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Nr. 1/2015 Best Blues 2014 - Alben des Jahres • Joe Cocker -British Blues All Stars - HSS - Tangled Eye • Sarah Skinner: Natürlich kann man auf Tour Geld verdienen! • Album des Monats: Jools Holland - Sirens of Song • Texte von Uwe Saeger, Hanns Heinz Ewers, Thomas Wolfe • Literatur-ABC: A wie Autor 2 I N H A LT Anzeige Wasser-Prawda | Januar 2015 I N H A LT 3 INHALT JANUAR 2015 5 7 Editorial Auf Tour Musik 16 24 25 27 30 Best Blues 2014. Die Alben des Jahres Joe Cocker (1944-2014) The Blues is alive, sir Natürlich kannst Du auf Tour Geld Verdienen! Zwischen leidenschaftlicher SoulPredigt und rauhem BluesRock 32 Geradliniges Festivaljubiläum in Luzern 36 Nachlese 2014: The British Blues All Stars im Seehaus Krottenmühl 41 Nachlese 2014 Teil 2: Im Gespräch mit Leo Lyons & Joe Gooch (HSS) Rezensionen 45 Jools Holland - Sirens of Song 46 Rezensionen A bis Z Feuilleton 58 Literatur ABC: A Wie Autor 59 Jersey Boys (Clint Eastwood) Bücher 61 Gary Burnett: The Gospel According To The Blues 63 James Brown: Godfather of Soul. Die Autobiografie Sprachraum 65 Uwe Saeger: Ein Brief an den Herrn Franz Kafka, Berlin-Steglitz,1923 68 Anthropoovaropartus. 72 Thomas Wolfe: Geschichte eines Romans 99 Die Vestalinnen 105 English Articles Wasser-Prawda | Januar 2015 4 EDITORIAL IMPRESSUM Die Wasser-Prawda ist ein Projekt des Computerservice Kaufeldt Greifswald. Das pdf-Magazin erscheint in der Regel monatlich. Es wird kostenlos an die registrierten Leser des Online-Magazins www.wasser-prawda.de verschickt. Wasser-Prawda Nr. 1/2015 Redaktionsschluss: 20.01.2015 REDAKTION: C he f r e d a k t e u r : R a i mu nd Nitzsche (V.i.S.d.P.) Redaktion: Mario Bollinger, Bernd Kreikmann, Matthias Schneider, Dave Watkins, Darren Weale Mitarbeiter dieser Ausgabe: Iain Patience, Christophe Rascle, Torsten Rolfs, Sarah Skinner, Karsten Spehr Cover-Foto: Dede Priest (K. Spehr) Links: Joe Cocker (K. Spehr) Rückseite: Die nächste Ausgabe erscheint am 22. Januar 2015. Adresse: Redaktion Wasser-Prawda c/o wirkstatt Gützkower Str. 83 17489 Greifswald Tel.: 03834/535664 redaktion@wasser-prawda.de Anzeigenabteilung: marketing@wasser-prawda.de Wasser-Prawda | Januar 2015 EDITORIAL 5 EDITORIAL VON RAIMUND NITZSCHE Bei den musikalischen Artikeln möchte ich einen besonders hervorheben: Sarah Skinner von den britischen Red Dirt Skinners hat in ihrem Artikel ein bemerkenswertes Experiment geschildert: Um der immer wieder geäußerten These, man könne als Musiker auf Tour kein Geld verdienen, etwas entgegen zu setzten machte die Band im letzten Jahr eine Tour durch den Norden Schottlands. Trotz weniger Konzertbesucher und mieser Wie geht es dem Blues hierzulande? So schlecht ganz Gagen hatte das Duo am Ende der zehn Tage nach sicher nicht. Hier in Greifswald soll künftig regelmä- Abzug aller Kosten noch einen vierstelligen Betrag in der ßig Live-Blues stattfinden. Und für März ist mit Ben Kasse! Soviel zu immer wieder verbreiteten Gerüchten! Poole auch gleich einer der bekannten Musiker aus dem Vereinigten Königreich zu Gast. Leider gibt es die früher Besonders dick ist diesmal der literarische Teil mit unserem „Sprachraum“ geworden. Neben einer wundermal organisierten monatlichen Sessions nicht mehr. Doch andernorts sind es gerade solche Veranstaltungen, vollen Erzählung von Uwe Saeger gibt es - die Debatte wo sich etablierte und junge Musiker treffen und zwang- ums social freezing brachte uns auf die Idee - einen los miteinander jammen. Um die Existenz der Sessions Vorschlag aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. in der Region zu sichern, hat sich etwa im Saarland Und für all die Autoren, die sich ewig mit ihren Werken jetzt ein eigener Verein gegründet. Und der will außer- quälen, ehe sie den Mut finden, sie zu veröffentlichen dem auch die Live-Szene der Gegend pflegen mit und in die Welt zu schicken, haben wir einen Text von Auftrittsmöglichkeiten für Bands aus der Region ebenso Thomas Wolfe ins Heft genommen. wie mit Konzerten bekannter Künstler aus dem In- und Immer mal wieder werden wir gefragt, ob man unser Ausland. Sowas sollte in Deutschland überall Schule Magazin nicht finanziell unterstützen könne. Neben machen! der Möglichkeit, hier Werbung zu veröffentlichen (in Kaum hat das Jahr begonnen, ist auch der Stapel an Kombination auch mit Bannern auf der Homepage) neuen CDs auf dem Schreibtisch wieder gehörig ange- werden wir in Kürze einen eigenen Webshop eröffnen. wachsen: Die Krise der Msuikindustrie bezieht sich nicht Dort kann man dann neben den einzelnen Jahrgängen auf die Zahl der Veröffentlichungen, die zur Rezension des pdf-Magazins auch andere Bücher und später vielan uns geschickt werden. Vom swingenden Rhythm & leicht auch Musik erwerben. Blues bis zum Sound der Girlgroups, vom Funkjazz mit Hiphop bis zu Americana reicht die Palette in diesem Monat. Und da ist nicht nur für Bluesfans einiges zu entdecken. Leider reichte mal wieder die Zeit nicht, alle Scheiben so schnell wie möglich zu besprechen. Wasser-Prawda | Januar 2015 6 TERMINE Festivals 17. Kieler Bluesfestival 20.02. Räucherei Kiel Eb Davis & His Superband, Daniel Puente Encina Trio, Paddy Korn & Band, The Twues 19. Rostocker Bluesfestival 21.02. im SBZ Pumpe Eb Davis & His Superband, Daniel Puente Encina Trio, Paddy Korn & Band 24. Rother Bluestage 21.-29. März in der Kulturfabrik Roth 21.03. Yana Bibb & Eric Bibb 22.03. Duke Robillard Band 24.03. Nik West 25.03. JJ Grey & Mofro 26.03. Canned Heat 27.03. Layla Zoe/Thobjörn Risager 28.03. Hundred Seventy Split/Vdelli 29.03. Jesper Munk WDR Crossroads Festival 25.-28.03. Harmonie Bonn 25.03. Radio Moscow/Black Lung 26.03. JJ Grey & Mofro/Willie & The Bandits 27.03. Nick West & Band/Sivert Hoyem 28.03. The Great Crusades/Hayseed Dixie 6. Chemnitzer Blues & More Festival 09.05. (Ort wird noch bekannt gegeben): Big Daddy Wilson Trio, Shanna Waterstown Band, Earl Thomas & The Royal Gard Muddy Lives Blues Festival 29./30.05. Lieberose Waldbühne Johnny Mastro & Mama‘s Boys, Jürgen Kerth & Band, Nick Moss Band, Kai Strauss Electric Blues, Mason Rack Band, Footsteps, Carolyn Wonderland, Chilly Willy und Micke Bjorklof & Blue Strip. Wasser-Prawda | Januar 2015 Blues Caravan 2015 Girls With Guitars: Eliana Cargnelutti, Sadie Johnson, Heather Crosse 27.01. Stuttgart, Merlin 28.01. Karlsruhe, Jubez 29.01. Bensheim, Rex 30.01. Offenburg, Reithalle 31.01. Rheine, Hypothalamus 01.02. Dortmund, Musiktheater Piano 03.02. Nürnberg, Hirsch 04.02. Hamburg, Downtown Bluesclub 05.02. Worpswede, Music Hall 06.02. Hannover, Blues Garage 07.02. Soest, Alter Schlachthof 08.02. Bonn, Harmonie 09.02. Kassel, Theaterstübchen 11.02. Aschaffenburg, Colos-Saal 12.02. Kaiserslautern, Kammgarn 13.02. Luxembourg, Sang & Klang 14.02. Siegen, Jazz Club Oase IRISH SPRING - Festival of Irish Folk Music 25.02. Waldshut-Tiengen, Stadthalle 26.02. Ravensburg, Zehntscheuer 27.02. Esslingen, KUZ Dieselstraße 28.02. Netphen, Georg-Heimann-Halle 01.03. Hildesheim, Bischofsmühle 02.03. Dresden, Dreikönigskirche 03.03. Helmstedt, Brunnentheater 04.03. Bad Wildungen, Wandelhalle 05.03. Rietberg, Cultura 06.03. Kerpen, Erfthalle Türnich 07.03. Bebra, Ellis Saal 08.03. Hattingen, Gesamtschule Welper 09.03. Koblenz, Cafe Hahn 10.03. Leipheim, Zehntstadel 11.03. Waldkraiburg, Haus der Kultur 12.03. Fürstenfeldbruck, Veranstaltungsforum 13.03. Roth, Kulturfabrik 14.03. Marbach, Stadthalle 15.03. Helmbrechts, Bürgersaal TERMINE 16.03. Kaarst, Albert Einstein Forum 17.03. Bonn, Harmonie 18.03. Altenkirchen, Stadthalle 19.03. Mainz, Frankfurter Hof 20.03. Twist, Heimathaus 21.03. Stuhr, Gutsscheune Varrel 22.03. Filsum, Rathaus Filsum 23.03. Neustadt, Schloss Landestrost 24.03. Leipzig, Werk 2 25.03. Landau, Altes Kaufhaus 26.03. Gersthofen, Stadthalle 27.03. Offenburg, Reithalle 28.03. Laupheim, Schloss Großlaupheim 29.03. Bensheim, Parktheater 30.03. Tübingen, Sudhaus Auf Tour 3 Dayz Whizkey 31.01. Frauental, Bluegarage (A) 05.02. Augsburg, Spectrum 20.02. Fürth, Kofferfabrik 21.02. Regenstauf, Coolturbühne 27.02. Berlin, Kiste 28.02. Cham, LA Abi Wallenstein 25.01. Güstrow, Heizhaus am Schloss 30.01. Hamburg-Bergedorf, Serrahn 06.02. Hamburg, Fabrik 07.02. Gifhorn, KultBahnhof 27.02. Goslar, Kubik 28.02. Torgau, Kulturbastion Bad Temper Joe 03.03. Lemgo. Beatcafe 11.03. Münster, Cafe Arte 26.09. Bielefeld, Extra-Blues-Bar B.B. & The Blues Shacks 30.01. Gifhorn, Kultbahnhof 7 31.01. Paderborn, 5. Paderborner Jazz & Blues Party 21.02. Schwerin, Speicher 28.02. Twist, Heimathaus Ben Poole 20.02. Rheinberg, Schwarzer Adler 21.02. Dortmund, Blue Notez Club 25.02. Hamburg, Downtown Bluesclub 26.02. Wetzlar, Francis 07.03. Greifswald, Sótano Bernard Allison 24.01. Kassel, Theaterstuebchen 27.01. Bremen, Meisenfrei 28.01. Hamburg, Downtown Bluesclub 30.01. Idstein, Die Scheuer 31.01. Berlin, Quasimodo 01.02. Stuttgart, Laboratorium 02.02. Salzburg, Rockhouse (A) 22.03. Friedrichshafen, Bahnhof Fischbach 23.03. Wien, Reigen (A) 24.03. Prag, Jazz Dock (CZ) 27.03. Bern-Rubigen, Mühle Hunziken (CH) 28.03. Freiburg, Jazzhaus Big Daddy Wilson 07.02. Hannover, Bluesgarage 21.02. Münster, Hot Jazz Club Blue Note Blues Band 16.02. Kolbermoor, Grammophon 25.04. Ingolstadt, Shamrock 06.06. Bielefeld, Extra Blues Bar Blues Company 30.01. Unna, Lindenbrauerei 07.02. Bad Oeynhausen, Druckerei 13.02. Rhauderfehn, Blues Club (Hotel Westerfehn) 14.03. Lingen, Kulturzentrum St, Michael 20.03. Metzingen, Hirsch Wasser-Prawda | Januar 2015 8 TERMINE 21.03. Kirchheim Teck, Bastion 26.03. Stuttgart, Laboratorium COLLOSSEUM 10.02. Bensheim, Parktheater 11.02. Wuppertal, Live Club Barmen 13.02. CH-Pratteln, Z7 14.02. Winterbach, Lehenbachhalle 16.02. Oldenburg, Kulturetage Cologne Blues Club 21.02. Dormagen, Streetlife 05.03. Wetzlar, Francis 06.03. Gießen, Irish Pub 07.03. Frankenberg, Klimperkasten 08.04. Bordesholm, Versorgungsbetriebe 25.04. Schönenberg, Gasthaus Schleppi 24.05. Prisser, Kulturelle Landpartie Festival 30.05. Zyfflich, Bluesfestival 16.07. Maggia, Magic Blues Festival (CH) 17.07. Feuerthalen, Kulturzentrum Dolder (CH) 18.07. Winterthur, Music Bar (CH) 05.08. Saarbrücken, Kultur am Schloß Daniel Puente Encina (Chile) 18.02. Eckernförde, Spieker 19.02. Norderstedt, Music Star 20.02. Kiel, Bluesfestival 21.02. Rostock, Bluesfestival 04.04. Potsdam, Gutenberg 100 David Sinclair & Keith Bennett 08.04.. Mülheim an der Ruhr, Rolo’s House 09.04. Weilburg, Cafe Ententeich, 10.04. Neudrossenfeld, Brauerwerk 11.04. Oberweiling, Kneipenbühne 13.04. Hamburg, Soundyard 17.04. Neuruppin, Seehotel 18.04. Berlin, Berlin Guitars 22.04. Kiel, Kulturforum 23.04. St. Peter Ording, Café Instinkt 24.04. Bornholdt, Kulturkniepe 25.04. Frelsdorf, Kulturtransport Wasser-Prawda | Januar 2015 26.04. Ulm, Fiddler’s Green 27.04. Ulm, Sauschdall Ulm 28.04. Augsburg, Der Rabe Abraxas 29.04. Füssen 30.04. Unnersdorf, Gasthof Zur Linde 02.05. Runding-Vierau, Liederbühne Dr. Will & The Wizards 24.01. Wörth a.d. Donau, Bürgersaal 13.02. München, Ampere/Muffatwerk 06.03. Hard, Kammgarn (A) 14.03. Pittenhart, Kulturverein Hilgerhof 16.03. Burghausen, Knoxoleum 21.03. München, Saturn Theresienhöhe 22.03. Roth, Posthorn 25.03. Steinebach, Alter Bahnhof 28.03. Neustadt/Weinstraße, Kelterhaus East Blues Experience 06.02. Potsdam, Club Charlotte 07.02. Dresden, Tante JU 13.02. Parchim, Irish Pub 14.02. Salzwedel, Hanseat 20.02. Erfurt, Museumskeller 21.02. Zwickau, St.Barbara - Lichtentanne 27.02. Neustadt (Harz), Harzer Rockhotel 28.02. Hannover, Alter Bahnhof Anderten 13.03. Magdeburg, Alte Feuerwache 14.03. Torgau, Kulturbastion 20.03. Luckenwalde, Stadttheater 21.03. Seelow, Kulturhaus, 5. Blues Rock Festival 26.03. Heringsdorf, O‘ man River 27.03. Stralsund, Werkstatt 28.03. Rostock, Pumpe 04.04. Tanna, Kuhstall 10.04. Aschersleben, Bestehornhaus 11.04. Cottbus, Bebel Engerling 31.01. Berlin, Kiste 28.03. Sondershausen, Achteckhaus TERMINE Georg Schroeter & Marc Breitfelder 13.02. Koslowski Halle - Kappeln 14.02. Café Zeit - Westensee 21.02. Wassermühle - Trittau (feat. Abi Wallenstein) 27.02. Die Hofkneipe - Grebin 13.03. Petruskirche Lichterfelde - Berlin 27.03.2015 Zum Schorsch - Fürth-Erlenbach Greyhound George 26.01. Bielefeld, Spökes (m. Karl Valta) 01.02. Paderborn, Lenz (m. Andy Grünert) 09.02. Bielefeld, Spökes (m. Gerd Gorke) 21.02. Bielefeld, c.ult (mit BBP) 23.02. Bielefeld, Spökes (m. Mister Blues) 23.03. Bielefeld, Spökes (m. Dieter Kropp) 28.03. Gütersloh, A Tasca 23.04. Düsseldorf, Till‘s Eleven Hamburg Blues Band 30.01. Schwerin, Speicher 31.01. Forst, „Manitu“ 06.02. Idstein, Scheuer 07.02. Freudenburg, Ducsaal 06.03. Göttingen, Musa 07.03. Offenbach, KJK Sandgasse 13.03. Dortmund, Piano 20.03. Wuppertal, Liveclub Barmen 21.03. Osnabrück, Blueslawine 27.03. Minden, BÜZ 28.03. Bordesholm, Savoy Henning Pertiet 24.01. Berlin-Köpenick, Ratskeller 30.01. Isernhagen, Kulturkaffe Rautenkranz 06.02. Rastede, Palais 13.02. Oldenburg, Classic Meets Pop 20.02. Bremen, Kulturhaus Pusdorf 14.03. Geesthacht, Kleines Theater 20.03. Isernhagen, Kulturkaffe Rautenkranz 21.03. Nordenham, Jahnhalle 9 Hundred Seventy Split 13.03. Kiel, Räucherei 14.03. Husum, Speicher 17.03. Berlin, Quasimodo 18.03. Erfurt, Museumskeller 19.03. Torgau, Kulturbastion 20.03. Halle (Saale), Objekt 5 21.03. Plauen, Malzhaus 22.03. Mannheim, Alte Seilerei 24.03. Karlsruhe, Jubez 25.03. Freiburg, Jazzhaus 26.03. Pratteln, Z7 (CH) 28.03. Roth, Bluestage (Kulturfabrik) 30.03. Salzburg, Rockhouse (A) 31.03. Wien, Reigen (A) 09.05. Leinfelden, Guitars United Festival 14.08. Finkenbach, Finki Open Air Festival 15.08. Waffenrod, Woodstock Forever Festival Jessy Martens & Band 29.01. Mühldorf a. Inn, Haberkasten 30.01. Wangen /Allgäu, Schwarzer Hase Beutelsau 31.01. Freudenburg, Ducsaal 05.02. Mainz, SWR Funkhaus: mit Jan Fischer´s Blues Support feat. Abi Wallenstein 07.02. Kiel, Räucherei 13.02. Salzgitter, Kniestedter Kirche 14.02. Nordenham, Jahnhalle 15.02. Dortmund, Piano 20.02. Isernhagen, Blues Garage 13.03. Brüssel, European Blues Challenge 14.03. Brüssel, European Blues Challenge 27.03. Holzminden, Bluesfestival 28.03. Münster, Hot Jazz Club Jimmy Reiter 29.01. Bottrop, Passmanns Kulturkneipe 30.01. Hannover, Jazzclub 31.01. Paderborn, 6. Jazz and Blues Party 01.02. Wageningen, Blues Club XXL (NL) 14.02. Minden, Jazzclub Wasser-Prawda | Januar 2015 10 TERMINE Klaus Major Heuser Band 30.01. Ravensburg, Zehntscheuer 31.01. Esslingen, Kulturzentrum 06.02. Bielefeld, Forum 07.02. Solingen, Cobra 26.02. Halle, Objekt 5 27.02. Magdeburg, Alte Feuerwache 06.03. Siegen, Lyz 07.03. Bocholt, Alte Molkerei 20.03. Essen, Zeche Carl 27.03. Hamburg, Downtown Bluesclub 28.03. Eschweiler, Talbahnhof Lars Attermann 05.03. Berlin, Dänische Botschaft 25.03. Gunzenhausen, Cayman 26.03. Köln, Kulturcafé Lichtung 27.03. Fürth, Badstrasse 28.03. -Münster, Flic Flac Marius Tilly Band 07.02. Unna, Lindenbrauerei 14.02. Remscheid, Musical Box 08.03. Oslo, Rockefeller (GBOB Worldfinal) 13.03. Ratingen, Manege Lintorf 14.03. Vohwinkel, Bürgerbahnhof 27.03. Holzminden, Weserbergland-Blues-Festival Mitch Ryder & Engerling 05.02. Braunschweig, Barnabys Blues Bar 06.02. Torgau, Kulturbastion 07.02. Obergurig, Kesselhaus Singwitz 11.02. Rheinberg, Schwarzer Adler 12.02. Kassel, Theaterstübchen Am Nil 13.02. Plauen, Malzhaus 14.02. Apoldaer Bluesfasching 18.02. Halle/Saale, Objekt 5 19.02. Frankfurt/Main, Das Bett 20.02. Dortmund, Musiktheater Piano 21.02. Solingen, Cobra 22.02. Bonn, Harmonie 25.02. Magdeburg, Feuerwache Wasser-Prawda | Januar 2015 26.02. Bremen, Meisenfrei 27.02. Hamburg, Downtown Bluesclub 28.02. Kellinghusen, Ulmenhofschule 02.03. Berlin, Frannz - Kulturbrauerei 10.03. Nürnberg, Hirsch 11.03. Bensheim, Musiktheater Rex 12.03. Ludwigsburg, Scala 13.03. Erfurt, HsD 14.03. Forst, Erlebnisgaststätte Manitu 15.03. Schöneiche, Kulturgießerei 18.03. Regensburg, Alte Mälzerei 19.03. Olching, Legends of Rock 20.03. Hannover, Blues Garage Morblus 27.02. Hannover, Bluesgarage 28.02. Hohenstein-Meidelstetten, Adler Meidelstetten 01.03. Altdorf, Jimmy‘s Café 06.03. Runding, Liederbühne Robinson 12.03. Leverkusen, Topos 14.03. Chemnitz, Eiscafé Temmler Mrs. Greenbird (D) 12.03. Potsdam , Lindenpark 13.03. Leipzig, Felsenkeller 14.03. Magdeburg, Altes Theater 19.03. Münster, Jovel 20.03. Wesel, Niederrheinhalle 26.03. Neu-Isenburg, Hugenottenhalle 27.03. Karlsruhe, Festhalle Durlach 28.03. Lindau, Club Vaudeville 09.04. Rostock, MAUclub 10.04. Wilhelmshaven, Pumpwerk 11.04. Bremen, Bürgerhaus 15.04. Stuttgart, LKA Longhorn 16.04. München, Backstage 17.04. Augsburg, Spectrum Club 23.04. Hannover, Capitol 24.04. Hamburg, Große Freiheit 25.04.Berlin, Postbahnhof 28.04. Nordhorn, Alte Weberei 29.04. Essen, Weststadthalle TERMINE 30.04. Köln, E-Werk My Darling Clementine 18.02. Laupheim, Schloss Großlaupheim 21.02. Waldkraiburg, Haus der Kultur Park Stickney 30.01. Saarbrücken, ZBB Breite 63 31.01. Bad Honnef, Feuerschlösschen 01.02. Kassel, Kreuzkirche 04.02. Laupheim, Schloss Großlaupheim 05.02. Augsburg, ParkTheater Göggingen 06.02. Wendelstein, Jegelscheune 07.02. Tübingen, Sudhaus 08.02. Straubing, Hotel Asam 10.02. Pforzheim, Bottich Pass Over Blues 13.02. Apolda, Hotel am Schloss 14.03. Babelsberg, Rathaus 14.04. Rostock, Stadthalle 13.05. Ratzeburg, Jazz in Ratzeburg Popa Chubby 01.03. Weinheim, Café Central 03.03. Bonn, Harmonie 04.03. Rubigen, Mühle Hinziken (CH) 06.03. Wuppertal, Live Club Barmen 07.03. Erfurt, Gewerkschaftshaus 08.03. Lübeck, Werkhof 09.03. Bremen, Meisenfrei 10.03. Hamburg, Fabrik Reverend Rusty 31.01. Augsburg, Bombig Bar 28.02. Scharnitz, Alte Mühle (A) Richard Bargel & Dead Slow Stampede 06.02. Bergheim, Medio.Rhein.Erft 21.02. Wermelskirchen, Kattwinckelsche Fabrik 13.03. Ludwigshafen, das haus 11 14.03. Remagen, Kulturwerkstatt 18.03. Bonn, Pantheon (Casino) 19.03. Stuttgart, Laboratorium 17.04. Backnang, Kulturgut Hagenbach 18.04. Naunheim, Bürgerhaus 24.04. Berlin, Grüner Salon 25.04. Magdeburg, Songtage @ Feuerwache 08.05. Leverkusen, Scala 14.05. Ingolstadt, Bluesfest 2015 @ Neue Welt 15.05. Ulm, Charivari Bluesfestival 29.05. Eisenach, Alte Mälzerei 25.07. Eitorf, Siegtag Festival @ Theater am Park 26.09. Langen, Jazzclub Alte Ölmühle 18.11. Pulheim, Kultur- und Medienzentrum The Double Vision 14.03. Hildburghausen, Route 66 21.03. Bad Salzungen, Pressenwerk The Blues Band 06.02. Schwerin, Speicher 07.02. Bordersholm, Savoy 08.02. Hamburg, Fabrik 09.02. Aschaffenburg, Colossaal 10.02. Berlin, Wintergarten 11.02. Regensburg, Alte Mälze 12.02. Bensheim, Musiktheater Rex 13.02. Hannover, Blues Garage 14.02. Bad Salzulfen, Bahnhof 15.02. Nürnberg Hirsch The Dynamite Daze 30.01. Billerbeck, Music Live 31.01. Offenburg, KJK Sandgasse 27.02. Karlsruhe, Jubez 30.04. Twist, Heimathaus Thorbjørn Risager & The Black Tornado 07.03. Altdöbern, Schützenhaus 26.03. Göttingen, Exil 27.03. Roth, Rother Bluestage 28.03. Hannover, Bluesgarage Wasser-Prawda | Januar 2015 12 TERMINE 15.04. Bremen, Meisenfrei 16.04. Bonn, Harmonie 17.04. Münster, Hot Jazz Club 18.04. Meidelstetten, Adler 24.04. Verden, Domgymnasium 25.04. Berlin, Quasimodo 29.04. Hamburg, Downtown Blues Club 30.04. Twist, Heimathaus We Banjo 3 16.04. Leipzig, Moritzbastei 17.04. Dresden, Dreikönigskirche 18.04. Hildesheim, Bischofsmühle 19.04. Oldenburg, Theater Laboratorium 23.04. Waiblingen, Kulturhaus Schwanen 25.04. Ravensburg, Zehntscheuer 26.04. Schopfheim-Fahrnau, Kirche St. Agathe 28.04. Koblenz, Cafe Hahn 29.04. Waldkraiburg, Haus der Kultur 30.04. Offenburg, Salmen 25.06. Bad Rappenau-Bonfeld, Schlosshof Bonfeld WENZEL (D) Viva la poesía! Tour 27.02. Freiberg, Tivoli 28.02. Plauen, Malzhaus 04.03. Magdeburg, Feuerwache 07.03. Joachimthal, Heidekrug 08.03. Neubrandenburg, Theater 11.03. Offenburg, Salmen 13.03. Heidelberg, Kulturfenster 14.03. Brackenheim, Kapelle im Schloss 15.03. Jena, Volkshaus 20.03. Schöneiche, Kulturgießerei 21.03. Salzwedel, Hanseat 17.04. Eisenach, Alte Mälzerei 18.04. Hoyerswerda, Kulturfabrik Will Wilde Band 30.01. Rhede, Blues 31.01. Eppstein, Wunderbar Weite Welt 01.02. Kahla, Blues Kaffee Wasser-Prawda | Januar 2015 13.02. Hamburg, Downtown Blues Club Wille and the Bandits (UK) 26.03. Bonn, Crossroads Festival @ Harmonie 27.03. Reichenbach, Bergkeller 28.03. Dresden, Tante Ju 29.03. Fulda, Kulturkeller 30.03. Stuttgart, Universum 31.03. Fürth, Kofferfabrik 01.04. Wien, Reigen (A) 04.04. Berlin, Supamolly 05.04. Wredenhagen, Cafe Scheune Zakiya Hooker 09.03. Salzburg, Rockhouse (A) 10.03. Linz, Arbeiterkammer (A) 13.03. Stuttgart, Kulturzentrum Merlin 14.03. Frauenfeld, Blues Festival (CH) 17.03. Emmendingen, Mehlsack 18.03. Kandern, ChaBah 19.03. Genf, Blues Association (CH) 21.03. Wien, Vienna Blues Spring (A) Clubs Barnaby‘s Blues Bar Braunschweig 05.02. Mitch Ryder & Engerling 06.02. Kris Pohlmann Band 13.02. Hannes „Feuer“ Bauer 14.02. Gregor Hilden Band 21.02. Second Service Bielefelder Jazzclub 06.02. Elaine Thomas & The Poets Messengers 13.02. Hot n Nasty 20.02. Jazzkantine 27.02. Frank Muschalle Trio Bischofsmühle Hildesheim 29.01. Sven Zetterberg TERMINE 30.01. Achim Kück Trio feat. John Ruocco 06.02. Tommy Schneller Band 13.02. Slow Horses 21.02. Florian Hoefner Group 27.02. Alegra & The Özdemirs 01.03. Irish Spring Blues & More Eiscafe Temmler, Chemnitz 30.01. The Dynacasters feat. Martin Bohl 27.02. Hans Blues & Boogie (im MiO Minicamping) 14.03. Morblus 02.04. Namoli Brennet-Trio (im MiO Minicamping) 24.04. The 44‘s Bluesgarage Hannover Isernhagen 30.01. Wishbone Ash 31.01. Her & Kings County 06.02. Blues Caravan 2015 07.02. Big Daddy Wilson & Band 13.02. The Blues Band 20.02. Jessy Martens & Band 21.02. Mike Andersen 27.02. Morblus 28.02. Captain Ivory 04.03. Stoppok solo 07.03. Vdekku 13.03. Albert Lee & Hogans Heroes 14.03. Batten/Hamm/Wackermann 15.03. Eric Bibb & Yana Bibb 20.03. Mitch Ryder & Engerling 22.03. Toby 28.03. Thorbjørn Risager & The Black Tornardo 02.04. Vargas Blues Band ChaBah Kandern 28.01. Nimmo Brothers 04.02. Jo And Lazy Fellow 13 11.02. Little Chevy 18.02. Elles Bailey 25.02. Carvin Jones 04.03. Innes Sibun Cotton Club Hamburg 09.02. Jo Bohnsack 14.02. Bourbon Skiffle Company 23.02. Paul Botter & Jan Mohr 07.03. Second Life Bluesband 16.03. Bernd Rinser 19.03. Whiskydenker 23.03. Billbrook Bluesband 26.03. Torsten Zwingenberger Blues Trio Downtown Bluesclub Hamburg 28.01. Bernard Allison 04.02. Blues Caravan 2015 06.02. Gute Deutsche Prairie 11.02. House On A Hill 13.02. Will Wilde 14.02. London Pride 18.02. Carvin Jones 20.02. Mojo Makers 23.02. UFO 25.02. Ben Poole 27.02. Mitch Ryder & Engerling 08.03. Spencer Davis Group 11.03. Pippo Pollina Trio 14.03. Albert Lee & Hogans Heroes 27.03. Klaus Major Heuser Band Extra Blues Bar Bielefeld 30.01. Stronzo Gelantino and the Boo Man/Braindead Dogs 05.02. The Silverettes 14.02. Deamon‘s Child/PunPunBo 21.02. Kris Pohlman 27.02. Heat 07.03. Mudcats Blues Trio Wasser-Prawda | Januar 2015 14 TERMINE 13.03. Tom Shaka 21.03. Varmints and Vagrants 29.03. The Black Lung Harmonie Bonn 03.02. Wishbone Ash 08.02. Blues Caravan 2015 22.02. Mitch Ryder & Engerling 24.02. Spencer Davis Group 27.02. HopStopBanda 03.03. Popa Chubby 05.03. Gemma Ray 08.03. Stoppok -solo10.03. Vdelli 15.03. Pippo Pollina 16.03. Canned Heat 17.03. Irish Spring 25.-28.03. WDR Crossroads Festival 30.03. John Illsley Kulturspeicher (Bergstraße, Ueckermünde) 07.02. Wagenbreth & Uhlmann Laboratorium Stuttgart 01.02. Bernard Allison Group 05.02. Peter Finger 12.02. Hipsticks 19.03. Richard Bargel & Dead Slow Stampede 26.03. Blues Company 28.03. Lightnin Guy & The Mighty Gators Late Night Blues Loev Hotel Binz/Rügen 23.01. Heggen, Pertiet, Maass 14.02. Fredrik Kinboom & Band Meisenfrei Bremen Hankenstr. 27.01. Bernard Allison Wasser-Prawda | Januar 2015 28.01. New Tone blues Band 29.01. Almost Three 30.01. Ramblin Blues Band 03.02. Sweet Kiss Momma 04.02. Cliff Stevens Band 07.02. Voodoo Child 12.02. Blue Silver 17.02. Captain Ivory 19.02. Motorplanet 25.02. New Adventures 26.02. Mitch Ryder & Engerling 28.02. Most Fabulous Long Gone Dicks 03.03. Vdelli 05.03. 3 Dayz Whizkey 09.03. Popa Chubby 13.03. Rob Tognoni Music Hall Worpswede 29.01. Finbar Furey 30.01. Ringsgwandl 31.01. Wishbone Ash 05.02. Blues Caravan 2015 13.02. Stefan Gwildis 14.02. Rainbirds 27.02. Jools Holland & Gäste 28.02. 65 Cadillac 05.03. Annett Louisan 28.03. Stoppok & Artgenossen Musiktheater Piano Dortmund 01.02. Blues Caravan 2015 05.02. Yawning Man 15.02. Jessy Martens & Band 20.02. Mitch Ryder & Engerling 21.02. Hayseed Dixie 04.03. Steve Wynn 08.03. Zodiac 13.03. Hamburg Blues Band 14.03. Peter Bursch‘s Bröselmaschine 20.03. B.B. & The Blues Shacks 21.03. Vdelli TERMINE Musiktheater Rex Bensheim 29.01. Blues Caravan 2015 06.02. Mandowar 10.02. Colosseum 12.02. The Blues Band 13.02. Rob Tognoni 27.02. Albie Donnelly and his Big Thing 28.02. Jancree/Ullmann-Trio 06.03. Toby 11.03. Mitch Ryder & Engerling 19.03. Albert Lee & Hogan‘s Heroes 28.03. Sacarium feat. Tobi Regner 14.02. triosence 20.02. Jude Johnstone 28.02. Kamchatka 06.03. Vdelli 21.03. Stephanie Neigel 28.03. Hamburg Blues Band Speicher Schwerin 30.01. Hamburg Blues Band 06.02. The Blues Band 07.02. Friend ’n‘ Fellow 20.02. Hotel Bossa Nova 14.03. Buddy Whittington & Band O‘ Man River Troisdorfer Bluesclub Friedensstraße 27, Ostseebad Heringsdorf 30.01. Eric Lenz 06.02. Peer Orxon 13.02. Rhythm and Voice 17. 02. O man river bluesband 24.02. Grey Wolf 06.03. Gotte Gottschalk 10.03. Peter Schmidt ( EBE ) 20.03. Frank Plagge 26.03. East Blues Experience 27.03. Catfish Realschule Heimbachstrasse 10, Troisdorf 20.02. Big K & The Solid Senders 13.03. The Juke Joints 17.04. Kris Pohlmann Band 22.05. The Random Players 19.06. The Working Blues Band Quasimodo Berlin 30.01. Ingrid Arthur & Band 31.01. BERNARD ALLISON GROUP 06.02. FRIEND N FELLLOW 11.02. PERE UBU 13.02. DEFUNKT 14.02. DEFUNKT 11.03. ALBERT LEE & HOGAN‘S HEROES 17.03. HUNDRED SEVENTY SPLIT 18.03. OTTMAR LIEBERT Savoy Bordesholm 31.01. San Glaser & Band 07.02. The Blues Band 15 Yorckschlösschen Yorckstr. 15, Berlin 28.01. Dynacasters, feat. Martin Bohl 29.01. Chat Noir 30.01. Crazy Hambones 01.02. Carlos Santana & Friends 04.02. Niels von der Leyen Trio 06.02. Trio Mortacci 07.02. Swing Cat Club 08.02. Whatever Rita Wants 11.02. Ingrid Arthur 13.02. The Love Gloves 14.02. The Pustefisch Swingbopers 15.02. Wayne Martin & Ernie Schmiedel 20.02. Terry Lovique Band 21.02. Power Boogie Trio 22.02. JazzAgoGo 25.02. Mi Solar 27.02. Sunset delux 01.03. Kat Baloun Wasser-Prawda | Januar 2015 16 MUSIK BEST B L U E S 2 0 1 4 . D I E ALBEN D E S J A H R E S VON RAIMUND NITZSCHE Die Bluesalben des Jahres 2014 stammen nach Ansicht unserer Leser von Johnny Winter, The Suitcase Brothers, Joe Bonamassa und Robert Cray. Als bestes Debüt wurde „Unleashed“ von der Charles Walker Band gewählt. Bestes Live-Album ist „Live in Amsterdam“ von Beth Hart & Joe Bonamassa. Und das beliebteste Wasser-Prawda | Januar 2015 Album aus Deutschland ist „Best Before“ von Back On The Road. Es waren oft die bekannten Namen, die sich bei unserer Umfrage zu den besten Bluesalben 2014 durchgesetzt haben. Mit insgesamt 3644 haben sich an „Best Blues 2014“ mehr Leser beteiligt, als wir zu hoffen gewagt haben. In den ersten Tagen unserer Umfrage wurden schon 1000 Leser gezählt, die unseren Webserver immer wieder zum Absturz brachten. Bis zum 31. Dezember konnten wir 3644 Teilnehmer zählen, die entweder in MUSIK 17 vielen Kategorien oder nur für ihre Lieblingsbands ihre Stimme abgaben. Besonders die kalifornische Chase Walker Band und Back on the Road aus Deutschland haben hier eine ergebene Fanschar, die über die ganze Zeit immer wieder Punkte vergaben. So kam die Chase Walker Band auf insgesamt 1714 Stimmen, das mit weitem Abstand beste Ergebnis in allen Kategorien. Back on the Road konnte mit 726 Stimmen die deutsche Konkurrenz weit hinter sich lassen. Nicht nur Joe Bonamassa, der gleich mit zwei Alben in zwei Kategorien die Umfrage für sich entscheiden konnte, taucht mehrfach auf der Liste auf. Eine der großen Überraschungen in Deutschland war 2014 sicherlich Bad Temper Joe aus Bielefeld mit seinen eindrücklichen Songs. Zwar hat er keine Kategorie gewinnen können, doch tauchen seine ersten beiden Alben „Sometimes A Sinner“ und „A Man For The Road“ beide bei den Top Five in ihren Kategorien auf. Sein Debüt ließ sogar das in der Presse hoch gejubelte Album der Blues Pills hinter sich. Mit diesem Musiker werden wir in Zukunft sicher rechnen müssen. Ebenso auch mit den Suitcase Brothers aus Barcelona, die mit „A Long Way From Home“ das beste akustische Bluesalbum vorlegten. Blues (elektrisch) Johnny Winter, Walter Trout und John Mayall: Die großen Alten des elektrischen Blues haben 2014 wirklich beeindruckende Alben veröffentlicht. Dazu kommt noch feiner Blues aus Chicago mit „Warning Shot“ von Mississippi Heat. Und Janiva Magness hat mit „Original“ einen tollen Neuanfang jenseits von Alligator Records hingelegt. Schade nur, dass so eigenständige und großartige Künstler wie Al Basile oder C.W. Stoneking noch nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie eigentlich verdient hätten. 1. Johnny Winter - Step Back (338 Stimmen) 2. Walter Trout – The Blues Came Callin’ (311) 3. Mississippi Heat – Warning Shot (290) 4. John Mayall - A Special Life 5. Janiva Magness - Original 6. Liz Mandeville - Heart O Chicago 7. Mud Morganfield & Kim Wilson – For Pops (A Tribute To Muddy Waters) 8. Little Mike & The Tornadoes - All The Right Moves 9. The Holmes Brothers - Brotherhood 10. C.W. Stoneking – Gon’ Boogaloo 11. Barrelhouse Chuck & Kim Wilson Blues All-Stars, Driftin‘ from Town to Town 12. Jim Byrnes – St. Louis Times 13. Bob Corritore - Taboo 14. JP Soars – Full Moon Night in Memphis 15. Al Basile - Woke Up In Memphis Blues (akustisch) Gerade beim akustischen Blues kann man die Spannung zwischen innovativen und konservativen Künstlern besonders gut beobachten. Da gibt es großartige Alben wie die von den Suitcase Brothers aus Barcelona oder von Erwin Helfer aus Chicago, bei denen man sich in die Entstehungszeit des Blues versetzt fühlen könnte. Und dann wiederum gibt es Wasser-Prawda | Januar 2015 18 MUSIK Künstlerinnen und Künstler wie Sunday Wilde oder Andy Twyman, bei denen der akustische Blues auch das Erbe von Jazz, Rock oder gar Punk widerhallen lässt. 1. The Suitcase Brothers - A Long Way from Home (287 Stimmen) 2. Sunday Wilde - He Digs Me (235) 3. The Red Dirt Skinners - Sinking The Mary Rose (189) 4. Empire Roots Band - Music from Harlem Street Singer 5. King Size Slim - Milk Drunk 6. Erwin Helfer - Erwin Helfer Way 7. Matěj Ptaszek a Dobré Ráno Blues Band - Bluesgrass 8. Half Deaf Clatch - The Blues Continuum 9. Andy Twyman - Blues You Haven‘t Heard Before 10. Brandon Isaak - Here On Earth Bluesrock An kaum einem Musiker scheiden sich derartig die Geister wie an Joe Bonamassa. Doch das sind eher die Geister von Wasser-Prawda | Januar 2015 Kritikern und anderen Musikern. Kaum jemand ist im Bereich der bluesverwandten Musik bei den Fans gerade in Europa derartig erfolgreich. Da hatten selbst großartige Alben wie „Hornet‘s Nest“ von Joe Louis Walker, „Ragged And Dirty“ von Devon Allman oder das tolle „Love The Way You Roll“ von Alexis P Suter keine wirkliche Chance. 1. Joe Bonamassa - Different Shades of Blue (448 Stimmen) 2. Devon Allman - Ragged And Dirty (316) 3. Joe Louis Walker - Hornet‘s Nest (249) 4. Tommy Castro & The Painkillers - The Devil You Know 5. Alexis P Suter Band – Love The Way You Roll 6. Neal Black & The Healers - Before Daylight 7. Jarekus Singleton - Refuse To Loose 8. Dixie Peach - Blues With Friends 9. The Black Sorrows - Certified Blue 10. Rosco Levee & The Southern Slide - Get It While You Can MUSIK 19 Wasser-Prawda | Januar 2015 20 MUSIK Soulblues, Soul & Funk 1. Robert Cray Band – In My Soul (505 Stimmen) 2. John Nemeth - Memphis Grease (327) 3. Sharon Jones & The Dap Kings - Give The People What They Want (231) 4. Third Coast Kings – West Grand Boulevard 5. JJ Thames – Tell You What I Know 6. David Michael Miller – Poisons Sipped 7. Bobby Patterson - I Got More Soul! 8. The Impellers feat. Clair Witcher - My Certainity 9. Roy Roberts – Strange Love 10. The Eminent Stars - Sittin‘ In Bestes Livealbum 1. Beth Hart & Joe Bonamassa - Live In Amsterdam (517 Stimmen) 2. Gary Clark Jr. - Live (345´) 3. Gregg Allman: All my friends - celebrating the Wasser-Prawda | Januar 2015 MUSIK songs & voice of Gregg Allman (339) Charlie Musselwhite - Juke Joint Chapel Dana Fuchs - Songs from the Road Ben Poole - Live At The Royal Albert Hall Delta Moon - Turn Around When Possible Michelle Wilson – Fortune Cookie Jo Harman & Company - Live At The Royal Albert Hall 10. City Boys Allstars - Blinded By The Night Bestes Debüt Für mich persönlich sind die neuen Künstler, die man im Laufe eines Jahres entdecken kann, immer die spannendsten. Bei den Debütalben kann man die ganze Vielseitigkeit und Vitalität des zeitenössischen Blues finden. Und man kann - jenseits vom jugendlichen Überschwang Songwriter entdecken, die die große Tradition des Blues fortsetzen, ein Kommentar zu unserer Gegenwart zu sein. 1. Chase Walker Band - Unleashed (1714 Stimmen) 2. Bad Temper Joe - Sometimes A Sinner (293) 3. Blues Pills - Blues Pills (191) 4. Kaz Hawkins - Get Ready 5. Selwyn Birchwood - Don‘t Call No Ambulance 4. 5. 6. 7. 8. 9. 21 6. Adrianna Marie - Double Crossing Blues 7. Jonah Gold & His Silver Apples - Pollute The Airwaves 8. King Size Slim - Milk Drunk 9. The Black Tongued Bells - Every Tongue Has A Tale To Tell 10. Jack Roberts Harvey Band - Devil On A Dirt Road 11. Ursula Ricks - My Street 12. Tangled Eye - Dream Wall 13. John Weeks Band - John Weeks Band 14. Josh Hoyer & The Shadowboxers – s.t. 15. Maik W. Garther – Tight Corner Blues (national) Gegen die Fans von Back On The Road hatte kaum jemand eine Chance. Doch dahinter waren die Abstände zwischen den Alben deutlich knapper. Und das heißt für mich: Die Bluesszene in Deutschland ist derartig vielseitig und spannend, dass man sich eigentlich keine Sorge um den Blues hierzulande machen müsste. Da gibt es vom heftigen Bluesrock über im Blues verankerte Singer/Songwriter bis hin zu den traditionellen Klängen für jeden Geschmack Wasser-Prawda | Januar 2015 22 MUSIK etwas zu entdecken. Schade nur, dass von der bis zu den of Blues 80er Jahren so lebendigen Szene im Osten kaum noch wirk- 19. Jan Hirte’s Blue Ribbon – Let It Roll lich bemerkenswerte Alben erscheinen. Pass Over Blues sind 20. Thomas Stelzer - Fuff tsch mit ihren Songs 2014 die ganz große Ausnahme gewesen. Oder sollten wir wirklich gute Platten einfach verpasst haben? 1. Back On The Road – Best Before (726 Stimmen) 2. 