Repetitorium Kern Fall 10 Ein böser Leserbrief
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Repetitorium Kern Fall 10 Ein böser Leserbrief
Repetitorium Kern Öffentliches Recht Fall 10 Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht Ein böser Leserbrief A) Vorüberlegung Dieser Fall beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der reformatio in peius. Die Problematik der reformatio in peius (Verböserung) liegt einmal in dem verschachtelten Aufbau und zum zweiten in der Prüfung, ob überhaupt eine reformatio in peius vorliegt. Um die reformatio in peius in den Griff zu bekommen, werden die wichtigsten Problemfelder vorab abstrakt dargestellt: I. Begriff 1. Grundsatz Von Verböserung oder reformatio in peius spricht man, wenn die Widerspruchsbehörde innerhalb des Widerspruchsverfahrens den angegriffenen VA zum Nachteil des Widerspruchsführers ändert. 2. Abgrenzung Eine reformatio in peius liegt in folgenden Fällen daher nicht vor: a) Andere Begründung Die Widerspruchsbehörde gibt dem Verwaltungsakt nur eine andere materiell rechtliche Begründung und ändert den Tenor nicht ab. b) Erstentscheidung der Widerspruchsbehörde Bei der Anfügung einer weiteren Entscheidung durch die Widerspruchsbehörde. Nimmt die Widerspruchsbehörde einen Widerspruch zum Anlass, einen unabhängigen Eingriffsakt gegenüber dem Widerspruchsführer vorzunehmen, so stellt dies keine Entscheidung über den Widerspruch mehr dar, sondern eine neue Erstentscheidung, die von der Widerspruchsbehörde nur dann erlassen werden kann. wenn sie dafür auch zuständig ist. Z.B.: Die Widerspruchsbehörde darf dem angefochtenen Verwaltungsakt keine Verwaltungszwangsmaßnahme anfügen. wenn der Ausgangsbescheid eine solche Maßnahme nicht enthielt. c) Verböserung eines nicht angefochtenen Teils im Ausgangsverwaltungsakt Z.B.: Der Verwaltungsakt enthält mehrere rechtlich selbstständige rechtliche Entscheidungen oder einen teilbaren Inhalt. Eine reformatio in peius hinsichtlich des nicht angefochtenen Teils ist nicht möglich. d) Bei Widerspruchsbescheiden auf einen Drittwiderspruch hin Z.B.: Hebt die Widerspruchsbehörde auf den Widerspruch eines Dritten hin den angefochtenen Verwaltungsakt auf, der den Adressaten begünstigt, so liegt schon deshalb keine reformatio in peius vor, weil nicht zu Lasten des Widerspruchsführers (des Dritten) entschieden worden ist. II. Zulässigkeit einer reformatio in peius 1. Im Verwaltungsprozess Im Verwaltungsprozess ist eine Verböserung grundsätzlich nicht möglich §§ 129, 141 VwGO. Eine Ausnahme ergibt sich nur bei einem Anschlussrechtsmittel, §§ 127, 141 VwGO. © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 1 Repetitorium Kern Öffentliches Recht Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht 2. Im Abhilfeverfahren Da eine Abhilfe für den Bürger immer günstig ist, scheidet im Abhilfverfahren eine Verböserung ebenfalls aus. 3. Im Widerspruchsverfahren Im Widerspruchsverfahren ist eine reformatio in peius aus folgenden Gründen zulässig: ❒ Der Wortlaut des § 79 II VwGO geht von einer Zulässigkeit der reformatio in peius aus. ❒ Das Widerspruchsverfahren ist beherrscht durch den Grundsatz der Selbstkontrolle der Verwaltung i.V.m. dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, so dass die Widerspruchsbehörde auch zuungunsten des Widerspruchsführers entscheiden darf. ❒ Eine positive gesetzliche Regelung der reformatio in peius fehlt in §§ 68 ff. VwGO. Diese Lücke ist aber durch das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht zu schließen. Das BVwG zieht vergleichend die Grundsätze über die Rücknahme von Verwaltungsakten heran. Die Zulässigkeit der reformatio in peius wird aber durch den Kernbestand der Grundsätze des Vertrauensschutzes und von Treu und Glauben begrenzt. III. Prüfungsschema für die Rechtmäßigkeit einer reformatio in peius 1. Rechtmäßigkeit des „Ob“ der reformatio in peius a) Rechtsgrundlage: §§ 68, 73 VwGO i.V.m. Gewohnheitsrecht b) Formelle Rechtmäßigkeit aa) Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde bb) Verfahren aaa) Anhörung, § 71 VwGO