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Anna Jermolaewa STEP ASIDE Anna Jermolaewa ICA SOFIA (Hg./Ed.) INHALT / CONTENTS 8 / 14 Iara Boubnova STEPPING “IN” BY STEPPING ASIDE 24 Auszüge von / Fragments from ALEKSANDRA WYSOKINSKA, 20 JAHRE DANACH 28 / 38 Hedwig Saxenhuber BEWEGUNG & GESCHICHTE Anna Jermolaewas Videos erzählen über die Dynamik von Momenten, Dingen und Erinnerungen / MOTION AND HISTORY Anna Jermolaewa’s videos tell of the dynamics of moments, things and memories 52 Auszüge von / Fragments from KREMLIN DOPPELGANGER 96 / 102 Christian Egger THE LADY WITH THE VIDEO CAMERA 108 Biografie / Biography 114 Bibliografie / Bibliography 117 AutorInnen / Authors 118 Impressum / Imprint UNTITLED (Good Times, Bad Times) Series of 3 photographs, 32 x 47 cm each, 2007 Previous pages: IN/OUT, video, HD, 3.30 min., loop, 2011 Production photograph CLOUDS, video, HD, 2 min., 2011 Video still Iara Boubnova STEPPING “IN” BY STEPPING ASIDE „Achtung: Alle mal hersehen! Dieser Film ist ein Experiment der filmischen Vermittlung tatsächlicher Ereignisse”. Mit diesen Worten beginnt Dziga Vertovs Film „Der Mann mit der Kamera“ aus dem Jahr 1929. Anna Jermolaewas Ausstellung Anfang 2011 im ICA-Sofia wurde nach der dort zentralen Arbeit, der Videoinstallation STEP ASIDE, 2006–2008, benannt. STEP ASIDE ist auch der Titel dieses Kataloges. In der Mitte des Ausstellungsraumes war eine große Zweikanal-Videoprojektion zu sehen: Die Kamera folgt am Ende eines langen Arbeitstages wie besessen einem „aggressiven“ Bulldozer auf seiner Fahrt entlang der Stände eines Flohmarktes in Wien. Diese bedrohliche Maschine bewegt sich sehr schnell; sie schiebt die restlichen stehengebliebenen Möbelstücke, die umherliegenden Kartons und Kleiderberge usw. vor sich her, zerquetscht und zerschmettert sie. Sie zwingt die Leute, rasch aus dem Weg zu gehen. Manche versuchen trotzdem, einzelne Dinge aus dem Dreck und dem liegengebliebenen Müll zu fischen, die für sie die Aura von „Objekten der Begierde“ noch nicht verloren haben. Tatsächlich zitiert der Titel des Werkes die ständig wiederholte Aufforderung der Reinigungsleute: „Auf die Seite! Auf die Seite! Auf die Seite!“ Diese Warnung ist im Video kaum wahrnehmbar, sie ist als eine Art postmoderne Version der alten Wendung „Sic transit!“ impliziert. Die Kamera filmt aus einem extrem niedrigen Standpunkt, was für uns ungewohnt ist, da wir normalerweise die am Boden liegenden Gegenstände aus einer wesentlich höheren Perspektive sehen. Das Video besteht aus parallel ablaufenden, hintereinanderliegenden Ebenen: Im Vordergrund sieht man die Passanten sowie die ehemaligen Konsumartikel und die Räder der „Terminator-Maschine“, während man im Hintergrund verschwommen das Treiben auf der Straße erkennen kann. Indem sich die Ausstellungsbesucher von gewöhnlichen Zuschauern in Augenzeugen der Aktion verwandeln, sind sie als eine weitere Ebene des Filmes zu identifizieren. Sie können – ohne es sich bewusst zu machen – die Grenzen überschreiten und in den Handlungsraum des Kunstwerkes eintreten, ohne jedoch die dokumentarische Substanz des Filmes zu zerstören. Vielmehr können sie sich durch dessen Realität „verzaubern“ lassen. Das „Verschlingen“ des Zuschauers hat zum einen in der Kunstgeschichte eine Tradition. Barocke Kunstwerke beispielsweise versprechen, sie könnten die Sehnsucht des Betrachters, in den Raum der dargestellten (vorgegaukelten) Realität eintreten zu wollen, einlösen. Diese Interpretation mag mit dem kunsthistorischen Werdegang der Künstlerin in Beziehung stehen. 8 Zum anderen ist dieses Motiv auch ein Zugeständnis an die Magie des Kinos, eine Beobachtung, die sich nur selten bei den Werken von Anna Jermolaewa treffen lässt. Für gewöhnlich versucht Jermolaewa nicht, die körperliche Distanz zwischen dem Bild und dem Zuschauer zu eliminieren, sondern „ein fragiles Gleichgewicht zwischen der Bewegung eines Filmes und der Bewegungslosigkeit eines Bildes herzustellen, was mit dem Konstrukt einer Videoinstallation als Ausdrucksmittel am Besten vereinbar ist“, nach Boris Groys.1 1 Meist weist Anna Jermolaewa den Zuschauern die Rolle des aufmerksamen kontemplativen Betrachters zu, allerdings ist damit nicht eine Art der Meditation gemeint. Der Zuschauer wird Zeuge des „Lebens, wie es ist“, wie es wäre, wenn es keine Kamera gäbe, die es filmte, der Definition von Dziga Vertov zufolge. Das älteste Kunstwerk in der Ausstellung THE FIVE YEAR PLAN – ein work in progress, begonnen 1996, zeigt eine absichtlich sehr einfache Methode, ein Bild zu komponieren. Auf den vier Monitoren der Installation sehen wir jeweils die Rolltreppe in der U-Bahnstation Elektrosila in St. Peterburg. Die Rolltreppe ist voller Menschen, die zur Arbeit pendeln oder alltäglichen Erledigungen nachgehen. Die Künstlerin filmt diese Bilder mit ihrer allerersten Kamera, die sie von ihren Eltern geschenkt bekommen hatte, um das Aufwachsen ihrer kleinen Tochter zu dokumentieren. Sie konzentriert sich nicht auf die Personen, die ihr am nächsten stehen, sondern beobachtet die anonyme Menschenmenge. Sie filmt die vielen fremden Menschen, denen sie aber aufgrund der unentrinnbaren Macht des Zufalls im Alltag unweigerlich begegnet. Wir sehen diese Menschen auf den Treppen hinauf- und hinab- und aus dem Monitorbild hinausfahren oder sich von links nach rechts durch das Bild bewegen. Die Aufnahmen erinnern an Bilder, wie wir sie aus Übertragungen aus dem Schwimmsport kennen. Hier jedoch ist weder ein Anfang noch ein Ende der Aktion definierbar. Tatsächlich passiert nicht viel oder zumindest nichts, was die Dokumentation durch eine Künstlerin rechtfertigen würde. Noch dazu sieht man auf den verschiedenen Monitoren Filmmaterial, das jeweils am selben Ort aufgenommen wurde und dieselbe Handlung zeigt. Entscheidend allerdings ist der Umstand, dass die Filme jeweils im Abstand von fünf Jahren aufgenommen wurden: Die Aufnahmen entstanden in den Jahren 1996, 2001, 2006 und 2011 und folglich wird die nächste 2016 stattfinden. „Es ist ein Fünfjahresplan für die Ewigkeit“, so Bert Rebhandl.2 So wie im richtigen Leben nimmt man die Unterschiede zwischen den einzelnen Filmen kaum wahr; sie liegen nicht im eigentlichen „Spektakel“ in der U-Bahnstation, in den Handlungen der gefilmten Menschen. Das zwingt den Betrachter, die Filme mit hoher Konzentration anzusehen. Dann erst sind die Abweichungen feststellbar, tatsächlich sind sie hörbar: Die Durchsagen in der U-Bahnstation wechseln – aus Sicherheitshinweisen beispielsweise werden in den neuesten Filmen Werbespots usw. 2 Boris Groys. „The Time Closure”, in: Olga Chernysheva. The Happiness Zone, 2004. Bert Rebhandl: „Gedankensprünge. Anna Jermolaewas Umbauten am kinematographischen Apparat / Anna Jermolaewa Big Sister / The Five Year Plan“, Ausst. Kat., hrsg. von Gerald Matt für die Ursula Blickle Stiftung, Wien 2002. 9 3 Zitiert nach http://en.wikipedia.org/ wiki/Dziga_Vertov Mit diesem Werk benutzt Anna Jermolaewa die dokumentarische Eigenschaft des Filmmaterials, bedient sich also dessen eigentlicher Funktion: Sie schafft eine Dokumentation des Hier und Jetzt. Losgelöst von einer Erzählstruktur, ohne eine Interpretation zu fordern und mit minimalem Einsatz moderner Technik ist THE FIVE YEAR PLAN das imaginäre Video, welches die objektive Geschichtsschreibung in der Zukunft verwenden wird, um unsere Epoche zu erforschen. Tatsächlich war dies der Traum des großen Kameramanns und Bruders von Dziga Vertov, Mikhail Kaufman, als er die Funktion des Dokumentarfilms als: „die Kunst der Bildchronik, die Schaffung eines bildorientierten Journalismus“ definierte.3 Diana Popova, „Documenting the banal. A talk with Anna Jermolaewa“, Kultura Weekly, # 10 / 18.03.2011 http://www.kultura.bg/bg/article/ view/18155 (auf Bulgarisch). Sich von vorgegebenen Richtlinien und Maßgaben vonseiten des Kunstbetriebes zu lösen –vor allem was das heutige Kino betrifft –, ist ein besonderes Anliegen von Anna Jermolaewa. Sie konstruiert weder eine fiktionale oder traditionelle Handlung noch arbeitet sie bestimmte Charaktere heraus und verzichtet außerdem auf eine eigens gebaute oder ausgestattete Kulisse. Der Begriff des „Do-it-yourself“ umschreibt ihre Arbeitsweise am besten – von der ersten Aufnahme bis zum Endprodukt. Auch sucht Jermolaewa nicht nach einer besonders bewegenden Geschichte oder sensationellen Ereignissen: „Für mich gilt, ich halte den Mikrokosmos des Lebens fest. Die banalen Szenen, die ich in meinem eigenen Leben, in meiner Küche, beobachten kann, sind für mich Metaphern für soziale oder politische Prozesse“4, so die Künstlerin in einem Gespräch während ihrer Sofia-Ausstellung. In diesem Interesse für das Konkrete und Tatsächliche steckt sowohl das Konzept der „Fixierung des tatsächlich Gegebenen“, das auf die russischen Formalisten (Osip Brik) zurückgeht, als auch Dziga Vertovs Definition des Films als „eine Summe von Fakten, festgehalten auf der Filmrolle, oder, wenn man so will, nicht nur eine Summe, sondern eine Schöpfung, eine ‚höhere Mathematik‘ der Fakten.“5 4 Zitiert in: Ed.: Drobashenko S. Dziga Vertov. Articles. Diaries. Notes, 1966. 5 Diese „Fixierung“ soll – im Gegensatz zu einer „Erfindung“ – weder Typologien erschaffen noch Tatsachen oder Ereignisse verallgemeinern, sondern im Gegenteil diese in ihrer Einmaligkeit, Eigenartigkeit und Originalität hervorheben. Nach Dziga Vertov ist eine der besonders bemerkenswerten Eigenschaften der Filmkamera (oder heute der Videokamera) die Fähigkeit, das Leben „einzufangen“ – Ereignisse und Leute zu filmen, ohne dass sie sich dessen überhaupt bewusst sind. Im Zeitalter der digitalen Technologie, in dem jeder nicht nur die Möglichkeit besitzt, sondern diese auch nützt, jederzeit und überall Fotos und Filme zu machen, up- und downzuloaden, ist es zunehmend schwieriger, den kontinuierlich wachsenden „visuellen Lärm“ von den wirklich bedeutungsvollen Statements zu unterschieden. Bereits in der Frühzeit des Filmes, als kein Zweifel mehr daran bestand, dass er sich zur innovativsten und wichtigsten Kunstform (laut V. I. Lenin) entwickelt hat, wurde der Begriff der „Textur des Materials“ geprägt. Zusammen mit dem Prinzip des Futuristen, die Mittel zu enthüllen, sind dies zwei Methoden, denen sich Anna Jermolaewa in ihren neuesten Arbeiten, die in der Sofia-Ausstellung gezeigt wurden, meisterhaft bedient. In der Arbeit IN/OUT, 2011, fokussiert die Kamera ein Bücherregal aus einer häuslichen Bibliothek vollgestopft mit Büchern und hier und da kleinen, niedlichen Souvenirs. Die Kameralinse nähert und entfernt sich und offenbart uns dabei, dass diese gemütliche und intime Ecke tatsächlich Teil eines halb abgerissenen Gebäudes ist. Den schützenden Mauern beraubt, ist sie nun den prüfenden Blicken der Öffentlichkeit preisgegeben ... Was ist passiert? Eine Naturkatastrophe vielleicht? Wo befindet sich dieses Haus? Das die Szenerie offenbarende Zurückzoomen des Kamera-Auges liefert keine Antwort auf diese Fragen, und die ruhigen Geräusche der Straße verstärken außerdem die durch die Widersprüchlichkeit der Bilder hervorgerufene Irritation. Es sind jedoch nicht die Bilder Jermolaewas, die diese Spannung transportieren. Vielmehr sind es die durch die Massenmedien bereits auf Katastrophenbilder konditionierten Betrachter, die die Spannung erst in das Werk hineinbringen. Diese Betrachter suchen eine versteckte Bedeutung, etwas außerhalb dessen, was unmittelbar sichtbar ist. Die Monotonie und Wiederholung der bewegten Bilder betont die unheimliche Wirkung der stehengebliebenen Reste an Architektur und verwandelt sie in eine globale Allegorie der Unsicherheit und Dramatik auf der Makro-Ebene. Vom Zuschauer wird nicht nur erwartet, die versteckte, nicht kommunizierte Wirklichkeit „lesen“ zu können; sondern er soll als ein gesellschaftlich und politisch verantwortungsbewusst handelnder Mensch agieren, dessen geschulte Wahrnehmung der Bedeutungsproduktion ein respektierter Partner ist. Die Videoprojektion CLOUDS, 2011, erweckt trotz des Handlungsablaufs eher den Eindruck eines Bildes (die Anspielung auf den Ausdruck „bewegte Bilder“, der wiederum auf den englischen Begriff „Moving Pictures“ zurückgeht, ist kein Zufall). Die von der Künstlerin gefilmte Situation wirkt beinahe statisch: Man sieht Passagiere während des Fluges in einem kleinen Flugzeug sitzen. Die Kamera bewegt sich kaum; sie verhält sich wie die Augen eines Passagiers – für den 10 es im Flugzeug nicht viel zu sehen gibt: die Rückseiten der anderen Sitze, die Nachbarn, die flauschige, wolkige Unendlichkeit beim Blick aus dem Fenster – und wandert ohne etwas Bestimmtes zu fokussieren, durch die Kabine, während sich diese langsam mit weißem Rauch füllt … Was allerdings bei den Passagieren keinerlei Reaktionen auslöst. Bei den Zuschauern jedoch, die den sich im engen Flugzeug verdichtenden Rauch (und Plot) beobachten, machen sich zunehmendes Unbehagen und Aufregung breit. Bei der Eröffnung der Ausstellung im ICA-Sofia, wo dieses Werk zum ersten Mal dem Publikum gezeigt wurde, brach eine erregte Debatte los: Ist ein gefährlicher Schaden an den Flugzeugsmotoren die Ursache des Rauches oder sind es vielmehr die Wolken, die irgendwie in das Flugzeug eindringen konnten? Die Zuschauer – die durch den Konsum vieler Horrorfilme an solche Szenen gewohnt sind – reagieren eher gelassen; die Künstlerin reißt sie durch den Loop der kurzen Filmschleife (nur 2’10’’) jäh aus der filmischen Illusion heraus und nutzt das anfängliche Vertrauen der Zuschauer in den Autor/Künstler oder die Institution/ Galerie aus. Solche banal erscheinenden, aber gut durchdachten Techniken ersetzen „das Vertrauen in das Bild“ durch „das Vertrauen in das Dokument“ oder „das Vertrauen in die Wirklichkeit“.6 N. Milev, Special Theory of Cinema (historical poetics), Sofia, 2006. 6 Obwohl ON/ OFF aus dem Jahr 1999 chronologisch eines der ältesten Werke von Anna Jermolaewa ist, erwies es sich inhaltlich und als Typologie als unverzichtbar und verlieh der SofiaAusstellung den letzten Schliff. Das Werk bietet einen ironischen und zugleich poetischen Kommentar auf eines der ältesten „Phänomene“ der Welt: die Demonstration von Männlichkeit. Ein erigierter Penis drückt auf einen Lichtschalter; im Wechsel wird er sichtbar, in helles Licht getaucht, dann verschwindet er „in all seiner Macht und Schönheit“ wieder in der Dunkelheit. Diese simple Handlung weist zahlreiche Sex- und Macht-Assoziationen auf, wovon viele in Beziehung zur Hoch- und/oder Massenkultur stehen. Ganz offensichtlich ist die inszenierte Handlung, in welcher der Penis dazu gezwungen ist, Arbeit zu leisten, nicht nur der weibliche Kommentar auf das Organ als Kultmetapher. Sie erinnert auch an das „Potenz“-ial der Kamera, durchs Schlüsselloch zu schauen und Verborgenes, Privates oder schlicht das, was nicht für die Öffentlichkeit ist, auszuspionieren. Boris Yukhananov, der russische Experimentalfilm-Regisseur, definiert einen Videokünstler so: „Du hast praktisch deinen Kopf in Händen, um mit diesem Kopf Realität zu formieren, zu erschaffen … entgegenkommend dem Fluss der Realität widerspiegelnden Bilder, der in die Kamera hineinströmt – diese Funktion ist allein dem Video vorbehalten.