3 Dayz Whizkey - Steam (322) 3. PASS OVER BLUES: THE … (295) 4. Bad Temper Joe – Man For The Road 5. B.B. & The Blues Shacks - Businessmen 6. Kai Strauss Electric Blues Allstars - Electric Blues 7. Greyhound George - Cleaning Up 8. Richie Arndt - At the end of the day 9. Timo Gross - It‘s All About Love 10. Reverend Rusty – Struggle 11. Georg Schroeter & Marc Breitfelder - Live 18. Dixieland Jamboree 12. Stoppok - Popschutz 13. Tommy Schneller - Cream of the Crop 14. Fabian Fritz – Easy Rollin’ 15. Richard Bargel & Dead Slow Stampede - It‘s Crap! 16. Black Kat & Kittens – Gypsy Life 17. Rad Gumbo meets John Lee Sanders - New Orleans Blues and Zydeco 18. Christian Bleiming - Boogie Woogie With a Touch Wasser-Prawda | Januar 2015 MUSIK 23 Wasser-Prawda | Januar 2015 24 MUSIK J OE COC K E R ( 1 9 4 4 - 2 0 1 4 ) VON RAIMUND NITZSCHE. FOTOS: KARSTEN SPEHR Zur Aufnahme eines reinen Bluesalbums kam es dann doch nicht mehr. Das ha e sich Joe Cocker immer als Ziel für das Alter offen gelassen. Doch am 22. Dezember 2014 starb der Sänger an den Folgen einer Krebserkrankung. Es war diese Stimme, die sofort für Gänsehaut sorgt, die leidenschaftlichen Ausbrüche und die zärtlich knurrenden Melodien, die man sofort erkennt: Joe Cocker gehörte zu den Künstlern, die man schon bei ihrer ersten Note erkennt. Kaum ein weißer Künstler seiner Generation (sehen wir mal von Janis Joplin ab) konnte den Blues derartig überzeugend interpretieren. Schon von den 60er Jahren ab und bis zum Alter von 70 Jahren hatte sich daran nichts geändert. Auch wenn auf seinen Platten seit Jahrzehnten immer mehr leichtere Popmelodien vorherrschten: Auf der Bühne ließ Joe Cocker keinen Zweifel aufkommen, dass er einer der besten Bluessänger war. Am Anfang stand der Hit, mit dem man ihn immer wieder in Verbindung bringen sollte: Wie er „With A Little Help from My Friends“ interpretierte, das hob den Beatles-Song auf ein ganz neues Level. Der schinbar leichte Popsong wurde bei Cocker zu einem existentiellen Hilfeschrei, zu einem Inbegriff des weißen Blues und Soul. Als Cocker damit auf der Bühne von Woodstock auftrat, war für ihn nichts mehr wie vorher. Vorbei waren die ziemlich harten Zeiten des Tourens durch kleine Clubs in Großbritannien und Europa. Jetzt wollten alle den Superstar sehen, hören - und für ihre Zwecke auch ausbeuten. Der konstante Tourstress führte schnell zu einer massiven Drogenabhängigkeit bei Cocker. Und es dauerte Jahrzehnte, bis er daraus entkommen konnte. Zuerst waren es großartige Touren und Konzerte dokumentiert etwa auf „Mad Dogs & Englishmen“. Doch immer deutlicher wurde hinterher der Absturz. Wasser-Prawda | Januar 2015 Lange zehrte Cocker von seiner Woodstock-Legende. Doch irgendwann war da kaum noch etwas, was das Drogen- und Alkoholwrack mit diesem Triumph verbinden konnte. Mit dem großartigen Comeback seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte eigentlich kaum jemand gerechnet. Doch seit dem Duett „Up Where We Belong“ mit Jenifer Warnes war Cocker regelmäßiger Gast in den Hitparaden. Und er war unablässig auf Tour in Europa, den USA und Australien. Die Platten wurden immer beliebiger und weichgespülter. Doch auf der Bühne war Cocker immer noch die musikalische Urgewalt von Woodstock. Einen Sänger wie ihn gibt es so schnell nicht wieder. Leider. MUSIK 25 Mikey Junior T H E B LUE S IS A L I V E , S I R DARREN WEALES 13. BRIEF AUS DEM VEREINIGTEN KÖNIGREICH WELCOME TO THE UNITED KINGDOM! Germany and Germans have a great 2015. LETTER FROM THE Happy New Year! May Wasser-Prawda | Januar 2015 26 MUSIK Ich weiß nicht, ob Ihr jemals begonnen habt, etwas zu schreiben, nur um herauszufi nden, dass man eigentlich was anderes schreiben möchte? Vielleicht verwandelt sich eine Einkaufsliste so in eine Liste: Was ich mir zum Geburtstag wünsche. Oder Du fängst eine Beschwerde etwa an Deine Bank an und endest damit, einen Brief an einen Freund zu schreiben, weil das einfach viel schöner ist. Dieser Brief aus dem UK sollte eigentlich komplett von der British Blues Exhibition handeln, die online entsteht und zu der 2015 auch ein Event geplant ist, das Leute besuchen können. Und weitere sollen folgen. Wenn ich das schon mal erwähnt habe, die Webseite ist www.britishbluesexhibition.co.uk. Und Ihr könnt sehen, wie die Seite wächst und Pläne für 2015 erscheinen. Schon jetzt gibt es dort auch schon ein Zitat einer deutschen Band zu entdecken, von 3 Dayz Whizkey. Wie auch immer, um diese Briefe aus dem Vereinigten Königreich 2015 zu beginnen, wende ich mich lieber einem, oder besser: zwei, englischen Autoren zu. Einer ist P.G. „Plum“ Wodehouse, der andere Sebastian Faulks. Zusammen kommen sie, weil sie beide Romane schreiben, in denen Wodehouses großartige englische Figuren aus den 20er Jahren spielen: Bertie Wooster, ein junger Mann mit unabhängigen Gedanken und sein persönlicher Butler Jeeves. Jeeves liest anspruchsvolle Literatur, unter anderem den deutschen Philosophen Immanuel Kant. Es gibt einen Trend zu Büchern, die im Stil oder mit den Figuren großartiger Autoren geschrieben werden. Ian Flemming (James Bond) und Sir Arthur Conan Doyle (Sherlock Holmes) sind Beispiele, wo neue Bücher geschaffen wurden mit ihrer Inspiration von jenseits des Grabes. „Jeeves and the Wessding Bells“ ist Sebastian Faulks Versuch mit PG Wodehouse, und er hat wirklich eine tolle Arbeit abgeliefert, einen neuen Roman mit einigen der berühmtesten Charaktere der englischen Literatur. So wie wahrscheinlich viele Menschen glauben, dass Autoren der Qualität von Wodehouse und Flemming nicht ersetzt oder erfolgreich kopiert werden konnen, so glauben auch einige Menschen, dass das goldene Zeitalter des Blues - oder der großen Blueskünstler - vorüber sei. Für sie ist klar, dass es keinen neuen Howlin Wolf oder neuen John Lee Hooker geben wird. Dem Buchstaben nach haben sie natürlich Recht. Doch wenn Sebastian Faulks einen PG Wodehouse-Roman schreiben kann, der des Originals würdig ist, warum sollten wir nicht nach der Musik eines neuen Wolfs, Hookers, oder gar eines neuen Muddy Waters Ausschau halten? Vielleicht sind sie schon da und spielen. Zum Beispiel war ich letztens sehr beeindruckt von dem was ich von dem Amerikaner Mikey Junior gehört habe. Aber Ihr solltet 2015 nach eigenen Blues Helden Ausschau halten. Hier ist noch eine letzte Meldung für diesen Brief. Es gibt eine neue und eigenartige Entwicklung im Blues, die grad erst begonnen hat, einen Versuch, ein wenig alternatives Wasser-Prawda | Januar 2015 Branding für den Blues zu finden. Man bezeichnet Blues jetzt als Indie B. Indie-Musik klingt heutzutage ein wenig moderner. Begonnen hat das bei Facebook. Man kann das unter facebook.com/groups/ INDIEB verfolgen. Was wird sich daraus ergeben? Das bleibt abzuwarten, aber von 2015 ist noch genügend Zeit übrig, in der was passieren kann. BE PROSPEROUS AND ENJOY YOUR LIVE MUSIC AND ALL THAT IS GERMAN! Links Alistair Cooke - http://www.bbc. co.uk/programmes/b00f6hbp PG Wodehouse - http://www. wodehouse.co.uk/ Mikey Junior - http://www. mikeyjunior.com/ MUSIK 27 NATÜ R L I C H K A N N S T D U A UF TOUR G E L D V E R D I E N E N ! VON SARAH SKINNER (RED DIRT SKINNERS) Letztens machte ein Blogbeitrag die Runde und es gab einen allgemeinen Konsens von vielen Leuten, von denen es einige wirklich besser wissen sollten, dass es einfach unmöglich sei, als Musiker hier und heute seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Noch frustrierender ist die Erwartung, dass ein Künstler Glück habe, wenn er auf Tour mit plus/minus Null herauskommt, geschweige denn dass er Profit macht. Solche Berichte lassen talen erte Künstler zu Tagjobs zurückeilen, die sie hassen und zu Tagträumen über wie es wohl sein könnte, wenn nur das Musikgeschä nicht so ein Rohrkrepierer wäre. Wasser-Prawda | Januar 2015 28 MUSIK Vor fünf Jahren fasste ich gemeinsam mit meinem heutigen Ehemann die Entscheidung, es mit aller Kraft zu versuchen, den Lebensunterhalt allein von der Musik zu bestreiten. Inzwischen besitzen wir unser eigenes Haus im Südosten von England und wir haben eine Menge Zeit, uns am Leben zu erfreuen. Ist das einfach? Ich glaube, wir haben Glück, weil wir beide Musik leben und atmen, aber es war wirklich einfacher, als man denken mag. Für Musik haben wir beide eine tiefe Leidenschaft und deshalb ist sie etwas, über das wir ständig nachdenken. Wir hören eigentlich niemals damit auf … und eigentlich wollen wir das auch nicht. Was mich am meisten ärgert und was mich letztlich dazu gebracht hat, das hier zu schreiben, ist die Meinung, dass man als Musiker nicht seinen Lebensunterhalt verdienen könne, vor allem nicht auf Tour. Leute von weit oben sagen, das wäre einfach nicht möglich. Wahrscheinlich würde man Verluste machen, und mit sehr viel Glück bekäme man sein Geld grad so wieder raus. Tatsächlich wurden wir letztens in einem Interview mit einem sehr bekannten Musik-Magazin gefragt: Wie finanziert ihr Eure Touren? Wir sind nur zu zweit, das Meiste, was wir spielen, ist unsere eigene selbst geschriebene Musik. Wir beziehen niemand anderes mit ein, keinen Manager, keinen PR-Agenten, da ist niemand, dem wir Antwort schuldig wären und niemand, den wir bezahlen müssten. Wir haben gelernt, wie wir alles machen müssen. Vom Booking und der Werbung über das Mischen und Aufnehmen unserer eigenen Alben. Tatsächlich arbeiten wir nur mit anderen zusammen, wenn es um die physikalische Herstellung von unseren CDs und T-Shirts geht. Man kann durchaus sagen, dass es uns ziemlich gut geht. Der Tagesjob ist eine entfernte Erinnerung, wir haben den einen oder anderen Preis auf unserem Weg gewonnen und auch einige großartige Presseberichte und Airplay im Radio. Das hat geholfen, uns nah und fern bekannter zu machen. Offenbar haben wir Wellen in die richtige Richtung geschickt, um das Wissen um unsere Musik zu verbreiten. So finden wir einfacher gut bezahlte Gigs. Aber darum ging es nicht während unseres Experimentes. Wasser-Prawda | Januar 2015 MUSIK Das Experiment Wir waren so verwirrt von der Bemerkung, dass man auf Tour nicht seinen Unterhalt verdienen könne, dass wir beschlossen, eine zehntägige Tour zu machen, in die wir so viele Gigs wie möglich packen wollten. Wir entschieden uns außerdem, diese Gigs im Norden Schottlands zu buchen, um das Limit höher zu setzen, die Kosten zu erhöhen und so unsere Theorie zu testen. Zusätzlich stellten wir sicher, außerhalb der Saison in eine Touristenregion zu fahren, damit wir keine künstlich aufgeblasenen Besucherzahlen hätten. Wir nahmen jeden Gig, der uns angeboten wurde. Wirklich … alles. So beluden wir am 20. November unseren Van und fuhren nach Norden. Der erste Tag brachte uns 80 Pfund bei einem Hauskonzert, wo der Hut herumging. Am zweiten Tag nahmen wir 120 Pfund bei einem Pub-Gig ein. Die Woche ging weiter mit noch mehr schlecht bezahlten Gigs und kleinen Zuhörerzahlen. Das Meiste, was wir bei einem einzelnen Konzert einnahmen, wareb 190 Pfund und die CD-Verkäufe. Wir absolvierten jeden Gig, als würden wir in einem Stadion spielen. Bei einer Gelegenheit spielten wir für neun Leute und verkauften acht CDs. Wir suchten Kontakt zu unseren Zuhörern, gewannen Freunde und machten uns, um ehrlich zu sein, auch ein paar Feinde, weil wir standhaft auf den Vereinbarungen beharrten, die wir für jede Bezahlung vorher getroffen hatten. So sehr wir das Auftreten auch lieben, es ist immer noch unser Geschäft und manchmal triff t man auf einen Veranstaltungsort, der auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Besonders wenn man die Tour durch die Pubs macht. Um zu erfreulicheren Punkten der Tour zu kommen: Wir mussten in der ganzen Zeit kein Hotel buchen. Wir verließen uns auf die Freundlichkeit und Großzügigkeit von Fans und Lokalbesitzers. Und ich glaub, wir haben dabei einige Freunde fürs Leben gefunden. Viele Läden spendierten uns als Teil des Deals ein Dinner und boten uns ein Zimmer mit Frühstück an. Wir kauften während der ganzen Zeit nur eine Mahlzeit, und das war an unserem freien Tag. Vielleicht hatten wir Glück mit der Freundlichkeit, mit der uns Unterkünfte angeboten wurden. Doch selbst wenn wir jede Nacht für 29 ein billiges Hotel hätten zahlen müssen, wären wir noch immer in der Gewinnzone. Am Ende unserer zehntägigen Tour (bei der wir neun Auftritte absolvierten) hatten wir nach Abzug der Kosten einen Profit von ungefähr 1500 Pfund gemacht. Für manche ist das vielleicht Kleingeld, aber man sollte im Kopf behalten, dass das ein Experiment war und wir buchstäblich jeden Gig spielten, der uns angeboten wurde (Gast bei einem Open Mic, bei herumgehendem Hut, mies bezahlte Pub-Gigs). Wir landeten in der Gewinnzone, und das war unser Ziel. Auf jeden Fall kannst Du ebenso hart arbeiten, die Locations gibt es da draußen. Doch mein Ratschlag ist, ein wenig gerissener zu sein. Dann kann man noch weit mehr verdienen. Als Musiker auf Tour kann man durchaus einen angemessenen Lebensunterhalt verdienen. Schätz Deinen Wert ein, entwickle einen Sinn fürs Geschäft und werde kreativ! Es gibt da draußen großartige Locations, und oft sind es die sich anbietenden Alternativen, die am besten zahlen, die größte Gastfreundschaft für die Künstler haben und bei denen man am meisten verkauft und die meisten Einträge für seine Mailinglisten bekommt. Man sollte immer um die Ecke denken. So kann das Konzert in der Wohnung eines Fans leicht mehr als 500 Pfund bringen, wenn es gut geplant und vorbereitet ist. Und man kann von jedem einzelnen Auftritt etwas lernen, selbst wenn es nur das ist, dass du sowas nie wieder machen willst! Selbst die schlecht bezahlten und schlecht besuchten Gigs können sich auszahlnen mit neu aufgebauten Kontakten und gefundenen Erfahrungen. Wenn also deine Mutter/Partner/Freund Dir erzählen will, du könnest als Musiker nicht überleben, und dann ein paar Leute, die behaupten, sie würden sich auskennnen, ihnen beistimmen, dann beweise ihnen, dass sie sich irren … Es sei denn, du willst lieber von 9 bis 5 arbeiten und dich das ganze Leben fragen, was wäre wenn … Wasser-Prawda | Januar 2015 30 MUSIK ZWISCHEN LEIDENSCHAFTLICHER SOULPREDIGT UND RAUHEM BLUESROCK 27.12.2014: TAGLED EYE IN CHEMNITZ Klar tri man bei „Blues & More“ in Chemnitz auch die altgedienten Blueser, die schon gar nicht mehr mitgezählt haben, wie o sie Bands wie Engerling oder Monokel schon gesehen haben. Doch daneben kommen zu den meist im Eiscafé Temmler sta indenden Konzerten auch Menschen, die jenseits aller Genre neugierig auf unerhörte Klänge sind. Wasser-Prawda | Januar 2015 Beide Gruppen kamen am 27. Dezember beim Au ri des niederländisch/ amerikanischen Trios Tangled Eye auf ihre Kosten. Von Raimund Nitzsche. Fotos: Karsten Spehr. Es gibt sie tatsächlich auch noch heute, die Bluesszene in Sachsen. Zwar sind die ursprünglichen Fans inzwischen mit ihren Helden in die Jahre gekommen, doch immer wieder finden sich auch jüngere Menschen, die ihre Liebe zum Blues und ähnlicher Musik entdecken. Zum Glück gibt es für sie Veranstalter, die sich nicht auf die altbekannten Vertreter der ostdeutschen Bluesszene verlassen, MUSIK 31 sondern immer auf der Suche auch Geige ein, um den Liedern einen nach ungewöhnlichen Sounds und ganz eigenen Sound zu verpassen. unerzählten Bluesgeschichten sind. Vom ersten Moment an kann einen diese Frau in ihren Bann ziehen. Bei „Blues & More“ in Chemnitz Und fast könnte man vergessen, ist der Name Programm: Selbst est- dass Tangled Eye aus drei ganz nische Vokalmusik konnte man da eigenständigen Musikern besteht, schon erleben. Aber immer wieder die gemeinsam Musik spielen, die treten Musiker auf, bekannte und zwischen Bluesrock, psychedelinoch unbekannte, die dem alten schen Klangmalereien und jazziBlues ihre eigene Note verpas- gen Ausflügen pendelt. sen. Unter den Neuentdeckungen im Jahr 2014 gehörte Tangled Eye Neben Dede Priest sind das Gitarrist (Dede Priest - voc, v; Jan Mittendorp Jan Mittendorp, der mal heftig - g; Jasper Mortier - dr) zu den unge- Bass- und Gitarrenlinien gleichwöhnlichsten und spannendsten. zeitig auf seinem Instument spielt, Direkt nach den Weihnachtstagen mal spannende Slide-Exkursionen und mitten hinein in das erste unternimmt. Und dann ist da noch ordentliche Winterwetter waren sie Jasper Mortier mit seinem meist aufs extra für ein Konzert nach Sachsen äußerste reduzierten, aber gleichzeigekommen. Und das war kurz gesagt tig kraftvollen und pulsierenden großartig. Schlagzeugspiel die Lieder vor sich her treibt. Dede Priest ist ein Phänomen. Ihre Wer die Chance hat, sollte Tangled Stimme kann mal nach leidenschaft- Eye unbedingt live erleben - am licher Gospelpredigt oder sehnsüch- besten in einem kleineren Club wo tigem Soul klingen. Im nächsten man wie im Eiscafe Temmler der Song ist da eine rockende Powerfrau Band dicht auf die Pelle rücken kann zu hören, die notfalls die Krallen aus- - auf größeren Bühnen bei Festivals fährt. Und immer wieder setzt sie die etwa kann so eine körperlich fühlteilweise mit Effekten verfremdete bare Spannung schwer entstehen. linke Seite: Dede Priest ganz oben: Jan Mittendorp oben: Jasper Mortier Wasser-Prawda | Januar 2015 32 MUSIK Sugaray Rayford G E R A D L I N I G E S F E S T I VA L J U B I L Ä U M I N LUZERN EIN RÜCKBLICK AUF DAS 20. ANNUAL LUCERNE BLUES FESTIVAL VON KARSTEN SPEHR (TEXT UND FOTOS) Alljährlich Mi e November steht das Luzerner Blues Fes val als einer der letzten im Jahr und eines der bedeutensten Events der europäischen Bluesszene an. Diesmal luden die Macher um den neu gewählten Präsidenten Mar n „Kari“ Bründler und Gründer Guido Schmidt zum 20. Mal in die Schweiz ein. Mit ihrem einzigar gen Konzept und Wasser-Prawda | Januar 2015 viel Engagement weit ab der leider zu o Schule machenden Tendenz zu Headlinern oder allbekannten Gitarrenakrobaten der Rockmaschinerie muß man den Hut ziehen - Respekt! Leider konnte ich in diesem Jahr erst einen Tag später anreisen, da in Chemnitz der legendäre Otis Taylor ein Konzert gab. Doch auch bei den Konzerten am Freitag und Samstag waren noch zehn sehr verschiedene Bands und durchweg gute Musiker zu erleben. Natürlich liegt die Messlatte, bei Leuten wie mir die MUSIK schon unzählige Konzerte jedweder Couleur zwischen Blues, Rock und Jazz im europäischen Raum gehört haben, ziemlich hoch. Viel hat es auch mit subjektiven Empfindungen zu tun, ob einen eine Band mehr oder weniger anspricht. So empfand ich das 20. eher als relativ geradlinig und risikofrei. Damit will ich keineswegs dem Können der gesamten Künstlerriege etwas absprechen. Heraus stachen für mich die aus Australien stammende und in L. A. lebende Kara Grainger mit ihrem Quartett, die Blueslegende Jimmy Johnson, die ebenfalls von L.A. kommenden 44‘s, Cyril Neville, Sugaray Rayford und vor allem die herzerfrischenden Gewinner der EBC von Riga- A Contra Blues aus Spanien. Die Newcomerin und Gitarristin Kara Grainger glänzte mit heißen Slide-Riffs sowie einer überzeugenden Stimme und vereinte Folk- und Soulelemente mit Swamp-Blues. Vor ihrer Zugabe, gab es noch ein wunderbares angerocktes „Wipping Post“ der Allman Brothers in ihrer ganz eigenen Version zu genießen, ehe der renommierte Gitarrist Kirk „Eli“ Fletcher zur Band stieß und sie es nocheinmal richtig los bluesten. Man darf gespannt sein, was von ihr noch zu hören sein wird. Dann war Chicago-Blues angesagt mit dem 86 jährigen Jimmy Johnson begleitet von keinem geringeren als Dave Specter und seiner Band sowie dem Schweizer Blues- und JazzSaxophonisten Sam Burckhardt. Johnson bot authentischen Blues vom Feinsten und auch seine stimmlichen Qualitäten ließen nichts zu wünschen übrig. Leider gingen mit 33 Herrn Specter an der Gitarre zu oft die Pferde durch, so dass er Johnson fast niederbügelte und es meiner Meinung nach etwas an Respekt gegenüber dem trotz seiner Jahre immer noch beachtlich aufspielenden Meister fehlen ließ. Schade. Es folgte eine geballte Ladung Soul von Altmeister und Stammgast in Luzern Otis Clay in ganz großer Besetzung und seinem Kollegen Johnny Rawls. Mit den mit Backgroundsängerinnen standen da elf Leute auf der Bühne. Wie immer war das eine tolle Performance, aber man muß ihn mögen diesen etwas arg soften Soul. Schließlich und endlich rockten die 44‘s aus Los Angeles im Quintett (Johnny Main - Gitarre, Gesang, Jakob Huffmann - Harmonica, Jason Lozano an den Drums und Mike Hightower am Bass), verstärkt durch Kirk „Eli“ Fletcher an der Gitarre, die Hauptbühne des Casinos. Optisch wie eine sehr coole Rockergang einherkommend zelebrierten sie einen herrlich treibenden Boogie und rauhen, erdigen zeitgenössischen Blues, der seine Wurzeln bei Albert Collins, Muddy Waters oder Howlin Wolf nicht verheimlichte. Gefolgt wurde das von einer geballten Ladung aus „afro-amerikanischem“ Entertainment und beachtlicher Gelenkigkeit, des Hünen Sugaray Rayford, welcher die Bühne im wahrsten Sinn des Wortes, mit seiner zehnköpfigen Formation und wunderbarem Soul und R&B zum Beben brachte. Specialguest oben: Kara Grainger Bob Corritore und sein Können unten: Kirk „Eli“ Fletcher an der Bluesharp in allen Ehren, Wasser-Prawda | Januar 2015 34 MUSIK Otis Clay aber das hatte die Band eigentlich nicht nötig gehabt. Sugaray, derzeitiger Frontmann der Mannish Boys, eröffneten auch den letzten Abend in gleicher furioser Weise mit dem virtuos agierenden Jonathan Michael Westerfield an den Saiten und so Klasse-Nummern wie „Stuck For A Buck“, „Born Under a Bad Sign“ von Albert King oder dem Albert Collins Slowblues „I‘ll Play The Blues For You“. Nun war Cyrill Neville, der jüngste der legendären Neville-Brothers, mit seinem Quintett an der Reihe. Mit der Rhythmusgruppe der Royal Southern Brotherhood (Charlie Wooton und Yonrico Vondez Scott ) im Rücken legte der Sänger, Poet und Percussionist mit jeder Menge groovendem Funky-Soul-New Orleans-Stoff los und bot eine mitreißende Performance. Auch wunderbare Balladen wie „Something Got A Hold On You“ oder die Funknummer „Running Water“ von seinem aktuellen Album „Magic Honey“ fehlten nicht. Es folgte der von vielen heiß erwartete zweifache Grammy-Preisträger Delbert McClinton, ein vielgerühmter Rhythm and Blues-, Soulund Country-Sänger aus Texas. Handwerklich ließ der 74 jahrige nichts zu wünschen übrig und die Fans tobten. Mir war das alles aber leider, mit Ausnahme von ein paar Songs wie dem funkigen „Shaky Ground“, viel zu glattgespült. Das waren zuviele Gassenhauer-RockAnklänge a la Status Quo. Schließlich beschloss, wie schon Wasser-Prawda | Januar 2015 seit vielen Jahren üblich, eine Zydecoband das Festival auf der großen Bühne. Diesmal gastierte Buckwheat Zydeco zu Gast, der auch schon häufiger bei diesem Festival gespielt hat. Der oft als Botschafter der eigentlichen Tanzmusik aus Louisiana bezeichnete Bandleader Stanley Joseph Durai ist übrigens der erste Zydeco-Interpret dessen Musik auf einem Major-Label veröffentlicht wurde. Zudem hält er mit seiner Band den Rekord der drei weltweit meistverkauften Zydeco-Alben. Natürlich brachte er im Handumdrehen mit seinen treibenden Rhythmen die Verbliebenen zum Tanzen. Was ich dabei bemerkenswert fand, sind die häufig einfließenden Jazz-Elemente. Die waren mit Sicherheit nicht zuletzt seinem MUSIK 35 The 44‘s hervorragenden Trompeter Curtis Jr. Watson geschuldet. Dann war es auch schon fast vorbei. Zwei Gigs standen noch an bzw. überlappten sich teilweise mit Buckwheat Zydeco. Zunächst waren das die spanischen Newcomer und European Blues ChallengeGewinner von Riga 2014 A Contra Blues. Das junge Quintett überraschte nicht nur mich, denn das Cassineum füllte sich in Null Komma Nichts. Herzerfrischend und mit anscheinender Leichtigkeit wandelten die Spanier und eine Spanierin (am Schlagzeug die junge beeindruckende Núria Perich Chastang) durch ein sehr vielschichtiges Programm vom Gospel, Blues, Soul bis R&B und hatten das Publikum trotz später Stunde auf ihrer Seite. Eine feine Band, die wir im Auge behalten sollten. Beschlossen wurde dann das 20. Luzerner Blues Festival mit dem fetten Sound der 44‘s featuring Kirk „Eli“ Fletcher und jeder Menge Musikerkollegen, die auch gern nochmal jammen wollten in den Morgenstunden. Wir dürfen hoffen das die Luzerner noch 20 Jahre weitermachen. Curtis Jr. Watson (Buchwheat Zydeco) Wasser-Prawda | Januar 2015 36 MUSIK NACHLESE 2014: THE BR ITISH BLUES A LL S TA R S I M S EEH A US KROTT E NM Ü HL TEXT UND INTERVIEW: MARIO BOLLINGER. FOTOS: CHRISTOPHE RASCLE Als ich den Veranstaltungshinweis las, dass eine Band namens „Bri sh Blues All Stars“ im Seehaus Kro enmühl au ri , musste ich erst mal zwei Dinge nachlesen: Wer waren die Bri sh Blues All Stars und wo ist die Loca on? älteren Bluesgarde, die jetzt mit Dave Kelly und Gary Fletcher aus Teilen von The Blues Band besteht und mit namhaften Musikern wie dem Drummer Pick Withers (exDire Straits), Zoot Money und Pete Also, die British Blues All Stars ist Emery ergänzt ist. die neu arrangierte Version einer Organisiert wurde das Konzert vom Wasser-Prawda | Januar 2015 MUSIK 37 Blues Club Chiemgau, der mehr oder weniger als Einmannbetrieb um den Horst Schmidmayer agiert. Er organisiert schon seit Jahren Konzerte in der mittlerweile vierten Location im Chiemgau, also der Gegend um den Chiemsee herum. Es gelingt ihm immer wieder, namhafte Bands und Musiker zu buchen. International waren hier Devon Allman und Chris Jagger am Start, aber ebenso wurden Lokalgrößen wie Dr. Will & The Wizards, Schorsch und de Bagasch sowie Reverend Rusty gesichtet. Wer regelmäßig die Wasser-Prawda liest oder in Crossroad Cafe auf 98eins hört, kennt auch BabaJack oder 3 Dayz Whizkey, die auf der Gästeliste Dave Kelly & Gary Fletcher im Gespräch mit Mario Bollinger. des Chiemgau Blues Club stehen. unten: MB mit Schlagzeuger Pick Withers. Aber am Abend des 8. Oktobers 2014 gaben sich die British Blues All Stars auf der Bühne im Seehaus Krottenmühl die Ehre. Diese Location ist ohne Navigation nicht zu finden, aber dafür überrascht eine gute Gastronomie und ein Saal mit rund 100 Sitzplätzen. Wie selbstverständlich konnte ich mit Dave Kelly kurz vorher einen Interviewtermin vereinbaren und so standen Dave Kelly und Gary Fletcher zum kleinen Interview nach dem Aufbau bereit. Beide kannten wir ja schon vom Mühldorfer Konzert von The Blues Band. Auch Pick Withers erzählte uns einiges aus seiner Zeit nach den Dire Straits. Leider kam die Band mit großer Verspätung an der Location an, so dass das Interview leicht komprimiert stattfand. Aber Musiker, die solange im Geschäft sind, machen einen professionell kurzen Soundcheck und so hatten wir doch Dave Kelly: Die BBAS ist eigentlich eine sehr alte Formation, die 2004 gegründet wurde. Das Ganze geht WP: Die BBAS (British Blues All aus den Aktivitäten von Bob Hall Stars) ist eine Formation, die sich mit vielen British Blues Legends 2013 neu gefunden hat. Was ist hervor Mittlerweile sind es komder Unterschied zwischen The plett andere Musiker. Es sind im Blues Band und der BBAS? Wesentlichen alte Freunde, die hier noch etwas Zeit für das Interview. Wasser-Prawda | Januar 2015 38 MUSIK wieder auf Tour gehen. WP: Bist Du zu jung, um zu Hause zu bleiben, um sich um die Enkel zu kümmern? Dave Kelly: Oh ja, aber eigentlich habe ich schon 4 Enkel. WP: Ihr spielt jetzt 14 Shows in 15 Tagen. Habt Ihr keine Angst um Eurer Gesundheit? Dave Kelly: Nun, ich bin erst 67 Jahre alt und muss noch Kinder und Enkel versorgen. Aber natürlich passe ich auf mich auf. Mein Jüngster ist 16 Jahre als, aber solange ich das Vergnügen mit dem Geld verdienen verbinden kann, ist das toll. WP: Pick Withers, Du kommst von der Monsterband The Dire Straits. Was macht für Dich den Unterschied aus, mit einer Band wie den BBAS zu spielen? Pick Withers: Der Blues altert nicht und auch der Geschmack ändert sich kaum. Es macht Spaß, das zu tun, was einem in den Sinn kommt. Ich habe lange in Italien als Drumlehrer gelebt, weil mich das mehr ausfüllte als der Drummer in einer Rockband zu sein. W P: Gibt es Pläne für eine Wiedervereinigung mit den Dire Straits? Pick Withers: Nein WP: Wird es von der BBAS eine CD geben? Dave Kelly: Ja, aber sicher W P: Wer bringt die Gruppe vorwärts? Dave Kelly (lacht): Ich und Gary fahren abwechselnd – ganz demokratisch. WP: Ist der 12 Bar Blues ein Paradigma? Pick Withers: Ja, für mich steckt da das Zelebrieren des Lebens dahinter. Aber es ist nicht einfach. Die Konzertbühnen in UK verschwinden immer mehr. Es frustriert mich auch, wenn ich sehe, wie die jungen Menschen an Musik herangeführt werden. Nur wenige junge Menschen machen sich noch die Mühe, ein Instrument wirklich zu lernen. Es ist zu einfach, mit neuen Medien schlechte Musik zu machen. WP: Wie alt ist Euer Publikum? Dave Kelly: Ungefähr so alt wie wir. W P: Könnt Ihr auch junges Publikum ansprechen? Dave Kelly: Gott Sei Dank ja. Es sind merkwürdigerweise Menschen im Alter von ca. 20 Jahren unter unseren Konzertbesuchern. WP: Kann die Band auch neue Ideen entwickeln oder sich neuen Stilen anschließen, wie es z.B. die Tedeschi Trucks Band oder JJ Grey & Mofro macht? Dave Kelly/Gary Fletcher: Wir hören eigentlich nicht viel andere Musik. Wenn wir etwas hören, dann ist es z.B. Country Music. Ich würde auch gerne mal andere Instrumente wie z.B. ein Banjo einbringen WP: Wo seht Ihr den Unterschied zwischen dem britischen und amerikanischen Blues? Gary Fletcher: Als Erstes müssen wir feststellen, dass wir hier nur den Blues kopieren. Es ist das Erbe der Amerikaner und afro-amerikanischen Musiker und wir entlehnen da dieses Erbe. Wir haben hier die Wiedergabe einer Wahrnehmung, was wir in Großbritannien als Blues Wasser-Prawda | Januar 2015 bezeichnen. WP: Werdet Ihr auch außerhalb von Europa auftreten? Dave Kelly: Noch nicht! Nach dem Abendessen und einer kleinen Photosession mit Christophe Rascle standen dann die British Blues All Start auf der Bühne. Nach einer Programmansage vom Blues Club Chiemgau ging es gleich mit Statesboro Blues in die Vollen. Der Saal war mit ca. 120 Gästen gut gefüllt. Da wir hier eine neu formierte Band vor uns haben, gibt es noch kein CD. Aber jeder der Musiker hat im Laufe des Abends seine Soloproduktionen angeboten und daraus Stücke für das Programm entnommen. Der 2. Song war der Gary Fletcher Song “My Love” von seiner CD „Giant from the Blue“, eine eher bluesige Version gegenüber der Studioversion. Zoot Money folgte mit seiner Version von “It Never Rains But It Pours” von Jimmy Witherspoon. Hier macht sich bereits die Bandbreite der Band bemerkbar. Unver wechselbare Nummern aus der ganzen Fülle des Blues. Aus Gary Fletchers Album gab es dann noch “Can‘t Live With - Can‘t Live Without”. Mit “Dust my Blues” erinnerte Dave Kelly an seine Zusammenarbeit mit Howlin‘ Wolf. Auf seiner CD „We had it all“ ist noch eine Originalaufnahme mit Dave und Wolf zu hören. In der großen Zeit des Britischen Blues, als der amerikanische Blues mal wieder im Niedergang war, kamen die amerikanischen Größen gerne nach UK und nahmen sich die lokalen Bands als Begleittruppe. Daraus MUSIK 39 ganz oben: Pete Emery oben rechts: Gary Fletcher oben links: Dave Kelly rechts: Pick Withers Wasser-Prawda | Januar 2015 40 MUSIK links: Zoot Mooney rechts: Pick Withers & Gary Fletcher entstanden viele Kooperationen und Symbiosen. Als ich mich in der CD-Verkaufspause ein bisschen im Publikum umhörte, entdeckte ich ein älteres englisches Pärchen. Es waren Touristen, die selbst sehr musikalisch waren. Durch Zufall fanden sie ein Plakat oder Konzerthinweis und nahmen freudig die Möglichkeit wahr, bei einem Konzert mit der BBAS einen Abend fern ab der Heimat zu verbringen. Dave Kelly präsentierte dann mit einer ungemein kräftigen Stimme den BB King Song „Never make a move too soon“. Der eher introvertierte Pick Withers ließ sich zur Aussage hinreißen, dass er sehr erfreut ist, hier zu spielen. Das Publikum wäre ungemein wertvoll und liebenswürdig. Und Zoot Money erzählte, dass sie in Wien gerade mal vor 50 Gästen gespielt haben. Dieses Kompliment an das deutsche Publikum hört man öfters, wenn man mit ausländischen Bands spricht, die in Deutschland auftreten. Zoot Money besticht durch eine ausdruckstarke Interpretation von Soul und R&B Stücken. Wenn man die Augen schließt und Zoot zuhört, könnte man Ray Charles auf der Bühne vermuten. Es folgen Klassiker wie die Willie Dixon Nummer „The Same Thing“ in einer sehr eigenen Interpretation oder „Sitting on the dock of a bay“. Wie oben erwähnt, eine absolut kurzweilige und vielfältige Auswahl von Stücken, die hervorragend zu den Musikern passen. Heute Abend ist der 7. Gig in dieser Besetzung und Dave Kelly bestätigte später an der Bar, dass sie dafür gerade mal 3 Stunden geprobt haben: „Musik ist eine Sprache die jeder versteht“. Mich als Gitarrist beeindruckte die Tatsache, dass Dave Kelly und Gary Fletcher sich eine akustische Gitarre teilen, obwohl Gary Fletcher ein Linkshänder ist und Dave die Gitarre mit einer Besaitung für Rechtshänder benutzt. Während Dave die Akkorde von oben nach unten schlägt, muss Gary sie von Wasser-Prawda | Januar 2015 unten nach oben schlagen. Mit Songs wie „That‘s why we sing the blues“ beschließt die British Blues All Stars den Abend. INTERVIEW 41 NACH LE SE 2014 T E I L 2: I M G ES PRÄ C H MIT L E O LYONS & J OE G OOC H (H S S ) INTERVIEW: MARIO BOLLINGER. FOTOS: CHRISTOPHE RASCLE Bereits im November 2014 berichteten wir mit großem Publikumsinteresse vom Konzert von Hundred Seventy Split HSS im „Legend of Rock“ in Olching. Vor dem Konzert konnten wir mit Leo Lyons und Joe Gooch, den Protagonisten der HSS, ein Interview führen. WP: Eure aktuellen Tourdaten beinhalten nur deutsche Städte. Offensichtlich habt Ihr hier eine große Fanbasis. Fühlt Ihr Euch wohl, wenn man in einem Venue spielt, das „Legends of Rock“ spielt? Leo Lyons: Legends of Rock, aber Wasser-Prawda | Januar 2015 42 INTERVIEW sicher! WP: Joe, wie entlastend war es, keine Alvin Lee Solos mehr spielen zu müssen? Joe Gooch: Ich hatte nie was dagegen, Alvin Lee Songs zu spielen und wir spielen nach wie vor ein paar Ten Years After Songs in den Sets. Aber es ist schön, wenn man nicht mehr auf das originale Material festgenagelt ist. WP: War es eine Belastung, wenn das Publikum Alvin Lee Solos hören wollte? Joe Gooch: Ich war ganz froh, dass ich mich wirklich nie hinsetzen musste und die Solos, außer das Intro von „Goin‘ home“ und die Hauptriffs, auswendig lernen musste. Ich war nie ein Alvin Lee Clone, aber ich erinnere mich, dass es am Anfang war es komisch war, als die Leute mich nicht kannten. WP: Diese Location ist einiges kleiner als die Bühnen, auf denen Ihr gespielt habt. Leo Lyons: Das ist richtig, aber wir werden wieder auf größeren Bühnen spielen. Wir nutzen solche Auftritte, um den Tourkalender zu füllen. Nachdem wir Ten Years After verlassen haben, mussten wir natürlich den Namen ändern und viele Fans nicht wussten, wer und wo wir jetzt sind. Die beiden „Anderen“ (Anmerkung der Redaktion: Chick Churchill und Rick Lee) haben den Namen und den Geist von TYA behalten. Teilweise wissen die Fans das immer noch nicht. Auch das andere Management war da nicht ganz klar und deutlich genug, die Leo Lyons Änderungen zu kommunizieren. ist noch nicht veröffentlicht. WP: Viele Fans haben TYA nach Deinem Ausscheiden als beendet betrachtet. Leo Lyons: Kann sein. WP: Auch eine TYA Webseite bezeichnet Euch Beide immer noch als Mitglieder. Leo Lyons: Ja , aber das sollte nicht mehr so sein. Das war alles sehr ärgerlich, weil wir uns in einer sehr negativen Atmosphäre befanden, aber wir hatten keine Wahl außer zu gehen. Joe ist darüber immer noch sehr unglücklich. WP: Auf Eurem Tourkalender sind keine Bluesfestivals zu sehen. Seit Ihr zu hart für Blues? Leo Lyons: Nein, ich glaube nicht. Joe Gooch: Wir spielen einen Mix aus Blues und Blues Rock und da halt mehr auf der Rockseite. Wir spielen nächsten Sommer auf einigen amerikanischen Festivals, aber das WP: Was sind die Pläne für 2015? Leo Lyons: Im März und Dezember touren wir durch Deutschland, dazwischen spielen wir ein paar Bluesfestival, im Juli und August sind auch ein paar Festivals in den USA geplant. Im Januar 2015 werden wir ein neues Doppel-LiveAlbum veröffentlichen. Jetzt mit HSS zu starten ist wie mit einer neuen Band zu starten. Es wäre zu leicht, sich auf TYA zurückzuziehen und alle würden sagen: Ah ja Alvin Lee usw. bla bla bla. Das ist Geschichte und darüber sind wir hinweg. Die Besucherzahlen bei der Tour im Oktober und November sind gestiegen. WP: Manche Fans haben sich beschwert, dass Ihr deren Länder nicht besucht. Welche Länder wollt Ihr also 2015 glücklich machen? Leo Lyons: Wir wollen viele Länder Wasser-Prawda | Januar 2015 INTERVIEW 43 Leo Lyons: Ich lebe jetzt eigentlich in Wales. Ich hab noch ein Haus in Nashville, aber ich sehe mich als in England ansässig. „Blues“ nicht mehr verwenden soll. Die Leute möchten keinen Blues mehr hören. Leo Lyons: Ich glaube schon, dass sie Blues hören möchte. Es ist die Frage, wie es beworben wird. Das ist das Wichtige. Wir haben sehr viel junge Fans und vor allem auch weibliche Fans, die Blues mögen. W P: Gibt e s neben der Doppellive-CD auch eine neue Studio-CD? Leo Lyons: Nun, wir haben immer noch das Album HSS, das nicht mal 12 Monate alt ist. Klar möchten wir eine Studio-CD machen. Joe Gooch: Wahrscheinlich machen wir eine Studio-CD Ende 2016. Das braucht Zeit. Leo Lyons: Ja und wir sind halt viel unterwegs. Wir wollen noch nach Skandinavien und natürlich Amerika und natürlich ins UK. WP: Joe, hast Du noch anderer Projekte? Joe Gooch: Ich schreibe ein paar Songs, die derzeit noch auf meinem Keystick sind. Ich möchte sie in den nächsten Monaten herausbringen. WP: Leo, was machst Du noch außerhalb von HSS Leo Lyons: Ich verfolgte früher noch viele Dinge, aber es kostete und kostet immer noch viel Zeit. Vielleicht wird das mal einfacher, wenn das irgendwie hineinpasst und wir nicht touren. Als ich mit TYA unterwegs war, wurden mir viele Produktionsjobs angeboten. Aber ich konnte das nie machen, weil wir 365 Tage mit 60-100 Shows im Jahr für TYA unterwegs waren. Da konnte ich mich nie verpflichten. Mit dem HSS Projekt aber haben wir entschieden, dass wir nur monateweise arbeiten. Wenn Du so in Monatsblöcken arbeitest, hast Du ein besseres Leben und Zeit, andere Dinge zu entwickeln. Ich werde wohl in Zukunft da etwas mehr machen, wofür ich jahrelang keine Zeit hatte. Ich habe ja ein paar Mal bei Aufnahme mitgespielt, aber… WP: Mit wem würden Ihr gerne mal im Konzert spielen? Joe Gooch: Ich würde gerne mal mit Jeff Beck spielen. Oder auch für Ritchie Kotzen, einen Gitarristen, es gäbe noch viele große Gitarristen, mit denen ich spielen würde. WP: Einige britische Musiker WP: Leo, Du lebst sowohl in erzählen mir, dass man das Wort Großbritannien als auch den USA? WP: Warum gerade Jeff Beck? Joe Gooch: Er hat einen tollen Ton, Joe Gooch besuchen. Viele Menschen haben vor allem wegen Großbritannien gefragt. Ich habe eine paar Leute im UK kontaktiert, aber es scheint schwierig für eine Bluesrockband zu sein, dort zu arbeiten. Tatsächlich spielen wir auf einem Festival in Februar, aber … WP: Warum ist es schwierig? Leo Lyons: Das ist nicht leicht auszumachen. Es gibt nicht viele Venues und die Wenigen sind klein und sie machen keine Werbung. Das Land scheint Tributebands zu bevorzugen. Die nehmen lieber zehn solche Bands aus den 60ern mit wenigstens einem Originalmusiker, die dann eine kleine Tour machen und die Leute zum Mitsingen der bekannten Songs bringen. Es ist ein schwieriger Markt für Bands, die etwas anderes machen wollen. Wasser-Prawda | Januar 2015 44 INTERVIEW ein super Gefühl, er ist sehr melodisch und ist ein bisschen anders anders. Oder Scott Henderson. W P: Leo, mit wem möchtest Du nach Deinem langen Leben als professionellen Musiker mal zusammenspielen? Leo Lyons: Ich hab keine Ahnung. Ich weiß nicht… Ich mag Writer wie John Hiatt und solche Leute. Springsteen würde mir auch Spaß machen, aber ich habe ihn nie getroffen, daher kann ich es nicht sagen. Bass bei TYA? Ich kenne ihn seit Jahren. Mike Vernon: Leo Lyons – er produzierte meine erste Aufnahme. Ich habe ihn gerade letzte Woche gesprochen Georgina Ferry: Leo Lyons – Ich glaube die kenne ich nicht. W P: Sie hat folgendes Buch geschrieben: Computer Called LEO: Lyons Tea Shops and the WP: Ihr seid ein pures Power World‘s First Office Computer! Trio: Gitarre mit Gesang, Bass Leo Lyons: Ach ja, ich kenne sie und Drums. Werdet Ihr das so doch, ich habe sie auf meiner weiter verfolgen oder möchtet Ihr Webseite verllinkt. mal ein paar mehr bluesorientierte Instrumente wie akustische WP: Leo, meine letze Frage und Gitarren, Harps oder Keyboards ich habe sie letztes Mal schon nutzen? gestellt: Gibt es Pläne für Deine Leo Lyons: Das würde das Konzept Rente? komplett ändern, wenn wir das tun. Leo Lyons. Nein, zurzeit nicht Joe Gooch: Wir nutzen gelegentlich wirklich. Ich möchte noch so mal eine Hammond. Manchmal viele Dinge tun. Für mich ist füllen wir einige Aufnahmen damit Lebensabsicherung nicht so wichtig und es harmonischer zu machen. wie die Lebensfreude. Ich würde das Gelegentlich nutzen wir auch Musikmachen nie aufgeben, weil