Mit Peter Brugger, an dessen Leben und Tod vor bald 30 Jahren wir
Transcription
Mit Peter Brugger, an dessen Leben und Tod vor bald 30 Jahren wir
Peter Brugger (1920-1986): Volksmann – Widersacher - Visionär Mit Peter Brugger, an dessen Leben und Tod vor 30 Jahren wir heute erinnern, betrat um 1950 ein neuer Politiker-Typ die Szene in Südtirol. Obwohl er in seinen Ämtern und Möglichkeiten vieles erreichte, lag die eigentliche Bedeutung von Peter Brugger weniger in den Ergebnissen, sondern in seinem Stil und seiner Art, Politik in Südtirol zu gestalten. Bereits seine frühen Auftritte machten klar: Hier trat ein anderer Politiker auf den Plan, der sich von der Vorgängergeneration, aber auch von den meisten Zeitgenossen klar unterschied: volksnah, charismatisch, wortmächtig, wirkte er so ganz anders als die zurückhaltenden, oft grauen Honoratioren, von denen die Parteistuben der fünfziger Jahre bevölkert waren. Eine mitreißende Persönlichkeit, rhetorisch gesattelt, durchtränkt von bäuerlichem Mutterwitz, der seine Herkunft bekundete. Dazu kamen Intelligenz und ein gerüttelt Maß jener Schlitzohrigkeit, die man hierzulande Volksvertretern ebenso abverlangt, wie man sie oft verflucht. Peter Brugger, blieb dem Ort seiner Herkunft, der Ahrntaler Heimat, zeitlebens ebenso verbunden, wie er für die Prägungen seiner Altersgruppe einstand. 1920 geboren, war er Teil der Wehrmachtsgeneration, der zwischen 1915 und 1925 Geborenen, die von Kriegserfahrung und Wehrdienst bleibend bestimmt blieb. Heimat und Generation bildeten neben persönlicher Begabung und den politischen Konstellationen jene vier Eckpunkte, die sein öffentliches Leben charakterisierten. Bruggers private Existenz blieb gefestigt durch tiefen Familiensinn, der sich auf seine Herkunftsfamilie im Ahrntal ebenso richtete wie auf jene Familie, die er selbst mit seiner Frau begründete. Wie bei Hans Dietl oder Franz Widmann galten ihm der Rückhalt seiner Frau und die Kinder als grundnotwendige Quelle der Kraft. Ohne diesen Anker, zumal seiner ebenso hilfsbereiten wie verständnisvollen Frau Luise Zingerle, wäre sein Erfolg nicht denkbar gewesen. Umgekehrt blieben das Selbstgefühl und die Berufswege seiner Angehörigen, zumal der Kinder, aber wohl auch unter der Enkelgeneration, dem Vor- und Gegenbild des Vaters verpflichtet. Peter Bruggers Volksnähe war nicht gekünstelt, sondern Mitgift von Geburt an. Seine Ahrntaler Heimat, das kleine Wollemühle-Anwesen in St. Jakob, konnte ihm wenig anderes mit auf den Weg geben: Die Eltern David und Walburga Seeber waren arm, die Familie groß, die politischen Zeitläufte ebenso mühsam wie das bäuerliche Leben im „Toule“ von Dürftigkeit geprägt. Aber Arbeitsfleiß, Talent und Großherzigkeit, die das „Peterle“, wie der jüngste liebevoll genannt wurde, von zu Hause mitnahm, wogen die fehlende materielle Ausgangsposition mehr als auf. Die Eltern waren klug genug, seine Begabung zu erkennen und schickten ihn in das Vinzentinum, mit großherziger finanzieller Unterstützung durch den Geistlichen Cesare Rossi, einen Spross der Industriellenfamilie Lanerossi in Vicenza. Die „Kiste“ wurde Peter Brugger nicht nur zum Bildungsort, sondern zur Lebensschule. Der gestrenge Lehrkörper, umfassender Lernstoff und hausinterne Disziplin förderten seine Anlagen, bildeten sein Sprachtalent und logischen Verstand aus. Die Ausnahmestellung, die das Vinzentinum in der Epoche des Faschismus als eine der wenigen