Carroll Dunham
Transcription
Carroll Dunham
05 006003 190171 4 6 EURO DAS FOTOARCHIV DES DANIEL BLAU GENERATION BASELITZ SOTHEBY'S, DER MARKT, DIE KRISE UND ICH HERZOG WÜRTTEMBERG DIE GNADE DER FRÜHEN GEBURT HAROLD ANCART SOMMER 2016 EIN KUNSTMAGAZIN Nr. 12 Carroll Dunham AUFTAKT TO BREAK THE RULES, YOU MUST FIRST MASTER THEM. DAS VALLÉE DE JOUX: SEIT JAHRTAUSENDEN WURDE DIESES TAL IM SCHWEIZER JURAGEBIRGE VON SEINEM RAUEN UND UNERBITTLICHEN KLIMA G E P R Ä G T. S E I T 1 8 7 5 I S T E S D I E H E I M AT V O N AUDEMARS PIGUET, IM DORF LE BRASSUS. DIE ERSTEN UHRMACHER LEBTEN HIER IM EINKLANG MIT D E M R H Y T H M U S D E R N AT U R U N D S T R E B T E N DANACH, DIE GEHEIMNISSE DES UNIVERSUMS DURCH IHRE KOMPLEXEN MECHANISCHEN MEISTER WERKE ZU ENTSCHLÜSSELN. DIESER PIONIERGEIST INSPIRIERT UNS AUCH HEUTE NOCH, DIE REGELN DER FEINEN UHRMACHERKUNST STETS ZU HINTERFRAGEN. ROYAL OAK CHRONOGRAPH „So wie man von der Kunst immer wieder gefordert wird, auch Abseitiges, sogar Abstoßendes auszuhalten, so muss auch das Gegenteil möglich sein: aushalten, dass etwas auf den ersten Blick schön ist“ Noch keine Titelgeschichte war innerhalb der Redaktion so umstritten wie die der aktuellen Ausgabe. Als ich das erste Mal in die Runde warf, man müsse dringend ein Porträt über Carroll Dunham bringen, einen Maler, der mir immer wieder von anderen Malern empfohlen worden war und dessen Werk sich mir bislang nicht erschlossen hatte, war die Reaktion mehr als verhalten. Eigentlich ist es eines der schönsten Privilegien eines Chefredakteurs, sich Themen, die man nicht versteht, erklären zu lassen. Doch als eine schnelle Google-Bildersuche auf dem Handy eines Kollegen ergab, dass unter den ersten fünf Hits immerhin drei großzügigst gespreizte Genitalien zu sehen waren, wurde die Stimmung nicht besser. Und dann das potenzielle Cover: eine Rückenansicht vor Meerespanorama, die mich an den klassizistischen Picasso erinnerte, der sich gerade vom Kubismus verabschiedete und in zartesten Schraffuren einen neuen Frauentyp erfand. Aber leider auch daran, dass ich noch immer keinen Sommerurlaub gebucht hatte. So plastisch malte mir eine Kollegin aus, wie sie das Cover diesen Sommer über nur umgedreht auf ihrem Couchtisch liegen haben würde, dass ich begann, die Aufregung auf den Fakt zu schieben, dass Dunhams Amazonen ausnahmslos Achselhaare hatten. Über 30 Jahre nachdem mit Nena der größte Popstar des Landes die selbigen im Wind des Zeitgeists hatte wehen lassen, schien es, so meine Arbeitshypothese, kaum etwas Verstörenderes zu geben. Eine Hypothese, die sogleich zusammenbrach, als die nächste Kollegin verkündete, die Achselhaare seien noch das Beste an dem Bild. Selbst der Fakt, dass Carroll Dunham der Vater der vielleicht einflussreichsten feministischen Fernsehmacherin unserer Tage ist, schien die Ablehnung nur zu verstärken. Doch eines hatten wir von unserem Art Director gelernt. Als wir die ersten Ausgaben von BLAU produ- AUS EDELSTAHL 5 zierten, hatte er immer wieder davon gesprochen, dass man – Redaktion wie Leser – lernen müsse, Dinge auszuhalten. Es konnte also nicht schaden, das potenzielle Cover fertig zu gestalten und an die Wand zu hängen, an der jeder auf dem Weg in die Redaktionsküche vorbei musste. Als erst der Text von Oliver Koerner von Gustorf eintraf, der Dunham in Connecticut besucht hatte, und dann die High-Res-Bilder ins Layout eingesetzt wurden, begann sich die Stimmung zu drehen. So primär die Geschlechtsorgane auf Dunhams Bildern, so originär schien manchem plötzlich die Malerei. Und auch wenn der Dienstälteste unter uns nach wiederholter Lektüre des Porträts bekräftigte, er glaube Dunham letztlich immer noch kein Wort, begannen die Ersten, das Cover und vor allem die Gemälde im Heft auszuhalten, ja, sogar gut zu finden. Mein Unverständnis kippte in Begeisterung. Vor allem eines wurde uns bei der Arbeit an diesem Heft bewusst: So wie man in der Kunst immer wieder gefordert wird, Abseitiges oder auf den ersten Blick Abstoßendes auszuhalten, so muss auch das Gegenteil möglich sein. Aushalten, dass etwas auf den ersten Blick schön ist, ja sogar hübsch. Jahrelang war ich immer wieder auf die Arbeiten des jungen Belgiers Harold Ancart gestoßen, und immer hatte sich dieser leichte Widerstand bei mir geregt. Zu hübsch fand ich sie, zu dekorativ. Als ich Ancart dann in seinem New Yorker Atelier besuchte und ihm von meinen anfänglichen Problemen mit seinem Werk erzählte, lachte er. „Yes, they are pretty“, so Ancart. „But I think they are pretty great.“ Hässliches könne großartig sein, offensichtlich Hübsches jedoch auch. Man müsse, so Ancart, nur intensiv genug schauen. „Man muss lernen, es auszuhalten“, sagte ich. Ancart nickte energisch. Und wir schauten schweigend in den von ihm gemalten Sternenhimmel. CORNELIUS TITTEL APÉRO EIN KUNSTMAGAZIN CONTRIBUTORS / IMPRESSUM 13 ESSAY Vom Genie 16 NEUES, ALTES, BLAUES 24 BLITZSCHLAG Marion Ackermann Nr. 12 / Sommer 2016 CARROLL DUNHAM Untitled (8/5/14, 8/6/14, 8/8/14), 2014, Wasserfarbenkreide und Bleistift auf Papier, 76 × 57 cm 30 DICHTER DRAN Björn Kuhligk „Ich fühle da gar keine Verbindung zwischen Pornografie und meinem Nachdenken über Malerei. Sie hat nichts damit zu tun, was ich über die nackte Menschheit denke“ 31 BEWEGTBILD Stan Douglas 31 DIE SCHNELLSTEN SKULPTUREN DER WELT Der Honda NSX 32 UM DIE ECKE Paris 36 HINTERGRUND Ars Viva CARROLL DUNHAM IM ECHTEN LEBEN IST ER VON STARKEN FRAUEN UMGEBEN. IN SEINER KUNST VON AMAZONEN MIT SCHLAUCHBOOTGENITALIEN. EIN PORTRÄT — CARROLL DUNHAM s. 40 BELLE DE JOUR GROSSE LIEBE, JA. ABER AUCH GROSSE KUNST? VOR 100 JAHREN BEGANN DIE WELTKARRIERE DER GEORGIA O’KEEFFE s. 26 KOOL-AID MAN MAL KÜNSTLER-PHILOSOPH, MAL WILDERER IM DIGITALEN DSCHUNGEL: AN JON RAFMAN FÜHRT IN DIESEM SOMMER KEIN WEG VORBEI S. 20 INHALT 6 Von oben im Uhrzeigersinn: CARROLL DUNHAM Untitled, Feb. 4, 2016 #1, 2016, Monotypie, Wasserfarbe und Bleistift auf Lanaquarellpapier, 111 × 87 cm. Selbstporträt JON RAFMAN. GEORGIA O’KEEFFE, fotografiert von ALFRED STIEGLITZ, ca. 1920, Silbergelatineprint, 12 × 9 cm 10 „Die wenigen superreichen Sammler überlegen sich, ob sie jetzt wirklich 30 oder 40 Millionen für einen Cy Twombly ausgeben wollen. Sie schauen auf ihr Portfolio, sehen die Ölkrise, ein schlechtes Investment in Asien, das nicht um 40 Prozent gewachsen ist, sondern nur um 14 Prozent“ ENCORE 83 ENCORE Herzog von Württemberg 88 WERTSACHEN Was uns gefällt EIN KUNSTMAGAZIN Nr. 12 / Sommer 2016 92 GRAND PRIX Die Kunstmarkt-Kolumne 94 BLAU KALENDER Unsere Termine im Sommer 98 DER AUGENBLICK Satoru Watanabe — PHILIPP HERZOG VON WÜRTTEMBERG HELDENBILDER KEIN FOTOGRAF KAM GEORG BASELITZ UND SEINEN KÜNSTLERFREUNDEN NÄHER ALS DANIEL BLAU. EIN PORTFOLIO AUS HEROISCHEN ZEITEN s. 52 Die Papiere, bitte IN DIESEN LEDERBÄNDEN SCHLUMMERT EINE DER WICHTIGSTEN SAMMLUNGEN DER WELT. ZU BESUCH IN DER PARISER FONDATION CUSTODIA S. 60 DER TRIP HAROLD ANCART WUSSTE FRÜH, DASS IHN DAS ZEICHNEN WEIT BRINGEN WÜRDE s. 66 INHALT 8 Von oben im Uhrzeigersinn: GEORG BASELITZ hinter Scheibenkopf im Atelier Derneburg, 1986, fotografiert von DANIEL BLAU. Fondation Custodia, Paris. HAROLD ANCART, fotografiert 2016 in New York von GEORDIE WOOD 97 BILDNACHWEISE Das neue Vitra Schaudepot. 20.000 Objekte 400 Highlights 200 Designer 200 Jahre Willkommen in der Geschichte des Möbeldesigns! CONTRIBUTORS Fabrice HERGOTT Seit 2006 leitet der Lothringer das Pariser Musée d’Art Moderne, das er mit Ausstellungen zur europäischen und amerikanischen Gegenwartskunst zu einem Haus mit internationaler Strahlkraft gemacht hat. Hergott ist intimer Kenner der deutschen Kunst und präsentierte mit Albert Oehlen, den Skulpturen von Baselitz oder der Schenkung von Michael Werner zuletzt Schauen, die sich mancher auch hierzulande gewünscht hätte. Für uns erzählt er zu den Fotos von Daniel Blau die Geschichte der Künstlergruppe, die sich in den 80er-Jahren um Georg Baselitz geschart hat. (Seite 52) LOTTERMANN and FUENTES Der Beginn dieser wunderbaren Freundschaft liegt da, wo immer alles anfängt, nämlich in der Kindheit. Später arbeitete Nada Lottermann als Model, Vanessa Fuentes wurde Fotografin. Dann tauschten sie die Rollen, von da an ging es hin und her. Und natürlich landen längst auch andere vor ihren Kameras. Dass auch ein Nichtmodel das Zeug zum Profi hat – vielleicht weil er als Europa-Chef des Auktionshauses Sotheby’s gewohnt ist, dass sich die Augen auf ihn richten – zeigte beim BLAU-Shooting Philipp Herzog von Württemberg. (Seite 83) Andreas ROSENFELDER Charles-Eames-Str. 2 Weil am Rhein / Basel design-museum.de/schaudepot #schaudepot #vitradesignmuseum Vitra Design Museum Ob er ein Plädoyer für die Abschaffung der Ironie schreibt, einen Abgesang auf Ai Weiwei oder eine philosophische Betrachtung der Foltermethoden im neuesten James Bond, Andreas Rosenfelder schafft es immer wieder, rasante Gegenwartsdiagnostik vor dem Hintergrund eines hardcoreklassischen Bildungskanons zu betreiben, ohne dabei eine Sekunde lehrmeisterlich zu wirken. Für seinen Essay über den Geniediskurs in postheroischen Zeiten ließ sich der Feuilletonchef der Welt von Stefan Zweigs Vorwort zu seinem 1921 verfassten Buch über Paul Verlaine inspirieren. Und schafft doch locker den Bogen zur kommenden, vom New Yorker DIS-Kollektiv kuratierten Berlin Biennale. (Seite 13) IMPRESSUM Redaktion CHEFREDAKTEUR Cornelius Tittel (V. i. S. d. P.) MANAGING EDITOR Helen Speitler STELLV. CHEFREDAKTEURIN Swantje Karich ART DIRECTION Mike Meiré Meiré und Meiré: Philipp Blombach, Marie Wocher ARNULF RAINER EARLY WORKS 1950 – 60 SALZBURG AUGUST 2016 ROPAC.NET TEXTCHEF Hans-Joachim Müller BILDREDAKTION Isolde Berger (Ltg.), David Dörrast, Jana Hallberg REDAKTION Gesine Borcherdt, Dr. Christiane Hoffmans (NRW) SCHLUSSREDAKTION Karola Handwerker, Claudia Kühne, Max G. Okupski, Ralph Schüngel REDAKTIONSASSISTENZ Manuel Wischnewski Autoren dieser Ausgabe Hanno Hauenstein, Björn Kuhligk, Oliver Koerner von Gustorf, Fabrice Hergott, Ulf Poschardt, Andreas Rosenfelder, Marcus Woeller, Ulf Erdmann Ziegler Fotografen dieser Ausgabe Yves Borgwardt, Lottermann and Fuentes, Gregory Halpern, Claudia van Koolwijk, Martina Maffini, Christian Werner, Geordie Wood Sitz der Redaktion BLAU Kurfürstendamm 213, 10719 Berlin +49 30 3088188–400 redaktion@blau–magazin.de BLAU erscheint in der Axel Springer Mediahouse Berlin GmbH, Mehringdamm 33, 10961 Berlin +49 30 3088188–222 Nr. 12, Sommer (Juni–August) 2016 Verkaufspreis: 6,00 Euro inkl. 7 % MwSt. Abonnement und Heftbestellung Jahresabonnement: 48,00 Euro Abonnenten-Service BLAU Postfach 10 03 31 20002 Hamburg +49 40 46860 5237 abo@blau-magazin.de Verlag GESCHÄFTSFÜHRER Jan Bayer, Petra Kalb MARKETING Arne Hartwig arne.hartwig@blau–magazin.de Sales ANZEIGENLEITUNG Eva Dahlke (V. i. S. d. P. ), eva.dahlke@axelspringer.de ANZEIGENLEITUNG KUNSTMARKT Julie Willard julie.willard@blau–magazin.de HERSTELLUNG Olaf Hopf DIGITALE VORSTUFE Image- und AdMediapool DRUCK Firmengruppe APPL, appl druck GmbH Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 01.01.2016. Copyright 2016, Axel Springer Mediahouse GmbH PARIS MARAIS PARIS PANTIN SALZBURG ESSAY HAUSER & WIRTH SCHWITTERS MIRÓ ARP KURATIERT VON DIETER BUCHHART 12. JUNI – 18. SEPTEMBER 2016 LIMMATSTRASSE 270 8005 ZÜRICH WWW.HAUSERWIRTH.COM MEHR NEUROSE WAGEN ARTHUR RIMBAUD, Ausschnitt aus dem Gemälde Un coin de table von Henri Fantin-Latour, 1872 Schon tausendmal ist das Genie als Klischee entlarvt worden – oder gleich als Machttechnik. Jetzt, so heißt es, regieren nur noch die Netzwerke. Doch ein Phantomschmerz bleibt. Von Andreas Rosenfelder HANS ARP PAPIER DÉCHIRÉ (DETAIL), 1947 ZERRISSENES PAPIER AUF PAPIER 39 × 35.5 CM STIFTUNG ARP E.V., BERLIN/ROLANDSWERTH © 2016, PROLITTERIS, ZÜRICH F alls Sie nach einem Grund suchen, sich zu erschießen, lesen Sie das Vorwort, das Stefan Zweig 1921 für sein Buch über Paul Verlaine schrieb. Es ist eine Zerstörung. Sie gilt zwar nur Verlaine, der immerhin zu den größten Dichtern des 19. Jahrhunderts gehört, aber sie überträgt sich sofort auf jeden, der irgendwann einmal den Verdacht hatte, auch nur einen Funken von Genialität in sich zu tragen. Gleich im ersten Satz räumt Zweig die heute noch geläufige Annahme aus dem Weg, Verlaine sei „der erste Bohémien“ gewesen, „ein zynischer Verächter der Bürgerliteratur, Kraftgenie und Empörer“. Es folgt auf 16 Seiten ein Zeugnis, das die gesamte Existenz des französischen Symbolisten vernichtet, von der frühen Kindheit, „verzärtelt und verzogen“, bis zum bitteren Ende mit Gefängnis und Syphilis, dem vollen Programm. Verlaine war ein ängstlicher Loser, ein provinzieller Durchschnittstyp und melancholischer Langweiler, von kleinbürgerlichen Harmoniebedürfnissen gesteuert und nur aus Zufall und Schwäche auf die schiefe Bahn eines Künstlers geraten – im maximalen Gegensatz zu seinem Freund und Anstifter Arthur Rimbaud. Der ist für Zweig das wahre Genie: ein „urkräftiger und dämonischer Mensch“, dessen kompromissloses Leben ein einziger „Amoklauf gegen das Schicksal“ war. Nun ist die wilde Biografie von Arthur Rimbaud, der schon mit 19 Jahren mit der Literatur fertig war und als heimatloser Abenteurer in die Tropen verschwand, ziemlich schwer nachzuahmen, vor allem wenn man schon doppelt so alt ist. Wer nicht größenwahnsinnig ist, wird sich als Leser dieses existenziellen Vorworts eher mit Verlaine identifizieren – ohne freilich bereits ein Werk geschaffen zu haben, das sich etwa mit den Poèmes saturniens vergleichen ließe. Kurzum: Es ist ein echter Downer, sich mit dem radikalen Geniebegriff von Stefan Zweig zu konfrontieren – zumal wenn man weiß, dass der österreichische Schriftsteller, der selbst zur Depression neigte, sich 1942 in Brasilien das Leben nahm. Warum schaut man ihm hier dann trotzdem so gebannt, ja fast gierig dabei zu, wie er auf den regungslos am Boden APÉRO 13 liegenden Paul Verlaine eintritt? Das liegt daran, dass Zweig zugleich auf einem Zentralnerv der modernen Subjektivität herumtrampelt, einem Nerv, der entscheidende Impulse für die kulturelle Produktion der letzten zweieinhalbtausend Jahre gab und darüber hinaus in einer dunklen und unklaren Weise auch heute noch in jeder Biografie zuckt, die irgendwie zur schöpferischen Tätigkeit drängt – also dazu, in dieser Welt nicht bloß eine Funktion zu erfüllen, sondern auch Dinge zu verändern, vielleicht alles zu ändern, vor allem aber die eigene Existenz und ihre rätselhaften Potenziale auszuschöpfen, anstatt sich mit dem Anteil am Weltgeschehen zu begnügen, der einem statistisch zusteht. Dieser Nerv heißt Genie, und es ist eigentlich seltsam, dass er immer noch wehtut, wenn er gereizt wird. Denn eigentlich sollte er schon längst abgetötet sein, und das nicht nur deshalb, weil man nicht mehr 17 ist und Dostojewskis Idiot oder Rainald Goetz’ Irre mit sich herumträgt. Wir leben in einer postheroischen Zeit, wir sind ans Internet als ständig verfügbare Inspirationsquelle angeschlossen und nicht mehr an jenes unterirdische Myzel, das sich von Sokrates und seinem berühmten „Dämon“ aufwärts durch die Geistesgeschichte zog, um die Leben der „Ausnahmemenschen“ und jener, die es werden wollten, miteinander zu verflechten. Die „großen Männer“, so hieß das bei den Alten, und diese Beschreibung bündelt schon alles, was uns heute lächerlich, unsympathisch und fremd daran erscheint. Man muss die Argumente nicht mehr vorbringen, sie sind sattsam bekannt und durchgesetzt. Schon tausendmal ist das Genie als Klischee, als soziohistorisches Konstrukt, als bloßes Narrativ und diskursive Machttechnik entlarvt worden. Doch auch wenn all das stimmt, bleibt ein innerer Phantomschmerz zurück, eine Erinnerung an eine tatsächlich erlebbare Form der Begeisterung, die sich nicht analytisch auflösen lässt und die an jenen privaten „Genius“ erinnert, der jeden römischen Bürger lebenslang begleitete und vor allem für die sexuelle Potenz zuständig war. Es ist dieser klebrige Komplex von Sexualität, Männlichkeit und Exzess, der jetzt noch am Geniebegriff haftet, an all den Anekdoten, die man sich in der Kunstgeschichte von Caravaggio, Picasso und de Kooning (mit abnehmender Bewunderung) erzählt. Der Kult um den genialen Künstler, der im Regelfall ein toter, weißer Mann ist, wirkt wie peinliche, leicht ranzige Folklore. Niemand kommt mehr auf die Idee, sich zu Zwecken der Profilbildung ein Ohr abzuschneiden oder im Vollrausch mit einer eigentlich zu Selbstmordzwecken erworbenen Pistole um sich zu schießen, so wie Verlaine es 1873 in Brüssel tat. Nicht einmal die Heroinüberdosis, die sich der amerikanische Künstler Dash Snow 2009 in einem New Yorker Hotel in die Venen schoss, reichte aus, um ihn postum in den Geniestand zu versetzen. Wer heute noch die Rolle des von einem unerklärlichen Schaffenstrieb besessenen Monomanen spielt wie Jonathan Meese, wird bestenfalls belächelt. Im Smalltalk gilt nach wie vor, was Flaubert in seinem Wörterbuch der Gemeinplätze zum Stichwort „Genie“ notierte: „Immer betonen: Genie ist eine Neurose.“ as aber ist an die Stelle dieser geheimnisvollen subjektiven Instanz getreten? Die Berlin Biennale, seit ihrer Gründung durch Klaus Biesenbach im Jahr 1998 eine Art Showroom für das gerade angesagte Paradigma im Kunstsystem, wird in diesem Jahr von einem Künstlerkollektiv geführt, das DIS heißt und in Interviews damit spielt, eigentlich eine Marketingagentur zu sein, die keine Marketingagentur sein will. Es ist der größtmögliche Gegenpol zum Konzept des genialen Impulsgebers, das selbst Hans Ulrich Obrist als exzentrischer Starkurator noch verkörperte – wie überhaupt der Kurator eine Art postmoderne Schwundstufe des klassischen Originalgenies darstellte, nur dass er nicht mehr aus dem Reichtum innerer Bilder schöpfte, sondern aus dem auf dem Markt verfügbaren Material. Mit DIS, einer Combo junger New Yorker, ist auch diese Stufe überwunden. Die Gruppe umgibt sich mit einer aufgeräumten Aura aus Flipcharts, PR-Fotos und Diagrammen. Es ist die sterile Erotik des Firmenlofts, die hier den Kitsch der schöpferischen Subjektivität ersetzt. Damit fängt die Biennale perfekt den Spirit eines Kunstsystems ein, das analog zur Internet- W industrie auf Netzwerke und Teamwork setzt, sodass die Produkte scheinbar urheberlos entstehen. Mit einer Formel, die Thomas Schatz für das klassische Studiosystem von Hollywood geprägt hat, könnte man vom genius of the system sprechen – eigentlich ein Widerspruch, denn der Schwarm der „Dutzendmenschen“ (Nietzsche), diese „Fabrikware der Natur“ (Schopenhauer) war in der Genieästhetik immer nur dazu da, um vom Genie verachtet zu werden und es im Gegenzug mit Verehrung zu überschütten. Im Vorwort zu seinen Sternstunden der Menschheit, 1927 erschienen, schrieb Stefan Zweig: „Immer sind Millionen Menschen innerhalb eines Volkes nötig, damit ein Genius entsteht, immer müssen Millionen müßige Weltstunden verrinnen, ehe eine wahrhaft historische, eine Sternstunde der Menschheit in Erscheinung tritt.“ Im Rückblick wirkt dieses Pathos fast absurd, denn die 20er-Jahre, die uns in ihrer gesellschaftlichen Rasanz so vertraut vorkommen, erscheinen im Rückblick als eine einzige kollektive Sternstunde, als ein Netzwerk hochmoderner Ideen, Ästhetiken, Kunstformen. Ihre soziologi„Es ist nahezu unmöglich, sche Kulisse war die von Siegfried Kracauer beschriebene Angestelltenkultur, ein Genie zu sein oder die in der Start-up-Welt von heute fast auch nur eines zu bestimmen. eine Eins-zu-eins-Entsprechung findet. Ausgerechnet dieses neusachliche, arbeitsDaraus aber zu folgern, teilige, vor Pluralität nur so wimmelnde man könne auf die ganze Idee Jahrzehnt feierte die Genialität des Künstlers wie vielleicht kein anderes zuvor. verzichten und sich ganz Das ist kein Widerspruch. Der Geniebegriff , so schrieb Jacob Cahan in der Prosa der Produktionsseiner Dissertation im Jahr 1911, sei immer verhältnisse überlassen, Ausdruck eines „Unzulänglichkeitsbewusstseins“. Er steht für eine energetische wäre falsch“ Unbekannte, die man niemals wirklich hat, nach der man sich aber umso stärker Jetzt gibt es also auch das kreative Subjekt sehnt. Wer sich für ein Genie hält, der ist im Dutzend billiger, und man müsste garantiert keins, so lautet eine Erfahrungsden sympathischen Post-Internet-Künstlern regel. Wer wiederum ein Genie verehrt, von DIS eigentlich dankbar sein für die kann ebenfalls keins sein, denn Unterwerendgültige Austreibung des Geniegedankens fung ist ungenial, darauf hat Nietzsche aus dem Kunstbetrieb, für einen zeitgemäbrutal hingewiesen. Zugleich aber kann, wie ßen Kunstbegriff, der sich auf smarte Art Lessing feststellte, „ein Genie nur von zwischen Corporate Design und Kommueinem Genie entzündet werden“. s bleibt also vertrackt: Das Genie ist nikationstheorie durchlaviert und dabei ein beispielloses Musterbeispiel, perfekt in eine durchdigitalisierte Welt passt, ein Vorbild, das man nicht nachahmen wo der Zugang zu Ideen halt kein Privileg weniger Auserwählter mehr ist wie in Platons kann. Daraus aber zu folgern, man könne auf die ganze Idee verzichten und sich Ideenlehre. Man müsste ihnen dankbar dafür sein, dass sie mit ihrer ironischen Büro- einfach der Prosa der Produktionsverhältnisse überlassen, wäre ein Irrtum. Auch philosophie zeigen, wie unnötig der die postgeniale Ästhetik tut so, als spräche zornige Aufstand gegen die Arbeitsdisziplin durch sie etwas hindurch, eine Art höherer und den Funktionalismus der Moderne Zeitgeist, der sich seine Gefäße sucht, und ist, der seit dem Sturm und Drang zu den seien es vernetzte Arbeitsgruppen. Es mag Pflichten jedes Kraftgenies gehörte. Man müsste ihnen dankbar dafür sein, dass man unmöglich sein, ein Genie zu sein. Aber noch unmöglicher ist es, kein Genie zu sein. kein Genie mehr sein muss, kein Rimbaud, kein Verlaine. Keine Syphilis, kein Selbstmord, höchstens ein bisschen ADHS. Man müsste, aber es funktioniert nicht. E APÉRO 14 JUNE 12 TO JULY 23, 2016 JOE BRADLEY MAAG AREAL JUNE 12 TO JULY 23, 2016 MARK HANDFORTH MAAG TERRACE JUNE 12 TO AUGUST 27, 2016 WALEAD BESHTY LÖWENBRÄU AREAL JUNE 12 TO AUGUST 27, 2016 TORBJØRN RØDLAND LÖWENBRÄU AREAL GALERIE EVA PRESENHUBER MAAG AREAL ZAHNRADSTR. 21, CH-8005 ZURICH TEL: +41 (0) 43 444 70 50 OPENING HOURS: TUE-FRI 10-6, SAT 11-5 LÖWENBRÄU AREAL LIMMATSTR. 270, CH-8005 ZURICH TEL: +41 (0) 44 515 78 50 OPENING HOURS: TUE-FRI 11-6, SAT 11-5 WWW.PRESENHUBER.COM NEUES, ALTES, BLAUES Zeit des Erwachens D üsseldorf bekommt ein neues Museum. Oder vielmehr: der leicht heruntergekommene Stadtteil Flingern. Unweit vom Bahnhof, zwischen Stickershops, Eckkneipen und arabischen Friseursalons hat Gil Bronner schon vor Jahren die alte Glasfabrik entdeckt – noch bevor sich in der Gegend junge Galerien und Projekträume ansiedelten. Auf 1.700 Quadratmetern stellt er nun Teile seiner Sammlung aus, von der hauseigenen Kuratorin Katharina Klang in Themenbereiche gegliedert. Rund 1.400 Werke – eine bunte Mischung mit Werken von Tomás Saraceno, Alicja S FRAUENPOWER o emphatisch sich seine berühmte künstlerischen Willen. Anders als er zieht sie große Welle auch auf dem Papier sich aber nicht in ihr Holzhaus zurück, aufbäumt, der japanische Maler kehrt der Welt nicht den Rücken zu, um zu Hokusai war eher ein granteliger Workaholic, malen. Sie hat Verpflichtungen, kümmert der nur seine Bilder im Kopf hatte, sich um die vom Vater verstoßene kleine von denen Tausende entstanden sind. Die blinde Schwester. Muss sich diverser geniale Verfilmung von Keiichi Hara nach Avancen erwehren – mal weniger, mal mehr. Hinako Sugiuras Manga Sarusuberi, die Doch all diese Handlungswege sind nebenam 16. Juni in die Kinos sächlich. Miss Hokusai ist kommt, erzählt die ein mitreißender AnimaGeschichte seiner Tochter tionsfilm, den man mit O-Ei in kurzen Episodem Auge genießt. In den den – und damit natürlich schönsten Szenen folgen auch seine eigene. Man wir ihrem Federkiel wird hineingesogen in eine über das Blatt – oder den dunkle, harte Alltagswelt Händen der blinden im Tokio (damals Edo) Schwester, wie sie die um 1814, einer Stadt der Gesichtszüge des erstaunMythen um Drachen ten Vaters erkunden. und Geisterhände. Ein Und irgendwann steht Hokusai-Biopic ist der auch Hokusais Große Film allerdings nicht. Es Welle vor Kanagawa auf ist eine Hommage an der Leinwand – bedrohdie mutige Miss Hokusai, lich und doch wunderdie wie ihr Vater durchschön, wie der ganze Filmplakat und Filmstill (oben) aus drungen war vom Film. SWKA Miss Hokusai Thyssen-Bornemisza Art Contemporary—Augarten 17.06.