Macri klar vorne - Argentinisches Tageblatt

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Macri klar vorne - Argentinisches Tageblatt
Sonnabend, 16. Juli 2011
122. Jahrgang Nr. 31.832
Macri klar vorne
Großer Vorsprung im ersten Wahlgang, aber Stichwahl nötig
Buenos Aires (AT/mc) – Großer
0,19 Prozent brachte.
Jubel bei Mauricio Macri und seinen
Der Erfolg des Macri-Lagers
Anhängern: Mit 47,1 Prozent schnitt
schlug auf allen Ebenen durch. So
der Regierende Bürgermeister von
war bei den Wahlzetteln der Pro-ParBuenos Aires bei den Wahlen in der
tei auch kaum das Phänomen des
Hauptstadt weit besser ab als erwarStimmensplittings zu registrieren:
tet. 19,3 Prozent betrug der Abstand
Die Pro-Liste für das Stadtparlament
des rechtskonservativen Politikers
mit Sergio Bergman an der Spitze ervor dem Zweitplatzierten, dem Peroreichte mit 44,97 Prozent ein stattlinisten Daniel Filmus. Dieser hatte
ches Ergebnis.
sich weit mehr als die erreichten 27,8
Im neuen Stadtparlament gewann
Prozent erhofft. Der Gefolgsmann
die Pro-Partei zwei neue Sitze und
von Präsidentin Cristina Fernández
bringt es somit auf 26 Mandatsträger.
de Kirchner erklärte indes, trotz des
Dies reicht allerdings noch nicht zur
Ausgelassene Partylaune herrschte
großen Rückstandes in die Stichwahl
absoluten Mehrheit von 31 Sitzen.
bei Mauricio Macri (m.) und seinen Mitstreitern.
am 31. Juli ziehen zu wollen. Um eine
Deutlich fiel der Sieg des MacriStichwahl abzuwenden, hätte einer der Kandidaten bereits im ers- Lagers bei den erstmals zu wählenden Kommunalräten aus. In alten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen benötigt. Das di- len 15 Kommunen erzielten die Kandidaten des Regierenden Bürrekte Duell zwischen Macri und Filmus hatte es bereits bei den germeisters die besten Ergebnisse (siehe auch Grafik).
letzten Bürgermeisterwahlen vor vier Jahren gegeben. Seinerzeit
Die Peronisten versuchten am Wahlabend, trotz des großen Rückgewann Macri mit 61:39 Prozent.
standes auf Macri gute Laune zu demonstrieren. Erstens wegen des
Abgeschlagen auf Platz drei landete der linksgerichtete Filme- Erreichens der Stichwahl und zweitens, weil die “Front für den
macher Pino Solanas mit seinem “Projekt Süden”. Er brachte es Sieg”, sprich die Wahlallianz der Justizialistischen Partei mit mehnur auf 12,8 Prozent und war somit weit vom Einzug in die Stich- reren kleineren Partnern, seit ihrem Bestehen im Jahr 2003 noch
wahl entfernt. Vor zwei Jahren bei den Parlamentswahlen hatte nie so gut in der Hauptstadt abgeschnitten hat. Fast 20 Prozent bei
Solanas noch rund ein Viertel der Stimmen auf sich und seine Par- der Stichwahl aufzuholen, dürfte für Filmus aber nur sehr schwer
tei vereinigen können. Enttäuscht sein dürfte auch Elisa Carrió von zu schaffen sein.
der Bürgerlichen Koalition. Deren Kandidatin Maria Estenssoro
Für den Erfolg Macris dürften verschiedene Motive ausschlagwurde mit 3,32 Prozent Vierte. Lediglich 2,06 Prozent entfielen gebend gewesen sein: Zum einen ist das Wahlergebnis sicher eine
auf Silvana Giudici, die Bewerberin der Radikalen Bürger Union Honorierung seiner bisherigen Arbeit als hauptstädtischer Regie(UCR). Ex-Bürgermeister Jorge Telerman erreichte nur 1,76 Pro- rungschef. Viele Wähler nehmen Macri als tüchtigen Macher wahr.
zent. Ganz bitter das Abschneiden von Jorge Todesca, der für das Zu anderen dürfte aber auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben,
Lager von Präsidentschaftsbewerber Eduardo Duhalde ins Rennen ein Gegengewicht gegen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchgegangen war. Mit 0,29 Prozent war er kaum besser als der Rechts- ner zu schaffen. Schließlich hat sich Macri als Opposition zur peextremist Alejandro Biondini, dessen “Soziale Alternative” es auf ronistischen Regierung in der Casa Rosada positioniert.
Inhalt
Karosseriekünstler
Auto & Motor ................................................................... 5
Coghlan-Obelisk
Ausflüge & Reisen ........................................................... 6
AMIA-Ausstellung
Kultur ............................................................................... 7
Schatten der Wahlen
Wirtschaftsübersicht ...................................................... 13
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WOCHENÜBERSICHT
Gesetzessammlung
Neuer Terminal
Es war eine echte Fleißarbeit. Mehrere Jahre lang durchkämmten rund 200 Rechtsexperten sämtliche Gesetze, die seit 1853 in
Argentinien erlassen wurden, und sortierten die nicht mehr gültigen aus: Das Ergebnis der Juristenarbeit ist die neue “Argentinische Gesetzessammlung”, die Präsidentin Cristina Fernández de
Kirchner am Dienstag der Öffentlichkeit vorstellte. Das Werk umfasst 3134 Gesetze, die allesamt in Kraft sind und in 26 verschiedene Rechtsgebiete unterteilt wurden. 29.073 hingegen wurden
aussortiert, da sie im Laufe der zurückliegenden anderthalb Jahrhunderte ihre Gültigkeit eingebüßt hatten. Insgesamt prüften die
Juristen 32.207 Gesetze. Cristina lobte die vorliegende Arbeit als
“ein bedeutendes Werk institutioneller Qualität und Ordnung” und
sprach von “wahrhaftiger Staatspolitik”. Nun sei das Parlament
gefordert, die Gesetzessammlung abzusegnen.Das Projekt, eine
aktualisierte Zusammenstellung der Gesetze zu schaffen, wurde
erstmals 1994 im Rahmen der Verfassungsreform ins Auge gefasst.
Der Kongress wurde mit der Durchführung beauftragt. Doch es
zeigte sich, dass das Gremium angesichts der Größe der Aufgabe
überfordert war. So wurde 2005 die erwähnte Juristen-Kommission gebildet, die knapp sechs Jahre ackerte. “Dies festigt und konsolidiert 158 Jahre argentinischer Gesetzgebung”, freute sich Justizminister Julio Alak über das vorliegende Werk.
Der internationale Flughafen von Buenos Aires-Ezeiza hat ab
sofort einen Terminal mehr. Präsidentin Cristina Fernández de
Kirchner weihte am vorigen Sonnabend den neuen Komplex ein,
an dem künftig die staatliche Fluggesellschaft “Aerolíneas Argentinas” ihre internationalen Flüge durchführen wird. Es soll aber auch
einige Verbindungsflüge ins Inland geben. Der neue Terminal C
nimmt eine Fläche von 21.000 Quadratmetern ein. Herzstück ist
ein modernes Glasgebäude. Es gibt acht Gangways, 2500 Parkplätze, neun Gepäcklaufbänder, zwölf Passkontrollstellen, 20
Check-In-Schalter und mehr als 600 Sitzgelegenheiten im Boardingbereich. 3000 Passagiere sollen täglich die neue Anlage benutzen können, die auch für den Riesen-Airbus A 380 geeignet ist.
Insgesamt kostete das Projekt rund 600 Millionen Pesos.
“Clarín” diffamiert
Die Feindseligkeiten zwischen der nationalen Regierung und der
einflussreichen Mediengruppe “Clarín” sind um ein weiteres Kapitel ergänzt worden: So ordnete am Mittwoch die Leitung des Zentralmarktes von Buenos Aires (Mercado Central) an, dass mit sofortiger Wirkung auf dem Handelsgelände im südlichen Stadtrand
(Tapiales) die Druckerzeugnisse “Clarín”, “Olé” und “La Razón”
nicht mehr verkauft bzw. verteilt werden dürfen. Dies berichtet die
Tageszeitung “La Nación”. Der Schritt wurde mit “Missachten von
Anweisungen der Marktleitung” begründet. Der Mercado Central
wird von Guillermo Cosentino geführt, einem Vertrauensmann von
Binnenstaatssekretär Giullermo Moreno. Großplakate mit dem Slogan “Clarín lügt” gaben der Kampagne weitere diffamierende Züge.
Vorausgegangen war eine kritische Berichterstattung des “Clarín”
über die hygienischen Zustände im Mercado Central, auf dem überwiegend Obst und Gemüse gehandelt werden.
Cristina bei den Militärs
Dass die bewaffneten Streitkräfte für alle Zeiten mit der Demokratie verbunden seien, diesen Wunsch sprach Cristina Fernández
de Kirchner beim traditionellen Gala-Dinner der Streitkräfte zum
Unabhängigkeitstag aus. Dies sei Voraussetzung dafür, dass Argentinien wieder ein Vorbild für wissenschaftliche und militärische Entwicklung werde, so die Staatschefin. Doch ihre Gastgeber hatten
sich mehr gewünscht als hehre Worte. Schließlich warten sie seit
Längerem auf eine Gehaltserhöhung. Doch eine solche Ankündigung als Gastgeschenk hatte Cristina nicht im Gepäck. In ihrer kaum
zehnminütigen Rede ging die Präsidentin einmal mehr auf den
schwelenden Malwinen-Konflikt an. Dabei bezeichnete sie Großbritannien als “koloniale Macht”, die argentinisches Territorium
besetzt halte. Gleichwohl klassifizierte sie “einige Behauptungen”
Londons, die Argentinier würden im Zusammenhang mit den abgelegenen Inseln im Südatlantik Angriffsideen hegen, als “lächerlich”.
Cristina wird Oma
Fristverlängerung
Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner wird zum ersten Mal
Großmutter. Das teilte die 58-jährige Staatschefin selbst in ihrem
Twitterblog mit. Danach wird ihr Sohn Máximo bald Vater werden.
„Das würde ihn (Néstor) glücklich machen. Máximo, unser Sohn,
wird Papá. Ich werde ein Enkelkind haben. Großmutter CFK! Gott
nimmt es..., Gott gibt es“, schrieb die Präsidentin am Mittwoch.
