Reader - professur wolfgang schett
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Reader - professur wolfgang schett
Le Corbusier und seine Bauten in Frankreich Seminarreise Herbstsemester 2009 18. Oktober - 24. Oktober 2009 Professur Wolfgang Schett ETH Eidgenössische Technische Hochschule Zürich 3 TeilnehmerInnen Alder Banakar Baumgartner Bedekovic Byrelid Cheung Dürig Gehrig Golub Hofer Ingold Kan Kündig Müller Neuenschwander Nunn Oggier Schaefle Scheidegger Simoni Tammaro Zimonjic Zitzelsberger Matthias Simon Micha Chris Ninni Simon Guillermo Sandra Elena Thomas Lukas Rayson Léone Nathanael Tommy Andreas Julian Philipp Angelika Martino Fabio Nemanja Ludwig Gutzwiller Manetsch Isabel Franziska 4 Organisation Treffpunkt: Sonntag, 18. Oktober 2009 07.00 Uhr Busbahnhof Zürich Zürich - Marseille: Mit dem Bus via La Chaux de Fonds, Ronchamp, La Tourette, Firminy nach Marseille Marseille - Paris: Dienstag 20. Oktober 2009 Gruppe 1 Marseille Saint Charles Paris Gare Lyon Gruppe 2 Marseille Saint Charles Paris Gare Lyon Organisation: Lehrstuhl Prof. W. Schett Departement Architektur HIL E 62.1 Wolfgang-Paulistr. 15 CH - 8093 Zürich Hönggerberg T: +41 44 633 29 40 F: +41 44 633 10 25 www.arch.ethz.ch/schett Assistentinnen: Isabel Gutzwiller e: gutzwiller@arch.ethz.ch m: 0041 78 683 27 50 Franziska Manetsch e: fmanetsc@arch.ethz.ch m: 0041 79 308 51 19 ab 15.28 Uhr an 18.41 Uhr ab 16.28 Uhr an 19.31 Uhr Paris - Zürich: Samstag 24. Oktober 2009 Paris Est ab 17.54 Uhr Zürich HB an 22.26 Uhr Hotel L‘Arbresle: Hotel La Tourterelle 394 route de Sain-Bel 69210 L‘Arbresle Tel. +33 4 74 01 23 86 Hotel Marseille: Hotel Le Corbusier 280, Boulevard Michelet 13008 Marseille Tél +33 4 91 16 78 00 Hotel Paris: Hotel de la Herse d’Or 20, rue Saint-Antoine 75004 Paris Tel: (33 1) 48 87 84 09 5 Programm Sonntag 18. Oktober 2009 Morgen La Chaux de Fonds Villa Fallet Villa Stotzer Villa Jacquemet La Maison Blanche Villa Schwob Villa Favre-Jacot Nachmittag Ronchamp Chapelle Nôtre-Dame-du-Haut Weiterreise nach Eveux / La Tourette Montag 19. Oktober 2009 Morgen La Tourette Couvent Saint-Marie-de-la Tourette Nachmittag Firminy La Maison de la Culture et la Jeunesse Stade Eglise Saint-Pierre de Firniny Unité d‘Habitation Weiterreise nach Marseille Dienstag 20. Oktober 2009 Morgen Marseille Unité d‘Habitation Nachmittag Der Hafen und die Wohnbauten von Fernand Pouillon Weiterreise nach Paris Mittwoch 21. Oktober 2009 Morgen Villas La Roche-Jeanneret Maison Molitor Nachmittag Maison de Verre von Pierre Chareau Die Bauten von Robert Mallet-Stevens Donnerstag 22. Oktober 2009 Morgen Atelier Ozenfant Pavillon Suisse Pavillon du Bresil Nachmittag Villa Planeix Cité de Refuge Freitag 23. Oktober 2009 Morgen Maisons Jaoul Nachmittag Villa Savoy Samstag 24. Oktober 2009 frei ev. Villa Besnus Villa Stein La Petit Maison de Weekend Villa Lipchitz - Miestchaninoff Villa Ternesien Rückreise nach Zürich 6 Inhalt Texte Le Corbusier et Pierre Jeanneret, Oeuvre Complèt 1910-1929 Einleitung zur ersten Auflage Timothy J. Benton, Pariser Villen 1920-1930 Einführung Jean-Louis Cohen, Le Corbusier Die Lyrik der Architektru des Maschinenzeitalter - Einleitung Stanislaus von Moos, Le Corbusier - Elemente einer Synthese Vorwort Stanislaus von Moos, Le Corbusier - Elemente einer Synthese Die fünf Punkte einer neuen Architektur Stanislaus von Moos, Le Corbusier - Elemente einer Synthese Maison Citohan Le Corbusier et Pierre Jeanneret, Oeuvre Complèt 1910-1929 ‹‹Plan Voisin›› de Paris 1925 Stanislaus von Moos, Le Corbusier - Elemente einer Synthese Versuch einer Chronologie 11 15 21 27 29 33 37 41 7 Die Bauten von Le Corbusier La Chaux-de-Fons bis Marseille Villa Fallet Villa Favre-Jacot Villa Stotzer Villa Jacquemet La Maison Blanche - Villa Jeanneret Villa Schwob Chapelle Nôtre-Dame-du-Haut Couvent Saint-Marie-de-a-Tourette Firminy-Vert La Maison de la Culture et la Jeunesse Stade Église Saint-Pierre de Firminy Unité d‘Habitation Firminy Unité d‘Habitation Marseille Paris Villa La Roche - Jeanneret Maison Molitor Villa Lipchitz - Miestchaninoff Villa Cook Villa Ternesien Villa Besnus Villa Stein La Petit Maison de Weekend Atelier Ozenfant Villa Planeix Pavillon Suisse Pavillon du Brésil Annex du Palais du Peuple Cité du Refuge Maisons Jaoul Villa Savoye Die Bauten der Zeitgenossen 50 51 52 53 55 57 59 63 67 71 75 77 79 81 87 91 93 95 97 99 101 103 105 107 109 111 113 115 117 121 Fernand Pouillon l‘immeuble façade du Vieux-Port Vieux-Port / Tourette L‘opération de la Tourette 127 131 132 133 Robert Mallet-Stevens Maison Reifenberg Maison Allatini Maison Dreyfuss Maison Martel Maison Mallet-Stevens Atelier Barillet 135 136 137 138 139 140 141 Pierre Chareau La Maison de Verre 143 Stadtpläne Marseille Paris Paris - die Bauten von Le Corbusier Paris - Metro fern Paris - Metro nah 155 156 157 158 159 Bibliografie 160 Texte 10 11 Le Corbusiers et Pierre Jeanneret, Oeuvre Complète 1910-1929 Publiée par W. Boesiger et O. Stonorov Intoduction et textes par Le Corbusier Einleitung zur ersten Auflage Verleger und zwei junge Architekten vereinigten ihren guten Willen, um dies Buch, eine Art Bilanz unserer bisherigen Arbeit, erscheinen zu lassen. Dieser Beweis von Interesse der heranwachsenden Generation erfüllt uns mit großer Freude. Schade wäre es jedoch, wenn dieses Buch zu einer endgültigen Bilanz würde, unsere Entwicklung fixierend und sie zum Stillstand bringend. Auch da ich 42 Jahre alt geworden bin, habe ich nicht aufgehört, Student zu sein. Mehr denn je bin ich der unaufhörlichen Bewegung nahe, die die heutige Welt beseelt. Ich analysiere die Elemente, die den Charakter unserer Zeit bestimmen, an die ich glaube und von der ich nicht nur die äußere Erscheinungsform zu verstehen suche, sondern ihren tieferen Sinn, und deren geistige Struktur darzustellen mir der eigentliche Sinn der Architektur zu sein scheint. Die verschiedenen Stile, die Spielereien der Mode berühren mich nicht: Schein und Maskerade. Vielmehr bewegt mich das herrliche Phänomen des architektonischen Gestaltens, und architektonisch gestalten heißt für mich durch die geistige Qualität der Konstruktion wirkend handeln, durch geordnete Schöpfung ein zusammenhängendes System bilden, zur Synthese bringen, das den allgemeinen Zeitgeist und nicht eine individuelle Laune zum Ausdruck bringt. Ich glaube nicht an allgemeine Formeln spontanen Ursprungs, an immanente Formeln. Ich glaube, daß jede Architektur mit Anspruch auf Geistigkeit immer das Werk eines einzelnen ist. Einer hier, einer dort, der sieht, erfaßt, der entscheidet und schafft. Sie bestimmen das Programm, zu dem man sich bekennt. Welch erhebendes Moment, da die Kristallisation sich im tiefsten Innern eines Menschen wie in einem Schmelztiegel - vollzieht. Jeder kann diese Kristallisation, die Schöpfung bedeutet, hervorrufen. Ein jeder kann es sogar so gut - im kleinen, im mittleren oder im großen Maße -, daß ich in dieser Macht, die in uns liegt, das Geheimnis des Glückes sehe. Obwohl die Schwierigkeiten mit unserem Fortschritte stetig wachsen, bin ich glücklich, täglich in dieser freudigen Tätigkeit aufgehen zu können. Und es schmerzt mich zu sehen, wie wenig man andern von diesem Freudenquell offenbaren konnte, und wieviele sich auf der Suche nach unerreichbaren und enttäuschenden Paradiesen verbrauchen und verzehren. Neben dem bewegten Berufe eines modernen Architekten, der überall sein muß und den täglich tausenderlei Aufgaben bestürmen, pflege ich einen stillen Garten, der Kunst geweiht. Dieses Wort, ich weiß es, wird von jüngeren Generationen gehaßt, die glauben, auf diese Weise die akademische Hydra töten zu können. Sollte ich aber zu der Erkenntnis kommen, daß meine Hand von den Resten der Jahrhunderte beschmutzt ist, so würde ich vorziehen, sie zu waschen, als sie abzuhauen. Denn die Jahrhunderte beschmutzen unsere Hände nicht; vielmehr legen sie ihre Fülle darein. Sich mit Kunst, d. h. mit dem befassen, über das man alleiniger Richter, einziger Herr des Gebietes ist, wo reiner Tisch herrscht und wo, was wir darauf legen, das unverfälschliche Produkt unseres Selbst ist, heißt sich der Verantwortlichkeit bewußt sein, und sich so zu bekennen, wie man wirklich ist, nicht mehr und nicht weniger; heißt, sich loyal dem öffentlichen Urteil auszusetzen und sich nicht hinter Zufälligkeiten verbergen, die man im Falle des Versagens verantwortlich macht und im Falle des Erfolges verschweigt. Die Architektur verlangt, die Aufgabe scharf zu formulieren. Alles hängt davon ab. Hier liegt das entscheidende Moment, da man Farbe bekennen muß. Werden wir das Problem dahin begrenzen, uns lediglich mit der Befriedigung des Nützlichen zu beschäftigen? Dann sollten wir aber das Nützliche definieren! Gibt es Poesie, Schönheit und Harmonie im Haushalt des modernen Menschen, oder herrscht dort nur das mechanische Funktionieren der Wohnmaschine? Mir scheint, das Streben nach Harmonie ist die schönste menschliche Leidenschaft. Das Ziel in seiner Unendlichkeit ist bestimmt, es ist weit, denn es erstreckt sich auf alles. Ich habe bis zum Jahre 1907 in meinem Geburtsort einen Meister gehabt - L‘Epplatenier -, der ein mitreißender Lehrer war und der mir die Tore zur Kunst öffnete. Wir verschlangen die Meisterwerke aller Zeiten und Länder. Ich bewahre jener bescheidenen Bibliothek, die sich in einem kleinen Wandschrank unseres Zeichensaales befand und in die unser Meister alles, was er für unsere geistige Nahrung notwendig erachtete, vereinigt hatte, große Dankbarkeit. Später bin ich viel gereist, Ich habe Eugène Grasset gekannt, der der eigentliche Vater jenes Geistes um 1900 war. Er war es, der mich an Auguste Perret verwies. Kann heute sich ein Leser vorstellen, daß es in den Jahren 1908/09 geradezu als heroische Tat galt, daß Perret in Eisenbeton konstruierte und daß er - nach de Baudot - behauptete, dieser neuen Konstruktionsweise eine neue architektonische Form zu geben? Auguste Perret nimmt in der Geschichte der modernen Architektur einen ganz bestimmten, sehr hohen Rang ein. Er ist ein „Konstrukteur“. Als ich 1910 von ihm in Deutschland erzählte und behauptete, daß er in jenem Augenblick der Einzige sei, der sich in der Richtung auf ein neues Bauen hin bewege, lachte man, man zweifelte, man überging, verkannte ihn gänzlich. Man tat sein Haus in der Rue Franklin mit „Jugendstil“ ab, weil es mit Keramik verkleidet war! Nun aber war dieses Haus ein Manifest! In den Jahren 1908 und 1909 machte Auguste Perret mich mit dem Eisenbeton vertraut und erzählte mir von der „galerie des machines“. „Die Verzierung“, so sagte er, „verbirgt immer einen Konstruktionsfehler.“ Bedenken wir, daß man zu jener Zeit in allen Ländern mit oder ohne Ornamente verzierte, weil man noch nicht so weit war, durch eine vollkommene Umgestaltung des architektonischen 12 Phänomens das Gesicht einer Epoche auszudrücken, die wenige mit Optimismus betrachteten. Man glaubte sich in einem Zustand der Fäulnis, vollkommener Dekadenz, absoluter Anämie. Und dennoch rollte die Welt seit Stephenson einer neuen Bestimmung entgegen. In der düsteren Periode, da man beginnt, die Menschen kennen zu lernen, da man aus den Studienjahren heraustritt, um sich voller Vertrauen in das große Spiel des Lebens zu werfen, das man für Leute mit gutem Willen offen glaubt, die ihre Kräfte, ihre Ausdauer mitbringen und all ihr Wissen, wenn dann diese naive Prätention an der Mauer der normalen, alltäglichen menschlichen Indifferenz zerschellt - in jenem Augenblick habe ich einen älteren Freund gefunden, der der wohltuende geistige Vertraute meines Staunens, meiner Unsicherheit und unvermeidlicher Intrigen wurde. Er glaubte weder an Cézanne und noch weniger an Picasso, aber das entzweite uns keineswegs. Er war voller „Weisheit“; sein Herz befand sich in ewigen Trancezuständen vor dem Phänomen der Natur und vor den Kämpfen, die der Mensch auszuführen gezwungen ist. Wir haben zusammen große Landschaften von geschichtlicher Vergangenheit - Seen, Hochebenen, Alpen - durchwandert. Und langsam, langsam habe ich mich in mir gefestigt; ich habe entdeckt, daß man nur auf seine eigenen Kräfte zählen kann. Dieser Freund war William Ritter. In Lyon hatte Toni Garnier gegen 1900 gewagt - er war „Grand prix d‘Architecture“ in Rom -, dem „Institut“ die Pläne einer industriellen Stadt einzusenden. Dieser Mann ahnte die Neugeburt der Architektur aus einem neuen sozialen Phänomen. Seine Pläne zeugen von großer Geschicklichkeit: die Pläne Garniers stellen ein letztes Auswirken von Jahrhunderten französischer Architektur dar. Es herrscht darin eine Schule der Plankunst. Aber oberflächliche Professoren ohne Sinn für Idee oder Zweck bauen, auf diese Plankunst gestützt, in den Schulen ins Blaue hinein und entfalten Sinn für Pomp und Prätention. Das Leben unserer Zeit spielt sich für sie zu Füßen ihrer „unsterblichen Kuppel“ ab. Ihr Elfenbeinturm wird, vom Leben belagert, stürzen. Bereits bemächtigen sich revolutionäre Ideen der Schüler. Sie haben keine akademischen Palmen in ihrem Tornister und beginnen sich über die seltsamen Kunststücke zu beunruhigen, die man sie für eine rein hypothetische Gesellschaft machen läßt, die bald nicht mehr wissen wird, was sie mit solchen Spielereien anfangen soll. Während des Krieges hatte ich jede architektonische Tätigkeit verlassen. Die Nachkriegszeit fand mich mitten in den Problemen des industriellen und wirtschaftlichen Wiederaufbaues. In wunderbarer Weise begann ich die moderne Welt kennen zu lernen, jenes Milieu, das eines Tages wohl seine Architektur, den Ausdruck seines Geistes erzeugen muß. Es gab also einen geistigen Zustand im positiven Sinne wirkend, konstruktiv, einen geistigen Zustand voll mächtiger Fruchtbarkeit. War eine neue Epoche in Vorbereitung, in Gestaltung? „Eine große Epoche hat begonnen, von einem neuen Geiste belebt. Ein Geist des Aufbaus und der Synthese, geführt von einer klaren Konzeption.“ Mit diesen Worten begannen wir, Dermée, Ozenfant und ich, im Jahre 1920 den „Esprit Nouveau“, internationale Zeitschrift zeitgenössischer Aktivität. Die Debatte entspann sich auf hohem Niveau. Künstler entdeckten Dinge im voraus, herrliche, ermutigende, erhebende, begeisternde Dinge... eine große Zeit bricht an... Mit einem Schlage fand das Problem der Architektur sein Publikum. Es war eine Art internationaler Zusammenschluß im Zeichen der Zukunft. Wir waren Legion in jedem Lande, die unter der selben Einkellerung litten, die eine konstruktive Forderung befürworteten. In einigen Jahren ist eine internationale Architektur erschienen, als Tochter der modernen Wissenschaft und Dienerin der neuen Gesellschaft neue Ideale erzeugend. Die neue Architektur ist geboren; sie ist noch sehr jung, sie steckt in ihren Anfängen. Die Reaktion der Akademie ist heftig und verschlagen, feige. Die Akademie liegt im Sterben; sie merkt es. Mit Schnabel und Klauen (ein alter Schnabel, abgestumpfte Klauen, die in hundert Jahren nachgewachsen sind) verteidigt sie sich bedrängt. Sie wird sterben, die Akademie. Es ist ihr Schicksal. Es ist Gesetz, der einfachste Verstand verlangt es. Aber ihr Geschrei widerhallt überall, ihre Palmen wehen wie bei einem Fest... wie bei einem Totenfest... Die Akademie hat noch den Durchbruch des Boulevard Haußmann geschaffen. Sie plant den Bau der „route triomphale“ von Paris, die beim Etoile endigen wird. Sie bedarf der Ehren und Trophäen; sie versteift sich darauf, sich bei Cäsars Triumph zu wähnen. Sie vergißt, daß Paris an Blutlosigkeit zugrunde geht, zermalmt von der Maschine. Dieser von Gefahren bedrängten Stadt bereitet man Triumphe und Festzüge... Dabei wird Tuberkulose die Stadt vernichten, Ueberstauung den Handel, Paralyse das Land. Was schert sie das, sie wird ihre Trophäen haben. Keine einzige Zeitschrift mehr, die sich herbeiließe, solches Zeug zu drucken!... Aber eine neue Architektur ist geboren: das Resultat des Geistes unserer Zeit. Das Leben wird mächtiger sein als alle diese Festveranstalter. Im Jahre 1922 habe ich mich mit meinem Vetter Pierre Jeanneret zusammengetan. Mit Loyalität, Optimismus, Initiative und Ausdauer, mit gutem Humor... und im Bunde mit den Widerständen der Zeit haben wir uns an die Arbeit gemacht. Zwei Männer, die sich verstehen, sind so viel wert wie fünf andere, die allein sind. Indem wir niemals lukrative Zwecke verfolgten, keine Kompromisse schlossen, sondern im Gegenteil uns am schöpferischen Suchen begeisterten, das die Freude des Daseins ausmacht, haben wir das ganze Schachbrett der Architektur besetzt, vom niedrigsten Detail bis zu den großen Plänen einer Stadt. Wir haben in unserem Atelier in der Rue de Sèvres junge, begeisterte, gläubige Menschen aus allen möglichen Ländern versammelt gesehen (Frankreich, Deutschland, Tschechoslowakei, Schweiz, England, Amerika, Türkei, Rußland, Jugoslawien, Polen, Spanien, Japan). Und alle arbeiten wir als gute Kameraden in selbstgewählter Disziplin. Diese großherzige Hilfe der Jungen erlaubt uns, Arbeiten in desinteressierter Weise zu unternehmen, Arbeiten, in denen wir dafür vielleicht zur Lösung des großen Problems zeitgenössischer Architektur etwas beitragen konnten. Möge der Leser dieses Buches die Etappen rekonstruieren, die in 25 Jahren aus: Oeuvre Complète 1919-1929- Le Corbusier Architektur durchschritten wurden. Das Schauspiel ist abwechslungsreich, vorwärtsdrängend, verblüffend. Um 1900 herrliche Geste der „Art Nouveau“. Man haucht dem alten Gerippe neues Leben ein. Als ich 1908 nach Paris kam, stand schon die „Samaritaine“ von Franz Jourdain. Aber wir fanden es sehr geistreich, über diese Kuppeln in Eisengitter-Konstruktion zu lachen und unterließen es, zu beobachten, daß ihre Seitenfassaden ganz aus Glas sind. (Der „Centrosoyus“ in Moskau 1929 wird nichts anderes bringen.) Wir wußten, daß Otto Wagner in Wien, in einem Lande ohne starke Tradition eine neue Aesthetik gewagt und daß Josef Hoffmann eine Innenarchitektur voller Erfindungskunst und Geschmack geschaffen hatte. Paris erschien in voller akademischer Lethargie. Häufig wallfahrtete ich in die Rue Cassini, um dort zwei kleine „Hôtels“ von Lecœur zu betrachten und ein Haus aus Eisen und Glas in der Rue Réaumur. Man ging gerade an den Abbruch der „Galerie de machines“ gegenüber dem Eiffelturm. St-Jean de Montmartre, die Kirche von De Boudot, erschien uns „schauderhaft“. Wir vergaßen die Bedeutung dieser Erfindung zu würdigen. Ferner gab es die Garage Ponthieu von Auguste Perret (1906), den Eiffelturm und die eiserne Brücke über die Seine gleich daneben. In der näheren Umgebung von Paris entdeckte das Auge, das sehen wollte, große Ateliers und Fabriken: das Reihenfenster war seit zwanzig oder vierzig Jahren da! Wenn man dagegen in die Modebäder ging, sah man das modernisierte normannische Haus in voller Blüte. Der Heimatschutz erwachte! Die Dächer triumphierten, erhoben sich wie Pyramiden und die ganze architektonische Erneuerung schien sich in diese sentimentalen Auferstehungen vergangener Epochen vergraben zu wollen. 1909 an der „Ecole des Beaux-Arts“ in Paris: der Professor für Baukonstruktion ist krank: er wird durch einen der Chefingenieure der Metro von Paris ersetzt: „Meine Herren, ich werde diese wenigen, außerordentlichen Vorlesungen benützen, um Ihnen vom Eisenbeton zu sprechen... „ Er kann nicht weitersprechen. Pfeifen, Radau, Gejohle. Er ist besiegt, erledigt. Und nun erzählt er uns von mittelalterlichen Dachkonstruktionen! Die Abteilung für angewandte Kunst des „Salon d‘ Automne“ machte große Anstrengungen der Erneuerung: aber es sind im Grunde nur Variationen über veraltete Themen. (Eines Tages, im Jahre 1913, brachte eine Zeitschrift Werke von Frank Lloyd Wright, einem großen Vorläufer.) Zentraleuropa - Holland und Deutschland - nahm die französische Bewegung von 1900 auf, unter Vermeidung des freien Schaffens, um nicht in den oberflächlichen Manifestationen des „Jugendstil“ unterzugehen. Man hielt sich an geschichtliche Vorbilder, die man modernisierte und mit dem Geiste der Epoche zu vereinbaren suchte. BerIage (durch konstruktive Bemühungen), Tessenow (mit Sauberkeit durch Sparsamkeit), van der VeIde (Maler) und Peter Behrens (Maler, durch geistige Haltung architekturale Absicht und durch ästhetische Bemühung). Ich vergesse gewiß manche Pioniere dieser reichen Bewegung. Neben den „Stars“ waren diejenigen, die lediglich die vielfachen Nuancen der Erneuerung 13 der Architektur ausdrückten. Nach dem Kriege lernten wir die Hangars in Orly von Freyssinet und die amerikanischen Speicheranlagen kennen. Die Zustimmung war allgemein. In zehn Jahren haben wir die Luftschiffahrt entstehen sehen. Der Krieg hat die moderne Architektur nicht geschaffen, aber ihren Fortschritt aufs intensivste beschleunigt. Ich habe die Schule mit 13 Jahren verlassen und eine dreijährige Lehre bei einem Graveur gemacht. Mit 17 Jahren fand ich einen Bauherrn, der mich die Pläne seines Hauses zeichnen ließ. Zwischen meinem achtzehnten und neunzehnten Lebensjahr habe ich dieses Haus gebaut, mit großer Sorgfalt und einer Unmenge rührender Details. Dieses Haus ist vielleicht häßlich, aber frei von jedem architektonischen Ballast. Ich war mir bewußt, daß man ein Haus mit Materialien und Arbeitern baute, und daß man je nach Grundriß und Schnitt Erfolg oder Mißerfolg habe. Ich empfand daraufhin einen Schauder vor allem Schulunterricht, vor allen abgedroschenen Rezepten, vor den a priori des göttlichen Rechts. Und ich erkannte, daß man auf das eigene Urteil abstellen muß. Mit meinen Ersparnissen unternahm ich kleine Streifzüge durch verschiedene Länder, weg von den Schulen. Ich begann die Augen zu öffnen. Die menschlichen Schöpfungen erreichen eines Tages den Grad, da sie sich zu klaren, logischen, indiskutabeln Systemen konkretisieren. Sie werden kodifiziert und wandern ins Museum. Das ist ihr Tod. Eine neue Betrachtungsweise, eine Erfindung tritt auf, die alles wieder umstürzt. Ein Stillstand ist unmöglich. Nur die individuelle Schöpferkraft erlischt eines Tages; das bedeutet das Ende eines Menschen, nicht das der Architektur. Junge Generationen kommen; sie steigen dir ungeniert auf die Schultern, und ohne dem Sprungbrett zu danken, hissen sie das Banner ihrer Ideen höher. Die moderne Architektur ist in ihrem Anfang. Sie ist geboren. Sie ist ans Licht gedrungen. Ihr Weg wird sie weit weg von den heutigen Resultaten führen. Dinge, die wir uns heute noch nicht vorstellen können, werden morgen auftauchen. Keine Angst vor dem, was heute ist. Es ist erst die Morgenröte neuer Zeiten. Paris, im September 1929 Wenn ich diese kindlichen Details niederschreibe, geschieht es nur, um vielleicht eine Art jugendlicher Überzeugung zu bekräftigen, die immer wieder durch die Flut der Zweifler bedrängt wird. Hat man mir nicht das Scheitern einer Karriere prophezeit, in der ich darauf ausging, mich den umfangreichen Schulprogrammen und dem langen Aufenthalt in den Akademien zu entziehen, und in der ich von vornherein auf die schmeichelnden Vorteile eines Diploms, das in feierlicher Weise die Studien beendigt, verzichtete? 14 15 Le Corbusiers Pariser Villen 1920 -1930 Timothy J. Benton Einführung Oft wird über die Architekten der Moderne kritisch geäußert, sie hätten den Sozialbau gepredigt, aber private Häuser für die Reichen errichtet. Auch wenn man alle Einflußfaktoren in Betracht zieht - den politischen Kontext, die Notwendigkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen oder das kultivierte Bürgertum durch die Form zu verführen, um es von der Kraft des Inhalts zu überzeugen - , bleibt das Problem immer noch bestehen. Viele grundlegende Dogmen der modernen Architektur entspringen aus den verschiedenen Strömungen sozialer Utopien und Reformen, und ein Historiker muß sich die Frage stellen, wie viele dieser Doktrinen von Architekten kompromittiert wurden, die von reichen, geschmäcklerischen Auftraggebern abhängig waren. Im Falle von Le Corbusier und Pierre Jeanneret sind diese Erörterungen nicht ohne Bedeutung. Sie errichteten zwar während der zwanziger Jahre einige «soziale» Bauvorhaben, darunter eine Reihe von Wohnanlagen, von denen Pessac bei weitem die wichtigste war, aber die tatsächliche Einkommensquelle bestand aus Honoraren für private Häuser, vor allem solche in der Pariser Gegend. Am Ende des Jahrzehnts begann die «Ära der großen Arbeiten» mit dem Auftrag für Centrosoyus, dem Bau für die Heilsarmee, der Fondation Suisse, dem Clarté-Gebäude in Genf und den Appartements in der Rue Nungesser-et-Coli in Paris. Le Corbusier erwarb sich durch diese Arbeiten sowie durch seinen weltweiten Ruf die Freiheit, sich von der üblichen Praxis privater Architektur zurückziehen zu können und sich auf die langwierigen und frustrierenden Studien der Planung für ganze Städte in aller Welt, von Algier bis Rio de Janeiro, von Stockholm bis Paris, zu konzentrieren. Eine zweite wichtige Einkommensquelle entsprang natürlich während der zwanziger Jahre aus der Veröffentlichung von nicht nur sechs bedeutenden Büchern, mehreren Ausgaben der Zeitchrift L ‚Architecture Vivante, dem ersten Band des Gesamtwerks, sondern auch von unzähligen Artikeln und Pamphleten. Selbst die Beteiligung am Magazin Esprit Nouveau, dessen Hauptaktionär er war, verschaffte ihm trotz dessen instabiler Finanzen ein gewisses Einkommen. Die Beziehung zwischen der Architektur von Privathäusern und Publikationen an sich ist aufschlußreich. Man kann die Bücher in solche aufteilen, die hauptsächlich theoretischer Natur sind (Kommende Baukunst, Städtebau, Précisions), und jene, deren Hauptanliegen es war, Le Corbusiers eigenes Werk bekannt zu machen und zu erklären (Une maison, un palais, Zwei Wohnhäuser, die Nummern von L ‚Architecture Vivante und das Gesamtwerk). Bei letzteren zählte die Möglichkeit, das gebaute Werk ausgiebig mit Fotografien und Zeichnungen zu veranschaulichen und so Architektenkreise zu beeindrucken. Die Architektur von Privathäusern spielte eine wesentlich Rolle zu einer Zeit, als es außerordentlich schwierig war, Aufträge für andere Arten von Bauten zu bekommen. Gropius‘ Buch Internationale Architektur von 1925 (das auf Fotografien basiert, die für die Bauhaus-Ausstellung von 1923 gesammelt worden waren) ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich: Das Atelier Ozenfant und das Haus Besnus in Vaucresson von Le Corbusier gehören zu den relativ wenigen modernen Bauten - im Gegensatz zu Bauplänen -, die darin abgebildet waren, und sie gewährten ihm einen Platz unter den Pionieren der internationalen Moderne. Die Häuser trugen auch dazu bei, Kontakte zu knüpfen und Leute zu beeinflussen, die Machtpositionen einnahmen. Die Entwürfe für Monsieur Mongermon, einen der Direktoren der Autound Flugzeugfabrik Voisin, sicherten Le Corbusier die finanzielle und moralische Unterstützung für den Pavillon Esprit Nouveau und den Plan Voisin de Paris im Jahre 1925. Drei Jahre später ebnete ihm der Entwurf eines Hauses für Madame Ocampo den Weg für seine Vortragsreise nach Argentinien im Jahr 1929. Die Symbiose der Standard-Wohnhaus-Prototypen (Dom-ino, Citrohan I und II, Immeuble-Villas, Pavillon Esprit Nouveau, Loucheur-Häuser) mit den private Einfamilienhäusern verhinderte außerdem die einfache Unterscheidung zwischen beiden Gruppen. Die meisten Häuser der zwanziger Jahre können, je nachdem, ob sie von einer oder der anderen diese «Standard-Zellen» abgeleitet sind, in Typen aufgeteilt werden, und das gilt ebenso für die Luxusprojekt Meyer, Stein-de Monzie und Savoye wie für die bescheideneren Häuser. Fast alle Charakteristika der privaten Häuser können auf Le Corbusiers allgemein Theorie der Stadtplanung zurückgeführt, mit dem Gebrauch neuer Materialien, dem Zeitgeist, der Standardisierung, der Ford-Revolution und so weiter verbunden werden. Wenn man zum Beispiel die Frage stellt, warum die Pilotis eine so wichtige Roll bei diesen Häusern spielen, so führt die Begründung der Funktionalität oder der Praktikabilität zu keiner Antwort. Die Idee der Pilotis entstammte einer allgemeinen Theorie, nach der die Bebauung der Städte über den Boden erhoben werden sollte, um den Fahrzeugen darunter ungehinderten Verkehr zu ermöglichen. wie im Entwurf für die Stadt mit drei Millionen Einwohnern (1922). Aber man kann auch auf Dogmen hinweisen, die den Gebrauch des «richtigen» Materials für das 20. Jahrhundert -Stahlbeton- propagieren und dabei Argumente der rationellen Konstruktion benutzen, die auf Choisy oder Viollet-le-Duc zurückgehen. Ein hervorstechendes Beispiel für die Auswechselbarkeit der Wertvorstellungen von Massenwohnungsbau und privaten Häusern wurde in der Form der Ausstellungsgebäude gegeben. Der Pavillon Esprit Nouveau sollte eine Standardzelle in einem Appartementblock darstellen - die lmmeuble-Villa, die selber eine Standardeinheit ist, die man auf 16 städtischen Maßstab, wie im Plan Voisin de Paris, ausdehnen kann. Aber Le Corbusier benutzte die von der Ausstellung ausgehende Reklame auch dazu, für ein weitgehend auf dem Pavillon beruhendes Haus als Modell für potentielle Bauunternehmer und Privatkunden zu werben. Der Pavillon Esprit Nouveau mit seinem teilweise eingezäunten hängenden Garten bildet den Prototyp für die späteren Entwürfe der Villa Meyer, für das Haus Stein-de Monzie und die Villa Savoy. Auseinandersetzungen mit der langmütigen Madame Savoye: «Sie sollten auf dem Tisch der Eingangshalle unten ein Buch auslegen (pompös das <Goldene Buch> genannt), und jeder Ihrer Besucher muß seinen Namen und seine Herkunft hineinschreiben. Sie werden sehen, wie viel hübsche Unterschriften Sie sammeln werden.» Aber wahrscheinlich ärgerte sich nicht nur Henry Church über die Eindringlinge: Will man aus Le Corbusiers Werk ein «Genre» auswählen, so sollte man nicht künstlich eine rein zufällige Architekturform abtrennen, sondern eine Hauptströmung seiner Kulturpolitik in den zwanziger Jahren herausarbeiten. Wir werden jedoch feststellen, daß das Luxushaus, vor allem in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, ein tatsächliches Problem bildete, und Sigfried Giedion war einer der ersten, die darauf aufmerksam gemacht haben. Das bürgerliche Haus stellte für einen Architekten von Le Corbusiers idealistischer Einstellung insofern ein Problem dar, als es seine Bewohner wenigstens bis zu einem Mindestmaß befriedigen sollte. Wir werden bei den folgenden Fallstudien sehen, daß ein typischer Auftrag Verzögerungen beim Entwurf der Pläne, eine oft eigenmächtige Auslegung der Wünsche des Kunden, Schätzungen, die im allgemeinen 50 bis 100 Prozent unter den tatsächlichen Kosten lagen, wirre Buchführung und eine ganze Reihe von katastrophalen technischen Mängeln mit sich brachte, die kostspielige Reparaturen und peinliche, bis in die späten dreißiger Jahre gehende Korrespondenzen nach sich zogen. Enge persönliche Freundschaften wurden bis zum äußersten strapaziert und zerbrachen manchmal unwiderruflich. Nur wenige Häuser wurden von ihren ursprünglichen Auftraggebern lange bewohnt oder entgingen Umbauten oder Zerstörung. Natürlich gab es dafür viele Gründe, nicht zuletzt Geldmangel oder Eigenwilligkeit der Bauherren. Le Corbusiers Schwägerin zum Beispiel hatte eine fixe Idee, was den hohen Arsenikgehalt in französischen Farben anbetraf, und bestand darauf, Proben in Schweden testen zu lassen mit dem Erfolg, daß nach ihrer Rückkehr das ganze Haus neu angestrichen werden mußte. Die meisten Kunden hatten wohl eine gewisse Ahnung, worauf sie sich einließen, denn viele kannten sich untereinander und hatten wahrscheinlich Gelegenheit, Schauergeschichten zu hören, bevor sie eine Verpflichtung eingingen. Die amerikanischen Kunden zum Beispiel kannten sich alle: William Cook, Michael Stein und Henry Church. Ein wesentlicher Punkt in Le Corbusiers Strategie war es, seine Häuser regelmäßig von interessierten Leuten besichtigen zu lassen. Mehrere Kunden wiesen auf Besonderheiten anderer Häuser von Le Corbusier hin, die sie in ihren eigenen Bauten angebracht haben wollten. Le Corbusier erwartete eindeutig von seinen zufriedenen Bauherren, dass sie auf die Berümtheit ihrer Häuser stolz waren. So schrieb er anläßlich der Einweihung der Villa Savoy nach unzähligen Schierigkeiten und «Würden Sie mir den Gefallen tun und keine Leute mehr schicken, die meinen Besitz besichtigen wollen. Die Häuser werden nicht mehr besichtigt, und ich habe meinem Personal diesbezüglich strenge Anweisungen erteilt.» Nur wenige Bauherren scheinen so loyal und begeistert gewesen zu sein wie Raoul La Roche, der sich bewußt war, daß das, worin er lebte, wohl eher als Architektur denn als ein «Haus» im konventionellen Sinne eingeschätzt wurde. Er schrieb einen Neujahrsbrief an Le Corbusier, in dem er ein Fotoalbum des bekannten Fotografen Boissonnas kommentierte: «Ich muß Ihnen gestehen, daß die Villa La Roche trotz der Kunst von Monsieur Boissonnas in Wirklichkeit viel schöner ist als auf dem Bild. Woran liegt das? Sicherlich daran, daß die beste Reproduktion nur unvollkommen die Erregung wiedergeben kann, die man beim unmittelbaren Kontakt mit dieser Symphonie von Prismen fühlt. O diese Prismen, man möchte glauben, nur Sie und Pierre kennten das Geheimnis, denn vergebens suche ich sie anderswo. Sie haben uns ihre Schönheit gezeigt, uns beigebracht, welchen Sinn sie haben, und dank Ihnen wissen wir jetzt, was Architektur ist. Wir haben sie zugleich theoretisch und praktisch verstanden. Mögen im Laufe der kommenden Jahre ebenso viele Bauten entstehen, kleine und große, deren Autoren man sofort erkennen wird; ihre Namen sollen nicht auf die Fassaden geschrieben sein, aber der Beschauer soll bewegt und spontan ausrufen: „Das ist Architektur!