MAI 2015 - Die Welt

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MAI 2015 - Die Welt
MAI 2015
ICON
ICON
MAI 2015
PAUL SMITH
So sieht’s aus: Paul Smith
in seinem Londoner Büro
EDITORIAL
Schau einfach
noch mal hin!
COVER: FOTO PAUL SMITH; MONTAGE/ILLUSTRATION:TOM UECKER FÜR ICON; DIESE SEITE: MARIO TESTINO; OLIVER MARK (3); GETTY IMAGES; PAUL SMITH (3)
I
ch fotografiere sehr gern.“ Damit fing es an. Wir standen im Gewühl
bei der Eröffnung seines ersten Geschäfts in Deutschland im vergangenen Jahr. In Hamburg, der britischsten aller deutschen Städte, waren Paul Smith und seine Scouts nach langer Suche fündig geworden: Ein Haus mit Seele, dem einzig verbliebenen in der Straße aus der Biedermeierzeit, und mit Garten. Und das mitten in der Stadt an den Hohen Bleichen.
Keine strategische Analyse hatte den (naheliegenden) Standort Hamburg ergeben,
sondern das Haus. Charakter. Das ist das Paul Smith Erfolgskonzept: Mit 15 Jahren
brach er die Schule in seinem Heimatort Nottingham ab und richtete seinen ersten
Laden ein, der nur an zwei Tagen die Woche geöffnet war. Darauf baute er ein weltweit agierendes Lifestyle-Unternehmen auf, das so bunt und erfolgreich ist wie sein
Markenzeichen, die Streifen – und ihm auch immer noch gehört. Das Studium hat er
später in Abendkursen nachgeholt, wie er überhaupt ein Mann mit vielen Talenten
und beinahe unerschöpflicher Energie ist. Last man standing. Und morgens der Erste.
4.30 Uhr ist in etwa seine Zeit. Dann geht er erst einmal in seinem Club schwimmen.
69 Jahre wird er Anfang Juli. Ein Mann von Lagerfeldscher Kreativität und Rastlosigkeit. Die nicht mit Hetze zu tun hat, sondern mit Struktur und Kraft und Interesse.
In Hamburg standen wir an einer Vitrine und plauderten, als wären nicht noch ungefähr 500 weitere Leute zur Party gekommen. Und auch die fühlten sich offenbar wie
zu Hause. Naheliegend. Auch dieses Geschäft wurde vom Chef persönlich eingerichtet. Und im Umfeld von Sir Paul – die Queen adelte ihn – gibt es kein Getue. So erfolgreich, vermögend, weltberühmt er ist, so herzlich, entspannt, humorvoll ist er. Überträgt das auf seine Mitarbeiter. Und ist auch schon seit Jahrzehnten mit der
gleichen, großartigen Frau zusammen.
In Hamburg plauderten wir über dies und das. Plötzlich dachte ich: Frag
doch mal. Ob wir ein ICON zusammen machen wollen. Er als Fotograf und
Stimulant. Als Engländer mit dem Sinn für Zwischentöne. Und so kam es.
Eine unaufgeregte Angelegenheit – und doch voller Anregungen und guter
Manieren. Wie die wirklich Großen eben sind. 2001 hat er ein Buch geschrieben. Der Titel: „Du findest Inspiration in allem. Und wenn nicht, guck
noch mal hin!“ (Violette Editions). Bitte sehr. Es ist uns ein Vergnügen!
Sir Pauls bunte Welt:
Kaum ein Designer hat
so viel Spaß an Details –
und Bilder liebt er
besonders, wie ein Blick
ins einen Hamburger
Geschäft beweist
IMPRESSUM ICON
Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Redaktion: Caroline Börger, Heike Blümner, Nicola Erdmann, Julia Hackober, Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger. Praktikanten: Linda
Leitner, Sarah Lafer. Korrespondentin in New York: Huberta von Voss. Korrespondentin in Paris: Silke Bender. Autoren: Susanne Opalka, Esther Sterath, Andreas Toelke Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver
Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Delia Bob, Katja Schroedter, Adrian Staude Fotoredaktion: Julia Sörgel, Elias Gröb
Bildbearbeitung:Thomas Gröschke, Tom Uecker, Kerstin Schmidt, Felix Steinert
Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar, Dr. Torsten Rossmann General Manager: Johannes Boege Gesamtanzeigenleitung: Stefan Mölling; Anzeigen ICON: Roseline Nizet (roseline.nizet@axelspringer.de)
Objektleitung: Carola Curio (carola.curio@axelspringer.de) Verlag: WeltN24 GmbH Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf
ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 31. Mai 2015. Sie erreichen uns unter ICON@weltn24.de
Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit.
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AUSGEWÄHLT
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RULE BRI TANNIA
Eine Insel, auf der selbst die Royals Teil der
Populärkultur sind: Unsere Lifestyleweisen
machen sich Gedanken über die Briten
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CHARME & MELON E
Alles, nur keine Baked Beans – Icona stylt
sich nach Tutti-Frutti-Manier, bis sich Ikens
steife Oberlippe lächelnd verzieht
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WIR STEHEN GERN SCHLAN GE
Zum Geleit: Simon Cundey, Inhaber der
ältesten Savile-Row-Schneiderei, gewährt
Einblicke ins englische Seelenleben
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AMAZ ING RUTH
„Matches“-Gründerin Ruth Chapman ist
eine dieser Frauen, der irgendwie alles
gelingt. Und das ganz unaufgeregt. Und
auch noch gut aussehend
AUF D E M WEG NACH OBEN
Über kaum eine Nachwuchs-Designerin
redet man derzeit in London mehr als über
Simone Rocha. Uns hat sie geantwortet
MAC HT SPASS
Accessoires kann jeder – sie mit unauffälligem Humor zu versehen, ist eine englische
Spezialität. Wir haben sie gefunden
SIR PAUL SMITH
ZUSAMMENGESTELLT VON SARAH LAFER
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LOND ON S LIEBSTE HUNNEN
Das große Fotoshooting: Großbritanniens
großer Designer stellt deutsche Kreative in
der Hauptstadt des UK vor
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WIR SOL LTEN MAL REDEN
Was sind diese Deutschen für Typen? David Chipperfield entwarf u. a. die Berliner
Museumsinsel. Sir Paul interviewte ihn
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KNIT TE RF REI DABEI
Auf Reisen ist bisher noch jeder Anzug
verknittert – mit Sir Pauls Travel Suit ist das
ein für alle Mal Geschichte
KOSMETIK
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BRIT ISH BEAUTY
Auch die englische Rose braucht Kosmetik.
Inselprodukte und Neuheiten
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SCHWA RZ UND EXTREM
Tom Ford zieht bekanntlich James Bond
007 an. Er kennt sich aber auch mit Parfüm
aus – Inga Griese hat ihm zugehört
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INSELGESCHICHTEN
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TIME-O UT
Ein Uhrmacher, der wirklich Uhren macht –
und das fast ganz allein: Ein Treffen mit
Roger W. Smith auf der Isle of Man
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SO SCHÖ N VERSTECKT
Was Sie als Tourist nicht wissen können:
Paul Smith nennt Ihnen Londons geheime
Gärten und Plätze
MODE
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DER DUFT DES EMPIRES
Es begann am Piccadilly Circus: Wie der
britische Parfümeur Penhaligon’s seit fast
150 Jahren harmonisch „näselt“
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PARK MAL EIN
Nottingham’s Forest: Ein Besuch in Langar
Hall, wo Englands Countryside noch schöner ist als bei Rosamunde Pilcher
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LO NDO N DIARY
Das kommt nicht überraschend – aber
wenn Sie überraschende Hotels im UK
kennenlernen wollen, lesen Sie unsere
Postkarten
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NOTTING HILL
Hermès hat das Flanieren als Motto für das
ganze Jahr entdeckt – und gleich mal im
Bohème-Viertel angefangen
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DER BAUPLA N
Wir schauten in der Manufaktur von Mulberry zu, wie die „Willow Bag“ entsteht
1. Hut ab! Lampe „Jeeves“ von Innermost über
theiconist.com 2. Tea Time: Service mit LondonTransport-Logo von fluxstokeontrent.com 3. London
an der Elbe: „Queen’s Mint“ Tee der hamburgischen
Teemarke Forgeron & Blanc 4. Zeit für Scotch-Terrier:
„Scotty-Clock“ von The Labrador Company 5. Nicht
nur Paddington Bär liebt sie: Orangenmarmelade von
Harrods 6. Trotz Regen unverzichtbar: Gießkanne
vom Museumsshop des V&A 7. Süße Ordnungshüter:
Lippenbalsam vom Museumsshop der National Gallery 8. Befreit vom Gartenschmutz: Handpeeling von
Crabtree&Evelyn 9. Dieses Gebäck hat es in sich:
Wildblumensamen verpackt in Papierkeksen von
thebalconygardener.com 10. So bleibt die Queen auf
dem Teppich: Den Läufer „Postage Stamp Rug“ gibt’s
über notonthehighstreet.com 11. Sonnen wie die
Briten: „Palmeral Edwardian“-Liege von houseofhackney.com 12. Ein gemütlicher Stadtplan: Pouffe „Lundunar Kort“ von Kristjana S Williams 13. Für den
Frühlingslauf: Stella McCartney für Adidas (mytheresa.com) 14. Drink gefällig? „Rockstar Whiskybar“ von
Buster und Punch 15. Tolle Knäufe gibt’s bei Chloe
Alberry in der Portobello Road 84. Auch online!
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STILISTEN
COPYRIGHT THE ARTIST. COURTESY BEN BROWN FINE ARTS,HONG KONG/PRESTEL VERLAG
RULE, BRITANNIA – UNSERE LIFESTYLEWEISEN KENNEN SICH AUCH IM KÖNIGREICH AUS
Im Kreisverkehr
Es soll ja Menschen geben, denen allein die stadtbildprägenden roten Doppeldecker-Busse eine Reise nach London wert
sind. Jene finden den Linksverkehr auch viel aufregender als die Royal Family. Und für sie ist der laute Piccadilly Circus –
hier vom brasilianischen Künstler Vik Muniz dargestellt – vor allem auf Papier ein Blickfang. Wie die Kunstmesse „Photo
London“ rund um das Thema Fotografie und Musik beweist. Das Event präsentiert die Arbeiten von etablierten Fotokünstlern und Nachwuchstalenten erstmalig vom 21. bis zum 24. Mai im Somerset House – mitten in London und natürlich per Bus
mit den Linien 6, 9, 11, 13, 15, 23, 77a, 91 und 176 gut zu erreichen.
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LONDON CITY LIFE
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Ich bin eine waschechte Londonerin: Wurde hier geboren, bin hier aufgewachsen, habe mein
er
Wet ry
ganzes Leben lang hier gewohnt. Meine Empfehlungen sind von daher Teil meiner Identität. Los
ter
geht es mit dem „Chelsea Art Club“. Ich wurde schon als Baby dorthin mitgenommen, weil mein Vater Mit-
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glied ist. Der Club ist voller Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen der Mitglieder, und der Garten ist einer der
schönsten Londons. Das Essen ist hausgemacht und die Preise sind nicht überzogen. Das einzige Problem ist, dass man Mitglied sein oder eines begleiten muss. Also suchen Sie sich einen Künstler aus Chelsea und schmuggeln Sie sich rein. Das „Akasha Spa“ im Hotel „Café Royal“ ist sehr ruhig, besonders, wenn man gerade von den hektischen Straßen Londons kommt. Perfekt zum Abschalten, Lesen, Schwimmen und in die Sauna gehen. Im „Society Cafe“ in Soho gibt es nicht nur köstliche Cocktails, sondern auch Bücher von wundervollen Erstausgaben bis zu aktuellen Bestsellern. Babette, die Inhaberin, gibt übrigens
sehr gute Tipps. In Marylebone, in der Moxon Street, gibt es einen großartigen Metzger namens „The Ginger Pig“. Ich esse
zwar selten Fleisch, aber wenn, dann kaufe ich es hier. Nebenan liegt „La Fromagerie“, die eine große Auswahl an Käse, organischem Gemüse und anderen Produkten für die Speisekammer bietet. Man kann dort auch eine Suppe, einen Salat oder einfach
eine Käseplatte mit Wein genießen. Bei „Rococo Chocolate“ in Belgravia sind die VerAlex Eagle
packungen witzig und schick. Als ich klein war, arbeitete die Schwester meiner Freundin hier
und sie schenkte uns immer zerbrochene Schokolade. Seitdem bin ich ganz verrückt daKreativdirektorin von
„The Store x Soho
nach. Schokolade in Spargelform, organische Riegel und ein geheimer Garten, in dem man
House“ in Berlin und
an seinem Tee nippen und die Schokolade essen kann – es gibt nichts Besseres!
Besitzerin von „Alex
Eagle“ in London
ESA.COM
MYTHER
Die
FRANK HORVAT
Ja, wo laufen sie denn?
Tief verwurzelt in der englischen Psyche liegt: die Landschaft. Sie ist einzigartig – und
obwohl ich seit 15 Jahren in Paris lebe, bleibt die englische Landschaft mein spirituelles
Zuhause. Sie besteht aus grünen Feldern, Heckenlandschaften, hundertjährigen Eichen,
geschlängelten Flüssen und Fußpfaden. Kirchen, Pubs und Landvillen setzen pittoreske
Akzente. Auch Pferde und schwarze Labradors dürfen nicht fehlen. Es ist die perfekte
Kulisse, sowohl um dem übercoolen London als auch der notorischen Pariser Unhöflichkeit zu entkommen. Ein 45-minütiger Ausflug ins ländliche
Oxfordshire im Frühling macht deutlich, warum die Engländer ihre offenen
Sportautos so lieben. Dort steht nicht nur „Blenheim Palace“, der einstige
Familienwohnsitz der Churchills, der Spencer Familie und dem aktuellen
Herzog von Marlborough, sondern auch die charakteristischen strohgedeckten Landhäuser. Hübsche Gärten reihen sich aneinander, sein Bier
trinkt man in Pubs wie dem „Black Sheep“ in Weston-on-the-Green. RichJames Heeley
tung Somerset entspannt man auf die moderne, englische Rockstar-Art im
(Britischer)
„Babington House“, einem ländlichen Anwesen mit Süßwasser-SwimmingParfümeur
in Paris
pool im Freien und Spa. In Devon und Cornwall kann man Englands idyllische Küste bestens erkunden. Dramatischer wird es nördlicher, Richtung
Yorkshire. Hier gibt es die besten Fish&Chips-Landgaststätten und Ales der Welt und
Baudenkmäler wie das „York Minister“, „Fountain’s Abbey“ und „Castle Howard“, der
Drehort von „Howard’s End“. Auch die North Yorkshire Moors wurden durch den Roman „Sturmhöhe“ von Emily Brontë weltbekannt. Doch die beste Art, die britischen
Landschaft kennenzulernen, ist offen gesagt: Verlaufen Sie sich!
PATEK PHILIPPE
LANDPARTIE
Der Startschuss ist noch nicht gefallen, aber die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Im Juni findet das alljährliche Royal Ascot Pferderennen statt. Die englischen Ladys
sind in Aufruhr. Denn zumindest das Rennen auf den ausgefallensten Fascinator, das schönste Kleid und den letzten
Maniküretermin ist bereits eröffnet. Die Helmut Newton
Stiftung in Berlin zeigt in der Ausstellung „Newton. Horvat.
Brodziak“ ab dem 4. Juni, wie das Ergebnis, „behutet“
mit Givenchy, aussehen kann. Hier von Fotograf Frank
Horvat eingefangen. Klar, es geht auch ein bisschen um
Ross und Reiter – wenn denn das Outfit steht.
UND SONST NOCH
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PICKNICK: Beine und Seele baumeln lassen
kann man jetzt im Heck des Range Rover „SV Autobiography“. Der Wegesrand ist das Ziel. Ab
dem Sommer über landrover.de ——— NOSTALGIE:
Modedesigner Nigel Cabourn hat das Archiv
von Fred Perry gestürmt. Das Ergebnis der
Kollaboration gibt es nun im Laden oder online unter fredperry.com ——— KÖNIGLICH: Ab
August sind die „Kingsmen“ in geheimer Mission auf DVD erhältlich
Die große Patek-PhilippeJubiläums-Ausstellung
„175 Jahre – Watch Art Grand
Exhibition“ gastiert vom
27. Mai bis 7. Juni in der
Saatchi Gallery, erweitert um,
klar, royale Aspekte
der Geschichte
Unser Ausdruck einer Ära
Seventies Chronograph
Seventies Chronograph. Start. Stop. Fly-Back. Der präzise und zuverlässige Zeitmesser beeindruckt mit zentraler Stoppsekunde, 30 Minuten- und 12 Stunden-Zähler mit integriertem Flyback-Mechanismus, kleiner Sekunde, einer Gangreserve von 70 Stunden sowie dem Glashütte Original Panoramadatum.
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London Calling
AKHTAR
SPARKLING
BRITISHNESS
England ist eine Biernation. Nach
Deutschland sogar der zweitgrößte Bierproduzent Europas. Einige behaupten,
hier sei höhere Gewalt im Spiel, nämlich
das legendäre englische Wetter:
Wolkig, verregnet und windig.
Sonnenanbeter gehen ein wie
Primeln. Die meisten Weinsorten
auch. Was übrig bleibt, kann
keinem Weißweinkenner zugemutet werden. Das Weingeschäft deshalb aufgeben? Nicht
Herbert
mit den Briten. Spätestens seit der
Seckler
Entschlüsselung des EnigmaKultwirt vom
Sylter „Sansibar“
Codes ist klar: Erfindungsreichtum zählt zu den Stärken der
Insulaner. Geht die Gleichung nicht auf,
wird sie kurzerhand umgestellt. Kaltfeuchtes Klima und eine robuste Weißweinrebe ergeben nämlich einen fantastischen Schaumwein. Der Engländer nennt
ihn „Sparkling Wine“. Man würde gern
ebenfalls von „Champagne“ sprechen –
und tut es im Volksmund auch –, aber der
Franzose verbittet sich jegliche Adaption.
Auf dem Weingut „Nyetimber“ südlich
von London spricht man daher lieber
von „Classic Cuvée“. Feinperlig, fruchtig mit Aromen aus Melone, Aprikose
und Brioche. Funktioniert, schmeckt.
So gut, dass bereits die ersten französischen Winzer bei der Suche nach
einem Fleckchen Land auf der Insel
gesichtet wurden.
GENTLE
BLIESWOOD
TRENDBAROMETER
VON
WOLFGANG
JOOP
Herr Haka
Meine Güte, jetzt sind wieder
T-Shirts mit dem Displaymaterial von Star Wars angesagt.
Als hätten wir nicht genug
Krieg auf der Erde, nur bei uns
schleppt sich das Happy End ja
hin. Schlechter Geschmack,
das können nur die Engländer,
deren Exzentrik sendet humorvolle Botschaften.
Frau Dob
Mode ist ja immer auch ein Ausflug. Ich möchte aber nicht das
London sehen, das sich der zugereisten „Richness“ hingeworfen hat. Mein Ziel wäre Sissinghurst. Und wie E..T. nach Hause
telefonieren will ich auch. Aber
nicht im Extorialen. Deine Inspiration für die nächste Kollektion ist Gärtnern? Gummistiefel,
Rosenschneiden. Das trägt mich.
La bella B&B Italia! Neuer Showroom von
Architekt John Pawson. 250 Old Brompton Road
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London ist für mich im Moment die faszinierendste Stadt der Welt – vor New
York, vor Hongkong, vor Tokio und BerlinMitte. Wenn ich im Heathrow Terminal 5
aussteige, bin ich happy! Hier meine BlitzTipps: 1. Mit dem Heathrow Express vom
Flughafen nach Paddington fahren, First
Class mit WLAN und mehr Ruhe, weiter
mit dem Taxi. 2. Sich eine Nacht in „The
Shard“ schenken (circa 450 Pfund), dem
höchsten Hotel Londons. Insider-Alternative – ohne Lift, aber mit Pub: „The Grazing
Goat“ (circa 200 Pfund). 3. Mein Lieblings-Pub: „The Audley“. 4. Rechts gegenüber mein LieblingsJagdladen „Purdey“
(Ledersachen, Flinten et
cetera). 5. Links gegenüber das Restaurant für
die Stars: „George“.
Draußen reservieren,
zum Gucken. 6. Lieblingsbar: „Rivoli-Bar“ im David Blieswood
„Ritz“ – kein SchlipsConnaisseur aus Hamburg
Zwang mehr. 7. Sich
einen Anzug schneidern lassen in der Savile Row (circa 3500
Pfund). Mein Schneider Davies war auch
Axel Springers Maßschneider, aber Sie
können auch einfach die Straße entlanggehen und nach Bauchgefühl entscheiden,
Huntsman zum Beispiel ist eine gute Wahl.