Ebenfalls Großmutterfreuden entgegensehen kann Cristinas Schwägerin, die Sozialministerin Alicia Kirchner. Deren Tochter Natalia
Mercado sei im fünften Monat schwanger, wie Cristina mitteilte.
In den Reihen der Opposition ist man richtig sauer auf die AntiKorruptionsbehörde (OA). Diese gewährte jüngst den Regierungsbeamten eine neuerliche Fristverlängerung zur Erklärung ihrer persönlichen Besitzverhältnisse. Letzter Abgabetermin ist demnach der
22. August, also acht Tage nach den “offenen Internwahlen”, den
allgemein verbindlichen Vorwahlen zur Präsidentschaftskür am 23.
Oktober. Nicht wenige Oppositionspolitiker hätten es lieber gesehen, wenn die Erklärungen noch vor dem Urnengang im August
abzugeben wären. Besonders scharfe Kritik gab es von der Bürgerlichen Koalititon (CC): “Die Präsidentin will ihre Besitztümer nicht
offenlegen, da sie Korruptionsgeld versteckt”, unterstellte gar Juan
Carlos Morán, der für die Bürgerliche Koalititon als Gouverneur
in der Provinz Buenos Aires kandidiert.
Probe negativ: Marcela und Felipe Noble Herrera, die beiden
Adoptivkinder der “Clarín”-Besitzerin Ernestina Herrera de Noble, sind nicht die Kinder der Familien Lanoscou-Mirando und Gualdero-García. Diese hatten auf einen entsprechenen Gendatenabgleich geklagt, da sie seit der Militärdiktatur Kinder vermissen und
wissen wollten, ob es sich dabei um die Adoptivkinder der Medienzarin handelt. Die am Montag erfolgte Probe ist gleichwohl nur
ein erster Schritt. Denn es sollen Abgleiche mit allen DNS-Daten
gemacht werden, die in der Nationalen Gendatenbank gesammelt
sind. Darauf hatten vor allem die “Großmütter der Plaza de Mayo”
gedrängt. “ (AT/mc/dpa)
Erste Probe negativ
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Macris Wahlsieg
D
er Wahlsieg der PRO-Partei des Regierungschefs von Bue
nos Aires, Mauricio Macri, war sicherlich vorprogrammiert,
nicht aber das überraschende Ergebnis von knapp über 47
Prozent. Sein Gegner, Senator Daniel Filmus für die nationale Regierungspartei “Front für den Sieg”, lies die Justizialistische Partei
mit kleinen Alliierten, kam nur auf bescheidene 28 Prozent, allerdings
vier Prozent mehr als vor vier Jahren.
Macri, von Haus aus Ingenieur und Unternehmer, trat erst vor
zehn Jahren in die Politik ein und entpuppte sich als Siegertyp. Er
verlor nur einmal in der Zweitwahl von 2003 gegen Aníbal Ibarra,
den er in der Erstwahl besiegt hatte, wie 2007 und 2011 gegen Filmus. Offenbar versteht es Macri, die Wähler mit seinen Leistungen
als tüchtiger Manager der Bundeshauptstadt zu überzeugen, während er als Politiker nie aggressiv ist, seine Gegner nie persönlich
angreift und die Schikanen der Nationalregierung geduldig erträgt.
Die meisten Umfragen zielten auf einen Stimmenanteil von 40 bis
45 Prozent. Filmus und Genossen hofften auf etwa 35 Prozent, um in
der Stichwahl Siegesaussichten zu haben. Dieser Wahltraum ist ausgeträumt. Fast zwanzig Prozentpunkte Vorsprung für Macri sind nicht
wettzumachen. Es genügen die drei Prozent der Stimmen, die María
Estenssoro für die Bürgerliche Koalition von Elisa Carrió und Ricardo López Murphy ergatterten, um in der Stichwahl zu siegen, die
Macri 2007 mit 60 Prozent gewann. Trotzdem verzichtete Filmus
angeblich auf Befehl der Präsidentin nicht auf die Stichwahl, die
wahlpolitisch überflüssig ist.
Macri siegte in allen 15 Kommunen, wo zum ersten Mal gewählt
wurde, allerdings mit unterschiedlichen Mehrheiten. Am konservativsten erwiesen sich die Kommunen der Nobelviertel Recoleta und Belgrano, in denen Macri mit rund 55 Prozent gewann. In mittelständischen Kommunen im Herzen der Stadt waren die Mehrheiten anders
gelagert, allerdings waren es überall mehr als 40 Prozent. Im Stadtparlament konnte die PRO-Partei zwei zusätzliche Sitze gewinnen, ohne
freilich eine eigene Mehrheit von 31 Sitzen zu erreichen, so dass die
Stadtexekutive wie bisher auf Gelegenheitsmehrheiten angewiesen sein
wird. Bemerkenswert war die Tatsache, dass die vom linkslastigen Jung-
politiker der “La Cámpora” Juan Cabandié angeführte Liste der Parlamentarier nur die Hälfte der Stimmen von Filmus bekam, eine deutliche Ohrfeige für diese Jungpolitiker, die offensichtlich bei Wahlen nicht
ankommen wie in Salta, wo ihr Gouverneurskandidat sich mit der vierten Stelle begnügen musste, und in Tierra del Fuego, wo der Vizegouverneurskandidat in der Stichwahl verlor.
Der überwältigende Sieg Macris wirft deutliche Schatten auf die
kommenden nationalen Wahlen. UCR-Kandidat Ricardo Alfonsín,
dem seine politischen Weggefährten eine Absprache mit Macri aus
ideologischen Gründen verboten hatten, erklärte nach der Wahl enthusiastisch, dass er auch für Macri stimmen würde, und überging
dabei die ideologischen Schranken. Alfonsín braucht die Wahlhilfe
Macris für die obligatorischen Vorwahlen vom 14. August, die den
zweitbesten Kandidaten nach Cristina Kirchner ermitteln werden,
und die allgemeinen Wahlen vom 23. Oktober, gegebenenfalls auch
für eine Stichwahl am 20. November. Eduardo Duhalde, der Alfonsín
als zweitplatzierten Kandidaten verdrängen will, unterstützte Macri
und beglückwünschte ihn ebenfalls.
In Santa Fe stehen demnächst Gouverneurswahlen an, für die
Macri den unabhängigen Kandidaten Miguel del Sel unterstützt, der
persönlich bei der Siegesfeier am Wahlabend zugegen war. Als Wahlsieger gilt der sozialistische Kandidat des Gouverneurs Binner. In
Córdoba, wo danach für Gouverneur gewählt werden wird, kämpfen
Kandidaten, die allesamt gegen die nationale Regierungspartei eingestellt sind, um den Wahlsieg, so dass die drei größten Gliedstaaten
nach der Provinz Buenos Aires Wahlergebnisse aufweisen werden,
die anders als in den bisherigen Provinzwahlen die Kirchner-Regierung nicht unterstützen. Ebenso wie in der Stadt Buenos Aires die
Wähler den Wahlgang zwischen Macri und Filmus polarisierten, die
zusammen über drei Viertel aller Wählerstimmen auf sich vereinigten, dürfte es eine Polarisierung zwischen der Regierungskandidatin
Cristina Kirchner und einem Oppositionskandidaten, sicherlich Alfonsín oder Duhalde, geben. Über 70 Prozent der Stadtwähler werden dann sicherlich mitbestimmen, ob Alfonsín oder Duhalde gegen
die Präsidentin polarisieren.
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Randglossen
A
ls Ekel qualifizierte der Musiker Fito Páez in Rosario die
Hälfte der Wähler der Stadt Buenos Aires, die für die Wiederwahl von Mauricio Macri gestimmt hatten. Dieser überraschende Wahlsieg mit über 47 Prozent der Stimmen hat die Sprecher der Macri-Gegner offenbar verblüfft, die laut den meisten
Umfragen höchstens 45 Prozent vorwegnahmen, möglicherweise
sogar weniger, damit der Kandidat der Nationalregierung, Senator Daniel Filmus, mit angenommenen 35 Prozent eine Stichwahl mit Erfolgsaussichten bestreiten könnte. Er gelangte nur
auf 28 Prozent, von denen die Hälfte in der Person des “La Cámpora”-Jungpolitikers Juan Cavandié als Listenerster für das
Stadtparlament als echte Stimmen für die Präsidentin gelten.
Die andere Hälfte entfällt auf Stimmen mehrerer anderer Parteien. Ein ziemlich ekelhaftes Wahlergebnis für die Präsidentin.
Euro zu niedrigen Zinssätzen verantwortungslos verschulden
konnten, ohne die Grenzen des Stabilitätspaktes von 3 Prozentpunkten der Neuverschuldung im Jahr und 60 Prozent der Schulden, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, zu achten. Alle Banken finanzierten munter diese maßlose Verschuldung und müssen jetzt fürchten, dass ein Zahlungsausfall, Englisch als “default”
bekannt, dazu führt, dass griechische Bonds in ihren Büchern auf
einen Euro entwertet werden und ihr Stammkapital verschwindet. Ganz Europa zittert vor dieser Aussicht, die die Regierungen
nötigen würde, den Banken abermals wie 2009 mit Steuergeldern
zu helfen, um eine Katastrophe zu verhüten. Aus dieser Bredouille weiß derzeit niemand ein und aus, während in den hoch verschuldeten Ländern neue Steuern eingetrieben, Ausgaben gesenkt
und Staatsobjekte privatisiert werden.
D
D
ie meisten Umfrageerhebungen der Stadtwahl haben deutlich
daneben getippt und müssen jetzt Rede und Antwort stehen,
weshalb sie sich geirrt haben. Die Umfragen beruhen auf telefonischen Fragen an wenige tausend Personen. Viele Fragen führen die
Befragten in Verlegenheit, weil sie nicht klar formuliert sind, so dass
die Ergebnisse für die Aussichten der Kandidaten falsch ausfallen
und nach der Wahl für eine Blamage der betreffenden Agenturen
sorgen. Für den siegreichen Macri entpuppte sich diese Blamage als
ein Publikumserfolg, den er in seinen Erklärungen gründlich ausschlachtete, derweil er sich für die Stichwahl am 31. Juli vorbereitet. Vor vier Jahren gewann er die Stichwahl gegen den gleichen
Gegner mit 60 Prozent, welche Zahl er dieses Mal sogar übertreffen
kann. Bisher wurden keine Umfragen hierüber veröffentlicht. Blühen abermalige Blamagen?