—20.11.16 FRIEDRICH KUNATH I need to sleep, 2015 Kwade, David Shrigley und Johannes Wohnseifer. Thomas Kiesewetter baut eine Skulptur aufs Dach, Andreas Schmitten gestaltet das Museumscafé. Im Gegensatz zu anderen Sammlermuseen lässt Bronner viel Spielraum für Sonderprojekte: Die Auftaktausstellung (26. Juni bis 11. September) von Friedrich Kunath stellt der Künstler selbst zusammen – und im Herbst zeigt der Kurator Ory Dessau ein Trio mit Bruce Nauman, Gregor Schneider und Absalon. Wo ginge diese Mischung besser als in Flingern? HO ﻣﺎرﻳﻮ ﮔﺎرﺳﻴﺎ ﺗﻮرس اﻏﺎز ﻳﻚ داﺳﺘﺎن KUNSTSCHIFF V on diesem Sommer an und für die kommenden drei Jahre ist ein weißes Schiff auf den Flüssen und Seen Berlins und Brandenburgs unterwegs – mit ungewöhnlicher Fracht: die Lehrmittelsammlung des Berliner Bode Museums und Stücke aus der Wunderkammer des Berliner Privatsammlers Thomas Olbricht. Die MS John Franklin ist rund 30 Meter lang. An Bord können Grundschüler erfahren, was es heißt, sich dem Wunder des nur oberflächlich chaotischen, hierarchiefreien Sammelns hinzugeben. Sie lernen zu unterscheiden zwischen Naturalia (Affenschädel und Straußenei) und Artificalia (ein geschnitzter Duftbehälter) oder Scientifica (das Modell eines Menschenauges). Alles wirklich Wundersame wurde früher unter dem Begriff der Mirabilia einsortiert. Eine der reichsten Kunstkammern gehörte Petronella Oortmansde la Court vor mehr als 300 Jahren. Magdalena Sibylle von Preußens Wunderkammer ist legendär – und natürlich das Grüne Gewölbe von August dem Starken in Dresden. Auf der MS John Franklin trifft man auf ein kleines Krokodil, Walfischknochen, Messgeräte, Edelsteine, Elfenbein. Das Programm auf dem Schiff thematisiert aber auch die Schattenseiten der Sammlerleidenschaft der Europäer, ihre Raubzüge, von denen sie unter anderem den Perlenthron von Bamun mitbrachten, der heute im Ethnologischen Museum in Berlin zu sehen ist. An den Vormittagen wird das Wunderkammerschiff den Schulen offenstehen. An den Nachmittagen sind alle willkommen. Eine überraschend spielerische Form der Vermittlung, denkt man an die sterile Wunderkammer von Thomas Olbricht im Me Collectors Room in Berlin-Mitte. Dort zeigt der Chemiker, Arzt und Endokrinologe seine Totenköpfe, Naturalien und wissenschaftlichen Instrumente zusammen mit Gegenwartskunst. SWKA Mario García Torres An Arrival Tale ﻣﺎرﻳﻮﺟﺎرﺳﻴﺎﺗﻮرس ﺣﻜﺎﻳﺔ وﺻﻮل ُه TBA21—Augarten Scherzergasse 1A 1020 Wien www.tba21.org APÉRO 16 APÉRO 17 Freier Eintritt Mi–Do, 12–17 Uhr Fr–So, 12–19 Uhr Free admission Wed–Thu, 12–5pm Fri–Sun, 12–7pm Photo: Nik Wheelr / Alamy APÉRO KNÜPFKUNST Könnten Teppiche fl iegen, würde Petra Singh jetzt hoch über den Wolken schweben. Elf Jahre lag ihre Firma Equator Production brach – nun ist sie zurück. Gegründet 1985 als Produktion für Künstlerteppiche, holte Singh Rosemarie Trockel, Albert Oehlen oder Walter Dahn ins Boot. Dann erkrankte ihr Mann, mit dem sie den Laden führte. Wenn sie im August neu startet, wird ein neuer Teppich von Trockel ihr Highlight sein, 18 Monate lang geknüpft. Gut möglich, dass er fl iegen kann. www.equatorproduction.com GB U IER E N H Restauratoren sollen Gemälde erhalten, aber manchmal gehen sie etwas zu weit. Kandinskys Weißer Punkt aus dem Jahr 1923 war mit einem Firnis überzogen, der nicht vom Künstler selbst aufgetragen sein konnte. In Amerika aber war es eine ORANIENBURGER STRASSE 18 10178 BERLIN ALEXANDRE SINGH THE SCHOOL FOR OBJECTS CRITICIZED AE APRIL – SEPTEMBER 2016 Damit ging es los: Made in Western Germany von ROSEMARIE TROCKEL, 1989 Trä hö n sc m u EVA KOT’ÁTKOVÁ The History of Day Dreaming, 2015 Werr sich We sich während der Art Basel m Messetrubel (16.–19.6.) vom en will, tut das am davonträumen besten beim Art Parcours m. Dessen neuer im Stadtraum. uel Leuenberger Kurator Samuel zeigt dort u. a a.. mit Trisha Baga, Jim Dine und Tabor Robak ezug zum Körper. Arbeiten mit B Bezug ze treibt das Auf die Spitze ünstlerin Eva die Prager K Künstlerin m alten MarionetKot’átková: Im sst sie täglich ein tentheater lässt Puppen auftreKind mit 20 Puppen a in ihrer Heimat ten, die extra en. Sie fragt: Was gebaut wurden. nserem Geist, passiert mit u unserem umen? Und wie wenn wir träumen? örper findet unser K Körper e auf die Messe zurück? GB S FRANK STELLA JULI – SEPTEMBER 2016 TREFFEN IM PARK ie haben sich nie getroffen, nicht treffen können: Paul Celan und Anne Frank. Die eine im vergeblichen Versteck, der andere auf verzweifelter Flucht. Jetzt sind sie sich doch einmal nahe. Im Jardin Anne-Frank an der Impasse Berthaud in Paris, wo am 31. Mai ein Denkmal für Paul Celan eingeweiht wird. Geschaffen hat es der Berliner Bildhauer Alexander Polzin. Ein Figurenpaar, heute Figu Fi gure gu renp re npaa np aarr, keine aa kei eine ne Porträtskulptur Por ortr trät tr ätsk ät skul sk ulpt ul ptur pt ur wie wie in in der der he heut utee ut ukrainischen Stadt Czernowitz, wo der Dichter der Todesfuge und der Fadensonnen 1920 geboren wurde. Eine forme féminine, stehend, über drei Meter aufragend, gesichtslos, mit dem Pfahl, an den sie gebunden scheint, fast verwachsen. Und eine männliche Figur, nach hinten gestürzt, mit den Fußspitzen und der Stirn den Boden berührend, den kantigen Körper gespannt, wie ein erstarrtes Insekt. Bronzene Klagezeichen, deren Pathos im stillen Anne-Frank-Garten mächtig hallt. MÜ Skulpturenprojekt zum Gedenken an Paul Celan von ALEXANDER POLZIN APÉRO 18 WASSILY KANDINSKY Weißer Punkt (Komposition Nr. 248), 1923 (nach der Restaurierung) Zeit lang üblich, Bilder aus konservatorischen Gründen mit Kunstharz zu behandeln. Der Schutz lag auf dem Bild wie ein Filt Fi lter lt er, der er der Farben Farb Fa rben rb en und und Formen F Filter, entstellte, als es vom New Yorker GuggenheimMuseum in eine Auktion n gegeben wurde. Trotz der Mängel kam d das Gemälde n den Besitz der in den 60er-Jahren in Hamburger Kunsthal Kunsthalle. Und landete t In der Neuprädort schnell im Depot Depot. l sentation der Samml Sammlung wirkt es nun wie ein Neuzugang. Nicht N nur weil es so lange im Verborgen n schlummerte, Verborgenen sondern weil der Weiß ß Punkt von der Weiße Restauratorin Felicitass Klein sozusagen dekonserviert wurde. wurde e Sie entfernte den Firnis und legte e so Kandinskys Komposition wieder ffrei, die das am Bauhaus in Weimar entstandene e Bild zu einem zentralen We Werk der Klassischen Moderne macht. Ermöglicht wurde die Restaurierung von der d Kulturstiftung der Länder und ihrem P Projekt „Kunst auf Lager“, das sich derr Erschließung von Museums M depots ve e verschrieben hat. WOE W STERLING RUBY THE JUNGLE SEPTEMBER – OKTOBER 2016 LOUISA CLEMENT, ANNA VOGEL, MORITZ WEGWERTH KURATIERT VON ANDREAS GURSKY SEPTEMBER – OKTOBER 2016 5900 WILSHIRE BOULEVARD LOS ANGELES, CA 90036 EAU DE COLOGNE JENNY HOLZER, BARBARA KRUGER, LOUISE LAWLER, CINDY SHERMAN, ROSEMARIE TROCKEL JUNI – AUGUST 2016 HANNE DARBOVEN SEPTEMBER – OKTOBER 2016 WWW.SPRUETHMAGERS.COM PORTRÄT ES KOMMT HOCH E s ist schön hier. Ich will gar nicht mehr weg. Vögel zwitschern, das Lagerfeuer knistert, ein paar Schritte die Böschung hinab rauscht ein Bach. Doch als ich von meinem Holzsessel aufstehen will, geht es nicht. Ich sitze fest. Um mich das virtuelle Paradies, aber die Technik versagt. Mein sexy Avatar ist im Innern eine alte Frau, die nicht mehr hochkommt. Kool-Aid Man sitzt neben mir und lacht. „Das ist typisch Second Life. Es suggeriert eine perfekte Welt, aber dauernd passieren Fehler – die Plattform ist ja schon 13 Jahre alt. Kaum jemand weiß, dass es sie noch gibt. In einer hyperbeschleunigten Welt blicke ich auf den digitalen Verfall.“ Wer hier spricht, ist der Künstler Jon Rafman, mit dem ich auf der virtuellen Plattform zum Interview verabredet bin. Sein Avatar ist ein riesiger, knallroter, mit Eiswürfeln bekrönter Comicsaftkrug, den seit den 70er-Jahren jedes Kind in Amerika kennt: Kool-Aid Man, das Maskottchen eines Pulvermixgetränks. In bewährter Warhol’scher Manier hat sich Rafman die Werbeikone stibitzt und sie „Theodore Hartono“ genannt. Hartono, Adorno: Ein gewaltiger Kulturpessimismus zieht sich AVATARE AM FEUER: DER KÜNSTLER UND DIE AUTORIN IM SECOND LIFE Jon Rafman watet für uns durch die Untiefen des Internets. Ob auf der Berlin Biennale, der Manifesta oder im Stedelijk: Nie war digitaler Morast gefragter als diesen Sommer APÉRO 20 auch durch Rafmans Werk. Die maroden Kulissen von Second Life oder Videospielen wie Max Payne 3 sind für ihn Metaphern für ein Leben, in dem der Bildschirm echte Berührung und Nähe ersetzt – durch kitschige oder postapokalyptische Wunschszenarien, die heute aussehen wie die Zukunft von gestern. Rafman spricht von sich als „Flaneur des Internets“, durch das er in exzessiven, von Energydrinks begleiteten Sitzungen streift. Was er findet, setzt er zu Videos wie Codes of Honor zusammen, in denen ein trauriger Erzähler durch digitale Stadtlandschaften mäandert und, versetzt mit realen Aufnahmen, über seine Vergangenheit als Profigamer sinniert: Seine Spielhalle gibt es nicht mehr, die Freunde auch nicht – Virtualität und Leben sind eins. Auch A Man Digging kreist um Erinnerung, der Schauplatz ist eine Art Second-Life-Friedhof. Es ist, als hätte jemand die Psyche des Internets kurz vor dem Abgrund eingefangen. Second Life ist die Metapher für ein Leben, in dem der Bildschirm echte Nähe ersetzt „Das Gefühl von Kollaps und Melancholie gepaart mit einem ironischen Unterton ist paradigmatisch für unsere Zeit. Meine Generation wurde in eine Welt ohne reale Bezugspunkte geboren“, tönt Rafmans Stimme aus dem Rechner. Alles sei künstlich konstruiert. Aber niemand begehre dagegen auf. „Virtuelle Welten spiegeln diese Stimmung auf eine Weise, die grotesk und faszinierend zugleich ist. Diese Dichotomie versuche ich wiederzugeben.“ Entfremdung und Sehnsucht des modernen Menschen nach Verortung: Wenn Rafman, pardon: Kool-Aid Man, spricht, hat das den Klang vom Ende einer Ära, die auf kurzlebige Wahrheiten und sentimentale Ästhetik setzt. Ganz schön spätromantisch, könnte man jetzt denken. lötzlich komme ich vom Stuhl hoch. Kool-Aid Man schickt mir einen Link, der mich in die nächste Welt teleportieren soll. Es wuscht, der Bildschirm wird schwarz, dann stehe ich in einer offenen Halle am Meer mit wellenförmigem Dach, Glasgeländern und Buchsbäumen in Blumenkübeln. Und: Überall Leute! Ich bin nicht allein! Allerdings sehen sie ziemlich unsympathisch aus. Sie heißen „Super Nigger“, „Zombie Killer“ oder „Baby Carousel“. Irokesenschnitt, Tattoos und dicke Muskeln sind angesagt, Frauen mögen es bauchfrei, eine hat sich einen Teddy an den Arm geschnallt. Sie stehen in Gruppen, kreisen umeinander. „Hier werden Vergewaltigungen simuliert“, höre P Jon Rafman sieht sich als Entdeckungsreisender. Auf Online-Plattformen findet er Spiele und Subkulturen, die schon morgen nicht mehr existieren APÉRO 21 ich Rafmans Stimme. Doch wo ist KoolAid Man? „Sie haben mich aus dieser Zone verbannt. In den Netzcommunitys gibt es ungeschriebene Regeln – wer dagegen verstößt, fliegt raus. Von mir haben schon viele gedacht, dass ich mir einen Spaß aus ihren Fetischen mache.“ Ich bin umzingelt. Super Nigger steht direkt hinter mir, die Frau mit Teddy chattet mich an … Zum Glück kann man im Second Life einfach weglaufen. etische, Netzcommunitys: Für Rafman sind Subkulturen der eigentliche Indikator für die Lethargie unserer Zeit. Seine neueren Videos Still Life (Betamale) und Mainsqueeze sind keine nostalgischen Spaziergänge mehr, sondern wilde, verstörende Assemblagen, für die er in den hintersten Schubladen des Internets gewühlt und ein Arsenal libidinöser Skurrilitäten zutage gefördert hat: Eine Frau streichelt einem Hummer erst über den Panzer, um ihn dann genüsslich zu zertreten. Ein Bodybuilder bringt eine Wassermelone mit den Innenschenkeln zum Platzen. Furrys, Menschen in Plüschtierkostümen, posieren vor der Kamera: Ein gefesselter Frosch zappelt vergeblich, ein Teddybär versinkt im Moor. Eine Waschmaschine zerlegt sich im Schleudergang selbst. In den Körperöffnungen komabesoffener, mit Edding verzierter Teenager stecken Gurken und Pommes Frites. Dazwischen masturbierende Animes. Und immer wieder: bis zum Erbrechen zugemüllte Zimmer und Computertastaturen – was alles sagt über die Existenzen, die sich auf Plattformen wie 4chan tummeln, wo Rafman solche Bilder herhat. Unterlegt sind sie mit elektronischen Klängen aus Synthesizer, Handysummen und Arvo-Pärt-Sound. Eine Stimme aus dem Off sagt Sätze wie: „Wenn du auf den Bildschirm schaust, könntest du glauben, in die Ewigkeit zu blicken.“ Hier ist sie wieder, die Rafman’sche Romantik. Das Unheimliche: Realität und Virtualität verschwimmen. Die Dinge und Darsteller gibt es wirklich, aber greifbar sind sie nur online. „Im Netz trifft man auf endlose Schichten von Subkulturen. Viele sind schon verschwunden, wenn man sie entdeckt hat.“ Wenn es stimmt, wie die angesagte Philosophieströmung Spekulativer Realismus behauptet, und die Dinge um uns herum auch ohne unser Denken existieren, dann erstarren wir bald gänzlich vor unseren Laptops, während sich das Leben in traurigen Avataren, tanzenden Teddys und verdreckten Tastaturen abspielt. Jon Rafman denkt dabei an das Endzeitgefühl der Décadence, an Joris-Karl Huysmans’ Gegen den Strich, dessen Hauptfigur Des Esseintes sein Haus in eine totale Kunstwelt verwandelt, um den Niedergang da draußen nicht ertragen zu müssen. Walter Benjamins Passagen-Werk ist eine weitere Referenz: Auch er lasse seinen Blick über die kommerzialisierte Welt und die Menschen an deren Rändern streifen, sagt Rafman. „Aber ich moralisiere nicht. Ich versuche nur zu verstehen, was ihr Verhalten über unsere heutige Welt aussagt. Wie hält uns die Technologie gefangen und wie verändert sie unsere Realitätswahrnehmung?“ Rafman kritisiert die Massenkultur Internet, aber er zelebriert sie auch – als Tanz auf dem Vulkan, der allerlei Freiheiten bietet. „Wir sind an einem Punkt, an dem wir unsere eigenen Albträume feiern. Frühere Generationen hätten gesagt: Fuck the system. Aber das geht nicht mehr. Wir sind unsere eigenen Unterdrücker. Wir haben die Welt, in der wir festsitzen, selbst gebaut.“ och wie fest sitzt Rafman eigentlich selbst darin? Ist er auch so ein pickeliger Nerd, der in den Achtzigern lieber mit dem Joystick hantierte als mit dem Tennisschläger? Der rote Saftkrug lacht. Wir sitzen wieder am Feuer, Vögel zwitschern, der Bach rauscht. Klar haben ihn Computerspiele geprägt. Doch studiert hat Rafman – geboren 1981 in Montreal, wo er immer noch lebt – Literatur und Philosophie. Dann wechselte er zum Film, drehte schon damals mit found footage. Doch er war auf der Suche nach Austausch. Im Film fand er ihn nicht – dafür bei Künstlern, die man heute unter dem Begriff „Post-Internet“ kennt. „Sie waren alle auf der Plattform Delicious: Daniel Keller von Aids-3D, Oliver Laric, Aleksandra Domanović. F D Die Psyche des Internets ist unergründlich, Rafman gibt ihr ein Gesicht. Filme wie Mainsqueeze (2014), Sticky Drama (2015), Still Life (Betamale) (2013), A Man Digging (2013) und Codes of Honor (2011) kreisen um Erinnerung, Zeit und Datenverlust APÉRO 22 Zusammen hatten wir ein Ziel – den gesellschaftlichen Wandel durch das Internet mit Kunst auszudrücken.“ Das war 2008. Damals begann Rafman auch sein Mammutprojekt, den Blog 9Eyes. Dort postet er Google-Street-View-Fotos, die aussehen, als kämen sie direkt aus der Datenbank des NSA oder einem David-Lynch-Setting: Vermummte Männer zerren eine Frau aus dem Haus, ein Tiger überquert eine Landstraße, die Sonne bricht sich im Waldgeäst. Die neun Kameras auf dem Google-Auto fangen diese Momente ein, ohne dass ein Mensch dahinter sitzt. Ganze Nächte verbringt Rafman mit der Suche nach solchen Trophäen. Er spricht von Street Photography – und klingt ein bisschen wie ein digitalzeitlicher Bourgeois, der im Onlinedschungel auf Großwildjagd geht. „Frühere Generationen hätten gesagt: Fuck the system. Aber wir haben die Welt, in der wir festsitzen, selbst gebaut“ Doch genau mit dieser übersteigerten Mischung aus bildungsbürgerlichem Überbau und Internet-Trash ist Rafmans Kunst geradezu aberwitzig zeitgenössisch. In einer Welt, die nichts mehr manifestiert, in der Erinnerungen und Beziehungen schneller gelöscht werden als Facebook-Profile, spiegeln Kitsch und Romantik, Ekel und Erhabenheit das Bedürfnis nach realen Empfindungen. Wie sehr das Netz uns diese vorgaukelt, zeigt Rafman in seinen Ausstellungen: Dort verschraubt er die Filme, die man sonst einfach auf seiner Website abrufen kann, mit engen Sperrholzcockpits, flauschigen Hugsofas und Bällebädern. Besucher hängen darin fest wie sonst nur vor dem Bildschirm – oder auf einem Holzsessel in Second Life. TEXT: GESINE BORCHERDT JON RAFMAN NIMMT AN DER 9. BERLIN BIENNALE (4. 6. – 18. 9.), DER MANIFESTA (11. 6. – 18. 9.) UND DER GRUPPENAUSSTELLUNG WELT AM DRAHT IN DER JULIA STOSCHEK COLLECTION IN BERLIN (2. 6. – 18. 9.) TEIL. DAS STEDELIJK MUSEUM AMSTERDAM ZEIGT BIS ZUM 14. AUGUST EINE EINZELAUSSTELLUNG Der Blog 9Eyes ist Jon Rafmans erstes, seit 2008 fortlaufendes Projekt, das ihn über den Kunstbetrieb hinaus berühmt machte. In endlosen, oft von Energydrinks begleiteten Sitzungen sucht er Aufnahmen bei Google Maps heraus, die von den neun Kameras des Google-Autos automatisch geschossen wurden: Bilder des Alltags, für jeden abrufbar. Man muss sie nur finden APÉRO 23 BLITZSCHLAG „MAN FINDET KEINEN HALT“ Es ist ein Augenblick der Gewissheit: Dieses Kunstwerk trifft mich im Kern. Marion Ackermann über Goyas Hund und die eine Mutter hat die Liebe zur Kunst Kraft der in mir geweckt. Sie war 15, als der Zweite Weltkrieg zu Ende war. Ihre Familie, Dunkelheit M eigentlich sehr wohlhabend, wurde ausgebombt. Ihr blieb nichts – nichts Materielles. Meine Mutter hat mir erzählt, wie sie nach diesem Verlust die ersten Bilder gesehen hat – sie hatten plötzlich eine existenzielle Dimension. Sie traten an die leere Stelle. Diesen Augenblick, den sie immer und immer wieder beschrieb, trage ich als Impuls in mir. Mit Anfang zwanzig bin ich dann allein nach Spanien zum Prado gereist. In der Erinnerung bin ich durch einen Nebenflur gelaufen. Es war definitiv kein zentraler Raum. Und da sah ich Goyas Hund. Der sofort erkennbare realistische Kopf eines Hundes sieht verloren in eine braune Farbfläche. Ich bin drei Tage geblieben statt wie geplant drei Stunden – und zu dem Bild zurückgekehrt. Ich weiß natürlich, wie berühmt und unbestritten großartig das Motiv ist. Aber das Motiv hat mich ganz persönlich erschüttert. Den Hund hat Goya auf die Wände MARION ACKERMANN, die neue Direktorin der Kunstsammlungen Dresden, fotografiert von CLAUDIA VAN KOOLWIJK seines Privathauses gemalt, in dem er zurückgezogen lebte. Damals schon nach einer Krankheit taub, haderte er mit der politischen Situation, malte die berühmten Pinturas negras, seine Schwarzen Bilder. Als ich damals im Prado war, galt der Hund noch als „unvollendet“ – heute wissen wir es besser. Das Bild war genau so gemeint. Ich fühle noch heute diesen Zustand: Ich konnte es nicht fassen. Heute verbinde ich die Erinnerung an diesen Augenblick auch mit Hugo von Hofmannsthal: „Was ist der Mensch, dass er Pläne macht?“ Es ist die Allegorie des Menschen, zurückgeworfen auf sich selbst. Das Bild ist viel radikaler als Caspar David Friedrichs Mönch am Meer. Es sind gar keine Anhaltspunkte mehr da – und das malt jemand im Jahr 1820! Das Köpfchen ist nur noch ein Scharnierstück zwischen der Figuration und der Fläche. Wie ein letzter Anker. Von Goya kennen wir ja eigentlich, dass sich Verdichtungen im Malerischen finden, Figuren auftauchen. Auf diesem Bild ist nichts zu erkennen – außer dem Hundekopf. Es herrscht eine grenzenlose Offenheit. Man rutscht hinein, findet keinen Halt. Das Tier hat mich für mein Leben an die Malerei gefesselt. Es endet nie. Dieses Geheimnis, das nur das Malerische transportiert, das nur Malerei auslösen kann – nichts anderes. Ich habe später viel Paul Celan gelesen. Der Germanist Albrecht Schöne, mein Lehrer an der Universität, sprach immer vom „Mehrwert des Dunklen“. Diese existenzielle, ja politische Dimension ist zu meinem Lebensprinzip geworden. APÉRO 24 Contemporary Art Evening and Day Auctions London 28. & 29. Juni 2016 ADRIAN GHENIE The Hunted, 2010 Schätzpreis: £400,000–600,000 Francisco de Goya Der Hund, 1820–23 FÜR EINLIEFERUNGEN UND Viewing XX –INFORMATIONEN XX Month KONTAKTIEREN SIE GERNE: BASTIENNE LEUTHE, SENIOR DIRECTOR, 0173 599 5871 BASTIENNE.LEUTHE@SOTHEBYS.COM 34–35 NEW LONDON W1A 2AA 0221 20 71 70 FRANKFURT/MAIN 069 BOND 74 07 87STREET, MÜNCHEN 089 2 91 31 51 KÖLN ENQUIRIES (0)20 7293 XXXX NAME.SURNAME@SOTHEBYS.COM HAMBURG 040 44 40+44 80 BERLIN 030 39 79 49 54 LONDON +44 (0)20 7293 5744 SOTHEBYS.COM/DEPARTMENT-URL SOTHEBYS.COM/CONTEMPORARY © THE ARTIST AND GALERIE JUDIN, BERLIN (FOTO: KATRIN HAMMER) hat sie ihre erste Einzelausstellung bei ihm. Da sind sie längst ein Paar. Sie gerade 30, madonnenschön, lange Haare, offenes Hemd, die Hände so gefaltet, dass man sieht, wie sie mitspielen, den Körper nicht zu schützen brauchen. Er über 50, Zwicker auf der gebogenen Nase, Schnauzer, wilder Haarschopf und ein Scheitel wie ein Graben. Als sie beschließt, nach New York zu ziehen, schreibt er: „Was ich sagen sollte, Liebste, du bedeutest mir so viel, dass du nicht in meine Nähe zu kommen brauchst.“ Georgia O’Keeffe kommt doch. Und geht immer wieder. Alfred Stieglitz trennt sich von seiner ersten Frau. Sie heiraten. Sie HINTERGRUND DAS SPEKTAKEL VERLETZTER INTIMITÄT Zwischen Ikone und Kalenderblatt: Vor genau hundert Jahren begann Georgia O’Keeffes Liebe – und ihre Karriere gleich mit. Jetzt widmet die Londoner Tate ihr eine große Retrospektive G eorgia an Alfred. Alfred an Georgia. Kaum ein Tag, an dem sie sich nicht schreiben. Dreißig Jahre von 1916 bis 1946. 25.000 Seiten Briefroman. „Ich fang’ an, dich so sehr zu lieben, dass es mich manchmal erschreckt.“ Schreibt sie. Und er: „Alles, was ich möchte, ist dieses Wunder zu erhalten, das so rein zwischen uns existiert.“ Rein, schreibt er, und hat lauter unreine Gedanken im Kopf. Wird aus ihrer Amour fou ein erotisches Bilderbuch machen, wie es kein zweites gibt. Georgia O’Keeffe, Farmerstochter aus Wisconsin. Malerin, Kunstlehrerin. Sucht noch ein wenig. Lädt fast behutsam das Gepäck ab, das ihr das akademische 19. Jahrhundert mit seinem formelhaft gewordenen Realismus aufgebürdet hat. Stück um Stück, ganz ohne Amazonenstrenge. Abonniert Camera Work, die legendäre Zeitschrift, die der Fotopionier Alfred Stieglitz seit 1903 in New York herausgibt. Die Hefte APÉRO 26 sind zugleich Ausstellungskataloge seiner Galerie 291 in der Fifth Avenue, wo er das verwunderte amerikanische Publikum mit Cézanne, Matisse und Picasso bekannt macht. Eine Studienkollegin, Anita Pollitzer, macht Stieglitz auf O’Keeffes Kohlezeichnungen aufmerksam. Im April 1917 Ihr Nachruhm ist unlösbar verbunden mit den Fotografien, die Alfred Stieglitz von ihr machte werden sich fremd. Sie schreiben sich immer noch. Wer schreibt, lebt, auch wenn die Liebe schon beschädigt ist. Wir wissen es von Tolstois Anna Karenina, von Prousts Suche nach der verlorenen Zeit. Schreiben ist Formerzwingung, wenn die Liebe immer unförmiger wird, bis sie vergeht. Nur die Kunst vergeht nicht. Sie tritt auf, sie tritt nicht ab, sie bläht sich zur Geschichte ohne Anfang und ohne Ende. Kunstgeschichte ist die Geschichte der Kunst und mehr noch die Geschichte der Künstler. Es gibt Namen, die überstrahlen alle Erinnerungen an Bilder und Werke. Hätte einer nie etwas von Picasso gesehen, er wüsste doch alles über das „Genie“ des 20. Jahrhunderts und sein maskulines Schöpfer- ALFRED STIEGLITZ: GEORGIA O’KEEFE, 1927, SILBERGELATINEPRINT, 12 × 9 CM Auftaktseite: SKY ABOVE CLOUDS III, 1963, ÖL AUF LEINWAND, 122 × 213 CM tum. Und gäbe es keinen Museumsshop mit all den Postkarten aus dem Bilderreich der Frida Kahlo, wir wären doch bestens informiert über die glücklichen und die unglücklichen Passionen der Malerin. Der Malerin Georgia O’Keeffe erging es nicht anders. Ihr Nachruhm ist unlösbar verbunden mit dem Modell, das sie einmal gewesen war, mit den Hunderten von Fotoporträts, die Alfred Stieglitz von seiner Geliebten und Ehefrau angefertigt hat. Von dieser selbstbewussten Frau, attraktiv mit leichthin gezeigtem Gefallen an sich, wunderbar frei auch im exhibitionistischen Klischee, APÉRO 27 schön noch im hohen Alter und ganz offensichtlich nie dazu bereit, die Inszenierung vor der Kamera dem Mann hinter der Kamera zu überlassen. In Georgia O’Keeffe, so scheinen diese Fotos aus dem Leben einer modernen Frau zu bedeuten, hat sich ein Traum erfüllt. Der Traum vom selbstbestimmten von New Mexico. Wo er den gezerrt wird. Dass Menschen in pathetischer die inzwischen Vereinzelung zeigt, verzichtet etwas routinierten sie nicht weniger pathetisch Fallbeschreibungen auf seine Anwesenheit. Es gibt mehr und mehr die Trennschärfe für keine Figurenbilder von dieser Malerin, deren Gesicht, Eigenarten und Qualitäten verlieren, deren Hände, deren Körper so unvergessliche Bildgeschichte gehört zur feministischen Wiedergutma- geworden sind. Sie hat nur das gemalt: Kühe, Vögel, Geweihe, chung, unter der ein Werk wie das von Schädelknochen, Wegkreuze mit und ohne Herz, blattlose Georgia O’Keeffe eher leidet. Natürlich Bäume, vertrocknetes Holz, karg bewachsene Ebenen, kahle darf man fragen, Hügel. Wolken, Winter, Wege, warum es einem Wellen. Menschen nirgendwo. Maler wie Edward Dafür Blüten. Blüten, Hopper gelungen ist, die volkstümliche gesehen, gemalt mit jener zudringlichen Neugier, die sich Americanità so nachhaltig und gleich- nicht mit der geschlossenen Natursensation begnügt; die sam im Alleingang zu illustrieren. Aber noch mehr will; die sucht und forscht und begehrt, was noch aufschlussreicher ist der Blick auf innen, tief drinnen ist. Es ist allemal indezentes Reinschauen, Georgia O’Keeffes was auf diesen Blütenbildern Werk, in dem sich stattfindet. Übergriffige Sehlust. die durch und Das Spektakel verletzter durch amerikanisch JIMSON WEED/WHITE FLOWER NO. I, 1932, ÖLFARBE AUF LEINWAND, 122 × 102 CM Intimität. Wie Georgia O’Keeffe sozialisierte BildBlüten gemalt hat, das ist erfinderin als kaum Subjekt, das aus Geist und Sinn- Beispiele jener anderen Kunstwie eine Paraphrase auf den weniger fruchtbar erweist lichkeit ein stolzes Beispiel und Künstlerinnengeschichte, männlichen Blick der Kunstals ihr Kollege. gibt für den Lebensentwurf die – Opfer männlicher Erzählgeschichte, auf 2.000 Jahre Was bei Hopper die weiblicher Unverfügbarkeit. hoheit – lange verschwiegen Aktmalerei. neuenglische Suburb-, nd ihre Bilder? Sie und verdrängt worden ist, nun Ein konziser BilderkosLeuchtturm- und Küstenlandscheinen anders als Brief aber überall entdeckt und in mos wird aus den vielen schaft ist, das sind bei ihr und Foto. Und doch die kunstbetriebliche Kampfzone Motiven nicht. Ein visuelles die Canyons und Wüsten verraten sie vielleicht noch mehr von jener schönen Selbstbestimmtheit, von der der Mythos Georgia O’Keeffe erzählt. In den USA genießt das Werk Kultstatus. Kaum eines der sich amerikanisch definierenden Museen, das nicht größere oder kleinere Werkgruppen besäße und sie wie kostbares Nationalgut präsentierte. In Europa ist die Kunst der Künstlerin viel weniger bekannt. Und wenn hier einmal Bilder zu sehen sind, dann gelten BLACK HILLS WITH CEDAR, 1942, ÖL AUF LEINWAND, 41 × 76 CM sie gleich als prominente Klima schon, eine seltsam angehaltene Stimmung – als sei da Malerei noch einmal angetreten, den Lauf der Dinge und den Verschleiß der Zeit und die Beschleunigungen des Lebens mit ein paar verlässlichen Zauberworten zu bannen. Immer herrscht große, erhabene Stille. Und noch die Wolkenkratzer in Manhattan, die O’Keeffe in den 20er-Jahren aus der Unterperspektive gemalt hat, muten an – nicht wie Symbole einer Welt der technischen Suprematie, eher wie Wahrzeichen einer unbewohnten, menschenunbedürftigen Welt. In solcher immer auch ein wenig heroischen Leblosigkeit gedeiht nichts, kann nichts gedeihen. Und tatsächlich hat sich dieses Werk nie entwickelt, entfaltet, überboten, korrigiert. Das Bild von 1916 ist wie das Bild von 1966, nicht reifer, nicht weitergeschritten, nicht eigentlich später. Und wen solcher Gleichmut befremdet, der muss sich seiner Irritation nicht schämen. Es ist schon auch ein Eindruck der Leere, wenn die Augen über die Bilder gleiten, haltlos, wie die Malerin über ihre Welt zu gleiten scheint. Über eine Welt, in der der Blütenkelch neben der Formfantasie wächst und es in Wahrheit nur eine Gattung gibt. alerei als große Instillsetzung. Aber eben nicht im kämpferischen Sinne einer Moderne, die alles noch einmal zurück auf Null drehen wollte, um neu beginnen zu können. Was Georgia O’Keeffe malt und wie sie malt, ist wie erstaunte Anteilnahme an einer abständigen Welt. Es hat gelegentlich Versuche gegeben, dieses eigentümliche Werk einzuordnen in die Ikonografie des M 20. Jahrhunderts, seinen Sonderplatz zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen Stilisierung und Figuration mit einem eigenen Titel zu belegen. Überzeugt Blüten malt sie mit zudringlicher Neugier. Es ist ein indezentes Reinschauen, übergriffige Sehlust hat das nie. Es ist eine Malerei, die nichts vom Problemfall Bild im Zeitalter der Avantgarden wissen will, die noch einmal ganz auf die unzerstörbare Aura künstlerischen Handelns setzt. Und sich ansonsten aufs Schreiben verlässt. 