Dokument COM(2011) 615 final
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Dokument COM(2011) 615 final
Stellungnahme des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung mit gemeinsamen und allgemeinen Bestimmungen über die EU-Struktur- und Kohäsionsfonds [Dokument COM(2011) 615 final/2] (Stand: 17. September 2012) Zusammenfassung Im Rahmen der Struktur- und Kohäsionsfonds wurden in der Finanzperiode 2007-2013 ca. 75 Mrd. € (28%) für den Verkehrssektor und ca. 50 Mrd. € (19%) für den Umweltschutz zur Verfügung gestellt. Von diesen Mittelzuweisungen flossen etwa zwei Drittel, d.h. ca. 80 Mrd. €, in die mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten ab, ein großer Teil wurde für große und mittelgroße Bauvorhaben verwendet (vgl. Anlage). Die deutsche Bauindustrie kritisiert in diesem Zusammenhang, dass in einigen osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten bei mit EU-Strukturfondsmitteln finanzierten Ausschreibungen seitens der nationalen Vergabestellen unfaire Vertragsbedingungen vorgeschrieben werden, die nicht dem internationalen Standard für einen fairen Bauvertrag entsprechen. Dies hat zur Folge, dass sich deutsche (und andere westeuropäische Bauunternehmen) schrittweise aus den entsprechenden Baumärkten zurückziehen. Aus Sicht der Bauindustrie sind faire Vertragsbedingungen eine Grundvoraussetzung für eine europaweite Teilnahmebereitschaft und für einen ordnungsgemäßen Mittelabfluss im Rahmen der EU-Strukturfonds. Die europäischen Bauverbände FIEC und EIC hatten sich bereits im Mai 2011 in dieser Angelegenheit an die EU-Kommissare für Regionalpolitik und Binnenmarkt gewandt. Die EU-Kommission sieht indes wegen der fehlenden Rechtsgrundlage im EU-Sekundärrecht keinen Handlungsbedarf. Mit Blick auf den neuen Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 schlägt der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie deshalb vor, die Verwendung von fairen Vertragsbedingungen als einen separaten Erwägungsgrund in die Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds, für die der Gemeinsame Strategische Rahmen gilt, sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates hineinzuschreiben. 1 Im Einzelnen Bei der Erbringung von Bauleistungen außerhalb ihres Heimatmarkts sind die international tätigen deutschen Bauunternehmen auf das Vorhandensein fairer und ausgewogener Vertragsbedingungen vor Ort als Basis für eine professionelle Beziehung zum lokalen Auftraggeber und zu den lokalen Behörden sowie für die korrekte Projektdurchführung angewiesen. Anerkannte nationale Musterbauverträge, wie z.B. die VOB/B in Deutschland, die CCAG in Frankreich und Belgien, die ICE-Bedingungen in Großbritannien, das DPR 207/2010 in Italien, die ÖNORM B2110 in Österreich, die UAV 1989 und 2012 in den Niederlanden, die AB 92 und ABT 93 in Dänemark, übertragen daher ein jedes Risiko derjenigen Vertragspartei, die es am besten bewältigen kann. Im Bereich der internationalen Bauprojekte gelten die seit 1957 von der Internationalen Vereinigung der Beratenden Ingenieure (FIDIC) herausgegebenen Standardverträge – insbesondere das FIDIC 1999 „Red Book“ [Muster-Vertragsbedingungen für Bauarbeiten] und das FIDIC 1999 „Yellow Book“ [Muster-Vertragsbedingungen für Anlagenbau und schlüsselfertige Bauarbeiten] – als faire Musterbauverträge, welche die Risiken ausgewogen zwischen den Bauvertragsparteien verteilen. Diese beiden FIDIC-Standardverträge wurden vor mehr als einem Jahrzehnt auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern eingeführt, als diese Länder die ersten finanziellen Mittel von der Europäischen Union im Rahmen der Programme ISPA und PHARE erhielten. Im Gegensatz dazu widerspricht das FIDIC „Silver Book“ [Musterbauvertrag für Totalunternehmerarbeiten („EPC Turnkey Projects“)] der Vertragsphilosophie einer fairen