D
ie skandalöse Schuldenkrise Griechenlands schwappt auf
andere europäische Schuldnerstaaten über, die sich dank
er Krisenfall Griechenland ist im Vergleich zur US-Schuldenkrise nur ein Pappenstiel. Demokraten und Republikaner verhandeln derzeit über die Aufstockung der Verschuldungsgrenze, die
bei knapp über 14 Billionen (Millionen von Millionen) Dollar eingefroren ist, so dass das Schatzamt keine zusätzlichen Bonds ausgeben darf. Die Demokraten sind offenbar bereit, die Sozialausgaben
im Haushalt zu kürzen, wie es die Republikaner fordern, wogegen
letztere sich standhaft weigern, die Steuern für reiche Steuerzahler
anzuheben. Letzteres war eigentlich Ende 2010 fällig gewesen und
wäre automatisch in Kraft getreten, hätte Präsident Obama nicht
seinen republikanischen Gegnern die Verlängerung derVerfallfrist
zugestanden. Ohne die gewünschte Anhebung der Schuldengrenze
vor dem 2. August blüht in den Vereinigten Staaten der gefürchtete
Default, den die Ratingagenturen Moody’s und Standard & Poor’s
bereits in Aussicht stellen, als deren Folge US-Bonds - bisher als
mündelsicher eingestuft - wie griechische Schulden nichts mehr wert
wären. Ein Schreckensszenario für die ganze Welt!
Auto und Motor
Argentiniens individuelle Karosseriekünstler
Argentinien ist ein reines Einwandererdie sogenannten Großen, wie Kaiser, General
land, dessen Immigranten hauptsächlich aus
Motors, Ford und Chrysler, die hier mit der
Europa kamen. Eine klare Zusammensetzung
Serienmontage begannen. Doch unzählige Prinach Herkunftsländern gibt es nicht, zumal
vate versuchten ebenfalls, Prototypen zusames vorübergehend auch die sogenannten Gomenzuhämmern, von denen sie sich eine Zulondrinas bzw. Schwalben oder Zeitarbeiter
kunft für die Kleinserie versprachen.
gab, die zur Hochsaison der Ernte kamen und
Die Fertigung dieser Einzelstücke war nadann mit dem Ersparten in der Tasche wieder
türlich extrem kostspielig, auch waren sie meheimkehrten. Aber um die vorige Jahrhunchanisch kompliziert oder anfällig. Es gibt ein
dertwende ergab eine Erhebung, dass unter
Register von etwa sechshundert solcher Uniden Ankommenden 43 Prozent Italiener und
kate. Aber einige wenige zeigten ihrer Linie
33 Prozent Spanier waren. Diese Proportion
nach die unglaubliche Handfertigeit und
prägt weitgehend bis heute das BevölkeKunstsinnigkeit ihrer Schöpfer. Sie konnten,
El Argentino, um 1951:
aus Detroit oder Mendoza?
rungsbild.
wenn man nicht ein starkes Vergrößerungsglas
Der italienische Einfluss, vor allem aus dem Friaul, der Lombardei nahm, auf den ersten Blick durchaus mit den forschesten Straßenkreuund dem Piamont, aus welch letzterer Region seit Jahrtausenden ge- zern aus Detroit mithalten.
schickte Gold- und Silberschmiede wie auch Kupferhämmerer herEines dieser Exemplare ist erst kürzlich, nach einer grundlegenden
vorgingen, ist bis heute spürbar. Denn diese Tradition scheint sich of- Restaurierung, auf Schnauferl-Ausstellungen aufgetaucht. Der um 1951
fensichtlich nach Argentinien verpflanzt und hier erhalten zu haben, in Mendoza entstandene Wagen nennt sich El Argentino, ist ein Kabdenn argentinische Handwerker sind sprichwörtlich geschickt, anstel- rio und verwundert den Betrachter durch seinen durch und durch nordlig und kunstfertig.
amerikanischen Stil. Die Mechanik ist klassisch, aber die äußere AusSeit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhhunderts hat es bei uns un- führung überrascht durch ihren guten Geschmack für damalige Zeizählige Initiativen gegeben, Autos zu bauen. Es waren zwar einerseits ten.
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Sonnabend, 16. Juli 2011
Ausflüge und Reisen
Der riesige “Obelisk” von Coghlan
Die Römer, diese großen Architekten, verstanden es, die Stadt der Sieben Hügel nicht
nur schön zu gestalten, sondern auch mit dem
unerlässlichen Umweltkomfort auszustatten.
Zu ihren zeitenüberdauernden Taten zählt die
Anlage der Cloaca Maxima, der Sammelkanal
für die anfallenden Abwasser. Bis zum heutigen Tag tragen die gusseisernen Gullydeckel
der Tiber-Metropole als unverwechselbare und
historische Kennzeichnung die vier Buchstaben SPQR, svw. SENATVS POPVLVSQUE
ROMANVS.
Jede menschliche Siedlung, vom abgelegenen Dorf bis zur Millionenmetropole, besitzt
Abwasseranlagen, je bevölkerungsreicher, desto großzügiger angelegt. Buenos Aires natürlich auch. Schon Ende des 19. Jahrhunderts
war die Stadtverwaltung um- und weitsichtig
genug, für eine entsprechende Abwasserbeseitigung zu sorgen. Eine delikate Geschichte,
denn dazu mussten zunächst Stadt und Umgebung topografisch genau vermessen werden.
Federführend bei der Planung dieses Projekts
war der englische Ingenieur John Bateman.
Im Fall des Großraums Buenos Aires wurde ein gemauerter, mehrere Meter weiter Kanal angelegt, der in Tigre beginnt, entlang der
Avenida del Libertador verläuft, bis La Boca
führt und den Riachuelo durch einen U-förmigen Durchlass quert, um schließlich in Berazategui in den Río de la Plata zu münden. In
Wilde befindet sich ein großes Pumpenschöpfwerk nach dem Paternoster-Prinzip. Die Gesamtlänge der Anlage beträgt etwa 52 Kilometer.
Das ist die primäre Abwasserdrainage. Vor
dem 1. Weltkrieg wurde ein zweites Abwässernetz angelegt, das nicht parallel zum Fluss,
sondern etwas mehr “landeinwärts” verläuft,
in der Bundeshauptstadt beispielsweise nahe
der Station Coghlan vorbei.
Nun haben die mit zahlreichen organischen
Stoffen angereicherten Abwässer die Eigenschaft, Gase zu bilden, die unter gewissen Umständen sich entzünden und explodieren, gelegentlich aber sogar die Kanalisation sprenDer riesige Schlot
gen können.
Mitte des 20. Jahrhunderts.
Es musste daher Vorsorge getroffen werden,
dass diese Kanäle Entlüftungskamine besaßen. Wer ein geübtes Auge
dafür hat, kann diese meist gusseisernen Entlüftungsschlote hier und
dort entdecken.
Sie sehen oft aus wie eine Straßenlaterne. Aber es gibt auch massiv gemauerte Abzüge. Der wohl größte von allen befindet sich in
Coghlan, unweit der früheren Textilfabrik Sedalana, wo heute ein
Carrefour funktioniert. Als das Stadtviertel noch weitgehend aus versprengt daliegenden Vororthäuschen und Quintas gebildet wurde, war
dieser mehr als 40 Meter hohe Luftschacht ein von weitem sichtbares Bauwerk, das wie ein Leuchtturm in die Höhe ragte und von der
Bevölkerung “El Obelisco de Coghlan” genannt wurde. Eine fachmännisch hochgezogene Ziegelkonstruktion aus von England importierten Backsteinen. Durch diesen Schlot zogen die entflammbaren
Gase aus der Kanalisation ab. Der Kamin, im hiesigen Fachjargon
Ventileta genannt, liegt in der Washington 2944. Er wurde 1914 gemauert und versieht nach wie vor seinen Dienst. Mittlerweile ragen
in der Umgebung mehrere Wohnblöcke in die Höhe, aber auch so
bietet der Obelisco de Coghlan immer noch einen eindrucksvollen
Anblick. Eine Sehenswürdigkeit eigener Art. Und viele Porteños
ahnen nicht, worum es sich dabei handelt.
Marlú
Der imposante Obelisco de Coghlan.
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Vergessene Gerechtigkeit
Ausstellung zum 17. Jahrestag des AMIA-Attentats im Centro Cultural Recoleta
Von Charlotte Dötig
Detail aus dem Comic "Un juego de niños".
Buenos Aires (AT) - Am 18.07.1994 um 9.53 Uhr wurde das Gebäude der AMIA, des Wohlfahrtsverbands der jüdischen Gemeinde Argentiniens, durch ein Bombenattentat in die Luft gejagt. 85 Menschen
kamen ums Leben und über 350 wurden verletzt, bis heute ist die Tat
ungesühnt. Nun folgt auf den Kampf um Gerechtigkeit der Feldzug
gegen das Vergessen.
“Memoria Ilustrada. Historietas para no olvidar”, die Ausstellung,
die am Donnerstag letzter Woche im Centro Cultural Recoleta eröffnet wurde, ist ein Aufbegehren gegen die Gleichgültigkeit. Den Erinnerungen, die die Betroffenen ihr Leben lang begleiten werden und
die von der Öffentlichkeit viel zu schnell vergessen sind, wird hier
Raum gegeben. Mit einem gewissen Stolz werden die Illustrationen
präsentiert, ein Stolz, der jedoch aus einem Kampf der Verzweiflung
entspringt, den die Studenten der Universät FADU-UBA kämpfen, da
durch ihre persönliche Geschichte, fiktiv oder auch real, die Problematik des nach 17 Jahren immer noch ungeklärten Blutbades und die
unfassbare Brutalität des Anschlags auch für Außenstehende zugänglich wird.
Schonungslos und ungeschönt, wie hässliche Narben, sind die Geschichten, die erzählt, und die Bilder, die gemalt werden. Wie das der
spielenden Kinder, die völlig eingenommen von ihrem Schabernack
in das Geschehen eingetaucht sind. Nur ein Mädchen scheint nicht richtig dazuzugehören, und doch spielt sie ihre Rolle am besten. Sie steht
außen vor, greift in das Treiben nicht ein, denn sie ist irrelevant. Das
Spiel mit dem Namen AMIA-Attentat, das Auto, das Gebäude, der
Täter, die Opfer, alle sind involviert, nur die Gerechtigkeit bleibt ausgeschlossen. Eine Darstellung, die den Betrachter den Schlag versetzt,
der dem des Attentats nicht im Geringsten gleichzusetzen ist und doch
auf einer anderen Ebene widerspiegelt, welch perverse und unmenschenliche Geste das Leben hunderter Menschen zerstört hat.