bbb) Begründung, § 73 III 1 VwGO cc) Form: Zustellung des Widerspruchsbescheides, § 73 III 1 VwGO c) Materielle Rechtmäßigkeit aa) Tatbestandsvoraussetzungen bb) Rechtsfolge: Ermessen 2. Rechtmäßigkeit des „Wie“ der reformatio in peius a) Rechtsgrundlage aus materiellem Recht (z.B. Baurecht, Gemeinderecht etc.) b) Formelle Rechtmäßigkeit (wie oben 1., b) c) Materielle Rechtmäßigkeit aa) Tatbestandsvoraussetzungen bb) Rechtsfolge IV. Zu den einzelnen Prüfungspunkten 1. Die Rechtmäßigkeit des „Ob“ der reformatio in peius a) Rechtsgrundlage Da eine reformatio in peius eine belastende Maßnahme darstellt. bedarf es nach dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes einer Rechtsgrundlage. Eine solche ergibt sich aus §§ 68, 73 VwGO i.V.m. dem diesen Vorschriften zugrundeliegenden Gewohnheitsrecht b) Formelle Rechtmäßigkeit © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 2 Repetitorium Kern Öffentliches Recht Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht Bei der formellen Rechtmäßigkeit ergibt sich die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde aus § 73 I 2 VwGO. Auch ist grundsätzlich eine Anhörung nach § 71 VwGO nötig. Somit kann sich der Widerspruchsführer einer Verböserung dadurch einziehen, dass er seinen Widerspruch vor Erlass des Widerspruchsbescheids zurücknimmt. Die Zustellung des Widerspruchsbescheids erfolgt gemäß §§ 73 III 1, 56 II VwGO nach dem VwZG des Bundes c) Materielle Rechtmäßigkeit aa) Tatbestandsvoraussetzungen ◆ Zulässigkeit des Widerspruchs Eine reformatio in peius setzt einen zulässigen Widerspruch voraus, denn sollte der Widerspruch unzulässig sein. ist er abzuweisen und eine Sachentscheidung nicht mehr möglich. Auf die Zulässigkeit des Widerspruchs kommt es aber nicht an, wenn man mit dem BVwG davon ausgeht. daß die Widerspruchsbehörde „kraft ihrer Sachherrschaft“ auch einen verfristeten Widerspruch sachlich verbescheiden darf. ◆ Unbegründetheit des Widerspruchs Trotz der Rechtswidrigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts muss der Widerspruch deshalb unbegründet sein, weil die Rechtswidrigkeit den Widerspruchsführer nicht in seinen Rechten verletzt. Ist der Widerspruch zulässig und begründet, ist die Widerspruchsbehörde verpflichtet, dem Widerspruch stattzugeben und den Ausgangsbescheid aufzuheben. Eine Verböserung ist in solchen Fällen unzulässig. bb) Rechtsfolge Als Rechtsfolge liegt es im Ermessen der Widerspruchsbehörde, ob sie eine Verböserung vornimmt. Grundsätzlich wird das Ermessen zugunsten einer reformatio in peius ausgeübt werden müssen. Dafür spricht vor allem. dass der Widerspruchsführer durch seinen Widerspruch selbst das Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes durchbrochen hat. Nur ausnahmsweise wird der Vertrauensschutzgedanke zu einem Verböserungsverbot führen, nämlich dann. wenn die Verböserung nahezu untragbare Ergebnisse für den Betroffenen zur Folge hätte. 2. Rechtmäßigkeit des „Wie“ der reformatio in peius a) Rechtsgrundlage Das „Wie“ der reformatio in peius (Inhalt der neuen verböserten Entscheidung) beurteilt sich nach dem anzuwendenden materiellen Recht (z.B. § 36 LVwVfG bei Nebenbestimmungen). b) Formelle Rechtmäßigkeit Bezüglich der formellen Rechtmäßigkeit kann nach oben verwiesen werden. c) Materielle Rechtmäßigkeit Bei der materiellen Rechtmäßigkeit sind dann die Tatbestandsvoraussetzungen und die Rechtsfolgen der einschlägigen Rechtsgrundlage zu prüfen. © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 3 Repetitorium Kern Öffentliches Recht Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht B) Thematik der Klausur ist: ►Ordnungsgeld gemäß §§ 17 IV, 16 III GemO ►Die reformatio in peius C) Personenskizze: Z G Widerspruch 2 Ordnungsgeld in Höhe von Euro 1001 Widerspruchsbescheid Ordnungsgeld in Höhe von Euro 200 3 Gemeinderat Landratsamt Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist davon abhängig, ob die Klage der G die Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt und ob die Klage begründet ist A) Sachentscheidungsvoraussetzungen I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I 1 VwGO VwGOSkript Rdz 19 ff. 1. Anwendbarkeit Mangels auf- oder abdrängender Sonderzuweisung ist § 40 I 1 VwGO anwendbar. 2. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit a) Begehren des Klägers Ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt beurteilt sich nach dem Begehren des Klägers (Streitgegenstand). Der Streitgegenstand stellt dann eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit dar, wenn sich das Begehren des Klägers nach Normen des öffentlichen Rechts beurteilt. Hier begehrt G den Ausgangsbescheid vom 16.07. und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts vom 06.09., die ein Ordnungsgeld beinhalten, aufzuheben. Sollte sich dieses Begehren nach Normen des öffentlichen Rechts beurteilen, so liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 4 Repetitorium Kern Öffentliches Recht Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht b) Normen des öffentlichen Rechts Das Ordnungsgeld beurteilt sich vor allem nach der GemO. Da durch die GemO unmittelbar Behörden, also Träger der Hoheitsgewalt berechtigt und verpflichtet werden, handelt es sich bei den Normen der GemO um Normen des öffentlichen Rechts. 3. Nichtverfassungsrechtlicher Art Da sich keine Verfassungsorgane über Verfassungsrecht streiten, liegt auch eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor. VwGOSkript Rdz. 32 Der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 I 1 VwGO ist daher eröffnet. II. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO 1. Beteiligtenfähigkeit, § 61 VwGO a) G ist als natürliche Person gemäß § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO in ihrer Funktion als Kläger beteiligtenfähig. b) Die Gemeinde Z ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO i.V.m. § 1 IV GemO in ihrer Funktion als Beklagter beteiligungsfähig. 2. Prozessfähigkeit, § 62 VwGO a) G ist gemäß § 62 I Nr. 1 VwGO, §§ 2, 104 BGB geschäfts- und daher auch prozessfähig. b) Die Gemeinde Z selbst ist als juristische Person des öffentlichen Rechts prozessunfähig. Sie wird gemäß § 62 III VwGO i.V.m. § 42 I 2 GemO vom Bürgermeister vertreten. III. Statthafte Klageart 1. Begehren des Klägers Ausgangspunkt für die Ermittlung der statthaften Klageart ist das Begehren des Klägers denn aus diesem Begehren ergibt sich der Klagegegenstand, § 88 VwGO. Hier begehrt G die Aufhebung des Ausgangsbescheids vom 16.07. und des Widerspruchsbescheids vom 06.09. 2. Anfechtungsklage gemäß § 42 I 1 Alt. 1 VwGO a) Statthafte Klageart könnte nach dem Begehren des Klägers die Anfechtungsklage gemäß § 42 I 1 1.Alt. VwGO sein. Die Anfechtungsklage gemäß § 42 I 1.Alt. VwGO ist dann die einschlägige Rechtsschutzform, wenn die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt wird. Gegenstand der Anfechtungsklage ist dabei der Ausgangsbescheid in der Form die er durch den Widerspruchsbescheid erlangt hat, § 79 I Nr. 1 VwGO. Maßgeblich ist daher, ob der Bescheid vom 16.07. ein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 LVwVfG i.V.m. § 1 I LVwVfG, § 1 I Nr. 1 BVwVfG ist. b) Nach der gesetzlichen Definition in § 35 Satz 1 LVwVfG ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Es handelt sich hier um eine einseitige, hoheitliche Maßnahme der Gemeindeverwaltung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (s.o.), die deshalb auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist, weil zwischen G und der Stadt, die durch ihre Verwaltung handelt, insoweit kein innerorganisatorisches Rechtsverhältnis besteht. Der Ordnungsgeldbescheid richtet sich gegen das Privatvermögen und überschreitet damit den organinternen Rechtskreis (Bauer/Böhle/Masson/Samper, a.a.O., Art.48 Rdnr. 12). © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 5 VwGOSkript Rdz. 53 ff. Repetitorium Kern Öffentliches Recht Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht Die Anfechtungsklage ist daher statthaft. IV. Klagebefugnis, § 42 II VwGO Als Adressat eines belastenden VAs ist G klagebefugt i.S.v. § 42 II VwGO, da die Zahlungsfestsetzung und -aufforderung