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19.06.16 PSWHH-HP
BELICHTERFREIGABE: -- ZEIT:::
BELICHTER: FARBE:
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
Uns Petrolheads geht es an den Kragen. In
Norwegen sollen ab Mitte des kommenden
Jahrzehnts keine Verbrennungsmotoren mehr
zugelassen werden. Die Holländer wollen folgen.
Was heißt das? Der Druck auf die Autoindustrie,
finanzierbare, familientaugliche oder sehr
sportliche E-Mobile zu bauen, wächst. Porsche hat
sich auf den Weg gemacht. Deren reines E-Auto
kommt erst in zwei bis drei Jahren, der neue
Panamera ist aber auf autonomes Fahren und jede
Menge Digitalisierung gut vorbereitet.
Bis dahin haben wir viel Spaß mit den alten
knatternden Motoren. So wie Benjamin Brandt
mit seiner 3.000-Euro-Ente (Seite 24). Ich habe
ihn abends beim Nachhausefahren als Meister des
Verkehrs entdeckt und kam mit meinem alten
Porsche kaum hinterher. Autoliebe muss nicht
teuer sein. Sie lebt von Sachverstand und Hingabe.
Gute Fahrt!
Ihr ULF POSCHARDT
P.S.: Kritik und Lob bitte wieder an
ulf.poschardt@weltn24.de
ERSTER!
DER NEUE PANAMERA IST RICHTUNGSWEISEND
FÜR PORSCHE (UND ANDERE). WIR WISSEN
DAS, DENN WIR SIND IHN SCHON GEFAHREN
UND ZWAR MIT IHM,
DEM NEUEN PORSCHE-CHEF
OLIVER BLUME
Foto
OLIVER KRÖNING
PSWELT_Dir/PSWELT/PSWHH-HP
19.06.16/1/001 KFISCHE2
Abgezeichnet von:
Abgezeichnet von:
Abgezeichnet von:
Abgezeichnet von:
Chef vom Dienst
Artdirector
Textchef
Chefredaktion
5%
25%
50%
75%
95%
www.volkswagen-allstar.de
WEIL FUSSBALLER BESONDERS
GERN IN KURVEN UNTERWEGS SIND.
Der Scirocco ALLSTAR R-Line.
Kraftstoffverbrauch des Scirocco ALLSTAR R-Line in l/100 km: kombiniert 6,4–4,2, CO₂-Emissionen in g/km: kombiniert 148–109.
Abbildung zeigt Sonderausstattung gegen Mehrpreis.
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SONNTAG, 19. JUNI 2016
A
us heutiger
Sicht und mal
ganz nüchtern
betrachtet
kann ich meine
Fahrzeugwahl
kurz nach der
Wende nicht
wirklich nachvollziehen. Einen Audi 80
wollte 1989 bei uns keiner haben. Ich
natürlich auch nicht. Aber die gerade
eben durch die Scorpions kaputt gesungene Mauer hatte bei den Ossis
einen Heißhunger auf Autos made in
Westdeutschland ausgelöst. Wie Lemminge mäanderten ganze Blechlawinen
von Verbrauchtwagen gen Osten und
trieben die Preise in surreale Drehzahlbereiche. Nach ernüchternden Besichtigungen diverser abgerockter und
völlig überteuerter Opel der WunschBaureihe „C“ fiel nach dem zehnten
Frustbier in unserer Dorfdisko „Kutsche“ der Name Walter Röhrl.
Der Typ hatte es nach seinen Erfolgen auf Opel tatsächlich geschafft, die
damals biedere Marke aus Ingolstadt auf
die linke Spur zu bringen. Ein Grundschullehrerauto als Rallyesieger? Warum
nicht. Ich brauchte dringend einen neuen Schlitten. Außerdem hatte mir Kum-
UNSERE
ELF!
Mehr über unsere
Traumnationalmannschaft auf
pel Frank am Tresen seine ATS-Alufelgen versprochen, wenn ich die nächsten
Runden Jägermeister zahle. Am nächsten Tag blättere ich mit Kopfschmerzen
mein sauer verdientes Geld vom Zeitungsaustragen auf den Laminat-Tisch
beim lokalen Fähnchenhändler. 2.500
deutsche Westmark für einen Typ 81 mit
ehrlichen 90 Tausend Kilometern und
neun Monaten Tüv? Muss man nicht
machen, kann man aber.