So sagte Aldo Donzis, Präsident des jüdischen Dachverbandes DAIA
(Delegación de Asociaciones Israelitas Argentinas) in einem Interview:
“Es ist schwer, von Gerechtigkeit zu reden, wenn es keine gibt.”
(“Memoria ilustrada, historietas para no olvidar”.
Centro Cultural Recoleta, Junín 1930. Mo-Fr 14-21, Sa, So und
feiertags 10-21 Uhr. Eintritt frei. 7.7.-31.7.)
PR-Strategie oder soziale Verantwortung?
Ausstellung “Una persona = Un grano de arroz” im Palais de Glace
Buenos Aires (AT/jam) - In China ist ein
Sack Reis umgefallen. In der Hauptstadt Argentiniens sogar mehrere. Und deren Inhalt
befindet sich nun auf dem Boden des Palais
de Glace - aufgeteilt in unterschiedlich große Haufen. Jedes Reiskorn symbolisiert eine
Person, und so werden zu verschiedenen
Themen Statistiken mit Hilfe der Reiskörner dargestellt.
“Wir möchten […] neue Denkweisen fördern, vor allem im Bezug auf Themen wie
Ernährung, Gesundheit und Wohlbefinden”
so Matías Fernández, Geschäftsführer der
Gallo-Markengruppe. Jedoch ist es eher be-
fremdlich, wenn man sich den Reisberg anguckt, der Justin Biebers Twitterfolger zeigt,
oder das kleine Häufchen, welches die Anzahl
der Ehemänner Elizabeth Taylors darstellt.
Schwerer zu verdauen sind hingegen die Millionen Reiskörner bzw. Menschen, die in Südamerika leben und mit weniger als 2 Dollar
pro Tag auskommen müssen oder die zwei
Kinder, die pro Minute an Malaria sterben.
Die Ausstellung, die bereits in 48 Städten
zu sehen war, findet zum ersten Mal in Lateinamerika statt und wird von Arroz Gallo und
der “Fundación Banco de Alimentos” gesponsert. Die eigentliche Idee stammt von der bri-
tischen Künstlergruppe Stan’s Café. Aus diesem Grund stehen wohl auch steif gekleidete Engländer mit ockerfarbenen Mänteln hinter einem Tisch mit großen und kleinen Waagen. Denn auch die Besucher können Vorschläge für Statistiken machen, die dann
umgesetzt werden.
Ein schmaler Grat zwischen raffinierter
PR-Arbeit und dem Hinweisen auf soziale
Problematiken.
Die Ausstellung “Una persona = Un grano de arroz” findet noch bis einschließlich
morgen, 17.7., statt (Palais de Glace, Posadas 1725, 12-20 Uhr, Eintritt frei).
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Start für Tecnópolis
Buenos Aires (AT/mc) - Es ist eine Schau der Superlative und ein
Muss für alle technisch Interessierten: Die Technik-Ausstellung
“Tecnópolis”, die seit Donnerstag ihre Tore geöffnet hat. Fünf Wochen lang haben Besucher Gelegenheit, das 50 Hektar große Areal
auf dem ehemaligen Militärgelände Batallón 601 in Villa Martelli
zu erkunden. Gegliedert ist “Tecnópolis” in die fünf Themeneinheiten: Erde, Wasser, Luft, Feuer und Vorstellungskraft. Zu den Highlights gehört ohne Frage der Ausstellungskomplex zum Thema Luft:
Dort ist eine 18 Meter hohe Pyramide sowie die Rakete “Tronador
II” zu sehen, das erste komplett in Argentinien entwickelte Raumfahrtvehikel. Im Bereich “Wasser” sorgt ein Simulator für antarktische Temperaturen (minus 7 Grad). Weitere Attraktionen sind ein
Atom-Simulator (Bereich “Feuer”) sowie die Roboter im Themenpark “Vorstellungskraft”.Tecnópolis ist dienstags bis sonntags von
12 bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Die Ausstellung befindet
sich an der Straße “General Paz” (zwischen “Constituyentes” und
“Balbín”).
LATEINAMERIKANISCHE WIRTSCHAFT
Die chilenische Regierung hat einen Ausbildungsfonds geschaffen, der mit u$s 4 Mrd. ausgestattet wird, um das Schulsystem
auszubauen und zu verbessern. Diese Summe entspricht 2% des
chilenischen Bruttosozialprodukt. Die Regierung ist sich über die Bedeutung einer qualitativ guten Erziehung für das Wachstum und die
Konkurrenzfähigkeit des Landes bewusst.
***
In Brasilien wurden im Juni 286912 Pkw und Leichttransporter, darunter auch Geländelimousinen (SUVs), verkauft, 15,9%
über dem gleichen Vorjahresmonat.
***
Telecom Italia übernahm für 700 Mio E den brasilianischen
Glasfaserhersteller AES Atimus. Der fünftgrösste europäische Telekommunikationsanbieter bekräftigt somit seine Absicht, weiter auf
dem lateinamerikanischem Markt zu wachsen. AES Aatimus ist ein
Tochterunternehmen der US-AES Corp, und verfügt über einen Netz
von 5500 Kilometer Glasfaser in Rio de Janeiro und Sao Paulo. Hauptaktionär von Telecom Italia ist Telco. Telecom Italia ist der grösste
Aktionär von Telecom Argentina.
***
Brasilien hat in der vergangenen Woche u$s 500 Mio. Schulden über eine Anleiheemission mit Fälligkeit im Januar 2021 zu
einem Zinssatz von 4,1888 % aufgenommen. Es handelt sich dabei
um den niedrigsten Zinssatz in der Geschichte Brasiliens.
***
Brasilianische Textilunternehmer beschweren sich darüber,
dass die argentinischen Zollbehörden ihre Ware länger als gemäss WHO-Normen an der Grenze festhalten, trotz der im letzten Juni getroffenen Vereinbarung zwischen beiden Ländern. Die
Vereinbarung sieht vor, dass die von der WHO vorgesehenen Einfuhrfristen von 60 Tagen respektiert werden. Der brasilianische Verband der Textilunternehmer bedauerte, dass die Lage weiterhin „sehr
kritisch“ sei. Der Exekutivdirektor der brasilianischen Schuhhersteller, Heitor Klein, beschwerte sich darüber, dass Schuhware an der
argentinischen Grenze zum Teil seit März blockiert wird.
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Die brasilianische Fluggesellschaft Gol übernimmt die Billigfluglinie WebJet für insgesamt u$s 61 Mio. WebJet, der zweite brasilianische Billigflieger, wurde mit ca. u$s 198,5 Mio bewertet. Nach
dieser Übernahme hat Gol ihren Marktanteil von 36% auf 41% gesteigert, bleibt aber hinter ihrem Konkurrenten TAM, die den Luftfahrtmarkt mit 44,52% führt.
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Brasiliens Regierung hat nach dem Ausbleiben von Bieterangeboten für den ersten Hochgeschwindigkeitszug des Landes die Ausschreibungsmodalitäten am Dienstag geändert. Das Vergabeverfahren für das umgerechnet mindestens u$s 20 Mrd. teure «Trem-Bala»Projekt soll aufgeteilt werden. Zunächst werde die Konzession für Technologie und Betrieb vergeben und erst danach über das Konsortium
zum Bau der Strecke entschieden. Bislang umfasste die Ausschreibung
beide Teile, was offenbar problematisch war. Am Montag verstrich eine
Bieterfrist, ohne dass auch nur ein Angebot abgegeben wurde. Die Ausschreibung für die Technologie und den künftigen Betreiber der 511
Kilometer langen Strecke zwischen Campinas (bei Sao Paulo) und Rio
de Janeiro soll noch in diesem Jahr, die für den Trassenbau dann 2012
abgeschlossen werden. Das Problem lag auf Unternehmensseite. «Die
Firmen, die über die Technologie verfügen, haben es nicht geschafft,
Allianzen mit den nationalen Bau-Unternehmen zu bilden.» (dpa)
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Das staatliche venezolianisches Erdölunternehmen PDVSA
zahlte u$s 2,45 Mrd. für Bonds mit Fälligkeit in diesem Jahr zurück. Die Verschuldung sank somit auf u$s 29,5 Mrd. Die hohe Schuld
ist auffallend, da PDVSA über üppige Erdölllager in geringere Tiefe
verfügt und vorwiegend den US-Markt versorgt, so dass Förderungsund Transportkosten gering sind, und somit beim hohen Erdölpreis
der letzten Jahre Riesengewinne hätten erzielt werden sollen, die eine
Eigenfinanzierung ermöglicht hätten.
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Für dieses Jahr erhöhte die Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) ihre Wachstumsprognose von 4,2% auf 4,7%. 2012
geht das Tempo zurück; erwartet wird ein Wachstum von 4,1%.
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Sonnabend, 16. Juli 2011
Das brasilianische Kartellamt Cade hat die Fusion der Lebensmittelfirmen Sadia und Perdigao zugestimmt, die jetzt das Unternehmen BRF Brasil Foods gründen dürfen. Dadurch entsteht
der grösste brasilianische Lebensmittelverarbeiter.
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Die kubanischen Behörden versuchen die explosive Vermehrung von privaten Klein- und Kleinstgeschäften zu ordnen.
Bislang seien 313.000 Genehmigungen erteilt worden. Diese neue
Geschäftsleute, die auf eigene Rechnung arbeiten, bauen ihre Existenz zum Teil in öffentlichen Plätzen auf, wobei sie ganz auf Hygienevorschriften verzichten. Die Behörden werden in Zukunft Kriterien erarbeiten, um die Qualität der von Privatpersonen hergestellten
Waren und Dienstleistungen zu kontrollieren. Auf alle Fälle war diese minimale Liberalisierung der kubanischen Wirtschaft, die im Vorjahr verfügt worden ist, sehr erfolgreich. Die Kubaner haben eine
enorme zurückgestaute Initiative an den Tag gebracht.
ARGENTINISCHE WIRTSCHAFT
Der Dollarkurs schloss am Donnerstag bei $ 4,25, ohne Veränderung gegenüber der Vorwoche und um 3,49% über Ende
Dezember 2010. Die ZB hat Dollar auf dem Markt gekauft, um
den Kurs zu stützen, so dass die Währungsreserven auf u$s 51,92
Mrd. stiegen, fast u$s 900 Mio. über der Vorwoche. Auf dem informellen Markt wurde der Dollar zu $ 4,285 gehandelt. Der Terminkurs zum 30.9.11 lag bei $ 4,2060, zum 30.12.11 bei $ 4,326, zum
31.3.12 bei $ 4,485 und zum 30.6.12 bei $ 4,61. Dieser letzte Terminkurs entspricht einem Jahreszinssatz von 12,29%.