“ » Ebendas wollte Le Corbusier hören. Und doch hatte er das Vorbild eines komfortablen Lebensstils im modernen Sinne im Auge, den er seinen Kunden empfahl und der auf den Idealvorstellungen von Privatheit, Freiheit, Bequemlichkeit und Glück beruhte. Später benutzte er die Bezeichnung «la coquille de I‘escargot» (Schneckenhaus), die man dem bekannteren Slogan «machine à habiter» (Wohnmaschine) als Begriff für das moderne Haus entgegensetzen konnte. Le Corbusiers Modellhaus ist vor allem anthropozentrisch, es trägt menschlichen Maßen und den essentiellen Ereignissen Rechnung. Das Innere seiner Häuser ist voll von aus: Le Corbusiers Pariser Villen 1920-1930, Timothy J. Benton «Plätzen», beherrschenden Punkten, an denen die Bewohner stehen, sitzen oder liegen sollen. Diese Plätze sind durch Balkone, Einbuchtungen oder Vorsprünge in den Betonplatten oder Trennwänden gekennzeichnet. Viele der Innenperspektiven zeigen die optimale Aussicht, auf die der Bewohner hingelenkt wird, sie stellen dar, wie die «Prismen» zum Gebrauch und nicht nur zur Befriedigung des Architekten verteilt worden sind. Das Modell aber verlangt Opfer. Le Corbusiers Vorlieben traten klar bei der Ausführung und Möblierung des Hauses La Roche zutage, wobei der Bauherr ihm freie Hand gelassen halte. Wir werden sie im einzelnen als Fallstudie behandeln, denn das Haus diente zum Vorbild für spätere Inneneinrichtungen. Schlafzimmer waren im allgemeinen klein und streng gehalten, auch wenn die späteren «Luxushäuser» oft prächtigere Schlafräume mit großzügigen abgerundeten Formen hatten. Toiletten waren gewöhnlich winzig, Badezimmer sachlich, durch herrliche Porzellanware verschönt. In vielen der später gebauten Häuser hielt mit den eingelassenen Badebassins auch die Farbe Einzug: Sie waren mit kostspieligen, meist hellblauen Keramikkacheln ausgekleidet. Auch wenn den Wohnzimmern soviel Raum wie möglich zugestanden wurde, oft doppelte Höhe an einem Ende, wurde der tatsächliche Wohnbereich häufig nach außen verlegt, auf Dachterrassen, Veranden, Balkone und Gärten. Die eigentlichen Quellen der Freude waren natürlichen Ursprungs: Sonne, Luft, der Blick auf eine schöne Landschaft, auf vorhandene oder frisch gesetzte Bäume und Pflanzen, auf den nächtlichen Himmel. Diese Attribute eines gehobenen Lebensstils des modernen Menschen sind in dem berühmt gewordenen Brief an Madame Meyer vom Oktober 1925 aufgezählt. In der Beschreibung der Villa Savoye beschwört Le Corbusier den virgilschen Traum herauf: Der moderne Mensch, umgeben von den Produkten einer mechanisierten Gesellschaft, fühlt sich in seiner intellektuellen Überlegenheit bestätigt, aber den Blick auf eine schöne und unberührte Landschaft gerichtet. Le Corbusier glaubte, wie Adolf Loos, daß man den Fortschritt nicht zurückdrehen könne. Der Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts sei zu verstädtert, zu zivilisiert, also zwangsläufig zu intellektuell, um sich in althergebrachten kunstgewerblichen Formen auszudrücken. In einer Welt, in welcher der Luftraum erobert worden ist, die Bautechnik sich revolutionär entwickelt hat, gehöre der Mensch in eine erhobene Position, so hoch wie möglich über dem Boden, auf daß er nicht nur der Verseuchung durch feuchte und wuchernde Vegetation, sondern auch den Folgen der Zusammenballung in den Städten entkomme. Le Corbusiers Häuser erheben sich oft zu einer Reihe von hohen Punkten, von denen aus man nicht nur die außerhalb liegende Gegend, sondern auch das Innere des Hauses selbst kontrollieren kann. Er baute, wo immer es möglich war, «Architektur-Promenaden» (eine Bezeichnung, die bei der Beschreibung der Villa La Roche zum ersten Mal geprägt wurde), die 17 in vorbildlicher Weise durch die Räume des Hauses führen, sich auf die verschiedenen Ebenen menschlicher Aktivitäten erheben und in einer Bibliothek oder einem Aussichtspunkt auf die Natur enden. Diese hohen Punkte sind oft absichtlich mit Risiken und persönlichem Engagement verbunden: Steile Leitern und eng gewundene Treppen müssen erklettert, flache Dächer ohne Brüstungen erstiegen werden. Die Fußböden sind nüchtern gehalten: kleine, eng verlegte Kacheln (schwarze für «öffentliche», weiße für «saubere»» Räume), nahtloses Linoleum für Schlafzimmer und Empfangsräume, Gummibelag für Aufgänge. Schwarzweiße Berberteppiche und weiße Vorhänge waren erlaubt. Thonet-Stühle und Maples-Ledersessel wurden in der ersten Hälfte des Jahrzehnts bevorzugt, Stahlrohr-Prototypen (die ebenfalls von Thonet hergestellt wurden), nachdem im Jahre 1927 die Zusammenarbeit mit Charlotte Perriand begann. Kamine aus Beton standen frei und auffallend im Raum. Die Wände waren mit Temperaoder Ölfarbe gestrichen, in einer Skala von hellen Grün- und Blautönen, gebrannter Umbra oder Schwarz für zurückgesetzte Flächen, hell- und dunkelgrauen Halbtönen. Henry Church beschwerte sich schriftlich über das Farbschema von Le Corbusier, aber die meisten Bauherren scheinen es akzeptiert zu haben. Die Auftraggeber können in Künstler (Ozenfant, Lipchitz, Miestchaninoff, Ternisien - ein Musiker - und Planeix), Kunstliebhaber und Sammler (La Roche, Stein, Cook) und Vermögende (wieder Stein, Church, Savoye) unterteilt werden. Diese Einteilung ist in gewissem Grade hilfreich die Ateliers können klar von den Häusern unterschieden werden -, aber eine wichtigere Unterscheidung ergibt sich aus der Zugehörigkeit der Häuser zu den verschiedenen Epochen. Beim Haus Besnus und dem Atelier Ozenfant tauchen in unterschiedlicher Stil- und Symmetriefragen auf – sie betreffend die Grundlagen, auf denen die EIemente des LeCorbusier-Hauses beruhen: Fenster, Türen und Schränke. Vom Haus La Roche an wirkt die Entwicklung malerischer Eindrücke, innen wie außen, als Gegenpol zur strengen Analyse der Standardformen, die aus den Wohnzellen resultierten. Aus diesem Grund sind die Projekte Casa Fuerte und Mongermon (Januar bis April 1925) sowie die vier Meyer-Entwürfe (Oktober 1925 bis Mai 1926) entscheidend für die Entwicklung des Themas der «Architektur-Promenade» innerhalb der streng begrenzten Gegebenheiten städtischer Grundstücke. Bei vielen späteren Entwürfen kann man beobachten, daß zwischen dem Versuch, die Beschränkung (und eine «gegebene» Form) zu meistern, und explosive Ausbrüchen ins Malerische, Organische und Dynamische ein Konflikt entsteht. Der zutiefst romantische Impuls, innerhalb eines begrenzten Grundstücks und bei limitierten Finanzen unmögliche großartige Eindrücke schaffen zu wollen, wird stets neu entwickelt und tritt dann wieder in den Hintergrund. Diese Spannung zwischen Freiheit und Beschränkung kommt in einer Reihe von spezifischen Elementen praktisch zum Ausdruck. 18 Die Form der Partnerschaft mit seinem Vetter Pierre Jeanneret, und mit anderen Personen im Atelier in den zwanziger Jahren, wechselte oft von der Rolle der «Anpassung» zur Rolle der «Öffnung», wobei Le Corbusier im allgemeinen, aber nicht immer, die letztere spielte. Pierre hatte bezeichnenderweise die Aufgabe, die Pläne auszuarbeiten, sie lesbar zu machen, sich um alle Nebenaufgaben zu kümmern, das Verhältnis von Grundriß zu Aufriß zu überwache usw. Le Corbusier griff oft ein, indem er gekrümmte Wände einsetzte, den Räumen mittels starker Schatten Tiefe zu geben versuchte und vielfältige Forme symbolischer und imaginärer Wirkung hinzufügte. Der Dialog zwischen Freiheit und Beschränkung spielt sich an zweiter Stelle oft in brutal materieller Art und Weise zwischen Architekt und Bauherrn ab. In viele Fällen - und im Verlaufe der Jahre immer öfter -waren die ersten Entwürfe zu hochfliegend und erwiesen sich, nachdem man Angebote eingeholt und Kostenvoranschläge ausgearbeitet hatte, als viel zu teuer für den Auftraggeber. Viele bemerkenswerte Charakteristika der gebauten Häuser entstanden daher aus der Notwendigkeit, ausgearbeitete Entwürfe wortwörtlich zu «komprimieren». Das Interesse komplexen geometrischen Rastern, welche die Anordnung der Pilotis festsetzten, kann teilweise dadurch erklärt werden, daß man mit allen Mittel versuchte, vielfältige Funktionen in die starre Hülle eines gegebenen Schemas zu pressen. Dieses Problem wird bei der Villa Stein-de Monzie abgehandelt. Ein weiteres Zeichen für diese «Kompression» ist, was Alan Colquhoun die «Übertragung von Bedeutungen» genannt hat. Formen, die zunächst zu einem bestimmten Zweck und mit genauer Bestimmung in einem Entwurf aufgenommen wurden, werden später im Verlauf der Planung auf andere Teile des Hauses übertragen und erhalten unterschiedliche Funktionen. Hier liegt einer der wichtigsten Gründe, warum die Forschungsarbeit, die diesem Buch zugrunde liegt, überhaupt unternommen wurde. Die Ebenen des kreativen Schaffens aufzudecken, die sich in den greifbaren Formen eines Gebäudes manifestieren, ist nicht nur von historischem Interesse. Le Corbusier selbst war leidenschaftlich davon überzeugt, daß die «recherche patiente», die geduldige Forschung, Bestandteil der Arbeit des Architekten sein müsse, daß der Prozeß dieser Forschung zu seiner Tätigkeit gehöre und man beides nicht ohne Bruch trennen könne. Wenn man in die große Halle der Villa La Roche tritt und den von einer Brücke überquerten leeren Raum entdeckt, stellt man sich als erstes die Frage: Warum? Eine Antwort darauf ist, daß diese Brücke das verbindet, was in einer fortgeschrittenen Fassung des Entwurfs tatsächlich zwei Häuser gewesen sind. Oder wenn man an der Nordwestfassade der Villa Savoye hinaufblickt und eine «Fenster»-Öffnung am Ende der Wand des Solariums entdeckt, so kann dies auf zumindest zwei sich ergänzende Arten erklärt werden. Das Fenster gehörte ursprünglich zu dem Hauptschlafzimmer, dem «Raum mit Ausblick» und in gewissem Sinne Mittelpunkt des Hauses. Als das Schlafzimmer aus Sparsamkeitsgründen aus dem obersten Stock entfernt wurde, benutzte man das Fenster als Ruhepunkt am Ende der «Architektur-Promenade», als Ziel, an dem man Ausblick auf den Himmel und die Natur hat, wenn man die Rampe hinaufsteigt. Beide Bedeutungen aber überlagern sich und sind präsent. Es besteht kein Zweifel daran, daß diese Kämpfe, Änderungen, Anpassungen und Opfer zum Teil, nach Le Corbusiers Auffassung, auf eine Dialektik zwischen Ideal und Pragmatik zurückzuführen sind. Zu seinen idealen, im wesentlichen unrealisierbaren Formen gehörten die unsichtbare Konstruktion, die schwebenden Volumen, die unbefleckte Reinheit der «Prismen», das Sich-Öffnen des Raumes. Aber er schätzte auch praktische Entdeckungen. Er war geradezu besessen von Details. Zu einigen seiner eindrucksvollsten Zeichnungen gehören solche für Fenstermechanismen, Türschlösser, Dachluken, Lampen und Einrichtungsgegenstände. In den zwanziger Jahren unternahm er wiederholt Versuche, ein Standard-Langfenster patentieren und herstellen zu lassen. Patente wurden in Frankreich und der Schweiz erwirkt und die Firma Ronéo sowie andere Industrieunternehmen mit der Ausführung beauftragt. Aber er machte bittere Erfahrungen auf dem Gebiet der Standardisierung sowohl in Pessac als auch bei den Privathäusern. Die Metalltüren von Ronéo, die für die Häuser La Roche und Jeanneret, die Ateliers Lipchitz und Miestchaninoff geliefert wurden, verursachten endlose Schwierigkeiten, ausgedehnte Reparaturen und lange Auseinandersetzungen mit der Herstellerfirma. Die industriell produzierten Metallfenster für die Villa Savoye hatten, als sie ankamen, nicht die richtige Größe, weil die Entwürfe in der Zwischenzeit geändert worden waren, und wieder einmal waren kostspielige Anpassungen der Fensteröffnungen notwendig. Le Corbusier entwarf immer wieder Kästen für die Baumann-Jalousien, welche die großen Fenster (von der Villa Besnus an) beschatten sollten. Und wiederholt hatte er Schwierigkeiten mit ihnen. In den meisten Häusern zeugen die Details von ehrlichem handwerklichem Können. Die kleinen Entwässerungslöcher und -rinnen unter den Fenstern, die das Kondenswasser auffangen und ableiten, die Türschlösser und Klinken, die Beleuchtung und die Dachluken, alle diese Details befriedigen den Betrachter im höchsten Grade, aber die Korrespondenz beweist, welcher Kämpfe es bedurfte, damit sie funktionierten. Nicht immer gab es diesen Konflikt zwischen Idealvorstellung und Praxis. Das Langfenster stellte die Ideallösung dar: ein Fenster, das für alle Zwecke geeignet war, vom Völkerbundpalast bis zum bescheidenen Haus. Es war eine Lösung, welche die Konstruktion offenlegte, eine «klassische» Lösung insofern, als sie unnötige Nebensächlichkeiten vermied, eine anthropozentrische Lösung ohne hierarchisch gestufte interne Organisation und eine Lösung die, so glaubte Le Corbusier, jeder anderen Form, die Innenräume zu belichten, überlegen war. Aber das Langfenster war auch das Produkt einer Summ praktischer Detaillösungen. Das 2,50 m lange Standardelement, in den zwanziger Jahren entwickelt, stellte in seinen Proportionen eine Einheit dar, war aber auch anpaßbar. Jede aus: Le Corbusiers Pariser Villen 1920-1930, Timothy J. Benton beliebige Art fester oder zu öffnender Verglasung konnte angewendet werden, ganz gleich, ob es sich um Dreh-, Schwing- oder Schiebefenster handelte. Man brauchte das Fenster nicht zu zerschneiden, wenn man es unterteile wollte. Es bot auch im Innenraum vielfältige Möglichkeiten, denn es endete immer in einem längslaufenden Sims, unter dem man Heizkörper oder Schränke (die wiederum mit seitlich eingehängten oder Schiebetüren ausgestattet waren) unterbringen konnte. Auch ließen sich aus dem Sims Tische machen, oder man konnte es verlängern und Kamine und andere Einrichtungen anbringen. Diese Erweiterungsmöglichkeit wuchs von einem Projekt zum anderen. Die Details verbesserten und vereinheitlichten sich zwar während der zwanziger Jahre, aber daran hatten sicherlich auch die Handwerker und Bauunternehmer, welche die Häuser ausführten, einen entscheidenden Anteil. Bisher ist nur wenig über die Mannschaft, die Le Corbusier beistand, gesagt worden. Wie eng die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Bauunternehmern tatsächlich war, bedarf einiger Erklärung, denn jedes Projekt endete in Auseinandersetzungen und mehr oder weniger erbitterten Kämpfen, um den Bauherren überfällige Zahlungen abzuringen. Sie wehrten sich gegen Rechnungen für Arbeiten, die vom Architekten unzureichend spezifiziert worden waren. Der Kern der Mannschaft bestand aus dem Maurer Summer, dem Tischler Louis, dem Anstreicher und Glaser Celio, dem Installateur und Heizungstechniker Pasquier und dem Elektriker Barth. Bei allen Bauten, von denen Unterlagen vorhanden sind, wurde erstaunlicherweise Crépin als Gärtner bestellt. Er erweckte bei fast allen Kunden feindselige Gefühle, weil er außerordentlich hohe Preise verlangte. Le Corbusier drängte ihn aber seinen Kunden immer wieder auf. Untersuchungen über die Gartengestaltung bei Le Corbusier und über seine Beziehungen zur Kunstgewerbepraxis im Paris der zwanziger Jahre sind längst überfällig. Crépins Arbeit für Le Corbusier, die reichlich dokumentiert ist, zeigt, wie abhängig der Architekt stets von seiner kunstgewerblichen Herkunft war und wie stark ihn seine Liebe zu den Blumen und Pflanzen des Jura um La Chaux-de-Fonds beeinflußt hat. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr junge Leute, besonders Ausländer, in das Atelier in der Rue de Sèvres, um dort zu arbeiten. Viele von ihnen erschienen, um an den großen Ausschreibungen wie dem Entwurf für den Völkerbundpalast zu arbeiten. Der Einfluß von Männern wie José-Luis Sert, Kunio Maekawa, Albert Frey oder Alfred Roth ist noch nicht angemessen festgestellt worden. Sie trugen ihr Fachwissen zu einigen Entwürfen bei, besonders bei der Behandlung «schwieriger» Techniken wie der Axonometrik, der Pierre anscheinend etwas hilflos gegenüberstand. Nur später, bei der Arbeit für das Haus Church, den letzten Zeichnungen und Details für die Villa Savoye und einem Teil der Arbeit für Beistegui kann man die Hand ganz bestimmter Mitarbeiter mit einiger Sicherheit identifizieren. Dieses Buch ist das Ergebnis von mehr als zehnjähriger Arbeit in den 19 Archiven der Fondation Le Corbusier. Die Zeichnungen befanden sich noch in Rollen im ehemaligen Appartement von Le Corbusier in der Rue Nungesser-et-Coli und waren nicht numeriert, als ich sie zum erstenmal sichtete. Die ersten Archivdokumente, die ich sah, waren genauso ungeordnet und so belassen, wie sie vom Atelier abgeholt worden waren. Die Zeichnungen bedeuten im Jahre 1972 eine Entdeckung, da sie praktisch unbekannt waren. Seitdem hat es zahlreiche Ausstellungen, Artikel und Bucher darüber gegeben. Die Fondation Le Corbusier sollte nach seinem eigenen Vermächtnis das verborgene Werk des Meisterarchitekten aufbewahren. Er selbst war davon überzeugt, daß ein Historiker die Spuren wie ein Archäologe verfolgen müßte, um die volle Bedeutung seines Werkes aufdecken zu können. Nicht nur über 32’000 Zeichnungen waren erhalten, sondern auch eine ungeheure Menge an Dokumentationsmaterial, das in einigen Fällen jede Einzelheit des Auftrags, der Planung und der Ausführung eines Gebäudes enthielt. Diese Sammlung ist einmalig und interessant, aber man kommt schwer mit ihr zu Rande. Wie oft haben Historiker davon geträumt, hinter die Kulissen blicken zu können, zu sehen, was seinerzeit wirklich passiert ist. Wenn ich in der Fondation Le Corbusier arbeitete, im Zimmer von Albert Jeanneret und Lotti Raaf saß und die Blätter umdrehte, die oft wie während eines Telefongesprächs hingekritzelte Notizen wirkten, wurde die Illusion von Aktualität und unmittelbarer Präsenz manchmal fast unerträglich. Und doch sind natürlich die wichtigsten Fragen noch unbeantwortet. Warum ist diese Form so, wie sie ist? Wer hat das entschieden? Was wurde über dem Zeichenbrett, im Café oder auf der Baustelle gesagt? Und am Ende bleiben uns nur die Zeichnungen. Unser Verständnis und unsere Auffassung von Le Corbusiers und Pierre Jeannerets Architektur werden jedoch in mancher Hinsicht unwiderruflich verändert. Die Arbeitsbedingungen, der Druck, die Spannungen, der Lärm der täglichen kritischen Auseinandersetzungen und die tatsächliche Lösung von Problemen werden uns oft klar. Einerseits ist es wichtig, diese Stufen des Arbeitsablaufs nicht mit dem eigentlichen Schaffensprozeß zu verwechseln, andererseits aber notwendig, die beiden nicht zu trennen. Einige Entwürfe erscheinen zu unserem Erstaunen im wesentlichen so auf dem Papier, wie sie gebaut worden sind. Wir müssen nicht unbedingt davon ausgehen, daß in der erhaltenen Sammlung von Zeichnungen Verluste entstanden sind. Die Villa Cook und in gewissem Sinne die Villa Savoye sind Beispiele für «unbefleckte Empfängnis». Le Corbusier selbst hat dies ausgedrückt, indem er von seiner «Abneigung zu zeichnen» oder seiner Überzeugung sprach, daß «Architektur im Kopf geschaffen» werde. Die überwiegende Mehrzahl der Zeichnungen, die von der Fondation Le Corbusier aufbewahrt werden, sind nicht «Werkzeichnungen» in dem Sinne, daß man aus der Verwirrung sich entwickelnde Formen unterscheiden kann oder daß bewiesen werden könnte, wie eine Reihe von Berechnungen ein Resultat hervorgebracht haben. Meist besteht 20 die Zeichenarbeit darin, Einzelheiten hervorzuheben, geringfügige Schwierigkeiten zu beseitigen, einen Entwurf zu bereichern, zu bereinigen oder zu reduzieren. Aber gerade bei dieser Arbeit werden die Denkweise, die Gewohnheiten und die inneren Auseinandersetzungen enthüllt, die zur Lösung eines Problems führen. Und in vielen Fällen scheitert die detaillierte Ausführung, meist unter Druck von außen (Kunde, Sparmaßnahmen, Grundstück, Baumaterialien), und wir können die Anpassung vom einen zum anderen Entwurf verfolgen. Bei diesen Brüchen und Unterbrechungen kommt, wie in einer Spalte im Gestein, die innere Ideenstruktur zum Ausdruck. Es vollzieht sich eine Art natürlicher Auslese, ein Naturgesetz greift in den Konflikt der Kräfte ein, welcher die Vollkommenheit des Projekts zu zerstören droht. Die starken oder elastischen Teile eines Entwurfs überleben, andere Teile erweisen sich als zu brüchig, um aufgenommen werden zu können, und müssen verworfen werden, während wieder andere wie vorübergehende Launen erscheinen, die man leicht abtut, wenn es darauf ankommt. Dies ist das Ergebnis meiner Untersuchungen. 21 Le Corbusier Jean-Louis Cohen Die Lyrik der Architektur im Maschinenzeitalter - Einleitung Wenige Architekten haben die Hoffnungen und Enttäuschungen des Industriezeitalters so prägnant zum Ausdruck gebracht wie Le Corbusier - und nur wenige haben ihre Zeitgenossen so schockiert, mit Ausnahme von Adolf Loos und Frank Ll0yd Wright. Sarkasmen und Verleumdungen haben lange das Leben eines der wenigen Architekten begleitet, dessen Name der breiten Öffentlichkeit bekannt ist. Wenn man sich sein Lebenswerk aus sechs Jahrzehnten anschaut - angefangen bei der Villa Fallet von 1907 bis hin zu den posthum fertig gestellten Projekten - kann man über die Fülle nur staunen. Le Corbusier hat 75 Einzelbauten in zwölf Ländern gebaut und 42 bedeutende städtebauliche Pläne ausgearbeitet. Er hat 8000 Handzeichnungen, über 400 Gemälde, 44 Skulpturen und 27 Entwürfe für Gobelins hinterlassen. Daneben hat er 34 Bücher mit insgesamt 7000 Seiten, Hunderte von Artikeln und Vorträgen und über den Büroschriftverkehr hinaus etwa 6500 persönliche Briefe geschrieben. Le Corbusier erlebte die Verbreitung des Auto- und Flugverkehrs und war einer der ersten Architekten, der gleichzeitig auf mehreren Kontinenten baute. Dank Fotografie und Presse war er eine prominente Person, dessen Erklärungen öffentliches Ärgernis erregten. Er gestaltete selbst eifrig sein öffentliches Image mit, hat allen Spannungen des 20. Jahrhunderts Ausdruck verliehen und uns ein in seiner Vielfalt einzigartiges Werk vermacht. Le Corbusier zeichnete sich außerdem durch Treue aus. Die in seiner Heimatstadt erlebten Bindungen begleiteten ihn sein ganzes Leben. Seine Mutter, Marie-Amelie Jeanneret-Perret, und sein Bruder Albert blieben seine engsten Vertrauten und Ansprechpartner wie auch der Schriftsteller William Ritter. Er pflegte die Freundschaften der ersten Stunde - mit Léon Perrin und Auguste Klipstein ebenso wie die späteren mit Künstlern wie Fernand Léger oder Louis Soutter. Ganz Europa als Lehrstätte Charles-Edouard Jeanneret, der den Künstlernamen Le Corbusier erst 1920 annahm, wurde 1887 in La Chaux-de-Fonds geboren, einer Stadt im Schweizer Jura, die Karl Marx als „eine einzige Uhrenmanufaktur“ bezeichnete. Die hier erlebte Wechselwirkung zwischen Fabrikation und Kunst blieb auch in Jeannerets Berufstätigkeit eine Konstante. In diesem Milieu glaubte man an die pädagogischen Tugenden der geometrischen Form, ein wesentliches Element der Fröbelschen Lehrmethode, die Jeanneret seit seiner Kindheit kannte. In der vom Kunstmaler CharIes L‘Eplattenier geleiteten und vom Gedankengut Ruskins sowie der Artsund-Crafts-Bewegung geprägten Kunstgewerbeschule entfernte sich der junge Le Corbusier allmählich vom Berufsziel eines Ziselierers und Gravierers von Uhren und entdeckte die Architektur. Seine eigentliche Ausbildung zum Architekten erhielt er zeitlebens auf seinen unzähligen Reisen. Seine selbst gezeichnete Europakarte markierte drei Arten von Orten, die er von 1907 bis 1912 besuchte, und zwar die Zentren von Kultur, Industrie und Folklore. Seine erste Reise führte ihn in die Toskana, wo er zarte Aquarelle der Bauten von Pisa, Siena und Florenz malte. Er nahm sich vor, die „Sprache der Steine“ zu entschlüsseln und interessierte sich für Ornamentik, aber auch für Bauten wie das Kartäuserkloster Galluzzo im Val d‘Ema. Anschließend fuhr er nach Wien und Paris, wo ihm der Plakatmaler Eugène Grasset von den Gebrüdern Perret erzählte, die „Beton zusammen mit Eisen in Holzkästen packen“. Auguste Perret stellte ihn ein, nachdem er seine Skizzen gesehen hatte, und Le Corbusier arbeitete 15 Monate lang im Büro Perret im Erdgeschoss des neuartigen Wohn- und Geschäftshauses Nr. 25a, rue Franklin. Er arbeitete am Entwurf der Kathedrale von Oran mit und entwarf 1908 die Jagdhütte La Saulot in der Sologne. Perret bildete seinen Geschmack und ließ ihn Gustave Eiffels Viadukt bei Garabit, die Pariser Bauten von Anatole de Baudot und Henri Sauvage sowie schließlich Tony Garniers Wirken in Lyon entdecken. In Paris, wo er eine Mansarde am Quai Saint-Michel bewohnte, las Jeanneret 1908 „Also sprach Zarathustra“ von Friedrich Nietzsche, aber auch „La Vie de Jésus“ von Ernest Renan und „Les Grands Initiés“ von Edouard Schure. Nietzsches Imperativ „Werde, der du bist!