Silber-Metallic sollte aber erst 20
Jahre später zum Must-have aller Audifahrer werden, also haben wir die Karre
direkt in Ulfs Garage manövriert. Ulfs
Papa hatte eine amtliche Doppelgarage
mit elektrischem Tor. Die durften wir
für unseren Unfug benutzen. Zuerst
die neuen 15-Zöller montiert, und zwei
Kisten Holsten später strahlte mein
Neuerwerb in der damals einzigen
akzeptablen Farbe: mattschwarz.
Als Highlight zauberten wir noch das
Maskottchen der Punkrock-Kapelle
„Misfits“ auf die Türen. Neues Image
für den Biedermann. Eigentlich alles
kein Problem, wäre mir nicht der
Grundwehrdienst vors Auto gelaufen.
Beim Versuch, die militärische Einrichtung mit dem Punk-Audi zu entern,
erteilte der diensthabende Feldwebel
EINE REISE zurück in die Lehrjahre
einer analogen Zeit. Persönlich und
halb erinnert von Helge Thomsen
KALTSTARTPHASE
Helge Thomsen, Begründer
von „Motoraver“,
Punkrocker und Fernsehstar
TEIL 2: Punkrock mit Frontantrieb
meinem Fahrzeug Kasernen-Verbot.
„SS-Totenkopf auf dem Kasernengelände? Das können Sie vergessen. Denken
Sie an das Image der Bundeswehr.
Wollen Sie ein Disziplinarverfahren?“
Ich will meine Ruhe und parke die
Karre lieber vor dem Eisentor. Nach
dem Wachwechsel hole ich meinen
Beitrag zum Image der Bundeswehr
doch noch in den Sperrbezirk und
fummle nach Dienstschluss in der
Wartungshalle Sidepipes „Marke Eigenbau“ an mein Fahrzeug. Sieht gut
aus, klingt auch gut. Laut, aber unbehelligt verlasse ich zum Wochenende
das Epizentrum der Spaßfreiheit. Kurz
nach der Kaltstartphase stoppt mich
die bereits alarmierte Rennleitung und
quittiert kopfschüttelnd meinen kreativen Custom-Job auf einem amtlichen
Strafzettel: „Auspuffführung geändert.
Austritt vor linkem Hinterrad (extra
laut), 40 Mark.“
Die „Misfits“ und ich lassen uns
davon nicht einschüchtern, zahlen bar
und laden die Kumpels ein auf ‘ne Tour
in die „Kutsche“. Es ist Freitagabend
und wir parken wie immer direkt vorm
Laden. Imageprobleme trotz Frontantrieb können wir dank der
„SS-Totenköpfe“ nicht registrieren,
aber Probleme in der Bierversorgung.
Die Sound-Gebühr in Höhe von 40
Mark bringt unsere Promille-Kalkulation für die Partynacht durcheinander.
Eine sensationelle Tresen-Idee später fahren wir für Schmerzensgeld mit
Vollgas frustrierte Partymenschen nach
Hause, die vor dem Laden vergeblich
auf eine Mitfahrgelegenheit gewartet
hatten. Die Bierkasse wieder gefüllt,
geht’s zurück an den Tresen. Irgendwann im Morgengrauen verlassen wir
das durchgefeierte Trümmerfeld. Mangels nüchterner Führerscheininhaber
entscheidet wie immer das Los. Dann
sitze ich mit bester Laune hinterm 36er
Momo-Lenkrad und starte das bärenstarke 75-PS-Aggregat von Walter
Röhrls Siegerauto.
Weil man aber erfahrungsgemäß in
derartigem Zustand Hauptstraßen
meiden sollte wie der Teufel das Weihwasser, führt der Weg zurück nach
Hause rallyemäßig über bestens bekannte Schleich- und Feldwege. Am
nächsten Mittag ein kurzer Kontrollblick aus dem Küchenfenster: Alles mal
wieder gut gegangen. Danke,
Walter. Danke, Audi.