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Der Merval-Aktienindex der Börse von Buenos Aires verzeichnet in einer Woche zum Donnerstag einen Rückgang von
5,30% und liegt somit um 6,28% unter Ende 2010.
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Die Staatspapiere standen in einer Woche zum Donnerstag
deutlich im Zeichen der Baisse. Par-Bonds in Pesos fielen in einer Woche um 1,57% (und um 21,23% ab Ende 2010), DiscountBonds in Pesos sanken um 2,45% (bzw.-20,16%), Boden 2014 fielen um 0,32% (bzw. +1,88%), Boden 2012 blieben unverändert
(und stiegen im Jahr um 2,71%) und Boden 2013 fielen um 1,04%
(bzw. +2,42%)
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Der Notenumlauf in Händen des Publikums lag zum 1.7.11
bei $ 171,62 Mrd., ohne Veränderung gegenüber der Vorwoche
und um 36,02% über Ende 2010.
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Gold wurde in Buenos Aires (Banco Ciudad) bei 18 Karat
letzte Woche zu $ 138,57 je Gramm gehandelt (gegen $ 133,30
in der Vorwoche), und bei 24 Karat zu $ 217,70. ($ 204,80).
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Der Index der Konsumentenpreise des Statistischen Amtes
(INDEC) stieg im Juni um nur 0,7% (weniger als halb so viel
wie die privaten Berechnungen) und weist eine interanuelle
Zunahme von 9,7% aus. Der Index der Grossistenpreise stieg im
Juni um 0,9% und gegenüber Juni 2010 um 12,3%, und der Index
der Baukosten sank im Juni um 0,76%, bei einem interanuellen
Plus von 16,7%.
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Die eigenen Steuereinnahmen der Provinz Buenos Aires erreichten im Juni einen Rekord von $ 3,01 Mrd., 43% mehr als
im gleichen Vorjahresmonat. Die Bruttoumsatzsteuer ergab mit
$ 2,36 Mrd. auch 43% mehr als im Vorjahr, und die Stempelsteuer
brachte $ 264,1 Mio., 74% mehr als im gleichen Zeitraum im Vorjahr. Über die PKW-Steuer sowie der Steuer für Jachten und Motorboote sind $ 90,5 Mio. eingenommen worden, ein Plus von
49% im Vergleich zum Juni 2010. Die Immobiliensteuer ergab $
167,9 Mio., 25% mehr als im Vorjahr. Über die Zahlung von Moratorien sind 19% mehr als 2010 eingenommen worden. Der Gesamtbetrag lag bei $ 118,6 Mio. Das gesamte Steueraufkommen
lag im 1. Halbjahr 2011 mit $ 16,29 Mrd. um 34% über dem Vorjahr.
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Die Rohstahlproduktion lag im Juni mit 470.000 t um 5,2%
unter Mai, berichtet der Verband der Stahlindustrie. Doch im
1. Halbjahr wurden 2,71 Mio. t erreicht, 10,8% über dem Vorjahr.
Die Kammer berichtet, dass die Industrie ab 2003 u$s 2 Mrd. investiert hat, um die Anlagen zu erweitern und zu modernisieren.
Für dieses Jahr seien Investitionen in Höhe von u$s 310 Mio. vorgesehen, von denen u$s 180 Mio. auf das Stahlwerk Siderar entfallen, das zur Ternium-Gruppe des Techint-Konzerns gehôrt.
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Die Rindfleischproduktion lag im Mai mit 197.000 t um 6,1%
unter dem gleichen Vorjahresmonat, berichtet der Verband der
Fleischindustrie Ciccra. In den ersten 5 Monaten 2011 lag die
Produktion mit fast 1 Mio. t um 8,7% unter dem Vorjahr.
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Ein nicht konventioneller Ölfund (shale oil) wird vom Erdölunternehmen YPF aus Bajada de Añelo, in der Provinz Neuquén, angekündigt. Die Ölquelle soll die Reserven um 10 bis 50
Mio. Barrell anheben. Es ist das erste Mal dass „shale oil“ aussserhalb von Loma La Lata gefunden wurde, sagte der Geschäftsführer
von YPF, Sebastián Eskenazi. Die effektive Ausbeutung von Lagern dieser Art ist jedoch technologisch komplex und mit hohen
Investitionen verbunden.
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Das US-Erdölunternehmen Apache hat eine horizontale Bohrung in Neuquén zwecks Ausbeutung eines nicht konventionellen Gasvorkommens (shale gas) erfolgreich beendet. Die Investition betrug u$s 24 Mio., und die Arbeiten beanspruchten 6 Monate. Apache ist in Argentinien in Tierra del Fuego, Neuquén, Rio
Negro und Mendoza tätig.
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Erfolgreich hat Argentinien den Druck des Direktoriums des
Internationalen Währungsfonds am Mittwoch abwenden können, der Sanktionen gegen das Land forderte, weil bislang keine Fortschritte in der Revision von Preis- sowie Wachstumsstatistiken erzielt wurden. Argentinien hatte im November dahingehend eine Vereinbarung unterzeichnet. Jetzt erreichte Argentinien eine Verlängerung um 180 Tage, um die gewünschte Information vorzulegen. Der IWF will vermeiden, dass ein Konflikt in
einer Wahlperiode aufkommt.
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Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner übergab am
Mittwoch 97 Zertifikate über bewilligte Finanzierungsprogramme im Rahmen des sogenannten „Bicentenario-Planes“ zu
einem festen Zinssatz von 9,9%, zahlbar in fünf Jahren und
mit einem Jahr Karenzfrist. Mit 60 solcher Programme wurden
klein und mittlere Unternehmen begünstigt, die insgesamt weiche
Kredite für $ 325 Mio. erhalten. Die weiteren Kredite über $ 1,605
Mrd. wurden an Grossunternehmen vergeben, darunter PeugeotCitroen, Pirelli und die mexikanische Firma Mabe.
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Einen Plus von innerjährlich 3,5% erreichten im Juni die
Verkäufe von Haushaltsgeräte, berechnete die Beraterfirma
Sonnabend, 16. Juli 2011
Tendencias Económicas. Besonders gefragt waren dabei Fernsehgeräte, Computer und Klimaanlagen, ebenfalls elektrische Heizgeräte.
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Der Inmobilienmarkt hat sich erholt, nachdem die Nachfrage
in den letzten zwei Monaten zurückgegangen war. Die Notare registrierten 5515 Immobilienübertragungen in der Bundeshauptstadt,
ein Plus von 6,8% im Vergleich zum gleichen Vojahresmonats.
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51% der argentinischen Unternehmen hat Schwierigkeiten, geeignetes Personal für Schlüsselpositionen zu finden. Das geht aus
einer Befragung der Beratungsfirma Manpower unter 800 Unternehmen hervor. Argentinien zählt zu der Ländergruppe mit grosser Personalknappheit. Besonders gesucht werden hier von den Firmen Techniker und Sekretärinnen, sowie Ingenieure. Die meisten Unternehmer bemängeln dass die Bewerber über keine akademische Ausbildung verfügen. Bei vielen fehlt die Berufserfahrung, und 20%
der befragten Unternehmer sagten, dass 20% der Kandidaten sich gar
nicht auf das Bewerbungsgespräch vorgestellt hätte.
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Das Staatssekretariat für den Binnenhandel wird neue Zollpositionen schaffen. Damit soll verhindert werden, dass verschiedene Produkte unter ein und der gleichen Nomenklatur aufgenommen
werden. Man werde die Positionen diversifizieren, hiess es aus dem
Sekretariat. In Argentinien gibt es ungefähr 1000 Zollpositionen. Mit
dieser Massnahme sollen Schwierigkeiten vermieden werden, die sich
aus der Einstufung grundsätzlich verschiedener Produkte in einer gleichen Sammelposition entstehen.
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Die Importe von Landwirtschaftsmaschinen erreichten in den
erste 5 Monaten 2011 u$s 573,6 Mio. In diesem Zeitraum wuchsen
die Einfuhren um 56%, berichtet die Beratungsfirma Investigaciones
Económicas Sectoriales (IES). Per Saldo wuchs die Summe in dieser
Zeit um u$s 205,8 Mio. Bei den Traktoren ging die Zahl der Importe
um 37,1% herauf. Die Exporte von Landwirtschaftsmaschinerie erreichten im gleichen Zeitraum einen Wert von u$s 118,3 Mio. und
fielen somit innerjährlich um 4,3% im Vergleich zu den erreichten
u$s 123,6 Mio. während der ersten fünf Monaten von 2010.
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Nach den Schätzungen von Beratungsfirmen, die von einer
Gruppe von Oppositionsabgeordneten mit der Inflationsmessung
beauftragt worden waren, erreichte die Zunahme des Indices der
Konsumentenpreise im Juni 1,52%. Die Abgeordneten erhielten
gleichzeitig die Berechnungsgrundlagen für dieses Ergebnis von Händen der Wirtschaftler. Binnenhandelssekretär G. Moreno hat diesen
Firmen verboten, ihre Preisindices bekanntzugeben und Prozesse gegen sie eingeleitet, die überhaupt keine juristische Grundlage haben,
jedoch für die Betroffenen lästig sind; er kann sie jedoch nicht hindern, im Auftrag parlamentarischer Gruppen zu handeln. In den letzten viereinhalb Jahren, seit die Fälschung des INDEC-Indices einsetzte, verzeichnet der offizielle Index der Konsumentenpreise eine
Zunahme von nur 44,4%, der Durchschnitt der Indices von neun Provinzen hingegen eine von 129,4% und der von sechs privaten Consultig-Firmen eine von 130,3%.
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Der Staat liefert billige Milchprodukte sowie billiges Schweinefleisch im Rahmen des neugeschaffenen Programms „Lácteos
para todos“ und „Cerdo para Todos“. Die Preise sollen bis zu 50%
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billiger sein, aber das Programm erreicht nicht einmal 1% des Tagesverbrauchs von beiden Produkten. In der Praxis weiss kaum jemand,
wo er diese billigeren Produkte beziehen soll.
