Materialien zum Erntebittgottesdienst
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Materialien zum Erntebittgottesdienst
Materialien zum Erntebittgottesdienst 2013 „Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht.“ Markus 4, Vers 8 Spendenkonto: Kontoinhaber: Evang. Kreditgenossenschaft eG Evang. Bauernwerk in Württ. e.V. Kontonummer: 518 6013 Bankleitzahl: 520 604 10 Verwendungszweck: Spende Notfonds oder IBAN: und BIC: DE97 5206 0410 0005 1860 13 GENODEF1EK1 Falls eine Bestätigung des Spendeneingangs gewünscht wird, bitten wir um genaue Absenderangabe. Herausgeber: Evang. Landesbauernpfarramt Evang. Bauernwerk in Württemberg e. V. 74638 Waldenburg-Hohebuch Tel: 07942/107–0 Fax: 07942/107-20 info@hohebuch.de www.hohebuch.de Redaktion: Dr. Jörg Dinger, Landesbauernpfarrer Sonja Naegelin, Sekretariat 2 Materialien zum Erntebittgottesdienst 2013 Inhaltsangabe Vorwort 4 Lieder und Psalmen 6 Gestaltungs- und Dekorationsidee 7 Sprechmotette 8 Anspiel 10 Eingangsgebete 11 Anmerkungen zum Predigttext 13 Predigtvorschlag 17 Fürbitten 22 Lebensrückblick eines Bauern 25 Interview mit jungen Landwirtinnen und Landwirten 29 Grenzen des Wachstums 32 3 Vorwort Liebe Pfarrerinnen und Pfarrer, liebe Prädikantinnen und Prädikanten, liebe Vorbereitungsteams der Erntebittgottesdienste! Die Vegetation ist noch deutlich im Rückstand, auch wenn dem langen und trüben Winter nun einige fast schon sommerliche Tage gefolgt sind. Bis Sie in ungefähr zwei Monaten Ihren Erntebittgottesdienst feiern, wird sich eine Menge getan haben. Vieles, was wir jetzt nur in ersten Ansätzen sehen, wird wachsen, reifen und Frucht bringen. Hoffentlich gefördert durch Regen und Sonne zur rechten Zeit. Hoffentlich, ohne dass ein Hagelschlag alle schönen Ansätze zunichte macht, und die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern an dieser Stelle vergeblich war. „Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht.“ Das Leitwort für die Erntebittgottesdienste 2013 stammt aus dem oft bildlich dargestellten Gleichnis vom Sämann. Bis heute prägt das „vierfache Ackerfeld“ das Logo des Evangelischen Bauernwerks in Württemberg. Der Säende auf dem Titelblatt findet sich auf einem Glasfenster in der evangelischen Kirche in Unterkessach. Der Bezirksarbeitskreis Neuenstadt des Evangelischen Bauernwerks hat mit mir die Ihnen vorliegenden Materialien erarbeitet. Allen Beteiligten danke ich herzlich für die gute Zusammenarbeit. Stellvertretend nenne ich die Bezirksbauernpfarrerin Susanne Spöhrer und den Bildungsreferenten Matthias Häfner. Die Initialzündung für die Themenfindung lieferte eine Diskussion über „Chancen und Grenzen des Wachstums“: betrieblich, gesamtwirtschaftlich, in der Natur, geistlich, kirchlich. Darum finden sich in diesem Heft auch Gedanken von Bäuerinnen und Bauern zum Thema „Wachstum“, die über den Predigtvorschlag hinaus Anregungen für den Gottesdienst geben können, sowie die Zusammenfassung zweier Beiträge zu den „Grenzen des Wachstums“. 4 Jesu Gleichnis zeigt uns unterschiedliche Formen des Wachstums, fruchtbare und weniger fruchtbare. Das Leitwort selbst beschreibt den optimalen Verlauf: „Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht.“ Möge Jesu Mut machendes Wort bei uns auf guten Boden fallen und Frucht bringen. Wenn diese Materialien dazu einen kleinen Beitrag leisten, haben sie ihren Zweck mehr als erfüllt. So wünsche ich uns allen gesegnete Erntebittgottesdienste und eine gute Ernte. Mit herzlichen Grüßen, Ihr Jörg Dinger, Landesbauernpfarrer Hohebuch, Ende April 2013 . Das von Robert Eberwein gestaltete Symbol des Evang. Bauernwerks, das „vierfache Ackerfeld“, ist leicht abgewandelt bis heute in Gebrauch. 5 Lieder und Psalmen Die Liedvorschläge sind dieses Jahr etwas zahlreicher ausgefallen. Dafür haben wir darauf verzichtet, zum wiederholten Male einen Vorschlag zum Ablauf abzudrucken (vgl. dazu die Erntebitthefte bis einschließlich 2011). Ein Tipp: Bedenken Sie die Frage der Musik frühzeitig, wenn der Gottesdienst auf einem landwirtschaftlichen Betrieb oder im Freien stattfindet. Spielt ein Posaunenchor? Welche Möglichkeiten zur musikalischen Gestaltung gibt es sonst? Gesangbücher oder Liedblätter? Morgenlieder 437 449 451 (Str. 7-10) 663 (Str. 2-6) 664 (Str. 3, 4) Die helle Sonn leucht´ jetzt herfür Die güldne Sonne Mein erst Gefühl sei Preis und Dank Mit Freuden will ich singen Früh am Morgen Jesus gehet Eingang und Ausgang 155 Herr Jesu Christ, dich zu uns wend 164 Jesu, stärke deine Kinder 169 (Str. 1-3) Der Gottesdienst soll fröhlich sein 176 Öffne meine Augen 457 (Str.1, 4-12) Der Tag ist seiner Höhe nah 461 Aller Augen warten auf dich, Herre Lieder zum Thema 196 (Str. 2-4) Herr, für dein Wort sei hoch gepreist 368 In allen meinen Taten 369 Wer nur den lieben Gott lässt walten 378 Es mag sein, dass alles fällt 379 (Str. 2, 3) Gott wohnt in einem Lichte 494 In Gottes Namen fang ich an 497 (Str. 1, 2, 5, 9, 10, 12, 13) Ich weiß, mein Gott 500 Lobt Gott in allen Landen 654 Du schufst, Herr, unsre Erde gut 6 659 (Str. 1, 2, 4) 667 (Str. 3-6) 675 677 Die Erde ist des Herrn Die ihr bei Jesus bleibet Das walte Gott Die Ernt ist da, es winkt der Halm „Klassiker“ zum Erntebittgottesdienst 502 Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit 503 Geh aus, mein Herz 508 Wir pflügen und wir streuen 512 Herr, die Erde ist gesegnet Für Gottesdienste mit Kindern 504 Himmel, Erde, Luft und Meer 515 Laudato Si Psalmen 1 (702), 8 (705), 23 (711), 36 (719), 67 (731), 104 (743), 126 (750), 145 (756), 146 (757) Schriftlesung Natürlich kann das Gleichnis, dem das Leitwort entstammt und das der Predigt als Ganzes zu Grunde liegt, auch Schriftlesung sein: Markus 4, 3-9. Weitere Vorschläge: Jesaja 32, 16-20; Jesaja 55, 811; Jeremia 17, 7+8, Matthäus 7, 16-21; Johannes 15, 1-5; 2. Korinther 9, 6-10; Philipper 1, 9-11 (alle zum „Frucht bringen“). Gestaltungs- und Dekorationsidee Etwa zehn bis vierzehn Tage vor dem Gottesdienst eine große Schale mit Erde füllen, verschiedene schnell wachsende Samen einsäen und regelmäßig wässern. Die Samen sollten dann bis zum Gottesdienst aufgehen. Neben dem Altar, z.B. auf einem alten Handleiterwagen, können ein großes, mit Körnern gefülltes Glas, die Schale mit der wachsenden Saat, ein Strauß mit frisch vom Acker geschnittenem Getreide und vielleicht dazu ein Brot präsentiert werden. 7 Sprechmotette zu Markus 4,8 Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht. I.: So wünschen wir es uns, wenn wir säen. Dass die Saat aufgeht, wächst und gedeiht, und wir am Ende gute Frucht einbringen können. II.: Aber nicht immer geht es so gut. Mal ist es zu trocken, mal zu feucht. III.: Oder es hagelt in das fast erntereife Getreide. I.: Wir können auch an Februar letztes Jahr denken. Die wunderbar aufgegangene Wintersaat. Wo kein schützender Schnee lag, ist sie einfach erfroren. II.: III.: I.: II.: Für das Nachgesäte war es dann eine ganze Weile zu trocken. Schlimm war für viele die lange Unsicherheit: „Umbrechen oder stehen lassen? Wird´s noch etwas oder muss ich es abschreiben?