Materialien zum Erntebittgottesdienst

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Materialien zum Erntebittgottesdienst
Materialien zum
Erntebittgottesdienst
2013
„Einiges fiel auf gutes Land, ging auf
und wuchs und brachte Frucht.“
Markus 4, Vers 8
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wird, bitten wir um genaue Absenderangabe.
Herausgeber:
Evang. Landesbauernpfarramt
Evang. Bauernwerk in Württemberg e. V.
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www.hohebuch.de
Redaktion:
Dr. Jörg Dinger, Landesbauernpfarrer
Sonja Naegelin, Sekretariat
2
Materialien zum Erntebittgottesdienst 2013
Inhaltsangabe
Vorwort
4
Lieder und Psalmen
6
Gestaltungs- und Dekorationsidee
7
Sprechmotette
8
Anspiel
10
Eingangsgebete
11
Anmerkungen zum Predigttext
13
Predigtvorschlag
17
Fürbitten
22
Lebensrückblick eines Bauern
25
Interview mit jungen Landwirtinnen und Landwirten
29
Grenzen des Wachstums
32
3
Vorwort
Liebe Pfarrerinnen und Pfarrer,
liebe Prädikantinnen und Prädikanten,
liebe Vorbereitungsteams der Erntebittgottesdienste!
Die Vegetation ist noch deutlich im Rückstand, auch wenn dem langen und trüben Winter nun einige fast schon sommerliche Tage gefolgt sind. Bis Sie in ungefähr zwei Monaten Ihren Erntebittgottesdienst feiern, wird sich eine Menge getan haben. Vieles, was wir jetzt
nur in ersten Ansätzen sehen, wird wachsen, reifen und Frucht bringen. Hoffentlich gefördert durch Regen und Sonne zur rechten Zeit.
Hoffentlich, ohne dass ein Hagelschlag alle schönen Ansätze zunichte macht, und die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern an dieser
Stelle vergeblich war.
„Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte
Frucht.“ Das Leitwort für die Erntebittgottesdienste 2013 stammt aus
dem oft bildlich dargestellten Gleichnis vom Sämann. Bis heute
prägt das „vierfache Ackerfeld“ das Logo des Evangelischen Bauernwerks in Württemberg. Der Säende auf dem Titelblatt findet sich
auf einem Glasfenster in der evangelischen Kirche in Unterkessach.
Der Bezirksarbeitskreis Neuenstadt des Evangelischen Bauernwerks
hat mit mir die Ihnen vorliegenden Materialien erarbeitet. Allen Beteiligten danke ich herzlich für die gute Zusammenarbeit. Stellvertretend nenne ich die Bezirksbauernpfarrerin Susanne Spöhrer und
den Bildungsreferenten Matthias Häfner.
Die Initialzündung für die Themenfindung lieferte eine Diskussion
über „Chancen und Grenzen des Wachstums“: betrieblich, gesamtwirtschaftlich, in der Natur, geistlich, kirchlich. Darum finden sich in
diesem Heft auch Gedanken von Bäuerinnen und Bauern zum Thema
„Wachstum“, die über den Predigtvorschlag hinaus Anregungen für
den Gottesdienst geben können, sowie die Zusammenfassung zweier
Beiträge zu den „Grenzen des Wachstums“.
4
Jesu Gleichnis zeigt uns unterschiedliche Formen des Wachstums,
fruchtbare und weniger fruchtbare. Das Leitwort selbst beschreibt
den optimalen Verlauf: „Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und
wuchs und brachte Frucht.“ Möge Jesu Mut machendes Wort bei uns
auf guten Boden fallen und Frucht bringen. Wenn diese Materialien
dazu einen kleinen Beitrag leisten, haben sie ihren Zweck mehr als
erfüllt. So wünsche ich uns allen gesegnete Erntebittgottesdienste
und eine gute Ernte.
Mit herzlichen Grüßen, Ihr
Jörg Dinger, Landesbauernpfarrer
Hohebuch, Ende April 2013
.
Das von Robert Eberwein
gestaltete Symbol des
Evang. Bauernwerks, das
„vierfache Ackerfeld“, ist
leicht abgewandelt bis heute in
Gebrauch.
5
Lieder und Psalmen
Die Liedvorschläge sind dieses Jahr etwas zahlreicher ausgefallen.
Dafür haben wir darauf verzichtet, zum wiederholten Male einen
Vorschlag zum Ablauf abzudrucken (vgl. dazu die Erntebitthefte bis
einschließlich 2011). Ein Tipp: Bedenken Sie die Frage der Musik
frühzeitig, wenn der Gottesdienst auf einem landwirtschaftlichen
Betrieb oder im Freien stattfindet. Spielt ein Posaunenchor? Welche
Möglichkeiten zur musikalischen Gestaltung gibt es sonst? Gesangbücher oder Liedblätter?
Morgenlieder
437
449
451 (Str. 7-10)
663 (Str. 2-6)
664 (Str. 3, 4)
Die helle Sonn leucht´ jetzt herfür
Die güldne Sonne
Mein erst Gefühl sei Preis und Dank
Mit Freuden will ich singen
Früh am Morgen Jesus gehet
Eingang und Ausgang
155
Herr Jesu Christ, dich zu uns wend
164
Jesu, stärke deine Kinder
169 (Str. 1-3)
Der Gottesdienst soll fröhlich sein
176
Öffne meine Augen
457 (Str.1, 4-12) Der Tag ist seiner Höhe nah
461
Aller Augen warten auf dich, Herre
Lieder zum Thema
196 (Str. 2-4)
Herr, für dein Wort sei hoch gepreist
368
In allen meinen Taten
369
Wer nur den lieben Gott lässt walten
378
Es mag sein, dass alles fällt
379 (Str. 2, 3)
Gott wohnt in einem Lichte
494
In Gottes Namen fang ich an
497 (Str. 1, 2, 5, 9, 10, 12, 13)
Ich weiß, mein Gott
500
Lobt Gott in allen Landen
654
Du schufst, Herr, unsre Erde gut
6
659 (Str. 1, 2, 4)
667 (Str. 3-6)
675
677
Die Erde ist des Herrn
Die ihr bei Jesus bleibet
Das walte Gott
Die Ernt ist da, es winkt der Halm
„Klassiker“ zum Erntebittgottesdienst
502
Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit
503
Geh aus, mein Herz
508
Wir pflügen und wir streuen
512
Herr, die Erde ist gesegnet
Für Gottesdienste mit Kindern
504
Himmel, Erde, Luft und Meer
515
Laudato Si
Psalmen
1 (702), 8 (705), 23 (711), 36 (719), 67 (731), 104 (743), 126 (750),
145 (756), 146 (757)
Schriftlesung
Natürlich kann das Gleichnis, dem das Leitwort entstammt und das
der Predigt als Ganzes zu Grunde liegt, auch Schriftlesung sein:
Markus 4, 3-9. Weitere Vorschläge: Jesaja 32, 16-20; Jesaja 55, 811; Jeremia 17, 7+8, Matthäus 7, 16-21; Johannes 15, 1-5; 2. Korinther 9, 6-10; Philipper 1, 9-11 (alle zum „Frucht bringen“).
Gestaltungs- und Dekorationsidee
Etwa zehn bis vierzehn Tage vor dem Gottesdienst eine große Schale
mit Erde füllen, verschiedene schnell wachsende Samen einsäen und
regelmäßig wässern. Die Samen sollten dann bis zum Gottesdienst
aufgehen.
Neben dem Altar, z.B. auf einem alten Handleiterwagen, können ein
großes, mit Körnern gefülltes Glas, die Schale mit der wachsenden
Saat, ein Strauß mit frisch vom Acker geschnittenem Getreide und
vielleicht dazu ein Brot präsentiert werden.
7
Sprechmotette zu Markus 4,8
Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und
brachte Frucht.
I.:
So wünschen wir es uns, wenn wir säen. Dass die Saat
aufgeht, wächst und gedeiht, und wir am Ende gute Frucht
einbringen können.
II.:
Aber nicht immer geht es so gut. Mal ist es zu trocken, mal zu
feucht.
III.: Oder es hagelt in das fast erntereife Getreide.
I.:
Wir können auch an Februar letztes Jahr denken. Die
wunderbar aufgegangene Wintersaat. Wo kein schützender
Schnee lag, ist sie einfach erfroren.