Risikoverteilung. Die FIDIC selbst empfiehlt die Anwendung dieses Vertragsmuster nur im Rahmen von privatwirtschaftlich finanzierten Infrastrukturprojekten (Projektfinanzierungen) bzw. für solche Projekte, bei denen der Bauunternehmer für ein sehr breiteres Spektrum von Risiken verantwortlich ist. In diesem Kontext betont die FIDIC allerdings, dass seriöse Bauunternehmer die höheren Risiken entsprechend einpreisen und somit höhere Baukosten zu erwarten sind. Dementsprechend wird in der Einleitung zum FIDIC „Silver Book“ ausgeführt, dass die dort beschriebenen Vertragsbedingungen nicht geeignet sind: - wenn dem Bieter nicht ausreichend Zeit und Informationen zur Verfügung stehen, um die Vorgaben des Auftraggebers eingehend zu prüfen sowie eigene Entwürfe, Risikostudien und Schätzungen durchzuführen; - wenn die Bauarbeiten umfangreiche Arbeiten im Tiefbau oder in anderen Bereichen beinhalten, die der Bauunternehmer nicht zuvor inspizieren kann; - wenn der Auftraggeber beabsichtigt, die Arbeiten des Bauunternehmers streng zu kontrollieren oder den Großteil der Bauzeichnungen zu überprüfen; - wenn die Höhe jeder einzelnen Zwischenzahlung von einer offiziellen Stelle oder einer zwischengeschalteten Instanz genehmigt wird. Darüber hinaus hat die FIDIC auch öffentlich erklärt, dass die Bedingungen ihres „Silver Books“ nicht für öffentliche Ausschreibungen vorgesehen sind! 2 Gleichwohl beobachtet die deutsche Bauindustrie eine wachsende Tendenz unter den Vergabebehörden in den EU-Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa, die über keinen eigenen nationalen Musterbauverträge verfügen, die fairen Allgemeinen Vertragsbedingungen der FIDIC „Red und Yellow Books“ durch unfaire Besondere Vertragsbedingungen auf Basis des FIDIC „Silver Books“ abzuwandeln und dadurch die Risikoverteilung im Rahmen von öffentlichen Bauprojekten, die durch den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), den Kohäsionsfonds (CF) und das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) mitfinanziert werden, zu Lasten des Bauunternehmers abzuändern. Infolgedessen werden zentrale Baurisiken, welche die FIDIC „Red & Yellow Books“ dem Auftraggeber zuweisen, in unangemessener Weise auf den Auftragnehmer übertragen: - Eingeschränkter oder nicht ausreichender Zugang zur Baustelle (Artikel. 2.1) - Fehlerhafte Informationen zur Lage bzw. zur Absteckung der Baustelle (Artikel 4.7) - Verantwortung für unvorhersehbare Bedingungen, vor allem hinsichtlich des Bodengrundrisikos (Artikel 4.10) - Planungsverantwortung (Artikel 5.1) - Finanzielle Schäden aufgrund von Verzögerungen (Artikel 8.7) - Angemessenheit des Vertragspreises (Artikel 14.1) - Kündigung durch den Bauunternehmer (Artikel 16.2) Derartige Änderungen der vertraglichen Risikoverteilung haben nicht nur negative Auswirkungen auf die Vertragssituation des jeweiligen Auftragnehmers, sondern auch auf das generelle Wettbewerbsumfeld in den Ländern Mittel- und Osteuropas sowie auf das jeweilige Projekt selbst. Wenn Modifikationen bei einem Bauvorhaben die ursprünglich vorgesehene Risikoverteilung abändern und die auf den Auftragnehmer übertragenen Risiken übermäßig hoch werden, treten regelmäßig Folgeprobleme auf, wie etwa: - Höhere Bieterpreise; - Scheitern der Ausschreibung und der Projektdurchführung; - Nicht-Teilnahme gewissenhafter und leistungsstarker Bauunternehmen in der Ausschreibung; - Auftragsvergabe an einen Bieter, der scheitert oder die Risiken falsch einschätzt; - Schlechte Bauqualität und Verzögerungen aufgrund von fehlerhafter Einschätzung der Risiken; - Verschlechterung des von gegenseitigem Vertrauen und Respekt geprägten Verhältnisses zwischen dem Auftraggeber und Bauunternehmer; - Vorbringung haltloser Forderungen des Bauunternehmers; - Häufige Streitigkeiten zwischen dem Arbeitgeber und Bauunternehmer; - Große Diskrepanzen zwischen dem angeboten Preis und dem endgültigen Preis; - In extremen Fällen letztendlich die Aufkündigung des Vertrages. 