muttersprachlichen Schulen einnahm, schärften das Bewusstsein des jungen Brugger, einer Minderheit anzugehören, bestärkten aber auch den Wunsch, der Enge und den Schikanen des Regimes entgegen zu treten. Im Vinzentinum erwarb Brugger neben der Matura und einem umfassenden Bildungskorpus auch Kontakte mit Gleichaltrigen aus dem ganzen Land, die als Freundschaften lebenslangen Bestand hatten. Hier schärfte sich auch sein nationales Bewusstsein, bis hin zu einem markanten Deutschnationalismus. Durchaus verständlich für einen jungen Mann seiner Generation, die Sympathien öffneten aber auch Breschen für völkisches Denken und eine gewisse Härte, die sich erst in späteren Jahren zur Konzilianz abschliff, als er sich mit Giulio Andreotti und Francesco Cossiga ebenso freundschaftlich verbunden wusste wie mit manchem kommunistischen Spitzenmann. Der Option für Deutschland folgte die rasche Einberufung zur Luftwaffe am 9. April 1940, kurz vor seinem 20. Geburtstag; anschließend nahezu viereinhalb Jahre Krieg, vielfach an der Luftabwehr, der Flak, über den sich Brugger weitgehend ausschwieg, bis auf die lapidare Erklärung „dass in dieser Zeit keine Mutter ihren Sohn durch meine Schuld verloren hat noch ein Kind seinen Vater.“ Die Gefangennahme durch die Sowjets am 31. August 1944 bedeutete eine bleibende Zäsur für den 24-jährigen, erst recht die anschließende Kommissarschule in Moskau, in die Brugger eintrat, um als antifaschistischer Kader in einem nach dem Krieg, in naher Zukunft befreiten Österreich zu wirken. Da die kommunistische Indoktrination nicht verfing, wurde Brugger zur Zwangsarbeit in einen Steinbruch verbracht, wo er - stets am Rande der Entkräftung - bis Anfang 1947, dem Zeitpunkt der Entlassung verblieb. In Wien angelangt, reiste Brugger nach Innsbruck weiter, wo er zu bleiben gedachte, bis ihm autoritative Gesprächspartner, darunter Viktoria Stadlmayer, die Rückkehr in die Heimat nahe legten. Von der Moskauer Erfahrung blieb lebenslange Abneigung gegen den Kommunismus, den er als inkompatibel mit dem abendländischen Humanismus und dem christlichen Weltbild erachtete, aber auch profunde Kenntnis des dialektischen Materialismus, zudem eine argumentative Schulung, die ihn als eloquentem Debattenredner auch künftig zugute kam. Nach dem drastischen Erfahrungsschub der Jugendjahre fiel es dem 27jährigen nicht schwer, Arbeit zu finden: Der Bauernbund übernahm den dynamischen Heimkehrer, der zugleich ein Jusstudium absolvierte, sich in die SVP einschrieb und als neues Mitglied rasch aufstieg. Denn so schwierig die Zeiten auch waren, so sehr bedurfte die Südtiroler Minderheit in dieser Phase einer neuen Führungsgruppe, eines politischen und administrativen Kaders im mittleren Management, der nach dem weitgehenden Kahlschlag der Zwischenkriegszeit dringend aufzubauen war. Neben den gesetzten Herren der Kontinuität, den um 1895 geborenen Amonn, Raffeiner, Tinzl, Guggenberg, waren die Impulse einer jüngeren Generation dringend gefragt – die große Chance für die Benedikter, Brandstätter, Brugger, Dalsass, Dietl, Ebner, Magnago, Volgger, Widmann, Zelger e tutti quanti, die – alle zwischen 1914 und 1920 geboren - trotz ihrer Jugendlichkeit mit einem gewichtigen Erfahrungskapital aufwarten konnten. Die sog. „Wehrmachtsgeneration“, die nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Gemeindeebene tiefe Spuren hinterließ, war direkt oder indirekt sozialisiert durch den Druck der