25.000 Seiten. Georgia an Alfred. Alfred an Georgia. Und kein Wort je über Bilder, keinen einzigen Satz zur Kunst. Oder doch? Im Juli 1929, als schon alles vorbei war und sie sich noch immer lange Briefe schrieben, kriegt Alfred wieder Post: „Es regnet heute. Bitte lass dein Klagen, deine Trauer, dein Elend. Wenn ich mir alles so zu Herzen nähme, wie du es tust, könnte ich nicht zur Tür treten und die Sonne hereinlassen, und ich könnte nicht fühlen, wie die Sterne mich im Innersten berühren, so wie sie draußen die Hügel bei Nacht berühren. Ich wollte dir immer zugetan sein. Aber ich kann es nicht, wenn ich nicht ich selbst sein kann. Und ich bin jemand, der weit hinaus in die Welt reicht – and kisses you – a very warm – cool – loving – kiss …“ TEXT: HANS-JOACHIM MÜLLER GEORGIA O’KEEFFE TATE MODERN, LONDON 6. JULI BIS 30. OKTOBER U AUSSTELLUNG VOM 14. MAI BIS 9. JULI 2016 KANTSTRASSE 149 · 10623 BERLIN · TEL +49 30 310 07 73 · WWW.CAMERAWORK.DE © NICK BRANDT APÉRO 28 NICK BRANDT INHERIT THE DUST DICHTER DRAN WAS DER BÄR SAGT BEWEGTBILD NERDY DRIFTER Sein Fell ist teilbar, seine Rede ist es nicht der Bär sagt nicht: Ehre der Malerin denn sie kann nichts dafür, der Bär Björn KUHLIGK ist nicht der letzte zwischen Lager 4 Was für Energien werden frei, wenn die Sprachkunst auf die Bildkunst triff t? Für BLAU hören Lyriker auf den Klang der Kunst. Björn Kuhligk, Jahrgang 1975, entzündet Schnee er sagt, wenn er was sagen könnte: und dem Gipfel, nicht der letzte seiner Art Der Gipfel, den ich meine, da ist nie jemand ich schlafe unter ihm, er geht hinauf seine Tatzen auf der Klaviatur der Baum, von Schnee entzündet Inspiriert von Tinka Bechert DIE SCHNELLSTEN SKULPTUREN DER WELT im Grunde ist es nur ein Trick, ein Trick was weiß denn ich, ich schlafe unter ihm TINK A BECHERT Ich möchte ein Eisbär sein, 2012, Acryl auf Leinwand, 70 × 75 cm APÉRO 30 STAN DOUGLAS über seinen Lieblingsfilm 2001: Odyssee im Weltraum „Eine Sache fasziniert mich besonders an Odyssee im Weltraum: Es wird kaum gesprochen. Etwa 45 Minuten dauert es, bis man überhaupt ein paar Worte hört. Auch die zweite Hälfte des Films ist fast stumm. Heute gibt es eine Obsession in Filmen, dass sich alles um Psychologie und Gespräche drehen muss. Das Drehbuch von Stanley Kubrick hat dagegen sicher nicht mehr als zehn Seiten. Alles andere ist visuell. Heute ist der Film ein Standardwerk des Science-Fiction-Kinos, er sieht immer noch total frisch aus. Man könnte meinen, die Darstellung der Raumfahrt-Technologie hatte Einfluss auf die Art, wie die NASA seitdem ihre Maschinen gebaut hat. Ich habe ihn zum ersten Mal als Achtjähriger im Kino gesehen. Sechs Mal überredete ich meine Mutter zurückzugehen. Wann immer der Film auf einem neuen Medium erscheint, kaufe ich ihn – ich besitze ihn auf VHS, Laserdisc, DVD und Blu-Ray!“ DER SALZBURGER KUNSTVEREIN ZEIGT BIS ZUM 10. JULI DIE AUSSTELLUNG THE SECRET AGENT VON STAN DOUGLAS Legende des bizarr Uncharismatischen: Der Honda NSX ist bezaubernde Verirrung mit einem Hauch Senna in der Abstimmung Apokryph: Der HONDA NSX D er Honda NSX ist schon deshalb eine Art heiliges Gefährt, weil die letzten Feinabstimmungen von dem Überidol der Petrolheads vorgenommen wurden: von Ayrton Senna. Das 1994 viel zu früh verstorbene Rennfahrgenie gab dem ein wenig italienisch und ferrarilike aussehenden Supersportwagen aus Japan eine RennstreckenEignung, die dazu führte, dass dieser Sportwagen (mit zunächst nur 274 PS) nach seinem Debüt 1990 eine euphorische Gefolgschaft fand. Wenn auch eine eher kleine. Dennoch wurde der NSX mit wenigen Aufgüssen bis 2005 weitergebaut, für den Motorsport sogar noch in kleinen Dosen bis ins Jahr 2009. 2016 steht ein Nachfolger in den Startlöchern. Die Asiaten haben den NSX nun zum Comeback in eine 2001: Odyssee im Weltraum Ein Film von Stanley Kubrick Art Genmixer gesteckt. Von vorn sieht er aus wie eine Straßenkreuzung zwischen R8 und i8, ein Oberbayern-Mix von Audi und BMW, das Heck erinnert an Aston Martins DB9 und den kleinen McLaren. Dennoch streitet sich die globale Elite der Benzinköpfe schon, wer den Bastard zuerst in seiner Garage parken darf: Jay Leno und Jerry Seinfeld behaupten beide, den ersten bekommen zu haben. Warum? Weil der NSX eine Legende des bizarr Uncharismatischen geworden ist. Japanische Sportler umgibt eine mythische Aura, allen voran Rennsemmeln wie der Nissan Skyline GT-R, der Datsun 240 Z oder der Toyota Supra, die bei Nerds und Driftern in Asien und den USA große Verehrung genießen. Der NSX sollte Hondas Triumphe bei den Grands Prix dank Ayrton Senna in Verkaufserfolge ummünzen, und so floss einiges Formel-1-Knowhow in den MittelmotorSechszylinder, der aber auf APÉRO 31 pedantische Art unneurotisch war. Damit fehlte ihm eine wichtige Voraussetzung, um von den PS-Irren ernst genommen und geliebt zu werden. Die Proportionen waren exzentrisch gestreckt, dafür aber hatte der lange Radstand ein exzellentes Fahrverhalten zur Folge. Der alte NSX fuhr sich auf Landstraßen bequem wie eine Limousine. Trat man den V6 aber jenseits der 6.000 Umdrehungen, gab es bis zum Drehzahlbegrenzer bei 8.000 U/min einen Hauch Senna-Giftigkeit. Wirklich durchsetzen konnte sich der NSX anders als der reizend wahnsinnige GT-R von Nissan, der noch heute Porsche-TurboBesitzer und stolze Ferraristi vor Angst erzittern lässt, nicht. Kunsthistorisch würde man von einem apokryphen Werk des Sportwagenbaus sprechen. Von einer bezaubernden Verirrung mit einem Hauch Senna in Fahrwerk und Abstimmung. ULF POSCHARDT UM DIE ECKE LAISSEZ-FAIRE LINKS: PARIS ERHOLT SICH ALLMÄHLICH AN DER SEINE, DIE KÜNSTLERIN JENNIFER ABESSIRA (RECHTS) IST AUS ISRAEL HER- STATT WEGGEZOGEN. AM CANAL SAINT-MARTIN (RECHTS UNTEN) IST DAS LEBEN ZURÜCK, UND IM CHEZ JANOU (UNTEN MITTE) WAR ES NIE FORT PARIS, PLACE DE LA REPUBLIQUE Jede Stadt hat ihre Mikrokosmen, wir stellen sie vor. Wir schlendern durch den Jardin Villemin, entdecken im Hinterhof den Aufgang zur Galerie Joseph Tang und verweilen im Bistro Chez Janou, als wäre nichts gewesen D er Jardin Villemin ist voller verschiedener Gesichter. Die Pariser lieben es, in der Sonne zu liegen, zumal an einem Frühlingstag wie diesem, das ist eines der Dinge, die hier wirklich alle verbindet. Die Gartenanlage wirkt an diesem Tag wie ein kleines Festival und ich bin wohl der Einzige, der hier allein im Gras sitzt. Ich schließe die Augen, höre auf die Gespräche, eine kakofonische Unruhe ohne Anfangs- und Endpunkt. Der Garten ist ein soziales Biotop, eine Miniatur, die die Vielstimmigkeit dieser Stadt zurückwirft wie Licht im Innern einer gläsernen Kuppel. So wirkt das Paris dieser Tage wie eine prächtige Glaskuppel, jedoch beschädigt. Der Bruch ist fast unsichtbar, zumindest ich erkenne ihn nicht, ich bin wie geblendet von der Schönheit des Tages. Ich laufe den Canal Saint-Martin nach unten, grünlich schimmernd und mit seinen bewachsenen, überbrückten Staustufen wirkt dieser Ort merkwürdig aus der Zeit gefallen. Sonnenpartikel glitzern im Wasser, Stimmen werden dumpfer. Ich steige eine der Brücken hoch und laufe von da aus nochmals kreisförmig wie gelenkt auf die andere Seite. Überhaupt ist der Kanal kein Ort, an dem man läuft, sondern einer, wo man an Seitenrändern sitzt, plaudert und flaniert. Mein Weg führt an Speakers’ Corner, einer improvisierten Radiostation, Flashmobs und Volksküchen vorbei, es ist die explodierende Geräuschkulisse an der Place de la Republique, dieser Tage Herzstück einer Revolte und von Polizisten und der französischen Armee umstellt. Der Protest richtet sich gegen die Apathie und die politische Resignation nach den Tagen der Angst und der Panik, Nuit debout („Nacht der Aufrechten“) heißt die Bewegung und ist, wie der Name schon sagt, nachtaktiv, heute aber ausnahmsweise auch tagsüber präsent. Mein Weg führt ins Marais, den Bezirk zwischen APÉRO 32 dem 3. und 4. Arrondissement. Die Erzählungen des Viertels begleiten opulente Bilder, Bilder Haussmann’scher Boulevards, pittoresker Fassaden, aristokratischer Parvenüs, Bilder vom historischen Zentrum des jüdischen Paris, von den winzigen schwarzen Schornsteinen über den Dächern, der Pariser Schwulenszene, und letztlich auch davon, dass dieses Viertel eben nur einen Steinwurf vom Bataclan entfernt liegt, dem Ziel der Attentate im vorigen Jahr. Es ist eine Bildfülle, vor der es fast unmöglich scheint, hier eine authentische Erfahrung zu machen, eine, die nicht gleich versucht, das eine ein im jeweils anderen zu erkennen. Auf der Rue Charles-Fra Charles-François Dupuis, nur wenige Gehminuten von der Place de la Republique, lieg liegt die Galerie Joseph Tang, erkennbar erkennba nur an ihrer unscheinbaren Helv HelveticaBeschriftung am Klingelschild. Klingelschild Ein Geheimtipp, und entsprechen entsprechend hat auch der Aufgang etwas Mysteriöses, Myster er führt über einen kalten Hinterhof Hin und eine alte Holztreppe, wo die Geruchsnoten Ge dieser ehemaligen Leder- und GürtelwerkG statt förmlich konserviert sind, in den windigen ersten Stock des heutigen Wohnhauses. W Die Galerie selbst ist ein lic lichtdurchfluteter Raum auf weniger als 20 Quadratmetern. Die Fenster geben den Blick frei auf rosa leuchtende Akazien, die alte Markthalle am Vorplatz der Dupuis, benachbarte Wohnhäuser. Joseph Tang ist jemand, der einem gleich volle Aufmerksamkeit schenkt. Die bunten Sneaker und der klassische Mantel ergänzen die Aura der Professionalität, die fast undurchlässig wirkt, ein Eindruck, der nur durch gelegentliche Momente von Selbstironie aufgelockert wird. So erzählt er etwa die Geschichte des Orts als Geschichte einer Fiktion. Der norwegische Künstler Victor Boullet habe hier das Institute for Social Hypocrisy installiert, eine fingierte Galerie, ein trojanisches Pferd, dessen Ziel es gewesen sei, die Heuchelei des Kunstmarkts zu entlarven. „Vor vier Jahren suchte ich genau in dieser Lage nach einem Raum. Für Boullet war ich wohl der perfekte Anlass, die Fiktion weiterzuführen, die Erzählung vom asiatischen Millionär, der das Institut aufkauft. Tang lacht. „Ich vermische die Rollen, wer hier Künstler ist, wer Galerist und wer Kurator.“ Er hält inne, nimmt ein Kunstmagazin vom Schreibtisch, blättert und hält mir die aufgeschlagene Seite entgegen. Galerie Joseph Tang, wieder Helvetica. APÉRO 33 Und dann ein Zitat: „Hätte er, indem er die versprochenen vier Wochen ihrer Ausstellung in seiner Galerie auf zwei frühe Stunden an einem Sonntagmorgen verkürzte, nicht gleichviel durchblicken lassen? Wie zum Beweis war außer dem Botanik-Reporter keiner gekommen, und der verstand noch nicht mal, dass die Werke Kunst sein sollten.“ Der Satz entstamme der Kritik einer Künstlerin, die er hier ausstellte, erklärt Tang, sichtlich erfreut über die Geschichte der Anzeige, die in ihrer Sperrigkeit und Intransparenz eher an die Intertext-Praktiken eines Georges Perec erinnert als an zeitgenössische Werbeformate. Jede Ausstellung hier ist eine Solo-Show. Die aktuelle habe gerade erst eröffnet, mit Plastiken der lettischen Künstlerin Daiga Grantina. Knapp hundert Leute seien zur Eröffnung gekommen, eine Vorstellung, die mir angesichts der Größe des Raums fantastisch erscheint. Grantinas Plastiken ragen wie unberührte, aus der Decke gebrochene L’ART POUR L’ART OBEN RECHTS: OFR IST ANTIQUARIAT, DENKEREI UND PORZELLANLADEN IN EINEM. UNTEN: GALERIST JOSEPH TANG PRÄSENTIERT KUNST AUF KLEINSTEM RAUM. LINKS: AN DER PLACE DE LA REPUBLIQUE IST PLATZ FÜR SKATER, WENN NICHT GERADE AKTIVISTEN DER NUIT DEBOUT DEN TAG ZUR NACHT MACHEN Untersee-Wesen in den Raum, animalische Rückstände einer bevorstehenden Katastrophe, in venösen Schläuchen, schuppigem Metall, wucherndem Neon, phallischem Silikon. Figuren, die die Zwischenzone von Post-Tod und Leben ausleuchten, ein Themenraum, der nur wenige Monate nach dem Massaker ums Eck doch eine ganz andere Bedeutung erhält. Die Frage nach den Attentaten beantwortet Tang, wie viele hier, abgeklärt. Er habe besser damit umgehen können, da er selbst 2001 in New York gewesen sei. Die Dinge hätten sich verlangsamt, das merke man, die Pariser seien ruhiger geworden, leiser. Farbe kann bekanntlich zur Hoffnung anstiften, und so sehne ich mich gerade doch sehr nach dem bunten Paris, dem SinnlichExzentrischen der Stadt. Die nächsten Stunden verbringe ich im Ofr, einem eklektischen Magazinladen unweit der Galerie Joseph Tang und dem Bistro Chez Janou. Das Ofr ist zugleich Antiquariat und Porzellangeschäft, Denkfabrik und Galerie. Neben Hochglanzmagazinen stehen handgetöpferte Schalen, Taschen und Collagen zum Verkauf. Während ich so stöbere, singt vor dem Laden ein kleingebauter Franzose Chansons, er hat strohweißes Haar, tatsächlich bunte Farbtupfer auf einem weißen Kittel und schabt Klebfolie vom Schaufenster, wohl eine veraltete Ankündigung. Die Besitzer sind offenbar gerade Kaffee holen oder protestieren, wer weiß das schon so genau, im Ofr ist alles im Umbau begriffen, im Fluss. „Au fond du couloir“, steht an der Ladenwand über dem Eingang zur Galerie, „les belles y sont.“ Eine perfekte Metapher für dieses kulturverliebte In-Bewegung-Sein: „Am Ende des Gangs sind sie, die Schönen.“ Ein paar Blocks weiter liegt das von Efeu überwachsene und von Farben schier überquellende Bistro Chez Janou, an das eine mit silbernen Weintrauben und sattem Art Nouveau verzierte Bar anschließt. An der Bar werden Zigaretten gedreht, wird aus kolorierten Wasserflaschen das Farbspektrum der APÉRO 34 probiert zu haben, dürfe ich das Chez Janou nicht verlassen, so hat man mir vorher eingebläut, und tatsächlich ist die fast schwarze Paste, die einem der Konfiteur des Hauses hier persönlich aus der großen Porzellanschüssel auf den Teller klatscht, eine geschmacklich so anmutige Sache, dass für ein paar Sekunden alles andere nebensächlich wird. Es ist Abend geworden, ich spaziere die Seine zur Cité internationale des Arts, einer Einrichtung am Wasser, wo Künstler aus aller Welt residieren. Jennifer Abessira hat ihr Studio im zweiten Stock des Komplexes, der in seiner brutalistischen Betonkargheit eher an ein sowjetisches Politbüro erinnert als an ein Atelierhaus. Die israelische Künstlerin gießt mir ungefragt ein fülliges Glas Rotwein ein, im Hintergrund läuft Marlene Dietrich aus einem tragbaren Plattenspieler, sie habe sich sofort in diesen RESET Unmengen Sorten Pastis erweitert – von Hellgelb über grünliches Türkis bis Blau. Da sitzt die französische Bohème in ihren blutroten Schals und weißen Spitzenhemden, trinkt und raucht. Das Chez Janou ist verkachelt, alles hier ist bunt. Das orangefarbene Licht erinnert eher an ein marokkanisches Nachtlokal, die Wände gespickt von gerahmten Plakaten französischer Filmklassiker des letzten Jahrhunderts, Fanny bis César. Hier hängt der ganze, scheinbar unverwundete Stolz einer Kultur. Dazu rustikale Küche, serviert in schweren, gusseisernen Pfannen und Töpfen, immer mit Rosmarin, Baguette und frischen Oliven. Ohne die Mousse au Chocolat RESET Ort verliebt, in seine Geschichten. Serge Gainsbourg habe hier gelebt, erzählt sie, Brigitte Bardot kam öfters zu Besuch, sie sei die Einzige gewesen, die ihren Hund mit reinnehmen durfte. Jennifers Eltern immigrierten zur Zeit des algerischen Unabhängigkeitskriegs nach Frankreich, später dann nach Israel, da war sie gerade mal sieben Jahre alt. Jetzt ist sie wieder hier gelandet, und das in einer Zeit, wo immer mehr französische Juden nach Israel auswandern. Die mindestens zwei Seiten ihrer Geschichte merkt man ihr an, in ihrer Stimme kristallisieren das distanzlos dahinbrausende Temperament der israelischen Misrachim genauso wie der französische Einschlag ihres Hebräisch. Und es spiegelt sich auch in ihrer Kunst: etwa in den zu pastellfarbenem Chic entfremdeten Fotografien, der knalligen Bauhaus-Geometrie oder den wiederaufbereiteten Polaroids, Kindheitserinnerungen, Montmartre und Sacré-Cœur. Von oben ertönt ein lautes Rattern, „Mudi“, schreit Jennifer Richtung Decke, „keine Sorge, der arbeitet immer spät.“ Mudi, der eigentlich Mahmood Hachim heißt, ist bildender Künstler und politischer Flüchtling aus Baghdad. Er lebt seit knapp anderthalb Jahren in Paris und arbeitet, unüberhörbar, ein Stockwerk über Jennifer. Bald setzt er sich zu uns in Jennifers Studio. Er ist groß und bärtig, mit Cordsakko, Palischal und abstehenden Locken. Gerade habe er mit dem Diamantbohrer einen Naturstein bearbeitet. Er nimmt einen tiefen Schluck Wein und zeigt auf ein Bild in seinem Smartphone. Den Stein hat er in Form eines Reisepasses bearbeitet, das Gewicht der Identität. Die Geschichte ihrer Freundschaft erzählen die beiden je ein bisschen anders, er habe anfangs täglich stundenlang am Vorhof auf sie gewartet, so lautet Jennifers Variante, sie lacht. „Wir lieben es, zusammen durchs Marais zu wandern, Sachen zu erbeuten, die übers Wochenende liegenbleiben. Wir trinken und lachen und hören African Jazz.“ Irgendwie scheint es das doch noch zu geben, das unbeschwert glückliche Paris, das Paris der Schönen, der Filme und Romane. TEXT: HANNO HAUENSTEIN FOTOS: MARTINA MAFFINI ILLUSTRATION: KRISTINA POSSELT RESET RESET RESET RESET RESET RESET RESET RESET RESET RESET RESET DIE SAMMLUNG MODERNE KUNST RESET RESET RESET RESET RESET RESET RESET PINAKOTHEK DER MODERNE KUNSTAREAL MÜNCHEN www.pinakothek.de die es von 931 Bewerbungen und 51 Nominierten in die Endrunde für den ArsViva-Preis geschafft haben. Und wenn heute Nachmittag die drei Gewinner gekürt werden, kann es gut sein, dass schon wieder ein zukünftiger Turner-Preis-Kandidat dabei ist, so wie vor zwei Jahren James Richards. HINTERGRUND ARS VIVA LIEBT DICH Jedes Jahr vergibt der Kulturkreis im BDI einen Förderpreis für junge Künstler. Fast alle starten danach eine eindrucksvolle Karriere. Doch wie werden die Preisträger ausgewählt? Ein Blick hinter die Kulissen der Juryarbeit D ie Luft ist zum Schneiden. Dabei stehen die Fenster offen, und draußen gießt die Sonne ihre verspäteten Frühlingsstrahlen in die Auguststraße. Dort wäre ich jetzt gern. Zumindest seit 20 Minuten, denn so lange schon treiben die Wortwolken durch den angemieteten Konferenzraum. Es herrscht Hochspannung wie beim mündlichen Abitur. Fragt sich nur, wer hier wen prüft. Die 13 Köpfe der Ars-Viva-Jury starren auf eine außergewöhnlich attraktive Kandidatin, die am Kopfende des langen Tisches einen Vortrag abliest, um ihre Kunst zu erklären. JAN PAUL EVERS, DER PFAU, 2008, SILBERGELATINEABZUG, 39 × 42 CM Tatsächlich lässt sie einen wabernden Strom von Fremdwörtern auf ihr Publikum los. Hinter ihr auf der Wandfläche wechseln Projektionen, die aus ihrem Laptop kommen. Bilder und Worte passen nur insofern zusammen, als sie unentschlüsselbar sind. Das Foto einer Bergkuppe erscheint, gefolgt vom New Yorker Guggenheim Museum. Ihre Formen ähneln sich irgendwie. Aby Warburg, Mnemosyne, möchte ich denken. Aber so weit kommt mein Gehirn gar nicht. Mein Gehirn macht nämlich bei dem Gedanken halt: Gleich knallt’s. Und dann knallt’s auch wirklich: Die Fläche wird schwarz, man hört eine Explosion. Die Künstlerin nennt den Titel des Werks, darin kommen die Worte Bananenschale und Triangulation vor. Ich will nach Hause. Plötzlich werden Türen und Fenster aufgerissen: Raucherpause, raus auf die Straße. Nicolaus Schafhausen, externer Fachberater der Jury, holt tief Luft und raucht in der Sonne binnen weniger Minuten eine halbe Packung leer. Die Künstlerin zieht ihr Rollköfferchen aus dem Haus, sie muss schnell weiter zum nächsten wichtigen Termin. Wichtige Termine: Die haben fast alle der zehn Kandidaten, APÉRO 36 JAN PAUL EVERS W enn Fotografie aussieht wie sanft hingesetzte Graphitzeichnungen, Palmen und Pagoden zeigt, jeder Abzug analog gefertigt wird und ein Unikat ergibt, denkt man nicht unbedingt an das Jahr 2016, eher an die Ära von Piktorialismus oder Bauhaus. Doch der Kölner Künstler Jan Paul Evers (geb. 1982) legt viel Wert auf die Bildentstehung im Fotolabor. Er experimentiert mit Unschärfen, Graustufen und Belichtungszeiten. Seine Motive kombiniert er aus Bildern, die von überall her stammen können: Internet, Bücher, Magazine, eigene Fotos. Dann rückt er sie mit Schablonen zurecht und überträgt sie auf Schwarz-Weiß-Film. Genau das schreibt den Sehnsuchtsbildern eine zweite Ebene ein: Ein Segelboot wirkt seltsam rigide, ein Pfau erstarrt, eine Fassade abstrahiert. Wie ein Schleier liegt über allem die Geometrie. Sie ist der Maßstab der Moderne – und auch unserer bildüberfluteten Zeit. Evers entdeckt darin eine Langsamkeit, die uns längst entglitten ist. Die meisten Gewinner starten danach wie von Zauberhand eine famose Karriere. llerdings war das nicht immer so. Aus den Anfangsjahren sind fast alle Preisträger wie vom Erdboden verschluckt. Beuys, Piene, Richter oder Polke sucht man dort vergebens. Erst 1968 platzte ein erster Knoten mit Georg Baselitz. Doch es dauerte noch ein Jahrzehnt, bis der Preis an Fahrt aufnahm – ausgerechnet in einer Zeit, als keiner genau wusste, ob Fotografie, Performance und Video nun Kunst sind oder Kollateralschäden. Doch den kunstaffinen Unternehmern war das egal. Im Gegenteil: Die jungen Gewinner hießen jetzt Axel Hütte und Katharina Sieverding (1979), Marina Abramović und Ulay (1982), Albert Oehlen (1983) und Rosemarie Trockel (1985), Candida Höfer und Thomas Ruff (1987). Ab Mitte der 90er-Jahre war fast jeder Preisträger bald ein großer Name im Kunstbetrieb: 1995 lag der Schwerpunkt mit Thomas Demand, Jochen Lempert und Wolfgang Tillmans auf Fotografie, 1998 folgten Kai Althoff und Manfred Pernice mit „Installation“. 