FÄHRMANN
HUMMELS
MUSTAFI
DRAXLER
REUS
GÖTZE
BOATENG
CAN
ÖZIL
PODOLSKI
KRUSE
SEITE 12/13
Der Wert des Rasens
Deutschland kennt kein Tempolimit und hat die zartesten
Strafen fürs Schnellfahren. Dazu zwei Meinungen
F
un, Fun, Fun“ und „Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der
Autobahn“ – wofür die Beach Boys und Kraftwerk
in aller popkulturellen Entspanntheit und Eleganz
einst standen, ist bei uns einer
Kultur der Aggression gewichen.
Wer auf deutschen Autobahnen
unterwegs ist, für den ist Fun ein
Stahlbad. Die Freude am Fahren
wird denen, die reisen und nicht
rasen wollen, von Dränglern und
Geschwindigkeitsfanatikern genommen. Das ist meine Wahrnehmung und die vieler Menschen,
die ich kenne, nennt uns gern Weicheier, aber so sehen wir das.
Der Diskurs darüber ist verroht.
In Netzdebatten neigen sonst zurechnungsfähige Zeitgenossen zum
Gorillaverhalten. Das Recht des
Stärkeren feiert fröhliche Urständ,
Empathie ist ein Fremdwort, wenn
es ums Auto geht. Die Langsamfahrer seien schuld, heißt es wiederholt, die, die sich frech an die Richtgeschwindigkeit halten,
auch wenn sie sich mal auf die mittlere oder gar auf die
linke Spur ins Raserterrain wagen.
Unsicherheit ist verboten, Schwäche wird bestraft. Jeder ist
sich selbst der beste Autofahrer. Verläuft unser Zusammenleben durch ein paar sinnvolle, gemeinhin anerkannte Regeln
inzwischen weitestgehend zivil, so scheint der Einstieg ins
Auto dem Deutschen eine Lizenz zum Kraftmeiern zu geben.
Dass dies mangels Tempolimit nur in Deutschland so ist,
spornt die Geschwindigkeitsfanatiker noch an. Man ist
stolz auf den teutonischen Sonderweg. Auch bei den Strafen. Lächerlich muten sie an im Vergleich zu zivilisierten
Nachbarländern wie Dänemark und der Schweiz, wo der
Raser drakonisch bestraft wird, bis
hin zur Beschlagnahmung seines
Fahrzeugs. Undenkbar bei uns und
doch sinnvoll. Denn gerade weil wir
kein Polizeistaat sein wollen mit
dauernden Kontrollen, bei denen
immerfort läppische Strafen verhängt werden, muss der bei uns
eher seltene Fall des Erwischtwerdens schmerzhaft und abschreckend sein, wenn sich am Irrsinn
auf deutschen Straßen etwas ändern soll.
Es ist ja nicht nur auf den Autobahnen so: Wer in der Stadt 50
fährt oder es wagt, beim Abbiegen
mal zeitig abzubremsen, um zum
Beispiel besser auf Radfahrer achtzugeben, wird bedrängt und behupt. Tempo 30 vor Schulen, Kindergärten, Spielplätzen? Wird ignoriert.
Mich widert dieses Verhalten an, sage ich Ihnen ganz
ehrlich. Jenseits aller Opferstatistiken, die sich über die
Jahrzehnte wegen des technischen Fortschritts positiv entwickeln, habe ich damit ein ästhetisches, ein moralisches,
ein zivilisatorisches Problem. Und das ist bei mir größer als
meine grundsätzliche Abneigung gegen Strafen.
pro
Ich fordere
höhere
Bußgelder
Markus Hesselmann ist Chefredakteur Online beim Berliner
„Tagesspiegel“ und hat gar kein Fahrrad.
I
m vergangenen Jahr bin ich einen Monat lang zu Fuß
gegangen. Mein Führerschein war weg, weil ich zu schnell
gefahren war. Das tat weh, die 160 Euro Bußgeld
schmerzten ebenfalls, auch wenn es natürlich stimmt, dass
die deutschen Bußgelder die niedrigsten in Europa sind. Und
das ist auch gut so. Denn ich halte es angesichts des Stigmas
(Raser!), das zu diesen Strafen gehört, für ungemein tröstlich, dass die soziale Ächtung nicht noch mit finanziellem
Ruin einhergeht.