es Hintergrundgesang, um es etwas zu mir nämlich so viel Spaß macht. verbessern. Mich persönlich selbst interessiert die Harmonika nicht. Leo Lyons: Ich kann mir Jimi Hendrix nicht mit einer Harmonika vorstellen. Wir bleiben ein Power Trio. Aber manchmal nehmen wir weiblichen Hintergrundgesang dazu. WP: Wir machen ein Spiel. Ich nenne Euch 3 Namen und Ihr gebt mir schnell 3 Kommentare dazu. Colin Hodgkinson: Leo Lyons - Der spielt doch jetzt Wasser-Prawda | Januar 2015 Tourdaten: 13.03.2015 - Kiel – Räucherei 14.03.2015 - Husum - Speicher 17.03.2015 - Berlin - Quasimodo 18.03.2015 - Erfurt - Museumskeller 19.03.2015 - Torgau - Kulturbastion 20.03.2015 - Halle (Saale) - Objekt 5 21.03.2015 - Plauen - Malzhaus 22.03.2015 - Mannheim - Alte Seilerei 24.03.2015 - Karlsruhe - Jubez 25.03.2015 - Freiburg - Jazzhaus 26.03.2015 - CH-Pratteln - Z7 28.03.2015 - Roth - Bluestage (Kulturfabrik) 30.03.2015 - A-Salzburg - Rockhouse 31.03.2015 - A-Wien - Reigen 09.05.2015 - Leinfelden - Guitars United Festival 14.08.2015 - Finkenbach - Finki Open Air Festival 15.08.2015 - Waffenrod - Woodstock Forever Festival A L B U M D E S M O N A T S 45 J OO LS HOL L A N D SIR ENS OF S O N G ALBUM DES MONATS JANUAR 2015 Für sein neuestes Album hat sich Pianist/Bandleader Jools Holland Sängerinnen der verschiedensten Genre eingeladen. Bei den meist direkt für das Album aufgenommenen Songs singen Künstlerinnen wie Joss Stone, KT Turnstall oder Imelda May ebenso wie Ruby Turner, Louise Marshall und Mabel Ray teils Klassiker, teils neue Songs. Me“ mit Emeli Sandé. Und dann sind da noch die beiden Nummern, die live bei Fernsehsendungen von Holland mitgeschnitten wurden, die die Frauenriege komplett machen: Mit Amy Winhouse interpretierte Holland 2006 „Monkey Man“ und Eartha Kitt sang mit ihm eine großartige Fassung von „Ain‘t Misbehaving“. Ein umwerfend gutes Album mit vielen großartigen Frauenstimmen und tollen Songs. Raimund Nitzsche Wenn das Orchester von Jools Holland loslegt, dann rollt der Boogie, tobt der Swing - und jenseits aller Fragen nach Retro oder Zeitgemäßheit wird klar, dass Holland mittlerweile eine der besten Bigbands in Europa leitet. Und ähnlich wie bei seinem 2011 erschienen Projekt „The Golden Age Of Song“ oder in seinen Fernsehsendungen hat er auch jetzt wieder die verschiedensten Künstlerinnen überzeugen können, an einem absolut überzeugenden Album zwischen Swing, Jazz und Soul mitzuwirken. Ob Ky l i e Mi n o g u e m i t u n s c h u l d i g s t e r Kleinmädchenstimme aus Clashs „Should I Stay Or Should I Go“ einen wilden Ausritt zwischen Pop und Boogie macht oder das ehemalige Spice Girl Melanie C Stevie Wonders Weihnachtslied „I Wish“ singt (ja, das Album erschien in Großbritannien schon rechtzeitig zum Weinachtsgeschäft) - immer findet Holland mit seinem Orchester dafür den passenden Sound. Herausragende Stücke sind für mich der gemeinsam von Holland und Imelda May geschriebene „Top To Bottom Boogie“, das nur ein wenig an Nina Simone erinnernde „See Line Woman“ mit Sängerin Laura Mvula und das toll dahinjagende „Love Me Or Leave Wasser-Prawda | Januar 2015 46 P L AT T E N REZENSIONEN A BIS Z A Aaron Burton - All Night Long 41 Andy Fairweather Low & The Low Riders - Zone-O-Tone 41 B Backyard Band - The Backyard Band 42 Otis Clay & Johnny Rawls - Soul Brothers 48 P Pea And The Pees - Golden Treasures 48 R Raphael Wressnig - Soul Gumbo 48 Badge feat. Blind Dog Mayer - They call me … 42 Roly Platt - Inside Out 49 Bad Temper Joe - Man For The Road 42 „Sir“ Oliver Mally & Martin Gasselsberger - This Is The Season 49 Bette Midler -It‘s The Girls 43 Blackout Country - Sad Eyed Ghosts 43 C Chris Joyner - Domino 44 S T The Urban Renewal Project - Local Legend 50 Tidemore - By The Sea 50 E Eddie Martin - Blues Took Me By The Hand Volume 2: Electric Sessions 44 Erwin Helfer - The Erwin Helfer Way 45 J Joe Pitts Band - Payin The Price 45 Jonas Alaska - Tonight 46 K Karen Souza - Essentials II 46 Kyle Reid & The Low Swinging Chariots - Alright, Here We Go 47 O Wasser-Prawda | Januar 2015 P L AT T E N 47 chen Touren als Gitarrist Teil von Claptons Band. Zusätzlich tourt er regelmäßig mit Ex-Pink-Floyd Roger Waters und dem ehemaligen Stones-Bassisten Bill Wyman. Außerdem hat er mit dem fast kompletten Who Is Who des Rock und der modernen Musik gespielt: Bob Dylan, Elton John, Dave Crosby, B.B. King, Joe Cocker, Bonnie Raitt, The Who, Jimmy Page, Van Morrison, Phil Collins, The Bee Gees. Die Liste ist scheinbar endlos und eindrucksvoll und sie illustriert die Bedeutung und das hohe Ansehen, dass dieser Typ unter seinen kritischen Zeitgenossen genießt. Eine wichtige Figur, die trotz der umwerfenden Zeugnisse und seines Lebenslaufes scheinbar immer gerade unter dem Radar hindurch zu rollen scheint. Jetzt tourt er ausgiebig mit seiAndy Fairweather Low & The ner eigenen exzellenten Band The Low Riders - Zone-O-Tone Low Riders. „Zone-O-Tone“ ist Andy Fairweather Low ist zweiein Album mit 13 Stücken, die felsohne ein walisischer Superstar. Fairweather Lows starke und subWenn man an Wales desnkt, fällt tile Fähigkeiten als Songswriter einem vielleicht erst Tom Jons ein. zeigt zusammen mit wundervolAber man sollte noch mal nachlen Darbietungen eines großartidenken: AFL ist der Typ, der als gen Quartetts. Das dürfte eines der Frontmann von Amen Corner erfreulichsten und glänzendsten in den 60ern hits wie „Paradise“, Albums des Jahres sein. Ein absolu„Bend Me, Shape Me“ usw. erfolgter Gewinner! Ein funkelndes Juwel reich gemacht hat. von einem wahren Genie. (Proper In den 70ern kam er im Vereinigten Records PRPCD 110) Königreich erneut in die Charts Iain Patience mit dem wunderbar farbenfrohen und bewusst emotionalen „Wide Eyed And Legless“, bevor er anfing, Clapton die Arrangements für den Millionenseller „Clapton Unplugged“ zusammen zu stellen. Tantsächlich war er in den letzten paar Jahrzehnten bei den jährlidamit eine wachsende Fangemeinde und überhaupt Interesse an dem Mann und seiner Musik. Burton ist eindeutig hungrig, hofft auf Erfolg und Rekordumsätze in der europäischen Blues-Arena. Mit seinem aktuellen Album könnte er genau das Werk produziert haben, dass ihn auf die großen Bühnen der Welt bringen könnte. Iain Patience Aaron Burton - All Night Long „All Night Long“ ist das bislang sechste Album des Texaners Aaron Burton und enthält den gewohnten Mix aus schleppendem SüdstaatenGesang mit tollen unauffälligen Gitarrenbegleitungen. Hier wird er begleitet von zwei musikalischen Freunden, „Stomping“ Bill Johnson an der Harp und Dirk Cordes an den Trommelfellen. Die meisten Stücke sind selbst geschrieben. Aber es wurden auch Charlie Pattons „Pony Blues“ und ein Cover von Willie McTells „Statesboro Blues“ aufgenommen. Die 14 Stücke des Albums werden in Burtons typischen LaidBack-Stil und und seiner bekannten Sensibilität dargeboten. Immer gefühlvoll wird das Tempo variiert und so erhält das Ganze eine immer passende Stimmung. Nachdem er 2014 in Europa ein paar Gigs in Frankreich gespielt hat, zielt Burton jetzt auf ein Publikum in Großbritannien und ganz Europa. Und dabei hat er großen Erfolg. Das Album ist von Bluesradios im Vereinigten Königreich schon gehörig gespielt worden und er gewinnt Wasser-Prawda | Januar 2015 48 P L AT T E N The Backyard Band - The Backyard Band Drei Jugendliche, die mit Stil und jeder Menge Leidenschaft Blues und Bluesrock im Stile der 60er Jahre spielen: The Backyard Band aus Niedeggen-Rath haben bereits 2013 ihr selbstbetiteltes Debüt veröffentlicht. Und das ist, um es gleich zu sagen, absolut mitreißend. Acht Songs in 36 Minuten: nicht nur von ihrem Stil und dem Auftreten her erinnern Moritz Zerrgiebel (g,mharm, voc), Sebastian Kleene (rhythm-g) und Maximilian Kleene an britische Bands kurz nachdem das erste American Folk Blues Festival zu Gast im Vereinigten Königreich war. Ihre Songs knallen voller Unbekümmertheit voll rein, das Energielevel bleibt konstant am oberen Anschlag. Und die Texte sind so, wie man das von Jugendlichen erwarten kann, die grad mal um die zwanzig Jahre alt sind. Hier wird nicht die Welt erklärt, hier wird gerockt, gejubelt oder geklagt. Wie bei den jungen Stones oder The Who ganz am Anfang hört man die großen Vorbilder des Blues in jeder Note: Chuck Berrys Gefühl für knallige Riffs, Anklänge an Muddy Waters natürlich auch (wo ginge es auch ohne ihn im Blues?). Zuweilen erklingen auch John Lee Hookers Boogierhythmen in der Lesart von Canned Heat oder man fühlt sich an Bluessongs von ACDC zu Zeiten von Bon Scott erinnert. Aber all das in acht eigenen Songs von drei jungen Männern, die niemals wirklichen Unterricht hatten und sich alle Tricks selbst beigebracht haben mit Lehrbüchern, Youtube und anderen Hilfsmitteln. Hier kann man als geborener Nörgler nur den Hut ziehen und sagen: Gut gemacht! Und hoffentlich gibts bald mehr von The Backyard Band zu hören. Nathan Nörgel nen allergrößten Respekt verdient. Bad Temper Joe geht noch ein ganzes Stück weiter und macht aus dem kleinen a capella-Spaß von Janis Joplin einen vor Emotionen schier überkochenden Blues mit fantastischer Slide-Gitarre. Zwischen heftigen Gefühlsausbrüchen, ein wenig Ironie und melancholischer Besinnlichkeit erzählt Joe seine Geschichten, immer passend untermalt von seiner Lapsteel. Und genau dass macht diesen jungen Musiker zu einem der bemerkenswertesten Neuentdeckungen in der deutschen Bluesszene. So stelle ich mir zeitgenössischen Akustikblues vor: Ehrlich, mitreißend und gefühlvoll. Nicht umsonst wählten die Leser der Wasser-Prawda „Man For The Road“ auf Platz vier unter den bemerkenswertesten deutschen Bluesalben 2014. (Timezone) Raimund Nitzsche Bad Temper Joe - Man For The Road Im August 2014 trat Bad Temper Joe in Osnabrück auf und spielte neben Songs seines Debüts auch ein neue Lieder und wenige Cover von Klassikern. Die Intensität dieses Mitschnitts übertrifft selbst sein sehr gutes Debüt „Sometimes A Sinner“ aus dem Frühling 2014. Hut ab! Wer sich an einen Song wie „Mercedes Benz“ heranwagt, und sich dabei nicht blamiert, hat mei- Wasser-Prawda | Januar 2015 Badge feat. Blind Dog Mayer - They call me … Harpspieler und Sänger Blind Dog Mayer hat schon mit Musikern wie Big Daddy Wilson, Rudy Rotta, Henrik Freischlader oder Louisiana Red gemeinsam auf der Bühne ge- P L AT T E N standen. Mit der 2009 gegründeten Band Badge hat er Ende 2014 live im Studio eine EP mit fünf Songs zwischen Rock und Blues eingespielt. Zwischen Saarland und Luxemburg gehören Badge mit Blind Dog Mayer inzwischen zu den angesagten Bluesbands. Jetzt wollen sie auch langsam den Schritt aus der Region wagen. Und dafür ist „They Call Me …“ wirklich eine gute Visitenkarte. Ob nun mit dem Opener „Just Your Fool“ (Buddy Johnson) oder Blind Dog Mayers Theme-Song „They Call Me Blind Dog“: der relaxt aber niemals belanglos groovende Blues dieses Quintetts macht nicht nur Spaß, sondern hat auch eine deutlich eigene Note, zu der nicht nur Mayers Harp sondern auch die Gitarren von Jör „Reverend“ Metzinger und Fritz Schröder und der Rhythmus von Guido Stachel (dr) und Christian Weber (b) beiträgt. Hier wird niemals vordergründig auf Show gespielt, sondern immer dezent, präzise und songdienlich. Auch wenn Klassiker wie „Everyday I Have The Blues“ interpretiert werden, gerät das nicht zu einer bloßen Kopie der großen Vorbilder, sondern lässt immer auch eigene Ideen erkennen. Neben „They Call Me Blind Dog“ ist für mich der zweite der eigenen Songs „Way Past Midnight“ das Highlight der kleinen Scheibe. Hier wird es dann funky und rockig. Hoffentlich kommt bald ein komplettes Album an. Nathan Nörgel 49 Interpretinnen des Showbusiness heutzutage. Manche Songs überzeugen sofort, andere sind für meinen Geschmack ein wenig zu glattpoliert. Aber insgesamt ist „It‘s The Girls“ ein Album, das von Anfang bis Ende Spaß macht und zum Mitsingen einlädt. (Rhino) Nathan Nörgel Be e Midler - It‘s The Girls Lange schon war Sängerin und Schauspielerin nicht mehr im Studio gewesen. Jetzt meldet sich die Diva zurück mit einer Hommage an die großen Girlbands der 40er bis 60er Jahre. Was ist das nur mit dieser Faszination der Vergangenheit? Seit Jahren schon widmen sich zahllose Künstlerinnen und Künstler immer wieder den Ohrwürmern vergangener Jahrzehnte. Bette Midler hatte (vor ihrem letzten Studioalbum, der Weihnachtsplatte „Cool Yule“) schon die Songs von Rosemary Clooney gewürdigt. Jetzt holt sie zum Rundumschlag aus und interpretiert Songs zwischen „Bei mir bist du schön“, „Be My Baby“, „You Can‘t Hurry Love“ und als neustem Track „Waterfall“ von TLC. Manchmal singt die Midler ganz klassisch, manchmal macht sie aus fröhlichen Songs besinnliche Balladen. Und oder sie verpasst „Mr. Sandman“ mit Ukelele den Sound von Hawaii, oder den Supremes einen Country-Anstrich. Das ist feinster Pop von einer d e r w o h l f a s z i n i e re n d s t e n Blackout Country - Sad Eyed Ghosts Teils düsterer, teils melancholischer und nur selten nach vorne rockende Popmusik: Beim deutschen Duo Blackout Country stehen immer die Texte im Vordergrund, niemals eine aufgesetzte Radiofreundlichkeit. Auch auf ihrem vierten Album werden Gedichte vor allem des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vertont. Beim aktuellen Album „Sad Eyed Ghosts“ sind erstmals auch Werke zeitgenössischer Autorinnen zu finden. Seit Blackout Country bei Cactus Rock Records unter Vertrag sind, hat sich ihr Sound wenn nicht stilistisch verändert, doch auf jeden Fall deutlich professionalisiert: Hier hört man jetzt blitzsauber produzierte Songs zwischen Poprock, Folk und Balladen. Die textlichen Wasser-Prawda | Januar 2015 50 P L AT T E N Vorlagen sind breiter geworden. Klar gibt‘s auch hier wieder Songs aus Gedichten englischsprachiger Dichter wie Henry Wadsworth Longfellow, Ella Wheeler Wilcox oder William Butler Yeats. Doch finden sich jetzt auch Valeri Dohren (geb. 1947) oder Tony Karas noch lebende Lyriker unter den Autoren. Liebe und Verlust stehen im Zentrum der so ganz verschiedenartigen Texte. Über allem schwebt meist eine leichte Schwermut. Nur selten rocken die Songs ohne Handbremse nach vorn. Und waren es in den letzten Jahren oft Songs, die man bei Freunden düsterer Sounds getrost auflegen konnte, so sind Blackout Country inzwischen längst aus dieser Ecke herausgewachsen: „Sad Eyed Ghosts“ ist ein musikalisch abwechslungsreiches Popalbum nicht nur für Lyrikfreunde. (Cactus Rock Records) Raimund Nitzsche Chris Joyner - Domino Er spielt die Keyboards bei Leuten wie Songwriter Jason Marz, Shelby Lynne, den Wallflowers und anderen. Das aktuelle Soloalbum „Domino“ von Chris Joyner ist eine feine Mixtur aus herzzerreißenden Popsongs, Soul und Rhythm & Blues. Ein geschätzter Kollege meinte zu Joyner, man könne ihn auf Grund seines Pianospiels als soulige Variante von Ben Folds ansehen. Das erfasst natürlich nur einen Teil der Musik des Keyboarders aus Los Angeles. Lieder wie „The Way You Do“ etwa erinnert manchmal an die romantischen Momente von Folds. Aber das Klavierspiel von Joyner klingt in anderen Liedern doch eher nach klassischem Rhythm & Blues, nach Boogie oder auch klassischem Soul. Ergänzt wird sein Piano oft mit satten Streichern und wenn nötig auch mit fetten Bläsern. So ergibt sich ein Soulpop-Album, dass einem die grauen Winterabend erwärmen kann. (bandcamp) Nathan Nörgel Eddie Mar n - Blues Took Me By The Hand Volume 2: Electric Sessions Den Rückblick auf seine 25jährige Karriere hat der britische Gitarrist zweigeteilt. Waren im Frühling seine akustischen Aufnahmen veröffentlicht worden, so liegt jetzt der elek- Wasser-Prawda | Januar 2015 trische zweite Teil von „Blues Took Me By The Hand“ vor: Elf Songs ausgewählt aus den bislang 13 Alben zwischen hartem Slide-GitarrenBlues und Bigband Extravaganza. Eddie Martin dürfte wahrscheinlich zu den vielseitigsten Blues-Gitarristen im Vereinigten Königreich gehören. Hier jedenfalls wird der Hörer vom ChicagoBlues über funkige Ausflüge, swingenden Rockabilly-Blues bis hin zu Gitarrenlinien in der Nachfolge der drei Kings geführt, ohne dass es jemals langweilig werden würde. Man darf schon gespannt sein, wie er sich auf seinem für 2015 angekündigten neuen Album präsentieren wird. Dafür hat er sich exklusiv eine Band von 18 Musikern zusammengestellt, die im September 2014 in einem italienischen Theater auftrat und auch speziell für diese Besetzung geschriebene Stücke aufgeführt hat. Bis dahin kann man sich gerne noch die Zeit mit den elektrischen und akustischen Sessions vertreiben, die im Übrigen nur als Downloads erhältlich sind. Nur in einer einmaligen und streng limitierten Auflage gibt es beide Teile als Doppelalbum auf der Homepage des Gitarristen zu erwerben. Raimund Nitzsche P L AT T E N Erwin Helfer - The Erwin Helfer Way Die Chicagoer Piano Blues Legende Erwin Helfer legt mit ‚The Erwin Helfer Way‘ sein sechstes Album bei Sirens Records vor. Der mittlerweile 76jährige quicklebendige Musiker hat die hohe Kunst des Boogie Woogie Pianos von seinen legendären Vorbildern Sunnyland Slim, Pinetop Perkins sowie Jimmy ‚Papa‘ und ‚Mama‘ Yancey erlernt. Erwin Helfer ist somit als einer der wenigen verbliebenen authentischen Pianisten des klassischen Chicago Blues Pianos regelmäßig auf der Bühne präsent. In Deutschland erwarten wir seine nächste Tournee in der zweiten Jahreshälfte 2015. Dass Erwin Helfer zahlreiche Preise und Nominierungen erhalten hat, versteht sich von selbst. Wasser Prawda wird demnächst ausführlicher über Erwin Helfer, sein Leben und seine Karriere berichten. Auf dem vorliegenden Album präsentiert Erwin Helfer einen Querschnitt durch die klassische chicagoer Piano Blues Landschaft der letzten Jahrzehnte. Wir kennen jedes der Stücke. Er versteht es, jedem Titel seinen eigenen Stempel aufzuprägen – das Album fasziniert vom ersten bis zum letzten Anschlag. Zur Playlist gehören sowohl ‚Chicken Shack‘ als auch ‚Baby won’t you please come home‘ und ‚Sweet Georgia Brown‘. Der mitreißende ‚E&C Boogie‘ wird von Helfer im Zusammenspiel mit dem großartigen zeitgenössischen Pianisten Barrelhouse Chuck präsentiert. Überhaupt wird Erwin Helfer auf dem Album von einer bemerkenswerten Gruppe hochkarätiger Musiker unterstützt. Neben Barrelhouse Chuck an Piano und Orgel ist besonders der Tenorsaxophonist John Brumbach (ehem. Chaka Khan) zu erwähnen. Skinny Williams (ten.sax) ist mit zwei bemerkenswerten Soli vertreten, der Bassist Lou Marini (ehem. Blues Brothers Band) und der Drummer William ‚Bugs‘ Cochran sind für den Rhythmus zuständig. Diese Besetzung ist ein absoluter Leckerbissen für die Fans des traditionellen Chicago Blues. Übrigens hat die Stadt Chicago einen Teil der berühmten Magnolia Street in ‚Erwin Helfer Way‘ umbenannt – damit löst sich auch das Rätsel um die Namensgebung des Albums. Schön ist aber auch, daß Erwin Helfer beim Spielen der Stücke seinen ‚Erwin Helfer Weg‘ geht. Die CD ist ein Muß für jeden traditionell orientierten Chicago Blues Liebhaber! (The Sirens Records SR5020) Bernd Kreikmann 51 Joe Pi s Band - Payin The Price Es gibt sie doch immer wieder die schönen Überraschungen. Heute Morgen fand ich Joe Pitts Live CD ‚Payin‘ The Price‘ in meinem Briefkasten. Die Kritik vergleicht den in Arkansas geborenen und lebenden Joe Pitts mit Walter Trout oder Duane Allman. Ich setze ihn auf eine Stufe mit dem großen Jimmy Thackery. Pitts spielt seine Gibson gefühlvoll mit einer Selbstverständlichkeit wie dies nur wenigen erfahrenen Gitarristen gelingt. Sie klingt schwer, heftig und ungemein bluesig. Er verzichtet sowohl auf einen Gitarrenwechsel als auch auf mehrere Quadratmeter Pedals und den großen Auftritt. Joe Pitts ist schon lang im Geschäft. Seit seinem Studium am Berklee College of Music ist er als Musiker unterwegs. Mit seiner Joes Pitts Band hat er den amerikanischen Kontinent, Europa und den Rest der Welt bereist. Wir hatten die Gelegenheit, ihn in 2011 in der Blues Garage Isernhagen zu erleben. Ich war seinerzeit von sei- Wasser-Prawda | Januar 2015 52 P L AT T E N ner Gelassenheit, seinem klaren Gesang und seinem beeindruckenden Gitarrenspiel mit längeren Slideeinlagen begeistert. Entsprechendes gilt für die Bandmitglieder, die er als Arkansas führende Musiker vorstellt: Al Hagood (Bass), Chris Moore (drums, perc.) und Don Collins (Hammond). Alles gestandene Musiker, die einen hervorragenden Sound garantieren. Auf dem Album finden sich Eigenkompositionen und Cover in ausgewogenem Verhältnis. Joe Pitts arrangiert die Cover auf seine sehr persönliche Art und vermeidet absolut die Langeweile die aufkommen könnte, wenn man schon wieder eine Version von ‘Black Cat Bone’ hört. ‘Payin’ the Price’ wurde 2013 open air im Postmaster Grill, Camden/Arkansas mitgeschnitten. Ein ganz großes Lob gehört dem Soundengineer für die hervorragende Soundqualität der CD. ‘Time is running out’, ein eher ruhiger Blues Rock eröffnet den Gig. ‘High Price’ ein Southern Rock Titel und ‘Grits aint Groceries’ steigern das Tempo, um dann mit ‘Black Cat Bone’ wieder etwas ruhiger anzuschließen. Robert Johnsons ‘If I Had Possession’ und Joe Pitts ‘Midnight Blue’ (mit langem ‘Jessica’ Zitat) beenden die Show. Joe Pitts läuft zu Höchstform auf, sein Slidespiel ist mitreißend und atemberaubend. Mich hat das Album bereits beim ersten Anhören fasziniert – das kommt nicht ganz so oft vor. Was mich besonders fasziniert ist die Coolness mit der die Band spielt. Keiner der Musiker verzieht eine Miene, und warum soll man auf der Bühne zu viel reden? Woher ich diesen Eindruck habe? Es gibt das Konzert auch als DVD in hervorragender Bild- und Tonqualität! Ich empfehle dieses Album und die DVD jedem Bluesfan, der gestandene Musiker und klaren, gitarrenorientierten, melodiösen Blues(rock) mag. Joe Pitts ist ein Muß in der gutsortierten Plattensammlung. (Kijam Records/ cdbaby) Bernd Kreikmann Jonas Alaska stehen oft in gehörigem Kontrast zu bitterbösen Texten. Hier hat einer nicht nur beim großen Dylan gelernt, sondern auch noch bei zynischen Kommentatoren des Zeitgeschehens anderer Couleur. Die elf Songs auf „Tonight“ machen gewaltig neugierig auf diesen Songwriter, der mit dem Album auch auf Tour durch den deutschen Sprachraum kommen wird und auch bei diversen Festivals in diesem Jahr auftauchen wird. Eine echte Empfehlung für Leute, die intelligente Songs wollen und nicht die immer gleichen SongwriterSeelenschmerzen zu getragenen Gitarrenklängen. (popup Records) Raimund Nitzsche Jonas Alaska - Tonight In seiner norwegischen Heimat hat Songwriter Jonas Alaska seit 2011 bereits einige Alben veröffentlicht und dafür diverse Preise abgeräumt. Mit „Tonight“ wird jetzt eine Zusammenstellung der besten Songs auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlicht. Nur manchmal wirken die Songs so unbekümmert jugendlich wie der Sänger auf dem Cover - etwa in der ergreifenden Klage „If Only As A Ghost“. Sonst muss man gehörig aufpassen, die scheinbar kindlich frühlichen Melodien der Songs von Wasser-Prawda | Januar 2015 Karen Souza - Essen als II Angefangen hat Karen Souza als Sängerin für diverse House-MusicProduktionen. Doch schon seit ein paar Jahren hat sie es geschafft, zu einer ernstzunehmenden JazzSängerin zu werden. Debütiert hatte sie mit einem Album voller Jazz-Bearbeitungen von Pop- und Rocksongs. 2014 erschien dazu mit „Essentials II“ die Fortsetzung. Man nehme Hits wie REMs „Everybody Hurts“, Tanita Tikarams „Twist In My Sobriety“ oder Bruce P L AT T E N Hornsbys „The Way It Is“, eine loungige Jazz-Begleitung mit dezenten Streichern. Hinzu füge man eine teils kühle, teils verführerische Stimme - fertig ist ein Jazzalbum, dass man auch Jazz-Verächtern vorspielen kann. Karen Souzas Stimme steht ganz im Zentrum der Scheibe. Produzent Richard Gottlehrer, der führer auch schon mit Blondie oder Richard Hell gearbeitet hatte, hat die Arrangements ganz darauf zugeschnitten. Und Souza verfällt und das ist der große Pluspunkt der Scheibe - niemals der Versuchung, die Songs zu verkitschen. Ein luftig-lockeres Jazzalbum, das bekannte und weniger bekannte Songs in einem eleganten Sound neu entdecken lässt. Nathan Nörgel Kyle Reid & The Low Swinging Chariots - Alright, Here We Go Westernswing, New Orleans Jazz, Blues und Anklänge an den Rock & Roll der 50er: Für Kyle Reid sind dies keine akkurrat wiederzugebenden historischen Stile sondern Zutaten, um seine ureigene musikalische Welt zu erschaffen, in der er dann von Alkohol, von Erinnerunggen an die Jugend, an Tanz und kleinere Affären singt. Auch so kann man über den Verlust der Geliebten singen: Er hätte einen kleinen Whisky getrunken, erzählt Reid im Opener „Shot of Whiskey“. Und dann zählt er weitere Dinge auf, die er genommen hätte oder getan hat. Und dabei ist „a little take of reefer“ noch eine der harmloseren Zutaten. Doch die swingende Musik bewahrt den Song vor der Trostlosigkeit und macht statt dessen klar, dass all diese Betäubungen nur zeitweise sind - wie auch die Freude zuvor. Reid erzählt von seinem Stolz, der ihm im Wege steht, der ihm aber ebenso wichtig ist, wie der Swing. Wobei der wirklich alle möglichen Spielarten des Swing andeutet oder exerziert in seinen Songs: vom countryseligen Westernswing über den funkigen Swing von Brass Bands heutzutage bis zu jazzigen Balladen für die letzten Tanzrunden kurz vor der Sperrstunde. Ein oft ruhiges, aber immer spannendes Album nicht nur für Swingfreunde! Nathan Nörgel 53 Lighthouse - Lighthouse Wenn Mats und Linda Brandemark singen, dass klingt das mal nach radiofreundlichem Poprock, mal nach Country, meist nach Americana von der angenehmen Sorte. Als Lighthouse (nicht zu verwechseln mit der kanadischen Fusion-RockBand gleichen Namens) haben sie 2014 ein selbstbetiteltes Debüt veröffentlicht. Wenn das Album mit „Passing Me By“ beginnt, ist es eigentlich schon bei seinem Höhepunkt angekommen: Wie hier die beiden langgedienten schwedischen Rootsmusiker im Gesang harmonieren und Martin Högvals Lap Steel begleitet werden, das macht aus der rockigen Nummer einen Song, der einen sofort mitnimmt wie ein alter Bekannter. Aber auch „No U-Turn“ oder „Queen of Hearts“ sind Songs, die einfach gleich den Weg ins Herz finden. Das ist Americana, wie ich ihn mag. Manch andere Stücke überzeugen mich nicht im gleichen Maße. Aber hörenswert ist eigentlich das gesamte Album. Raimund Nitzsche Wasser-Prawda | Januar 2015 54 P L AT T E N O s Clay & Johnny Rawls Soul Brothers Das ist eine perfekte Paarung hier mit Clay und Rawsl, Blues tief aus dem Herzen und Super Soul. Wenn Du Soulmusik magst, ist das für Dich passend. Für mich ist es ein absoluter Triumpf: Ein Album mit zehn Stücken in herausragender Qualität, mit großartigen Songs, Arrangements und hervorragendem Gesang. Es ist schwer, ein einzelnes Stück herauszunehmen. „Voodoo Queen“ (gemeinsam geschrieben von Rawls und dem Coproduzenten Bob Trenchard) und der Klassiker „What Becomes Of The Brokenhearted“ zusammen mit „Living On Borrowed Time“ (wiederum geschrieben von Trenchard und Rawls) sind einfach herausragende Nummern. Das ist eines von diesen fast klassischen Soul-Alben mit Anklängen and Motown und Stax aus den 60er und 70er Jahren im Sound und den themen. Eine volle HornSection klingt nach Stax, während die Songs nicht nur eine Erinnerung an Motowns berühmte Genies der Textschreiberzunft wecken. Clay ist einer der Männer, die schon eine lange Zeit aktiv sind (40 Jahre oder mehr), er vollführt sein Handwerk mit soliden und großartigen Fähigkeiten und einer Menge Soul. Rawls, ein wenig jünger, ist nicht weniger talentiert und erfahren. Das ist ein großartiges Album, das hoffentlich die Geburt eines neuen Duos markiert, von dem in den nächsten Jahren noch eine Menge mehr zu hören sein weird. Kurz gesagt: Besser kann es kaum werden! (Catfood Records) Iain Patience und zu ein paar Anklänge an den Beat der 60er, an Punk und ab und zu an Blues. Songs wie „Superchicks“, „Moments“ oder auch die tolle „Supersweet Polka“ machen mir derartig viel Spaß wie nur wenig anderes seit dem Debütalbum von Kathenjammer vor paar Jahren. (off label records) Nathan Nörgel Raphael Wressnig - Soul Gumbo Pea And The Pees - Golden Treasures Rockabilly, Country oder GaragenFolk: Pea and The Pees servieren ihren Countrysound mit jeder Menge Rotzigkeit und Punk-Energie. Zwei Frauen, drei Männer, teils aus Karlsruhe, teils aus den Bergen der Pfalz: das sind Pea And The Pees. Und wie eigentlich meist bei Veröffentlichungen bei off label records bekommt man eine mitreißende Musik, die die verschiedensten Stile mit gehöriger Energie vermixt und den Wunsch wachsen lässt, man könne tanzen. Hier jedenfalls gibt‘s astreinen Rockabilly mit Country-Flair, ab Wasser-Prawda | Januar 2015 Ein Österreicher mit Hang zum Sound von New Orleans? Hammond-Organist Raphael Wressnig hat schon vor mehr als zehn Jahren ein Album unter dem Bandnamen New Orleans Organ Trio veröffentlicht. Jetzt fuhr er in die Stadt, suchte sich hochkarätige Session-Mitspieler und veröffentlichte mit Soul-Gumbo ein tolles Album zwischen Funk, Jazz und Soul. Ich liebe gute Eintöpfe, in deren Geschmack sich die verschiedensten Geschmäcker vereinen. Gumbo hab ich noch nie gegessen. Aber es steht auf der Liste der Gerichte, die ich am liebsten vor Ort probieren möchte. Sessions in New Orleans können P L AT T E N wirklich eine ähnliche Magie entwickeln. Dem Dresdner Thomas Stelzer gelingen seit Jahren immer mal wieder tolle Alben, wo sich sächsische Eleganz und der Groove von Louisiana aufs feinste vereinen. Auch Raphael Wresnig ist das mehr als überzeugend gelungen. Grund dafür ist einerseits natürlich die Rhythmusgruppe um den ehemaligen Bassisten der Meters George Porter und Schlagzeuger Stanton Moore (ehemals bei der Funkband Galactic). Hinzu kommen Beiträge von Pianist und Sänger Jon Cleary, Larry Garner, Walter „Wolfman“ Washington und natürlich auch von Wressnig langjährigen Mitstreitern Alex Schultz (g) und Craig Handy (sax). Die neun Stücke des Albums bieten sowohl für Jazzfreunde als auch für Liebhaber von Blues, Soul und Funk großartige Unterhaltung - und vor allem die passende Tanzmusik. Hier wird niemals akademisch daherimprovisiert, sondern Songs wie „Soul Jazz Shuffle“, „Mustard Greens“ oder „Soulful Strut“ sind gleichzeitig Jazz auf höchstem Niveau und mitreißend groovende Tanzmusik. Und das macht „Soul Gumbo“ zu einer Empfehlung über die Genregrenzen hinweg. (Peppercake/ZYX) Raimund Nitzsche Roly Pla - Inside Out Der Kanadier hat mit seinem Spiel auf der Bluesharp schon Vergleiche mit Sugar Blue oder Toots Thieleman herausgefordert. Nach Jahrzehnten als Begleiter zalloster kanadischer und internationaler Stars und Soundtracks für Bollywood ebenso wie für Kinderserien im Fernsehen hat er jetzt sein eigentliches Debütalbum veröffentlicht. „Inside Out“ zeigt den Musiker als Meister der Stile zwischen Blues, Jazz, Rhythm & Blues und Balladen. Er wolle lediglich alle 56 Jahre eine CD veröffentlichen, meint Roly Platt. Schade eigentlich, wenn man sich das Ergebnis anhört, was nach dem ersten reichlichen Jahrhundert entstanden ist. Hier finden sich tolle Jazzstücke wie „Congo Strut“ ebenso wie eine scheinbar puristische Darbietung von „Over The Rainbow“, eine Fassung von Ray Charles‘ „I Got A Woman“, bei dem man erst hinterher verwundert feststellt, dass dieses Stück ja auch als Instrumental famos funktioniert oder eine relaxte Version von James Taylors „Bartender‘s Blues“, die ihrem Namen mehr als gerecht wird. 55 Und bei Rippin It Up“ kommen dann auch noch Anklänge an den wilden Piano-Rock von Jerry Lee Lewis vor seiner ersten Bekehrung hinzu. Wie Roly Platt sich mit seinem Spiel den verschiedensten Stilen und Stimmungen der Songs anpasst, ist schlichtweg atemberaubend. Ebenso übrigens auch das Spiel seiner Begleitmusiker. „Inside Out“ ist ein absoulut großartiges Harp-Album, das einen immer wieder überraschen wird. Raimund Nitzsche „Sir“ Oliver Mally & Mar n Gasselsberger - This Is The Season Oliver Mally, der „Sir“ des Blues als sanfter Songwriter? Gemeinsam mit Martin Gasselberger hat er 2014 ein Album für die ruhigen und auch sentimentalen Stunden des Tages veröffentlicht. Es gibt Platten, die packen einen sofort. Schnell prägen sich Songs ein, man wippt mit und freut sich schon drüber, was man denn in der Kritik schreiben wird. Es gibt auch Platten, bei denen ist von vornherein klar: Das ist nix, ist entweder Wasser-Prawda | Januar 2015 56 P L AT T E N einfach schlecht oder schlicht gesagt nicht, die Art von Musik, die mich in Bewegung versetzen kann. Und dann sind da Alben, die man immer wieder vor sich her schiebt, bei denen man zunächst nicht weiß, was man davon halten soll, die auch nur selten so zur Stimmung passen, dass man ihnen eine Chance einräumt. „This Is The Season“ ist für mich eines dieser Alben. Sanft, besinnlich, melancholisch und ganz weit fort vom Blues, den ich von Mally erwartet habe, perlen die Songs dahin, werden Geschichten erzählt, die sich erst mal gegen den Lärm vor den Fenstern durchsetzen müssen. Und erst langsam wird mir klar, wie schön dieses Album eigentlich ist: Mallys Gitarre, Piano oder Akkordeon von Martin Geisenberger, ab und zu noch die Stimme von Petra Linecker - mehr braucht es nicht, um eine Atmosphäre der Ruhe und Gelassenheit zu erzeugen. Man lauscht den teils sehr persönlichen Geschichten und ist hinterher gleich selbst versöhnlich gestimmt. Für die Liebhaber intelligenter Songs und feinster akustischer Musik ist das auf jeden Fall eine Empfehlung wert. Die reinen Bluesfans sollten aber vielleicht die Finger davon lassen. Oder die Platte bei Nichtgefallen an wirklich gute Freunde verschenken, die solche Musik zu schätzen wissen. (Sir-Oliver-Records) Nathan Nörgel in ihren Improvisationen erklingen lässt. The Urban Renewal Project lässt keine Zweifel aufkommen: Ob Swing, ob Funkjazz, Highlife oder welche Zwischenformen auch immer: Hier wird mit einer Energie und Spielfreude musiziert, die dem Hörer keine Chance lässt, ruhig auf seinem Sitz zu bleiben und gepflegt seinen Cocktail zu nippen. Das ist Jazz zum Tanzen, nicht für akadeThe Urban Renewal Project mische Debatten und Analysen. - Local Legend Ist es möglich, dass die besten Obwohl die Gelehrten hier auch Jazzplatten zur Zeit die sind, denen genügend zum analysieren finden man nicht auf den ersten Metern würden. Raimund Nitzsche schon anhört, dass sie Jazz sind? Das zweite Album der kalifornischen Bigband The Urban Renewal Project beginnt zwischen Samba und Funk. Später kommen auch noch afrikanische Rhythmen, Hiphop, ein wenig Blues und jede Menge Soul dazu. Was fehlt: die akademische Bräsigkeit oder die gepflegt blasierte Langeweile, die Jazz-Festivals für mich in den letzten Jahren so vernachlässigbar gemacht haben. Wo anfangen? Vielleicht zuerst mit Aubrey Logan, Sängerin und Posaunistin. Wenn sie beim Opener Tidemore - By The Sea „My Own Way“ loslegt, hat sie Akustischen Folkrock für zwei einen sofort gefangen: Anfangs Gitarren und zwei Stimmen meint mein, hier eine großartige Tidemore (Andreas & Matthias Soulsängerin zu vernehmen. Doch Pietsch) pendeln musikalisch irim Laufe des Songs zeigt sie sich gendwo zwischen Dylan, deutauch noch als scattende Vokalartistin scher Schwermut und reduziertem mit einem Tonumfang, der in den Alternativ-Rock. höchsten Lagen die Gläser zum Das feine Label Timezone Records Vibrieren bringt. Und überhaupt aus Osnabrück lässt sich stilistisch dieses Lied: Es beginnt als Mixtur nicht wirklich festlegen: Vom defaus Soul und Samba, wird zwischen- tigen Bluesrock bis hin zu Singer/ durch zum Hiphop, bevor die Band Songwriter-Alben oder gar einmal dann noch alle möglichen Jazzstile klassische Chormusik reichten die Wasser-Prawda | Januar 2015 P L AT T E N Autofahrten oder einsame Abende ist das genau die richtige Mixtur! (Stormy Monday Records) Nathan Nörgel Various - Blues & Boogie Vol. 7 Pünktlich zum Jahresende veröffentlicht Stormy Monday Records seinen jährlichen Sampler. Auf der siebenten Ausgabe von „Blues & Boogie“ reicht die Bandbreite vom Bluesrock von Back On The Road bis hin zum Pianoblues von Nico Brina, vom Akustikblues bis hin zu klassischen Boogie Woogie. We n n m a n g e l e g e n t l i c h e n Blueshörern ein schönes Geschenk machen will, dann sind die Labelsampler des kleinen deutschen Labels immer eine gute Empfehlung. Denn von ganz traditionellen Sounds bis hin zu deftigen Bluesrocksounds ist für jeden Geschmack was dabei. Zu den längst bekannten Bands und Musikern wie Steve Big Man Clayton, Black Patti oder The Crazy Hambones hat Stormy Monday in den letzten Jahren immer wieder auch neue Künstler entdeckt, die sich schnell in die Ohren der Fans gespielt haben. Hier kann man Back On The Road ebenso einsortieren wie The Dynamite Daze oder auch zuletzt Nico Brina. Auch für Anzeige Richard Koechli Vom AMA-Autor («Slide Guitar Styles», «Masters of Blues Guitar», «Best in the West») und Blues Dem Swiss Blues AwardGewinner 2013 auf den Fersen Roman Im Buchhandel oder bei www.tredition.de Alben, die hier in der Redaktion ankamen. Eine Liebe des Labels allerdings gehört eindeutig Künstlern, die jenseits oder zwischen allen Klischees ihre eigenen Songs schreiben. Tidemore passen da genau rein. Der Folkpop der zwei in Berlin wohnenden Brüder besticht mit feiner Melancholie und emotionalen Ausbrüchen (wenn nötig) und Texten, die mal auf Englisch, manchmal auch auf Deutsch den hiesigen Alltag reflektieren. Allerdings: für mich fallen die deutschen Texte da gehörig ab - hier passen für mich die sprachlichen Bilder oftmals nicht zusammen, erscheint der Abstand zur Banalität zu gering. Auch fügen sich die deutschen Texte nicht so zwanglos in die wirklich schönen Melodien ein, die das Duo schreibt. Das ist schade, hier sollten sie in den nächsten Jahren noch ein wenig arbeiten. Denn eigentlich wäre so ein akustischer Folkpop ganz in Deutsch eine gute Idee. Aber verdammt schwer umzusetzen ist sie natürlich, wenn man es denn richtig gut hinkriegen will. (Timezone