“7 Obwohl etwas sehr mechanisch, lässt sich diese Definition ganz gut auf die künstlerischen Methoden von Anna Jermolaewa anwenden. Und sie passt perfekt, wenn wir ergänzen, dass „der Kopf in den Händen“ dieser Künstlerin einfühlsam, reflektiert und visuell überzeugend ist, ausgestattet mit einem scharfen Auge und mit besonderem Gespür für das Medium und dessen Anwendung. Boris Yukhananov, zitiert in: „Milena Musina. At the juncture of cinema and video art. A utopia of slow video“ (In: An Anthology of Russian Video Art, Moscow, 2000). 7 ON/OFF Video, 15 sec., loop, 1999 Video still 11 FIVE YEAR PLAN Work in progress, since 1996 To date 4-channel video installation Video stills 12 13 FIVE YEAR PLAN, installation view: ICA Sofia, 2011 Iara Boubnova STEPPING “IN” BY STEPPING ASIDE “Attention Viewers: This film is an experiment in the cinematic communication of visual events”. These are the opening words of Dziga Vertov’s film, “Man with a Movie Camera” (1929). The exhibition presented by Anna Jermolaewa at the Institute of Contemporary Art, Sofia at the beginning of 2011 was titled STEP ASIDE, after the show’s centerpiece video installation (20062008). This also serves as the title for this catalogue. The central space was taken over by a large two-channel video projection. The video camera follows obsessively the aggressive march of a bulldozer’s blade along the main lane of a Vienna flea market at the end of the working day. The menacing machine is moving quite quickly; it is pushing and crushing the heaps of furniture, the cardboard boxes, the piles of clothing… It is forcing people to step aside, although some still dare to pull out of the mess items that, for them, retain the aura of “objects of desire”. In fact, the very title of the work is derived from the repeated warning given by the flea market cleaners: “Step aside! Step aside! Step aside!” It is almost unhearable in the video work but is imposed as a kind of a post-modern transformation of the ancient “Sic transit…!” The camera shoots from a very low angle, which is strange for our usually higher point of view of the asphalt. The filmic composition is split into parallel planes by the moving “tracks”. In the foreground are the passersby, behind them the ex-consumer-goods and the wheels of the “terminator” machine, and in the background is the blurry mass of street life. The visitors to the exhibition find themselves in an additional “track”, transforming from regular viewers into eyewitnesses of the action. Imperceptibly they are able to “traverse”; they become capable of entering the inner space constructed by the art work without destroying its documentary substance but becoming ever more “enthralled” by its reality. This “engulfing” the viewer is related on the one hand to the temptations of classical art, for example the baroque compositions that promise to share the space of the depicted reality. Maybe this reference stems from the artist’s background in art history. On the other hand, however, it is an acknowledgement of the magic of cinema, which is not often found in Anna Jermolaewa’s works. Boris Groys: “The Time Closure in Olga Chernysheva. The Happiness Zone”, 2004. 1 14 Usually she looks not to eliminate the physical distance between the image and the viewer but rather to “display a fragile balance between the motion of a film and the motionlessness of a picture, which best agrees with the nature of video installation as a medium”1, in the words of Boris Groys. Contemplation is the role most often prescribed for the audience, although the way Anna Jermolaewa positions the viewer does not imply meditation. The viewer becomes a witness to “life as it is”, the way life would be if there were no camera to film it, according to the definition given by Dziga Vertov. The oldest work in the exhibition, FIVE YEAR PLAN (1996, project in progress), demonstrates an intentionally simple way of composing an image. In the installation’s four identical “monitos frames” we see the escalators in the “Elektrosila” station on the St Petersburg subway system. They are full of people going about their daily routines, commuting and living their normal lives. The artist has filmed these people with her first ever video camera, given to her as a present by her parents to document her young daughter. However, before concentrating on the person closest to her, the artist has gone about observing the multitude of people she does not know at all but whom she meets by the unavoidable pressure of the chance of everyday life. We see them descending or ascending the frame, or “swimming” from left to right across the screen surface, without a beginning or an end to the action ever being defined. In fact, nothing much of anything is happening here, at least nothing that would merit being documented by an artist. The point is that the “monitos frames” contain footage from exactly the same place and represent exactly the same action, except each segment is filmed at intervals of five years. The separate segments of the installation were filmed in 1996, 2001, 2006 and 2011 and will be filmed in the future after the appropriate interval of time. “We are dealing here with a five year plan for eternity …”,2 comments Bert Rebhandl. As in real life, the changes are barely perceptible; they are not in the “movement” or in the spectacle. They are meant to prompt a more attentive perception of the film document and are recognizable in the audio stream: the safety announcements in the subway are replaced by advertisements for the latest movies, for example. 2 In this work Anna Jermolaewa draws closer than ever to the most obvious function of the visual document: to witness the here and now. Freed from narrative, without implied interpretation, and minimized to almost “zero degree” contemporary techniques, FIVE YEAR PLAN is the imaginary video album that objective history will use to research our times in the future. That was in fact the dream of the great cinematographer Mikhail Kaufman, the brother of Dziga Vertov, when he defined the functions of documentary cinema as “the art of the chronicle based on images, the creation of an image-oriented journalism”3. 3 Bert Rebhandl: “Staccatoed Ideas in Anna Jermolaewa, Adaptations of the Movie Apparatus.” Quoted after www.jermolaewa.com Quoted in http://en.wikipedia.org/ wiki/Dziga_Vertov 15 IN/OUT Video, HD, 3.30 min., loop, 2011 Video stills Diana Popova, “Documenting the banal. A talk with Anna Jermolaewa”, Kultura Weekly, # 10 / 18.03.2011 http://www.kultura.bg/bg/article/ view/18155 (in Bulgarian). 4 Quoted after: Ed.: Drobashenko S. Dziga Vertov. Articles. Diaries. Notes, 1966 (in Russian: Дробашенко С. (Ред. сост.). Дзига Вертов Статьи. Дневники. Замыслы, 1966). 5 To be freed from the artificial schemes and from the schemes of art, especially from those through which cinema is widely perceived as cinema today, is a constant concern for Anna Jermolaewa. She does not resort to fictional or traditional narrative; she does not work out a scheme of characters nor does she built a set. Her methodology is qualified DIY, from the first shoot to the end product. She does not seek out particularly moving stories, nor is she drawn to spectacular events. “This is how it happens with me: I capture microcosms of the way of life…; even the banal scenes that I can observe in my home, in the kitchen, are for me metaphors for some social or political process”4, in the words of the artist during an interview given at the time of her show in Sofia. In this interest for the concrete and that which is actually happening one can see both the concept of “fixing the fact”, which triggers awareness of reality, invented by the Russian formalists (Osip Brik), and the Dziga Vertov notion of the film “… as a sum of facts fixed on the film reel or, if you wish, not only a sum but a creation, a “higher mathematics” of the facts”5. Indeed the “fixing” unlike the “invention” is expected to not create typologies, to not generalize facts and events but to present these in their uniqueness, singularity, and originality. One of the remarkable qualities of the film camera (or video camera, as it is today) according to Dziga Vertov is its ability to present “life caught unawares”, to film events and people without them knowing that they are being captured on film. In the age of digital technology, when the non-stop capturing and uploading of images and video is not only open to, but practised by everybody, it should be more difficult than ever to separate the ever increasing visual “noise” from the meaningful statement. Nonetheless, it was as early as the dawn of the moving image, when there was no doubt that it could be the newest and most important art form (according to V. I. Lenin), that the idea of the “texture of the material” was coined. This, paired with the Futurist principle of “revealing the means”, is masterfully utilized in the newest video works by Anna Jermolaewa shown in her Sofia exhibition. In IN/OUT (2011) the camera captures a set of bookshelves from a domestic library, crammed with reading material and cute little souvenirs here and there. It moves in and out to reveal the fact that this cozy and intimate corner is actually part of a semi-demolished building, stripped bare and offered to public scrutiny, possibly after some dramatic cataclysm. The revealing pull back of the video-eye does not provide an answer to exactly what has happened or where, while the peaceful street sounds in the background only reinforce the contradictory perception. The suspense is not ingrained into the vision of the artist as such; it is “brought in” by the viewer, whose eye has been pre-conditioned by the mass media to seek out nightmares. This kind of eye is searching for some hidden meaning, for something beyond the immediately visible. The relative monotony and repetition of the visual movement underlines the dramatic remnants of reality; it transforms them into an allegory of uncertainty and dramatics on a global scale. The viewer is not simply expected to “read” the hidden reality through the unmediated document; they are enlisted to act as a responsible social and political being whose informed perception is a respected partner to “co-author” the production of meaning. The video projection CLOUDS (2011) feels a lot like a picture in spite of the short “action” it presents (the allusion to the term “moving pictures” is not accidental). The situation filmed by the artist is almost static: the viewer’s gaze is directed towards passengers sitting in their seats while flying on a small aircraft. The camera is nearly motionless; it behaves like the eyes of a 16 17 CLOUDS, video, HD, 2 min., 2011, video stills 18 19 STEP ASIDE 2-channel video installation 5.30 min., 2008, video stills STEP ASIDE, ICA, SOFIA, 2011, Installation view 20 passenger on the plane for whom the range of things to look at is restricted to either the backs of the seats in front, their neighbors, or the fluffy cloudy infinity outside the windows. The eye of the camera, followed by the eye of the viewer, roams without focusing while the flight cabin somehow slowly fills with white smoke… which does not trigger any reaction from the passengers. However, the viewer observing the thickening of the smoke (and of the plot…) in the small contained space of the aircraft is subject to growing discomfort and agitation. The opening of the exhibition in ICA-Sofia, where this work was shown in public for the first time, witnessed a heated debate on whether dangerous damage to the plane engines caused the smoke, or if the thick clouds on the outside somehow made their way into the aircraft. The reaction of the viewers, well-trained witnesses of horror movies, is not one of alarm; the artist is able to pull them out of the cinematic representation thanks to the shortness of the loop (only 2’10”) and the viewers’ initial trust in the author/artist or the institution/gallery. Such seemingly banal but well thought-out techniques are replacing the “trust in the image” with the “trust in the document”, or the “trust in reality”6. Milev, N. “Special Theory of Cinema (historical poetics)”, Sofia, 2006 (In Bulgarian: Милев, Н. Специална теория на киното / историческа поетика/. София, 2006). 6 Although ON/OFF (1999) is chronologically one Anna Jermolaewa’s oldest works, it turned out to be the “finishing touch” in her Sofia show, both in its substance and typology. The work presents an ironical and at the same time strangely poetic commentary on one of the world’s oldest “phenomena”: the demonstration of masculinity. An erected penis presses a light switch while alternately appearing flushed with light and disappearing into the darkness in all its “might and beauty”. There are endless sexual and power connotations triggered by this simple action, many of them related to high and/or low registers of culture. Obviously the staged situation of forcing the penis to do some actual work does not only reflect the female point of view on this organ as a cult metaphor. It also reminds us of the camera’s potential to visually investigate the hidden, the private or simply the not-for-public view; to peep-hole or even spy. Boris Yukhananov, the Russian experimental film director, offers the following definition of the video artist: “You got your head in your hands. And to have your own head in your hands and use this head to construct, as it were, reality, create reality facing the reflected stream that is pouring into the camera itself – this function is exceptionally organic to video”7. Though somewhat mechanical in substance, this definition seems to fit well the art practice of Anna Jermolaewa. It would fit perfectly if we added that the “head in the hands” of this artist is also a sensitive, thinking and visually convincing one, gifted with a sharp eye and strong mastery of tool and method. Boris Yukhananov as quoted in: Milena Musina, “At the juncture of cinema and video art. A utopia of slow video” (In: An Anthology of Russian Video Art, Moscow, 2000). 