3 Die europäischen Bauverbände FIEC und EIC haben diese nachteilige Vergabepraxis bereits im Mai 2011 den zuständigen EU-Kommissaren für Regionalpolitik und Binnenmarkt vorgetragen. Die EU-Kommission sieht indes – trotz der Beschwerden auch einzelner Bauunternehmen – keine Zuständigkeit für eine Untersuchung der angeblichen Defizite, da die Frage des Vorliegens ausgewogener Vertragsbedingungen nicht durch das sekundäre Gemeinschaftsrecht geregelt sei. Darüber hinaus betont die Kommission, dass nach den Grundsätzen der Strukturfonds die öffentlichen Ausschreibungen in den Mitgliedstaaten vollständig dezentralisiert sind und somit der ausschließlich Zuständigkeit der lokalen öffentlichen Verwaltungen unterliegen. Schließlich sei es den einzelnen Bietern überlassen, ob sie übermäßig hohe Vertragsrisiken akzeptierten oder nicht. Aufgrund dieser politisch wie rechtlich unbefriedigenden Situation, ruft die deutsche Bauindustrie das Europäische Parlament und den Europäischen Rat dazu auf, die aktuellen Verhandlungen über die Rechtsinstrumente der zukünftigen EU-Kohäsionspolitik zu nutzen, um die Auszahlung von Mitteln der EU-Struktur- und Kohäsionsfonds an das Vorliegen fairer Vertragsbedingungen zu knüpfen. Mit der Einführung eines Hinweises auf ausgewogene Vertragsbedingungen im EU-Gemeinschaftsrecht würde die EU nicht nur der langjährigen Vergabepraxis und dem guten Beispiel der Weltbank, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und der Europäische Investitionsbank (EIB) bzw. dem status quo im Baurecht der meisten EU-Mitgliedstaaten folgen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zu einem effizienten und transparenten Mittelabfluss leisten, da sowohl die private Wirtschaft als auch die EU-Kommission die Existenz einseitiger Verträge beanstanden und deren Ursachen und Hintergrund hinterfragen könnten. Petitum des Hauptverbands Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie schlägt vor, einen neuen Erwägungsgrund in die Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds, für die der Gemeinsame Strategische Rahmen gilt, sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates hineinzuschreiben: „Um einen breiten und fairen Wettbewerb für Projekte, die mit Mitteln aus den EUKohäsions- und Strukturfonds finanziert werden, sicherzustellen, muss der zu verwendende Mustervertrag den Zielen und Umständen des Projekts entsprechen. Die Vertragsbedingungen werden so gefasst, dass sie die mit dem Vertrag verbundenen Risiken fair verteilen, mit dem primären Ziel, den wirtschaftlichsten Preis und die effizienteste Vertragsleistung zu erzielen. Dieser Grundsatz gilt unabhängig davon, ob nationale oder internationale Musterbauverträge zur Geltung kommen.“ (vgl. dazu Artikel. 3.24 der EBWE-Beschaffungsrichtlinien und -regeln vom Mai 2010). 4 Stellungnahme des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung zur Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“ [Dokument COM(2011) 665 endgültig] (Stand: 25. September 2012) Zusammenfassung Am 19. Oktober 2011 hat die Europäische Kommission einen Plan vorgelegt, der Investitionen von 50 Mrd. € in die Verkehrs-, Energie- und digitalen Netze Europas vorsieht. Im Rahmen der „Connecting Europe Facility“ werden mehr als 30 Mrd. € in die Modernisierung der europäischen Verkehrsinfrastruktur, die Schaffung fehlender Verkehrsverbindungen und die Beseitigung von Engpässen investiert, davon allein 10 Mrd. € im Rahmen des Kohäsionsfonds für Verkehrsprojekte in den sog. Kohäsionsländern. Die deutsche Bauindustrie ruft in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass in einigen osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten bei mit EU-Strukturfondsmitteln finanzierten