“ wurde zu seinem Wahlspruch. L‘Eplattenier schickte ihn nach Deutschland, um dort neue Entwicklungen in der angewandten Kunst und der industriellen Fertigung zu studieren, und empfahl ihm, ein Buch über Städtebau zu schreiben. Wie Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe arbeitete er einige Zeit bei dem Berliner Architekten Peter Behrens. Er besuchte seinen Bruder Albert im Institut von Jacques Dalcroze in der Gartenstadt Hellerau bei Dresden und entdeckte die sachliche Klassizistik Heinrich Tessenows, der dort zahlreiche Wohnhäuser und das Festspielhaus gebaut hatte. In München lernte Jeanneret den Schriftsteller William Ritter kennen, der ihm half, die Gegensätze zwischen deutscher und romanischer Kultur zu verstehen. Ritter kannte die slawischen Länder und riet ihm, sie zu besuchen. Jeanneret reiste nach Prag, Serbien und Bulgarien, wo er dörfliche Architektur in Zeichnungen festhielt. Die Höhepunkte seiner Balkanreise waren Konstantinopel und Athen. Unermüdlich zeichnete er die Silhouette der osmanischen Hauptstadt und vergrößerte seine Skizzensammlung von Häusern am Berg. Die architektonische Komposition der Akropolis sollte ihn nicht wieder loslassen. Nach Griechenland besuchte er Pompeji, Rom und die poetische Landschaft um die Hadrian-Villa bei Tivoli. Nach 22 der Rückkehr beschrieb Jeanneret seine Reiseeindrücke in Aufsätzen, die in der „Feuille d‘avis de la Chaux-de-Fonds“ erschienen. Die vor Ort erworbene Kenntnis von Stadtlandschaften, Baudenkmälern und volkstümlichen Baustilen beeinflusste seine eigenen Entwürfe und er stellte einen Katalog städtebaulicher, architektonischer und ornamentaler Elemente zusammen, den er ungezwungen einsetzte. Die Kenntnis der Baugeschichte verringerte seine Wertschätzung für die Bauten der Antike und der Renaissance nicht. In der Folge zitierte er die „Lehre Roms“ und beschimpfte die „ehrwürdigen Scheißkerle“ der Académie des Beaux-Arts, die diese Lehre verbogen und kastrierten. Auf der Suche nach einem „neuen Geist“ in Paris Als Reaktion auf die Zerstörung der französischen Landschaft legte er zusammen mit dem Bauingenieur Max du Bois im Jahr 1914 den Entwurf des „Dom-ino“-Hauses vor (abgeleitet von den lateinischen Vokabeln „domus“ und „innovatio“). Wie Dominosteine lässt es sich in geraden Reihen zu L- oder U-Formen zusammenstellen. Die Konstruktion aus Stützen und Betongeschossdecken gewährt größtmögliche Freiheit bei der Fassadengestaltung und der Innenaufteilung. In enger brieflicher Abstimmung mit Perret begann er auch mit der Arbeit an dem Buchprojekt „France-Allemagne“, in dem er die Vorrangstellung Frankreichs in der modernen Architekturbewegung beanspruchte. Er verbrachte das Jahr 1915 damit, Bücher über Stadtverschönerungen und Gärten für das 1909 begonnene Buchprojekt über Städtebau abzuzeichnen, das er aber schließlich aufgab. Jeanneret siedelte 1917 mit dem Ehrgeiz nach Paris über, sich die Stadt zu Eigen zu machen. Er führte dort zunächst ein Doppelleben als Baugewerbetreibender und Intellektueller. Das einzige Bauwerk, das er zustande brachte, war ein neo-klassizistisch gestalteter Wasserturm in einem Weinberg des Bordeaux-Gebietes, in Podensac. Wegen der beruflichen Enttäuschung stellte er die Arbeiterbewegung der Nachkriegszeit in Frage und näherte sich den reformwilligen Arbeitgebern an. Durch Perret lernte er den Maler Amédée Ozenfant kennen, der seit 1915 die Zeitschrift „L‘Elan“ herausgab und in ihm das Interesse an der Malerei weckte. Beide zeigten ihre Bilder 1918 in der Galerie Thomas. In Ergänzung zur Ausstellung publizierten Ozenfant und Jeanneret das Manifest „Après le cubisme“, in dem sie ein vieldeutiges ästhetisches Programm aufstellten. Sie lobten die „Objekte der vollkommensten Banalität“, die „den Vorteil perfekter Lesbarkeit und müheloser Erkennbarkeit (haben), Zerstreuung und Ablenkung der Aufmerksamkeit vermeiden“. Im selben Jahr, in dem Jean Cocteau in „Der Hahn und der Harlekin“ die romanischen Tugenden ehrte, näherten sich Ozenfant und Jeanneret der griechischen Architektur und dem modernen Fabrikbau. Im Jahr 1920 gründeten beide zusammen mit dem Dichter und Dada-Publizisten Paul Dermée die Zeitschrift „L‘Esprit nouveau“, eine „internationale Illustrierte zeitgenössischer Werktätigkeit“, in der sie bis 1925 ihre Theorien und Kritiken veröffentlichten. Der Titel stammte aus einem Gedicht von Guillaume Apollinaire. In 28 Ausgaben berichteten Ozenfant und Jeanneret über aktuelle politische, künstlerische und wissenschaftliche Entwicklungen. Gleich ab dem ersten Heft schrieb Jeanneret unter dem Pseudonym Le Corbusier (in Anlehnung an seinen Vorfahren Lecorbésier oder auch den Maler Le Fauconnier). Das visuelle Universum von „L‘Esprit nouveau“ ist verwandt mit den von Jeanneret ab 1919 geschaffenen Gemälden. Durch Ozenfant lernte er Künstler wie Juan Gris, Fernand Léger und Jacques Lipchitz kennen und besuchte die großen Ausstellungen der Kunsthändler Kahnweiler und Uhde, bei denen er für den Baseler Bankier Raoul La Roche kubistische Bilder erwarb. Während des Krieges wurde die „Rückkehr zur Ordnung“ begonnen und Ozenfant und Jeanneret begaben sich - wie die Kubisten - auf die Suche nach einer verfeinerten Formensprache, lehnten aber die Aufteilung von Objekten in Kunst- und Gebrauchsgegenstände sowie jedes Abgleiten ins Dekorative ab. Um die formalen Konstanten aufzuzeigen, konstruierten sie ihre Bilder als Zusammenstellungen von „Typen“: bauchige Karaffen, Bistro-Gläser, Tellerstapel, Gitarren oder Pfeifen im Dialog mit rechteckigen Büchern und Spielwürfeln. Solche Familienporträts des Maschinenzeitalters oder „organische Bildkompositionen“ stellten Ordnung und Struktur dar und vermittelten mit ihrer der griechischen Antike entlehnten chromatischen Farbpalette eine klassische Ruhe. „L‘Esprit nouveau“ wurde weltweit vertrieben und Le Corbusier veröffentlichte auch Texte wie 1923 „Vers une architecture“ oder 1925 „Urbanisme“, „L‘ Art décoratif d‘aujourd‘hui“ und „La Peinture moderne“. Letzteres redigierte er mit Ozenfant. Die Nummer 29 wurde nach der Einstellung der Zeitschrift im Jahr 1925 in einen „Almanach d‘architecture moderne“ (1926) umgewandelt. „Vers une architecture“ wurde schon bald nach seinem Erscheinen ins Englische und Deutsche übersetzt. Es zeigte in provokativen Gegenüberstellungen Verbindungen zwischen der Welt der Maschinen und der Kunst auf und bot einem breiten Publikum neue Denkanstöße. Le Corbusier verglich das Parthenon mit einem Auto von Delage und meinte, dass ein vom Bildhauer bearbeiteter Stein und ein „maschinelles Organ“ von vergleichbarer Schönheit seien. Seine „Ermahnungen an die Herren Architekten“ in Bezug auf Grundriss, Oberflächen und Baumasse vereinten sich in dem Bemühen, „Augen, die nicht sehen“ für den Blick auf Flugzeuge, Kraftfahrzeuge oder Ozeandampfer zu öffnen. Aber er vergaß auch nicht, in die Geschichte zurückzublicken und die Bedeutung der „Lehre Roms“ und der „AufrissRegler“ zu unterstreichen, nach denen die Proportionen von Notre-Damede-Paris oder der Porte Saint-Denis festgelegt waren. Therapeut kranker Städte Ab den 1920er Jahren verfolgte Le Corbusier zwei unterschiedliche aus: Le Corbusier - Lyrik der Architektur im Maschinenzeitalter, Jean-Louis Cohen Richtungen: Zum einen setzte er seine mit der „Dom-ino“-Serie von 1914 begonnenen Studien an ökonomisch orientierten Bautypen fort. Daneben entwickelte er im Auftrag unkonventioneller und begüterter Bauherren, die durch die Zeitschrift oder Ausstellungen auf ihn aufmerksam geworden waren, auch Entwürfe für einzelne Baugrundstücke. Als Architekt mit dem Hang zum Provozieren entwickelte sich Le Corbusier rasch zu einem Bilderstürmer im Städtebau. Auf die Schlagworte von „Vers une architecture“ folgten die seines Buches „Urbanisme“, in dem er die „Korridorstraße“ anprangerte. Er lehnte die neue „Medizin“ ab, mit der die europäischen Städtebauer die Krankheiten der Großstadt kurieren wollten und forderte im Bruch mit eigenen pittoresken Auffassungen eine einschneidende Chirurgie. Dennoch ergriff Le Corbusier jede Gelegenheit, bescheidenere Projekte für konkrete Grundstücke zu entwerfen. Ausgestattet mit seinen ersten Manifesten unternahm er ständig Vortragsreisen durch Europa. Städtebauliche Studien bildeten dabei vielfach den Schlusspunkt. So wurde er 1930 von den sowjetischen Behörden beauftragt, ein Gutachten zur Dezentralisierung von Freizeiteinrichtungen zu erstellen. Seine „Antwort auf Moskau“ (später in „La Ville radieuse“ umgetauft) sah in innovativer Weise industrielle Bauweisen vor. Das Verwaltungszentrum der Stadt befand sich dabei außerhalb der Wohnviertel, die Le Corbusier sich als „grüne Stadt“ vorstellte. Auf einer Vortragsreise im Herbst 1929 nach Südamerika gewann er eine neue Sicht auf Stadt und Landschaft, die er nun - anders als noch Florenz oder Rom - aus dem Flugzeug entdeckte. Sein Interesse an der Luftfahrt führte zu dem Bildband „Aircraft“, der 1935 auf Englisch erschien, und ließ ihn das Flugzeug fortan häufig benutzen. Ergriffen vom Anblick der Pampa und der großen Ströme Südamerikas skizzierte er Generalpläne für Buenos Aires, Montevideo und Sao Paulo - später auch für Algier. Diese Reisen waren an Kontakte geknüpft, die er mit Arbeitgebern oder der Verwaltung pflegte, und weckten in ihm ein tiefes Interesse für Führung und Rationalisierung in der Gesellschaft, wie sie damals von der technischen Elite gepredigt wurde. Unermüdlich leistete er Überzeugungsarbeit: Die Regierung sollte radikale Maßnahmen ergreifen und sogar Besitzer zur Verwirklichung seiner Pläne enteignen. Nachdem er sich von 1928 bis 1931 mit den Fünf-Jahres-Plänen der Sowjetunion identifiziert hatte, umriss er den „Plan Obus“ für Algier im Rahmen einer zweifelhaften Modernisierungsstrategie, für die sich auch die Zeitschriften „Plans“ und „Prélude“ einsetzten, deren Redakteur er von 1931 bis 1936 war. Die Entscheidung zwischen Amerikanisierung und Bolschewisierung brachte seiner Meinung nach die Situation in Europa auf den Punkt. Das Prinzip der „linearen Industriestadt“, das die Russen verfolgten und das 1935 beim städtebaulichen Plan für das Tal von Zlin in Mähren zur Anwendung kam, wurde zu einer der „Trois établissements humains“ - so der Titel seiner letzten theoretischen Abhandlung, die er 1945 veröffentlichte. 23 Nach 1945 befasste sich Le Corbusier nur noch mit wenigen, dafür aber konkreten Bauvorhaben. Im 2. Weltkrieg versuchte er im besetzten Frankreich die Vichy-Regierung für seine Ideen zu gewinnen. Er war in seiner publizistischen Tätigkeit erfolgreich, zum Beispiel mit der Veröffentlichung der „Charta von Athen“ (1943) - einem Handbuch des funktionalistischen Städtebaus - bevor er sich an den Plänen der Résistance zur Gestaltung eines neuen Frankreich nach der Befreiung beteiligte. Überraschungen im reiferen Alter Le Corbusier hatte die Sechzig bereits überschritten und genoss längst Weltruhm, als er ein neues Leben begann. Das Gebäude der Vereinten Nationen in New York beruhte zwar auf seinen Entwurfsideen, wurde aber von anderen gebaut und Le Corbusier fühlte sich „all seiner Rechte beraubt“. Auch der Wiederaufbau in Frankreich war für ihn ein Fehlschlag, weil es ihm nicht gelang, auch nur einen seiner für Europa entwickelten städtebaulichen Pläne durchzusetzen. In Marseille konnte er aber die erste „Unité d‘habitation“ bauen, einen Prototyp der Großwohneinheit, an deren Konzeption er seit 1922 arbeitete. Er vollendete, assistiert von Joseph Savina, seine ersten Skulpturen sowie Arbeitsvorlagen für Gobelins und philosophierte über die Synthese der hohen Künste. Im Bruch mit der Maschinenästhetik befasste er sich mit der Entwicklung eines „namenlosen Raums“, einer architektonischen Figur jenseits ingenieurtechnischer Bemessungen. Er verlieh seinen Werken eine zusammenhängendere Struktur durch sein universelles Proportionssystem „Modulor“ auf der Basis des Goldenen Schnitts und der Maßverhältnisse des menschlichen Körpers, das bis zu seinem Tod 1965 die Maßgrundlage aller seiner Bauten und Projekte blieb. Daneben publizierte er regelmäßig Bücher, so „Les Plans de Paris“, „L‘ Atelier de la recherche patiente“ und „Le Poème de I‘angle droit“, die keine Manifeste mehr sind, sondern schöne Bildbände, in denen er sämtliche Aspekte seiner Gedankenwelt darlegte, in denen die Theorie aber auch häufig von der Autobiografie verdrängt wird. Alle, die Le Corbusier in die Schublade der weißen Bauästhetik und der schlichten Hauskörper der 1920er Jahre gesteckt hatten, waren angesichts seiner plastisch geformten Kirche von Ronchamp und des traditionellen Habitus seiner Jaoul-Häuser verblüfft. Weil er das Vertrauen des indischen Premierministers genoss, durfte er endlich eine ganze Stadt, Chandigarh, und ihre Regierungsbauten entwerfen. In Ahmedabad baute er zwei Villen und ein Mehrfamilienhaus, wobei er die in Indien herrschenden Klima- und Lichtverhältnisse mit seinen eigenen Lieblingsideen verbinden konnte. Danach baute Le Corbusier das Nationalmuseum Westlicher Kunst in Tokio und das Carpenter Center in den USA. Im Sommer lebte er als Eremit in seiner Holzhütte in Roquebrune-Cap-Martin oder in seinem Pariser Maleratelier. 24 Le Corbusiers letzte Werke sind keineswegs gefällig, sondern von der gleichen produktiven Rastlosigkeit beseelt wie seine ersten. Sie stehen im Dialog mit Spiritualität wie das Dominikanerkloster La Tourette und die unvollendete Kirche in Firminy - oder erkunden neue technische und ästhetische Möglichkeiten - wie der Philips-Pavillon auf der Brüsseler Weltausstellung von 1958. Gleichzeitig aktualisierte Le Corbusier seine allerersten Werkthemen - zum Beispiel die „architektonische Promenade“ und den „freien Plan“ - oder entdeckte Orte wie Venedig - im Zusammenhang mit einem Krankenhausprojekt - wieder, die ihn schon früher in ihren Bann gezogen haben. Bis zu seinem Tod im Jahr 1965 leben seine Bauten und Entwürfe von der Erinnerung des Architekten an Landschaften und Gebäude, einschließlich seiner eigenen. Zwiespältig und vielseitig Bis hierher wurde Le Corbusier aus der Sicht der Allgemeinheit vor allem als Architekt dargestellt, der mit einigen Kultbauten wie der Villa Savoye in Poissy, der Unité d‘habitation in Marseille oder der Kirche von Ronchamp identifiziert wurde - aber auch als Autor beißend kritischer Schlagworte, mit denen er nie geizte und die im Laufe seines Lebens immer melancholischer klangen. Wenn man sich aber bemüht, seine Persönlichkeit zu erfassen, wie sie sich in den 1920er Jahren darstellt, erscheint Le Corbusier außerdem als Fabrikant, Maler (auch wenn er selbst meint, die professionellen Maler würden ihn ablehnen), Kritiker, Berichterstatter, Dekorateur... An der Persönlichkeit, die er in der Öffentlichkeit zeigte, wurde in Wirklichkeit ständig gearbeitet. In einem Brief von 1926 offenbarte er seinen inneren Zwiespalt: „Le Corbusier ist ein Pseudonym. Le Corbusier macht ausschließlich Architektur. Er verfolgt uneigennützige Interessen... Das ist eine von Gewicht, Fleisch und Blut losgelöste Einheit. Er darf niemals (aber wird ihm das gelingen?) absinken. Ch. Édouard Jeanneret ist der Mann aus Fleisch und Blut, der alle glückstrahlenden oder verzweiflungsvollen Abenteuer eines ziemlich bewegten Lebens durchgemacht hat. Jeanneret Ch. E. malt, weil er - da er kein Maler ist - sich immer leidenschaftlich für die Malerei interessiert und schon immer gemalt hat.“ Dieser Zwiespalt in seiner Persönlichkeit macht seine radikalsten Bauten interessant und erweitert die Wahrnehmung seiner Malerei. Der Kreis von Menschen, in dem Le Corbusier sich entwickelte, umfasste mehrere Generationen, angefangen bei den Vaterfiguren L‘Eplattenier, Auguste Perret, der übrigens kaum zehn Jahre älter war als er, Peter Behrens (von dem Le Corbusier sich später abwandte) oder den Münchner Architekten Theodor Fischer, für den er Achtung und Zuneigung hegte. Seine Kontakte zu Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius waren im ersten Fall flüchtig, im zweiten intensiver. Le Corbusier unterstützte die Arbeit des Bauhauses und engagierte sich mit Gropius für die CIAM, die internationalen Kongresse moderner Architektur, die von 1928 bis 1959 stattfanden, um der Elite des Berufsstands die revolutionären Thesen der modernen Architektur zu vermitteln. Er war dem Züricher Kunsthistoriker und CIAM-Generalsekretär Sigfried Giedion freundschaftlich verbunden, während sein Verhältnis zu etlichen französischen CIAM-Mitgliedern wie André Lurçat eher schwierig war. Beziehungen mit Kollegen im Ausland wie Alexander Wesnin und den russischen Konstruktivisten, mit Lucio Costa und den jungen Architekten von Rio de Janeiro, Oscar Niemeyer und Affonso Eduardo Reidy, waren ihm wichtig. Zu Frank Ll0yd Wright, dessen Arbeit er schon früh kennen lernte, blieb er auf Distanz. Wright war offenbar eifersüchtig auf das Charisma des Parisers, und zwar so sehr, dass er dessen Unité d‘habitation von Marseille heftig kritisierte. Aus dem Kreis seiner engsten Freunde sind Pierre Jeanneret, Charlotte Perriand und Jean Prouvé hervorzuheben, die politisch eher links standen und sich zum größten Teil auch aus politischen Gründen Ende der 1930er Jahre von Le Corbusier distanzierten. Auch die ehemaligen Mitarbeiter des Büros in der rue de Sèvres bildeten einen Kreis von treuen Freunden unterschiedlichen Alters. Vor 1940 waren Pierre-André Emery, Alfred Roth, Josep Lluis Sert oder Junzo Sakakura die führenden Persönlichkeiten im Atelier Le Corbusier. Gérald Hanning, André Wogenscky, Georges Candilis und Roger Aujame sorgten nach 1945 für den Fortbestand des Büros. lannis Xenakis, Balkrishna Doshi und Jean-Louis Véret sowie nach ihnen José Oubrerie, Guillermo Jullian de la Fuente und viele andere trugen dazu bei, Le Corbusiers Werk in seinen letzten zehn Lebensjahren und darüber hinaus zu prägen. Vom Skandal zur Konsekration Mit dem Erscheinen von „L‘Esprit nouveau“ wurde Le Corbusier eine öffentliche Person oder eine Mehrzahl öffentlicher Personen. Seine bilderstürmerischen Artikel machten ihn zunächst zum Rebellen Nietzschescher Prägung, zum zerstörerischen Nihilisten, bevor seine ersten ausgeführten Bauten die russischen Machthaber dazu veranlassten, in ihm den „Inbegriff des neuen Menschen“ zu sehen. Von Salvador Dali höhnisch umgedeutet, wurde er für die Antikommunisten zum „trojanischen Pferd des Bolschewismus“. Aus Sicht der Kritiker der Unité d‘habitation in Marseille war er nach 1945 der „Verrückte“, ein Vertreter brutalen Betons. Der Kunsthistoriker Pierre Francastel warf ihm vor, er wolle die Bewohner mit geradezu totalitären Baumaßnahmen zu ihrem Glück zwingen. In den 1950er jahren genoss Le Corbusier unangefochtenen Ruhm, wurde jedoch von den französischen Baubehörden kaum beachtet, bis der damalige Kulturminister Andre Malraux ihn schließlich mit dem Bau des Museums beauftragte, das er schon seit 30 Jahren realisieren wollte. In dieser Lebensphase, in der seine architektonische Handschrift weltweit - mitunter in einem karikierenden Formalismus - Anwendung fand, aus: Le Corbusier - Lyrik der Architektur im Maschinenzeitalter, Jean-Louis Cohen entdeckten der Architekturkritiker Colin Rowe und junge amerikanische Architekten wie John Hejduk, Peter Eisenman oder Richard Meier die entscheidende Tragweite und strenge Logik von Le Corbusiers Werken aus seinen puristischen Jahren. Nun bemühten sich Architekturhistoriker, einen Stammbaum seiner Bauten und Theorien zu entwickeln und es entging ihnen nichts mehr - von Anekdoten aus seiner Kindheit bis zu den geheimsten Wendungen in seinen Beziehungen zur „Obrigkeit“. Le Corbusier war nun allgemein bekannt und erschien dennoch immer vielschichtiger und für Überraschungen gut. Sein Nachruhm hat so gewaltige Ausmaße angenommen, dass einige seiner Entwürfe von der Ausführung bedroht sind. Der Pavillon „L‘Esprit nouveau“ wurde in Bologna exakt nachgebaut und der Entwurf der Kirche für Firminy wurde vor Le Corbusiers Tod so genau untersucht, dass sie gebaut werden könnte. Das Haus Errazuriz (eine Studie von 1930 für Chile) oder der Gouverneurspalast in Chandigarh wären aber - würde man sie in naher Zukunft realisieren - sicher kaum mehr als original große, aber seelenlose Modelle. Ist es überhaupt möglich, die Botschaft Le Corbusiers, der zeitlebens von prophetischem Eifer beseelt war, letztgültig zu fassen? Sein Vermächtnis besteht aus vielen verschiedenen Teilen und umfasst dabei keinen „Werkzeugkasten“ im Stil Le Corbusiers, kein Verfahren, das die Ausführung seiner Entwürfe erlauben würde. Seine eigene Übersetzung vom Konzept ins Bauwerk spielt mit ganz unterschiedlichen Gebilden von einzelnen Bauelementen bis zu Bautypen oder Raumkompositionen. Erst in den Problemlösungen der komplexesten Projekte entdeckt man die nützlichen Erfahrungswerte seines Schaffens. Le Corbusier schien selbst einen gewissen Manierismus zu praktizieren, wenn er Elemente wieder aufgriff und sie dabei umformte, so wie Michelangelo es auch mit seinen Motiven der frühen Renaissance getan hat. Le Corbusiers Schaffen ließe sich zweifellos als ein Ensemble unterschiedlicher, wenn nicht sogar gegensätzlicher Positionen zusammenfassen und fußt auf seiner unerschöpflichen Neugierde in Bezug auf die Stadt und ihre Wandlungen, auf die Architekturgeschichte und volkstümliche Bauweisen. Seine Architektur erklärt sich in gewissem Maße auch in seinen Schriften. Gerade weil Le Corbusier die Theorie beherrschte, war er ein anerkannter Neuerer. Seine Tätigkeit als Architekt bedeutete aber auch politisches Handeln. Wenn er die Illusion hegte, er könne Entscheidungsträger von der Notwendigkeit seiner Thesen überzeugen, dann vor allem, weil ihm zu Recht bewusst war, dass die Architektur Lösungen für die Probleme der Stadt bereit hielt. Niemand ist im Übrigen weniger Le Corbusier nachempfunden als Le Corbusier selbst. Weit davon entfernt, sich auf einen einzigen Ansatz zu beschränken, und sei es auch der eigene, stellte er seine eigenen Architekturauffassungen wiederholt selbst in Frage. 25 26 27 Le Corbusier - Elemente einer Synthese Stanislaus von Moos Vorwort Auf den ersten Blick scheint es nicht schwer, ein paar Angaben zu Le Corbusier zusammenzustellen. Fast alle seine Bauten und Projekte sind in den sieben Bänden des «Oeuvre Complète» dokumentiert. Auch seine theoretischen Überlegungen sind ohne weiteres zugänglich - denn Le Corbusier wußte jederzeit, was er tat, und hat darüber in etwa vierzig Büchern und Schriften Rechenschaft abgelegt. Niemand hat Le Corbusiers Denken und Schaffen so aufmerksam kritisch verfolgt und so ausführlich kommentiert wie er selbst - und darin liegt vielleicht auch der Grund, warum es heute, trotz der unabsehbaren Reihe von Zeitungsartikeln und Detailstudien, trotz der ausführlichen Würdigungen in den großen Geschichtsbüchern der neueren Architektur, nur ganz wenige Bücher über Le Corbusier gibt. Es schien lange Zeit beinah unmöglich, Le Corbusier besser und richtiger zu interpretieren als er es selbst getan. Heute, zum Zeitpunkt, wo diese Zeilen geschrieben werden - etwas mehr als drei Jahre nach seinem Tod liegt noch keine zusammenfassende Darstellung von Corbusiers nunmehr abgeschlossenem Lebenswerk vor. Hier wird ein erster Versuch unternommen, dies nachzuholen. Es kann aber nicht darum gehen, Le Corbusiers Architektur in ein paar Bildern zu vergegenwärtigen und seine eigenen Thesen dazu wiederzugeben. Dafür sind die Grenzen, die uns hier gesetzt sind, ohnehin zu eng. Andererseits ist es noch zu früh, ihn durch die Brille der Kunstgeschichte als Erscheinung der Vergangenheit zu würdigen. Le Corbusier meinte einmal: man tritt nicht mit Lackschuhen und Glacéhandschuhen auf ein Schlachtfeld. In der Tat ist Corbusiers Botschaft noch zu frisch für die rein historiographische Bestandesaufnahme. Die grundsätzlichen sozialen, technischen und künstlerischen Probleme, die sie aufwirft, sind auch unsere Probleme. Heute steht das Werk Corbusiers da, bruchstückhaft vielleicht, und nicht ohne jene scheinbaren und tatsächlichen Widersprüchlichkeiten, die zu jeder Äußerung des Lebens gehören - aber doch überschaubar und als Einheit faßbar. Tag für Tag wird deutlich, wie viel Zukünftiges in diesem Werk vorweggenommen wurde, und es wird auch deutlich, wie viel Vergangenes in ihm nachklingt. Corbusier ist kein Randphänomen. Er griff in die Grundsubstanz seiner Epoche. Die Welt an der Schwelle der «époque machiniste» mit ihren gewaltigen Verwirrungen und ihren ebenso gewaltigen Möglichkeiten wird in der Vision Le Corbusiers zum Ausgangspunkt einer Neuordnung der menschlichen Siedlungsform, ja der menschlichen Lebensform schlechthin. Alles wird neu gesehen und in den Griff genommen: Die neuen Materialien und Konstruktionen, die die Technik bereitstellte, werden in ein architektonisches, räumliches und plastisches Medium verwandelt; die Bevölkerungsexplosion und die Ansammlung der Massen in den Großstädten führen dazu, daß ein Problem, das während einiger Jahrhunderte außerhalb der direkten Kompetenz des Architekten lag, wieder in den Mittelpunkt der architektonischen und geistigen Bemühung tritt: das Problem der Stadt. Und da Corbusier im Grunde ein Künstler und Dichter war, ist sein Denken und sein Tun immer bezogen auf die neue Erfahrung der Natur und der Welt, die die moderne Kunst herbeiführte. Aber vielleicht besaß Corbusier nur deshalb die Kraft, so viel aktuelle Realität im eigenen Kopf und mit den eigenen Händen zu verarbeiten, weil er im Grunde ein Mensch des 18. Jahrhunderts war; ein Aufklärer, der an den Segen der heraufkommenden «époque machiniste» glaubte und daran, daß sie imstande sein würde, eine weltweite «liberté, égalité, fraternité» herbeizuführen. «Père Corbu» - er liebte es, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen - ist nicht der alleinige Vater der modernen Architektur und des heutigen Städtebaus. Aber er war unter seinen Weggenossen derjenige, der es am besten verstand, die Ziele des «neuen Bauens» anschaulich zu machen und wirkungsvoll die Trommel dafür zu rühren. Die Saat seines Wirkens ist noch zu seinen Lebzeiten aufgegangen. Zu Ende seines Lebens konnte er die Waffen strecken und feststellen: «la bataille est vaincue» - die moderne Architektur hat den Sieg erfochten. Für ihn war das der Beweis der Richtigkeit seiner Thesen. Jedoch, machen wir uns keine Illusionen. Die Ziele und Argumente, mit denen Corbusier Geschichte machte, sind nicht mehr ohne weiteres unsere Ziele und unsere Argumente. Sie sind selber Geschichte geworden. Freilich: eine große Zahl von Corbusiers Thesen sind noch heute die selbstverständliche Plattform des architektonischen und städtebaulichen Gesprächs. Viele Formen, die er prägte, sind längst zum Allgemeinbesitz der heutigen Architektur aller Kontinente geworden. Es wäre jedoch allzu einfach, Le Corbusiers Werk, das einer bestimmten historischen Situation entsprang, unbesehen als Musterbuch in unsere Zeit herüberzuretten. Wir müssen versuchen, die Ebene der Stellungnahme «pro und kontra» zu verlassen, um etwas Distanz und Übersicht zu gewinnen. Der Pulverdampf der Schlachten um die moderne Architektur, und die Definition der Stadt, ja um das weltumspannende Programm einer neuen Lebensform liegt noch immer in der Luft - das macht unsere Aufgabe nicht einfacher. Spätere Zeiten werden klarer sehen. Le Corbusiers Vermächtnis liegt in der Idee, daß das Planen und Bauen in unserer Zeit von Grund auf bis in die äußersten Verästelungen einem poetischen Weltentwurf, ja einer poetischen Kosmologie und einer Skala menschlicher Werte unterworfen werden sollte. Es ist der Sinn der 28 folgenden Seiten, einige Angaben dazu zusammenzustellen. Zunächst haben wir uns allerdings an das Naheliegende und Greifbare zu halten. Wir haben zu fragen, was Corbusiers Formensprache bedeutet: als künstlerisches Zeugnis einer geschichtlichen Situation, einer Persönlichkeit. Dieses Buch will den Versuch unternehmen, einige der Probleme, die das Werk Le Corbusiers stellt, begrifflich zu fassen und dazu einige Fragen aufzuwerfen; einige Zusammenhänge, die bisher noch wenig beachtet wurden, zu beleuchten, und, bei dieser Gelegenheit, einige bisher noch unbekannte Fakten zu berichten. Zürich, im Oktober 1968 S. von Moos 29 Le Corbusier - Elemente einer Synthese Stanislaus von Moos Die fünf Punkte einer neuen Architektur Um 1926 hat Le Corbusier seine architektonischen Postulate in fünf Punkten zusammengefaßt. Es überrascht nicht, daß all das, von dem bisher die Rede war (Kastenform, Symmetrie, Verselbständigung der Teile) hier nicht zur Sprache kommt, denn Le Corbusier hat dies alles in seinem Werk verwirklicht, ohne es explizit als Maxime des Handelns zu objektivieren. Architekturtheorie ist nicht der Boden, auf dem Architektur wächst, sie ist Kommentar, der - oft befruchtend, oft hemmend - auf das Geschehen einwirkt. Aber die Wurzeln liegen im Dunkel der Geschichte. Erst aus einiger Entfernung werden die wahren Faktoren sichtbar. Einige davon hat Le Corbusier in seinen fünf Punkten formuliert 1. Die «pilotis» dunkeln und feuchten Kellerräume alter Bauten sind durch die Pilotis wie in den Wind geblasen. Im Zusammenhang mit der «Befreiung des Bodens» hat Corbusier später seinen Widerspruch zu Vignola und den Beaux-Arts-Palästen mit ihren «statisch unnötigen» Kolonnaden und ihren «Festungsgrundmauern» besonders scharf umrissen. Er sah schon um 1929 klar: Er wollte den Boden für das Bewegte - den Verkehr, aber auch für die Vegetation - freihalten; das Unbewegte aber - die Arbeit, das Wohnen - in die oberen Geschosse verweisen. Strahlend klar hat Corbusier diesen Gedanken in der Villa Savoye verwirklicht. In den buntbemalten, gekurvten Wandungen der Einfahrten und Durchgänge im Untergeschoß der «Cité du Refuge» erscheint das Prinzip zur phantastischen Architekturlandschaft gesteigert. Die Loge des Concierge erhielt hier die Gestalt einer geschweiften langgezogenen Kabine, die wie eine Zunge, rot gestrichen, die Einfahrt ins Untergeschoß begleitet. In der Tat eröffnen sich hier grundlegende architekturgeschichtliche Perspektiven. Es sind die neuen Möglichkeiten der Konstruktion, die das Haus auf Pilotis geschaffen haben; wie es auch die säkularen Gewohnheiten des Bauens waren, die den Palästen zu ihren massiven Fundamenten verhalfen. Jedoch sind - damals wie heute - äußere Faktoren entscheidend im Spiel. Es scheint, als verhalte sich der motorisierte Verkehr zum Haus auf Pilotis wie während Jahrhunderten der Krieg zum Haus auf Festungsgrundmauern. Weder Verkehr noch Krieg haben eine Architektursprache geschaffen. Aber sie haben beide geholfen, eine architektonische Formensprache zu größter Klarheit zu führen. 