II.:
III.:
I.:
II.:
Für das Nachgesäte war es dann eine ganze Weile zu trocken.
Schlimm war für viele die lange Unsicherheit: „Umbrechen
oder stehen lassen? Wird´s noch etwas oder muss ich es
abschreiben?“
Bei der Ernte gab es schließlich Riesenunterschiede. So
ziemlich alles zwischen „katastrophal“ und „gut“.
Entsprechend unterschiedlich war auch die Stimmung zu
Erntedank.
Es ist nicht selbstverständlich, dass die Saat aufgeht, wächst
und gedeiht und gute Frucht bringt.
III.: Überhaupt ist es ein Wunder, wie aus einem Samenkorn
immer wieder eine Ähre wird mit vielen Körnern.
Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und
brachte Frucht.
I.:
Einiges, das heißt: nicht alles.
II.:
Ja, in der Geschichte vom Sämann, die Jesus erzählt, gibt es
auch Verlust.
III.: Körner fallen auf den Weg, auf felsigen Boden, unter die
Dornen, und nichts wird aus ihnen.
8
I.:
Ein seltsamer Bauer. Geht der verschwenderisch mit dem
Saatgut um! Von „precision farming“ hat er sicher noch nichts
gehört.
II.:
Anscheinend hat man das damals so gemacht. Erst gesät, dann
untergepflügt. Ein gewisser Verlust ist dabei von vornherein
einkalkuliert.
III.:
Der scheint ihn aber auch nicht besonders zu bekümmern,
weil der Rest gut aufgeht und reichlich Frucht trägt.
Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und
brachte Frucht.
I.:
Können wir heute in der Landwirtschaft so arbeiten wie der
Sämann, von dem Jesus erzählt?
II.:
Müssen wir nicht vielmehr knallhart kalkulieren, aus dem
knappen Boden und dem teuren Saatgut das Optimale
herausholen?
III.: Oder wird es immer so sein, solange wir in und mit der Natur
arbeiten – dass nicht alles aufgeht, wächst und gedeiht, wie
sehr wir uns auch um Optimierung bemühen? Eine reiche
Ernte ist und bleibt ein Geschenk Gottes.
I.:
So ist es doch bei allem, was wir tun. In der Landwirtschaft,
in anderen Berufen. In der Kirche oder im Verein. Selbst in
der eigenen Familie.
II.:
Was bringt es eigentlich, sich für andere zu engagieren? Ich
versuche, Werte zu vermitteln – aber am Ende zählen nur
Geld und Konsum.
III.: Oder kann ich darauf hoffen, dass mein Engagement am Ende
doch Frucht bringt? Vielleicht erst viel später und anders, als
ich gedacht hatte. Ich denke, die Geschichte, die Jesus erzählt,
will diese Hoffnung stärken.
Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und
brachte Frucht, und einiges trug dreißigfach und einiges
sechzigfach und einiges hundertfach.
9
Anspiel
Mutter und Kind sitzen im Auto.
M: Oh Mann, ist das schon spät, wir haben doch den Termin beim
Arzt.
K: Hey Mama, fahr doch nicht so schnell, da vorne fährt ein
Mähdrescher.
M: Jetzt auch das noch, das kann ja wohl nicht wahr sein, hier kann
ich nicht überholen.
K: Ooh, der Mähdrescher ist ja riesengroß.
M: Ja, die Erntemaschinen werden immer größer und breiter.
K: Dann fahren wir eben hinterher und ich kann den Mähdrescher
noch anschauen.
M: Ja, da hilft jetzt alles nichts, dann kommen wir eben zu spät
zum Arzt.
K: Mama, was macht eigentlich ein Mähdrescher?
M: Der Mähdrescher drischt auf den Feldern der Bauern.
K: Was heißt dreschen?
M: Der Mähdrescher schneidet das Getreide und trennt Spreu und
Stroh vom Korn.
K: Was macht der Bauer mit den Körnern?
M: Er bringt die Getreidekörner zur Mühle und da wird daraus
Mehl gemahlen. Weißt du, was man aus Mehl macht?
K: Aus Mehl bäckst du Kuchen und Brot.
M: Genau, Getreide braucht man für Brot und Kuchen, für
Haferflocken und Müsli.
K: Mmh, das sind ja lauter leckere Sachen zum Essen.
M: Und wichtige Sachen, ohne Getreide müssten wir hungern,
denn ein Teil der Körner wird für die nächste Ernte wieder
ausgesät.
10
K: Dann ist ja gut, dass der Mähdrescher heute fährt.
M: Ja, du hast recht, es ist gut, dass das Wetter schön ist und die
Erntemaschinen unterwegs sind. Auch wenn wir es eilig haben
und die großen Maschinen nicht so schnell auf der Straße
fahren können wie ein Auto.
K: Und was ist mit unserem Termin?
M: Da kommen wir einfach ein bisschen zu spät und erklären, dass
uns etwas Wichtiges aufgehalten hat.
K: Ja, etwas Lebensnotwendiges ist uns begegnet…
Im Anfang
Bevor das Wasser
flutete
und die Berge
aufstiegen
war ER
der Beweger.
Erich Spöhrer
Eingangsgebete
I.
Herr, wir danken dir, dass Jahr für Jahr die Früchte in Feld und
Garten wachsen und gedeihen.
Wir danken dir, dass du uns das ganze Jahr durch begleitest und
trägst.
Wir haben uns zu diesem Gottesdienst getroffen und bitten dich um
Hilfe und Begleitung für die nächste Zeit und für diesen
Gottesdienst.
Wir legen diesen Gottesdienst und all unser Tun in deine Hände und
bitten dich, dass wir zuversichtlich und freudig die Ernte einbringen
können.
Wo Gott nicht segnet, da hilft keine Arbeit, wo er nicht behütet, da
hilft keine Sorge.
Amen.
11
II.
Zu dir kommen wir, Herr, unser Gott.
Du hast uns und alles geschaffen.
Du lässt die Saat aufgehen, wachsen, reifen und Frucht bringen.
Zu dir kommen wir vor der Ernte,
mit unserer Freude, unserem Dank,
mit unseren Sorgen, unseren Bitten.
Zu dir kommen, zu dir beten wir, und wir hören auf dein Wort.
Sprich du zu uns, mach uns bereit zum Hören.
Lass dein gutes Wort fruchtbar sein in unserem Leben,
in unserer Gemeinde, in der ganzen Welt.
So werden wir stille vor dir.
III.
Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen
Namen!
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes
getan hat!
Mit Lob und Dank kommen wir an diesem Sonntagmorgen vor dich.
Wir danken dir, treuer Gott, dass auch dieses Jahr wieder eine gute
Ernte herangewachsen ist.
(Du hast nach der Sintflut versprochen: Solange die Erde steht, soll
nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter,
Tag und Nacht.)
Wir danken dir, Herr Jesus Christus, für den äußeren Frieden in
unserem Land und bitten dich für den inneren Frieden in unseren
Gemeinden.
Heiliger Geist, du Tröster der betrübten Herzen, öffne uns nun die
Ohren und die Herzen für das Wort der Wahrheit.
Mache mich zum guten Lande, wenn dein Samkorn auf mich fällt.
Herr, wir danken dir für deine Gegenwart und hoffen auf deinen
Segen, der uns auch durch die neue Woche begleiten möge.
Dir, unserem Gott und Vater, durch unseren Herrn Jesus Christus, sei
Ehre, Preis und Lob allezeit.
Amen.
12
Anmerkungen zum Predigttext
Wachstum
„Wachstum“ ist in aller Munde, v.a. als Wirtschafts- oder betriebliches Wachstum, in kirchlichen Kreisen auch als „church growth“
bzw. „Wachsen gegen den Trend“. Für manche ein Zauberwort, anderen dagegen eine gefährliche Ideologie. Unternehmer, auch Landwirte, freuen sich jedenfalls, wenn der Betrieb sich entwickelt und
wächst. Andererseits spüren sie oft den Zwang: „Um zu bestehen
müssen wir größer werden, ob wir es wollen oder nicht.“
Zuerst aber ist Wachstum ein elementares Natur-Geschehen, gehört
unverzichtbar zu jeglichem Leben. Doch während wirtschaftliches
Wachstum nach unendlicher Fortsetzung strebt, hat es in der Natur
ein Ziel, ein Ende. Der Phase des Wachsens folgt eine des Reifens
und Erwachsen-Seins – und am Ende erweist sich alles Geschaffene
als vergänglich. Das Getreide wird geerntet. Menschen werden alt
und sterben.