Im Strafrecht ist es so: Die Strafe muss tat- und schuldangemessen sein. Das würde ich mir auch für die Ordnungswidrigkeiten beim Autofahren wünschen. Mein Fahrverbot
hatte ich mir eingehandelt, indem ich
130 statt 80 fuhr, aber mehr aus Versehen, weil ich Schilder falsch interpretiert hatte. Die persönliche Schuld
war also gering, und die Tat (ich fuhr
das einzige Auto auf einer leeren
Autobahn) beschwor nicht ansatzweise eine Gefahr herauf.
Dagegen sähe ich jemanden, der
in einer 30er-Zone vor einer Schule
50 fährt, gern für drei Monate im
Kerker, bei Wasser und Brot.
Aber es geht ja hier um die Autobahn. Ich fahre ungefähr 25.000
Kilometer im Jahr darauf, ich sehe
ab und zu ein paar Idioten, aber den
viel beschworenen Krieg auf der
Autobahn nehme ich nicht wahr. Ich
empfinde das Fahren auf der Autobahn auch nicht als anstrengend
oder beängstigend. Große Geschwindigkeitsunterschiede
sind für mich ein Gleichnis auf das Leben und außerdem ein
Ansporn, aufmerksam zu bleiben. Und wer sich mit seinem
Auto nicht im Geschwindigkeitsbereich von 120 bis 180
km/h aufhalten kann, ohne schweißnasse Hände zu bekommen (das ist ja auch eine Sache der Konzentration),
sollte die Autobahn eher meiden, statt ein niedriges Tempolimit und hohe Bußgelder zu fordern.
Ich selbst habe mir ein persönliches Limit auferlegt und
stelle den Tempomat auf 160 km/h ein. Diese Geschwindigkeit halte ich, solange es möglich ist, in limitierten Zonen
passe ich mich natürlich an. Weil ich aber keine Vollbremsung mache, wenn ich an einem
120er-Schild vorbeikomme, sondern locker ausrollen lasse, werde
ich manchmal auch geblitzt, was
ich aber ertrage. Derzeit warte ich
noch auf zwei Bußgeldbescheide,
im Jahr sind es so vier bis sechs.
Wäre der Preis höher, müsste ich
mein Verhalten wohl umstellen.
Was mich sehr ärgern würde.
Ich bin nämlich kein Raser, ich
will nur schnell ans Ziel. Und
wenn ich dabei mal einen Flüchtigkeitsfehler mache, dann möchte
ich deswegen weder an den Pranger gestellt noch mit schmerzhaften Strafen belegt werden.
contra
Abgelehnt!
Bußgelder in
Ruhe lassen!
IMPRESSUM
Stefan Anker ist als Autor und Fotograf Teil des „PS WELT“-Teams. Er
kann einfach nicht aus seiner Haut.
Artdirektion André M. Wyst
Chefredakteur Stefan Aust
Bildredaktion Stefan A. Runne
Redaktionsleitung Dr. Ulf Poschardt (V.i.S.d.P)
Layout Katja Fischer
Redaktion Guido Bellberg, Stefan Anker
Schlussredaktion Sarah Scheibenberger
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DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
LADA KALINA II CROSS
LEISTUNG: 98 PS, HUBRAUM: 1,6 L,
0-100 KM/H: 12,7 S, VMAX: 169 KM/H,
GRUNDPREIS: 10.690 €
DER OSTEN KOMMT
Luxuslimousinen, Edelcabrios und Sportwagen
– unsere Tester sind eindeutig verwöhnt. Höchste Zeit, sie
wieder auf den harten Boden der Tatsachen zu holen.