Regimes, sie stand autoritären Denkund Handlungsmustern ebenso nahe wie kultur- bis deutschnationalen Grundauffassungen, neigte zu gewisser Härte gegen sich selbst und andere. Getrieben von Dynamik, besaß sie doch die Fähigkeit, in langen Zeiträumen zu denken und zu handeln. Klar war auch ihre Geschlechterhierarchie, ihre zeittypische Mentalität, die Frauen in die Sphäre der Familie verwies und ihnen Aufgaben emotional-atmosphärischer Aufhellung zuerkannte, ihnen die Würde und Bürde der Stabilisierung in den Stürmen des Lebens auferlegte, mit zu großer Selbstverständlichkeit und wenig Wahlmöglichkeit für die Frauen, denen aber überragender Anteil am Erfolg ihrer Männer zukam. Vor dem Lebenshorizont dieser Generation lagen nach 1948 weit mehr als 30 Jahre prägender Einflussmacht, bis sie nach 1980 von der Bühne der Protagonisten allmählich in die zweite Reihe abging. So hoch ihr individuelles Talent auch zu veranschlagen ist, so sehr kam ihre Alterskohorte ihrem Aufstieg entgegen, Hypotheken und Lasten des Krieges wurden – bildlich gesprochen – getilgt durch eine lange Friedens-Dividende, die sich zum Erfolg akkumulierte. Nicht umsonst bewies Peter Brugger zeitlebens großes Interesse an historischen Biografien, in die er sich gerne vertiefte, da ihn wohl die Frage umtrieb, was denn eigenes Talent und Verdienst, aber auch Glück und gelungene Konstellation im Leben bedeutender Männer ausmachten. Peter Brugger nahm die Chancen seiner Generation in vollen Zügen wahr, zunächst als Angestellter und Aktivist des im Aufbau stehenden Bauernbunds, zu dessen Festigung der eben 30-jährige grundlegend beitrug. Als Bauernbund-Zonenleiter im Pustertal trieb er Aktivitäten und Mitgliederzahlen nach oben und sicherte dem Bund eine starke Vertretungsmacht. Seinen Brotberuf aber fand er vorerst bei der Region Trentino-Tiroler Etschland, wo er als einer der ersten, deutsch sprachigen Beamter einstand. Erstaunlich rasch öffnete sich ihm auch der Weg in die politische Karriere, als er bereits im November 1952, eben 32 Jahre alt, für den Regionalrat kandidierte. Das gute Wahlergebnis im Mittelfeld der SVP-Riege, verdankte sich auch dem Wohlwollen der “Dolomiten“ und ihres Schriftleiters, Kanonikus Michael Gamper, der große Stücke auf den aufstrebenden youngster hielt; das Resultat trug Brugger sofort in das Amt eines Landwirtschaftsassessors für die Provinz Bozen. Obwohl längst nicht mit jener Fülle von Agenden und Haushaltsmitteln wie heute ausgestattet, diente das Ressort doch als wichtiger Brückenkopf auf dem Weg zu nachhaltiger politischer Verankerung. 15 Jahre lang, von 1952 bis 1967, blieb Brugger Landwirtschaftsassessor und sorgte trotz eingeschränkter Zuständigkeiten im Schatten der Region und eines meist mageren Etats für grundlegende Reformen dieses Südtiroler Kernbereichs. Denn er wusste: Die Landwirtschaft war nicht nur ein tragender Pfeiler der Südtiroler Wirtschaft, sondern auch ein Herzstück Südtiroler Identität, die sich mehr als in anderen Regionen am „Bauernstand“ definierte und aufrichtete. In der ausgedehnten Amtszeit gelang es ihm und einem sorgsam ausgesuchten Mitarbeiterstab, neue Grundlagen zu schaffen, die das Überleben der Berglandwirtschaft ebenso sicherten wie die Marktfähigkeit der Milch-, Obst und Weinverarbeitung, die aber auch die Abwanderung aus ländlichen Räumen in sanften Bahnen verlaufen ließ. Das Brugger’sche Dreisäulenmodell für Südtirols Landwirtschaft setzte