“ Bei der Ernte gab es schließlich Riesenunterschiede. So ziemlich alles zwischen „katastrophal“ und „gut“. Entsprechend unterschiedlich war auch die Stimmung zu Erntedank. Es ist nicht selbstverständlich, dass die Saat aufgeht, wächst und gedeiht und gute Frucht bringt. III.: Überhaupt ist es ein Wunder, wie aus einem Samenkorn immer wieder eine Ähre wird mit vielen Körnern. Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht. I.: Einiges, das heißt: nicht alles. II.: Ja, in der Geschichte vom Sämann, die Jesus erzählt, gibt es auch Verlust. III.: Körner fallen auf den Weg, auf felsigen Boden, unter die Dornen, und nichts wird aus ihnen. 8 I.: Ein seltsamer Bauer. Geht der verschwenderisch mit dem Saatgut um! Von „precision farming“ hat er sicher noch nichts gehört. II.: Anscheinend hat man das damals so gemacht. Erst gesät, dann untergepflügt. Ein gewisser Verlust ist dabei von vornherein einkalkuliert. III.: Der scheint ihn aber auch nicht besonders zu bekümmern, weil der Rest gut aufgeht und reichlich Frucht trägt. Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht. I.: Können wir heute in der Landwirtschaft so arbeiten wie der Sämann, von dem Jesus erzählt? II.: Müssen wir nicht vielmehr knallhart kalkulieren, aus dem knappen Boden und dem teuren Saatgut das Optimale herausholen? III.: Oder wird es immer so sein, solange wir in und mit der Natur arbeiten – dass nicht alles aufgeht, wächst und gedeiht, wie sehr wir uns auch um Optimierung bemühen? Eine reiche Ernte ist und bleibt ein Geschenk Gottes. I.: So ist es doch bei allem, was wir tun. In der Landwirtschaft, in anderen Berufen. In der Kirche oder im Verein. Selbst in der eigenen Familie. II.: Was bringt es eigentlich, sich für andere zu engagieren? Ich versuche, Werte zu vermitteln – aber am Ende zählen nur Geld und Konsum. III.: Oder kann ich darauf hoffen, dass mein Engagement am Ende doch Frucht bringt? Vielleicht erst viel später und anders, als ich gedacht hatte. Ich denke, die Geschichte, die Jesus erzählt, will diese Hoffnung stärken. Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht, und einiges trug dreißigfach und einiges sechzigfach und einiges hundertfach. 9 Anspiel Mutter und Kind sitzen im Auto. M: Oh Mann, ist das schon spät, wir haben doch den Termin beim Arzt. K: Hey Mama, fahr doch nicht so schnell, da vorne fährt ein Mähdrescher. M: Jetzt auch das noch, das kann ja wohl nicht wahr sein, hier kann ich nicht überholen. K: Ooh, der Mähdrescher ist ja riesengroß. M: Ja, die Erntemaschinen werden immer größer und breiter. K: Dann fahren wir eben hinterher und ich kann den Mähdrescher noch anschauen. M: Ja, da hilft jetzt alles nichts, dann kommen wir eben zu spät zum Arzt. K: Mama, was macht eigentlich ein Mähdrescher? M: Der Mähdrescher drischt auf den Feldern der Bauern. K: Was heißt dreschen? M: Der Mähdrescher schneidet das Getreide und trennt Spreu und Stroh vom Korn. K: Was macht der Bauer mit den Körnern? M: Er bringt die Getreidekörner zur Mühle und da wird daraus Mehl gemahlen. Weißt du, was man aus Mehl macht? K: Aus Mehl bäckst du Kuchen und Brot. M: Genau, Getreide braucht man für Brot und Kuchen, für Haferflocken und Müsli. K: Mmh, das sind ja lauter leckere Sachen zum Essen. M: Und wichtige Sachen, ohne Getreide müssten wir hungern, denn ein Teil der Körner wird für die nächste Ernte wieder ausgesät. 10 K: Dann ist ja gut, dass der Mähdrescher heute fährt. M: Ja, du hast recht, es ist gut, dass das Wetter schön ist und die Erntemaschinen unterwegs sind. Auch wenn wir es eilig haben und die großen Maschinen nicht so schnell auf der Straße fahren können wie ein Auto. K: Und was ist mit unserem Termin? M: Da kommen wir einfach ein bisschen zu spät und erklären, dass uns etwas Wichtiges aufgehalten hat. K: Ja, etwas Lebensnotwendiges ist uns begegnet… Im Anfang Bevor das Wasser flutete und die Berge aufstiegen war ER der Beweger. Erich Spöhrer Eingangsgebete I. Herr, wir danken dir, dass Jahr für Jahr die Früchte in Feld und Garten wachsen und gedeihen. Wir danken dir, dass du uns das ganze Jahr durch begleitest und trägst. Wir haben uns zu diesem Gottesdienst getroffen und bitten dich um Hilfe und Begleitung für die nächste Zeit und für diesen Gottesdienst. Wir legen diesen Gottesdienst und all unser Tun in deine Hände und bitten dich, dass wir zuversichtlich und freudig die Ernte einbringen können. Wo Gott nicht segnet, da hilft keine Arbeit, wo er nicht behütet, da hilft keine Sorge. Amen. 11 II. Zu dir kommen wir, Herr, unser Gott. Du hast uns und alles geschaffen. Du lässt die Saat aufgehen, wachsen, reifen und Frucht bringen. Zu dir kommen wir vor der Ernte, mit unserer Freude, unserem Dank, mit unseren Sorgen, unseren Bitten. Zu dir kommen, zu dir beten wir, und wir hören auf dein Wort. Sprich du zu uns, mach uns bereit zum Hören. Lass dein gutes Wort fruchtbar sein in unserem Leben, in unserer Gemeinde, in der ganzen Welt. So werden wir stille vor dir. III. Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat! Mit Lob und Dank kommen wir an diesem Sonntagmorgen vor dich. Wir danken dir, treuer Gott, dass auch dieses Jahr wieder eine gute Ernte herangewachsen ist. (Du hast nach der Sintflut versprochen: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.) Wir danken dir, Herr Jesus Christus, für den äußeren Frieden in unserem Land und bitten dich für den inneren Frieden in unseren Gemeinden. Heiliger Geist, du Tröster der betrübten Herzen, öffne uns nun die Ohren und die Herzen für das Wort der Wahrheit. Mache mich zum guten Lande, wenn dein Samkorn auf mich fällt. Herr, wir danken dir für deine Gegenwart und hoffen auf deinen Segen, der uns auch durch die neue Woche begleiten möge. Dir, unserem Gott und Vater, durch unseren Herrn Jesus Christus, sei Ehre, Preis und Lob allezeit. Amen. 12 Anmerkungen zum Predigttext Wachstum „Wachstum“ ist in aller Munde, v.a. als Wirtschafts- oder betriebliches Wachstum, in kirchlichen Kreisen auch als „church growth“ bzw. „Wachsen gegen den Trend“. Für manche ein Zauberwort, anderen dagegen eine gefährliche Ideologie. Unternehmer, auch Landwirte, freuen sich jedenfalls, wenn der Betrieb sich entwickelt und wächst. Andererseits spüren sie oft den Zwang: „Um zu bestehen müssen wir größer werden, ob wir es wollen oder nicht.