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Im Juni sind 51.502 Motorräder in das zuständige Register
eingetragen worden, 19% mehr als im gleichen Monat 2010, teilte der Agenturenverband ACARA mit. In der ersten sechs Monaten sind 357.428 Einheiten verkauft worden, ein innerjährliches Plus
von 51%.
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Die Firmen Sadesa, Endesa und Duke legten ein Bauprojekt
für ein Wärmekraftwerk von 800 MW in der Provinz Santa Fe
vor. Die Kosten in Höhe von $ 2,4 Mrd sollen aus dem nationalen
Schatzamt finanziert werden, und zwar aus dem Treuhandfonds der
den privaten Strombetreibern dazu dient, die Staatsschulden in neue
Investitionen umzuwandeln. Eigens für dieses Vorhaben wurde die
Gesellschaft „Central Vuelta de Obligado S.A.“ gegründet, bestehend
aus folgenden Firmen: Sadesa, das Unternehmen von Carlos Miguens
und Betreiberin der Kraftwerke Central Puerto (Buenos Aires) sowie
Piedra del Aguila (Neuquén). Sadesa besitzt 56% des Konzerns. Die
Gruppe Endesa betreibt die Kraftwerke Costanera, Dock Sud (Bundeshauptstadt) sowie El Chocón, und nimmt an dieser Gesellschaft
mit 41% teil. Die US-Firma Duke betreibt die Wasserkraftanlage
Cerros Colorados sowie das Heizkraftwerk Alto Valle. Duke nimmt
an „Central Vuelta Obligado S.A.“ mit 3% teil. Die Regierung hat
vor Jahren schon ein eigenartiges System geschaffen, durch das sie
die Betreiber von Kraftwerken faktisch zwingt, die Beträge, die ihnen als Subventionen zustehen, in neue Kraftwerke zu investieren.
Auf diese Weise wurden schon die zwei Siemens-Kraftwerke (Timbúes und Campana) finanziert. Die Frage ist, wie die Unternehmen
ohne dieses Geld auskommen, das Arbeitskapital darstellt.
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In den letzten Wochen gelingt es der ZB nicht, den Betrag der
fälligen Wechsel (Lebac und Nobac) durch Ausgabe von neuen
zu ersetzen. Am 5. Juli wurden Wechsel für $ 1,88 Mrd. ausgeschrieben, aber die Offerten lagen bei $ 715 Mio. Obwohl alle Angebote
zugeteilt wurden, verblieb ein Fehlbetrag von $ 1,16 Mrd. Am 12.
Juli wurden Wechsel für $ 1,76 Mrd. ausgeschrieben, jedoch nur für
$ 1,32 Mrd. untergebracht, so dass ein Fehlbetrag von $ 564 Mio.
verblieb. Die ZB kann somit offensichtlich die monetäre Expansion
nicht mehr durch Ausgaben von Wechseln neutralisieren, was das
monetäre Programm in Frage stellt. Die Banken sind weniger liquid
und haben das Kreditgeschäft in letzter Zeit ausgedehnt, das rentabler ist. Die interanuelle Zunahme der Kredite an die Privatwirtschaft
liegt zum 30. Juni bei 42%.
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Die Industrieproduktion lag im Mai 2001 um 9,6% über dem
Vorjahr und 2 Prozentpunkte über der Aprilzunahme, hat das
Studienzentrum des Industrieverbandes „Unión Industrial Argentina“ ermittelt.
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Der Bauindex Construya, der von privaten Lieferanten von
Baumaterialien auf Grund ihrer Lieferungen berechnet wird, verzeichnet im Juni eine interanuelle Zunahme von 6,4%, wobei das
1. Halbjahr um 10% über dem Vorjahr liegt. Die Zunahme ist
vornehmlich auf private Wohnungsbauten, sowie Verbesserungen bestehender Wohungen zurückzuführen.
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Sonnabend, 16. Juli 2011
Geschäftsnachrichten
Dow Agrosciences
Siemens
Dieses US-amerikanisches Unternehmen beendete eine Investition in Höhe von u$s 4 Mio. für die Erweiterung einer Saatgutaufbereitungsanlage in Venado Tuerto sowie für die Modernisierung des
eigenen Forschungs- und Entwicklungszentrums in Colón.
Die argentinische Filiale des deutschen Konzerns Siemens zieht
von der Innenstadt nach Munro, in Vicente López, und verkauft seine bisherige Zentrale auf der Diagonal Norte für angeblich u$s 9,5
Mio. Siemens bezieht als Mieter ein Gebäude mit einem komplett
neuem Konzept, viel moderner und mit besseren Bedingungen für
die Mitarbeiter. Dorthin werden auch die Siemens Angestellten pendeln, die bislang an einem anderen Standort arbeiten, nämlich an der
Überland-strasse 8. Der Umzug beginnt in den nächsten Tagen und
dauert zirka einen Monat.
Riva
Dieses Bauunternehmen eröffnet im kommenden Monat den neuen Bahnhof für Fernomnibusse in Cór-doba Stadt. Die Arbeiten begannen vor etwas mehr als einem Jahr und kosteten insgesamt $ 80
Mio. Das Gebäude, gegenüber vom alten Terminal, besteht aus 52
Plattformen sowie eine flughafenähnliche Halle mit 2 Restaurants,
25 Geschäften und eine Filiale der Banco de Córdoba. Im Untergeschoss befindet sich ein Parkplatz für 250 Autos.
Ferrosur Roca
Diese Eisenbahnlinie hat den Containerdienst zwischen Bahía
Blanca und dem Hafen von Buenos Aires wieder aufgenommen. Diese
Woche kamen die ersten 30 Containerwaggons aus Bahía Blanca an.
Vorgesehen sei um die 40.000 Container über die Schiene zu transportieren, was eine wesentliche Erleichterung für den Verkehr um
Puerto Madero mit sich bringen wird. Die Contanier sollen direkt
von der Eisenbahn in die Schiffe verladen werden. Das Investitionsvolumen für dieses Projekt lag bei $ 15 Mio.
La Nueva Metropol
Die Linie Plus 194 verkehrt jetzt mit insgesamt 60 neuen Busse
alle 2 Minuten zwischen Puente Saavedra und Once über Hauptstrassen wie Cabildo, Santa Fe und Pueyrredón in nur 50 Minuten.
Die Gruppe La Nueva Metropol investierte in die neue Buslinie
insgesamt $ 60 Mio. Der gleichen Gruppe gehören Chevalier Metropolitana, Costera Metropolitana und Expreso Singer.
Kodak
Dieses Unternehmen investierte $12 Mio. für die Herstellung der
ersten digitalen Fotokameras in Feuerland. Vorgesehen sei im ersten
Jahr bis zu 228.000 Geräte, gemeinsam mit dem Partner Newsan zu
produzieren. Das Vorhaben schafft etwa hundert Arbeitzplätze.
YPF
CCU
Institutionelle Investoren kauften am Dienstag über die Börse von
Buenos Aires 0,5% des Aktienkapitals von YPF aus den Beständen
des spanischen Erdölunternehmens Repsol für u$s 82,3 Mio. Repsol
behält jetzt 57,7% des gesamten Aktienpakets während die Petersen
Gruppe von Enrique Ezkenazi im Besitz von 25,4% ist. Die spanische Muttergesellschaft will nur 51% des Aktienkapitals besitzen
um das Engagement in Argentinien zu verringern.
Diese Gruppe erwarb für $ 2 Mio. die Rechte, um die Biermarke
„Imperial“ erneut unter diesem Namen auf dem argentinischen Markt
zu bringen, nachdem die Brauerei Quilmes sich Verpflichten musste, den Namen „Imperial“ als Vorbedingung für ihre Fusion mit der
brasilianischen Brauerei Brahma abzutreten. CCU ist die zweitgrösste
Brauerei auf dem argentinischen Biermarkt, und führend in den Provinzen Salta und Santa Fe.
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Sonnabend, 16. Juli 2011
Metrogas: Schuldenabschlag
von 55% und Übernahme durch YPF
Die Gläubiger von Metrogas, die vor über einem Jahr einen gerichtlichen Vergleich beantragt hat, erhielten schliesslich einen Zahlungsvorschlag. Dieser sieht die Ausgabe von Schuldverschreibungen in Dollar über einer Laufzeit von 14 Jahren vor, mit einem Abschlag von 55% des Schuldenbetrages. Metrogas, der grösste lateinamerikanische Gasvertreiber, der in Argentinien einen Teil des
Gasnetzes der Bundeshauptstadt und Umgebung bedient, hatte ursprünglich bis März 2012 Zeit, um seine Schulden in Höhe von u$s
250 Mio. umzuschichten.
Doch im Juli hat Metrogas unerwartet seine Pläne geändert, nachdem YPF ein Angebot für die in britischer Hand befindlichen Aktien von Gas Argentino (GASA) unterbreitete, das Holding, das
Metrogas beherrscht. Diese Kaufoption ist bis zum 5. Oktober befristet und an einer erfolgreichen Beendigung des Vergleichsverfahrens von Metrogas geknüpft. Die neuen Schuldverschreibungen werden zwischen den Jahren 3 und 13 mit 1% jährlich getilgt, die Restschuld (89%) zum Ablauf bezahlt, und die jährliche Zinsrate liegt
bei 4%. Es ist nicht bekannt, ob British Gas, als Mehrheitsaktionär
Garantien für die Verschuldung von Metrogas gestellt hat. In diesem
Fall müsste BG und nicht die Gläubigerbanken den Verlust tragen.
Dieses Thema könnte noch Schwierigkeiten mit sich bringen
70% des Aktienkapitals von Metrogas befindet sich in Händen
von GASA, 8,3% entfällt auf die ANSeS, 11,7% wurde über die Börse
bei Minderheitsaktionären verstreut und 10% entfallen auf die Belegschaft, die dieses Aktiengeschenk bei der Privatisierung erhielt,
die in den 90er Jahren erfolgte. Metrogas ging aus der staatlichen
Gas del Estado hervor, die in verschiedene Unternehmen gespalten
wurde. YPF besizt schon 48,33% an GASA und beabsichtigt, die
fehlenden 54,67% zu kaufen, die sich in Händen von British Gas
befinden. Der Kaufbetrag wurde bisher nicht bekanntgegeben.