auf zentrale Aspekte: Stärkung bäuerlichen Eigentums, Bildung für die Bauernschaft und kommende Generation, gerechte Steuerung und Verteilung der Fördermittel. Die drei Grundausrichtungen blieben einem allgemeinen Leitprinzip zugeordnet - der Freiheit der Bauern, dem Bestreben, ihre Autonomie der Entscheidung und Handlung zu sichern und dem einzelnen anheim zu stellen. Bei der Stärkung des bäuerlichen Eigentums gelangte Brugger fast augenblicklich zu einem ersten, großen Erfolg, da auf sein maßgebliches Betreiben hin der Regionalrat das Höfegesetz verabschiedete, das am 1. April 1954 in Kraft trat. Das Rechtsinstitut des “Geschlossenen Hofes“, das bereits seit Maria Theresia die Unteilbarkeit des bäuerlichen Grundeinheit sicherte, war 1929 aufgehoben worden. Seine Bedeutung lag darin, die Lebensfähigkeit des einzelnen Hofes in der kargen Produktionslandschaft des Alpenraumes gegen freie Teilbarkeit und Zersplitterung abzusichern, einem Haupterben die Eigentumsrechte zu garantieren, zum Nachstand der weichenden Erben, denen aber wichtige Abfertigungsrechte gesichert blieben. Der „Geschlossene Hof“ bildet bis heute nicht nur ein Bauprinzip der bäuerlichen Landwirtschaft unter den erschwerten Bedingungen alpiner Subsistenzökonomie. Er verkörpert auch ein Gemeinschaftsprinzip der Südtiroler Gesellschaft, in der Individualrechte zugunsten langfristiger Ziele und kommunitärer Bauprinzipien zurücktreten. Nicht ohne Härten zu Lasten der Weichenden, aber grundsätzlich einer Perspektive des Gemeinwohls zugeordnet, der Stabilisierung nicht nur des jeweiligen Einzelhofs, sondern auch der Festigung der Ortsgemeinschaft, letztlich des „Geschlossenen Hofes“ Südtirol. Durchaus auch ethnisch eingefärbt, sind doch dem Rechtsinstitut der Vorrang deutschrechtlicher Grundprinzipien über das römische Recht freien Eigentums eingeschrieben. Dass Bruggers Initiative dem seit 1949 eingebrachten Gesetzesentwurf zum Erfolg verhalf, war ein wichtiger Durchbruch für den neu gekürten, eben 34-jährigen Assessor. Dass wenige Jahre später auch die Regelung der bäuerlichen Nutzungsrechte folgte, lag auf derselben Linie und charakterisiert sein analytisches Rechtsempfinden ebenso wie seine Fähigkeit zu praktischen Lösungen hoch komplexer Materien. Wenn Brugger neben der eigentumsrechtlichen Sicherung auch auf Hebung der land- und hauswirtschaftlichen Berufsausbildung abzielte, so war dieses Bemühen gewiss auch eigenen Bildungserfahrungen geschuldet, vor allem aber der aktuellen sozialen Lage im ländlichen Raum Südtirols Mitte der Fünfziger Jahre. In einer Situation massiver Abwanderung aus den Hochtälern, eines erschreckenden human drains seit Beginn der Fünfziger Jahre, einer dramatischen Erosion der bäuerlichen Wirtschaftsgrundlagen musste die beruflichen Grundlagen der Bauernfamilien deutlich gehoben werden, um ihre Lebens- und Existenzchancen auf brüchigem Grund zu festigen. Der Aufbau von Kursen zu bäuerlicher Berufsertüchtigung, vor allem eines Netzes von Landwirtschaftsschulen über das bestehende Dietenheim bis hin zur zunächst ungeliebten Laimburg oder der Fürstenburg war von Bruggers Bewusstsein getragen, dass in der besseren Ausbildung der kommenden Generationen der Hauptschlüssel zur Zukunft lag: Beim absehbaren Bedeutungsverlust der Landwirtschaft und des Rückgangs der Beschäftigten war die Qualifikation der Verbleibenden deutlich zu steigern, um durch Qualität von Arbeit und Produktion Märkte