Ausschreibungen seitens der nationalen Vergabestellen unfaire Vertragsbedingungen vorgeschrieben werden, die nicht dem internationalen Standard für einen fairen Bauvertrag entsprechen. Dies hat zur Folge, dass sich deutsche (und andere westeuropäische Bauunternehmen) schrittweise aus den entsprechenden Baumärkten zurückziehen. Aus Sicht der Bauindustrie sind faire Vertragsbedingungen eine Grundvoraussetzung für eine europaweite Teilnahmebereitschaft und für einen ordnungsgemäßen Mittelabfluss im Rahmen der EU-Strukturfonds. Die europäischen Bauverbände FIEC und EIC hatten sich bereits im Mai 2011 in dieser Angelegenheit an die EU-Kommissare für Regionalpolitik und Binnenmarkt gewandt. Die EU-Kommission sieht indes wegen der fehlenden Rechtsgrundlage im EU-Sekundärrecht keinen Handlungsbedarf. Mit Blick auf die geplante EU-Verordnung zur Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“ (Dokument COM(2011) 665 endgültig) schlägt der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie im Einklang mit den europäischen Bauverbänden FIEC und EIC (vgl. Anlage) vor, die Verwendung von fairen Vertragsbedingungen sowohl in die Artikel – z.B. neuer Artikel 13a unter Titel I/Kapitel IV [Beschaffungsmaßnahmen] sowie neuer Absatz 1a in Artikel 23 unter Titel I/Kapitel VI [Programmplanung, Durchführung und Kontrolle] – wie auch als neuen separaten Erwägungsgrund – z.B. als Recital 47a – in die Verordnung hineinzuschreiben. 1 Im Einzelnen Bei der Erbringung von Bauleistungen außerhalb ihres Heimatmarkts sind die international tätigen deutschen Bauunternehmen auf das Vorhandensein fairer und ausgewogener Vertragsbedingungen vor Ort als Basis für eine professionelle Beziehung zum lokalen Auftraggeber und zu den lokalen Behörden sowie für die korrekte Projektdurchführung angewiesen. Anerkannte nationale Musterbauverträge, wie z.B. die VOB/B in Deutschland, die CCAG in Frankreich und Belgien, die ICE-Bedingungen in Großbritannien, das DPR 207/2010 in Italien, die ÖNORM B2110 in Österreich, die UAV 1989 und 2012 in den Niederlanden, die AB 92 und ABT 93 in Dänemark, übertragen daher ein jedes Risiko derjenigen Vertragspartei, die es am besten bewältigen kann. Im Bereich der internationalen Bauprojekte gelten die seit 1957 von der Internationalen Vereinigung der Beratenden Ingenieure (FIDIC) herausgegebenen Standardverträge – insbesondere das FIDIC 1999 „Red Book“ [Muster-Vertragsbedingungen für Bauarbeiten] und das FIDIC 1999 „Yellow Book“ [Muster-Vertragsbedingungen für Anlagenbau und schlüsselfertige Bauarbeiten] – als faire Musterbauverträge, welche die Risiken ausgewogen zwischen den Bauvertragsparteien verteilen. Diese beiden FIDIC-Standardverträge wurden vor mehr als einem Jahrzehnt auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern eingeführt, als diese Länder die ersten finanziellen Mittel von der Europäischen Union im Rahmen der Programme ISPA und PHARE erhielten. Im Gegensatz dazu widerspricht das FIDIC „Silver Book“ [Musterbauvertrag für Totalunternehmerarbeiten („EPC Turnkey Projects“)] der Vertragsphilosophie einer fairen Risikoverteilung. Die FIDIC selbst empfiehlt die Anwendung dieses Vertragsmuster nur im Rahmen von privatwirtschaftlich finanzierten Infrastrukturprojekten (Projektfinanzierungen) bzw. für solche Projekte, bei denen der Bauunternehmer für ein sehr breiteres Spektrum von Risiken verantwortlich ist. In diesem Kontext betont die FIDIC allerdings, dass seriöse Bauunternehmer die höheren Risiken entsprechend einpreisen und somit höhere Baukosten zu erwarten sind. Dementsprechend wird in der Einleitung zum FIDIC „Silver Book“ ausgeführt, dass die dort beschriebenen Vertragsbedingungen nicht geeignet sind: - wenn dem Bieter nicht ausreichend Zeit und Informationen zur Verfügung stehen, um die Vorgaben des Auftraggebers eingehend zu prüfen sowie