Metrogas ist in Konkurs geraten, weil die Regierung den Konzessionsvertrag nicht eingehalten hat (der durch ein Gesetz garantiert
wurde) und die Tarife 2002 einseitig von Dollar in Pesowerte, zum
Kurs von eins zu eins umgewandelt hat. Es handelt sich hier um einen Zusatzdefault, der offiziell nicht als solcher erkannt wird. Danach
wurden nur mässige Tariferhöhungen zugelassen, die die Amortisation der Schulden nicht erlaubten, wobei das Unternehmen auch von
neuen Krediten ausländischer Banken ausgeschlossen war, da es
keinerlei Zahlungssicherheit bieten konnte, wobei noch das Landesrisiko hinzukam. Seit Anfang 2002 besteht keine Rahmenordnung
für die Gasverteilung, auch nicht für die Gasförderung und den Ferntransport. Es steht somit fest, dass Metrogas von der Regierung in
den Konkurs getrieben wurde.
YPF wird gegenwärtig von der Familie Eskenazi beherrscht, die
über ihren Petersen-Konzern 25% des Kapitals übernommen hat, bei
Zahlung des Kaufbetrages in Raten, mit den Bardividenden, zu denen sich YPF verpflichtet hat. Es war ein Geschenk. Vater Enrique
Eskenazi (84) ist Vizepräsident und Sohn Sebastián Geschäftsführer, was zeigt, dass der Eskenazi-Einfluss beim Unternehmen weiter
über die Kapitalbeteiligung hinausgeht.
Metrogas ist als Unternehmen bei den bestehenden Tarifen, die
ständig hinter den Kosten zurückbleiben, kein interessantes Objekt.
Wenn die Regierung jedoch das Tarifproblem löst, kann das Unternehmen wieder rentabel und auch finanziell lebensfähig werden, da
es sich vom technischen Standpunkt gesehen, um ein gesundes Objekt handelt. Dies hängt von einer einfachen Regierungsentscheidung
ab, die in Wirklichkeit längst fällig ist, jedoch nicht getroffen wird,
um Druck auf British Gas auszuüben, damit diese Firma zu einem
Schleuderpreis verkauft. Es handelt sich hier um ein weiteres Vordringen des „Freundenkapitalismus“ der Kirchner-Regierung, die sich
über Freunde weitere Unternehmen zu günstigen Bedingungen aneignet, wobei davon ausgegangen wird, dass die Eskenazis nur Strohmänner sind. Sonst erklärt sich das grosszügige Geschenk von 25%
(das gut u$s 3 Mrd. darstellt) von Repsol nicht.
Ausdehnung des kompensierten Handelsaustausches
Die Importeure von Textilien, Möbeln,
Besteck und Elektronikartikel sind von
Binnehandelsekretär Guillermo Moreno
unter Druck gesetzt worden, damit sie Exportpläne für den Gegenwert ihrer Importe
vorlegen. Diese Forderung hat keine legale
Grundlage, verletzt die WHO-Ordnung und
zum Teil auch die Mercosur-Regelung, wird
jedoch faktisch dadurch erzwungen, dass
sonst die Importe mit sogenannten „nicht
automatischen Lizenzen“ verhindert und
nur zugelassen werden, wenn die Verpflichtung gegenüber dem Industrieministerium
vorliegt, bestimmte Waren in bestimmten
Mengen und Fristen zu exportieren. Wie
dies konkret gehandhabt und kontrolliert
wird, wurde bsher nicht erklärt.
Auf diese Weise soll das Defizit der Handelsbilanz von Industrieprodukten reduziert
werden, das 2010 u$s 28 Mrd. erreichte. Von
dieser Summe entfallen u$s 3 Mrd. auf die
jetzt aufgeführten Bereiche. Dabei ragen die
Elektronikartikel heraus. Bei den Textilien
erreichte das Defizit 2010 insgesamt u$s 1,37
Mrd. Seit drei Wochen führen die Industrieministerin Debora Giorgi und ihr Staatssekretär Eduardo Bianchi Gespräche mit den Importeuren dieser Branchen. Die Vereinbarungen werden einzeln und nicht sektoriell mit
den Unternehmen getroffen.
Mit der Kfz- sowie der Spielwarenindustrie hat Binnenhandelssekretär Moreno schon
vorher konkrete Ergebnisse errreichen können. Bei Luxusautomobilen wurden die Importeure gezwungen, Exportprogramme vorzulegen, die sich in einzelnen Fällen jedoch
auf andere Produkte bezogen, die von lokalen Unternehmen erzeugt werden, die mit den
Automobilimporteuren verbunden sind. Abgesehen davon wurde schon vorher erreicht,
dass die lokalen Kfz-Fabrikanten sich verpflichteten, den Anteil lokal gefertigter Zubehörteile zu erhöhen und Importe auf diesem Gebiet mit Exporten auszugleichen.
Der kompensierte Austausch wurde schon
vor über 30 Jahren bei der Fahrzeugindus-
trie eingeführt, um den Unternehmen, die
Fabriken in Argentinien und Brasilien betreiben, zu erlauben, die Produktion an den
einzelnen Standorten auf weniger Modelle
zu konzentrieren und auf diese Weise Kosten senken zu können. Das ist jedoch etwas
grundsätzlich ganz anderes, als die jetzt eingeleitete Politk eines verwalteten Aussenhandels von Industrieprodukten, die im
Endeffekt den Import hemmt und die Konkurrenz auf dem Binnenmarkt verringert.
In einem Land mit einem gesamthaft hohen strukturellen Überschuss der Handelsbilanz, der vornehmlich auf hohen Ernten
und ebenfalls hohen Preisen für Getreide
und Ölsaat beruht, erschent diese Politik
des Ausgleichs des Handelsaustausches für
bestimmte Industrieprodukte völlig irrational. Argentinien muss, im Gegenteil, versuchen, mehr zu importieren, um den Überschuss zu verringern, der ein grosses monetäres Problem schafft, das ohne Kapitalflucht schlimme inflationäre Folgen hätte.
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Sonnabend, 16. Juli 2011
WIRTSCHAFTSÜBERSICHT
Wirtschaft im Schatten der Wahlen
Die kommenden Präsidialwahlen stellen eine grundsatzliche Entscheidung dar: siegt Cristina Kirchner, dann soll der gegenwärtige wirtschaftspolitische Kurs „vertieft“ werden. Siegt hingegen Ricardo Alfonsín oder Eduardo Duhalde, soll es wesentliche Korrekturen geben.
In beiden Fällen wird jedoch die gegebene Lage als Ausgangspunkt
genommen werden, und wenn die gute internationale CommodityKonjunktur andauert und es zumindest normal regnet, dürfte die argentinische Wirtschaft so oder so weiter wachsen. Die politische Diskussion dreht sich jetzt in dieser Beziehung nur darum, ob das Wachstum Verdienst con Cristina Kirchner ist oder durch objektive Umstände verursacht wurde, die unabhängig von der Regierungstätigkeit sind.
Argentinien erlebt gegenwärtig günstige Bedingungen, wie man sie
in hundert Jahren nicht erinnert. Nicht nur, dass die Preise der Exportcommodities allgemein anormal hoch sind; sie dürften auf alle Fälle
hoch bleiben, weil die Nachfrage in China und Indien stark steigt, auch
in anderen Ländern der Gegend. Und dies macht insgesamt etwa ein
Drittel der Weltbevölkerung aus.
Abgesehen davon schreitet die technologische Revolution in der
argentinischen Landwirtschaft weiter voran. Die fortgeschrittenen
Landwirte führen neue Technologie ein, und die anderen ahmen sie
mit einer gewissen Verspätung nach. Beides wirkt auf die Produktion.
Genetisch verändertes Saatgut, direkte Aussaat, Präzisionsdüngung auf
der Grundlage von Bodenanalysen, Einsatz neuer Chemikalien (wie
seinerzeit das Glifosat), und neue effizientere Landmaschinen, all das
verheisst zunehmende Ernten und auch mehr Produktion von Rindfleisch, Milch u.a. landwirtschaftlichen Produkten.
Hinzu kommt noch der ständige Fortschritt beim Einsatz der Computertechnologie, die zu einem Effizienzfortschritt auf breiter Ebene
führt, der als erstklassiger Wachstumsmotor wirkt. Die Kehrseite der
Medaille besteht darin, dass diese Technologie arbeitssparend wirkt,
so dass die Beschäftigung viel weniger als das BIP zunimmt, was neue
Anforderungen an die Arbeits- und Sozialpolitik stellt. Argentinien hat
eine intelligente Bevölkerung, wie kaum ein anderes Schwellenland,
was erlaubt, die neue Technologie sofort aufzunehmen, etwa wie ein
trockener Schwamm das Wasser. Dass etwa die Hälfte der Bevölkerung Internet verwendet, ein Koeffizient, der nicht weit unter dem der
Industriestaaten liegen dürfte, besagt etwas. Selbst Menschen mit einer geringen Schulausbildung erlernern die Verwendung von Computern und Internet sehr schnell.
Wenn die Nationalregierung, auch lokale Regierungen, wie die der
Stadt Buenos Aires und San Luis, Computer (Netbooks) an Schüler
verteilen, dann kann man eine starke Wirkung auf das Erziehungsniveau erwarten, mit einer weiteren Fortschrittswirkung. Der Computer
allein bedeutet keine umfassende Verbesserung der Erziehung, aber er
trägt wesentlich zu dieser bei. Es wird jedoch eine qualitativ andere
Erziehung sein, der sich die Lehrer werden anpassen müssen. Auch
die Eltern, für die sich oft das Problem der Henne stellt, die Eier einer
Ente brütet, bis dann die kleinen Entchen zum Ensetzten der Henne
schwimmen gehen. Wir erleben den Übergang zu einer anderen Welt,
und es fällt uns, besonders den älteren Generationen, schwer, zu verstehen, wohin die Entwicklung geht und was sie schliesslich beinhaltet.
Zu all dem kommt noch hinzu, dass die Wirkung der Privatisierungen und Deregulierungen der Menem-Regierung sich weiter auswirken und das wirtschaftliche Wachstum heute noch begleiten und fördern, statt, wie in früheren Zeit, sie als Staatsbetriebe zu hemmen.
Ohne die Privatisierungen hätten wir heute bestimmt ein unbefriedigendes Telefonwesen, auch gäbe es ständige Unterbrechungen der
Stromversorgung, und Engpässe bei den Häfen, die teuer und ineffizient wären. Wobei auch den Staatsfinanzen ein hohes Defizit aufgebürdet würde. Denn die Staatsunternehmen erforderten Zuschüsse des
Schatzamtes, während die gleichen Unternehmen in privater Hand Steuern zahlen. So ist YPF, das früher verkappte Subventionen erhielt, jetzt
der grösste individuelle Steuerzahler des Landes, und Siderar zahlt auch
Steuern, während der Betrieb vorher, als staatliche Somisa, Riesenverluste abwarf. Nebenbei bemerkt: die Rückverstaatlichungen haben
sofort wieder die Staatskasse belastet. Der Extremfall ist Aerolineas
Argentinas mit etwa u$s 1,5 Mio. pro Tag. Aber auch Aysa, die die
Nachfolge von Aguas Argentinas S.A. angetreten hat, musste 2010 mit
$ 1,6 Mrd. unterstützt werden.