Wenn in der Bibel vom Wachsen die Rede ist, dann überwiegend im
positiven Sinne, ohne den Aspekt der Vergänglichkeit auszublenden
(z.B. Ps. 103, 15f). Gott schenkt das Wachsen und Gedeihen in der
Natur und auf dem Acker (z.B. Ps. 104, 14f). Ja, der Vorgang steht
sogar gleichnishaft für das „Reich Gottes“ – in den so genannten
„Wachstumsgleichnissen“ Jesu (Mk. 4 par.). Gottes Reich beginnt
unscheinbar, wie ein Senfkorn, wie eine Aussaat, bei der einiges
daneben geht. Aber es wächst und gedeiht. Am Ende steht ein stattlicher Strauch da, fällt die Ernte überwältigend groß aus. In diesem
Sinne erzählt die Apostelgeschichte, wie die Zahl der Christen in der
Urgemeinde gewaltig anwächst (Apg. 2, 41. 47; 5, 14f; 6, 1 u.ö.).
Auf der anderen Seite wird Wachstum auch qualitativ als Vertiefung
des Glaubens verstanden (2. Kor. 9, 10; 10, 15; Kol. 1, 10 u.ö.).
Der Leitvers für den Erntebittgottesdienst 2013 entstammt dem
Gleichnis Mk. 4, 3-9. Deutlich ist der landwirtschaftliche Bezug.
Darüber hinaus benennt der Abschnitt unterschiedliche Aspekte zur
13
Wachstumsthematik insgesamt: es gibt wunderbares, es gibt aber
auch zu schnelles oder im Keim ersticktes Wachstum.
„Sämann“ oder „vierfaches Ackerfeld“?
Mk. 4, 3-9 ist eines der wenigen Gleichnisse, bei dem die Bibel eine
Deutung gleich mit liefert (Mk. 4, 14-20). Sein klassischer Name
„Vom vierfachen Ackerfeld“ rührt von dieser Deutung her. Hauptsächlich interessieren dabei die vier unterschiedlichen Böden. Diesen
entsprechen vier verschiedene Reaktionsweisen auf die christliche
Verkündigung bzw. vier Menschentypen. Manche sind vornherein
nicht bereit sich darauf einzulassen. Es gibt die schnell Begeisterten,
die bei den ersten Schwierigkeiten ebenso schnell wieder weg sind,
die überaus Beschäftigten, bei denen gute Ansätze überwuchert
werden und fruchtlos bleiben. Bei anderen aber wirkt Gottes Wort
nachhaltig und prägt das ganze Leben. Hörerinnen und Hörer werden
damit zur Selbsterforschung angeregt: „Vierfach ist das Ackerfeld –
Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“
Diese Auslegung wurde z.T. schon in der Reformationszeit, v.a. aber
im letzten Jahrhundert vielfach als „gesetzlich“ kritisiert. Man versuchte, den ursprünglichen Sinn von Jesu Gleichnis unabhängig von
seiner innerbiblischen Deutung zu erheben. Dafür wird das Gleichnis
nun eng mit den anderen „Wachstumsgleichnissen“, v.a. mit dem
vom Senfkorn (Mk. 4, 30-32), zusammen gesehen. Die Arbeit des
Sämanns und der Kontrast zwischen dem unscheinbaren Anfang und
dem überwältigenden Ertrag stehen dann im Vordergrund (z.B. J.
Jeremias: „Gleichnis vom unverzagten Sämann“). Die Deutung V
14ff erscheint als sekundäre Bildung der Urgemeinde.
Neuere Auslegungen versuchen die Ausschließlichkeit und Einseitigkeit beider Sichtweisen zu überwinden. Auf der einen Seite wird
der sprachliche und sachliche Zusammenhang von V 3-9 und V 1420 deutlich herausgearbeitet, so dass es kaum mehr möglich erscheint, zweites nur als sekundäre (Fehl-)Deutung vom eigentlichen
Jesus-Gleichnis abzusetzen. Andererseits werden die Erkenntnisse
der kritischen Gleichnis-Forschung des 20. Jahrhunderts integriert,
v.a. hinsichtlich des Bezugs zum „Reich Gottes“ bzw. zu dessen
14
Verkündigung durch Jesus und seine Jünger (U. Luz, EKK I/2, Neukirchen 1999, 303-306. 308-311; K. Dronsch, in: Kompendium der
Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 297-311; J. Schröter in: Texte zur
Bibel 28, Neukirchen 2012, 66-68).
Einige Beobachtungen im Einzelnen:
Der Sämann: Er begegnet nur ganz am Anfang des Gleichnisses und
der Deutung, verschwindet danach aber völlig aus dem Blickfeld.
Seine Arbeit und ihr Erfolg bzw. Misserfolg scheint also nicht
Hauptthema zu sein.
Der Same: Das Wort taucht im ganzen Text nicht auf. Im Gleichnis
ist nur die Rede davon, dass „einiges“ auf den Weg, auf felsigen Boden, unter die Dornen, auf gutes Land fällt. Genau genommen ist
aber nur der letzte Fall im Plural formuliert: „Eines“ – „ein anderes“
– „ein anderes“ – „andere“ (= „der ganze Rest“). Demnach gehen
nicht etwa drei Viertel des Ausgesäten verloren, sondern eher ein
kleiner Anteil. Dennoch lenken Gleichnis wie Deutung das Augenmerk v.a. auf die Anteile, die aus verschiedenen Gründen keine
Frucht bringen. In der Deutung zeigt sich dabei eine Unschärfe:
Während zunächst eindeutig der Same mit dem „Wort“ (der christlichen Verkündigung) identifiziert wird (V 14), erscheinen in der
Folge die Menschen als die „Gesäten“. Deutlich ist das im griechischen Text und der Übersetzung der Zürcher Bibel. Die Lutherübersetzung umschifft das Problem: „…, bei denen gesät ist …“ Auf jeden Fall werden die Menschen nicht direkt mit den unterschiedlichen
Böden identifiziert und damit ein für allemal auf eine bestimmte Reaktionsweise festgelegt.
Die Verluste: Warum geht im Gleichnis überhaupt etwas verloren?
Müsste der Bauer nicht wissen, wo der Weg verläuft, wo die Humusschicht über dem Felsen zu dünn ist? Müsste er das Unkraut nicht
vor dem Säen und später noch einmal entfernen? Beantwortet werden
die Fragen meistens mit den Ackerbaumethoden in Palästina zur Zeit
Jesu: Zuerst habe man auf den unbearbeiteten Acker gesät, dann gepflügt. Ob das zutrifft, vermag ich nicht zu beurteilen. Das Gleichnis
selber schweigt zum Thema „Pflügen“, wie überhaupt zu den landwirtschaftlichen Details. Klar scheint aber zu sein, dass die anfallen15
den Verluste nicht für ungewöhnlich gehalten werden. Und das
Ganze ist von Anfang an so formuliert, dass es auf die Übertragung
hinzielt, die die Verse 14-20 vornehmen.
Wer Ohren hat zu hören …
Die beiden wichtigsten Worte von Markus 4, 3-20 heißen „Säen“ und
„Hören“ (jeweils 9mal). Thema der ganzen Einheit – einschließlich
der dazwischen geschalteten und schwierig zu deutenden Reflexion
über das „Geheimnis des Reiches Gottes“ und das Verstehen bzw.
Nicht-Verstehen (V 10-13) – ist also das gelingende oder eben nicht
gelingende Hören. Das Gleichnis ist eingerahmt von zwei Aufmerksamkeitsrufen: „Hört!“ (V3) – „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“
(V 9) Bei der Gleichnisdeutung ist auffällig, dass alle vier Gruppen
das Wort der Verkündigung hören – bei den ersten drei deutet die
Verbform freilich an, dass es sich um ein lediglich punktuelles Hören
handelt, das darum letztendlich folgenlos bleibt, während die letzten
immer wieder hören, so dass das Wort in ihnen nachhaltig wirkt und
ihr Leben prägt.