“ Zuerst aber ist Wachstum ein elementares Natur-Geschehen, gehört unverzichtbar zu jeglichem Leben. Doch während wirtschaftliches Wachstum nach unendlicher Fortsetzung strebt, hat es in der Natur ein Ziel, ein Ende. Der Phase des Wachsens folgt eine des Reifens und Erwachsen-Seins – und am Ende erweist sich alles Geschaffene als vergänglich. Das Getreide wird geerntet. Menschen werden alt und sterben. Wenn in der Bibel vom Wachsen die Rede ist, dann überwiegend im positiven Sinne, ohne den Aspekt der Vergänglichkeit auszublenden (z.B. Ps. 103, 15f). Gott schenkt das Wachsen und Gedeihen in der Natur und auf dem Acker (z.B. Ps. 104, 14f). Ja, der Vorgang steht sogar gleichnishaft für das „Reich Gottes“ – in den so genannten „Wachstumsgleichnissen“ Jesu (Mk. 4 par.). Gottes Reich beginnt unscheinbar, wie ein Senfkorn, wie eine Aussaat, bei der einiges daneben geht. Aber es wächst und gedeiht. Am Ende steht ein stattlicher Strauch da, fällt die Ernte überwältigend groß aus. In diesem Sinne erzählt die Apostelgeschichte, wie die Zahl der Christen in der Urgemeinde gewaltig anwächst (Apg. 2, 41. 47; 5, 14f; 6, 1 u.ö.). Auf der anderen Seite wird Wachstum auch qualitativ als Vertiefung des Glaubens verstanden (2. Kor. 9, 10; 10, 15; Kol. 1, 10 u.ö.). Der Leitvers für den Erntebittgottesdienst 2013 entstammt dem Gleichnis Mk. 4, 3-9. Deutlich ist der landwirtschaftliche Bezug. Darüber hinaus benennt der Abschnitt unterschiedliche Aspekte zur 13 Wachstumsthematik insgesamt: es gibt wunderbares, es gibt aber auch zu schnelles oder im Keim ersticktes Wachstum. „Sämann“ oder „vierfaches Ackerfeld“? Mk. 4, 3-9 ist eines der wenigen Gleichnisse, bei dem die Bibel eine Deutung gleich mit liefert (Mk. 4, 14-20). Sein klassischer Name „Vom vierfachen Ackerfeld“ rührt von dieser Deutung her. Hauptsächlich interessieren dabei die vier unterschiedlichen Böden. Diesen entsprechen vier verschiedene Reaktionsweisen auf die christliche Verkündigung bzw. vier Menschentypen. Manche sind vornherein nicht bereit sich darauf einzulassen. Es gibt die schnell Begeisterten, die bei den ersten Schwierigkeiten ebenso schnell wieder weg sind, die überaus Beschäftigten, bei denen gute Ansätze überwuchert werden und fruchtlos bleiben. Bei anderen aber wirkt Gottes Wort nachhaltig und prägt das ganze Leben. Hörerinnen und Hörer werden damit zur Selbsterforschung angeregt: „Vierfach ist das Ackerfeld – Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“ Diese Auslegung wurde z.T. schon in der Reformationszeit, v.a. aber im letzten Jahrhundert vielfach als „gesetzlich“ kritisiert. Man versuchte, den ursprünglichen Sinn von Jesu Gleichnis unabhängig von seiner innerbiblischen Deutung zu erheben. Dafür wird das Gleichnis nun eng mit den anderen „Wachstumsgleichnissen“, v.a. mit dem vom Senfkorn (Mk. 4, 30-32), zusammen gesehen. Die Arbeit des Sämanns und der Kontrast zwischen dem unscheinbaren Anfang und dem überwältigenden Ertrag stehen dann im Vordergrund (z.B. J. Jeremias: „Gleichnis vom unverzagten Sämann“). Die Deutung V 14ff erscheint als sekundäre Bildung der Urgemeinde. Neuere Auslegungen versuchen die Ausschließlichkeit und Einseitigkeit beider Sichtweisen zu überwinden. Auf der einen Seite wird der sprachliche und sachliche Zusammenhang von V 3-9 und V 1420 deutlich herausgearbeitet, so dass es kaum mehr möglich erscheint, zweites nur als sekundäre (Fehl-)Deutung vom eigentlichen Jesus-Gleichnis abzusetzen. Andererseits werden die Erkenntnisse der kritischen Gleichnis-Forschung des 20. Jahrhunderts integriert, v.a. hinsichtlich des Bezugs zum „Reich Gottes“ bzw. zu dessen 14 Verkündigung durch Jesus und seine Jünger (U. Luz, EKK I/2, Neukirchen 1999, 303-306. 308-311; K. Dronsch, in: Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 297-311; J. Schröter in: Texte zur Bibel 28, Neukirchen 2012, 66-68). Einige Beobachtungen im Einzelnen: Der Sämann: Er begegnet nur ganz am Anfang des Gleichnisses und der Deutung, verschwindet danach aber völlig aus dem Blickfeld. Seine Arbeit und ihr Erfolg bzw. Misserfolg scheint also nicht Hauptthema zu sein. Der Same: Das Wort taucht im ganzen Text nicht auf. Im Gleichnis ist nur die Rede davon, dass „einiges“ auf den Weg, auf felsigen Boden, unter die Dornen, auf gutes Land fällt. Genau genommen ist aber nur der letzte Fall im Plural formuliert: „Eines“ – „ein anderes“ – „ein anderes“ – „andere“ (= „der ganze Rest“). Demnach gehen nicht etwa drei Viertel des Ausgesäten verloren, sondern eher ein kleiner Anteil. Dennoch lenken Gleichnis wie Deutung das Augenmerk v.a. auf die Anteile, die aus verschiedenen Gründen keine Frucht bringen. In der Deutung zeigt sich dabei eine Unschärfe: Während zunächst eindeutig der Same mit dem „Wort“ (der christlichen Verkündigung) identifiziert wird (V 14), erscheinen in der Folge die Menschen als die „Gesäten“. Deutlich ist das im griechischen Text und der Übersetzung der Zürcher Bibel. Die Lutherübersetzung umschifft das Problem: „…, bei denen gesät ist …“ Auf jeden Fall werden die Menschen nicht direkt mit den unterschiedlichen Böden identifiziert und damit ein für allemal auf eine bestimmte Reaktionsweise festgelegt. Die Verluste: Warum geht im Gleichnis überhaupt etwas verloren? Müsste der Bauer nicht wissen, wo der Weg verläuft, wo die Humusschicht über dem Felsen zu dünn ist? Müsste er das Unkraut nicht vor dem Säen und später noch einmal entfernen? Beantwortet werden die Fragen meistens mit den Ackerbaumethoden in Palästina zur Zeit Jesu: Zuerst habe man auf den unbearbeiteten Acker gesät, dann gepflügt. Ob das zutrifft, vermag ich nicht zu beurteilen. Das Gleichnis selber schweigt zum Thema „Pflügen“, wie überhaupt zu den landwirtschaftlichen Details. Klar scheint aber zu sein, dass die anfallen15 den Verluste nicht für ungewöhnlich gehalten werden. Und das Ganze ist von Anfang an so formuliert, dass es auf die Übertragung hinzielt, die die Verse 14-20 vornehmen. Wer Ohren hat zu hören … Die beiden wichtigsten Worte von Markus 4, 3-20 heißen „Säen“ und „Hören“ (jeweils 9mal). Thema der ganzen Einheit – einschließlich der dazwischen geschalteten und schwierig zu deutenden Reflexion über das „Geheimnis des Reiches Gottes“ und das Verstehen bzw. Nicht-Verstehen (V 10-13) – ist also das gelingende oder eben nicht gelingende Hören. Das Gleichnis ist eingerahmt von zwei Aufmerksamkeitsrufen: „Hört!“ (V3) – „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ (V 9) Bei der Gleichnisdeutung ist auffällig, dass alle vier Gruppen das Wort der Verkündigung hören – bei den ersten drei deutet die Verbform freilich an, dass es sich um ein lediglich punktuelles Hören handelt, das darum letztendlich folgenlos bleibt, während die letzten immer wieder hören, so dass das Wort in ihnen nachhaltig wirkt und ihr Leben prägt. Als Christen heute sprechen uns Gleichnis und Deutung in doppelter Weise an: „Als hörende Gemeinde gilt es, das Wort aufzunehmen.