eigene Entwürfe, Risikostudien und Schätzungen durchzuführen; - wenn die Bauarbeiten umfangreiche Arbeiten im Tiefbau oder in anderen Bereichen beinhalten, die der Bauunternehmer nicht zuvor inspizieren kann; - wenn der Auftraggeber beabsichtigt, die Arbeiten des Bauunternehmers streng zu kontrollieren oder den Großteil der Bauzeichnungen zu überprüfen; - wenn die Höhe jeder einzelnen Zwischenzahlung von einer offiziellen Stelle oder einer zwischengeschalteten Instanz genehmigt wird. Darüber hinaus hat die FIDIC auch öffentlich erklärt, dass die Bedingungen ihres „Silver Books“ nicht für öffentliche Ausschreibungen vorgesehen sind! 2 Gleichwohl beobachtet die deutsche Bauindustrie eine wachsende Tendenz unter den Vergabebehörden in den EU-Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa, die über keinen eigenen nationalen Musterbauverträge verfügen, die fairen Allgemeinen Vertragsbedingungen der FIDIC „Red und Yellow Books“ durch unfaire Besondere Vertragsbedingungen auf Basis des FIDIC „Silver Books“ abzuwandeln und dadurch die Risikoverteilung im Rahmen von öffentlichen Bauprojekten, die durch den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), den Kohäsionsfonds (CF) und das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) mitfinanziert werden, zu Lasten des Bauunternehmers abzuändern. Infolgedessen werden zentrale Baurisiken, welche die FIDIC „Red & Yellow Books“ dem Auftraggeber zuweisen, in unangemessener Weise auf den Auftragnehmer übertragen: - Eingeschränkter oder nicht ausreichender Zugang zur Baustelle (Artikel. 2.1) - Fehlerhafte Informationen zur Lage bzw. zur Absteckung der Baustelle (Artikel 4.7) - Verantwortung für unvorhersehbare Bedingungen, vor allem hinsichtlich des Bodengrundrisikos (Artikel 4.10) - Planungsverantwortung (Artikel 5.1) - Finanzielle Schäden aufgrund von Verzögerungen (Artikel 8.7) - Angemessenheit des Vertragspreises (Artikel 14.1) - Kündigung durch den Bauunternehmer (Artikel 16.2) Derartige Änderungen der vertraglichen Risikoverteilung haben nicht nur negative Auswirkungen auf die Vertragssituation des jeweiligen Auftragnehmers, sondern auch auf das generelle Wettbewerbsumfeld in den Ländern Mittel- und Osteuropas sowie auf das jeweilige Projekt selbst. Wenn Modifikationen bei einem Bauvorhaben die ursprünglich vorgesehene Risikoverteilung abändern und die auf den Auftragnehmer übertragenen Risiken übermäßig hoch werden, treten regelmäßig Folgeprobleme auf, wie etwa: - Höhere Bieterpreise; - Scheitern der Ausschreibung und der Projektdurchführung; - Nicht-Teilnahme gewissenhafter und leistungsstarker Bauunternehmen in der Ausschreibung; - Auftragsvergabe an einen Bieter, der scheitert oder die Risiken falsch einschätzt; - Schlechte Bauqualität und Verzögerungen aufgrund von fehlerhafter Einschätzung der Risiken; - Verschlechterung des von gegenseitigem Vertrauen und Respekt geprägten Verhältnisses zwischen dem Auftraggeber und Bauunternehmer; - Vorbringung haltloser Forderungen des Bauunternehmers; - Häufige Streitigkeiten zwischen dem Arbeitgeber und Bauunternehmer; - Große Diskrepanzen zwischen dem angeboten Preis und dem endgültigen Preis; - In extremen Fällen letztendlich die Aufkündigung des Vertrages. 3 Die europäischen Bauverbände FIEC und EIC haben diese nachteilige Vergabepraxis bereits im Mai 2011 den zuständigen EU-Kommissaren für Regionalpolitik und Binnenmarkt vorgetragen. Die EU-Kommission sieht indes – trotz der Beschwerden auch einzelner Bauunternehmen – keine Zuständigkeit für eine Untersuchung der angeblichen Defizite, da die Frage des Vorliegens ausgewogener Vertragsbedingungen nicht durch das sekundäre Gemeinschaftsrecht geregelt sei. Darüber hinaus betont die Kommission, dass nach den Grundsätzen der Strukturfonds die Ausschreibungen in den Mitgliedstaaten der ausschließlich Zuständigkeit der