oder zumindest Nischen zu sichern. Dabei führte Brugger 10 Jahre lang einen harten Kampf um mehr Haushaltsmittel, die so mager waren, dass sich die heute wieder arg geschröpfte Landwirtschaft wie ein Krösus ausnimmt. Aus dem Flaschenhals der Region gelangten nur wenige Liremillionen direkt nach Südtirol, sodass alle Hebel in Bewegung zu setzen waren, die Kanäle der Region über Umwege anzuzapfen. Die Verdienste Bruggers im Bereich der bäuerlichen Landwirtschaft waren ohne Frage herausragend: Dank der erzielten Erfolge, seiner Fähigkeit, die Krise des ländlichen Raums zu mildern, dank der rechtlichen und strukturellen Voraussetzungen, die er mit seinen Mitarbeitern in diesem Bereich schuf. Brugger hatte ein gutes Händchen für fähige Mitarbeiter, die er mit Bedacht auswählte und die dank seiner Mentorenschaft Selbstbewusstsein und Autonomie gewannen. Talentierter Nachwuchs wie Burkhard Pohl, Hermann Mantinger, Ernst Watschinger, Norbert Deutsch, Maria Trampusch, formten sich unter Bruggers fördernder Hand, erst recht Peter Gasser, seine rechte Hand in Rom, ganz zu schweigen vom hier anwesenden LH a. D. Ein unkonventioneller, kameradschaftlicher Führungsstil, ein Gegenbild auch zur reservierten, oft zugeknöpften Leadership eines Silvius Magnago. Vor allem aber besaß der „Dr. Brugger“ das rückhaltlose Vertrauen der Bauern, die stets Zugang zu ihm fanden und die er mit dem rechten Ton zu nehmen, zu ermuntern und zu fördern wusste. Seine Volksnähe erwuchs eigener Herkunft und Erfahrung; sie wirkte stilprägend; in der Fähigkeit, eingehend zuzuhören, das passende Wort zu finden und nach Lösungen zu suchen. Eine zuweilen dröhnende Stentorstimme und ermunterndes Lachen, ein Markenzeichen des Dr. Brugger, schufen eine Atmosphäre von Vertrauen, Zuversicht und fallweiser Ausgelassenheit, die die sorgenvolle, oft verbissene Atmosphäre der Zeit auflockerten. Das über 15 Jahre, zwischen 1952 und 1967, getragene Amt eines Landesassessors für Landwirtschaft verdient deshalb besondere Würdigung, da Brugger in diesem Arbeitsfeld jene Kraft schöpfte, die es ihm ermöglichte, politische Auseinandersetzungen, Kämpfe und Härten zu meistern. Die Sacharbeit glich jene Rückschläge aus, an denen es auf dem Feld der Partei- und Autonomiepolitik wahrlich nicht mangelte. Sie war der Jungbrunnen, der politischen Einsatz lohnend machte, abgesehen vom Reservoir an Zustimmung und Wählerstimmen, die das Ressort Landwirtschaft unweigerlich generierte. Denn neben diesem Rückgrat an Wertschätzung und Identität, die das Ressort Landwirtschaft bildete, war das Feld der Landes- und Autonomiepolitik, wo Peter Brugger als maßgeblicher Akteur auftrat, ein Minenfeld, in dem er sich ab 1955 mit ebenso großer Entschiedenheit wie Umsicht zu bewegen hatte. Die Erste Autonomie erwies sich spätestens ab 1955 als Chimäre, als magere Frucht des schwächlichen Pariser Abkommens, das sich sehr viel später erst als Ausgangspunkt einer gestärkten Autonomieregelung bewährte. Der Weg des Abkommens, das damals noch keine Magna Charta unseres Landes, sondern vor allem des Trentino war, zum Brückenkopf tragfähiger Regelungen und der zweiten Autonomie war noch weit, wie wir heute, 70 Jahre später, in aller Deutlichkeit wissen. Bugger war 1952 mit seinen Generationsgenossen stark gewählt worden, um der lahmenden Landesautonomie auf die Sprünge zu helfen. Mit Alfons Benedikter, Joachim Dalsass und Hans Dietl bildete er jenes Quartett