“ (K. Offermann in: Texte zur Bibel 28, Neukirchen 2012, 69) – „Als säende (=verkündigende, J.D.) Gemeinde gilt es, sich von Erfolg und Misserfolg nicht irritieren zu lassen. Beide gehören dazu, und mit beidem soll die Gemeinde rechnen.“ (ebd.) Einiges fiel auf gutes Land … Der Leitvers beschreibt sehr schön den Prozess des Frucht-Bringens: Der Same fällt auf gutes Land. Er geht auf. Die Pflanze wächst. Am Ende steht die Frucht. In keiner der Phasen ist der gute Fortgang selbstverständlich, bis kurz vor der Ernte kann noch etwas dazwischen kommen. Während das Gleichnis Gefahren benennt, die mit der Bodenbeschaffenheit zusammenhängen, spielt für die Landwirtschaft heute v.a. die Gefähr16 dung der Ernte durch das Wetter (Frost, Trockenheit, Hagel) und durch Schädlinge eine Rolle. Dass trotz aller ins Kalkül zu ziehenden Verluste am Ende reiche Frucht steht, ist nach einer neuen Auslegung die „gute Ordnung der Schöpfung“, die die Erzählung veranschaulicht (K. Dronsch, a.a.O., 307): „Dafür werden in der Parabel vier sich gleichzeitig realisierende Geschichten erzählt, bei der sich die Verlässlichkeit des Schöpfers darin zeigt, dass es genug Saat gibt, die aufgeht und Frucht bringt.“ Zusammengefasst eröffnet der Leitvers einen weiten Raum für die Predigt zum Erntebittgottesdienst: Der Prozess des Wachsens und Frucht-Bringens und seine Gefährdungen. Die gute Ordnung der Schöpfung und die Verlässlichkeit des Schöpfers. Fruchtbares, verfehltes und im Keim ersticktes Wachstum. Fruchtbringendes oder folgenloses Hören auf das Wort, das uns von Gott her gesagt ist – wir als hörende Gemeinde. Die Frage, was aus dem wird, was wir säen – auf dem Acker, im Garten, wie auch im übertragenen Sinne (unsere Versuche, Gutes zu bewirken im Beruf, in der Familie, in der Kirchengemeinde, in der Ortschaft …). Das „gute Land“ – in dem wir leben, das wir bestellen – das wir sind oder nicht sind. Predigtvorschlag Einiges fällt auf gutes Land, liebe Gemeinde. Von dem, was der Bauer gesät hat. Warum eigentlich nicht alles? Es müsste doch darum gehen, das kostbare Saatgut möglichst effektiv zu nutzen. So, dass nichts oder fast nichts verloren geht. Ja, das ist ein Ziel, dem der moderne Ackerbau immer näher kommt. Verluste minimal halten durch präzise gezieltes Ausbringen von Saatgut, Dünger, Pflanzenschutz. Nicht zu viel und nicht zu wenig, alles genau an die richtige Stelle und zur rechten Zeit. 17 Anders der Bauer, von dem Jesus erzählt. Seine Methode erscheint weniger professionell. Einiges vom Gesäten fällt auf den Weg, die Vögel kommen und fressen es weg. Weiß er denn nicht, wo die Erde schon so festgetreten ist, dass nichts mehr aufgehen kann? Einiges fällt auf felsigen Boden, schießt schnell auf, verdorrt aber, weil es nicht richtig einwurzeln kann. Eigentlich müsste er die Stellen kennen, an denen die Humusschicht zu dünn ist, um den Pflanzen auf Dauer genug Wasser und Nährstoffe zu geben. Schließlich fällt einiges unter die Dornen, die zugleich mit dem guten Samen aufgehen und die Frucht ersticken. Warum rückt er dem Unkraut nicht richtig zu Leibe? Kein guter Bauer, so scheint es. Oder macht er schlicht das, was zu seiner Zeit üblich ist – erst säen, dann umpflügen? Die Verluste bekümmern ihn offenbar nicht besonders. Denn einiges, ja vieles fällt auf gutes Land, geht auf und wächst und bringt Frucht. Reichlich Frucht. „Halt!“ könnte jetzt jemand dazwischen rufen: „Du vergisst, dass das Ganze ein Gleichnis ist, eines, das Jesus sogar selber erklärt. Da geht es nur vordergründig um einen Bauern, sein Saatgut und den Acker. In Wahrheit sind wir Menschen gefragt, wie Gottes Wort bei uns ankommt.“ Da gibt es die, die hören und doch nicht hören. Sie können oder wollen nicht an sich heran lassen, was Gott ihnen zu sagen hat. Andere hören das Wort und sind gleich Feuer und Flamme. Sie versuchen, ihre Begeisterung an andere weiter zu geben, ernten aber Desinteresse, Ablehnung, Spott. Bald erlahmt der Schwung, das rasant in die Höhe geschossene Glaubens-Pflänzchen verdorrt. Wieder andere wollen schon irgendwie gläubig sein. Aber sie haben so viel um die Ohren, wichtige Dinge: Geld verdienen, den Betrieb entwickeln, die Familie versorgen, Sport treiben, das Leben genießen. Für Fragen nach dem Sinn, für das Hören auf Gott fehlt die Zeit, fehlt die Ruhe. Schließlich gibt es die, die sich trotz allem, was auch noch wichtig ist, Zeit und Ruhe nehmen für den, der an erster Stelle steht: Gott. Sie hören auf sein Wort, nicht nur einmal, sondern immer wieder. Und das Wort verändert sie von innen heraus. Es geht auf und wächst und bringt gute Frucht. 18 Ja, liebe Gemeinde, das alte Nachtwächterlied hat Recht: „Vierfach ist das Ackerfeld – Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“ Eine offene Frage, denn wir sind nicht ein für allemal festgelegt, ob der Same bei uns auf den Weg fällt oder auf gutes Land. Jesu Gleichnis könnte vielmehr den Boden in uns auflockern oder der Wind sein, der das Samenkorn an die richtige Stelle bläst, wo es aufgehen, wachsen und reifen kann. Es geht also um uns Menschen und das, was Gott zu sagen hat, liebe Gemeinde. Es geht aber auch um den Bauern und seine Saat. Denn Jesus ist bodenständig, hat den Stoff für sein Gleichnis nicht zufällig gewählt. Es weist hintergründig auf die gute Ordnung der Schöpfung hin, in der trotz Verlusten am Ende reiche Frucht dasteht. Wenden wir uns also wieder dem Sämann zu. Einiges, sogar vieles von dem, was er ausbringt, fällt auf gutes Land, wächst, gedeiht und bringt reichlich Frucht. Doch noch einmal die Frage: Warum nicht alles? Heutzutage müsste es doch möglich sein, die Verluste auf ein Mindestmaß zu begrenzen. Aber wenn wir genauer nachdenken, merken wir, dass nach wie vor einiges verloren gehen kann auf dem Weg von der Aussaat bis zum Dreschen. Nicht unbedingt, weil es auf den falschen Boden fällt. Eher durch Schädlinge oder wegen des Wetters. Der Frost, der die wunderschön aufgegangene Wintersaat zerstört oder die Apfelblüten. Trockenheit im Frühjahr, Hagelunwetter im Sommer, vielleicht noch kurz vor der Ernte. Mit all dem haben Bäuerinnen und Bauern im Land in den letzten Jahren zu schaffen gehabt, manche erhebliche Einbußen erlitten. Ja, solche Bedrohungen durch das Wetter sind der Grund, warum seit bald 200 Jahren Erntebittgottesdienste gefeiert werden mit der Bitte um eine gesegnete Ernte, um Verschonung vor Unfällen und Unwettern. Einerseits, liebe Gemeinde, ist es der normale, natürliche Gang der Dinge: Von dem, was wir säen, geht eine Menge auf und reift zur Frucht, die wir schließlich ernten. Wenn man andererseits die Gefährdungen bedenkt, denen das Gesäte auf