Ihre Mission heute: DREI DER GÜNSTIGSTEN NEUWAGEN, die
man für Geld kaufen kann, einem harten Alltagstest
in Westberlin zu unterziehen. Kein Problem für Henryk M. Broder,
Guido Bellberg und Chico, den Hundetester
Von HENRYK M. BRODER
und GUIDO BELLBERG
Fotos JOHANNES ARLT
SONNTAG, 19. JUNI 2016
DACIA DOKKER
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0-100 KM/H: 12,7 S, VMAX: 170 KM/H,
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0-100 KM/H: 13,6 S, VMAX: 172 KM/H,
GRUNDPREIS: 8.990 €
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DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
Cooler Russen-Style im Lada,
zen-mäßig aufgeräumter
Motorraum im Mitsubishi und
japanisch-französische Energiezufuhr im rumänischen Dacia
Johannes Arlt(8)
Das Auto, unser bester
Freund, sorgte für pünktliche
Haustierzustellung – gute
Laune im Hundesalon King
MEHR DEMOKRATIE im Alltag wagen
W
Von
HENRYK M. BRODER
as, du fährst einen Lada?“,
wundert sich mein Freund Hans-Herrmann, als hätte ich
ihm gerade gebeichtet, dass ich auf dem Weg nach Wanne-Eickel bin, um dort Ferien zu machen. Wir kennen
uns schon eine Weile, und er traut mir vieles zu, nur
nicht so was.
„Der Teufel trägt Prada, der Tölpel fährt Lada“, legt
Hans-Herrmann nach. Ich überlege, ob ich sagen soll:
„Mein Lieber, wir trinken kalifornische Weine, australische Biere, finnischen Wodka, holländischen Kakao,
wir essen französischen Käse, schweizerische Schokolade, bayerischen Leberkäs, polnische Würste, wir kaufen
schwedische Möbel, japanische Kameras, Oliven aus
Griechenland und in China hergestellte Computer. Was
spricht dagegen, dass ich ein Auto aus Russland fahre?
Ich leiste damit einen Beitrag zur Völkerverständigung.“
Aber ich sage es nicht. Denn Hans-Herrmann hat sich
festgelegt: „Der Teufel trägt Prada, der Tölpel fährt Lada“, wiederholt er.
Tatsächlich liegt er nicht ganz daneben. Autofahren ist
inzwischen vor allem eine Image-Angelegenheit. Kein
Mensch kauft sich einen Mini, weil es ein schönes oder ein
praktisches Auto ist. Der Mini ist ein Statussymbol. Er
symbolisiert teures Understatement. „Schaut her, ich kann
es mir leisten, ein kleines Auto zu fahren, obwohl ich für
das gleiche Geld ein SUV von Toyota bekommen könnte!
Aber ich habe es nicht nötig!“ Gleiches gilt für Leute, die
einen Smart fahren, ein Auto, das so praktisch ist wie eine
Bratpfanne ohne Griff. Es geht aber auch umgekehrt.
Dacia, ein französisch-rumänisches Joint-Venture, hat
innerhalb einer kurzen Zeit mit einem genialen Werbeslogan einen Einstieg in den deutschen Markt geschafft: „Das
Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen.“
Vor vier Jahren, 2012, haben die Franzosen zudem 75 Pro-
zent der Anteile an dem Konzern übernommen, der Lada
produziert. Damit ist jeder Lada zu drei Vierteln ein Franzose und nur noch zu einem Viertel ein Russe, aber das
sollte dem Gedanken der Völkerfreundschaft keinen Abbruch tun.
Zwischen dem Lada Kalina und mir hat es jedenfalls
gefunkt, kaum dass ich den Schlüssel in das Schloss gesteckt habe. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Wir Ostler
erkennen einander. Obwohl der Kalina eigentlich kein
typischer Lada ist. Die Sitze sind bequem, das Armaturenbrett ist übersichtlich, der Motor läuft leise, ohne zu stottern, die Gänge lassen sich leicht einlegen, es gibt eine
Klimaanlage und einen Anschluss für einen USB-Stick. Vor
allem aber – der Kalina riecht nicht so, wie früher Autos
aus dem Osten gerochen haben, nach Machorka, Mottenkugeln und angebrannter Milch.
Äußerlich ähnelt er einem neuen Skoda, innerlich einem
Polo der vorletzten Generation. Ein schnörkelloses Vierrad, dessen Konstrukteure vor allem an die Nutzer und
nicht an die Stylingfetischisten gedacht haben. Man weiß,
dass man Birkenstocksandalen anhat, aber sie fühlen sich
an wie Sneaker von Nike.
Wer allerdings in fünf Sekunden von null auf hundert
beschleunigen, auf Sylt eine Riesenwelle angeben oder bei
Schumann’s in München vor der Tür parken möchte, der
wäre mit einem Lada Kalina nicht gut bedient. Dafür muss
man keine Angst haben, wenn man ihn unverschlossen vor
einem Aldi in Neukölln stehen lässt. Ich mag solche im
guten Sinne anspruchslosen Autos, so wie ich das Essen in
der Ikea-Kantine und bei KFC mag.