7 ICA Sofia, 2011 installation view 21 UNTITLED / OHNE TITEL (Kino-eye moves time backwards / after Dziga Vertov) HD, 20.26 min., 2010 22 KINOKLAZ, XL Gallery, Moscow, 2011, Installation view 23 Fragments from: ALEKSANDRA WYSOKINSKA, 20 JAHRE DANACH, HD, 41 min., 2009 AJ: Now I do remember that you were telling stories at every border. AW: Yes, yes, but once we had a really long waiting time because of you, the people were sitting in the bus and I had the feeling they had a bad mood because they had to wait for us. AJ: Yes. I took the microphone and began to talk. AW: I got these candies for two cents or one cent. I took them and gave them out to everyone left and right. But this was possible only because then I was a young, naïve, good-looking girl. I have forgotten this already. It’s strange. Very strange ... AJ: Actually, the gaps in my memory are filling up, I am beginning to recall all these facts. Really, I do have some lapse of memory. It is a completely different process of remembering. I really do have some gaps in my memory. Now I have seen this bed and I am remembering this apartment, this room ... and slowly other things come up again. AW: Do you remember that we went to the dentist? AJ: No. AW: Well, let’s go again! AJ: You mean, you went with us to dentist? It was for me to get some dental treatment? AW: You and Vladimir. AJ: Really? You don’t say! Amazing! I simply forgot this! AW: Yes. Because, you know, I had this idea that you would be recognised as refugees, but I knew ... AJ: I start to remember! 24 AW: I was afraid that we would arrive in Vienna and you immediately would be granted American asylum. And there was no social security in the States! So, what would you have done then? That’s why! AJ: Yes, yes! I see. I am remembering now. AW: That’s why we went to the dentist, to a very nice doctor. He treated your teeth for free.Vladimir gave him a big five-rouble coin with Lenin on it as a souvenir. He was so special, so nice! And then you and Vladimir wrote a postcard from Vienna to him and sent it to me. I do remember that besides some good wishes it said: “OUR TEETH ARE ALREADY CHEWING CAPITALIST FOOD!” I brought the postcard to him. He is a very kind man. His office is very close, we can have a look. AJ: Yes, definitely! Sure! See, I simply forgot so many things! It’s unbelievable! I have blocked all this out! I remember the bus arrived at the Westbahnhof, the Western railway station in Vienna ... AW: Yes. AJ: ... and you went back with the driver. AW: No, we went to the American embassy! AJ: I can’t remember this ... AW: I remember there was a staircase and another one, then a red carpet ... AJ: Yes ... AW: ... and such metal things to hold back the crowds. Nobody was there. We went to the hatch 25 and told we had just arrived from Poland. I spoke in English to them and said that we were coming from Poland and that there were two young friends, who wanted to apply for ... AJ: political asylum. AW: Yes, for political asylum. They had a slightly askance look at us and told us to go over there and wait for somebody to come. Then a really huge guy came. AJ: I see ... AW: A really impressive big man. He checked our passports, mine, then yours, and asked us to wait for another few minutes for some woman to come. And this woman invited us to a restaurant! Do you remember? AJ: ...Yes, I do remember slowly... AW: While sitting in the restaurant she asked us why and how we had come to Vienna. AJ: Yes. Yes. Yes! AW: Then she told you that there was a possibility for you to stay in Vienna. AJ: Yes. AW: And that you couldn’t apply for a political asylum for the US in Vienna, but for the Austrian one. AJ: To some extent it’s as if someone was telling me an interesting story ... about someone else! But not about me!!! I simply forget sometimes that I was participating in it. It’s crazy! AW: Because it’s too much, you know. I, for example, do not remember anything ... anything when thinking of the twenty years I lived in France. It is a shame, I seem not to remember anything! There are only some ... you know, these little things in the cake? AJ: Raisins. AW: Exactly. Twenty years! What has been happening in these twenty years? Maybe this is because of the stress, because we were far away from our loved-ones, we were going through hard times and worrying about so much things ... AJ: Yes. AW: And that’s why our brain tries to get rid of all that. AJ: Yes. Yes. AW: It refuses to remember. I think so. AJ: Yes. AW: I have the feeling that it is pushing aside all these things itself. AJ: Yes. It’s a protective mechanism. AW: Exactly. AJ: When we arrived yesterday the first thing you said was that the last twenty years have been generally a time of big changes, of big migrations ... Could you please tell me more about that? AW: This was an amazing period, because all of a sudden unknown possibilities opened up for a lot of people. In the beginning for Poland, Czechoslovakia, then for all the countries that joined the EU. There was the possibility of travelling freely and many people abandoned nearly everything to take this chance. AJ: Yes. That’s true. ... Also to make money? AW: Exactly. Also for economic reasons. Everything looked so easy to achieve in the West. A lot of people had the impression they could change their lives for a better one. A lot of people went away and stayed abroad. This created also some problems for the family members remaining behind, because many people do not return. AJ: I see. AW: Now psychologists already claim a syndrome of families breaking up because of economic migration. Polish people emigrate to the West and now Ukrainians immigrate to Poland. A lot of Ukrainian and Russian people do so now. And paradoxically, also people from Vietnam. But also from other countries. AJ: Really? Also for economic reasons? AW: Yes. A lot of Polish women, for example, emigrate to work as cleaning ladies in France,and many Ukrainian women do the same in Poland. AJ: It’s amazing! Very interesting. AW: I think this is anything but normal. I do hope so. AJ: That the situation becomes normal? AW: No, I do hope that this emigration will have an end, that the people will stop only to be interested in earning money. That their situation changes for the better and we will be in contact for other reasons. 26 right and following pages ALEKSANDRA WYSOKINSKA 20 JAHRE DANACH Video, HD, 41 min., 2009 Production photographs 27 BACK TO THE SILK ROUTES, video, HD, 70 min., 2010 Production photograph Hedwig Saxenhuber BEWEGUNG & GESCHICHTE Anna Jermolaewas Videos erzählen über die Dynamik von Momenten, Dingen und Erinnerungen 1. In der Videoarbeit BACK TO SILK ROUTES, 2010, begibt sich Anna Jermolaewa auf die Spuren der bucharischen Juden, die nach dem Zerfall der Sowjetunion aus Usbekistan auswanderten und nun am Wiener Naschmarkt ihre Waren feilbieten. In den letzten Jahren des Sowjetimperiums, Mitte der 1980er Jahre, versuchte Moskau noch einmal, seinen Einfluss auf die UdSSR-Republik Usbekistan stark zu machen, was den ohnehin schwelenden Nationalismus der mehrheitlich muslimischen usbekischen Bevölkerung beförderte. Fast alle Juden verließen spätestens 1991 nach der Unabhängigkeitserklärung der demokratisch verfassten Republik das Land. Die meisten gingen in die USA, manche kamen jedoch auf dem Umweg über Israel nach Wien. Die Stadt beheimatet nun die drittgrößte Community bucharischer Juden aus der Region um Samarkand. Mehr als 2000 Familien haben sich in Wien niedergelassen. Die Künstlerin erkundet in BACK TO SILK ROUTES mit sieben Kurzporträts die Bildspuren und Projektionen auf die Migration und die diasporische Erinnerung von einigen dieser in Wien lebenden bucharischen Juden. Sie fragt nach Erinnerungen an die alte Heimat, lässt die Interviewten deren entfernten Sehnsuchtsorte und die damit verbundenen Wünsche benennen, stellt ihnen im Gegenzug ihre eigenen Bilder der geliebten Orte und Erinnerungen vor und rückt diese ins Zentrum einer künstlerischen Recherchereise an die Plätze, die sich mit den Wunsch-Bildern der MigrantInnen verbinden: zum Beispiel Samarkand, der magische Ort an der Seidenstraße, der für mehr als zwei Jahrtausende ein zentraler kultureller Transfer- und realer Handelsort, eines der wichtigsten Gelenke an dieser Route war, die das Mittelmeer mit Ostasien verband. Schon im 5. vorchristlichen Jahrhundert erwähnt, wurde es im 14. Jahrhundert die Hauptstadt eines Mongolenreiches und Anziehungspunkt für die Eliten aus Kunst und Wissenschaft: eine architektonisch überreiche Metropole. Die längst in den – auch touristischen – Bildatlas des „Weltkulturerbes“ eingeschriebenen Ansichten der Stadt machen es auch nicht weiter erstaunlich, wenn mit der Erinnerung an sie große Sehnsüchte nach ihrer baulichen Gestalt verbunden sind. Und so tritt neben den ehemaligen Wohnungen und Häusern der Porträtierten, welche Jermolaewas Kamera vor Ort an der je aus der Erinnerung angegebenen Adresse erkundet, auch die Altstadt der Seidenstraßen-Metropole auf. Und der Basar, der auch aus der Perspektive des Wiener Naschmarktes als Ort des Genusses und Überflusses und der Sehnsucht erscheint. Gerüche, Farben und Geschmäcker dominieren ihre Erinnerungen: frische Maulbeeren, gelbe flache Feigen, gesalzene Aprikosenkerne und Melonen. 28 Anna Jermolaewas subtil zurückhaltende, dennoch bewegte Kamera, die ruhige Cadrage und die präzis gesetzte, unauffällige Schnittfolge des Videos machen es den ZuschauerInnen besonders leicht: Wie eine Märchenfee zaubert sie unmittelbar nach der Formulierung des Wunsches in der nächsten Sequenz ihren Auftrag herbei: In der Altstadt Samarkands tauchen wir mit der verwackelten Handkamera in die verschiedensten Viertel ein, umgeben von neugierigen Kindern, die manchmal die Künstlerin bei der nicht immer einfachen Suche nach der Adresse begleiten. Es sind kleine Details, aus denen Jermolaewas Film sein politisches Moment baut und an denen die ganze soziale Komplexität der Gegenwart der sich auch ethnisch als Nation verstehenden Republik ebenso sichtbar wird wie die Hintergründe der jüdischen Emigration. Ganz stolz erwidert da etwa das kleine Mädchen auf die Antwort von Jermolaewa, dass sie Künstlerin sei, „Und ich bin Usbekin.“ Im übernächsten Satz weist sie auf die Nachbarschaft: „Und da drüben wohnen Zigeuner.“ Neben der Erkundung des ehemaligen Heims steht auf der Identitäts-Projektionsliste immer wieder der Registan-Platz – wo sich BesucherInnen gerne zu Gruppen versammeln und ablichten lassen – und dessen fotografisch vervielfachte Vedute. Seit Jahrhunderten ist der Registan das Zentrum Samarkands und ist mit dem Ensemble der drei Medresen eine der Weltkulissen schlechthin. Aber auch andere Wunschorte wie die Puschkin Bibliothek und der jüdische Friedhof, der sich neben dem muslimischen befindet, scheinen sich im kollektiven Migrationsgedächtnis von Wiens bucharischen Juden und Jüdinnen vervielfältigt zu haben. Ebenso subtil wie auf die politischen Verhältnisse weist Jermolaewa in BACK TO SILK ROUTES auf die Effekte aus der Apparategeschichte des Bildes, auf die in die Erinnerungskulturen eingeschriebenen bildgebenden Verfahren und deren Bedeutung für den jeweiligen Bestand von privaten Bildinventaren hin: In vielen der unabhängig gewordenen ehemaligen sowjetischen Republiken hat sich – die Digitalisierung des Bildes schuf dafür die technischen Voraussetzungen – die Gravur des übergroßen Porträts der Verstorbenen am Grabstein als Zeichen des Andenkens gebildet. Übergroße Antlitze bevölkern seitdem die dunklen polierten Grabsteine. Gleichsam zur Gegenprobe auf derlei visuelle Evidenz wird die Schule „60er Internat für Schwachsichtige“ besucht, wo die Freude der Erinnerungen an den ehemaligen Schüler zwei29 deutig hochgehalten wird: „Er war zwar Jude, wir hatten auch einige Russen, aber der Unterricht war auf Usbekisch. Der kleine Fishkin sitzt heute auf seinem Platz.“ Es fand auch ein Glasschneider den Weg nach Samarkand durch die Künstlerin. Die Überreichung wurde mit einer Essenseinladung quittiert und man ließ den Spender und die Überbringerin hochleben. Jermolaewas Video zeichnet sich aber nicht nur durch eine derart lapidare, das Politische in einer minimalen sozialen Konstellation fassende Situation oder die Verweise auf die Genera und den Status von Erinnerungsbildern und deren Re-Konstruktion aus, sondern auch durch den Duktus der Recherche und der Kommunikation: Jermolaewa gelingt es mit ruhiger, höflicher, aber bestimmter Art, die Leute dazu zu bringen, dass der fremden Person, die sich nur knapp erklärt, der Hof, der Garten, manchmal auch das Innere des Hauses gezeigt werden. Der Perspektivwechsel von anfänglicher Skepsis zu großer Bereitschaft – manche der Leute können sich an die Weggegangenen noch sehr gut als alte Bekannte erinnern und geben ihnen viele gute Wünsche und Gesundheit mit auf den Weg – kommentiert die Distanz von Projektion, Emigration und der Wirklichkeit der sozialen Konstellationen: Da wird die Künstlerin von den einen als Genossin, von den anderen als völkerverbindender Engel gesehen. Mit BACK TO SILK ROUTES ist Anna Jermolaewa eine „Imaginäre Gemeinschaft“-stiftende, interkulturelle Arbeit gelungen, die auch jenseits der vier Wochen Festival-Laufzeit, während derer das Video an einem Stand auf dem Wiener Naschmarkt zu sehen war, Bestand hat. Samarkand ist in ihr eine universale Metapher für die „identitätsstiftende Kraft der Imagination“ geworden. Vgl. Susanne Hauser, „Metamorphosen des Abfalls“, Frankfurt am Main, New York 2001, S. 92. 1 Gegenschuss: Das Video STEP ASIDE, 2006–2008. Es wurde Woche für Woche am Samstag am Spätnachmittag an der Wienzeile gedreht, gleich hinter dem Naschmarkt, der Arbeitsstätte vieler Wiener bucharischen Juden. Immer dann, wenn der große Flohmarkt, der dort jeden Samstag stattfindet, seine imaginären Pforten schloss und eine Menge an Unrat oder Graffel auf dem von ihm vorübergehend okkupierten Parkplätzen übrig blieb. Woche für Woche wird man Zeuge, wie sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne eine hochgradige Dynamik entwickelt, die sich vor allem an den gegenläufigen Bewegungen der sich am Ort befindlichen Menschen und einer dramatisch sich verdichtenden Soundkulisse manifestiert. Die städtische Müllabfuhr (MA 48) hat den Auftrag, den Platz in kürzester Zeit zu säubern. Das herrenlose Gut, das sich noch auf dem Areal befindet, wird mit zwei Schaufelbaggern zusammengeschoben und auf Lastwagen verladen. Flankiert von den – und trotz der – Bediensteten der MA 48 mit ihren mit Autorität ausgestatteten Rufen „Auf die Seite!