dem Acker, denen unsere Weinberge, Obst- und Gemüsekulturen ausgesetzt sind, ist eine gute Ernte nach wie vor nicht selbstverständlich, sondern ein Geschenk. Ein wunderbares Geschenk des Schöpfers, der die Erde so einge19 richtet hat, dass sie Gras hervorbringt und Getreide, Büsche und Bäume, dass sie Tieren und Menschen Raum bietet zum Leben, Nahrung und Wasser. Diese gute Ordnung der Schöpfung steht im Hintergrund von Jesu Gleichnis. Von Zahlenverhältnissen spricht er nicht. Aber es ist wohl so gemeint, dass ein kleiner Teil auf den Weg fällt, etwas auf felsigen Boden, etwas unter die Dornen. Der ganze Rest aber auf guten Boden. Als unprofessionell ist die Methode dieses Bauern nicht anzusehen. Vielmehr strahlt er Gelassenheit aus, das Vertrauen, dass trotz Verlusten genügend aufgeht und zur Frucht reift. Hundert Prozent Effektivität gab es damals nicht, gibt es heute genauso wenig. Dabei ist es gut und sinnvoll, wenn wir versuchen möglichst wenig zu verschwenden. Auf allen Ebenen, nicht nur bei der Aussaat. Denken wir nur daran, wie viele gute Lebensmittel verloren gehen. Nachernteverluste in armen Ländern. Getreide verdirbt, weil es nicht richtig gelagert oder transportiert werden kann. Lebensmittelvernichtung bei uns. Brot und Joghurt, Obst und Gemüse – aussortiert im Supermarkt, zu Hause entsorgt, weil es niemand mehr essen wollte oder konnte. „Essen im Eimer“ – ein Weckruf an uns alle, damit wir mit Gottes guten Gaben sorgsamer umgehen. Hundert Prozent Effektivität gibt es nicht. Weil wir Geschöpfe sind, die in und mit der Schöpfung arbeiten. Weil wir selbst mit der besten Technik nie und nimmer alles im Griff haben werden. Trotzdem fällt schon im Gleichnis ein großer Teil des Gesäten auf guten Boden, geht auf, wächst und reift heran zur Frucht. Die gute Ordnung der Schöpfung, in der wir leben, in der unser Auftrag lautet: „bebauen und bewahren“. Es geht auf, wächst und reift zur Frucht. Das, liebe Gemeinde, ist der Musterfall für gelingendes Wachstum. Mit der Aussaat als Start und der Ernte als Ziel. Wenn in unserer Zeit von Wachstum die Rede ist, dann meist in einem etwas anderen Sinn. Betriebe, Unternehmen wachsen, die Wirtschaft insgesamt. Tendenziell ohne Anfang und Ende, sondern immer weiter. Denn Stillstand ist Rückschritt. Der Betrieb wächst, entwickelt sich weiter, Neues entsteht. Eine schöne Sache. „Wachsen macht Spaß“, sagt ein junger Landwirt, 20 „zumindest habe ich unheimlich Freude und Spaß dabei, etwas Neues zu machen oder aufzubauen.“ Wobei innovativ sein wichtiger erscheint als bloßes Größenwachstum. (Hier können weitere Zitate aus den Erfahrungsberichten in diesem Heft eingebaut werden.) Auf der anderen Seite empfinden viele die Nötigung zu wachsen, ob man will oder nicht, und ihnen ist klar, dass Wachstum eben nicht grenzenlos sein kann. Weil die Fläche knapp ist, andere auch wachsen wollen. Weil wir an persönliche Grenzen stoßen, uns nicht immer mehr aufhalsen können. Weil sich die Frage nach dem verantwortbaren Risiko stellt. Die Spannung ist schwer auszuhalten: einerseits der Wachstumszwang – der Betrieb, die Wirtschaft insgesamt muss wachsen. Auf der anderen Seite die Grenzen, an die wir stoßen, weil es in der Natur kein unendliches Wachstum geben kann, weil wir Geschöpfe sind, die in und mit der Schöpfung arbeiten. Jesu Gleichnis erzählt auch davon, wie es mit dem Wachstum daneben gehen kann. Es kommt erst gar nicht in Gang, weil die Bedingungen zu schlecht sind oder weil man sich verzettelt, zu viel halb und nichts richtig macht. Es gibt ungesund rasches Wachstum, das in der Gefahr steht, ebenso rasch wieder in sich zusammenzufallen. Ein Strohfeuer, eine „Blase“. Problematisch vor allem, wenn wir zu immer neuen Wachstumsschritten genötigt werden, ohne dass Zeit bleibt zum Reifen. Organisches Wachstum dagegen braucht Zeit, beutet weder Mensch noch Tier noch die Natur gnadenlos aus. Vor dem Wachsen steht aber das Säen. Im direkten wie im übertragenen Sinne. Bäuerinnen und Bauern säen und pflanzen. Wenn Jesus Gottes Reich verkündigt und Kranke heilt, sät er ebenfalls etwas aus. Hoffnung und Liebe. Die Eltern und Großeltern unter uns, Lehrerinnen, Ausbilder und Pfarrer – wir alle versuchen, bei den uns anvertrauten jungen Menschen eine gute Saat zu legen. Manche säen freilich Hass und Misstrauen. Welche Saat aufgeht, wächst und Frucht bringt, das haben wir oft nicht in der Hand. Bei dem, was wir betrieblich in die Wege leiten, hängt es ebenfalls nicht allein an dem, was wir wollen, können und leisten. Doch Jesu Gleichnis macht uns Hoffnung. Es geht zwar nicht alles auf, und nicht alles, was aufgegangen ist, reift zur Frucht. Keine 21 hundert Prozent Effektivität. Aber Gott lässt aufgehen, wachsen und gedeihen, oft unerwartet reich. Bei dem, was wir säen im direkten wie im übertragenen Sinne. Ist es nicht wunderbar, wenn sich die grünen Halme zeigen? Dieses Jahr geschah das ziemlich spät. Wenn sie wachsen, Ähren ausbilden und diese reif – hoffentlich nicht „notreif“ – werden, so dass wir dreschen können. Ist es nicht herrlich, wenn im Frühjahr die Obstbäume und Weinstöcke zuerst grün werden, dann blühen, bis sich die Früchte bilden, die ordentlich Zeit und Sonne brauchen, um den vollen, süßen Geschmack zu entfalten? Genauso schön ist es, wenn ich erfahre, dass ein gutes Wort, das ich vor langer Zeit gesagt habe, dem betreffenden Menschen wirklich weiter geholfen hat. Wenn ein Bibelwort in mir aufgeht, sich verwurzelt, mich von innen heraus verändert. „Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht.“ – „Alles, was wir Gutes wirken, ist gesät in deinen Schoß, und du wirst die Ernte senden unaussprechlich reich und groß.“ Amen. Fürbitten I: Großer Gott, Schöpfer von Himmel und Erde und auch Gott für Wachstum und Gedeihen. Auch Vater im Himmel dürfen wir zu dir sagen. Hilf uns immer wieder dir neu zu vertrauen. Du hältst die Welt in deinen Händen, darauf vertrauen wir. Das fällt aber schwer, Vater, wenn uns viel Arbeit zur Eile treibt oder wenn sich gar eine Missernte abzeichnet. Gib uns immer die Kraft und die Zeit, dich um Sonne, Regen, Wind, Frost und Hitze zur rechten Zeit zu bitten und an deine Wirklichkeit zu glauben. Schenke du Freude und Dankbarkeit bei allem Ernten und bewahre uns vor Hektik, Habgier oder einem Unglück. Vater im Himmel, steure du das Wachstum nicht nur im Gartenbau und in der Landwirtschaft und Viehzucht, sondern überall in unserem ganzen menschlichen Denken und Wollen. 