Und das ist nicht nur eine Frage des Geschmacks. Es
geht auch darum, mehr Demokratie im Alltag zu wagen.
Die drei Autos, die wir für diese Ausgabe gefahren haben, machen es auch Menschen mit schmalen Geldbörsen
möglich, ein eigenes Auto zu besitzen. Das mag unter dem
Gesichtspunkt des Car-Sharings und des Umweltschutzes
ein wenig reaktionär klingen, aber es kommt dem menschlichen Verlangen nach etwas Eigenem entgegen, das man
nicht mit anderen teilen muss. Das erklärt auch die ungebrochene Liebe zu einem Eigenheim am Stadtrand,
obwohl alles dagegen spricht. Das Auto ist der Inbegriff
des frei verfügbaren Eigentums. Mir ist ein Auto, das 20
Stunden am Tag unbenutzt herumsteht, lieber als eines, in
dem ich die olfaktorischen Rückstände des Vorbenutzers
riechen kann.
„Zwischen dem
Lada und mir
hat es gefunkt“
Der Lada ist bestimmt nicht das vollkommene Auto. Ich
bin mir nicht sicher, ob ich damit von Berlin nach Neapel
fahren möchte. Aber für die Fahrt von Berlin nach WanneEickel würde ich ihn allemal lieber nehmen als die Bahn
oder den Bus. Und wer weiß, vielleicht ist auch WanneEickel besser als sein Image.
H
Von
GUIDO BELLBERG
eute haben wir uns mächtig etwas
vorgenommen: Wir wollen drei Autos aus dem Osten
einem Alltagshärtetest im Westen unterziehen. Dazu haben wir einen Russen, einen Japaner und einen (französischen) Rumänen, mit denen wir beim Polen einkaufen,
beim Italiener essen und beim Westberliner Hundehaare
schneiden lassen wollen. Berlin voll international. Endlich.
Bevor wir uns allerdings in Bewegung setzen können,
heißt es erst einmal die Autos in der Tiefgarage finden.
Ehrlich, dieses Schlüssel-Chaos macht mich noch völlig
wuschig: drei Schlüsselbündchen für die Testwagen, der
Schlüssel meines eigenen Autos, Handy, Laptop, Kamera
und ein bunter Strauß Parktickets – was zu viel ist, ist zu
viel. Aber immerhin zahlt sich die Erfindung der elektrischen Funkfernbedienung voll aus, denn nach wildem
Drücken auf alles, was auch nur entfernt an einen Autoschlüssel erinnert, melden sich immerhin zwei der drei
Autos zum Dienstantritt. Sowohl Mitsubishi als auch Lada
blinken freudig, als sie Broder, Chico, den Hund, und mich
sehen. Nur der Dacia, der auch irgendwo geparkt sein
muss, schweigt beharrlich. Das mag aber auch daran liegen,
dass sein Schlüssel überhaupt keine Knöpfe besitzt. „Schon
wieder so ein neumodisches Keyless-Entry-Dingsbums“,
denke ich und ignoriere das Gemaule der anderen, die
endlich wissen möchten, wo das dritte Auto abgeblieben
ist. „Alles kein Problem“, denke ich, „dann gehe ich eben
die ganze Tiefgarage ab, bis sich ein Auto findet, das bereitwillig die Türen entriegelt, sobald ich vorbeigehe.“
Aber Pustekuchen, nach einer Viertelstunde finde ich
zwar den Dacia (eine Etage tiefer als vermutet), aber das
Auto reagiert kein bisschen auf meine Anwesenheit. Das
hat aber nichts mit Respektlosigkeit zu tun, sondern damit, dass ich einen Moment benötige, bis ich schließlich
auf die Idee komme, einfach den Schlüssel in das Schlüs-
7
SONNTAG, 19. JUNI 2016
Großstadttest bestanden: Dacia,
Mitsubishi und Lada
schlängeln sich durch Berlin. Mehr
Power wäre aber noch netter
VÖLKER, hört die Signale!
selloch zu stecken und aufzuschließen. Das nennt man
wohl Wohlstandsverwahrlosung. Und siehe da, die altmodische Methode funktioniert und die Dacia-Tür ist offen.