Man müsste sich wirklich sehr anstrengen, um zu verhindern, dass
die gute Konjunktur weitergeht. Sollte Cristina Kirchner gewinnen,
gelingt ihr dies eventuell doch. Die führenden Oppositionskandidaten,
Alfonsín und Duhalde, haben gemerkt, wie die Sachlage ist, und vertreten jetzt die These, dass die Konjunktur prinzipiell weitergehen wird,
so dass in diesem Sinn niemand Angst vor einem Regierungswechsel
haben sollte. Sie verlegen beide die echte Problematik auf andere Punkte. Duhalde spricht von der Notwendigkeit vom Wachstum auf Entwicklung überzugehen, womit er darauf hinweist, dass mit dem hohen
Wachstum auf sozialem Gebiet viel mehr hätte erreicht werden können, wobei dies jetzt als Zukunftsausgabe verbleibt.
Die Bedeutung eines Regierungswechsels
Alfonsín (der gemäss Meinungsumfragen an zweiter Stelle steht,
(Fortsetzung auf Seite 14)
Seite 14
Sonnabend, 16. Juli 2011
(Fortsetzung von Seite 13)
weit vor Duhalde) hat zunächst die volle Geltung der Institutionen vorangestellt, was im Kern bedeutet, dass er sich an die Rechtsordnung
halten wird, die von den Kirchners mit den Füssen getreten wurde. Die
Radikalen haben in dieser Hinsicht eine lange Tradition. Der langjährige Parteiführer Ricardo Balbín beschwichtigte interne doktrinäre Auseinandersetzungen gelegentlich mit dem Hinweis, dass die UCR-Charta
im Wesen die Verfassung sei.
Die Achtung der Rechtsordnung ist keine zweitrangige Angelegenheit. Cristina Kirchner kann beim besten Willen keine Rechtssicherheit bieten. Man glaubt ihr einfach nicht, und dies mit guten Gründen.
Argentinien braucht Investitionen in bestimmten Bereichen, bei denen
die Entwicklung langfristig ist, besonders der Erdöl- und Gasförderung. Einer Regierung wie dieser misstrauen die Investoren mit Recht.
Auf 10, 20 und mehr Jahre in einem Land zu investieren, dessen Regierung Verträge missachtet, die Spielregeln ändert und durch willkürliche Entscheidungen ersetzt, die verlorene Prozesse mit Schikanen
streckt und ungünstige Urteile einfach nicht erfüllt, die Grossunternehmen wie YPF zwingt, 25% des Kapitals an befreundete Unternehmer zu schenken und andere Unternehmen, die aus den Privatisierungen der 90er Jahre entstanden sind, so stark unter Druck gesetzt hat,
dass sie an Regierungsfreunde zu Schleuderpreisen verkaufen mussten, und auch sonst ihre Freunde (Strohmänner Kirchners?) bei Ausschreibungen verschiedener Art, besonders bei Zuteilung von Erdölgebieten, begünstigt hat, erweckt eben kein Vertrauen. Der „Freundenkapitalismus“ der Kirchners schreckt seriöse Unternehmen ab und
zieht Abenteurer an.
Mit Ricardo Alfonsín wäre dies anders. Er könnte auch erreichen,
dass geflohenes Kapital wieder zurückkehrt, oder zumindest, dass unmittelbar die Kapitalflucht versiegt. Brasilien hat in den ersten vier
Monaten 2011 einen Zufluss von u$s 42 Mrd. an Auslandskapital erhalten, fünf mal so viel wie in der gleichen Vorjahresperiode. Die Welt
weist eine grosse Liquidität auf, mit niedrigen Zinsen, und die Grossunternehmen suchen nach guten Investitionsmöglichkeiten. Wenn Argentinien in der Lage ist, eine gewisse Rechtssicherheit zu bieten, dann
kommt bestimmt viel Geld ins Land. Dann hätten wir hier ein ähnliches Problem wie Brasilien, nämlich einen grossen Überschuss bei
der Zahlungsbilanz und einen starken Druck auf den Wechselkurs. Dies
hat gewiss eine Lösung, die jedoch schon ausgearbeitet sein sollte, für
den Fall, dass das Problem effektiv eintritt.
Sowohl Alfonsín wie Duhalde haben die Armutsproblematik hervorgehoben. Es ist unverständlich, dass bei so günstigen Rahmenbedingungen und einem so starken Wachstum ab 2002 die auffallendesten Armutserscheinungen kaum positive Veränderungen aufweisen,
sofern sie nicht eine Verschlechterung zeigen, wie die Ausdehnung der
Elendsviertel, und die weiterhin hohe schwarze Beschäftigung. Die
Arbeitslosigkeit, die besonders bei Jugendlichen sehr hoch ist, sollte
beim starken Wachstum der Wirtschaft schon viel geringer sein. Der
UCR-Vizepräsidentschaftskandidat Javier Gonzalez Fraga hat sich
besonders mit der Armutsproblematik auseinandergesetzt und stellt dieses Problem in den Vordergrund. Auch Eduardo Amadeo, der mit Duhalde als Gouverneurskandidat für die Provinz Buenos Aires mitmacht,
hat das Thema eingehend studiert und sogar ein Buch darüber geschrieben, das eine tiefe Analyse enthält. Die Armut lässt sich nicht einfach
durch Wachstum beseitigen, wie es liberalen Wirtschaftlern vorschwebt,
und auch nicht durch Massnahmen, mit denen das Volkseinkommen
umverteilt wird, wie es unter den Kirchners geschah. Das Armutsproblem muss in seinen Einzelheiten untersucht werden, und auf dieser
Grundlage müssen dann besondere Programme in Angriff genommen
werden, ohne den Fall zu politisieren, wie es die Kirchners getan haben, wobei viel Geld in fremde Taschen gelangte. (Siehe Schoklender!)
Die unmittelbaren
Probleme
Auch wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
weiterhin günstig sind, stellen
sich unmittelbar Zukunftsprobleme, die nicht bagatellisiert werden sollten: die Vernachlässigung
der Erdöl- und Gasförderung, die
übertriebenen und irrationalen
Subventionen, das zunehmende
Defizit der Staatsfinanzen, und,
an erster Stelle, die Inflation. Die
Regierung hat erreicht, dass die Gewerkschafter in der Wahlperiode
stillhalten. Arbeitsminister Tomada hat erklärt, dass es keine Verhandlungen über zusätzliche Erhöhungen während der Dauer der abgeschlossenen Arbeitsverträge geben werde. Also bis zum 2. Quartal 2012. Die
Inflationserwartungen haben sich daraufhin beruhigt, so dass nicht mit
der unmittelbaren Gefahr der Hochinflation und sogar der Hyperinflation gerechnet wird.
Doch wenn Cristina Kirchner die Wahlen gewinnt, dann kommt
sofort die ausgestreckte Hand von Moyano und Gesellen, die eine Entlöhnung für ihr Verhalten in der Wahlperiode fordern. Und dann geht
der Reigen erst recht weiter. Nur die Opposition kann erreichen, dass
die Pause in eine grundsätzliche Änderung mündet. Cristina Kirchner
ist hier Gefangene ihrer eigenen Worte: sie hat sich stets gegen eine
„Anpassung“ (die auf spanische „ajuste“ heisst, und den Beiklang einer boshaften Politik zum Schaden des Volkes hat) gewendet, die Reallohnthese befürwortet und die Preiszunahmen auf das boshafte Verhalten konzentrierter Unternehmen zurückgeführt.
Die Oppositionskandidaten haben eine bessere Voraussetzung, um
diese Probleme zu lösen als Cristina Kirchner. Denn sie müssen dabei
nicht zugeben, dass sie es vorher falsch gemacht haben, und bestimmte Probleme einfach sine die hinausgeschoben haben. Alfonsín hätte
ohnehin keine (oder nur eine beschränkte) Verpflichtung gegenüber
den Gewerkschaftern, und könnte die Lohndiskussion in realistische
Bahnen leiten. Was allerdings voraussetzt, dass er dieses Problem besser versteht als sein Vater, der von den Gewerkschaftern einfach überrannt wurde. Doch die Gewerkschafter sind im Grunde Papiertiger,
und hängen so stark von der Regierung ab, finanziell und auch rechtlich (bei Prozessen wegen Veruntreung von Geldern), dass sie eine
Regierung gewiss unter Druck setzen kann. Was auf alle Fälle nicht
bedeutet, dass die Arbeiter Hungerlöhne erhalten und den Schutz verlieren, den ihnen die Sozialgesetzgebung zuteilt.
Der Einfluss von Gonzalez Fraga auf Alfonsín ist sichtbar. Er hat
ihn von der Idee seines Vaters Raúl abgebracht, die gewerkschaftshörigen Gruppen und die arme Bevölkerung anzusprechen. Der Radikalismus ist im Wesen eine Mittelstandspartei, und der Mittelstand hat
seit 1945, als Perón seine Macht auf den Proletariern aufbaute, stark
zugenommen. Das bezieht sich sowohl auf den weitaus höheren Anteil
von Fachkräften und Akademikern an den Belegschaften, wie auf die
starke Zunahme der Selbstständigen. Das hat Raul Alfonsín nicht verstanden, und Sohn Ricardo scheint es jetzt unter dem Einfluss des pragmatischen Wirtschafters Javier Gonzalez Fraga zu verstehen.
Die Probleme, die in unmittelbarer Zukunft auf die argentinische
Wirtschaft und Gesellschaft zukommen, haben gewiss Lösungen, auch
wenn diese nicht unbedingt einfach sind. Die Gefahr besteht jedoch
darin, dass die Regierung diesen vernünftigen Lösungen weiter aus
dem Wege geht und statt dessen eine „Vertiefung“ des Modells einleitet, wie es Sprecher der Regierung schon vorweggenommen haben.
Das bedeutet im Klartext, noch mehr Rechtsverletzungen, weitere Verstaatlichungen, mehr Interventionismus, mehr Freundenkapitalismus
und eine stärkere Abschottung von der Welt. Schlimm!