sie in ihrem durch Art. 2 I GG geschützten Vermögen belastet. V. Ordnungsgemäße und erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens, § 68 VwGO Das gemäß § 68 I VwGO erforderliche Vorverfahren wurde form- und fristgerecht, sowie erfolglos durchgeführt. Merke: G muss nicht gegen den Widerspruchsbescheid und dessen Verböserung (zusätzliche EURO 100, 00) erneut Widerspruch einlegen. Dies würde nämlich zur Verschleppung des Prozesses führen und damit das Rechtsstaatsprinzip beeinträchtigen. Außerdem ist der Zweck der §§ 68 ff. VwGO hinsichtlich der Selbstkontrolle der Verwaltung erfüllt, was sich vor allem dem Gedanken des § 68 I 2 Nr. 2 VwGO entnehmen lässt. Unter die Norm fällt daher neben der erstmaligen Beschwer des Widerspruchsführers auch die Verböserung (reformatio in peius) des Ausgangsbescheides (vgl. Kopp/ Schenke, § 68 Rn. 20). VI. Klagefrist, § 74 I 1 VwGO Die Klage muss gemäß § 74 I VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. 1. Zustellung des Widerspruchsbescheids, §§ 74 I 1, 73 VwGO a) Die Zustellung des Widerspruchsbescheids erfolgt gemäß § 73 III 1, 2 VwGO i.V.m. § 56 II VwGO nach den Vorschriften des VwZG (Sart. 110). Diese sind auch dann anwendbar, wenn die Widerspruchsbehörde wie hier eine Landesbehörde ist (vgl. auch § 1 I LVwZG). b) Gemäß § 3 VwZG wurde der Widerspruchsbescheid am 06.09. mittels Postzustellungsurkunde zugestellt. 2. Fristbeginn Gemäß §§ 74 I 1, 57 II VwGO, 222 I ZPO, 187 I BGB begann die Frist am 07.09. zu laufen. 3. Fristdauer Die Klagefrist dauert hier einen Monat, da dem Widerspruchsbescheid eine ordnungsgemäße Belehrung angefügt war; §§ 74 I 1, 73 III, 58 I, II VwGO. 4. Fristende Gemäß §§ 57 II VwGO, 222 I, II ZPO, 188 II 1. Alt BGB lief die Klagefrist am Montag, dem 08.10., ab. An diesem Tag ging die formgerechte Klageschrift (s.o.) ein. Die Klagefrist des § 74 I 1 VwGO wurde gewahrt. VII. Zuständigkeit des Gerichts Das VG ist gemäß § 45 VwGO sachlich und gemäß § 52 Nr. 3 VwGO örtlich zuständig. Zwischenergebnis: Die Anfechtungsklage ist zulässig B) Begründetheit der Klage, § 113 I 1 VwGO Gemäß § 113 I 1 VwGO ist die Anfechtungsklage begründet, soweit der VA rechtswidrig ist und den Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt. Zudem muss sich die Klage gegen den richtigen Beklagten richten. © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 6 Repetitorium Kern Öffentliches Recht I. Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht Richtiger Beklagter, § 78 I Nr. 1 VwGO Entscheidend für die Beklagtenstellung ist als Ausfluss der Dispositionsmaxime (§ 88 VwGO) allein der Klageantrag. Da G ausdrücklich den Ausgangsbescheid und (den zusätzlich belastenden) Widerspruchsbescheid zum Gegenstand seiner Klage gemacht hat (vgl. § 79 I Nr.1 VwGO), beurteilt sich die Passivlegitimation nach § 78 I Nr. 1 VwGO. Ein Fall des 79 II 2 i.V.m. 78 II VwGO liegt nicht vor, da der Widerspruchsbescheid nicht alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage ist. Richtiger Beklagter ist somit die Gemeinde Z als Trägerin der Behörde des Ausgangsbescheids. II. Prüfung der Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides in der Form, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat Mit Widerspruchsbescheid vom 06.09. wies das Landratsamt nicht nur den Widerspruch der G zurück (und bestätigte insoweit den Bescheid der Gemeinde Z vom 16.07.), sondern erhöhte auch noch das Ordnungsgeld von Euro 100,00 auf Euro 200,00. Dies stellt eine sogenannte Verböserung (reformatio in peius = rip) und somit eine zusätzliche Beschwer i.S.v. § 79 II 1 VwGO dar. Das VG ist in derartigen Fällen nicht durch § 79 I Nr.1 VwGO daran gehindert, den Widerspruchsbescheid nur bezüglich der zusätzlichen Beschwer aufzuheben. Daher empfiehlt es sich, die Rechtmäßigkeit der beiden Teile (Ausgangsbescheid und Verböserung im Widerspruchsbescheid) getrennt zu prüfen. 1. Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides (und des diesen bestätigenden Teils des Widerspruchsbescheids) bzgl. der Euro 100,00. a) Rechtsgrundlage Als belastender Akt bedurfte der Ausgangsbescheid gemäß dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes einer Rechtsgrundlage; hierfür kommt §§ 17 IV, 16 III GemO in Betracht: Fraglich ist, ob diese Rechtsgrundlage verfassungsgemäß ist. aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit In formeller Hinsicht (Gesetzgebungskompetenz des Landes, Gesetzgebungsverfahren) bestehen keine Bedenken, da das Land Baden - Württemberg gemäß Art. 30, 70 GG die Gesetzgebungskompetenz besitzt. bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit In materieller Hinsicht berührt zwar das Geheimhaltungsgebot das der G als Privatmensch zustehende Grundrecht aus Art. 5 I 1 GG. Angesichts der Interessen der Stadt kommt diesem Gebot jedoch solches Gewicht zu, dass § 17 IV GemO hier als eine verhältnismäßige Schranke i.S.v. Art. 5 II GG angesehen werden muss. Zwischenergebnis: Verfassungsmäßige Rechtsgrundlage sind daher §§ 17 IV, 16 III GemO. b) Formelle Rechtmäßigkeit aa) Zuständigkeit aaa) Verbandskompetenz Die Verbandskompetenz der Gemeinde Z ergibt sich daraus, dass es sich bei dem Ordnungsgeld um eine Angelegenheit ihres Wirkungskreises i.S.v. § 2 I GemO handelt, da die Rechtsverhältnisse der Gemeinderatsmitglieder betroffen sind. bbb) Organkompetenz © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 7 Repetitorium Kern Öffentliches Recht Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht Gem. § 24 I 2 GemO war der Gemeinderat zuständig, über das Ordnungsgeld zu beschließen. Eine laufende Angelegenheit i.S.v. § 44 II 1 GemO liegt nicht vor. bb) Verfahren aaa) Anhörung, § 28 I LVwVfG Sollte G nicht angehört worden sein, so wäre dieser Fehler mit der Widerspruchseinlegung (Gelegenheit zur Stellungnahme) geheilt, § 45 I Nr. 3 LVwVfG. bbb) Begründung, § 39 I LVwVfG Von einer ordnungsgemäßen Begründung des VAs ist auszugehen. cc) Form, § 37 II LVwVfG Gegenüber der Schriftform bestehen keine Bedenken. Zwischenergebnis: Der Ausgangsbescheid ist formell rechtmäßig. c) Materielle Rechtmäßigkeit aa) Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 17 IV, 16 III GemO aaa) Verletzung von Verschwiegenheitspflichten nach § 17 II GemO: Fraglich ist, ob für G eine derartige Verpflichtung im konkreten Fall bestand: (1) G ist als ehrenamtliches Gemeinderatsmitglied ehrenamtlich tätiger Gemeindebürger (vgl. §§ 15, 32 I 1 GemO). (2) Daher hat sie gemäß § 17 II GemO grundsätzlich über alle ihr bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. G hat von dem Beschluss des Gemeinderates über das Vorhaben des Z bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit Kenntnis erlangt, da sie an der nichtöffentlichen Sitzung des Gemeinderats teilnahm. (3) Die Herstellungsweise der Munition durch Z, war nicht jedermann bekannt (offenkundig) und bedurfte aufgrund ihrer erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung der Geheimhaltung, § 17 II GemO. (4) Diese Geheimhaltungspflicht würde auch bei Rechtswidrigkeit des Gemeinderatsbeschlusses nicht entfallen; denn die Vorschriften der Gemeindeordnung geben dem einzelnen Gemeinderatsmitglied kein Recht, eigenständig und verbindlich darüber zu befinden, ob ein Gemeinderatsbeschluss rechtswidrig ist oder nicht („kein Beanstandungsrecht der Gemeinderatsmitglieder“, vgl. § 43 II 1 GemO). G hätte sich in diesem Fall vielmehr an die Rechtsaufsichtsbehörden wenden können und müssen mit dem Ziel, diese zum aufsichtlichen Einschreiten zu bewegen. (5) Die Geheimhaltungspflicht entfiel auch nicht aufgrund der behaupteten Gesetzeswidrigkeit der Entscheidung des Gemeinderates, das Vertragsangebot in nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln. Abgesehen davon, dass angesichts der Bedeutung der Angelegenheit für die Gemeinde Z diese Entscheidung gem. § 35 I 2 GemO rechtmäßig war, obliegt es auch insoweit nicht der G, darüber zu befinden. (6) Eine Befugnis zur Offenbarung der geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen ergibt sich auch nicht aus einem rückwirkenden Wegfall der Geheimhaltungsbedürftigkeit mit der Erlaubniserteilung: © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 8 Repetitorium Kern Öffentliches Recht Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht Zum einen ist es nicht Aufgabe des einzelnen Gemeinderatsmitgliedes darüber zu entscheiden, ob die Geheimhaltungsbedürftigkeit noch fortbesteht. Hierüber zu befinden ist vielmehr gemäß § 35 II GemO Sache des Bürgermeisters. Zum anderen waren die Tatsachen im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Leserbriefes objektiv noch geheimhaltungsbedürftig, da die Erlaubnis zu diesem Zeitpunkt noch nicht erteilt worden war. Indem G in dem Leserbrief geheimhaltungspflichtige Tatsachen der Öffentlichkeit zugänglich machte, verstieß sie gegen die ihr gemäß § 17 II i.V.m. § 35 II GemO obliegende Geheimhaltungspflicht. bbb) Verschulden G handelte ihrer Verpflichtung nach § 17 II GemO mindestens grob fahrlässig zuwider, § 17 III GemO. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes sind erfüllt. bb) Rechtsfolge des § 16 III GemO Gemäß § 16 III GemO steht es im Ermessen des Gemeinderates, ob und in welcher Höhe er ein Ordnungsgeld verhängt: aaa) Die in § 16 III GemO festgelegte Höchstbetragsgrenze (Euro 1000,00) wurde beachtet. bbb) Die Gemeinderatsmitglieder handelten bei ihrem Beschluss vom 16.07. jedoch ermessensfehlerhaft, da sie zu diesem Zeitpunkt nicht bedachten, dass in einem vergleichbaren Fall ein Ordnungsgeld in Höhe von Euro 200,00 festgesetzt worden war. Dieser Fehler (Ermessensdefizit) führte zu einer Ungleichbehandlung (Ermessensfehlgebrauch); es war eine Selbstbindung der Gemeinderatsmitglieder (Art. 3 I GG) eingetreten, von der sie nur aus sachlichem Grund hätten abweichen können. Zwischenergebnis: Der Ausgangsbescheid ist somit materiell rechtswidrig. 2. Rechtsverletzung der G Der Ausgangsbescheid und der diesen bestätigende Teil des Widerspruchsbescheides sind zwar materiell rechtswidrig; hieraus kann G jedoch keine Rechtsverletzung herleiten, da eine rechtmäßige Sachbehandlung sie noch schwerer getroffen hätte. Es liegt daher keine Rechtsverletzung der G vor. Zwischenergebnis: Hinsichtlich des Ausgangsbescheides (und des diesen bestätigenden Teils des Widerspruchsbescheids) ist die Klage der G daher unbegründet. III. Rechtmäßigkeit des verbösernden Teils des Widerspruchsbescheids 1. Vorliegen einer rip und Zulässigkeit der rip im Widerspruchsverfahren a) Vorliegen einer rip Von Verböserung oder reformatio in peius spricht man. wenn die Widerspruchsbehörde innerhalb des Widerspruchsverfahrens den angegriffenen VA zum Nachteil des Widerspruchsführers ändert. Dies ist hier geschehen, da das Ordnungsgeld von Euro 100,00 auf Euro 200,00 abgeändert wurde. © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 9 Repetitorium Kern Öffentliches Recht b) Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht Zulässigkeit der rip im Widerspruchsverfahren Das Verböserungsverbot ist kein Wesensmerkmal eines jeden Rechtsbehelfsverfahrens. Es ist deshalb auf die Entscheidung des Gesetzgebers abzustellen, welche für das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren fehlt. Für eine rip im Widerspruchsverfahren sprechen aber folgende Gründe: ❒ Der Wortlaut des § 79 II VwGO geht von einer Zulässigkeit der reformatio in peius aus. ❒ Das Widerspruchsverfahren ist beherrscht durch den Grundsatz der Selbstkontrolle der Verwaltung i.V.m. dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, so dass die Widerspruchsbehörde auch zuungunsten des Widerspruchsführers entscheiden darf. ❒ Für eine Zulässigkeit der „reformatio in peius“ im Widerspruchsverfahren spricht, dass dem Vorverfahren Anschlussrechtsbehelfe, die das gerichtliche Rechtsmittelrecht im Interesse des Gesetzmäßigkeitsprinzips und der materiellen Gerechtigkeit als Korrelat und Durchbrechung des Verböserungsverbots vorsieht, unbekannt sind; es kann jedoch nicht angenommen werden, dass das formstrenge Prozessrecht weniger formalistisch ist, als das Verwaltungsverfahrensrecht In den Regelungen der §§ 68 ff. VwGO findet sich somit kein Verbot der rip. Regelmäßig fehlen auch sonstige