2. Der Dachgarten In der modernen Architektur hat der Beton- oder Stahlpfeiler die statische Funktion der Mauer übernommen. Dies wurde durch die Entwicklung der modernen Eisenbetonkonstruktionen in den Vereinigten Staaten und in Frankreich möglich. Entscheidend ist aber die Idee, Bauwerke auf Pfeiler zu stützen, um dadurch den Boden frei benützbar zu machen. Sie erscheint in Corbusiers städtebaulichen Spekulationen sehr früh. Bereits vor 1920 wollte er die Städte über einem Rost, der 4 bis 5 m über dem Boden liegt, aufbauen. Die «Befreiung des Bodens», die sich in seinen späteren städtebaulichen Entwürfen ankündigt, war die unmittelbare Folge. In dem Modell des «Maison Citrohan», das am «Salon d‘Automne» von 1922 ausgestellt war, heben die Pilotis den «Wohnkasten» in die Luft wie auf einen Tisch. Solche Architektur teilt mit den Konstruktionen der Ingenieure die Eigenschaft, an jeder Stelle der Erdoberfläche installiert werden zu können. Ja die Pilotis ermöglichen sogar Pfahlbauten über dem Wasser, was Le Corbusier im Zusammenhang mit den «Lotissements de l‘Oued-Ouchaia» 1933 bis 1934 ins Auge gefaßt, und 1952/53 mit der «Unité d‘Habitation» in Nantes um 1950 tatsächlich realisiert hatte. Die Le Corbusier arbeitet mit praktischen Argumenten, um sein Publikum von der Notwendigkeit des Flachdachs zu überzeugen. Der Vorzug des Flachdachs liegt in erster Linie darin, in nördlichen oder gebirgigen Gegenden den Abfluß des Schneewassers rasch und gefahrlos zu gewährleisten. Das Wasser fließt in der Mitte des Hauses ab; da das Haus normalerweise geheizt ist, besteht - im Gegensatz zum traditionellen Dach mit seinen Dachrinnen - keine Gefahr des Gefrierens. Jeanneret-Le Corbusier hatte diese Idee bereits 1916 in La Chaux-deFonds realisiert. Nun kam aber noch etwas dazu. Da sich der Eisenbeton stark dilatiert, schlug Le Corbusier vor, das Dach mit einer dünnen 30 Humusschicht zu decken, auf der Gras und alle möglichen Pflanzen, die der Wind heranträgt, aufwachsen können. Dadurch sollte auf dem Dach gleichbleibende Feuchtigkeit gewährleistet werden. Flachdach und Dachgarten haben Le Corbusier schon sehr früh, in La Chaux-de-Fonds, beschäftigt. Man sieht es an den Zeichnungen für eine Villa am Meeresufer, die Jeanneret für den Modekönig Paul Poiret skizziert hat. Man kann hier vielleicht noch nicht von Dachgarten sprechen. Hingegen sind aus den Jahren 1915 bis 1916 verschiedene Skizzen erhalten, die flache Dächer vorsehen, auf denen eine Art «Belvedere» angeordnet ist. Auf einem bisher unveröffentlichten Blatt, das wahrscheinlich in diesen Zusammenhang gehört, zeichnet Jeanneret sogar kühn zwei große Bäume auf das Dach. Ohne Zweifel geht solches auf Eindrücke zurück, die der Architekt 1911 während seiner Mittelmeerreise gewonnen hatte. In dem kleinen Häuschen, das Le Corbusier 1923 bei Vevey am Genfersee seinen Eltern baute, hat er die Idee zum erstenmal realisiert. Die Humusschicht mit ihrer wechselnden Vegetation arbeitet noch heute als perfekter Wärme- und Kälteisolator. Von alledem hat Le Corbusier in dem kleinen Büchlein «Une petite maison» berichtet. «On monte sur le toit. Plaisir qui fut celui de certaines civilisations à certaines époques ...» - Nicht zufällig mischt sich in die Beschreibung dieses Hausdachs am Genfersee neuerdings die Assoziation des Hochseedampfers : «Appuyé sur la rambarde du navire ... Appuyé sur le bord du toit ...» Deutlich navale Züge zeigen die Dachgärten der Villa Stein in Garches und vor allem der Villa Savoye in Poissy. Sie enthalten im Keime die dramatischen plastischen Formationen auf den Dächern der «Unités d‘Habitation» in Europa und auf den Dächern des Sekretariatspalasts und Parlaments in Chandigarh. Sigfried Giedion betont: «Bei Frank Lloyd Wright müssen wir um die Häuser herumgehen, um ihre Formation zu erfassen. Jetzt aber konnte ein Haus zugleich von oben und von unten gesehen werden; in einem gewissen Sinne stellt es eine Fläche dar, die sich nach oben öffnet.» Es ist die Inspiration des Hochseedampfers, die der Architektur diese neue räumliche Dimension verlieh. 3. Der freie Grundriß In der bisherigen Architektur war der Plan der Sklave der tragenden Mauern gewesen. Nun war es möglich geworden, die Wände freizustellen, je nach den Bedürfnissen des Innenraums. Bereits 1914/15 hatte JeanneretLe Corbusier den Weg zu einer wirklichen Flexibilität in der Architektur vorgezeichnet: in einigen seiner Entwürfe für den Domino-Bautyp, wo sich die Fassaden, ganz ohne Kompositionsabsicht, nach den zufälligen Bedürfnissen der Bewohner ergeben sollten. Freilich: in Le Corbusiers Bauten der zwanziger Jahre wurde diese Flexibilität einem rigorosen künstlerischen Ordnungswillen unterworfen. Aber es gibt immer wieder Momente, wo der Gedanke der vollständigen Selbstbestimmung der einzelnen Bewohner klare Gestalt gewinnt. Am großartigsten in Le Corbusiers «Plan Obus» für Algier (1930). Gemessen am «Plan Obus» ist die «Flexibilität» der frühen Bauten relativ bescheiden; aber sie war immerhin etwas grundlegend Neues. In dem langgestreckten Haus an der Weißenhofsiedlung führte Le Corbusier Schiebewände ein, die die gesamte, breit gelagerte Wohnung des Nachts in drei Schlafräume unterteilten. Der gleiche Gedanke erscheint auch später wieder. Die Wohn- respektive Schlafräume wurden in Stuttgart durch einen langen Korridor erschlossen, dessen Maße von den Schlafwagen der «Compagnie Internationale des Wagons-Lits» übernommen waren. Alfred Roth, der die Bauführung der beiden Häuser innehatte, erzählt, daß damals in Stuttgart viel gelacht wurde - denn es war nicht für alle schwäbischen Besucher leicht, in diesen engen Korridoren zu zirkulieren. Allerdings war gerade die Siedlung Weißenhof ein Beispiel dafür, daß der «freie Grundriß» Le Corbusier nicht nur dazu diente, die Wohnung wirklich beweglich zu machen, sondern vor allem dazu, sie seinen räumlichplastischen Absichten zu unterwerfen. Nicht nur Wandschränke, sondern auch Tische und im oberen Geschoß sogar ein Bett wurden in Beton ausgeführt! 4. «La fenêtre en longueur» Bereits das Domino-Projekt enthielt im Keime die Möglichkeit, Fenster unbeschränkt in die Länge zu ziehen. Aber Jeanneret hatte dies damals, 1914/15, noch nicht gesehen. (Allerdings war bereits 1908/1909, im Atelier Perrets, sein Arbeitstisch vor einer Art «fenêtre en longueur» gestanden.) Es war Walter Gropius, der den Gedanken etwas später in architektonische Gestalt übertragen hatte, nämlich in seinem Fabrikgebäude an der Werkbundausstellung in Köln, 1914. Jeanneret kannte diesen Bau und war sich über seine entwicklungsgeschichtliche Bedeutung im klaren. Er war nämlich zum Schluß der Werkbundausstellung im Juli 1914 nach Köln gereist. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis das Fensterband im Vokabular Le Corbusiers auftaucht. Man findet es zuerst, wenn auch in bescheidenen Ausmaßen, im Obergeschoß der Villa in Vaucresson. Dann erscheint es wieder, auf 11 Meter gestreckt, in dem kleinen Häuschen am Genfersee (1923); auch hier ist es noch Element einer deutlich symmetrischen Komposition. Seine Enden stoßen keineswegs an die Ecken des Baus, noch führen sie gar, wie bei den Faguswerken von Gropius (1911), um die Ecken herum. Der Prospekt eines Photographen brachte nun für die «5 Punkte» den «wissenschaftlichen» Beweis dafür, daß diese Fensterform mehr Licht ins Haus bringt als die traditionelle: hier wurden die Photographen angewiesen, in einem Raum mit «fenêtre en longueur» viermal weniger lang zu belichten als in einem normalen Zimmer. «La pellicule sensible a parlé. Ergo!» Es war das «fenêtre en longueur», das den Grundriß des Häuschens am Genfersee so stark in die Breite zog. Denn nun war es möglich, alle Räume aus: Le Corbusier -Elemente einer Synthese, Stanislaus von Moos gleichmäßig zu erhellen. Das breitgelagerte Haus mit dem Bandfenster, das übrigens als Schiebefenster («fenêtre coulissante») konzipiert war, stellt nun die eigentliche Alternative zum Kastentyp des «Maison Citrohan» dar. Die beiden Alternativen stehen in Stuttgart, beide auf Pilotis, gleich nebeneinander. Demgegenüber sind die Villenbauten Le Corbusiers in den zwanziger Jahren höchst komplexe Adaptionen aller hier dargelegten Prinzipien. In dem Entwurf für den Völkerbundspalast gelangte jedoch die Idee des Fensterbandes zu einer Entfaltung, die alles bisher Gesehene übertraf. Die «fenêtres en longueur» wurden hier bis 200 Meter in die Breite gezogen. 5· Die freie Fassade Sie ist die unmittelbare Konsequenz aller dieser Prinzipien. Denn es war für Le Corbusier von vornherein klar, daß nicht an allen Stellen des Hauses Fenster notwendig waren. Nun war es eine Frage der Komposition, offene und geschlossene Partien gegeneinander abzuwägen. 31 32 33 Le Corbusier - Elemente einer Synthese Stanislaus von Moos Maison Citrohan Le Corbusiers Formensprache entwickelt sich erst nach 1920 - nun aber in rasch aufeinanderfolgenden Schritten. Sie beruht allerdings nicht bloß auf den neuen Möglichkeiten der Konstruktion oder auf der Vorliebe für den Elementarismus der philebosschen Körper. Es liegt ihr ein Wohnprinzip zugrunde. Bereits in der Villa Schwob hatte er Schlaf- und Wirtschaftsräume um eine große, zweistöckige Wohnhalle angeordnet. Diese Idee, die Wohnung in einem großen «Foyer» der Familie zusammenzufassen, geht durch Le Corbusiers Werk wie ein roter Faden. Zum erstenmal wird sie präzisiert in dem Entwurf des «Maison Citrohan» (1920 bis 1922). Man hat über die Herkunft des Citrohan -Typus oft und vieles spekuliert. Gelegentlich liest man, das Pariser Künstleratelier sei der Ausgangspunkt für diesen Wohnungstyp - denn man stellt sich den jungen Jeanneret in Paris gerne als entwurzelten Bohémien vor, der in Künstlerkreisen verkehrte. Dieses romantische Bild hat wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Der junge Schweizer war in Paris - wenn auch nicht mit glänzendem Erfolg - geschäftlich tätig, und er malte nur samstags und sonntags, weit abseits der Künstler-Bohème. Wenn er nicht gerade über einem seiner Probleme studierte, saß er mit seinen Schweizer Freunden zusammen. Trotzdem ist es reizvoll festzustellen, daß die zweistöckige Halle des Citrohan-Hauses gerade im volkstümlichen Pariser Atelier- und Werkstatt-Typ eine Vorstufe findet. In verwandter Form kehrt sie dann wieder in gewissen Atelierhäusern, die André Lurçat 1924 bis 1926 in dem «Villa Seurat» benannten Sträßchen in Paris baute - auch Auguste Perret errichtete hier einen Atelierbau. Jedoch, nicht irgend ein Pariser Atelier, sondern eine einfache Kutscherkneipe, das Bistrot «Legendre» an der Rue Godot-de-Mauroy, gegenüber dem Atelier von Ozenfant, gab 1920 den Anstoß. Le Corbusier und Ozenfant pflegten sich dort häufig abends zu treffen, um gemeinsam zu essen. Le Corbusier hat selbst darüber berichtet: «Nous mangions dans un petit restaurant de cochers, du centre de Paris; il y a le bar (le zinc), la cuisine au fond; une soupente coupe en deux la hauteur du local; la devanture ouvre sur la rue. Un beau jour, on découvre cela et l‘ on s‘ aperçoit que les preuves sont ici présentes, de tout un méchanisme architectural qui peut correspondre a l‘ organisation de la maison d‘ un homme.» Man spielte mit dem Gedanken, diese Urform des Hauses irgendwo in der Landschaft aufzustellen. Vorne: über beide Stockwerke ein großes Fenster als einzige Lichtquelle für den gesamten Innenraum. Zu beiden Seiten: Mauern, in örtlichen Materialien ausgeführt - Haustein, Backstein oder ein vom lokalen Maurer improvisiertes Agglomerat. Der Boden des Obergeschosses, das sich auf die offene Halle öffnet, der Boden der Dachterrasse und die Treppen würden als standardisierte Eisenbetonelemente montiert. Die erste Niederschrift der Idee zeigt, als Verbindung zwischen den beiden Stockwerken, die gleiche Metall- 34 aus: Le Corbusier -Elemente einer Synthese, Stanislaus von Moos Spindeltreppe, die man heute noch im Café «Le Mauroy» vorfindet. Später, ab 1922, beteiligte sich nun auch Pierre Jeanneret am CitrohanEntwurf. Am Salon d‘Automne von 1922 stellten L.C. & P.J. neben ihrem Projekt einer Stadt für drei Millionen Einwohner auch das Gipsmodell einer Variante dieses Haustypus aus. Die Markenbezeichnung «Maison Citrohan» - sie unterschied sich absichtlich nur minim von der Marke «Citroën» verkündete demonstrativ, daß dieses Haus für die Produktion in großen Mengen gedacht war: entworfen, produziert und vertrieben wie ein Omnibus, eine Schiffskabine oder ein Auto. Im Gegensatz zur ersten Studie stand nun der ganze Komplex wie eine Kommode auf Stützen. Diese Stützen, «pilotis», sind hiermit in die Architektur Le Corbusiers eingezogen. Es wurde nun eine Variante für die Banlieue von Paris, eine Variante für die Côte d‘ Azur projektiert. Gebaut wurde der Typus erst 1927, in der Werkbundsiedlung Weißenhof in Stuttgart. Der Schlafbalkon, der in die Wohnhalle greift, ist im Grundriß ein wenig abgeschrägt, und vom Wohnraum aus schiebt sich ein kleiner Balkon, wie die Kommandobrücke eines Kapitäns, nach außen - es sind fast die einzigen Abänderungen gegenüber dem ursprünglichen Schema. Der Maisonette-Typ sollte aber nicht nur als kleine Villa oder, etwas abgeändert, als Werkstatt für Handwerker in den Plänen Le Corbusiers wieder erscheinen: er war von Anfang an als Wohnungseinheit für große, vielstöckige Wohnblöcke gedacht. Die Vorzüge einer Villa mit Terrasse und Garten sollten sich mit den Vorzügen des Wohnens in großer Dichte verbinden - ein Thema, das noch heute, ja heute wieder im Vordergrund der Planungsarbeit steht. Bereits 1922 hatten Corbusier und Pierre Jeanneret die Idee der «immeuble-villas» auf dem Rücken 35 einer Menükarte formuliert. Den Prototyp einer solchen MaisonetteWohnung haben die Architekten 1925 als «Pavillon de l‘Esprit Nouveau» an der «Exposition Internationale des Arts Décoratifs» aufgestellt. Alle Nebenräume werden in diesem Haustyp auf das absolute Mindestmaß beschränkt. Dafür öffnen sich die Schlafräume auf die zweistöckige Wohnhalle. Seitlich ist eine große, gedeckte Terrasse angeordnet. Die Vorbereitungen für den «Pavillon de l‘Esprit Nouveau» und das Diorama des «Plan Voisin» erforderten ziemlich viel Platz. 1924 mietete Corbusier an der Rue de Sèvres No. 35 einen langen, schmalen Korridor mit einem ehemaligen Kreuzgang; eine Lebensmittelhändlerin, die dort ihr Depot besaß, hatte ihm das Lokal im ersten Stock günstig zur Verfügung gestellt. Dieser unscheinbare Raum sollte für beinah ein halbes Jahrhundert zu einem Brennpunkt der internationalen Architektur werden! - Leider wurde das Atelier unmittelbar nach Corbusiers Tod ausgeräumt. 36 37 Le Corbusiers et Pierre Jeanneret, Oeuvre Complète 1910-1929 Publiée par W. Boesiger et O. Stonorov Intoduction et textes par Le Corbusier ‹‹Plan Voisin ›› de Paris 1925 DIE STRASSE im «Intransigeant» Mai 1929. Es folgt die freie Beschreibung bestimmter Stadtpläne und einer Architektur, die auf die Wirklichkeit der Statistik aufgebaut ist, auf die Widerstandsfähigkeit der Materialien, auf die soziale und wirtschaftliche Organisation einer vernünftigen Valorisation des Grundeigentums. Bisherige Definition: Ein Fahrweg: meistens breite oder schmale Bürgersteige, senkrecht darauf Häusermauern: die Silhouette gegen den Himmel ist eine alberne zerrissene Linie von Lukarnen, Mansarden, Dachkandeln. Die Straße liegt in der Tiefe dieser Abenteuer, sie liegt in ewigem Halbdunkel. Der Himmel als schöne Hoffnung sehr weit, sehr hoch droben. Die Straße ist eine Rinne, ein tiefer Spalt, ein enger Gang. Man kann nicht atmen; das Herz wird immer noch beklemmt davon, obwohl man schon tausend Jahre daran gewöhnt ist. Die Straße ist voller Menschen, man muß sehr auf seinen Weg achten. Seit einigen Jahren ist sie voll rascher Fahrzeuge; zwischen den beiden Abgrenzungen des Bürgersteigs droht der Tod. Aber wir sind dazu dressiert, dem Zerquetschtwerden die Stirne zu bieten. Die Straße wird von tausenderlei verschiedenen Häusern gebildet; bereits haben wir uns an die Schönheit des Häßlichen gewöhnt - das heißt unser Unglück von der guten Seite betrachten. Die tausend Häuser sind schwarz und ihre gegenseitige Nachbarschaft ist wie ein Mißton. Es ist furchtbar..., aber wir gehen daran vorbei. Am Sonntag breiten diese leeren Straßen ihre ganze Trostlosigkeit aus. Werktags fassen sie mit Mühe den Menschenstrom. Die Läden glänzen. Das volle Drama des Lebens vibriert in allem. Und wenn wir Augen haben, amüsieren wir uns auf der Straße unheimlich. Es ist schöner als in einem Theater, schöner als in einem Roman: Gier und Gesichter. Nichts von alledem ruft in uns die Freude wach, die die Wirkung der Architektur sein könnte. Weder der Stolz, der das Ergebnis der Ordnung ist, noch der Unternehmungsgeist, der in großen Räumen entsteht. Aber Mitleid und Erbarmen werden wach, wenn wir plötzlich ins Antlitz unseres Nachbarn sehen... und des Tages Mühsal bedrückt uns. Die Straße kann ihre menschliche Tragödie tragen. Sie kann unter neuem Aufblitzen der Lichter erstrahlen, sie kann mit ihrem bunt gewürfelten Reklametafeln lachen. Es ist die Straße des tausendjährigen Fußgängers: ein Überrest von Jahrhunderten, ein wirkungsloses heruntergekommenes Organ. Die Straße verbraucht uns. Sie ekelt uns an. Warum existiert sie denn eigentlich noch? Zwanzig Jahre Automobil (und noch andere Dinge, die uns in den hundert Jahren des Maschinenzeitalters in neue Abenteuer gestürzt haben) führen uns vor neue Entscheidungen. Ein Kongreß des neuen Paris wird in diesem Augenblick vorbereitet. Was wird mit Paris passieren, was wird man uns für neue Straßen geben? Der Himmel möge uns vor Balzacbegeisterten Kongreßteilnehmern behüten, begeistert von der Tragödie der Gesichter, begeistert von den schwarzen Spalten der Straßen von Paris...! Der gesunde Menschenverstand fordert dringend gute Lösungen. Wenn doch ein geeigneter Lyrismus den rationellen Gedanken ergriffe und ihn der Architektur zum Vorteil gereichen ließe? Paris von morgen könnte wunderbar sein, wenn es den Ereignissen entspräche, die uns Tag für Tag einem neuen Abschnitt der Zivilisation entgegenführen. Spezialisten des Städtebaues haben Untersuchungen angestellt und manchmal glückliche Lösungen vorgeschlagen. Die Diskussion geht um den Verkehr: der Bach für Pferdefuhrwerke ist zum Amazonenstrom für Automobile angeschwollen. Also Ausdehnung, Breite, Ordnung: der Fußgänger, das Auto... und noch eine Menge anderer Dinge, die die Städtebauer in Ordnung bringen müssen. Ich möchte das Porträt der zeitgenössischen «Straße» zeichnen. Leser, versuche in dieser neuen Stadt zu spazieren und überlasse Dich den Wohltaten einer nicht akademischen Initiative. Also: Du wirst Dich unter Bäumen befinden inmitten großer Rasenplätze, ungeheuer grüner Flächen. Gesunde Luft. Fast kein Geräusch. Du siehst keine Häuser mehr. Wie denn? Durch das Geäst der Bäume, durch das liebliche Arabeskennetz der Blätter wirst Du gegen den Himmel weit voneinander entfernt ungeheure Kristallkörper erblicken, höher als irgendein Gebäude der Welt. Kristall, das im All spiegelt, das im grauen Winterhimmel leuchtet, das viel mehr in der Luft zu schweben scheint, als auf dem Boden zu stehen, Kristall, das bei Nacht ein Funkeln ist, ein elektrisches Zauberwerk. Eine Untergrundbahn fährt unter jedem dieser hellen Prismen, sie gibt die Distanz an, die sie voneinander trennt. Es sind Bureauxgebäude. Die Stadt ist drei- bis viermal dichter bewohnt als heute; die Entfernungen, die zu durchmessen sind, sind also drei- bis viermal so klein und die Ermüdung des einzelnen hat sich um ein drei- bis vierfaches verringert. Die Gebäude bedecken nur 5 bis 10 % der Oberfläche dieses Stadtteils; das ist der Grund, weshalb Du jetzt in einem Park bist und weshalb die Autostraßen so weit von Dir entfernt sind. Ein ideales Bureau besteht aus einer Glaswand und drei Mauern. Tausend Bureaux ebenso und zehntausend Bureaux gleichfalls. Alles ist also 38 aus: Oeuvre Complète 1919-1929- Le Corbusier in Glas, die Fassade von unten bis oben. Es gibt an diesen ungeheuren Gebäuden keine sichtbaren Steine mehr, nur Kristall... und Proportionen. Ein Architekt braucht für seine Konstruktionen keine Steine mehr; Paläste und Häuser sind nicht mehr aus Steinen. Zur Zeit Ludwigs XIV. hatte man sehr nützliche Gesetze über die Höhe der Gebäude aufgestellt mit Grenzen, die die Grenzen der Konstruktionsmöglichkeit in Stein darstellten. Heute bauen unsere Ingenieure was man will und so hoch wie man will. Aber die Bestimmungen Ludwigs XIV. sind geblieben: zwanzig Meter bis zum Fries: Du wirst nicht höher bauen. Da seid Ihr also: Ihr bedeckt die ganze Grundfläche der Stadt, nicht nur 5-10 % der Oberfläche, sondern 50-60 %. Und Ihr fahrt fort, Straßen wie schwarze Schlitze zu bauen, eine Schande und das Verderben unserer Städte! Und die Dichte ist um ein vielfaches geringer. Ihr habt eben gesehen, daß die Straße nicht so sein wird wie die von New York, dieses fürchterliche Fiasko. Wenn man die ungeheuren Fundamente für diese Bureauxgebäude ausheben wird, werden Berge von Erde aus den Grabungen kommen. Wir werden dann aber mit dem lächerlichen Spiel der Schuttkarren aufhören, die die Erde zu den Seinekähnen transportieren, die sie ihrerseits wieder in die Umgegend befördern (so daß der ganze Boden von Paris neben Paris wieder aufgeschüttet wird). Nein, wir werden die Erde ruhig zwischen den Gebäuden lassen, mitten in den Parks; wir werden diese Hügel mit Bäumen bepflanzen und Gras säen. Gehen Sie doch in den «Jardin des Plantes» und schauen Sie sich neben dem Museum den kleinen künstlichen Hügel an, der dort eine reizende Landschaft schafft und ein Zentrum unerwarteter Perspektiven darstellt. Durch die Zweige, die wie im Kino den Vordergrund abgeben, erblickt man hinter den Hügeln die Kristallprismen der ungeheuren Bureauhäuser. In 400 Meter Entfernung erheben sie sich regelmäßig ohne Rücksicht auf die Richtung der Verkehrsadern der Autos und Fußgänger. Hier befindet man sich ganz plötzlich vor einer entzückenden gotischen Kirche mitten im Grünen: St-Martin oder St-Merry aus dem 14. oder 15. Jahrhundert. Dort ein Klub, der in einem Hotel von Marais eingerichtet ist, unter Heinrich IV. erbaut und zu den schöne Alleen führend. Weiterhin steigt der Gehweg für Fußgänger als sanfte Rampe an; wir kommen zu einer tausend Meter langen Terrasse: Kaffees mitten im Parkgrün, ein Geschoß hoch über dem Boden der Stadt. Eine zweite Rampe hat uns einen Stock höher, zu einer neuen Straße geführt. Auf der einen Seite die Auslagen der Luxusgeschäfte: neue Rue de La Paix; auf der andern Seite Aussicht in die Fernen der Stadt. Und die dritte Rampe bringt dich auf eine dritte Straße, wo die Klubs und die Restaurants sich befinden. Man ist schon fast ganz über dem Grünen. Ein Meer von Bäumen und hier und da, dort unten, weiter fort, immer und überall das majestätische Kristall, in reinen, gewaltigen, klaren Prismen. Beständigkeit, Unbeweglichkeit, Ruhe, Raum, Himmel, Licht, Heiterkeit... Reizende Werke der Architektur ragen aus dem Gekräusel der Kronen 39 hervor; diese vergoldete Kuppel, die über einem griechischen Hügel thront, ist das Theater X, letztes Werk des Herrn Y, membre de l‘Institut. Das hat aber weiter keine Bedeutung. Ob es echte Renaissance ist oder kopiert, stört keineswegs die Harmonie der Architektur; es bleibt lediglich Frage des persönlichen Geschmacks. Die drei aufeinanderfolgenden Terrassen - Gärten der Semiramis und Straßen der Erholung - ziehen als entzückende Horizontale niedrig fliehender Linien zwischen den großen vertikalen Kristallen dahin. Dort hinten siehst Du jenen feinen Strich - man sieht ihn kaum - auf einer langen Säulenreihe (was für eine Kolonnade, mein Gott, von 20 Kilometer Länge); es ist die erhöhte Einbahn-Autostraße, auf der die Automobile ohne Halt wie Raketen, Paris durcheilen. Die Arbeit im Bureau geschieht nicht mehr in der ewigen Dämmerung freudloser Straßen, sondern wie im Freien, in voller Athmosphäre. Lacht nicht: die 400’000 Angestellten der Geschäftsstadt streifen mit ihrem Blick über eine großartige Landschaft. Genau so sieht man von einem der hohen Felsen an der Seine bei Rouen unter sich das Meer von Bäumen wie eine wogende Herde grüner Schafe. Absolute Ruhe. Woher käme auch der Lärm? Es ist Nacht. Wie ein Meteorenschwarm in den Sommer-Aequinoktien zeichnen die Autos Feuerzeichen der Autostraße entlang. Zweihundert Meter darüber, auf den Dachgärten der Wolkenkratzer (wirkliche Gärten, geplättelt, mit Spindelbäumen, mit Tuja, Lorbeer, Efeu, Tulpen und Geranien bepflanzt), breitet das elektrische Licht ruhige Freude aus. Die Nacht darüber. Bequeme Stühle, Menschen, die sich unterhalten, Orchester, Tanzbars, Ruhe. In derselben Höhe von 200 Meter über dem Boden andere Dachgärten, weiter fort, ringsherum wie goldene Teller im Raume schwebend. Die Bureaux sind dunkel, die Fassaden erloschen, die Stadt scheint zu schlafen. Man hört den fernen Lärm der Quartiere von Paris, die unter ihrer alten Kruste geblieben sind. Hier ist die pulsierende Geschäftsstadt, die « City». Die Zahlen bekräftigen die Hypothesen. Die «City» von Paris zu verwirklichen, ist keine Schimäre, sondern heißt für den Staat Milliarden verdienen indem er das Zentrum von Paris noch wertvoller macht. Sich des Zentrums von Paris zu bemächtigen, als einer durchdachten Finanzoperation, heißt Milliarden schaffen. Die Straße wird nicht mehr existieren. Und auch für die Wohnquartiere ist die Straße, der Straßenspalt keine Lösung mehr. Le Corbusier 40 41 Le Corbusier - Elemente einer Synthese Stanislaus von Moos Versuch einer Chronologie 1887 6. Oktober, Geburt von CharIes Edouard Jeanneret (Le Corbusier) als Sohn von Edouard Jeanneret-Perret und Marie Charlotte Amelie Jeanneret-Perret, an der Rue de la Serre 38, La Chaux-de-Fonds. 1891 Eintritt in die Volksschule. 1900 Eintritt in die Kunstgewerbeschule als Graveur-Ciseleur (bis 1904). 1902 Diplôme d‘honneur für eine ziselierte Taschenuhr an der Internationalen Kunstgewerbeausstellung in Turin. 1904 Abschluß der Graveur-Ciseleur-Lehre; Eintritt in den noch inoffiziellen Cours Supérieur de Décoration. 1905 Auftrag Villa Fallet, La Chaux-de-Fonds (1907 vollendet). 1907 Juni: Reise nach Florenz; Besuch der Kartause Ema in Galluzzo. Besuch von Siena, u. a. Herbst: über Ravenna, Padua, Budapest nach Wien. In Wien Pläne für Villa Stotzer und Villa Jaquemet, La Chauxde-Fonds. 1908 In Wien: Besuch bei Joseph Hoffmann. Februar: über Nürnberg. München, Straßburg, Nancy zum erstenmal nach Paris. Besuch bei Jourdain, Plumet, Sauvage, Grasset. Begegnung mit Tony Garnier in Lyon(?). Sommer: Eintritt bei Auguste Perret (bis Frühjahr 1909). Studentenzimmer am Quai St-Michel. 1909 Herbst: Rückkehr nach La Chaux-de-Fonds. 1910 Winter: Beteiligung am 6. Großen Skirennen der Schweiz in Grindelwald. Gründung der Ateliers d‘Art Réunis in La Chaux-de-Fonds. April: nach München; Kontakt mit Theodor Fischer. Anschließend Kontakte mit den Spitzen des Deutschen Werkbundes. Juni: Besuch der AEG in Berlin. Zusammenfassung der Eindrücke in der Schrift «Etudes sur le Mouvment d’ Art Décoratif en Allemagne» (La Chaux-de-Fonds, 1912). Winter 1910/11: Arbeit im Atelier von Peter Behrens, Berlin. Dezember: einige Tage bei Heinrich Tessenow in Hellerau, wo der Bruder, Albert Jeanneret, an der 1910 eröffneten 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 Bildungsanstalt Jacques Dalcroze wirkt. Januar: Entwurf Ateliers d‘Art. In Berlin bei Behrens: kurze Begegnung mit Mies van der Rohe, der im Mai bei Behrens eintritt. Kein Kontakt mit Gropius, der bereits seit Mai 1910 selbständig arbeitet. Mai: nach Dresden, Prag, Wien, Budapest, .... Istanbul, Berg Athos (21 Tage), Athen; zusammen mit dem Kunstgeschichtsstudenten und späteren Antiquar August Klipstein, Bern. Oktober: Pompeji, Neapel. Herbst (?): Beginn des Unterrichts an der Nouvelle Section de l‘ Ecole d‘ Art in La Chaux-de-Fonds als Lehrer für Composition décorative appliquée a l‘ architecture jusqu‘ aux plus petits objets. In La Chaux-de-Fonds (kurze Reisen nach Zürich, Paris, etc.). Bau Maison Jeanneret-Père an der Rue de la Montagne. La Chaux-de-Fonds.w Bau Villa Favre-Jacot, Le Locle. Juni: Besuch der Bauausstellung in Dresden. Erwirbt Zeichenlehrerpatent des Kantons Neuenburg. März bis Mai: Aufhebung der von L‘Eplattenier gegründeten Nouvelle Section de I‘ Ecole d‘ Art. Juli: nach Köln zum Schluß der Werkbundausstellung. September: Entwurf Maisons Domino. In La Chaux-de-Fonds; z. T. in Paris für Studien in der Bibliothèque Nationale (Département des Estampes). Vorbereitung eines Manuskriptes über Städtebau (nicht vollendet). Projekt für den Pont Butin über die Rhone bei Genf. Bau der Villa Schwob in La Chaux-de-Fonds (bis 1917). Sommer(?): definitive Abreise aus La Chaux-de-Fonds. In Paris Wohnung an der Rue Jacob 20 (bis 1933). Ch.-E. Jeanneret gründet die Societé des Entreprises Industrielles. Bureau in der Rue d‘Astor; Ziegelei in Fonteville, S.