Records) Nathan Nörgel 57 Was geschah wirklich damals - bei Robert Johnson & Co ? Der Musik-Roman! tredition-Verlag (Taschenbuch, Hardcover & e-book) Was steckt hinter dem geheimnisvollen «Mojo» des Blues? Was geschah damals wirklich bei Robert Johnson & Co.? Richard Koechlis Buch nimmt den Leser mit auf eine abenteuerliche Gedankenreise zu den Tempeln der afroamerikanischen Musikseele - und sorgt mit Humor, Tiefsinn und Verschrobenheit dafür, dass die berühmten blue notes uns erst recht keine Ruhe mehr lassen. Infos: www.richardkoechli.ch Wasser-Prawda | Januar 2015 58 F E U I L LTO N L I TER ATUR A BC: A W I E A U T OR Von Sybille König „Der Autor ist tot“ postulierte Roland Barthes schon vor ungefähr 50 Jahren. Demnach hat der Autor gar keine Bedeutung mehr für die Literatur. Doch wer schreibt dann die ganzen Bücher? Ist Roland Bathes nicht selbst ein Autor? Was er genau mit seinem fast polemischen Satz sagen will, hat allerdings weniger mit Mord und Totschlag zu tun. Ihm geht es hauptsächlich darum, dass bei der Interpretation eines Texts Informationen über den Autor keine Rolle spielen dürfen. Der Autor ist nicht Wasser-Prawda | Januar 2015 gleich Erzähler, wie es viele annehmen. Barthes nutzt die Wirkung seines Ausspruchs um den Fehlschluss, der Autor sei der Erzähler ein für alle Mal auszumerzen. Das Ich im Roman ist nicht das Ich des Autors. Schaut man nach Synonymen für das Wort „Autor“ liest man „Schöpfer“, „Schreiber“, „Schriftsteller“, „Urheber“ und „Verfasser“. Der Autor ist aktiv, er ist also alles andere als tot. Und selbst wenn der ein oder andere bereits das Zeitliche gesegnet hat, so führen ihre Figuren meist ein überdurchschnittlich langes Leben. FILM 59 J ER S EY BOYS (C L I NT E A S T W OOD ) VON RAIMUND NITZSCHE Als Musical begeistert „The Jersey Boys“, die Geschichte um Franki Valli & The Four Seasons Besucher zwischen Broadway, Vegas und London. Doch Clint Eastwood wollte keinen MusicalFilm drehen und hat aus der Geschichte der Band und ihren Songs ein ziemlich konven onelles Biopic gedreht. Und das ist leider nur zeitweise wirklich mitreißend. Der Anfang in Bellville, New Jersey, erinnert ein wenig an Scorseses Mafia-Filme: Jugendliche in einer Kleinstadt, die als einzige Chancen zum Ausbruch aus der provinziellen Enge lediglich die Armee (dabei kann man sterben), die Mafia (auch das kann lebensgefährlich sein) oder das Berühmtwerden sehen. Frankie Castelluccio ist Lehrling beim Barbier und darf erstmals den lokalen MafiaBoss Gyp DeCarlo (großartig gespielt von Christopher Walken!) rasieren. Der liebt seine engelgleiche Stimme. Seine Freunde um Tommy DeVito (Vincent Piazza) setzen ihn als Ausguck bei ihren kleineren Einbrüchen ein, die sie regelmäßig in den Knast bringen. Doch letztlich ist es die Musik, die aus den Jungs etwas Besonderes Wasser-Prawda | Januar 2015 60 BÜCHER macht: Als nach rund 45 Minuten (gefühlt wesentlich länger) Songwriter Bob Gaudio (Erich Bergen) am Klavier „Cry For Me“ anspielt, und die Jungs nach und nach alle einstimmen, da erlebt man die Geburt einer Band mit, die im Doo-Wop dank Vallis Stimme einzigartig ist. Eastwood geht aber auch jetzt noch nicht von seinem ruhigen und eleganten Erzählstil ab - selbst mitreißende Musikauftritte der Four Seasons erscheinen so fast statisch und original wie aus dem Fernsehen der 50er Jahre abgefilmt. Damit verschenkt der Streifen leider sein größtes Potential: Ein wenig mehr Bewegung, mehr Aufnehmen der Rhythmen und Melodien hätte dem Film gut getan. Irgendwie scheint der Film (wie ein Kritiker anmerkte) wie in einem Vakuum zu spielen - was jenseits der Musik und den direkten Erlebnissen der Musiker spielt, spielt überhaupt keine Rolle. Auch kann man der Geschichte nicht wirklich ansehen, was der plötzliche Ruhm der zu 50 Prozent aus ehemaligen Strafgefangenen bestehenden Band wirklich angetan hat, wie sich ihr Leben dadurch verändert hat. Von Tour zu Streitereien mit den jeweiligen Frauen oder Freundinnen plätschert die Erzählung dahin, warum Wasser-Prawda | Januar 2015 Tommy die Gruppe durch seine ständigen Griffe in die Bandkasse und Kredite von Mafiosi letztlich an den Rand der Katastrophe führt, wird auch nicht erklärt. Musikalisch ist das Ganze auf jeden Fall großartig: Mit drei Schauspielern, die schon in der Musicalversion auf Tour waren, hat man geübte und mitreißende Sänger. Besonders John Lloyd Young als Franki Valli kann stimmlich absolut überzeugen. Insgesamt ein Film, bei dem letztlich die Musik das Einzige ist, was in Erinnerung bleibt. Und so kann man eigentlich auch zum Soundtrack-Album greifen. Oder man legt sich einen Sampler zu, der die Karriere dieser Popgruppe nachzeichnet. Wobei ich den Soundtrack durchaus empfehlen kann. Den hier kann man Vergleiche zwischen den originalen Stimmen der Four Seasons mit den Schauspielern des Films ziehen. Und das ist faszinierend. BÜCHER 61 GARY BURNETT: T HE GOS P E L A CCO RD ING TO T HE B L U E S VON RAIMUND NITZSCHE Was haben die Bibel und der Blues miteinander zu tun? Für den Theologen und Bluesfan Gary Burne eine ganze Menge. Schon die Psalmisten, so meint er in seinem Buch „The Gospel According To The Blues“ hä en eindeu g den Blues gehabt. Und so unternimmt er den spannenden Versuch, an Hand der Geschichte des Blues und des Lebens von Blueskünstlern aus Vergangenheit und Gegenwart Vorschläge zum Verständnis der Bergpredigt Jesu zu geben. Für weltabgewandte Christen kann das eine echte Herausforderung sein: Wie kann man Blues und Bibel in einem Atemzug nennen? Wie kann man überhaupt davon ausgehen, dass die immer wieder als Musik des Teufels bezeichneten Songs und ihre Sänger Hinweise zum Verständnis der Bibel geben könnten? Mit dieser Debatte hält sich Burnett zum Glück nicht lange auf, die ist seit Jahrzehnten schon erledigt. Schon allein die Existenz einer Vielzahl von Bluesmusikern, die eindeutig christliche Inhalte in ihren Songs haben, reicht als Gegenbeispiel. Der Teufel hat einfach keine Musik! Die Bibel und die Musik - besonders der Blues - haben eine Menge gemeinsam. Diese Welt, so sagt es die Bibel, Wasser-Prawda | Januar 2015 62 BÜCHER ist eine Welt, die sich absolut in die falsche Richtung entwickelt hat: Egoismus, Krieg, Ungerechtigkeit wo man auch hinschaut, liegen die Dinge im Argen. Schon Jahrhunderte vor Christus haben die Propheten das ausgesprochen. Christi Botschaft war dagegen anders: Er verkündete, dass Gott die Welt verändern, erneuern, will. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, so fassen die Evangelien die Kernbotschaft von Jesu Predigten zusammen. Gott will diese Welt erneuern - und wer Jesus nachfolgt, der soll Teil dieser Erneuerung werden, der ist selbst mit verantwortlich für das, was in der Welt geschieht. Die Erfahrung von Ungerechtigkeit, von Gewalt und Ausgrenzung, von Hunger und Elend steht am Anfang der Musik, die sich zum heute bekannten Blues entwickelt hat. Der Bluessänger erzählt von diesem Elend - und er erweckt Hoffnung bei den Zuhörern. Der Blues ist im Innersten nicht pure Widerspiegelung, sonder n Ü ber w i ndu ng der Hoffnungslosigkeit. So wie das Evangelium spricht auch er davon, dass diese Welt sich ändern kann, dass sich Dinge zum Besseren wandeln können und werden. Der Blues, so Burnett in einem Interview, war in vielerlei Hinsicht ein Protestgeschrei, ein Ausdruck der Schmerzen der afrikanischstämmigen Amerikaner angesichts von Diskriminierung, Rassismus und Gewalt im Süden der USA. Auch heute reflektiert er auf viele Weise die Erfahrungen von Menschen überall auf der Welt. Burnett vergleicht die Erfahrungen der Zeitgenossen des neuen Testaments zu Zeiten des Römischen Reiches mit den Erlebnissen der aus Afrika Verschleppten, die zwar nach dem Bürgerkrieg auf dem Papier freie Menschen waren, denen aber jegliche Rechte abgesprochen wurden. Und davon ausgehend kann man die Linie weiterziehen in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts, wo noch immer Gewalt, Unfrieden und eine immer schlimmer werdende soziale Ungerechtigkeit in der Welt zu beobachten sind. Heute, so Burnett, kümmerten sich die Gesellschaften viel zu sehr darum, das Leben so einfach wie möglich zu machen. Für den Aufschrei der anderen, die in dieser Welt leben und nicht so gesichert sind wie wir, für die Leidenden und Unterdrückten, sind wir taub geworden. Dabei gehöre die Klage über den Schmerz in der Welt, auch die Anklage an Gott über den Zustand der Welt, zum Kern des christlichen Glaubens. Der Blues könne dabei helfen, die Schmerzen auszudrücken - und sie zu verstehen. Und anders als vielfach missverstanden, geht es im christlichen Glauben eben nicht um eine Vertröstung auf eine jenseitige Glückseligkeit sondern um eine umfassende Transformation der Welt nach Gottes Plan. Und jeder Christ ist Teil dieser Veränderung. Wenn Jesus, so Burnett, in den Seligpreisungen die Friedensstifter benennt, dann meint er keine kleine Elite, dann meint er kein unerreichbares Ideal, an dem wir immer scheitern müssen. Nein, wer Jesus nachfolgt, der wird zu jemandem, der den Frieden im umfassenden Wasser-Prawda | Januar 2015 Sinne (Schalom) anstrebt, einen Zustand der Gerechtigkeit, der Gewaltlosigkeit, des Miteinanders aller über sämtliche Grenzen und Ideologien hinweg. Es geht um diesen Frieden, um Gottes Gerechtigkeit in Jesu Predigt. Wer sich das immer wieder vergegenwärtigt, der kann die Bergpredigt letztlich nicht anders als als konkrete Aufforderung zum eigenen Handeln verstehen. So zugespitzt Burnetts These. Und das ist neben den vielen historischen und theologischen Denkanregungen, die „The Gospel According To The Blues“ dem Musikliebhaber, dem Theologen und dem Christen gleichermaßen liefert, der Kern eines wirklich wichtigen Buches. Glauben und Nachfolge Jesu sind eben nicht außerhalb der Welt, in einer heiligen Nischengesellschaft möglich, sondern nur aktiv in dieser Welt und in der Veränderung dieser Welt. Gary Burne : The Gospel According To The Blues Cascade Books 2014 Sprache: Englisch ISBN-10: 1620327252 ISBN-13: 978-1620327258 Taschenbuch: 17,00 Euro Kindle-Edition: 9,39 BÜCHER 63 JAM ES BROWN: GOD FAT HE R OF S O UL. D IE A UTOB I OGR A FI E VON RAIMUND NITZSCHE Meine erste bewusste Begegnung mit James Brown geht zurück in den Juni 1988. Ich sitze vor einem kleinen Schwarzweißfernseher und schaue eine Konzertübertragung aus Ostberlin. Während vor dem Reichstag Pink Floyd ein Konzert auch über die Mauer schallen lassen, treten auf der Radrennbahn in Weißensee die Rainbirds und der „Godfather of Soul“ auf. Keine Ahnung, wer der arme Oststaar war, der das Vorprogramm im „Liedersommer der FDJ“ bestreiten „durfte“. Das ist auch nicht wichtig. Auch nicht mehr in Erinnerung der Auftritt der Rainbirds. Ihren Song „Blueprint“ wünschen sich noch heute einige in Kneipen bei DJ-Abenden. Aber dann das: Ein Konzert beginnt, die sich mir so überhaupt nicht erschließt. Eine Musik, die eigentlich nur noch aus Rhythmus besteht. Eine perfekt inszenierte Show ganz um den Star gebaut. Ich verstand die Musik nicht - und die Power des Auftritts wollte vom Bildschirm nicht überspringen. Der Sound war eh schlimm. Ich schaltete fort. Die Bedeutung von James Brown war mir damals nicht bewusst. Dann kam die Wende und damit begann die Liebe zu den Blues Brothers ob im Film oder auf Platte. Hier als Pfarrer Cleophus James liebte ich diesen Musiker. Aber der harte und trockene Funk, die Brillanz seiner Songs und seiner Wasser-Prawda | Januar 2015 64 BÜCHER Shows erschloss sich mir erst, als das legendäre Album aus dem Apollo den Weg in meine Sammlung fand. Hier verstand ich endlich, wie groß James Brown damals war, wie er mit seiner Musik den Soul und Funk fast im Alleingang revolutionierte. Und ich spürte, wie der Groove seines Funk noch heute die Leute auf die Tanzflächen treiben kann - jedenfalls diejenigen Menschen, die nicht allein nach den maschinellen Beats von Disco, Techno oder ähnlichen Sounds tanzen können. In der jetzt bei Heyne neuveröffentlichten Autobiografie „Godfather of Soul“ spielt der Osten Deutschlands keine Rolle. Schließlich geht der ursrpüngliche Text auf das Jahr 1986 zurück, als gerade Browns großes Comeback in den Staaten am Laufen war. Später wurde es mit mehreren Vor- und Nachworten immer auf den aktuellen Stand gebracht. Brown inszenierte seine Musik und sein Leben immer bis zur Perfektion. Und so lesen sich auch seiner Erinnerungen. Hier schreibt einer, der sich an seine Jugend in absoluter Armut erinnert, der es aber durch seine Musik geschaff t hatte, zu einer reichen und einflussreichen Person zu werden. Farbig und mitreißend können wir dem Leben eines jugendlichen Strafgefangenen hin zur Soulmusik verfolgen, lesen über die Entwicklung der Musik zwischen Gospel und Rhythm & Blues hin zum Soul, über Musiker u nd Plat ten macher. Brow n erzählt von seiner Rolle in der Bürgerrechtsbewegung ebenso wie über Begegnungen mit Politikern. Gerade in späteren Zeiten werden persönliche Fehler nicht wirklich eingestanden, sein persönlicher Wasser-Prawda | Januar 2015 Drogenkonsum, die Anklagen wegen häuslicher Gewalt und anderes blendet er komplett aus. Darauf gehen dann zum Glück die diversen Ergänzungen ein. Insgesamt eine unverzichtbare Lektüre für alle, die sich mit der Geschichte des Souls beschäftigen wollen. James Brown: Godfather of Soul. Die Autobiografie Aus dem Amerikanischen von Lore Boas. Vollständig überarbeitet von Tim Jürgens. Heyne 2014 Broschur, 496 Seiten ISBN: 978-3-453-64060-3 € 9,99 SPRACHRAUM 65 EIN B R I E F A N D E N H E R R N F RANZ KAF K A , B E R L I N STEG L I T Z , 19 2 3 AUS UWE SAEGER: EIN MENSCH VON HEUTE. 2. AUFLAGE FREIRAUM-VERLAG GREIFSWALD 2015 Dora Diamant berichtet in „Mein Leben mit Franz Kafka“ folgendes: Bei einem Spaziergang im Steglitzer Park trafen sie – D. D. und F. K. – ein kleines Mädchen, das weinte und verzweifelt schien, weil es seine Puppe verloren hat. Franz K. erfindet, um den Kummer der Kleinen zu mildern, sofort eine Geschichte, dass der Puppe nichts passiert ist, sie unternimmt eine Reise, so was ist doch nichts Außergewöhnliches. Das Mädchen ist misstrauisch, und so eine Erklärung bringt ihr die Puppe auch nicht zurück. Und so setzt Franz K. hinzu, dass er es ja ganz genau wissen müsse, denn die Puppe hätte ihm einen Brief geschrieben, in dem sie alles erklärt, er Wasser-Prawda | Januar 2015 66 SPRACHRAUM hätte den Brief bei sich zu Hause auf dem Schreibtisch liegen lassen, aber wenn das Mädchen es wolle, würde er ihn morgen mitbringen und ihr vorlesen. Natürlich wollte die Kleine das und Franz K. machte sich, in die Wohnung zurückgekehrt, sofort daran, diesen Brief zu schreiben. Dieser Brief und auch die folgenden, denn das „Spiel“ (so D. D.) dauerte mindestens drei Wochen, weil die Puppe ja verschwunden blieb und Kafka ein „richtiges Ende“ (so D. D.) finden musste, das heißt, „es musste die Ordnung ermöglichen, die durch den Verlust des Spielzeugs heraufbeschworene Unordnung abzulösen“ (so D. D.), sind nicht erhalten. Wahrscheinlich hat sie die Korrespondenz, dem Wunsch Kafkas entsprechend, mit anderen Texten vernichtet. Es sei noch erwähnt, dass Kafka in seinem letzten Puppenbrief sich von der Puppe mitteilen lässt, dass die Puppe in Heiratsvorbereitungen stecke – dass sie liebt und geliebt wird, hat Kafka sicherlich nicht geschrieben – und somit ein Wiedersehen nicht mehr zu ermöglichen sei. Dass Kafka sich mit diesen Briefen in eine Unternehmung manövriert hat, die den Sinn des Schreibens, der Kunst per se herausfordert, nämlich Lebenshilfe in einem Maße und auf eine Art zu sein, die schlicht als Erlösung zu bezeichnen ist, Erlösung von Zweifeln, Ängsten, Schuldgefühlen, mag ihm kaum bewusst gewesen sein. Dennoch, D. D. wird das nicht erfunden haben, ist es so passiert: Der Schreiber Franz Kafka hat ein kleines unglückliches Mädchen mit seinem Schreiben von der Qual des Ungewissen erlöst, er hat die Magie der Worte einem – das Niedlichst-Tun sei hier gestattet! – kleinen Glück unterstellt. Was aber stand in dem ersten Brief, den Kafka schrieb, nachdem er ihn, gemäß seiner Aussage gegenüber dem kleinen Mädchen, schon erhalten hatte? (Auch in diesem Arrangement eine Grundeignung von Kunst: Es beginnt immer mit einer Lüge.) Und weil das so ist, sei es auch auf diesem Blatt so in Anspruch genommen und jener Brief folgend zur Lektüre freigegeben: machen. Und wenn Sie es fragen, warum, wird sie weinen und noch unglücklicher wirken. Vielleicht ist sie’s wirklich? Und sie wird Ihnen antworten, dass sie deshalb so traurig ist und weint, weil ihre Puppe verschwunden ist und sie nicht weiß, wo und wie sie die Puppe suchen soll und womöglich findet sie ihre beste Freundin, es kann sein, dass sie ihre Puppe für Sie so nennt, niemals wieder, aber sie kann doch nicht einschlafen ohne ihre Puppe, fühlt sich so verlassen, ist so einsam, so unglücklich. Ach, es wird viel weinen, das kleine Mädchen. Denn das kleine Mädchen weiß, dass die Tränen mehr zu bewirken vermögen als Forderungen und Betteleien. Ja, das kleine Mädchen ist schier krank vor Sehnsucht nach ihrer Puppe. Dass die Puppe verschwunden ist, ist ein Verlust, der ihr mit nichts zu ersetzen ist. Und das ist so wahr wie es gut ist. Aber das schreibe ich nicht, weil es mich stolz macht, für jemanden unersetzbar zu sein. Nein, denn nur deshalb, um ihr, diesem kleinen traurigen Mädchen, das Erkennen meiner Unersetzbarkeit abzuzwingen, bin ich verschwunden, geflohen. Nun wissen Sie, wer Ihnen schreibt. Es ist die Puppe, die dem kleinen Mädchen abhanden gekommen ist. Wissen Sie es sich zu deuten, wenn ich Ihnen schreibe – natürlich wissen Sie es, denn Sie sind ja kein Esel von einem Genie, sondern nur auf schärfere Art verdammt –, dass ich geflohen bin vor den Nächten voller Nägel und Knoten, voller Schotter und Sturm und Bissen? Das kleine Mädchen, eine Herrin wie ein auf alle Kanten scharf geschliffener Stahl, war sehr erfinderisch in Liebkosungen, die man nie vergisst. Wer soll’s denn auch glauben, dass Puppen ein Schicksal haben? Puppen sind die Narren für die Seelen derer, die wie das kleine Mädchen sind. Und Narren hätschelt und tätschelt man bestenfalls vor den Augen der Andern. Aber danach? Sie hat mich gebissen, das kleine Mädchen, sich über mich gewälzt und mir Arme und Beine zu utopischsten Stellungen verdreht – wenn’s niemand sah selbstverständlich. Wenn die lieben Eltern – solche kleinen Mädchen haben immer liebe Eltern – die Tür zu ihrem Zimmer „Sehr geehrter unbekannter Herr, zugemacht hatten, zuvor wurden, wiederum selbstverSie werden an einem der kommenden Tage bei Ihrem ständlich, Küsschen ausgetauscht und schlaf schön und Spaziergang durch den Steglitzer Park einem kleinen träum was Schönes gewünscht und versprochen – dann Mädchen begegnen. Es wird ein trauriges Gesicht Wasser-Prawda | Januar 2015 SPRACHRAUM begann mein Leben im Untergrund sozusagen. Aber das Crescendo der körperlichen Attacken war ein Jux gegen die gefühlsduseligen Lamenti danach, wenn unsereins ans Herz gedrückt wird und einem ungefragt die Versprechungen unterstellt werden, dass man immer für sie da ist – zur Erinnerung: ich, die Puppe, für das kleine Mädchen! – sie nie verlassen wird, nie, und dieses Nie wird einem in hundert Jahren und mehr aufgerechnet! Da, mein sehr geehrter unbekannter Herr, packt auch unsereins das Grauen, wenn einem die Zukunft entworfen wird als ein Leben wie im Schraubstock. Denn das war es bis dahin, mein Leben, ein Dasein in der ständig sich verstärkenden Spannung von Schein und Sein, dass man dem lieben Kind als liebstes Spielzeug zu dienen hatte und dafür in duldsam-dankbarer Anwesenheit auf den nächsten Ausbund der schon beschriebenen Liebesbezeugungen sich vorbereitete. Und dann die Vorstellung von dem kleinen Mädchen als Hundertjährige! Das ist es: Wenn man der Zeit ein Gesicht geben kann – und was ist Zukunft anderes als Altern, als ein Progress in den Verfall? –, wenn sich Zeit, die einem noch versprochene Zeit, anfüllt mit Versprechungen, von deren Nutzlast man nur erdrückt werden kann, wenn ... Vor diesem „Wenn“ bin ich geflohen. Mich hat niemand gestohlen, ich bin nicht aus Versehen vergessen worden und auch kein Hund hat mich entführt. Flucht, ein wohlkalkuliertes Verschwinden ist der Grund meiner Nichtmehrverfügbarkeit für die Notlagen des kleinen Mädchens. Denn, das sei ausdrücklichst verwiesen, ich habe es immer verstanden, ich habe ihre auf mich zielende launenhafte Bösartigkeit begriffen als für sie einzigen Ausweg, nicht zu verzweifeln an und in der gebrauchsfähigen Kälte menschlicher Gemeinschaftlichkeit. Ich konnte dem entkommen. Ob das kleine Mädchen diese Chance einmal erhält? Ich weiß nicht einmal, ob ich ihr das wünschen soll? Denn Menschen brauchen das Wort Freiheit mehr als einen Zustand, der sie dazu im Stande sein lässt. Die Menschen ahnen, dass wirkliche Freiheit sie zerstört, dass sie sich selbst zerstören, sich vernichten in ungezügelter Leidenschaft, wenn sie nicht in Grenzen gehalten, nach Normen und Gesetzen verfügt werden! Aber darüber haben Puppen nicht zu befinden. Warum also schreibe ich Ihnen? Und warum das? Weil 67 Sie allein es vermögen, das kleine Mädchen davon abzuhalten, weiter nach mir zu suchen, mir nachzustellen mit seiner als Sehnsucht getarnten Selbstsucht. Sie darf mich nicht finden. Um unser beider Willen nicht. Belassen Sie mich in meinem Glück und geben Sie dem kleinen Mädchen die Mittel, mich zu vergessen. Aber keinen Gruß, bitte! Lügen Sie, mein sehr geehrter unbekannter Herr, ich weiß, dass meine Hoffnung darauf, mit Ihnen dafür die richtige Wahl getroffen zu haben, auf gutem Grund gegründet ist. Nur eine Puppe.“ Wasser-Prawda | Januar 2015 68 SPRACHRAUM ANTHROPOOVAROPARTUS. EIN WORT PRO DOMO FÜR SACHVERSTÄNDIGE UND LAIEN VON HANNS HEINZ EWERS. Die zweite Dezembernummer der Londoner » Medical Review« enthielt eine ganz kurze Notiz – die von dort aus ihren Weg durch alle Blätter der Welt nahm – dass die beiden Birminghamer Aerzte Prof. Paidscuttle und Dr. Fesemupp nach langen Versuchen endlich den Anthropoovaropartus erfunden hätten, das Eierlegen der menschlichen Frau, das naturgemäss einen ungeheuren Umschwung im Leben der Menschheit hervorzurufen geeignet sei. Die beiden Herren hüteten ihr Geheimnis vorderhand noch sorgfältig, doch stände zu hoffen, dass sie in nicht allzu langer Zeit damit an die Öffentlichkeit treten würden. Dieser Meldung gegenüber sehe ich mich zur Wahrung meiner sehr berechtigten Interessen genötigt, öffentlich zu erklären, dass die Idee des Anthropoovaropartus, des Eierlegens der menschlichen Frau, mir gehört und von mir zuerst ausgesprochen wurde. Leider bin ich ein solcher Esel, dass ich darauf weder ein Patent noch einen Musterschutz genommen habe, und so werden sich wohl für immer mein Vaterland und ich des ungeheuren Vermögens beraubt sehen, das die Lukrativierung meines Gedankens naturgemäss erzielt hätte. Wenigstens aber will ich für uns beide den Ruhm retten. Da die beiden englischen Gelehrten wahrscheinlich alles daran setzen werden, um die Priorität des Gedankens des Anthropoovaropartus mir streitig zu machen, so bin ich genötigt, die beiden einzigen Zeugen zu nennen, denen ich von der Sache sprach. Es sind dies: der Herr Oberlehrer Dr. Schulze in Köpenick und die Prostituierte Frieda Knäller (polizeilich unbekannten Aufenthalts). In der Nacht vom 4. zum 5. November 1903 ging ich mit obbemeldetem Herrn Oberlehrer gegen drei Uhr früh durch die Friedrichstrasse. An der Ecke der Oranienburgerstrasse trafen wir die p. Knäller, die unsere Wasser-Prawda | Januar 2015 Bekanntschaft zu machen bestrebt war. Ich fühlte das Bedürfnis, diese beiden einander menschlich näher zu bringen, sie zu verkuppeln, wie unzarte Leute sich auszudrücken belieben, Ich bemerke ausdrücklich, um mir etwaige Unannehmlichkeiten zu ersparen, dass ich das nicht »gewohnheitsmässig«, sondern nur bei besonderen Gelegenheiten tue, und dass ich auch in diesem Falle nicht »aus Eigennutz« handelte; im Gegenteile war ich es, der die dazu nötigen Speisen und Getränke bezahlte. Man möge daraus, wie fein ich so die Vorbedingungen des § 180 R. St. G. B. vermeide, ersehen, dass ich ein ebenso guter Jurist wie ausgezeichneter Mediziner bin, als welchen mich meine Entdeckung gewiss qualifiziert. Ich betrat also zu dem genannten Zwecke mit dem füreinander zu erwärmenden Paare die Kellerdestille zum »Strammen Hund« Friedrichstrasse 117. Ich kann sagen, dass ich mit meinen Vorschlägen bei dem Oberlehrer Herrn Dr. Schulze auf die grösste Bereitwilligkeit stiess, während merkwürdigerweise die p. Knäller sich durchaus ablehnend verhielt. Um ihren Widerstand gegenüber dem lebhaften Wunsche des Pädagogen zu brechen, bestellte ich immer mehr anregende Getränke, was zur Folge hatte, dass unsere anfangs vielleicht leichten und nicht ganz ernsten Gespräche immer tiefer wurden und wir uns mehr und mehr in wissenschaftliche Probleme vertieften. Von der Erziehung, die der Herr Oberlehrer im Sinne von Wedekinds »Mine-Haha« reformiert wissen wollte, von der Frauenfrage, deren Lösung sich die p. Knäller viel eher durch Einführung eines Staffeltarifs unter Berücksichtigung der notleidenden Landwirte und der akademischen Jugend versprach, als durch eine Lysistratisch-Reinhardtsche Streikbewegung, kamen wir dann auf immer ältere und entferntere Gebiete, bis schliesslich der Herr Oberlehrer treffend sagte, »dass wir SPRACHRAUM auf diese Weise auf das › Ei der Leda‹ zurückkehrten, während man doch füglich von ihm ausgehen müsste.« Ich darf wohl sagen, dass in dem Augenblicke, als er diesen verhängnisvollen Satz aussprach, hundert Worte, die mir bisher nur Phrasen gewesen waren, zu handgreiflichen Wirklichkeiten wurden. Ich erkannte das Symbol des verschleierten Bildes von Sais, dessen Schleier vor meinen Augen zerriss, ich hielt den Stein der Weisen in der Hand, ich hatte das Ei des Kolumbus gelegt. Ich seufzte dreimal tief auf, ich fühlte mit tiefer Erschütterung, dass ich in einer Sekunde die soziale Frage und alle anderen dazu gelöst hatte. Dem Herrn Oberlehrer Dr. Schulze, dem ich das verdankte, drückte ich gerührt die Hand, dann bestellte ich die siebzehnte Runde Grog. Während das Getränk gebracht wurde, besann ich mich eine kleine Weile und lud schliesslich, um noch einen weiteren Zeugen zu haben, den am Nebentische sitzenden Droschkenkutscher 2. Klasse Nr. 7468 zu uns ein. Alsdann erhob ich mich, zog meine Uhr und hielt folgende Rede: »Sie wollen sich, meine Damen und Herren, diesen Augenblick wohl merken, denn er bedeutet in der Lebensgeschichte der Menschheit den ungeheuersten Umschwung, den sie je gesehen hat. Es ist jetzt gerade 4 Uhr 19 Minuten! Sie wollen sich ferner meine Person eingehend betrachten und Ihrem Gedächtnisse getreu einprägen, denn vor Ihnen steht der Mann, der der Menschheit in diesem Augenblick das grösste Heil bringt, das ihr je; widerfahren ist. Sie aber, Fräulein Knäller, die Sie gerade grunzen, wollen meinen Worten ganz besondere Aufmerksamkeit schenken, denn Ihnen hat es das Geschick gegeben, hier zu sitzen, als die einzige Vertreterin Ihres Geschlechtes, das durch mich mit einem Schlage zu einer Jahrhunderttausende überspringenden Kultur hinaufgehoben wird! – Wir unterhielten uns vorhin über die Frauenfrage. Was ist es, das die Frau im Kampfe ums Dasein dem Manne gegenüber immer wieder als den schwächeren Teil erscheinen lässt? – Wir wissen es alle: es ist ihre sexuelle Funktion. Es ist die Tatsache, dass sie Kinder tragen und gebären muss, und die andere, dass sie, wenn das gerade nicht der Fall ist, doch allmonatlich in oft recht unangenehmer Weise von der Natur an ihre Weiblichkeit erinnert wird. – Wollen wir je daran denken, die Frauenfrage 69 in ihrer letzten Konsequenz zu lösen, so müssten wir hier, den Hebel ansetzen. Aber nicht der Gesichtspunkt allein ist es, der das Kinderkriegen in seiner heutigen Fassung als unzulänglich und durchaus veraltet erscheinen lässt. Da ist ferner die Moral! – Sie, Herr Oberlehrer, werden diese Seite besonders würdigen können. Es geht ja leider nicht an, dass man allen Frauen, die in einiger Zeit dem Vaterlande neue Söhne zu schenken bestrebt sind, das Betreten der Strasse verbietet, und so sehen wir fast alltäglich Frauen und Jungfrauen in höchst despektierlichem Zustande umherwandeln. Was, frage ich Sie, macht das für einen Eindruck auf unsere unschuldig heranwachsende Jugend? Die harmlosen Kinder wundern sich, sie fragen und – wie man es auch anstellen möge – sie erfahren doch eines Tages das, was sie nie erfahren sollten. – Da ist ferner die Hygiene! Ich frage: ist dieser Zustand der Frau ein gesunder? Einfach nein! Alle leiden darunter, die eine mehr, die andere weniger, angenehm aber ist‘s keiner. Und nun erst die Geburt! Die Schmerzen sollen ja sehr peinliche sein, und manche Frauen gehen sogar dabei zugrunde. – Weiter die Aesthetik! Die Zeit der Lucas Cranach und Holbein, die jeder Frau einen dicken Leib malten, ist Gott sei Dank vorüber, unserem Schönheitsempfinden ist so etwas direkt zuwider. Ebenso unästhetisch wirkt das Neugeborene, ich rede aus Erfahrung, denn ich habe bei meinem Freunde A. K. Hane einmal eins gesehen. Ich versichere Sie, es sah aus, wie ein aztekischer, knallroter Frosch. Die Mama fand es freilich sehr schön: ein gewisses Zeichen dafür, dass Kinderkriegen das ästhetische Empfinden unterminiert! – Brauche ich noch mehr Beweise dafür anzuführen, dass die heutige Art des Kinderkriegens eine unwürdige, kulturwidrige, scheussliche ist? Ich persönlich hätte ja nun gar nichts dagegen, wenn es überhaupt abgeschafft würde, da ich auf die Fortpflanzung der menschlichen Rasse gar keinen Wert lege. Leider legen meine Mitmenschen scheinbar um so grösseren Wert darauf, – weil sie Esel sind – so bleibt mir also nichts weiter übrig, als die Tatsache des ewigen Kinderkriegens fortbestehen zu lassen, ihre Art aber von Grund aus zu reformieren. Mein lieber Herr Oberlehrer, auf Ihr Wohl! Sie sagten: »Man müsse füglich vom Ei der Leda ausgehen.« Wasser-Prawda | Januar 2015 70 SPRACHRAUM Und Sie ahnten nicht, was Sie mit diesen Worten den Menschen schenkten. Ja, wir wollen von der Leda, diesem Musterbilde der Frauen der Zukunft, ausgehen, von ihr und dem vorbildlichen Ei, das sie legte! Wir wollen zurückkehren zu ihr, und unsere Frauen sollen, fürderhin so gut Eier legen können, wie die Leda es tat! Freilich sind wir sterbliche Menschen, und wir können nicht wie Jupiter uns in Schwäne verwandeln, tun unsere Frauen zum Eierlegen zu befähigen. Aber diese kleine Schwierigkeit, die für den Sänger des schönen Ledamythos nur ein Gott lösen konnte, vermögen wir heute leicht selber zu überwinden: wozu haben wir denn die Wissenschaft? Betrachten wir einmal den Vorgang bei einem Huhne. Bei ihm ist der Teil, in dem sich die Eier entwickeln, der Darm selbst, so kommt es, dass das Huhn Eier mit Schalen legen kann, denn der mit der Nahrung aufgenommene Kalk kann durch den Magen dem Ei zugeführt werden. Bei der Frau sind Darm und Hystera leider vollständig getrennt. Was müssen wir also tun? Eine Verbindung herstellen: eine Uteroenterostomie machen, wie sie der Professor Babywater von der Havarduniversität längst, freilich zu ganz anderen Zwecken, mit Erfolg ausgeführt hat. Die kleine Operation wird natürlich möglichst hoch ausgeführt, damit die Verbindung möglichst nahe am Magen ist. Man wird dazu wohl am besten den Murphyschen Knopf verwenden können. Es kann als ausgemacht gelten, dass, wenn wir diese Operation an einer Reihe von Generationen gemacht haben, in frühester Jugend natürlich, sie bei späteren Geschlechtern überhaupt nicht mehr nötig sein wird, dank dem Akklimatisationsprinzip des Organismus an diese neue Funktion. Unsere Frauen müssen dann viel Kalk und Phosphor zu sich nehmen, um jederzeit in der Lage zu sein, die nötigen Eierschalen zu erzeugen. Auch die durch therapeutische oder mechanische Agenzien zu bewirkende Hysterokontraktion, die wir bei den ersten Generationen wohl noch anwenden müssen, um zu einer beschleunigten Legung der jeweiligen Eier zu kommen, wird späterhin aus demselben Grunde gewiss nicht mehr nötig sein; unsere Urenkelinnen werden so leicht und nett Eier legen können wie das beste Hühnchen. Ein ganz ähnliches Verfahren aber, wie es der berühmte französische Geflügelzüchter Poulain d‘Or in Cambray Wasser-Prawda | Januar 2015 zur Vergrösserung des Ovariums und zur starken Vervielfältigung seines Inhalts durch die Anwendung von Yohimbin-Spiegel einerseits und Radiumbestrahlung zur Vermehrung der Wachstumsenergie andererseits mit so verblüffendem Erfolge angewandt hat, wird unsere Frauen instand setzen, nicht nur einmal monatlich, sondern jeden Tag, ja besonders kräftige Frauen sogar zweimal am Tag, mühelos ein wunderschönes Ei zu legen, etwa in der Grösse eines Schwaneneies. Man denke nur an die Bereicherung unseres Volkswohlstandes durch die Tätigkeit der Ledas der Zukunft. Wir haben in Deutschland etwa 20 Millionen Frauen im Alter von fünfzehn bis fünfundvierzig Jahren, diese können täglich bequem 25 Millionen Eier legen, also einen Zuschuss zu unserem Nationalkonsum, der gerade heute bei der wirtschaftlichen Depression unserem Volkswohlstand sehr zustatten kommen wird. Will jemand ein Ei ausbrüten lassen, so gibt er es in eine öffentliche Brutanstalt, eine Ovaroembryopaedocouveuse, die eine geniale Verbindung unserer jetzigen Hühnerbrutanstalten mit den einfachen Embryccouveusen unserer Tage darstellen werden. Die Verbesserung der Rasse ist nicht der kleinste Vorteil, der aus meinem Gedanken erwächst. Denn man wird es natürlich vermeiden, Eier von schwachen, kranken, dummen, hässlichen Frauen ausbrüten zu lassen, vielmehr dazu nur auserwählte Exemplare von besonders schönen, starken, gesunden und klugen Frauen nehmen. Dass man durch meine Idee auch gleich ein halbes Dutzend anderer Probleme, über die sich heute alle Welt vergebens den Kopf zerbricht, im Handumdrehen so nebenher mitlösen kann, ist ohne weiteres klar. So die soziale Frage: sozialdemokratische Eier werden einfach nicht ausgebrütet, liberale nur in sehr beschränktem Massstabe. Die Polenfrage, die Judenfrage, die Zigeunerfrage, die Antimilitaristenfrage: polnische, jüdische, zigeunerische, antimilitaristische Eier werden nicht ausgebrütet. Die Negerfrage, die Chinesenfrage, die japanische Frage für Amerika: Negereier, japanische und chinesische Eier werden nicht ausgebrütet. Die Balkanfrage, die daher kommt, dass ein Dutzend Völker dort so wild durcheinander gewürfelt sind, dass in jedem Dorf einer jeden Landschaft ein anderes haust. Man teilt einfach das Land ein, in dem einen Gebiete SPRACHRAUM werden dann nur bulgarische, in dem anderen griechische, in diesem nur türkische und in jenem nur kutzowallachische Eier ausgebrütet. In einer Generation ist so alles in bester Ordnung: die Balkanfrage ist gelöst. Die kriminelle Frage, die religiöse Frage: Verbrechereier, Atheisteneier und Monisteneier werden nicht ausgebrütet. Am besten wäre es gewiss, überhaupt nur gut katholische Eier ausbrüten zu lassen. Und da ja die moderne Kunst und das, was mit ihr zusammenhängt, allen Unflat und Unrat in Wort und Bild auf die Welt trägt, so kann man auch hier reinigend wirken. Eier, die zu modernen Malern und Dichtern in irgendwelcher Beziehung stehen, dürfen unter keinen Umständen ausgebrütet werden. So wird dieser Richtung einfach der Nachwuchs entzogen und die Kunst ganz von selbst in gut patriotische Bahnen gelenkt. Der gute Bürger aber, der ein behördliches Zeugnis, das seine Eierausbrütungsberechtigung bescheinigt, beibringen kann, trägt einfach ein schönes Ei seiner lieben Frau, oder, wenn die keine extraschönen legen kann, ein anderes, prächtiges, das er geschenkt bekommen oder billig gekauft hat, in die Brutanstalt, schreibt seinen Namen darauf und lässt es in den Glaskasten legen. Wenn man noch besonderes Interesse hat, kann man dann und wann hingehen, es zu begucken, namentlich der Moment ist gewiss lustig, wo der neue kleine Kerl seine Schale sprengt. Sonst aber kommt man erst nach zwei Jahren wieder, denn man wird sich den Pappus ja erst abholen, wenn er ganz stubenrein ist; solange lässt man ihn in der Ovaro-embryo-paedocouveuse. Die ganze Indezenz des heutigen Kinderkriegverfahrens ist so vermieden; die Aesthetik triumphiert und mit ihr die Moral. Die Frauenfrage ist auch gelöst, die Frau ist dem Manne vollkommen gleich, da ihre Gesundheit durch nichts nur ihr Eigentümliches mehr gestört wird. Denn das bisschen Eierlegen macht ihr keinerlei Beschwerden, im Gegenteil hat sie vor dem Manne noch einen grossen ökonomischen Vorteil, denn ein oder gar zwei Eier täglich sind immerhin etwas wert! Ferner werden auf diese Weise – –« Soweit war ich gekommen, als ich bemerkte, dass Herr Oberlehrer Dr. Schulze stark glucksende Töne ausstiess, die sich unangenehm in das zunehmende Grunzen der p. Knäller mischten. Der Droschkenkutscher 2. Klasse Nr. 71 7468 hatte die während meiner Rede inzwischen eingetroffene achtzehnte Runde Grog allein ausgetrunken und schlief. Ich weckte ihn und machte ihm Vorwürfe wegen seiner Unachtsamkeit, er versöhnte mich aber wieder, so dass ich mit ihm Schmollis trank. Dann übernahm er es, mich nach Hause zu fahren und zu Bett zu bringen. Meinen Freund, den Oberlehrer Dr. Schulze aus Köpenick, überliessen wir der Obhut der p. Knäller. Was mit ihnen dann noch wurde, kann ich nicht sagen. So, das sind die einfachen Tatsachen, denen ich nur noch eine Hypothese, die ich leider nicht beweisen kann, hinzufügen möchte. Als ich mich heute auf der Polizei nach dem jetzigen Wohnorte der p. Knäller erkundigte, deren Zeugenschaft für meine Priorität des Anthropoovaropartus mir natürlich wertvoll war, erfuhr ich, dass sie bereits vor zwei Jahren von Berlin fort sei und sich vermutlich nach London gewandt habe. Ich bin überzeugt, dass sie auf Picadilly die Bekanntschaft entweder des Prof. Paidscuttle oder des Dr. Feesemupp gemacht und als verräterische Egeria diesen beiden Herren meine Idee des Anthropoovaropartus eingeblasen hat. Aber mögen diese Söhne Albions immerhin Kapital daraus schlagen, der grosse Gedanke gehört doch mir: dem ideal veranlagten, humanistisch gebildeten Deutschen. Wasser-Prawda | Januar 2015 72 SPRACHRAUM GESCHI C HT E E I N E S R O MA N S THOMAS WOLFE Die Geschichte eines Romans Ein Verlagsleiter, ein Mann, der auch ein guter Freund von mir ist, sagte mir vor etwa einem Jahr, es täte ihm leid, dass er nicht Tagebuch geführt hätte über jene Arbeit, die wir gemeinsam getan haben, das Zurechtschlagen, Abdämmen, Fliessenlassen, Auffangen und Zuendebringen, die zehntausend Anproben, Änderungen, Siege und Übergaben beim Fertigmachen eines Buches. Manches, bemerkte dieser Mann, wäre phantastisch, vieles unglaublich und das Ganze erstaunlich gewesen, und obendrein hatte er die Liebenswürdigkeit, zu sagen, diese Arbeit stelle die interessanteste Erfahrung dar, die er in den fünfundzwanzig Jahren seiner literarisch-verlegerischen Herausgebertätigkeit gemacht hätte. Von dieser Erfahrung möchte ich hier sprechen. Ich kann keinem Menschen sagen, wie man Bücher schreibt; ich kann auch nicht versuchen, Regeln aufzustellen, nach denen jemand instand gesetzt sein würde, seine Bücher bei Verlagen, seine Geschichten bei gutzahlenden Zeitschriften unterzubringen. Ich bin kein Erwerbsschriftsteller, ich bin nicht einmal gelernter Schriftsteller, ich bin einfach ein Schriftsteller, der im Begriff steht, sein Handwerk zu lernen, der gerade dabei ist, auf den Gebieten der Linienführung und Baufügung und der sprachlichen Verdeutlichung jene Entdeckungen zu machen, die er notwendig machen muss, um die Arbeit leisten zu können, die er leisten will. Gerade aus diesem Grund, eben weil ich patze, weil noch meine gesamte Lebenskraft und meine ganze Begabung in diesen Entdeckungsvorgang einbezogen sind, aus diesem Grund spreche ich, wie ich hier spreche. Ich möchte erzählen, wie und auf welche Art und Weise ich ein Buch schrieb. Das wird äusserst persönlich werden. Wasser-Prawda | Januar 2015 Die Arbeit an dem Buch nämlich hat mich mehrere Jahre lang aufs äusserste und heftigste in Anspruch genommen, ist für mich des Daseins eigenster und innigster Anteil gewesen. Es ist nichts sehr Literarisches an der Sache. Es ist vielmehr eine Geschichte von Schweiss und Qual und Verzweiflung und teilweisem Gelingen. Ich weiss noch gar nicht, wie man eine Geschichte schreibt, ich weiss noch gar nicht, wie man einen Roman schreibt. Aber ich habe etwas über mich selbst und über schriftstellerisches Arbeiten ausfindig gemacht, und wenn ich‘s vermag, möchte ich sagen, was es ist. Ich weiss nicht, wann ich zuerst auf den Gedanken kam, Schriftsteller zu werden. Wahrscheinlich bildete ich mir wie viele Amerikaner meiner Generation ein, es sei eine feine Sache, Schriftsteller zu sein, und damit ein Mann wie Lord Byron, Lord Tennyson, Longfellow oder Percy Bysshe Shelley. Ein Schriftsteller musste wie alle hier von mir Genannten Ausländer sein, und da ich selbst Amerikaner war, und nicht zur vermögenden oder studierenden Klasse gehörte, meinte ich, ein Schriftsteller gehöre einer isolierten Gruppe von Menschen an, zu der ich nie Zugang haben würde. Ähnlich dachten wir wohl alle oder doch wenigstens die meisten Amerikaner. Das seltsame Wesen des schriftstellerischen Berufes irritiert uns nach wie vor mehr als irgendein anderes Volk der Erde, das ich kenne. Ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb viele unserer Landsleute, vor allem die arbeitenden Schichten und die Menschen vom Lande, von denen ich selbst abstamme, voller Verwunderung und Zweifel und voller romantischer Gefühle dem Schriftsteller gegenüberstehen. So können sie sich auch kaum vorstellen, dass ein Schriftsteller durchaus einer von ihnen sein kann SPRACHRAUM und nicht unbedingt ein Mann aus fernen Ländern sein muss, wie es Lord Byron, Tennyson oder Percy Bysshe Shelley waren. Andere Amerikaner wieder, die den akademisch gebildeten Kreisen angehören und die sich ebenfalls, aber auf andere Art, von Glanz und Differenziertheit dieses Berufes blenden lassen, geraten unter den Einfluss der Literatur; ihre Verständnisbereitschaft geht dann weiter als die ebenso stark von ihr beeinflusster gebildeter Europäer. Sie gebärden sich flaubertischer als Flaubert. Die Besten unter ihnen gründen kleine Zeitschriften und betreiben in ihren Spalten literarische Haarspaltereien, wobei sie dann mehr Haare spalten, als es sich Europäer je einfallen lassen würden. In Europa fragt man sich: «Mein Gott, wo kommen nur alle diese ästhetisierenden Amerikaner her?» Wir kennen das ja alles. Ich glaube, jeder, der in diesem Lande den Versuch unternommen hat, zu schreiben, gehörte erst einmal zu einer dieser beiden Gruppen wohlmeinender aber irregeführter Menschen. Wenn wir schliesslich wirklich Schriftsteller geworden sind, so sind wir es trotz dieser Menschen geworden. Ich weiss nicht, wie ich Schriftsteller wurde, glaube aber, dass in mir eine gewisse Kraft danach verlangte, zu schreiben, die schliesslich durchbrach und sich ihren Weg bahnte. Meine Familie gehörte zur arbeitenden Bevölkerung. Mein Vater, ein Steinmetz, war ein Mann, der der Literatur Achtung und Bewunderung entgegenbrachte. Er besass ein erstaunliches Gedächtnis und liebte die Poesie. Und die Poesie, die er am meisten liebte, war rhetorischer Art, wie sie ein solcher Mann naturgemäss bevorzugen musste. Trotzdem war es gute Poesie. Hamlets Monolog, Macbeth, Marc Antons Rede, Greys Elegie und anderes dieser Art. Ich hörte das alles schon als Kind, prägte es mir ein und machte es zu meinem geistigen Besitz. Er schickte mich ins College auf die Staatsuniversität. Schon während meiner Schultage war der Wunsch, zu schreiben, in mir lebendig gewesen. Jetzt wurde er noch stärker. Ich war Herausgeber der College-Nachrichten, der CollegeZeitschrift und so weiter. In den letzten ein bis zwei Jahren meines Studiums gehörte ich einer Arbeits- 73 gruppe für Dramatik an, die man dort kürzlich gegründet hatte. Ich schrieb verschiedene kleine Einakter, zweifelte aber nicht daran, dass ich schliesslich doch Rechtsanwalt oder Journalist werden würde. Nie hätte ich ernsthaft gewagt zu glauben, dass ich wirklich ein Schriftsteller werden würde. Dann ging ich an die Harvard-Universität. Auch dort schrieb ich noch einige Stücke und, besessen von der Idee, Dramatiker zu werden, verliess ich Harvard. Meine Stücke wurden jedoch abgelehnt. Schliesslich fing ich im Herbst des Jahres 1926 an, mein erstes Buch zu schreiben; es war in London. Ich könnte nicht sagen, wie es dazu kam, warum ich es schrieb, oder auf welche Weise. Ich bin selbst nie recht dahinter gekommen, vermute aber, dass die unbestimmte Kraft in mir, die schon lange zum Schreiben drängte, und die sich ihren Weg bahnen wollte, mich dazu antrieb. Damals lebte ich ganz allein. Ich bewohnte zwei Zimmer, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer in einem Hause, das an einem kleinen Platz in Chelsea lag, und mit seinen verräucherten Ziegeln, seinem cremegelben Verputz aussah wie alle Londoner Häuser. Wie schon gesagt, lebte ich damals allein und dazu noch in einem fremden Lande. Ich ahnte nicht, warum ich eigentlich dort war, oder welche Richtung mein Leben nehmen würde, und in dieser Verfassung begann ich mein Buch zu schreiben. Ich glaube, das ist die härteste Zeit, die ein Schriftsteller durchmacht. Es gibt für ihn keine Vergleichsmassstäbe, kein Urteil von anderer Seite, an dem er seine Leistung messen könnte. Tagsüber schrieb ich stundenlang in grosse Geschäftsbücher, die ich mir zu diesem Zwecke gekauft hatte. Nachts pflegte ich dann mit hinter dem Kopf verschränkten Händen im Bett zu liegen und darüber nachzusinnen, was ich an dem betreffenden Tag geschrieben hatte. Draussen hörte ich den festen Polizeistiefeltritt des Londoner Bobby, der unter meinem Fenster vorbeiging. Ich erinnerte mich daran, dass ich in Nord Carolina geboren war und wunderte mich, wie zum Teufel ich jetzt hier in London in der Dunkelheit zu Bett lag und über Worte nachdachte, die ich an dem betreffenden Tag zu Papier gebracht hatte. Wasser-Prawda | Januar 2015 74 SPRACHRAUM Ein Gefühl äusserster Ausgehöhltheit und Vergänglichkeit überkam mich, und ich stand auf, machte Licht und las die Worte, die ich an dem betreffenden Tag geschrieben hatte, nach. Dann wunderte ich mich wieder: Warum bin ich jetzt hier? Wieso bin ich hierher gekommen? Am Tag umgab mich der betäubende Lärm Londons und das golden-gelb neblige Oktober-Licht dieser Stadt. Das von Menschen wimmelnde, alte, spinnwebartige, rauchige London! Wie liebte ich diese Stadt, wie hasste ich und wie verabscheute ich sie! Ich kannte niemanden hier, und vor langer Zeit war ich in Nord Carolina ein Kind gewesen. Aber jetzt lebte ich hier. In zwei Zimmern, in den gewaltigen Fangarmen des Oktopus, in dem grenzenlosen Spinnennetz dieser überwältigenden Stadt. Ich wusste nicht, warum ich hierher gekommen war, weshalb ich überhaupt hier war. Unter solchen Gefühlen und Gedanken arbeitete ich dort Tag für Tag. Dann kam ich im Winter nach Amerika zurück und arbeitete auch dort wieder. Tagsüber gab ich Unterricht und die ganze Nacht schrieb ich. Schliesslich, zweieinhalb Jahre, nachdem ich in London das Buch begonnen hatte, beendete ich es in New York. Auch hiervon möchte ich gern erzählen. Ich war damals sehr jung und besass die wilde, überschäumende Vitalität, die einem Mann in diesem Lebensalter zu eigen ist. Das Buch hatte mich in seinem Bann und nahm Besitz von mir. Auf eine Art, die – so glaube ich – sich ganz von selbst herausbildete. Wie jeder junge Mensch stand ich stark unter dem Einfluss der Schriftsteller, die ich bewunderte. Einer der führenden Schriftsteller jener Zeit war James Joyce mit seinem «Ulysses». Ich glaube, das Buch, das ich schrieb, war stark von seinem Werk beeinflusst und doch gewannen die kraftvolle Energie und das Feuer meiner eigenen Jugend darin die Oberhand und führten schliesslich zu einem ganz persönlichen Werk. Wie Joyce schrieb ich über Dinge, die ich kannte, über das unmittelbare Leben und über die Erfahrung, die mir in meiner Kindheit zuteil geworden war. Ich hatte aber im Gegensatz zu Joyce keine literarische Erfahrung, hatte nie zuvor etwas verWasser-Prawda | Januar 2015 öffentlicht. Mein Gefühl Schriftstellern, Verlegern und Büchern, jener fernen Fabelwelt gegenüber, war fast so romantisch unwirklich, als wäre ich noch ein Kind. Und doch hatte mein Buch, hatten die Gestalten, mit denen ich es bevölkerte, hatte das Wetter des Universums, das ich erschaffen hatte, erst einmal Besitz von mir ergriffen, so schrieb ich und schrieb mit jenem leidenschaftlichen Feuer, mit dem ein junger Mensch schreibt, der nie etwas veröffentlicht hat und der doch sicher ist, dass alles gut werden wird und gut gehen muss. Das ist eine merkwürdige Sache, und sie lässt sich schwer ausdrücken. Ein Schriftsteller aber wird mich leicht verstehen. Ich ersehnte Ruhm wie jeder jugendliche Schreiber. Und doch war Ruhm ein blendender Glanz, aber auch eine höchste Ungewissheit. In meinem achtundzwanzigsten Lebensjahr war das Buch beendet. Ich kannte keine Verleger und keine Schriftsteller. Eine Bekannte nahm das unförmige Manuskript, das ungefähr 350 000 Worte umfasste, und sandte es einem Verleger ein, den sie kannte. Nach ein oder zwei Wochen erhielt ich eine Nachricht, die zum Ausdruck brachte, dass das Buch nicht veröffentlicht werden könnte. Der Kern der Mitteilung war, dass das betreffende Verlagshaus im Jahr zuvor verschiedene ähnliche Bücher veröffentlicht hatte, die alle erfolglos geblieben waren, und dass das Buch in seiner gegenwärtigen Form ausserdem so dilettantisch, autobiographisch und unkünstlerisch sei, dass ein Verleger es nicht riskieren könnte, ihm eine Chance zu geben. Ich selbst war äusserst deprimiert, und die Illusion der Schöpfung, die mich zweieinhalb Jahre genährt hatte, war inzwischen so abgenutzt, dass ich diesem Urteil glaubte. Damals war ich Lehrer an einer der grossen Universitäten New Yorks. Als das Jahr zu Ende ging, reiste ich ins Ausland. Erst nach sechs im Ausland verbrachten Monaten erreichte mich die Nachricht eines anderen amerikanischen Verlegers, dass er mein Manuskript gelesen habe und gern mit mir darüber sprechen wolle, sobald ich wieder daheim sei. Am Neujahrstag des gleichen Jahres kam ich wieder nach Hause und rief am nächsten Tag den Verleger, SPRACHRAUM der mir geschrieben hatte, an. Er bat mich, ihn zu einer Aussprache in seinem Büro aufzusuchen. Ich begab mich sofort zu ihm, und als ich sein Büro an jenem Morgen verliess, hatte ich einen Vertrag unterzeichnet und einen Scheck über 500 Dollar in der Hand. Es war das erste Mal, soweit ich mich erinnern konnte, dass irgendjemand mir gegenüber die Meinung geäussert hatte, dass irgend etwas, das ich geschrieben hatte, auch nur 15 Cent wert war. Und ich weiss noch, dass ich das Verlagsbüro an diesem Tage verliess und in den grossen Männer- und Frauenschwarm tauchte, der sich bei der 48. Strasse die Fifth Avenue entlang schob, und dass ich mich plötzlich bei der 11. Strasse befand. Bis heute ist mir nie klar geworden, wie ich eigentlich dorthin gelangt war. Für die nächsten sechs oder acht Monate lehrte ich an der Universität und arbeitete mit dem Lektor des Verlages am Manuskript meines Buches. Das Buch erschien im Oktober des Jahres 1929. Die Erfahrung mit dem Buch hatte noch immer Elemente jenes traumähnlichen Schreckens und jener Unwirklichkeit, die das Schreiben für mich gehabt hatte, als ich es ernsthaft begonnen und in meinem Londoner Zimmer mit hinter dem Kopf verschränkten Händen dagelegen und gedacht hatte: warum bin ich eigentlich hier? Die entsetzliche äusserste Nacktheit der Drucklegung, die für alle Schreibenden mit der Scham so namenlos verwandt ist, rückte täglich näher. Dass ich diese Blosstellung ersehnt haben konnte, vermochte ich nicht zu glauben. Es schien mir, dass ich mich selbst schamlos blossgestellt hatte. Und doch hielt mich das Narkotikum meiner Wünsche und meines Schaffensdranges wie unter Schlangenblick, und ich konnte nichts anderes tun. Schliesslich wandte ich mich an den Lektor, der mit mir gearbeitet und mich entdeckt hatte und fragte ihn, ob er etwas über Ende und Ausgang meiner Arbeit voraussagen könnte. Er sagte, dass er es vorzöge, mir lieber nichts zu sagen, da er nicht prophezeien oder wissen könne, zu welchen Ergebnissen das Ganze führe. Er sagte: «Ich weiss nur, dass man das Buch nicht übersehen wird, dass man es nicht igno- 75 rieren kann. Das Buch wird seinen Weg machen.» Und das gibt ziemlich genau das wieder, was sich dann auch ereignete. Ich habe in den letzten Monaten gelesen, dass dieses erste Buch mit einem «Sturm kritischen Beifalls» aufgenommen wurde. Tatsächlich war das aber nicht der Fall. Es erhielt einige wundervolle, aber auch einige ungünstige Kritiken. Aber für ein erstes Buch fand es zweifellos gute Aufnahme. Das Beste daran war, dass ich mir allmählich ständig mehr Freunde unter Bücherfreunden machte. Vier oder fünf Jahre hindurch verkaufte es sich in der Originalausgabe sehr gut und später auch in einer verbilligten Volksausgabe der Modern Library. Das Resultat war, dass ich nach der Veröffentlichung dieses Buches im Herbst des Jahres 1929 mich plötzlich als Schriftsteller etabliert sah. Und damit begannen die ersten grossen Lektionen für mich als Schriftsteller. Bis dahin war ich ein junger Mann gewesen, der sich mehr als irgend etwas anderes auf Erden gewünscht hatte, ein Schriftsteller zu werden, und der sein erstes Buch im Feuer der Illusion schuf, das in jedem jungen Schriftsteller brennen muss, ohne andern Antrieb als die Hoffnung. Nun hatte sich das in gewisser Beziehung geändert. Ein Schriftsteller, hoffend und sehnend, war ich schon vorher gewesen, jetzt aber war ich tatsächlich ein wirklicher Schriftsteller. Ich pflegte beispielsweise über mich zu lesen, dass ich einer der «jüngeren amerikanischen Autoren» sei. Ich war, wie einige der Kritiker von mir sagten, jemand, dem man künftig Beachtung schenken musste. Sie sahen meinem kommenden Buch mit Interesse und einer gewissen Spannung entgegen. Ausserdem machte meine schriftstellerische Entwicklung ständig Fortschritte. Jetzt sah ich mich diskutiert, und irgendwie war das viel angreifender, als ich es mir je hatte träumen lassen. Es quälte mich, verwirrte mich, flösste mir ein seltsames Gefühl der Schuld und Verantwortung ein. Ich war ein junger amerikanischer Schriftsteller, und man setzte Hoffnungen in meine Zukunft und sorgte sich, was ich tun würde, ob ich es zu irgend etwas bringen würde oder zu gar nichts. Würden die Wasser-Prawda | Januar 2015 76 SPRACHRAUM Fehler, die man an meinem Werk gefunden hatte, sich verschlimmern oder überwand ich sie? War ich nur ein Komet? Würde ich mich durchsetzen? Was würde aus mir werden? Ich quälte mich damit. Ich ging nachts nach Hause, sah mich in meinem Zimmer um, sah die vom Morgen her noch immer ungespülte Kaffeetasse, die Bücher, die auf dem Boden lagen und das Hemd, das noch dort lag, wo ich es die Nacht zuvor hingeworfen hatte, und grosse Manuskriptstapel. Das alles erschien mir so gewohnt und vertraut-unordentlich, und dann dachte ich daran, dass ich nun «ein junger amerikanischer Schriftsteller» sei, dass ich irgendwie Hochstapelei an meinen Lesern verübte und an meinen Kritikern, weil mein Hemd so aussah und meine Bücher und mein Bett – nicht etwa – verstehen Sie bitte – weil sie in gewohnter, vertrauter Unordnung waren, sondern einfach, weil sie so aussahen, wie sie aussahen. Aber nun begann etwas anderes in meinem Bewusstsein zu bohren. Die Kritiker begannen, sich nach meinem zweiten Buch zu erkundigen und so musste ich nun auch über das zweite nachdenken. Ich hatte immer über das zweite nachdenken wollen und über das zweiunddreissigste und das zweiundfünfzigste. Ich war sicher gewesen, dass ich hundert Bücher in mir hatte, dass sie alle gut sein würden, dass jedes von ihnen mich berühmt machen würde. Aber von diesen seltsamen und aufschreckenden Bränden wilder Hoffnungen und überschäumender Gewissheiten blieben nur nackte Tatsachen übrig. Jetzt, da ich tatsächlich ein Buch geschrieben hatte, und die Leser und Kritiker, die es gelesen hatten, auf ein zweites warteten, stand ich effektiv vor dem Problem, nicht so, wie ich es befürchtet hatte, einfach kalt und hart stand es vor mir wie eine Mauer. Ich war ein Schriftsteller und hatte das Leben eines Schriftstellers zu dem meinen gemacht; es gab kein Zurück mehr; ich musste vorwärts. Was konnte ich tun? Nach dem ersten Buch hatte einfach ein zweites zu kommen. Wovon sollte das zweite Buch handeln? Woher sollte ich es nehmen? Diese unausweichliche Tatsache quälte mich zuWasser-Prawda | Januar 2015 nächst nicht einmal so sehr, aber sie bedrückte mich mehr und mehr. Ich war zunächst mit vielen anderen Sachen befasst, die mit der Veröffentlichung des ersten Buches zusammenhingen, und die ich vorher nicht voraussehen konnte. Erstens hatte ich etwas nicht vorausgesehen, das jedem deutlich wird, wenn er ein Buch geschrieben hat. Etwas, das er nicht voraussehen kann, bis er es geschrieben hat. Man schreibt ein Buch nicht, um es in der Erinnerung zu behalten, sondern um es zu vergessen. Das war jetzt evident geworden. Sobald das Buch in Druck gegangen war, fing ich an, es zu vergessen, ich wollte es vergessen, ich wollte nicht, dass man mit mir darüber sprach oder mich darüber ausfragte. Ich wollte einfach allein bleiben und damit fertig sein. Und doch ersehnte ich verzweifelt Erfolg für mein Buch. Ich wünschte mir, dass die Welt es achte und ehre, – ich wünschte mir, kurz gesagt, ein erfolgreicher und berühmter Mann zu werden und dabei das gleiche Privatleben zu führen wie immer und meinen Ruhm und meinen Erfolg nicht erörtert zu sehen. Aus diesem Problem entwickelte sich wiederum eine schmerzliche und schwierige Situation. Ich hatte mein Buch mehr oder weniger unmittelbar aus meiner eigenen Lebenserfahrung geschrieben und darüber hinaus wohl, wie ich jetzt glaube, mit einer gewissen nackten, geistigen Intensität, wie sie gewöhnlich den frühen Werken junger Schriftsteller anhaftet. Auf jeden Fall kann ich ehrlich sagen, dass ich nicht voraussah, was sich ereignen würde. Ich war nicht nur von der Art des Echos überrascht, das mein Buch bei der Kritik und der Öffentlichkeit fand, vielmehr überraschte mich das Echo, das es in meiner Geburtsstadt fand. Ich hatte gedacht, dass in dieser Stadt vielleicht hundert Leute mein Buch lesen würden. Aber wenn es neben der Negerbevölkerung, den Blinden und den tatsächlichen Analphabeten wirklich hundert gegeben haben sollte, die es nicht lasen, so weiss ich nicht, wer sie gewesen sein könnten. Monatelang kochte die Stadt vor Wut, wie ich es nicht für möglich gehalten hatte. Das Buch wurde von der Kanzel aus durch die Pfarrer der führenden Kirchen angeprangert. Män- SPRACHRAUM ner versammelten sich an Strassenecken um es zu verdammen. Wochenlang waren die Frauenvereine, Bridgeclubs, Tees, Empfänge, literarischen Vereine, war das ganze dichte Gewebe des Kleinstadtlebens erfüllt von wütendem Geheul. Ich erhielt anonyme Briefe der gemeinsten Art und solche, in denen man mir androhte, dass man mich umbringen würde, wenn ich es wagen sollte, nach Hause zu kommen. Andere waren einfach nur obszön. Eine ehrenwerte alte Dame, die ich mein ganzes Leben lang gut gekannt hatte, schrieb mir, dass sie, obwohl sie nie eine Freundin der Lynchjustiz gewesen sei, nichts unternehmen würde, wenn die Menge meinen «grossen, unförmigen Kadaver» über den Stadtplatz schleife. Sie unterrichtete mich ferner davon, dass meine Mutter sich «weiss wie ein Gespenst» zu Bett gelegt habe und sich «nie wieder davon erheben werde». Es gab viele andere giftige Angriffe aus meiner Heimatstadt, und zum ersten Mal wurde mir eine Lektion zuteil, die jeder junge Schriftsteller zu lernen hat. Die Erfahrung von der nackten, versengenden Kraft des Gedruckten. Zu jener Zeit befand ich mich in einer bestürzenden und fast überwältigenden Situation. In meine Freude über den Erfolg meines Buches mischte sich der bittere Kummer darüber, wie es in meiner Heimatstadt aufgenommen wurde. Und doch, glaube ich, lehrte mich auch diese Erfahrung etwas. Zum erstenmal war ich gezwungen, folgendes Problem genauestens zu bedenken: woher nimmt der Künstler sein Material? Wie verwendet er das Material richtig und in wie weit muss seine Freiheit im Gebrauch dieses Materials von seinem Verantwortungsbewusstsein der Gesellschaft gegenüber, der er angehört, kontrolliert werden? Das ist ein schwieriges Problem, und ich bin ihm noch keineswegs auf den Grund gekommen. Vielleicht werde ich das nie. Aber als Resultat all des Kummers, den ich in jener Zeit durchlitt, und den andere vielleicht wegen mir durchlitten, habe ich viel darüber nachgedacht und bin zu bestimmten Schlüssen gekommen. Mein Buch war das, was man in Allgemeinen wohl als autobiographischen Roman zu bezeichnen pflegt. 77 Im Vorwort meines Buches protestierte ich gegen diese Bezeichnung mit der Begründung, dass jedes ernstzunehmende Kunstwerk notwendigerweise autobiographischen Charakter haben müsse, und dass kaum autobiographischere Werke geschrieben worden seien als etwa Gullivers Reisen. Ich fügte hinzu, dass Doktor Johnson einmal äusserte, dass man eine halbe Bibliothek in ein einziges Buch verwandeln könne, und dass auf ähnliche Weise ein Romancier die Hälfte seiner Gestalten seiner Heimatstadt zu einer einzigen Figur in seinem Roman umformen könne. Dennoch waren die Menschen meiner Heimatstadt nicht zu überzeugen oder zu besänftigen, und der Vorwurf des Autobiographischen wurde gegen mich auch von vielen anderen Seiten erhoben. Ich bin, wie schon gesagt, der Überzeugung, dass jede ernsthafte künstlerische Arbeit im Grunde autobiographisch sein muss, und dass man das Material und die Erfahrung seines eigenen Lebens verwenden muss, wenn man irgendetwas von bleibendem Wert schaffen will. Aber ich glaube jetzt auch, dass der junge Schriftsteller oft ahnungslos Lebensmaterial benutzt, das vielleicht zu nackt und zu direkt für die Zwecke eines Kunstwerks ist. Der junge Schriftsteller übersieht im allgemeinen die Grenzen zwischen Aktualität und Realität. Unbewusst neigt er dazu, ein Ereignis genau so zu beschreiben, wie es sich wirklich zugetragen hat, und vom künstlerischen Standpunkt aus ist das, wie ich jetzt beurteilen kann, falsch. Zum Beispiel ist es nicht wichtig, festzuhalten, dass eine schöne, leichtlebige Frau im Jahre 1907 aus dem Staate Kentucky kam. Ebenso gut könnte sie aus Idaho oder Texas stammen. Das einzig Wichtige ist, dass man Charakter und Eigenschaften der schönen, leichtlebigen Frau so gut wie irgend möglich kennzeichnet. Aber der junge Schriftsteller, gefesselt an Tatsächliches, geknebelt von der eigenen Erfahrungsarmut und befangen in Unreife wird vermutlich argumentieren: «man muss sie aus Kentucky kommen lassen, weil sie tatsächlich von dort stammte.» Trotzdem ist für einen schöpferischen Menschen die buchstäbliche Umsetzung seiner eigenen Erfahrung Wasser-Prawda | Januar 2015 78 SPRACHRAUM unmöglich. Alles in einem Kunstwerk wird verwandelt und umgesetzt durch die Persönlichkeit des Künstlers selbst. Und was mein erstes Buch angeht, so ist, ehrlich gesagt, nicht eine einzige Stelle darin, die tatsachengetreu wäre. Das führt zu einer weiteren merkwürdigen schriftstellerischen Erfahrung. Obschon mein Buch also nicht tatsachengetreu war, folgte es doch genau den allgemeinen Erfahrungen der Menschen meiner Stadt und, wie ich hoffe, aller lebenden Menschen. Die beste Art, das deutlich zu machen: Es war so, als sei ich ein Bildhauer, der ein bestimmtes Tonmaterial gefunden hatte, das er nun formte. Jetzt konnte ein Bauer, der den benachbarten Fundort des Tons kannte, vorbeikommen und den Bildhauer bei der Arbeit sehen und zu ihm sagen: «Ich kenne den Acker, von dem du den Ton hergeholt hast.» Aber es wäre unrecht, wenn er etwa gesagt hätte: «Das Bildwerk kenne ich auch.» Was nun in meiner Heimatstadt vor sich ging, war – wie ich vermute – dies: man sah den Ton und war unverzüglich davon überzeugt, dass man auch das Bildnis erkannte, und das Resultat dieses Missverständnisses war so schmerzlich und verrückt, dass es ganz unglaublich klingt, wenn ich darüber berichte. Ich musste erfahren, dass mir Leute aus meiner Heimatstadt versicherten, sie erinnerten sich nicht nur an Ereignisse und Charaktere aus meinem ersten Buch, die vielleicht tatsächlich in der Wirklichkeit wurzelten, sondern sie behaupteten auch, sich an Ereignisse zu erinnern, die, soweit ich weiss, keinerlei Vorbilder in der Welt der Tatsachen hatten. Zum Beispiel gab es in meinem Buch eine Szene, in der ein Steinmetz einer stadtbekannten Frau einen Marmorengel verkauft, der ihm lange Jahre viel bedeutet hatte. Soviel ich weiss, gab es für diese Szene keinerlei Anhaltspunkte in der Wirklichkeit, und doch versicherten mir verschiedene Leute später, sich nicht nur genau des Vorfalls zu erinnern, sondern auch selbst dabei gewesen zu sein. Damit war die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Ich hörte, dass eine der Zeitungen einen Reporter und einen Fotographen auf den Friedhof schickte und eine Fotographie veröffentlichte mit dem Bemerken, eben Wasser-Prawda | Januar 2015 dieser Engel sei der berühmte Engel, der so lange Jahre im Hof des betreffenden Steinmetzen gestanden und schliesslich meinem Buch den Titel gegeben habe. Unglücklicherweise hatte ich zuvor weder diesen Engel gesehen noch davon gehört, dass dieser Engel tatsächlich auf dem Grab einer bekannten Methodistin stand, die vor ein paar Jahren gestorben war. Ihre beleidigte Familie schrieb unverzüglich an die Zeitung, man möge diese Angelegenheit berichtigen, denn ihre Mutter stände in keiner Weise irgendwie in Beziehung mit dem infamen Buch oder dem infamen Engel, der dem infamen Buch seinen Namen gegeben habe. Ähnlicher Art waren die unvorhergesehenen Widerstände, denen ich mich nach der Veröffentlichung meines Buches gegenüber sah. Monate verstrichen. Ich hatte Erfolg. Der Weg war gebahnt. Für mich gab es nur eins: Arbeit. Und dabei verbrachte ich meine Zeit damit, mich in Kummer, Ärger und nutzlosem Zorn über die Aufnahme, die mein Buch in meiner Heimatstadt gefunden hatte, zu verzehren oder mich nutzlosen Träumereien hinzugeben, weil Kritiker und Leser mein Buch lobten, oder verzweifelt und bitter zu sein, weil sie es verspotteten. Zum erstenmal erfuhr ich, dass ein Künstler nicht nur leben und schwitzen, lieben und leiden und geniessen muss wie andere Menschen auch, sondern dass ein Künstler auch wie andere Menschen arbeiten muss, dass er vor allem arbeiten muss, während das Leben selbst weitergeht. Das scheint eine einfache und banale Feststellung, aber ich begriff sie nur schwer und in einem der schlimmsten Augenblicke meines Lebens. Es gibt kein künstlerisches Vakuum; es gibt keinen Zeitpunkt, in dem der Künstler in einer idealen Atmosphäre arbeiten könnte, frei von Kampf, wie ihn alle Menschen durchzumachen haben. Sollte der Künstler wirklich eine solche Zeit erleben, so darf er sie doch nie für sich erhoffen, darf sie nicht in alle Ewigkeit suchen. Auf jeden Fall wurde, während mein Leben und meine Energie sich derart in einer Vorhölle der Gefühle verbrauchten, die mein erstes Buch verursacht hatte, so gut wie nichts am zweiten getan. Und nun SPRACHRAUM stand ich einem anderen fundamentalen Problem gegenüber, das jeder junge Schriftsteller lösen muss, wenn er weiterkommen will. Wie bringt er es überhaupt zustande, etwas zu schreiben? Wie lange soll er arbeiten? Und wie oft? Welche Methode, wenn es überhaupt eine bestimmte gibt, soll er bei seiner Arbeit anwenden? Ich sah mich plötzlich der Notwendigkeit gegenüber, Tag für Tag zu arbeiten. Und so simpel diese Entdeckung jedem erscheinen mag, so war ich doch nicht auf sie vorbereitet. Ein junger Schriftsteller ohne Publikum fühlt die Notwendigkeit, die Zeitbedrängtheit nicht wie ein Schriftsteller, der schon veröffentlicht hat und der jetzt an einen Arbeitsplan, an Verlegertermine und an die Fertigstellung seines nächsten Buches denken muss. Plötzlich und mit einem Gefühl entschiedenen Erschreckens wurde mir klar, dass ich seit dem Erscheinen meines ersten Buches ein halbes Jahr hatte verstreichen lassen, in dem ich, von einer Unzahl Notizen und Bruchstücken abgesehen, nichts getan hatte. Mittlerweile aber war das Buch langsam aber stetig gekauft worden, und bereits im Februar 1930, fünf Monate nach seinem Erscheinen, war es mir möglich geworden, aus dem Lehrkörper der New York University auszutreten und meine ganze Zeit der Vorbereitung eines zweiten Buches zu widmen. Im Frühling hatte ich dazu das Glück, dass mir die Guggenheim Fellowship zuerkannt wurde; der Geldpreis setzte mich instand, ein Jahr im Ausland zu leben und zu arbeiten. Und dementsprechend ging ich Anfang Mai wieder auf Reisen. In Paris war ich zwei Monate, bis Mitte Juli, und obschon ich mich nun zwang, vier bis fünf Stunden täglich zu arbeiten, so waren doch meine Bemühungen um eine Komposition-im-Grossen ergebnislos. Was ich hinbrachte, war wirr und brüchig; nichts hatte das Formgefüge und die Einheitlichkeit eines Buches. Wie immer berückte mich das Leben der grossen Weltstadt, aber es weckte auch die alten, nackten Gefühle der Heimatlosigkeit, Wurzellosigkeit und des Alleinseins in mir, ganz so, wie ich sie in Paris immer empfunden habe. Für mich, wie ich erkannte, war Paris – und das hat sich nie geändert 79 – die heimwehbehaftetste Stadt der Welt. Paris ist der Ort, wo ich mir am meisten wie ein Ausländer, wie ein Fremder vorgekommen bin, und so sehr mich gewiss die Stadt immer wieder bezaubert und verführt, gut arbeiten konnte ich dort nie. Und an dieser Stelle möchte ich etwas zum Thema Arbeitsort sagen, weil das wieder so ein Problem ist, das jungen Schriftstellern viel zu schaffen macht und meines Erachtens unnötigerweise Zweifel, Ungewissheit und Verwirrung stiftet. Das ganze Suchen und die ganze Sucht nach dem rechten Arbeitsort hatte ich damals bereits durchgemacht; das war nun beinah schon erledigt für mich. Mein erster Aufenthalt in Paris lag sechs Jahre zurück. Damals war ich, ein junger Mensch von vierundzwanzig Jahren, nach Paris gekommen, vollgepfropft und ganz erfüllt von jenem romantischen Glauben, jener romantischen Närrischkeit, die so mancher junge Mensch damals dem Erlebnis Paris entgegenbrachte. Jenes erste Mal war ich, so hatte ich mir gesagt, nach Paris gekommen, um zu arbeiten, und zu jener Zeit hatte der zauberische Name Paris einen solchen Glanz, dass ich dachte, man könne dort tatsächlich viel besser arbeiten als an irgendeinem andern Ort auf Erden. Dort wehte ja, dachte ich, die kraftgeschwängerte, zu Kunsttaten freudig anregende Luft; dort musste ja, dachte ich, der Künstler auf alle Fälle ein glückseligeres und schicksalschöneres Leben finden, als es ihm in Amerika zu finden je möglich ist. Und nun war ich dahintergekommen und hatte eingesehen, dass das falsch ist. Ich war dahintergekommen und sah nun klar und deutlich, dass das, was die meisten von uns jungen Amerikanern in jenen Jahren suchten, als wir unser eigenes Land flohen und im Ausland Zuflucht suchten, in Wirklichkeit gar nicht der Arbeitsort war, sondern ein Ort, wo wir dem Arbeiten entgehen könnten, dass das, vor dem wir in jenen Jahren flohen, in Wirklichkeit gar nicht jene Spiesserei, jener Materialismus und jene Hässlichkeit im amerikanischen Leben waren, vor denen wir doch zu fliehen behaupteten, sondern die Notwendigkeit, ernstlich mit uns selbst handgemein zu werden, und Wasser-Prawda | Januar 2015 80 SPRACHRAUM die Notwendigkeit, in uns selber irgendwie das Zeug zum Leben zu finden, aus unserm eigenen Leben und aus unsern eigenen Erlebnissen den Gehalt unsrer Kunst zu ziehen, eben jenen Gehalt, den jeder, der je etwas Lebendiges schreibt, aus sich selbst ziehen muss, jenen Gehalt, ohne den er verloren ist. Der Arbeitsort! Ja, der Arbeitsort – zugegeben! – war Paris, war – zugegeben! – Spanien, war – zugegeben! – in Italien und auf Capri und auf Majorca, aber – grosser Gott! – er war auch Keokuk und Portland in Maine und Denver in Kolorado und Yancey County in Nord Carolina, und er war auch immer dort, wo wir gerade weilten oder wohnten, wenn nur da und dann die Arbeit in uns war! Und wäre das alles gewesen, was ich auf meinen Europareisen lernte, hätte ich meine ganze Wanderschaft als Kaufpreis gegeben einzig für diese schlichte Lehre, dann wäre die Lehre doch des Kaufpreises wert gewesen – aber diese Lehre war ja nicht alles. Ich hatte ausfindig gemacht, wie einer sein eigenes Land entdecken kann, wenn er es verlässt; wie ein Amerikaner Amerika finden kann, wenn er es in der Fremde in seinem Herzen, seinem Gedächtnis, seinem Geist findet. Ich glaube, ich kann behaupten, dass ich Amerika während meiner Wanderjahre im Ausland entdeckte, weil ich Amerika so sehr brauche. Die Entdeckung, dieser ungeheure Gewinn, schien unmittelbar aus dem Gefühl des Verlorenhabens zu kommen. Ich war nun schon fünfmal in Europa gewesen. Jedesmal war ich mit Begeisterung hingefahren und war irrsinnig begierig darauf gewesen, Europa zu sehen oder wiederzusehen, und jedesmal – wie, wo und auf welche Weise es geschah, weiss ich nicht – hatte ich das bittere Weh der Heimatlosigkeit verspürt, eine verzweifelte Sehnsucht nach Amerika, ein überwältigendes Verlangen, heimzukehren. Mich dünkt, während jener Sommermonate in Paris verspürte ich dieses grosse Heimweh stärker als je zuvor, und ich glaube wirklich, dass ich dieser Gemütsregung, diesem dauernden und fast unerträglichen Andrang der Erinnerung und des Verlangens, Wasser-Prawda | Januar 2015 den Stoff und das Gefüge verdanke, die ich nun schreibe. Die Art und Eigenheit meines Gedächtnisses ist durch einen, wie ich glaube, mehr als gewöhnlichen Heftigkeitsgrad bewahrter Sinneseindrücke gekennzeichnet, durch ein Vermögen, dinghaft-lebendig die Gerüchte, Laute, Farben, Formen und stofflich Tastbares wieder aufzurufen. Und nun war mein Gedächtnis Tag und Nacht an der Arbeit, und zwar in einer Weise, dass ich es zunächst weder bändigen noch zügeln konnte, und so, dass ohne Geheiss Zuvorerlebtes schwärmend und grell durch mein Bewusstsein hinzog, ein ganzer Strom mit den Millionen Formen und Gehalten jenes Lebens, das ich verlassen hatte, jenes Lebens, das mein eigen war, nämlich Amerika. So pflegte ich zum Beispiel auf einer Terrasse vor einem Kaffeehaus zu sitzen und das Glitzern und Spielen des Lebens auf der Avenue de l‘Opéra zu beobachten, und plötzlich fiel mir das Eisengeländer ein, das am Boardwalk in Atlantic City entlang gelegt ist. Ich konnte augenblicklich-inständig dieses Eisengeländer sehen, ich sah es, genau wie es war, die schweren Eisenröhren, die so roh und galvanisiert aussehen, die Art, wie die Gelenke ineinandergefügt sind. Das alles war so lebhaft und dinglich, dass ich in meiner Hand spürte, wie sich das Geländer anfasst, dass ich die genauen Verhältnisse, die Grösse, das Gewicht, die Form wusste. Und plötzlich war mir klar, dass ich in Europa nie ein Geländer gesehen hatte, das so aussah. Und diese äusserst vertraute, äusserst gewöhnliche Sache war mir plötzlich offenbar mit all der Verwunderung, mit der wir etwas entdecken, das wir schon immer gesehen und doch nie erkannt haben. Ein andermal war es etwa eine Brücke, das Aussehen einer alten eisernen Brücke, die über einen Strom in Amerika führt, der Laut, den ein Zug macht, wenn er über diese Brücke fährt, der Speichenschlag und der hohle Rumpeldonner auf den Schienenschwellen, der Anblick der verschlammten Ufer, die träge, dicke, gelbe Woge im Strom, ein breiter, flacher Kahn, halbvoll mit Wasser, am schlammigen Ufer angepflockt. Oder es war etwa der einsamste SPRACHRAUM und heimsucherischste von allen