positiv - rechtliche Spezialregelungen; diese Lücke ist durch Heranziehung der in Konkretisierung der rechtsstaatlichen Verfassungsprinzipien über Gesetzmäßigkeit, Rechtssicherheit und Vertrauensschutz zu gewinnenden Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts zu schließen. Speziell für diese Lücke will das BVwG vergleichend die Grundsätze über die Rücknahme von VAen heranziehen (die nicht unmittelbar anwendbar sind, vgl. § 50 LVwVfG). Damit wird für das BVwG die Zulässigkeit der rip durch den Kernbestand der Grundsätze des Vertrauensschutzes und von Treu und Glauben begrenzt. Zwischenergebnis: Die rip ist in einem Widerspruchsverfahren zulässig. 2. Rechtmäßigkeit der rip Zu unterscheiden ist hierbei die Rechtmäßigkeit hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ der Verböserung: a) Rechtmäßigkeit des „Ob“ der reformatio in peius aa) Rechtsgrundlage: §§ 68, 73 VwGO i.V.m. Gewohnheitsrecht Da eine reformatio in peius eine belastende Maßnahme darstellt. bedarf es nach dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes einer Rechtsgrundlage. Eine solche ergibt sich aus §§ 68, 73 VwGO i.V.m. dem diesen Vorschriften zugrundeliegenden Gewohnheitsrecht bb) Formelle Rechtmäßigkeit aaa) Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde Bei der formellen Rechtmäßigkeit ergibt sich die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde aus § 73 I 2 VwGO. (1) Grundsätzlich ist gem. § 73 I 2 Nr. 1 VwGO die nächsthöhere Behörde die zuständige Widerspruchsbehörde. (2) Im vorliegenden Fall bezog sich der Widerspruch jedoch auf eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinde. Das Landratsamt war gem. § 73 I 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 8 I Satz 1 AGVwGO, § 119 Satz 1 1. Alt. GemO zwar durchaus zuständige Widerspruchsbehörde, hierbei © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 10 Repetitorium Kern Öffentliches Recht Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht jedoch gem. § 8 I Satz 2 AGVwGO auf bloße Rechtskontrolle beschränkt, weil der Landesgesetzgeber bei der Inanspruchnahme der Ermächtigung aus § 73 I 2 Nr. 3 VwGO die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 II GG, 71 LV) beachten musste. (3) Da die Entscheidung über das „Ob“ einer rip eine Ermessensentscheidung darstellt, war das Landratsamt somit im vorliegenden Fall (wie auch in allen übrigen Fällen die das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden betreffen) nicht zuständig, diese Frage zu entscheiden. Ergebnis: Das Landratsamt war nicht zuständig, das Verböserungsermessen zu gebrauchen. Das „Ob“ der rip ist daher formell rechtswidrig. Somit ist eine Anfechtungsklage gegen die Verböserung zulässig und begründet. bbb) Verfahren (hilfsweise) (1) Anhörung, § 71 VwGO Grundsätzlich ist eine Anhörung nach § 71 VwGO nötig. Somit kann sich der Widerspruchsführer einer Verböserung dadurch entziehen, dass er seinen Widerspruch vor Erlass des Widerspruchsbescheids zurücknimmt. Eine Anhörung der G ist hier aber erfolgt. (2) Begründung, § 73 III 1 VwGO Der Widerspruchsbescheid war auch ordnungsgemäß begründet. ccc) Form, § 73 III 1 VwGO Der Widerspruchsbescheid wurde an G per Postzustellungsurkunde ordnungsgemäß zugestellt. Zwischenergebnis: Insgesamt ist das „Ob“ der rip formell rechtswidrig. cc) Materielle Rechtswidrigkeit aaa) Tatbestandsvoraussetzungen (1) Zulässigkeit des Widerspruchs Eine reformatio in peius setzt einen zulässigen Widerspruch voraus, denn sollte der Widerspruch unzulässig sein. ist er abzuweisen und eine Sachentscheidung nicht mehr möglich. Auf die Zulässigkeit des Widerspruchs kommt es aber nicht an, wenn man mit dem BVwG davon ausgeht. daß die Widerspruchsbehörde „kraft ihrer Sachherrschaft“ auch einen verfristeten Widerspruch sachlich verbescheiden darf. Wie oben bereits dargestellt wurde, ist das Widerspruchsverfahren von G ordnungsgemäß durchgeführt worden. Ein zulässiger Widerspruch liegt daher vor. (2) Unbegründetheit des Widerspruchs Trotz der Rechtswidrigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts muss