“, gelingt es so Manchem in den wenigen Minuten noch das eine oder andere zu retten, während eigentlich ohne Pardon in Sekundenbruchteilen die Reste einmal geliebter Dinge mit einer Wucht vernichtet werden müssen. Jermolaewas Kamera richtet den Blick auf mit Emotionen aufgeladene Objekte und fängt das nicht mehr Gebrauchte, das ehemals Private, dem noch Gefühle und privater Geschmack anhaften, ein – von dem Hannah Arendt einmal als der „Handgreiflichkeit des Dinghaften“ gesprochen hat, dessen Vorhandensein materieller Anhaltspunkt und notwendige Voraussetzung für das Erinnern sei, eine Art Gedächtnis außerhalb des Menschen. Geschichte hängt an der Materie, an den materiell überkommenen Gegenständen, sie bezeugen vergangene Lebenszusammenhänge. Erinnerung konstituiere Identität, sagt Susanne Hauser.1 Jermolaewa begleitet sie auf deren Passage in eine andere Welt des Wunsches: Es herrscht wöchentlich fast Krieg, ein aussichtsloses Gezerre von denen, die etwas ergattern wollen und können, und jenen, den kurzfristig „neuen Herren“ der Dinge, denen Sauberkeit das dringlichste Gebot ist, denn wenn dieses Ziel erreicht ist, dann ist auch für sie Feierabend. Produktion und Technologie erzeugen ständig neue Konsumbedürfnisse, und damit belebt sich der Kreislauf der Warenwelt und hält so auch den Flohmarkt mit den traurigen, verlassenen Dingen aufrecht, bevor diese der Verschrottung zugeführt werden. Dieser kurze Augenblick der Schwebe beinhaltet eine ungeheure Dynamik, er liegt vor dem Potenzial der Zerstörung und findet sich in vielen Arbeiten von Anna Jermolaewa. Zum Beispiel in IN / OUT, 2011, ein kurzer Blick auf gelebtes Leben. Ein Blick in ein Abbruchhaus, ein halbzerstörtes Behältnis für so viele Leben, ein Opfer der Ökonomie, unrentabel, ausgedient, das einer neuen Immobilie weichen muss, weil kein „allgemeines Interesse“ besteht, das Gebäude zu retten, es instand zu halten oder zumindest einer erhaltenden Nutzung zuzustimmen. Es ist nur mehr die tragende Wand des benachbarten Hauses vorhanden und an der Wand befinden sich noch Reste von Mobiliar. Während alle Kästen leer geräumt wurden, ist das Bücherregal in seiner peniblen Ordnung unangetastet. Es drängen sich verschiedene Fragen auf: Was ist mit dem/der Bewohner/in geschehen? Falls es sich um eine Verlassenschaft handelt, warum sind/waren die Bücher als kulturelle Gegenstände kein Ziel des Begehrens? Handelt es sich um eine Katastrophe, wohl kaum, denn dann wäre Chaos und nicht der ordentliche Bücherkasten vorhanden. Dieses Zeugnis vom Ende des Behaust-Seins ist ein schmerzhaftes Signum in einer Welt des Überflusses. Alles ist ausgeräumt, nur für die fein säuberlich gestapelten Bücher hat sich keine Verwendung gefunden. Eine kulturpessimistische Sicht auf den steten Wandel und den Verfall intellektueller Werte? Zynisch gedacht, ein Denkmal für eine vor kurzem vergangene Zeit, 30 in der die Technologie und die Flüchtigkeit noch nicht Einzug gehalten hatten. Ein reales Monument einer unwirklichen Situation: sinnlich-einprägsam, durch seine Form suggestiv, durch seine Funktion alltagsnah und lebensweltlich plausibel. Kann an ihrer Materialität, an ihrer Sichtbarkeit als Bild Wissen gewonnen werden? Welchen Schlüssel bietet sie für die Lesbarkeit dieser Welt? Eine von Anna Jermolaewas ästhetischen Maximen seit Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit ist es, mit sparsamen Mitteln, also weder mit aufwendigem Handwerk noch dem Einsatz besonders komplexer Technologie, ein Maximum an künstlerischer Präzision zu erreichen. An der Grenze des Alltäglichen, Banalen und Flüchtigen angesiedelt, versucht sie den Punkt sichtbar zu machen, wo die Dinge und Situationen die Balance, das Gleichgewicht verlieren und sich in unkontrollierbare Zustände transformieren. Nicht der Endzustand ist das eigentliche Interesse, sondern die Sichtbarkeit der/die Moment/e der Veränderung. In ihren Videoarbeiten finden sich vielerlei solcher Situationen (z. B. in MOTHERHOOD,1999 oder TRYING TO SURVIVE, 2000) und mitunter auch skurrile, reale Momente des Alltags, Bilder, die sich sozusagen vor dem Auge ereignen – die Künstlerin nimmt keine Manipulationen und technischen Bearbeitungen der Situationen vor – und die im Verlauf fiktionale Potenziale entwickeln. Wie in der Videoarbeit CLOUDS, 2011, in der Jermolaewas Kamera auf das Fenster einer YAK-42 der Cubana Airlines gerichtet, Wolkenformationen beobachtet und dann ins Innere der Kabine schwenkt, wo gelangweilte oder dösende kubanische Fluggäste gänzlich unirritiert eine bedrohliche Rauchentwicklung vom Kabinenboden her hinnehmen – weil sie daran gewöhnt sind. Wir aber, mit unserem Sicherheitsdenken ausgestattet, verfallen beim Anblick der Kondenswolken im Flugzeug selbst aus der sicheren Distanz vor dem Bildschirm in helle Aufregung. In der 2010 hergestellten Arbeit UNTITLED (Kino-eye moves time backwards / after Dziga Vertov) bezieht sich die Künstlerin auf eines der großen Vorbilder der Filmgeschichte, auf ihren Landsmann, den sowjetischen Dokumentaristen des Alltags und den Erneuerer des Montageverfahrens, Dziga Vertov. In „Kinoglaz“ (Kino-Auge) (1924) erzeugt Vertov mit dem Rückwärtslaufen des Films größtmögliche Illusion und Beachtung: Ein ausgeweideter und in seine Teile zerlegter Ochse erscheint in aller Lebendigkeit am Filmende. Bei Jermolaewas Arbeit ist eine zweifache Anlehnung an ihr Vorbild zu beobachten: Die Künstlerin zeigt die Faena eines Stierkampfs, den Todeskampf des Stieres in der Arena von Mexico-City. Zu Beginn des Videos wird das getötete Tier von vier Pferden in einem großen Bogen durch die Arena gezogen. Nach den Regeln der Corrida bedeutet dies eine Ehrerbietung an ein besonders angriffslustiges und ausdauerndes Tier. Durch das Rückwärtslaufen des Films entsteht die heile Welt nicht wieder, wird der Tod nicht gleichsam aufgehoben wie bei Vertov, sondern der Film bewegt sich auf die Tötung des Tieres zu, man ist Zeuge seines Verendens. Eingerahmt in eine hoch-ästhetische Inszenierung der prächtigen Farbkombinationen der Kostüme der Matadoren, Banderilleros und Puntilleros sowie HENDL TRIPTYCH 3-channel video installation 3-4 min., 1998 Installation view “dAPERTutto (APERTO over ALL)”. 48th Biennale di Venezia, Venice, Italy, 1999 31 der Muletas nimmt der Todeskampf des Stieres mit den über Jahrhunderte einstudierten Figuren und Bewegungen zwischen Tier und Mensch das zentrale Geschehen ein. Auch im Video THE WAY UP, 2008, weist die Künstlerin wie so oft in ihren Arbeiten auf die Dominanz zwischen Mensch und Tier, indem sie einen flüchtigen Blick auf eine Auslage in Mexico City festhält, die Ratten in einem überfüllten Terrarium zeigt. 2. BACK TO SILK ROUTES ist ein Film über das Reisen von Bildern – dort allerdings aus der Perspektive der Emigration, der Reise weg von und zurück in die „imaginierte Gemeinschaft“ einer wie immer konstruierten Heimat. Mit dem Thema Reisen, auch dem realen Reisen von Körpern, befasst sich Anna Jermolaewa in vielen weiteren Arbeiten: mit seinen Perspektiven und den visuellen Bezugssystemen und Symbolinventaren. Verfolgt man eine Chronologie und Topologie des Reisens in der Moderne, so sieht man, dass jene seit jeher eng mit bildgebenden Verfahren verbunden waren. Auch in diesem Zusammenhang haben die Fotografie und nun auch das Video eine enorme Bedeutung für den Prozess der „Demokratisierung“ verschiedener Arten der Erfahrung von Alterität – und zwar nicht nur für die touristischen Massen der Reisenden der Mittelschichten, sondern auch für die Rekonstruktion von Erfahrungen der vielen in Migrationsströmen oft zum Reisen gezwungenen – wie auch für die neuen Möglichkeiten der Mobilität. Diese Erfahrungen des Reisens sind in Anna Jermolaewas künstlerischer Arbeit und ihrer Biografie ein zentraler Topos. Fast in jedem Werk ist das Reisen eine unabdingbare Voraussetzung für das Zustandekommen. War sie in frühen Videos mehr auf Close-ups und die Bewegungen der Dinge (TRYING TO SURVIVE, 2000; HENDLTRYPTICH, 1998) fixiert, die nicht geografisch eindeutig zuordenbar waren, und das Massen-Reisen ikonisch behandeln (REGENSCHIRMDEMO, 2004–2006), nähert sie sich in den letzten Jahren in ihren Videos über das Reisen auch Orten ihrer persönlichen Vergangenheit an, die sie sich Stück für Stück durch längere Video-Narrative zurückerobert. Zum Beispiel in einer Arbeit über ihre nicht freiwillige Entscheidung zur Flucht aus der Sowjetunion. Im Mai 1989 war es der damaligen 19-jährigen „oppositionellen“ Schülerin und ihrem Partner durch glückliche Umstände gelungen, den Fängen des KGB zu entkommen und über Polen nach Wien zu fliehen, eine Reise, die sie 20 Jahre später rekonstruiert und in einer persönlichen, sehr berührenden Begegnung zwischen der damaligen Fluchthelferin und der Künstlerin in der Videoerzählung ALEKSANDRA WYSOKINSKA / 20 JAHRE DANACH, 2009, festgehalten hat. Dabei bezieht sie auch vermehrt ihre alte Heimat Russland bzw. die Sowjetunion mit ein und kehrt dazu thematisch zu einer ihrer ersten Arbeiten zurück, der postkonzeptuellen Arbeit FIVE YEAR PLAN, 1996, mit der eine explizite Reflexion über Russland noch während ihrer Studienzeit auf der Akademie in Wien ihren Anfang nahm. Es ist ihre erste öffentliche Arbeit, die als 32 work in progress angelegt ist und deren Ende nicht absehbar ist. Mit verdeckter Kamera in der Einkaufstasche fährt sie auf der Rolltreppe der immer gleichen St. Petersburger Metro Station. Alle fünf Jahre wieder die gleiche Situation, die gleiche Kamera, die gleiche Tasche, die gleichen verwackelten Aufnahmen – und dann der Vergleich, eine soziologische Abhandlung in Bildform. Die postkommunistische, kapitalistische Transformation des Stadtraums lässt sich über die Jahre hin in dieser Reihe ablesen, sichtbar an den Menschen, ihrer Energie, der Werbung an den Metrowänden und an der Bewegung der Menschen auf der Rolltreppe. Ein karges Porträt: durch die versteckte Kamera technologisch weit hinter den Möglichkeiten rezenter Technik, entstehen atmosphärisch aufgeladene Bildvergleiche. RESEARCH FOR SLEEPING POSITION, 2006, ist ein Video, das indirekt auch an ihre eigene Migration anknüpft und als Selbstreflexion innerhalb des Spiels von Erinnerung und Realität dient. Jermolaewa hatte im Mai 1989 nach ihrer Ankunft in Wien einige Tage auf einer Bank am Westbahnhof verbracht und wollte 17 Jahre später testen, wie sich das heute anfühlen würde. Die Künstlerin, die von ihrer eigenen Kamera beim Schlafen beobachtet wird, kann keine Ruhe finden. Sie probiert viele Varianten. Verrenkt sich, um doch eine halbwegs passable Stellung auf dem homeless-feindlichen Stadtmobiliar der Öffentlichen-Raum-Gegenwart zu finden, was ihr kaum gelingt. Der marxistische Stadttheoretiker Mike Davis hatte bereits Ende der 1980er Jahre auf die Restriktion des Mobiliars auf den öffentlichen Plätzen in Los Angeles aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, dass die Bänke so gestaltet werden würden, dass sie von niemandem mehr zum Schlafen verwendet werden könnten. 1989 bot der Wiener Kopfbahnhof am Ende Westeuropas noch eine Möglichkeit, halbwegs geschützt die Nacht zu überstehen. Heute sind auch in Ost-Europa Bahnhöfe von Konsumparadiesen umgeben, die durch private SecurityFirmen vor Obdachlosen und Leuten mit wenig Geld geschützt werden und ihre eigentliche Funktion als öffentlicher Verkehrsknotenpunkt mit eventueller Herberge aus den Augen verloren haben. Jermolaewas Video ist auch eine Bestätigung von Davis’ Beobachtung. Im Reisen-Video KREMLIN DOPPELGANGER, 2009, findet Jermolaewa auf einem bezeichnen- 2Vgl. Jacques Derrida, „Signatur, Ereignis, Kontext“, in: ders., Randden Umweg in eine bizarre gedoppelte Bilderwelt des Ausgangspunktes ihrer Flucht zurück und kommentiert und verbindet im Video verschiedene Formen des Tourismus: den Stadttourismus in gänge der Philosophie, Frankfurt am Moskau und den Badeurlaub in Antalya, beide werden zur ununterscheidbaren Kulisse. Oft muss Main, Berlin, Wien 1971, S. 124–155. man ganz genau hinsehen, und nur anhand des Mobiliars oder der Kleidung der Menschen kann man entziffern, ob sich der jeweilige Bildausschnitt auf Moskau oder Antalya bezieht. Sie spielt mit diesen fast identen Kulissen: dem Roten Platz mit der Basilius Kathedrale, dem Historischen Museum und dem Kreml – einmal in Moskau das Original, das andere Mal in Antalya eine Kopie in 20-prozentiger Verkleinerung in einem Freizeitressort. Das Ferienparadies, das ursprünglich für deutsche und türkische Touristen gedacht war, entwickelte sich zum Hotspot der Mittelschicht aus Russland, der Ukraine und Kasachstan. Zur Eröffnung mischten sich die Doubles von Gorbatschow und Lenin in die ausgelassene Menge. In KREMLIN DOPPELGANGER porträtiert Jermolaewa den Gorbatschow Doppelgänger, einen ehemaligen Ingenieur, der als Abteilungsleiter eines Konstruktionsbüros der Wasserkraft Kollegen anleitete und am Abend als Kopie von Gorbatschow seinem zweiten Beruf nachging. Seit 18 Jahren platziert er bei jedem Auftritt das Feuermal mittels Schablone und Marker auf seinen Schädel, um seinem Vorbild nahezukommen. Ein Doppelgängerspiel ist dieses Video, es spielt auch mit Jaques Derridas Bild vom Doppelgänger2 als typische Erscheinung der Moderne, als Figur der Reflexion. Doppelgänger sind eine Provokation: Begegnet ein Individuum der Moderne seinem Doppelgänger, wird seine identitäre Einzigartigkeit fraglich. Das Double muss, um Identität wiederherzustellen, eigentlich vernichtet werden. Die Entmachtung ist aber nur deshalb möglich, weil sich eine Verdoppelung ereignet, weil es ein Doppel, einen Doppelgänger gibt. Deshalb wohl hat in den neueren Identitätstheorien der Doppelgänger seinen Stellenwert transformiert. Er muss nicht mehr entmachtet werden, sondern wird als das Ideal der Theorien des Verstehens des Anderen gesehen, wenn ich den Anderen ganz verstehe, ist der Andere wie ich, mein Double. Fraglich ist, welchem der beiden gegensätzlichen Konstrukte die tatsächliche Konfrontation von Gorbatschow mit dem Gorbatschow-Look-Alike zuzurechnen ist. Tatsächlich gab es eine Begegnung, der ehemalige und letzte Präsident der Sowjetunion trat mit seiner Entourage bei einem Filmfestival auf, sah seinen Doppelgänger, kam auf ihn zu und legte von hinten die Hand auf dessen Schulter und versicherte ihm: „Well done!