2001 zeichnete man den Modeladen „Bless“ und die Buchhandlung „pro qm“ für ihr „Design“ aus. Und weil solche Bezeichnungen bald nicht nur austauschbar waren, sondern außerdem zu kurz griffen, verlagerte man sich auf philosophische Begrifflichkeiten, die sich heute wie Codewörter der Gegenwartskunst lesen: Unter „Zeit“ gewannen 2004 Katja Strunz und Peter Piller, unter „Systeme“ 2012 Simon Denny JUMANA MANNA, BLUE ELBOW, 2015, MIXED MEDIA, 100 × 42 × 27 CM und Melvin Moti. Vor zwei Jahren wurde schließlich jegliche Einordnung über Ars Viva kommt anderen Auszeichnungen Bord geworfen – ausgerechnet als das neue nämlich gern mal zuvor. Buchstäblich, Wort „Post-Internet“ für Aufsehen sorgte denn er war einer der ersten Kunstpreise der und man mit Yngve Holen und Aleksandra Nachkriegszeit. Seit 1953 vergibt ihn der Domanović zwei Sieger hatte, die hervorKulturkreis der deutschen Wirtschaft im ragend in diese Schublade passen. BDI, der heute über 450 Mitglieder Diese fröhliche Mischung an Punktzählt, jährlich an in Deutschland lebende landungen hat möglicherweise damit zu tun, Künstler bis 35 Jahre. Derzeit bekommen dass die Fachjury im Gegensatz zu anderen sie je 5.000 Euro, einen Katalog, zwei Preisen nicht nur aus Kuratoren besteht, Ausstellungen in angesehenen Institutionen die ihre eigenen Entdeckungen nach vorn und neuerdings auch eine Künstlerresibringen wollen – sondern daneben sitzen denz auf der Insel Fogo Island bei Neufund- fachkundige Laien aus Wirtschaftskreisen, land, für die allein sich der Preis lohnt. die sehr genaue Fragen stellen. Zudem ist So normal das im förderungsverwöhnten das Auswahlverfahren kein bloßer MappenDeutschland klingt: Ars Viva ist so etwas wie tausch. Die Jury trifft ihre Kandidaten eine Wünschelrute unter den Kunstpreisen. Auge in Auge in ihren Ateliers. Wer nicht in JUMANA MANNA A APÉRO 37 J umana Manna (geb. 1987 in New Jersey) wuchs in einer palästinensischen Familie in Jerusalem auf. Das ambivalente Gefühl, zugleich Bewohnerin und „Gegnerin“ Israels zu sein, prägt auch ihre Kunst, die man wohl „recherchebasiert“ nennen muss. Studiert hat Manna in L. A., Oslo und Jerusalem, später zog sie nach Berlin. Dort lebte sie in der Lachmannstraße und las, dass der Jude Robert Lachmann von 1936 bis 37 nach Jerusalem ging und dort ein Radioprogramm für Musik der Region initiierte. Wie so oft in ihrer Arbeit begab sie sich auf die Spuren dieser historischen Figur und verwob sie filmisch mit ihrer eigenen Familiengeschichte. So entstand A magical substance flows into me, kombiniert mit abstrakten Skulpturen, die an Ellbogen oder Knie erinnern: Wo sonst, außer im eigenen Körper, drücken sich Erinnerungen und Wünsche, Musik und Leben aus? Auf den Podesten der Skulpturen kann man sitzen und wird so Teil der Arbeit. Berlin lebt, wird per Skype zugeschaltet oder kommt in den Konferenzsaal. So viel Nähe entsteht bei keinem anderen Preis. Doch wo die Juroren sich das ganze Jahr darauf freuen, verfallen viele Künstler vor Aufregung wahlweise in Arroganz oder Schockstarre. So wie der nächste – und letzte – Kandidat: ein junger Mann mit Dreitagebart, der nun vorn von einem Bein aufs andere tritt. Der nette Juryvorsitzende Ulrich Sauerwein deutet ihm an, er könne jetzt beginnen, doch der Künstler schweigt. Seine Fotoarbeiten lehnen an der Wand – es sind stille, nicht sofort erschließbare Bilder. Ein radschlagender Pfau, zwei abstrakte Kompositionen, ein Segelboot. Alles in Schwarz-Weiß. Der Künstler sagt noch immer nichts, schaut nur seine Bilder an. Ein Kunstvereinsdirektor hilft, fragt, ob wir nach vorn kommen sollen, um gemeinsam zu schauen. Der Künstler nickt dankbar. Die Gruppe erhebt sich, begutachtet die Fotografien, sie wirken wie aus einer anderen Zeit. Antiquiert? Vielleicht, aber doch faszinierend. Erste Fragen fliegen durch den Raum. Wie verhält sich sein Werk zur Moderne? Warum sind das Unikate? Ist das politische Kunst? Die Antworten sind nervös, aber präzise, lösen weitere Fragen aus. Kataloge kreisen, bald auch Kaffee. Dann ist es vorbei. Der Künstler atmet auf, dabei sah er so aus, als habe er sich am Schluss ganz wohl gefühlt. nd jetzt: die Endrunde. Die Liste mit den zehn Kandidaten liegt vor uns, zwei werden unverzüglich gestrichen. Die Wolkenfrau ist noch im Rennen. Als ihr Name fällt, wird klar, dass durchaus nicht jeder bei dem Vortrag im Regen stand. Unabhängig von Sympathiepunkten hat die Künstlerin Respekt geerntet. Wo die Fachleute aufstöhnen, haben andere in der Pause auf Wikipedia nachgelesen und können jetzt bei Triangulation mitreden. Aber ob das für einen Preis reicht? Namen und Fragen zischen hin und her. Finden wir das relevant oder nur interessant? Warum bringen sich Frauen eigentlich dauernd selbst in ihre Kunst ein, ist das nicht überholt? Muss man wirklich ein Michelin-Männchen auf die Wand drucken, um über das Selbstverständnis Frankreichs zu debattieren? Aber ja! Zwei Stunden lang herrscht angespannte Uneinigkeit. Nur eine Kandidatin steht sofort fest. Über Skype hat sie gestern so klug und mitreißend von ihren Filmen erzählt, dass jeder am liebsten sofort mit ihr nach Jerusalem reisen will, wo das Herz ihrer Geschichten schlägt. Schließlich einigt man sich dann doch. Mir schwirrt der Kopf. Demokratie ist wirklich ein hartes Brot. Durchgebissen haben sich Jumana Manna, Leon Kahane und Jan Paul Evers. Jawohl, der Mann, der nichts sagte. Am Ende zählt eben keine Wortwolke, sondern tatsächlich nur die Kunst allein. U LEON KAHANE, REPORTS OF MY ASSIMILATION ARE GREATLY EXAGGERATED, 2016, MIXED MEDIA, 300 × 80 × 80 CM TEXT: GESINE BORCHERDT LEON K AHANE L eon Kahane (geb. 1985 in Ost-Berlin) ging als Pressefotograf nach Israel. Doch Dokumentation allein reichte ihm nicht, um Geschichte, Grenzen und ihre Widersprüche aufzuzeigen. Er studierte Kunst an der UdK, wurde Assistent von Wolfgang Tillmans und Hito Steyerl. Heute bilden seine Installationen Metaphern für komplexe historische Zusammenhänge. So setzte er zwei Weinreben in Vitrinen, die in Bethlehem aus der DNA einer Traube aus Zeiten König Davids gewonnen wurden. Unter islamischer Herrschaft verboten, wird der Wein heute als israelisches Produkt vermarktet – von Weinbauern aus Palästina. Oder das Michelin-Männchen Bibendum mit Uncle-Sam-Geste auf der Wand: Der Gourmet-Führer steht für französisches Lebensgefühl. Doch wer weiß schon, dass die Firma amerikanische Alliierte mit Landkarten versorgte, aber auch Profiteur der Kolonialzeit war? Kahane schnappt sich ein Thema, liest dessen Geschichte in alle Richtungen – und bringt Licht in den Tunnel unserer Erinnerungskultur. Öffnungszeiten Donnerstag 13–19 Uhr, Freitag bis Sonntag 11–17 Uhr www.schaulager.org APÉRO 38 APÉRO Alexej Koschkarow, Bellevue (Detail), 2014, Smearing, Graphit auf imprägniertem Stoff, 39 © 2016, ProLitteris, Zurich, Foto: Farzad Owrang HERS/DIRT/TWO 2009, Mixed Media auf Leinwand, 168 × 130 cm (HERS) NIGHT AND DAY #2 2009, Acryl auf Leinwand, 168 × 130 cm Der Garten Eden des Carroll D. W CARROLL DUNHAM IN SEINEM HAUS IN CONNECTICUT REVUE 42 HORSE AND RIDER (MY X) 2013–2015, Mixed Media auf Leinen, 294 × 203 cm Seine ältere Tochter Lena definierte mit ihrer Serie Girls das Frauenbild in den USA neu, die jüngere Grace ist eine feministische Aktivistin, Ehefrau Laurie Simmons Mitbegründerin der „Pictures Generation“. Und Carroll Dunham? Hat sich ein nur von Frauen bevölkertes Universum geschaffen. Mit Pornografie hat das natürlich nichts zu tun, wie er Oliver Koerner von Gustorf erklärt. Mit Malerei hingegen alles enn man New York gen Norden verlässt und sich dabei in der Bronx verfährt, sieht man es, dieses wirklich arme Amerika: Scharen von Obdachlosen, von Alkohol und Junkfood aufgedunsenen Teenagern, die sich endlose Straßen mit Billigläden, Schildern von Subway oder Wendy’s und dem Rekrutierungsbüro der U.S. Army entlangschleppen. Dann in Yonkers kleine Eigenheime mit eingezäunten Grünstreifen, bis an der Interstate 95 die riesigen Betonklötze von Co-op City auftauchen, Hochspannungsleitungen, die sich durch Täler ziehen. Mir fällt Walt Whitmans uramerikanische Ode an das arbeitende Volk, an die Mütter und Väter der jungen Demokratie ein: I Sing the Body Electric. Wo die Stadt in Vororte übergeht, mehrt sich der Wohlstand. Die Anwesen und Rasenflächen werden größer, die Ortschaften lichter. Plötzlich hat man das Gefühl, auf dem Land zu sein. Meine Freundin Liz, mit der ich aufgebrochen bin, um Carroll Dunham in seinem Haus in Connecticut zu treffen, biegt ab, um nach einem Diner zu suchen. Beiläufig erwähnt sie, dass die Clintons hier irgendwo ihre Stiftung haben. Als das Navigationsgerät uns auf immer schmaleren und kurvigen Landstraßen höher in die Berge führt, wird die Landschaft sogar an diesem grau-verregneten Frühlingstag irreal schön, wie in einem David-Lynch-Film. Truthähne huschen zwischen Büschen hervor, Wasserfälle, Stauseen und rot leuchtende Farmhäuser säumen den Weg. In Kent, der Kleinstadt vor unserem Ziel, bietet jeder zweite Laden Antiquitäten oder selbst gebaute Möbel an. Schaut man genauer hin, bemerkt man, wie exklusiv diese heile Welt ist: In den Einfahrten stehen SUVs, an alten, aufwendig restaurierten Holzhäusern sind Überwachungskameras montiert. Carroll Dunham, oder „Tip“, wie ihn seine Freunde nennen, wohnt Kilometer entfernt, in einer gottverlassenen Gegend. Von der ehemaligen Privatschule aus dem späten 19. Jahrhundert hat man einen Panoramablick auf die Berge. Das Backsteingebäude gleicht einem monumentalen Puppenhaus. Der Künstler schaut aus der Haustür und verkündet, dass er noch etwa eine Stunde Zeit habe. Eine Stunde. Nicht viel, um nach Tausenden Kilometern Anreise über seine Frauenbilder zu sprechen, an denen er seit fast einem Jahrzehnt arbeitet – diese Gemälde, Zeichnungen und Drucke von achselbehaarten, badenden, an Bäumen hangelnden, reitenden Superweibern, die inmitten paradiesischer Flora und Fauna dem Betrachter unbeschwert ihre pinken, schwarz umrandeten Genitalien und gespreizten Pobacken entgegenstrecken, ganz so als wären wir Hunde, die sich am Hinterteil erkennen. Bei Hunden spricht der Fachmann vom „Analgesicht“. Bei Dunhams zumeist gesichtslosen Frauen scheint es tatsächlich, als wäre das Antlitz in die Körperöffnungen des Unterleibs verrutscht, in diese Löcher, Schamlippen, Backen, die kurvig grinsen, schreien, sich wie Augenbrauen anheben oder Schmollmünder formen. „Anal“, das ist auch ein Wort, das im Amerikanischen so viel wie „übertrieben genau“ heißt. Dunhams primitivistische Sujets stehen im Kontrast zum extrem aufgeräumten Innern des Heims einer der berühmtesten Künstlerfamilien der USA. Kein Staubkorn, nirgends. Das Dunham-Haus sieht perfekt aus, als könnte hier sofort ein Interior-Magazin fotografieren. Blanke Fußböden, weiße, weiche Sessel, Vintage-Möbel, weiß gestrichener Kamin, leuchtende Farben, Familienfotos auf dem Flügel, die Wände und Ecken voller Kunst, nicht nur von Dunham und seiner Frau, der Foto- und Filmkünstlerin Laurie Simmons, sondern auch von Zeitgenossen und Wegbegleitern. Wie etwa Markus Lüpertz oder dem Bildhauer Don Gummer, dessen Ehefrau Meryl Streep in Simmons’ Film The Music of Regret (2006) die Künstlerin verkörperte und auch in der Nähe wohnt. Alles hier wirkt hochklassig, eine urban-künstlerische Version von Landhausstil, bei dem jedes Detail perfekt arrangiert ist. Dunham hört sich an, als wäre er gar nicht der Schöpfer seiner Werke, sondern ein von einem Poltergeist heimgesuchter Junge. Wenn er eine Form gefunden hat, bleibt er obsessiv dabei Dabei ist es gerade das Brüchige, Sexualisierte, Unorthodoxe und Neurotische, das diese Familie berühmt gemacht hat. Bereits Dunhams frühere Malerei der 80er- und 90er-Jahre sieht aus wie ein semiabstraktes Konglomerat aus Gliedmaßen, Rüsseln und Därmen, die pupsen, fressen, tropfen, sich begatten oder fressen. Seine Frau gilt neben Cindy Sherman als eine der wichtigsten Vertreterinnen der „Pictures Generation“ und hat mit ihren Filmen und inszenierten Fotografien die Abgründe des amerikanischen Bürgertums durchleuchtet. Für ihre Serie „The Love Doll“ (2009– 2011) inszenierte sie eine lebensechte japanische Sexpuppe wie ein Upperclass-Girlie hier im Haus, auf der Couch, der Fensterbank, in der Badewanne – in der sonst ihre berühmten Töchter Lena und Grace baden, wenn sie zu Besuch sind. ie Comedy-Serie Girls, die Lena Dunham schreibt, produziert und in der sie die Hauptrolle spielt, brachte ihr nicht nur mehrere Millionen und Golden Globes ein, sie machte sie auch zur Ikone einer zutiefst verunsicherten Generation von Hipstern und Feministinnen, hinter deren coolen Fassaden sich Sucht, Neurosen und Selbsthass verbergen. Davon handelt ihr autobiografischer Ratgeber-Bestseller Not That Kind of Girl, in der sie auch ihre Familie porträtiert. Ihre Schwester Grace tritt als Aktivistin, Autorin und Performerin für die Rechte von Frauen, Lesben und Transgendern ein und ist in den USA bereits ein feministischer Star. Offensichtlich lebt Dunham in einem weiblich dominierten Kosmos. Und auch die Frauen auf seinen Bildern erscheinen extrem stark. Zugleich berühren sie in ihrer offensiven Körperlichkeit auf ganz merkwürdige Weise. Im Zeitalter der Internetpornografie, der digital und chirurgisch optimierten Körper scheinen sie unpassend, wie Nudisten am Textilstrand. Tatsächlich erinnern sie an die weiblichen Gestalten, die Walt Whitman in seinem Gedicht über den elektrischen Körper besingt: „Von ihrem Hauch werde ich angezogen, als wäre ich ein kraftloser Nebel, alles versinkt außer meinem Ich und ihr; / Bücher, Kunst, Religion, Zeit, die sichtbare und feste Erde, und was vom Himmel erwartet und von der Hölle befürchtet wurde, ist jetzt vergangen; / Wilde D US 1994, Mixed Media auf Leinen, 182 × 257 cm REVUE 44 REVUE 45 Fühlfäden, unbändige Blitze zucken hervor; die Erwiderung gleichfalls unbändig; / Haare, Busen, Hüfte, Krümmung der Beine, lässig hinfallende Hände, ganz aufgelöst …“ Ich erzähle Dunham, welche Probleme ich zunächst mit seinen Bildern hatte, auf denen die Frauen doch irgendwie verfügbar erscheinen, dem männlichen Blick ausgesetzt, objektiviert. „Der erotische Aspekt überdeckt vielleicht das Eigentliche, um das es hier geht“, antwortet er. Hager und durchtrainiert sitzt der 66-Jährige in seiner blauen Strickjacke auf der Couch. Jedes Wort wägt er genau ab, völlig konzentriert auf seine Arbeit. „Ich fühle da gar keine Verbindung zwischen Pornografie und meinem Nachdenken über Malerei. Sie hat rein gar nichts damit zu tun, was ich über die nackte Menschheit denke. Als ich noch jünger war und meine Intention nicht ganz so deutlich, sprachen die Leute im Zusammenhang mit meinem Werk von Cartoons. Jetzt wollen sie darüber in Begriffen von Pornografie reden. Immer wird da als Referenz etwas bemüht, das sich außerhalb der Malerei befindet. Dabei ist es wirklich nur Malerei.“ m seinen formalen Ansatz zu verstehen, muss man wissen, dass Dunham in den Achtzigern begann, auf Holzfurnieren zu malen und aus den Verläufen der Maserung und den Astlöchern abstrakte, organische Formen zu entwickeln. Er ist der Schöpfer eines Universums, das sich aus sich selbst generiert. Eine Form bringt quasi die nächste hervor, wobei das Werk dem Künstler diktiert, wie es weitergeht. Aus den frühen Formen der Achtziger, die anmuten wie eine archaische Ursuppe, kristallisieren sich im Laufe von Jahren Organismen, Amöben, Rüsselwesen. Aus den Rüsseln werden Penisse, die Dunham in den Neunzigern wütenden Mackern ins Gesicht setzt, die Anzüge, Zylinder und Pistolen tragen. Auch die comicartigen Planeten, die zur selben Zeit entstehen, sind wütend: Auf ihnen schlachtet sich alles Lebende ab, wie in einem Karussell des Leidens und der Zerstörung. „Die früheren Werke, die entstanden, bevor die Frauen auftauchten, waren noch ein zusammengepappter Haufen von Zeug. Ich machte nicht den geringsten Versuch, so etwas wie plausible Figuren zu kreieren. Den Schwanz, der aus einem Kopf ragte, habe ich selbst nie ganz verstanden. Dabei blieb er für fast zehn Jahre in meiner Arbeit.“ Dunham hört sich an, als ob er gar nicht der Schöpfer seiner Werke ist, sondern ein Junge, der von einem Poltergeist heimgesucht wird. Der radikale Ansatz ist klar: Es gibt kein Sujet, keine persönliche oder kollektive Erfahrung, kein unterbewusstes Bild, das unterdrückt wird. Und wenn Dunham eine Form gefunden hat, an der er arbeiten kann, dann bleibt er geradezu obsessiv dabei. „Ich versuche, immer das zu hören, was mein Werk mir vorschlägt, mit ihm in Einklang zu sein.“ Die Bilder, die dabei hochgespült werden, verstören. Eines von Dunhams bekanntesten Gemälden Square Mule (2006) zeigt einen durchgeknallten, hermaphroditischen Gangsterdämon, der sich eine Pistole in den Anus schiebt, um abzudrücken. Die kunstgeschichtlichen Vorläufer für diese Figur sah der amerikanische Kunstkritiker Jerry Saltz etwa bei Robert Mappelthorpe, der sich mit einer in den Hintern eingeführten Ochsenpeitsche fotografierte, oder in Picassos Bild seiner Geliebten Marie-Thérèse Walter, die sich eine Blume aus dem Hintern zieht. Zugleich sah Saltz in diesem U FIRST PINE 1982, Mixed Media auf Pinienholz, 145 × 122 cm REVUE 46 SQUARE MULE 2006, Mixed Media auf Leinen, 190 × 190 cm Hybrid aus Selbstmordattentäter, autoerotischem Banker und verwundeter Bestie aber auch etwas anderes: den Zustand der USA. Er beschrieb Dunhams Mule als einen „kollektiven Körper mitten in einem psychischen Bürgerkrieg“. Angesprochen auf die Nähe zur Malerei des großen Philip Guston, der sich aus politischem Protest vom Abstrakten Expressionismus verabschiedete und monströse Körperbilder malte, distanziert sich Dunham: „Zweifellos hat er, gemeinsam mit anderen Leuten, großen Einfluss darauf, wie ich über Malerei denke. Aber Gustons Verhältnis zum Bildgegenstand ist völlig anders, da er thematisch über seine Arbeiten nachdachte. Er hat eine ganze Zeichnungsserie zu Richard Nixon gemacht. Das ist Lichtjahre davon entfernt, wie in meiner Arbeit der Bildgegenstand zustande kommt.“ Im Gegensatz zu Dunhams Macho-Albträumen der frühen Zweitausender wirkt der in den letzten Jahren entstandene Bilderkosmos mit seinen Badenden, Bäumen, Hunden, Pferden, auffliegenden Krähen pantheistisch, geradezu versöhnlich. Warum er gerade jetzt, in unserer von Wirtschaftskrisen, ökologischen Katastrophen, Kriegen und Flüchtlingsströmen geprägten Welt solch paradiesische Bilder schafft, kann er nicht sagen. „Während ich an den Bildern arbeite, erlebe ich sie als völlig selbstreferenziell. Erst wenn ich Jahre später zurückblicke, kann ich sehen, wie die Veränderungen in meinem Leben mit ihnen korrespondieren.“ Fast störrisch schütteln seine Badenden ihre Haare, liegen da wie die Schwestern der halbnackten Frauen auf Manets Frühstück im Grünen (1863) oder das Modell von Courbets Der Ursprung der Welt (1866). Die männlich dominierte Malereigeschichte der Moderne ist voll von nackten Musen. In Dunhams Kosmos sind die Männer allerdings verschwunden. In den blühenden vorzeitlichen REVUE 47 LATE TREES #4 (FALLEN) 2011–2012, Mixed Media auf Leinen, 196 × 151 cm NEXT BATHERS, THREE (REEDS) 2012, Mixed Media auf Leinen, 199 × 156 cm THE SUN 1999, Mixed Media auf Leinen, 254 × 204 cm der Neunziger eine große Retrospektive. Heute vertritt ihn neben Gladstone in New York, Blum & Poe in Los Angeles und Gerhardsen Gerner (Oslo und Berlin) auch Eva Presenhuber in Zürich, wo er gerade seine Monotypien zeigt. Dennoch hat er in Europa noch keine große Retrospektive gehabt. Als er Dunhams Bilder Mitte der Neunziger zum ersten Mal gesehen habe, erzählt sein Berliner Galerist Atle Gerhardsen, habe er nicht nur wegen des Namens Carroll gedacht, der Künstler sei eine Frau. Tatsächlich ist Dunhams Werk heute in seiner gelassenen und schrulligen Attitüde viel näher an US-Malerinnen, die derzeit den Diskurs bestimmen, etwa Laura Owens oder Charline van Heyl, als an vielen seiner männlichen Zeitgenossen. Vielleicht ist es an der Zeit, es auch einmal in diesem Kontext zu zeigen. it traditionellen Mitteln und großem Augenmerk auf das Handwerk erschafft Dunham eine absolut zeitgemäße Kunst. Spricht man mit jungen Künstlern, sind die pinselschwingenden Gesten, die magische Berührung der Leinwand und das klassische Malerimage völlig verpönt. Für sie geht es viel eher darum, Distanz zur Leinwand und zum „authentischen“ Ausdruck zu schaffen. Zugleich aber sehnt sich die Kunstszene nach Authentizität, gräbt immer wieder Outsider und übersehene Positionen aus, um Leben in die formalen Debatten zu bringen. Dunham malt konzeptionell und zugleich wie ein Outsider. Nie setzt er große malerische Gesten ein, immer hält er Abstand zum Pathos. Seine Bilder, die aus der Entfernung grafisch, fast wie Poster wirken und aggressiv ins Auge springen, zersetzen sich bei der Annäherung, zerfallen in abstrakte, gestische Formen, Bleistiftlinien, fragile Abdrücke von Holzmaserungen. Seine Obsession hat System – alles wird in der Zeichnung oder als Monotypie über Jahre hundertfach durchdekliniert. Zugleich entstehen aus dieser formalen Herangehensweise psychologisch aufgeladene Bilder, die unterdrückte und peinliche Erfahrungen hochspülen. Immer wieder betont Dunham im Gespräch, wie wichtig ihm das Handwerk, die persönliche, physische Annäherung an die Malerei ist. Er arbeitet ohne Assistenten. Die Begegnung mit seinen Werken hat auch für den Betrachter eine sehr körperliche Dimension. Es geht um Nähe, Distanz, Intimität. Man sieht Dunhams Frauen und weiß, dass man auch selbst nackt ist. Wir blicken in seinem gesamten Werk auf Körper, die das Ergebnis einer schamlosen Befragung der Kunstgeschichte und des eigenen Selbst sind. Sie tragen dabei unendlich viele Partikel sozialer Realität in sich. Als wir abends über vollgestopfte achtspurige Highways wieder nach New York reinfahren, fühlt es sich geradezu so an, als würden wir in die Welt der wütenden Männer und Schwanznasen zurückkehren. Das Haus auf dem Hügel, die kleinen Städtchen mit weißen Kirchen und Coffeeshops, all das Aufgeräumte und Wohlhabende erscheint merkwürdig fern. Dunhams Landschaften mit ihren Badenden sind ebenso wenig paradiesisch wie seine früheren Werke, schießt es mir durch den Kopf. Sie sind voller beunruhigender Spannung, gespalten zwischen utopischem Feminismus und latentem Sexismus, Paradies und Postapokalypse, Schöpfung und Zerstörung. Haare fliegen auf, Hände recken sich zur Sonne. Die Ruhe ist eine Ruhe vor dem Sturm. Man spürt ihn bereits durch die Bäume fegen. M REVUE 50 ALPHA 2000, Mixed Media auf Leinen, 254 × 188 cm oder postapokalytischen Landschaften, in denen auch van Goghs Sternenhimmel aufscheint, sind die Frauen ganz sich selbst überlassen. Geblieben ist nur der machtlose männliche Blick. Wo zuvor geschlachtet und getötet wurde, herrscht jetzt Mütterlichkeit. Doch wie zum Beweis des Gegenteils führt Dunham uns hoch in ein Dachatelier, in dem er an einer neuen Zeichnungsserie arbeitet. Aus den Frauen sind inzwischen langhaarige, bärtige Männer geworden, die über Steppen toben, ineinander verkeilt wie wilde Tiere. „Sie ringen“, erklärt er. „Sie ficken“, sagt Liz ruhig. Alle lachen. „Wir alle haben eine Mutter. Dieses Gefühl sollen die Bilder der Badenden vielleicht vermitteln. Ich benutze den Begriff des Archetyps für diese Figuren“, erzählt Dunham später. „Bestimmt nicht, weil ich ein großer Anhänger von C. G. Jung bin. Ich finde nur, diese Bezeichnung passt zu Dingen, die größer sind als individuelle Menschen oder die Kategorien menschlicher Erfahrung beschreiben. Malerei ist ein Weg, diese Erfahrung festzuhalten und ihr zugleich eine formale Qualität zu geben.“ Dunhams Malerei will keine Themen behandeln, sondern Formen entwickeln. „Avatare“ nennt er die Tiere, Pflanzen und Figuren, die immer wieder in neuen Varianten auftauchen. „Wenn du sie dir ansiehst, hat ihre Qualität rein gar nichts mit Beobachtung zu tun, null“, sagt Dunham. Er könne zum Beispiel Liz und mich auf der Couch gar nicht abzeichnen, das sei ihm auch viel zu blöd. „Die Figuren sind wie ein Code für die Dinge, ein unendlich anpassungsfähiges Vokabular.