Als Christen heute sprechen uns Gleichnis und Deutung in doppelter
Weise an: „Als hörende Gemeinde gilt es, das Wort aufzunehmen.“
(K. Offermann in: Texte zur Bibel 28, Neukirchen 2012, 69) – „Als
säende (=verkündigende, J.D.) Gemeinde gilt es, sich von Erfolg und
Misserfolg nicht irritieren zu lassen. Beide gehören dazu, und mit
beidem soll die Gemeinde rechnen.“ (ebd.)
Einiges fiel auf gutes Land …
Der Leitvers beschreibt sehr schön den Prozess des Frucht-Bringens:
 Der Same fällt auf gutes Land.
 Er geht auf.
 Die Pflanze wächst.
 Am Ende steht die Frucht.
In keiner der Phasen ist der gute Fortgang selbstverständlich, bis kurz
vor der Ernte kann noch etwas dazwischen kommen. Während das
Gleichnis Gefahren benennt, die mit der Bodenbeschaffenheit zusammenhängen, spielt für die Landwirtschaft heute v.a. die Gefähr16
dung der Ernte durch das Wetter (Frost, Trockenheit, Hagel) und
durch Schädlinge eine Rolle. Dass trotz aller ins Kalkül zu ziehenden
Verluste am Ende reiche Frucht steht, ist nach einer neuen Auslegung die „gute Ordnung der Schöpfung“, die die Erzählung veranschaulicht (K. Dronsch, a.a.O., 307): „Dafür werden in der Parabel
vier sich gleichzeitig realisierende Geschichten erzählt, bei der sich
die Verlässlichkeit des Schöpfers darin zeigt, dass es genug Saat gibt,
die aufgeht und Frucht bringt.“
Zusammengefasst eröffnet der Leitvers einen weiten Raum für die
Predigt zum Erntebittgottesdienst:
 Der Prozess des Wachsens und Frucht-Bringens und seine
Gefährdungen.
 Die gute Ordnung der Schöpfung und die Verlässlichkeit des
Schöpfers.
 Fruchtbares, verfehltes und im Keim ersticktes Wachstum.
 Fruchtbringendes oder folgenloses Hören auf das Wort, das
uns von Gott her gesagt ist – wir als hörende Gemeinde.
 Die Frage, was aus dem wird, was wir säen – auf dem Acker,
im Garten, wie auch im übertragenen Sinne (unsere Versuche,
Gutes zu bewirken im Beruf, in der Familie, in der Kirchengemeinde, in der Ortschaft …).
 Das „gute Land“ – in dem wir leben, das wir bestellen – das
wir sind oder nicht sind.
Predigtvorschlag
Einiges fällt auf gutes Land, liebe Gemeinde. Von dem, was der
Bauer gesät hat. Warum eigentlich nicht alles? Es müsste doch
darum gehen, das kostbare Saatgut möglichst effektiv zu nutzen. So,
dass nichts oder fast nichts verloren geht. Ja, das ist ein Ziel, dem der
moderne Ackerbau immer näher kommt. Verluste minimal halten
durch präzise gezieltes Ausbringen von Saatgut, Dünger, Pflanzenschutz. Nicht zu viel und nicht zu wenig, alles genau an die richtige
Stelle und zur rechten Zeit.
17
Anders der Bauer, von dem Jesus erzählt. Seine Methode erscheint
weniger professionell. Einiges vom Gesäten fällt auf den Weg, die
Vögel kommen und fressen es weg. Weiß er denn nicht, wo die Erde
schon so festgetreten ist, dass nichts mehr aufgehen kann? Einiges
fällt auf felsigen Boden, schießt schnell auf, verdorrt aber, weil es
nicht richtig einwurzeln kann. Eigentlich müsste er die Stellen kennen, an denen die Humusschicht zu dünn ist, um den Pflanzen auf
Dauer genug Wasser und Nährstoffe zu geben. Schließlich fällt einiges unter die Dornen, die zugleich mit dem guten Samen aufgehen
und die Frucht ersticken. Warum rückt er dem Unkraut nicht richtig
zu Leibe? Kein guter Bauer, so scheint es. Oder macht er schlicht
das, was zu seiner Zeit üblich ist – erst säen, dann umpflügen? Die
Verluste bekümmern ihn offenbar nicht besonders. Denn einiges, ja
vieles fällt auf gutes Land, geht auf und wächst und bringt Frucht.
Reichlich Frucht.
„Halt!“ könnte jetzt jemand dazwischen rufen: „Du vergisst, dass das
Ganze ein Gleichnis ist, eines, das Jesus sogar selber erklärt. Da geht
es nur vordergründig um einen Bauern, sein Saatgut und den Acker.
In Wahrheit sind wir Menschen gefragt, wie Gottes Wort bei uns
ankommt.“
Da gibt es die, die hören und doch nicht hören. Sie können oder
wollen nicht an sich heran lassen, was Gott ihnen zu sagen hat. Andere hören das Wort und sind gleich Feuer und Flamme. Sie versuchen, ihre Begeisterung an andere weiter zu geben, ernten aber Desinteresse, Ablehnung, Spott. Bald erlahmt der Schwung, das rasant in
die Höhe geschossene Glaubens-Pflänzchen verdorrt. Wieder andere
wollen schon irgendwie gläubig sein. Aber sie haben so viel um die
Ohren, wichtige Dinge: Geld verdienen, den Betrieb entwickeln, die
Familie versorgen, Sport treiben, das Leben genießen. Für Fragen
nach dem Sinn, für das Hören auf Gott fehlt die Zeit, fehlt die Ruhe.
Schließlich gibt es die, die sich trotz allem, was auch noch wichtig
ist, Zeit und Ruhe nehmen für den, der an erster Stelle steht: Gott.
Sie hören auf sein Wort, nicht nur einmal, sondern immer wieder.
Und das Wort verändert sie von innen heraus. Es geht auf und wächst
und bringt gute Frucht.
18
Ja, liebe Gemeinde, das alte Nachtwächterlied hat Recht: „Vierfach
ist das Ackerfeld – Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“ Eine offene
Frage, denn wir sind nicht ein für allemal festgelegt, ob der Same bei
uns auf den Weg fällt oder auf gutes Land. Jesu Gleichnis könnte
vielmehr den Boden in uns auflockern oder der Wind sein, der das
Samenkorn an die richtige Stelle bläst, wo es aufgehen, wachsen und
reifen kann.
Es geht also um uns Menschen und das, was Gott zu sagen hat, liebe
Gemeinde. Es geht aber auch um den Bauern und seine Saat. Denn
Jesus ist bodenständig, hat den Stoff für sein Gleichnis nicht zufällig
gewählt. Es weist hintergründig auf die gute Ordnung der Schöpfung
hin, in der trotz Verlusten am Ende reiche Frucht dasteht.
Wenden wir uns also wieder dem Sämann zu. Einiges, sogar vieles
von dem, was er ausbringt, fällt auf gutes Land, wächst, gedeiht und
bringt reichlich Frucht. Doch noch einmal die Frage: Warum nicht
alles? Heutzutage müsste es doch möglich sein, die Verluste auf ein
Mindestmaß zu begrenzen. Aber wenn wir genauer nachdenken,
merken wir, dass nach wie vor einiges verloren gehen kann auf dem
Weg von der Aussaat bis zum Dreschen. Nicht unbedingt, weil es auf
den falschen Boden fällt. Eher durch Schädlinge oder wegen des
Wetters. Der Frost, der die wunderschön aufgegangene Wintersaat
zerstört oder die Apfelblüten. Trockenheit im Frühjahr, Hagelunwetter im Sommer, vielleicht noch kurz vor der Ernte. Mit all dem
haben Bäuerinnen und Bauern im Land in den letzten Jahren zu
schaffen gehabt, manche erhebliche Einbußen erlitten. Ja, solche
Bedrohungen durch das Wetter sind der Grund, warum seit bald 200
Jahren Erntebittgottesdienste gefeiert werden mit der Bitte um eine
gesegnete Ernte, um Verschonung vor Unfällen und Unwettern.