Lauten, die ich kenne, der Laut eines Milchwagens, der im ersten Morgengrauen auf einer Strasse in Amerika fährt, das langsame, einsame Klappern der Hufe auf dem Pflaster, das Geklinker der Flaschen, das plötzliche Scheppern einer alten, verbeulten Milchkanne, die flinken, eiligen Schritte des Milchmanns, dann das leise Wort, das er zu seinem Gaul spricht, und dann das grosse, langsame Hufklappern, das in der Stille verhallt, und dann die Leisigkeit und der Vogelsang, der auf der Strasse wiedererwacht. Oder es war etwa ein kleiner, holzgezimmerter Schuppen, der draussen in der Landschaft, zwei Meilen Wegs vor meiner Vaterstadt steht, ein Wartehäuschen, in dem Leute auf die Trambahn zu warten pflegen, und ich konnte wieder den stumpfen, eingeschlagenen Ton der alten grünen Ölfarbe sehen, mit der das Holz gestrichen ist, konnte die Initialen sehen und ertasten, die drinnen im Wartehäuschen auf Bohlen und Bänken mit Taschenmessern eingeschnitten worden sind, und jenen warmen, schwiemeligen Geruch riechen, der so harzig, so erregend ist, so geladen mit der fremden und namenlosen Eindringlichkeit einer unbekannten Freude, einer Verheissung, die gerade wahr werden soll, und den Trambahnwagen hören, wie er angesaust kam und bremste und hielt, den Augenblick brütender, schläfernder Stille, das heisse Gepoch und das einschläfernde Gestichel um drei Uhr nachmittags, und das Gras und den heissen, süssen Klee riechen und dann das jähe Gefühl von Verlassenheit, Alleinsein und Abschied empfinden, wenn der Strassenbahnwagen weitergefahren und nichts mehr da war ausser wiederum dem heissen, schläfernden, die Ohren stichelnden Laut von drei Uhr nachmittags. Oder ein andermal, da war es etwa eine Strasse in Amerika mit ihren tausend hässlichen, durcheinandergeschmissenen Architekturen, etwa Montague Street oder Fulton Street in Brooklyn oder Eleventh Street in New York oder irgendeine von den Strassen, in denen ich einmal gewohnt hatte. So pflegte ich plötzlich das hagere und wüste Pfeilergerüst der Hochbahnführung in der Fulton Street zu sehen; 81 ich sah, wie das Licht in staubigen, gebrochenen Schäften durch die Streben und Eisenrippen fiel, mir fiel jene alte, traute Rostfarbe ein, dieser unvergleichliche Rostton, der so viele Dinge in Amerika beschlägt. Und das war doch auch wieder wie etwas, das ich millionenmal gesehen, mit dem ich mein Leben lang gelebt hatte. Da sass ich also und blickte auf die Avenue de l‘Opéra, und das Herz im Leib tat mir weh von der Fülle dieses ganzen Gedenkens, vom Verlangen, all dieses Erinnerte wiederzusehen, irgendwie eine Sprache für es zu finden, das Wort, das es nach Form und Farbe und Beschaffenheit so aussage, wie wir es alle erlebt und gekannt haben. Und als ich dies verstand, ward mir klar, dass ich für mich selbst die Zunge finden müsse, um von dem zu sprechen, was ich zwar wusste, aber nicht aussagen konnte. Und vom Augenblick dieser Entdeckung an waren meinem. Leben Linie und Zweck gegeben. Das Ziel, auf das sich fortan mein ganzes Streben und Wollen richten, dem sich mein ganzes Leben entgegenbewegen, für das ich mein ganzes Talent einsetzen sollte, dieses Ziel war mir somit bestimmt worden. Mir war, als hätte ich ein ganzes Universum von chemischen Elementen entdeckt und gerade angefangen, gewisse Beziehungen zwischen diesen Elementen zu erkennen, hätte aber noch keineswegs damit begonnen, die ganzen Serien dieser Elemente zu harmonischer und zusammenhängender Verbundenheit zu organisieren. Meine Bemühungen nach diesem Zeitpunkt lassen sich, wie mich dünkt, bezeichnen als das Sichbemühen um die vollkommene Organisierung dieser Elemente, um die endgültige, zusammenhängende Verbundenheit dieser Elemente, um die Entdeckung und Wahrmachung, die Gliederung und Verdeutlichung dieser zu Verbundenheit organisierten Elemente im Sprachlichen. Ich weiss, dass mir das bis jetzt noch nicht gelungen ist, aber ich glaube, recht gründlich erkannt zu haben, worauf mein Misslingen zurückzuführen ist, und natürlich ist es meine höchste und ernsteste Hoffnung, dass die Zeit kommen wird, wann es mir nicht mehr misslingen soll. Wasser-Prawda | Januar 2015 82 SPRACHRAUM Jedenfalls, dass ich von diesem Zeitpunkt an im allgemeinen vorankam mit den drei Büchern, die ich in den nächsten viereinhalb Jahren schreiben sollte, das dürfte sich wohl mit einiger Richtigkeit in etwa dieser Weise schildern lassen. Dieses Vorwärtskommen war zunächst ein Sich-Herausschaffen aus Strudeln und Wirbeln, aus einem schöpferischen Chaos, und dann ein langsames, mit Irren und Verwirrung und unendlicher Plackerei bezahltes Fortschreiten zur Klärung und der Verdeutlichung eines geordneten und formalen Gefüges. Mir ist aus jenem Jahr – ich spreche von dem Jahr, das ich in Europa verbrachte, dem Jahr, in dem das Zeug zu jenen Büchern zum erstenmal verdeutlichte Form anzunehmen begann – ein aussergewöhnliches Wahrbild in Erinnerung geblieben. Mir war als hätte ich die ganze Zeit eine grosse, schwarze Wolke in mir, die ständig anschwoll und sich dichter zusammenzog, und diese Wolke wäre mit Elektrizität geladen, schwanger, aufgetrieben, von einer gewissermassen tornadohaften Gewalt, die nicht mehr lange zurückzuhalten wäre, so, dass der Augenblick schnell heranrückte, in dem die Wolke bersten müsse. Nun, alles was ich sagen kann, ist: Der Sturm brach los. Er brach los noch in jenem Sommer, als ich in der Schweiz weilte. Es goss in Strömen, und das Gewitter ist jetzt noch nicht vorüber. Ich kann eigentlich wirklich nicht sagen, dass ich das Buch geschrieben habe. Es war etwas, das Besitz von mir nahm, das mich besass, und, bevor ich damit fertig war – das heisst, bevor ich schliesslich den ersten abgeschlossenen Teil beendet hatte – schien es mir, als habe das Buch sich selbst geschrieben. Es war tatsächlich, als ob diese grosse, schwarze Sturmwolke, von der ich sprach, sich geöffnet hatte, und als ob – inmitten von Blitzen – aus ihren Tiefen eine nicht zu bändigende Sturmflut hervorschoss. Auf dieser Sturzflut wurde alles dahingeschwemmt und fortgetragen wie auf einem reissenden Fluss. Und auch ich wurde mitgerissen. Zunächst war nichts da, was Roman genannt werden könnte. Ich schrieb von der Nacht und der Dunkelheit in Amerika und von den Gesichtern der SchläWasser-Prawda | Januar 2015 fer in zehntausend kleinen Städtchen und von den Flutgezeiten des Schlafes und davon, wie die Flüsse immerdar in der Dunkelheit fliessen. Ich schrieb vom zischenden Geschwelg der Brandungen, die an Küstenstrecken nagen, die zehntausend Meilen messen, und davon, wie der Mond auf die Wildnis grellte und der Katze kaltes Auge mit Gelbglut füllte. Ich schrieb von Tod und Schlaf und von jenem Fabelwesen des Lebens, den wir «Die Stadt» nennen. Ich schrieb vom Oktober, von grossen Zügen, die durch die Nacht donnerten, von Schiffen und Bahnhöfen am Morgen, von Menschen in Häfen und dem Fahrverkehr der Schiffe. Die Zeit vom Oktober bis zum März, also den ganzen Winter jenes Jahres, verbrachte ich in England, und hier – vielleicht ist es der anheimelnden Trautheit des englischen Lebens zuzuschreiben, jenem Gefühl von Ruhe und Ordnung, das einem so ein Leben schenken kann – kam ich mit meiner Arbeit wieder einen Schritt weiter aus dem schöpferischen Flutgezeitenchaos heraus. Die Arbeit fing nun an, die ersten Linien einer planvoll zeichnerischen Führung anzunehmen. Diese Linienführungen waren zwar wirr und gebrochen, und manchmal waren sie überhaupt noch nicht da, aber es war in der Tat so, dass ich nun endlich das Gefühl hatte, an einem grossen Marmorblock zu arbeiten und eine Gestalt herauszuhauen, die vorläufig ausser dem Bildhauer wohl niemand bestimmen könnte, die aber mehr und mehr mit den sehnigen Linienzügen der Komposition zutage träte. Von allem Anfang an bestand eine Tatsache, die mich über alle meine Rückfälle in die Hoffnungslosigkeit hinweg in meinem Glauben, in meiner Überzeugtheit bestärkte und bestätigte – nämlich der Grundgedanke, das zentrale Thema, um das sich mein Buch drehen sollte, blieb unverrückt. Der Grundgedanke war dieser: das tiefste Suchen im Leben, wie mir schien, das, was auf die eine oder andre Weise allem Leben mitten eingesetzt war, war das Suchen des Menschen nach einem Vater, nicht bloss dem Vater seines Fleisches, nicht bloss dem verlorenen Vater seiner Jugend, sondern nach einem SPRACHRAUM Wahrbild der Stärke und Weisheit, wie es ausserhalb der Menschennot und erhaben über dem Menschenhunger stehe, dem sich der Mensch durch den Glauben und die Kraft seines eignen Lebens einhellig verbinden könne. Und doch war ich noch weit entfernt von dem vollendeten Buch – wie weit, konnte ich damals nicht ahnen. Aber es bedurfte weiterer vier Jahre, ehe das erste einer Reihe von Büchern, die ich damit in Angriff genommen hatte, druckfertig war, und hätte ich geahnt, dass diese vier Jahre angefüllt sein würden mit hunderten von Leben, mit Geburt, Tod und Verzweiflung, Niederlage und Triumph und der völligen Erschöpfung, der nackten Ermattung, dann weiss ich nicht, ob ich die Kraft aufgebracht hätte, weiter zu arbeiten. Aber noch immer nährte mich der überschwengliche Optimismus der Jugend. Mein Temperament, das in mancher Hinsicht zum Pessimismus neigt, ist, was Zeit angeht, im allgemeinen immer optimistisch gewesen. Obwohl mehr als ein Jahr vergangen war, und ich nichts als grosse Gesänge über Tod und Schlaf geschrieben, die verschiedensten Notizen gemacht und hier und da erste ungefähre Kompositionsskizzen angelegt hatte, vertraute ich doch darauf, dass im Frühling oder Herbst des nächsten Jahres mein Buch irgendwie wunderbarerweise fertig sein würde. Soweit ich es mit einiger Genauigkeit zu schildern imstand bin, vollzog sich mein Vorankommen mit der Arbeit während jenes Winters in England nicht nach Anlage und Werkplan, sondern in der vorerwähnten Weise – ich schrieb ein paar von den Stücken, von denen ich wusste, dass sie in das Buch hineinmüssten. Mittlerweile aber ging die ganze Zeit über etwas wirklich ganz anderes in meinem ganzen schöpferischen Bewusstsein vor, und ohne allerdings wissentlich gewahr zu werden, was ich da täte, tat ich etwas, was ich schon ständig getan, seit ich mir im Sommer zuvor in Paris mein Amerika entdeckt hatte: Tag um Tag und Monat um Monat erforschte ich eifrig besessen das gesamte Stoffgebiet meines menschlichen und schriftstellerischen Vermögens. Vorsichtig geschätzt, hat mich 83 diese Erforschung mindestens zweieinhalb Jahre gekostet. Sie dauert jetzt noch an, wenngleich nicht mit demselben ausschliesslichen, vollauf beanspruchenden Einsatz, denn das Werk, das sie mir nach unendlicher Vergeudung und Plackerei bestimmen half, das Werk, zu dem sie mich führte, dieses Werk hat mittlerweile einen Stand von so endgültiger Bestimmtheit erlangt, dass die vordringliche Aufgabe der Fertigstellung nun meine Lebensenergie fordert, mein Daseinsinteresse besitzt. Auf meine Person in jener Spanne meines Lebens trifft, dünkt mich, sinngemäss zu, was der alte Seemann im Gedicht dem Hochzeitsgast erzählt [Fußnote]. Sein Leib, sagt da der alte Seemann, krümme sich von einer schmerzlichen Seelennot, die ihn zwänge, mit dem Erzählen zu beginnen, und ihn erst dann wieder losliesse. Die Rolle des Hochzeitsgasts im Gedicht übernahmen in meinem Falle die grossen Kopierbücher, in die ich schrieb, und was ich diesen Kopierbüchern anvertraute, das würde, befürchte ich, einem Leser vollkommen zusammenhanglos und obendrein unverständlich wie chinesische Schriftzeichen vorkommen. Ich darf keineswegs hoffen, dass ich hier eine fassliche Vorstellung vom ganzen Umfang dieser Aufzeichnungen geben kann, denn ich habe mich beinah drei Jahre mit der Arbeit geplagt, und etwa anderthalb Millionen Wörter sind in diese Kopierbücher geschrieben worden. Da stand beinah alles und jedes, von riesigen, taumelhaften Listen der Grossund Kleinstädte, Counties, Staaten und Länder, in denen ich gewesen war, bis zu peinlich gründlichen, verzweiflungsvoll beschwörerischen Beschreibungen des Fahrgestells, der Federn, Räder, Flanschen, Achsen, des Bremsgestängs, der Farbe, des Gewichts und der Beschaffenheit der Day-Coach eines amerikanischen Eisenbahnzugs. Da gab es Listen von den Zimmern und Häusern, in denen ich gewohnt oder in denen ich wenigstens eine Nacht geschlafen hatte, zusammen mit den genauesten und eindringlichsten Schilderungen jener Zimmer, die ich beschreiben konnte, ihre Grösse und Form, die Farbe und das Muster der Tapete, die Art, wie da ein Handtuch Wasser-Prawda | Januar 2015 84 SPRACHRAUM hing, ein Stuhl knarrte, ein Wasserplacken an der Decke aussah. Da gab es eine Unzahl Zusammenstellungen, Tabellen, Schemata, Kataloge, Aufzeichnungen, die ich hier nur unter der allgemeinen Überschrift «Menge und Zahl» klassifizieren kann. Wie hoch belief sich die Gesamteinwohnerzahl aller Länder Europas und Amerikas? In wievielen von diesen Ländern hatte ich irgendein Erlebnis gehabt, das mich persönlich anging und mir lebenswichtig war? Wieviel Leute hatte ich im Laufe meiner neunundzwanzig oder dreissig Lebensjahre zu Gesicht gekriegt? Wieviele von ihnen waren auf der Strasse an mir vorbeigegangen? Wieviele hatte ich in Zügen und Untergrundbahnen, wieviele in Theatern, wieviele bei Baseball- und Fussballspielen gesehen? Mit wievielen hatte ich etwas Lebenswichtiges und mein Verständnis Bereicherndes erlebt, sei es nun Freude, Schmerz, Ärger, Mitleid, Liebe oder schlichte, beiläufige, wenn auch noch so kurze Kameradschaft gewesen? Ausserdem konnte man auf andere Abschnitte kommen, die so eine rätselhafte Überschrift wie «Wo nun?» trugen. Unter so einer Überschrift standen dann Kurzaufzeichnungen über Tausende von Sachen und Dingen, wie wir sie alle in unserem Leben im blitzhaften Nu bloss, im einen einzigen Augenblick nur erlebt haben, die uns im Erlebnisaugenblick vollkommen bedeutungslos zu sein scheinen und uns doch immerdar im Herz und Gemüt lebendig bleiben, die irgendwie trächtig sind von aller Freude und allem Kummer des Menschenloses, von denen wir deswegen irgendwie wissen, dass sie wichtiger als manche Sachen und Dinge von offensichtlicherer Bedeutung sind. «Wo nun?» Der Hall der Tritte eines Mannes, der kam und vorbeiging auf einer baumbestandenen Strasse in einer Sommernacht in einer kleinen Stadt drunten in den Südstaaten vor langer Zeit; die Stimme einer Frau, ihr plötzlich aufwallendes, leises und zärtliches Lachen; dann Stimmen, verhallende Tritte, Stille, das Rauschen des Laubes an den Bäumen. «Wo nun?» Zwei Züge, die einander auf einem kleinen Kleinstadtbahnhof begegneten und hielten in irgendeinem unbewussWasser-Prawda | Januar 2015 ten Augenblick auf dem ungeheuren Leib des amerikanischen Kontinents; ein Mädchen im anderen Zug, das aufsah, durchs Fenster blickte und lächelte; ein andres Mädchen, das im Auto auf den Strassen von Norfolk vorüberfuhr; die Wintergäste in einem kleinen Boardinghouse drunten in den Südstaaten vor zwanzig Jahren; Miss Florrie Mangle, die Krankenpflegerin mit Diplom; Miss Jessie Rimmer, die Kassiererin in Redd‘s grosser Drogerie; Doktor Richards, der Hellseher; die Dompteuse im Zirkus, jenes hübsche Mädchen, das mit der Peitsche knallte und seinen Kopf in den Rachen des Löwen steckte, mit Johnny J. Jones Carnival and Combined Shows. «Wo nun?» Es ging über die Grenzen des tatsächlichen Gedenkens hinaus. Es ging zurück bis ins entrückteste Tempelinnere der Kindheit dessen, der sich erinnerte, in die Zeit, ehe sein bewusstes Erinnern begonnen hatte, es ging darum, wie er die Sonne eines Tages gespürt zu haben dachte und Nachbar Peagrams Kuh gehört zu haben glaubte, als sie das Rauhgras, das am Zaun wuchs, rupfte, oder darum, wie er gehört zu haben glaubte, wie eines Mittags der Strassenbahnwagen auf dem Hügel oberhalb seines Vaterhauses hielt, wie Ernest Peagram, der zu Tisch heimkam, mit herzhafter Stimme mittäglich grüsste, wie der Strassenbahnwagen dann weiterfuhr und nicht mehr da war und dadurch eine plötzliche, grüngoldne, einsame Stille entstand, in die hinein eine eiserne Gartentür zugeschlagen wurde ... Und hier losch wie abgeblendet das Licht dieses verlorenen Tages aus. «Wo nun?» Der, der sich zu erinnern glaubt, kann sich weiter nichts aufrufen; er weiss nicht, ob das, was er sich aufrief, Tatsache oder Erfindung oder Beides-in-Einem ist. «Wo nun?» – Monat um Monat schrieb ich dergleichen in meine grossen Kopierbücher, nicht nur das fassbar Stoffliche, wie es das regelrechte Gedächtnis des Menschen bewahrt, sondern auch alle diese Sachen, von denen wir Menschen kaum zu denken wagen, dass wir uns ihrer erinnern, all das Gehusch und Geflacker und die heimsuchenden Lichter, die uns ohne Geheiss in unerwartetem Augenblicken übers Bewusstsein hinzucken; eine einst gehörte Stimme, SPRACHRAUM ein Antlitz das entschwand, das Hereinfallen, Weiterrücken und Davonwandern der Sonnenstrahlen, das Gezettel eines Blattes an einem Zweig; ein Stein, ein Blatt, eine Tür. Man mag einwenden, und dieser Einwand ist häufig von bestimmten Kritikern erhoben worden, dass solche Durchforschung, wie ich sie hier zu beschreiben versucht habe, eine Art wilden Rausches ist, dass in ihr ein geradezu wahnsinniger Hunger, die gesamte menschliche Erfahrung zu verschlingen, offenbar wird, der Versuch, mehr zu erfassen, mehr zu erfahren, als das Mass eines einzelnen Lebens fassen kann, oder als die Grenzen eines einzelnen Kunstwerks gestatten. Ich gebe gern zu, dass diese Kritik berechtigt ist. Ich glaube, ich sehe ebenso gut wie sonst jemand die drohenden Gefahren, die ein so wahnwitziges Verlangen mit sich bringt, den Schaden, den es einem an Leben und Werk zufügen kann. Aber da ich es nun einmal in mir trug, konnte ich es mir auch auf keine Art und Weise ausreden, ganz gleich, wie mächtig sich mein Verstand dagegen auflehnte. Es gab keine Art, damit fertig zu werden, als ihm mit dem Leben und nicht mit dem Verstand zu begegnen. Es gehörte zu meinem Leben, jahrelang machte es überhaupt mein Leben aus, und die einzige Art, damit fertig zu werden, war: es auszuleben. Und das tat ich denn auch. Ich habe dieses Ziel zwar noch immer nicht erreicht, aber ich bin ihm näher gekommen als ich damals hoffen durfte. Heute glaube ich fest, dass die unbegrenzte Ausdehnung menschlicher Erfahrung für den Künstler nicht so wichtig ist wie die Tiefe und Intensität, mit der er sie durchlebt. Ausserdem weiss ich jetzt, dass es viel wichtiger ist, hundert lebende Menschen in New York gekannt zu haben, ihr Leben begriffen zu haben, auf den Grund ihres Wesens gedrungen zu sein, als an sieben Millionen Menschen auf der Strasse vorbeigegangen zu sein oder mit ihnen gesprochen zu haben. Und was ich über diese Durchforschung vor allem sagen möchte, die ich hier zu beschreiben versucht habe: So närrisch und verfehlt auch manches an ihr sein mag, die Summe der Erfahrung und 85 ihre Wirkung war nicht vergebens oder masslos. Von meinem Gesichtspunkt aus wenigstens ist sie in ihrer umfassenden Bedeutung das einzig wirklich Wertvolle, was ich über meine Erfahrungen als Schriftsteller anderen Menschen vermitteln kann. Ich betrachte diese Erfahrung in ihrer Gesamtheit als äusserst wertvoll und nützlich, soweit sie mein bisheriges schriftstellerisches Leben angeht. Mit all ihrer Verschwendung, all ihren Irrtümern und Verwirrungen führte sie mich und näherte sie mich einer wirklichen Erkenntnis meiner Kraft, einer wahrhaftigen Abschätzung meiner Begabung in jener Zeit meines Lebens, und sie führte mich vor allem zu einem zwar noch unvollkommenen, eben beginnenden, aber lebendigen Verständnis der Ausdrucksmöglichkeiten, nach denen ich suche, der Sprache, die ich schreiben muss, wenn mein künstlerisches Leben sich entwickeln und wachsen soll, mehr jedenfalls als irgendetwas, das mir sonst widerfuhr. Ich weiss, dass die Tür noch nicht geöffnet ist. Ich weiss, dass die Zunge, die Sprache, die ich suche, noch nicht gefunden ist, aber ich glaube von ganzem Herzen, dass jeder Mensch für sich und auf seine Weise, jeder Mensch, der hoffen darf, etwas Lebendiges aus den Substanzen seines eigenen Lebens zu schaffen, seinen Weg finden muss, seine Sprache und seine Tür in sich selbst suchen muss, wie ich es getan habe. Als ich im Frühling des Jahres 1931 nach Amerika zurückkehrte, hatte ich, obwohl drei- oder viertausend Worte an Material vorlagen, noch nichts in der Hand, das als Roman hätte bezeichnet oder veröffentlicht werden können. Fast anderthalb Jahre waren seit der Veröffentlichung meines ersten Buches verstrichen, und schon begannen die Leute jene wohlmeinende Frage zu stellen, die in den Folgejahren unerträglich in meine Ohren klang als der beissendste Spott: «Haben Sie Ihr nächstes Buch schon fertig?» «Wann wird es erscheinen?» Damals war ich sicher, dass ein paar Monate konzentrierter Arbeit das Buch zustande bringen würden. Ich fand einen Ort, eine kleine Kellerwohnung im Assyrischen Viertel Süd-Brooklyns, und dort Wasser-Prawda | Januar 2015 86 SPRACHRAUM ging ich an die Arbeit. Aus dem Frühling wurde Sommer, aus dem Sommer Winter. Ich arbeitete hart. Tag für Tag, und doch war noch immer nichts entstanden, das Form und Geschlossenheit eines abgerundeten Werkes zeigte. Es wurde Oktober, und damit waren es zwei volle Jahre her, seit mein erstes Buch erschienen war. Und jetzt war ich zum erstenmal schuldbewusst, was die Veröffentlichung meines Buches anbetraf. Ich litt unter der vor mir fliehenden Zeit, unter nackter Verzweiflung, die in den nächsten drei Jahren immer peinigender und unerträglicher wurde. Zum ersten Mal sah ich ein, dass mein Unterfangen viel grösser war, als ich angenommen hatte. Ich hatte noch zur Zeit meiner Rückkehr aus Europa geglaubt, dass ich nur an einem Buch schriebe, das sich in den Grenzen von etwa zweihunderttausend Worten halten würde. Jetzt, da Szene auf Szene folgte, Gestalt auf Gestalt ins Leben trat, und mir das Verständnis für mein Material mehr und mehr aufging, entdeckte ich, dass es unmöglich war, das Buch, das ich mir vorgenommen hatte, in den Grenzen zu halten, die ich dafür abgesteckt hatte. Diese ganze Zeit über sah ich meine Bemühungen dauernd vereitelt durch ein gewisses Zeitelement im Buch, oder vielmehr durch eine Zeitbezüglichkeit, die nicht zu umgehen war und die ich nun verzweifelt in die Darstellung einzubauen suchte. In dem Stoff, den ich behandelte, waren von vornherein drei Zeitelemente gegeben. Das erste und offensichtlichste war das Element tatsächlicher, gegenwärtiger Zeit, in dem die Erzählung vorangetragen wurde, in dem die Gestalten und Ereignisse dargestellt wurden als Menschen und Geschehnisse, die in der Gegenwart leben oder sich in der Gegenwart zutragen und in eine unmittelbare Zukunft weiterreichen. Das zweite Zeitelement war ein Element vergangener Zeit, mittels dessen dieselben Gestalten dargestellt wurden als Träger und Getragene ihrer ganzen gelebten Vergangenheit, so, dass jeder gegenwärtige Augenblick ihres Daseins nicht nur bedingt war durch das, was sie in diesem gegenwärtigen Augenblick erlebten, sondern auch durch die ganze Gewalt und WesenWasser-Prawda | Januar 2015 heit dessen, was sie vor diesem Augenblick erlebt hatten. Zu diesen zwei Zeitelementen trat noch ein drittes, das ich als unwandelbare Zeit begriff, als die Zeit der Ströme, Gebirge, Meere und der Erde, gewissermassen als eine ewige und unveränderliche All-Zeit, gegen die die Vergänglichkeit des Menschenlebens, die bittere Kürze der Menschentage sich abheben sollte. Das Arbeiten mit diesen drei Zeitelementen erwies sich als eine schwierige Aufgabe, ich wäre ihr fast erlegen, und sie hat mich in den darauffolgenden Jahren zahllose Stunden der Geistesangst gekostet. Als mir die wahre Natur der Arbeit, die ich mir vorgenommen hatte, klarzuwerden anfing, begann das Wahrbild des Stromes mein Bewusstsein heimzusuchen. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, ein grosser, nach Befreiung drängender Strom tose in mir und wolle aus mir entspringen, und ich müsse eine Fahrrinne finden, in die sich seine Flutgewalt ergiessen könne, ja, unbedingt müsse ich sie finden, denn sonst würde ich von der von mir selbst gezeugten Flut zerstört werden. Ich bin sicher, jeder Künstler auf Erden hat dieses selbe Erlebnis gehabt. Derweil aber war ich zum Opfer einer Fehlvorstellung geworden, einer fixen Idee, deren Unmöglichkeit ich damals nicht ganz begriff. Ich war nämlich noch überzeugt, mein ganzes riesenhaftes Planen müsse sich innerhalb der Grenzen eines einzigen Buches, das «Das Oktoberfest» heissen sollte, wahrmachen lassen. Es verstrich wieder ein Jahr, bis ich einsah, dass ich an einem Stoff arbeitete, der beinahe hundertfünfzig Jahre amerikanischer Geschichte einbezog, der notwendig mehr als zweitausend Gestalten einführte, so, dass in der endgültigen Fassung beinah jeder Rassentypus und beinah jede Gesellschaftsklasse des amerikanischen Lebens geschildert werden würde, und bis ich mir somit klar darüber ward, dass selbst ein sehr umfangreiches Buch, ein Roman von zweihunderttausend Wörtern, völlig unzulänglich für diesen Zweck wäre. Wie ich schliesslich zu dieser Einsicht kam? Ich glaube, es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, ich hätte mich in diese Einsicht hineingeschrieben. SPRACHRAUM Während dieses Jahres schrieb ich wie ein von Furien Getriebener, ich empfand nun den ganzen Druck der unwiederbringlichen Zeit, verspürte nun die drängende Notwendigkeit, etwas fertigzustellen. Ich schrieb wie ein Verrückter; eine Schilderung nach der andern, ein Kapitel nach dem andern wurde fertig. Die Gestalten nahmen allmählich Leben an, sie wuchsen, es wurden ihrer so viele, dass sie schon nach Hunderten zählten, aber der Umfang meines Unternehmens war, wie ich nun verzweifelt erkannte, so ungeheuer, dass die vollendeten Kapitel mir vorkamen wie Lichter in einer Lichterkette, wie man sie zuweilen durch die Fenster fahrender Nachtschnellzüge in dunkler und einsamer Landschaft laufen sieht. Tag für Tag arbeitete ich wie ein von Furien Getriebener, bis endlich meine schöpferischen Kräfte völlig erschöpft waren, und obschon ich dann manchmal in einer solchen Schaffensspanne zweihunderttausend Wörter geschrieben hatte, also Zeug genug für ein sehr dickes Buch, so musste ich doch mit einem Gefühl der grauenhaften Verzweiflung erkennen, dass das vollendete Stück nur ein kleiner Abschnitt aus einem grossen Werke war. Während dieser Zeit geriet ich in jenen Zustand nackter Not und äusserster Vereinsamung, den jeder Künstler, wenn er überhaupt durchkommen will, an sich erfahren und überwinden muss. Zuvor hatte mich der köstliche Wahn des Erfolges getragen, der uns alle trägt, wenn wir lediglich träumen, wir schrieben Bücher, anstatt sie tatsächlich zu schreiben. Nun sah ich, wie die Dinge gegen mich standen, und plötzlich ward mir klar, dass ich mich mit meinem Leben und meiner Gesinnung so ganz unwiderruflich auf diesen Kampf eingelassen hatte, dass ich nun siegen oder untergehen müsse. Ich stand allein mit meinem Werk, und ich wusste nun auch, dass ich mit ihm allein stehen müsse, dass mir niemand dabei helfen könne, ganz gleich, wie sehr er auch mir zu helfen begehre. Nun erkannte ich zum erstenmal eine andere nackte Tatsache, wie sie jeder Künstler kennen muss, und diese ist, dass im Werk, das einem Menschen zu leisten gegeben ist, 87 nicht nur der Same des Lebens enthalten ist, sondern auch der Same des Todes, und dass dieselbe Schöpferkraft, die uns erhält, uns auch wie ein Aussatz zerfressen wird, wenn wir sie wie ein Totgeborenes in unsren Eingeweiden verwesen lassen. Irgendwie musste ich es aus mir herausschaffen. Das sah ich nun ein. Und nun stahl sich mir zum erstenmal ein fürchterlicher Zweifel ins Gemüt, nämlich, dass ich womöglich nicht lange genug leben würde, um es aus mir herauszuschaffen, dass ich mir da eine so grosse und so unmögliche Arbeit angeschafft hätte, dass die Kräfte von zwölf Lebzeiten nicht genügen würden, sie darzuleisten. Unschätzbare Schicksalsgunst war es, dass mir in dieser Zeit ein Beistand ward, der mich aufrecht erhielt. Ich hatte zum Freund einen Menschen von unermesslicher und geduldiger Weisheit und einer liebenswürdigen, aber unnachgiebigen Festigkeit. Wenn es damals nicht so weit kam, dass mich das Gefühl der Hoffnungslosigkeit vernichtete, das jene Riesenplackerei in mir auslöste, dann, glaube ich, war es grösstenteils dem Mut und der Geduld dieses Mannes zuzuschreiben. Ich gab nicht nach, weil er nicht zuliess, dass ich nachgab. Mir scheint zu stimmen, dass er damals in der Lage des kundigen Beobachters auf dem Feldherrnhügel war; ich selber aber war in die Schlacht gezogen, war von Staub und Schweiss bedeckt und vom Kampfe erschöpft, und so begriff ich bei weitem weniger als mein Freund davon, wie die Schlacht stand und worum der Kampf ging, in den ich mich eingelassen hatte. Vom Beobachten abgesehen, blieb für diesen Mann damals wenig zu tun; er konnte nur auf diese oder jene Weise dafür sorgen, dass ich bei meiner Sache bliebe, und auf vielerlei wunderbare Weise ist ihm das gelungen. Ich war nun mit meinem Werk an diesem Punkte angelangt, wo es sich schlechthin um die Hervorbringung handelt, und selbst der grösste Herausgeber kann wenig für einen Schriftsteller tun, solang dieser nicht aus dem Geheimdunkel seines Geistes das ihm vorschwebende lichte Gebilde dinglich fertig ans gewöhnliche Tageslicht gebracht hat. Mein Wasser-Prawda | Januar 2015 88 SPRACHRAUM Freund, der Herausgeber, hat sein eignes Tun in jener schmerzensreichen Zeit mit dem Unterfangen eines Mannes verglichen, der versucht, sich an der Flosse eines sich tummelnden Walfisches festzuhalten – aber festgehalten hat er sich, dieser Freund, und seiner zähen Ausdauer verdanke ich mein endgültiges Befreitsein. Unterdes arbeiteten meine schöpferischen Kräfte auf höchsten Touren. Manchmal schrieb ich, ohne zu glauben, je damit zu Ende zu kommen. In mir war schwärzeste Verzweiflung, und doch schrieb ich und schrieb und konnte nicht aufhören zu schreiben. Und mir schien es, als triebe mich die Verzweiflung selbst zum Schreiben, auch wenn ich nicht daran zu glauben vermochte, je zu Ende zu kommen. Mein Leben in Brooklyn schien mir, obwohl ich nur zweieinhalb Jahre hier wohnte, in die Jahrhunderte zurückzureichen, in ozeanische Tiefen schwarzer, bodenloser Erfahrung, ohne dass das gewöhnliche Stundenmass sie jemals auszuloten vermochte. Manchmal haben mich die Leute gefragt, was eigentlich in diesen Jahren mit mir geschehen sei. Sie haben mich gefragt, wie ich denn überhaupt noch Zeit gefunden hätte, mich darüber zu orientieren, was in der Welt um mich vorging, da doch mein Leben so völlig in der Welt des Geschriebenen aufging. Es mag als banal erscheinen, aber die Wahrheit ist es, dass ich nie in meinem ganzen Leben so voll und reich gelebt habe, nie in so reichem Masse am menschlichen Leben teilhatte als eben in diesen Jahren, während ich mit dem gigantischen Problem meines Werkes kämpfte. Eins steht fest, meine sinnlichen und schöpferischen Anlagen, die Kräfte des Gefühls und des Verstandes, selbst der Gehörsinn und vor allem mein Erinnerungsvermögen hatten den höchsten Grad an Schärfe erreicht, den ich je kannte. Am Ende eines stürmischen Arbeitstages brannte mein Gehirn noch vor Anstrengung. Ich war unfähig, es durch Lektüre, Musik, Gedichte, Alkohol oder irgendeine andere Vergnügung zu beruhigen. Ich war unfähig zu schlafen, unfähig, den Tumult dieser schöpferischen Energien in mir zu beschwichtigen. Das Wasser-Prawda | Januar 2015 Resultat dieser Verfassung war, dass ich drei Jahre lang durch die Strassen schlich, das wimmelnde Netz der millionenfüssigen Stadt durchforschte und es kennen lernte wie nie zuvor. Es war eine dunkle Zeit in der Geschichte meines Landes, eine dunkle Zeit in meinem eigenen Leben, und vermutlich ist es nur natürlich, dass meine eigene Erinnerung daran jetzt eine ziemlich bittere und schmerzliche ist. Überall um mich herum sah ich während dieser Jahre Zeugen eines unabsehbaren Ruins und Leidens. Meine eigene Familie war ruiniert, hatte in der sogenannten «Depression» alle Substanz ihres in einem langen Leben erworbenen Vermögens verloren. Und die allgemeine Krise hatte fast ins Leben eines jeden eingegriffen, den ich kannte. Darüber hinaus sah, erlebte, fühlte und erfuhr ich bei dieser endlosen nächtlichen Wanderfahrt und Suche im grossen Netz und Dickicht der Stadt das volle Gewicht dieser fürchterlichen menschlichen Krise. Ich sah einen Mann, dessen Leben zu einer Masse formloser und schmutziger Lumpen zusammengesunken war, von Gift verzehrt, von Ungeziefer zerfressen; menschliche Wracks, die sich gegenseitig ein bisschen Wärme zu geben suchten, hockten in der eisigen Kälte auf den stinkenden Schwellen der Bedürfnisanstalten, im Schatten der kalten Bauten eines byzantinischen, märchenhaften Reichtums. Ich sah abscheuliche Taten der Brutalität und Grausamkeit, die Drohung gemeiner Privilegien, die grausame und korrupte Autorität, die rücksichtslos das Leben der Armen, der Schwachen, der Bedauernswerten und Schutzlosen dieser Erde unter ihren Füssen zertrat. Und der überwältigende Eindruck dieser dunklen Bilder menschlicher Unmenschlichkeit dem Mitmenschen gegenüber, die unaufhörliche Wiederholung dieser Szenen des Leidens, der Gewalt, der Unterdrückung, des Hungers, der Kälte, des Schmutzes und der Armut, die ungehindert in einer Welt vor sich gingen, in der die Reichen in ihrem Reichtum verkamen, hinterliessen eine Narbe in meinem Leben, eine Überzeugung in meiner Seele, die ich nie verlieren werde. SPRACHRAUM Aus all dem gewann ich schliesslich den Schatz eines brennenden Gedächtnisses, einer Gewissheit von der Stärke des Menschen, von seiner Fähigkeit, zu leiden und irgendwie zu überleben. Und das ist auch der Grund, weshalb ich diese dunkle Periode mit einer Art Freude im Gedächtnis behalte, die ich zu jener Zeit nicht für möglich gehalten hätte, denn gerade damals lebte ich mein Leben auf eine erste Vollendung hin, und durch das Leiden und die Last meines eigenen Lebens gelangte ich dazu, die Qualitäten in den Menschen, die überall um mich herum lebten, zu begreifen. Und das ist wieder etwas, wozu mir das Schreiben an meinem Buch verholfen hat. Es hat meinem Leben jene Tiefe gegeben, die die Verwirklichung eines jeden Werkes dem Leben des Künstlers verleiht, und, soweit ich es an mir erfahren habe, hat es mein Wesen bereichert. Der Vorwinter 1933 rückte an und mit ihm, wie mir schien, das endgültige Verhängnis eines abgrundtiefen Versagens. Ich schrieb noch und schrieb, aber blindlings, hoffnungslos, wie ein alter Gaul, der unaufhörlich in der Tretmühle geht und keinen andern Daseinszweck, kein anderes Daseinsziel kennt als dieses gesträngte Gehen in der alten Kreisbahn. Wenn ich nachts Schlaf fand, war es ein Nachtmahrschlaf mit grellen Schaubildern, die über mein fiebriges, rastloses Bewusstsein hinfegten. Und wenn ich aufwachte, war es nur ein Aufwachen in Erschöpftheit, und dann wusste ich weiter nichts zu tun als zu arbeiten; ich trieb mich an wie mit der Geissel zu der hoffnungslosen Plackerei und schaffte wie ein von Furien Getriebener den ganzen Tag über, und dann kam die Nacht wieder, das verrückte Herumstreunen auf den tausend Strassen, und dann das Zubettgehen und wiederum der schlaflose Schlaf, der Zug der Nachtmahrträume, vor denen mein Bewusstsein als Zuschauer angekettet lag. Ich träumte da eine Art Träume, die ich zusammenfassend nicht anders denn als Träume von Schuld und Zeit bezeichnen kann. Chamäleonhaft, in aller verdammniswürdigen und nie endenden Zeugefähigkeit, waren sie es, die mir die ganze hehre Welt, die ich gekannt hatte, wiedererstellten, die Billionen 89 Angesichter und die Millionen Zungen, und zwar erstellten sie mir diese Welt wieder mit der triumphierenden Böswilligkeit eines passiven und ungewollten Behagens. Der Gewinn aus meiner tagtäglichen Fehde mit Menge und Zahl, die tolle Ausbeute meiner jahrelangen Kämpfe mit den Formen des Lebens, meiner rücksichtslosen, unaufhörlichen Bemühungen, mit dem Gedächtnis jeden Bauziegel und jeden Pflasterstein auf jeder je von mir begangenen Strasse festzuhalten, jedes Gesicht aus jedem Menschengedräng in jeder Stadt und jedem Land, wo auch immer mein Geist den wüsten, mit ungleichen Waffen geführten Kampf um die Überlegenheit aufgenommen hatte – das alles kam nun zurück –: jeder Stein, jede Strasse, jede Stadt, jedes Land – ja, sogar jedes Buch in der Universitätsbibliothek, durch die ich mich als Student vergebens ganz hindurchzulesen versucht hatte – alles das kam nun zurück auf den Schwingen dieser mächtigen, trauervollen und irgendwie lautlos irrsinnigen Träume – ich sah, hörte und erkannte alles das sofort, war augenblicklich schmerzlos und angstlos und, mit dem ruhigen Bewusstsein Gottes, Herr über dieses ganze Lebensuniversum, gegen dessen Elemente ich soviele Jahre lang um Allwissenheit gestritten hatte. Und dieser ungeheure Triumph machte mich traurig, und die ruhevolle, augenblicklich-inständige Passivität dieser unmenschlich-irrsinnigen Unsterblichkeit war mir irgendwie bitterer als die gallenbittere Niederlage in meinem Kampf mit der Daseinsvielheit. Denn –: auf dieses Lebensuniversum herab schien immerdar ein stilles, stummes, wandelloses Zeitlicht. Und aus dem Gedräng dieser schiebenden Mengen von Menschen, deren gesamtes und geteiltes Wesen nun im Nu und ohne Willensanstrengung mein eigen war, erhob sich immerdar das trauervolle, nie endende Geraun dieses leiblichen Lebens, erhoben sich immerdar die riesigen, zurückweichenden Schwundbilder des Schattens, den der Tod des Menschen wirft, der Tod, der immerdar mit Seufzerhauch und Klagegetön an die hohen Gestade der Welt hinhallt. Wasser-Prawda | Januar 2015 90 SPRACHRAUM Und jenseits, jenseits – der riesigen und stillen Bewusstheit meines Geistes, über ihm, rings um ihn und hinter ihm, der nur die Erde und alle ihre Elemente mit dem Gigantengriff spielerischer Unterwerfung