“ Seit den Achtzigern verkörpert Dunham einen sehr zeitgemäßen Künstlertyp, der auch für Magazine wie Artforum schreibt oder Ausstellungen kuratiert. Er gehört zur Aristokratie der New Yorker Kunstszene neben Malergrößen wie Julian Schnabel, Eric Fischl oder David Salle. Er hat in führenden Galerien wie Sonnabend oder Metro Pictures ausgestellt. Das Whitney widmete ihm Ende VON LINKS NACH RECHTS: MARKUS LÜPERTZ, 1984. BASELITZ’ SKULPTURENATELIER IN DER ALTEN WASCHKÜCHE, 1988. GEORG BASELITZ IM SOMMERATELIER, DEM EHEMALIGEN RITTERSAAL, 1985 Heldenbilder Derneburg in den 80er-Jahren: GEORG BASELITZ genießt frühen Weltruhm, arbeitet wie ein Berserker und empfängt auf seinem Schloss Künstlerfreunde und Ausstellungsmacher, die das Jahrzehnt wie keine andere Gruppe prägen werden. Immer mit der Kamera dabei: sein Sohn DANIEL BLAU. Für uns öffnet er erstmals sein Archiv TEXT: FABRICE HERGOTT REVUE 52 REVUE 53 IM UHRZEIGERSINN VON LINKS: BASELITZ’ SKULPTURENATELIER, 1982. GEORG BASELITZ, JOHANNES GACHNANG UND SIEGFRIED GOHR IM SOMMERATELIER, 1983. SKULPTURENATELIER, 1982. GEORG BASELITZ NEBEN RALF BLICKT IN DIE LANDSCHAFT, 1985 Ein Schloss als geschlossenes Universum, in dem es in erster Linie um Kunst geht, um Projekte und Strategien N ur wenige kennen sie, diese Aufnahmen. Zumindest sind sie bis auf ein paar Ausnahmen nie öffentlich gezeigt worden. Jahrzehnte hat sie der Sammler und Baselitz-Freund Peter Held aufbewahrt, bis sie vom Fotografen für die Veröffentlichung auf diesen Seiten ergänzt wurden. Es ist ein Fotoalbum, das eine Malergruppe in ihrem künstlerischen Umfeld dokumentiert, die gerade einen Schlüsselmoment in ihrer Karriere erlebt. Jahre haben die Künstler für ihre Ziele kämpfen müssen. Jetzt feiern sie internationale Erfolge – und verstehen sich noch immer gut. Entstanden sind die Bilder in den 80er-Jahren, der Fotograf war damals gerade mal um die zwanzig. Es ist der erste Sohn von Georg Baselitz, der 1962 geborene Daniel, bekannt unter dem Galeristennamen Daniel Blau. Neben Georg Baselitz gehörten zur Gruppe Jörg Immendorff, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A. R. Penck. Daniel Blau hat sie seit seiner Kindheit zu Hause ein und aus gehen sehen, in die Atelierräume des riesigen und kalten Schlosses Derneburg. Im engsten Kreis hat er an den Gesprächen und Diskussionen mit seinem Vater, seiner Mutter Elke sowie seinem jüngeren Bruder Anton teilgenommen. Es war ein geschlossenes Universum, in dem es in erster Linie um Kunst ging, um Projekte und Strategien. Noch hat Daniel nicht wissen können, dass er ein Goldenes Zeitalter miterlebte, eine Blütezeit der Freundschaft und der Kunst, die nicht ewig dauern sollte. Während der 60er- und 70erJahre hatten sich die Künstler nach und nach Michael Werner angeschlossen, dem sie sich als Freund und engagierten Galeristen verbunden fühlten. Gemeinsam proklamierten sie eine neue Malerei, die an französischen Vorbildern wie Jean Fautrier, aber auch an den klassischen deutschen Expressionisten Maß nehmen wollte. Zu Beginn der 80er-Jahre sollte ihre Vision Wirklichkeit werden. Spektakulär feierte die Malerei ihre Rückkehr auf die Bühne des Kunstbetriebs. Das Publikum war die etablierten Trends leid, gab nichts mehr auf eine Kunstkritik, die weiter die minimalistischen Tendenzen verteidigte. Farbe, Stofflichkeit, Materialität, danach stand jetzt der Sinn. Und die Malerei dieser Künstler, die Sinnlichkeit ihrer figurativen Darstellungen erschien wie eine Apologie des Lebens. Im Rausch an den Bildern erkannten allerdings nur wenige, auf wie viel Wissensschatz die neoexpressionistische Malerei dieser Künstler gründete, wie sie an die Kunst der Vormoderne oder an Stammeskunst anknüpfte. Die Maler blickten in die Zukunft und in die Vergangenheit zugleich. Das war das Geheimnis ihres Erfolgs. An ihrer Seite – und das ist für die Geschichte ihres Erfolgs von großer Bedeutung – fanden sich bald engagierte Kuratoren. Allen voran der Schweizer Künstler, Verleger und Ausstellungsmacher Johannes Gachnang, der 1976 in der Berner Kunsthalle die erste Baselitz-Ausstellung im Ausland zeigte. In Köln war es Siegfried Gohr, der sich für die Gruppe engagierte, und wenig später fanden die Maler in Rudi Fuchs einen einflussreichen Fürsprecher, der von Eindhoven aus den internationalen Durchbruch der expressiven Malerei dirigierte. Und nicht zu vergessen Norman Rosenthal, der mit seiner Ausstellung A New Spirit in Painting, die er 1981 für die Londoner Royal Academy organisierte, viel dazu beitrug, dass gerade das englischsprachige Publikum mit zunehmender Faszination auf diese Malerei aus Deutschland blickte. Alles vergangen, Geschichte, Legende. Doch Daniel Blau kann sich noch haarklein erinnern. Er war mittendrin, hat zugehört und zugeschaut, wie Pläne geschmiedet und umgesetzt wurden. Tatsächlich waren der Zusammenhalt und der Austausch in der Gruppe in den 80er-Jahren noch einigermaßen intakt, auch wenn man von starken REVUE 55 Künstlerpersönlichkeiten nicht unbedingt erwarten darf, dass sie sich solidarisch verhalten. Aber die gemeinsamen Ziele verbanden noch eine ganze Weile. Daniel selbst stand im Schatten seines übergroßen Vaters, an eine Karriere als Maler war gar nicht zu denken. Aber lebensklug entdeckte er bald seine eigenen Möglichkeiten. Und begann mit Hingabe zu dokumentieren, was er sah und erlebte. Da er zur Gruppe gehörte, verhielt man sich ihm gegenüber wohlwollend. Aus dem Hobby wurde bald Profession. Immer leidenschaftlicher machte Daniel Blau die Fotografie zu seiner Sache. Er richtete sich ein kostspieliges Fotolabor ein, arbeitete mit aufwendigem Equipment. Unter seinen verschiedenen Kameras war auch eine Hasselblad, die sich beim Künstler-Shooting als ganz besonders dienlich erwies. Dadurch dass bei dieser Kamera der Blick in den Lichtschachtsucher von oben erfolgt und sie etwa auf Bauchhöhe gehalten werden muss, wird das Gesicht des Fotografen nicht verdeckt. Dies fördert beim Porträtierten ein Gefühl des Vertrauens. Auf die Weise gelangen Blau sehr persönliche Momentaufnahmen, in denen sich die Künstler ganz unverstellt und ohne Attitüde oder aufgesetzte Maske offenbaren. Kein bisschen Misstrauen ist zu spüren, eher ein Hauch von Nähe, Zugewandtheit, Sympathie. Der Junge des Hauses war noch nicht im Alter, um als Künstler ernst genommen zu werden. Aber er selbst verstand sich voll und ganz als professioneller Fotograf. So wurde er zum Zeugen, der in der ersten Reihe saß. Erschöpft am Ende eines harten Arbeitstags, stützt Baselitz seinen Kopf in die Arme. Lüpertz schmiegt sich in die Kapuze seines Pullovers, als wolle er Schutz vor Regen suchen, den es gar nicht gibt. Penck wiederum ist voll im Einsatz und augenscheinlich kurz davor, auf seiner Axt zwischen den Beinen davonzureiten. Das alles muss umso mehr auffallen, als es ja auch andere Fotodokumente aus dieser Zeit gibt, die die Künstler bei Weitem nicht so entspannt zeigen. Da spielen sie ihre grandiose Rolle, gefallen sich in überheblichen Posen und inszenieren sich entsprechend repräsentativ. Auf Daniel Blaus Set aber ist man zu Hause, unter sich. Hier legen die Kämpfer ihre bewährten Schutzschilde ab. Jahre haben die Künstler für ihre Ziele gekämpft. Jetzt feiern sie internationale Erfolge – und verstehen sich immer noch IM UHRZEIGERSINN VON GANZ LINKS: A. R. PENCK VOR SEINEM LONDONER ATELIER, 1984. A. R. PENCK IN MÜNCHEN, 1987. MARKUS LÜPERTZ, 1986. MARKUS LÜPERTZ IN DERNEBURG, 1984. PER KIRKEBY IN DER SCHLOSSKÜCHE, 1983 REVUE 56 REVUE 57 Irritiert, fasziniert begleitet das Ausland den Triumph der Baselitz-Gruppe. Zum ersten Mal spricht man wieder von German painting als Qualitätslabel IM UHRZEIGERSINN VON LINKS OBEN: JÖRG IMMENDORFF ZU BESUCH BEI A. R. PENCK IN LONDON, 1985. ANTHONY D’OFFAY UND DAVID SYLVESTER IN DERNEBURG, 1990. ELKE BASELITZ IM KREUZGANG, 1984. MARY BOONE UND MICHAEL WERNER IM WINTERATELIER NEBEN DEM GEMÄLDE BLAUER MANN, 1983. NORMAN ROSENTHAL IM SOMMERATELIER, 1989. BASELITZ’ PRIVATSEKRETÄR DETLEV GRETENKORT, 1986 Es dauerte etwa zehn Jahre, dann hörte Daniel Blau mit der Fotografie auf, jedenfalls mit dem Fotografieren. Obschon Benjamin Katz, der damals berühmtere Kollege, ihn bei der Arbeit beobachtet hatte und von seinem Talent, seinem Blick und seinen Fachkenntnissen durchaus beeindruckt war. Aber Daniel spürte, dass es schwer sein würde, sich im Schatten seines mächtigen Vaters zu entwickeln – selbst im Medium der Fotografie, die der Malerei ja doch nahesteht. Als Galerist freilich gelang es ihm in wenigen Jahren, zu einem international geachteten Fotospezialisten zu werden. Unterdessen traf sich der Kreis um Baselitz weiter – bis in die 90er-Jahre hinein. Streitigkeiten blieben nicht aus, auch Krankheiten führten dazu, dass die Abstände immer größer wurden. Penck, der sich in Deutschland missverstanden fühlte, zog sich nach Irland zurück. Lüpertz spürte von Ausstellung zu Ausstellung mehr und mehr Widerstand bei Kritik und Publikum. Und selbst das Verhältnis zwischen Georg Baselitz und Michael Werner bekam Sprünge. Daniel Blau machte nur noch gelegentlich ein paar Schnappschüsse. Inzwischen hatte er seine Fotogalerie in München eröffnet, die mit ihrem konsequenten Programm, zahlreichen Neuentdeckungen und Auftritten auf den wichtigsten Kunstmessen ganz entscheidend zum künstlerischen Rang der Fotografie beigetragen hat. Auf die Jugendjahre im Baselitz-Kreis blickt der ehemalige Vollzeitfotograf noch immer ein wenig nostalgisch zurück. Zumal wenn er sein Album aufschlägt und die Erinnerungen an einen Gründungsakt der neueren Kunstgeschichte wach werden, wie er sich so nicht wiederholen sollte. Es waren ja nicht nur ein paar zufällige Freunde, die damals im Derneburger Schloss zusammenkamen. Mehr noch war es das gemeinsame Ziel, das den Kreis um Baselitz so bedeutsam erscheinen lässt. Von Anfang an war ausgemacht, dass es um nichts weniger als um eine Erneuerung der Malerei gehen würde, um die heroische Wiedereinsetzung einer Gattung, der die abstrakten, aktionistischen und minimalistischen Nachkriegsjahrzehnte nicht mehr viel Zukunft geben wollten. Mit einem pathetischen Selbstbewusstsein, das manche Zeitgenossen verschreckte, traten die Maler an, noch einmal eine Bildkunst zu schaffen, in der Geist und Sinnlichkeit Vorrang haben sollten vor Stil und Allüre. Irritiert, erstaunt, fasziniert hat das Ausland den Triumph der Baselitz-Gruppe begleitet. Zum ersten Mal wieder ist von German painting wie von einem Qualitätslabel gesprochen worden. Wohl gab es auch später immer wieder Gleichgesinnte, die sich zusammentaten. Etwa die Gruppe um Oehlen, Kippenberger, und Herold. Aber die Unterschiede sind unverkennbar. Die ironische Distanz zum Geniebegriff, die spöttische Abrüstung des Erhabenen, die sich in den Werken der Nachfolgegeneration ausdrückt, und nicht zuletzt der vitale Austausch mit der amerikanischen Szene, das alles steht in schroffem Gegensatz zum alteuropäischen Ernst, den Baselitz und seine Freunde kultivierten. Es ist so gesehen eine schöne Pointe, dass ausgerechnet die Maler, die nie einen Hehl aus ihrer nationalen, gleichsam abendländischen Verwurzelung gemacht haben, in ihrem emphatischen Auftritt der imperialen New York School am nächsten kamen. Längst ist die Künstlerfreundschaft zerfallen, jeder ist seinen eigenen Weg gegangen. Was geblieben ist, sind die Bilder der Maler und die Fotografien, die vom Entstehen dieser Bilder und Bünde erzählen. DAS FRANKFURTER STÄDEL ZEIGT VOM 30. JUNI BIS 23. OKTOBER DIE HELDEN, BASELITZ’ WICHTIGSTE WERKGRUPPE AUS DEN 60ERN DER FOTOGRAF: DANIEL BLAU IN CASTIGLION FIORENTINO, ITALIEN, 1983 REVUE 59 Rembrandt auf die Hand Der große Salon im Stil des 18. Jahrhunderts dient als Studierzimmer, in dem sich maximal vier Besucher pro Tag die Skizzen von Leonardo oder Briefe von Rembrandt anschauen dürfen. Linke Seite: Treppenhaus mit Marmorbüste von Turgot, an den Wänden europäische Pleinair-Skizzen aus dem 19. Jahrhundert 121, Rue de Lille. Wer ahnt schon, dass sich im barocken Pariser Stadtpalais ein kleiner Louvre versteckt? Dort verwahrt und vermehrt die Fondation Custodia die unglaubliche Zeichnungssammlung des Niederländers Frits Lugt. Ein seltener Einblick REVUE 60 A msterdam, Ende des 19. Jahrhunderts: Frits Lugt blickt entschlossen in die Kamera. Er ist noch ein Kind. Aber man sieht ihm und dem Foto an, dass der kleine Frits Großes vorhat. Wenig später wird er sein erstes Museum eröffnen. Während andere Cowboy und Indianer spielen, häuft er in seinem Kinderzimmer Schätze an. An der Tür hängt ein Schild mit der Aufschrift „Museum Lugt – Geöffnet immer dann, wenn der Direktor zu Hause ist“. Zu Zeiten, da der Direktor nicht da ist, drückt er die Schulbank. Mit neun sammelt er Muscheln, Federn, Steine. Mit 15 kauft er seinen ersten Rembrandt, einen Kupferstich, und schreibt eine Rembrandt-Biografie. Sehr viel später scheint selbst der Tod seinem Plan zu gehorchen und die Dramaturgie seines Sammlerlebens zu vollenden: Als der 86-jährige Lugt an einem Sommertag im Jahr 1970 nahe der Pariser Place de l’Étoile zusammenbricht, ist er sofort tot. Unter dem Arm hat er eine Mappe mit drei Zeichnungen. Im Terminkalender steht der Besuch bei einem Kunsthändler: Es ist der 15. Juli. Lugt hatte sich zum Sterben den Geburtstag von Rembrandt ausgesucht. Zwischen beiden Daten lag ein gutes halbes Jahrhundert des unermüdlichen Suchens und Jagens, in dem Lugt eine so beeindruckende Sammlung von Zeichnungen alter Meister, von Drucken, Radierungen und Künstlerbriefen zusammengestellt hat, dass man sie für eine über Generationen gewachsene königliche Kollektion halten würde, kaum aber für das Werk eines Privatmannes – es sei denn, das eines Genies. Wer Lugts Lebenswerk besichtigen will, muss sich nach Paris begeben, ins 7. Arrondissement, das Quartier der Botschaften und Ministerien, ganz ans Ende der Rue de Lille, kurz bevor sie auf die Nationalversammlung stößt. Hinter dem Gebäude mit der Nummer 121, einem klassischen Bau aus der Haussmann-Zeit, in dem sich bis vor wenigen Jahren noch das niederländische Kulturinstitut befand, versteckt sich im Hof ein zweites Stadtpalais, das Hôtel Turgot, gebaut 1743. Beide Gebäude sind Sitz der Fondation Custodia, die Lugt nach dem Krieg gegründet hat. Ein Geheimtipp selbst für Pariser, denn die wenigsten wissen, dass sich hinter diesen Mauern ein kleiner Louvre verbirgt, REVUE 63 REMBRANDTS Interieur mit Saskia im Bett, um 1640–42. Links: Der Studiertisch im Salon ein Kabinett der Papierkunst: Barocci und Bruegel, Rembrandt und Rubens, Leonardo da Vinci und Watteau. Insgesamt 7.000 Zeichnungen werden hier gehütet, 15.000 Grafikblätter, 450 Gemälde, dazu 55.000 Handschriften und Briefe, Manuskripte von Michelangelo, Tizian, Poussin, Ingres und Manet. Auch zwei der sieben erhaltenen Rembrandt-Briefe werden hier aufbewahrt. Die Fondation Custodia ist eine wahre Wunderkammer: Im Vestibül empfängt einen die Büste von Turgot, Finanzminister unter Ludwig XVI., Koautor der berühmten Enzyklopädie, daneben hängt sein Porträt in Öl, derselbe Mensch, andere Wirkung. Turgot hat das Palais 1779 kurz vor seinem Tod erworben. Ger Luijten, seit 2010 Direktor der Stiftung Custodia, hat Büste und Bildnis angekauft, dazu ein Inventar des Hauses zum Zeitpunkt von Turgots Tod. Ins Vestibül hat er die private Sammlung von Landschaftsskizzen einer seiner Vorgänger gehängt: Pleinair-Malerei, Momentaufnahmen in Öl, vor allem aus dem 19. Jahrhundert. Zwei Jahrzehnte lang hat Luijten das Zeichnungs- und Kupferstichkabinett am Amsterdamer Rijksmuseum geleitet, bevor er die Pariser Herausforderung annahm. Welt und überlebt. Ein Jahr später stirbt die Mutter, wahrscheinlich an Tuberkulose. Über Interieur mit Saskia im Bett liegt die Melancholie des Werdens und Vergehens. Es ist die erste Rembrandt-Zeichnung, die Lugt gekauft hat, für 25.200 Gulden. Eine andere Zeichnung zeigt die Getreidemühle De Bok am Hafendamm Het Blauwhoofd. Rembrandt erzeugt hier räumliche Tiefe durch weiß gelassene Stellen. So suggeriert er die Weite der Landschaft, man ahnt das Meer, aber hält zugleich einzelne Details fest. „Sehen Sie das Toilettenhaus dort?“, fragt Luijten lachend. Bei der melancholischen Frau am Hinter einer gepanzerten Tür befinden sich Originalbriefe und Zeichnungen aus dem Fenstersims frisst die Tinte das Papier auf, 15. bis 21. Jahrhundert. Rechte Seite: PIETER CODDES Künstler und Kunstliebhaber im Gespräch, es wird immer schwärzer, als habe die um 1630. Das Werk hängt im Studierzimmer und spielt auf Frits Lugts Mission an Depression noch nach Jahrhunderten die Macht, die Seele dieser Frau zu verschlingen. Die Zeichnung The Healing of the MotherWarum der Wechsel von einem Weltmudas war alles noch vor Corot. Ein Meister- in-Law of Saint Peter hatte Lugt während des Zweiten Weltkriegs in New York gekauft, seum in eine Privatstiftung? Der Direktor, werk“, sagt Luijten. Wolkenstudien, wohin er mit seiner Familie vor dem das rosige Gesicht von grauen Locken ein eindrucksvoller Carl Blechen, Blicke Krieg geflohen war. Einige seiner Stücke umrahmt, als würde er einem Gemälde von aufs Kolosseum, Landschaften von hatten die Nazis, die „Dienststelle MühlFrans Hals oder Jan Steen entsteigen, Jean-Baptiste Camille Corot: In einigen mann“ geraubt. Manche sind bis heute will mit seiner Arbeit den Geist des Gründers der Gemälde entdeckt man die Farbe fortsetzen. Denn Lugt war Selfmademan der Wand wieder. Zufall? Nein. Luijten ist nicht rückerstattet. „Es war damals schon schwer, auf und Philanthrop. Er wollte Kunst allen Perfektionist. „Ich will als Wandfarbe zugänglich machen. Nicht nur Wissenschaftgenau diesen Ton des Gemäldes.“ In diesem diesem Niveau einzukaufen“, sagt Luijten, die Petrus-Zeichnung in der Hand. Erst ler, Kuratoren, auch interessierte Laien, Fall Muskatbraun der Firma Tollens. Paris-Besucher, Studenten können deshalb Auf das Vestibül folgt das Esszimmer, kürzlich ist sie für eine Rembrandt-Ausstellung in der Frick Collection nach New York hier die Zeichnungen alter Meister studiedas Lugt wie ein holländisches gestaltet ren, dürfen sogar Originale in den Händen hat. Aus dem Salon fällt der Blick in den zurückgekehrt. Versicherungswert: 12 Millionen Euro. Man möchte nicht ausrechnen, halten. Nach Anmeldung werden jeden Garten: Skulpturen, Vasen, weiße Vormittag bis zu vier Personen in den sicher Tulpen kurz vor der Blüte, eine japanische welchen Wert die 21 Rembrandt-Zeichnungen dieses einzelnen Albums haben. schönsten Studiersaal von Paris gelassen. Wollmispel, die Natur wie ein Gemälde. Solche Meisterwerke im Passepartout Luijten hat den Ehrgeiz, nicht nur den Wer Lugts ehemaliges Büro betritt, hat das in der Hand halten, ihre Rückseite betrachten Schatz der Zeichnungen, sondern auch Gefühl, in ein Bild von Vermeer einzudie Gemäldesammlung zu bereichern. Dem treten: schwarz-weißer Marmor auf dem zu dürfen, ist ein Erlebnis, das einem normalen Ausstellungsbesucher nirgendwo Münchner Händler Marcus Marschall Boden, untypisch für Paris, aber charakhat er einen Louis-Gabriel-Eugène Isabey teristisch für die holländischen Gemälde gewährt wird. Neulich erst, erzählt Luijten, sei eine Studentin in Ohnmacht gefallen. abgejagt: Dans le Souk d’Alger, l’echoppe des Goldenen Zeitalters, roter BrokatDer Schock der Schönheit. Stendhal-Syndu teinturier, die Bude eines Färbers auf dem stoff an den Wänden, dunkles Mobiliar. drom nennt man es, wenn das Herz Basar von Algier. Die Stoffe hängen in Hinter einer Panzertür dann das schneller schlägt, der Atem stockt, der knallbunten Farben im Vordergrund, der Heiligtum: Luijten zieht ein altes LederSchwindel einsetzt angesichts der Kunst. Pinselstrich ist breit und wild, als würde album aus dem Regal, dessen Teakholz Es wird als Krankheit beschrieben. Hier ist dieses Bild aus dem Jahr 1830 eine Ahnung er durch Ebenholz hat ersetzen lassen. es nicht Krankheit, sondern Privileg. von der Moderne geben wollen. Passt besser. In einem Passepartout eine Modern ist auch der Blick des Schweizer Zeichnung von Rembrandt. Sie zeigt TEXT: MARTINA MEISTER Malers Louis Léopold Robert auf Neapel seine Frau Saskia im Wochenbett. Drei und den Vesuv (Vue de Naples avec le Vésuve), Kinder hatte sie schon geboren, alle drei DIE FONDATION CUSTODIA ZEIGT VOM 1. JUNI entstanden irgendwann zwischen 1821 und waren kurz nach der Geburt gestorben. BIS 14. AUGUST C. W. ECKERSBERG – ARTISTE DANOIS À PARIS, ROME ET COPENHAGUE 1825. „Robert stand erhöht, blickte hinab, 1641 kommt endlich der Sohn Titus zur REVUE 64 REVUE 65 DRIVE DRAW DREAM JEDE ZEICHNUNG, SAGT HAROLD ANCART, IST EIN VERSPRECHEN AUF DIE ZUKUNFT. FÜR SEINE JÜNGSTE SERIE HAT SICH DER BELGISCHE KÜNSTLER EINEN JEEP GEKAUFT UND DEN KOFFERRAUM ZU SEINEM STUDIO UMGEBAUT. DIE ROUTE: NEW YORK — LOS ANGELES — MIAMI — NEW YORK. DAS ERGEBNIS: EINE ODE AN SEINE NEUE HEIMAT itzt man mit einem belgischen Künstler (sehr animiert) in seinem New Yorker Atelier (sehr kalt) und konsumiert kalifornischen Wein und mexikanisches Gras (sehr süß und sehr stark), kann es durchaus passieren, dass man plötzlich bei Helmut Kohl landet. Ob er, der junge belgische Künstler, je von der Gnade der späten Geburt S so neu, dass diejenigen im Publikum, deren Hirnwachstum noch weitestgehend analog stimuliert wurde, ob all der digitalen Edginess nur staunen können. Und Ancart? Erzählt, dass er, zehn Jahre später geboren, vielleicht nie in dem Maße entdeckt hätte, welche Macht ihm das Zeichnen verleiht, welches Glück es ihm beschert und bescheren spezielle Vorlieben seiner Kundschaft eingegangen. „Worauf stehst du?“, fragte er die Jungs. Und so sehr es eine Dienstleistung gewesen sei, so sehr habe er darauf geachtet, jedem Bild seinen unverwechselbaren Stempel zu geben. „Die Mädchen mögen nackt gewesen sein, aber sie hatten immer eine Knarre in der Hand. Gern auch Maschinengewehre. die große, weite Kunstwelt sein Pausenhof ist und der Tauschwert einer Arbeit, wenn man denn eine bekäme, bei bis zu 70.000 Snickers liegt. Solch ein Gedränge herrschte zuletzt auf den internationalen Kunstmessen vor seinen Bildern, dass ihn der englische Kolumnist Kenny Schachter als „belgischen Mark Grotjahn“ bezeichnete – ein vergiftetes Lob, wartet der Maler aus „Yes, it is pretty“, sagt er und lacht. „But I think it is pretty great.“ Großartig ist nicht zuletzt, wie er seinem Medium treu geblieben ist, wie er von der Pausenhof-Pornografie in Teeniejahren über strengste Abstraktion zu Studienzeiten hinein in eine kosmisch-psychedelische Figuration gefunden hat, ohne je einen Pinsel in die Hand genommen zu haben. was er zeigt, erzählt davon, welchen Weg er zurückgelegt hat. Für seinen in Houston zu sehenden Werkkomplex, der auf diesen Seiten seine Vorpremiere feiert, ist Ancart quer durch die USA gereist, von New York nach Los Angeles, über Texas nach Miami, wieder zurück nach New York. Ein Roadtrip, um sich die ihm weitgehend unbekannte Wahlheimat USA zeichnend Erst Jahre später bin ich auf dieses Zitat von Godard gestoßen. Alles, was du für einen Film brauchst, sagt er, ist ein heißes Mädchen und eine Knarre.“ Und die Kunden, womit haben sie bezahlt?„Mit Pausensnacks. Snickers oder Mars. Und mit Protektion. Niemand hat sich mehr getraut, mich zu verprügeln. Seitdem hatte ich das Gefühl, dass mich das Zeichnen noch weit bringen würde.“ 25 Jahre nach Harold Ancarts ersten kommerziellen Erfolgen hat sich sein Gefühl bestätigt. Die Nachfrage nach seinen Arbeiten ist ungebrochen, nur dass jetzt Los Angeles doch trotz astronomischer Preise schon lange auf eine Einzelausstellung in einem großen Museum; viel Snickers, wenig Protektion. Harold Ancart kennt die Vorbehalte gegen sein Werk. Zu beliebt bei Sammlern sei es, vor allem aber: zu schön. „Manchmal höre ich, wie schlecht die Leute über mich reden, und ich könnte fast heulen.“ Er verstehe nicht, wie man seine Arbeiten nicht mögen könne. „Sie sind einfach, sie sind voller Freude, sie sind nicht das kleinste bisschen zynisch. Sogar Kinder mögen sie.“ Auch wenn zuletzt Großformate auf Leinwand entstanden sind: Ancart ist und bleibt Zeichner, Bleistift und Ölkreide sein Arbeitsmaterial. Und so macht es nur Sinn, dass es David Breslin ist, Chief Curator des Menil Drawing Institute in Houston, der Ancart nun in diesem Herbst seine erste amerikanische Museumsausstellung ausrichtet. Weit gebracht hat das Zeichnen Ancart im doppelten Sinne. Nicht allein dass seine Solo-Schau in Renzo Pianos vielleicht schönstem Museumsbau parallel zur großen Picasso-Ausstellung The Line eröffnet. Auch zu erschließen – in einem Jeep, in dessen Kofferraum sich Ancart ein mobiles, voll funktionstüchtiges Studio eingerichtet hatte. „Ein wenig war Weegee mein Vorbild, der New Yorker Fotograf in den Vierzigern, der von Unfällen oder Tatorten der Presse immer die ersten Bilder lieferte, weil er direkt in seinem Auto die Abzüge entwickeln konnte. Ich wollte einfach losfahren und immer anhalten, wenn ich etwas sehe, was ich zeichnen will.“ 28 Arbeiten sind auf der Reise entstanden. Wir sehen Sonnenuntergänge, Regenbögen, Felsformationen und immer wieder AUFTAKT, DIESE UND FOLGENDE SEITEN: NEW YORK-NEW YORK, 2014, ÖLKREIDE UND BLEISTIFT AUF PAPIER, 28 ELEMENTE, JEWEILS 43 × 53 CM gehört habe? Harald Ancart muss ausnahmsweise passen, bei vielem kann er mitreden, schnell, präzise und begeistert, nur deutsche Schulddiskurse sind nicht sein Ding. Und doch leuchtet ihm die gerade aufgestellte, noch recht wacklige These sofort ein, nach der für ihn das Gegenteil gelte: die Gnade der frühen Geburt. Harold Ancart, Jahrgang 1980, gehört der letzten Künstlergeneration an, die ihre Jugend weder mit noch im Internet verbracht hat. Das meiste, was danach kommt, so die aktuelle Kunstweltbinse, ist Post-Internet Art, sprich: so anders und könnte. „Als ich aufs Gymnasium kam, war es noch sehr schwer, an Pornografie zu kommen“, sagt er an diesem eisigen Frühjahrstag in Queens, wo er sich das Erdgeschoss eines kleinen Mietshauses mit dem Künstler Korakrit Arunanondchai teilt. „Es war die Zeit vor YouPorn und wenn man sehr viel Glück hatte, bekam man irgendwann ein Penthouse-Magazin in die Hände. Also begann ich, für die älteren Jungen auf dem Schulhof nackte Mädchen zu zeichnen.“ Die Nachfrage, sagt er, sei riesig gewesen, und immer öfter sei er auf REVUE 68 REVUE 69 den Horizont, wir sehen Robert Smithsons Land-Art-Meisterwerk Spiral Jetty, McDonald’s-Zeichen und Tankstellen. Und wir sehen einem Künstler über die Schulter, für den sein Medium ein ähnlich großes Versprechen ist wie das Land, in das er nach seinem Studium in Brüssel ausgewandert ist. „Mir ist es wichtig, dass meine Arbeiten Zeichnungen sind und eben keine Gemälde. Malerei hat mehr mit der Suche nach dem abgeschlossenen, fertigen Meisterwerk zu tun, während eine Zeichnung immer ein Versprechen auf etwas ist, das noch kommen wird. Zeichnungen sind nie fertig oder unfertig. Und es spielt auch keine Rolle, eben weil sie Versprechen auf die Zukunft sind.“ Die Zeichnung als Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat sich ihm, so erzählt er, erst in New York vollends erschlossen. Als Student in Brüssel zeichnet er schwarze, strenge Abstraktionen, sehr formalistisch, Sol LeWitt oder Richard Serra sind seine Vorbilder, und nachdem er nach New York zieht, ist es Serras Studio, bei dem er als Erstes klingelt, um nach einem Job zu fragen. Da gerade einer von Serras Assistenten erkrankt ist, sogar mit Erfolg. „Ich REVUE 70 war keine fünf Tage in New York und arbeitete schon im Studio von Richard Serra“, erinnert er sich. „Ich interessierte mich damals eigentlich nur für formalistische Kunst, deren Prozess ich verstehen konnte. Picasso oder sogar Gauguin ließen mich völlig kalt. Heute liebe ich beide, während mir die Radikalität, diese machohafte Härte im Werk von Serra immer fremder geworden ist.