Einerseits, liebe Gemeinde, ist es der normale, natürliche Gang der
Dinge: Von dem, was wir säen, geht eine Menge auf und reift zur
Frucht, die wir schließlich ernten. Wenn man andererseits die Gefährdungen bedenkt, denen das Gesäte auf dem Acker, denen unsere
Weinberge, Obst- und Gemüsekulturen ausgesetzt sind, ist eine gute
Ernte nach wie vor nicht selbstverständlich, sondern ein Geschenk.
Ein wunderbares Geschenk des Schöpfers, der die Erde so einge19
richtet hat, dass sie Gras hervorbringt und Getreide, Büsche und
Bäume, dass sie Tieren und Menschen Raum bietet zum Leben, Nahrung und Wasser.
Diese gute Ordnung der Schöpfung steht im Hintergrund von Jesu
Gleichnis. Von Zahlenverhältnissen spricht er nicht. Aber es ist wohl
so gemeint, dass ein kleiner Teil auf den Weg fällt, etwas auf felsigen Boden, etwas unter die Dornen. Der ganze Rest aber auf guten
Boden. Als unprofessionell ist die Methode dieses Bauern nicht anzusehen. Vielmehr strahlt er Gelassenheit aus, das Vertrauen, dass
trotz Verlusten genügend aufgeht und zur Frucht reift.
Hundert Prozent Effektivität gab es damals nicht, gibt es heute genauso wenig. Dabei ist es gut und sinnvoll, wenn wir versuchen
möglichst wenig zu verschwenden. Auf allen Ebenen, nicht nur bei
der Aussaat. Denken wir nur daran, wie viele gute Lebensmittel verloren gehen. Nachernteverluste in armen Ländern. Getreide verdirbt,
weil es nicht richtig gelagert oder transportiert werden kann. Lebensmittelvernichtung bei uns. Brot und Joghurt, Obst und Gemüse –
aussortiert im Supermarkt, zu Hause entsorgt, weil es niemand mehr
essen wollte oder konnte. „Essen im Eimer“ – ein Weckruf an uns
alle, damit wir mit Gottes guten Gaben sorgsamer umgehen.
Hundert Prozent Effektivität gibt es nicht. Weil wir Geschöpfe sind,
die in und mit der Schöpfung arbeiten. Weil wir selbst mit der besten
Technik nie und nimmer alles im Griff haben werden. Trotzdem fällt
schon im Gleichnis ein großer Teil des Gesäten auf guten Boden,
geht auf, wächst und reift heran zur Frucht. Die gute Ordnung der
Schöpfung, in der wir leben, in der unser Auftrag lautet: „bebauen
und bewahren“.
Es geht auf, wächst und reift zur Frucht. Das, liebe Gemeinde, ist der
Musterfall für gelingendes Wachstum. Mit der Aussaat als Start und
der Ernte als Ziel. Wenn in unserer Zeit von Wachstum die Rede ist,
dann meist in einem etwas anderen Sinn. Betriebe, Unternehmen
wachsen, die Wirtschaft insgesamt. Tendenziell ohne Anfang und
Ende, sondern immer weiter. Denn Stillstand ist Rückschritt.
Der Betrieb wächst, entwickelt sich weiter, Neues entsteht. Eine
schöne Sache. „Wachsen macht Spaß“, sagt ein junger Landwirt,
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„zumindest habe ich unheimlich Freude und Spaß dabei, etwas
Neues zu machen oder aufzubauen.“ Wobei innovativ sein wichtiger
erscheint als bloßes Größenwachstum. (Hier können weitere Zitate
aus den Erfahrungsberichten in diesem Heft eingebaut werden.) Auf
der anderen Seite empfinden viele die Nötigung zu wachsen, ob man
will oder nicht, und ihnen ist klar, dass Wachstum eben nicht grenzenlos sein kann. Weil die Fläche knapp ist, andere auch wachsen
wollen. Weil wir an persönliche Grenzen stoßen, uns nicht immer
mehr aufhalsen können. Weil sich die Frage nach dem verantwortbaren Risiko stellt. Die Spannung ist schwer auszuhalten: einerseits der
Wachstumszwang – der Betrieb, die Wirtschaft insgesamt muss
wachsen. Auf der anderen Seite die Grenzen, an die wir stoßen, weil
es in der Natur kein unendliches Wachstum geben kann, weil wir
Geschöpfe sind, die in und mit der Schöpfung arbeiten.
Jesu Gleichnis erzählt auch davon, wie es mit dem Wachstum
daneben gehen kann. Es kommt erst gar nicht in Gang, weil die Bedingungen zu schlecht sind oder weil man sich verzettelt, zu viel halb
und nichts richtig macht. Es gibt ungesund rasches Wachstum, das in
der Gefahr steht, ebenso rasch wieder in sich zusammenzufallen. Ein
Strohfeuer, eine „Blase“. Problematisch vor allem, wenn wir zu immer neuen Wachstumsschritten genötigt werden, ohne dass Zeit
bleibt zum Reifen. Organisches Wachstum dagegen braucht Zeit,
beutet weder Mensch noch Tier noch die Natur gnadenlos aus.
Vor dem Wachsen steht aber das Säen. Im direkten wie im übertragenen Sinne. Bäuerinnen und Bauern säen und pflanzen. Wenn Jesus
Gottes Reich verkündigt und Kranke heilt, sät er ebenfalls etwas aus.
Hoffnung und Liebe. Die Eltern und Großeltern unter uns, Lehrerinnen, Ausbilder und Pfarrer – wir alle versuchen, bei den uns anvertrauten jungen Menschen eine gute Saat zu legen. Manche säen freilich Hass und Misstrauen. Welche Saat aufgeht, wächst und Frucht
bringt, das haben wir oft nicht in der Hand. Bei dem, was wir betrieblich in die Wege leiten, hängt es ebenfalls nicht allein an dem,
was wir wollen, können und leisten.
Doch Jesu Gleichnis macht uns Hoffnung. Es geht zwar nicht alles
auf, und nicht alles, was aufgegangen ist, reift zur Frucht. Keine
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hundert Prozent Effektivität. Aber Gott lässt aufgehen, wachsen und
gedeihen, oft unerwartet reich. Bei dem, was wir säen im direkten
wie im übertragenen Sinne.
Ist es nicht wunderbar, wenn sich die grünen Halme zeigen? Dieses
Jahr geschah das ziemlich spät. Wenn sie wachsen, Ähren ausbilden
und diese reif – hoffentlich nicht „notreif“ – werden, so dass wir dreschen können. Ist es nicht herrlich, wenn im Frühjahr die Obstbäume
und Weinstöcke zuerst grün werden, dann blühen, bis sich die
Früchte bilden, die ordentlich Zeit und Sonne brauchen, um den vollen, süßen Geschmack zu entfalten?
Genauso schön ist es, wenn ich erfahre, dass ein gutes Wort, das ich
vor langer Zeit gesagt habe, dem betreffenden Menschen wirklich
weiter geholfen hat. Wenn ein Bibelwort in mir aufgeht, sich verwurzelt, mich von innen heraus verändert. „Einiges fiel auf gutes
Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht.“ – „Alles, was wir
Gutes wirken, ist gesät in deinen Schoß, und du wirst die Ernte senden unaussprechlich reich und groß.“ Amen.
Fürbitten
I: Großer Gott, Schöpfer von Himmel und Erde und auch Gott für
Wachstum und Gedeihen. Auch Vater im Himmel dürfen wir zu dir
sagen.
Hilf uns immer wieder dir neu zu vertrauen. Du hältst die Welt in
deinen Händen, darauf vertrauen wir. Das fällt aber schwer, Vater,
wenn uns viel Arbeit zur Eile treibt oder wenn sich gar eine Missernte abzeichnet.
Gib uns immer die Kraft und die Zeit, dich um Sonne, Regen, Wind,
Frost und Hitze zur rechten Zeit zu bitten und an deine Wirklichkeit
zu glauben.
Schenke du Freude und Dankbarkeit bei allem Ernten und bewahre
uns vor Hektik, Habgier oder einem Unglück.
Vater im Himmel, steure du das Wachstum nicht nur im Gartenbau
und in der Landwirtschaft und Viehzucht, sondern überall in unserem
ganzen menschlichen Denken und Wollen.
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Du siehst Vater, wie oft wir mehr wollen, etwas Größeres, Schnelleres oder Besseres.