Total oldschool – und total super. Ein echtes haptisches
Erlebnis, das mich erfreut, weil es wie eine erfrischende
Zeitreise anmutet. Ein echter Schlüssel! Das ist schon mal
der erste Siegpunkt für den Dacia, soviel ist klar.
Was ebenfalls erstaunlich ist: Auf den zweiten Blick sind
sich alle drei Testautos ziemlich ähnlich. Klar, die äußere
Form und die Innenräume sind völlig verschieden, aber die
Grundwerte stimmen bei allen dreien: Benzinmotor, extrem günstiger Preis und akzeptables Aussehen. Außerdem
haben alle drei den Rückwärtsgang hinten rechts, warum
auch immer. Noch erstaunlicher ist, was für ausgereift
wirkende Automobile man heutzutage für einen schmalen
Euro bekommt. Auch die günstigsten Anbieter sind mittlerweile einen weiten Weg gegangen und die Kooperation
der Osteuropäer mit etablierten Herstellern, wie etwa Renault, scheint sich auszuzahlen.
Der Mitsubishi ist natürlich als Japaner qualitätstechnisch sowieso ziemlich weit vorne geparkt. Allerdings ist er
auch von allen drei Autos am besten – und teuersten –
ausgestattet. Diese Ausstattung selbst lässt allerdings nicht
nur technisch keine Wünsche offen, sondern mutet auch
sehr sauber verarbeitet an und sieht ansprechend aus. Prima. Einziger Kritikpunkt am „Space Star“ (nicht etwa „Lone Star“): Der Motor hat definitiv zu wenig Durchzugskraft
für meinen Geschmack. Glücklicherweise bietet Mitsubishi
aber auch ein Aggregat an, das zumindest auf dem Datenblatt deutlich weniger asthmatisch daherkommt. Witzigerweise ist der kleine Japaner mit dem noch kleineren Motor
jedoch der Schnellste was die Endgeschwindigkeit angeht –
und sein Mini-Aggregat hat den besten Sound. Wenn man
ihn nur immer ordentlich hoch dreht, kann man sich die
Sportlichkeit zumindest einbilden. Das mit dem Sound
testen wir natürlich bei allen Kandidaten ausführlich in der
Tiefgarage, soviel Zeit muss sein.
Die guten Menschen von Dacia haben mein Flehen übrigens erhört und mir wirklich die günstigste Variante ihres
„Dokker“ (nicht etwa „Rocker“) vor die Tür gestellt. Das ist
mutig, ehrlich und verdient ein dickes Lob, denn normalerweise sind Testwagen ja gerne etwas üppiger ausgestattet.
Aber heute geht es schließlich ums Sparen, da ist mir das
Günstigste auch das Liebste. Und günstig ist wirklich gut,
denn der Dacia bietet neben dem liebenswerten Zündschlüssel auch noch echte Fensterkurbeln. Ja, man muss die
Fenster mit der eigenen Hand hinunter kurbeln. Wie cool
ist das denn? Das Kurbeln bringt auf Dauer nicht nur Muskelmasse und hilft bei der Durchblutung, es ist auch ein
gutes Mittel gegen Langeweile und am Ende sowieso viel
genauer als ein elektrischer Fensterheber.
Mit der Kurbel kann ich die Position meiner Scheibe auf
einen Bruchteil eines Millimeters genau einstellen, ideal für
Menschen mit einem zwanghaften Sinn für Ordnung oder
zugempfindlichen Ohren. Außerdem kann man durch den
Verzicht auf aufwändige Hebemechanismen die Scheiben
komplett versenken, was nicht in jedem modernen Auto der
Fall ist. Das einzige Extra, das Dacia mir mit an Bord gepackt hat, kostet um die 60 Euro und nennt sich „Ersatzrad“. Damit kann ich leben.
Die für mich größte Überraschung ist der Qualitätssprung, den der russische Lada hingelegt hat, jedenfalls
soweit man das nach ein paar Stunden Testfahrt beurteilen
kann. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich im „Kalina II
Cross“ (nicht etwa „Cantina il Crosso“) am besten gesessen (nicht etwa „gegessen“) habe. Obwohl der Wagen
von außen nicht besonders groß wirkt, bietet er auch wohl
genährten Westdeutschen ausreichend Platz.