“ Ob es die bittere Kälte in seinem ersten kleinen Studio in Brooklyn ist oder die postindustrielle Umgebung, weiß er heute nicht mehr zu benennen. Auf jeden Fall beginnt Ancart, Palmen zu malen, die sich wie Tagträume in die dunkle Nacht seiner Abstraktionen schleichen. Auf die Palmen folgen Papageien, auf Papageien Planeten. „Nicht dass ich das damals konzeptualisiert hätte,“ sagt er. „Aber letztlich willst du als Künstler, dass ein Publikum deine Sachen anschaut. Das vergessen die Leute oft, dass Bilder in erster Linie zum Anschauen da sind. Was also gibt es Besseres zu malen als Blumen, Sonnenuntergänge oder Lagerfeuer, things you can contemplate?“ Ganz zart habe er begonnen, diese figurativen Element in seine abstrakten Hintergründe einzuarbeiten, bis sie immer stärker in den Vordergrund getreten seien, nur um sie dann wieder mit abstrakten Spuren zu überziehen. „Es ging mir nicht mehr um Abstraktion versus Figuration, sondern darum, beides zu haben. Dinge zu zeichnen, die wie Dinge aussehen, und Dinge zu zeichnen, die wie nichts aussehen, ist inzwischen dasselbe für mich.“ David Breslin, sein Kurator an der Menil Collection, formuliert es so: „Harold Ancart folgt in seinem Werk REVUE 71 nicht Traditionen, sondern bringt sie zusammen, um etwas Neues entstehen zu lassen.“ Für Breslin sind es die Traditionen von Abstraktem Expressionismus und Surrealismus, von Clyfford Still und Max Ernst, beides Künstler, von denen die Menil Collection mit die wichtigsten Sammlungen weltweit besitzt. In diesem Kontext werde dem Publikum klar werden, dass Ancart simultan das Erbe von beiden antrete. „Wir machen kein Hehl daraus, wie wichtig das Medium Zeichnung für uns ist“, sagt Breslin, der gerade am Werkverzeichnis der Zeichnungen von Jasper Johns arbeitet und im nächsten Jahr einen neuen Museumsbau nur für die Zeichnungssammlung der Menil Collection eröffnet. „Um zu zeigen, dass das Medium nichts Verstaubtes ist, sondern das Lebendigste und Unmittelbarste überhaupt, ist es nur konsequent, Harold Ancart schon jetzt die große Bühne zu geben.“ Welt kreieren, von der du selbst fast ausgeschlossen bist, ein sich selbst versorgendes System, dem du nur noch zu folgen brauchst.“ Es helfe dabei, ein bisschen zurückgeblieben zu sein, sagt Ancart zum Abschied. „Die Maler, die ich am meisten verehre, sind oft sehr beschränkt. Nur so können sie zulassen, dass ihre Arbeit Essen in Los Angeles angekommen sei, habe er erst mal die David Kordansky Gallery angesteuert, wo eine Ausstellungseröffnung des Malers Jonas Wood im Gange gewesen sei. Er sei mit Wood ins Gespräch gekommen und habe ihn zu einem Studiobesuch eingeladen. „Genau jetzt, draußen, auf dem Parkplatz.“ Wood sei mitgekommen und so begeistert gewesen, dass er Kordansky Scheitern, sagt der Künstler selbst, sei dabei keine Option. Nicht allein weil die Ausstellung stehe und nichts mehr schiefgehen könne. „Scheitern ist für mich nicht einmal Teil der Gleichung. Wann immer mir nichts Neues einfällt, zeichne ich das letzte Motiv noch mal. Und noch mal. Und noch mal. Es wird sowieso immer anders werden. Ich glaube fest an die Aktion. Daran, immer weiterzumachen. Am besten gleich morgens in der Unterhose, schon vor dem Zähneputzen. Wenn du täglich arbeitest und nicht zu viel nachdenkst, wird deine Arbeit eine eigene sich aus sich selbst heraus entwickelt.“ Zu verstehen gäbe es ohnehin nicht viel. Für den Künstler: zu machen. Und für den Rest: zu schauen. Ob er sich nach seiner Reise durch die USA nun endgültig als amerikanischer Künstler fühle? „Ich fühle mich wie ein New Yorker Emigrant“, sagt er. „Ein Emigrant im Glück.“ Als er nach zwei Wochen Fahrt durch die langweiligsten Landschaften (Nevada) und aufregendsten (Utah), einer Rast am größten truck stop der Welt (Iowa), vielen erstaunlich guten Strip-Clubs und erschütternd schlechtem getextet habe, er müsse sofort rauskommen. Und? „Er ist rausgekommen.“ Im September, vier Tage vor seiner Schau in Texas, eröffnet seine erste Einzelausstellung in Los Angeles. Diesmal, sagt er, wird er die Strecke wieder fliegen. TEXT: CORNELIUS TITTEL DIE MENIL COLLECTION, HOUSTON, ZEIGT AB DEM 14. SEPTEMBER EINE EINZELAUSSTELLUNG HAROLD ANCARTS. VIER TAGE ZUVOR ERÖFFNET DIE DAVID KORDANSKY GALLERY IN LOS ANGELES MIT NEUEN ARBEITEN HAROLD ANCART, FOTOGRAFIERT VON GEORDIE WOOD „Die Maler, die ich am meisten verehre, sind oft sehr beschränkt“ — HAROLD ANCART REVUE 72 REVUE 73 ANZEIGE S Kunsttour durch Österreich „W a h r e Ku n s t w i r d i n W i e n n i c h t g e s c h a f f e n , sondern gelebt.“ Was der Schrif t steller und Kritiker H a n s We i g e l au f d i e Ka f fe e h au s l i t e r a t e n d e r 1920er-Jahre seiner Heimatstadt bezog, entdecken unsere Gastautoren in ganz Österreich Ob junger Künstler, weltbekannter Stargalerist oder gefeierte Museumsdirektorin – fünf Insider der Kunstszene Österreichs nehmen uns mit auf ihren persönlichen Sommerspaziergang durch Wien, Graz, Salzburg, Linz und Bregenz abseits der Touristenpfade. Sie stellen uns die schönsten Orte und charmantesten Charaktere vor, verraten uns ihre Geheimtipps in kleinen Gassen und auf Schlossbergen, führen uns in Künstlerlokale und Edelboutiquen, zur atelierfrischen Avantgarde und zu den Alten Meistern. Auf dass auch Sie wahre Kunst leben! www.austria.info/immermittendrin Der österreichische Choreograf Willi Dorner verleiht Plätzen und Räumen mit seinen Darstellern ein neues Antlitz. Getourt ist er durchs ganze Land – hier im Museumsquartier Wien. Scannen Sie den Code, um seine ganze Strecke auf Video zu sehen. eit ich denken kann, gehe ich in Graz samstags auf den kleinen Bauernmarkt gegenüber der Oper. Das ist für mich der ideale Treffpunkt, um gut gelaunt in den Tag zu starten. Man kann dort wunderbare regionale Produkte kaufen. Ich trinke meist einen Kaffee am Stand von Eva Rossian, esse eine Kleinigkeit, manchmal trinke ich auch ein Bier. Jeder hat seine speziellen Bauern, sie kommen um fünf in der Früh aus der Steiermark. In Graz treffe ich andauernd Bekannte, die Stadt ist überschaubar, und der Markt ist ihr Herz. Ein anderer wichtiger Anziehungspunkt und im Grunde auch ein Muss ist das Kunsthaus Graz. Dort wird ein sehr gutes internationales Programm gemacht. Für mich war es immer ein Ziel, dort auszustellen – und nun hat es geklappt! Das bedeutet mir sehr viel. Es wurde 2003 eröffnet und hat eine sehr spezielle, futuristische Architektur von Peter Cook und Colin Fournier, die schon in der visionären Zeit der 70er-Jahre mit transluziden Hüllen gearbeitet haben. Das Kunsthaus wirkt von außen ein bisschen wie ein Alien. Seine Hülle ergibt auch innen einen interessanten Raum, in dem man vor allem gut bildhauerisch arbeiten kann. Von vielen Künstlern wird er als schwierig empfunden, aber ich finde, er hat ein großes bildhauerisches Potenzial. Ich habe dort eine neue Arbeit entwickelt: einen begehbaren Klangkörper, in den drei Waldhorn- Food. Sie arbeiten mit guten, oft regionalen Produkten. Ich esse dort am liebsten Burger. Es ist ein schöner Treffpunkt, auch abends, denn es hat lange offen und ist liebevoll geführt – früher war es ein altes Wirtshaus, das die beiden komplett neu gestaltet und vintagemäßig eingerichtet haben, sodass die Erinnerung an die Geschichte noch da ist. Einen herrlichen Blick auf die Dachlandschaft der Stadt – die übrigens von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt wurde, ebenso wie die gesamte Altstadt – hat man vom Schlossberg. Ein Lift und eine alte Stiege führen hinauf, oben kann man dann in einem Kaffeehaus Rast machen oder über die Terrassen und durch den Rosengarten spazieren. Ganz Graz ist von sanften Hügeln 2 G R A Z m i t C o n s t a n t i n L u s e r, Kü n s t l e r trichter hineinragten, die von außen bespielbar waren. Die Skulptur war also wie ein Instrument. Das Haus ist international ausgerichtet und weltweit anerkannt; ich habe schon fantastische Ausstellungen von Sol LeWitt und Katharina Grosse hier gesehen. Ganz in der Nähe vom Kunsthaus gibt es ein Restaurant, das Freunde von mir betreiben, es heißt Blendend. Nina und Josef sind junge Wirtsleute und bieten dort eine Mischung aus Slow Food und Street 1 4 1 Leben auf dem Wochenmarkt 2 Graz’ Dachlandschaft steht unter Denkmalschutz 3 Die Wirtsleute Nina und Josef vor ihrem Lokal Blendend 4 Vater und Bruder des Künstlers ver liehen einem Altbau ein Spiegelgesicht 3 und Bergen umgeben – der Schlossberg steht in der Mitte dieses Kessels. Es ist oft sonnig hier oben, man kann sich gut orientieren und dieses erhebende Gefühl genießen. Das gehört für mich zu einem Graz-Besuch einfach dazu. Wenn man auf der anderen Seite hinuntergeht, kommt man am Freiheitsplatz heraus. Er führt in die kleine Ballhausgasse, dort steht ein uraltes Wohnhaus mit einer verspiegelten Fassade. Die gegenüberlie- gende Fassade spiegelt sich darin leicht verzerrt. Mein Vater und mein Bruder haben sie gebaut – sie sind beide Architekten. Ich finde, das ist eine gute Lösung, um Altes mit Neuem zu verknüpfen: zeitgemäß und trotzdem mit Respekt für die Geschichte. ANZEIGE Vergangenheit. Ich nehme dort gern einen Kaffee und blättere in den Zeitungen. Einmal traf ich dort den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk, der gerade für eine Residency in der Stadt war. Er meinte, das Café sei einer seiner Lieblingsplätze geworden und er habe von dort inspiriert an seinem nächsten Buch geschrieben. Ja, es ist ein guter Ort, auch wenn man kein Deutsch spricht oder nichts mit der Theaterwelt zu tun hat. Von der Terrasse aus kann man das Museum der Moderne am Mönchsberg sehen. Es wurde lange diskutiert, warum man ein neues Museum braucht. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, auch für diesen exponierten Ort. Das Haus ist eine wunderbare Ergänzung zur Residenzgalerie SALZBURG mit Thaddaeus Ropac, G a l e r i s t S alzburg ist für mich wie eine Bühne. Seit hundert Jahren lockt die Stadt allsommerlich zu den Festspielen Sänger, Regisseure, Schauspieler und Künstler an. Sie ist ein großartiger Gastgeber. Der Mix aus barocker Architektur sowie Opern- und Theatererlebnis hat etwas Unwirkliches, ist aber auch sehr lebensbejahend. Das Café Bazar, das ganz in der Nähe meiner Galerie liegt, ist ein besonders schöner Treffpunkt. Es hat diese Tradition, man spürt das Gedächtnis der mit den Sammlungen des 17. bis 19. Jahrhunderts und zum Rupertinum, wo der Fokus mit Kokoschka, Klimt und Schiele auf der österreichischen Moderne liegt. Aber es ist wichtig, auch ein Haus mit einer internationalen zeitgenössischen Sammlung zu haben, mit Ausstellungen, wie man sie auch in Paris oder Berlin erwarten würde. Die Direktorin Sabine Breitwieser schafft das sehr gut. Ihr Programm ist bewusst nicht auf Salzburg abgestimmt. Die Stadt braucht so einen Ort, um über sich hinauszuwachsen. Es gibt natürlich auch den Kunstverein mit Ausstellungen für ganz aktuelle Kunst, den der aus Irland stammende Direktor Séamus Kealy hervorragend führt. Auch der Designshop CollectorsRoom ist eine Insel für sich. Gegründet hat ihn Alejandro Madero, ein Mexikaner mit schwedischen Wurzeln, den es nach Salzburg verschlagen hat. Er interessiert sich für skandinavisches Design der 50er- und 60erJahre, schwedisches Glas und dänische Möbel. Ich habe dort schon Stühle von Hans J. Wegner gefunden und aus Helsinki stammende Teppiche. Das Antiquariat Weinek entdeckt nur, wer sich ganz bewusst dorthinbegibt. Es liegt in der verwunschenen Steingasse. Christian Weinek ist jemand, der die unglaublichsten Autografen und Originalschriften findet – etwa von Ingeborg Bachmann, Max Reinhardt, Thomas Bernhard und Max Frisch. Sie haben alle den Sommer hier verbracht. Weinek kennt wirklich jedes Buch, und wenn er es 2 4 6 1 1 Das Café Bazar im alten Glamour 2 Im CollectorsRoom schlägt ein Herz aus Glas 3 Die Musik spielt bei Katholnigg 4 Frische Luft: Die Hellbrunner Allee 5 Im Antiquariat Weinek kann man stundenlang stöbern 6 Direktorin Sabine Breitwieser holt die ganze Kunstwelt ins Museum der Moderne 3 5 nicht hat, dann weiß er, wo man es bekommt. Für mich verkörpert er selbst die Literatur des 20. Jahrhunderts, eine Unterhaltung mit ihm ist etwas ganz Wunderbares. Auch das Musikhaus Katholnigg ist ein Ort für Originale. Hier entdeckt man alte LPs von Herbert von Karajan, Karl Böhm oder Carlos Kleiber – also von denen, die Salzburg geprägt haben. Ich erinnere mich an die 80er-Jahre: Die großen Opernpremieren waren auf die unmittelbare Herausgabe der Schallplatten abgestimmt. Nach der Premiere – auch noch bis Mitternacht – konnte man zu Katholnigg gehen und die Aufnahme der soeben gehörten Aufführung kaufen. Die Leute standen Schlange. Noch heute ist es hier das bestsortierte Musikgeschäft. Ein paar Schritte weiter steht die Franziskanerkirche – ein skurriler Bau mit Barockfassade und hochgotischem Chor. Dort haben sich die Erzbischöfe ausgetobt! Sie haben die einzelnen Seitenaltäre ihrer Vorgänger herausgerissen und neu gebaut – so ist eine ganz eigenartige Mischung mit verschiedenen Stilrich- D B R E G E N Z m i t T h o m a s Tr u m m e r, Direktor des Kunsthauses Bregenz ie Altstadt von Bregenz erhebt sich auf einem imposanten Hügel, der nach drei Seiten jäh abfällt. Im 13. Jahrhundert lag hier eine Burgansiedlung. Vom Martinsturm aus, dem Wahrzeichen von Bregenz, ist der Ausblick überwältigend: Der Bodensee glänzt silbrig, die Bergspitzen funkeln, in der Ferne erheben sich die Insel Lindau und die Matten des Appenzeller Lands. In die Oberstadt gelangt man über den Stadtsteig und durchquert ein Tor mit schwerem Eisengitter. Kuriose Dinge sind im Durchgang drapiert – ein Hubertushirsch, Kruzifixe, eine Sonnenuhr mit mahnenden Lebensformeln, Georgsdarstellungen. Und ein mumifizierter Haifisch! Er schwebt über den Köpfen, fletscht seine Zähne. Sein verdorrter, grauer Körper ist verrenkt. Er hält dem Bösen eine Maske hin. Tatsächlich bleibt Unheil hier oben fern: tungen entstanden. Von den 23 Kirchen ist es die mit der eigenartigsten Architektur. Überhaupt hat Salzburg, eingebettet zwischen den Bergen, etwas Beständiges, in Stein Gemeißeltes. Deshalb liebe ich die Hellbrunner Allee, die historische Verbindungsachse der Stadt mit den Orten im Umland. Gesäumt von kleinen Schlösschen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, ist sie für mich eine der schönsten Alleen überhaupt. Ich reise sehr viel, aber es ist für mich immer etwas Besonderes, nach Salzburg zurückzukehren. ANZEIGE 1 I 2 3 5 Es gibt keinen Kommerz, nur Fachwerk und Bollwerk. Ich gehe jeden Tag unter dem Hai hindurch. Auch das Kunsthaus hält eine Besonderheit versteckt. Über Peter Zumthors Bauwerk aus Beton ist eine Schale aus Glasschindeln gesetzt. Das Licht schimmert mattgrün hindurch. Ganz oben führt zwischen Kern und Schale ein vergitterter Fassadengang herum, von wo aus es 20 Meter in die Tiefe geht. Immer wenn ich dort bin, greife ich mir sofort an die Hosentaschen, damit nichts verloren geht – das ist nichts für Menschen mit Höhenangst! Der Blick geht in das Gebäude hinein, zugleich hört man die Geräusche von draußen und sieht die Landschaft, denn die Schindeln sind nicht verfugt, 1 Im Altstadttor haust ein Hai 2 Bregenz zwischen Alpenrand und Bodensee 3 Das Vorarlberg Museum mit Florian Pumhösls schwarzem Raum 4 Von dort wirkt der Bodensee wie ein Filmset 5 Eine Busfahrt führt in den Bregenzerwald – Stararchitekten wie Sou Fujimoto haben dort die Haltestellen in Kleinode verwandelt sondern offen. Das ist ein unglaubliches Erlebnis. Jeden Sonntag gibt es Führungen hindurch. Das Vorarlberg Museum ist unser Nachbar. Es wurde vor zwei Jahren eröffnet, mit einer fantastischen, monolithischen Architektur. Der österreichische Künstler Florian Pumhösl hat im obersten Stock einen Raum gestaltet. Er ist zum See hin gerichtet und vollkommen schwarz: schwarzer Teppichboden, schwarze Filzwände, die Wand zum See hin ist aus dunkel getöntem Glas, wie in einer Limousine. Von dort blickt man auf See und Hafen – alles in dieser dunklen Tönung, was unglaublich faszinierend ist. Schiffe legen an, Züge passieren, Touristen flanieren. 4 So entsteht eine bewegte Postkarte: Sie zeigt eine Wirklichkeit, die von den Schlieren der Erinnerung verdunkelt ist. Für den Künstler ist der Raum eine Referenz an die Camera Obscura, das Kino und die Wahrnehmung. Die kann man auch an der schmalen Landzeile zwischen See und Bahn schärfen – der sogenannten Pipeline. Die Sonnenuntergänge hier sind spektakulär. Im Sommer wird gegrillt und gebadet in der Ach, einem reißenden Gebirgsbach, der stellenweise stark anschwillt. Sein Wasser ist unglaublich klar. Ein guter Ort zum Eintauchen befindet sich neben der Eisenbahnbrücke. Das Wasser staut sich dort, und große, glattgeschliffene Klippen ragen aus dem Wasser: Das Ganze ist eine freigelegte Sandwelle, die vor 20 Millionen Jahren versteinert ist. Ein schöner kleiner Ausflug ist eine Busfahrt in den Bregenzerwald mit der Linie 25, sie dauert etwa eine halbe Stunde. Die Architektur dieser Gegend ist kitschfrei: keine Tiroler Häuser mit gedrechselten Balkonen. Der kleine Ort Krumbach kam auf die Idee, sieben Haltestellen von Stararchitekten entwerfen zu lassen: Sou Fujimoto stellte einen Wald aus weißen Stahlstangen auf, Rintala Eggertsson baute einen Tenniscourt, Wang Shu spielt mit der Perspektive. Man kann sie auch zu Fuß abwandern. Damit hat es der Bregenzerwald in die New York Times geschafft! n Wien kann man herrlich flanieren. Zum Beispiel bei den Galerierundgängen, die ich einmal im Monat mache. Zur Eschenbachgasse mit den Galerien Krobath, Meyer Kainer, Martin Janda, Steinek und Crone gehe ich von meinem Büro im mumok nur fünf Minuten. Bei Krobath ist gerade Jenni Tischer zu sehen, die 2014 im mumok eine wunderbare Ausstellung hatte. Bei ihren Wandobjekten und Skulpturen aus alten Stricknadeln trifft die Formensprache minimalistischer Skulptur auf textiles Arbeiten. Wenn die Galerien einmal im Monat ihre Eröffnungen bündeln, ist die gesamte Wiener Kunstszene unterwegs. ragendes Fleisch von biologischen Bauernhöfen anbietet. Und wenn ich in dem winzig kleinen, liebevoll eingerichteten Feinkostladen bei Herrn Urbanek einkaufe, hat er gleich ein Glas Champagner für mich parat. Er ist berühmt dafür, ganze Passagen aus Schiller oder Thomas 1 WIEN mit Karola Kraus, Direktorin des mumok Immer wieder besuche ich die Secession mit dem berühmten Beethoven-Fries, den Gustav Klimt für die XIV. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs im Jahr 1902 in der Secession gestaltete. In dieser Ausstellung – als Hommage an den Komponisten Ludwig van Beethoven konzipiert – erfuhr die Idee des secessionistischen Gesamtkunstwerks ihre beste Ausprägung. Der Naschmarkt ist für mich jedes Wochenende ein Erlebnis. Mein Lieblingsobststand ist der von Martina Himmelsbach, der frischestes Obst und Gemüse und seit Neuestem auch hervor- 3 1 Die Secession ist Leuchtturm des Jugendstils und ein wichtiger Ort von Künstlern für Künstler 2 Jenni Tischers filigraner Minimalismus in der Galerie Krobath 3 Der Naschmarkt ist ein Muss, besonders der Stand von Martina Himmelsbach mit seiner Opulenz an Obst und Gemüse Bernhard zu zitieren – und jedes Mal sind es andere! Dagegen ist das Café Anzengruber um die Ecke eher eine dunkle, deftige Künstlerkneipe. Man bekommt Würstl im Saft und ähnliche traditionelle Leckereien. Bis tief in die Nacht trifft man hier interessante Gesprächspartner. Weil ich aber auch gern selber koche, ist der Kochbuchladen Babette’s mit der kleinen Bar nebenan ebenfalls ein toller Anziehungspunkt für mich. Ich habe dort schon oft Bücher erstanden, und ich liebe den Geruch nach Gewürzen aus dem großen 2 Alle Fotos: Katarina Šoškić außer S. 74: © Österreich Werbung / Thomas Smetana. S. 76 l. o.: Philippe Servent, S. 78 M.: Agentur Anzenberger; S. 80 o.: Richard Artschwager © VG Bild-Kunst Bonn, 2016 ANZEIGE 4 3 5 2 1 Regal an der Stirnwand. Weiter die Schleifmühlgasse hinauf reiht sich eine Galerie an die nächste: Georg Kargl, Kerstin Engholm, Andreas Huber, Gabriele Senn und Christine König sind hervorragende Adressen, bei denen ich mir möglichst alle Ausstellungen anschaue. Auf der anderen Straßenseite wirkt der Laden Blumenkraft mit seinen unglaublichen Arrangements von Rittersporn, Anthurien oder Orchideen fast wie ein Gesamtkunstwerk. In dem alten Werkstattraum mit hohen Säulen strahlt alles so schön, dass ich mich gar nicht sattsehen kann! Ähnlich ergeht es mir in dem berühmten Glasgeschäft Lobmeyr in der Kärntner Straße, eine echte Wiener Institution! Gegründet 1823, wird es heute in der sechsten Generation weiter- 1 Lobmeyr ist seit 1823 eine Institution 2 Die Galerie Georg Kargl, gestaltet von Richard Artschwager 3 Der Laden Blumenkraft ist ein Paradies 4 Der Kochbuchladen Babette’s ist die beste Anleitung zum Selbermachen 5 Gerhard Urbanek macht Feinkost zum Erlebnis geführt. Der ganze Laden leuchtet und glitzert von Gläsern und Kristalllüstern. Ich mag besonders die nüchternen Formen der Wiener Werkstätte vom Anfang des 20. Jahrhunderts, vor allem von Adolf Loos und Josef Hoffmann, von dem ich einige Gläser gekauft habe: Sie sind formvollendet und passen absolut in unsere Zeit. Über die Wendeltreppe gelangt man zum oberen Stock in ein kleines Glasmuseum. Natürlich darf man auch die süßen Köstlichkeiten nicht außer Acht lassen, die es bei Altmann & Kühne am Graben gibt. Nach einer kurzen Pause bei den feinen Brötchen im Schwarzen Kameel mache ich einen Rundgang durch die Galerien im 1. Bezirk. Das liebe ich an Wien: Die Stadt ist voll von Entdeckungen aus alten Zeiten und der Gegenwart. L I N Z m i t G e r f r i e d S t o c k e r, Leiter der Ars Electronica 1 2 4 1 Das Ars Electronica Center mit seiner interaktiven Fassade 2 Der Knödelautomat gleich neben dem Hochofen 3 Die linke Szene trifft sich im Salonschiff 4 Peter Behrens’ alte Tabakfabrik 3 L inz ist eine Stadt der Technik und Industrie. Auch wenn ich nun schon seit 20 Jahren hier lebe, spüre ich die Industrieromantik jedes Mal wieder, wenn ich von einer Reise zurückkomme. Mein täglicher Weg zur Arbeit führt mich durch die Stadt und über die Nibelungenbrücke nach Urfahr, in den nördlichen Teil von Linz. Direkt am Donauufer befindet sich hier das Ars Electronica Center, ein sehr moderner, in allen möglichen Farben schimmernder Bau, der fixer Bestandteil des Linzer Stadtbilds ist. Wenn ich das Gebäude abends wieder verlasse, sehe ich meist Jugendliche rund um unser Fassadenterminal versammelt, an dem sie ihre Smartphones mit der LEDund lautsprecherbestückten Fassade des Ars Electronica Center verbinden und ihre Lieblingsmusik abspielen und visualisieren können. Schräg gegenüber öffnet sich ein kleiner Platz mit alten Häuschen und der Stadtpfarrkirche. Abends ist er voller Leute, die vor dem Café Strom sitzen. In den Achtzigern war das ein besetztes Haus. Die Provokation von damals ist einem Partizipationsprojekt gewichen: Heute gibt es hier Studiowerkstätten für Kreative, das Radio FRO (der erste private Radiosender Österreichs) und eben das Café, wo bis in die Nacht hinein fröhliche Stimmung herrscht. Ein paar Schritte die Donau hinunter liegt das Salonschiff Fräulein Florentine vor Anker, ebenfalls ein charmanter Ort zum Essen, Trinken und Feiern. Auch hier trifft sich die Alternativszene. Wenn ich mal frische Luft brauche, fahre ich gern zur neuen Anton-BrucknerUniversität für Musik, Tanz und Schauspiel auf den Pöstlingberg hinauf. Sie wurde erst vor wenigen Monaten eröffnet. Mit der dynamisch verschränkten Lamellenfassade wirkt das Gebäude ein bisschen wie eine Ziehharmonika, spiegelt aber auch die Berge der Umgebung. Ich trinke hier gern einen Kaffee und genieße den Blick von der Terrasse ins Grüne. Im Park daneben steht auch ein futuristischer Brunnen aus den 60er-Jahren – man hat ihn von dem alten Gebäude hierher verpflanzt, wo er erstaunlich futuristisch aussieht. Die Musik der Studierenden tönt nach draußen und mischt sich im Sommer mit dem Vogelkonzert; für mich ist der Bau eine wunderbare Schnittstelle zwischen Industrielandschaft und Natur. Zum Leben erweckt ist inzwischen auch wieder die alte Tabakfabrik an der südlichen Seite der Donau. Der Industriebau, der zwischen 1929 und 1935 von Peter Behrens und Alexander Popp errichtet wurde, steht unter Denkmalschutz und beeindruckt durch seine schlichte Backsteinarchitektur. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir Anfang 2010 zum ersten Mal durch die ewig langen Gänge und riesigen Speicher gegangen sind, um sie für das Ars Electronica Festival im September zu besichtigen – der Tabakgeruch lag noch in der Luft, und man konnte die Arbeiterinnen und Arbeiter inmitten ihrer tosenden Maschinen und Gerätschaften fast noch vor sich sehen. Heute werden in diesen Räumen Ausstellungen oder Messen veranstaltet, es gibt ein Café, einen Concept-Store, ein Coworking Loft und einen Markt. Ebenfalls zu Hause in der Tabakfabrik ist die Ars Electronica Solutions, ein erwerbswirtschaftlich ausgerichteter Bereich unseres Unternehmens. Für mich ist die ehemalige Tabakfabrik einer jener Orte, an denen der Charakter von Linz besonders spürbar wird. Noch viel mehr gilt das natürlich für die Stahlwelt der Voestalpine. Wenn ich Besuch aus dem Ausland habe, führt mich eine LinzRunde meistens auch zur Aussichtsplattform. Dieses Informations- und Veranstaltungszentrum, wo man am Knödelautomaten auch gleich sein Abendessen einkaufen kann, hat eine markante Architektur und eröffnet seinen Besuchern einen fantastischen Ausblick auf das Stahlwerk. Vor allem abends lohnt sich der Besuch, weil dann die Abstiche gemacht werden und Feuerwolken in den Himmel schießen und alles gelborange färben. Für mich ist das schöner als Alpenglühen. ENCORE HERZOG WÜRTTEMBERG — — GR AND PRIX — WERTSACHEN R AU KT IO NE N — BL AU K ALENDE — DER AUGENBLICK Galleriesb_bb*DOOHU\b_Ab_b$b*HQWLOb&DULRFDb_0LJXHOb$EUHXb_$FTXDYHOODb_$LUbGHb3DULVb_-XDQDbGHb$L]SXUXb_$OH[DQGHUbDQGb%RQLQb_ +HOJDbGHb$OYHDUb_$QGUÒKQb6 b FKLSWMHQNRb_$SSOLFDWb3 b UD]DQb_7KHb$SSURDFKb_$UWbb&RQFHSWb_$OIRQVRb$UWLDFRb_%b_bYRQb%DUWKDb_ *XLGRb:b%DXGDFKb_%HULQVRQb_%HUQLHUb ( b OLDGHVb_)RQGDWLRQb%H\HOHUb_'DQLHOb%ODXb_%ORQGHDXb_%OXPbb3RHb_0DULDQQHb%RHVN\b_ 7DQ\Db%RQDNGDUb_%RUWRODPLb_,VDEHOODb%RUWROR]]Lb_%RU]Rb_%4b_*DYLQb%URZQb_%XFKKRO]b_%XFKPDQQb_&b_b&DELQHWb_*LVHODb&DSLWDLQb_ FDUOLHUbJHEDXHUb_&DU]DQLJDb_3HGURb&HUDb_&KHLPbb5HDGb_&KHPRXOGb3UHVFRWWb5RDGb_0HKGLb&KRXDNULb_6DGLHb&ROHVb+4b_ &RQWHPSRUDU\b)LQHb$UWVb_&RQWLQXDb_3DXODb&RRSHUb_&KDQWDOb&URXVHOb_'b_b7KRPDVb'DQHb_0DVVLPRb'Hb&DUORb_'YLUb_(b_b(FDUWb_ (LJHQbb$UWb_)b_b5LFKDUGb/b)HLJHQb_.RQUDGb)LVFKHUb_)RNVDOb_)RUWHVb9LODÍDb_)UDHQNHOb_3HWHUb)UHHPDQb_6WHSKHQb)ULHGPDQb_)ULWKb6WUHHWb_ Gb_b*DJRVLDQb_*DOHULHbb b b_*DOOHULDbGHOORb6FXGRb_MRVÒJDUFâDb_JEbDJHQF\b_$QQHWb*HOLQNb_*HUKDUGVHQb*HUQHUb_*ODGVWRQHb_ *PXU]\QVNDb_(OYLUDb*RQ]ÀOH]b_*RRGPDQb*DOOHU\b_0DULDQb*RRGPDQb_%ÃUEHOb*UÃVVOLQb_5LFKDUGb*UD\b_+RZDUGb*UHHQEHUJb_*UHHQHb1DIWDOLb_ JUHHQJUDVVLb_.DUVWHQb*UHYHb_&ULVWLQDb*XHUUDb_Hb_b0LFKDHOb+DDVb_+DXVHUbb:LUWKb_+D]OLWWb+ROODQG+LEEHUWb_+HUDOGb6Wb_0D[b+HW]OHUb_ +RSNLQVb_(GZ\QQb+RXNb_;DYLHUb+XINHQVb_,b_bLb_,QYHUQL]]Lb_7DNDb,VKLLb_-b_b-DEORQNDb_%HUQDUGb-DFREVRQb_$OLVRQb-DFTXHVb_0DUWLQb-DQGDb_ &DWULRQDb-HIIULHVb_$QQHO\b-XGDb_.b_b&DVH\b.DSODQb_*HRUJb.DUJOb_.DUPDb,QWHUQDWLRQDOb_NDXIPDQQbUHSHWWRb_6HDQb.HOO\b_.HUOLQb_$QWRQb.HUQb_ .HZHQLJb_.LFNHQb_3HWHUb.LOFKPDQQb_.ùQLJb*DOHULHb_'DYLGb.RUGDQVN\b_$QGUHZb.UHSVb_.ULQ]LQJHUb_1LFRODVb.UXSSb_.XNMHbb7LQDb.LPb_ NXULPDQ]XWWRb_/b_b/DKXPLÑUHb_/DQGDXb_6LPRQb/HHb_/HKPDQQb0DXSLQb_7DQ\Db/HLJKWRQb_/HORQJb_'RPLQLTXHb/ÒY\b_*LVÑOHb/LQGHUb_/LVVRQb_ /RQJb0DUFKb_/XKULQJb$XJXVWLQHb_0b_b0DFFDURQHb_0DJD]]LQRb_0DLbb_*Löb0DUFRQLb_0DWWKHZb0DUNVb_0DUOERURXJKb_+DQVb0D\HUb_ 0D\RUb_)HUJXVb0F&DIIUH\b_*UHWDb0HHUWb_$QWKRQ\b0HLHUb_8UVb0HLOHb_NDPHObPHQQRXUb_0HWURb3LFWXUHVb_0H\HUb5LHJJHUb_0DVVLPRb0LQLQLb_ 9LFWRULDb0LURb_0LWFKHOOb,bQQHVbb1DVKb_0QXFKLQb_6WXDUWb6KDYHb 0 b RGHUQb$UWb_7KHb0RGHUQb,QVWLWXWHb_-DQb0RWb_9HUDb0XQURb_ 1b_bQÃFKVWb6Wb6WHSKDQb5RVHPDULHb6FKZDU]ZÃOGHUb_1DJHOb'UD[OHUb_5LFKDUGb1DJ\b_+HOO\b1DKPDGb_1HXb_QHXJHUULHPVFKQHLGHUb_ )UDQFRb1RHURb_'DYLGb1RODQb_1RUGHQKDNHb_*HRUJb1RWKHOIHUb_Ob_b1DWKDOLHb2EDGLDb_205b_3b_b3DFHb_3DFHb0 b DF*LOOb_0DXUHHQb3DOH\b_ $OLFHb3DXOLb_3HUURWLQb_3HW]HOb_)UDQFHVFDb3LDb_3.0b_*UHJRUb3RGQDUb_(YDb3UHVHQKXEHUb_3URMHFWH6'b_5b_b$OPLQHb5HFKb_5HHQDb6SDXOLQJVb_ 5HJHQb3URMHFWVb_'HQLVHb5HQÒb_5RGHRb_7KDGGDHXVb5RSDFb_$QGUHDb5RVHQb_6b_b6&$,b_(VWKHUb6FKLSSHUbb-RKQHQb_5đGLJHUb6FKùWWOHb_ 7KRPDVb6FKXOWHb_1DWDOLHb6HURXVVLb_6IHLU6HPOHUb_-DFNb6KDLQPDQb_6KDQJK$57b_6LHVbb+ùNHb_6LNNHPDb-HQNLQVb_%UXFHb6LOYHUVWHLQb_ 6NDUVWHGWb_6.(b_6NRSLDbb3b+ b b-DFFDXGb_6SHURQHb:HVWZDWHUb_6SUđWKb0DJHUVb_6Wb(WLHQQHb_1LOVb6WÈUNb_6WDPSDb_6WDQGDUGb2VORb_ 6WDUPDFKb_&KULVWLDQb6WHLQb_6WHYHQVRQb_/XLVDb6WULQDb_0LFKHOLQHb6]ZDMFHUb_7b_b7DNHb1LQDJDZDb_WHDPb_7HJDb_'DQLHOb7HPSORQb_ 7KRPDVb_7VFKXGLb_7XFFLb5XVVRb_9b_b9DQbGHb:HJKHb_$QQHPDULHb9HUQDb_9LOPDb*ROGb_9LWDPLQb_:b_b:DGGLQJWRQb&XVWRWb_1LFRODLb:DOOQHUb_ :DVKEXUQb_%DUEDUDb:HLVVb_0LFKDHOb:HUQHUb_:KLWHb&XEHb_%DUEDUDb:LHQb_-RFHO\Qb:ROIIb_Zb_b7KRPDVb=DQGHUb_=HQRb;b_=(52b_ 'DYLGb=ZLUQHUb_6WDWHPHQWVb_bb&DQDOb_$UUDWLDb%HHUb_/DXUDb%DUWOHWWb_-RKDQb%HUJJUHQb_%XUHDXb_&DUUROObb)OHWFKHUb_6HOPDb)HULDQLb_ )R[\b3URGXFWLRQb_*UH\b1RLVHb_0DLVWHUUDYDOEXHQDb_0DU\b0DU\b_0XUUD\b*X\b_5DPLNHQb&UXFLEOHb_0LFN\b6FKXEHUWb_6RFLÒWÒb_6WHUHRb_ 6LPRQHb6XEDOb_6XSSRUWLFRb/RSH]b_)HDWXUHb_b%HUJDPLQbb*RPLGHb_%Rb%MHUJJDDUGb_&DPSROLb3UHVWLb_&DVWHOOLb_&KHUU\bDQGb0DUWLQb_&KHUWb_ -DPHVb&RKDQb_&RUEHWWbYVb'HPSVH\b_IUDQNbHOED]b_'HUHNb(OOHUb_HVSDLYLVRUb_&DUOb)UHHGPDQb_-DPHVb)XHQWHVb_*ULPPb_.DGHOb:LOOERUQb_ /ùKUOb_/X[HPERXUJbb'D\DQb_-ùUJb0DDćb_0HQGHVb:RRGb'0b_0RUDQb%RQGDURIIb_3ODQb%b_5DHEHUYRQ6WHQJOLQb_/LDb5XPPDb_6DORQbb_ 6SURYLHULb_%DUEDUDb7KXPPb_7RUQDEXRQLb_9DQb'RUHQb:D[WHUb_6XVDQQHb9LHOPHWWHUb_:DOGEXUJHUb:RXWHUVb_:HQWUXSb_=ORWRZVNLb_ (GLWLRQb_b%URRNHb$OH[DQGHUb_1LHOVb%RUFKb-HQVHQb_$ODQb&ULVWHDb_PLFKÑOHbGLGLHUb_)DQDOb_*HPLQLb*(/b_+HOJDb0DULDb.ORVWHUIHOGHb_ 6DELQHb.QXVWb_&DUROLQDb1LWVFKb_3DFHb3ULQWVb_3DUDJRQb_3ROâJUDIDb_673,b_7KUHHb6WDUb_7ZRb3DOPVb_8/$( Reisende darf man nicht aufhalten“ Die Aktie fällt, der Exodus hält an: Sotheby’s steckt in der Krise. Zeit für ein offenes Gespräch mit Europa-Chef Philipp Herzog von Württemberg Seit einigen Monaten feuert es von allen Seiten Richtung Sotheby’s. Das Auktionshaus stand immer für Tradition und Vertrauen – jetzt dreht sich der Wind. Jetzt laufen Ihnen die besten Leute weg. Was ist los? — Wenn zwei der renommiertesten Mitarbeiter wie der Auktionator Henry Wyndham oder auch Cheyenne Westphal bei einem Weltunternehmen wie Sotheby’s gehen, wird immer spekuliert. Dabei sind das alles normale Prozesse, die wichtig sind. Wie jedes große Unternehmen unterliegen auch wir dem Wandel der Zeit. Dass in einer solchen Situation nicht die Jungen gehen, sondern die, die zwischen 20 und 35 Jahre dabei gewesen sind, das ist verständlich. Wir alle wissen, Reisende darf man nicht aufhalten. Ganz ehrlich, hat sich was geändert? PHILIPP HERZOG VON WÜRTTEMBERG Melanie Clore, Alex Rotter und David Norman – das sind einige Wichtige mehr, die Sotheby’s ziehen lässt. Henry Wyndham steht für den seriösen Charakter des Hauses. Die Experten pflegen die engen Kontakte zu den Sammlern, sie haben die Erfahrung. — Henry Wyndham war mein Mentor. Er hat mich zu Sotheby’s gebracht. Er ist ein Freund. Jetzt ist er weg. Fällt jetzt Sotheby’s zusammen? Ganz ehrlich, hat sich was ENCORE 83 verändert? Nein. Ist der Umsatz nach unten gegangen? Nein. Sind die Auktionen schlechter geworden? Nein. Sotheby’s macht Verluste. Die Aktie erlebte in den vergangenen Monaten einen Absturz – seit Mitte 2015 ist der Kurs um mehr als 30 Prozent gefallen. Die Impressionismus-Auktionen in New York im Mai sahen nicht gut aus. Wie ist das zu erklären? — Sotheby’s ist ein börsennotiertes Unternehmen, somit öffentlich. Und jede Veränderung – positiv oder negativ – schlägt sich auf die Aktie nieder, insbesondere wenn diese mit einem Managementwechsel einhergeht. Das ist nicht ungewöhnlich. Hinzu kommt, dass wir uns aufgrund der allgemeinen weltwirtschaftlichen Situation seit einiger Zeit in einem schwierigeren Marktumfeld bewegen. Der Boom des 19. Jahrhunderts ist also eine Mär? — Ja, auch dort ist der Rückgang zu beobachten. Wir sprechen von jungen Leuten, die in Kunst investieren; sie sind im Alter von 45 und sogar jünger. Das ist die entscheidende Schicht von Käufern für uns. Ab 55, 60 hat man meist schon viel gesammelt, man agiert gezielter, erwirbt noch das eine oder andere Werk. Aber viel passiert nicht mehr. Von außen betrachtet verkaufen wir nur Kunst. Aber eigentlich verkaufen wir Emotionen. Denn Kunst ist etwas, das Sie nicht zwingend brauchen. Ein Auto brauche ich vielleicht. Benzin dafür brauche ich. Essen brauche ich. Aber Kunst nicht. Haben Sie eigentlich irgendeine Idee, wie viele Sammler in diesen Höhen kaufen? — Unsere Top-Kunden stellen ungefähr 4.500 Sammler. Diese 4.500 Sammler machen 80 Prozent unseres Umsatzes aus. Sind die vielen Garantien vielleicht auch schuld? Monatelang wurde das große Risiko Offiziell wird immer ein Gesamtumsatz des Auktionsmarkts von 60 Milliarden diskutiert. Sie versprachen Ihren Kunden genannt. Davon fallen auf Sotheby’s hohe Gewinne. Doch die Margen wurden 6,7 Milliarden, also 10 Prozent. Und auf immer kleiner. Hat sich Sotheby’s übernommen, als es 500 Millionen Dollar für die Christie’s noch einmal derselbe Betrag. Wichtig aber ist, dass diese High-EndSammlung von Alfred Taubman versprach Kunden natürlich nicht nur bei Sotheby’s und sie nachher nicht einspielte? — Die vielen Garantien im vergangenen kaufen, sondern überall. Das erklärt Herbst wurden schon im Frühjahr 2015 den harten Konkurrenzkampf. versprochen. Und jetzt fokussieren wir uns schon auf die großen Auktionen im 4.500 Menschen machen 80 Prozent aus – kommenden November. Daran kann man Sie sind also vollständig abhängig von ablesen, dass sich der Markt schon länger dieser Klientel? — Es geht immer irgendwie weiter. Das nicht gerade in einer Super-Booming-Zeit war schon immer so. Ich bin nach der befindet. Der Kunde fordert aber, dass er nach der Versteigerung das Geld auf dem Japan-Krise zu Sotheby’s gekommen. Dann gab es die Internetblase. Dann dauerte Konto hat, egal ob verkauft wird oder es zehn Jahre bis zum nächsten Krach von nicht. Das Risiko bleibt bei uns. Wir versuLehman Brothers. Die Krisen, die Brüche, chen deswegen, Garantien zu vermeiden. die Veränderungen, die Abstände werden immer kürzer. Als ich 1999 in Deutschland Wie schätzen Sie die Lage des Markts bei Sotheby’s Geschäftsführer wurde, haben wirklich ein? — Die Ergebnisse 2015 waren mit 6,72 Mil- wir entlassen müssen, das ist nie schön, liarden Dollar Umsatz ähnlich wie aber oft zwingend, wenn sich der Markt im Vorjahr, also gleich. Eine harmlose Form verändert. Jetzt planen wir zum Beispiel von Stagnation. Gute Arbeiten zu kriegen ein Büro in Südafrika. Einige Länder in ist jedoch schwierig geworden. Und das liegt Afrika wie Ruanda wachsen momentan tatsächlich an der politischen Entwicklung. wirtschaftlich schneller als andere Länder. Wir haben Wahlen in den USA im Novem- Wo Wachstum ist, ist Geld. Wo Geld ist, ber. Krise in Europa, man sorgt sich ist auch immer Kunst im Spiel. Übermorgen wegen der Flüchtlingsströme. Die wenigen kann es schon wieder anders sein. Schauen superreichen Sammler überlegen sich, ob Sie auf die Ölkrise, den Nahen Osten. sie jetzt wirklich 30 oder 40 Millionen für Das sind Einschnitte, die Folgen haben. einen Cy Twombly ausgeben wollen. Sie Besonders der Mittelbau des Markts leidet. schauen auf ihr Portfolio, sehen die Ölkrise, ein schlechtes Investment in Asien, das Was zählen Sie zum Mittelbau? nicht um 40 Prozent gewachsen ist, sondern — Alte Kunst vor 1900 wird immer weniger nur um 14 Prozent. Wenn der Kunstmarkt akzeptiert von einer jungen Klientel, im freien Fall war, wurden trotzdem Weltre- die sich einrichtet. Silber, Porzellan, Glas, kordpreise für Spitzenwerke gemeldet, wie Möbel, alles aus der Zeit vor unseren die 20,4 Millionen Dollar für die Marmor- Großeltern, das Viktorianische, dieses skulptur L’Éternel Printemps von Rodin. überfüllte Wohnen, das ist Geschichte. ENCORE 84 Sorgte für gute Umsätze, jetzt wechselt sie zu Phillips: CHEYENNE WESTPHAL Stand für die alte Schule der Kennerschaft: Auktionator HENRY WYNDHAM Ein Großteil des Markts wird mittlerweile von Käufern bestimmt, die Kunst als Investment sehen. Was würden Sie empfehlen, wenn jemand 5.000 Euro zur Verfügung hat und auf Rendite hofft? — Wer nur auf das Investment aus ist, dem würde ich immer einen guten, bekannten Namen empfehlen und eine Edition. Also als Beispiel: Ich habe 2014 vier Freunde angerufen, die ich gut kenne, und gesagt: Kauft gegen alle Geschmacksfragen die Champagnerbox für Dom Pérignon von Jeff Koons. Bis zum Dezember 2014 wurde sie in einer 650er-Auflage für 17.000 Euro angeboten. Kaum war im November die letzte verkauft oder ausgeliefert, war sie schon im Frühjahr in den Auktionen in London bei Phillips: geschätzt auf 20.000 bis 30.000 Dollar, verkauft für 60.000 Dollar. Seitdem gibt’s in jeder Auktion eine, bei uns auch. Und sie gehen alle zwischen 40.000 bis 70.000 Dollar weg. Später habe ich einen in Maastricht auf der Tefaf gesehen, 75.000 Euro wollte der Händler dafür. Ich hoffe, der nächste Coup passt wieder. Ich habe Spaß daran. Wo viel Geld eingesetzt wird, wird auch Geld gewaschen. Welche Rolle spielen da der Auktionsmarkt und Ihr Unternehmen? — Es gibt schon immer klare Regeln: Sie dürfen nur bis 7.000 Dollar bar zahlen. Wenn Sie bei mir einliefern und auf dem Vertrag als Einlieferer stehen, darf ich das Geld auf jedes Konto dieser Welt überweisen. Aber es muss auf den Namen des Einlieferers laufen. Anders herum: Wenn Sie bei uns kaufen auf Ihren Namen, muss das Geld von einem Konto kommen, das auf Ihren Namen läuft, nicht irgendein Nummernkonto, nicht ein Konto in Timbuktu. Und ich kann Ihnen versichern, wenn das passiert, dann wird das Geld nicht angenommen. Punktum. Sie müssen sowieso beim Ersteinkauf oder Verkauf immer eine Passkopie vorlegen, als würden Sie ein Konto eröffnen. Die Risikoprüfung und die Sorgfaltspflichten sind präzise. Mir würde es sofort auffallen, wenn sich jemand schon vorab danach erkundigt, ob wir die Summe auf ein Nummernkonto nach Chile überweisen können. Dann klingeln die Alarmglocken. Der amerikanische Markt ist wesentlich aggressiver als der deutsche. Sie selbst Setzt Sotheby’s seit Jahren unter Druck: Investor DANIEL LOEB Interessanterweise ist Afrika gerade en vogue und natürlich Asien. Dieser Mittelmarkt war bis vor zwei, drei, ach vor einem Jahr ein Booming-Markt. Da konnten Sie alles verkaufen. Jetzt aber spürt man Trends, Moden und Dinge, die einfach nicht mehr gewollt werden. Investmenttipps vom Herzog: Satte Rendite mit JEFF KOONS und seiner limitierten Balloon Venus Edition für Dom Pérignon ENCORE 85 werden in Ihrem Unternehmen vom Investor und Hedgefonds-Manager Daniel Loeb unter Druck gesetzt. — Ganz klar. Deswegen ist es ja so absurd, dass ausgerechnet hier in Deutschland, wo Firmen in den 60er-Jahren angefangen haben, Kunst zu sammeln – der WDR, die Deutsche Bank –, heute über ein derart strenges Kulturgutschutzgesetz diskutiert wird, das vorsieht, dass die Ein- und Ausfuhr von Kunst kontrolliert wird. Aus dieser guten Kunsttradition entstanden Sammlungen wie die von Herrn Würth, die Sammlung Ritter oder Schaufler, die sich ihre Denkmäler setzen. Warum auch nicht? Müssen wir uns denn dafür schämen? Meine Vorfahren, die Herzöge und Könige von Württemberg, haben sich Schlösser gebaut und Kunst gesammelt und sie nur teilweise öffentlich gemacht. Aber ein Herr Würth macht es. Das ist doch schön und für Deutschland als Kulturnation wichtig. Also sollte man nicht sagen: Du böser Bube. Aber es gibt jede Menge böse Buben in Ihrem Geschäft. — Böse Buben gibt’s überall. Und jetzt haben wir in letzter Zeit mit ganz schön vielen bösen Buben zu tun gehabt. — Mit welchen denn? Der Fall um den verschwundenen Modigliani und die Familie Nahmad ist in den Panama Papers aufgetaucht. Welche Rolle spielt die Familie in Ihrem Unternehmen? — Wo viel Geld gemacht wird, gibt es eine Menge von Leuten, die meinen, sie müssen noch mehr Geld machen. Für mich steht immer das Kunstwerk im Vordergrund. Wir haben eine Sorgfaltspflicht, doch keine Kontrollfunktion, die ein Staat oder ein Finanzamt haben muss. Wenn mir jemand ein Bild von Cy Twombly anbietet und sagt: Der gehört mir, dann muss ich zunächst mal davon ausgehen. Die generelle Frage ist: Ist er legal erworben und nach Deutschland importiert worden? Wir fragen unter anderem auch: Sind Sie alleiniger Eigentümer oder ist Ihre Frau Miteigentümerin? Wenn ja, brauchen wir eine Bestätigung der Ehefrau. Wenn wir rausfinden, dass etwas nicht in Ordnung ist, dann schauen wir ganz genau hin. Aber wir wissen doch heute um die Wege, die das Geld geht, bis es dann bei Ihnen landet. Am Anfang stehen Bareinzahlungen auf Bankkonten in Steueroasen. Von dort erfolgen Transfers auf ein Konto bei einer Geschäftsbank, zum Beispiel in London. Macht es Ihnen nicht zu schaffen, dass Sie da am Ende einer sehr unsauberen Kette stehen? Es ist doch allgemein bekannt, dass auch der Marktwert von Künstlern auf Auktionen durch zuvor abgesprochene taktische Ver- oder Zukäufe oder Stützungskäufe manipuliert wird. — Das liegt doch außerhalb unserer Verantwortung und Kenntnis. Wir sind keine Ermittlungsbehörde oder Staatsanwaltschaft. Auch in der derzeitigen Diskussion muss man differenzieren. Ich halte nichts davon, unsere Kunden allgemein unter Generalverdacht zu stellen. Auktionen sind immer noch die transparenteste Form des Kunstverkaufs. Taucht Raubgut in Ihrem Haus auf? — Es wird uns angeboten. Doch wir richten uns an die strengen Vorgaben der Unesco-Konvention von 1970. Sie dürfen nicht vergessen, als amerikanisches Aktienunternehmen unterliegen wir den gesetzlichen Rahmenbedingungen der USA. Im Gegensatz zur Bundesrepublik haben die USA diese Konventionen 1982 unterschrieben. Deswegen noch mal: Uns ist es ganz wichtig, dass wir den Sammler kennen. Bildersammler sind ganz eigene Charaktere. Wie verhindern Sie, dass Fälschungen in die Auktionen gelangen? — Als Experte verlässt man sich neben der Expertise auch auf das Bauchgefühl. Das Bauchgefühl, das sagt: Es ist wunderschön, aber irgendetwas stimmt nicht. Dann prüfen wir noch intensiver nach, und beim leisesten Hinweis lassen wir es. Ich bin immer wieder erstaunt, wie Experten erkennen – schon vom blanken Hinsehen auf zwei Meter Entfernung –: Das ist eine Fälschung! Das kann man nicht beschreiben. So was lernt man über die Jahre. Die Erfahrung zeigt aber doch, dass diese Form der Erkennung nicht sehr sicher ist, Materialprüfungen entscheidend sind. Man hört ja immer wieder, der Anteil — In den Auktionen kaum – bei uns zumindest und ich glaube bei allen anderen seriösen Auktionshäusern auch. Sie werden ja schon im Vorfeld einfach abgeblockt. Aber wir sind nicht unfehlbar, wenn Fälschungen so perfekt gemacht sind, dass sie durchs System durchrutschen. Das passiert. Aber überlegen Sie mal, in die Auktionen kommen bei uns 40.000 Lose im Jahr. Das heißt, wir begutachten vorher ein Vielfaches, sortieren Unmengen aus. Setzt auf Expertise plus Bauchgefühl: Der Herzog in seinem Frankfurter Büro von Fälschungen auf dem Markt liege bei 30 Prozent. — Was glauben Sie, wie viele Materialgutachten wir von renommierten Gutachtern erhalten, die positiv sind, und die Werke sind dennoch falsch? Es ist immer eine Kombination aus beidem. Papier ist geduldig. Bei Sotheby’s bekommen Sie auf alle Werke eine Fünfjahresgarantie. Ich habe zum Beispiel am Anfang meiner Karriere einmal ein Möbel falsch eingeschätzt. Das passiert. Das Möbel wurde verkauft zu einem Spitzenpreis an einen tollen Sammler nach Deutschland, den ich selbst noch am Telefon hatte. Er ging nach der Auktion zu einem Restaurator, der wollte das Möbel auseinandernehmen, wieder schön verleimen, und da kam zum Vorschein, das Möbel ist eine reine Melange, eine Marriage zwischen verschiedenen Hölzern, eine Fälschung. Ich bin selbst hingegangen, habe es mir angeschaut. Wir hatten den Verkäufer schon ausgezahlt. Dann haben wir selbstverständlich den Käufer entschädigt und das Möbel ist in unser Inventar übergegangen. Das passiert. Wie viele Fälschungen tauchen denn real in den Auktionshäusern auf? ar t basel booth 2 .1 L12 Wie kann man sich vor Fälschungen schützen? — Der sicherste Künstler ist Gerhard Richter, weil er alle Arbeiten dokumentiert. Warhol hingegen ist schwieriger. Die Warhol Foundation gibt keine Expertisen mehr, weil der Markt so unübersichtlich geworden ist. Wenn wir einen Warhol versteigern wollen, müssen wir Provenienzforschung betreiben: Wann wurde das Werk bei wem und wo und wie gekauft – bis zum Tag, an dem der Künstler es geschaffen hat. Wenn die Herleitung nicht möglich ist, müssen wir die Versteigerung ablehnen. In diesem globalen Monopoly-Spiel scheint der deutsche Markt unwichtig. — Na ja, wir werden sehen, was passiert, wenn das geplante Kulturgutschutzgesetz wirklich kommt. Wir erleben eine Riesenunruhe, die zu einem extremen Export an Kunst geführt hat. Plötzlich tauchen Leihgaben aus deutschen Museen in den Auktionen auf. Deutscher Expressionismus, all die Kunst, die eventuell unter Schutz gestellt werden könnte. Am Ende profitieren nur Sotheby’s und Christie’s von dieser Krise in Deutschland! — Wissen Sie, das Auktionsgeschäft ist schnelllebig! Nicht das gesamte Unternehmen profitiert von den Veränderungen. Viele deutsche Händler eröffnen jetzt Dependancen im Ausland, die Sammler bringen die Kunst raus. Sotheby’s Deutschland wird bald nicht mehr rechtfertigen können, warum wir hier fünf Büros haben. Willkommen in der Kunst-Diaspora Deutschland! günther förg vera munro GALERIE VERA MUNRO HEILWIGSTRASSE 64 • 20249 HAMBURG DAS INTERVIEW FÜHRTE SWANTJE KARICH TEL +49(0)40 474746 • FAX +49(0)40 472550 GALLERY@VERAMUNRO.DE ENCORE 86 47 W W W. V E R A M U N R O . D E silvia bächli KLIMTKETTE ERDENBÜRGER Es gibt Fotos von Emilie Flöge, Flöge, da trägt sie tatsächlich einen Muff an der Kette, die Gustav Klimt seiner iner Lebensnkte. Der gefährtin und Muse schenkte. de, die Muff ist längst aus der Mode, erne 70 Zentimeter lange, silberne hließMuffkette sicher nicht. Schließnder lich hat sie 1905 der Gründer der Wiener Werkstätte undd man Gesamtkunstwerker Koloman Moser entworfen, der auchh sgeFlöges Modesalon mit ausgestattet hatte. Dort nähte Flöge en Klimt die Reformkleider, in denen sie porträtierte. Die Kette kann man also als Sinnbild für den ZusammenJugendstil halt der Wiener Avantgardee sehen – und 13 13. JJunii iim im Dorotheum ersteigern für 60.000 Dorotheum in Wien bis 80.000 Euro. WOE Als Neil Armstrong am 16. Juli 1969 mit der Apollo 11 ins All abhob, war die Ära der Raumfahrt in vollem Gange. Wie sehr die Erdlinge mitfieberten, bezeugt nicht zuletzt, dass neun Tage vor der Mondlandung David Bowies Album Space Oddity erschien. So heißt auch Space Oddity die Auktion von Karl & Faber mit Fotos früher 9. Juni bei Missionen bis zum „Challenger“-Zeitalter. Dazu Karl & Faber zählen auch Bilder von der Erde, wo sich – wie in München beim Start von Apollo 15 im Juli 1971 – Tausende versammelten. Wenn sie schon nicht mitfliegen konnten, so wollten sie doch diesem historischen Augenblick beiwohnen. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wie die vielen kleinen Menschen mit ihren Ferngläsern in den Wertvolle Bücher Himmel starren. Der Vintage-Silbergelatine-Abzug 13. Juli bei Christie’s mit Notizen der Nasa ist auf 500 Euro geschätzt. GB in London GARTENERSATZ Wer dieses Buch besitzt, braucht keinen Garten mehr. Schöner als im Hortus Eystettensis von 1613 blüht es in keiner Rabatte. Weltweit sind nur 25 Exemplare bekannt. In dem prächtigsten Pflanzenbuch des Barock mit mehr als 1.000 Bildern und 360 kolorierten Kupferstichen erlebt man den botanischen Lustgarten auf der Willibaldsburg in Eichstätt – der Garten wurde im Dreißigjährigen Krieg zerstört. Das Buch, initiiert vom Nürnberger Apotheker Basilius Besler, ist auf 800.000 bis 1,2 Millionen Pfund geschätzt. WOE WEITBLICK Ausstattungskunst, postimpressionistisch. Das Park Hotel Waldhaus in Flims hatte die dreiteilige Landschaftsansicht 1904 beim Schweizer Maler Giovanni Giacometti bestellt. Und der gab sein Bestes, um die Heimat mit See, Alpen, Sommerwolken und grünen Matten anmutig ins Bild zu bringen. Neben Cuno Amiet gehörte Giacometti zu den sanften Erneuerern der Schweizer Kunst, die mit aufgehellten Farben und ohne erzählerische Schwere den Zeitgeschmack bedienten. Warum das über vier Meter breite Schweizer Kunst 24. Juni bei Koller Panorama bald wieder abgehängt wurde, weiß man nicht mehr. 1986 wurde es im Fundus wiederentdeckt und neu installiert. Nun lassen es die neuen Waldhaus-Eigner bei Koller in Zürich versteigern, geschätzt auf 3 bis in Zürich 4 Millionen Franken: Ein so bedeutendes Werk sei in einer öffentlichen oder privaten Sammlung besser aufgehoben als im unruhigen Hotel. MÜ ENCORE 88 Basel Was uns gefällt: Highlights und Abseitiges aus dem Angebot des Kunsthandels Museum Tinguely 08.06.–25.09. 2016 WERT SACHEN M BERG — H ER ZOG W Ü RT TE — — A U K TI O N EN WERTSACHEN R AU K ALENDE GRAND PRIX — BL — DER AUGEN BLICK Michael Landy Out Of Order Fugu nennt man den Kugelfisch in Japan, und sein Gift ist tödlich. Trotzdem wird er zu Sashimi aufgeschnitten. Wer sich an den Genuss wagt, sollte also seinem Sushimeister vertrauen. Zu Beltracchis Zeiten war auch Max Ernst nur mit Vorsicht zu genießen, jedenfalls seine Gemälde. Die Goldskulptur in Form eines plattgedrückten Kugelfisches kommt nun aber mit Referenznummer und einem vom Künstler unterzeichneten Moderne Kunst, Dedikationsblatt zum Aufruf sowie der Punze Teil II des Ateliers von François Hugo in Aix en Provence. 16. Juni bei Der Goldschmied hat schon mit Picasso gearbeitet. Kornfeld Kornfeld in Bern schätzt den Fisch von 1960, in Bern n. Erstbesitzer Auflage 6, auf 12.500 Franken. ngswar der damalige UN-Flüchtlingshochkommissar Sadruddin Aga K han, eingeliefert wird er vom Schweizer Unternehmer Walter Bechtler. WOE VOTE OR DIE AKT NACKT Duchamp vor Duchamp. Tatsächlich hat der Mann der Readymades als suchender Maler begonnen, nomadisierend von einem Stil zum anderen. Und noch bevor er mit seinem Akt, eine Treppe herabsteigend eine Ikone des Kubismus schuf, ließ er sich von den Fauvisten und Symbolisten anregen, und nichts deutete auf die RevolutioImpressionismus nen, die er mal anzetteln und Moderne wird. Wohl hat er sich 6. und 7. Juni bei später etwas abschätzig an Artcurial in Paris die Jahre zwischen 1906 und 1911 erinnert. Aber verworfen hat er sein Frühwerk nie. Die Nu sur nu ist ein herausragendes Beispiel dieser Periode. Eingehüllt in ihren grünblauen Schatten sieht die Aktfigur wie eine seltsame Erscheinung aus. Das Bild stammt aus der Sammlung Arnold Fawcus, Gründer des legendären Kunstbuchverlags Trianon Press. Im Auftrag seiner Erben wird das Bild bei Artcurial in Paris versteigert, geschätzt auf 500.000 bis 700.000 Euro. Der Erlös ist für die NGO Médecins Sans Frontières bestimmt. MÜ Es ist so still geworden um die Grünen. Die Partei begann Ende der 70er-Jahre noch klein, aber laut. Heute ist sie groß und leise. Kretschmann ist ja seine eigene Marke. Fast vergessen sind die Jahre, als Joseph Beuys, der wunderbar Klassische Moderne, Nachkriegs- und polternde Querulant, fürs Gegenwartskunst Europaparlament antrat. Rudi 8. Juni bei Neumeister in München Dutschke war an seiner Seite und sogar Andy Warhol. Warhol und Beuys – ein ungleiches Freundespaar. Der eine in die Konsumwelt vernarrt, der andere ein Egoromantiker. Beide aber waren Revolutionäre. Und so unterstützte Warhol Beuys mit einem Plakat: Neben Selbstporträts steht das Bekenntnis „Für die Grünen“. Es ist bei Neumeister geschätzt auf 15.000 bis 16.000 Euro. Beuys aber meinte es ernster: Auf seinem Wahlplakat Der Unbesiegbare von 1979 zielt ein Zinnsoldat auf einen Hasen. Das Fotografie historische Motiv als Farbseri1. Juni bei Bassenge grafie, Auflage 30, ist geschätzt in Berlin auf 2.000 bis 2.500 Euro. SWKA EINE AUSWAHL der BLAU REDAKTION AUKTIONEN 1./2. JUNI DOROTHEUM IN WIEN Gegenwartskunst 1.