“ STEP ASIDE, 2-channel video installation, 5.30 min., 2008 Installation view: ICA Sofia, 2011 33 REGENSCHIRMDEMO Video, 7 min., 2006, video stills 34 35 36 37 Hedwig Saxenhuber MOTION AND HISTORY Anna Jermolaewa‘s videos tell of the dynamics of moments, things and memories 1. In the video work BACK TO SILK ROUTES, 2010, Anna Jermolaewa sets off on the trail of the Bukharan Jews, who emigrated from Uzbekistan after the fall of the Soviet Union and who now offer their produce at the Naschmarkt in Vienna. In the final years of the Soviet empire in the middle of the 80s, Moscow one more time tried to exert its influence on the Soviet Republic of Uzbekistan, which helped to promote the nationalism that was already bubbling beneath the surface among the Uzbek population, the majority of which was Muslim. Almost all Jews left the country by 1991 at the latest, after the declaration of independence in the democratically constituted republic. Most went to the USA, but some came, via Israel, to Vienna. The city is now home to the third largest community of Bukharan Jews from the Samarkand region. More than 2000 families have settled in Vienna. ALEKSANDRA WYSOKINSKA 20 JAHRE DANACH Video, HD, 41 min., 2009 Production photograph 38 The artist in BACK TO SILK ROUTES explores in seven short portraits the image traces and projections of the migration and the diasporic recollections of a number of Bukharan Jews living in Vienna. She searches out memories of the old homeland, gets the interviewees to talk about distant places of longing and the desires associated with them, and in return she holds out the prospect of her own pictures of these loved locations and memories, placing them at the centre of an artistic research journey to the places associated with the favourite images of the migrants: for example Samarkand, that magical place on the silk road, which for over two thousand years was a central location of cultural transfer and real commerce, one of the most important hubs on this route, connecting the Mediterranean with East Asia. Already mentioned in the 5th century BC, it became the capital of the Mongolian empire in the 14th century and a magnet for the elites from the arts and sciences. A metropolis with a wealth of architectural treasures. In view of the sights of the city, long since recorded in the – even touristic – pictorial atlas of “world cultural heritage”, it is also no surprise if recollections of the city are associated with great longings for its architectural appearance. And so the old city of the silk road metropolis appears next to the former apartments and houses of those portrayed, explored by Jermolaewa‘s camera from the addresses specified in each of their recollections. And the bazaar, which if the Naschmarkt is anything to go by also seems to be a place of pleasure, of excess and of longing. Their memories are dominated by smells, colours and tastes: fresh mulberries, flat yellow figs, salted apricot kernels and melons. Anna Jermolaewa‘s subtly reserved, yet moving camera, the calm cadrage and precisely set, yet unobtrusive editing sequence of the video make things especially easy for the viewers: as if in a fairy tale, directly after formulating a wish she makes it come true in the following sequence: in the historic old town of Samarkand we dive into a wide range of quarters with a shaky hand camera, surrounded by curious children who sometimes accompany the artist on her not always so straightforward quest to find the address. It is these small details which Jermolaewa‘s film uses to build its political momentum in which the entire social complexity of the present day in this republic, which in ethnic terms also sees itself as a nation, becomes just as visible as the background to the Jewish emigration: full of pride, the small girl responds to Jermolaewa‘s remark that she is an artist: “And I am an Uzbek.” Two sentences later she points across the street: “And over there live gypsies.” As well as exploring this former home, the Registan square – where visitors like to gather in groups and be photographed – keeps on appearing on the identity projection list, along with its veduta, reproduced in multiple photographs. The Registan had been the centre of Samarkand for centuries, and with the ensemble of the three madrasahs, is one of the great wonders of the world. But other choice locations, such as the Puschkin library or the Jewish cemetery, sited next to the Muslim one, seem to have multiplied in the collective migration memory of Vienna‘s Bukharan Jews. Just as subtly as with the political conditions, Jermolaewa in BACK TO SILK ROUTES also points out the effect from the apparatus history of the picture, the imaging processes inscribed in these cultures of remembering and their significance in the existence of various private picture collections. In many of the former Soviet republics that have achieved independence, the engraving of outsize portraits of the deceased on the tombstone has become a common sign of remembrance – the digitalisation of the image created the technical requirements to make this possible. Oversized faces have since become prominent on the darkly polished gravestones. Almost as if such visual evidence was being cross - checked, a visit is paid to the ”60s boarding school for the partially-sighted”, where the joy of memories of former pupils is upheld with characteristic ambiguity: “Although he was a Jew, we also had some Russians, but lessons were held in Uzbek. Little Fishkin sits in his place today.” A glass cutter also made his way to Samarkand because of the artist. The presentation was acknowledged with an invitation to dinner, at which the donor and messenger were both celebrated. Jermolaewa‘s video stands out not only through situations that so succinctly summarise the political environment in a minimal social constellation or the links to the genera and status of visual mementos and their reconstruction, but also through the characteristic style and communication: with a calm, polite but firm manner, and with just a brief introduction, she manages to persuade the people to show a complete stranger their courtyard, garden, sometimes the interior of the house. This change in perspective, from an initial scepticism to a great willingness to help – some of the people can remember those who have gone away as old friends very well, and pass on their best wishes – makes a comment on the distance of projection, emigration and the reality of social constellations: the artist is seen here by some as a comrade, by others as an angel bringing peoples together. With BACK TO SILK ROUTES, Anna Jermolaewa has created an intercultural work promoting an ”imaginary community”, which also endures beyond the four weeks that the festival runs, during which the video could be seen on a stand at the Vienna Naschmarkt. In this, Samarkand has become a universal metaphor of the ”identity-forming power of the imagination”. Reverse shot: the video STEP ASIDE, 2006 – 2008. This was filmed week after week on late Saturday afternoons on the ‚Wienzeile‘, just behind the Naschmarkt, the workplace of many Viennese Bukharan Jews, whenever the large one-day flea-market that takes place there closes its imaginary doors and a load of rubbish and junk is left behind on the temporarily appropriated parking spaces. Within a short period of time, a high-level of dynamism is set in motion, manifested above all in the opposing movements of the people gathered there, and in a dramatically intensifying sound background. The municipal waste collection service (MA 48) has the task of cleaning the square as quickly as possible. The unclaimed goods in the area are shovelled together with two excavators and loaded onto lorries. Flanked by the workers of MA 48, with their authoritative calls of ”Out the way!” – and in spite of them – in just a few minutes quite a few people manage to salvage one thing or another, while the remains of once loved things are unceremoniously slammed together and eliminated in a matter of seconds. Jermolaewa‘s camera focuses on objects loaded with emotions, on what is no longer used, what used to be private and which is still imbued with feelings and intimate taste – what Hannah Arendt once referred to as the ”tangibility of material things”, the existence of which is a material criterion and necessary prerequisite for remembering, a kind of memory outside of the person. History hangs on the material, on physically handed down objects, they bear witness to past living circumstances. Memory constitutes identity.1 Jermolaewa accompanies the passage of these objects into a different world of desire: each week almost war-like conditions prevail, a hopeless tug-of-war between those who want and are able to grab something, and those briefly ”new masters” of affairs, for whom Cf. Susanne Hauser, “Metamorphosen des Abfalls”, Frankfurt am Main, New York 2001, p. 92. 1 39 cleanness is of the greatest urgency, because when this objective has been achieved, they can finish work and go home. Production and technology continually generate new material needs, and so the cycles of the commodity world are stimulated, even filtering down to and maintaining the flea-market, with its sad and abandoned objects, before they are fed to the scrapheap. A huge dynamism is inherent in this short moment of suspension preceding the potential of destruction, a moment which can be found in many works by Anna Jermolaewa. For example in IN / OUT, 2011, a brief look at lived life. A view of a derelict building, a half destroyed receptacle of so many lives, a victim of the economy, obsolete and unprofitable, which has to give way to a new building because there is no “general interest” in saving the building, renovating it or at least agreeing on a usage that would preserve it. Only the supporting wall of the neighbouring house is left, and the remains of furniture still cling to the wall. Although all the cupboards have been emptied, the bookcase has been left untouched in its meticulous order. Various questions are raised: what happened to the inhabitant? If an estate is involved, why are / were the books, cultural objects, not seen as valuable artefacts? Could this have been a catastrophe, well hardly, otherwise there would be chaos, and not this orderly bookcase. This testimony to the end of being housed, a painful sign in a world of excess, everything has been cleared out and only for these neatly and precisely stacked books has no use been found. A culturally pessimistic view of the constant transformation and the decay of intellectual values? In cynical terms, a monument to a time passed only recently, in which technology and cursoriness had not yet prevailed. A real monument to an unreal situation: sensually memorable, suggestive through its form, down to earth in its function and plausible in real life. Can knowledge be extracted from its materiality, from its visibility as a picture? What keys does it offer for the readability of this world? One of Anna Jermolaewa‘s aesthetic principles since the beginning of her work as an artist is to achieve a maximum of artistic precision with few resources, that is, with neither elaborate handicraft nor the use of expensive technology. From her position on the border of the everyday, mundane and fleeting matters, she tries to make the point visible at which things and situations lose their balance, their equilibrium, and are transformed into uncontrollable states. Her real interest is not in the final state, but the visibility of the moment(s) of change. Many such situations can be found in her video works (e.g. in MOTHERHOOD, 1999 or TRYING TO SURVIVE, 2000), and sometimes also bizarre, real moments from everyday events, pictures that happen in front of your very eyes, so to speak – the artist does not perform any manipulations or technical processing of situations – and which develop fictional potentials as they proceed. As in the video work CLOUDS, 2011, in which Jermolaewa‘s camera is directed at the window of a Cubana Airlines YAK-42, observing cloud formations, and then pans to the inside of the cockpit where bored or dozing Cuban passengers are not irritated in the slightest by an ominous emission of smoke – TRYING TO SURVIVE Video, 3 min., 2000 Installation view: “Russia Today: Videoarte dalla nuova russia” Galleria Nina Lumer, Milan, 2010 40 because everyone is familiar with it. But we, with our safety awareness, are whipped into a frenzy at the sight of condensation clouds in the plane, even from a safe distance in front of the screen. In the work UNTITLED (Kino-eye moves time backwards / after Dziga Vertov) created in 2010, the artist alludes to one of the great pioneers of film history, to her countryman, Soviet documentarist of everyday life and the innovator of the editing process, Dziga Vertov. In ”Kinoglaz” (cinema eye) (1924), Vertov generates the greatest possible illusion by making the film run backwards: a disembowelled ox, dissected into various parts, appears at the end of the film, very much alive. A second allusion to her role model: Jermolaewa shows the faena of a bull fight, the bull in the throes of death in the Mexico City arena. At the beginning of the video the dead animal is dragged in a wide circle through the arena by four horses. According to the rules of the corrida, this is a means of honouring an especially aggressive and persevering animal. By running the film backwards, the perfect world is not recreated, death is not repealed, as it were, as with Vertov, but the film moves towards the killing of the animal, one is witness to its perishing. Staged in a highly aesthetic framework, the brilliant colour combinations of the costumes of the matadors, banderilleros and puntilleros, as well as the red cloths, the fight of the bull to the death with the figures and movements between man and beast, practised over hundreds of years, takes central stage. In the video THE WAY UP, 2008, the artist also draws attention, as so often in her works, to the dominance between man and animal by recording a fleeting view of a window display in Mexico City, showing rats in an overcrowded terrarium. 