8. Lieblingscafé/-bistro neben dem „Ritz“:
„The Wolseley“, zum Frühstück reservieren! 9. Shoppen? Im Kaufhauspalast
Harrods gibt es auch Hunde. 10. Lieblingsstraße: St. James Street – kurz und teuer –,
hier gibt es auch Maßschuhe von John
Lobb (ab 4200 Pfund).
11. Unbedingt zum Tower – man spürt, wie
früher die Könige gefroren haben. 12. Die
originellsten Schirme: Swaine Adeney
Brigg. Tipp von Frau Blieswood: die Touristen-Busse: Hop-on, hop-off. Sie können
einfach aussteigen, wo Sie Lust haben.
STEPHEN WALTER; PRESTEL VERLAG
Wirrer Stadtplan? Nein, Kunstwerk! Wer mit dem Büchlein „The Island: London Mapped“ (Prestel) von Stephen Walter in der britischen Hauptstadt unterwegs ist, dem wird das iPhone-Helferlein Siri gewiss nicht fehlen. Die handgezeichneten Pläne des Drucktechnik-Künstlers sind so detailverliebt, dass sie seinen Besitzer keinesfalls auf direktem Weg von A nach B führen. Sie laden
eher dazu ein, die Insel-Metropole auf Umwegen kennenzulernen. Bier-Pitcher zeichnen die
Route für den nächsten Pub Crawl. Und zu welcher Insel könnten wohl die Hundeskizzen führen?
ELISABETH SANDMANN VERLAG/ROSIE SANDERS
Englische
Rose
trifft wilde
Orchidee
In Europa werden jährlich mehr
als 200 Millionen Orchideen
verkauft, meist von der Gattung Phalaenopsis, wie diese
Sorte namens „Ever Spring
King Lee“. Jede Pflanze ist ein
Unikat mit der Unverwechselbarkeit eines Fingerabdrucks.
Das kommt der südenglischen
Künstlerin Rosie Sanders entgegen, die mit fast fotografischer Präzision Orchideen,
Tulpen, Magnolien und andere
in ihren überdimensionalen
Aquarellen zum Leben erweckt.
Ein Kunstgriff, für den sie zahlreiche Preise eingeheimst hat.
Gerade ist ihr Bildband „Überwältigende Blüten“ in der
Edition Sandmann erschienen.
llustratorin
und Autorin
in Berlin
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MAX MARA
Florentine
Joop
Mein erster Besuch in London, meine erste Ausstellung in der Tate Britain
Gallery; die Eindrücke
sind beinahe genauso
präsent, als wäre es gestern gewesen. In meinem jugendlichen Leichtsinn wähnte ich
mich im Angesicht britischer Kunst – was
ich betrachtete, waren die schönsten Bilder, die ich jemals sah (und später sehen
werden würde).
Die unvorstellbare bildnerische Schönheit
der Maler der präraffaelitischen Bruderschaft, die gewaltigen Turners und irrwitzigen Arbeiten auf Papier der British Watercolour Artists, die sich in Farben und Schattierungen und Prä-HD-Auflösungen an Landschaften, historischen und fiktiven Szenerien
alter Sagenliteratur, an Gesichtern und Tieren
austobten mit der scheinbar so britischen Manie zur Tradition in Perfektion und ohne jegliche Angst vor Pathos. Da wähnte ich mich im
Himmelreich und wollte nie mehr fort. Mit
kindlicher Freude und großen Augen schaute
ich Henry Wallis’ „Chatterton“ an und habe
dieses kleine Bild nie mehr vergessen. Noch
BUCHSTÄBLICH: Bei Charlotte Olympia können
schlichte Leder-Slipper
nun mit 52 Buchstabenund Motivstickern aufgepeppt werden. Über
charlotteolympia.com ——— THINK BIG:
Das italienische Modelabel Max Mara hat seinen
Shop in London vergrößert. Mit rund 1000 Quadratmetern gehört er zu
den größten Läden des
Labels in Europa. 21 Old
Bond Street. ——— SCHMUCKSTÜCKE: Aus Kunstharz
fertigt Schmuckdesigner Nicolas
King Armreifen.
Seine Kollektion gibt es
über mystylecatch.com
CHARLOTTE OLYMPIA
Dots and
Dont’s
kannte ich sie nicht, die modernen englischen
Künstler: kein Damien Hirst, David Hockney,
keine Gilbert & George hatten meinen Weg
und mein Auge gekreuzt.
Von den Farb- und Lichtfluten, von der Vollendung der Auge-Hand-Koordination, der
Schönheit und Anmut bleiben einige Punkte
(farblich interessant) und Streifen (farblich teilweise gewagt) hängen. Man meint, wolle man
heutzutage in der modernen Kunst was werden,
müsse man sich zwischen Längs- und Querstreifen entscheiden, wer sich nicht entscheiden
kann, macht Punkte. Oder Collagen – mit
Streifen. Und sicher ist das jetzt ungerecht,
denn noch immer sind Englands zeitgenössische Künstler unter den Top Ten der Bestseller.
Und darunter sind auch Künstler, die Tische
und Skulpturen machen oder Akte. Und Landschaften. Aber eben auch viele Streifen.
Ob Guggenheim, MoMa, Tate oder Nationalgalerie, ich esse mich tapfer
durch den Berg von Hirsebrei,
schaue mir mit teilweise großem Interesse (und wachsendem Unbehagen) die modernen Exhibitionen an, um dann,
eigentlich voll bis oben hin, aber
trotz allem hungrig, endlich zu
den Klassikern zu schleichen, um
mich sattzusehen.
Zu meinen modernen Klassikern
zählen David Hockney, Francis Bacon (ich weiß, der war Ire) und Lucian
Freud (ja, der war Berliner) – kommen sie
doch ganz ohne Punkte und Streifen aus.
FLORENTINE JOOP
HOW TO ART – TEIL III:
UND SONST
NOCH
OH, LOOK! UNSERE
ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS
ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM)
MISS WATERMELON
+
Schnitz-Ohr: Ohrringe
von de Grisogono
+
Zuckersüß! Clutch von
Charlotte Olympia über
net-a-porter.com
Ikonas Kompositionen tragen
Früchte auf ihrer
Ukulele von Kala.
Über muziker.de
Frisches Leben im
Kaschmirpulli von
Chinti and Parker
+
+
Sweet Dreams im Zelt „What a Melon
Little Camper“ von fieldcandy.com
Sommerfrische:
Baumwollhose
von Emilio
Pucci über
mytheresa.com
+
Bubble-Girl: „Watermelon“
Kaugummi von Fini
Soulfoot: Die Slip-Ons von Keds
sind äußerst appetitanregend
=
MR. DANDY
Pures Understatement: Brille
„S1“ von Lunor
+
Wie gemacht zum Umherstreifen: Anzug von Thom
Browne via mrporter.com
Retro-Chic: Polo-Shirt
von Moncler Gamme Bleu
über matchesfashion.com
+
+
ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER
Schutzschild für
die Haut: „One
Essential City
Defense“ von Dior
+
18
+
Moustache-Love: Lippenbalsam „Mint Madness“
über pinjafashion.de
+
Iken liebt den stilsicheren
Auftritt: Sneaker von Gucci
„Who’s gonna
steal the
show; you
know, baby,
it’s the guitar
man“: Gitarrenkoffer von
Louis Vuitton
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48.248 €
49.373 €
BUCHERER.COM
EINZIGARTIG WIE IHRE EMOTIONEN – SEIT 1888
UHREN SCHMUCK JUWELEN
“FROM THE HOW TO BE BRITISH COLLECTION © LGP,BRIGHTON,UK WWW.LGPCARDS.COM; MARTIN U.K. LENGEMANN
ESSAY
Gras, Tee & Gummientchen
Freundliche Menschen, die Regeln lieben, ohne sie auszusprechen: Simon Cundey,
Inhaber der Savile-Row-Schneiderei Henry Poole, erklärt, woran Sie Briten erkennen
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Es ist nun bald 30 Jahre
her, dass der Verkehr in
Londons
Innenstadt
zum letzten Mal wegen
einer Schafsherde zum
Erliegen kam. Und obwohl damals noch nicht
alles so überfüllt und
kosmopolitisch war wie
heute, kann man sich das Chaos vorstellen. Zu
verantworten hatten es einige Schneiderkollegen, sie wollten ein wenig auf sich aufmerksam machen. Ich dürfte die Aktion wiederholen, eine alte Übereinkunft gibt mir das Recht
dazu: Die Merchant Taylors Guild, unsere
Zunft, erstritt es im 14. Jahrhundert. Ich dürfte
mich auch in der Quadratmeile, die damals
die City of London war, mit einem Schwert
bewaffnet, bewegen, ohne belangt zu werden,
oder könnte volltrunken Leute anpöbeln.
Die ganze Welt fragt sich seit Jahrhunderten,
warum Briten es lieben, Regeln aufzustellen,
die doch niemand genau kennt, weil sie nie
ausgesprochen werden. Ich kann dazu nur sagen: Es ist nun einmal so. Wir wachsen im Bewusstsein auf, dass man auf eine geschriebene
Verfassung verzichten kann, solange man nur
genug von Common Sense versteht; also jenen unbewusst geteilten Grundannahmen,
die uns durchs Leben tragen.
So ist unser Anspruch, das freundlichste Volk
der Welt zu sein, ein nie versiegender Quell
vergnüglicher Missverständnisse mit Angehörigen anderer Nationen. Niemand steht so geduldig in einer Warteschlange wie wir Briten,
darauf können Sie sich überall verlassen. Und
wenn wir an der Reihe sind, werden wir nicht
mehr Zeit in Anspruch nehmen als notwendig
ist. Davon profitieren alle. Interessanter wird
es, wenn es an die Redewendungen geht, mit
denen wir unsere Freundlichkeit ausdrücken.
Weil es undenkbar ist, rüde zu sagen, was an-
liegt, sind sie beliebig dehnbar. Nehmen wir
den Ausspruch: „No harm done“. Er kann alles
bedeuten: von „Nichts Schlimmes passiert“ bis
hin zu „Das ist die ultimative Katastrophe,
aber das Leben geht weiter“. Oder wie wäre es
nach einem harten Tag mit: „Tomorrow will
be another day“? Es könnte sein, dass wir sagen wollen: „Morgen sieht die Welt schon
ganz anders aus.“ Es könnte aber auch sein,
dass wir meinen: „Diese Chance konnten wir
nur heute nutzen, wir haben alles vergeigt,
nur werden wir das nicht zugeben.“
Die erheiterndste Kommunikationspanne
speziell im Umgang mit Deutschen birgt der
Satz: „It might become a bit difficult.“ Wenn es
nur ein wenig schwierig werden könnte, meldet das deutsche Hirn, dann gibt es ja kein
ernstes Problem. In Wahrheit haben wir gerade gesagt: „Ausgeschlossen, dass das was
wird.“ Freundlichen Menschen ist es verboten, das Wort Nein zu benutzen. Selbstverständlich ist es jedem überlassen, diese Art
des Herunterspielens für nicht zielführend zu
halten. Ich denke aber, dass Dinge, die schiefgehen, keineswegs dadurch besser werden,
dass man sie sich in allen Farben ausmalt.
Unsere Freude an unausgesprochenen Regeln
hängt historisch auch mit der Vorliebe zusammen, uns mit Gleichgesinnten zu umgeben
und das ganze „Club“ zu taufen. Ich bin beispielsweise Mitglied im Royal Automobile
Club – Sir Paul Smith schwimmt hier jeden
Tag seine Morgenrunde. Nach wie vor ist das
zunächst einmal eine Begegnungsstätte für alle, die sich für Autos interessieren. Uns wird ja
gern vorgeworfen, dass wir fast unüberwindbare Barrieren vor einer Mitgliedschaft aufbauen, damit möglichst viele vor der Tür bleiben müssen. Aber sehen Sie sich die Arbeiterkultur an: Nirgendwo gibt es treuere Fußballfans als bei uns. Man definiert sich auch nicht
als Anhänger, sondern als „supporter“, also als
jemand, der seinen Club unterstützt. Überhaupt der Sport: Dafür begeistert sich jeder.
Meine Söhne spielen Hockey und Rugby. Speziell beim Rugby herrscht eine strenge Etikette, die Teams müssen den Schiedsrichter mit
„Sir“ anreden. Es ist Teil des Fairnessgebots,
den Regelhüter auf diese Weise zu würdigen.
Das erlaubt uns auch, eine Niederlage nicht
als Weltuntergang zu begreifen. Wenn man alles gegeben und nicht geschummelt hat, aber
der andere war besser, dann wird ein Brite,
der etwas auf sich hält, dem Siger ehrlich gratulieren (das gilt auch für Britinnen).
Dazu geben Wettbewerbe das gesellschaftliche Leben vor. So beginnt der Frühling in
London noch immer mit dem Ruderrennen
Oxford gegen Cambridge. Es folgen das Pferderennen in Ascot und die „Chelsea Flower
Show“ – das erste Glas Champagner mit
Freunden –, bald darauf startet das KlassikFestival von Glyndebourne. Die Royal Regatta
steht im Zeichen der Bootsjacketts, beim Tennis in Wimbledon ist es Zeit für einen Pimm’s
Cup No. 1, der einen über die Zeit bis zum Start
der Moorhuhnjagd im August bringt.
Wem das zu elitär klingt, der soll auf dem
Land dabei sein, wenn auf einer Messe lokale
Produkte ausgestellt werden. Oder wenn auf
der Isle of Wight das Gummientchen-Rennen
losgeht: Tausende von Enthusiasten, die über
Monate ihr Modell designt haben, die über
sich selbst lachen und sich auf die Schulter
klopfen. Das sind wir, im Wettkampf vereint.
Das gibt es so sonst nirgends.
Genau wie wirklich guten Tee. Das stelle ich
bei den Anproben, die ich weltweit für Henry
Poole vornehme, immer wieder fest. Wenn
ich nach Hause komme, steht zuerst ein großer Becher auf dem Tisch, am liebsten PG
Tips. Dann gehe ich in den Garten und kümmere mich um den Rasen. Das klingt wie ein
Klischee? Liebe Deutsche, ich bin Engländer!
e-motion “pure Black”
Die dynamische Silhouette von e-motion „pure Black“ weckt Begehrlichkeiten.
Besondere Faszination übt der maskuline Aluminiumschaft aus, der mit einer
Guillochierung versehen ist: Seine angenehm kühle Haptik begeistert jeden
technikaffinen Liebhaber der Schreibkultur.
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Mann am tosenden
Meer: Roger W. Smith
ist auf der Isle of Man
den Gezeiten buchstäblich ganz nah
22
MASSARBEIT
D
as Bild strotzt nur so
vor Pathos, man
könnte glauben, es
sei gestellt – und
doch ist alles echt,
weil nur die Gezeiten eine solche Szenerie ermöglichen: Da steht er, der Hüter der
Zeit, aufrecht am Rande seiner Insel, umtost
von den Naturgewalten. Der Sturm schneidet
in sein Gesicht, Gischtspritzer vom aufgepeitschten Meer zischen durch die Luft, am
Horizont braut sich eine tiefschwarze Regenfront zusammen. Alle Verbindungen zum
Mutterland sind an diesem Tag gekappt. Es
wäre absurd, dieses Meer bezwingen zu wollen. Deshalb müssten sie beim Mann am
Strand doch von ganz allein kommen: die Gedanken übers Ausgeliefertsein, über den dünnen Lack der Zivilisation, darüber, dass es hier
vor 10.000 Jahren bei Sturm schon genauso
ausgesehen haben muss wie jetzt.
„Gosh“, sagt Roger W. Smith. Das heißt „Meine
Güte“, und es ist unvorstellbar, dass er je zu
rhetorisch härterem Material greifen würde:
„Gosh, ich bin ja nun schon eine ganze Weile
hier, aber so ein Wetter habe ich noch nicht
erlebt.“ Das ist alles. Er stellt sich lieber fürs
Foto zurecht, das ist jetzt seine Aufgabe.
Haus mit der Werkstatt befindet. Das Örtchen
heißt Ballaugh, die Kreuzung „The Cronk“, gefühlt besteht alles hier aus Ferienhäusern für
die obere Mittelklasse – und selbst wenn man
vor dem richtigen weißen Cottage steht, kann
man es übersehen. Es passt so gar nicht zu
dem, was man von anderen Anbietern mechanischer Luxusuhren gewöhnt ist: Seit Jahren
beschleunigt sich der Wettbewerb, immer
zahlreicher werden die Komplikationen wie
Mondphasen und Ewige Kalender, immer
hochpreisiger die Materialien, immer öfter
greift man zum Superlativ; und entsprechend
immer edler ausgestattet sind die Messestände und Repräsentationsräume.
Auf der Insel tritt der Chef persönlich vor die
Tür, der einzige Indikator für Wohlstand ist
ein Land Rover vor der Tür. Hinter dem Eingang: ein kurzer Hausflur mit Birkenstocksandalen auf dem Boden, ein paar Fotos von New
York an der Wand, daneben ein großer Merkzettel, der das Zusperr-Prozedere erläutert;
ein Einbruch wäre eine Katastrophe. Daneben
befinden sich die Werkstätten, rechts die mit
den Maschinen für Platinen, Räder und
Schrauben, links wird nach Durchqueren einer Küche montiert. Der Hausherr geleitet zuerst in den Maschinenraum – und beantwortet nun geduldig jede Frage.
2003 bei Smith arbeitet. Es klingt, als sei das
für ihn ein guter Grund, für immer hierzubleiben.
Wer seinem Chef dabei zusieht, wie er beispielsweise einen Stift dreht, der erblickt in
jeder Sekunde die Mühen der Lehrzeit: Um
feinmotorisch so weit zu kommen, muss man
unendlich viel üben. Dabei noch einen Typen
wie Daniels im Nacken zu haben, das muss
jenseits aller Schmerzgrenzen gewesen sein.
Doch Smith hat es geschafft, ein offenes Wesen zu behalten. „Gosh“, sagt er, „bei uns gibt
es nun einmal nur richtig und falsch und
nichts dazwischen. Aber das wusste ich ja
schon, als ich anfing.“
Und selbst der modernste Gegenstand im
Raum, ein Computer, hat indirekt mit Daniels
zu tun. Zwei Serien hat Smith bisher im Angebot, derzeit arbeitet er an neuen Modellen.
Wie sein Lehrmeister denkt er seine Uhren
zuerst vom Design des Zifferblatts aus: „Man
muss wissen, wie das Modell aussieht, dann
kann man sich um die Funktionen kümmern“,
sagt Roger W. Smith, die Lupe an seiner Brille
wippt im Takt des schnellen Kopfnickens. Bisher sind seine Stücke eher einfach konstruiert: Die Serie II ist ein Handaufzug-Kaliber
mit Gangreserveanzeige, kleiner Sekunde
3
und römischen Ziffern. Für die neuen
Ein Mann für alle Zeiten
Roger W. Smith ist einer der letzten echten Uhrmacher der Welt. Jährlich fertigt er höchstens zwölf Stücke an.
Philip Cassier erlebte auf der Isle of Man, wie viel es dazu braucht. Martin U. K. Lengemann fotografierte
Es gehört zu den ältesten Missverständnissen
im Umgang mit Uhrmachern, zu glauben, sie
wären qua Beruf dem Mysterium der Zeit auf
der Spur – und damit dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Sie können es gar
nicht sein: Hunderte Werkteile, die auf Hundertstel von Millimetern genau gearbeitet
sein müssen, in ein akkurates Verhältnis zu
setzen, das verlangt ihnen alles ab. Da bleibt
kein Raum für allgemeine Reflexionen.
Wo heute beinahe alle in diesem Handwerk
sich entweder in einer Manufaktur spezialisiert oder sich auf Handel und Reparatur verlegt haben, übt Roger W. Smith seinen Beruf
im Wortsinne aus: Jährlich machen er und seine sechs Angestellten zehn bis zwölf Armbanduhren, vom Zahnrad bis zum Zifferblatt;
sie beginnen mit nichts und präsentieren am
Ende eine individuelle Lösung. „Bespoke“ sagen die Briten zu diesem Verfahren, es
stammt aus der Schneiderei, weil dort früher
der Schneider dem Kunden nach Absprache
ein Stück Stoff zurücklegte. Im Autobau werben Marken wie Rolls-Royce mit dem Wort:
Es meint, dass der Kunde fast jedes Detail
selbst festlegen kann, sein eigener Designer
wird. Smiths Uhren kosten ab 100.000 Pfund
aufwärts, und nichts an ihnen wirkt protzig.
Darum, wie all das möglich ist, wird sich beim
Besuch in seinem Atelier alles drehen – und
das ist am Ende mehr, als man erfassen kann.
Es beginnt damit, dass man Roger W. Smith
und die Seinen kaum findet. Seine Frau Caroline hatte eine Karte per E-Mail geschickt, um
mitzuteilen, wo auf der Isle of Man sich das
Natürlich kann Smith auf modernstes Gerät
zurückgreifen – seine Platinen fräst beispielsweise eine Maschine aus Deutschland, ständig
von einem Mitarbeiter überwacht, wie sich
versteht. Aber manche Maschinen stammen
noch aus dem frühen 19. Jahrhundert. Das erzählt einem mehr über den Mann Roger W.