-O. (eventuell 1918?). Mai: Bekanntschaft mit Amédée Ozenfant an einer 42 1919 1920 1921 1922 1923 1924 Veranstaltung der Gruppe Art et Liberté. September: in Andernos bei Bordeaux Redaktion der Schrift «Après le Cubisme» zusammen mit Ozenfant. Dezember: Ausstellung Ozenfant - Jeanneret in der Galerie Thomas. Projekt einer Villa am Meeresufer für Paul Poiret (eventuell später). Spätherbst: Gründung der Zeitschrift «L‘Esprit Nouveau», zusammen mit Ozenfant und dem Dichter Paul Dermée, der die Hauptschriftleitung übernimmt. Bureau der Redaktion an der Rue du Cherche-Midi. Projekt Maisons Monol. Projekt für Häuser in Gußbeton in Troyes. Wahl des Pseudonyms «Le Corbusier» als Signatur eines Artikels in Nr. 1 der Zeitschrift «L‘Esprit Nouveau» (erscheint am 15. Oktober). Bekanntschaft mit Fernand Léger. Entwurf Maison Citrohan. Januar/Februar: Ausstellung von Bildern Jeannerets in der Galerie Druet. Zusammenbruch der Société des Entreprises Industrielles. Beginn der Zusammenarbeit mit dem Genfer Architekten Pierre Jeanneret, dem Vetter Le Corbusiers, im Hinblick auf den Salon d‘Automne. September: Reise nach Venedig, Vicenza. Erster Vortrag an der Sorbonne, Paris. Am Salon d‘ Automne: Plan pour une Ville Contemporaine de trois Millions d’Habitants. Gipsmodell des Haustyps Citrohan. Projekt und Bau des Wohnhauses in Vaucresson und des Atelierhauses von Ozenfant (Bau 1923). 1. Projekt für Villa La Roche. Publikation von «Vers une Architecture». Ausstellung Jeanneret-Ozenfant bei Léonce Rosenberg, in der Galerie L‘Effort Moderne. Beteiligung am Salon des Indépendants. Plan des Häuschens am Genfersee (1925 ausgeführt). Bau der Villa La Roche-Albert Jeanneret in Auteuil (bis 1924). Bezug des Ateliers an der Rue de Sèvres 35. Vorträge in Genf, Lausanne, Prag. Daselbst Begegnung mit Krishnamurti; Einladung nach Indien. Doppelhaus Lipschitz-Miestschaninoff in Boulogne sur Seine. Villa Ternisien in Boulogne sur Seine. Bau der Arbeiterwohnhäuser in Légé (Landes). Projekt eines Weekendhauses in Rambouillet (nicht 1925 1926 1927 1928 1929 ausgeführt). Projekt Serienhäuser für Handwerker (nicht ausgeführt). Publikation von « Urbanisme », «L‘Art Décoratif d‘Aujourd’hui» und «La Peinture Moderne» (mit Ozenfant). Im Herbst Erscheinen der letzten Nummer des «L‘ Esprit Nouveau». Beteiligung an der Exposition lnternationale des Arts Décoratifs. Bekanntschaft mit Minister Ch. de Monzie, vermittelt durch Gertrude Stein. Bau und Einrichtung des Pavillon de L‘ Esprit Nouveau. Präsentation des Plan Voisin. Bau der Gartenstadt in Pessac bei Bordeaux (bis 1926). Projekt einer Villa für Mme. Meyer. Projekt einer Studentensiedlung; u. a. 11. April: Tod des Vaters. Publikation von «Almanach d‘Architecture Moderne». Bau des Wohnhauses Cook in Boulogne sur Seine. Bau des Hauses Guiette in Antwerpen. Bau des Palais du Peuple der Heilsarmee in Paris (1927 fertig). Projekt Maison Minimum (nicht ausgeführt); u. a. Vergrößerung des Ateliers; Zuzug neuer Mitarbeiter; u. a. aus der Schweiz, im Hinblick auf das Projekt für den Völkerbundspalast in Genf. Vorträge in Madrid, Barcelona (Besichtigung der Bauten Antonio Gaudìs), Frankfurt und Brüssel. Februar: Abgabe des Projektes für den Palais des Nations. Zuerkennung des 1. Preises ex aequo. Bau zweier Häuser in derWeißenhofsiedlung in Stuttgart. Bau der Villa Stein in Garches. Bau der Maison Plainex in Paris. Juni: Gründung der Congrès lnternationaux d‘Architecture Moderne (CIAM) auf Schloß La Sarraz, Kanton Waadt. Manifest von La Sarraz. Kontakte mit dem Genfer Industriellen Wanner im Hinblick auf ein zu bauendes Mietshaus in Genf. Vorträge in Prag und Moskau. Herbst: Publikation von «Une Maison- un Palais». Bau eines demontablen Pavillons der Firma Nestlé an der Pariser Handelsmesse. Projekt Centrosoyus, Moskau (Bau 1935 vollendet). Projekt Villa in Carthage, 1. Fassung (nicht ausgeführt). Projekt eines Mundaneums in Genf (nicht ausgeführt). Überarbeitung des Projekts für den Völkerbundspalast nach Wahl des neuen Standortes. Bau der Villa Church in Ville d‘Avray. April: in Genf 2. Projektvariante für den Völkerbundspalast aus: Le Corbusier -Elemente einer Synthese, Stanislaus von Moos 1930 1931 unterbreitet. Juni: Baukommission des Völkerbundes bestimmt in Madrid das Projekt der Architekten Nénot, Vago, Lefèbre und Broggi zur Ausführung. Juni: nach Moskau wegen Centrosoyus. September: Flug im Zeppelin nach Buenos Aires. 10 Vorträge in Buenos Aires, 2 in Montevideo, 2 in Rio de Janeiro, 2 in Sao Paolo. (Zusammenfassung in dem Buch «Précisions sur un Etat Présent de L‘Architecture et de l‘Urbanisme», Paris, 1930). Dezember: Rückfahrt nach Bordeaux auf dem Dampfer Lutetia. An Bord Bekanntschaft mit Josephine Baker. Im Herbst: am Salon d‘ Automne Ausstellung der zusammen mit Charlotte Perriand entworfenen Möbel. 2. CIAMKongreß in Frankfurt am Main. Bau der Villa Savoye in Poissy (bis 1931). Bau der Villa in Carrhage, Tunis (2. Fassung). Projekt Maisons Loucheur. Auftrag für Bau der Cité du Refuge durch die Princesse E. de Polignac. (Bau 1933 vollendet). Projekt für ein Mietshaus an der Rue Nungesser-et-Coli (Bau 1933 vollendet). Wird französischer Staatsbürger. Heiratet Yvonne Gallis. Frühjahr: Reise nach Moskau. 3. CIAM-Kongreß in Brüssel. Beginn der Mitarbeit an der neugegründeten Zeitschrift «Plans», zusammen mit François de Pierrefeu u.a. Reise nach Spanien. Pläne für das Haus Errazuris in Chile. Luxusappartement auf dem Dach eines Hauses an den Champs-Elysées für M. CharIes de Beistegui (1931 vollendet). Baubeginn Mietshaus Clarté, Genf (Bau 1932 vollendet). Haus für Mme. de Mandrot in Le Pradet bei Toulon (1931 vollendet). Baubeginn des Pavillon Suisse in der Cité Universitaire in Paris (1932 vollendet). Baubeginn der Cité du Refuge (1933 vollendet). Einladung der Sowjetregierung zur Teilnahme am beschränkten Wettbewerb für den Sowjetpalast. März: CIRPAC-Kongreß in Barcelona. April: Reise nach Algier; Vortrag bei den Amis d‘ Alger. Besuch der Kasbah von Algier. - Erste Skizzen für die städtebauliche Reorganisation von Algier. August: mit P. J. Reise im Auto über Spanien nach Marokko, Besuch der Städte des M‘Zab (v. a. Ghardaia), zurück über Algier und Marseille. Projekt Sowjetpalast. 1932 1933 1934 r935 1. Stadtplan für Algier (Plan Obus). Idee eines Musée a croissance ilIimitée, Christian Zervos unterbreitet. Baubeginn des Mietshauses an der Rue Nungesser-et Coli. Beteiligung am Ideenwettbewerb für die Exposition Internationale d‘Art et Techniques, Paris, 1937. Publikation des Büchleins «Croisade ou le Crépuscule des Académies». Projekt Apartmenthaus Zürichhorn, Zürich. Verleihung des Ehrendoktors der Philosophischen Fakultät II der Universität Zürich. 29. Juli bis 13. August: 4. CIAM-Kongreß im Rahmen einer Kreuzfahrt nach Athen auf dem Schiff «Patris II». Entscheidender Anteil an der Formulierung der Charte d‘ Athènes. In Algier: Wird im Februar in der Kasbah überfallen und verletzt. Im Rahmen der Exposition de la Cité Moderne Erklärung des Plan Obus. In Paris: Bezug der Dachwohnung im neuen Mietshaus an der Rue Nungesser-et-Coli. Vorträge in Stockholm, Oslo, Göteborg, Algier, Antwerpen. Städtebauliche Projekte für Antwerpen, Genf und Stockholm. Projekt treppenförmiger Terrassenhäuser für M. Durand in Oued Ouchaia, Algier (nicht ausgeführt). Projekt Arbeiterwohnhäuser an der Hardturmstraße in Zürich (nicht ausgeführt). Projekt für Verwaltungsbau der Rentenanstalt in Zürich (nicht ausgeführt). Mai/Juni in Rom; hört Rede Mussolinis an die jungen Architekten (?). Juli: Besuch der Fiat-Werke in Turin. Teilnahme am Symposion über «Kunst und Staat» des Institut International de Coopération Intellectuelle de la Société des Nations, in Venedig. In Paris Beginn der Studien zur Réorganisation agraire, zusammen mit dem normannischen Landarbeiter Norbert Bézard (bis 1938). Vorträge in Rom, Mailand, Algier, Barcelona, Athen. Ab 1934 häufige Reisen nach Algier. Plan der Stadt Nemours, Nordafrika. Publikation des Buches «La Ville Radieuse» (beruhend auf den in «PLANS» veröffentlichten Aufsätzen.) Vortrag in der Salle Pleyel (Paris); wird ausgepfiffen. Dezember: Schiffsreise nach USA, wohin ihn Nelson 43 44 1936 1937 1938 1939 Rockefeller und das Musem of Modrn Art für eine Vortragsreise berufen haben. Bau des Lusthäuschens in Celle-St. Cloud. Vollendung des Centrosoyus in Moskau. Projekt der Bebauung des Tals Zlin, CSR. Projekt einer Cité Bata in Hellocourt, Lothringen. Malt sein erstes Wandbild in Vézeley. lm Winter 1935/36 Vorträge in New York (u. a. Columbia University), Yale, Boston, Chicago, Madison, Philadelphia, Hartford, Vassar College u.a. Februar/März: Rückreise von New York nach Paris. Schreibt «Quand les Cathédrales étaient Blanches». (Paris, 1937). lm Sommer Reise nach Rio de Janeiro. Konsultationen mit Oscar Niemeyer, Lucio Costa, Affonso Edoardo Reidy u.a. wegen Bau des Erziehungsministeriums in Rio. 6 Vorträge in Rio. In Paris Beteiligung an den Gesprächen über «La Querelle du Réalisme» im Maison de la Culture, zusammen mit Fernand Léger, Louis Aragon u.a. Ideenprojekt für die Cité Universitaire du Brésil. Wird Chevalier de la légion d‘honneur. Frühjahr: Nervenentzündung (5 Monate bettlägerig) nach Bad im kalten Meer. CIAM 5 in Paris, im Zusammenhang mit Corbusiers Pavillon des Temps Nouveaux an der Exposition Internationale d‘ Art el Techniques. Mitglied der Regionalplanulgskommission Algier. Im Winter 1936/37 Bau des Pavillon des Temps Nouveaux an der Porte Maillot. Projekt eines Stadions für 100 000 Zuschauer. 1937/38 Teilnahme am Wettbewerb für ein nationales Denkmal für Vaillant-Couturier. Studien für die städtebauliche Reorganisation von Paris. Ausstellung von Le Corbusiers Malerei im Kunsthaus Zürich und bei Louis Carré in Paris. Publikation von «Des Canons des Munitions? - Merci! Des Logis, s. v.p ....» August: Schwerer Badeunfall an der Riviera; Verletzung durch eine Schiffsschraube. Hochhausprojekt Quartier de la Marine, Algier (Weiterbearbeitung bis 1942; nicht ausgeführt). 1938/39: 8 Wandbilder für Jean Badovici in seinem Haus in Vézelay sowie für Badovici und Helen Gray in Cap Martin. Publikation von «Le Lyrisme des Temps Nouveaux et l’Urbanisme». Bekanntschaft mit Jean Giraudoux. 1940 1941 1942 1943 1944 1945 Baubeginn der Munitionsfabrik in Moutiers-Rozeille bei Aubusson (nicht vollendet). Studien für das Observatorium auf dem Pic du Midi (Pyrenäen) i.A. der Regierung. Projekt einer Sommer- und Winterstation im Vars-Tal. 14. Juni: Kampflose Besetzung von Paris durch deutsche Truppen. Corbusier reist mit seiner Frau und Pierre Jeanneret nach Ozon (Pyrenäen). November: Trennung von P. J., der nach Grenoble in die Résistance geht. Vorschlag der Maisons Murondins zuhanden französischer Jugendorganisationen (publ. 1942). Einrichtung der Galerie des Arts für die Ausstellung La France d‘Outremer, Paris. Haus in Lannemezan (Hautes Pyrénées). Längere Zeit in Vichy, Kontakt mit Marschall Pétain, dem er sich für den Wiederaufbau Frankreichs empfiehlt. Schreibt daselbst, zusammen mit François de Pierrefeu, «La Maison des Hommes» (Paris 1942). Publikation von «Destini de Paris» und «Sur les Quatre Routest». 2. Besuch in Algier in offizieller Mission des Vichy-Regimes. 12. Juni: endgültige Ablehnung des Plan directeur von Le Corbusier und der Gruppe «CIAM-Alger» durch die algerischen Behörden. In Paris Gründung der ASCO- RAL (Assemblée de Constructeurs pour une Rénovation Architecturale) - eine Art Forschungsausschuss der französischen CIAM-Gruppe. Publikation von «Entretien avec les Etudiants des Ecoles d‘Architecture» und «La Charte d‘Athènes». Bericht über die städtebauliche Erschließung des Pyrenäengebietes zuhanden der Regierung. Projekt einer Unité d’habitation transitoire. Nach der Befreiung Gründung des ATBAT (Atelier des Bâtisseurs). Ernennung zum Urbaniste en chef der Region von La Rochelle-Pallice. Vertrag mit Wiederaufbauminister Raoul Dautry über Bau der Unité d‘Habitation in Marseille. Beginn der Zusammenarbeit mit André Wogenschky. Ernennung zum Haupt einer französischen Regierungsdelegation, die zum Studium der amerikanischen Architektur seit 1939 nach USA reist. Abfahrt (zusammen mit Sive, Emery, Hanning, Bodiansky und Claudius Petit) im Dezember. An Bord des Cargo Vernon S. Hood Modulor-Studien. In Paris Publikation von «Les Trois Etablissements Humains», «Manière de penser l‘Urbanisme» und « Propos d‘ Urbanisme». Beteiligung an der Ausstellung La France d‘Outremer (Paris). Wiederaufbauplan von La Rochelle-Pallice (nicht aus: Le Corbusier -Elemente einer Synthese, Stanislaus von Moos 1946 1947 1948 1949 1950 ausgeführt). Wiederaufbauplan von St-Dié bei Nancy (nicht ausgeführt). Winter: nach kurzem Aufenthalt in New York zurück nach Paris. Februar: Ernennung zum französischen Delegierten der UN-Headquarters-Commission (für die Wahl des Standortes des UN-Sekretariats). Frühjahr: Begegnung mit Albert Einstein in Princeton. Mai: Flug nach New York. Bis Dezember: Reisen in USA mit Headquartes-Commission. Februar: Fertigstellung des Projektes 23A für das UNGeneralsekretariat in New York. März: Ankunft der anderen Mitglieder der Planungskommission in New York. Später Übernahme der Projektleitung durch Wallace K. Harrison. Reise nach Bogota. Juli: Rückkehr nach Paris. CIAM 6 in Bridgewater. Unterbreitet «Grille CIAM». Publiziert «U. N.-Headquarters». Große L. C.-Ausstellung in Wien. Baubeginn der Textilfabrik Duval in St-Dié (1951 vollendet). Baubeginn der Unité d‘Habitation in Marseille (1952 vollendet). Erste Holzskulpturen in Zusammenarbeit mit dem bretonischen Tischler Joseph Savina. Verschiedene Corbusier-Ausstellungen in den USA. Projekt des Heiligtums La Sainte Baume , Südfrankreich, (nicht realisiert). Großes Wandbild im Pavillon Suisse der Cité Universitaire, Paris. Erste Tapisserieentwürfe. Juli: CIAM 7 in Bergamo. Plan des Hauses für Dr. Currutchet, La Plata, Argentinien. Projekt der Hangbebauung Roq et Rob, Cap Martin (nicht ausgeführt). Mai: erste Skizzen auf dem Hügel von Ronchamp. November: Besuch des Chefingenieurs des Pandschabs, Varma, und des Sekretärs des Punjab Govt. Capital Project, Thapar, um Le Corbusier zur Mitarbeit in Chandigarh zu gewinnen. Publikation von «Poésie sur Alger», «Le Modulor». Projekt eines Pavillons für die Veranstaltung Synthèse des Arts Majeurs an der Porte Molitor, Paris. Plan eines Hauses für Professor Fueter am Bodensee (nicht ausgeführt). Stadtbaupläne für Marseille Vieux-Port; Marseille-Veyre; Bogotà (zusammen mit J. L. Sert) und Izmir. 1951 1952 1953 1954 Ernennung zum Government Architectural Adviser für den Bau von Chandigarh, mit der Verpflichtung, zweimal jährlich nach Chandigarh zu reisen. Auftrag, den Hohen Gerichtshof, das Sekretariatsgebäude, das Parlamentsgebäude und den Gouverneurspalast zu bauen. 18. Februar: Abflug nach Indien, zusammen mit Pierre Jeanneret. Zusammentreffen mit Maxwell Fry und Jane Drew in Simla. Bereinigung des Stadtplans von Chandigarh. In Ahmedabad Kontakte mit Mr. Kasturbhai und Mr. Sarabhai, die ihm wichtige Aufträge in ihrer Stadt übertragen. Juli: Ablehnung Le Corbusiers als Architekt des UNESCOGebäudes in Paris. Wahl in das Fünferkomitee zur Beaufsichtigung der Arbeiten (zusammen mit Gropius, Breuer, Markelius, Rogers). Teilnahme am Kongreß De Divina Proportione in Mailand. Projektierung von Ronchamp (Einweihung 1955). Stadtplan von Chandigarh; Projektierung der Kapitolsbauten (Gericht: 1956 eröffnet; Sekretariat: 1958 eröffnet; Parlament: 1962 eröffnet; Gouverneurspalast nicht ausgeführt). Auftrag für Museum Ahmedabad (1956 eröffnet). Projekt Millowners- Verwaltungsbau in Ahmedabad (Bau 1956/57); Projekt Villa Shodan und Villa Sarabhai in Ahmedabad (beide 1954 bis 1956 erbaut). In Long Island, USA: 2 Wandbilder im Haus des befreundeten Bildhauers Tino Nivola. Baubeginn in Chandigarh. April: (auf Rückreise von Indien) Aufenthalt in Gize, Ägypten. 14. Oktober: Beförderung zum Commandeur de la légion d‘honneur, anläßlich der Eröffnung der Unité d‘Habitation in Marseille. Père Alain Couturier O. P. wendet sich an Corbusier wegen La Tourette. Auftrag für Unité d‘Habitation in Nantes-Rézé (1955 eröffnet). Auftrag für Maisons Jaoul in Neuilly sur Seine (1955 vollendet). Bau des Cabanons in Cap Martin. Große Corbusier-Ausstellung im Musée National d‘Art Moderne in Paris; Corbusier-Ausstellung in London. ClAM 9 in Aix-en-Provence; Thema: Formulierung einer «Charte de I‘ Habitat». (nicht zustande gekommen). Auftrag Kloster La Tourette (1958 eingeweiht). Baubeginn der Unité d‘Habitation in Nantes. Corbusier-Ausstellungen in Bern und Como. Publikation von 45 46 aus: Le Corbusier -Elemente einer Synthese, Stanislaus von Moos 1955 1956 1957 1958 1959 1960 «Une Petite Maison» und «MODULOR 2». Baubeginn Villa Shodan, Villa Sarabhai und Maisons Jaoul in Neuilly (alle 1956 vollendet). Bau der baraque de chantier , 15 m neben dem Cabanon in Roquebrune. In dieser winzigen Baracke arbeitet L. C. jährlich mehrere Wochen. 25. Juni: Einweihung der Kapelle N.-D. du Haut in Ronchamp. In Chandigarh: Holzmodell des Monuments der offene Hand aufgerichtet. Publikation von .«Le Poème Je I‘ Angle Droit». Weist Angebot des Institut De France zurück, einen Lehrstul an der Académie des Beaux-Arts zu übernehmen. März: Reise nach Chandigarh, zur Eröffnung des Hohen Gerichts durch Premierminister Nehru. Vortrag in Bagdad. Sommer: Ausstellung in Lyon. Planung von 5 Unités d‘Habitation in Meaux (nicht ausgeführt); im Hinblick auf dieses Projekt, Beginn der Vorfabrikationsstudien in Zusammenarbeit mit der Firma Renault. Projekt Unité d‘Habitation in Berlin (1958 eröffnet; mit wichtigen Abweichungen vom Projekt). Projekt Kulturzentrum Tokio (Museum für westliche Kunst, ca. 1957 vollendet). Projekt Metallhäuser in Lagny (nicht ausgeführt). Projekt billige Wohnhäuser in Autoy (nicht ausgeführt). Projekt Stadion in Firminy und Bagdad. 5. Oktober: Tod seiner Frau Yvonne. Große Wanderausstellung, von Willy Boesiger zusammengestellt, in Zürich (anschließend in Berlin, München, Wien, Frankfurt, Den Haag, Paris). Publikation von «Les Plans de Paris». Bau des Pavillons du Brésil in der Cité Universitaire in Paris, zusammen mit Lucio Costa (1959 eröffnet). Baubeginn La Tourette (Einweihung 1960). Bau der Staumauer Bakhra, Indien. Bau des Philips-Pavillons, Weltausstellung in Brüssel. Komposition des Poème électronique, zusammen mit dem Komponisten Edgar Varèse. Eröffnung des Sekretariats von Chandigarh. Bau der Cité Sportive in Bagdad, Irak. Bau der Schleuse in Kembs-Niffer, Elsaß. November: in Cambridge, Mass., Besichtigung des Geländes für das Carpenter Center for Visual Arts. Planung Carpenter Center (Bau 196r bis 1964). 15. Februar: Tod der Mutter im Alter von 100 Jahren. In Chandigarh: Pläne für Art School und College of Architecture. Plan für den Boat-Club am Sukhna-Lake (alles in den 1961 1962 1963 1964 1965 1967 folgenden Jahren ausgeführt). 19. Oktober: Kloster La Tourette eingeweiht. Bau des Carpenter Center for Visual Arts (1964 eröffnet). Bau des Maison de Culture in Firminy (1965 eröffnet). Projekt eines Kulturzentrums Orsay-Paris (nicht ausgeführt). Projekt eines elektronischen Rechenzentrums für Olivetti in Rhô bei Mailand (nicht ausgeführt). Parlament Chandigarh eröffnet. Projekt eines Ausstellungspavillons in Stockholm (nicht ausgeführt) und in Zürich (1967 eröffnet). Sommer: Reise nach Florenz zur Ausstellung im Palazzo Strozzi. Kontakt mit Erzbischof Lercaro wegen Bau einer Kirche in Bologna (nicht zustandegekommen). Projekt Kunstzentrum Erlenbach-Frankfurt (nicht ausgeführt). Projekt eines elektronischen Rechenzentrums in Rhô bei Mailand, für Olivetti, 2. Fassung (nicht ausgeführt). Projekt eines Kongreßpalastes für das Europaparlament in Straßburg (nicht ausgeführt). Projekt der Französischen Botschaft in Brasilia. April: unterbreitet in Venedig die Pläne für den Spitalneubau. Juli: Redigiert das Manuskript «Le Voyage D‘Orient» von 1910. 27. August, 11 Uhr Vormittags, Tod durch Herzschlag, beim Baden im Meer vor Roquebrune-Cap Martin. 15. Juli: Eröffnung des «Centre Le Corbusier» in Zürich. 47 Die Bauten von Le Corbusier 50 LC La Chaux-de-Fonds Villa Fallet Le Corbusier mit René Chapellaz 1905-1907 1, chemin de Pouillerel, 2300 La Chaux-de-Fonds Wie es Le Corbusier in seiner Confession von 1925 andeutet, ist jede Einzelheit der Villa Fallet von der jurassischen Umwelt angeregt worden. Von der Blüte bis zu den Bergen, die sich rythmisch am Horizont erstrecken, von der reinen Form des Bauernhauses bis zur fast kristallklaren Felswand aus in kleinen Würfeln zerteiltem Kalkstein, bildet sie so einige Seiten des ehrerbietigsten und rührendsten Wörterbuches der ausdrucksvollen Formen. LC La Chaux-de-Fonds 51 Villa Favre-Jacot Le Corbusier mit Léon Perrin 1912 6, côtes des Billodes, 2400 Le Locle Der nunmehr selbständige Architekt Jeanneret begegnete in den Jahren 1912 - 1917 den Grossindustriellen der Neuenburger Uhrmacherei. Eine erste grosse Villa entstand schon 1912 für Georges Favre-Jacot (1843-1917), der durch die Marke „Zenith“ bekannt war. Sie steht auf einer langen Gartenterrasse, die von einer früheren Chalet-Konstruktion stammt; daher der linear aufgebaute Grundriss, der sich von der halbrunden Vorfahrt (für Autos!) über ein doppelgeschossiges rundes Vestibül zu einer grosszügigen Salon-Flucht entwickelt. Wiederum ein Haus das klassisch in der grossen Form, aber innovativ im räumlichen und konstruktiven Aufbau ist; man beachte etwa die Loslösung der Fensterwand von den tragenden Stützen im Herrenzimmer. 52 LC La Chaux-de-Fonds Villa Stotzer Le Corbusier mit René Chapellaz 1907-1909 6, chemin de Pouillerel, 2300 La Chaux-de-Fonds LC La Chaux-de-Fonds 53 Villa Jacquemet Le Corbusier mit René Chapellaz 1907-1909 8, chemin de Pouillerel, 2300 La Chaux-de-Fonds Die beiden Villen Stotzer und Jacquement, in denen man Elemente mittelalterlicher Architektur erkennen mag, bieten eine regionalistische Auslegung des Monolith-Konzepts, das die plastische Logik des hier schon angewendeten Eisenbetons bestimmt. Die Poesie der Verzierungen, die eng mit dem Geist der Villa Fallet verbunden ist, mildert das Rustikale an der Bauart der Villa L‘ Eplattenier und die kristallartigen Volumen, die die späteren Forschungen ankündigen. 54 LC La Chaux-de-Fonds 55 La Maison Blanche - Villa Jeanneret Le Corbusier 1912 12, chemin de Pouillerel, 2300 La Chaux-de-Fonds Le Corbusier schlug mit dem Bau der „weißen Villa“ für seine Eltern einen neuen gestalterischen Weg ein, bei der die Wohnung nicht länger - wie beim Chalet üblich - ins Innere einer zuvor festgelegten äußeren Form gepresst wurde. Das Haus stößt nicht vom Hang vor, sondern steht quer dazu auf einer von einer Stützmauer befestigten Geländeterrasse. Von der Straße gelangt man über einen langen Gartenweg zur Haustür im Erdgeschoss. Zunächst wird der Weg zum versteckt liegenden Hauseingang von einer Pergola überdacht (ähnlich der, die Jeanneret in Pompeji abzeichnete) und nach einer rechtwinkligen Kehre von Bäumen überwölbt. Durch die Haustür gelangt man in eine durch ein Rundfenster erhellte kleine Diele und zum Treppenhaus. Ein Vestibül dient als Vorraum der Wohnräume, die auf einer Achse bis zum Esszimmer - das sich durch die Fenster eines halbrunden Erkers zum Garten öffnet - angeordnet sind. Der Vorraum bietet durch ein breites Fenster Ausblick zum Wald, der Wohnraum zum Horizont. Die Hausecken umfassen den kleinen Salon und die Bibliothek. Die Schlafzimmer im ersten Stock werden durch ein langes horizontales Fensterband erhellt, das an Frank Ll0yd Wrights Haus Winslow in River Forest erinnert, wie es Jeanneret aus deutschen Publikationen kannte. Mit ihrem weißen Verputz und Dach aus Asbestzement, aber auch ihrer Ähnlichkeit mit Wohnhäusern, die Jeanneret im Jahr zuvor für Grundstücke am Bosporus entworfen hat, stellt die Villa die gesammelten Erfahrungen seiner Italien- und Orientreisen dar. Zwischen deutscher Reformkultur und mediterranem Klassizismus, denen sich Jeanneret durch die Lektüre von Publikationen wie „Entretiens de la Villa du Rouet“ (1908) von CharIes Cingria-Vaneyre angenähert hatte, schälte sich seine persönliche Gestaltungsweise heraus - noch etwas unbeholfen, für einen jungen Mann von kaum 25 Jahren aber schon recht entschieden. Die Villa, die er im selben Jahr für Georges FavreJacot, Uhrenfabrikant der Marke Zenith, in Le Locle baute, bekräftigte seine Ablehnung der Jura-Architektur. Sie weist nicht nur Züge von Pariser Stadthäusern auf, sondern auch von zeitgenössischer deutscher Architektur. Die Baugestalt lässt an Schultze-Naumburgs und Mebes‘ Postulate denken, die Fassade und die Raumaufteilung an Häuser von Behrens. 56 LC La Chaux-de-Fonds 57 Villa Schwob Le Corbusier mit Marcel Montadon, Léon Perrin 1916-1917 167, rue du Doubs, 2300 La Chaux-de-Fonds Die von den Nachbarn „Türkische Villa“ getaufte Villa Schwob war das letzte Bauwerk Jeannerets in La Chaux-de-Fonds und das einzige seiner frühen Häuser, das er später in „L‘Esprit nouveau“ veröffentlichte. Die imposante Villa für Anatole Schwob, Besitzer der Cyma-Uhrenfabrik, wirkt radikal; sie stellt eine Art Rekapitulation all dessen dar, was Jeanneret bis dato gelernt hat, und die Ankündigung seines in den 1920er Jahren vollzogenen Übergangs zur Abstraktion. Jeanneret entfernte sich hier von dem 1909 im Büro Perret entworfenen „Flaschenhaus“ aus Beton: Seinem Mentor teilte er im Jahr 1916 mit, dass die Villa „Fassaden mit Balkonterrassen ,à la française‘, aber aus Eisenbeton“ hätte. Jeanneret verwendete „das in wenigen Wochen errichtete Betonskelett und die Ausfachung mit hübschen kleinen unverputzten Ziegelsteinen“ nach dem Vorbild der Seitenfassade des Theatre des Champs-Elysees von Perret, dessen quadratisches Motiv der Hauptfassade er hier mit der großen weißen Fläche an der Hauswand zur rue du Doubs aufgriff. Die klar umrissene Würfelform wird durch halbzylindrische Apsiden verbreitert und verkörpert so Jeannerets endgültige Abkehr vom volkstümlichen und klassischen Vokabular seiner ersten Bauten. Das äußere Erscheinungsbild bewahrt „einen Hauch Istanbul“, wobei Betonelemente die Holzteile der osmanischen Häuser ersetzen - daher der Spitzname „Türkische Villa“. Das Hausinnere integriert mehrere Inspirationsquellen nur, um sie hinter sich zu lassen. Die Raumfolge vom Haupteingang zum zweigeschossigen Wohnzimmer lässt sich mit den 1911 in Pompeji angefertigten Skizzen vergleichen und scheint den um ein Atrium entwickelten Grundriss der so genannten Diomedes-Villa zu reproduzieren. Es ist schwer, die Quellen dieses Entwurfs zu unterscheiden: etwa die zweigeschossige englische Eingangshalle oder das weiträumige leere Pariser Künstleratelier, dessen großes Fenster hier Ausblick in den Garten bietet, oder auch die Haupthalle der von Auguste Perret 1908 in der Pariser rue de Ponthieu errichteten Autogarage. Der Wohnraum mit dem Konzertflügel ist das eigentliche Zentrum des Hauses. Die beiden Schlafräume im Obergeschoss bilden ein U um die zentrale Eingangshalle. Die Küche ist in einem Anbau zur Straßenseite hin untergebracht; die Bäder im Obergeschoss sind zwischen Schlafzimmern und Treppenhaus eingefügt. 