der Harten, der „Duri“, das bis um 1970 als Stachel im Fleisch der SVP und der Landespolitik wirkte. Das Quartett der BBDD war eine ebenso notwendige wie lästige innerparteiliche Provokation, aber auch Herausforderung der Landespolitik, das zunächst die Gründergeneration entmachtete und dann den anfänglichen Bundesgenossen Silvius Magnago und sein Lager zu äußersten Anstrengungen der Verhandlung und Vermittlung zwang. Die internen Spannungslagen der SVP waren allemal belastend, bildeten aber einen Spannungsbogen der Dialektik und der Herausforderung, die vorab der Partei, aber auch dem Land wahrlich nicht schadeten. Wenn die SVP lebte und sich in Krisen immer wieder erneuerte, so vor allem dank dieses internen Schlagabtauschs Ebenbürtiger, die sich einließen auf ein programmatisches und personelles Ringen von Rang, von dem – gestatten Sie mir diese Bewertung – heute nur mehr ein Schattenriss verblieben ist. Die vielen Auseinandersetzungen, in denen man sich nichts schenkte, waren gewiss begleitet von unentwegten Ränkespielen, unterfüttert vom Kalkül auf Karrieren und tiefen Verletzungen, ihr inhaltliche Tiefe und die in ihnen aufkochende Leidenschaft brachten aber Südtirol zweifellos voran. Peter Brugger hatte sein eigenes Profil innerhalb der BBDD, der Gruppe der Harten, die keineswegs kompakt agierte. Er war der Populärste unter den Vieren, mehr als der hoch charismatische, misstrauischverschlossene Analytiker und Einzelgänger Dietl, mehr als der bienenfleißige, juristisch und administrativ hyperkompetente, aber zu ambitionierte Alfons Benedikter, mehr als der zurückhaltende Joachim Dalsass. Ihm flogen Sympathien zu, die sich mit wachsendem Alter verstärkten, während Dietl und Benedikter ungeachtet ihrer Meriten an Integrationskraft verloren, teilweise in Isolation abglitten. Brugger war also populär und blieb - bei aller demonstrativen Härte – geneigt zu Kompromissen, im Grunde eher vorsichtig, sichtlich darum bemüht, sich selbst nicht auszugrenzen. Seine Mittlerrolle machte ihn ebenso stark wie auch verdächtig, etwa bei Dietl, der Bruggers Zuverlässigkeit im politischen Härte- und Ernstfall anzweifelte, mitunter gewiss nicht ohne Grund. Dreimal trat die Schlüsselrolle Bruggers mit Nachdruck in den Vordergrund: Einmal 1957 beim innerparteilichen Köpferollen und dem Strategiewechsel rund um Sigmundskron, dann in der langen Phase der Paketdebatte, die zwar 1969 im Meraner Kursaal kulminierte, aber von langen Vorgefechten und Ausläufern begleitet war, schließlich in der Stabilisierungsphase ab 1971, als der Senator und elder statesman volkstumspolitische Rückzugsgefechte mit weltanschaulichen Grundakkorden verband. Der Machtwechsel in der SVP Ende Mai 1957, als die Gründergeneration ob ihrer Nachgiebigkeit und Altersmilde, im Handstreich vom Tapet gefegt wurde, war zweifellos der Regie von Dietl und Franz Widmann zu verdanken. Sie hoben Silvius Magnago als Obmann auf den Schild und besetzten den Parteiausschuss mit Männern ihres Vertrauens, mit wesentlicher Zuarbeit von Brugger und seinem Pustertal. Der politische Richtungswechsel wurde ein halbes Jahr später spektakulär gefestigt durch die Kundgebung von Sigmundskron, die mit dem „Los von Trient!