22 Du siehst Vater, wie oft wir mehr wollen, etwas Größeres, Schnelleres oder Besseres. Hilf uns zu denken: Von deiner Gnade leben wir und was wir haben kommt von dir – und das ist genug. II. In deiner Hand, Herr, unser Gott, steht Wachstum und Gedeihen. Deinem Segen verdanken wir alles, was nach dem langen Winter gewachsen ist, was wir in den nächsten Wochen und Monaten ernten werden. Wir bitten dich: Segne nun die Ernte und alle, die in ihr arbeiten. Hilf, dass all das, was heranreift, auch gut eingebracht werden kann. Sei bei denen, die jetzt sehr viel zu tun haben, dass die Hektik nicht zu groß wird und sie vor Unglück bewahrt werden. Wir bitten dich, Herr, unser Gott, für die Menschen weltweit, bei denen es dieses Jahr wenig zu ernten gibt, oder denen das Geld nicht reicht für genügend Lebensmittel. Wir bitten dich auch für die allzu Satten, denen der Wert der Lebensmittel nicht mehr richtig bewusst ist. Lass uns alle sorgsam mit dem umgehen, was jetzt geerntet wird, was wir kaufen können in der Bäckerei und der Metzgerei, auf dem Markt und im Supermarkt. Hilf, dass wir weltweit Lösungen finden für mehr Gerechtigkeit, damit die Hungernden satt werden. In deiner Hand, Herr, unser Gott, steht Wachstum und Gedeihen. Auch im Blick auf das, was wir an Gutem säen in unseren Ortschaften und Kirchengemeinden. Hilf, dass die guten Gedanken und Ideen aufgehen und Frucht bringen. Die Saat von Hass und Zwietracht lass dagegen verkümmern. Segne die Worte all derer, die dein Evangelium verkündigen, lass es Frucht bringen in unseren Herzen, in dem, was wir reden und tun. 23 III. Guter Gott, wir danken dir für die neue Ernte die im Moment heranwächst. Wir sind dankbar dafür, dass du uns Regen, Sonne und Wärme zur richtigen Zeit geschenkt hast. Dies ist Jahr für Jahr ein neues Wunder. Lebendiger Gott, wir bitten dich für die kommende Erntezeit. Schenke du das richtige Wetter, Kraft für die viele Arbeit und Bewahrung im Umgang mit den Maschinen. Schöpfergott, wir sind abhängig von dir. Trotz allem technischen Fortschritt und all unserem Planen und Vorsorgen bist du derjenige, der Wachstum schenkt und das Heft in der Hand hält. Wir bitten dich, dass du zu unserem Wollen das Vollbringen schenkst. Heiliger Gott, viele Menschen wissen nicht, was von der Landwirtschaft alles abhängt. Schenke du ein Bewusstsein dafür, dass es eben nicht selbstverständlich ist, mit Brot, Gemüse, Fleisch, Milch, Wein, Käse und all den anderen Dingen versorgt zu sein. Lass der Landwirtschaft die angemessene Wertschätzung für diese wichtige Arbeit zukommen. Sorgender Gott, du weißt, dass es mit einer guten Ernte nicht getan ist. Wir bitten dich für gerechte Preise und einen fairen Handel. Hier in Deutschland und weltweit für Kleinbauern und -bäuerinnen in Ländern, in denen der Preis über Hunger, Leben und Tod entscheiden kann. IV. Lieber himmlischer Vater, wir danken dir für das Wunder des Wachsens, das wir zurzeit wieder in der Natur sehen dürfen. Nun bitten wir dich: Schenke auch weiterhin ein gutes Wachsen und Reifen der Feldfrüchte! Schenke für die Erntezeit beständiges Wetter, damit nichts verdirbt! Gib allen, die mit der Ernte zu tun haben, viel Kraft und Durchhaltevermögen; gerade auch dann, wenn Zusatzarbeit nötig ist, etwa bei Nacht! Und angesichts der Gefahren im Umgang mit den Maschinen bitten wir dich: Bewahre uns vor Unfall und Schaden! Lass uns alle immer wieder gesund und wohlbehalten vom Feld nach Hause kommen! Herr, wir danken dir für alle deine Güte. Amen. 24 Lebensrückblick eines Bauern: „Ich bin so zufrieden, wenn ich auf mein Leben als Landwirt zurückblicke…“ Im folgenden Lebensrückblick sind Orte und Jahreszahlen anonymisiert. Protokolliert hat ihn Susanne Spöhrer. „Als Bub habe ich regelmäßig die Kinderkirche besucht. Eine Geschichte von Tolstoi („Wie viel Erde braucht der Mensch?“), die ich dort hörte, hat mich sehr geprägt: ‚Es war einmal ein Bauer, der hat von seinem Herrn das folgende Angebot bekommen: „Du kriegst von mir so viel Land, wie Du an einem Tag umwandern kannst.“ Der Bauer ging am frühen Morgen los. Im Lauf des Tages hat er immer wieder ausgeschaut und hat bei sich gesagt: „Das Eck nehme ich jetzt noch mit – und das noch – und das – und das…“. Am Abend, als er zum Herrn zurückging, um sein erlaufenes Gebiet in Besitz zu nehmen, ist er tot zusammengebrochen.‘ Diese Geschichte hat sich mir sehr eingeprägt. Sie hat mich später dazu gebracht, dass ich in meiner Arbeit und bei der Planung auf ein mäßiges Wachstum geachtet habe. Ziele habe ich langfristig ins Auge gefasst, habe sie konsequent verfolgt und gleichzeitig Entscheidungen flexibel der Entwicklung angepasst. Einem Acker habe ich immer den ihm angemessenen Ertrag abverlangt – also nicht den maximal möglichen Ertrag: Das habe ich nicht wegen des Verdienstes gemacht, sondern aus Freude am Ertrag. Ich bin dankbar dafür, dass mir viele Pachtflächen aufgrund freundschaftlicher in Generationen gewachsener Beziehungen angeboten wurden. Als Junge habe ich mir nie Zeit zum Lernen genommen. Wenn ich an den Hausaufgaben saß und draußen einen Schlepper hörte, bin ich lieber rausgegangen und habe geschaut, was dort passiert. Mein Opa sagte: „Du musst einmal der Bauer werden.“ Niemand hat mir damals gesagt, dass für die Landwirtschaft das Lernen wichtig ist. 25 Mit 15 war ich mit der Schule fertig. Zwei Jahre habe ich danach im eigenen Betrieb Landwirt gelernt. Darauf folgte mein erster Schritt in die Selbständigkeit: Ich machte ein Jahr lang eine Fremdlehre auf einem Viehbetrieb im Hohenloher Land. Sie hatten 60 Kühe mit Vorzugsmilch und Nachzucht. Dort gab es vier Angestellte: drei Lehrlinge und einen Praktikanten. Dort habe ich viel gelernt, besonders in der Organisation der praktischen Arbeit. Dort habe ich mir auch ein gutes Selbstwertgefühl erworben. In der Erntezeit haben wir von 6.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr abends gearbeitet, und ich habe das gerne getan. Ich habe viel Ehrgeiz entwickelt, die Arbeit zu bewältigen. Nach einem halben Jahr hat mir der Bauer die Führung der Angestellten übertragen. Ich habe fast zu viel geschafft und dabei sehr gern. Nach dem einen Jahr Fremdlehre habe ich die Gehilfenprüfung gemacht und anschließend auf dem elterlichen Hof weitergearbeitet. Dort folgte mein zweiter Schritt in die Selbständigkeit: Mein Vater hat angefangen, nebenbei zu arbeiten, und ich habe die Führung des Betriebes übernommen. Gleichzeitig habe ich zwei Jahre lang die landwirtschaftliche Fachschule besucht. Mit meinem Vater bin ich gut ausgekommen. Er hat mir die Verantwortung für den Ackerbau übertragen. Selbst hat er die Verantwortung für den Stall gehabt. Die Zuständigkeiten waren klar. Die Zusammenarbeit war gut. Die Eigenverantwortung ist sehr wichtig für mich gewesen und ebenso das Vertrauen meines Vaters. Anfang der 80er Jahre habe ich die Prüfung zum staatlich geprüften Wirtschafter erfolgreich abgelegt. Bei der Abschlussfahrt nach Berlin habe ich meine Frau kennen gelernt. Anschließend habe ich sofort mit dem Meisterkurs begonnen und im folgenden Jahr die Prüfung zum Landwirtschaftsmeister gemacht. Meine Frau hat im gleichen Jahr wie ich die Prüfung zur Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft gemacht. Wenig später haben wir uns verlobt. Zwei Jahre später haben wir geheiratet. Nach der Hochzeit wurden uns nacheinander vier Kinder geboren. 