58 LC Ronchamp 59 Chapelle Nôtre-Dame-du-Haut Le Corbusier mit André Maisonnier, Bänke von Joseph Savina 1950-1955 Haute-Saône, 70250 Ronchamp Angesichts der „plastischen Revolution“ von Ronchamp waren Le Corbusiers Anhänger und Schüler starr vor Staunen: sie ist das Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit der Sakralarchitektur. In der Nachkriegszeit gaben ihm seine Aufträge Anlass, über den vom Menschen bewohnten Raum zwischen Himmel und Erde zu meditieren. Auf dem Hügel von Bourlémont (500 m. ü. M.), einem letzten Ausläufer der Vogesen, sollte er die im Zweiten Weltkrieg durch Bomben völlig zerstörte Kirche Notre-Dame-du-Haut, einen historischen Wallfahrtsort, wieder aufbauen. Trotz seines Misstrauens gegenüber der katholischen Kirche gab er den Bitten der Angehörigen der Bewegung für sakrale Kunst nach, die sich für die Einführung der modernen Architektur und Malerei in Kirchenbauten einsetzte. Den Patres Couturier und Régamey sowie François Mathey und Maurice Jardot gelang es schließlich, Le Corbusier für diese Aufgabe zu gewinnen. Schon bei seinem ersten Ortstermin im Jahr 1950 war Le Corbusier fasziniert von der Lage: der Ort ähnelte der zusammen mit L‘Eplattenier 40 Jahre zuvor erkundeten Juralandschaft. Er ergriff die Gelegenheit, „die Menschen mit dem Kosmos zu verbinden“, und zwar nach dem Vorbild der indischen Sternwarten, die er zur gleichen Zeit entdeckte. Sein Bau wurde ganz spezifisch nur für diesen Ort entworfen. Er studierte seine Geschichte, las ein vom Kanonikus Belot verfasstes Buch über die alte Kirche und schickte sich an, „ein an den Ort gerichtetes Wort“ zu formulieren, gewissermaßen eine „Antwort auf den Horizont“. Das Gelände und seine Lage sind zwar die wichtigsten entwurfsbestimmenden Faktoren, aber nicht die einzigen. Der Grundgedanke ging vom Fund eines leeren Krabbenpanzers am Strand von Long Island aus, ähnlich denen, die er in den 1930er Jahren auf seine Leinwände gebannt hatte. Der Panzer gab dem auf vier dicken Betonmauern ruhenden Dach der Kapelle seine Form. Ausgehend von dieser Grundidee wurden nach und nach mehrere Modelle aus Eisendraht und Holz gebaut, nach denen 1952 der endgültige Entwurf entstand. Die Bauarbeiten begannen 1954. Das Dach wurde wie eine Art Flugzeugtragfläche aus zwei, in einer Schale übereinander liegenden Decken angefertigt; die durch einen schmalen Zwischenraum von der Dachschale getrennten frei stehenden Mauern und Pfeiler aus Stahlbeton bilden das Tragwerk, an dem innen und außen der Verputz aufgebracht wurde. Die Südmauer ist zugleich dicker und „löchriger“ als die übrigen; während der Entwurfsphase wurde der tragende 60 LC Ronchamp 61 Pfeiler auf der Ostseite - ursprünglich so dünn wie ein „Zeltpflock“ - zur Entsprechung einer Kranzkapelle. Die Bodenplatten und Altartische sind aus Stein. Der Grundriss wurde im Verlauf der Entwurfsarbeiten immer asymmetrischer und innen wie außen durch die Position der Altäre bestimmt. Eine polychrom gefasste Marienfigur des 17. Jahrhunderts - einziger Überrest aus der zerstörten alten Kirche - wurde so platziert, dass sie gleichzeitig von den Besuchern der Messe und den Priestern und Messdienern gesehen werden kann. Nicht nur der Krabbenpanzer, auch andere, ganz unterschiedliche Vorbilder flossen in Le Corbusiers Entwurf ein: moderne Elemente wie die vom Dach vorkragenden, an Skisprungschanzen erinnernden Wasserspeier, aber auch Bilder, an die sich Le Corbusier aus frühesten Tagen erinnerte. Die in die Seitenkapellen einfallenden Lichtstrahlen lassen zum Beispiel an das Serapeum der Villa Hadrian denken, das er im Jahr 1911 abzeichnete. Er beschrieb es wie ein „geheimnisvolles Loch“, in dem er etwas ausfindig gemacht hatte. Die überraschende Lichtschutzvorrichtung der Südwand mit ihren farblich klar modulierten Nischen beschwört die Fassade der Sidi-Brahim-Moschee in EI Atteuf herauf, die Le Corbusier 1931 auf seiner Reise zur Pentapolis des Wadi M‘zab entdeckte. Die periskopartigen Glockentürme schließlich erinnern an die Grabstelen von Ischia. Das Spiel mit Massen und Licht, das Le Corbusier in Ronchamp umsetzte, brach mit seiner Besessenheit für glatte Flächen und homogene Klarheit der 1920er Jahre. Licht und Schatten wurden von nun an zu Werkzeugen, um den Raum zu gestalten. Die Fassade, deren einzige Tugend bisher in ihrer „Freiheit“ bestanden hatte, erlaubte dank der Mauerstärke fortan eine solche Gestaltung. Der weiß getünchte, körnige Beton der Mauern und der schalungsrauhe Beton des Daches ersetzen unter einer dramatischen Beleuchtung die glatten, fast abstrakten Fassaden der „Wohnmaschinen“ durch Zeugnisse menschlicher Arbeit. 1954 bat Le Corbusier Edgar Varèse vergeblich, ein für diesen Ort passendes Werk zu komponieren. 62 Grundriss 5. Obergeschoss 1 Krankenzelle 2 Krankenzimmer 3 Gästezelle 4 Zellen der Patres 5 Zelle des Studienpräfekten 6 Zellen der Priesterschüler 8 Zellen der Laienbrüder 10-12 Waschräume und Toiletten 25 Kirche Grundriss 3. Obergeschoss 1 Sprechzimmer 2 Portier 3 Aufenthaltsraum der Laienbrüder 4 Betzimmer 5 Aufenthaltsraum der angehenden Laienbrüder 7 Lesesaal 8 Bibliothek 9 Klasse A 10 Aufenthaltsraum der Priesterschüler 11 Klasse B 12 KlasseC 13 Aufenthaltsraum der Patres 14 Klasse D 18 Treppe zum Atrium 21 Grosser Gang 22 Kleiner Gang 23 Atrium 24 Waschräume und Teiletten 25 Kirche Grundriss 5. Obergeschoss 3 4 8 5 22 21 23 18 9 10 25 Grundriss 3. Obergeschoss Grundriss 2. Obergeschoss 14 13 12 11 Grundriss 2. Obergeschoss 1 Büro 2 Refektorium 3 Kapitelsaal 4 Atrium 5 Gang 7 Hochaltar 8 Nördlicher und südlicher Altar und Sakristei 9, 10 Höfe 18 Treppe zum Atrium 25 Kirche Querschnitt LC La Tourette 63 Couvent Saint-Marie-de-la Tourette Le Corbusier mit Iannis Xenakis, Fernand Gardien, André Wogenscky 1953-1960 La Tourette, Frères dominicains, 69591 l‘Arbresle-cedex Das Klosterleben hatte Jeanneret schon 1907 bei seinem Besuch des Kartäuserklosters von Ema und 1911 auf dem Berg Athos berührt. In einem Brief an Marguerite Tjader-Harris sprach er vom harten und beschwerlichen Leben der Mönche und nannte ihre Askese „heroisch“. Die Arbeitsbedingungen in Ronchamp bestärkten ihn und er nahm den Auftrag von Pater Couturier an, in der Nähe von Lyon ein Dominikanerkloster zu bauen. Um „einen Ort der Meditation, der Suche und des Gebets für die Predigermönche“ errichten zu können, besuchte er zuvor das Zisterzienserkloster Thoronet in Südfrankreich, das lebhafte Eindrücke bei ihm hinterließ. Seine ersten Pläne von 1953 für das leicht nach Süden abfallende Gelände zeigen ein rechtwinkliges Gebäude, das an seinem Standort etwas ungelenk wirkt. Der endgültige Entwurf von 1954 ist subtiler. Die Bauarbeiten zogen sich aufgrund der beschränkten finanziellen Mittel der Dominikaner in die Länge. Wie alle seine großen Gebäude seit den 1920er Jahren stellt auch dieser Bau zwei Ordnungen aus genormten Elementen gegenüber: die Mönchszellen und die Gemeinschaftsräume. Le Corbusier interessierte sich für die historische Entwicklung der Zisterzienserklöster. Er legte die Klausur mit ihren Gängen um den zentralen Innenhof jedoch nicht in der traditionellen Form an, wie er sie zum ersten Mal in Ema gesehen hatte, sondern verlegte den Kreuzgang in die Mitte: er trennt die übrigen Klosterbereiche voneinander, und zwar in Form eines Kreuzes, das vier Höfe bildet. Das Gebäude scheint nicht fest auf der Erde zu stehen, sondern wie an der Horizontalen des gemeinsamen Daches befestigt; es berührt den Boden nur mit Betongittern, „so gut es kann“, pflegte Le Corbusier zu sagen. Ein U-förmiger Bauteil nimmt die Mönchszellen auf, sozusagen die extremste Form seiner in den 1920er Jahren entwickelten Wohnungen für das Existenzminimum oder auch Schlafwagenabteilen und Schiffskabinen nachempfunden. Die gleichförmigen Wohnungen sind hier auf ihre einfachste Form reduziert, die Verschalungen ihrer Sonnenblenden stammen aus der Unité von Nantes-Rezé. Die Zellen sind mit einem Waschbecken ausgestattet und äußerst sparsam möbliert. Die vorgelagerten Flure führen in den zentralen Hof und werden durch schmale Bandfenster erhellt. Der nach Süden weisende Teil des U verbindet das Refektorium mit der Bibliothek, die sich beide zum Innenhof hin öffnen durch eine Wand, bei der Le Corbusier abwechselnd mit verglasten und ausgefachten Rechtecken spielt, weshalb sie den 64 LC La Tourette 65 Spitznamen „Mondrian-Mauer“ erhielt. Die Kirche ist eine autonome Einheit, vom U der Zellen durch einen schmalen Zwischenraum getrennt. Mit ihrer Form setzte Le Corbusier ein neues Konzept um, nämlich das eines „Wunderkastens“ - eines großen Raums, in dem alle möglichen „Schauspiele“ veranstaltet werden können und das er in Tokio vergeblich zu realisieren versuchte. Die Dunkelheit des Raums - ebenfalls ein neues Thema -, die das Schwarz des Steinfußbodens unter dem Altar vertieft, wird durch eine senkrechte Wandspalte nach Osten und eine waagerechte Spalte nach Westen aufgehellt. In der an den Hauptraum angrenzenden Krypta werden die sieben Altäre, an denen die Dominikaner einer (nach dem 2. Vatikanischen Konzil abgeschafften) Ordensregel folgend ihre Messen zelebrieren, von einer mehrfach geschwungenen Mauer umfasst. Die Altäre werden durch „Lichtkanonen“ beleuchtet, die die Krypta in den Abglanz ihrer farbig gestrichenen Laibungen tauchen. Die Sakristei auf der anderen Seite des Kirchenschiffs wird durch sieben „Lichtmaschinengewehre“ erhellt. Nahe dem durch drei Zylinderformen markierten Eingang befindet sich eine kleinere, von einer Betonpyramide bekrönte Kapelle. Die Galeriepassagen kreuzen sich in einem Atrium mit Pultdach und laden zu einem großartigen „architektonischen Spaziergang“ ein, der die Entdeckung der Baukörper und der Landschaft erlaubt, über der sie von dünnen Betonscheiben getragen schweben. Wellenförmige Verglasungen, deren Holzrahmen nach dem Modulor bemessen sind und die wechselnde lineare Schattenmuster auf die Böden werfen, rhythmisieren die Wände der Galerien. Die Ausführung hat dem griechischen Bauleiter lannis Xenakis, der als politischer Flüchtling in Paris lebte, viel zu verdanken. Zur gleichen Zeit komponierte er sein Hauptwerk „Metastasis“, dessen Klangsequenzen sich in den „Wellenfenstern“ wieder finden. Ein „Werk der Liebe“ in den Augen Le Corbusiers, weckt dieses Kloster aus rauhem Beton zugleich Ratlosigkeit und Interesse. Der amerikanische Architekturhistoriker Vincent Scully verglich es mit den Villen der 1920er Jahre. Er sah im Haus „Citrohan“ ein griechisches Megaron (älteste griechische Hausform mit einem Raum und einer Vorhalle) mit vier massiven und einer verglasten Mauer, in der Villa Savoye ein „Sandwich“ - und La Tourette demzufolge als „Megaron, das davon träumt, sich in ein Sandwich zu verwandeln (oder umgekehrt)“. Colin Rowe seinerseits bemerkte, der Architekt habe „sich bewusst darum bemüht, die akademische Debatte in künstlerische Begriffe umzusetzen“ und das Kloster sei „weniger eine von Wohnungen umgebene Kirche als ein bewohnbares Theater für Virtuosen der Askese, das durch eine Sporthalle für das Training spiritueller Athleten verdoppelt wird“. Als der Orden infolge fehlenden Nachwuchses sein Aufbauprogramm der klösterlichen Gemeinschaft in La Tourette aufgab, wurde das Kloster zum Kultur- und Begegnungszentrum. 66 Gesamtplan der Anlage 1 Gemeindezentrum 1a Die Kirche - Eingang zum Pfarrhaus und zu den Gemeindesälen 1b Eingangsrampe zur Kirche 1c Platz bei der Kirche 2 Schwimmbad 2a Gedecktes Schbimmbassin 25 x 15 m 2b Ankleideraum 2cWellenbad 3 Stadion 3a Kassen 3b Ausgang der Zuschauer 3c Strasse der Zuschauer 3d 3400 Sitzplätze 3e Gedeckte Tribüne 3f Fussballplatz, Rugby 3g Eingang der Athleten 4 5 6 7 8 9 10 11 Jugendhaus 4a Strasse des Jugendhauses 4b Eingang des Baues "Boîte à miracle" (kleines Mehrzwecktheater, nicht ausgeführt) Eingang der Défilés, elektronische Spiele, Zufahrt der Lastwagen ins Terrain Tribüne Theater Bühne Übungsplatz Parkplätze LC Firminy 67 Volume 8 des Oeuvres Complet Eugène Claudius Petit Firminy-Vert Die zwei Stadtplanungen für Firminy-Vert, wovon die erste praktisch innerhalb von neun Jahren verwirklicht worden ist und die zweite im Begriff steht, ausgeführt zu werden, verfolgen folgende Absichten: a) Schaffung der Grundlagen für ein neues Wohnen in menschlicher, familiärer und sozialer Hinsicht; Umwertung des täglichen Ablaufes, insbesondere in Rücksicht auf die Frau, die Mutter, was das Verhalten der Kinder weitgehend mitbestimmen dürfte. b) Gestaltung der Umgebung, des städtischen Alltags. Gestaltung von Raum und Masse, von Form und Farbe; Wiederherstellung der geschichtlichen Grundlage unter Erneuerung der zweckdienlichen Anlagen in neuer Anordnung und Verteilung, insofern von den historischen Resten nichts mehr vorhanden war. Infolgedessen standen die Architekten und Stadtplaner vor gewaltigen Aufgaben, um das Durchschnittliche zu verbannen, die Banalität zu verhüten, die Kopien zu vermeiden, mit einem Wort: um trotz kargen Mitteln der Schönheit neue Bahnen in Firminy zu öffnen. Die ersten Arbeiten bedeuteten die Anfangsstufe einer Entwicklung, bei welcher zunächst das Interesse der Bevölkerung wach wurde, sich dann aber zu einer wirklichen Begeisterung steigerte im Bewußtsein, daß dieses Gesamtwerk dem größten zeitgenössischen Architekten anvertraut worden sei. Das Stadion, das Haus der Kultur und der große Wohnblock waren teils geplant, teils in Ausführung begriffen, als Le Corbusier beauftragt wurde, die Petruskirche zu planen und zu bauen. Am 14. April 1960 schrieb mir Le Corbusier: «Ich fahre nach Indien und bin froh über die Studien, die für Firminy gemacht worden sind. Ich glaube, daß es sich um eine wichtige Weiterentwicklung von Marseille, Berlin und Co. handelt. Dank Ihrer wachen Mitarbeit wird es uns gelingen, keine Scheußlichkeiten zu bauen, sondern gute Sachen. So wollen wir das Spiel spielen, ein Spiel, das leider in den meisten Fällen verkehrt gehandhabt wird.» Er meinte damit den Wohnblock in Firminy. Am 21. Mai 1965 besichtigte er die Arbeiten dieses Wohnblockes, der damals auf die halbe Höhe gebracht worden war; zuvor hatte er sich lange im Haus der Kultur aufgehalten, das kürzlich vollendet worden war. Er war von der Reise und der Besichtigung etwas ermüdet; war aber über den Empfang, den ihm die Bevölkerung, die Bauunternehmer und die Arbeiter entgegenbrachten, sehr gerührt. Es war sein letzter Besuch in Firminy. Natürlich äußerte er mir gegenüber seine Ungeduld, den Bau der Kirche beginnen zu sehen. Er war sich der Widerstände bewußt, doch hatte er sein Vertrauen gesetzt in die Hartnäckigkeit derer, die ihn beauftragt hatten. Am 23. März 1960 schrieb der Vorsteher der Kirchgemeinde: «Wir haben dem Bischof unseren Entschluß unterbreitet, unsere Kirche durch Le Corbusier bauen zu lassen. Im Prinzip ist Seine Hochwürden nicht dagegen, wenn nur Le Corbusier eine passende Kirche baue... Er ist ein Geistlicher, der die Dinge begreift und dessen Ideen auf einen einfachen, aber schönen Kirchenbau hinzielen, der auch in Zukunft als Ausdruck unserer zeitgenössischen Architektur Geltung behalten müßte... » Meinerseits schrieb ich an jemanden: «Sie wollen keinen falschen Schein, sie wollen Echtheit. Sie wünschen weder aufwendige Mittel noch technische Eigenheiten. Sie wollen, daß der Geist die bescheidenen Materialien belebe und den Volumen, dem Raum, dem Licht einen Sinn verleihe. Ein in die Wirklichkeit übertragener Gedanke. Sie denken, daß Le Corbusier dies besser als irgendwer bieten kann; sie haben meines Erachtens recht.» Am 30. Januar 1962 schrieb einer der Bauberater des Bistums: «Es ist ein allzu seltenes Glück für die Diözese, daß für den Kirchenbau eine Anlage vorgesehen wird, die in bester Übereinstimmung mit den neuen Stadtteilen steht.» Am 19. Juni 1962 kam Le Corbusier nach Firminy, um den Standort der Kirche zu bestimmen. Mit Skizzenbuch und Bleistift in der Hand durchschritt er Firminy-Vert, die umliegenden Hügel und die bestehenden Bauten umreißend; er gab Farbtöne an und unterstrich den Sinn aller Dinge. Er stieg bergwärts, beobachtete mit dem ihm eigenen Scharfsinn die Gegend, stieg wieder talwärts, langsam bis zu dem Punkte, wo er den Bau situierte. 68 LC Firminy 69 Ich schrieb gelegentlich an Zögernde: «Man muß den höheren Sinn eines solchen Werkes erfassen. Der bedeutendste Architekt, der den Bau einer Kathedrale in Norditalien abgelehnt hat... und den Auftrag akzeptiert, eine unansehnliche Kirche zu bauen, wie sie der Armut zusteht, die nur als würdevoller Zustand verstanden werden darf - gewiß, und hier bringt gerade der architektonische Gehalt jene Würde - mitten in ein Arbeiterquartier hinein, das die Erneuerung der Stadt kennzeichnet. Eine rohe, einfache Kirche, bescheiden in der Anlage, jedoch bestimmt im Ausdruck eines Willens, wo schon allein das Licht wie in Ronchamp, wie in La Tourette zum Gebet wird.» Sieben Monate vor seinem Tode sandte Le Corbusier an Pater Tardy, der uns durch Unfall entrissen wurde, seinen letzten Brief, der die Kirche betraf. Welch edler Arbeiter, welch hohes Gewissen und welch ein Stolz über sein Schaffen leuchten aus diesen alltäglichen Worten! Welch ein Wille tut sich hier kund und vor allem welche Zuversicht, welches Hoffen! Es war am 28. Januar 1965. Le Corbusier: «All das hat zahlreiche Wochen geduldiger Anstrengung, Bereinigung benötigt, um unter hartnäckigen Untersuchungen, durch eine sorgfältige Organisation der verschiedenen Phasen, unter systematischer Trennung des Unnötigen oder Überflüssigen, einen Gesamtpreis zu erwirken, der dem vertraglich festgelegten entspreche... Eine Arbeit ist mir aufgetragen worden. Ich habe sie gewissenhaft geleistet. Ich habe es unternommen, mit Bescheidenheit, sagten Sie selber zu mir damals, alles von neuem zu beginnen, als ich ein zu großzügiges Projekt entworfen hatte. Ich habe genaue Ausführungspläne und Studienmodelle gemacht. lch habe mich mit dem Bauunternehmer in Diskussionen eingelassen. Ich habe gekämpft mit den Materialien, den Formen, dem Unternehmer. Ich habe sämtliche Bedingungen des Vertrages erfüllt. Ich habe meine Arbeit geleistet. Ich fühle mich mehr als je an dieses Werk gebunden, das unser Werk ist... Und ich kann von jetzt an nichts dringlicher erwarten als den Beginn des Baues, zur größten geistigen Freude aller...» Am 27. Juli 1965 bat mich Le Corbusier, an der Rue de Sèvres vorbeizukommen, um mir eine Skizze über die Planung eines Sektors von Paris zu zeigen, dessen bewußte Kühnheit ergreifend war. Eine einfache, logische, klare, wirkungsvolle, starke Idee... Am 27. August 1965 trauerte die Stadt Firminy um den Menschen, der ihr so viel gegeben hatte. Auf den Bauplätzen gingen die Arbeiten weiter, und andere werden kommen «zur größten geistigen Freude aller». 21. Juli 1969 70 LC Firminy 71 La Maison de la Culture et la Jeunesse Le Corbusier mit Stribick Ingenieure 1959-1965 Rue de St. Just-Malmont, 42700 Firminy, Loire Anfänglich sollte das Volksbildungs- und Jugendhaus mit dem Stadion für 10’000 Personen zusammen erstellt werden. Es hat eine ungewöhnliche Lage auf der Rückseite der Tribünen des Stadions. Damit wurde sowohl an Bodenfläche wie auch an Fundamenten gespart. Die zwei Bauten waren eng miteinander verbunden. Da aber zeigte sich, dass das Stadion einem anderen Ministerium unterstellt war als das Volksbildungs- und Jugendhaus. Folge: Es wurde angeordnet, dass das Volksbildungs- und Jugendhaus am anderen Ende des vorgesehenen Terrains erstellt werden müsse. Da aber die erste Lösung eine Fülle von Vorteilen für das Jugendhaus ergab, hielt Le Corbusier an seiner Lösung fest. Daher kommt die ungewöhnliche Form des Gebäudes. Mit den Bauarbeiten ist 1961 begonnen worden. Bereits entstand in Zentralamerika ein ähnlicher Bau, Plagiat der Arbeiten aus dem Atelier Le Corbusier. Was nicht zum erstenmal geschah. Das 112 Meter lange Gebäude setzt sich aus 16 Jochen von 7 Metern, die durch zwei Dilatationsfugen getrennt sind, zusammen. Die Hängekonstruktion des Daches von 18,25 Metern theoretischer Spannweite weist im Schnitt eine unsymmetrische Parabel auf bei einer Biegung von 1,30 Metern. Die Auflager sind in der Höhe um etwa 2,95 Meter versetzt. Die Bedachung besteht aus Celiumplatten und wird von 132 Kabeln getragen, die eine Gesamtlänge von 2500 Metern bilden, wobei jedes Kabel aus 19 Drähten von 38/10 gebildet wird; sie sind je zu zweien gruppiert bei einem Abstand von 235 mm; der Achsenabstand beträgt 1,75 Meter. Bei den Giebeln und den Dilatationsfugen liegt das Kabel von der Fugenmitte 41 cm, und vom Giebel 34 cm entfernt, die Celiumplatten kragen bei diesen Kabeln vor. Jedes Kabel hat an den Enden eine Hülse. Jede Achse wird in waagerechter Lage durch zwei gelochte Pleuel von 36 mm Durchmesser und in senkrechter Stellung durch geschweißte Stahlstücke festgehalten. Diese Pleuel sind an den Randbalken aus Eisenbeton durch Hülsen von 60/70 befestigt und durchstoßen diese beim Betonierungsvorgang, so daß die Zugkräfte in das Betonskelett übertragen werden. Durch dieses Vorgehen wurde die Bedachung völlig unabhängig vom Skelettsystem. Diese Hülsen wurden auf den Millimeter genau versetzt, um insbesondere bei der Ostfassade das nötige Gefälle für das Regenwasser zu ergeben, das sich an jedem Giebel durch Wasserspeier nach außen ergießt. Die Regulierung des Hängedaches geschieht entweder von innen, indem die Bügel der Kabel gespannt werden, oder von außen her durch Drehung der Schraubenmuttern an den Pleueln. Die Dachplatten bestehen aus Celium-Zellbeton von 10 cm Dicke; sie sind direkt auf den Kabeln versetzt; Wärmeisolierung und selbsttragende Eigenschaften waren ausschlaggebend, wobei die Armierung schon bei der Herstellung am unteren Rande vorgesehen war. Die Fixierung der Platten an den Kabeln geschieht durch Klammern und galvanisierte Platten. Die Fugen sind mit Mörtel ausgefüllt zur Versteifung des Ganzen, worauf dann die Dichtungsschichten ausgebreitet wurden. Diese ganze Dachkonstruktion ist völlig unabhängig von den Zwischenwänden und Giebeln. Die Anschlußstellen sind mit galvanisiertem Blech versehen, das vom Dichtungsmaterial überdeckt wird. Im Oberteil sind die Trennungswände nicht an die Dachkonstruktion angeschlossen, um der Dilatation ein gewisses Spiel zu lassen; der Zwischenraum ist mit oben und unten geklebten Gummibändern ausgefüllt. 72 LC Firminy 73 74 LC Firminy Stade Le Corbusier mit André Wogenscky, Fernand Gardien 1965-1968 1, rue des Noyers, 42700 Firminy, Loire 75 76 LC Firminy 77 Église Saint-Pierre de Firminy Le Corbusier mit José Oubrerie 1961-2006 Place-du-Mail, 42700 Firminy, Loire Die Kirche von Firminy-Vert ist im Hinblick auf ihre Lage in einer Talsohle projektiert. Sie besteht aus einer hyperboliden Schale und stellt neben Ronchamp und La Tourette einen dritten neuartigen Kirchentyp dar. 78 LC Firminy 79 Unité d‘Habitation Firminy Le Corbusier mit André Wogenscky 1968 Les Bruneaux, 42700 Firminy, Loire Der Bürgermeister von Firminy, Monsieur Claudius Petit, beauftragte Le Corbusier mit dem Bau einer Unité d‘habitation als Abschluss einer Siedlung, deren erste Etappe von anderen Architekten erstellt worden war (Marcel Roux et Sive). Wie alle anderen Unités de ‹‹grandeur conforme›› ist das Gebäude auf der Ost- und Westfassade mit Sonnenblenden versehen. Schnitt und Fassade der Unité d‘habitation und deren Proportionen sind denen der Unité von Marseille sehr ähnlich. 80 LC Marseille 81 Unité d‘Habitation Marseille Le Corbusier mit André Masonnier, André Wogenscky 1945-1952 280, boulvard Michelet, 13008 Marseille, Bouches-du-Rhone Die Unite d‘habitation war Le Corbusiers erster staatlicher Bauauftrag. Um den ausgebombten Bewohnern der zerstörten Stadtviertel wieder ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, wandte er ein Prinzip an, das auf seine „immeuble-villas“ und „gezahnte Häuserblocks“ von 1922 zurückgeht. 1930 hatte er in Moskau festgestellt, dass Moissej Ginzburg und die Konstruktivisten seine Ideen schon beim NarkomfinHaus umgesetzt hatten, indem sie darin „Gemeinschaftsdienste“ einrichteten. Diesen Plänen hat le Corbusiers Entwurf viel zu verdanken. In den 1930er Jahren hatten zwei Entwicklungen zur Formulierung eines Gebäudes mit gleichförmig großen Wohneinheiten geführt: Zum einen stellte sein in Genf 1930-1932 entstandener Wohnblock Clarté mit Stahlskelettkonstruktion den ersten Bautyp dieser Art mit MaisonetteWohnungen dar. Zum andern führte er in den „gezahnten Häuserblocks“ zum ersten Mal die durchgehenden Erschließungswege des NarkomfinBaus ein und begann dann, sie in seinen städtebaulichen Plänen in einzelnen Gebäuden zu segmentieren. Im Krieg in „la Maison des hommes“ (1942) formuliert, kam das Prinzip der autonomen Wohneinheit auch beim Wiederaufbauplan der Stadt Saint-Dié (1944) zur Anwendung, der sämtliche Einwohner in sechs Wohnblöcken unterbrachte. Der Entstehungsprozess der Unité in Marseille gestaltete sich schwierig. Vom Minister für Wiederaufbau und Städtebau, Raoul Dautry, in Auftrag gegeben, wurde sie nur dank der Entschlossenheit seines Nachfolgers Eugène Claudius-Petit fertig gestellt, den konservativen Architekten zum Trotz, die heftig dagegen kämpften. Infolge eines perfiden Gutachtens, das die Entwicklung von Geisteskrankheiten bei den künftigen Mietern prognostizierte, brach eine landesweite Kontroverse aus und das Gebäude hieß von nun an im Marseiller Volksmund „Maison du Fada“ Haus des Verrückten. Die „Unité“ war als „vertikale Gartenstadt“ konzipiert, probeweise für vier verschiedene Standorte, bevor sie ihren endgültigen Platz am Boulevard Michelet fand, in einem der guten Stadtviertel von Marseille. Auf dicken Betonpfeilern aufgeständert, die sämtliche Rohre enthalten, nimmt ein 82 LC Marseille 83 Stahlbeton-Tragwerk in Form eines Flaschenregals die „Flaschen“ - die 337 Wohnungen - auf, deren Fassadenteile mit Sonnenschutzgittern aus Beton vorgefertigt wurden. Von Ost nach West werden die Wohnungen alle drei Stockwerke über „innere Straßen“ erschlossen, an denen le Corbusier seit 1929 arbeitete. Eine dieser Straßen - höher gelegen und an ihren vertikalen Sonnenblenden erkennbar - beherbergt Läden und ein Hotel. Die Loggien der Wohnungen bieten Ausblick auf die Berge oder auf das Mittelmeer; die Dachterrasse umfasst eine Kindertagesstätte und eine Sporthalle und reproduziert damit mitten in der mediterranen Landschaft die Kommandobrücken der von Le Corbusier seit 30 Jahren bewunderten Ozeandampfer. Die Bauarbeiten an diesem bislang größten Projekt des Architekten verzögerten sich aufgrund von Finanzierungsengpässen und wurden schließlich erst nach fünf Jahren statt der geplanten zwölf Monate abgeschlossen. Die Unité war nicht nur das erste Bauwerk, bei dem das von Le Corbusier seit 1943 entwickelte Modulor-Proportionssystem zur Anwendung kam, sondern auch eine Versuchsreihe für einfache, industriell hergestellte Möbel. Jean Prouvé und Charlotte Perriand waren an der eleganten Gestaltung der Inneneinrichtung, u. a. der Einbauschränke, beteiligt. Für Le Corbusier machte die Unité aber nur wirklich Sinn als ein Ensemble städtischer Wohnquartiere. Das Scheitern seines Satellitenstadtplans für Marseille-Süd mit 23 Wohneinheiten und seiner Vorschläge für Straßburg und Meaux verwehrte ihm die Chance, diese Idee umzusetzen. Er musste sich damit zufrieden geben, unter zum Teil schwierigen Umständen, einzelne Wohnblöcke in Nantes-Rezé, Briey-en-Forêt, Firminy und - im Rahmen der Interbau 1957 - in BerlinCharlottenburg zu realisieren. 84 LC Marseille 85 86 LC Paris 87 Villas La Roche - Jeanneret Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1923-1925 8-10, square du Docteur-Blanche, 75016 Paris Das 1923 für Raoul La Roche und Albert Jeanneret im Pariser Vorort Auteuil geplante Doppelhaus markiert eine Schwelle im architektonischen Denken Le Corbusiers. Die ersten Entwürfe für ein Grundstück in einem gut bürgerlichen Wohnviertel mit damals noch dörflicher Atmosphäre waren rein spekulativ, wie so viele kleine Projekte, an denen Le Corbusier in Paris arbeitete. Ein bescheidenes Raumprogramm entwickelte sich, und die ursprünglich symmetrisch skizzierten Grundrisse wurden verworfen. Tatsächlich markiert dieses Projekt den Beginn von Le Corbusiers Studium der Werke seiner europäischen Zeitgenossen. Obwohl ihm viele deutsche Strömungen eher fremd waren, unterstützte er das Weimarer Bauhaus im Überlebenskampf vor seiner Auflösung, zeigte aber, trotz seiner Korrespondenz mit Ilja Ehrenburg und EI Lissitzky, noch wenig Sensibilität für die feinen Unterschiede innerhalb der russischen Avantgarde. Von den im Oktober 1923 in der Galerie „L‘Effort moderne“ gezeigten Architekturmodellen von Theo van Doesburg und Cornelis van Eesteren, die als „Architekten der De-Stijl-Gruppe“ vorgestellt wurden, war er so begeistert, dass er die Grundsätze revidierte, nach denen er seine bisherigen Wohngebäude entworfen hatte. Angesichts ihrer „Gegenkompositionen“ modifizierte er den Entwurf der Villa La RocheJeanneret und ersetzte die kleineren Fensteröffnungen durch sehr viel größere Glasflächen. So wurde das Haus zur Collage aus großen Mauerund Glasflächen, und konventionelle Fensteröffnungen trafen fortan mit den Raum- bzw. Gebäudekanten zusammen. Seine Architektur brach mit allen für ein Wohnhaus typischen Gestaltungsmomenten. Die Raumfolge ordnet sich wie eine „architektonische Promenade“. Le Corbusier setzte hier zum ersten Mal einen Gedanken um, der ihm bei der Untersuchung der Akropolis in Athen gekommen war - den einer Prozessionshalle, wie er sie auch schon in Auguste Choisys „Histoire de I‘architecture“ beschrieben fand. Ein Spaziergang bietet stets wechselnde An- und Aussichten, die sich hier in drei Richtungen auftun. Wenn man die Treppe vom Eingang hinaufgeht, erschließt sich die Weite der Eingangshalle und ihre Beziehung zum Esszimmer. Auf der Höhe der 88 LC Paris 89 Baumkronen setzt sich der Spaziergang zur Bildergalerie fort, hinter deren geschwungener Wand sich die Rampe verbirgt, die zur Dachterrasse führt. Die Bildergalerie bildet den lichterfüllten baulichen Rahmen für die kubistischen und puristischen Gemälde, die Le Corbusier und Ozenfant für La Roche erworben haben. Die neuartige Gestaltung dieser Villa zeigt, dass Le Corbusier von dem in der „Domino“-Serie noch spürbaren konstruktiven Rationalismus Perrets zu einer vorurteilsfreien Gestaltung von Oberflächen ohne konstruktive Funktion gewechselt ist. Die unregelmäßig gegliederte Bauform wird durch die Tatsache gerechtfertigt, dass „jedes Organ einer organischen Begründung folgend neben seinem Nachbarn auftaucht; das Innen macht es sich bequem und bestimmt das Außen, das seine diversen Vorsprünge ausbildet.“ Diese Art deduktiver Gestaltung, bei der der Grundriss die Form sämtlicher Hausvolumen erzeugt, greift die der französischen Rationalisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf. Die Unregelmäßigkeit wird allerdings durch einen formalen Grundsatz gebändigt, der die Beziehungen zwischen den verschiedenen Komponenten des Bauwerks regelt. Die neuen Räumlichkeiten werden im Innern entworfen und angeordnet, während die Proportionen der Baumasse und die Fassadenöffnungen einer „regulierenden Linienführung“ auf der Grundlage des Goldenen Schnitts unterliegen, die jedem Element sein Maß und seinen Platz zuweist. 