2. BACK TO SILK ROUTES is a film about the journeys of images – there however from the perspective of emigration, of the journey away and back again to the ”imagined community” of a homeland that is constructed, as always. Anna Jermolaewa is also involved with travelling, including the real travel of bodies, in many other works: with the opening of perspectives and the visual reference systems and inventories of symbols. If you pursue a chronology and topology of travelling in modern times, you realise that this has been closely associated with imaging processes. And in this context photography and now video as well has an enormous significance in the process of the ”democratisation” of various types of experiencing otherness – namely not only for the tourist masses of the travelling middle classes, but also for the reconstruction of experiences of the many people who have been forced to travel in the streams of migration – as well as the new possibilities of mobility. This experience of travelling is a central topos in Anna Jermolaewa‘s artistic work and in her biography. In almost every work, travelling is an essential condition of it being created. Whereas in early videos she was focused more on close-ups and the movements of things (TRYING TO SURVIVE, 2000; HENDLTRYPTICH,1998) that could not be clearly assigned from a geographical perspective, and some videos took on an iconic approach to mass travel (REGENSCHIRMDEMO, 2004-06), in recent years in her videos she gets closer to places 41 RESEARCH FOR SLEEPING POSITION Video, 18 min., 2006, video stills 42 Installation view: Gyumri 6th International Biennal of Contemporary Art 2008, Armenia 43 of her personal past, which she bit by bit reclaims through lengthier video narratives. For example in a work about her not voluntary decision to flee the Soviet Union. In May 1989, the then 19-year-old ”oppositional” schoolgirl and her partner managed under fortunate circumstances to escape the clutches of the KGB and flee to Vienna, via Poland, a journey that 20 years later she reconstructed and captured in a personal and very moving encounter between the artist and the woman back then who helped her escape in the video narrative ALEKSANDRA WYSOKINSKA / 20 JAHRE DANACH, 2009. In this she refers several times to her old homeland of Russia or the Soviet Union, and in terms of subject matter returns to one of her first works, the post-conceptual work FIVE YEAR PLAN, 1996, with which she begins an explicit reflection on Russia while still a student at the Academy in Vienna. This is her first public work which is conceived as a ‚work in progress‘, the end of which is not foreseeable. With a hidden camera in her shopping bag she rides the escalator of the St. Petersburg metro station, which always looks the same. Every five years the same situation, the same camera, the same bag, the same wobbly shots – and then the comparison, a sociological treatise in visual form. The post-communist, capitalist transformation of the urban space becomes apparent over the years in this series, visible in the people, in their energy, in the advertisements on the metro walls and in the movement of people on the escalator. A sparse portrait: through the hidden camera, technologically lagging far behind the capabilities of modern equipment, atmospherically loaded visual comparisons are created. RESEARCH FOR SLEEPING POSITION, 2006, is a video that indirectly also ties in with her own migration and which serves as a self reflection within the game of recollection and reality. In May 1989, after her arrival in Vienna, Jermolaewa had spent several days on a bench at the Westbahnhof, and 17 years later she wanted to find out what this would feel like today. The artist, viewed by her own camera as she tries to sleep, is restless. She tries out many variations. Contorts herself to try and find a halfway suitable position on the anti-homeless street furniture, which is hardly possible. The Marxist urban theoretician Mike Davis had at the end of the 1980s already drawn attention to the restriction of furniture in public squares in LA and pointed out that the benches were designed specifically so that nobody could use them to sleep on. In 1989, the Vienna railhead station at the end of western Europe still provided an opportunity to get through the night with some degree of protection. Today, even in eastern Europe, stations are surrounded by commercial zones protected by private security from the homeless and people with little money, and have lost sight of their actual function as public transport hubs, perhaps even with hostels. Jermolaewa‘s video is also a confirmation of Davis‘s observation. 44 THE WAY UP Video, HD, 1 min., loop, 2008, video still In the travel video KREMLIN DOPPELGANGER, 2009, Jermolaewa, in a characteristic detour, returns to a bizarre, duplicated visual world, to the starting point of her escape, and the video comments on and connects various forms of tourism: city tourism in Moscow and a seaside holiday in Antalya: the two backdrops become indistinguishable. You often have to look very closely indeed, and you can only tell if the picture extract is from Moscow or Antalya from the furniture or the clothes people are wearing. She plays with these almost identical backgrounds: in Red Square with St. Basil‘s cathedral, the Historical Museum and the Kremlin. Here the original in Moscow, there in Antalya a version of the ensemble in a leisure resort, downsized by 20%. The holiday paradise, which was originally intended for German and Turkish tourists, turned into a hotspot for the middle classes from Russia, the Ukraine and Kazakhstan. For the opening, the doubles of Gorbachev and Lenin mingled with the crowds of revellers. Jermolaewa uses the KREMLIN DOPPELGANGER to portray the Gorbachev lookalike, a former engineer in charge of colleagues as the department head of a hydroelectric power engineering office, who in the evening practises his second profession as a copy of Gorbachev. For 18 years he has been using a template and marker pen to apply the port-wine stain to his crown for every appearance, so that he may more closely resemble his model. This video is a game of lookalikes: it also plays with Jaques Derrida‘s image of the double2 as a typical aspect of modern times, as a figure of reflection. Doubles are a provocation: if a modern individual meets his double, the uniqueness of his identity is compromised. In order to re-establish his identity, the double really has to be destroyed. But this disempowerment is only possible because a duplication takes place, because there is a double, a lookalike. This is presumable why, in more recent identity theories, the double has transformed his value. He no longer needs to be deprived of power, but is seen as the ideal of the theories of understanding the other: if I fully understand the other person, the other person is like me, my double. It is questionable which of the two opposing constructs can be expected in the actual encounter between Gorbachev and the Gorbachev lookalike. An encounter really did take place. The former and final president of the Soviet Union appeared with an entourage at a film festival, saw his double and, approaching from behind, placed his hand on his shoulder and said “Well done!”. Cf. Jacques Derrida, “Signatur, Ereignis, Kontext”, in: ibid, Randgänge der Philosophie, Frankfurt am Main, Berlin, Vienna 1971, pp. 124-155. 2 45 BACK TO SILK ROUTES Site-specific project for the Wiener Festwochen in the context of the exhibition IM PARADIESGARTEN Naschmarkt, Vienna, 2010 Installation view 46 47 BACK TO SILK ROUTES Video, HD, 70 min., 2010 Video stills 48 49 BACK TO SILK ROUTES Video, HD, 70 min., 2010 Video stills 50 51 Fragments from KREMLIN DOPPELGANGER, video, HD, 21 min., 2009 G. Once, a Margaret Thatcher impersonator and I were invited to a party in Rublevka thrown by an oligarch to celebrate his wife’s 30th birthday. So there we were, Margaret Thatcher and I. We were seated at a table together with others, quite central it was, we were given seats of honour. And then from one moment to the next all hell breaks loose - cries, fighting, and, finally, shots. If it had not been for Margaret Thatcher, who grabbed my head and pulled it under the table, I would not be here now... A bullet barely missed us. And I said to her: dear Margaret, in the future, not all the money in the world will tempt me into attending another party like this; it’s much better to keep with the common Soviet people: you make less money, but it’s much more secure. G: For two months I worked in Antalya after the hotel had opened. A beautiful hotel! During the day I worked at the Historical Museum where visitors were given the opportunity to have their pictures taken together with me. And in the evenings, the general manager would say to me: Comrade Gorbachev, why don’t you mingle with the crowd? Go to the pool, visit the cafés where there’s dancing. Please, go and mix with the people! So I go outside: there I see our Russian brigands, ten-pounds crucifixes made of gold around their necks, golden bracelets…Russian bandits who, having piled up fortunes, are now throwing them around. AJ: Naturally, they must be grateful to Gorbachev, right? What with the free market and all? G: You bet!!! They even kissed my dome: “Michail, thanks to you we now have passports and can travel wherever we want!!” True, there had been money before, but it was impossible to leave the cellars. AJ: Tell me, please: have you ever met the real Gorbachev? 52 G: Yes. There was this concert at the palace of meetings (Dvorec Sjezdov). Stars from the Russian theatre presented their acts. I was invited together with a Stalin impersonator. He symbolized the Soviet era, while Gorbachev, the first and last president of the USSR, was supposed to stand for the new and free Russia. So the concert is over and I and the director stand together talking when all of a sudden Gorbachev passes by, pats me on my right shoulder, like this, and says: Well done. A bunch of security guys was trailing behind him. So I said to the director: That’s the nicest compliment I have ever received. G: That reminds me of a funny story. AJ: Go ahead, please! G: Once I had this job in Arbat, together with Lenin and Nikolai II. Lenin sits like this, Nikolai II sits over there, and I, since I’m rather small and don’t make much of an impression when I sit, I stand like this. And in front of us, there’s room for our clients to sit down and have their group photos taken. Now, a mother and her little daughter must have passed by and seen me with this stain, because the next day they happen to see me in the subway, standing in the car hanging from a strap, no stain, a perfectly normal Soviet citizen. So this girl is sitting opposite from me and she says - in a voice so loud that the whole car can hear what she is saying: “Look, mama, yesterday he had a stain and now he hasn’t!” I didn’t lose my cool and replied: “Listen girl, Raisa Maximovna added a few drops of stain remover when she made me my morning coffee.” KREMLIN DOPPELGANGER Video, HD, 21 min., 2009 Video stills 53 KREMLIN DOPPELGANGER Series of 14 photographs 50 x 35 cm each, 2009 54 Following pages: From the series REISEFOTOS variable size, work in progress Antalia, Turkey, 2008 Mexico City, Mexico, 2006 Samarkand, Uzbekistan, 2010 Moscow, Russia, 2011 Mexico City, Mexico, 2008 Yerevan, Armenia, 2010 55 60 61 62 63 64 65 66 67 GRUSS-ARBEIT, Soundperformance, 2003 On Air: 5 October, 11:05pm - 12am, Ö1 Kunstradio (FM, SM, MW) Im Oktober 2003 wurde ich eingeladen, für das Ö1 Kunstradio einen Beitrag zu produzieren. Es ging um eine Sendung im Rahmen des „Kulturmonats St. Petersburg“. Neben der Live-Sendung auf Ö1 gab es per Internet-Stream einen unmittelbaren Austausch zwischen dem Funkhaus Wien, Studio RP4, wo wir uns befanden, und einem Internetcafe am Nevsky Prospekt in St. Petersburg, wo sich das russische Publikum versammelte. Aus der Überlegung heraus, was jemand macht, wenn sich erstmals die Gelegenheit ergibt, im Radio zu sein und aufgrund der Tatsache, dass St. Petersburg meine ehemalige Heimatstadt ist, entstand die „Gruß-Arbeit“: Ich schickte Grüße aus Wien an alle, die ich in St. Petersburg kenne – als erstes an meine Großmutter. / In October 2003 I was invited to produce a piece for Kunstradio. It involved a progamme in the context of the “St. Petersburg Month of Culture“. As well as the live broadcast on Ö1 there was a direct exchange via Internet stream between the Funkhaus Wien, Studio RP4, where we were situated and an Internet cafe on the Nevsky Prospekt in St. Petersburg, where the Russian audience was gathered. Reflecting on what someone might do if they had the opportunity for the first time to be on the radio, and the fact that St. Petersburg is my former home city, the “Gruß-Arbeit“ evolved: I sent greetings from Vienna to all the people I know in St. Petersburg – the first being my grandmother. GRUSS-ARBEIT Soundperformance, 2003 Production photograph 68 Guten Abend, liebe Hörerinnen und Hörer, liebes Publikum im St. Petersburger Studio, ich möchte diese Gelegenheit, live im Radio zu sein, nützen und folgende in St. Petersburg lebende Personen grüßen: Good evening, dear listeners, dear spectators in the St.Petersburg studio, I would like to take this opportunity of being live on radio to greet the following people who live in St.Petersburg: Jermolaewa Lidia Danilovna Kulikov Nikolaj Petrovich Kasjanova Natasha Pasina Irina Nikolaewna Kira Mamedova Masha Lukka Philipp Sasha Bogdanov Oberleutnant KGB Utkin / KGB first lieutenant Utkin Bukina Galina Valentinovna Bystrov Alexej Pinchuk Gennadij Zacharovich Natasha Lobova Dima Vilenskij Kondrjachkaja Larisa Barinov Viktor Andrej Chlobystin Vera Leva Olja Egorova Barinova Anja Minaev Grigorij Ira Vasiljeva Klassenleiterin L.M.Savchenko / schoolteacher L.M.Savchenko KGB Untersuchungsbeamter Hauptmann Fedorov / KGB investigation officer Fedorov Valja Finkelstein Vladimir Davydovich Sasha Konopelko Sasha Skidan Kodrjachkij Vova Schuldirektor Nekrasov / headmaster Nekrasov Dmitrij Pilikin Oberst KGB Voloshanjuk / KGB colonel Voloshanjuk Natasha Pershina-Jakimanskaja Zelenov Denis Kovalenko Olga Jaremenko Wladimir Ludmila Nikolaewna Kulikova Tanja Sashka Igor Baskin Feldmann Larisa Michajlovna Kasjanova Katja Valerij Terechov Julij Rybakov Mitja Golynko-Volfson Ochered Andrej Kasjanov Dmitrij Valerjevich Kasjanova Ludmila Pavlovna Onkel Valera / uncle Valera Alexandr Skobov Olesja Turkina Vanda Dobasevich 69 70 TRIUMPH, cups, mirror, 150 x 150 x 80 cm, 2008 Installation view: Gallery Johann Widauer, Innsbruck, 2008 71 SHOOTING 2-channel video installation, 1 min., 2001 Production photograph Installation view: “The Art of Failure” Kunsthaus Baselland, Basel, 2007 72 Clouds, Video, HD, 2.10 min, Loop, 2011 73 GOLD RUSH Series of 15 photographs, variable size 2008–2010 74 75 TRYING TO SURVIVE Video, 3 min., 2000 Installation view “Orient Inn” Palazzo Pesaro Parafava Venice, 2004 76 77 MOTHERHOOD II Video, 1 min, 2001 Video stills 78 MOTHERHOOD Video, 33 sec., loop, 1999 Installation view: “Video & talk & tea” Pfarrkirche St. Andrä Graz, 2001 79 80 MONKEYTHEATER Video, 3 min., 2002 Installation view “Cadavre Exquis” steirischer herbst, Graz, 2003 81 ASS PEEPING Video, 4.30 min., 2003 Video stills 82 Installation view: “See History. Kreative Vision”, 13 international artists show the collection of Kunsthalle Kiel, 2008 83 LOTTERY 500:1 Performance, 2004 ARTKLiazma, Moscow Die für die Teilnahme an dem Projekt „3-rd International Open Air Festival „ARTKLiazma“ in Moskau vorgesehene Finanzierung (500 Dollar) wurde unter den TeilnehmerInnen und BesucherInnen des Festivals in einer Lotterie verlost. The funding that was provided for participating in the 3rd International Open Air Festival “ARTKLiazma” project in Moscow (500 dollars) was turned into the prize money for a lottery among the participants and visitors to the festival. Page 86 and 87: VOLGA, LADA, MOSKOWIC, ETC., series of 9 C-prints 39 x 70 cm each, 2008 84 85 86 87 ESSEN! ESSEN! JAMJAM! Sound installation: loudspeakers, motion detector, 1min., loop. Installation view of the exhibition ”Mit uns ist kein (National)Staat zu machen“, Kunstraum Niederösterreich, Vienna, 2010 Der Ausstellungsbesucher wird von einer harschen Stimme mit „Essen! Essen! Jamjam!