–4. JUNI GRISEBACH IN BERLIN Fotografie, Kunst des 19. Jahrhunderts, Ausgewählte Werke, Orangerie, Moderne und Gegenwartskunst 2. JUNI VAN HAM IN KÖLN Moderne und Gegenwartskunst 3./4. JUNI LEMPERTZ IN KÖLN Impressionismus Imppresssio sionis nismus nis mu un mus undd Mode M Moderne; oderne ode rnee; Nach N Nachkriegsach chkri k egs kri g - und und Geg Gegenwartskunst genw enwartsku sku kunst nst 7./8. JUNI SOTHEBY’S IN PARIS Gegenwartskunst 8. JUNI CHRISTIE’S IN PARIS Gegenwartskunst Fotogr F Fot otogr ografi og ografi afiee,, Kunstg K Kun unstgewe un stggewerbe ewe ew weerbe w rb , moderne m mode odeerne oderne rnne und unnd zeitgenössische zeitgen zeit eittgenöss genössisc gen öss öss ssische ischee Druckgrafi Dru D Druckg ruckgrafi ckggrafi rafifik, k, Design Deesig D esign ssig ign Fotografi Kunstgewerbe, 15. JUNI LEMPERTZ IN BRÜSSEL Afrikanische und ozeanische Kunst 18. JUNI VAN HAM IN KÖLN Achenbach Art Auction, Teil 4 21. JUNI ARTCURIAL IN PARIS Asiatische Kunst 21./22. JUNI SOTHEBY’S IN LONDON Impressionismus und Moderne 22. JUNI DOROTHEUM IN WIEN Moderne und Gegenwartskunst, Autografen 22./23. JUNI CHRISTIE’S IN LONDON Impressionismus p und Moderne Sch chwei wei eizer z Ku zer Kunst nst,, Impr IImpressionismus mpr mp p ess ssion ss ionnism muss und nd Mo Moder d nee de der Schweizer Kunst, Moderne 25. JUNI KOLLER IN ZÜRICH Design, Nachkriegs- und Gegenwartskunst 27./28. JUNI PHILLIPS IN LONDON Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts 28./29. JUNI SOTHEBY’S IN LONDON Gegenwartskunst 29./30. JUNI CHRISTIE’S IN LONDON Gegenwartskunst 30. JUNI DOROTHEUM IN WIEN Bücher und dekorative Grafik, Kunst des 19. Jahrhunderts 5.–7. JULI ANDERSON & LOW SOTHEBY’S IN LONDON Alte Meister 5./7./8. JULI CHRISTIE’S IN LONDON 50 Rembrandt-Druckgrafi Rembrandt Druckgrafiken; Gemälde und Zeichnungen Alter Meister ENCORE 90 AUSSTELLUNG VOM 25. JUNI BIS 27. AUGUST 2016 AUGUSTSTRASSE 11–13 · 10117 BERLIN · TEL +49 30 240 486 14 · WWW.CAMERAWORK.DE © ANDERSON & LOW Gefahrgut M BERG — H ER ZOG W Ü RT TE — — A U K TI O N EN WERTSACHEN R AU K ALENDE GRAND PRIX — BL — DER AUGENBLICK Kunstauktionen seit 1923 Amiraplatz 3 · 80333 München +49.89.22 18 65 info@karlundfaber.de karlundfaber.de GRAND PRIX SCHÜTZENHILFE Auktionen Moderne und Zeitgenössische Kunst 9. / 10. Juni 2016 EIN FALL FÜR DIE GERICHTE, NICHT ERST SEIT ERSCHEINEN DER PANAMA PAPERS: MODIGLIANIS SITZENDER MANN MIT STOCK, 1918 Das System der Briefkastenfirmen ließ alle ruhig eit Jahren steht das Bild im Zentrum eines absurden Gezerres: Modiglianis Sitzender Mann mit Stock. Es ist für mich zum Symbol für einen Teil des Kunstmarkts geworden, schlafen. der außer Kontrolle geraten scheint. Und von dem man sich zunehmend verschaukelt fühlt. Dieses Gefühl wird immer stärker, je länger das großartige Bild durch die Medien geistert. Damit ist Im Zentrum stehen alte Bekannte, die jüdisch-monegassische Kunsthändlerfamilie Nahmad, Pioniere im globalen Art-Stock-Market, mit Wohnsitz in Monaco und Galerien in New York und Lones jetzt don und einer milliardenschweren Sammlung in Zollfreilagern. Sie behauptet hartnäckig, dass sie nichts mit der Offshore-Firma International Art Center zu tun hat, in deren Besitz sich das Bild seit vorbei 1996 befindet. Das Gemälde stammte aus der Sammlung des jüdischen Kunsthändlers Oscar Stetti- S ner. Er musste vor den Nationalsozialisten aus Paris fliehen. Sein Modigliani blieb zurück. Die Erben bemühen sich um eine Restitution. Doch mit einer Briefkastenfirma lässt sich schlecht verhandeln. Nach Jahren des Hin und Her haben nun die geleakten Panama Papers den Beweis geliefert: Sie benennen die Nahmads eindeutig als Akteure der dubiosen Firma. Gewusst haben es alle. Schützenhilfe für das absurde Versteckspiel kam direkt vom Restitutionsexperten bei Sotheby’s: Lucian Simmons schrieb Helly Nahmad 2010 in einem Brief, den Artnet veröffentlichte, er habe den Anwalt der Stettiners gesprochen. Er versicherte: „I have not, and will not, disclose your identity to him unless I am obligated to do so by order of the Court.“: „Ich habe ihm Ihre Identität nicht offenbart und werde es auch nicht tun, es sei denn, ich wäre durch die Verfügung des Gerichts dazu verpflichtet.“ Diese Art der Diskretion ist auf dem Auktionsmarkt ein wichtiges Asset zur Kundengewinnung. Vor Gericht sagte Daisy Edelson von Sotheby’s aus: „Einlieferer ist International Art Center, und nicht Helly Nahmad.“ Wenn man sich das nach wie vor unvollständige Puzzle anschaut, wird einem mulmig: Was versteckt sich noch alles in den Zollfreilagern? Die Modigliani-Nahmad-Aktion wirkt wie der Versuch, ein historisch problematisches Bild im Besitz einer Briefkastenfirma zu verstecken, im Wert zu steigern und mit krasser Rendite wieder loszuwerden: 1996 taucht das Gemälde bei Christie’s auf, versteigert für 3,2 Millionen Dollar an die Nahmad’sche Briefkastenfirma. Von Raubkunst ist damals noch nichts zu lesen. Als das Bild später bei Sotheby’s eingeliefert wird, macht man sich dort die Mühe und recherchiert die Provenienz, schätzt das Bild auf 18 bis 25 Millionen Dollar. Doch in der Versteigerung bleiben die Gebote aus. Oscar Stettiner ist jetzt Thema. Aufgegeben haben die Nahmads bis heute nicht. Der Schutz des Systems ließ alle ruhig schlafen. Damit scheint es jetzt vorbei zu sein. Der Modigliani ist im Genfer Zollfreilager beschlagnahmt worden. SWANTJE KARICH ENCORE 92 Peter Doig, „Jetty“, 1996, Bleistift auf Bütten, 25 × 19 cm, Schätzpreis € 40 . 000 / 60 . 000 Gabriele Münter, Am Hügel (Staffelsee), um 1908, Öl auf Karton. Schätzpreis € 180.000 / 220.000 Space Oddity – Sonderauktion Vintage -Fotografien der NASA 1950er –1980er Jahre James B. Erwin, Apollo 15 : David R. Scott salutiert vor der Amerikanischen Flagge, 197 1, C-Print auf Kodak Fotopapier. Schätzpreis € 900 ROCHELLE FEINSTEIN Lenbachhaus, München 07.06. – 18.09.2016 BLAU K ALENDER MBERG — HERZOG WÜRTTE — — A U K TI O N EN WERTSACHEN R AU K ALENDE GRAND PRIX — BL — DER AUGENBLICK Unsere TERMINE im Sommer BETON KUNSTHALLE WIEN 25.06. – 16.10.2016 Printemps, um 1942–1943 Love Your Work (Part of Love Vibe), 1999–2014 Eine intellektuelle Weise des Kunstmachens, die nicht eigentlich auf Bilder als Sammlergegenstände zielt. Wenn Rochelle Feinstein malt, ist es wie Entmystifizieren des Malens. Ihre Arbeiten wirken seltsam unfertig, rasch angelegt, liegen gelassen, ohne dieses repräsentative Outfit, in dem Bilder mitunter das Atelier verlassen. Selbst der szenenahe Beobachter wird keine rechte Vorstellung vom Werk der bald 70-jährigen Amerikanerin haben. Noch nie war es in einem Museum ausgestellt. Jetzt kann man in ihrer ersten großen Werkübersicht sehen, was hier zum Kunstmachen anstiftet: die Auseinandersetzung mit abstrakter Malerei, mit konzeptueller Kunst, die Abhängigkeit von Kunsträumen, das Spiel mit der Sprache der Werbung, mit Pop als kulturellem Lebens- und Wohlfühlraum, die Problematisierung des Genderthemas und nicht zuletzt diese unbesiegbare Unlust an der klassischen Künstlerinszenierung. MÜ FRANCIS PICABIA KUNSTHAUS ZÜRICH 03.06. – 25.09.2016 Er war schon postmodern, als es das Wort noch gar nicht gab. Francis Picabia, der große Verwirrspieler unter den Künstlern des 20. Jahrhunderts. Wie er hat keiner den Selbstentwurf der Moderne als kulturelle Geradeausstrecke, die in konsequenten Schritten zum Ziel führt, lächerlich gemacht. Dass er, ähnlich wie Duchamp, als traditionsgebundener Maler begann, dann zum Erzdadaisten mutierte, der für die ganze Kunstausübung nur noch Spott übrig hatte, war kein Hinderungsgrund, immer wieder zur Malerei zurückzuurückzukehren und mit grandios dios kitschigen Pin-up-Girls rls sein Publikum zu erschrecken. cken. Und natürlich hat es bei so viel Verliebtheit in den en mutwilligen Bruch nicht icht ausbleiben können, dass das Spätwerk auch noch abstrakt wurde. Anders als so manche Übersichtsaususstellung, die die „problematiblematischen“ Phasen aussparen paren wollte, zeigt das Kunsthaus sthaus Zürich den ganzen PicabiacabiaFilm – mit all den radikalen dikalen und reaktionären, den en ironischen und provokanten kanten Schwenks. mü ENCORE 94 TOBIAS ZIELONY Structure, 2010, aus der Serie Vele Man denkt leider gleich an morsche Plattenbauten und welke Brückenpfeiler, wenn das Wort, das einmal die Utopie der architektonischen Moderne versprach, deutsch ausgesprochen wird: Beh-tong klingt wirklich schwerfällig. Da die Gruppenausstellung, um die es hier geht, in der Kunsthalle Wien läuft, halten wir es lieber ebe mitt den de Öster Öste reichern ec e und prononcieren betoon, weil der prosaische Stoff aus Wasser, Zement, Sand und Kies ja auch etwas divenhaft Gespreiztes hat. Weshalb er nicht nur Architekten fasziniert, sondern auch Künstler: Isa Melsheimer und Tom Burr sind dem Beton brutalismus verfallen, Tobias Zielony und David Maljkovic fotografieren betonierte Vorstädte, Thomas Demand oder Liam Gillick erforschen, wie Betonarchitektur unsere Wahrnehmung prägt, und nicht nur Sofie Thorsen betrauert, wie bürokratische Betonköpfe mit unserer gebauten Umwelt umgehen. WOE BEAT GENERATION CENTRE POMPIDOU HOKUSAI X MANGA GA MUSEUM FÜR KUNST UND GEWERBE HAMBURG 10.06. – 11.09.2016 PARIS BRAD 22.06. – 03.10.2016 Sie ist so etwas wie der Humus aller späteren Künstlergenerationen: die Beat-Generation. 1944 lernten sich William S. Burroughs, Allen Ginsberg und Jack Kerouac an der New Yorker Columbia University kennen. Der Zweite Weltkrieg war gerade vorbei, nun prägten Kalter Krieg und McCarthy-Puritanismus das Klima. Beides unterwanderte der rebellische Streetslang ihrer Prosa und Poesie, der ab Ende der 40er-Jahre Fahrt aufnahm. Flankiert von bildenden Künstlern aus der Szene Kaliforniens wie Wallace Berman, Bruce Conner und George Herms, afroamerikanischen Sprechdichtern wie LeRoi Jones oder Bob BOB THOMPSON LeRoi Jones and his Family, 1964 Kaufman und Fotografen wie Robert Frank bildeten Lesungen, Performances, Dias, Filme und Konzerte probate Mittel für den interdisziplinären und oft auch kollaborativen Anspruch der Gruppe. Als Paris zwischen 1957 und 1963 ihre Anlaufstelle war, vor allem das schäbige Beat Hotel, wo Burroughs mithilfe ns Cut-up-Technik seinen Roman von Brion Gysins endet haben soll, war die Beat-GeneraNaked Lunch beendet hon Mainstream, befeuerte so tion beinahe schon le Revolution. Wenn das auch die sexuelle ou dieser Ära jetzt eine Centre Pompidou dmet, legt sie ein AugenAusstellung widmet, n enorme geografische merk auf deren Ausdehnung: Von New York bis L. A., anger gedieh eine Kultur, von Paris bis Tanger es und Hipster nicht ohne die Hippies denkbar wären. gb TROE MEL Life/W ork, 2 014 PROCESS, PERFORMANCE, PRESENCE KUNSTVEREIN BRAUNSCHWEIG 11.06. – 21.08.2016 Zeit ist ein großes Thema in der Kunst. Seit den 60er-Jahren beschäftigen sich Künstler mit Prozessen, mit Vergänglichkeit und Veränderung von UTAGAWA HIROSHIGE Raum, Material und Körper. Wie Adler über den schneebedeckten Sümpfen von Fukagawa, 1857 virulent das bis heute ist, vor allem aber welche poetisch-reduzierten, Wenn nostalgisch-futuristisch teils organisch anmutenden Arbeiten kostümierte Cosplay-Kids durch dabei entstehen, zeigt nun eine ihre Manga-Bücher blättern, Ausstellung im Kunstverein Braunin Anime-Universen versinken schweig. Jens Risch knotet täglich vier und von Hentai-Sex träumen, dann kommt das nicht von einem Stunden lang an einem Seidenfaden, anderen Stern, sondern der am Ende mit Schmutz, Haut und geradewegs aus dem 17. JahrBlut Spuren der verbrachten Lebenshundert. Um 1680 datiert das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe – ausgehend von seiner einmaligen Sammlung von asiatischen Farbholzschnitten und Holzschnittbüchern – den Ursprung einer japanischen Popkultur: In der vormodernen Megacity Edo, dem heutigen Tokio, florierte im Rotlichtviertel Yoshiwara ein Entertainment-Business. Ukiyo-e-Holzschnitte erzählten von Fabelwesen und KabukiKurtisanen. Shunga-Pornos machten die Run atsushika Runde. Katsushika Hokusais Große Wellee von Kanagawa w wurde zum Emblem des frühen JapanJapan-Pop, der in Form von Manga-Conga-Comics in den d Achtzigern htzigern in den W Westen kam. WOE SADAHARU HORIO course ), 2009 Atarimae-no-koto („A matter of course“), zeit trägt. Schirin Kretschmann bringt im Haus rechteckige Formen aus Fett an – versetzt mit blauem Pigment, geraten sie durch Temperaturwechsel in Bewegung und verschwimmen. arbeitet auf Wänden Sofia Duchovny ar mit Dochten Dochtten und Wachs: Rußspuren Rußspuren werden zum Memento Mem mento mori. gb Aus: Aus s: JED HENRY (DESIGN) Foxmoon, 2012 HAUFE SC MATT MULLICAN Posters of Heaven and Hell, 2016 SPRENGEL MUSEUM HANN0VER 05.06.2016 – 29.01.2017 In letzter Zeit wurde zuweilen gefragt, ob Hannover nicht das heimliche Zentrum der Republik sei. Schröders Machtnetzwerke, die „Maschsee-Mafia“ und nicht zuletzt die Wulff-Affäre – immer wieder Hannover. Louis de Marsalle, 2016, Fotograf: Stephan Bösch MELS 130 % SPRENGEL T E R DES S N H IM M BERG — H ER ZOG W Ü RT TE — — A U K TI O N EN WERTSACHEN R AU K ALENDE GRAND PRIX — BL — DER AUGENBLICK 22.06. – 25.09.2016 STÄDEL, FRANKFURT KUNSTMUSEUM WINTERTHUR 12.06. – 16.10.2016 Seit 1925 beherbergt das Städel mit den Flügeln des Altenberger Wer einmal in einer Mullican-Ausstellung war, Klosteraltars Teile einer der kennt das Gefühl der visuellen Überforderung. bedeutendsten frühgotischen Man weiß nicht, wo man beginnen soll, findet Kirchenausstattungen. Über keinen Halt im Dickicht der Zeichen, Embleme, Jahrhunderte hinweg hatten die Signale, Logos, abstrakten Muster, BuchillusOrdensschwestern einen trationen, Comic-Zeichnungen. An den Wänden FRANZ GERTSCH Irene und Luciano, 2014 Schatz zusammengetragen, der breiten sich die Bildmontagen vom Boden seinesgleichen sucht: aufwenbis an die Decke aus. Und alles scheint auf einen Der Erweiterungsbau des Sprengel Museum dige Tafelmalerei, Goldschmie- einzustürmen. Dabei herrscht penible Ordnung. dekunst und feinste TextilIrgendwie hängen die Bildteile zusammen, verleiht der Anziehungskraft der niederarbeiten. Altenberg war eines jedenfalls aneinander, und scheinen sich aufeinsächsischen Kleinstmetropole nun weiter jener Beispiele für die gewalander zu beziehen, ohne dass sich Erzähllinien Nachdruck: Über 5.000 Quadratmeter tige Schaffenskraft des Mittel- bildeten. Zuweilen sehen Matt Mullicans Bildfelder neue Flächen erlauben es dem Haus, die alters. Mit der Zerschlagung aus wie die Emoji-Kataloge, mit denen sich das bedeutende Sammlung in noch nie des Klosters Anfang des SMS-Schreiben abkürzen lässt. Der amerikanische dagewesenem Umfang mit dem Publikum 19. Jahrhunderts brach das Konzeptkünstler bedient sich bei den Codes zu teilen. Das erste große AusstellungsEnsemble auseinander. der visuellen Kultur, bearbeitet sie, nimmt ihnen projekt nach dem Umbau gerät denn auch Nun vereint das Städel diese ihren Gemeinsinn, ihren Verkehrswert und gleich zur Leistungsschau: 130 % Sprengel. Inszenierung des Himmels deutet sie um zum Design einer Welt, die aus Julian Rosefeldts Installation macht den erstmals seit 200 Jahren ungezählten Schichten von Bildern besteht. Anfang für den Rundgang durchs wieder unter einem Dach. mw Es ist sicherlich nicht verboten, sich mit dem 20. Jahrhundert. Es folgen die Klassische sinnlichen Ereignis dieser Moderne mit einem Arbeiten zufriedenzugeben, mit eigenen Raum für ihrer grafischen Präzision Picasso, Beckmann und ihrem dekorativen Auftritt. und Klee, die Kunst Aber mehr noch wird in der nach 1945 im Zusammenschau des medial Altbau des Sprengels vielfältigen Werks die Grundidee und schließlich anschaulich, das Mullicandie Schenkungen Motiv, das immerzu Bilder aus der Niki de Saint Rheinischer Meister: Altenberger Altar, um 1330 (Fotomontage), OBEN: Unbekannter Meister: Armreliquiar der Heiligen Elisabeth, zweites Viertel des 13. Jahrhunderts Bildern entstehen lässt. MÜ Phalle. MW ENCORE 96 Im ehemaligen Frauenbad Josefsplatz 5, 2500 Baden www.arnulf-rainer-museum.at ARNULF RAINER PINSELRAUSCH AUSSTELLUNG BIS 30. OKTOBER Täglich von 10 bis 17 Uhr KUNST UND SPIEL After Work im Arnulf Rainer Museum & Chill-Out im Casino Baden Jeden Mittwoch um 18 Uhr 05.06. – 06.11.16 Alles Kirchner ! Das Museum als Wunderkammer Kirchner Museum Davos Rupprecht Matthies feat. Kirchner. Wortwechsel zwischen Kunst und Leben KUNST UND GENUSS Exklusive Führung & Abendessen im El Gaucho Steakhouse Jeden Donnerstag um 19 Uhr LUCY ELECTRIC Museum bei Nacht für Kinder Jeden ersten Samstag im Monat um 17 Uhr BADENER MUSEENTOUR inkl. Lunch Arnulf Rainer Museum, Beethovenhaus und Kaiserhaus Jeden ersten Sonntag im Monat um 10 Uhr www.kirchnermuseum.ch BILDNACHWEISE Nr. 12 / Sommer 2016 TITEL: © Carroll Dunham. Courtesy Gladstone Gallery, New York and Brussels. EDITORIAL: S. 5:Foto: Yves Borgwardt für BLAU. INHALT: S. 6 l. u.: Foto: bpk/ RMN- Grand Palais/Art Resource, NY. S. 6 M. o.: © Carroll Dunham. Courtesy Galerie Eva Presenhuber. S. 6 r. u.: Foto: Jon Rafman. S. 8 l. u.: Foto: Geordie Wood für BLAU. S. 8 M. o.: © und Foto: Daniel Blau. Courtesy Peter Held. S. 8 r. u.: Foto: © Roland Beaufre/ World of Interiors. CONTRIBUTORS: S. 10 o.: Foto: Getty Images. ESSAY: S. 13: Foto: akg – images. APÉRO: S. 16 l. o. und l. u.: © 2014-2015 Hinako Sugiura. MS.Hs/Sarusuberi Film Partners. S. 16 r.: Courtesy BQ, Berlin. Foto: Roman März. S. 17 o.: Foto: Bernd Borcherdt. © 2015 me Collectors Room/Stiftung Olbricht. S. 17 u.: Illustrationen Johannes Huntenburg. © 2015 me Collectors Room/Stiftung Olbricht. S. 18. l. o.: Equator Production. S. 18 l. M.: Courtesy the artist and Meyer Riegger Gallery Berlin, Karlsruhe. S. 18 u.: Foto: Klaus Michalek. S. 18 r.: Dauerleihgabe der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen. © SHK/Hamburger Kunsthalle/bpk. Foto: Elke Walford. JON RAFMAN: S. 20: Foto: Dan Wilton. S. 21 bis 23: © Jon Rafman. Courtesy Future Gallery. BLITZSCHLAG: S. 24 o.: Foto: Claudia van Koolwijk für BLAU. S. 24 u.: Foto: Fine Art Images-Artothek. GEORGIA O’KEEFE: S. 26: Foto: akg-images. S. 27: Alfred Stieglitz Collection. Gift of Georgia O’Keefe. © 2016 Digital Image, The Museum of Mo- dern Art, New York/Scala, Florence/Art Resource. S. 28 o.: Christal Bridges Museum of American Art, Arkansas, USA. Foto: Edward C. Robinson III. © 2016 Georgia O’Keefe Museum. S. 28 u.: Foto: akg-images. DICHTER DRAN: S. 30: Courtesy Björn Kuligk. BEWEGTBILD: S. 31 l. o.: Foto: Evaan Kheraj. S. 31 l. u.: Foto: Getty Images. SCHNELLSTE SKULPTUREN: S. 31 r.: Foto: Honda. UM DIE ECKE PARIS: S. 32: Illustration: Kristina Posselt für BLAU. S. 33 bis 35: Fotos: Martina Maffini für BLAU. ARS VIVA KUNSTPREIS: S. 36 l.: Privatsammlung. S. 36 r.: Foto: Stefan Braunbarth. S. 37 l.: Courtesy of the artist and CRG Gallery, New York. S. 37 r.: Foto: Michael Koczy. S. 38 l.: Courtesy the artist. S. 38 r.: Foto: Christian Werner für BLAU. CARROLL DUNHAM: S. 40, S. 41, S. 44/45, S. 46, S. 47, S. 48, S. 49, S. 51: © Carroll Dunham. Courtesy Gladstone Gallery, New York, Brussels. S. 50: © Carroll Dunnham. Courtesy Olbricht Collection. Courtesy Metro Pictures. Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf. S. 42: Foto: Gregory Halpern für BLAU. DANIEL BLAU: S. 52 bis 59: © und Fotos Daniel Blau. S. 52 r., S. 53, S.54 u., S. 56, S.57 l. o., S.57 r. o.: Courtesy Peter Held. FONDATION CUSTODIA: S. 60 bis S. 65: Fotos: © Roland Beaufre/ World of Interiors. HAROLD ANCART: S. 66/67 bis S. 72: Courtesy CLEARING New York/Brussels. S. 73: Foto: Geordie Wood für BLAU. SOTHEBY’S INTERVIEW: S. 83: Foto: Lottermann and Fuentes für BLAU. ENCORE 97 S. 84 M. : Foto: Patrick McMullan. S. 84 u.: Foto: Dominik Gigler. S. 85 : Courtesy Dom Perignon. S. 86: Foto: Lottermann and Fuentes für BLAU. KOLUMNE: S. 92: Bridgeman Art Library. K ALENDER: S. 94 l.: Courtesy the artist and On Stellar Rays, New York. S. 94 M.: Courtesy Michael Werner Gallery, New York, London and Märkisch Wilmersdorf. © 2016 Prolitteris, Zürich. S. 94 r.: © Tobias Zielony. Courtesy der Künstler, KOW, Berlin und Galleria Lia Rumma, Milano. S. 95 l.: Courtesy of Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Smithonian Institution, Washington D.C. © Estate of Bob Thompson. Courtesy of Michael Rosenfeld Gallery LLC, New York, NY. Foto: Lee Stalsworth. S. 95 M.: © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. S. 95 u.: © Jed Henry. S. 95 r. u.: Foto: Geneviève Haraguchi. S. 96 l.: Sprengel Museum Hannover, © Franz Gertsch. S. 96 M. o.: © Sammlung Fürst zu Sayn-Wittgenstein, Sayn. S. 96 M. u.: Städel Museum-Artothek. S. 96 r.: Courtesy Capitain Petzel. AUGENBLICK: S. 98 © Satoru Watanabe. Courtesy only photography, Berlin. VG Bild-Kunst Bonn 2016 Joseph Beuys, Max Ernst, Georgia O’Keefe, Francis Picabia, Rosemarie Trockel DER AUGENBLICK IN ODER AUF KYUSHU Ein Bild und seine Modelle SATORU WATANABE Untitled, aus der Serie prana, 2014, Silbergelatine Print, 28 × 28 cm G ebundene Tiere machen immer traurig. Aber Damwild schießt man und bringt es nicht zur Schlachtung. Sogar, dass das Tier vorn im Bild tot wäre, kann als unwahrscheinlich gelten. Vielleicht ist es nur betäubt oder hat für den Moment resigniert und den Kopf auf den Boden gelegt. Und bald vergnügen sich die beiden in einem anderen Gehege. Wozu hat der Forstmeister seinen Pick-up-Truck. Wilde Tiere wecken sehr viel mehr Neugier als domestizierte. Das muss der Fotograf gewusst haben, der versucht hat, mit den schimmernden Leibern dieser beiden das halbe Bildformat zu füllen. Verblüffend die Archetypen liegender Tiere: der statische, gestreckte Leib und der geheimnisvoll in sich gekehrte. In der Ansicht sind sie miteinander verknüpft, obwohl sie sich tatsächlich wohl nicht berühren. Was die Hirsche über die Ansicht hinaus verbindet, ist ihr Schicksal. Sie können aber nicht wissen, dass es so etwas überhaupt gibt. Shinto, einst die Staatsreligion Japans, sah Götter in Menschen, Tieren und Dingen, ein Lebensmuster allgegenwärtiger Ehrfurcht, an das sich der Fotograf Satoru Watanabe, jetzt Mitte 50, durchaus erinnern kann. Seine Großmutter, eine Frau vom Lande, ENCORE 98 betete zu unsichtbaren Göttern mit gefalteten Händen. Ihr Mann jedoch, der Großvater, war Ingenieur und wollte nur anerkennen, was erklärbar war. So jedenfalls berichtet es der Fotograf in einem Buch, dem dieses Bild entnommen ist. Es handelt von den alten japanischen Riten und von der Natur. Die Frage ist, wie Japan – nach Fukushima – sich zum Erklärbaren, also zum Machbaren, stellt. Selbst die beiden Tiere scheinen zwei unterschiedliche Modelle anzubieten, animistische Demut und kalkuliertes Scheitern. Zufällig beugt sich, als ich dieses schreibe, eine japanische Schülerin über meinen Schreibtisch (wir wohnen zur Zeit in Berlin Tür an Tür) und sagt, sie erkenne auf der Kennzeichnung der Plane den Ortsnamen Kyushu. Ich google das sogleich und sage: Das ist eure südwestliche Insel. Und sie sagt: Nein, nicht eine Insel. So sprechen wir immerzu miteinander, wir streiten uns fast. Wir sehen nicht dasselbe und wir denken nicht dasselbe. Sieh mal, sage ich, sogar die Hirsche sehen aus wie Inseln; Inseln aus der Luft gesehen. Das ist es überhaupt, was mich zur Fotografie gebracht hat. Immer wieder habe ich geglaubt, die Faszination würde irgendwann enden. Aber nein, die Fotografie bleibt eine globale Matrix, in der nahezu alles universal verzeichnet ist und an der man das Betrachten üben kann. Es ist etwas, was uns im Schauen eint – bis man beginnt zu sprechen. S E I T 17 0 7 Palais Dorotheum, Wien Zeitgenössische Kunst Klassische Moderne Auktionswoche 31. Mai – 3. Juni Düsseldorf, Tel. +49-211-210 77-47 München, Tel. +49-89-244 434 73-0 www.dorotheum.com ULF ERDMANN ZIEGLER E VON BL AU DI E NÄCHST E AUSG ABSERER SOM MERPAUSE ER SCHEIN T NACH UN DER WELT UN D AM 27. AUGUST 2016 IN FTENHANDEL ACH IM ZEITSCHRI Otto Piene, Weißer Lichtgeist, 1966/2012, € 230.000 – 280.000, Auktion 1. Juni Porsche empfiehlt und Ein Zitat aus der Zukunft. Die 911 Targa 4 Modelle. Dank zeitlosem Design bewegt sich der 911 Targa seit 1965 auf seiner eigenen Ideallinie. Die elegant gerundete Heckscheibe und der ikonische Targa Bügel verleihen dem neuen 911 Targa seine typische Leichtigkeit. Die neuen, effizienten Biturbo-Boxermotoren mit bis zu 309 kW (420 PS) sorgen für hohe Performance und hohes Drehvermögen. Das Ergebnis? Eine Synergie aus Form und Funktion. Mehr unter www.porsche.de/911Targa Kraftstoffverbrauch (in l/100 km) innerorts 12,6–10,4 · außerorts 6,8–6,7 · kombiniert 9,0–8,0; CO2-Emissionen 208–184 g/km