lokalen öffentlichen Verwaltungen unterliegen. Aufgrund dieser politisch wie rechtlich unbefriedigenden Situation, ruft die deutsche Bauindustrie das Europäische Parlament und den Europäischen Rat dazu auf, die aktuellen Verhandlungen über die Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“ zu nutzen, um die Auszahlung von Mitteln der EU-Kohäsionsfonds an das Vorliegen fairer Vertragsbedingungen zu knüpfen. Mit der Einführung eines Hinweises auf ausgewogene Vertragsbedingungen im EU-Gemeinschaftsrecht würde die EU nicht nur der langjährigen Vergabepraxis und dem guten Beispiel der Weltbank, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und der Europäische Investitionsbank (EIB) bzw. dem status quo im Baurecht der meisten EU-Mitgliedstaaten folgen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zu einem effizienten und transparenten Mittelabfluss leisten. Petitum des Hauptverbands Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie schlägt konkret die folgenden Ergänzungen im Dokument COM(2011) 665 endgültig vor: 1. Neuer Erwägungsgrund / Recital 47a: “In order to ensure broad and fair competition for projects benefitting from CEF funds, the form of contract used must be appropriate to the project’s objectives and circumstances. Contract conditions should be drafted so as to fairly allocate the risks associated with the contract, with the primary aim of achieving the most economic price and efficient performance of the contract. This principle applies irrespectively of whether national or international standard forms of contract are used" 1 Deutscher Textvorschlag: “Zur Gewährleistung eines breiten und fairen Wettbewerbs für Projekte, die mit Fördermittel aus der CEF finanziert werden, muss die Vertragsform den Zielsetzungen und Umständen des Projekts entsprechen. Die Vertragsbedingungen sind so abzufassen, dass die mit dem Auftrag verbundenen Risiken in fairer Weise aufgeteilt werden, um wirtschaftlichste Preise und effizienteste Auftragserfüllung zu erzielen. Dieser Grundsatz findet Anwendung unabhängig davon, ob ein nationales oder ein internationales Vertragsmuster angewendet wird.“ 1 cf. Art. 3.24 of the EBRD Procurement Policies and Rules, dated May 2010 4 2. Neuer Artikel 13a: The form of contract to be used shall be appropriate to the objectives and circumstances of the project. General and particular contract conditions shall be drafted so as to fairly allocate the risks associated with the contract, with the primary aim of achieving the most economic price and efficient performance of the contract. This principle applies irrespectively of whether national or international standard forms of contract are used. Deutscher Textvorschlag: “Die Vertragsform muss den Zielsetzungen und Umständen des Projekts entsprechen. Die Allgemeinen und Besonderen Vertragsbedingungen sind so abzufassen, dass die mit dem Auftrag verbundenen Risiken in fairer Weise aufgeteilt werden, um wirtschaftlichste Preise und effizienteste Auftragserfüllung zu erzielen. Dieser Grundsatz findet Anwendung unabhängig davon, ob ein nationales oder ein internationales Vertragsmuster angewendet wird.“ 3. Neuer Absatz 1a in Artikel 23: When a major project does not respect the General Principles defined in Article 13a new, it shall not benefit from CEF funds. The Commission shall provide the Member State concerned the opportunity to bring the project into line with the abovementioned General Principles. Deutscher Textvorschlag: “Wenn ein Großprojekt nicht den allgemeinen Grundsätzen des Artikels 13a entspricht, kann es nicht mit Fördermitteln aus der CEF unterstützt werden. Die Kommission räumt dem betroffenen Mitgliedstaat die Möglichkeit ein, das Projekt mit den obengenannten allgemeinen Grundsätzen in Einklang zu bringen.“ Anlage: Deutscher Text der EBWE-Beschaffungsrichtlinien 5