“ die konziliante Haltung gegenüber Trient und Rom beendete und in der Forderung nach Regionalautonomie für Südtirol allein gipfelte. Der von Dietl bereits 1955 gesetzte Schnitt durch seinen Rücktritt als Regionalassessor wurde bis Anfang Jänner 1959 vertieft, als die SVP geschlossen aus der Regionalregierung austrat. In dieser Phase der Verschärfung war die Mittlerrolle Bruggers grundlegend, da er einen völligen Bruch gegenüber Rom und Trient ebenso ausschloss, wie er aber auch andererseits stete Zuspitzung einforderte. Mitwisserschaft und Kenntnis der Attentatsvorbereitungen waren punktuell vorhanden, wenn auch längst nicht in dem Ausmaß wie bei Hans Dietl, auch Kontakte mit Siegfried Steger sind belegt. Aber dass Brugger nach anfänglicher Sympathie seine Ablehnung politischer Gewalt unmissverständlich kundtat, ist gleichfalls gesichert. Ebenso war er einer der ersten, die nach der Verhaftung von Attentätern trotz allgemeiner Leisetreterei staatliche Repression und Folter im Juli 1961 im Regionalrat inkriminierte. Den Weg hin zur ersten Ausformulierung des Pakets seit der Neunzehnerkommission 1964 begleitete Brugger mit wachsender Skepsis, da er ungeachtet aller Fortschritte die internationale Absicherung ebenso vermisste wie er das Durchgriffsrecht des Staates weiter als weitaus zu präsent ansah. Gegen den Verhandlungsstil Magagnos, der ab 1966 in zahllosen Einzelgesprächen mit Ministerpräsident Moro den Weg zu den 137 Paketbestimmungen beschritt, brachten Brugger und Konsorten bereits 1967 einen überschaubaren Forderungskatalog in Stellung, der auf zentrale Schwächen verwies: Fehlende internationale Verankerung, Unterrepräsentation der Minderheit in zentralen Kommissionen, Einspruchsrechte beim Haushalt („Bilanzgarantie“), dürftige Schulautonomie waren Kritikpunkte, mit denen die sich formierenden Paketgegner das juristische Dickicht des Paketdschungels zu erhellen und auf Bürgerniveau herunter zu brechen suchten. Es war ein großes Verdienst der Paketgegner, dass sie Transparenz und Öffentlichkeit einmahnten, von denen die diplomatischen Alleingänge Magnagos weit entfernt waren. Dass Politik in wesentlichen Stücken Kommunikation und Vermittlung ist, war eine wesentliche Brugger-Lektion. Eine Lektion, die er sich aber auch selbst anzueignen hatte, wobei ihm die drängende Nachfrage, die wachsende Diskussionslust seiner heranwachsenden Kinder gewiss auch wesentliche Lernprozesse vermittelte. So sehr die Paket-Gegner unter Regie Bruggers, der zugleich SVP-Vize-Obmann war, gegen den nahenden Abschluss ankämpften, so sehr bangte ihnen auch vor einem allfälligen Sieg ihrer Position. Denn welcher Weg blieb nach einer Ablehnung, welche Alternativen standen offen, wie hätten Wien und Rom reagiert? Peter Brugger stand daher die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, als seine Position nach der Paketschlacht am 22. November 1969 knapp unterlag und Magnagos Pro-Paket Haltung mit 52,9% obsiegte. Der Handschlag Brugger-Magnago war historisch, da er die Geschlossenheit der Partei ebenso besiegelte, wie er die interne Dialektik fortschrieb. Der Handshake der Kontrahenten war aber auch ein später Reflex jenes Keils, den die Option genau 30 Jahre zuvor durch Südtirol getrieben hatte. Das Prinzip Einheit im Pluralismus hatte obsiegt. Magnago hingegen nutzte den starken internen Dissens, um Rom gegenüber mit Nachdruck auf innere Widerstände zu verweisen, mit der die anvisierte Lösung nach wie vor zu rechnen hatte. Brugger blieb auch in den Folgejahren Meister des konstruktiven Dissenses, freilich in einer Gratwanderung, die ihn von bewährten Kampfgefährten tief entfremdete. Bei der parlamentarischen