26 Anfang der 80er Jahre haben wir den ersten geschlossenen Betrieb dazu gepachtet. Danach haben wir immer wieder Flächen dazu gepachtet. Mitte der 80er Jahre haben wir den elterlichen Betrieb meiner Frau dazu gepachtet. Wenige Jahre später habe ich den Eindruck gewonnen, dass wir den Betrieb so weiterentwickeln können, dass ihn einer der Söhne übernehmen kann. Wir haben uns früh dafür entschieden auszusiedeln, um für einen Hofnachfolger eine tragfähige Grundlage zu schaffen. Im Jahr 1990 haben wir den ersten Spatenstich für unseren Aussiedlerhof gemacht. Wir hatten das große Glück, dass wir die alte Hofstelle verkaufen konnten. Im Zusammenhang mit der Aussiedlung hat es, nebenbei gesagt, viel Neid gegeben im Ort. Das hatte ich in der Schärfe nicht erwartet. Den Betrieb haben wir allmählich weiter vergrößert. Die Kinder sind groß geworden. Als unsere vier Kinder im Jugendalter waren, ist meine Frau nach einer schweren Erkrankung gestorben. Das war eine schwere Zeit. Im gleichen Zeitraum habe ich gesehen, dass unser Betrieb zu klein ist, um überlebensfähig zu sein. Damals habe ich zum ersten Mal über Kooperation nachgedacht und habe Beratung gesucht bei Agriconcept, einer Tochterfirma des Bauernverbandes. Einer meiner Söhne hat Landwirt gelernt und die Meisterprüfung gemacht. Ihm habe ich nach und nach den Ackerbau übertragen. Als ich in die Berufsschule kam, hatten wir 50-60 Muttersauen und Ferkelaufzucht. Das war damals ein Betrieb mittlerer Größe. Später nach der Aussiedlung hatten wir 130 Muttersauen. Auch das war ein Betrieb mittlerer Größe. Die anderen Betriebe waren ja auch gewachsen. Etwa zwei Jahre lang habe ich nach einem geeigneten Partner für den Betrieb gesucht und ihn schließlich im Nachbarort gefunden. Unser Partnerbetrieb ist wie wir auf Schweinezucht spezialisiert. Wir haben eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) gegründet. Zusammen haben wir einen Stall gebaut für knapp 500 Muttersauen und für 27 Jungsauen. Das ist im Vergleich mit Betrieben in Ost- und Norddeutschland ein mittelgroßer Betrieb. Die Vorteile der Kooperation sehe ich darin, dass wir beim Ferkelverkauf höhere Zuschläge bekommen aufgrund der Betriebsgröße. Als große Entlastung empfinde ich die Möglichkeit, dass wir uns austauschen, dass wir zusammenarbeiten und dass wir uns gut ergänzen. Weitere Vorteile der Kooperation sehe ich darin, dass wir Krankheiten in Ruhe ausheilen können und dass Weiterbildung und Urlaub möglich sind. Urlaub ist besonders für junge Familien wichtig. Von Vorteil ist auch die Entlastung im Alltag, dass wir Schwierigkeiten gemeinsam tragen und lösen. Die Kooperation hat auch Nachteile, aber die Vorteile überwiegen. Als Nachteil sehe ich die Aufgabe der Selbständigkeit, und es ist gewöhnungsbedürftig, dass der Ertrag geteilt wird. Nötig für die Kooperation ist die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Kommunikation. Nötig ist es, andere in ihrer Eigenart zu respektieren. Für unbedingt nötig halte ich den konstruktiven Umgang mit Fehlern. Ich bin dankbar dafür, dass einer meiner Söhne den Hof übernehmen wird und dass er bereit ist, die Kooperation weiterzuführen gemeinsam mit seiner Partnerin. Ich bin dankbar für den guten Zusammenhalt in der Familie. Trotz aller Zweifel und aller Enttäuschung im Zusammenhang mit dem Tod meiner Frau ist der christliche Glaube ein lebendiges Fundament meines Lebens geblieben, das ich mit meiner zweiten Frau teile.“ Mein Wunsch für dich ist: Deine Gaben sollen wachsen mit den Jahren. Gott hat sie dir geschenkt, und sie sollen die Herzen derer, die du liebst, mit Freude erfüllen. Und in jeder Stunde der Freude und des Leides wird Gott mir dir sein, dich segnen; und du mögest in seiner Nähe bleiben. Aus Irland (EG, S. 351) 28 Interview mit jungen Landwirtinnen und Landwirten Die Gedanken junger Betriebsleiterinnen und -leiter zum Thema Wachstum. Die Interviews wurden unabhängig voneinander geführt. a) Welche Gedanken kommen dir, wenn du an Wachstum denkst? (Landwirt 1*): In erster Linie denke ich hier an die Natur, wie sie jetzt im Moment gerade draußen sprießt. Besonders die Maispflanze mit ihrem enormen Wachstum fasziniert mich. (Landwirt 2*): Ein Ziel, ein Muss: Wachstum macht Spaß, zumindest habe ich unheimlich Freude und Spaß daran, etwas Neues zu machen oder aufzubauen. (Landwirtin 3*): Mit Wachstum verbinde ich in erster Linie die Natur. Aber eigentlich ist Wachstum in vielen Bereichen des Lebens da. Ich finde folgendes Zitat passend: Wenn man alles, was einem im Leben begegnet als Möglichkeit zum eigenen Wachstum ansieht, gewinnt man an innerer Stärke (Milarepa). b) Wie erlebst du Wachstum in der Natur? Es begeistert einfach, wie aus einem kleinen Samenkorn eine große Pflanze wird, die viel Ertrag bringt. Manchmal überraschend: aus einer Pflanze, oder einem Feld, das verunkrautet, völlig ausgedörrt oder erfroren aussieht, wächst ein wunderschöner Bestand heran. Für mich ist es auch irgendwie erschreckend, dass die Natur uns für ihr Wachstum eigentlich gar nicht braucht. Wir sie aber umso mehr. Das Wachstum der Natur ist so komplex, dass es für uns Menschen nicht möglich ist, es nachzubauen. Bedeutet: Den Käfer, auf den ich heute trete, kann kein Labor der Welt morgen wieder nachbauen. c) Wie erlebst du Wachstum im Bezug auf den Hof? Leider ist Wachstum irgendwie Zwang, „wachsen oder weichen“! Aber es begeistert mich auch, wie viel produktiver man z.B. als vor 29 20 Jahren sein kann, wenn Technik und Know-how ins Spiel kommen. Wachstum ist notwendig, manchmal ein unbedingtes Muss. Ich habe aber auch manchmal Angst nicht richtig oder schnell genug zu wachsen und so im Wettbewerb abgehängt zu werden. In Bezug auf den Betrieb findet ein ständiges Wachstum statt. Es gibt immer wieder neue Möglichkeiten, den Betrieb weiterzuentwickeln. d) Inwieweit ist Wachstum wichtig für ein positives Gefühl? Ohne Wachstum wird ein Betrieb nicht zukunftsfähig bleiben und es stellt sich vieles, was man geschafft und aufgebaut hat, in Frage! Für mich ist Wachstum auch eine Herausforderung, der ich mich stellen muss, um den Hof zu erhalten. Wachstum ist schön. Mir macht es vor allem Spaß, etwas Neues zu machen, weniger, immer größer zu werden. Ich möchte immer die Möglichkeit verspüren, etwas Neues machen zu können. Nicht stehen bleiben, neue Ideen einbringen und wenn es gut läuft, erfolgreich damit zu sein. Das motiviert mich und ich habe dabei ein gutes Gefühl. e) Wovon lässt du dich in deiner Betriebsentwicklung leiten? Betriebsentwicklung ist in erster Linie eine Frage der Arbeitskraft. Ich frage mich: Ab wann ist eine Fremdarbeitskraft notwendig und finanzierbar? Welchen Wert hat Freizeit? Von Wirtschaftlichkeit und Marktentwicklung, Freude an dem, was man machen möchte, und der Wirkung für die gesamte Gesellschaft. Wenn man nichts Neues macht, muss man wachsen, weichen, mit weniger zufrieden sein oder aber besonders gut sein. Vom Markt und neuen Trends. Ich muss meine Produkte der Nachfrage anpassen. Wenn ich es nicht schaffe, marktfähig zu bleiben, ist dies Existenz bedrohend. Deshalb steht Wachstum auch für Existenzsicherung. 