Smith als über seine Technik: Sein Lehrmeister war der Brite George Daniels. Kennern gilt
er als der bedeutendste Uhrmacher des 20.
Jahrhunderts. Daniels war es, der in den 70erJahren die Co-Axial-Hemmung erfand, sie
ließ Uhren so viel stabiler laufen, dass Omega
sie 1999 übernahm. Als er 2011 auf der Isle of
Man starb, übernahm Smith seine Maschinen.
Aber nicht nur deshalb ist Daniels überall in
der Werkstatt präsent. Smiths Stimme senkt
sich ganz unwillkürlich, wenn er über seinen
Meister spricht, seine Angestellten beginnen
sogar zu flüstern. Zwei Jahre lang hatte Smith,
Jahrgang 1970, als Teen auf der Uhrmacherschule in Manchester an seiner ersten Taschenuhr gearbeitet. Daniels blickte hinter
seiner dicken Brille hervor und vernichtete
ihn mit den Worten „sieht handgemacht aus“.
Viele hätten spätestens da hingeschmissen,
wären nie wiedergekommen. Doch Smith
fühlte sich herausgefordert. Drei Jahre später
akzeptierte Daniels das nächste Ergebnis und
kümmerte sich fortan um den Jungen. Das gilt
in der Werkstatt bis heute als Sensation – Daniels lebte ausschließlich für seine Uhren, er
war nicht von dieser Welt: „Roger war der Einzige, der ihm einigermaßen nahekam“, raunt
Andy Jones, der mit seinen 49 Jahren seit
Das letzte Modell seines Meisters George Daniels fertigt nun Smith
3 Modelle plant Smith Dinge wie Großdatum und Mondphase, da hat er viel am Computer zu tun. Seit Jahren entwirft und verwirft
er, setzt neu an. Auf einige Erfahrungswerte
kann er zurückgreifen: Die letzte George-Daniels-Serie verfügte über eine Datumsanzeige
– und sie wird nun bei Smith produziert.
Britisches Design, so erklärt er mit Blick auf
den Flachbildschirm, könne man im Uhrenbau an seiner gewissen Schwere erkennen.
Das Gehäuse sei recht dick, das Werk sehr tief
konstruiert. An Smiths Handgelenk tickt übrigens das einfachste Rolex-Dreizeiger-Modell
mit Stahlgehäuse: Erstens kann er sich seine
eigenen Stücke nicht leisten. Und zweitens
mag Rolex, was das Image betrifft, noch im-
die Isle of Man: Im Sommer kommen Biker
aus aller Welt hierher, um sich bei diversen
Rennen ihren Geschwindigkeitsrausch abzuholen. Fast jedes Jahr sterben ein paar von ihnen auf den unebenen Straßen. Nichts, woran
man hier Anstoß nehmen würde – die Raser
hätten ja aufpassen können. Außerdem kann
man es sich einfach nicht leisten, auf das Rennen zu verzichten, noch haben nicht genug
zahlungskräftige Touris die Insel als Urlaubsort entdeckt. Smith erzählt, er spiele Feldhockey als Ausgleich zum vielen Stillsitzen. Da
geht es ziemlich zur Sache, und er würde es
gern mal mit Hurling probieren. Bei dieser
Sportart darf man die Kugel aus der Hand
schlagen – auch da gibt es Tote.
„Über Zeit weiß ich
nur, dass ich nicht
genügend habe“
MARTIN U.K. LENGEMANN (3)
R O G E R W. S M I T H
nicht machen soll“, sagt er. Daran müsse er
sich allerdings häufig erinnern. Andererseits
glaube er, nach der Ausbildung wirklich etwas
von Anfang bis Ende zu beherrschen.
Wahrscheinlich will sein Meister genau dieses
Bemühen sehen. Er kennt es selbst – und die
harten Zeiten waren nach der Lehre noch lange nicht zu Ende. Finanziell war die Anfangszeit der eigenen Firma nach der Jahrtausendwende schwierig, als niemand Roger W.
Smith kannte und niemand zu ihm kam. Inzwischen hat er so viele Kunden, dass jeder
zweieinhalb Jahre lang auf sein Stück warten
muss. Smith kennt beinahe jeden persönlich,
lädt ihn in seine Werkstatt ein, um die Wünsche zu besprechen: „Und ob Sie’s glauben
oder nicht – aber es macht einen Unterschied
beim Bauen, wie sehr ich den Kunden mag.“
George Daniels war da noch entschiedener –
wen er nicht leiden konnte, der bekam keine
Uhr. Seinem Schüler ist aufgefallen, dass
kaum Russen und Araber zu ihm kommen.
„Die sind es nicht gewohnt, auf ein Produkt zu
warten“, sagt Roger W. Smith lächelnd. Seine
Klientel besteht zumeist aus Unternehmern
und reichen Enthusiasten. Namen nennt er
nicht, diese Diskretion ist im Bespoke-Geschäft traditionell im Preis inbegriffen: bevor
Teepause: Vor Smith liegt George Daniels’
Standardwerk über Uhrmacherei – den Stuhl
hat Smith auch von ihm geerbt
24
mer etwas speziell sein – doch die Werke der
Schweizer Marke sind in ihrer Preisklasse die
robustesten und ausgereiftesten überhaupt,
das gesteht Smith gern zu. Dass er stets darauf
insistiert, nur ein einfacher Uhrmacher zu
sein, mag man als „landestypisches Verhalten“
abtun. Aber die Schweizer Manufakturen mit
ihren Milliardenumsätzen sind tatsächlich
keine Konkurrenz, sie bedienen einen ganz
anderen Markt als er.
Smith lädt nun zur geistigen Stärkung zum
Mittagessen in den nächsten Pub ein. Die
Fahrt geht über grüne Hügel und vorbei an
noch viel mehr Cottages aller Größen – beim
großen Rosamunde-Pilcher-Scouting fürs
ZDF würde diese Insel in der Irischen See allerdings glatt durchfallen: Der Wind ist zu
steif, Meer und Landschaft sind zu rau, als dass
hier irgendwelche Deutschen auch nur halbwegs glaubwürdig als Lords und Ladys verkleidet durch die Landschaft hampeln könnten. Überhaupt, sagt Smith, sei seine Heimat
ein sehr eigenes Stückchen Erde. Lange Zeit
bitterarm, verwaltet sie sich größtenteils
selbst. Es gibt sogar eigene Pfundnoten mit
dem Wappen der Insulaner darauf: drei Beine,
die Speichen eines Rades bilden und so symbolisieren, dass die Bewohner der Isle of Man
immer Boden unter den Füßen finden werden. In England erkennt niemand die Scheine.
Im Pub bestellt Smith Rindfleisch-Pie mit
Chips und genehmigt sich ein Mittagspint
vom Fass, das lokale Bitter. Das ist hier völlig
normal; ebenso wie dass es freitags nach Feierabend ein Bier mit den Angestellten gibt,
bevor es zur Frau und den zwei Kindern geht.
Überall haben sie im Gastraum Fotos von Motorradrennen aufgehängt – dafür kennt man
Zur Attraktivität seiner Heimat versucht
Smith nach Kräften beizutragen. Er wird sein
Geschäft ausbauen und in eine größere Produktionsstätte umziehen. Mehr als 15 Modelle
jährlich wird er allerdings auch dort nicht fertigen; es gibt kaum genügend Leute auf dieser
Welt, die dazu in der Lage sind, eine Uhr zu
bauen. Deshalb können Jugendliche von der
Insel bei ihm in die Lehre gehen – vorausgesetzt, sie bestehen den rigorosen Aufnahmetest: „Es geht nicht so sehr darum, was einer
schon kann“, sagt Smith beim Kaffee. „Ich
will, dass die Bewerber Fragen stellen, die auf
Interesse schließen lassen. Wer nichts fragt,
hat keine Chance.“ – „Wie viele Stunden täglich denken Sie denn an Uhrmacherei, Roger?“ – „Gosh. Ich glaube, es sind 24.“
Smiths jetziger Lehrling heißt Josh Horton.
Nach der Rückkehr in die Werkstatt sitzt er
über einem Gehäuse und versucht wieder und
wieder, ein Zahnrad an die richtige Stelle zu
rücken. Ein ernster 25-Jähriger in Jeanshemd
und Kittel, der sich auf dem College mit Philosophie beschäftigte, bevor er auf Smiths Anzeige in der Lokalzeitung aufmerksam wurde.
In der Schule war er gut in Mathe und handwerklich recht begabt. Doch eine Uhr zu bauen, das sei etwas ganz anderes. Horton erzählt
von den Rückschlägen in seiner Lehrzeit. Wie
er damit zurechtkomme? „Jedes Mal, wenn
ich einen Fehler mache, lerne ich, wie ich’s
der Name
herausgegeben wird,
muss die Person das Zeitliche gesegnet haben,
es sei denn, es liegt eine ausdrückliche Erlaubnis vor.
Sicher könnte Smith inzwischen höhere Summen für seine Unikate verlangen – komplizierte Uhren aus den großen Manufakturen
kosten oft siebenstellige Beträge: „Daran ist
nichts falsch“, sagt er, „aber das wäre für mich
der Schritt in eine Welt, die ich nicht mehr
verstehe.“ Und doch bleibt beim Tee am großen Holztisch in der Küche diese gemeine
Frage: Angenommen, eine der Schweizer Firmen wie die Swatch Group, Patek Philippe
oder Rolex käme – und würde ihm erklären,
dass Geld keine Rolle spiele, solange er unter
ihrem Namen arbeite? Könnte er widerstehen? „Gosh“, sagt Roger W. Smith, um einen
Augenblick zum Nachdenken zu gewinnen.
„Man soll im Leben niemals nie sagen. Aber in
den kommenden 15, 20 Jahren? Nein. Nein, dazu habe ich selbst einfach zu viel vor.“
Man darf es ihm glauben. Denn selbstverständlich haben wir ihn doch noch auf seinen
Zeitbegriff angesprochen, so viel Philosophie
musste sein. Und haben nach einem weiteren
„Gosh“ die Antwort erhalten, er könne unmöglich antworten: „Über Zeit weiß ich nur,
dass ich nicht genügend habe.“
B E R L I N
BY HERRENDORF
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SITZSYSTEM LEONARD
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DESIGN RODOLFO DORDONI
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GUT VERNETZT
Ruth Chapman,
Chefin von Matches und matchesfashion.com
„Unser Job ist es, zu filtern“
Welchen Einfluss hat die digitale Revolution auf die Modewelt? Die
Unternehmerin Ruth Chapman war mit matchesfashion.com als eine der
Ersten im Internet präsent. Außerdem gehören elf Boutiquen in London zu
U
26
ihrem Imperium. Heike Blümner sprach mit ihr über den Wert wahrer
Individualität im Netz – und natürlich über ihren Kleiderschrank
Um es gleich vorweg zu sagen: Ja,
man würde dieser Frau wohl sofort eine ganze Garderobe abkaufen. Ruth Chapman strahlt genau
die Art von Lässigkeit aus, die einem kein Designer der Welt auf
den Leib schneidern kann. Sie
trägt eine lockere, dezent geblümte Seidenbluse mit Schalkragen zu
einer grauen Hose und Plateausandalen und wirkt, als hätte sie
sich keine Sekunde darüber den
Kopf zerbrochen, und empfängt
im Townhouse ihres Unternehmens im Londoner Stadtteil Marylebone. Es ist der Ort, an dem die
kaufkräftigste Kundschaft ein und
aus geht. Diejenigen, denen eine
normale Boutique zu klein und
das Internet zu groß ist. In den salonartigen Räumen erhalten diese Kunden
Beratung und zu jedem Anlass passende Kleidungsstücke präsentiert. Natürlich nicht
mehr von Ruth Chapman persönlich. Als Mitbegründerin und einer der beiden CEOs der
vier Londoner „Matches“-Boutiquen, sieben
Monobrandshops und der Onlinedestination
„matchesfashion.com“ hat sie inzwischen andere Aufgaben.
1987 strich sie die Wände ihres ersten „Matches“-Ladens in Wimbledon zusammen mit
ihrem Mann Tom noch selbst. Knapp 30 Jahre
später haben die beiden aus diesen Anfängen
ein globales Modeimperium gebaut. Rund
400 Labels verschicken sie an Kunden und
Kundinnen in 195 Länder. Chapman steht für
individuelle Beratung und ein sicheres Ge-
spür für interessante Newcomer. Und auch zu
Hause bei den Chapmans ist einiges los: Einen
Sohn und zwei Töchter im Alter von 22, 20
und 16 Jahren hat das Paar. Einige typische Generationenkonflikte dürften jedoch bei dieser
Mutter nie eine Rolle gespielt haben: Von Mode versteht sie nämlich mindestens genauso
viel wie vom digitalen Zeitalter.
Das erste Gefühl, das einen in Zusammenhang
mit Ihrer Person beschleicht, ist zugegebenermaßen Neid: Haben Sie den größten virtuellen
Kleiderschrank der Welt, auf den man nach
Lust und Laune Zugriff haben kann?
Theoretisch ja, aber da ich so viel arbeite, habe ich wenig Zeit, mich darin in
Ruhe umzusehen. Und wenn
es dann doch einmal geht,
passiert es sehr oft, dass
unsere
Kundinnen
schneller waren als ich
und meine Lieblingssachen oft schon weg
sind.
Wie schafft man es,
von einer kleinen Boutique zum Global Player zu werden?
Wir haben über die
Jahre eine große Sensibilität für Luxusartikel entwickelt und ruhen uns nicht
auf unserem Status aus. Wenn
den Kunden etwas gefällt, füttern wir sie nicht endlos damit an. Wir wollen, dass sie
sich und wir uns weiterentwickeln – und das
hat funktioniert.
Der Händler als Mentor ist ein Traum, der oft
nicht in Erfüllung geht, weil die Kunden lieber
auf Altbewährtes setzen. Gerade Deutschland
ist da vergleichsweise konservativ.
Ja, es ist nicht einfach, Kunden anzuleiten. In
Deutschland sind sie sehr anspruchsvoll, aber
sie neigen auch zu Wiederholungskäufen. Als
ich dort war, fiel mir zum Beispiel auf, wie viele Frauen Valentino-Schuhe mit Nietenbesatz
trugen. Sie gehören dort scheinbar zur
Grundausstattung. In Berlin und München
gibt es aber auch Kunden, die die Grenzen
weiter ausloten.
Was können Sie uns noch über die Vorlieben
der Deutschen sagen?
Mir hat mal jemand gesagt: „Wenn du den
deutschen Markt erobern willst, musst
du diese zwei Labels – die ich jetzt nicht
nennen werde – anbieten.“ Aber wir verkaufen keine dieser beiden Marken, weil
sie nicht zu uns passen. Trotzdem sind
wir gut am deutschen Markt angekommen. Große Marken wie Isabel Marant,
Max Mara, Valentino und Saint
Laurent verkaufen sich in
Deutschland besonders gut. Im
Winter ist dort die Nachfrage nach
Mänteln außerdem auffallend
Tasche von Balenhoch.
ciaga exklusiv in
Chapmans OnlineShop
Und wie muss man sich die britische Kundin vorstellen?
Sie kennt sich sehr gut mit Mode
FRANTZESCO KANGARIS; MATCHESFASHION.COM (5)/INTERTOPICS
Kleid von
Jonathan
Saunders für
matchesfashion.com
aus, bis in die letzten Details. Außerdem ist sie
ziemlich glamourös. Auch sie mag die große
Designer wie Fendi oder Balenciaga, aber
auch kleinere Labels wie Erdem oder Mary
Katrantzou.
Sehe ich auf Ihrer Website in Berlin eine andere Auswahl an Kleidung als in Hongkong?
Nein, man sieht überall auf der Welt das Gleiche. In der Zukunft werden wir aber in der jeweiligen Sprache auf dem Markt erscheinen
und auch unsere Mode-Features mehr nach
den unterschiedlichen Ländern ausrichten.
Sie arbeiten mit Data- und Vor-Ort-Analysen
und haben ein ganzes Team von Einkäufern.
Inwiefern spielt Ihr persönlicher Stil in Ihrem
Unternehmen noch eine Rolle?
Historisch hat sicher vieles mit mir begonnen,
aber inzwischen tritt mein Stil eher in den
Hintergrund. Wir sind ein Team, und meine
Rolle ist es, Orientierung zu geben. Bei uns arbeiten Leute in allen Altersgruppen, es gibt
Frauen in den Zwanzigern, die wichtige Posten haben und jährlich für Millionen von
Pfund Ware einkaufen, aber auch Dreißigund Vierzigjährige und dann natürlich mich.
Dieser Mix der Perspektiven ist ganz wichtig.
Bestseller online:
Schuhe von
Joshua Sanders
Trotz aller Vielfalt ist die Modewelt auch langweiliger geworden, weil heutzutage fast alles
überall auf der Welt erhältlich ist. Früher fuhr
man nach London und kaufte sich ein paar
Schuhe, die es nur dort gab. Das ist heute fast
unmöglich geworden.
Stimmt, das ist ein Problem. Deshalb ist die
Auswahl das, was uns ausmacht und von anderen unterscheidet. Es bedeutet, dass wir, wenn
wir große Marken einkaufen, immer schauen,
dass wir eine möglichst außergewöhnliche
Selektion treffen. Wir kaufen nichts, was man
zum Beispiel auch an einem Flughafen finden
würde. Selbst im Denimbereich setzen wir
nur auf besondere Stücke. Dann haben wir exklusive Kollaborationen mit Designern, zum
Beispiel kommt demnächst eine Taschenkollektion von Mary Katrantzou bei uns heraus.
Zusätzlich legen wir großen Wert darauf, jede
Saison neue Talente zu finden und sie bei uns
zu präsentieren. Die Suche nach dem Besonderen treibt uns an. Gerade haben wir in Paris
das Hutlabel Gigi Burris entdeckt. Wir wollen,
dass die Leute sagen: „Wow, toll, wo hast du
das denn her?“ Damit überträgt sich die Rolle
des Mentors auch auf den Kunden.
Was muss ich als junger Designer tun, um von
Ihnen zur Kenntnis genommen zu werden?
Das Wichtigste ist, dass Sie Ihre eigene DNA
haben. Es muss eine große Kreativität erkennbar sein. Das Produkt muss gut gemacht sein,
und die Produktion muss laufen. Und Sie
müssen bereit sein, hart zu arbeiten, denn wir
suchen nach Leuten, mit denen wir langfristig
etwas aufbauen können. Es reicht jedenfalls
nicht, nur eine tolle Idee zu haben. Marcus Almeida ist dafür ein gutes Beispiel. Wir haben
mit ihm von Anfang an gearbeitet, viele haben
ihn kopiert, aber er ist sich treu geblieben.
Oder Manzur Gavriel – sie haben im Prinzip
ein geniales Produkt entwickelt, das total zu
ihnen passt. Auch sie werden oft kopiert, aber
es klappt nicht, denn die Käuferin ist intelligent. Und wenn wir irgendwo anders eine Kopie sehen, würden wir sie nie kaufen, auch
wenn sie nur halb so teuer wäre.
Auf der anderen Seite gibt es immer noch einige Designer, die ihre Kleidung nicht in einem
Online-Shop sehen wollen – egal wie gut die
Präsentation ist.
Viele haben Angst, dass der Luxusaspekt ihrer
Arbeit nicht ausreichend transportiert wird.
Aber inzwischen merken sie auch, dass sie ins
Hintertreffen geraten werden, wenn sie nicht
mitmachen. Deshalb ist es so wichtig, dass Unternehmen wie wir auf jedes Detail achten.
Der richtige Vertrieb ist der Dreh- und Angelpunkt einer Marke.
Als Sie 2007 matchesfashion.com gründeten,
war das noch eine Zeit, als viele Leute sagten,
dass es unmöglich sei, hochpreisige Designermode erfolgreich online zu verkaufen. Das hat
sich nicht bewahrheitet.
Ja, und wir stehen immer noch am Anfang,
wir sehen gerade überhaupt nur die Spitze
des Eisbergs. Trotzdem glaube ich an das intelligente Zusammenspiel von echten und virtuellen Shops. Beides hat seine Vor- und Nachteile, und es ist gut, beides miteinander zu verbinden. Im Prinzip geht es in beiden Welten
um qualitativ hochwertige Erfahrungen.
Viele Ladenbesitzer beklagen sich, dass die
Verkaufszyklen durch das Onlineangebot immer kürzer werden. Die Sales starten immer
früher und schnüren ihnen die Kehle zu. Sie
sind in beiden Welten zu Hause. Wie halten Sie
es mit dem Problem?
Ansatzweise kann ich das nachvollziehen. Bei
uns geht der Sale Mitte Juni und kurz nach
Weihnachten los – alles andere wäre verrückt.