Abstimmung zum Paket 1971, an der er im römischen Senat teilnahm, enthielt er sich der Stimme, während Hans Dietl dagegen stimmte, damit bekundete Brugger eine Form gemilderter Ablehnung, die seine parteiinterne Position nachhaltig festigte, freilich auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Brugger hielt um 1971 an einem Karrierezenit, der nicht mehr weiter nach oben führte: Seit 1968 in den Senat gewählt, war seine Rolle fortan die des zweiten Mannes, der im Machtkampf zwar aufgetrumpft hatte, aber letztlich unterlegen war. Angesehen, respektiert, aber letztlich berechenbar, in Sichtweite des Gipfels von Partei und Land, aber ohne ihn zu erreichen. Dies zeigte sich auch 1971, als er Magnago bei der Wahl zum Obmann nochmals herausforderte, mit einem starken Ergebnis, das aber zugleich auch seine Grenzen auswies. Brugger sah sich Mitte der Siebziger Jahre In einer zwar autoritativen, aber auch ein wenig tragischen Position für einen Mann, der letztlich doch wohl mehr gewollt hatte. Brugger fehlte – dies sei mit Sympathie konstatiert - der absolute Killerinstinkt, jener Wille zum Machterhalt, der in der Politik ganz nach oben trägt, wie uns einer seiner Schüler, der heute im Saale sitzt, in 25 Jahren sattsam gezeigt hat. Aber die Rolle des starken Zweiten ist kaum minder wichtig als jene der Nummer Eins, des Primaten, da sie integrativ wirkt, für Gemeinsamkeit sorgt - in der Gewissheit, dass früher oder später die Stunde des Rückzugs in die zweite, dritte, die letzte Reihe ohnedies unerlässlich ist. Die letzten 15 Jahre in der Politik des Mannes aus dem Ahrntal waren geprägt von der Rolle als Garant und Mentor, im Bewusstsein, zwar noch an vielen Entscheidungen und legislativen Weichenstellungen mitzuwirken, aber grundlegende Ziele nicht mehr zu erreichen. Als parteiinterner Widersacher auch, der aber berechenbar war, der auch attraktive Perspektiven wie ein Mandat in Europa zugunsten der Parteiräson zurück stellte. Dafür gab er in der Nachdenklichkeit eines gereiften Politikers manchen Anstoß, der seine Wirkung nicht verfehlte. Wohl erinnerlich ist meiner Generation, wie Brugger angesichts des kommunistischen Aufstiegs ab 1974 und des drohenden „sorpasso“ der DC im August 1975 genüsslich versetzte: „Falls Italien kommunistisch würde, könne Südtirol das Selbstbestimmungsrecht in Anspruch nehmen.“ Ein süffiger Satz , der wohl platziert Volkstumspolitik und Weltanschauung zur Deckung brachte und europaweit für Aufsehen sorgte, publizistisch dann sekundiert durch seinen jugendlichambitionierten Freund Hans Benedikter, der die These zum Buch ausformulierte. Auf Bruggers politische Vita passt vorzüglich der Satz, mit dem HansDietrich Genscher, der am 31. März verstorbene deutsche Außenminister, die wichtigste Lektion seines Lebens resümierte: Im Blick auf die Ereignisse von Herbst 1989, als er in Prag die Öffnung des Eisernen Vorhangs mit bewirkte, bemerkte Genscher, dass „schwierigste Fragen zu lösen sind, wenn man sich intensiv bemüht Konfrontationen abzubauen.“ Ein schöner Satz, der die Notwendigkeit der Zuspitzung nicht ausschließt, aber zugleich auf den Abbau von Dauerkonfrontation setzt. Brugger verstand es meisterlich zu polarisieren, er wusste zu drohen mit Grollen und Augenrollen, im Grunde aber blieb er dem Ausgleich geneigt und diente damit einem Grundanliegen Südtirols – dem Frieden und friedlichen Lösungen auch in härtesten Zeiten. Hans Heiss