Hilf uns zu denken: Von deiner Gnade leben wir und was wir haben
kommt von dir – und das ist genug.
II. In deiner Hand, Herr, unser Gott,
steht Wachstum und Gedeihen.
Deinem Segen verdanken wir alles,
was nach dem langen Winter gewachsen ist,
was wir in den nächsten Wochen und Monaten ernten werden.
Wir bitten dich: Segne nun die Ernte und alle, die in ihr arbeiten.
Hilf, dass all das, was heranreift, auch gut eingebracht werden kann.
Sei bei denen, die jetzt sehr viel zu tun haben,
dass die Hektik nicht zu groß wird und sie vor Unglück bewahrt
werden.
Wir bitten dich, Herr, unser Gott, für die Menschen weltweit,
bei denen es dieses Jahr wenig zu ernten gibt,
oder denen das Geld nicht reicht für genügend Lebensmittel.
Wir bitten dich auch für die allzu Satten,
denen der Wert der Lebensmittel nicht mehr richtig bewusst ist.
Lass uns alle sorgsam mit dem umgehen, was jetzt geerntet wird,
was wir kaufen können in der Bäckerei und der Metzgerei,
auf dem Markt und im Supermarkt.
Hilf, dass wir weltweit Lösungen finden für mehr Gerechtigkeit,
damit die Hungernden satt werden.
In deiner Hand, Herr, unser Gott,
steht Wachstum und Gedeihen.
Auch im Blick auf das, was wir an Gutem säen
in unseren Ortschaften und Kirchengemeinden.
Hilf, dass die guten Gedanken und Ideen aufgehen und Frucht bringen.
Die Saat von Hass und Zwietracht lass dagegen verkümmern.
Segne die Worte all derer, die dein Evangelium verkündigen,
lass es Frucht bringen in unseren Herzen,
in dem, was wir reden und tun.
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III. Guter Gott, wir danken dir für die neue Ernte die im Moment
heranwächst. Wir sind dankbar dafür, dass du uns Regen, Sonne und
Wärme zur richtigen Zeit geschenkt hast. Dies ist Jahr für Jahr ein
neues Wunder.
Lebendiger Gott, wir bitten dich für die kommende Erntezeit.
Schenke du das richtige Wetter, Kraft für die viele Arbeit und Bewahrung im Umgang mit den Maschinen.
Schöpfergott, wir sind abhängig von dir. Trotz allem technischen
Fortschritt und all unserem Planen und Vorsorgen bist du derjenige,
der Wachstum schenkt und das Heft in der Hand hält. Wir bitten
dich, dass du zu unserem Wollen das Vollbringen schenkst.
Heiliger Gott, viele Menschen wissen nicht, was von der Landwirtschaft alles abhängt. Schenke du ein Bewusstsein dafür, dass es eben
nicht selbstverständlich ist, mit Brot, Gemüse, Fleisch, Milch, Wein,
Käse und all den anderen Dingen versorgt zu sein. Lass der Landwirtschaft die angemessene Wertschätzung für diese wichtige Arbeit
zukommen.
Sorgender Gott, du weißt, dass es mit einer guten Ernte nicht getan
ist. Wir bitten dich für gerechte Preise und einen fairen Handel. Hier
in Deutschland und weltweit für Kleinbauern und -bäuerinnen in
Ländern, in denen der Preis über Hunger, Leben und Tod entscheiden kann.
IV. Lieber himmlischer Vater, wir danken dir für das Wunder des
Wachsens, das wir zurzeit wieder in der Natur sehen dürfen.
Nun bitten wir dich: Schenke auch weiterhin ein gutes Wachsen und
Reifen der Feldfrüchte!
Schenke für die Erntezeit beständiges Wetter, damit nichts verdirbt!
Gib allen, die mit der Ernte zu tun haben, viel Kraft und Durchhaltevermögen; gerade auch dann, wenn Zusatzarbeit nötig ist, etwa bei
Nacht!
Und angesichts der Gefahren im Umgang mit den Maschinen bitten
wir dich: Bewahre uns vor Unfall und Schaden! Lass uns alle immer
wieder gesund und wohlbehalten vom Feld nach Hause kommen!
Herr, wir danken dir für alle deine Güte. Amen.
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Lebensrückblick eines Bauern: „Ich bin so zufrieden, wenn ich
auf mein Leben als Landwirt zurückblicke…“
Im folgenden Lebensrückblick sind Orte und Jahreszahlen anonymisiert. Protokolliert hat ihn Susanne Spöhrer.
„Als Bub habe ich regelmäßig die Kinderkirche besucht. Eine Geschichte von Tolstoi („Wie viel Erde braucht der Mensch?“), die ich
dort hörte, hat mich sehr geprägt:
‚Es war einmal ein Bauer, der hat von seinem Herrn das folgende
Angebot bekommen: „Du kriegst von mir so viel Land, wie Du an
einem Tag umwandern kannst.“ Der Bauer ging am frühen Morgen
los. Im Lauf des Tages hat er immer wieder ausgeschaut und hat bei
sich gesagt: „Das Eck nehme ich jetzt noch mit – und das noch – und
das – und das…“. Am Abend, als er zum Herrn zurückging, um sein
erlaufenes Gebiet in Besitz zu nehmen, ist er tot zusammengebrochen.‘
Diese Geschichte hat sich mir sehr eingeprägt. Sie hat mich später
dazu gebracht, dass ich in meiner Arbeit und bei der Planung auf ein
mäßiges Wachstum geachtet habe. Ziele habe ich langfristig ins
Auge gefasst, habe sie konsequent verfolgt und gleichzeitig Entscheidungen flexibel der Entwicklung angepasst.
Einem Acker habe ich immer den ihm angemessenen Ertrag abverlangt – also nicht den maximal möglichen Ertrag: Das habe ich nicht
wegen des Verdienstes gemacht, sondern aus Freude am Ertrag.
Ich bin dankbar dafür, dass mir viele Pachtflächen aufgrund freundschaftlicher in Generationen gewachsener Beziehungen angeboten
wurden.
Als Junge habe ich mir nie Zeit zum Lernen genommen. Wenn ich an
den Hausaufgaben saß und draußen einen Schlepper hörte, bin ich
lieber rausgegangen und habe geschaut, was dort passiert. Mein Opa
sagte: „Du musst einmal der Bauer werden.“ Niemand hat mir damals gesagt, dass für die Landwirtschaft das Lernen wichtig ist.
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Mit 15 war ich mit der Schule fertig. Zwei Jahre habe ich danach im
eigenen Betrieb Landwirt gelernt. Darauf folgte mein erster Schritt in
die Selbständigkeit: Ich machte ein Jahr lang eine Fremdlehre auf
einem Viehbetrieb im Hohenloher Land. Sie hatten 60 Kühe mit
Vorzugsmilch und Nachzucht. Dort gab es vier Angestellte: drei
Lehrlinge und einen Praktikanten. Dort habe ich viel gelernt, besonders in der Organisation der praktischen Arbeit. Dort habe ich mir
auch ein gutes Selbstwertgefühl erworben. In der Erntezeit haben wir
von 6.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr abends gearbeitet, und ich habe
das gerne getan. Ich habe viel Ehrgeiz entwickelt, die Arbeit zu bewältigen. Nach einem halben Jahr hat mir der Bauer die Führung der
Angestellten übertragen. Ich habe fast zu viel geschafft und dabei
sehr gern.
Nach dem einen Jahr Fremdlehre habe ich die Gehilfenprüfung gemacht und anschließend auf dem elterlichen Hof weitergearbeitet.
Dort folgte mein zweiter Schritt in die Selbständigkeit: Mein Vater
hat angefangen, nebenbei zu arbeiten, und ich habe die Führung des
Betriebes übernommen. Gleichzeitig habe ich zwei Jahre lang die
landwirtschaftliche Fachschule besucht.
Mit meinem Vater bin ich gut ausgekommen. Er hat mir die Verantwortung für den Ackerbau übertragen. Selbst hat er die Verantwortung für den Stall gehabt. Die Zuständigkeiten waren klar. Die Zusammenarbeit war gut. Die Eigenverantwortung ist sehr wichtig für
mich gewesen und ebenso das Vertrauen meines Vaters.