Ich glaube, dass erfolgreiche Händler sich
nicht auf zu frühe Daten einlassen sollten, es
gefällt auch den Designern überhaupt nicht.
Auch sonst beschleunigt sich alles mehr und
mehr: Ständig gibt es irgendwo eine neue Kollektion, Fashion Weeks finden in abgelegenen
Städten statt. Das Angebot ist so überwältigend, dass man manchmal keine Lust mehr
hat, überhaupt noch etwas zu kaufen.
Die limitierte Tasche
von Mary Katrantzou
gibt es nur im
Online-Shop
Wenn bei uns neue Labels dazukommen,
müssen wir uns im Gegenzug von anderen
verabschieden. Es kommt alles auf den Zuschnitt an. Es gibt viel Neues und viel Lärm
drumherum, es ist unser Job, das zu filtern.
Luxuriöse Knappheit:
Bikinioberteile von Kini
sind schnell ausverkauft
Wie groß ist denn nun Ihr echter Kleiderschrank?
Nicht so groß, wie man denken würde – obwohl mein Mann das wahrscheinlich anders
sieht. Im Schlafzimmer habe ich einen
Schrank mit den Sachen, die ich jeden Tag anziehe, und in einem anderen Schlafzimmer
steht noch ein Schrank, wo die Sachen aus der
jeweils anderen Saison hängen. Zweimal im
Jahr wird umgehängt, dabei miste ich aus und
füge Neues hinzu. Aber ja, ich gebe tatsächlich
viel Geld für Kleidung aus.
Interessieren sich Ihre Kinder für Mode?
Ja – sie lieben sie, und meine zwanzigjährige
Tochter würde am liebsten wie verrückt zuschlagen, wenn sie dürfte. Ab und zu erlaube
ich, dass sie sich etwas aussucht. Das Tolle ist:
Wenn sie dann etwas bekommt, so wie neulich eine winzige Weste von Saint Laurent
oder eine Stella McCartney-Bomberjacke, die
sie sich so sehr gewünscht hat, dann zieht sie
das Stück gar nicht mehr aus.
Wie ist das bei Ihnen? Bekommen Sie noch einen emotionalen Kick von Mode?
Total! Im Team kennen wir dieses Gefühl
auch. Gerade erst ging es uns so bei der
Designerin Grace Wales Bonner. Ihre Show
am Central Saint Martins war so wunderschön! Sie ist noch nicht so weit, dass man die
Sachen wirklich einkaufen kann, aber als ich
nach der Show zurück ins Büro kam, sagte ich zu allen Mitarbeitern: „Packt eure
Sachen, geht dort hin und schaut euch
die Sachen an.“ Ich bin mir sicher,
dass sie es zu etwas bringen wird,
denn ihre Vision ist sehr kraftvoll,
und die Liebe zum Produkt ist klar
zu erkennen.
Und bei einzelnen Teilen?
Sie können bei mir auch
noch eine starke Wirkung entfalten, aber
wenn ich etwas nicht bekommen kann, macht es
mir nichts mehr aus. Da
bin ich sofort drüber
hinweg.
Lassen Sie die Modewelt manchmal komplett
hinter sich?
Ja, zuletzt war ich Skifahren. Es ist wichtig,
zwischendurch seinen Körper und auch seinen Geist auf andere Art einzusetzen. Das ist
das beste Mittel, um abzuschalten.
27
dige Identität, darum, wer ich sein könnte und
wollte. Das hatte aber etwas sehr Befreiendes.
Meine Ideen nahmen plötzlich Form an.
NACHWUCHS
Alles Rocha
Was ist Mode für Sie: Ist sie Kleidung, ein Lifestyle oder eine Haltung?
Ganz klar Kleidung, kein Trend, keine Szene.
Mir geht es darum, wie man sich darin fühlt.
Mich interessiert die persönliche Sammlung
von Kleidung als das, was man erlebt, verdaut
und dann hinter sich lässt.
Alltag und Kunst sind ihre Inspiration: Seit einigen Saisons wird
Simone Rocha als eines der größten Talente der Designszene
gehandelt. Wir haben sie im alten Arbeiterviertel Islington getroffen
Die Begriffe Zeitgeist und Zeitlosigkeit ...
... finde ich eine schöne Kombination. Mir
ist wichtig, dass meine Mode zeitlos ist. Ein ‚it
bag‘-Gefühl interessiert mich nicht. Etwas,
was gehypt wird und, sobald es nicht mehr ‚in‘
ist, seinen Wert verliert, ist Zeitverlust.
E
ALEX FRANCO; GETTY IMAGES (2); SIMONE ROCHA
rst 2010 gab die irische Modedesignerin Simone Rocha ihr Debüt bei der
Londoner Modewoche, frisch vom
Central Saint Martins College. In dieser kurzen Zeit ist ihr bereits ein unverkennbares Markenzeichen gelungen: ihr Brogue-Schuh, ein ursprünglich klassischer Männerschuh mit
Lochmuster, feminin abgeändert
durch einen durchsichtigen Absatz. Simone ist die Tochter des berühmten chinesisch-portugiesischen Modemachers und
Künstlers John Rocha. Ihre irische Mutter
Odette ist ihre Produktmanagerin, und Bruder Max kümmert sich um die Musik für ihre
Shows. Der progressiven Modewelt, inklusive
Suzy Menkes, Anna Wintour, Rei Kawakubo
und Karl Lagerfeld ist sie sofort aufgefallen.
Das Interview findet im Londoner Stadtteil Islington statt, einer Gegend, in der viele alte
Lager in Ateliers für Künstler und Designer
umgestaltet wurden. Die Atmosphäre in ihrem hellen Studio ist an diesem Aprilmorgen
„ungewöhnlich ruhig und konzentriert“. Die
Mitarbeiter und sie bereiten die neue Saison
vor, während von der Wand ein Triptychon
von Francis Bacon in flammenden Fleischfarben die Ruhe aufwühlt. Mit solchen Kunstwerken ist die 29-jährige Irin aufgewachsen.
Welche Rolle spielt Ihr Vater? Wussten Sie früh,
dass Sie Modedesignerin werden wollten?
Es war kein Heureka-Moment. Vielleicht liegt
der Grund, warum ich mich so wohlfühle,
auch darin, dass ich mit Mode aufgewachsen
bin. Ich war ständig bei meinem Vater im Studio. Ich habe all die Höhen und Tiefen des täglichen Lebens und seiner Karriere mitbekommen. Ich bin mit dem Wissen aufgewachsen,
was es heißt, ein eigenes Label zu führen. Dadurch nehme ich das alles auch nicht zu ernst.
28
Welchen Einfluss hatte Louise Wilson, die
jüngst verstorbene, legendäre Leiterin des Mas-
Wie gehen Sie eine neue Kollektion an?
Ich zeichne kaum. Ich bin nicht gut im Zeichnen. Ich habe also eine Idee und versuche diese, so gut ich kann, zu erklären. Im Moment
bin ich sehr an Volumen interessiert. Ärmel
interessieren mich dabei besonders. Dazu habe ich mir viktorianische Frauenbilder angesehen und recherchiert, um die Idee genau erfassen zu können. Gleichzeitig fange ich an,
mich mit möglichen Materialien zu beschäftigen, mit Handarbeiten und Stickereien. Und
ich bin immer auf der Suche nach Kontrasten.
Wie schwierig ist es, unabhängig zu bleiben? Selbst Dries Van Noten bekommt immer wieder Übernahme-Angebote.
Es ist kein leichter Weg. Und ich bewundere Dries Van Noten auch dafür, dass es
ihm gelingt, unabhängig zu bleiben. Es ist
ein Luxus, aber es ist auch wahnsinnig
viel Arbeit. Immerhin erlaubt es einem,
seine eigenen Fehler zu machen, die eigenen Hochs und Tiefs zu erleben.
Was inspiriert Sie am stärksten?
Es ist ein Mix aus den Menschen, die mir tagtäglich begegnen, aus Alltagssituationen,
denn die Idee von Realität ist mir für meine
Arbeit ganz wichtig. Oder die Arbeiten von
Künstlern, die ich bewundere – wie Louise
Bourgeois, Francis Bacon, Lucian Freud.
Ihre letzte Kollektion war von der spät entdeckten französisch-amerikanischen Bildhauerin
Louise Bourgeois beeinflusst. Haben Sie ihre
Ausstellung in München gesehen?
Ja, ich war sogar zur Eröffnung dort. Eine außergewöhnliche Ausstellung. Ihre Arbeit ist
sehr persönlich. Ihre Eltern haben Teppiche
restauriert, dann hat Louise selbst Teppiche
gemacht, und ich arbeite mit Teppichmaterial
für meine Kleider. Deshalb war meine letzte
Show eine Hommage auf Louise Bourgeois.
Als der Designer Haider Ackermann von Lagerfeld so gelobt wurde wie Sie jetzt, haben die
Medien spekuliert, er sei der mögliche Nachfolger bei Chanel. Könnten Sie sich vorstellen, zu
einem solchen Label zu wechseln?
Im Moment bin ich sehr glücklich mit meinem eigenen Label. Aber wer weiß? Ich bin
jemand, der Dinge ungern ausschließt. Chanel abzusagen wäre jedenfalls so gut wie unmöglich. (lacht)
So stellt sich Simone Rocha den kommenden
Herbst und Winter vor: Runway-Stücke aus
ihrer aktuellen Kollektion
terstudiengangs Fashion und Design am Saint
Martins College in London auf Ihr Design?
Sie hat mir immens dabei geholfen, mir über
mich selbst und meine eigene Biografie bewusst zu werden. Dabei war sie sehr schwierig
und streng. Aber ihre Strenge kam aus einer
Liebe heraus. Die Begegnung und die Reibung mit ihr haben mich als Designerin auf
den Weg gebracht. Ich kam frisch aus Irland,
mein Vater ist sehr bekannt dort, ich hatte lauter Ideen, die ich aufgeschnappt hatte. Das
war Louise Wilson alles egal: Sie wollte wissen, wer ich bin, es ging um meine eigenstän-
Wie wichtig ist das Material, die Stoffe, mit
denen Sie arbeiten?
Ganz wesentlich. Viele Stoffe entwickeln
wir selbst. Dazu arbeiten
wir mit traditionellen Webereien und Stickereien.
Das Handwerk ist das A
und O für mich, die Haptik
auch. Das sind die Grundwerkzeuge, und das
Allererste, worum ich mich kümmere.
Was tragen Sie gern?
Mich selbst, Stücke meines Vaters, Silhouetten von Comme des Garçons und häufig auch
Vintage-Petticoats oder Vintage-Schuhe.
Auch Ihre Schuhe, die Brogues?
Ja. Ich hatte überlegt, wie ich diesen traditionell männlichen Schuh femininer gestalten
kann. Da kam mir die Idee, ihm einen Absatz
zu geben. Außerdem wollte ich eine Art
Trompe-l’Œil kreieren, so habe ich den Absatz
durchsichtig gemacht. Von Weitem betrachtet, sieht es so aus, als stünde man auf den Zehenspitzen, man sieht den Absatz nicht.
Birte Carolin Sebastian
ACCESSOIRES
Check them out, lads: Slipons von Louis Vuitton
Lebe
lieber
lustig
Alles im grünen Bereich:
Fransen-Tasche von Hunter
„Humor ist
der Regenschirm
der Weisen“,
schrieb Erich
Kästner.
Für alle, die auf Flaggen fliegen:
„Britannia Skull Box-Clutch“ von
Alexander McQueen über net-aporter.com
Und deshalb
hat man im
feuchten
Großbritannien
wohl auch
Keen on Queen Elizabeth I:
iPhone Hülle über zazzle.de
Dürfen wir Sie anstiften? Tasche von
Anya Hindmarch über
stylebop.com
Hello, Kitten! Handtasche von
Charlotte Olympia via
mytheresa.com
einen Sinn für
trockenen
Tomato-Time: Uhr
„New Gent“ von
Swatch
Humor
entwickelt.
In diesem Sinne:
Ein paar spaßige
Begleiter
Tartan to go: Die Sneaker
sind von Chiara Ferragni
über reyerlooks.com
Gärtnerinnen-Glück: LederShopper von Radley London
Jetzt geht’s rund:
Brille von Paul Smith
Cheerry up! Clutch von Saint Laurent
ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER; FOTOS: HERSTELLER
Say Pleeease!
Tasche von
Diane von
Furstenberg
Fun in the sun: Roter
Wayfarer von Ray Ban
So hundsome! Limited Edition
Clutch von Jimmy Choo
Damit jagt man
gern den Hund
vor die Tür:
Gummistiefel
von Tom Joule
gibt’s über
zalando.de
Patriotischer
Standpunkt: Die
Boots sind von
Dr Martens
29
TALENTE
BIG IN LONDON
Was hat London mit New York gemein? Richtig, wer
es hier geschafft hat, schafft es überall. Das gilt
besonders für die Kreativbranche. Paul Smith hat für
uns spannende, aufstrebende Deutsche im
„Balthazar“-Restaurant in Porträts festgehalten.
Wir finden, der Erfolg steht ihnen gut
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FOTOS: PAUL SMITH,
INTERVIEWS: INGA GRIESE
STYLING: TANJA MARTIN
MAKE-UP: NAOKO SCINTU
HAARE: LARRY KING
PRODUKTION: CHLOE RIDLEY C/O ABOUD CREATIVE
Trenchcoat und Kleid:
Stella McCartney. Stiefelette: Louis Vuitton
JULE WAIBEL, KÜNSTLERIN UND PRODUKT-DESIGNERIN
Ich bin von Stuttgart nach London gezogen, um meinen Master in Produktdesign zu machen. Im ersten Jahr war mir die ganze Zeit ein bisschen
schlecht vor Anstrengung. Das College, an dem ich war, fordert wahnsinnig viel, und sie kitzeln nach allen Regeln der Kunst deinen eigenen Stil
aus dir heraus. In Deutschland ging es immer nur um „Form follows Function“ und die Nachwehen des Bauhauses. Davon musste ich hier ablassen. Ich weiß noch, wie meine Tutorin zu mir gesagt hat: „Jule, es ist auch okay, wenn es nur schön ausschaut.“ Ich habe mich dann auf Objekte
in Falttechniken spezialisiert, meine Abschlussarbeit war ein Kleid, das ich dann im Anschluss für Bershka für 75 Länder und Schaufenster interpretiert habe. Inzwischen habe ich eine Reihe Sitzmöbel aus gefaltetem Wollfilz entworfen, die auf der Messe in Köln erfolgreich gezeigt wurde.
Ich hätte davor nie gedacht, dass ich mich selbstständig mache. Diese Option wurde mir in Deutschland niemals aufgezeigt. Doch hier lernt
man: Es ist alles möglich. Man muss halt Mut haben und daran glauben. Ich brauche London auch, um mich in meinem Weg zu bestärken.
Sakko und Hose: Lanvin. T-Shirt: Paul Smith. Socken: Item M6. Turnschuhe: Agnès B.
RONALD DICK, MODEFOTOGRAF
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Mein Vater musste 1990 von Stuttgart aus beruflich nach London, da war ich 17 Jahre alt und ging natürlich mit. Ich fand es damals super, aus dem Nest rauszukommen. Meine Fotografen-Karriere habe ich mir nach und nach selbst aufgebaut, erst über die Werbung, aber heute mache ich vor allem Modefotografie.
Für Paul Smith habe ich unter anderem die Kampagne für „Paul Smith Jeans“ fotografiert. Ich lebe nun schon seit Jahren in Hackney, im Osten Londons, und
hier hat sich viel verändert. Einerseits ist die Infrastruktur mit vielen Cafés und Galerien sehr praktisch, andererseits ziehen viele interessante Leute, denen es hier
zu teuer wird, nach und nach weg. Am Wochenende ist es oft unerträglich überlaufen. Zum Glück bin auch ich viel unterwegs. In Berlin habe ich inzwischen
einen eingeschworenen Kreis von Freunden und Kollegen, mit denen ich gerne arbeite. Lustigerweise sind viele von ihnen auch aus Schwaben, allerdings habe
ich sie erst in Berlin kennengelernt. Mein anderes Standbein ist im Moment Kuala Lumpur, denn dort lebt gerade meine Freundin.
ILKA DUNN, CEO BEI „SWAMI’S“
Bluse und Mantel von Prada. Schuhe: Sonia Rykiel
Ich bin Berlinerin in vierter Generation, habe über 30 Jahre
dort gelebt und dachte dann: Alle Menschen ziehen nach Berlin,
ich will jetzt auch mal was Größeres machen – und ging nach
London. Ich kannte niemanden dort, jemand hatte mir empfohlen, mich bei Giles Dunn, dem Gründer vom Surflabel „Swami’s“ zu melden, er könne aushelfen. Giles hat mich am Paddington Bahnhof abgeholt und der Rest ist Geschichte: Heute
bin ich CEO bei „Swami’s“ und wir haben mittlerweile einen
zweijährigen Sohn. Giles hat „Swami’s“ 2000 gegründet. Wir
haben schon mit Paul Smith kooperiert, verkaufen bei „Colette“
in Paris. Wir entwerfen Bikinis, Surfshirts und maßgeschneiderte
Wetsuits. Die bestellen Leute aus aller Welt, sogar aus Oman. In
London gibt es eine große Surf-Community, die raus nach Cornwall fährt. Morgens um drei oder vier Uhr geht’s los um den
richtig guten „Swell“ zu kriegen. Es gibt sogar eine Website, da
organisieren sich Cornwall-Fahrgemeinschaften. Ich bin durch
meinen Mann vor sechs Jahren zum Surfen gekommen, habe
aber großen Respekt vor dem Wasser. London ist unheimlich
inspirierend, die Menschen kommen aus aller Welt und bringen
eine unglaubliche Dynamik mit, die ich in Deutschland nicht
spüre. Berlin ist dagegen immer noch ein Dorf, und
abgesehen vom Nachtleben, ist es auch nicht so wild.
OPHELIA FINKE, KÜNSTLERIN
Nach London ging es für mich sehr schnell. Nachts rief das Central Saint Martins College bei mir an und bot mir einen Platz in einem laufenden Kurs an. Drei Tage später saß ich im Flugzeug gen London. Bei 30 Tagen Regen im Monat sprießen natürlich auch die Ideen. Jetzt
arbeite ich gerade bei Tobias Rehberger und bereite mich auf mein Medizinstudium in Ulm vor. London ist zwar inspirierend, aber ich habe
auch etwas Heimweh nach Frankfurt, wo ich aufgewachsen bin. Heimweh nach meiner Familie, nach grünen Bäumen, Fachwerkhäusern und
der Rathausglocke zur Mittagsstunde. Wenn ich an der Kunst dranbleibe, dann hätte ich am liebsten ein Studio in der Natur.
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Jumpsuit und Gürtel: Christian Dior. Schuhe: Chanel
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Anzug und Pullover: Paul
Smith. Basecap: privat
Hose und Pullover
von Paul Smith
ANNETTE HULTZSCH, STRICK-DESIGNERIN
STEFAN ZSCHERNITZ, FOTOGRAF
Nach London kam ich zum Studieren. Heute bin ich selbst Tutorin für
Strickdesign am „Royal College of Art“ und am „Central Saint Martins
College“ in London sowie an der „École de la Chambre Syndicale de la
Couture Parisienne“. Außerdem arbeite ich bei Paul Smith für die Männerund Frauen-Mainline im Strickbereich. Für jemanden wie mich, der in
Wiesbaden aufgewachsen ist, ist das Leben hier in London vielfältig, offen
und anregend. Manchmal habe ich aber Heimweh – nach Freunden und
der Familie, oder den kleinen Dingen wie Brezeln und Spundekäs.
In London kann man sich nicht ausruhen. Man muss eine Mission haben und die dann
durchziehen. Von daher ist diese Stadt für mich und meine Arbeit im Moment der richtige
Ort. Als ich hierherzog, bin ich einfach losgegangen und habe mich mit meiner Arbeit bei
Magazinen beworben, und irgendwann hat es dann geklappt. Ich komme aus Hannover,
habe zwischendurch schon in Schweden gelebt und in meinem Kopf gehen die Sprachen
oft durcheinander. Meine wichtigsten Gedanken kommen mir aber sowieso als Bilder. Für
immer festlegen kann ich mich auf London jedoch nicht. Meine Freundin ist Dänin und ich
könnte mir vorstellen, dass wir irgendwann einmal nach Kopenhagen oder Berlin ziehen.
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MORITZ WALDEMEYER, LICHT-DESIGNER UND INGENIEUR
Zum Glück habe ich in London einen Fuß in die Tür gekriegt, bevor hier der Wahnsinn mit der
Immobilienspekulation losging, denn es ist schon 20 Jahre her, dass ich von Halle an der Saale
hierhergezogen bin. Das heißt, es tangiert mich nur bedingt, aber gefallen tut es mir trotzdem
nicht. Ich bin Lichtdesigner und arbeite am liebsten skulptural oder mit bewegtem Licht.