umschloss, weste auf immer das bittere Wissen meiner eigenen, unentrinnbaren Schuld. Ich wusste nicht, was ich getan hatte – ich wusste nur, dass ich aufs gefährlichste die Zeit ausser acht gelassen und so meine Menschenbrüder verraten hatte. Ich war zwar lange von daheim fort – warum, ahnte ich nicht – aber von den betäubenden Gerüchen einer grünen Fremde und ihrer Magie behext, innerlich angefüllt von dunkler Trauer, vermochte ich mich nicht mehr daran zu erinnern. Und plötzlich war ich wieder daheim – ging wieder in jenem ruhigen, stillen und unwandelbaren braunen Licht, durchschritt die Strassen, erklomm die Hänge der Hügel, lief die Landstrassen der Heimat entlang – manchmal ihre genauen und tatsächlichen Lineaturen, die der Kindheit und der Heimatstadt, so dass ich nicht nur all das, was ich je gesehen und woran ich mich erinnert hatte, vor mir sah – jede bekannte Strasse, jedes Gesicht, jedes Haus und jeden Pflasterstein des Bürgersteigs – sondern auch zahllose Dinge, von denen ich nicht mehr wusste, ob ich sie je gesehen oder ob ich sie vergessen hatte: einen rostigen Riegel an der Kellertür, die Art, wie eine Stiege knarrte, eine alte Brandblase im Farbanstrich der Holztäfelung des Kamins, eine Eiche droben auf dem Hügel, die auf der einen Seite ganz ausgehöhlt war, das blitzende Glasmuster an der Haustür, den Schalthebel eines Strassenbahntriebwagens, dessen Messing auf der einen Seite vom harten Zugriff des Führers schon ganz silbrig geworden war und über dem ein alter Tabaksbeutel hing – solche Dinge und Millionen andere kamen mir wieder ins Gedächtnis und quälten meinen Schlaf. Und viel, viel vertrauter als diese Szenen der Erinnerung und der Herkunft waren jene Landschaften, die irgendwie aus ihnen hervorgingen – die Strassen, die Städte, die Häuser und Gesichter, die ich sah, aber nicht so nah, wie sie waren, sondern wie sie sein mussten, in jener unergründlichen, seltsamen und unvermuteten Logik Wasser-Prawda | Januar 2015 menschlichen Verstandes und Gefühls – sie waren viel wirklicher als die Wirklichkeit, um vieles wahrhaftiger als die Heimat. Ich war lange von daheim fort. – Ich war gealtert an einem schlimmen und verzauberten Ort, ich hatte meinem Leben gestattet, sich zu verschwenden, dahinzufaulen in der sumpfigen und entwürdigenden Oberflächlichkeit der Circe Zeit. Und jetzt war mein Leben verloren, meine Arbeit nicht geleistet, ich hatte meine Heimat, meine Freunde, meine Familie, die ernsten und unverletzlichen Pflichten, ihr Vertrauen verraten, und plötzlich war ich wieder daheim, und meine Antwort war Schweigen! Sie sahen nicht mit Bitterkeit und Hass auf mich, sie schlugen mich nicht mit der beissenden Schande des Zorns, sie verfluchten mich nicht mit Drohungen der Rache und der Vergeltung – oh, hätten sie es doch getan, welchen Balsam der Angst und Gerechtigkeit hätten selbst Flüche gehabt! – statt dessen schwieg ihr Blick, und ihre Zunge war stumm. Und wieder, wieder schritt ich die Strassen der heimatlichen Stadt entlang, nach Jahren der Abwesenheit sah ich wieder die Linien der gewohnten Gesichter und hörte heimatliche Worte, den Ton heimatlicher Stimmen, und mit einer stillen und tiefen Verwunderung sah ich Spiel und Widerspiel ihres Handelns, den grauen Mittag, den Verkehr auf den Strassen, und alles war so, wie es immer gewesen war, ich hatte nichts davon vergessen: bis ich vorüber gegangen war, herrschte Todesschweigen. Ich ging unter ihnen, und ihre Bewegungen hörten auf, ich ging unter ihnen, und ihre Zungen verstummten, ich ging unter ihnen, und keiner von ihnen bewegte sich oder sprach, bis ich vorüber gegangen war, und wenn sie mich ansahen, so war in ihren Augen nur schweigende Leere, keine Erinnerung war in ihnen; es gab keine Vorwürfe, keinen Kummer und keine Verachtung, keine Bitterkeit und keinen Zorn – wenn ich gestorben wäre. Wäre wenigstens das Gespenst einer Erinnerung dagewesen, aber so war es, als sei ich nie geboren worden. Und wie ich so an ihnen vorüberging, wo ich auch hinschritt, überall senkte sich der Tod nieder. Wo SPRACHRAUM ich auch vorbeiging, immer konnte ich hinter mir hören, wie die Stimmen, die Geräusche der Strasse und der ganze Verkehr eines hellen Tages wieder erwachten – aber erst, wenn ich an ihnen vorbeigegangen war! Und so umfloss mich die ganze Stadt, war sie um mich herum, und einmal, ohne eine Brücke, ohne Übergang der Verwandlung, schritt ich auf einem kargen Weg dahin über das riesige Gefilde einer baumlosen Wüste und öden Leere, und das stille, trauervolle und tragische Licht schien aus dem Schrecken einer planetarischen Leere auf mich nieder, aus dem lidlosen und vorwurfsvollen Auge des gelassenen Himmels, der sich mit der dauernden Ätze verschwiegener Scham in meinen nackten Geist frass. Eine andere und beständigere Variante dieser Träume von Schuld und Zeit pflegte diese Form anzunehmen: Es schien, als sei ich ins Ausland gereist, lebe dort und sei mir doch bewusst, dass ich immer noch Lehrer an der Universität wäre. Fern aller Gewalttätigkeit, fern allem Aufruhr, fern der harten Alltagswirklichkeit des amerikanischen Lebens, fern auch dem akzentuierten Jargon der Universität, fern ihrer mit fetten Gesichtern bevölkerten Korridore, erfüllt von kräftigen Stimmen, fern all dem Gedränge und der Hast und dem Durcheinander dieses fiebrigen Lebens, fern seiner unharmonischen Spannungen und seiner überspannten Nerven, lebte ich mein Leben in einem fremden, golden-grünen Luxus, träumte mein Leben in alten, gotischen Städten oder im lieblichen Zauber eines Burgenlandes, mein Geist schlüpfte von Land zu Land, von einer Verzauberung in die andere, mein Leben verstrich in einer Folge betäubender Magien – und doch war ich für immer verhext von einem Zeitund Schuldbewusstsein, vom heimlichen Nagen verratenen Vertrauens. Und plötzlich schien mein volles Bewusstsein zurückzukehren: Ich war ein Jahr von daheim fort gewesen – meine Klassen an der Universität hatten auf mich gewartet – und plötzlich war ich wieder da, durcheilte die wimmelnden Korridore, eilte wild von einem Klassenraum 91 zum anderen, versuchte verzweifelt, die Klassen zu finden, die ich so im Stich gelassen hatte. In diesen Träumen lag ein grotesker und erschreckender Humor, den ich aber nicht zu schätzen vermochte: Ich war irgendwie davon überzeugt, dass meine vergessenen Klassen mich ein Jahr lang gesucht hatten, ich sah sie in dem Korridorlabyrinth, im Myriadengewimmel ihrer 30 000 Mitstudenten nach mir suchen, sah sie in geduldiger Verzweiflung ihre angesetzten Stunden in Klassenräumen absitzen, die ihr abwesender Lehrer nie betrat. Und schliesslich – und das war das Fürchterlichste – sah ich vor mir Stösse von Arbeitsheften sich stapeln – diese verfluchten Themen, die Woche um Woche mehr wurden – die sich gebirgsartig und hoffnungslos vor mir anhäuften – ihre weissen, ekelhaft unschuldigen Rücken verrieten nichts von dem Gekritzel, mit dem ich einmal – geplagt von der zwiefachen Qual der Langeweile und des Bewusstseins – jedes Fleckchen ihrer papierenen Oberfläche bedeckte. Und nun war es zu spät! Ein Monat, zwei Wochen, eine Woche – irgendein Wunder der Zeit und wilder Arbeit hätte mich vielleicht davon erlösen können – aber jetzt war der letzte Tag des Semesters, war die letzte Stunde abgelaufen, der letzte unaufhaltsame Augenblick, die letzte Chance der Befreiung verronnen. Ich sah mich plötzlich im Zimmer der Englischen Fakultät stehen, taub vor Schrecken angesichts des grossen weissen Bergs dieser Hefte. Ich wandte mich ab, ein schweigender Kreis von Studenten umringte mich, sie starrten mich nicht an, sie waren nicht zornig oder ärgerlich auf mich und drängten nicht auf mich zu, aber sie sahen mich mit dem stillen Blick der Verdammung an. Meine kleinen Juden standen am nächsten, hatten ihre schwarzen Augen auf mich gerichtet mit einem verzweifelten, aber unablässigen Vorwurf, und hinter ihnen stand, wie im Gerichtshof, der Kreis der anderen Lehrer. Alle waren sie versammelt – Schüler, Lehrer, Freunde, Feinde und die riesige Verdammnis der Hefte – es wurde kein Wort gesprochen, nur der schweigende Blick unbewegter und erbarmungsloser Anklage traf mich. Dieser Traum kehrte hundertmal Wasser-Prawda | Januar 2015 92 SPRACHRAUM in meinem Schlaf wieder und quälte mich: Jedesmal erwachte ich im kalten Angstschweiss und voller Schrecken, und so stark war der Eindruck dieses Traums, so wirklich und fürchterlich sein überzeugender Bann, dass ich manchmal aus dem Traum erwachte und minutenlang in kaltem Schrecken dalag, während mein Gehirn mit den Phantomen des Schlafes rang, um mich wieder in die Wirklichkeit zurückzurufen. Dabei waren diese Träume von Schuld und Zeit nicht die einzigen: im Schlaf brannten mein Denken und mein Erinnern mit einem Feuerfluss unaufhörlicher strömender Bilder: die riesigen Behälter meiner Erinnerung brachen auf und gossen in die Sturzflut dieses feurigen Stromes Millionen Dinge, die ich einmal gesehen und wieder vergessen hatte, sie waren wieder da und brannten vor mir in diesem Lichtstrom – und Millionen nie gesehener Dinge, Gesichter, Städte, Strassen und Landschaften, die ich nie gesehen, aber mir seit langem vorgestellt hatte – diese unbekannten Gesichter waren wirklicher als die, die ich gekannt hatte, diese nie gehörten Stimmen, vertrauter als die, die ich kannte, diese nie gesehenen Formen, Massen, Gestalten und Landschaften waren in ihrer Essenz viel wirklicher und gegenwärtiger als substanzielle Dinge, die ich gekannt hatte – alles strömte in meiner Vision durch mein fieberndes, ruheloses Denken dahin, eine Flut unendlicher Folgen – und plötzlich wusste ich, dass das nie aufhören würde. Der Schlaf war für immer tot, die gnädige, dunkle und süsse Auflösung des Kindheitsschlafes. Der Wurm hatte sich mir ins Herz gefressen, der Wurm ringelte sich darin und frass an meinem Gehirn, meinem Geist und meinem Gedächtnis. Ich wusste, dass ich schliesslich im eigenen Feuer gefangen war, verzehrt war vom eigenen Hunger, festgefangen am Haken des fürchterlichen, unersättlichen Verlangens, das seit Jahren mein Leben verzehrte. Ich wusste, kurz gesagt, dass für immer eine helle Zelle meines Gehirns, meines Herzens oder Gedächtnisses brennen würde – Tag und Nacht, wachend oder schlafend, jeden Augenblick meines Lebens würde Wasser-Prawda | Januar 2015 der Wurm nagen, und das Licht brennen – es gab keine Betäubung durch Nahrung, Freundschaft, Reise, Sport, Frauen, die es jemals zu löschen vermochte, es gab keine Flucht davor, bis mein Tod völlige Dunkelheit in mir ausbreitete. Ich wusste, ich war nur ein Schriftsteller geworden: Ich wusste nun, was einem Menschen geschieht, der das Leben eines Schriftstellers zu dem seinen macht. So stand es mit mir im Frühwinter des Jahres 1933, und gerade in diesem Augenblick war, obwohl ich es noch nicht ahnen konnte, das Ende meiner ungeheuren Arbeit in Sicht. Mein Freund, der Verlagsleiter und Herausgeber, von dem ich schon mehrere Male gesprochen habe, hatte durch diese ganze Quälzeit hindurch mich in aller Ruhe beobachtet, und nun, im Dezember dieses Jahres, lud er mich in seine Wohnung ein und sagte mir seelenruhig, mein Buch wäre fertig. Ich konnte weiter nichts tun, als ihn bass erstaunt angucken und schliesslich, als ich Worte fand, ihm aus der Tiefe meiner Hoffnungslosigkeit versichern, er irre sich, das Buch sei nicht fertig, ich könne nie damit zu Rande kommen, ich könne nicht mehr schreiben. Im Ton derselben ruhigen Schlüssigkeit entgegnete er, ob ich‘s nun wisse oder nicht, das Buch sei fertig, und dann hiess er mich auf meine Bude gehen und die nächste Woche damit verbringen, die Manuskriptstücke, die sich in den letzten zwei Jahren angesammelt hatten, der Reihe nach zu ordnen. Noch ohne Hoffnung und ohne Glauben folgte ich seinem Geheiss. Ich arbeitete sechs Tage; ich sass mitten im Zimmer auf dem Fussboden, allseitig von hohen Stapeln und Stössen getippten Manuskripts umgeben. Nach einer Woche hatte ich den ersten Teil des Ganzen zusammen, und genau zwei Tage vor Weihnachten 1933 brachte ich meinem Freund das Manuskript «Das Oktoberfest» und wieder ein paar Tage später das Manuskript «Die Hügel jenseits Pentland». Das Manuskript «Das Oktoberfest» war damals etwas mehr als eine Million Wörter lang. Während der drei vorangegangenen Jahre hatte mein Freund das meiste schon in unverbun- SPRACHRAUM denen Bruchstücken zu sehen gekriegt; nun sah er das Ganze in geordneter Reihenfolge, und wieder einmal hatte er mit seiner Intuition recht gehabt; er hatte die Wahrheit gesprochen, als er mir sagte, ich hätte das Buch fertig. Freilich war es keineswegs in dem Sinne fertig, dass es veröffentlicht und den Lesern vorgelegt werden konnte. Es war wirklich nicht so sehr ein Buch als das Skelett eines Buches, aber zum erstenmal nach vier Jahren war das ganze Skelett da. Was nun zu tun blieb war eine ganz ungeheure Arbeit, nämlich Durchsehen, Zusammenweben, Zurechtformen und vor allem Kürzen – aber das Buch hatte ich nun so, dass nichts auf der Welt, nicht einmal meine eigne Verzweiflung es mir entreissen konnte. Mein Freund sagte mir das, und plötzlich sah ich ein, dass er recht hatte. Ich war wie ein Ertrinkender, der auf einmal, gerade im Augenblick, wenn ihm der Atem ausgeht, die rettende Hand spürt. Mein Geist wurde emporgerissen vom grössten Triumphgefühl, das ich je empfunden hatte, und obschon mein Verstand müde, mein Körper erschöpft war, von dieser Stunde an fühlte ich mich allem auf Erden gewachsen. Es war ersichtlich, dass viele schwierige Aufgaben vor uns lagen, aber die Sache selbst hatten wir nun; und wir hiessen in glücklichem Vertrauen die Arbeit willkommen. In erster Linie sollte uns die riesenhafte Länge des Buches zu schaffen machen. Selbst in dieser Skelettform war das Manuskript «Das Oktoberfest» zwölfmal so lang wie ein durchschnittlicher Roman, doppelt so lang wie «Krieg und Frieden». Zweifelsohne war es daher nicht nur vollkommen ausgeschlossen, das Buch in einem einzigen Band zu veröffentlichen, sondern auch unratsam, das Buch in mehreren Bänden herauszubringen, denn die ungeheure Länge würde auf jeden Fall die Aussicht, dass das Buch ein Lesepublikum fände, schier zunichte machen. Dieser Schwierigkeit standen wir nun gegenüber, und mein Freund, der Herausgeber, liess sich sofort mit ihr ein. Im Verlauf einer eingehenden Prüfung des Manuskripts fand er heraus, dass in dem 93 Buch «Das Oktoberfest» zwei in sich geschlossene, getrennte Umläufe geschildert waren. Im ersten Umlauf bewegte sich das Geschehen um die Wanderschaft und den Hunger eines Menschen in der Jugend. Im zweiten Umlauf war eine Lebensspanne grösserer Daseinssicherheit beschrieben, und die Einheit einer einzigen Leidenschaft war es, die tonangebend die Erzählung zusammenhielt. Offensichtlich also lag in diesen zwei Bewegungszyklen wirklich der abgehandelte Stoff von zwei vollkommen verschiedenen Chroniken vor, und obschon der zweite Zyklus bei weitem der vollendetere war, war es natürlich der erste Zyklus, der logischerweise zuerst fertiggemacht und veröffentlicht werden musste, und wir entschieden uns für diesen Kurs. Wir nahmen den ersten Teil zuerst vor. Ich machte sofort eine gründlich genaue Zusammenstellung, in der nicht nur der Geschehnisverlauf von Anfang zu Ende aufgezeichnet stand, sondern auch innerhalb des Anlageplans die bereits vollständig fertigen Kapitel, die teilweise fertigen Kapitel und die überhaupt noch ungeschriebenen Kapitel analysiert wurden. Als die Zusammenstellung fertig war, machten wir uns daran, das Buch druckfertig zu machen. Diese Arbeit beschäftigte mich das ganze Jahr 1934 hindurch. Anfang 1935 war das Buch fertig; es erschien dann im März unter dem Titel «Von Zeit und Strom». Von allem Anfang an war es so, dass das Buch, selbst in der unvollendeten Fassung, aufs radikalste gekürzt werden musste. Sowohl wegen der Art, in der das Buch geschrieben worden war, als auch wegen der Müdigkeit, die ich nun verspürte, war ich nicht dazu bereit, mich allein der Aufgabe, die nun bevorstand, zu unterziehen. Das Kürzen und Zusammenstreichen ist für mich immer das Schwierigste und Widerlichste an der ganzen Schriftstellerei gewesen; meine Neigung ist stets, hinzuzuschreiben anstatt wegzustreichen. Ausserdem, was ich auch an kritischen Fähigkeiten besitzen mag, soweit sie mein Werk betrafen waren sie – damals wenigstens – ernstlich mitgenommen von der irrsinnigen Arbeit, die ich in den vier, beinah Wasser-Prawda | Januar 2015 94 SPRACHRAUM fünf voraufgegangenen Jahren geleistet hatte. Wenn ein Mensch über eine so lange Spanne hin sein Werk aus sich hervorgestossen hat, nicht anders wie brennende Lava aus einem Vulkan, wenn er in der Weissglut seiner Schöpferkraft allem, so überflüssig das Einzelne sein mag, Feuer und Leidenschaft mitteilte, dann ist es sehr schwer für ihn, nun plötzlich chirurgenhaft kalt seinem Werk gegenüberzutreten und rücksichtslos den Abstand zu wahren. Ich will an ein paar sachlichen Beispielen die Schwierigkeiten verdeutlichen, denen wir uns gegenübersahen. Zu Eingang des Buches wird eine Eisenbahnfahrt durch den Staat Virginia beschrieben. Was dieser Abschnitt innerhalb des Buchganzen bewerkstelligen soll, ist einfach dies: ein paar von den Hauptgestalten sollen eingeführt, eine zentrale Situation soll angezeigt und der Hintergrund, vor dem die Erzählung spielt, soll erstellt werden; darüber hinaus soll vielleicht motivisch mit der Schilderung des fahrenden Zuges über die stille Erde ein bestimmter Rhythmenschlag vermittelt, eine bestimmte, der Natur des Buches innewohnende Gemütsbewegtheit heraufbeschworen werden. Dem Abschnitt fällt also zweifellos eine wichtige Aufgabe zu, aber im Verhältnis zum Sinn des Ganzen ist diese Aufgabe sekundär. Folglich hiess es, diesen Abschnitt nach Mass und Masse ins richtige Verhältnis zum ganzen Buch bringen. Nun war in der Urfassung jenes Stück Manuskript, in dem die nächtliche Zugfahrt durch Virginia beschrieben wird, beträchtlich länger als ein durchschnittlicher Roman. Ich hatte über einhunderttausend Wörter geschrieben, und was not war, war eben bloss ein Eingangskapitel, und dieselbe Schwierigkeit, diese selbe Proportionslosigkeit war offensichtlich auch in andern Stücken meines Manuskripts gegeben. Was ich über den grossen Zug geschrieben hatte, war wirklich gut. Aber was ich nun erkennen musste, diese sehr bittere Lehre, die jeder Schreibende lernen muss, war, dass eine Sache an sich das bestgeschriebene Stück Prosa sein kann, das man je geschrieben hat, und trotzdem in dem Buch, das Wasser-Prawda | Januar 2015 man veröffentlichen will, durchaus keinen Platz hat. Das fällt einem schwer, aber man muss sich damit abfinden, und wir fanden uns damit ab. Mir schauderte im Geist vor dieser blutigen Hinrichtung, meine Seele schrak zurück vor der Abmetzelung so vieler schöner Dinge, an denen ich mit ganzem Herzen hing. Aber es war notwendig, und wir taten das Notwendige. Das erste Kapitel der Originalfassung wurde rücksichtslos ausgestossen, und dabei war es, wie mein Freund, der Herausgeber, selber zugab, so gut geschrieben, wie ich nur je etwas geschrieben hatte, aber es war eben kein Anfangskapitel, sondern nur ein Kapitel, das auf den wahren Anfang hinleitete, und so musste es wegfallen. Und so verfuhren wir auf der ganze Linie. Kapitel von fünfzigtausend Wörtern wurden auf eine Länge von zehn- bis fünfzehntausend Wörtern zurückgestutzt, und nachdem ich nun einmal die unvermeidliche Notwendigkeit dieses Verfahrens vor Augen sah, griff ich selber mit einer gewissermassen neuerworbenen Rücksichtslosigkeit zu und strich ein- oder zweimal sogar mehr weg, als mein Herausgeber zuzulassen willens war. Ein anderer Fehler – etwas, das mir beim Schreiben immer Scherereien macht – war, dass ich so oft unternahm, einen Vorfall aus dem Leben in seiner Gänze, in seinem vollen Fluss und seiner ganzen hergangsmässigen Beschaffenheit nachzubilden. So wurden an andrer Stelle meines Buches einmal vier Leute geschildert, die stundenlang ohne Pause und Unterbrechung miteinander reden. Diese vier Leute hatten alle ein gutes Mundwerk, und oft redeten sie alle auf einmal oder versuchten doch, alle auf einmal zu reden. Und was sie redeten, das war wundervolle und lebendige Rede, denn ich hatte an der lebendigen Quelle das Leben, den Charakter und den Wortschatz dieser Leute gekannt und vergessen hatte ich nichts. An Handlung aber ging in diesem Stück weiter nichts vor, als dass eine junge Frau aus dem Auto ihres Gatten ausstieg, ins Haus ihrer Mutter eintrat und nun dem ungeduldigen Mann draussen jedesmal, wenn er mit der Hupe tutete, zurief: «Schon recht! Schon recht! Ich komm‘ SPRACHRAUM in fünf Minuten». Aus den fünf Minuten wurden dann vier Stunden, der ungeduldige Gatte draussen tutete mit der Hupe, und die beiden Frauen und die beiden jungen Brüder der jüngeren Frau drinnen im Haus ergingen sich in wahren Sturzbächen der Rede und unterhielten sich eingängig über das Leben und die Vorgeschichte fast aller ihrer Kleinstadtbürger, kramten die Vergangenheit aus den Gedächtnissen heraus, gedachten gegenwärtiger Unternehmungen und erwähnten zukünftige Aussichten. In meiner Urfassung hatte ich das alles hingeschrieben, ganz so, wie ich solche Vorkommnisse tausendmal mit angesehen, beobachtet und miterlebt hatte. Und wenn ich‘s auch selbst sage, so ist es doch wahr, dass alle diese Reden, dass die pralle Lebenskraft und Charakterfülle der Sprache, die äusserste Natürlichkeit der stromfluthaften Redegewalt mir ganz wunderbar geglückt waren. Aber – ich hatte da vier Leute insgesamt achtzigtausend Wörter reden lassen –, und das wären zweihundert engbedruckte Seiten in kleinem Schriftsatz gewesen für einen kleinen Vorfall in einem enormen Buch, und freilich, so gut das Stück auch war, es war ganz verkehrt, es musste wegfallen. Dieser Art also waren einige von den Hauptschwierigkeiten, die wir mit dem Manuskript hatten, das uns vorlag, und obschon seit dem Erscheinen des Buchs vielerseits erklärt worden ist, es wäre eine Wohltat, wenn das Werk aufs stärkste gekürzt würde, so haben wir tatsächlich damals schon bei weitem drastischer gekürzt, als ich es im Traum für möglich gehalten hätte. Zu gleicher Zeit war ich mit aller Geschwindigkeit dabei, das Werk dem Anlageplan entsprechend zu vollenden, die unfertigen Stücke fertigzustellen und die wesentlichen Übergänge einzufügen. Das war an sich schon eine ungeheuerliche Arbeit, und ich hatte ein ganzes Jahr lang Tag für Tag so tüchtig, wie ich nur konnte, zu tun. Auch hier stellte sich wiederum heraus, wo mein Hauptfehler lag. Ich schrieb wieder zuviel. Ich schrieb nicht nur das wenige, das wesentlich war, sondern ich liess mich immer wieder von meiner Begeisterung für einen 95 guterzählbaren Vorgang hinreissen. Tat sich mir da so eine bezaubernde Aussicht auf, wie sie sich dem Wandrer auf dem Weg, dem Schaffenden im vollen Zug der schöpferischen Arbeit aufzutun pflegen, dann liess ich mich verleiten, und dann schrieb ich tausend Worte über einen Vorgang, der nicht von Lebenswichtigkeit beitrug zu einem Buch, dessen grösste Not ohnehin schon war, dass es rücksichtslos verdichtet werden musste. Im Laufe dieses Jahres habe ich wohl ein Zusatzmanuskript von einer halben Million Wörtern geschrieben, und freilich wurden schliesslich nur ganz kleine Stücke davon verwandt. Die mir natureigne Art des Verfahrens, der Wunsch, den Stoff, der mir vorliegt, voll und ganz zu erforschen, – das hatte mich zu einem andern Irrtum verleitet. Das ganze Ergebnis jener fünf Arbeitsjahre, in denen ich unaufhörlich geschrieben hatte, war, dass ich nun nicht nur das Gefühl hatte, alles und jedes müsse verwandt und benutzt werden, sondern dass ich auch glaubte, ich müsse alles und jedes aussagen, nichts dürfte verschwiegen werden und gleichsam «zwischen den Kapiteln» bleiben. So lagen mir am Schluss noch einige Zusatzkapitel – ein gutes Dutzend war es – vor, und ich hatte das Gefühl, diese Kapitel müssten vollendet werden, damit das Buch vollen Wert und Gültigkeit habe. Diese Sache habe ich tausendmal mit meinem Herausgeber verzweifelt erörtert. Ich sagte ihm, diese Kapitel müssten ins Buch hinein, weil es ohne sie unvollständig wäre, und er versuchte mit allen Argumenten, die ihm zu Gebote standen, mir zu beweisen, dass das verkehrt wäre. Ich sehe nunmehr ein, dass er im grossen ganzen recht hatte, aber damals war ich noch so unlösbar in mein Werk verstrickt, dass ich nicht den zur richtigen Einschätzung notwendigen Abstand gewinnen konnte. Das Ende kam plötzlich, das Ende dieser fünf Jahre der Qual und unausgesetzten Hervorbringens. Im Oktober fuhr ich auf vierzehn Tage nach Chicago; seit über einem Jahr waren diese Tage die ersten Ferien, die ich mir verstattet hatte. Bei meiner Rückkehr fand ich, dass mein Freund, der Verlagsleiter, Wasser-Prawda | Januar 2015 96 SPRACHRAUM das Manuskript stillschweigend entschlossen in die Druckerei geschickt hatte. Die Setzer waren bereits an der Arbeit, die ersten Korrekturfahnen lagen schon vor. Das hatte ich nicht vorausgesehen. Ich war verzweifelt, war vollkommen bestürzt. «Das darfst du nicht», sagte ich zu ihm, «das Buch ist doch noch gar nicht fertig. Ich brauche noch sechs Monate dazu.» Er antwortete darauf, dass das Buch nicht nur fertig sei, sondern dass, wenn ich noch sechs Monate länger daran arbeiten würde, ich dann wieder sechs Monate fordern würde, und darüber hinaus wieder sechs Monate, dass ich schliesslich so besessen von dem Werk sein würde, dass es nie zur Veröffentlichung käme. Er sagte weiter, und ich glaube mit vollem Recht, dass das verhängnisvoll für mich wäre. Ich sei, so sagte er, kein Flaubert. Ich sei kein Perfektionist. Ich hätte zwanzig, dreissig, ja, jede Anzahl von Büchern in mir, und das Wichtigste sei, sie hervorzubringen und nicht den Rest meines Lebens darauf zu verwenden, aus ihnen ein einziges, vollkommenes Buch zu machen. Er gab zu, dass mein Buch nach weiteren sechs Monaten der Arbeit daran eine bestimmte Vervollkommnung erhalten würde, aber er glaube nicht, dass das so viel ausmache, wie ich dächte, und seiner tiefsten Überzeugung nach müsse das Buch sofort und ohne weitere Verzögerung veröffentlicht werden, ich müsse es loswerden, vergessen und mein Leben wieder der Vollendung des Buches zuwenden, das bereits in Angriff genommen war und auf mich wartete. Er sagte mir auch voraus, wie die Kritik ausfallen würde, die Kritik an seinen Längen, seinen Adjektiven, seiner Überfülle, aber er sagte auch, dass ich keinen Grund hätte zu verzweifeln. Schliesslich sagte er mir, dass ich mich entwickeln, besser schreiben, dass ich lernen würde, ohne so viel Umstände, Verschwendung und nutzlose Quälerei zu arbeiten, dass meine künftigen Bücher mehr und mehr die Geschlossenheit, Sicherheit und Endgültigkeit besitzen würden, die jeder Künstler seinem Werk wünscht, aber dass ich es eben auf diese Art lernen müsse, auf die ich es jetzt lernte: tastend, Wasser-Prawda | Januar 2015 kämpfend, mir selbst den Weg bahnend, dass man es anders nicht lernen könne. Im Januar 1935 las ich die letzten Korrekturen, die ersten Exemplare kamen im Februar aus der Druckerei, und endgültig veröffentlicht wurde das Buch Anfang März. Ich war nicht in New York, als es herauskam. Ich hatte die Woche zuvor einen Dampfer nach Europa genommen, und als das Schiff sich weiter und weiter von der amerikanischen Küste entfernte, sank mir der Mut tiefer und tiefer, und bald befand ich mich im Zustand der hoffnungslos tiefsten Bedrücktheit, die ich, glaube ich, je durchgemacht habe. Grösstenteils scheint mir das einfach eine körperliche Reaktion gewesen zu sein, die unvermeidliche Wirkung des Ausspannens auf den Organismus eines Menschen, der sich fünf Jahre lang bis zur äussersten Grenze seiner Leistungsfähigkeit angestrengt hatte. Ich kam mir vor wie eine riesige Spiralfeder, die, jahrelang straffgespannt, sich nun langsam in den Windungen aus der Spannung löste. Das aussergewöhnlichste Gefühl der Verlassenheit befiel mich, einer Verlassenheit, wie ich sie nie im Leben gekannt hatte, sobald ich an mein Buch dachte. Es war mir bisher niemals klargeworden, wie nah mir das Buch gegangen, wie sehr es ein Teil meiner selbst geworden war, und nun, nachdem es von mir weggenommen worden war, kam ich mir hohl wie eine Hülse vor und so, als lebte ich vergeblich. Und nun war das Buch ja weg, und nun gab es ja nichts mehr, was ich für das Buch tun konnte, und nun hatte ich das abgründig tiefste Gefühl, versagt zu haben. Ich habe irgendwie immer ein bisschen Angst vor dem Gedrucktwerden gehabt, obschon ich mich doch so sehr um das Gedrucktwerden gemüht habe. Es ist wahrhaftig jedesmal, wenn ich etwas geschrieben hatte, so gewesen, dass ich, wenn die Stunde näher kam, da es in nackten Lettern gedruckt dastehn würde, von einer gewissen Verzweiflung überfallen wurde. Jedesmal habe ich dann meinen Verleger angefleht, das Buch erst zur nächsten Saison erscheinen zu lassen, jedesmal habe ich dann die Schriftleiter gebeten, meinen Beitrag noch einen Monat oder zwei liegen zu lassen, denn jedes- SPRACHRAUM mal wollte ich die Gelegenheit haben, meine Arbeit nochmals zu überarbeiten, irgendetwas noch daran zu tun, obschon ich nicht immer genau wusste, was. Nun überwältigte mich ein Gefühl der Scham, und ich schämte mich mehr, als ich mich je geschämt habe. Mir war, ich hätte mich selber verderberisch blossgestellt als ein bedauernswürdiger Narr, der kein Talent habe, ich hätte nun ein- für allemal die Wahrsagungen der Kritiker wahrgemacht, die behauptet hatten, mein Erstlingsbuch sei weiter nichts als ein Abblitzer gewesen. In dieser Gemütsverfassung traf ich am 8. März in Paris ein, und der 8. März war gerade der Tag, an dem das Buch in Amerika ausgeliefert werden würde. Ich war abgereist, um das Buch zu vergessen, und dennoch dachte ich die ganze Zeit an das Buch. Ich lief auf den Strassen herum von früh bis spät, vom Abend bis zum Morgen, mindestens zwölfmal in vierzehn Tagen hörte ich die Frühmesse in Sacré Cœur und ging dann zu Fuss heim in mein Hotel und legte mich um zehn Uhr vormittags aufs Bett, und schlafen konnte ich dann immer noch nicht. Nachdem das einige Tage so gegangen war, fasste ich einen eisernen Entschluss und betrat gestählten Mutes das Büro der Reiseagentur, wo möglicherweise eine Nachricht für mich eingelaufen sein konnte. Eine Kabelnachricht lag für mich da. Sie war von meinem Verleger, und da stand in schlichten Worten: «Grossartige Besprechungen, etwas kritisch in vorausgewusster Weise, höchsten Lobes voll.» Als ich diese Worte zum erstenmal las, las ich sie mit dem Gefühl einer fast unerträglichen Freude, aber als ich sie dann wiederlas, nochmals las und abermals las, fing der alte, schwarze Zweifel an, mir wieder ins Gemüt zu krauchen, und als es dann Abend geworden war, war ich bereits fest überzeugt, diese wundervolle Kabelnachricht sei der Urteilsspruch meines Verhängnisses, und mein Freund, der Herausgeber und Verlagsleiter, habe aus der unendlichen Fülle seines Erbarmens gerade diesen Weg gewählt, um mir schonend beizubringen, dass mein Buch ein kolossaler Fehlschlag sei. Es vergingen drei Tage, ich strich wie ein wahn- 97 sinnig gewordenes Tier auf den Pariser Strassen herum, und später konnte ich mich fast an nichts mehr erinnern, was in diesen drei Tagen mit mir und um mich geschah. Am vierten Tag schickte ich dem Verlagsleiter ein irrsinniges Kabel, in dem ich ihm sagte, ich könne alles andre eher ertragen als diesen verdammten Zustand der Ungewissheit, und ihn bat, mir die ungeschminkte Wahrheit zurückzukabeln, ganz gleich, wie bitter sie sei. Seine Antwort auf dieses Kabel lautete so, dass ich nicht länger zweifeln konnte an ihm oder an der Aufnahme, die dem Buch zu Haus in Amerika geworden. Dies beschliesst, soweit mir erinnerlich ist, die Geschichte von der Arbeit an einem Buche und von dem, was dem Mann widerfuhr, der das Buch schrieb. Ich weiss, es ist eine zu lange Geschichte; ich weiss auch, es ist allem Dafürhalten nach eine Geschichte, die ganz angefüllt ist mit dem Bericht von Patzerei und lächerlichen Irrtümern, aber gerade aus dem Grund, eben weil es so eine Geschichte ist, hoffe ich, dass sie ein wenig von Wert sein mag. Es ist eine Geschichte vom Künstler als Menschen und als Arbeiter. Es ist eine Geschichte vom Künstler als einem Menschen, der aus der grossen, gewöhnlichen Menschenfamilie der Erde stammt und der alles an Herzensnot, Irrtum und Vereitlung kennt, was ein lebendiger Mensch kennen kann. In der gesamten Menschheitsgeschichte ist das Leben eines Künstlers nie leicht gewesen. Und hier in Amerika, schien es mir oft, mag es wohl das härteste sein, das Menschen je kannten. Ich spreche nicht von der Stagnation unseres Lebens, von einer gewissen geistigen Öde, einem sauren Philistertum, die sich gegen das Leben des Künstlers wenden und seine Entfaltung hindern. Ich spreche nicht von diesen Dingen, weil ich nicht mehr in dem Masse an diese Bedrohung glaube wie früher. Ich spreche, wie überall hier, von konkreten Dingen, von tatsächlichen Erfahrungen des Künstlers, über die von ihm zu leistende physische Arbeit. Das scheint mir eine Arbeit zu sein, deren Ausmass hier grösser und schwieriger ist als in irgendeinem anderen Land der Erde. Nicht nur darum, weil der amerikanische Wasser-Prawda | Januar 2015 98 SPRACHRAUM Künstler in den Kulturen Europas und des Orients keinen Stoff, keinen Bauplan, keinen Traditionskörper findet, der seinem Werk die Beständigkeit und Wahrheit verleihen könnte, die es haben muss. Er muss sich nicht nur eine neue Tradition selbst bilden aus seinem eigenen Leben und der enormen Weite und Kraft amerikanischen Lebens formen, aus der Struktur seines eigenen Wesens heraus; er steht nicht nur diesem Problem gegenüber; mehr als all das ist es seine Aufgabe, nach einer vollständigen und vollkommenen Ausdrucksmöglichkeit zu suchen, ein ganzes Universum und eine vollkommene Sprache zu entdecken. Diesem Kampf müssen wir in Zukunft unser Leben widmen. Aus Billionen Formen Amerikas, aus der wilden Gewalttätigkeit und der dichten Komplexität seines schwärmenden Lebens; aus der einmaligen und einzigartigen Substanz dieses Landes und unseres Lebens darin müssen wir selbst Kraft und Energie holen, die Artikulierung unserer Sprache, die Substanz unserer Kunst nehmen. Denn dort, so scheint es mir, werden wir auf so harte und ehrliche Art die Zunge finden, die Sprache und das Bewusstsein, die wir als Menschen und als Künstler besitzen müssen. Dort müssen wir, die wir nicht mehr haben als das, was wir besitzen, die wir nicht mehr kennen, als wir kennen, die wir nicht mehr sind, als was wir sind, unser Amerika finden. Hier, in dieser Stunde und in diesem Augenblick meines Lebens, suche ich mein Amerika. Wasser-Prawda | Januar 2015 SPRACHRAUM 99 DIE VESTALINNEN Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ 20. LIEBE UND BERECHNUNG Bereits seit vier Tagen befanden sich die englischen Herren und die Vestalinnen in Sabbulpore, und zwischen den Gebäuden, wo sonst nur Trompetensignale und Kommandorufe ertönt waren, vermischt mit den Flüchen der Unteroffi ziere, waren jetzt Lachen und Scherzworte hörbar. Den jüngeren Offizieren war es hauptsächlich angenehm, daß der Besuch der Herren und Damen in Sabbulpore stattgefunden hatte, denn der Oberst sorgte dafür, daß es seinen Gästen nicht an Abwechslungen fehlte. Wurden nicht Ausflüge in die Umgegend unternommen, so war sicher darauf zu rechnen, daß der Abend die Gesellschaft zu einer Festlichkeit vereinigte. Die Dämmerung war angebrochen, der heiße Tag war dem kühleren Abend gewichen, und in den Gärten, welche das Quartier umgaben, wandelten die Paare auf und ab, plauderten, lachten, oder führten ernste Gespräche. »Ist es nicht jammerschade, daß Sir Williams nicht bei dieser Partie ist?« fragte Miß Thomson ihren Ritter. »Mir fehlt immer etwas, wenn ich mich umsehe und sein ewig fröhliches Gesicht und heiteres Lachen unter den Uebrigen vermisse.« »Mir geht es ebenso,« versicherte der Angeredete, »aber er hat uns sein Wort gegeben, bald wieder zu uns zu stoßen. Es muß ein sehr intimer Freund sein, den er in Kalkutta aufsuchen will, sonst hätte er uns nicht verlassen und am wenigsten eine gewisse Person.« »Welche meinen Sie?« fragte das Mädchen unschuldig. – »Diejenige, mit welcher ich mich jetzt unterhalte.« – »O, Sie Bösewicht,« sie schlug ihn mit dem Fächer. »Sehen Sie dort die Tochter des Obersten mit Leutnant Werden, ich glaube, deren eifrige Unterhaltung erstreckt sich auch nicht aufs Wetter.« »Der Leutnant macht der Nichte seines Vorgesetzten entschieden den Hof, Miß Rosa ist aber auch ein reizendes Mädchen, sie gefällt mir in ihrer Anmut tausendmal besser, als ihre schöne Cousine Evelyn. Was meinen Sie von dieser, Miß Thomson?« »Ich mag sie nicht leiden, ihr Blick hat etwas Unstetes, Scheues. Schön ist sie allerdings, aber es ist eine zu wilde Schönheit, wie ich sie nicht liebe. Dort geht sie eben. Sehen Sie nur, wie scheu sie sich nach allen Seiten umsieht, gerade, als hätte sie ein böses Gewissen!« Die Besprochene bog eben in einen Seitengang, der in ein Orangenwäldchen führte. Sie sah sich von Zeit zu Zeit um, glaubte sich aber nicht beobachtet, denn jene beiden, welche sich von ihr unterhielten, wurden durch ein Gebüsch ihren Augen entzogen. Die hohe Gestalt war von einem enganliegenden, schwarzen Kleid umschlossen, welches ihre vollen Formen deutlich verriet. Die Arme waren ebenso, wie der Busen nur mit einer leichten Gaze verhüllt, so daß die weiße, zarte Wasser-Prawda | Januar 2015 100 SPRACHRAUM Haut in der Dunkelheit leuchtete. Jetzt hatte sie das Wäldchen erreicht. Sie zog eine Uhr hervor. »Acht Uhr,« murmelte sie. »Kommt er diesmal nicht, so gebe ich die Sache verloren. Ich bemühe mich nicht wieder um ihn.« Sie lehnte sich an einen Stamm und starrte nach den zum Wäldchen führenden Eingang des Weges. »Was ist es nur, das mich immer und immer wieder dazu treibt, ihn zu sehen, ihn zu sprechen, ihn zu hören!? Ich muß mich selbst verachten, daß ich mich soweit erniedrigen kann.