Anfang der 80er Jahre habe ich die Prüfung zum staatlich geprüften
Wirtschafter erfolgreich abgelegt. Bei der Abschlussfahrt nach Berlin
habe ich meine Frau kennen gelernt. Anschließend habe ich sofort
mit dem Meisterkurs begonnen und im folgenden Jahr die Prüfung
zum Landwirtschaftsmeister gemacht. Meine Frau hat im gleichen
Jahr wie ich die Prüfung zur Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft
gemacht. Wenig später haben wir uns verlobt. Zwei Jahre später haben wir geheiratet. Nach der Hochzeit wurden uns nacheinander vier
Kinder geboren.
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Anfang der 80er Jahre haben wir den ersten geschlossenen Betrieb
dazu gepachtet. Danach haben wir immer wieder Flächen dazu gepachtet. Mitte der 80er Jahre haben wir den elterlichen Betrieb meiner Frau dazu gepachtet. Wenige Jahre später habe ich den Eindruck
gewonnen, dass wir den Betrieb so weiterentwickeln können, dass
ihn einer der Söhne übernehmen kann.
Wir haben uns früh dafür entschieden auszusiedeln, um für einen
Hofnachfolger eine tragfähige Grundlage zu schaffen. Im Jahr 1990
haben wir den ersten Spatenstich für unseren Aussiedlerhof gemacht.
Wir hatten das große Glück, dass wir die alte Hofstelle verkaufen
konnten. Im Zusammenhang mit der Aussiedlung hat es, nebenbei
gesagt, viel Neid gegeben im Ort. Das hatte ich in der Schärfe nicht
erwartet.
Den Betrieb haben wir allmählich weiter vergrößert. Die Kinder sind
groß geworden. Als unsere vier Kinder im Jugendalter waren, ist
meine Frau nach einer schweren Erkrankung gestorben. Das war eine
schwere Zeit.
Im gleichen Zeitraum habe ich gesehen, dass unser Betrieb zu klein
ist, um überlebensfähig zu sein. Damals habe ich zum ersten Mal
über Kooperation nachgedacht und habe Beratung gesucht bei Agriconcept, einer Tochterfirma des Bauernverbandes. Einer meiner
Söhne hat Landwirt gelernt und die Meisterprüfung gemacht. Ihm
habe ich nach und nach den Ackerbau übertragen.
Als ich in die Berufsschule kam, hatten wir 50-60 Muttersauen und
Ferkelaufzucht. Das war damals ein Betrieb mittlerer Größe. Später
nach der Aussiedlung hatten wir 130 Muttersauen. Auch das war ein
Betrieb mittlerer Größe. Die anderen Betriebe waren ja auch gewachsen.
Etwa zwei Jahre lang habe ich nach einem geeigneten Partner für den
Betrieb gesucht und ihn schließlich im Nachbarort gefunden. Unser
Partnerbetrieb ist wie wir auf Schweinezucht spezialisiert. Wir haben
eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) gegründet. Zusammen
haben wir einen Stall gebaut für knapp 500 Muttersauen und für
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Jungsauen. Das ist im Vergleich mit Betrieben in Ost- und Norddeutschland ein mittelgroßer Betrieb.
Die Vorteile der Kooperation sehe ich darin, dass wir beim Ferkelverkauf höhere Zuschläge bekommen aufgrund der Betriebsgröße.
Als große Entlastung empfinde ich die Möglichkeit, dass wir uns
austauschen, dass wir zusammenarbeiten und dass wir uns gut ergänzen. Weitere Vorteile der Kooperation sehe ich darin, dass wir
Krankheiten in Ruhe ausheilen können und dass Weiterbildung und
Urlaub möglich sind. Urlaub ist besonders für junge Familien wichtig. Von Vorteil ist auch die Entlastung im Alltag, dass wir Schwierigkeiten gemeinsam tragen und lösen.
Die Kooperation hat auch Nachteile, aber die Vorteile überwiegen.
Als Nachteil sehe ich die Aufgabe der Selbständigkeit, und es ist
gewöhnungsbedürftig, dass der Ertrag geteilt wird.
Nötig für die Kooperation ist die Bereitschaft zur Zusammenarbeit
und Kommunikation. Nötig ist es, andere in ihrer Eigenart zu respektieren. Für unbedingt nötig halte ich den konstruktiven Umgang
mit Fehlern.
Ich bin dankbar dafür, dass einer meiner Söhne den Hof übernehmen
wird und dass er bereit ist, die Kooperation weiterzuführen gemeinsam mit seiner Partnerin. Ich bin dankbar für den guten Zusammenhalt in der Familie.
Trotz aller Zweifel und aller Enttäuschung im Zusammenhang mit
dem Tod meiner Frau ist der christliche Glaube ein lebendiges Fundament meines Lebens geblieben, das ich mit meiner zweiten Frau
teile.“
Mein Wunsch für dich ist: Deine Gaben sollen wachsen mit den
Jahren. Gott hat sie dir geschenkt, und sie sollen die Herzen derer,
die du liebst, mit Freude erfüllen. Und in jeder Stunde der Freude
und des Leides wird Gott mir dir sein, dich segnen; und du mögest in
seiner Nähe bleiben.
Aus Irland (EG, S. 351)
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Interview mit jungen Landwirtinnen und Landwirten
Die Gedanken junger Betriebsleiterinnen und -leiter zum Thema
Wachstum. Die Interviews wurden unabhängig voneinander geführt.
a) Welche Gedanken kommen dir, wenn du an Wachstum
denkst?
(Landwirt 1*): In erster Linie denke ich hier an die Natur, wie sie
jetzt im Moment gerade draußen sprießt. Besonders die Maispflanze
mit ihrem enormen Wachstum fasziniert mich.
(Landwirt 2*): Ein Ziel, ein Muss: Wachstum macht Spaß, zumindest
habe ich unheimlich Freude und Spaß daran, etwas Neues zu machen
oder aufzubauen.
(Landwirtin 3*): Mit Wachstum verbinde ich in erster Linie die
Natur. Aber eigentlich ist Wachstum in vielen Bereichen des Lebens
da. Ich finde folgendes Zitat passend: Wenn man alles, was einem im
Leben begegnet als Möglichkeit zum eigenen Wachstum ansieht,
gewinnt man an innerer Stärke (Milarepa).
b) Wie erlebst du Wachstum in der Natur?
Es begeistert einfach, wie aus einem kleinen Samenkorn eine große
Pflanze wird, die viel Ertrag bringt.
Manchmal überraschend: aus einer Pflanze, oder einem Feld, das
verunkrautet, völlig ausgedörrt oder erfroren aussieht, wächst ein
wunderschöner Bestand heran.
Für mich ist es auch irgendwie erschreckend, dass die Natur uns für
ihr Wachstum eigentlich gar nicht braucht. Wir sie aber umso mehr.
Das Wachstum der Natur ist so komplex, dass es für uns Menschen
nicht möglich ist, es nachzubauen. Bedeutet: Den Käfer, auf den ich
heute trete, kann kein Labor der Welt morgen wieder nachbauen.
c) Wie erlebst du Wachstum im Bezug auf den Hof?
Leider ist Wachstum irgendwie Zwang, „wachsen oder weichen“!
Aber es begeistert mich auch, wie viel produktiver man z.B. als vor
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20 Jahren sein kann, wenn Technik und Know-how ins Spiel kommen.
Wachstum ist notwendig, manchmal ein unbedingtes Muss. Ich habe
aber auch manchmal Angst nicht richtig oder schnell genug zu
wachsen und so im Wettbewerb abgehängt zu werden.
In Bezug auf den Betrieb findet ein ständiges Wachstum statt. Es gibt
immer wieder neue Möglichkeiten, den Betrieb weiterzuentwickeln.
d) Inwieweit ist Wachstum wichtig für ein positives Gefühl?
Ohne Wachstum wird ein Betrieb nicht zukunftsfähig bleiben und es
stellt sich vieles, was man geschafft und aufgebaut hat, in Frage! Für
mich ist Wachstum auch eine Herausforderung, der ich mich stellen
muss, um den Hof zu erhalten.
Wachstum ist schön. Mir macht es vor allem Spaß, etwas Neues zu
machen, weniger, immer größer zu werden. Ich möchte immer die
Möglichkeit verspüren, etwas Neues machen zu können.