90 LC Paris 91 Maison Molitor Immeuble et Appartement de Le Corbusier Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1931-1934 24, rue Nungesser-et-Coli, 75016 Paris Um dieses Wohnhaus an der Stadtgrenze von Paris zwischen den Brandmauern der Nachbarhäuser einzufügen, musste Le Corbusier darauf verzichten, eine seiner „Immeuble-villas“ zu entwerfen, die den gesamten Häuserblock eingenommen hätte. Im Auftrag des Wohnungsbauunternehmens Société immobilière de Paris-Parc des Princes und des Bauträgers Kouznetzoff et Noble entwarf er einen Block mit Eigentumswohnungen. Die Häuser an der rue Nungesser-et-Coli bilden eine lange Fassadenfront nach Osten in Richtung Paris in einem Stadtgebiet, das von großen Sporthallen und Stadien eingesäumt wird. Wie das direkt angrenzende Haus von Michel Roux-Spitz hebt sich auch Le Corbusiers Gebäude aufgrund seiner Metall- und Glasfassade von den übrigen Nachbarbauten ab. Zunächst sah Le Corbusier ein Stahlskelett vor, das er jedoch durch eine preisgünstigere Betonkonstruktion ersetzte. Auf einer 12 m breiten und 25 m tiefen Parzelle erlaubte eine axiale Stützenreihe die freie Aufstellung der Zwischenwände. Unter Berücksichtigung der Standards für Häuserfronten, die im Regulierungsplan für Paris von 1902 aufgestellt wurden, sind die Fassadenvorsprünge zur Straße hin reduziert. Trotz dieser Zwänge wollte Le Corbusier „Vorzeige-Wohnungen unter den Bedingungen der Ville radieuse“ schaffen. Im Erdgeschoss sind die Eingangshalle, die Zimmer der Hausangestellten und die kurvige Zufahrt zur Tiefgarage untergebracht. Die auf sechs Stockwerken angeordneten Wohnungen sind nach Bedarf der Käufer zu zweit oder dritt gruppiert. Sie sind variabel in der Raumaufteilung und jeweils an einen kleinen Lieferantenhof und einen größeren Hof angeschlossen. Mittels Fassaden aus Drahtgitterglasscheiben, Nevada-Glasbausteinen und Klarglas in einem Stahlrahmenwerk wird jede Etage natürlich belichtet. Im siebten Stock richtete Le Corbusier seine eigene, über den Lastenaufzug des Hauses zugängliche Wohnung ein und stattete sie mit Tonnengewölben aus, deren Spannweiten mit dem vorschriftsmäßigen Raster übereinstimmen. Die Abendsonne taucht die Räume zur rue de la Tourelle in warmes Licht, vom Bad zum Schlafzimmer, eine Abfolge fließend ineinander übergehender Räume. Die Gestaltung der Kücheneinrichtung bestimmte Charlotte Perriand wesentlich mit. Breite Drehschwingtüren führen in das vom größeren der zwei Gewölbe überspannten Atelier mit Büroecke und Dienstbotenzimmer. 92 LC Paris 93 Villas Lipchitz - Miestchaninoff Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1923-1924 9, allée des pins, 92100 Boulogne-sur-Seine Originally conceived as an artist colony of three studio-residences about a communal garden, one of the clients, M. Canale of 3 rue des Arts, did not build his house according to the architects‘ plan. The building with passarelle, or bridge, was owned by Oscar Miestchaninoff, the other by Jacques Lipchitz, who executed sculptures for several of Le Corbusier‘s projects including Villa de Mandrot. As combination studio-residences, the buildings are variations on the house executed for Ozenfant, which in turn has precedent in the nineteenth-century Parisian workshop and in Le Corbusier‘s Maison Citrohan, with its complex of sources. The functional requirements of large sculpture necessitated that the studios be returned to their traditional placement on ground level with dwellings above, the inverse of Atelier Ozenfant. Dignified prismatic volumes, these three studio-residences are distinct from the fluid vision of the column grid with cantilever slabs set forth in the Maison Dom-ino. 94 LC Paris 95 Villa Cook Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1926 6, rue Denfert-Rocherau, 92100 Boulogne-sur-Seine The clients for this house, the expatriate American journalist William Cook and his French wife, Jeanne, belonged to the intellectual and artistic circle that included many of Le Corbusier‘s clients, the Steins among them. In fact, the Cooks commissioned their house within weeks of the Steins, but moved into it long before their friends could inhabit the palace at Garches. The speed with which the house was designed reflects, in part, the extent to which it expressed a set of thoroughly formulated ideas concerning art and industry. As Le Corbusier stated, „here are applied very clearly the certitudes acquired to this point.“ The certitudes took the form of what Le Corbusier called „the true cubic house“. Plan, section, and elevation all derive from the same square and in reference to one another. The canon of the Five Points: the continuous strip window, round pilotis, free plan, free facade and roof garden is deployed in service to this cubic organization, but without the axial extension implicit in the Maison Dom-ino. 96 LC Paris 97 Villa Ternisien Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1926-1927 5, allée des Pins, 92100 Boulogne-sur-Seine Le Corbusier described the house as a „jeu d‘esprit“ referring to its witty adaptation of his studio type to a peculiar site. The Ternisiens engaged Le Corbusier after hearing him lecture at the Sorbonne in 1923. Originally, Madame Ternisien‘s painting studio stood at the rear, an unmodulated double-height box with industrial sash windows, the pure studio type. Paul Ternisien‘s music room engaged the corner with a curved wall evocative of the instruments depicted in purist paintings. A smalI, glazed dining room and entrance connected the two studios and framed the site‘s small tree. One can imagine the neighborhood of 1926 as an extended site unified by the nautical theme of Le Corbusier‘s purist shapes: the „smokestack“ stair and ship‘s bridge of Miestchaninoff down the street, complemented by Ternisien‘s „pointed bow.“ 98 LC Paris 99 Villa Besnus Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1922 85, Boulevard de la République, 94400 Vaucresson Praktische Konsequenz der Studien im „Salon d‘Automne“ 1922. Der Augenblick, da alle Schwierigkeiten auf einmal zusammenkommen. Man hatte im „Esprit Nouveau“ Theorien entwickelt, genügend klare Gesichtspunkte aufgestellt, um das Terrain zu reinigen. In diesem ganz kleinen Haus galt es nun, im Gegensatz dazu alles architektonisch neu zu schaffen, den Konstruktionsvorgang, eine wirkungsvolle konstruktive Lösung des Daches zu finden, die Einrahmung der Fenster, Gesimse etc. Man entdeckte den „freien Plan“ (Einrichtung eines Badezimmers inmitten einer Etage), man bestimmte die Form des Fensters, sein Mass (Höhe menschlichem Mass entsprechend). Corbusier erzählt: „Eines Abends im Velodrome d‘hiver während eines Sechstagerennens; herrliches Schauspiel von Grösse und Einheit; beim Herausgehen in der geistigen Stille, die die Strasse vermittelt, schien mir plötzlich, dass dieses senkrecht auf der Fassade stehende Treppenhaus ein Widerspruch zu ihrem Rhythmus war, der die Einheit der Komposition durchbrach: Ich liess das Treppenhaus eine Viertels Drehung beschreiben und jetzt reihte es sich der Fassade an, sie verlängernd und bereichernd.“ 100 LC Paris 101 Villa Stein Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1927-1928 17, rue du Prof. Victor Pauchet, 94400 Vaucresson Dieses Haus, das Komfort, Luxus und architektonische Ästhetik in sich vereinigt, stellt eine wichtige Etappe im Bauen Le Corbusiers dar. Das ganze Haus wird von einem Säulensystem getragen, wobei die Abstände 5 und 2.5 m betragen. Die innere Anordnung spielt dabei keine Rolle. Würde man diese Säulen zu einem Bündel vereinigen, so ergäbe sich eine Querschnittsfläche von 110/80 cm. Das ganze Haus wird also von einem Betonquerschnitt von 110/80 cm getragen. Der Eindruck des Reichtums entsteht nicht durch Luxusmaterialien, sonder durch Anlage des Grundrisses und der Proportionen. 102 LC Paris 103 La Petit Maison de Weekend Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1935 49, avenue du Chesnay, 78170 La Celle-St-Cloud Das Haus von 2.60 Meter Höhe befindet sich an der Ecke des Grundstückes. Das flach gewölbte Dach ist mit Gras beplanzt; als Baustoff wurde Bruchstein verwendet. 104 LC Paris 105 Atelier Ozenfant Le Corbusier mit Amédée Ozenfant 1922-1924 53, avenue Reille, 75014 Paris The client for this studio-residence was Amédéé Ozenfant, Le Corbusier‘s mentor in the development of Purism. Ozenfant was a painter and a critic who moved easily among arts and industries, designing a streamlined automobile body called the Hispano-Suiza (1912) and establishing an aesthetic journal l‘,Elan (1915). He made several ventures into the world of fashion with the designer Germaine Bongard, the sister of Paul Poiret, and then with his Russian wife. In the pages of l‘Esprit Nouveau, and at the Salon d‘Automne (1922), Le Corbusier proposed several versions of a universal dwelling called the Maison Citrohan, based on the potentials and demands of the machine age. Conceived as a standardized object of mass production, it had a reinforced concrete structure, metal sash windows and prefabricated details, all designed according to a module. For the organization of this „architectural mechanism,“ Le Corbusier looked to various sources, including vernacular Mediterranean types and a small bistro he frequented in Paris which had a double-height salon and small kitchen tucked beneath a mezzanine. As Reyner Banham has observed, however, it was the nineteenth-century Parisian studio-workshop that provided Le Corbusier with the directness of the vernacular, the spatial formula of the café, and the forms of industry together in a single entity. Atelier Ozenfant, as such a Parisian studio-workshop, was a particularly apt program with which to begin the exploration of yet untested ideas of dwelling. The house had service quarters and garage on the ground level; a piano nobile entered directly from the spiral stair with master apartment in the front and a gallery at the rear; and a top floor studio. The generic aspects of the Citrohan dominate the expression of the building: concrete floor slabs and piers, glass facades with industrial metal sashes, non-bearing partitions freely disposed, a dominant doubleheight studio space with mezzanine and circulation along the edge. Elements particular to the house evoke related industrial sources, such as the original skylights now gone, or the metal ship‘s ladder leading to the library „cockpit.“ This vocabulary sets it apart from its neighboring arts and craft houses, although its relation to the street is similar. 106 LC Paris 107 Villa Planeix Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1924-1928 24 bis, boulevard Masséna, 75013 Paris Rez-de-chaussée: un garage au centre de l‘immeuble. A gauche et à droit du garage sont deux ateliers. La hauteur de chaque atelier est de 4,50 m divisible en deux fois 2.20 m. (Atelier, soupent, chambre à coucher, bains et suisine.) Premier étage: l‘appartement du propriétaire. Entrée, living-room, deux chambre à coucher, bains et cuisine. Du living-room und paserelle conduit directement dans le jardin. Deuxieme étage: grand atelier. 108 Grundriss 4. Obergeschoss Grundriss 2. / 3. Obergeschoss Grundriss 2. / 3. Obergeschoss LC Paris 109 Pavillon Suisse Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1930-1933 7, boulevard Jourdan, Cité Universitaire Internationel, 75014 Paris Die Konstruktion dieses Pavillons erfolgte unter ausserordentlich schwierigen Umständen (Finanzen und Bodenbeschaffenheit) und brachte wahre Laboratoriumsarbeit moderner Architektur mit sich. Probleme von grösster Dinglichkeit wurden in Angriff genommen, insbesondere das der Trockenbauweise und der Schallisolierung. 110 LC Paris 111 Pavillon du Brésil Le Corbusier und Lúcio Costa mit André Wogenscky, Jacques Michel, Fernand Gardien 1957-1959 4, avenue de la Porte Gentilly, Cité Universitaire, 75014 Paris In Zusammenarbeit mit Lucio Costa aus Rio de Janeiro, welcher die ersten Entwürfe erarbeitete, wurden später die Pläne weiter vom Atelier Le Corbusier bearbeitet. Die Zimmer der Studenten und Studentinnen liegen im Westen und erhalten Sonnenblenden. Westlich dieses Gebäudes steht der Schweizer Pavillon, den Le Corbusier im Jahre 1930 baute und welcher bis heute eine bedeutende Rolle in der modernen Architektur spielt. 112 LC Paris 113 Annex du Palais du Peuple Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1926-1927 29, rue des Cordelières, 75013 Paris De l‘Armée du Salut à Paris. L‘essentiel de la solution apportée ici, consistait dans l‘emploi d‘un terrain oublié derrière les corps de logis existants. En recouvrant ce terrain négligé, on laissait libre au-devant des nouveaux dortoirs et au-devant des anciens dortoirs du Palais du Peuple, un jardin en plein soleil et le vaste dégagement des domaines des Gobelins. La solution primitivement envisagée par d‘autres architectes, consitait à couvrir ce jardin ensoleillé des dortoirs dont la mitoyenne eut été orientée au sud et les fenêtres au nord; le bâtiment lui-même, ainsi placé eût projeté son ombre sur les constructions déjà existantes. L‘architecture consiste souvent, non pas à s‘occuper de façades, mais à choisir l‘emplacement favorable. 114 LC Paris 115 Cité de Refuge Le Corbusier mit Pierre Jeanneret, Möbel von Charlotte Perriand 1929-1933 12, rue Cantagrel, 75013 Paris Das Obdachlosenheim ist das dritte Bauvorhaben, das Le Corbusier für die Heilsarmee realisierte - nach dem Volkspalast (1926-1927) und dem „schwimmenden Nachtasyl“ auf der Seine, einem großen Frachtkahn aus Beton, der 1929/30 für Obdachlose zu Schlafsälen umgebaut wurde. Mit der Cité de Refuge, die von 20 000 Spendern und der Fürstin Winaretta Polignac-Singer finanziert wurde, sollte ein Heim für 500-600 obdachlose Pariser geschaffen werden. Die Einfügung eines sehr großen Baukörpers in ein dicht bebautes Stadtviertel veranlasste Le Corbusier zu umfangreichen Studien, bevor er den endgültigen Entwurf erstellte: Die Gemeinschaftseinrichtungen befinden sich im Erdgeschoss auf der Seite der rue Cantagrel, der verglaste Schlafsaalkasten liegt im Seitenflügel an der rue du Chevaleret. Mit den verschiedenen Bauteilen hat Le Corbusier hier seinem in „Vers une architecture“ dargelegten Interesse an Ozeandampfern Gestalt verliehen. Die Raumfolge der großen Säle im Erdgeschoss, ausgehend vom Haupteingang mit der von Glasbausteinen eingefassten EmpfangsRotunde, reproduziert die Anordnung der Aufenthaltsräume und Rauchsalons auf großen Dampfern. Die nach dem Vorbild dieser Passagierschiffe aufgebauten Stockwerke und die Gestalt des ganzen Gebäudes - bekrönt mit Kommandobrücken ähnelnden Aufbauten haben eine schiffsartige Silhouette. Die Reihung der Schlafsaalmodule imitiert auf jeder Etage die monotone Abfolge von Schiffskabinen; die für die großzügige Spenderin in den obersten Etagen reservierte dreigeschossige Wohnung lässt an den Kommandoposten eines Admirals denken. Vom Passagierdampfer entlehnt die Cité de refuge auch ihre Kompaktheit. Hier wendete Le Corbusier das in Moskau aufgegebene Prinzip der „exakten Atmung“ an. Jeweils separate Lüftungskanäle sollten die Flure, Schlafsäle und Einzelzimmer der Bewohner „hygienisch“ belüften und beheizen. Fehlende Kühlung im Sommer und die Tatsache, dass sich die Fenster in der Südfassade nicht öffnen lassen, verdammten diese Maßnahmen allerdings zum Scheitern. Die Cité de refuge wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bombardements schwer beschädigt, da sie in der Nähe des Gare d‘Austerlitz liegt. Die vollständig zerstörte Fassade wurde rekonstruiert und durch ein Sonnenschutzgitter ergänzt, das Le Corbusier noch einmal in projektbezogener Zusammenarbeit mit Pierre Jeanneret entwarf, obwohl die beiden 1940 ihr gemeinsames Büro aufgelöst hatten. 116 LC Paris 117 Maisons Jaoul Le Corbusier mit German Samper, André Wogenscky, Jacques Michel 1952-1955 81 bis, rue de Longchamp, 92200 Neuilly-sur-Seine Die beiden 1955 fertig gestellten Häuser Jaoul gehören zu den Bauten Le Corbusiers, die den Bruch mit seinen weißen Villen der 1920er Jahre vollziehen. Die Steinsockel des Hauses Loucheur (1928), die Ziegelmauern der Villa de Mandrot in Le Pradet (1931) und schließlich das kleine ebenerdige Wochenendhaus in La Celle-Saint-Cloud (1935) mit seinen unverputzten Bruchsteinmauern und schmalen Betongewölben markieren diese Wende. Als Pendant zur plastischen Revolution von Ronchamp zeugen sie von Le Corbusiers Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden. Schon 1937 entwarf er ein Wochenendhaus für den Aluminiumfabrikanten Andre Jaoul, den er 1935 auf seiner USA-Reise kennen gelernt hatte. Nun sollte er in einem Vorort von Paris ein Haus für Jaoul selbst - mit Frau Suzanne und Kindern - und eines für den Sohn Michel und seine Familie entwerfen. Beide Häuser erheben sich vom gemeinsamen Garagensockelgeschoss und sind über einen Rampenaufgang zugänglich. Das erste Haus steht parallel zur Straße, das zweite orthogonal dahinter, beide besitzen einen Garten und die Küchen öffnen sich auf einen gemeinsamen Hof hin. Die Klinkerfassadenflächen mit vertieften Fugen werden durch unterschiedliche Fensteröffnungen unterbrochen und durch horizontale schalungsrauhe Betonbänder unterteilt. Das Dach über den dicken Außenmauern ist mit schmalen gewölbten Terrakottaziegeln gedeckt, deren Zwickel mit Beton ausgefüllt sind. Es erinnert an Hausdächer, die Le Corbusier vor dem Krieg in Katalonien und auf den Kykladen gesehen hatte. James Stirling verglich die beiden Häuser mit provenzalischen Bauernhäusern oder traditionellen indischen Häusern. Indem er ihre fast schon primitive Ländlichkeit dem städtischen Charakter der Villa Stein-de Monzie gegenüberstellte, notierte Stirling 1955, Le Corbusier, der „häufig beschuldigt wird, ,internationalistisch‘ zu sein“ sei „tatsächlich der größte Regionalist von allen Architekten“. Der Unterschied zu den puristischen Villen zeigt sich innen noch deutlicher. Das Erdgeschoss wird in beiden Häusern von Treppenhaus und Kamin, die man schon vom Eingang aus sieht, bestimmt. Zwischenwände unterteilen das Innere auf zwanglose Weise und sorgen für einen räumlichen Fluss, den das strenge Äußere nicht vermuten lässt. Im zweigeschossigen Wohnraum bildet die Küche einen kleinen schmalen Kasten nach Art der Küchen in den Speisewagen von Eisenbahnwaggons, 118 LC Paris 119 denen die Häuser aufgrund ihrer gewölbten Dächer nachempfunden scheinen. Der Kamin, der fast den Rang des aus osteuropäischen Häusern vertrauten Ofens einnimmt, wird in seiner Massivität durch Nischen und Regale aufgelockert. Es ist aber vor allem das Spiel mit dem Licht, mit dem Le Corbusier von seinen Vorkriegshäusern abweicht. Das Licht strömt von allen Seiten in die Räume, entweder durch breite Öffnungen oder schmale Schlitze und schafft so ein differenziertes, aber dennoch einheitlich wirkendes Interieur, verstärkt in seiner Einheitlichkeit durch die mit Sperrholzplatten verkleideten Wände. So sind verschiedene Nutzungen eines Zimmers möglich, dessen Lichtverhältnisse sich im Tagesverlauf verändern. Die Fenstergrößen reichen von der kleinen Öffnung, durch die nur punktuell Licht einfällt, zu großen, raumhohen Fenstern, die durch Holzplatten unterbrochen und somit an die jeweilige Raumnutzung angepasst werden. Die Öffnungen treten in Wechselbeziehung zu den geschlossenen Mauerflächen und der geometrischen Anordnung der beiden Häuser und folgen so den vom Modulor-System vorgeschriebenen Proportionsreihen. Die farbig gestrichenen oder holzgetäfelten Wände und die Backsteine mit ihren warmen Farbtönen bilden eine neue Materialpalette, die Le Corbusier zeitgleich beim Bau der Villa Sarabhai in Ahmedabad verwendete. Wenn die Jaoul-Häuser auch auf den ersten Blick wie die Antipoden der puristischen Villen erscheinen, so bewahren sie doch ihre Verbindung zu den Pariser Wohnhäusern des 18. Jahrhunderts. Auf die Schlafzimmer folgt ein Wäscheraum, Abstellkammern, ein Bad mit anschließender Ankleide und sogar eine Hauskapelle, genau wie in den frühen Pariser Stadthäusern. Mit einer Terrasse, die sich zur Stadt hin öffnet, laden die Häuser zur Entspannung ein. Wenn die Jaoul-Häuser, wie Stirling treffend bemerkte, so komfortabel sind, dass sie die Vorstellung einer „Wohnmaschine“ widerlegen und „jedermann zusagen“, dann deshalb, weil sie das Werk eines Architekten sind, der in 30 Jahren einen großen Erfahrungsschatz gesammelt hat. Der auf Komfort verzichtende Bohemien hat einem sinnlicheren Architekten Platz gemacht, der den Anforderungen des häuslichen Lebens mehr Aufmerksamkeit schenkt, dabei aber nicht weniger fantasievoll vorgeht. 120 LC Paris 121 Villa Savoye Le Corbusier mit Pierre Jeanneret 1929-1931 82, rue de Villiers, 78300 Poissy Zwei Jahre nach der Villa Stein-de Monzie schloss sich der Zyklus der puristischen Häuser mit dem spektakulären Wochenendhaus des Versicherungsinhabers Pierre Savoye in Poissy, auch „Les heures claires“ genannt, für dessen Bau Le Corbusier ein äußerst großzügiges Budget zur Verfügung stand. Auf einem ausgedehnten, bewaldeten Gelände hoch oben über dem Seine-Tal ist es der Inbegriff einer freien Anwendung der 1927 formulierten „Fünf Punkte einer neuen Architektur“. Äußerlich wirkt die Villa streng funktional, ihr Baukörper erhebt sich über pilotis, die aus einer weiten Rasenfläche aufsteigen. Autos erreichen sie auf direktem Wege und parken zwischen den Stützen, der Halbkreis der „Vorfahrt“ bestimmt die Form der Glaswand des Eingangsbereichs. Die Zimmer der Hausangestellten und die Garage sind hinter diesem funktionalen Zugang angeordnet, der die Form der Eingangshöfe nobler Pariser Stadthäuser umzukehren scheint. Hinter der Glaswand haben Besucher die Wahl zwischen zwei Aufgängen: einer Treppe und einer Rampe, die zu einem ursprünglichen räumlichen Erlebnis des Hauses einlädt. Aus der Sicht Le Corbusiers „trennt“ die Treppe, während die Rampe „verbindet“ und vom Rasen bis zum Himmel den Faden einer majestätischen architektonischen Promenade spannt. Im Innern des Quaders auf quadratischem Grundriss sind die Räume in einer L-Form gruppiert, welche die Wohnräume klar von den Schlafzimmern abgrenzt. Das Wohnzimmer lässt sich als überdachter Teil eines geräumigen Empfangsbereichs lesen, der zu zwei Dritteln aus einem offenen Patio besteht; ein durchgehendes Bandfenster verwischt den Übergang zwischen Innen und Außen. Die drei Schlafzimmer sind über Flure zugänglich, die das Hauptbadezimmer separieren. Eine kurvenreiche Mauer - Abbild bestimmter Figuren aus puristischen Gemälden - umfasst den offenen Dachterrassenraum. Dieses einzigartige Bauwerk kann man mit einer Maschine vergleichen: Mehrere Elemente lassen an Kommandobrücken und Aufbauten eines Ozeandampfers denken. Es ähnelt auch den hängenden Gärten des Klosters von Ema, während die Anordnung der Schlafzimmer und 122 LC Paris 123 ihrer Nebenräume an die herrschaftlichen Pariser Stadthäuser des 18. Jahrhunderts erinnern. Den Bewohnern wird sinnlicher Genuss geboten: Das große Wohnzimmerfenster lässt sich beiseite schieben, so dass Außenhof und Innenräume ineinander übergehen. Das durch ein Oberlicht erhellte Bad lädt zur Entspannung ein. Le Corbusiers Raumexperimente enthalten traditionelle Formen, aber auch einfache Elemente der verputzten Häuser in den Pariser Vorstädten und die für Gewerbebauten typischen Stahlrahmen. Seine Häuser machen damit gleichzeitig gegen noble Stadthäuser aus behauenen Steinen und gegen die Vororthäuschen mit Kieselsteinfassaden Front. Im krassen Gegensatz zum Luxus der Villa scheint die kleine Pförtnerloge in der Eingangshalle seine Studien zur Wohnung für das Existenzminimum abzubilden. In der Rückschau auf die Häuser der letzten zehn Jahre unterschied Le Corbusier 1930 vier Typen: Dem „eher leichten Genre, malerisch und bewegt“ der Villa La Roche stellt er den „sehr schwierigen“ Quader des „Citrohan“-Modells gegenüber, der den Geist zufrieden stellt und zu dem „ultraleichten, praktischen, kombinierbaren“ „Domino“ mit all seinen Varianten führt. Die Synthese ist die Villa Savoye vom Typ „sehr großzügig“, in der „man nach außen einen architektonischen Willen demonstriert und im Innern sämtliche funktionalen Erfordernisse erfüllt“. Von ihren Eigentümern nur selten bewohnt, blieb die Villa Savoye ein bauliches Manifest, das 1965 als erstes Gebäude Frankreichs noch zu Lebzeiten seines Architekten unter Denkmalschutz gestellt wurde. Le Corbusier starb vor Beginn der Restaurierung, die er ab 1960 vorbereitet hatte und die das Haus erheblich verändert hätte. Die Bauten der Zeitgenossen 126 Fernand Pouillon 127 werk, bauen + wohnen, 3 2004 Jaques Lucan Fernand Pouillon: Architekt Lange war der Name Fernand PouiIlon (1913-1986) den Franzosen vor allem deshalb ein Begriff, weil sich mit ihm der betrügerische Bankrott des «Comptoir national du logement» verband. Der Architekt hatte diese Wohnungsbaugesellschaft gegründet, um im Pariser Raum Wohnsiedlungen zu bauen. Der Konkurs des Unternehmens, der in dem berühmten, 1968 erschienen Buch «Mémoires d‘un architecte» geschildert wird, schlug seinerzeit hohe Wellen: Nach seiner Verhaftung entweicht der Architekt aus dem Gefängnis und versteckt sich in Italien, um später, am Tag seines Prozesses wieder in Frankreich aufzutauchen und sich dem Gericht zu stellen... Klatsch und Architektur Es waren die wenig rühmlichen Episoden, die in den Klatschspalten kolportiert wurden und die Aufmerksamkeit ausschliesslich auf die Person Pouillon lenkten, während das Schaffen des Architekten Pouillon darüber verdrängt und vergessen wurde. Grandios und prunkliebend soll er gewesen sein, Rebell, Aussenseiter, Mönch, Eremit oder Betrüger sind nur einige der vielen Beinamen, mit denen Pouillon bedacht wurde. Doch bald war es an der Zeit, sich neu mit seinem Werk zu beschäftigen. Die Affäre hatte sich gelegt, es blieben die Bauten. Damit waren indes keineswegs alle Schwierigkeiten überwunden, die sich einer vertieften Beschäftigung mit seinem Werk in den Weg stellten. Die erste Schwierigkeit besteht darin, dass Pouillon selbst sich nicht die Mühe gemacht hat, der Nachwelt Schriften über seine Arbeiten zu hinterlassen, als hätte er Sinn und Zweck der Architektur ausschliesslich darin gesehen, dass sie sich in ausgeführten Bauten manifestiert, die erhaltenswert sind und die Zeit überdauern. So gesehen verstand sich Pouillon als Baumeister, und zwar im Sinne eines mittelalterlichen Werkmeisters, wie er ihn in seinem Roman «Les pierres sauvages» verkörperte. Er huldigt ihm auch in den reich ausgestatteten Publikationen über die Ruinen von Les Baux-de-Provence und die Zisterzienser-Abteien Sénanque, Silvacane und Le Thoronet. Das zweite Problem besteht darin, dass Pouillon ein paradoxes Werk geschaffen hat. S0 konzipierte er zwischen 1945 und 1961 vor allem in Frankreich und Algerien zahlreiche Bauten, ohne sich um die Grundsätze zu kümmern, die damals gemeinhin als modern galten. Ihm kam es einzig und allein darauf an, architektonisch geschlossene Anlagen von grosser visueller Ausdruckskraft und aussergewöhnlicher Dauerhaftigkeit zu schaffen, wobei die verwendeten Baustoffe - inbesondere Naturstein - wie auch das Entwerfen klar begrenzter, häufig regelmässiger, symmetrischer Räume ausschlaggebend waren. Dabei folgte er einem «französischen» Plan(ungs)konzept, dem seinerzeit namentlich Auguste Perret in bedeutenden Beispielen Gestalt verliehen hatte. Pouillon zollte Perret übrigens uneingeschränkte Bewunderung, seit er beim Wiederaufbau des Alten Hafenviertels von Marseille (1948-1955) - dem ersten grossen Bauvorhaben, das für den weiteren Werdegang des Architekten ausschlaggebend werden sollte - mit Perret zusammenarbeitete. Nach allem, was hier über Pouillon berichtet wurde, ist es nicht verwunderlich, dass seine Architektur lange als anachronistisch galt. Die dem Meer zugewandte Front des Alten Hafenviertels von Marseille, die Realisationen in Aix-en-Provence, ein Ensemble wie die «200 Säulen» der Wohnsiedlung «Climat-de-France»in Algier oder auch die Bauvorhaben in Pantin, Montrouge, Boulogne-Billancourt oder Meudon-la-Forêt lassen dezidierte Optionen erkennen: die Wahl «geschlossener» Figuren bei den Wohnsiedlungen, die eine klar erkennbare Raumabfolge implizieren; die Wahl von Naturstein als bevorzugten Baustoff und das Misstrauen gegenüber «rohem» Beton oder «schwerer» Vorfertigung; schliesslich die Wahl der vertikal betonten Gliederung als architektonisches Charakteristikum dieser Bauten. Aus der Verbindung dieser drei Hauptoptionen resultierte eine ganz eigene Architektursprache, die für einen Architektur- und Stadtbegriff einer anderen Modernität steht. 128 Die Wahl geschlossener Figuren Nach dem Zweiten Weltkrieg wird bei den grossen Wohnungsbauvorhaben in Europa vielfach eine sog. «offene Ordnung» geschaffen, indem die Bauten nach «heliothermischen» Gesichtspunkten, d. h. nach dem Lauf der Sonne, ausgerichtet werden. Das ist bei PouilIons Realisationen nicht der Fall. Im Vergleich zur offenen Ordnung kann bei seinen Wohnsiedlungen geradezu von einer entsprechend gegensätzlichen Anordnung gesprochen werden. Pouillon hat stets seine Vorliebe für Formen betont, die eine analoge Affinität zu Plätzen und Höfen haben. Seinen Beitrag zur Erforschung der Stadt nährt er aus der Qualität der öffentlichen Räume, der architektonischen und urbanen Qualität der Plätze, Höfe und Promenaden von Aix-en-Provence, wo er mehrere Jahre lebte. Als er in dem umfassenden, 1953 erschienen Band «Ordonnances» die Aufnahmezeichnungen veröffentlichte, die Studenten in seinem Auftrag angefertigt hatten, hielt er nachdrücklich fest, was für ihn zur Überzeugung und bereits zum Programm geworden war: «Bei der Raumgestaltung kann sich der Architekt nur auf sich selbst verlassen. Jedes Werk muss eine in sich abgeschlossene Komposition sein. Wer danach kommt, wird in demselben Geist weiterbauen. Eine Stadt kann man nicht nur als Grundriss planen: Man muss auch imstande sein, sich die jeweilige Architektur bis ins kleinste Detail vorzustellen.