“ begrüßt. Die Toninstallation verweist auf die Praxis der Essenausgabe im österreichischen Flüchtlingslager Traiskirchen, wie sie die Künstlerin, nach ihrer Flucht aus der Sowjetunion 1989, dort erlebte. The exhibition visitor is welcomed by a harsh voice shouting “Essen! Essen! Jamjam!” [Food! Food! Yumyum]. The sound installation is a reference to the practise of serving meals in the Austrian refugee camp at Traiskirchen, as experienced by the artist after her escape from the Soviet Union in 1989. 88 89 CLOACA Digital print on aluminium, 350 x 72 cm, 2010 Installation view: “Triennale Linz 1.0 – Gegenwartskunst in Österreich / Contemporary Art in Austria”, Linz, 2010 Previous page: detail Following pages: KISS Video, 3 min., 2006 Installation view: “Expositur”, Kunsthalle Rathausgalerie, Munich, 2010 90 91 SINGLE PARTY Performance / Video, 15 min., 2003 Nach einer mehrmonatigen Recherche in der Wiener Single-Szene veranstaltete die Künstlerin im Herbst 2003 in ihrem Atelier eine Party für Singles. Das Ergebnis waren ein paar glückliche Beziehungen – die längste davon dauerte fast 6 Jahre – und ein Dokumentationsvideo. After several months of research in the Vienna singles scene, the artist organised a party for singles in her studio in autumn 2003. The result was a few happy relationships – the longest lasted almost 6 years - and a documentation video. 94 95 Christian Egger THE LADY WITH THE VIDEO CAMERA Der Titel verkürzt bereits die breite Vielfalt der Aktionspalette der Künstlerin Anna Jermolaewa, aber ein Titel darf das vielleicht gerade noch. Ich frage mich, welches Wissen über ihre Arbeit als bekannt vorausgesetzt werden könnte und welches sich bei mir schon als solides Unumstößliches sedimentiert hat. Das allerdings ist ein Umstand, der als gedankliche Bequemlichkeit einem solchen Text wiederum gefährlich werden könnte: dieses automatisierte Mögen und rasche Wiedererkennen einer Ästhetik und Machart der Videos von Anna Jermolaewa, das sich etwa durch langjährige Kenntnis der Arbeiten einstellt und einen zu conaisseurhafter Ausschweifung und Aufzählung anekdotisch subjektiver Reizschemata neigen lässt. Andererseits Trennungen oder Reduktionen in einer Diskussion über ein Werk vorzunehmen, welches prinzipiell nach sehr präzisen und medien-reflexiven Antworten auf komplexe Fragen über heutige Kunst-und-Lebensverhältnisse, Warenweltwahrnehmungen, Brüche und Risse wirtschaftlicher und sozialer Systeme strebt, ist ebenso kontraproduktiv. Auch oder gerade weil Jermolaewas künstlerischer Einsatz über das Medium Video hinausgeht bzw. ganz konkret zum Teil Requisiten der Videos als skulpturale oder fotografische Arbeiten in Ausstellungen und die damit einhergehenden Bedeutungstransfers mit einschließt. Von welchem Blickwinkel aus Anna Jermolaewa ihre Videos filmt oder ob sie die Kamera als rein technischen Aufzeichnungsapparat einzusetzen pflegt, bleibt interessanterweise schwer kategorisierbar. Ebenso zeigt sich die Frage nach einem spezifisch post-sowjetischen, neo-westlichen oder vereinfacht fiktiven „rest of both worlds“ vereinenden, globalisierten Hintergrund vage beantwortbar. Vielleicht handelt es sich einfach um subtile Akte einer universalen Videokunst, die mitunter auf simplen Versuchsanordnungen basieren kann, dabei aber immer wesentlich mehr verrät, als tatsächlich zu sehen ist. Aufgrund leider fehlender längerer Russlandaufenthalte war mir die Geschichte dieses Landes stets eher eine Riesenprojektionsfläche, in die sich zwar grob wie in Puzzleform viel von ungefährem Sinn und Verständnis zusammentragen ließ, aber aus Mangel an Lebenserfahrung blieben mir detaillierte Einblicke in die wirklichen Zusammenhänge verwehrt oder sind nur oberflächlich vorhanden, was einen törichterweise nicht abhält, Bilder der Melancholie mit östlich zu klassifizieren, sofern man nicht aufpasst. Zeitgenössische russische Positionen der Kunst wirkten auf mich anfangs grell, laut und schienen realsozialistische staatspolitische Traumata bitter karikierend und post-kommunistische Wirklichkeitsreste und die darin lauernden Paradoxa relativ roh aufeinanderprallen zu lassen und ins gleißende Kunstmarktlicht zu setzen. 96 UNTITLED Masks, acrylic glass, 50 x 60 cm, 2006 Gleichzeitig aber schienen sie sich hinter neuen Messe- und Biennalekulissen mit akutem Theoriehunger um vieles eiliger mit etwa Negri/Hardt zu füttern, als beispielsweise in Frankreich mit einer Dick Hebdige „the meaning of style“-Übersetzung zu rechnen war. Anna Jermolaewas Position nahm ich davon aus, (ohne kulturelle Entwicklungen und Vorgeschichten parat zu haben) denn eine vergleichsweise souveräne Ruhe umgab die konzentrierten Videoarbeiten der Künstlerin, die einfacher zu registrieren, als zu verorten war. „Im letzten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts indes wurde die Opposition in Osteuropa oft und mit gutem Grund als eine Revolution nicht in der Politik, sondern gegen sie dargestellt. Diesen Wandel nutzten die gewitzteren Neoliberalen, um sich in Szene zu setzen: Sie kostümierten sich als Dissidenten, während sie diese in der Versenkung verschwinden ließen. Wenn Politik durch ,Antipolitik‘ abgelöste wurde, dann leben wir in einer postpolitischen Welt. Was aber bleibt in einer solchen Welt, einer Welt ohne moralischen Bedeutung und ohne Geschichte, noch übrig?“1 1 Dass sich ihre Sozialisation und der Lebensalltag als Dissidentin und werdende Künstlerin in Russland bei Weitem stiller und trojanischer gestaltet haben muss, als dies nach westlichen Subversionsvorstellungen je in Einklang zu bringen wäre und dass es Boris Groys folgend, oft auch vielmehr erklärtes Ziel war, „eine Möglichkeit einer Außenposition zu schaffen, von der aus man den Kommunismus genießen konnte“2, aber weiters wie von Slavoj Žižek diagnostiziert, „von der Ewigkeit der Ideologie wie dem Unbewussten auszugehen ist, sich Ideologien überall einschreiben, ob in große Institution wie Parteien, kleinen Zellen wie der Familie, aber auch eben in die Kunst, Kino oder Modebewegungen ökologischen Denkens, wie auch heute der Kapitalismus nicht länger in einer besonderen Kultur wurzelt“3 – zwei scheinbar ähnliche Aussagen innerhalb vieler theoretischer Anhaltspunkte, zwischen denen Erklärungen der Biografie und künstlerischen Praxis von Anna Jermolaewa passieren können. 2 Tony Judt with Timothy Snyder, „Thinking the twentieth century“, Penguin, August 2011. Boris Groys, in: Claire Bishop und Boris Groys, „Bring the noise”, Tate, etc., Sommer 2009, S. 38. Cord Riechelmann: „Ein Porträt des Philosophen Slavoj Žižek”, in: Jungle World, Nr. 38/11, 22. September 2011. 3 In ihrer Arbeit KISS von 2006 genügt Jermolaewa ein minimalistisches, schlichtes Setting: Zwei mit vermutlich ausschließlich Mickey-Mouse-Masken bekleidete Protagonisten, deren Alter und Geschlecht dadurch unkenntlich sind, sind mit werbendem Geplänkel beschäftigt – trotz oder gerade aufgrund der identen Maskierung, die den Austausch jeglicher Zärtlichkeiten unmöglich macht. Gegen Ende des Videos mündet das Geplänkel in aggressive Intimitäten und in einem gegenseitigen Masken-vom-Kopf-Beißen. Bis es einem der Protagonisten schlussendlich gelingt, die Maske dem oder der anderen abzuringen. Die Stimmen sind hierbei beschleunigt gepitcht, 97 SINGLE PARTY Performance / Video, 15 min., 2003 Production photograph ähneln undechiffrierbar Mickey Mouse’ eigener Cartoonsprache, die wie ihr sattsam bekanntes Antlitz für rationale Schläue, asexuelle und saubere, kontinuierlich kinderfreundliche Unterhaltung steht, denn für exaltierte Paarerotik. Slavoj Žižek, „Die Puppe und der Zwerg – Das Christentum zwischen Perversion und Subversion“, Suhrkamp 2003. 4 Mehrere Bilder zeichentheoretischer Komplexität und soziokultureller Festschreibungen scheinen hier wie in einem simultanen Zusammenfall gefroren. Die globale kulturelle Disneyikone, die als anonymisierende Maskierung eines Liebespaares fungiert, führt letztendlich zur beinahen Auflösung dieser, durch partielles Herunterreißen der Masken durch gezielte Bisse. Sexuelle Inkompatibilität kultureller Ebenbilder, verborgene Emotionen, Kindheitsereignisse, Kommunikations-therapeutische Ansätze, Konkurrenz, „Ökonomisierung des Sozialen“ etc. könnten hier motivische Stichworte hinter der performativen Aufhebung der oszillierenden Bedeutungspaare privat/öffentlich, innen/außen, Nähe/Distanz sein. Die bereits erwähnte Frage nach politischen Resten in einer postpolitischen Welt wird mit einer deutlichen und höchst prekären Einschätzung des Privaten als letztem und einzigem gesellschaftlichen Refugium beantwortet. Abermals Žižek: „Wenn wir versuchen, die authentische intime Privatsphäre gegen die Attacken des instrumentellen, objektivierten ,entfremdeten‘ öffentlichen Tausches zu schützen, ist es die Privatheit selbst, die sich in eine völlig verdinglichte, zur Ware gewordenen Sphäre verwandelt. Der Rückzug in die Privatsphäre bedeutet heute, jene Formeln privater Authentizität anzunehmen, die von der gegenwärtigen Kulturindustrie propagiert werden, von Kursen, die zur geistigen Erleuchtung führen, bis zur Befolgung aktueller kultureller und anderer Moden wie etwa das regelmäßige Joggen und Bodybuilding.“4 Eventuell liefert auch Kenneth Angers „Mouse Heaven“, 2004, ein passend ergänzendes Gegenstück zu KISS, in dem ihm durch eine rein formale Aneinanderreihung unterschiedlichster Mickey-Mouse-Bilder aus einem schier endlosen Reservoir – im Gegensatz zu Jermolaewas aktiv subjektivierender Aneignung der „Mickey Mouse-Figur“ – das filmische Porträt eines spezifischen und abhanden gegangenen Mickey-Mouse-Bildes gelingt. Judith Butler, „Can the other of Philosophy speak?”, in: Joan W. Scott und Debra Keates (Hrsg.), School of Thought: Twenty-Five Years of Interpretive Social Science, Princeton 2001, S. 58. 5 98 Ist es in KISS eine einfache Plastikmaske aus dem Verkleidungsfachhandel, die soziale Beziehungen in den analytischen Zerrspiegel hebt, ist es im Falle der Dokumentation SINGLEPARTY eine Orange bzw. der darin praktizierte Orangentanz, der das Klaffen von Realität und Streben von Menschen vorführt, deren konstruiertes Selbst nur wenig mit ihrem nicht bewussten Selbst gemein hat, zudem in einer Situation, in der man Anerkennung sucht, die nach Judith Butler „mit der Einsicht beginnt, dass man im Anderen verloren ist, angeeignet in einer und durch eine Alterität, die man ist und nicht ist“.5 Laut Definition müssen mehrere Paare ohne Zuhilfenahme ihrer Hände mit einer Orange zwischen den Stirnen tanzen. Wer die Orange verliert oder seine Hände benutzt, scheidet aus. Sieger ist das Pärchen, das am längsten durchhält. Im damaligen Atelier der Künstlerin widmeten sich im Sommer 2003 etwa 20 geladene Singles ausgiebig dem gelockerten Reglement. Ein beauftragter DJ legte mit ausschließlich 7″ Vinyl-Platten, auch treffend Singles genannt, heitere Evergreens auf. Zwischen frischen Idealisierungen und tanzendem Kennenlernen zeigte sich trotz Internetpartnerbörsen-Boom und Speed-Dating-Hype, wie verlässlich analog und körperlich der Sympathienaustausch auch über diesen doch äußerst banalen Kindertanz funktionieren kann. Die an diesem Abend ihren Anfang nehmenden Paar-Beziehungen, die zum Teil über viele Jahre andauerten, sind die eigentliche künstlerische immaterielle Arbeit in freiem Progress, und das Video hier nur Dokumentation der Versuchsanordnung jener Liebespotenzialitäten. Dies ist sicherlich ein generell großer und wahrer Verdienst der Arbeiten Anna Jermolaewas, derart feine Voraussetzungen in unvermutbaren oder nicht mehr vermutbaren Situationen zu suchen, zu schaffen und gerade dann die Kunst das Leben imitieren zu lassen. Im Wissen, dass die Unterschiede in der Art, wie wir funktionieren und die Welt wahrnehmen, auch in unseren Geschichten wirken und den Ursprung für verblüffende Arbeiten und Leben in einem Jetzt bereithalten; dass jeder von uns in unserem sozialen Ökosystem unterschiedlich sieht, spricht und sich bewegt, dabei aber immer Teil eines großen Ganzen bleibt. Nicht das Offensichtliche ist hierbei ausschlaggebend, sondern die wahre Natur eines Subjekts, die sich meist hinter Membranen versteckt und sich wiederum nur durch nahe und persönliche Betrachtung aufdecken lässt. Unsere individuelle Betrachtung hält unsere Umgebung lebendig, wie auch wir durch das Sehen lebendig bleiben, und jeder von uns kann dabei Dinge neu sehen. Es ist auch nicht ganz zufällig einer der zentralen Gedanken Žižeks, „dass der Gemeinplatz umgekehrt werden muss, demzufolge wir alle in einer besonderen und zufälligen Lebenswelt verwurzelt seien, so dass auch jede Universalität von dieser Lebenswelt bestimmt werde“6. Das authentische Moment einer wahrhaft universalen Dimension tritt aus dem Inneren eines partikularen Kontextes heraus. Das Schlüsselmoment jedes theoretischen Kampfes sei das „Auftauchen des Universalen aus der partikularen Lebenswelt“6, auch wenn das manchmal nur bedeutet, dass das im Video SINGLE PARTY im eifrigen Orangentanz sichtbar narzisstisch mobilisierte Nichtsingle-Ich bei erneuter Betrachtung 2011 für die Recherche dieses Textes mitunter nostalgisch-peinliche Rührungen plagen. Die Formen, welche die präzisen Resultate auch aus komplexen Operationen unter Zeitdruck an Spontanitätsgrenzen annehmen können, bleiben überraschend und mannigfaltig: ob etwa ein Konzert mit der Eintagsband ALLRISK,8 oder eine kurzfristige Hotelzimmerausstellung „Egger Jermolaewa Krottendorfer“8. Immer provoziert die Künstlerin mit situativem Gespür Arbeiten oder Momente, die über soziale Mikrokosmen hinaus beeindrucken und stete Möglichkeiten der Wieder-Aneignung des Selbst durch das Selbst aufzeigen. Cord Riechelmann, „Ein Porträt des Philosophen Slavoj Žižek”, in: Jungle World, Nr. 38/11, 22. September 2011. 6 Die aus Christian Egger (Vocals), Manuel Gorkiewicz (Bass, Vocals), Anna Jermolaewa (Vocals, Percussions), Gregor Mahnert (Drums, Vocals) und Bernadette Moser (Guitar, Vocals) bestehende Künstlerband, die am Eröfnungsabend 26.06. 2002 der Ausstellung „doubleheart – HEAR THE ART!“ in der Kunsthalle Exnergasse ihr einziges Konzert spielte. 7 Im Zimmer 214 des Park Inn in Linz im Rahmen der Eröffnung TRIENNALE 1.0/2010. 