« Sie lachte höhnisch auf. »Ich mich verachten?« rief sie spöttisch. »Dazu wäre eher Zeit gewesen. Spion, Verräter, Mädchenräuber und so weiter, alles zu gleicher Zeit. Doch das gilt alles nur, um diesen verfluchten Engländern zu schaden. Was kann ich dafür, daß mir mein Vater diesen Haß von Jugend an eingeimpft hat? Horch, Schritte,« unterbrach sie ihr Selbstgespräch, »er ist es, Horatio, er kommt wirklich! Nun biete deine ganze Kunst auf, Evelyn!« In der That war es der Kapitän, welcher sich zu dem ihm von Evelyn gewährten Rendezvous einfand. Mit schnellen Schritten näherte er sich der Gestalt, die ihn, sich mit einer Hand an den Baum stützend, vor Aufregung zitternd, erwartete. »Evelyn!« sagte der Mann leise, der jetzt vor ihr stand und sie mit wehmütigen Blicken betrachtete. »Warum quälst du mich fortgesetzt mit Bemühungen, meiner habhaft zu werden. Kennst du nicht meine Verhältnisse, weißt du nicht, daß ich nicht dein sein kann?« Erstaunt blickte Evelyn empor. So weich hatte sie ihn noch nie sprechen hören. Sonst setzte er ihren Bewerbungen immer ein kaltes Schweigen entgegen, welches Verachtung verriet, er entzog sich ihrer Nähe, wo er nur immer konnte. Und doch, Indien ist das Land der Liebe, die mit Blumenduft geschwängerte Luft kann hier selbst das kälteste Herz zur Liebe entflammen. In den dunklen Augen des schönen Weibes flammte es heiß auf. »Horatio,« hauchte sie, »willst du mit mir spielen?« Traurig schüttelte der junge Mann den Kopf. »Sieh, Evelyn, mir hat die Natur ein anderes Herz gegeben, als dir. Du bist in Indien geboren, du kennst Wasser-Prawda | Januar 2015 nichts davon, daß man auch mit der Zukunft rechnen muß, das Genießen des Jetzt ist es, wonach du jagst. Wir kälteren Nordländer ziehen aber die Zukunft in Betracht. So wußte ich vom ersten Augenblick an, als ich deine Liebe zu mir merkte, daß wir beide nie zusammenpassen würden, dein wildes, südliches Blut harmoniert nicht mit dem meinigen, und du würdest bald meine Kälte unerträglich finden.« – »Horatio!« »Laß‘ mich sprechen! Ich unterdrückte die keimende Liebe, die ich beim ersten Anblick für dich empfand, schwer ist mir der Kampf geworden, ich habe so manche Nacht mit mir gerungen, aber ich bin stets Sieger geblieben. Es war ein Glück für uns beide, daß wir damals getrennt wurden, ich kam nach Bombay und dort fand ich das Mädchen, welches für mich geeignet war. Es ist nicht so schön, wie du – du bist im Vergleich zu ihr eine Göttin – es ist nicht so bezaubernd, wie du, dir kann ich es bekennen, aber dennoch schlug es mein Herz in Fesseln, und willig duldete ich dieselben, denn ich wußte, daß Clarence das Wesen war, welches mir ewig die Treue bewahren würde.« »Zweifelst du, daß ich dasselbe gethan hätte?« fragte Evelyn atemlos; fiebernd pochten ihre Pulse. »Ich zweifle daran,« war die ruhige Antwort. »Ein nüchterner Mensch, wie ich, würde dir bald nicht mehr genügen, du würdest ihn beiseite werfen und dir ein anderes Spielzeug suchen.« Blitzschnell jagten in dem Gehirn des Weibes die Gedanken. So war er ihr also noch nicht verloren, er hatte Liebe zu ihr empfunden, aber der energische Engländer wußte sie so gut zu verbergen, daß selbst das feinfühlende Weib es nicht hatte erraten können. Wunderbar! Er hatte ja recht, sie paßten nicht zusammen, aber was kümmerte sie die Zukunft? Jetzt, jetzt mußte er ihr gehören! Der Triumph, ihn zu ihren Füßen liegen zu sehen, seiner Braut ihn entrissen zu haben, einer verhaßten Engländerin, lockte sie, und dann außerdem war er nach dem Obersten der Höchste im Fort, er führte Siegel und Schlüssel, welcher Nutzen für ihre Freunde, der Engländer Feinde, wenn dieser stolze Mann ihr gehorchte, wie ein Kind. Evelyn hatte schon andere Triumphe gefeiert, dieser sollte ihr leicht werden. »Warum bist du heute meiner Einladung gefolgt und SPRACHRAUM 101 Wasser-Prawda | Januar 2015 102 SPRACHRAUM hierhergekommen?« fragte sie. »Um dich zu bitten, mich nicht länger zu verfolgen. Wenn du dir selbst keinen Frieden erringen kannst, wenn du das Glück meiner Braut vernichten willst, mache mich wenigstens nicht dadurch unglücklich, daß ich deinen Schmerz mitansehen muß, er zerreißt mir das Herz.« Da flog das schöne Weib an seine Brust und umschlang seinen Hals. Horatio fühlte die weichen Arme, er fühlte den heißen Atem, das Heben und Senken des Busens, und ein Zittern durchflog seinen Körper. »Horatio,« flüsterte sie mit glühender, leidenschaftlicher Stimme, »stoße mich nicht von dir! Nimm alles von mir, was ich dir geben kann, aber verachte mich nicht länger!« »Laß mich!« rief Horatio mit vor Aufregung zitternder Stimme, »laß‘ mich, denke an meine Braut!« Er versuchte sich von den ihn umstrickenden Armen freizumachen. »Nein, ich lasse dich nicht, bis du mir versprichst, mich nicht mehr zu verachten! Nur einen freundlichen Blick gönne mir, einen einzigen!« Ihr Mund näherte sich immer mehr dem seinigen, ihre schwellenden Lippen schmachteten nach Küssen, und heiß blitzten die schwarzen Augen den jungen Mann an. »Evelyn.« Er flüsterte den Namen so zärtlich, es war um ihn geschehen. Sie hielten sich innig umschlungen, Lippe auf Lippe, und tauschten Kosenamen. Vergessen war Clarence! Evelyn hatte gesiegt. »Welch selige Stunden werden wir noch erleben,« flüsterte endlich Evelyn. Der Offizier antwortete nicht; noch immer hielt er das Mädchen umschlungen. »Sag‘, Horatio, wie lange wirst du in Sabbulpore bleiben?« Der junge Mann antwortete nicht. »Wann kehrst du nach Bombay zurück?« Da zuckte er zusammen, langsam machte er seine Arme von der Gestalt frei. Wie betäubt griff er sich an die Stirn. »Was habe ich gethan, Clarence, mein Gott!« »Bereust du, daß du mich lieber hast, als Clarence?« Wasser-Prawda | Januar 2015 »Bereuen? Nein, Evelyn, ich gehöre dir von nun bis zum Tod.« Wieder fanden sich ihre Lippen. »Du willst für immer bei mir bleiben?« – »Für immer.« – »Du lösest deine Verlobung mit Clarence auf?« – »Ich will, ich muß es jetzt!« – »Thust du es gern?« »Mir thut sie leid, aber ich kann nicht anders, ich fühle jetzt erst, daß du mir teurer bist, als alles in der Welt!« – »Mein Horatio!« Endlich raff te sich das Mädchen auf. »Gehe jetzt,« sagte sie, »und sei morgen abend wieder hier. Ich habe viele Fragen an dich zu stellen.« »Erst morgen wieder?« fragte der Offizier sehnsüchtig. »Ja, ich habe einen Besuch zu erwidern. Unsere Gäste waren mir längst zuwider mit ihrer Fröhlichkeit, die mir ins Herz schnitt.« »Arme Evelyn, was mußt du gelitten haben!« sagte bedauernd O‘Naill. »Darf ich dich morgen nicht begleiten? Ich bin dienstfrei.« »Nein, Horatio, es geht nicht. Doch gute Nacht nun, Geliebter! Gehe nun nach Hause und schlafe wohl! Wir wollen nicht zusammen aus dem Hain kommen, wir könnten gesehen werden.« Noch eine lange Umarmung, dann trennten sie sich. Als der junge Offi zier den Hain hinter sich hatte und sich außer Gesichtsweite der Geliebten glaubte, nahm er einen schnelleren Gang an. Er durcheilte die Anlagen, gab dem Posten das Losungswort und eilte nach einem Seitenflügel des Hauses, in dem sich seine Wohnung befand. Er öffnete nicht die Thür, welche in das Wohnzimmer führte, sondern die der Stube, welche von dem Burschen und dem indischen Diener bewohnt wurde. Letzterer stand bei seinem Eintritt auf und verneigte sich mit gekreuzten Armen bis auf die Erde. Im Quartier war allgemein bekannt, daß dieser Diener kein Wort englisch verstand; einmal hatte es der Offizier selbst gesagt, und dann gab er auch auf alle in englisch gestellten Fragen keine Antwort, sondern hörte nur, wenn auf indisch zu ihm gesprochen wurde. Sonderbar war es nun, daß dieser Indier seinen Herrn in ganz geläufigem Englisch anredete. »Wie hat Euer Hochwohlgeboren die Schäferstunde gefallen? Guten Erfolg gehabt, Euer Hochwohlgeboren?« Der Ton war ganz eigentümlich spöttisch. SPRACHRAUM »Zum Teufel,« sagte der Offizier und zog den Rock aus, »das hat mich angegriffen. Ist der Kapitän noch wach?« »Er schläft schon und wiegt sich in süßen Träumen.« »Der Glückliche. Ich muß drücken und lecken und schlecken, und der richtige liegt im Bett und träumt von seiner Braut.« »Haben Sie die Abdrücke?« fragte der Inder wieder. »Natürlich,« antwortete sein Herr, der vor dem Spiegel stand und da hantierte. »Ein Blinder hätte sie machen können. Das Mädchen ist so verliebt und dumm, daß die Gänse es beißen.« »Hahaha,« lachte der Hindu, »ich hätte Sie nur sehen mögen, wie Sie das Mädchen bearbeitet haben. Wie in aller Welt haben Sie das nur angefangen, die Abdrücke zu bekommen? Gab sie Ihnen die Schlüssel freiwillig?« »Sie sind wohl ein bißchen verrückt,« sagte der Mann am Spiegel. »Bei der ersten Umarmung nahm ich ihr den Schlüsselbund aus der Tasche und dann, während wir uns umschluugen hielten, drückte ich hinter ihrem Rücken einen Schlüssel nach dem anderen ins Wachs, zum Abschied nahm ich sie noch einmal an meine Brust, überzeugte mich, daß kein Wachs an den Schlüsseln klebte und steckte sie wieder an ihren alten Platz.« »Hat‘s nicht dabei geklirrt?« »Denken Sie etwa, ein Schlüsselbund klirrt in meiner Hand? Außerdem war das Mädchen so aufgeregt, daß es das Brüllen einer Kuh für das Flöten einer Nachtigall gehalten hätte.« Der Mann vor dem Spiegel drehte sich um, und vor dem Hindu stand – Nikolas Sharp, der Detektiv. Jetzt holte er unter dem Bett einen Koffer hervor, öff nete ihn und entnahm demselben einen kleinen Schraubstock, Feilen und einen Bund roher Schlüssel. »So, jetzt kann es an die Arbeit gehen, ich muß die ganze Nacht schlossern. Werfen Sie mir einmal dort den Lappen her, Williams, ich will den Schraubstock abwischen.« »Es ist ein Battisttuch vom Kapitän.« »Das ist meinem Schraubstock ganz egal, wenn es nur das Fett wegnimmt, außerdem benutze ich nur die eine Seite.« Der Detektiv streifte die Hemdsärmel hoch und begann zu feilen, wobei ihm der Hindu oder vielmehr 103 der verkleidete Williams zusah. Er war außer sich vor Erstaunen, mit welch zauberhafter Schnelligkeit sich ein Schlüssel nach dem anderen unter den kunstfertigen Händen des Detektivs formte, bis er in einen Wachsabdruck paßte. »Anstatt mir mit offenem Munde zuzuschauen, erzählen Sie mir lieber die Geschichte vom Oberst Walton,« sagte der Detektiv, »aber so knapp wie möglich, damit ich endlich einmal klar darin sehe. Hendricks hat sie mir schon einmal erzählt, als ich mich ihm als ungarischer Fürst vorstellte, aber er kam immer wieder auf des Obersten Pferde zu sprechen. Also ganz kurz, daß sich meine Gedanken dabei nicht verwirren, ohne Umschweife.« »Nun,« lächelte Williams, »passen Sie auf, es ging folgendermaßen zu: Walton liebte, heiratete sie, Kind, sie starb, Kind weg.« »Hm,« brummte der Detektiv, »Pferde kommen darin zwar nicht vor, aber etwas ausführlicher können Sie doch erzählen.« »Walton ist ein Engländer und kam als Leutnant nach Indien,« begann jetzt Williams ernsthaft, »als Kapitän faßte er Neigung zu einer Inderin und –« »Halt,« unterbrach ihn der Detektiv, »wo war das?« – »Hier in Sabbulpore.« – »Weiter!« – »Und heiratete sie.« – »Legitime Ehe?« »Ja, aber nicht in England bekannt gemacht; ich glaube nicht einmal, daß seine Nichte Rosa etwas davon weiß, denn er spricht niemals darüber. Kurz, ehe der große Aufstand losbrach, ließ Walton sein einziges Kind, Lucille, unter Bedeckung nach einer Hafenstadt bringen und wollte die damals etwas kränkliche Mutter später nachschicken. Aber weder von Lucille, noch von den englischen Soldaten, welche das Mädchen begleiten sollten, hat man je wieder etwas gehört – sie haben ihr Ziel nicht erreicht, sind verschollen. Als die Mutter dies erfuhr, starb sie.« »Hm, wie lange ist das her?« – »Fünf Jahre.« – »Wie alt war damals Lucille?« – »Zehn Jahr.« – »Hm, hm.« Der Detektiv feilte unablässig weiter. »Was denken Sie davon, Sir Williams?« »Ich denke überhaupt nie etwas.« »Ist auch das Gescheiteste, was Sie thun können. Denken greift nur die Gesundheit an. Aber ich meine, Wasser-Prawda | Januar 2015 104 SPRACHRAUM ob Sie wissen, wer Anlaß zu dem Raube Lucilles gegeben hat.« »Ich habe keine Ahnung.« »Zum Teufel, seien Sie nicht so schwerfällig,« rief der Detektiv, »wozu find Sie denn hier?« »Um diejenigen zu beobachten, welche hier aus- und eingehen und so nebenbei zu horchen, wie über den Rajah gesprochen wird.« »Da haben wir‘s ja, Sie spionieren das aus, was ich schon lange weiß.« »Das glaube ich denn doch nicht.« »Nicht? Wissen Sie, wer die Frau des Obersten war?« – »Eine Inderin weiblichen Geschlechts.« »Diejenige, welche der Rajah liebte.« »Ah,« rief Williams, dem ein Licht aufging. »Ja, ach, nun fallen Sie in Verzückungen. Ich weiß noch viel mehr, als das, aber mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab.« »Sie spekulieren auf Evelyn, Ihre Geliebte?« »Ja, sie giebt den Schlüssel zu diesem und noch vielem anderen, ich werde meiner neuen Braut nächstens den Hals umdrehen.« »Das arme Mädchen,« seufzte Williams. »In der Haut des Kapitäns möchte ich jetzt auch nicht stecken. Die Evelyn wird nun auch Ansprüche auf ihn machen und seine Braut in Bombay, wenn sie etwas davon erfährt, ihm die Augen auskratzen.« Der Detektiv zuckte geringschätzig die Achseln. »Er wird als vorsichtiger Mann sie jedenfalls benachrichtigt haben. Jedenfalls lasse ich mir dieses Rendezvous ordentlich bezahlen, jeder Kuß von mir kostet fünf Dollar, 49 hat sie bekommen, macht zusammen 245 Dollar.« »Apropos,« fuhr der Detektiv fort, »wie gefällt Ihnen die Ordonnanz des Obersten?« »Scheint ein anstelliger, braver Bursche zu sein.« »Am bravsten aber wird er sein, wenn er an einem Stricke hängt,« ergänzte der Detektiv. »Kommt Ihnen das Gesicht nicht bekannt vor?« »Ich habe noch nicht die Ehre gehabt, mit ihm vordem zu sprechen.« »Williams, Sie sind doch ein recht blinder Maulwurf. Wollen wir wetten, daß Sie ihn schon in Bombay gesehen haben?« Wasser-Prawda | Januar 2015 »Ich schulde Ihnen sowieso noch hundert Pfund. Aber so sprechen Sie doch, wer ist es denn?« »Kein anderer als jener Fakir, der uns im Tempelgarten von Bombay anbetteln und etwas von unserem Gespräch aufschnappen wollte.« »Diese Behauptung ist etwas gewagt; denn soviel ich mich noch erinnern kann, waren jenem Fakir die Fingernägel durch die Handballen gewachsen, während dieser Kerl den ganzen Tag Cigaretten dreht. Doch mag sein, ich traue Ihrer Spürnase.« »Außerdem ist er der, aber nur zu Ihnen gesagt, der vor acht Tagen den Major, oder wie er hieß, getötet hat.« »Majuba? Mensch, und diese Vermutung, die sehr nahe liegt, wenn es jener Fakir ist, sagen Sie erst jetzt? Tagelang werden schon Untersuchungen gepflogen, jetzt noch ist alles in Aufregung über den Mord.« Der Detektiv zuckte wieder die Achseln. »Das ist eben das dumme, daß immer gleich soviel Geschrei gemacht wird. Der Major wird doch nicht wieder lebendig davon. Aber laßt die Ordonnanz einen neuen Mordversuch machen und dabei erwischen, dann hat man ihn fest und braucht keine Zeugen erst aufzubringen. Wenn Sie mich dafür bezahlen, entlarve ich ihn noch heute abend.« »Wieviel wollen Sie dafür haben?« »Tausend Dollar nur, weil es ein Schwarzer ist.« »Nein,« lachte der verkleidete Hindu, »für das Geld lasse ich mir lieber von Ihnen 200 Küsse geben.« »Die werden bei Schwarzen wieder teurer,« meinte der Detektiv trocken, mit unermüdlichem Fleiße hämmernd, feilend und messend. »So, das ist der zweite! Noch drei, und ich bin fertig. Die Dingerchen sind verflucht kompliziert gearbeitet.« »Was gedenken Sie mit den Schlüsseln anzufangen?« fragte Charles. »Ich statte meiner Braut einen Besuch in ihrem Schlafzimmer ab, wo ihr Schreibsekretär steht.« »Und wieviel nehmen Sie dafür?« Charles amüsierte sich über den Detektiven, der nichts unentgeltlich that. »Ich mache es billig, weil sie nicht darin ist.« »Na, dann gute Nacht, Sharp, ich gehe schlafen. Ich glaube, wir beide passen gut zusammen.« »Gute Nacht, Sir Williams, wollte sagen, Romal, färben Sie nicht das Bett.« ENGLISH 105 BEST B L UE S 2 0 1 4 . ALBU M S OF TH E Y E A R BY RAIMUND NITZSCHE The best blues albums in the year 2014 were made by Johnny Winter, The Suitcase Brothers, Joe Bonamassa and the Robert Cray Band. This is the Result of our Readers Poll. Best Debut is „Unleashed“ by Chase Walker Band, best Live-Album is „Live in Amsterdam“ by Beth Hart & Joe Bonamassa. And Back On The Road „Best Before“ is the album from Germany with the most votes by our readers. 3644 readers put their vote in our readers poll - a number we didn‘t dare to hope for. And first they put our webserver to the limits more than once a day. Here are the winners and runner--ups in the seven categories. If you want to know the whole results, please look into the much longer version of this article at the beginning of this magazine: Wasser-Prawda | Januar 2015 106 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2. 3. 4. 5. ENGLISH Blues (elektrisch) Johnny Winter - Step Back (338 Stimmen) Walter Trout – The Blues Came Callin’ (311) Mississippi Heat – Warning Shot (290) John Mayall - A Special Life Janiva Magness - Original Blues (akustisch) The Suitcase Brothers - A Long Way from Home (287 Stimmen) Sunday Wilde - He Digs Me (235) The Red Dirt Skinners Sinking The Mary Rose (189) Empire Roots Band - Music from Harlem Street Singer King Size Slim - Milk Drunk Bluesrock Joe Bonamassa - Different Shades of Blue (448 Stimmen) Devon Allman - Ragged And Dirty (316) Joe Louis Walker - Hornet‘s Nest (249) Tommy Castro & The Painkillers - The Devil You Know Alexis P Suter Band – Love The Way You Roll Soulblues, Soul & Funk Robert Cray Band – In My Soul (505 Stimmen) John Nemeth - Memphis Grease (327) Sharon Jones & The Dap Kings - Give The People What They Want (231) Third Coast Kings – West Grand Boulevard JJ Thames – Tell You What I Know 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2. 3. 4. 5. Wasser-Prawda | Januar 2015 Best Live album Beth Hart & Joe Bonamassa - Live In Amsterdam (517 Stimmen) Gary Clark Jr. - Live (345´) Gregg Allman: All my friends - celebrating the songs & voice of Gregg Allman (339) Charlie Musselwhite - Juke Joint Chapel Dana Fuchs - Songs from the Road Best debut Cha se Wa l ker Ba nd Unleashed (1714 Stimmen) Bad Temper Joe - Sometimes A Sinner (293) Blues Pills - Blues Pills (191) Kaz Hawkins - Get Ready Selwyn Birchwood - Don‘t Call No Ambulance Blues (national) Back On The Road – Best Before (726 Stimmen) 3 Dayz Whizkey - Steam (322) PASS OVER BLUES: THE … (295) Bad Temper Joe – Man For The Road B.B. & The Blues Shacks - Businessmen Best Blues Albums 2014 in the Blog „Down At The Crossroads“ 1. Kenny Wayne Shepherd Goin‘ Home 2. Keb Mo - Bluesamericana 3. Lu ke Winslow-K ing Everlasting Arms 4. Walter Tout - The Blues Came Callin‘ 5. John Mayall - A Special Life 6. Kaz Hawkins - Get Ready 7. JP Soars - Full Moon Night in Memphis 8. Eric Bibb - Blues People 9. Luther Dickinson - Rock n Roll Blues 10. Janiva Magness - Original 11. Gary Clark Jr. - Live 12. Joanne Shaw Taylor - The Dirty Truth 13. Ian Siegal - Man and Guitar 14. Rory Block - Hard Luck Child 15. John Hiatt - Terms of My Surrender 16. Royal Southern Brotherhood - Heartsoulblood 17. Nick Moss - Time Ain’t Free 18. Jo Harman - Live at the Royal Albert Hall 19. Bad Brad & the Fat Cats Take A Walk With Me 20. Joe Bonamassa - Different Shades of Blue ENGLISH 107 Mikey Junior The Blues is alive, sir LETTER FROM THE UK #13 BY DARREN WEALE Willkommen zum Brief Happy New Year! May aus dem Vereinigten Germany and Germans have a great 2015. Königreich. I don‘t know if you have ever started out to write something, only to find you would rather write something else? Perhaps a shopping list might Wasser-Prawda | Januar 2015 108 ENGLISH turn into a ‚what I would like for my birthday‘ list or you start out on a complaint to, say, your bank and end up writing to a friend because that is so much nicer to do. This Letter from the UK was going to be all about the British Blues Exhibition that is under way online and is being planned for an event for people to visit in 2015, with more to follow. While it is being mentioned, the website is www.britishbluesexhibition.co.uk, and you can watch that site grow and plans and progress appear as 2015 progresses. There is already a quote on there from German band, 3 Dayz Whizkey, if you look about. However, to start these Letters from the UK off for 2015, I would rather turn to the topic of an English author, or rather, two authors. One is PG ‚Plum‘ Wodehouse, the other Sebastian Faulks. In this case, they come together in writing novels featuring Wodehouse‘s great English characters from the 1920‘s, a young man of independent means in Bertie Wooster, and his gentleman‘s personal genthleman, Jeeves. Jeeves himself reads improving literature, including by German philosopher Immanuel Kant. There is a trend towards books written in the style of or using the characters‘ of great authors – Ian Fleming (James Bond) and Sir Arthur Conan Doyle (Sherlock Holmes) are examples where new books have been created with their inspiration from beyond the grave. ‚Jeeves and the Wedding Bells‘ is Sebastian Faulks take on PG Wodehouse, and he has done a very fine job of creating a new novel with some of the most famous characters in English literature. Just as many people would believe that authors of the excellence of Wodehouse and Fleming cannot be replaced or copied successfully, some people believe that the golden age – or crop of golden artists – in the Blues is over. For them there will be no new Howlin‘ Wolf, no new John Lee Hooker. In a literal sense, they are right. However, if Sebastian Folks can produce a PG Wodehouse novel that is so worthy of the original, can we not look forward to the music of a new Wolf, Hooker, or even a new Waters? Perhaps they are already here and playing. For instance, I have been mightily impressed by what little I have heard of Mikey Junior from the USA, but do look out for your own future Blues heroes in 2015. Here is a little bit of Stop Press for this Letter. There is another curious development in the Blues that has only just appeared, an attempt at a bit of alternative branding for the Blues as Indie B, Indie music being rather more fashionable these days. It has started on Facebook, and can be viewed here – https://www.facebook.com/groups/INDIEB. What will it do? That remains to be seen, but there is a lot of 2015 left for it to happen in. Seid glücklich und erfreut Euch an Eurer Live-Musik und allem was Deutsch ist! Wasser-Prawda | Januar 2015 Links Alistair Cooke - http://www.bbc. co.uk/programmes/b00f6hbp PG Wodehouse - http://www. wodehouse.co.uk/ Mikey Junior - http://www. mikeyjunior.com/ ENGLISH 109 OF COU R S E YO U CA N M A K E A PROF I T ON TO U R ! BY SARAH SKINNER (RED DIRT SKINNERS) There has been a blog post going around recently and a general consensus from many folk, some of whom really ought to know be er, that it simply isn’t possible to make a living as a musician in this day and age. More frustra ngly, is the expecta on that an ar st is lucky to “break even” on tour, let alone make a profit. Such reports are sending talented ar sts scurrying back to day jobs that they loathe, to daydream about what it would be like if only the music industry wasn’t such a non-starter. 5 years ago, I made a decision, alongside my (now) husband, to give it our best shot to make a living solely from music. Now we own our own home in the South East of England and we have plenty of time on our Wasser-Prawda | Januar 2015 110 ENGLISH hands to enjoy life. Is it easy? I guess we’re lucky because we both live and breathe music but it really has been easier than you might think. Music is something we are both deeply passionate about and therefore it’s something we’re always thinking about. We never really switch off, but then... we never really want to either. What bothers me the most, and what prompted me to write this, is the notion that you can’t make a living as a musician, and more specifically, whilst on tour. People pretty high up the chain say it just isn’t possible. You’ll probably make a loss, and if you’re really lucky, you might just break even. In fact, in a recent interview with a well known music magazine we were asked the following question; “how do you fund your touring?” Our act is just the two of us, and most of what we play is our own original music. We don’t get anyone else involved. No manager, no PR Agent, no one to answer to and no one else to pay. We’ve learned as we go how to do everything. From booking and advertising to mixing, mastering and recording our own albums. In fact, the only time anyone else gets involved in our operation is for the physical manufacture of our merchandise (CDs and T Shirts). I guess you could say we’re doing pretty well. The day jobs are a distant memory, we’ve won an award or two along the way and got some great press and airplay, which has helped spread our profile far and wide. We seem to be making waves in (generally) the right direction and spreading the word about our music. We‘re finding it easier to get well paying gigs. However, this wasn‘t our aim during our experiment. The Experiment We were so confused by the notion that you “can’t make a living on tour,” we decided to do a 10 day tour which involved cramming in as many gigs as we could. We also chose to book these gigs in Northern Scotland in order to really push the boundaries, raise the expenses and test our theory. Additionally, we made sure that we went to a tourist area out of tourist season to ensure we didn’t have any over-inflated audience numbers. We took *any* gig we were offered. Literally... anything. So on the 20th November 2014 we loaded up, got in our van and headed North. Wasser-Prawda | Januar 2015 ENGLISH it‘s planned well. There is something to learn from every single performance, even if it’s simply that you never want to do it again! Even the poor paying and poorly attended gigs can pay dividends in newly formed connections and experiences. So, if your mum/partner/friend told you you can’t make a living as a musician, and then a bunch of important seeming folk-in-the-know reiterated it.. go prove them wrong... Unless you’d rather work the 9-5 and spend your life wondering ... Anzeige Richard Koechli Vom AMA-Autor («Slide Guitar Styles», «Masters of Blues Guitar», «Best in the West») und Blues Dem Swiss Blues AwardGewinner 2013 auf den Fersen Roman Im Buchhandel oder bei www.tredition.de Day one made us £80 from a pass-the-hat house concert. Day two made us £120 from a pub gig. The week continued with more poorly paid gigs and small audiences. The most we earned from any gig the whole tour was £190 plus CD sales. We gave each and every gig our all as if it were a stadium. On one occasion we played to 9 people and we sold 8 CDs. We connected with our audiences, we won friends and to be honest, we made a couple of enemies because we remained strict about the agreements we’d made over each fee we were given. Much as we love performing, it is still our business and occasionally you might find a venue that tries to take advantage. Particularly when playing the pub circuit. Moving on to more positive points in the tour, we didn’t need to book a hotel in the whole time that we were away. We relied on the kindness and generosity of fans and venue owners and I think we’ve made some lifelong friends. Many venues gave us a free dinner as part of our deal and some offered us a room and breakfast. We bought one meal out in the whole time, and that was on our day off. Perhaps we were lucky with the kindness of offers of accommodation, but even if we’d paid for a cheap hotel every night, we’d still be in profit. At the end of the ten day tour (which took in 9 gigs) we had turned a profit of approximately £1500 after expenses. Small change perhaps to some, but bear in mind that this was an experiment and we took literally *any* gig we were offered (guest at open mic night, pass the hat, low paid pub gigs). We ended up in profit, which was our objective. By all means work that hard if you want to, the venues are out there, but my advice would be; be more astute and you can earn far more. You really can earn a decent living as a touring musician. Value your worth. Develop a business head. Get creative! Great venues are out there, and it’s often the alternative ones that pay the best, have the best hospitality for the artists, have the best merchandise sales and excellent mailing list sign ups. Think outside the box. For example, playing a show in the home of a fan can easily earn upwards of £500 if 111 Was geschah wirklich damals - bei Robert Johnson & Co ? Der Musik-Roman! tredition-Verlag (Taschenbuch, Hardcover & e-book) Was steckt hinter dem geheimnisvollen «Mojo» des Blues? Was geschah damals wirklich bei Robert Johnson & Co.? Richard Koechlis Buch nimmt den Leser mit auf eine abenteuerliche Gedankenreise zu den Tempeln der afroamerikanischen Musikseele - und sorgt mit Humor, Tiefsinn und Verschrobenheit dafür, dass die berühmten blue notes uns erst recht keine Ruhe mehr lassen. Infos: www.richardkoechli.ch Wasser-Prawda | Januar 2015 112 ENGLISH Reviews Wyman. He has also played with a veritable who‘s who of rock and modern music royalty: Bob Dylan, Elton John, Dave Crosby, BB King, Joe Cocker, Bonnie Raitt, The Who, Jimmy Page, Van Morrison, Phil Collins, The Bee Gees. The list is virtually endless, impressive and illustrates the importance and high esteem with which this guy is held among his critical contemporaries. A major figure who, despite the astonishing credentials and CV, somehow always seems to ride and roll just below the radar. Now actively touring with his own excellent band, The Low Riders, ‚Zone-O-Tone‘ is a 13-track album Andy Fairweather Low & The featuring Fairweather Low‘s strong Low Riders - Zone-O-Tone and subtle songwriting skills together Andy Fairweather Low is a Welsh with marvelous ensemble perforsuperstar, without doubt. Think mances from a fabulous foursome. Wales and Tom Jones probably This must be one of the most enjocomes to mind. But think again: yable, polished albums of the year. AFL is the guy who brought the An absolute winner! A sparkling gem 1960s hits ‚Paradise‘, Bend Me, from a true genius. (Proper Records Shape Me‘ etc to the musical table PRPCD 110) as frontman of Amen Corner. Iain Patience In the 70s he again hit the UK charts with the wonderfully colourful and wittily emotional, ‚Wide Eyed And Legless‘, before going on to help Clapton put together the arrangements for the multi-million selling, ‚Clapton Unplugged‘ release. Indeed, for the past couple of decades, Low has been a permanent annual touring fixture, as guitarist, with Clapton‘s own band. In addition, he tours regularly with ex-Pink Floyd Roger Waters, and former Rolling Stone bassman, Bill hoping for success and record sales in the European blues arena. With this latest release he might just have produced the goods to carry him onto a wider world stage. Iain Patience Aaron Burton - All Night Long All Night Long is Texan Burton‘s sixth release to date and features his usual mix of drawling southern vocals with some fine understated guitar fretwork. Here he is joined by two musical buddies, ‚Stomping‘ Bill Johnston on Harp and Dirk Cordes on Skins. Mostly self-written, material also includes Charlie Patton‘s ‚Pony Blues‘ together with a Willie McTell cover of ‚Statesboro Blues‘. The 14 tracks that make up the album are delivered with Burton‘s trademark laid-back style and sensitivity. Always soulful, the tempo is varied giving the whole a satisfying overall feel and vibe. Having played a few gigs in Europe (France) last year in 2014, Burton is now targeting his launches at a UK and Europe-wide audience with considerable success; this album has already featured widely on UK blues radio playlists in recent months, gaining a well-deserved growing fanbase and interest for the guy and his music. Burton is clearly hungry, Wasser-Prawda | Januar 2015 ENGLISH Erwin Helfer - The Erwin Helfer Way The Chicago Piano Blues Legend Erwin Helfer presents his sixth Sirens Records album ‘The Erwin Helfer Way’. The 76-year young lively musician learned the fine art of boogie woogie piano from his legendary role models Sunnyland Slim, Pinetop Perkins and Jimmy ,Papa‘ and ‚Mama‘ Yancey. Erwin Helfer is thus present as one of the few remaining authentic pianists of the classic Chicago blues piano on stage regularly. In Germany we await his next tour in the second half of 2015. That Erwin Helfer has received numerous awards and nominations, goes without saying. Wasser Prawda will soon tell more about Erwin Helfer, his life and his career. On this album Erwin Helfer presents a cross-section through the classic Chicago Blues Piano landscape of the last decades. We know each of the pieces played. Erwin Helfer knows how to impart to each of these titles his own stamp - the album intrigued from the first to the last stop. The playlist includes ‘Chicken Shack‘, ‘Bayby will not you please come home‘ as well as ‚Sweet Georgia Brown‘. The rousing ,E & C Boogie‘ is presented by Erwin Helfer in conjunction with the great contemporary pianist Barrelhouse Chuck. Actually Erwin Helfer is supported by a remarkable group of highcaliber musicians. In addition to Barrelhouse Chuck on piano and organ especially the tenor saxophonist John Brumbach (former Chaka Khan) should be mentioned. Skinny Williams (ten.sax) is represented by two remarkable solos, bassist Lou Marini (former Blues Brothers Band) and drummer William, Bugs‘ Cochran are responsible for the rhythm. The cast is an absolute treat for the fans of traditional Chicago blues. Incidentally, the city of Chicago has renamed a part of the famous Magnolia Street to ,Erwin Helfer Way‘- that solves the mystery of the naming of the album. But it is also obvious that Erwin Helfer walks the Erwin Helfer Way in interpreting the pieces of music he plays. The CD is a must for each Chicago Blues lover traditionally oriented! (BK) 113 Joe Pi s Band - Payin The Price The beautiful surprises – they exist. This morning I found Joe Pitts Live CD, Payin ‚The Price‘ in my mailbox. The critics compare Joe Pitts – born and living in Arkansas – with Walter Trout or Duane Allman. I put him on a par with the great Jimmy Thackery. Pitts plays his Gibson soulful with a self-evident as only few experienced guitarists succeed. It sounds hard, violent and extremely bluesy. He whether changes his guitar during the show nor uses several square meters of pedals and refuses the big show. Joe Pitts already is long time in business. Since his studies at the Berklee College of Music, he is onn the go as a musician. With his Joe Pitts band, he has traveled the U.S., Europe and the rest of the world. We had the opportunity to see him in 2011 in Blues Garage Isernhagen. I was impressed by his self-composure, his clear voice and his impressive guitar playing including longer Slide parts. The same applies to his band Wasser-Prawda | Januar 2015 114 ENGLISH members, which he introduces as Arkansas‘s leading musicians: Al Hagood (bass), Chris Moore (drums, perc.) and Don Collins (Hammond). All they are seasoned musicians who guarantee an excellent sound. The album includes covers and original compositions found in balanced proportions. Joe Pitts arranged the covers in his very personal kind and totally avoids the boredom that might arise when you listen to the next version of ‚Black Cat Bone‘. ‚Payin‘ the Price‘ was recorded open air in 2013 in the Postmaster Grill, Camden / Arkansas. A very strong praise belongs to the sound engineer for the excellent sound quality of the CD. ‚Time is running out‘, a rather quiet Blues Rock opened the gig. ‚High Price‘ a Southern rock track and ‚Grits aint Groceries‘ force the pace. ‚Black Cat Bone‘ takes a little speed out then. Robert Johnson‘s ‚If I Had Possession‘ and Joe Pitts ‚Midnight Blue‘ (with a long ‚Jessica‘ quote) end the show. Joe Pitts runs on to top form, his slide guitar is thrilling and breathtaking. I was already fascinated by the album at first hearing - which is not so often before. The coolness the band shows fascinates me. None of the musicians distort a straight face, and why should we talk too much on stage? Arkansas? How did I get this impression? There is the concert on DVD in excellent picture and sound quality! I recommend this album and the DVD to each Blues fan, preferring seasoned musicians and clear, guitaroriented, melodic blues (rock). Joe Pitts is a must in each well-stocked bit younger, is no less talented and experienced. This is a great album Blues record collection. (BK) and hopefully marks the creation of a new major duo with loads more to come in future years. In reality, this is as good as it gets. (Catfood Records) Iain Patience O s Clay & Johnny Rawls Soul Brothers A perfect pairing here with Clay and Rawls, rootsy, blues-at-heart and super soul. If you like soul music, this is one for you. For me, this is an absolute triumph; a tentrack release of immense quality with great songs, arrangements and vocals. Hard though it is to select a single track, ‚Voodoo Queen‘ (cowritten by Rawls and co-producer, Bob Trenchard) and the classic standard ‚What Becomes Of The Brokenhearted‘ together with ‚Living On Borrowed Time‘ (again from Trenchard and Rawls) are simply outstanding numbers. This is one of those near-classic soul albums with shades of 1960s and 70s Motown and Stax central to its sound and themes. A full horn section smacks of Stax while the songs and music hold more than a hint of Motown‘s renowned lyricfactory genius. Clay is one of those guys who has been around a long time, (forty years or more) learning his craft with solid, superb skill and deep soul. Rawls, a Wasser-Prawda | Januar 2015