30 f) Unterscheidest du zwischen verschiedenen Formen des Wachsens? Betrieblich kann ich wachsen um jeden Preis und mit vielen Fremdarbeitskräften oder versuchen, Arbeitskräfte einzusparen. Ich versuche gerade die zweite Möglichkeit, da der Betrieb so überschaubarer bleibt und ich auch sehen kann, was man aus dem vorhandenen Betrieb machen kann. Ich unterscheide zwischen betrieblichem, privatem, geistigem und geistlichem Wachstum. Wächst man in einem Bereich besonders stark, kann man in den anderen Bereichen weniger wachsen. Ja, wachsen nach dem Trend und zum neuen Trend. Lieber ist es mir, den Betrieb in eine neue Richtung wachsen zu lassen. Treffe oder begründe ich damit einen neuen Trend, ist das super. Das Risiko ist zwar größer, aber wenn es klappt, ist es das erfolgreichere Wachstum. g) Gibt es für dich Grenzen des betrieblichen Wachstums? Ich denke, dass die betrieblichen Gegebenheiten meist die Grenzen vorgeben. Das können die Lage des Betriebes, verschiedene Auflagen, Agrarstruktur und Verfügbarkeit von Arbeitskräften sein. Ja, vor allem aufgrund von eigenen und externen Einschränkungen: Flächenknappheit, Risiko, der eigenen Psyche, der Gesundheit, dem Wunsch im Leben nicht nur für den Betrieb zu leben. Ja, der Markt auf dem ich meine Produkte verkaufen will. Ist dieser gesättigt, macht es keinen Sinn in diese Richtung weiter zu wachsen. Angaben zu den jungen Landwirtinnen und Landwirten: (Landwirt 1*): 32 Jahre, Dipl. Ing. agr., Puten- und Ackerbaubetrieb (Landwirt 2*): 30 Jahre, Dipl. Ing. agr., Wildblumen- und Gräsersaatgutproduktion, Ackerbau und Schweinezucht (Landwirtin 3*): 23 Jahre, Bachelor, Schweinezuchtbetrieb mit Jungsauenvermehrung 31 Grenzen des Wachstums Zusammenfassung aus Misereormagazin 1/2013 und Magazin der Heinrich-Böll-Stiftung 2/2011 durch Hildegund Winter. I Grenzen des Wachstums sind variabel 1a Warnung - Ende 18. Jahrhundert Der englische Nationalökonom und Sozialwissenschaftler Robert Malthus prophezeit schon im 18. Jahrhundert, dass die Agrarproduktion nicht mit der rasch anwachsenden Bevölkerung Schritt halten könne. Hungersnöte wären die Folge, wenn aufgrund der steigenden Nachfrage die Böden übernutzt werden und die Ertragskraft dadurch immer weiter sinken würde. 1b Lösung - Mitte des 19. Jahrhunderts Die Zeitgenossen Justus Liebig und Gregor Mendel konnten durch ihre Entdeckungen in der Agrochemie und der systematischen Pflanzenzucht die Erträge in der Landwirtschaft vervielfachen. 2a Warnung - Club of Rome 1972 Donella und Dennis Meadows stellten 1972 in ihren Studien "Grenzen des Wachstums", herausgegeben vom Club of Rome, den Weg des materiellen Wachstums als solchen infrage. Ihr Fazit lautet: Die Ressourcen der Erde sind endlich. Durch die Zunahme der Weltbevölkerung steigen Agrar- und Fleischproduktion, der Verbrauch natürlicher Rohstoffe, von Düngemitteln und Süßwasser. Gleichzeitig entstehen kaum zu bewältigende Mengen an Abfällen und Schadstoffen im Boden, im Wasser und in der Luft. Die Gefahr des Kohlenstoffdioxids in der Atmosphäre wird in der Studie hingegen nur als eine Bedrohung unter vielen angesehen. 2b Reaktionen Kurzzeitig wird der Club of Rome kritisiert, denn die Ressourcen schrumpften nicht so rasch wie vorhergesagt. Auch die Ökosysteme waren nicht so schnell überlastet. Auf saure Seen, Waldsterben und Ozonloch wurde erfolgreich mit Filtern und Verboten reagiert. 32 3 Warnung - Club of Rome 2012 Im "Zukunftsreport 2052" von Jørgen Randers wird der Klimawandel als zentrale Bedrohung angesehen. 35 führende Wissenschaftler warnen in ihren Stellungnahmen vor einem ungezügelten Wirtschaftswachstum. Über Jahrtausende sind Menschenzahl und materielle Produktion nur sehr langsam gewachsen. Mit der Industrialisierung setzt eine atemberaubende Beschleunigung ein. Wachstum 1800 - 2000: Weltbevölkerung 6-fach Energieverbrauch 40-fach Weltwirtschaft 50-fach Alle Forscher analysieren, dass die Ökosysteme im roten Bereich agieren. Als größtes Problem wird die Erderwärmung eingestuft. II Politische Lösungsversuche 1 Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität 2011 Der Deutsche Bundestag hat 2011 eine Kommission eingerichtet, die sich mit der Zukunftsfrage nachhaltiges Wirtschaften beschäftigt. Sie soll die gesellschaftliche Debatte vorantreiben, wie globaler Wohlstand und soziale Gerechtigkeit mit den Grenzen eines endlichen Planeten vereinbar gemacht werden können. Es geht darum, nach Möglichkeiten der Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch zu suchen und neue Wege für nachhaltigere Arbeits-, Lebens- und Konsumstile zu entwickeln, die den Orientierungsrahmen für eine neue Form des Wirtschaftens bilden sollen. 2 Ein Beispiel: Ecuador 2008 und Bolivien 2009 - Konzept "Buen Vivir" in Verfassung aufgenommen In Ecuador und Bolivien hat das Verhältnis zur Natur einen zentralen Stellenwert bekommen, seit dem das Konzept des "Buen Vivir" in die Verfassung aufgenommen worden ist. Es zielt auf eine Harmonie mit der Natur und eine Abkehr von der Idee des endlosen Wachstums und soll verhindern, dass die traditionellen Entwicklungsmodelle der industrialisierten Länder nachgeahmt werden, da diese die auf der Ausbeutung der natürlichen Res33 sourcen bestehen. Der Verfassungsgrundsatz ist umso bemerkenswerter, da beide Länder stark von der Ausbeutung ihrer Bodenschätze (Öl, Gas) profitieren. III Vorgeschlagene weitere Lösungsansätze Agrarreformen: Stärkung der Kleinbauern, Änderung der Subventionierungsrichtlinien Verantwortungsvoller Fleischkonsum Steigerung der Ressourceneffizienz („aus weniger mehr machen“) Regenerative Energien Nachwachsende Werkstoffe Bionik (zielt darauf ab, biologische Prozesse und Materialien in technische Innovationen zu übersetzen) Neben allen politischen Lösungsansätzen braucht es dringend eine ökologische Dynamik von unten, die von Konsumenten, Umweltverbänden, Landwirtschaft, Gemeinden, Erfindern und Investoren vorangetrieben wird. 34