Nicht stehen bleiben, neue Ideen einbringen und wenn es gut läuft,
erfolgreich damit zu sein. Das motiviert mich und ich habe dabei ein
gutes Gefühl.
e) Wovon lässt du dich in deiner Betriebsentwicklung leiten?
Betriebsentwicklung ist in erster Linie eine Frage der Arbeitskraft.
Ich frage mich: Ab wann ist eine Fremdarbeitskraft notwendig und
finanzierbar? Welchen Wert hat Freizeit?
Von Wirtschaftlichkeit und Marktentwicklung, Freude an dem, was
man machen möchte, und der Wirkung für die gesamte Gesellschaft.
Wenn man nichts Neues macht, muss man wachsen, weichen, mit weniger zufrieden sein oder aber besonders gut sein.
Vom Markt und neuen Trends. Ich muss meine Produkte der Nachfrage anpassen. Wenn ich es nicht schaffe, marktfähig zu bleiben, ist
dies Existenz bedrohend. Deshalb steht Wachstum auch für Existenzsicherung.
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f) Unterscheidest du zwischen verschiedenen Formen des
Wachsens?
Betrieblich kann ich wachsen um jeden Preis und mit vielen Fremdarbeitskräften oder versuchen, Arbeitskräfte einzusparen. Ich versuche gerade die zweite Möglichkeit, da der Betrieb so überschaubarer
bleibt und ich auch sehen kann, was man aus dem vorhandenen Betrieb machen kann.
Ich unterscheide zwischen betrieblichem, privatem, geistigem und
geistlichem Wachstum. Wächst man in einem Bereich besonders
stark, kann man in den anderen Bereichen weniger wachsen.
Ja, wachsen nach dem Trend und zum neuen Trend. Lieber ist es mir,
den Betrieb in eine neue Richtung wachsen zu lassen. Treffe oder
begründe ich damit einen neuen Trend, ist das super. Das Risiko ist
zwar größer, aber wenn es klappt, ist es das erfolgreichere Wachstum.
g) Gibt es für dich Grenzen des betrieblichen Wachstums?
Ich denke, dass die betrieblichen Gegebenheiten meist die Grenzen
vorgeben. Das können die Lage des Betriebes, verschiedene Auflagen, Agrarstruktur und Verfügbarkeit von Arbeitskräften sein.
Ja, vor allem aufgrund von eigenen und externen Einschränkungen:
Flächenknappheit, Risiko, der eigenen Psyche, der Gesundheit, dem
Wunsch im Leben nicht nur für den Betrieb zu leben.
Ja, der Markt auf dem ich meine Produkte verkaufen will. Ist dieser
gesättigt, macht es keinen Sinn in diese Richtung weiter zu wachsen.
Angaben zu den jungen Landwirtinnen und Landwirten:
(Landwirt 1*): 32 Jahre, Dipl. Ing. agr., Puten- und Ackerbaubetrieb
(Landwirt 2*): 30 Jahre, Dipl. Ing. agr., Wildblumen- und Gräsersaatgutproduktion, Ackerbau und Schweinezucht
(Landwirtin 3*): 23 Jahre, Bachelor, Schweinezuchtbetrieb mit Jungsauenvermehrung
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Grenzen des Wachstums
Zusammenfassung aus Misereormagazin 1/2013 und Magazin der
Heinrich-Böll-Stiftung 2/2011 durch Hildegund Winter.
I Grenzen des Wachstums sind variabel
1a Warnung - Ende 18. Jahrhundert
Der englische Nationalökonom und Sozialwissenschaftler Robert
Malthus prophezeit schon im 18. Jahrhundert, dass die Agrarproduktion nicht mit der rasch anwachsenden Bevölkerung Schritt halten
könne. Hungersnöte wären die Folge, wenn aufgrund der steigenden
Nachfrage die Böden übernutzt werden und die Ertragskraft dadurch
immer weiter sinken würde.
1b Lösung - Mitte des 19. Jahrhunderts
Die Zeitgenossen Justus Liebig und Gregor Mendel konnten durch
ihre Entdeckungen in der Agrochemie und der systematischen Pflanzenzucht die Erträge in der Landwirtschaft vervielfachen.
2a Warnung - Club of Rome 1972
Donella und Dennis Meadows stellten 1972 in ihren Studien "Grenzen des Wachstums", herausgegeben vom Club of Rome, den Weg
des materiellen Wachstums als solchen infrage. Ihr Fazit lautet: Die
Ressourcen der Erde sind endlich. Durch die Zunahme der Weltbevölkerung steigen Agrar- und Fleischproduktion, der Verbrauch natürlicher Rohstoffe, von Düngemitteln und Süßwasser. Gleichzeitig
entstehen kaum zu bewältigende Mengen an Abfällen und
Schadstoffen im Boden, im Wasser und in der Luft.
Die Gefahr des Kohlenstoffdioxids in der Atmosphäre wird in der
Studie hingegen nur als eine Bedrohung unter vielen angesehen.
2b Reaktionen
Kurzzeitig wird der Club of Rome kritisiert, denn die Ressourcen
schrumpften nicht so rasch wie vorhergesagt.
Auch die Ökosysteme waren nicht so schnell überlastet. Auf saure
Seen, Waldsterben und Ozonloch wurde erfolgreich mit Filtern und
Verboten reagiert.
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3 Warnung - Club of Rome 2012
Im "Zukunftsreport 2052" von Jørgen Randers wird der Klimawandel
als zentrale Bedrohung angesehen. 35 führende Wissenschaftler warnen in ihren Stellungnahmen vor einem ungezügelten Wirtschaftswachstum. Über Jahrtausende sind Menschenzahl und materielle
Produktion nur sehr langsam gewachsen. Mit der Industrialisierung
setzt eine atemberaubende Beschleunigung ein.
Wachstum 1800 - 2000:
 Weltbevölkerung 6-fach
 Energieverbrauch 40-fach
 Weltwirtschaft 50-fach
Alle Forscher analysieren, dass die Ökosysteme im roten Bereich
agieren. Als größtes Problem wird die Erderwärmung eingestuft.
II Politische Lösungsversuche
1 Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität
2011
Der Deutsche Bundestag hat 2011 eine Kommission eingerichtet, die
sich mit der Zukunftsfrage nachhaltiges Wirtschaften beschäftigt. Sie
soll die gesellschaftliche Debatte vorantreiben, wie globaler
Wohlstand und soziale Gerechtigkeit mit den Grenzen eines endlichen Planeten vereinbar gemacht werden können. Es geht darum,
nach Möglichkeiten der Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch zu suchen und neue Wege für nachhaltigere Arbeits-,
Lebens- und Konsumstile zu entwickeln, die den Orientierungsrahmen für eine neue Form des Wirtschaftens bilden sollen.
2 Ein Beispiel: Ecuador 2008 und Bolivien 2009 - Konzept "Buen
Vivir" in Verfassung aufgenommen
In Ecuador und Bolivien hat das Verhältnis zur Natur einen zentralen
Stellenwert bekommen, seit dem das Konzept des "Buen Vivir" in
die Verfassung aufgenommen worden ist.
Es zielt auf eine Harmonie mit der Natur und eine Abkehr von der
Idee des endlosen Wachstums und soll verhindern, dass die traditionellen Entwicklungsmodelle der industrialisierten Länder nachgeahmt werden, da diese die auf der Ausbeutung der natürlichen Res33
sourcen bestehen. Der Verfassungsgrundsatz ist umso bemerkenswerter, da beide Länder stark von der Ausbeutung ihrer Bodenschätze (Öl, Gas) profitieren.
III Vorgeschlagene weitere Lösungsansätze
 Agrarreformen: Stärkung der Kleinbauern, Änderung der
Subventionierungsrichtlinien
 Verantwortungsvoller Fleischkonsum
 Steigerung der Ressourceneffizienz („aus weniger mehr
machen“)
 Regenerative Energien
 Nachwachsende Werkstoffe
 Bionik (zielt darauf ab, biologische Prozesse und Materialien
in technische Innovationen zu übersetzen)
Neben allen politischen Lösungsansätzen braucht es dringend eine
ökologische Dynamik von unten, die von Konsumenten, Umweltverbänden, Landwirtschaft, Gemeinden, Erfindern und Investoren
vorangetrieben wird.
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