Technisch gesehen, ist diese Arbeit inzwischen hochkomplex: Alles läuft mit LEDs heutzutage,
die von Chips gesteuert werden, für die eine eigene Software geschrieben werden muss. Die
Schaltkreise bauen wir auch selbst. Dabei ist Licht im Grunde eine hochemotionale Angelegenheit, denn eine bestimmte Lichtstimmung zielt immer auch auf das Unterbewusste. Und
mein Talent ist glaube ich auch, dass ich bestimmte Stimmungen intuitiv einfangen kann.
Heimweh habe ich gar nicht – dazu ist hier zu viel los.
Blazer: Dior. T-Shirt: American Apparel. Schal aus Veloursleder: Hermès
HANNA PUTZ, KÜNSTLERIN
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Ich habe viele Jahre gemodelt, mache es auch heute noch ab und zu.
Mein Hauptfokus liegt aber inzwischen auf meiner Arbeit als Künstlerin.
Wenn man modelt, dann wird man als Körper und als Persönlichkeit
bewertet. Bei mir gab es irgendwann den Drang, stattdessen etwas aus
meinem Inneren zu schöpfen und nach außen zu stellen, damit es
bewertet werden kann. Ich bin froh, diesen Weg eingeschlagen zu
haben und es läuft gut. Nach London, in diese geschäftssüchtige und
geschäftstüchtige Stadt, bin ich der Liebe wegen gekommen. Die
Beziehung gibt es inzwischen nicht mehr, die Liebe zu London ist
geblieben. Als Ausgleich verbringe ich jedoch noch immer viel Zeit in
meiner Heimatstadt Wien. Dort komme ich gut runter, London gibt mir
dann wieder neue Energie. Hier sind ja alle ständig in Bewegung, die
Stadt fordert viel von einem. Alle haben Stress, aber der Stress treibt
einen an und bringt alle zusammen. Das ist dann wieder positiv.
Anzug: Paul Smith. Pullover:
Jil Sander. Schuhe: Prada
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DENNIS SCHOENBERG,
FOTOGRAF
Ich bin Fotograf in den Bereichen
Kunst, Mode und Porträts. Zunächst
wollte ich Film studieren, da war die
Stadt eine gute Adresse, und New
York war für mich damals zu teuer.
London ist eine sehr schnell getaktete
Stadt und besonders kulturell ist sie für
mich interessant. Ich habe ein großes
Interesse an Subkulturen, da gibt es in
London immer etwas Spannendes zu
entdecken. Ursprünglich komme ich
aus Wiesbaden, aber wenn man sein
halbes Leben in einer anderen Stadt
beziehungsweise in einem anderen
Land gelebt hat, stellt sich die Frage
nach der Heimat nicht mehr wirklich.
Inzwischen bin ich ziemlich auf London eingestellt, weshalb sich meine
beruflichen Ziele auch ganz einfach
unter „mehr Macht, mehr Ruhm, mehr
Geld“ zusammenfassen lassen.
Sakko: Jil Sander. Hemd: Dior. Jeans: privat
40
Kleid: Jil Sander. Den Schmuck hat sie selbst entworfen (tinalilienthal.com)
TINA LILIENTHAL, SCHMUCKDESIGNERIN
Mein Schmuck ist kein Statussymbol. Sein Wert lässt sich nicht an der Anzahl und Art der Steine messen. Die Einzigartigkeit meiner
Entwürfe liegt im Design und in den außergewöhnlichen Materialien. Zum Beispiel arbeiten wir viel mit einer Puderbeschichtung,
wie sie sonst nur im Industriedesign für Fahrräder oder Möbel eingesetzt wird. Oder wir verarbeiten Holzschnitzereien zusammen
mit wirklich kostbaren Materialien. Über die Jahre habe ich mir eine sehr loyale Kundschaft erarbeitet, sie kommt immer wieder, und
das bestärkt mich in meinem Konzept, mit jeder neuen Kollektion nicht einen Trend, sondern meine Identität weiter auszubauen. In
meine Heimatstadt Bonn werde ich wohl nicht wieder zurückkehren. Nach London kommt einem das einfach zu klein vor. Berlin
könnte ich mir schon eher vorstellen. Ich realisiere dort viele Fotoshootings für meine Kollektionen. Es ist eine aufregende Stadt,
aber leider ist dort kaum Geld im Umlauf. London wird von daher wohl noch einige Zeit mein Epizentrum bleiben.
41
Anzug: Gucci.
Hemd: Jil Sander
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PATRIK SCHUMACHER, ARCHITEKT BEI ZAHA HADID
Ich lebe in London, weil es eine Weltstadt ist und Deutschland mir zu provinziell ist. Mitte der 90erJahre war ich auch mal zwei Jahre in Berlin. Das war spannend, aber am Ende zog es mich dann doch
zurück nach London. Mir erscheint hier nicht alles so kompliziert, man zeigt sein Portfolio und kann
anfangen zu arbeiten. Als Architekt baue ich heute am liebsten große, innerstädtische Komplexe.
Wir haben ein paar schöne Sachen in Peking gemacht, auch in Seoul. In Asien zu bauen, ist wie ein
großes Abenteuer: Es macht etwas mehr Spaß, weil es schneller geht, und großzügiger und innovativer gebaut wird. Was manchmal nicht so ideal ist, sind die Organisationsstrukturen und manchmal
auch die Qualität. England und Europa sind nach wie vor die „High Value“-Projekte und da inzwischen auch immer mehr europäische Architekten in New York arbeiten, entsteht dort auch eine neue
Art von Qualität. New York wäre übrigens auf dem zweiten Platz der Städte, in denen ich leben
könnte. Allerdings ein abgeschlagener zweiter Platz – nach London.
Anzug: Paul Smith. Hemd: privat
Smoking-Jacke: Paul Smith. T-Shirt: privat
AXEL HOEDT, FOTOGRAF
Ich bin 1998 nach London gezogen, habe nach dem Studium alles ins Auto gepackt, mich neu orientiert. Es war damals eine rein emotionale Entscheidung. Ich komme aus Freiburg, habe in Bielefeld
studiert, dann in Hamburg gearbeitet. Finanziell war es eher keine gute Entscheidung hierherzuziehen,
da hätte ich besser schön brav in Hamburg bleiben sollen. Aber London ist definitiv spannender,
fotografisch orientiert man sich hier einfach mehr nach vorn. Zurück will ich trotz vieler deutscher
Kunden nicht. Ich bin immer froh, wenn man in meinen Bildern einen unterschwelligen Humor entdeckt. Paul Smith habe ich schon zweimal fotografiert, vielleicht hat er ja ein Bild von mir aufgehängt.
JONAS LENCER, ARCHITEKT BEI dRMM
Als ich 2004 nach London kam, war ich ein gelangweilter Architekturstudent, der endlich bauen wollte. Da ich kein Geld für ein Portfolio
hatte, druckte ich einfach eine dreidimensionale Zeichnung von mir aus und bewarb mich beim Architekturbüro „de Rijke Marsh Morgan“.
Dort bekam ich einen Job als Praktikant – und arbeite heute immer noch dort. Was ich am meisten an London mag, ist, dass es vor allem
darum geht, was du kannst und leistest. Alter? Ausbildung? Herkunft? Zweitrangig, solange du dein Ding erfolgreich durchziehst. Mit 25 und
ohne Diplom habe ich mein erstes 31-stöckiges Gebäude gebaut. Ich habe praktisch nicht geschlafen und meine mangelnde Erfahrung durch
mehr Arbeit kompensiert. Und natürlich haben meine Chefs mich damals sehr gut angeleitet. Heute arbeiten in unserem Büro 45 Leute aus
20 Ländern. Ich muss nirgendwo mehr hinziehen, ich habe meinen Traumjob in meiner Traumstadt gefunden.
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Das komplette Outfit entstammt ihrem eigenen Label Felder + Felder
DANIELA FELDER, MODEDESIGNERIN
Meine Schwester und ich kommen ursprünglich aus Wipperfürth, in der Nähe von Köln, und meine Mutter hat
immer zu uns gesagt: „Wenn ihr Mode machen wollt, dann müsst ihr am Central Saint Martins studieren.“
Daraufhin haben wir gesagt: „Okay, dann machen wir das auch.“ Und es hat geklappt, Gott sei Dank. Während
des Studiums haben wir uns ein Netzwerk aufgebaut, aber mit der Gründung unseres Labels „Felder + Felder“
sind wir dann ins kalte Wasser gesprungen. Es ist viel harte Arbeit, aber es läuft gut. Toll ist, wie viel Unterstützung man hier von unterschiedlichen Seiten erhält, zum Beispiel vom „British Fashion Council“. Und ich denke
auch, es hat total geholfen, dass wir zu zweit waren, dass wir Zwillinge sind, denn alleine kann das schon mal
ganz schön frustrierend und einsam sein. Aber wir haben ja uns.
44
Alle waren beeindruckt.
Hanna Putz schneidet
sich diese Haare selbst
Die Garderobe wurde, ganz unkompliziert, im „Ladies Room“ vom
„Balthazar“ ausgebreitet. Das Shooting fand im ersten Stock des Restaurants in Covent Garden statt
Herz-Sandaletten von
Christian Louboutin
„Engelhaar“
Ophelia Finke
Ganz nah dran:
Jonas Lencer und ...
... Ilka Dunn ...
Ananas-Slipper von Christian Louboutin
Very British: Tischdekoration im „Balthazar“
... und Ronald Dick
Unprätentiös: Jule Waibel beim Umziehen
Rote Ledertasche von Louis Vuitton
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„Great guys, great girls – indeed“
PAU L S M I T H
GIPFELTREFFEN
Paul Smith (links)
und David Chipperfield (rechts) in
Paul Smiths Büro in
London
„Berlin hat fast zu viel Geschichte“
David Chipperfield, auch einer der berühmten Engländer, hat die zeitgenössische Architektur in Deutschland
entscheidend geprägt. Sein Freund Paul Smith sprach mit ihm darüber, wie sich das anfühlt
D
er Mann ist gefragt wie
nie und baut, als gäbe es
morgen keine Freiflächen mehr. Er hat Büros
in London, Berlin, Mailand und Shanghai. Die
neuesten Projekte: David Chipperfield entwirft ein Museum am Rande archäologischer
Ausgrabungsstätten im Sudan – pro bono versteht sich. Aus New York kam zuletzt der Auftrag, den Südwestflügel des Metropolitan Museum of Art neu zu gestalten, und auch Oberursel im Taunus meldet eine Kooperation. Zusammen mit den deutschen Möbeldesignern
e15 entstand unlängst eine Reihe von Holzbänken und Tischen. Keine Frage, auch wer mit
Superlativen eher knausert, wird gestehen,
dass Chipperfield einer der wenigen lebenden
Stararchitekten ist. In Deutschland hat er sich
zudem mit dem Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin und der bevorstehenden Sanierung der Neuen Nationalgalerie tief in die
kulturelle DNA des Landes eingeschrieben.
Wie gut, dass sich Paul Smith und David Chipperfield schon seit Jahrzehnten kennen und
schätzen und sich deshalb für ICON zu einer
Bestandsaufnahme trafen.
46
Paul Smith: Du hast eine starke Verbindung
zu Deutschland. Wie kam die zustande?
David Chipperfield: Mir war schon früh klar,
dass ich im Laufe meiner Karriere viel Zeit im
Flugzeug verbringen würde. Bis heute ist es
für junge Architekten hier bei uns schwierig,
mehr zu machen als eine kleine Bar, ein Interieur oder einen Hausanbau. In der Schweiz
und in Deutschland bekommen junge Architekten viel mehr Möglichkeiten: zum Beispiel
einen Erweiterungsanbau für die örtliche Bücherei zu entwerfen, die Stadthalle oder ein
Schwimmbad zu bauen, weil die öffentliche
Hand diese Aufträge ausschreibt. Es ist nicht
alles privatisiert. Allerdings war mein erster
Auftrag 1994 in Berlin, ein Privathaus zu bauen, und darauf folgte ein Studiobau in Düsseldorf.
Klingt nach einem guten Start.
Ja, aber so richtig ging es erst mit dem Wettbewerb für das Neue Museum los. Mitbewerber waren unter anderem Frank Gehry und
Giorgio Grassi, ich war der absolute Außenseiter. Das war 1994 – und der Museumsdirektor
wollte, dass Gehry gewinnt, was nicht der Fall
war. Wir belegten damals den zweiten Platz.
Dann gab es ein langes Hin und Her, und der
Wettbewerb wurde schließlich 1997 wiederholt – und wir gewannen! Bis zur Eröffnung
im Jahr 2009 folgten dann noch einmal zwölf
Jahre Planung und Bau.
Unglaublich.
Es war ein Projekt, das an viele deutsche Befindlichkeiten rührte. Vermutlich hätten wir
viele Probleme vermeiden können, wenn wir
das Haus einfach als Kopie wiederaufgebaut
hätten. Aber ich bestand auf einer Lösung, in
der die Ruine als Teil des Wiederaufbaus
sichtbar sein sollte. Dieser Plan wurde äußerst
kontrovers besprochen, fiel er doch in eine
Zeit, in der die Diskussionen über den Krieg,
über Erinnerung und den Blick nach vorn in
vollem Gange waren. In den 80er-Jahren gab
es vonseiten Deutschlands große Anstrengungen, diese Themen irgendwie in Einklang zu
bringen – dann fiel die Mauer in Berlin, und
alles ging wieder von vorn los. Wir sagen im-
mer, dass jede Stadt ihre Geschichte hat. Aber
Berlin hat fast zu viel davon.
Wie erhält man die alten Überreste und
schafft es, sie durch moderne Elemente schlüssig zu ergänzen?
Wenn ein Gebäude zum Beispiel über Nacht
abbrennt, dann haben die verkohlten Überreste erst einmal keinen eigenen Status. Wenn
jedoch ein Gebäude im Krieg zerbombt wird
und dann über 60 Jahre als Ruine dasteht,
dann ist die Ruine selbst zum Zeitdokument
geworden. Als wir dort hinkamen, wuchsen
Bäume im Inneren, es gab noch Wandbilder,
andere Teile fehlten völlig. Es war wirklich ein
überwältigender Anblick. Jeder, der diese
Ruine betrat, hatte eine Gänsehaut. Manchmal
sind Ruinen schöner als Architektur, weil sie
auf das Wesentliche reduziert sind. Und dann
verputzt man alles und restauriert, und plötzlich ist der Zauber dahin. Deshalb war meine
Herangehensweise, sich dem Gebäude wie einem archäologischen Objekt zu nähern, wie
einer beschädigten altgriechischen Vase oder
einer römischen Statue, bei der Teile fehlten.
Die würde man auch nicht einfach erneuern
und so tun, als sei das Objekt schon immer so
gewesen. Man würde es vielleicht vervollständigen wollen, aber dabei würde man genau
kennzeichnen, was man erneuert hat und was
ursprünglich vorhanden war.
Ich finde es interessant, dass du sehr viele Neubauten realisiert hast, dann aber sehr bekannt
dafür wurdest, dass du Projekte verwirklicht
hast, in denen sich Altes und Neues verbindet.
Es gab Demonstrationen, es gab Unterschriftensammlungen für ein Volksbegehren – ganz
Deutschland wurde in diese Debatte hinein-
gezogen. Und als das Museum dann eröffnete,
waren alle mit dem sichtbaren, fassbaren Ergebnis glücklich. Der Streit löste sich in Luft
auf. Angela Merkel eröffnete das Gebäude und
war begeistert. Und so wurde es eine Art architektonisches Symbol dafür, wie sich Geschichte in Architektur einbeziehen lässt.
Wie waren die Reaktionen der Besucher?
Die Leute begaben sich teilweise auf Hände
und Knie, um sich die Sachen genau anzusehen, sie anzufassen. Es war herzerwärmend,
ihre Zärtlichkeit gegenüber den Objekten zu
sehen. Skeptiker behaupten, dass heute keiner
mehr echte Qualität zu schätzen wisse, dass
niemand sagen könne, ob ein Fisch auf dem
Markt wirklich frisch ist, und dass keiner gutes Material zu erkennen imstande sei. Aber
Tatsache ist, dass die Menschen sehr wohl
Qualität erkennen.
Mit das Schwierigste bei der Architektur – und
das gilt sogar für die Innenraumgestaltung,
auch wenn ich die beiden nicht miteinander
vergleichen möchte – ist, dass der Auftraggeber sich das fertige Objekt vorher nicht vorstellen kann, oder?
Ich muss sagen, dass es in Deutschland ein besonderes Arbeitsklima gibt, weil man dort
über Ideen und Konzepte diskutiert. Das war
auch eine der erstaunlichsten Erfahrungen:
eine Gruppe von Menschen anzuleiten, die
sich über Konzepte streitet, aber dabei immer
über das Projekt spricht. Über Probleme im
Projektmanagement mussten wir uns dagegen kaum Sorgen machen.
Ich gehe davon aus, dass die Deutschen in diesen Dingen hervorragend sind.
Na ja, momentan haben sie etwas Probleme:
Beim Bau des neuen Berliner Flughafens gibt
es enorme Verzögerungen.
RONALD DICK; SMB; UTE ZSCHAMT FÜR DAVID CHIPPERFIELD ARCHITECTS (2); SIMON MENGES; DAVID VON BECKER; GETTY IMAGES (4)
Wer ist dafür verantwortlich?
Die Verantwortung wird herumgereicht. Momentan gibt es eine Krise in Berlin. Der Mut
scheint sie irgendwie verlassen zu haben – die
Staatsoper wird nicht rechtzeitig fertig, der
Bau der Landesbibliothek verzögert sich. Es
ist also gerade etwas schwierig.
Mode trifft Architektur: Kollektionsteile von Paul Smith (von links oben nach unten); Projekte von
David Chipperfield (von rechts oben nach unten): „Sticks and Stones" in der Neuen Nationalgalerie
Berlin, Wohn und Gewerbekomplex in Berlin-Mitte, Museum Turner Contemporary in Margate,
England, „Ägyptischer Hof“ im Neuen Museum in Berlin
Deine Ausstellung „Sticks and Stones“ in der
Neuen Nationalgalerie hingegen war ein riesiger Erfolg.
Dieser Raum ist fantastisch, aber er macht einen auch fertig, denn es ist schwer, dort etwas
auszustellen. Ich fühlte mich unsicher. Eine
Art Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie schien mir seltsam. Also schlug ich vor,
stattdessen etwas über Architektur zu machen. In der Zwischenzeit erhielten wir den
Auftrag, das Gebäude zu restaurieren, und so
ergab es sich, dass unsere Ausstellung die letzte vor der Schließung sein würde. Die Neue
Nationalgalerie ist eines der herausragenden
Gebäude in Berlin, es ist in vielerlei Hinsicht
Mies van der Rohes bester Bau, er stellt einen
Höhepunkt der modernen Architektur dar.
Außen- und Innenraum gehen gewissermaßen ineinander über. Und ich dachte mir, dass
es eine provokante Aussage wäre, diesen
Raum mit Säulen zu füllen – mit so vielen
Säulen, wie man 400 Jahre früher gebraucht
hätte. Das ist für mich ein spannender und ironischer Umgang mit van der Rohe, der es geschafft hat, all diese Säulen loszuwerden. Und
es ist eine räumliche, physische Erfahrung. 3
47
Inwiefern gehst du anders an ein Projekt heran, wenn du weißt, dass es eine temporäre Installation ist?
Ich habe gemerkt, dass es für mich dann
schwieriger ist, die Idee zu entwickeln. Paradoxerweise ist unsere Beziehung zum Miesvan-der-Rohe-Bau jetzt sehr viel langfristiger.
Wir haben fünf Jahre, um ihn buchstäblich in
seine Bestandteile zu zerlegen und dann wieder so zusammenzufügen, als wäre nichts gewesen.
Es ist also wirklich eine Restaurierung?
Ja. Ich vergleiche es gern mit einem alten
Mercedes, Baujahr 1968. Wenn man ihn auf
der Straße sieht, sagt man: „Wow, sieh nur!
Was für ein herrlicher Wagen!“ Bei näherer
Betrachtung und wenn man sich reinsetzt, erkennt man dann, dass er völlig verrostet ist
und die Sicherheitsgurte nicht mehr funktionieren. Um ihn fit zu machen, muss man sehr,
sehr viel tun. Mit der Neuen Nationalgalerie
ist es genauso: Wir müssen sie auseinandernehmen und wieder zusammenbauen, und
zwar so, dass sie hinterher besser funktioniert
als vorher. Dabei ist jedes einzelne Detail heilig, denn bei Mies van der Rohe dreht sich alles um die Details.
Du sagtest, dass der Raum sehr schwer zu nutzen sei. Wirst du daran etwas ändern können?