der Widerspruch deshalb unbegründet sein, weil die Rechtswidrigkeit den Widerspruchsführer nicht in seinen Rechten verletzt. Ist der Widerspruch zulässig und begründet, ist die Widerspruchsbehörde verpflichtet, dem Widerspruch stattzugeben und den Ausgangsbescheid aufzuheben. Eine Verböserung ist in solchen Fällen unzulässig. © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 11 Repetitorium Kern Öffentliches Recht Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht Hier ist der Ausgangsbescheid zwar rechtswidrig, da aber G dadurch nicht in ihren Rechten verletzt wird, ist der Widerspruch unbegründet. Somit liegt auch diese Voraussetzung vor. bbb) Rechtsfolge Als Rechtsfolge liegt es im Ermessen der Widerspruchsbehörde, ob sie eine Verböserung vornimmt. Den Anforderungen dieses rechtsstaatlichen Vertrauensschutzmodells genügt die obergerichtliche Rspr. dadurch, dass sie zwar im Regelfall den Vorrang des Gesetzmäßigkeitsinteresses betont, den Richter aber gleichwohl für verpflichtet hält, der Frage nachzugehen, ob nicht einer der (seltenen) Ausnahmefälle vorliegt, in denen der Vertrauensschutzgedanke zu einem Verböserungsverbot führt Ein derartiger Ausnahmefall liegt erst dann vor, wenn die Verböserung „zu nahezu untragbaren Verhältnissen für den Betroffenen führen würde“. Begründet wird der grundsätzliche Vorrang des (öffentlichen) Interesses an einer gesetzmäßigen Verwaltung damit, dass der Betroffene den Ausgangsbescheid mit dem Widerspruch angefochten und damit selbst die Aufrechterhaltung dieses Bescheids in Frage gestellt und ihm die Eignung als Grundlage eines schutzwürdigen Vertrauens genommen hat. „Wer einen Bescheid anficht, muss grundsätzlich auch die Verschlechterung seiner Position in Kauf nehmen und kann deshalb ein entgegenstehendes schutzwürdiges Vertrauen auf Grund dieses Bescheids nicht bilden“ (BVerwGE 67, 134). Hier hat G mit ihrem Widerspruch selbst die Ursache für die Unbeständigkeit des ergangenen VAs gesetzt; sie verdient daher keinen (Vertrauens-) Schutz, so dass die Entscheidung über das „Ob“ der rip materiell rechtmäßig ist. Zwischenergebnis: Das „Ob“ der rip ist materiell rechtmäßig, aber formell rechtswidrig. b) Rechtmäßigkeit des „Wie“ der reformatio in peius aa) Rechtsgrundlage Die Rechtsgrundlage für die neue (stärker belastende) Sachentscheidung folgt aus dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht, also hier aus §§ 17 IV, 16 III GemO. bb) Formelle Rechtmäßigkeit Bzgl. der formellen Rechtmäßigkeit kann nach oben verwiesen werden. Auch hier wäre die Widerspruchsbehörde zur Entscheidung nicht zuständig gewesen (s.o.) cc) Materielle Rechtmäßigkeit Diese Entscheidung kann somit, je nachdem, welche Normen zur Anwendung kommen, eine gebundene oder eine Ermessensentscheidung sein. Wie bereits oben dargestellt wurde, hätte auf Grund der Selbstbindung des Gemeinderates ein rechtmäßiger Ordnungsgeldbeschluss über Euro 200,00 gelautet, so wie nunmehr auch durch die Widerspruchsbehörde festgesetzt. Die Entscheidung hinsichtlich des „Wie“ der Verböserung ist somit materiell rechtmäßig, aber formell rechtswidrig. Ergebnis: Der Widerspruchsbescheid ist (formell) rechtswidrig hinsichtlich des verbösernden Teils, da die Widerspruchsbehörde nicht zuständig war, über die rip zu entschei- © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 12 Repetitorium Kern Öffentliches Recht Baden - Württemberg Fall 10 Kommunalrecht den. G ist dadurch in ihrem Recht aus Art. 2 I GG verletzt. Die Klage ist nur hinsichtlich des verbösernden Teils (zusätzliche 100,00 Euro) begründet. Kontrollfragen KR 10.1 Was versteht man unter einer reformatio in peius? KR 10.2 Bei welchen Rechtsbehelfen ist eine reformatio in peius zulässig? KR 10.3 Erstellen Sie ein Prüfungsschema für die Rechtmäßigkeit der reformatio in peius! KR 10.4 Warum muss ein Widerspruch bei einer reformatio in peius zulässig, aber unbegründet sein? KR 10.5 Wann ist § 78 II VwGO einschlägig? KR 10.6 Wo ist die Verschwiegenheitspflicht der Gemeinderatsmitglieder geregelt? © Ch. Langgartner/ M. Weible 2 Seite 13