8 Following pages UNTITLED (conveyor belt) Video, HD, 3.48 min., 2010 Video stills 99 100 101 Christian Egger THE LADY WITH THE VIDEO CAMERA This title already reduces the far-reaching diversity of the range of action of artist Anna Jermolaewa, but a title may perhaps be allowed to do this. I ask myself what knowledge about her work can be assumed to be already known, and what has already become sedimented within me as irrefutable fact. This, however, is a situation which as a notional convenience could in turn become dangerous for such a text. This automated liking and rapid recognition of the aesthetics and workmanship of Anna Jermolaewa‘s videos – which occurs when you have been familiar with the works for a long time, thus tending to a connoisseur-like excess and listing of anecdotally subjective alluring schemes. On the other hand, making divisions or reductions in a discussion about her work, which is principally striving for very precise and media-reflexive answers to complex questions concerning today‘s art and living relationships, perceptions of commodities, fractures and breakdowns in economic and social systems, is just as counter-productive, also since Jermolaewa‘s artistic approach goes beyond the medium of video, and in a very concrete manner, in part includes requisites from the videos as sculptural or photographic works in exhibitions and the transfer of meaning associated with this. From which visual angle Anna Jermolaewa films her videos, or whether she normally uses the camera as a purely technical recording apparatus, interestingly remains very difficult to categorise. In the same way the question of a specifically post-Soviet, neo-western or simplified fictitious “rest of both worlds”, a globalised backdrop uniting all this can only be answered vaguely. Perhaps it is simply about the subtle document of a universal video art which can sometimes be based on simple experimental set-ups, but which always reveals considerably more than what in fact can ostensibly be seen. Because I wasn‘t able to stay longer on trips to Russia, the history of this country always seemed to me rather like a huge projection surface onto which much information could only roughly be collated, like a jigsaw, about the approximate sense and understanding, but through my lack of living experience there, detailed insights into real connections were denied me or existed only superficially, which foolishly does not prevent one from classifying pictures of melancholia as eastern, if you are not careful. Contemporary Russian works of art initially gave me the impression of being harsh, loud, and appeared, in bitter caricature, to place real-socialist state political traumas and post-communist remains of reality, and the paradoxes lurking therein, relatively roughly interactively into the glistening light of the art market. KISS Video, 3 min, 2006 Video stills 102 At the same time, however, they seemed, behind new trade fair and Biennale backdrops, to feed far more hurriedly on an acute theoretical hunger with the likes of Negri/Hard, than would be expected for example in France with a Dick Hebdige “the meaning of style” translation. I excluded Anna Jermolaewa‘s approach from this (not having cultural developments and antecedents to hand), because a comparatively imperious calm surrounded the concentrated video works of the artist, who in turn, however, was easier to register than to locate. “In the final decade of the twentieth century, however, the opposition in Eastern Europe was often portrayed, and with good reason, as a revolution not in politics but against it. This transformation was used by the cleverer neoliberals to make themselves noticed: they dressed up as dissidents, while consigning these very people to oblivion. If politics was replaced by “anti-politics”, then we are living in a post-political world. But what is left over in such a world, a place without moral significance and without history?”1 1 The fact that her socialisation and her everyday life as a dissident and up-and-coming artist in Russia had to be organised much more quietly and secretly than could even be imagined from western ideas of subversion and that according to Boris Groys, it was often rather the declared aim to “create a possibility of an outer position from which one could enjoy communism”2, and furthermore, as diagnosed by Slavoj Žižek; “… assuming the eternity of ideology and the unconscious, to enrol in ideologies everywhere, whether in large institutions such as parties, or small cells like the family, but also in art, cinema or ecologically-based fashion movements, just as today capitalism is no longer rooted in a particular culture”3, – two apparently similar statements out of many theoretical criteria, between which explanations of the biography and artistic practice of Anna Jermolaewa can be made. 2 Tony Judt with Timothy Snyder, “Thinking the twentieth century”, Penguin, August 2011. Groys, Boris, in Claire Bishop and Boris Groys‘ “Bring the noise”, Tate, etc Summer 2009, page 38. Cord Riechelmann: “Ein Porträt des Philosophen Slavoj Žižek”, in: Jungle World, Nr. 38/11, 22. September 2011. 3 In her work KISS from 2006, Jermolaewa needs only a minimal, simple setting: two protagonists dressed presumably in nothing but Mickey Mouse masks, whose age and gender thus remain unrecognisable, are engaged in wooing skirmishes with one another, despite or because of the identical masks, while these masks on the other hand inhibit the exchange of tenderness, before aggressive intimacies are unleashed towards the end of the video, along with mutual attempts to bite the mask off the other‘s head. Until one of the protagonists finally succeeds in wresting off the mask of the other person. The voices here have a higher and accelerated pitch and thus have an undecipherable similarity 103 UNTITLED Digital print, 52 x 50 cm, 2007 to Mickey Mouse´s own cartoon language, which like his widely known face stand for rational cunning, asexual and clean, constantly child-friendly entertainment, rather than the exuberant eroticism of lovers. Slavoj Žižek, “The Puppet and the Dwarf: The Perverse Core of Christianity”. Cambridge, MA; MIT Press 2003. 4 A number of images of semiotic complexity and socio-cultural definitions appear to be frozen here in a simultaneous coincidence, the global cultural Disney icon, used to mask and make anonymous two lovers, which, however, leads only to destroying this through a partial tearing down of the masks through targeted bites. The sexual incompatibility of cultural counterparts, hidden emotions, events from childhood, communication-therapeutic approaches, competition, the “economisation of the social sphere“, etc. could here be motivic keywords behind the performative annulment of the oscillating meaning pairs of private/public, inner/outer, proximity/distance, but the question about political remains in a post-political world, already mentioned, is answered with a clear and highly precarious assessment of the private sphere as the sole and final social refuge. To quote Žižek again: “When we try to preserve the authentic sphere of privacy against the onslaught of instrumental objectivized “alienated” public exchange, it is privacy itself that changes into a totally objectified, commodified sphere. Withdrawal into privacy today means adopting formulas of private authenticity propagated by the modern culture industry from taking lessons in spiritual enlightenment and following the latest cultural and other fashions, to taking up jogging and body-building.”4 It may be the case that Kenneth Anger´s “mouse heaven” (2004) also offers a suitably complementary counterpart to KISS, in which he succeeds in creating a filmic portrait of a specific Mickey Mouse picture that has got lost, through a purely formal juxtaposition of very different Mickey Mouse images from an almost infinite reservoir, in contrast to Jermolaewa‘s actively subjectivising appropriation of the “Mickey Mouse figure”. Judith Butler, “Can the other of Philosophy speak?“, in Joan W.Scott und Debra Keats (Ed. School of Thought,Twenty-Five Years of Interpretative Social Science, Princeton 2001, p. 58. 5 104 Whereas in “Kiss” it is a simple plastic mask from a theatrical supplies shop which reflects social relationships in an analytical distorted mirror, in the case of the SINGLE PARTY documentation it is an orange, or rather the orange dance performed in this, which demonstrates the gulf between reality and the striving of people whose constructed self has only very little in common with their non-conscious self, in addition in a situation in which one seeks approval, which according to Judith Butler begins “with the realisation that you are lost in the other, appropriated in and through an otherness which one is and is not”5. According to the definition, several couples must dance together with an orange held between their foreheads, without using their hands. Whoever loses the orange or uses their hands is disqualified. The winner is the couple that dances the longest. In the artist‘s studio at that time some 20 invited singles in the summer of 2003 devoted themselves fully to this easygoing competition. A DJ had been hired to play nothing but 7″ vinyl records, also appositely known as singles, cheerful old hits. Despite the boom in Internet partner exchanges and the speed-dating hype, it could be seen between fresh idealisations and dancing acquaintances how reliably analogous and physical the exchange of affection can function even via this oh so banal children‘s party game. The relationships that started out that evening, some of which endured over many years, are the actual artistic immaterial works in free progress, and the video here is just a documentation of the experimental design of this potential for love. In general this is surely a greater and truer merit of the works of Anna Jermolaewa, in looking for such fine conditions in unsurmisable or no longer surmisable situations, creating these and then getting art to imitate life. In the knowledge that the differences in the way that we function and perceive the world, that these differences also have an effect in our stories and provide the origin for baffling works and lives in a here and now; that each of us in our social ecosystem sees, speaks and moves differently, but in so doing always remains part of a large whole. It is not the obvious that is decisive here, but rather the true nature of a subject that is usually hidden behind membranes, and which in turn can only be uncovered by close and personal observation. Our individual observation keeps our surroundings alive, just as we remain alive through seeing, and each of us can see new things in doing so, It is also no coincidence that this is one of the central thoughts of Žižek, that “The commonplace according to which we are all thoroughly grounded in a particular, contingent lifeworld, so that all universality is irreducibly coloured by and embedded in that lifeworld, needs to be turned around. The authentic moment of discovery, the break through, occurs when a properly universal dimension explodes from within a particular context.”6 The key moment of any theoretical struggle is the “emergence of the universal from the particular environment”6, even if this sometimes means only that a visibly narcissistically motivated nonsingle self in the eager orange dance of the SINGLE PARTY video, on renewed observation in 2011 during research for this text, is sometimes afflicted by nostalgically embarrassing emotions. The forms that the precise results can assume, even from complex operations under time pressure and restrictions to spontaneity remain surprising and manifold: because of something like a concert with the one-off band ALLRISK7, or a short-term hotel room exhibition, “Egger Jermolaewa Krottendorfer”8, with a feel for the situation, the artist always provokes works or moments which leave an impression beyond social microcosms and reveal continual opportunities for the re-appropriation of the self by the self. Cord Riechelmann, “Ein Porträt des Philosophen Slavoj Žižek”, in: Jungle World, Nr. 38/11, 22. September 2011. 6 The artists band, consisting of Christian Egger (vocals), Manuel Gorkiewicz (bass, vocals), Anna Jermolaewa (vocals, percussion), Gregor Mahnert (drums, vocals), Bernadette Moser (guitar, vocals), which played their only gig on the opening evening, 26.06.2002 of the exhibition “doubleheart – HEAR THE ART!”, in the Kunsthalle Exnergasse. 7 In room 214 of the Park Inn in Linz during the opening of the TRIENNALE 01 / 2010. 8 105 106 VERSUCH EINER ANORDNUNG Series of 20 photographs 100 x 120 cm 2007 107 Anna Jermolaewa BIOGRAPHY www.jermolaewa.com 1970 born in Saint Petersburg, Russia 1998 graduated from University of Vienna (Faculty of Art History) 2002 graduated from Academy of Fine Arts in Vienna (Painting & Graphic Art / New Media) lives and works in Vienna Awards and grants UNTITLED (Barking dogs) Video, 1 min., Installation view “Playing along with Anna” XL Gallery, Moscow, 2008 2011 Outstanding Artist Award 2006 T-Mobile Art award 2004 Förderungspreis der Stadt Wien 2002 Ursula Blickle Förderpreis 2002 Pfann-Ohmann-Preis 2000 SCA Kunstpreis 2000 Professor-Hilde-Goldschmidt-Anerkennungspreis 1999 Römerquelle-Preis Solo shows PORTRAIT IN 25 MINUTES Performance in cooperation with Halim Amirov, Alina Fyodorova, Andrej Romasjukov, Alexander Frolov and Anna Frolova Vienna, MQ, 2005 108 2011 “Handschuhe aus Gummi, Putzkittel und Wischmopp”, AK Kunstprojekte, Arbeiterkammer Wien, Vienna, Austria “Filme von Anna Jermolaewa”, kunstraum lakeside, Klagenfurt, Austria “КИНОГЛАЗ / KINOGLAZ”, XL Gallery, Moscow, Russia “Step aside”, Institute of Contemporary Art, Sofia, Bulgaria 2010 “Kremlin”, EDS Galeria, Mexico 2009 “Rats”, XL Gallery, Moscow, Russia “Kremlin Doppelgänger”, Engholm Engelhorn Gallery, Vienna, Austria “Anna Jermolaewa”, Kunstverein Friedrichshafen, Friedrichshafen, Germany 2008 “Playing along with Anna”, XL Gallery, Moscow, Russia Galerie Johannes Widauer, Innsbruck, Austria Austrian Cultural Forum Prague, Czech Republic 2007 “Vienna Stripe”, museum in progress, Vienna, Austria 2006 “Orchestra Reloaded”, Tresor im BA-CA Kunstforum, Vienna, Austria Galerie Mezzanin, Vienna, Austria 2005 “Anna Jermolaewa. 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Co-founder and co-editor of: “Chicago, Times, Plotter, Helvetica, DIN, Techno, Löhfelm, RR-02, Univers, Tiffany, Circuit, Memphis, Gringo, Zeus, The Mix, Princess Lulu, Pigiarnik, Paper, Libertine, Trixie ...” Hedwig Saxenhuber Lives and works as a freelance curator and as co-editor of the “springerin” magazine in Vienna. Has curated for kunstraum lakeside (together with Christian Kravagna) since 2005, for MUMOK (Vienna Kunsthalle Wien, ACF (New York), HBK (Leipzig), MUSA and the 2nd Moscow Biennial, among others. 117 Fotonachweis / Photo Credits If not otherwise indicated © Anna Jermolaewa 15, 21 Pravdoliub Ivanov, 24, 25, 27, 38, 72 Marlene Haring, 68 Jeanette Pacher, 73 Viktor Kolibal, 74, 80, 81, 97 Manuel Gorkiewicz, 79 Hannes Pötscher, 84, 85 Irina Korina, 92, 93 Wilfried Petzi, 95, 99 Magda Totova, 104 Anastasia Jermolaewa, 109 Manfred Grübl Anna Jermolaewas besonderer Dank gilt / Special thanks to Manuel Gorkiewicz, Kiril Prashkov, Silvia Jaklitsch, Christian Mayer, Kerstin Engholm Galerie Sowie den AutorInnen / Authors Iara Boubnova Hedwig Saxenhuber Christian Egger Mit großzügiger Unterstützung durch / With generous support from BMUKK, Kerstin Engholm Galerie, Vienna; Galerie Johann Widauer, Innsbruck 119