(...) Es war das besondere Verdienst der Stadtgrundrisse des 17. und 18. Jahrhunderts, stets auf eine vorweg entworfene Architektur Bezug zu nehmen. Form und Physiognomie der Bauten prägten den Grundriss der Stadt. Damals war es leicht, eine Stadt anzulegen, denn Stadtplanung und Städtebau hiess Bauten zu errichten.» Wenn Städtebau und -planung weiter im Dienst der Architektur stehen und das Modell der Plätze, Höfe und Alleen seine Gültigkeit behalten sollten - was allerdings einige Anpassungen und Neuinterpretationen erforderte, damit Räume sich schliessen konnten, ohne sich vollständig zu verschliessen - dann durfte für die Bauten Pouillons nicht allein die heliothermische Orientierung massgeblich sein. Vielmehr musste es ihm bei jedem Projekt darum gehen, «eine abgeschlossene Komposition“ zu entwerfen, d. h. eine Komposition, die ein unverwechselbares, in sich geschlossenes Ganzes darstellte, das - um mit Pouillon zu sprechen - ganz auf seine «innere Landschaft» bezogen war. MateriaI Naturstein Die Entscheidung für den Baustoff Stein erforderte, dass das Material auf den Baustellen verfügbar war; bei grösseren Baustellen sollte sich jedoch schon bald zeigen, dass Steinbrüche, die noch ganz auf den handwerklichen Bedarf zugeschnitten waren, die Nachfrage nicht befriedigen konnten. Also musste Pouillon für seine Bauvorhaben den Nachschub des Baumaterials sicherstellen. Dabei verliess er sich zu Beginn auf einen seiner Freunde, Besitzer der Steinbrüche von Fonvieille bei Avignon, der leistungsfähige Maschinen für den Abbau und die Steinbearbeitung entwickelt hatte. Mit dem in Fonvieille gewonnenen Stein realisierte Pouillon mehrere grosse Bauvorhaben, nicht nur in Aixen-Provence und Marseille, sondern auch in Algier und im Pariser Raum. Mit dem Baumaterial Stein wurden eine Reihe unterschiedlicher Verarbeitungsverfahren und die Entwicklung entsprechender Techniken notwendig. In der Wohnsiedlung «La Tourette» in Marseille (1948-1953) beispielsweise sind die Mauern als Naturstein-Verband ausgeführt oder es wurden drei bis fünf Zentimeter dicke Steinplatten für die Verschalung nicht armierter Betonwände verwendet - Pouillon selbst spricht in diesem Zusammenhang von «Schalungssteinen» (système de la pierre banchée). Für die drei Bauvorhaben, die er zwischen 1953 und 1957 in Algier realisierte, liess Pouillon die Steine per Schiff aus Marseille anliefern; die Hausteine wurden eigens für die Baustellen massgefertigt: Es handelte sich sozusagen um «vorgefertigte» Steine mit imposanten Massen. Die Kantenlänge der Steinquader, die die Basis der zweihundert Säulen im grossen Hof der Wohnsiedlung «Climat-de-France» (1954-1957) bilden, beträgt beispielsweise einen Meter. In Meudon-Ia-Forêt (19571962) wird ähnlich verfahren: Auf Baustellenphotos aus der Zeit kurz nach Fernand Pouillon Baubeginn sind Steinhaufen zu sehen, aus denen dann die Mauern oder Kolossalpfeiler der mehrgeschossigen Bauten hochgezogen wurden. Auch in Pantin (1955-1957) und in Montrouge (1955-1958) blieb - trotz kleinerem Massstab - die Verarbeitung die gleiche, während in dem Projekt «Le Point-du-Jour» in Boulogne-Billancourt (1957-1963) an den vertikal hochstrebenden Bauten mit hartem Stein verkleidete Giebelmauern aus bewehrtem Beton erforderlich waren. In den meisten der angeführten Fälle blieb die rauhe Oberfläche der Hausteine erhalten; teils sind noch die Spuren des Zurichtens zu sehen; die Fugen sind als Hohlfugen gestaltet und mit Mörtel ausgestrichen; eine Modenatur kommt nur äusserst sparsam oder überhaupt nicht zum Zug. Alles dient dazu, die Oberfläche voll zur Geltung zu bringen. Darum legte PouilIon auch dem Helden in seinem Roman «Les pierres sauvages» folgenden Satz in den Mund: «(...) schon bald nach meinem Eintreffen (auf der Baustelle) war mir klar: diese Steine würden nur grob behauen, aber mit grösster Sorgfalt versetzt werden. Wie soll ich dir erklären, dass die Schönheit der Mauern schliesslich von dieser Empfindung abhängt (...)?» Ordonnance oder Die Wahl der Ordnung Das Joch ist das sich wiederholende Mass; es bestimmt und gliedert den gesamten Grundriss. Korrelativ ist das Joch Ausdruck des Baus, während Säulen bzw. Pfeiler die Vertikalität betonen und die Ableitung der Lasten verdeutlichen. Das Joch hat also mit der «Tektonik» des Gebäudes zu tun, nicht mit der «Wahrheit» der Konstruktion. Der Unterschied ist wichtig, ja von geradezu zentraler Bedeutung für das Verständnis von Pouillons Architektur. Nehmen wir zum Beispiel Meudon-la-Forêt, so sehen wir, dass die vertikal gegliederten Bauten in regelmässigen Abständen steinerne Kolossalpfeiler aufweisen; dabei handelt es sich jedoch nicht um tragende Bauteile, da keine Decken auf ihnen aufruhen. Pouillon bezeichnet solche Pfeiler als «Paravent», doch bringen diese Paravents die solide Beschaffenheit des Baus zum Ausdruck. Sehen wir uns Pantin oder Montrouge näher an, so stellen wir fest, dass der Fassadenaufbau die 129 Tektonik des Gebäudes ausmacht: In regelmässigem Wechsel zeigen sie Pilaster, die das Skelett darstellen, und aus roten Marmortafeln gebildete Felder, mit denen das Skelett ausgefacht ist - ähnlich wie bei einem «klassischen» Bau oder wie bei Perrets Arbeiten aus den dreissiger Jahren. Stets ist die Vertikalität betont. Aus eben diesem Grund bevorzugte Pouillon auch durchweg das stehende Fenster, das sich über die ganze Geschosshöhe erstreckt, - genau wie Perret, der das liegende Fenster bekanntlich ablehnte, dies tat. Aus dem Unterschied zwischen Ausdruck und Wahrheit der Konstruktion, d. h. zwischen Anschein und Wahrheit, entspringen alle Probleme im Umgang mit Pouillons Architektursprache und ihren syntaktischen Determinantien, einer Sprache, die sich ausdrücklich zu den Paradigmen der klassischen Architektur und ihren Ordnungen bekennt. In der hier behandelten Periode liess sich Pouillon deshalb nie auf serviles Kopieren ein, verfiel auch nicht dem Neoklassizismus und konnte auf direkte Anleihen bei anderen Bauten oder Denkmälern verzichten. Ihm genügte es, wirkungsmächtige Vorstellungen zu erwecken. Was wir von Pouillon lernen können, ist seine Fähigkeit, urbane und architektonische Fragestellungen zu verbinden, also seine Fähigkeit, Konstruktion, Architektur und Stadtgestalt als Ganzes, nie isoliert von einander zu behandeln. So entstanden Ensembles von unbestreitbarer Kohärenz und Geschlossenheit. Und dezidierte Optionen, die ein ehrgeiziges Ziel verfolgten: «... durch ein beschränktes Vokabular wird die Ausdruckskraft nur noch gesteigert». 130 Fernand Pouillon L‘immeuble façade du Vieux-Port Fernand Pouillon mit André Leconte, Auguste Perret, André Devin 1946-1955 Quai du Port, Marseille 131 132 Fernand Pouillon Vieux -Port / Tourette Fernand Pouillon mit André Leconte, August Perret, André Devin 1948-1953 Quai du Port, Marseille Fernand Pouillon L‘opération de la Tourette Fernand Pouillon mit René Egger 1948-1953 Square Protis, Marseille 133 134 Robert Mallet-Stevens Moderne Architektur Paris 1900-1990 Martin Hervé Robert Mallet-Stevens, Architekt Robert Mallet-Stevens, sechs Villen (1927), rue Mallet-Stevens, Paris XVI Das Meisterwerk Mallet-Stevens: eine für ihn selbst und einige Freunde entworfene Straße, die seinen Namen schon trug, als er lebte. Über die Verwirklichung isolierter Gebäude hinausgehend, baut er hier ein sehr homogenes Stadt-Teil, einen urbanen Raum einer für Paris in den 20er und 30er Jahren wohl einmaligen Qualität. Le Corbusier gab vor, die universell gültigen Theorien zum urbanen Leben im 20. Jahrhundert zu definieren. Dieses demiurgische Sozialprojekt war Mallet-Stevens fremd. Seine Beschäftigung war ausschließlich architektonischer und plastischer Art. Nicht interessiert an der großen Frage des Jahrhunderts - der Unterbringung der Massen-, baut er fast ausschließlich Stadthäuser und Villen für die reiche, »moderne« Bourgeoisie, Diese Abwesenheit des sozialen Diskurses ist wohl der Grund dafür, daß Mallet-Stevens, der zu seiner Zeit ebenso berühmt und umstritten war wie Le Corbusier, in Vergessenheit geriet. Ein anderer Grund mag die Kürze seiner Karriere sein: Zwischen dem Bau seines ersten Hauses, als er 37 Jahre alt ist, und seiner letzten Arbeit 1939, liegen nur 16 Jahre. Letztendlich scheint seinem Werk auch der Stempel des Ephemeren anzuhaften: er schuf Ausstattungen, vor allem für den Film »L‘lnhumaine« von Marcel L‘Herbier, Ausstellungspavillons, Wohnungsund Ladeneinrichtungen. Die rue Mallet-Stevens ist vor allem die architektonische Manifestierung seines außergewöhnlichen Ideenreichtums (siehe auch seine Zeichnungen, veröffentlicht 1932 in »Une cité moderne«). Seine Prinzipien sind einfach: Das Spiel makellos weißer und glatter Kuben, die »das Aussehen der Fassade vereinheitlichen, denn Volumen zählen mehr als Konstruktionsdetails.« Abstufungen, Staffelungen, Türme, das Spiel der Öffnungen, Vordächer u. ä., bilden eine enorme Skulptur, denn »der Architekt schafft eine Skulptur aus einem riesigen Block: das Haus.« Die Verarbeitung ist ganz besonders raffiniert und bis ins kleinste Detail geplant (etwa die Glasfenster von Barillet, Gitter und Türen von Prouvé). Die Innenausstattungen sind vor allem von Charreau, Guevrekian und Mallet-Stevens selbst. Leider wurden mehrere Villen verändert oder aufgestockt (vor allem Nr. 12, wo sich sein Büro befand). Mallet-Stevens geht hier weit über das einfache Nebeneinandersetzen von Bauwerken hinaus. Seine Straße schafft einen echten, von einem Bildhauer gestalteten „Innenraum« und nimmt als Projekt die Auseinandersetzungen der kreativsten Architekten der Gegenwart vorweg. Wenn Le Corbusier sein Vorhaben hätte verwirklichen können, den square du Docteur Blanche fertigzubauen, wäre ein Vergleich faszinierend gewesen. 135 136 Robert Mallet-Stevens Maison Reifenberg Robert Mallet-Stevens 1925-1927 4-6, rue Mallet-Stevens, 92100 Boulogne-sur-Seine Robert Mallet-Stevens Maison Allatini Robert Mallet-Stevens 1925-1928 3-5, rue Mallet-Stevens, 92100 Boulogne-sur-Seine 137 138 Robert Mallet-Stevens Maison Dreyfuss Robert Mallet-Stevens 1925-1928 7, rue Mallet-Stevens, 92100 Boulogne-sur-Seine Robert Mallet-Stevens Maison Martel Robert Mallet-Stevens 1926-1927 10, rue Mallet-Stevens, 92100 Boulogne-sur-Seine 139 140 Robert Mallet-Stevens Maison Mallet-Stevens Robert Mallet-Stevens 1926-1927 12, rue Mallet-Stevens, 92100 Boulogne-sur-Seine Robert Mallet-Stevens Atelier Barillet Robert Mallet-Stevens 1931 12, square de Vergennes, 92100 Boulogne-sur-Seine 141 142 Pierre Chareau 143 La Maison de Verre Pierre Chareau 1925-1932 31, rue Saint-Guillaume, Paris The house is made of glass. Its translucent glass-block façade hides everything that happens inside. There are no plastered walls; the doors open without handles; the entire building is an amazing glass box set in an 18th-century paved courtyard, with above it an older structure, opposite an 18th-century building. From the street it is invisible. To reach it, I had to cross the courtyard. The doorbells for ‚Doctor‘, ‚Visitors‘, and ‚Tradesmen‘ make different sounds. It was usually my grandfather‘s nursing assistant, Madame Carré, who answered the door; however Noémie, the faithful lady‘s maid, could, from her lookout post in the laundry room, let visitors come in and go up to the first floor where my grandmother, Annie Dalsace, the lady of the house, stood at the top of the main staircase. Silent and elegant, she would watch you come upstairs. Her hair, drawn back from her forehead, swept down flawlessly in a series of waves that covered her ears. Every morning, her immaculate coiffure was tamed by an invisible hairnet. When I reached her level I could feel her disapproval of my too-daring cl0thes or make-up. Her natural shyness led her to object violently to anything that she judged to be in poor taste. Nonetheless, it was to her that I owed my first black dress with a white lace collar, which we chose together. It did not seem out of place to her that I should wear black, a colour then unthinkable for a girl of sixteen. My teenage self did not see this unusual house in the passionate way that I would later. The architecture was not what appealed to me. It was the lunches that I enjoyed, when I would often find an imaginative little gift on my plate, the discovery of unusual flavours, combinations of sweet and savoury, foreign dishes, exotic fruits. The dining room opens on all sides to the great room (we called it ‚Ie grand hall‘), the blue sitting room, and the corridor leading to the kitchen, and is separated from the main staircase by a row of small cupboards, above which can be seen, depending on where one is seated at the table, the wall of glass bricks, the garden, or the bookcase filling the wall in the great room. Under the stairs to the second floor, continuing the line of the cupboards, is a perfectly proportioned tall cupboard in black lacquer with sliding curved doors. To my delight, it opened to reveal brooms. My grandmother‘s choice of contemporary materials and shapes rules in this house; not a single obstacle arrests the eye as it glides under 144 Pierre Chareau the cupboards, above the balustrade bookshelves and between the steps of the open staircases. Suddenly I understand something of my grandmother‘s insolence: she is the one behind the building of this mysterious house. Who ever said my grandmother was shy? Her house of glass is nothing if not bold. I learned to appreciate her own sturdy fragility, and, much later, to recognize her boldness. This house made a deep impression on my adolescent years; it was so unlike anything I knew. The glass façade readily suggests all the danger of its inherently breakable material. The interior spaces can be made to expand or shrink, thanks to the silently sliding perforated metal panels. In some ways the house reminds me of a boat. In the great room, a large wheel operates a ventilation system whose elements tilt inwards; the windows of the blue sitting room slide down at the touch of a tiny knob. They give a view of the garden that is cut off halfway down, drawing the eye away into the distance. Every sound can be identified. As in an enormous sound box, I could hear the door of my grandfather‘s study sliding open and shut, and the rush of water through the pipes from the bathrooms. In the children‘s rooms, the washbasin and the swivelling bidet are barely concealed from view by a moving screen. Despite her sense of modesty, my grandmother allowed the bathrooms to be seen, whereas in traditional buildings they are always hidden. Her small blue sitting room is the only place that I find less imposing: more modest in size, it looks out onto the garden. My grandmother was very fond of this room, which is linked to her bedroom by a folding staircase. She entertained guests to tea there. A tiny serving hatch hidden in a corner opened at a touch and a glass cake box with a silver lid appeared, filled with delicious cinnamon biscuits. My grandmother received her guests seated on a divan covered with lemon-yellow ottoman fabric. In front of her would be a little glass-topped table where the tea cups would be set out. In this room, pictures were hung close together on picture rails. She wanted a room exclusively for listening to music. Only her bedroom and the blue sitting room were carpeted, in midnight blue, and our feet made differents sounds on the original Pirelli rubber flooring in the great room, the wooden parquet in the corridors and the dining room, or the grey terrazzo, resembling shagreen, in the bathrooms and some of the bedrooms. We were not allowed into the kitchen: that was the cook‘s domain. At the end of her life, my ailing grandmother still let me pay a visit to her in her bedroom. I came with my four-year-old daughter. On either side of her bed, she was shielded from view by swivelling panels that formed an alcove and bedside tables on which there stood butterfly lamps with alabaster wings covered in a lacy fabric like a fine, golden-brown spider‘s web. My grandmother lay on her pale burr-elm bed. I found out later that the curved black lacquer door next to the bed concealed her private bathroom, with lights that came on automatically when the door was 145 opened. The dignity with which she endured her illness made her seem more human to me. I recognized the determination that she had shown all her life, the imagination that she had used to fulfil her dream of the house of glass. It was her obstinacy that had driven her to knock down an 18thcentury town house without a second thought and allow this amazing object to be built in its place. This house was also the home of my grandfather, Dr Jean Dalsace. The ground floor was his domain, where he reigned alone, but I have always believed that the existence of the house was the deliberate choice of my grandmother. She was among the first to be excited by modernism, while my grandfather‘s passions lay elsewhere. Although many books today refer to the building as ‚Dr Dalsace‘s house‘, my grandmother‘s role was the crucial one. This house was her work. After both my grandparents had died, I went to live in the house with my daughter. Life was different now; the servants had gone. We took over the kitchen, my grandmother‘s room became my room, and my mother‘s room became my daughter‘s. My journey through the house was reduced to coming down the flights of stairs that led from the bedroom to the kitchen. That room now became a meeting place. The dining room fell into a slumber, and the great room was only lit on special occasions. Then for a few hours the party lights shone on the enchanted guests; their faces lit up, amazed by the boldness and charm of the building. The sound of footsteps and voices rang out as the house came alive, showing its visitors an unexpected side and filling them with lightness of being. At the end of the evening, the sound faded as the last party-goers watched the silhouette of the house disappear into the night. Very soon my daughter decided to paint clouds on the ceiling of her bedroom, without the consent of Pierre Chareau, but without so much as a raised eyebrow from my parents who were by now the owners. Her idiosyncratic disorder never disturbed the order of the other rooms. And when she wanted to stop people from coming into her bedroom, she could close it with an inner latch. I discovered the secrets of the house, the secrets of the many staircases. For children, they offer dizzying descents and provide countless hiding places. The space under the steps of the open staircase that leads to the first floor is a secret refuge. The house becomes a huge theatre, with the great room as the stage and the second floor as the boxes. The children would take over the whole space on all three levels, for one long game of tag. Tarzan had the last word, and even the sliding ladder of the bookcase could be turned into a jungle vine or a look-out post. The house became a huge playroom, and the children‘s disrespect demystified the gravity of the place. We were not the owners whose decisions contributed to the construction of the house, which had been a setting for impressive social and professional lives. We were simply its privileged tenants. 146 Pierre Chareau This house asks to be courted. It contains many mysteries: the telephone booth where Dr Dalsace could receive calls from his patients without being overheard, with its fine woody smell, where the lights are turned on by the pressure of feet on the floor, a place to hide; the tiny knobs for opening cupboards; the folded aeroplane wings in the bathroom that conceal the storage spaces ... Corners and edges are all rounded to the touch, with no harsh shapes to distract one‘s attention. The black lacquer of the built-in cupboards rolls in curving waves and reflects the light from the windows that overlook the garden. Each cupboard contains particular fittings for keeping things. Shoes and hats have their own purpose-built spaces, corresponding to their shapes. Pierre Chareau designed the cupboards to be opened both from inside the bedrooms and from outside in the corridors. One day I found my daughter huddled inside a cupboard, trying to overhear the sounds coming from the bedroom. Bluebeard could have hidden his wives behind more than fifty different doors! I have come to know the house, and its lines no longer look like a cold mathematical drawing to me. I run my hand from one material to another, constantly discovering new subtleties. I penetrate deeper into its silence. The house is transformed by changing light throughout the day and the seasons. At nightfall, floodlights outside wrap it in a grey light, filtered through the glass bricks. It becomes cl0udy and abstract. After my grandmother and my mother, I am the third woman to have lived in the house. I have never related to the house on a technical level. My perception does not strip it down as architects do, dazzled by its perfection - that of a masterly machine. I am not a specialist, just someone in love with this place. I walk through the smallest secrets that it conceals, although everything may seem open and visible. I play hide and seek, seeing without being seen. On the second floor, along the corridor, I even lie down and look into the great room through the black veils of the bookshelves, watching what is going on below. The interplay of appearing and disappearing continues with the sliding doors; these create the secret of intimacy. Part of the great room, when the screen is closed, becomes a small study with its furniture and its day-bed where my grandfather took his afternoon nap, next to his telephone booth and near the open metal staircase leading down to his consulting room. My grandmother‘s bedroom next to the bathroom is enclosed on the garden side by a double sliding wall which, depending on whether one wanted to be invisible or to see everything, could shift from the transparency of glass to the opacity of duralumin. The bathroom is divided into feminine and masculine. The two sexes live side by side in this house. The bathtub is on the feminine side, the shower on the masculine. The subtle arrangement of the folding duralumin doors that nowhere reach the ceiling screens the body but allows conversation 147 to continue. You are wrapped round by all the materials of which the bathroom is made. The perforated sheet metal screen above the bathtub opens onto the gentleman‘s shower area. The lady of the house, from her bath, can wander through the trees. The shaving mirror can be made to disappear. The coat hooks curve in a gentle smile. So well designed that they need no other trimming, they look intriguing, like sculpture. The tiny white mosaic tiles have a kaleidoscopic effect. Underfoot is cool terrazzo. From outside the house may look small, but when one gets to the foot of the main staircase, the real dimensions of the space become apparent. One is only aware of this inside. The glass wall of the great room, forming the outer façade, absorbs and refracts the light. Light invades the room with a disturbing intensity. Its presence is absolute - monumental white light, almost dizzying, with no escape. It makes one feel unable to move. Sitting on the couch covered with tapestry designed by Jean Lurçat, I notice the way that it prevents a direct gaze, and how it appears invisible from the courtyard. The great room is a beating heart. It is like a modern cathedral, where eleven orange and black columns studded with rivets and bolts impose a rhythm and form the framework of the house. Their different sizes, their colours, with black changing into orange, the striking size of the bolts, all are amazing. Wherever one looks in this house, something is happening. The more one looks, the more one discovers the volumes, the different materials, the meticulous details. They are incomparable, their determinacy leaves no place for vagueness or uncertainty. Their perfection is as precise as a musical score. The spaces are modulated by the fabric and perforated metal screens, the curtains hung from curving rails. Behind each division lies a secret waiting to be revealed. The same design, the same materials are used throughout the entire house, which has no sense of segregation between a ‚piano nobile‘ and servants‘ quarters. Subtle, almost imperceptible elements imply a high degree of abstraction. I found that the grey and black house also contains colours. The orange columns, the tapestry-covered furniture, the warm wood, the books on the bookshelf wall all give off signs of life, sparks of joy. Colour bursts forth. The house also has its own smell, made up of the scent of books, waxed parquet and rubber floors, a smell created by the passage of time. The Maison de Verre, with its many screens and secrets behind open and cl0sed doors, looks onto a paved court yard, dry, deserted and austere, but on the other side lies a garden like that in ‚Le Grand Meaulnes‘, with hundred-year-old trees rising into the sky. I have loved this place passionately. Sometimes I have felt the wish to leave, but I always come back. DOMINIQUE VELLAY 148 Pierre Chareau 149 150 Pierre Chareau 151 Stadtpläne Marseille 155 156 Paris Paris - Die Bauten von Le Corbusier 1. 2 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Villa Planeix Annex du Palais du Peuple Asile Flottant Cité de Refuge Atelier Ozenfant Pavillon Suisse Pavillon du Brésil Villas La Roche-Jeanneret Immeuble et Appartement de Le Corbusier 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. Villas Lipchitz-Miestchaninoff Villa Cook Villa Ternisien Maisons Jaoul Villa Besnus Villa Stein La Petite Maison de Weekend Villa Savoy 157 158 Paris - Metro fern Paris - Metro nah 159 160 Bibliografie Le Corbusier Le Corbusier & Pierre Jeanneret, Oeuvre complètes en 8 volumes, Les Editions d’Architecture Artemides Zurich La Villa Savoye : Poissy - Yvelines / Guillemette Morel-Journel - Paris : Editions du Patrimoine, 1997 Le Corbusier – Ideen und Formen, William J.R. Curtis, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1987 Le Corbusier: l‘unité d‘habitation à Marseille / Jacques Sbriglio; Fondation Le Corbusier, Birkhäuser, Paris - Basel 2004 Le Corbusiers Pariser Villen aus den Jahren 1920 bis 1930 / Timothy J.Benton, Stuttgart : Deutsche Verlagsanstalt, 1984 Immeuble 24 N.C. et appartement Le Corbusier Fondation Le Corbusier; Birkhäuser, Basel 1996 Le Corbusier – Elemente einer Synthese, Stanislaus von Moos, Verlag Huber & Co., Frauenfeld und Stuttgart 1968 Le Corbusier before Le Corbusier : applied arts, architecture, painting, photography, 1907-1922 / ed. by Stanislaus von Moos and Arthur Rüegg. - New Haven : Yale University Press, 2002 Le Corbusier – Elements of a Synthesis, Stanislaus von Moos, 010 Publishers, Rotterdam 2009 The Le Corbusier Guide, Deborah Gans, Princeton Architectural Press, New York 2006 Le Corbusier – die Lyrik der Architektur im Maschinenzeitalter, Jean-Louis Cohen, Taschen 2006 La Chaux-de-Fonds et Jeanneret - avant Le Corbusier,Musée des beauxarts, La Chaux-de-Fonds en collaboration avec la Fondation Le Corbusier, Paris 1987 Le Corbusier : moments in the life of a great architect / photogr. by René Burri; ed. and with texts by Arthur Rüegg. – Birkhäuser, Basel 1999 Le Corbusier: les villas La Roche-Jeanneret / Jacques Sbriglio; Birkhäuser, Basel 1997 / Jacques Sbriglio; Le Corbusier - zeitlos / Text: Dominique Lyon; Fotogr.: Anriet Denis; Koord.: Olivier Boissière. - Paris : Telleri, 1999 Le Corbusier / H. 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Princeton, New Jersey : Princeton University Press 1987 Ausblicke auf eine Architektur, Le Corbusier 1922, Bauwelt Fundamente, Friedrich Fieweg & Sohn, Braunschweig / Wiessbaden 1982 Feststellungen, Le Corbusier 1929, Bauwelt Fundamente 12, Verlag Ullstein GmbH, Berlin – Frankfurt 1964 Le Corbusier, Norbert Huse, Rowohlts Monographien, Hamburg 1976 Le Corbusier, Herausgegeben von Willy Boesiger, Verlag für Architektur Artemis Zürich, 1990 161 Fernand Pouillon Fernand Pouillon architecte : Pantin, Montrouge, Boulogne-Billancourt, Meudon-la-Forêt / sous la dir. de Jacques Lucan. - Paris : Editions du Pavillon de l‘Arsenal, 2003 Marseille, 1945-1993 / Jacques Sbriglio; avec la collab. de Marie-Hélène Biget. - Marseille : Editions Parenthèses, 1993 Fernand Pouillon – Architetto delle 200 colonne, Documenti di architecttura, Electa, Milano 1987 Werk, Bauen + Wohnen 3, 2004 Robert Mallet-Stevens Robert Mallet-Stevens : architecte / sous la direction de Jean-Pierre Lyonnet. - Paris : Editions 15, Square de Vergennes, 2005 Robert Mallet-Stevens : 1886-1945 / Cristiana Volpi. - Milano : Electa, 2005. Moderne Architektur Paris 1900 – 1990, Hervé Martin, o.O., o.J., 1986 Pierre Chareau La maison de verre : Pierre Chareau‘s modernist masterpiece / Dominique Vellay. - London: Thames & Hudson, 2007 162 Notizen 163 Notizen 164 Notizen 165 Impressum Seminarreise Herbstsemester 2009 Professur Wolfgang Schett Departement Architektur ETH Eidgenössische Technische Hochschule Zürich Organisation, Programm Isabel Gutzwiller Franziska Manetsch Druck Reprozentrale ETH Hönggerberg © bei den jeweiligen Autoren Zürich, September 2009