angehörige ein Gehalt.
Sabine Feldt kam 2014 auf einen Rentenbeitrag von 16,43 Euro monatlich. „Pflegende
Angehörige haben gar keinen Status und
müssten eigentlich als Extragruppe eingestuft werden“, meint die SAP-Spezialistin.
Die Enquetekommission „Pflege in BadenWürttemberg zukunftsorientiert und genera-
Pflegende Angehörige
haben keinen Status und
müssten als Extragruppe
eingestuft werden.“
SABINE FELDT
VORSTAND VON „WIR PFLEGEN“
tionengerecht gestalten“ untersucht derzeit
die Pflegesituation in Baden-Württemberg.
Ende Januar 2016 will das 15-köpfige Gremium dem Landtag einen Abschlussbericht
vorlegen. Darin soll beschrieben werden, wie
die Rahmenbedingungen verändert werden
müssen, um dauerhaft eine qualitativ hochwertige Pflege sicherzustellen.
„Ich hoffe, dass dabei auch die pflegenden
Angehörigen berücksichtigt werden“, sagt
Barbara Riethmüller aus Gerlingen, die zu
den Ansprechpartnern von „wir pflegen“ im
Raum Stuttgart zählt. Mitglieder, die aufgrund von Pflege Hartz IV beziehen, sind ihr
in der Region nicht bekannt. „Aber es geht
auch nicht jeder an die Öffentlichkeit, wenn
er einen wirtschaftlichen Absturz erlebt hat“,
sagt Riethmüller.
Sabine Feldt würde gerne wieder arbeiten.
„Mit 61 Jahren dürfte das nicht leicht sein,
und ich muss wohl den ein oder anderen
Wiederauffrischungskurs machen“, sagt sie.
Falls sie aber keinen Arbeitgeber mehr findet,
muss sie mit 63 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand gehen. Was in ihrem Fall einen Abzug von 9,6 Prozent von ihrer Rente bedeuten
würde. Ihr Haus sei für sie allein eigentlich
zu groß. Sie träumt deshalb von einer Rentner-WG. „Doch es ist nicht leicht, meine
Freunde aus der Stadt aufs Land zu locken“,
erzählt sie. Und im Scherz fügt sie hinzu:
„Vielleicht rechne ich mal aus, was ich den
Staat kosten würde, wenn ich selbst pflegebedürftig werde.“