Nein, daran können wir nichts ändern. In den
vergangenen 47 Jahren haben sich die Menschen jedoch daran gewöhnt, den Bau so zu
nutzen, wie er ist. Außerdem reagiert die zeitgenössische Kunst inzwischen stärker auf
Räume. Heute arbeiten viele Künstler ganz
ohne Wände. Sie machen zum Beispiel Klanginstallationen – Jenny Holzer hatte dort eine
großartige Ausstellung.
Wie siehst du deine Rolle in Deutschland?
Ich bin erst gestern von dort zurückgekommen, und das Interessante ist, dass ich inzwischen stark in diese sehr deutschen Kulturdebatten einbezogen werde. Das gefällt mir. Und
ich nehme an, dass ich auch wegen des Neuen
Museums heute als eine Art Geschichtsvermittler gelte. Als eingeweihter Außenseiter
habe ich diese privilegierte Sonderstellung.
Du kennst das ja – es ist vermutlich ähnlich
wie bei dir in Japan. Als Ausländer kann man
Sachen machen, die sonst wahrscheinlich
nicht möglich wären – einfach weil man von
außen kommt.
Innenansicht der von David Chipperfield entworfenen
New Yorker Valentino-Boutique (oben); der Land Rover
„Defender“, ein Unikat im Design von Paul Smith (2015)
48
Ja, das kenne ich. Hier bin ich erfolgreich,
aber der Grad an Respekt ist ganz anders in
Ländern wie Frankreich, Italien oder Japan.
Weil man hier alles nur als Teil eines Finanzsystems wahrnimmt. Darum gibt es diesen,
wie ich finde, furchtbaren Begriff: „creative
industries“ (Kultur- und Kreativwirtschaft).
Wir müssen diesen Begriff hier verwenden,
weil es das einzige Konzept von Kultur ist, das
Politiker verstehen. Sie verstehen „Kultur“
nur, wenn man den Begriff so ergänzt, dass er
Möglichkeiten zum Geldverdienen suggeriert.
Wenn diese Leute also ein Museum in Wakefield bauen, dann deshalb, weil sie den Standort aufwerten wollen. Und ich habe immer gesagt: „Baut nur dann ein Museum in Wakefield, wenn ihr ein Museum in Wakefield haben wollt.“ Andernfalls ist es ein Desaster,
denn wen interessiert ein Museum, dass nur
zur Aufwertung gebaut wurde? Es wird den
Standort schon aufwerten, aber man muss es
auch um seiner selbst willen bauen wollen.
Andernfalls geht es ein.
Ich finde es spannend, dass du neben all diesen
faszinierenden Projekten auch Läden entwirfst.
Nun, das geht auf meine Anfänge zurück. Ich
habe damals das allererste Ladengeschäft für
Issey Miyake entworfen.
Um die Zeit haben wir uns richtig kennengelernt. Diese Art von Läden waren oft winzig,
aber wunderschön.
Der Erste, den ich entworfen habe, war in der
Sloane Street. Das war sozusagen der Startschuss für meine Karriere, was etwas peinlich
ist.
Jeder hat mal irgendwo angefangen! Mein
erster Laden war dreieinhalb mal dreieinhalb
Meter groß und hatte nur freitags und samstags geöffnet!
Ja, aber das ist dein Kerngeschäft, die Läden.
Das ist nicht das, was ich eigentlich mache.
Stimmt. Aber dann plötzlich für Valentino zu
arbeiten und diese wunderbaren Aufträge für
ihn zu machen – wirklich toll.
Ich denke, ich hätte nicht damit weitergemacht, wenn Valentino nicht gewesen wäre –
und ich muss sagen, dass Valentino einfach
ein super Unternehmen ist; es macht Spaß,
mit ihnen zu arbeiten. Als ich damals anfing,
war Valentino gerade gegangen, und keiner
wusste, was nach Valentino aus Valentino werden sollte. Der Umsatz war auch eingebrochen. Und irgendwie ist es mir gelungen, etwas zu entwerfen, das mit dazu beigetragen
hat, sich wieder zu festigen und klar zu werden. Das war, noch bevor Pierpaolo und Maria
Grazia mit einstiegen. Aber nachdem sie dabei waren, wurde es noch besser. Und es ist
einfach toll, mit ihnen zu arbeiten.
Bei Harrods verwendest du ziemlich harte
Oberflächen für die Valentino-Einrichtung.
Und sie werden immer härter und monumentaler, denn Valentino treibt uns mehr und
mehr dorthin. Interessant ist, dass es für sie
inzwischen zu einer Art Markenidentität geworden ist, das Strenge, Enthaltsame. Ein toller Kontrast zu der ornamentalen Kleidung.
Was reizt dich sonst an den Laden- und Interieurprojekten?
Manchmal arbeiten wir fünf Jahre an etwas,
und es bewegt sich nichts vorwärts. Eine Ladeneinrichtung ist dann eine willkommene
Abwechslung, denn sie wird in sechs oder
neun Monaten verwirklicht.
Außerdem
Sie und er
in Anzugkann
und
man an diesen Projekten
ganz
direkt
arbeiten.
Hemd von Paul Smith.
Ihre
Teilweise entwerfe
ich jedes Möbelstück
und
Velourleder-Heels:
Jimmy
jedes Hängesystem selbst.
Als
Architekt
mit
Choo. Seine Schuhe:
200 Mitarbeitern habe ebenfalls
ich heute Paul
sonstSmith
nicht
mehr die Chance, so etwas zu tun.
SANTI CALECA; PAUL SMITH
3 Ich fand es toll. Es war optisch eindrucksvoll.
Der Raum wirkte wie ein Tempel. Mir war es
etwas peinlich, denn es war wie eine Kunstinstallation. Und es ist ein bisschen sonderbar,
so etwas als Architekt zu machen. Wir haben
es dann damit gerechtfertigt, dass es die Abschlussausstellung war. Und natürlich hat es
auch einen doppelten Sinn, denn es sah ein
wenig wie ein Holzbaugerüst aus – und die
Restaurierung steht ja bevor.
ON THE ROAD
Unten: Mantel von
Mackintosh. Streifenshirt:
American Apparel
Oben: Beide Anzüge
sind, wie auch auf den
anderen Bildern, von
Paul Smith. Sofia trägt
High Heels von Jimmy
Choo. Joels Schuhe von
Paul Smith
Oben: Kurzmantel von
A.P.C. Pullover Acne.
Schuhe Margaret Howell
Links: Turnschuhe
von Valentino
Ein Anzug für alle(s)
Bei den diesjährigen Männerschauen in London stellte Paul Smith einen
knitterfreien Anzug vor, perfekt zum Reisen. Wir haben ihn gebeten, einfach mal
seinen Alleskönner alltagstauglich in Szene zu setzen – für sie und ihn
FOTOS: PAUL SMITH
STYLING: TANJA MARTIN; HAARE & MAKE-UP: DESMOND GRUNDY C/O CAROL HAYES MANAGEMENT
MODELS: SOFIA UND JOEL C/O SUPA; PRODUKTION: CHLOE RIDLEY C/O ABOUD CREATIVE
49
50
Linke Seite und hier klein:
Hemd und Schuhe von Chanel.
Unten: Sofias und Joels Turnschuhe sind von Adidas
Komplettes Outfit
von Paul Smith
Streifenshirt von
American Apparel
Weiße Bluse von
Paul Smith.
Bluse mit Herzprint
von Agnès B.
Joels bedrucktes Hemd
ist von Paul Smith
Sofia trägt ein Streifenshirt von Levi’s.
Turnschuhe: Adidas
51
Jeanshemd und
Gürtel von Paul
Smith. Turnschuhe: Adidas
Joel trägt
Schuhe und
eine Tasche
von Paul
Smith.
Rolli: John
Smedley
Bluse und Gürtel von
Paul Smith
T-Shirt: Acne.
Sandalen:
Birkenstock
Rolli: John Smedley. Jacke: Acne.
Sandalen: Margaret Howell
Veloursleder-Heels:
Jimmy Choo
52
ENTDECKUNGSREISE
Hidden Places
Sie glauben, London sei eine Stadt, die touristisch ausgeleuchtet ist? Diese
Tipps von Paul Smith eröffnen neue Seiten – Massimo Rodari fotografierte
Covent Garden
In den 70er-Jahren arbeitete ich als freiberuflicher Designer und hatte
den Traum, meinen eigenen Shop zu eröffnen. Mir war nicht klar, dass
die Ausgaben viel höher sein würden, als das, was ich zur Verfügung
hatte! In Covent Garden kannte ich mich gut aus. Damals war hier ein
Obst- und Gemüsemarkt, aber die Verkäufer zogen weg, deshalb gab es
all diese leer stehenden Gebäude. In der Gegend spielten viele Bands in
Clubs und leeren Lagerhallen, und ich fand mich in diesem Getriebe
gut zurecht und wusste, dass das der richtige Ort für mich wäre.
Ich leuchtete Briefkästen mit meiner Taschenlampe ab und entdeckte
so dieses großartige Gebäude, von dem ich fasziniert war, weil es aus
Beton und nicht aus Backstein war. Ich war ein großer Fan von Bauhaus
und Corbusier, also war es perfekt für mich. Schon 1976 konnte ich es
kaufen und glücklicherweise dann drei Jahre später dort mein Geschäft eröffnen. In den ersten Tagen war in dieser Gegend nicht viel los
und es war sehr schwierig, sich über Wasser zu halten. Aber nach und
nach änderte sich das und bald eröffneten viele wundervolle Läden; alternative Buchshops und Boutiquen von Jungdesignern. Wenn man
heute nach Covent Garden kommt, findet man eine sehr beliebte touristische Gegend vor, aber mein Shop steht immer noch in der Floral
Street und ist ein verstecktes Juwel im hektischen London.
den, um sie vor Licht zu schützen; man schiebt das Leder zur Seite und
stößt auf diese wunderschönen Kunstwerke. Gleich um die Ecke ist
Marylebone High Street, wo es viele Läden (natürlich auch von mir)
und tolle Cafés gibt.
Chelsea Physic Garden
Ein botanischer Garten voller Pflanzen, die von medizinischem Nutzen
sind. An einem sonnigen Tag kann man hier eine wunderbare Zeit verbringen. Es gibt ein sehr nettes Café und einen tollen Souvenirshop,
der auch Pflanzen verkauft.
Chiswick House and Gardens
Ursprünglich wurde das Haus im 19. Jahrhundert von Lord Burlington
entworfen, der sehr vom Renaissance-Architekten Andrea Palladio fasziniert war – und es hat auch einen sehr schönen Garten. Ich gehe oft in
die Gärten und auch in das Café, das von dem britischen Architekten
Caruso St John entworfen wurde, der auch das zeitgenössische Kunstmuseum in meiner Heimatsstadt Nottingham und die Erweiterung der
Tate Britain entworfen hatte. Abgesehen davon, dass das Café ein wunderschönes Gebäude ist, gibt es dort auch köstliche Käse-Sandwiches.
Holland Park
Wenn man den Holland Park betritt, im Herzen von Kensington und Chelsea, fühlt man sich sofort, als wäre man auf
dem Land. Es ist ganz normal, dort Eichhörnchen oder Hasen zu sehen, früher gab es hier sogar Flamingos und im
„Kyoto Garden“ liegen riesige Steine aus Japan. Ab 2016 endet eine Tour durch den Park nicht mehr im „Commonwealth Institute“, sondern im neuen „Design Museum“, das
von seinem jetzigen Standort nahe der Tower Bridge hierher zieht. Dort hatte ich letztes Jahr meine Ausstellung
„Hello, My Name is Paul Smith“. Die Restaurierung dieses
Gebäudes wurde von dem Architekten John Pawson geleitet, ein Freund von mir.
MOORE/JOHN SOANE'S MUSEUM
Sir John Soane’s Museum
Dies ist eines meiner Lieblingsmuseen, es gibt hier eine
verrückte, umfassende Mischung von Dingen, die Sir John
Soane sammelte. Er reiste viel und brachte Objekte und Artefakte aus der ganzen Welt mit. Das Museum war einmal
sein Haus, das aus drei Häusern zusammengesetzt wurde.
Der Hausherr war nämlich Architekt und entwarf unter anderem die „Bank of England“. Er experimentierte auch viel
in seinem eigenen Haus. Wo einst der Speisesaal war, stehen jetzt Hohlspiegel und wenn eine Kerze in diesem Zimmer brennt, erzeugen die Spiegel ein märchenhaftes Licht.
Es gibt auch eine riesige Sammlung von Bildern von WilKaktusinstallation in der Paul-Smith-Boutique, Albemarle Street 9. Rechts: Eichhörnchen im Holland Park
liam Hogarth. Sir John Soane besaß so viele davon, dass er
die Wände so entwarf, dass sie sich wie Türen öffneten, damit auf beiden Seiten ein Bild von Hogarth Platz hat. Er hat es meister- Kew Gardens
haft verstanden, viele Dinge in einem kleinen Raum unterzubringen. Aus der Vogelperspektive kann man Kew Gardens erleben. Auf erhobeDas Museum ist ein magischer Ort, vor allem, wenn man sich für Erfin- nen Pfaden spaziert man dort durch die Baumkronen und erhält so eine ganz neue Perspektive auf die Landschaft. Die Marianne North Galdungen interessiert.
lery ist zwar schwer zu finden, aber auf jeden Fall einen Besuch wert.
The Wallace Collection
Marianne North war eine Biologin und botanische Künstlerin im viktoDas ist ein kleines, feines Museum, das rianischen Zeitalter. Sie reiste leidenschaftlich gern um die Welt und
nicht weit von der Oxford Street am Spa- zeichnete viele Pflanzen, die ihr dabei begegneten, die vor Ort ausgenish Place in Marylebone liegt. Die stellt sind. In Kew gibt es auch die Sackler Bridge, die ebenfalls von
Sammlung stammt aus dem 19. Jahrhun- John Pawson entworfen wurde. Sie ist eine elegante Brücke, die aus
dert und gehörte ursprünglich Richard vertikalen Metallsäulen besteht. Sie suggeriert eine Leichtigkeit, als
Seymour-Conway. Mir gefällt besonders, würde man über den Fluss schweben. 3
dass ein paar der Ausstellungsstücke unter großen Lederdecken präsentiert werExponate im Sir John Soane’s Museum.
Der ehemalige Hausherr sammelte weltweit
Kunstschätze und brachte sie nach London
53
Chiswick House and Gardens
Versteckt in den Kew Gardens: Marianne North Gallery. Seite rechts die Bilder von Marianne North
Chelsea Physic Garden
Kyoto Garden im Holland Park
3 HIDDEN PLACES
Wenn man den Holland Park
betritt, im Herzen von Kensington
und Chelsea, fühlt man sich sofort,
als wäre man auf dem Land
MASSIMO RODARI (6)
PAU L S M I T H
Die Wallace Collection in Marylebone
LÄNDLICH
Familie als Personal und
Sir Paul als Sommergast: Mehr
britische Idylle als im Hotel
„Langar Hall“ gibt’s nicht.
Susanne Kaloff schaute rein
„Immer langsam voran, hier spielen Kinder und Tiere“: Man könnte das als Motto für alles definieren, was in „Langar Hall“ passiert. Schon deshalb wollte unsere Autorin nicht mehr weg
PICTURES COURTESY OF GRAZIA CASA
Bei Robin
Hood
um die Ecke
W
Wenn man hektisch den Zug in London King’s
Cross besteigt, glaubt man noch, dass es ausgeschlossen sei, die Großstadt innerhalb einer
Stunde hinter sich zu lassen. Aber es ist möglich, jedenfalls, wenn man in Grantham aussteigt und über Land fährt Richtung Langar,
einem Dorf in Nottinghamshire. „Langar Hall“
ist ein Begriff aus dem Sanskrit für einen Ort,
an dem Pilger rasten können und eine kostenlose Mahlzeit erhalten. Jeder Sikh-Tempel habe so eine Langar Hall, erzählt Imogen Skirving, 78, während sie mit ihrem Mini Cooper
durch die Landschaft brettert und verboten
links abbiegt: „Excuse me, I have to be
naughty.“
Unartig ist allerdings bestimmt nicht das erste
Wort, das in den Sinn kommt, wenn man die
Besitzerin des mehrfach ausgezeichneten
„Langar Hall“-Hotels trifft. Sie ist zierlich, hat
graue kurze Haare, trägt schwarze Socken mit
Rosenprint und einen silbernen Ring mit OmSymbol. Und dann, nach etwa einer halben
Stunde unterhaltsamer Autofahrt, liegt es vor
einem auf einem Hügel, mit einer von Schafen und Pappeln gesäumten Auffahrt, das
Countryhouse-Hotel mit gerade mal zwölf
Zimmern. Es sieht genauso aus, wie man das
von einem Landhotel wünscht: Friedlich,
wunderschön, weit weg von allen Sorgen. Das
einzige Geräusch ertönt stündlich vom Kirchturm, weil dicht ans Haus gepresst eine kleine
Kirche liegt. Und ein Friedhof.
Es soll hier auch spuken, was man in dem
Buch mit dem Titel „The reluctant Restaurateur“ („Restaurateur wider Willen“) nachlesen
kann, das Imogen Skirving vor zehn Jahren
schrieb. Die Geschichte handelt von ihr – also
einer mutigen Frau – und von der ungewollten Verwandlung eines Familienhauses in eines der erfolgreichsten Privathotels Englands.
Nachdem ihr Vater das Geburtshaus verkaufen wollte und ihr Bruder kein Interesse daran
hatte, stand Imogen Skirving mit einem Haufen finanzieller Sorgen da und war mehr oder
weniger gezwungen, Gäste aufzunehmen.
Wenn man sie heute fragt, wie es ist, Fremde
in ihrem Haus zu haben, antwortet sie: „I simply love it!“. Die meisten Gäste sind ohnehin
mit der Zeit zu Freunden geworden, genauso
wie das Personal. Michael, der furchtlos flirtende Oberkellner, ist seit dreiundzwanzig
Jahren an ihrer Seite, und wenn sie das sagt,
klingt es so liebevoll, als ob sie eine Ehe führten, nicht eine Geschäftsbeziehung. Oder Toby, ihr Chefkoch seit 1992, den sie trotz aller
Turbulenzen schätzt und liebt – und der zur
großen Liebe ihrer Tochter Louise wurde.
Langar Hall ist ein Ort voller Magie. Man fühlt
sich gleich geborgen. Es ist ein Familienhaus,
eins, das Imogens Urgoßmutter Annie Bayley
1880 kaufte, und in dem viele Generationen
aufwuchsen. Es ist Imogens Kinderstube und
auch das Haus ihrer eigenen Tochter Louise,
die nach einem langen Aufenthalt in Indien
und nach der Ehe mit einem indischen Yogalehrer nun wieder in Langar Hall lebt und sich
um das Anwesen, die Blumen und den Gemüsegarten kümmert. Von Kohl bis Babyspinat
baut sie alles selbst an. Ihr 18-jähriger Sohn
serviert am Abend den schottischen Lachs, ihre Tochter besucht gerade eine Barfachschule
in der Schweiz.
Einer, der diese Atmosphäre hier sehr schätzt,
ist der Designer Paul Smith; die beiden kennen sich seit den Sechzigern. Damals schon
schneiderte er Kleider in London, Imogen
und er verloren sich aus den Augen, bis er eines Tages vor ihr stand und sagte: „Imogen,
wir kennen uns doch!“ Sie hatte das Kleid
noch, das er damals für sie designt hatte, er
riss es an sich: „Was für ein Fundstück!“ Und
suchte lange im Haus, bis er jemanden fand,
dem es passte: Einem japanischem Mädchen
aus der Küche. Von da an kam er jeden Sommer nach Langar Hall mit seiner ganzen kreativen Crew, breitete Stoffe und Muster auf den
Tischen auf der Terrasse aus und gab der
Hausherrin den ein oder anderen Gestaltungstipp. Es war beispielsweise seine Idee
mit der Trompe-l’Œil-Tapete in der Rezeption
– eine Wand, die nun aussieht, als sei sie eine
Bibliothek. „Paul is my guru!“, sagt Imogen
und zeigt die Fotowand mit seinen privaten
Aufnahmen in der Bar.
Auch die Zimmer bestechen nicht durch erwartbaren Laura-Ashley-Charme, sondern
mit dem ausgeprägten Stilempfinden der Besitzerin. Im „Cartland“-Zimmer findet man
Bambusspiegel zu Art-déco-Cocktailsesseln
und eine schwarze Tapete mit silbernen
Baumstämmen. „Mark’s Room“, das früher das
Zimmer von Imogens Bruder Mark war, dekoriert eine asiatische Vogeltapete.
Das hier ist der britischste Ort, den man sich
vorstellen kann, und gleichzeitig ein fantastischer Mix aus indischen Tischdecken und Ganesh-Figuren neben typisch englischen Kavaliershunden auf dem Kaminsims, Gemälden,
Familienporträts in Öl, Antiquitäten und Stilbrüchen. So wie die Buddha-Figur in dem
Schrein, der in einer Ecke im Garden Room
hängt und doch wieder bestens zur braun-goldenen Affentapete passt. Doch Imogen mag es
nicht, wenn jemand sie und ihr Haus als „quirky“ bezeichnet, ein britisches Wort, das man
benutzt, wenn man sagen will, dass etwas irgendwie schräg ist. Diese Dame ist alles, aber
nicht schräg. Sie ist zentriert und hat das Leben auf eine sehr charmante Art bei den Hörnern gepackt. Der Grund, warum sie von ihrem Personal auch gerne „Granny Putin“ genannt wird, worüber sie sehr lachen kann.
Noch vor wenigen Jahren fuhr sie eine Kawasaki, man erwischt sie manchmal mit einer Zigarette in der Hand („Schrecklich, ich sollte es
mir wirklich abgewöhnen!“), vergangenes
Jahr reiste sie wieder nach Indien. Kurz: Eine
coole Frau mit einer Energie wie ein Rennpferd und einem Herz so groß wie ihr Anwesen. „Sie werden nicht oft eine Frau kennenlernen wie Imogen, sie ist wirklich etwas ganz
Besonderes“, ruft Kellner Ricky, der früher bei
Nottingham Forest Fußball spielte und stets
singend durchs Haus geht, auf dem Weg zum
Weinkeller.
Kaum ein Tag vergeht, an dem die Dining Hall
oder der Garden Room nicht für eine Party gebucht ist, ob der achtzehnte oder der hundertste Geburtstag, immer wird was gefeiert.
„Mein jüngster Gast war vier Monate und
mein ältester 103 Jahre alt.“ Immerzu geht die
Tür auf und neue Gäste finden sich ein, zum
Afternoon Tea mit hausgemachten Scones
oder zum Abendessen.
Das Essen hier ist ausgesprochen gut, manche
Gäste kommen mehrmals pro Jahr angereist,
alleine schon wegen des berühmten zweifach
gebackenem Käsesoufflés. Oder um einmal in
Barbara Cartlands Himmelbett zu nächtigen.
Nach der englischen Autorin ist eines der
Zimmer im Haupthaus benannt, sie legte hier
gerne einen Stopp ein auf ihren Reisen von
Schottland. Und natürlich gibt es unzählige
und amüsant vorgetragene Anekdoten über
die romantische Schriftstellerin.
Imogen ist eine jederzeit hinreißende Unterhalterin und Gastgeberin. Sie hört und sieht
alles, kennt ihre Gäste: „Darlin’, für dich heute
keinen Alkohol, du nimmst ja Antibiotikum!“
Sie tätschelt Schultern, macht an den richtigen Stellen Witze, wirkt bei allen Turbulenzen zu keinem Zeitpunkt überfordert. Und
glücklicherweise weiß sie, wann es Zeit für einen Drink ist. Hin und wieder stellt sie sich
selbst hinter die Bar und mixt einen Gin, wie
ihn ihr Vater Geoffrey immer trank: Nur mit
Zitrone und einem Hauch Noilly Prat. Tonic?
Also bitte, niemals!
„Darlin’, für dich heute
keinen Alkohol, du nimmst
ja Antibiotikum!“
IMOGEN SKIRVING
Ein Ort voller Magie: Die Hausherrin Imogen Skirving
vor ihrem Landhotel Langar Hall
57
CHANEL . COM
BEAUTY
STILISTEN
HIER KOMMEN UNSERE KOSMETIKEXPERTEN ZU WORT
HOFLIEFERANT
Designer-Parfüms sind kein
Neuzeit-Phänomen. James
Creed, Maßschneider in London, legte 1760 mit der Gründung seines Ateliers auch den
Grundstein für die gleichnamigen Düfte. Seit den 1840erJahren ist der Hauptsitz zwar in
Paris (Kaiserin Eugénie ermutigte zum Sprung über den Kanal),
dennoch könnte die Marke
nicht britischer sein. Klassisch,
exzentrisch – Oliver Creed,
Parfümeur und Inhaber in 7.
Generation, mag keine Mischungen und arbeitet nur mit
der aktuellen Ernte, deshalb
können die Wässerchen von
Jahr zu Jahr anders duften. Und
sie waren natürlich Hoflieferant!
„Fleur de Bulgarie“ etwa wurde
für Queen Victoria hergestellt
und wird bis heute auch gern
von Nicht-Royals getragen.
Flower
Power
Das britische Faible für
Blumen und Gärten ist
legendär. Aber die Italiener stehen in der Gartenkunst nicht nach. Und
schon 1966 entwarf Gucci das Flora-Muster für
die monegassische Fürstin Gracia Patricia. So
erfolgreich, so bezaubernd, dass es seither
immer wieder auftaucht.
Auf Taschen, Kleidern,
Düften. Das Museo Gucci in Florenz widmet der
Ikonografie bis 20. September die Ausstellung
„The Language of Flowers“. Floralissima!
JEROME DE NOIRMONT
Eric Reuter
Geschäftsführer der
„Goldkopf Parfümerie“
in Köln
BEST OF BRITISH
Unverwundbar schön:
Schon der junge Siegfried wusste, welche
Kraft im Drachenblut
steckt. Das „Dragon’s
Blood advanced sculpting“-Serum der Londoner Marke Rodial
soll unser aller Haut
mit hoch konzentrierter Hyaluronsäure
praller wirken lassen.
Über niche-beauty.de
60
No knots today: Der Colorist Shaun
Pulfrey mochte gar nicht mehr hinsehen,
wenn in Salons die Haare entwirrt wurden. Darum entwickelte er 2008 eine
Bürste mit flexiblen und unterschiedlich
langen Borsten, die „Tangle Teezer“.
Ohne Ziepen geht sie durch das Haar.
Nun kooperierte er mit der Londoner
Designerin Lulu Guinness, die die Tangle Teezer mit ihrem Markenzeichen,
dem knallroten Kussmund, versah.
Self-made: Britinnen
greifen gern zu Selbstbräuner. Das mag an
der fehlenden Sonne
liegen, verständlich.
Leider vergreifen sie
sich gern mal im Farbton. Resultat? Eine
orangefarbene Haut.
Die „Sleep Mask Tan
Body“ von James Read
soll’s besser können.
Abends den Körper
damit eincremen,
gebräunt aufwachen.
Das Bettzeug eventuell
auch. Über net-aporter.com
Nice smell: Gehen Sie in Gedanken in die
Bibliothek eines Herrenhauses und atmen tief
ein. Und, riechen Sie das Aroma von antiken
Büchern und warmen Holznoten? Das jedenfalls hat die Irländerin Margaret Mangan in der
„Antique Library“-Duftkerze ihrer Marke
Cloon Keen Atelier eingefangen. Funktioniert
auch im Billy-Regal. Über ludwigbeck.de
Wenn etwas an Großbritannien
erinnert, dann sind das Tartans.
Und ganz besonders der von
Burberry. Auf Schals gewebt, in
Trenchcoats verarbeitet, auf
Taschen gedruckt. Und seit 1981
machen sie im 1856 gegründeten Unternehmen nun auch
schon Parfüms. Besonders gut
duftet das neueste Mitglied der
Familie „My Burberry“, das an
einen Londoner Sommergarten
nach dem für die Hauptstadt so
typischen Regen erinnern soll.
Doch auch für Gentlemen jeder
Altersgruppe gibt’s natürlich
etwas Passendes: „London for
Men“ duftet – nicht nach Stadt
–, sondern nach Lavendel,
Bergamotte und Leder. Ganz
fein und überhaupt nicht aufdringlich. Lovely!
Andrea Warnat
Inhaberin von „Die
Parfümerie Andrea
Prösch-Jähnig“ in
Quickborn
MARKENGESCHICHTE
PENHALIGON (2); GETTY IMAGES
D
ie Mühsal einer Umzugsreise Ende der 1860erJahre mag man sich heute kaum mehr vorstellen: Wir sind im viktorianischen Zeitalter, es
gibt gerade erste Fahrversuche mit einem primitiven benzinbetriebenen Fahrzeug. In Penzance, am Zipfel Cornwalls, macht sich ein junger Mann mit seiner Familie auf, in die 3-Millionen-Metropole London (Berlin hatte 800.000 Einwohner) umzusiedeln. Die lange Reise endet hinterm Piccadilly Circus, neben einem
türkischen Hamam. Auch wenn es die Ära der Entdeckungen und
der industriellen Entwicklung ist, von Dekadenz und Extravaganz in
der Upper Class Society, in den vom Kohlestaub geschwärzten Straßen riecht es noch übelst nach dunklem Alltag. Doch William Henry
Penhaligon, ein moderner Dandy im besten Sinne – traditionelle
Werte achtend und voller Neugier auf das Ungewöhnliche –, hat
schon etwas anderes vor Augen.
Oder besser in der Nase. Kaum findet er 1870 ein geeignetes Ladengeschäft in der Jermyn Street und eröffnet seinen Barber’s Shop, ist
die Aristokratie ganz wild auf seine Rasur, die Pomaden und auf seine Wässerchen. Schnell erwirbt William Henry angrenzende Geschäfte. Darunter das bekannte Hamam. Die charakteristischen, neblig-dämmrigen Lavendel-Türkisch-Rose-Schwaden, die ihn täglich
umwehen, interpretiert er und bannt sie 1872 in einen Flakon. „Hammam Bouquet“ begründet die Dufthistorie des Hauses und bleibt
sein lebenslanger persönlicher Lieblingsduft. „Hammam Bouquet“
steht nach wie vor in London in den Regalen, wie im Flagship Store
am Covent Garden. Hinter der historischen Fassade und der weißen
Markise wird man schlicht eingesogen in die Bastion für außergewöhnliche Düfte in der Wellington Street 41. Hier steht seit 1975 gefühlt Penhaligon’s Zentrale. Auch wenn William Henrys Sohn Walter
und später sein Enkel Leonard übernahmen, im Zweiten Weltkrieg
auch das Hamam zerstört wurde und später verschiedene Inhaber an
verschiedenen Orten eröffneten und wieder schlossen: William
Henrys handgeschriebene Formeln und Ideen überdauerten die
Jahrhunderte. Und hergestellt und abgefüllt wird bis heute fast alles
per Handarbeit und ausschließlich im UK.
Für die Serie „Bayolea“ beispielsweise nutzte Parfümeur Mike Parrot
einen Kassenschlager aus Williams florierendem Shop. In den Archiven fand er die Ur-Formel von „Bay Rum“. Diese Mixtur aus Rum
sowie den Beeren und Blättern des Westindischen Lorbeers kommt
ursprünglich aus der Karibik. Der gepflegte Mann setzte die Mixtur
universell ein – als Aftershave, Cologne, Deodorant, Duft für Rasierseifen und als Gesichtswasser. „Bayolea“ ist eine moderne Auflage
der bewährten Formel.
So war es immer – so soll es bleiben. Selbst unter dem Dach des spanischen Hauses Puig, das Penhaligon’s inzwischen erworben hat.
Schließlich hat der „Hip Heritage“-Stil sogar ein gebräuchliches Adjektiv kreiert; „this is so penhaligons“ hört man hie und da in Londons Straßen. Großen Anteil am Bewahren der Kultur hat Nathalie
Vinciguerra, die die Duftentwicklung verantwortet und sich stets
die Großen der Branche leistet. Darunter die Meister-Parfümeure
Alberto Morillas und Bertrand Duchaufour. So werden die berühmten Kreationen so behutsam wie möglich angepasst.
Doch das Hegen der Traditionen im Sinne des Erfinders bedeutet
eben neue Wege zu wagen: So wie sich in den Stores poppige
Designelemente zum edwardianischen Stil harmonisch fügen, beduftet man seit Jahren die Londoner Fashion. Alberto Morillas arbeitete zwei Jahre lang mit dem English National Ballet zusammen, um
das anmutige „Iris Prima“ zu entwickeln: Eine Choreografie der Moleküle, gleichsam Noten und Tanzschritte in olfaktorische Ideen umgesetzt. Über allem die Iris, die so dosiert ist, dass sie das Gefühl heraufbeschwört, wie eine Primaballerina durch die Luft zu schweben.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – ihre Akkorde erklingen
auch in der neusten Kollektion „Trade Routes“; inspiriert vom Handel mit den kostbarsten Waren aus aller Welt, die im frühen 19. Jahrhundert in den Londoner Docks lagerten. Ob wertvolle Perlen und
Seidenstoffe (in „Empressa“) oder Gewürze, Hölzer, Harze, Rum, Absinth, Safran, Amber, Oud und Patschuli (in „Levantium“). Auf ihnen
prangen selbstverständlich die Wappen, die königlichen Zertifikate,
die den fortbestehenden Handel mit HRH The Duke of Edinburgh
und HRH The Prince of Wales symbolisieren.
In der Vergangenheit war es nur das Parfüm, das die Menschen an
fernste Orte und exotische Plätze führen konnte. Häuser wie Penhaligon’s lassen uns diese Reisen, diese Emotionen nach wie vor erleben und mehren ihren Erfolg. Obwohl wir heute um die Welt jetten.
Oder gerade deswegen.
Hip Hip Heritage
Die englische Parfüm-Manufaktur Penhaligon’s lässt seit fast
150 Jahren Noten aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
in ihren Düften erklingen. Susanne Opalka begeistert sich für
die Harmonien, die sich daraus ergeben
Friseur und Parfümeur: Penhaligon’s
Anfänge liegen in
der Jermyn Street
des 19. Jahrhunderts
61
INTERVIEW
A
Am Morgen hatte er in
Howick Place die Männer-Kollektion gezeigt,
in bester ConférencierManier, amüsant und
cool wie die Entwürfe.
Er beherrscht den perfekten Auftritt, als Designer, als Schauspieler, als Regisseur. Und natürlich beherrscht er die Pose, immer noch,
immer besser. Und nervt damit kein bisschen.
Seine Umgangsformen sind so britisch, formvollendet, begleitet von subtilem Humor, dass
die Herkunft Texas als merkwürdiger Bruch
erscheint. Jetzt, am Abend, sitzen wir in einem separaten Raum im angesagten, exklusiven Londoner „Chiltern Firehouse“-Hotel –
wo sonst sollte er sein neues Parfum feiern?
Sprechen wir also über Noir Extreme. Ist der
Mai ein guter Monat, um einen neuen Duft auf
den Markt zu bringen, weil der Sommer vor
der Tür steht, mit den warmen Nächten und
voller Losgelöstheit?
Man weiß nie genau, wann der passende Moment ist. Wenn man beispielsweise ein Produkt „Extreme“ nennt, kann man nie sicher
sein, ob nicht irgendetwas Furchtbares passiert und es dann heißt: „Oh Gott, und du hast
es ‚Extreme‘ genannt!“ Und man denkt sich:
„Wenigstens heißt es nicht ‚Extremiste‘!“ Das
klingt jetzt furchtbar, aber unser PR-Team für
Düfte schreibt normalerweise wortreiche
Texte, doch für mich sind nur meine Idee bei
der Duftentwicklung und die Inhaltsstoffe
wichtig, und ob er gut riecht oder nicht. Und
ich habe das also meinem Fahrer vorgelesen
und musste laut lachen (lacht) – das können
Sie ruhig schreiben –, denn es ist alles so ein
Blödsinn! Wichtig ist nur, ob ein Duft toll
„Mein idealer
Mann bin ich”
Mag jetzt auch die große Bescheidenheit angesagt
sein: Kaum trifft man Tom Ford, überlegt man, dass
ein bisschen mehr Hedonismus eigentlich nichts
Schlechtes sein kann. Das Sympathischste an dem
Wahl-Engländer aber ist, Interviews mit ihm sind
62
TOM FORD (5); MONTAGE: ICON
niemals langweilig, sagt Inga Griese
riecht oder nicht. Wann er auf den Markt
kommt, ist so egal, ebenso, ob er von Frauen
oder Männern getragen wird.
Ach ...
Die einzige Frage ist: Ist es ein toller Duft?
Wahrscheinlich ist das eine sehr unromantische Antwort, ich könnte mich auch hinstellen und sagen: „Oh, ja, der Mai ist so ein Wonnemonat, voller Romantik und langer Sommernächte in Paris, in denen es bis 23 Uhr hell
ist und viel Zeit ist für die Magie der …“ und so
weiter. Aber der Punkt bleibt: Duftet er gut?
Und was den strategisch richtigen Zeitpunkt
betrifft, also wie häufig und wann man einen
Duft auf den Markt bringt: Das muss man ganz
realistisch sehen. Man braucht vor allem ein
tolles Produkt. Dann überlegt man, welches
der passende Zeitpunkt ist: Kommen gerade
andere Düfte auf den Markt? Diese pragmatischen Aspekte sind vielleicht unromantisch,
aber so sieht die Wirklichkeit aus.
Der Grund, weshalb man Parfüm verwendet,
ist wahrscheinlich auch viel unromantischer
als verheißen. Gehört es nicht einfach zum Anziehen dazu?
Ich bin besessen von Düften, wirklich. Meistens rieche ich wie ein wandelndes Potpourri
aus all meinen Düften, weil ich sie alle benutze – ich sprühe sie einfach alle übereinander,
in mehreren Schichten. Ich denke, dass es bei
all meinen Düften einen gemeinsamen roten
Faden gibt. Amber, Patschuli, Vanille, Sandelholz – es gibt einige Noten, die ich immer liebe. Manche finden die schwer, aber für mich
sind sie satt und üppig. Und sowohl „Noir“ als
auch „Noir Extreme“ sind interessant, denn
sie haben würzige Kopfnoten und blumige
Herznoten, aber die Basisnote, die den Duft
erdet, besteht bei beiden aus Amber, Vanille
und Sandelholz. Insofern haben alle meine
Düfte ein gemeinsames Thema: Sie sind
warm. Manche haben auch eine gewisse kühle
Note, aber insgesamt sind sie warm.
Ihre Unisex-Idee kam damals gut an, jetzt haben auch Sie Düfte für Frauen und für Männer.
Fordert der Markt diese Unterscheidung?
Ja, es ist wirklich eine Frage der Markterfordernisse. Vor allem Männer – mehr Männer
als Frauen, aber manchmal auch Frauen – fühlen sich beim Kauf eines Dufts sicherer, wenn
sie wissen, dass er für sie gedacht ist. Trotzdem wird das Damenparfüm „Black Orchid“
zu etwa 20 bis 25 Prozent von Männern gekauft. Ich habe beruflich mit einem sehr netten Italiener in Mailand zu tun – eindeutig heterosexuell – und eines Tages trug er „Black
Orchid“. Ich fragte ihn: „Ist das ,Black Orchid‘?“ Als er das bejahte, meinte ich: „Wusstest du, dass wir das ursprünglich als Frauenduft entwickelt haben?“ Der Mann war ganz
aufgeregt. „Wirklich?! Oh Gott! Aber ich finde
ihn toll!“ Ich sagte: „Das ist völlig okay! Du findest ihn toll! Und er steht dir super!“ Ich glaube also – nein, ich weiß –, dass sich die Grenzen verwischen. Es ist den Leuten immer weniger wichtig. Sie tragen einfach, was ihnen
gefällt. Aber dieser Duft, über den wir jetzt
sprechen, ist „Men’s Noir Extreme“.
Denken Sie, dass sich auch die Männer in den
vergangenen Jahren verändert haben? Grenzen lösen sich ja nicht nur im Parfümregal auf.
Auf jeden Fall! Das ist genauso wie mit diesen
ganzen jungen Models, die jetzt vielleicht 17,
18, 19, 20 Jahre alt sind. Die haben eine ganz
andere Einstellung zu Männlichkeit und Sexualität. Sie sind nicht so festgelegt. Auch bei
mir gibt es noch diese Rückstände, die Überreste, die meine Generation prägen. Zum Beispiel bei blumigen Düften: In diesem und
auch in anderen unserer Herrendüfte gibt es
eine Menge Blumennoten, und in der viktorianischen Zeit wurde das sehr geschätzt. In
den 1890er-Jahren war Veilchen ein sehr beliebter Herrenduft. In den 1950ern hieß es
dann: Oh nein, Männer tragen keinen Veilchenduft, keine Blumennoten! Heute wird das
viel eher akzeptiert. Es ist offener, lockerer.
Aber ist das in allen Lebensbereichen so?
Ich glaube ja. Sie nicht?
Mir kommt es so vor, als ob die Amerikaner immer weniger entspannt sind.
Ich lebe ja überwiegend in Europa, aber ja, leider nimmt man die religiösen Rechte wahr
und die Amerikaner, die sich sehr lautstark
äußern. Es ist lustig, sie kommen zu mir ins
Büro und sind alle so laut. Wenn unser New
Yorker Team bei uns eintrifft, kann man sie
sofort hören. Und das Komische ist, dass ich
den amerikanischen Akzent nicht gerne höre,
dabei weiß ich, dass ich selber einen habe. Ich
finde das besser, als einen falschen englischen
Akzent zu haben. Aber er klingt für mich
trotzdem schrill. Wie auch immer, ich weiß
gar nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte … Ach ja: Sie haben recht – in Amerika gibt
es noch diese Rückstände. Und doch: Die Kinder meiner Freunde sind jetzt um die 17, 18, 19,
20 Jahre alt und sind so entspannt, was ihre
Kleidung und ihr Aussehen betrifft. Jungs lackieren sich die Fußnägel, sie sehen aus, als
wären sie schwul, aber sie sind es nicht. Selbst
in Amerika ist es sehr, sehr viel lockerer geworden. Alles, überall.
In Großbritannien gehören eine gewisse Extravaganz und politische Unkorrektheit zum guten Stil. Ihre neue Männer-Kollektion scheint
direkt darauf einzuzahlen, sie hat Humor und
Eleganz.
Dankeschön! Nun, ich lebe schon eine ganze
Weile hier und ich fürchte, ich habe mittlerweile etliche britische Eigenheiten. Ich mag
diese Mischung aus Skurrilem, Lebensqualität, guten Umgangsformen und Leichtigkeit.
Die Briten hatten immer ein Faible für das
Exzentrische. Sie lieben Kostümfeste. Man
hat hier immer noch einen gewissen Hang
dazu, sich herauszuputzen. Anderswo auf
der Welt erlebt man es selten, dass alle Menschen auf der Straße wie aus dem Ei gepellt
wirken, aber hier sind Frauen frisch frisiert,
haben die angesagten Handtaschen – und
schämen sich nicht dafür, dass sie neu sind.
Das ist interessant.
Sie empfehlen diese Sneaker zum Abendanzug.
Eine smarte Idee. Andererseits standen gerade
Sie immer sehr für Eleganz.
Ich fand, die Models sahen elegant und chic aus
in diesen Sneakers. Ich selbst würde sie wahrscheinlich nicht tragen, denn ich bin zu alt.
Aber wenn ich 25 wäre und etwas größer und
schlanker: auf jeden Fall. Will nicht jeder größer und schlanker sein? Ich schon. Jede neue
Generation ist größer als die davor, und ich
fühle mich immer kleiner, denn ich schrumpfe, während die Models alle zehn Jahre fünf
Zentimeter größer werden. Nein, ich denke,
das ist eine sehr moderne Art der Eleganz. Sehr
entspannt. Ich mag diesen Look sehr.
Haben Sie ein ideales Männerbild?
Nun, ohne narzisstisch klingen zu wollen:
Mein idealer Mann bin ich. Wenn ich es nicht
selbst bin, so wie ich jetzt aussehe, dann sind
es meine Kriterien bei der Arbeit an einen
Look. Wenn ich etwas anziehe, überlege ich:
„Hm, wenn ich 1,88 groß wäre und sieben Kilo
leichter: Ja, okay, das geht.“ Also ist es eine Art
Fantasie-Selbstbild mit Fremdanteilen. Wenn
ich mir nicht vorstellen kann, ein Stück unter
veränderten Körper- oder Altersbedingungen
zu tragen, dann fliegt es raus.
Selbstvertrauen ist ja nichts Schlechtes. Warum
ist es uns oft so suspekt?
Ich denke, man braucht immer einen Standpunkt und einen Leitwolf. Unbedingt. Prada
sieht immer nach Prada aus, weil es dem Geschmack von Miuccia entspricht. Und man
spürt, dass es Miuccia ist. Karl Lagerfelds Sachen sind ganz klar Karl. Erfolgreiche Marken
haben einen Standpunkt. Sie sind mal mehr
und mal weniger angesagt, aber sie haben immer einen Standpunkt.
Fühlen Sie sich von den neuen Medien und ihrem hohen Tempo unter Druck gesetzt?
Ja, ein wenig durchaus. Ich nutze Social Media nicht so stark wie viele andere, weil ich denke, dass es einen entzaubert, wenn man zu
präsent und verfügbar ist. Ich
möchte mich nicht mit George
Clooney vergleichen, aber ihn
sieht man auch nie, wenn er
nicht gerade einen Film promotet. Er ist nicht ständig in
der „Hello!“ präsent. Wenn
man ihn dann sieht, denkt
man: „Oh, wow, George Clooney.“ So erhält man sich … Ich
weiß nicht, wie sich das anhört, wenn Sie es aufschreiben, aber es stimmt. Daher
denke ich, man muss, besonders, wenn man eine Marke ist,
sehr sorgfältig sein. Aber es
entspricht auch meinem Wesen. Ich bin ohnehin schon eine öffentliche Person. Ich möchte nicht, dass jeder ständig sehen kann, was
ich mache. Ich muss den Leuten nicht zeigen,
was mein Sohn und ich zu Abend essen.
Wie stellt man es als Mann an, auf kluge Weise
älter zu werden?
Oh je, darüber habe ich gerade heute nachgedacht, als ich mich umzog. Man muss sehr vorsichtig sein. Ich werde es zulassen müssen, ein
klein wenig zu altern.
Was gut ist …
Es bleibt einem nichts anderes übrig. Was für
eine Alternative hat man? Ich möchte nicht
jünger aussehen, als ich bin. Ich möchte bestmöglich für mein Alter aussehen. Das habe
ich einmal jemanden sagen hören. Ich möchte
bestmöglich aussehen, mit 53, mit 55, mit 60,
mit 70 und mit 80. Beweglich bleiben, Yoga
machen, gesund sein.
Wenn man krampfhaft versucht, 20 Jahre jünger auszusehen …
... dann sieht man aus wie ein Idiot.
Was für Frauen und Männer gilt?
Und darum werde ich auch keine Tennisschuhe zum Smoking tragen.
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SONNTAG, 3. MAI 2015
London Diary
Erinnern Sie sich? An die Zeit, als man statt WhatsApp und E-Mail
noch Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer.
Illustrationen von Tim Dinter und Zebedee Helm
Der elegante sandfarbene Häuserblock könnte in Paris
stehen, wie auch die Platanen, die in der Northumberland Avenue Schatten an die Fassaden zeichnen. Wir
sind nicht in Paris. Es ist London am Whitehall Place,
direkt an der Themse, über die Hungerford Bridge
gelangt man direkt zum London Eye, drei Schritte
in die entgegensetzte Richtung, der Trafalgar
Square. Zur Seite, Big Ben. An diesem magischen
Dreieck steht mit seinem französischen Charme,
elegant und unaufgeregt, „The Corinthia“. Eine
wunderbare Atmosphäre, Sonnenschein in London. Tief durchatmen und träumen. Man könnte
alles vergessen. Aber halt, es gibt natürlich zu dem
Gebäude am Whitehall Place sehr viel zu erzählen!
Das Hotel wurde 1885, angelehnt an den Pariser Baustil,
erbaut. Das damalige „Hôtel Métropole“ war Anfang des
20. Jahrhunderts der Treffpunkt der Londoner Gesellschaft. Prunkvolle Bälle wurden gefeiert, das Cabaret
„Midnight Follies“ war ein Highlight in den 20er-Jahren. 1936 zieht das Verteidigungsministerium in den
französischen „Häuserblock“. Das Ministerium verstaute 600 Büros. Eine
Legende besagt, es existierte ein Tunnel direkt zur Downing Street.
Eine historische Verantwortung, als 2008 die Renovierung des Gebäudes
beginnt und es wieder zu einem Hotel umgestaltet werden soll. Die 125
Jahre zählende Sandsteinfassade wird detailgetreu restauriert. Innen angenehm modern, nicht unterkühlt. Geschickt werden die vergangenen
Zeiten in kleinen Details zitiert. Aus den 600 Büros werden 294 Zimmer,
ein fabelhaftes Spa in ebenso fantastischer Größe
von 3300 m2 und wieder einem prunkvollen Ballsaal. Bemerkenswert der violett/orangefarbene
Teppich, der den Raum dominiert. Das hat
Stil. Man kann nicht umhin, sich dort die Feste vorzustellen, wie sie im „Métropole“ stattfanden. Die beeindruckenden Räume mit
den meterhohen Decken einer Beletage
beherbergen das „Northall“-Restaurant,
dessen britische Küche einfach ausgezeichnet ist, und das „Massimo“-Restaurant. Sehr
nett ist dort der Service, eine kleine Leselampe zur Menükarte zu bekommen. So sitzen
viele Gäste wie in einer ehrwürdigen Bibliothek
über ihren Büchern. Gut studiert, bestens italienisch gegessen, am weltbesten Tiramisu kommt man
gar nicht vorbei. Die Dolci sind eine Vorliebe des
Chefkochs. In der Kuppel der Lobby Lounge eine
Lichtinstallation aus 1001 Kugeln französischen
Kristalls, natürlich: Baccarat.
Angekommen im 21. Jahrhundert. Bleibt nur eine Frage: Wie kann man
London genießen, ohne das Hotel verlassen zu müssen? Ganz einfach in eine der Penthousesuiten einchecken und von der Dachterrasse aus einen
Blick auf das Panorama nehmen; ein hellblau-grau-weißes Gemälde, hinter
sich die romantische französische Dachgaube. Magic! Jetzt darf man wirklich getrost alles vergessen.
Barbara Krämer will beim nächsten Trip wenigstens einmal vor die Tür
THE CORINTHIA
THE HALKIN
CONNAUGHT
Das Bedürfnis, vor die Tür zu gehen, schleicht sich im „Connaught“-Hotel
über die dicken Teppiche auf leisen Sohlen davon. Zum Glück ist es Sonntag, auch die exklusiven Boutiquen in der angrenzenden Mountstreet gönnen sich eine Verschnaufpause. Die „Library Suite“ bietet Lesestoff für ein
halbes Semester, einen Postkartenblick über die Dächer von London sowie
eine große Lichtsäule, um die der Wind pfeift wie an der Nordsee. Fast
sehnt man aus Gemütlichkeitsgründen den Regen herbei – einer der wenigen Wünsche, die der Etagen-Butler vermutlich nicht erfüllen könnte. Dafür: Tee! Und Obst und Kekse und das Sofa, in das man sich fallen lässt wie in
die Arme eines riesigen Teddybären. Im Erdgeschoss betreibt die französische Köchin Hélène Darroze ihre Zwei-Sterne-Küche. Im Hotelrestaurant
„Espelette“ gibt es frische Brasseriekost mit britischem Einschlag und dazu
den Blick auf ein Wasserspiel des japanischen Stararchitekten Tadao Ando.
Die geheimen Kammern des „Connaught“ liegen jedoch zwei Stockwerke
unter der Erde: Hier gibt es einen badewannenwarmen Pool, eine Dampfsauna, Gym und asiatisch inspirierte Körperbehandlungen im „Aman“-Spa.
Der Rückweg wird zum Slapstick: Halb benommen vor Entspannung taumelt man leicht orientierungslos durch die Marmorgänge der Lobby. Da
hilft nur: Tee! Und die aufsteigende Energie, die einem sagt, nun bereit für
die Großstadt zu sein.
Heike Blümner empfiehlt für Wellnessurlaube ab sofort London
ILLUSTRATIONEN: TIM DINTER
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Das Erstaunliche an Hotels ist ja häufig,
dass sie nichts für ihre Scheußlichkeiten rechts und links können. Auf Abbildungen wirken sie womöglich elegant – aber dann steht man mit seinem
Rollkoffer vor dem Gebäude und fragt
sich, wie man die Baustelle oder die Ruine daneben ausblenden konnte. Das
„The Halkin“ ist ein Boutique-Hotel; kein
Design-Hochhaus, sondern ein feines, altenglisches Gemäuer, das 41 Zimmer und Suiten
hinter einer georgischen Fassade beherbergt. Das
Beste daran: Es liegt im Belgravia-Viertel, ein Stadtteil an
der Hyde Park Corner, in der Halkin Street, in der nichts den Schönheitssinn stört. Blühende Magnolien, Botschaften, keine Shops, alles flüstert
Diskretion. Und diese elegante Distanz setzt sich auch im Inneren des Hotels fort. Hier tummeln sich keine Hipster-Bärte an einer Bar, hier kehren
internationale Geschäftsleute ein, die effizient arbeiten und mit Klasse absteigen möchten.
Zu der trägt auch der entspannte Blick nach außen bei, der in den bepflanzten Hinterhof führt, während man in den zeitlos sandfarbenen Zimmern zur Ruhe kommt. Ruhe ist ein gutes Stichwort, es herrscht eine distinguierte Haltung, die im besten Sinne altmodisch wirkt. Morgens liegt
die Zeitung unaufdringlich in einem kleinen Leinenbeutel vor der Tür, daran befestigt eine Notiz mit der Wettervorhersage für diesen Tag: „Partly
cloudy sky“. Und auch das baskische Restaurant „Ametsa“, das mit einem
Michelin-Stern ausgezeichnet ist, besticht nicht mit vermeintlich cooler
Lounge-Musik oder Kellnern, die sich für Stars halten, sondern mit einer
erstklassigen Küche und Personal, das einem gern Rätsel aufgibt: Wählen
Sie die „Sea Bass with Celery Illusion.“ – „Bitte, was ist das, eine Sellerie-Illusion?“ Da müssen Sie schon selbst drauf kommen. Und dann schmeckt
man hin, rätselt, wirft Apfel in den Raum und der Ober nickt anerkennend.
Was noch? Lauch? Richtig. Und? Köstlich! Ach, und erwähnten wir die
Patata trufada? Die alleine ist die Reise wert.
Susanne Kaloff sehnt sich nun stets nach etwas eleganter Distanz
Ausschneiden, nachlaufen.
Der Typ unten ist, richtig:
Spike aus dem HollywoodHit „Notting Hill“
UNTERWEGS MIT HERMÈS
ZEBEDEE HELM FOR HERMÈS; INGA GRIESE (2)
WEILE OHNE EILE
Ein Pool! Auf die Idee muss man erst mal kommen. Aber
Sophie Hicks ist nun einmal eine renommierte Architektin
– und so verwandelte sie kurzerhand das ganze Souterrain
ihres Backsteinhauses in Powis Mews, das nicht besonders
tief, dafür aber breit ist, in ein langes, schmales Schwimmbecken. Darüber führt, an gläsernen Wänden vorbei, eine
Betontreppe in die nächsten Etagen. Die lange Küche mit
dem mächtigen Edelstahlherd ganz oben wirkt wie ein
Wintergarten, ist gerahmt von lauschigen Terrassen, der
Blick rüber zu den Nachbarn ist unverhangen. „Ich stell mir
immer vor, wer sie so sind.“ Sophie Hicks ist eine ziemlich
coole Frau, sie hat als Moderedakteurin, und Stylistin gearbeitet, besonders für Azzedine Alaïa, hatte einen kurzen
Schauspielmoment mit Fellini, bis sie Architektur studierte
und seither mit ihrem Studio auch, klar, für große Modemarken tätig ist. Mehr als hundert Geschäfte in den Weltmetropolen sind es bereits – und auch Paul Smith zählt zu
ihren Auftraggebern, für ihn designt sie auch Parfüm-Flakons. Sie wohnt schon immer in der schmalen Straße, von
der ihr inzwischen eine ganzes Stück gehört – und in der
David Hockney auch schon ewig ist.
Heute ist sie unsere persönliche Führerin, eine leider einmalige Tour. Auf Einladung von Hermès zeigt sie uns ihr
Notting Hill. Manche aus der international gemischten
Gruppe tragen demonstrativ den Button am Revers, der
Stararchitektin Sophie Hicks wohnt schon ewig in Notting Hill
uns als „Flaneur forever“ ausweist. Es ist das Jahresthema
der Franzosen, die Jahr für Jahr ihre Arbeit dem Motto unterwerfen, das Kreativdirektor Pierre-Alexis Dumas lange
Zeit im Voraus sorgfältig überlegt hat. Seidencarrés werden danach bemalt und Porzellan, Dekorationen werden
erdacht und die braunen Bänder bedruckt, mit denen die
orangefarbenen Kartons traditionell verschnürt werden.
Das Ganze wird so ernst genommen, abgewogen und ausgetüftelt, wie es üblich ist bei Hermès. Ein ganz besonderer Spaziergang durch London, damit sollte das Motto gefeiert werden. Auch, weil gerade in der New Bond Street
das alte, neue Geschäft wiedereröffnet worden ist. Und so
kam es, dass Ina Delcourt, die Kommunikationschefin von
Hermès, vor vielen Monaten bei Sophie Hicks anrief. Man
kannte sich nicht. Mrs. Hicks hatte gerade einen „besonders grauenhaften Tag“ hinter sich, als die Französin am
Telefon „so reizend war, das einzig nette Gespräch an diesem Tag“ und mitreißend von der Flaneur-Idee erzählte.
Was, außer „Ja!“ hätte sie antworten sollen.
Und so schlendern wir nun an einem sonnigen
April-Tag durch den Kunst- und Kult-Bezirk,
den Sophie als Kind nicht betreten durfte, weil
es als eher dubiose Gegend galt. Gleich um die
Ecke von Mrs. Hicks’ Haus und Büro ist das
„Globe“, einst Treffpunkt der karibischen Ein-
wanderer, an die auch der berühmte dreitägige Sommer-Karneval erinnert. Jimmy
Hendrix soll im „Globe“ gestorben sein, wird gemunkelt. Sophie erzählt, wir lassen uns treiben. Über die
immer noch authentische Portobello Road, durch versteckte Parks und entlang des Flusses, auf dem Hausboote mit kleinen Gärten auf dem Dach ankern, bis schließlich
zur „Dock Kitchen“ von Tom Dixon. Im Electric Cinema
bleibt die Zeit stehen; die Tür, die Spike ahnungslos und in
oller Unterhose den Reportern in „Notting Hill“ öffnet, ist
blau wie eh und je. Der hässliche Trellick Tower entpuppt
sich innen als architektonisches Juwel, der Blick ist fantastisch. Dahinter ist ein wilder Garten angelegt, als vorübergehendes Projekt auf einer Brache geplant, „Meanwhile
Garden“, seit mehr als zehn Jahren nun schon. Ein Entenpärchen arbeitet intensiv am Nest in der Mitte des Tümpels. Der Wettergott wollte, dass wir alles sehr genießen.
Nein, Flanieren hat nichts mit Sport, Tourismus, Pragmatismus zu tun. Es ist, wie Pierre-Alexis Dumas sagt „kein
Zeitverlust, sondern die Entdeckung der
Zeit.“ Der Flaneur „hamstert, sammelt,
pflückt“. Er nimmt die flüchtigen Momente
wahr, sieht, was wir Eilenden übersehen, was
wir vergessen haben wahrzunehmen. Botschaft verstanden.
Inga Griese
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BAUPLAN
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DIE „WILLOW BAG“
VON
MULBERRY
In den Ateliers und Manufakturen dieser Welt werden
weiterhin Handwerkskünste gepflegt, und wir schauen zu
Von Europa bis Japan, Taschen von Mulberry sind auf der ganzen Welt zu Hause. Die Produktion deswegen nach komplett Fernost zu verlegen, kommt für
die Briten aber nicht infrage. Die Hälfte der Produkte auch weiterhin in UK produzieren zu wollen, bekräftigt die Eröffnung der zweiten Fabrik „The Willows“ Anfang 2014 in Somerset, England. Hier wird zum Beispiel die Willow Bag produziert, die von der ehemaligen Kreativdirektorin Emma Hill entworfen und nach der gleichnamigen Fabrik benannt wurde. Bei aller Liebe zum Heimspiel, beim Leder greift man auf bewährte italienische Qualität zurück. Etwa sechs Stunden braucht es, um aus den losen Lederstücken in Handarbeit die Willow Bag zu fertigen. Wir sind den geübten Händen in acht Schritten gefolgt. 1. Mit einem Überwendlingsstich werden die Vorder- und Rückseite mit den Seitenteilen verbunden. Es entsteht der Körper der Tasche. 2. Stabilität
bringt eine zusätzliche Verstärkung. Mit einem lederbezogenen Hammer wird das Leder fixiert. Der Prozess nennt sich „Blocking“. 3. Bevor es weitergeht,
werden Nähte und Reißverschluss auf ihre Qualität geprüft. 4. Die Reißverschlüsse für die auch separat zu tragende Clutch werden an die Vorderseite der
Tasche genäht. 5. Ein Zipp mit dem Reißverschluss und die Clutch ist an ihrem vorgesehenen Platz. 6. Der traditionelle Postboten-Verschluss auf der Vorderseite bekommt eine Politur. 7. Im nächsten Schritt wird das kleine Schloss in der Schutzhülle am Henkel befestigt 8. Die fertige Tasche wird ein letztes
Mal auf ihre Qualität geprüft. Erst dann kann sie verpackt und in die Läden geschickt werden. Übrigens: Die Willow Bag gibt es in unzähligen Farben.
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MULBERRY
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IDEAS ARE BORN
DU BIST EIN KREATIVER KOPF MIT BLICK FÜR DAS BESONDERE?
DANN FINANZIERE DEINE IDEE DURCH CROWDFUNDING!
PROJEKT | MADRETERRA
MAXI FLOOR LAMP
by Flavio Manzoni, director of Ferrari design
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