Allerdings macht mich der Lada anfangs aus anderen
Gründen wahnsinnig, denn der Wagen betätigt alle paar
Sekunden sein nicht gerade leises Signalhorn. Natürlich
verdächtige ich sofort Henryk M. Broder, absichtlich irgendeinen Unsinn mit Schlüssel und Zentralverriegelung
anzustellen. Broder weist diese Unterstellung empört von
sich und sieht dabei noch unschuldiger aus als sein Hund.
Ich glaube ihm ausnahmsweise und sehe zu, dass ich so
schnell wie möglich einsteige, um endlich im hoffentlich
ruhigeren Innenraum zu sitzen. Aber als ich hoffnungsvoll
die Beifahrertür öffne, geht das Gehupe schon wieder los.
Kameramann und Fotograf schauen mittlerweile genervt in meine Richtung. Ist aber auch laut das Ding, besonders in der Tiefgarage. Ich schließe schnell die Tür,
aber Broder bringt das Auto schon wieder zum Hupen.
Okay, Lada, ihr habt gewonnen, niemand wird dieses Auto
stehlen. Niemals. Die gute Nachricht: Während der Fahrt
stellt der Kalina das nervige Lärmen ein, und erleichtert
fahren wir zum ersten Zwischenstopp, nicht ohne am
Potsdamer Platz mehr Blicke zu erregen als ein durchschnittliches Supercar.
Aus unerfindlichen Gründen haben wir zwar drei Testautos, aber nur zwei Autotester, weswegen wir aus noch
unerfindlicheren Gründen beschlossen haben, immer
gemeinsam, statt wie sonst gegeneinander, zu fahren.
Keiner hat bedacht, dass wir dadurch aber immer nur ein
Auto auf einmal bewegen können. Wir tauschen also am
ersten Zielpunkt den Lada gegen den Dacia und steigen
mitsamt Hund um. Um 13:00 Uhr haben wir einen Termin
beim Hundefriseur gemacht, da dürfen wir nicht zu spät
kommen. Endlich muss ich nicht mehr Beifahrer sein und
darf mich mit dem Dacia durch den Westberliner Verkehr
schlängeln. Der Hund schläft ein, was ich als Lob meiner
Fahrweise deute, und ich möchte Broder die Sehenswür-
digkeiten im Westen zeigen, aber der kennt schon alles. Um
genau 12:59 Uhr halte ich in Berlin-Charlottenburg vor dem
Salon von Herrn King. Sag ich doch.
Der Hund ist abgegeben und der Dacia geparkt, jetzt
müssen wir nur noch den Mitsubishi in den Westen bringen. Broder beschließt, einen Tee zu trinken, und die anderen behaupten, sie müssten jetzt Innenaufnahmen der
Autos machen. Ich lasse mich zurückfahren, wo mich der
hübsche bronzefarbene „Space Star“ ungeduldig erwartet.
Vielleicht bin ich auch selbst ungeduldig, da ich befürchte,
dass die andern alles ohne mich aufessen. Wieder in Charlottenburg zahlen sich die kompakten Abmessungen meines
Japaners sofort aus, denn ich kann in einer winzigen Lücke
gleich in der Nähe des Italieners parken.
Nervender Höhepunkt jedes Autotests: das gemeinsame
Gruppenfoto. Nicht, dass es in Berlin eh schon so gut wie
unmöglich ist, Platz für drei Autos zu finden. Nein, angeblich muss der Hund gerade jetzt mit Broder Gassi gehen.
Meine anderen Mitstreiter sind jedoch hilfsbereit und fangen sofort an, wild herumzufuchteln und unverständliche
Anweisungen zu rufen. Ich schließe die Fenster und parke
die drei Autos nach der bewährten Pi-mal-Daumen-Methode. Dann erkläre ich der männlichen Politesse, dass ich
immer so fahre. Mit drei Autos gleichzeitig. Und, dass ich
selbstverständlich für alle drei ein Parkticket gezogen habe.
Weil ich es mir leisten kann, schließlich waren meine Autos
so günstig.
Politesse und Passanten sind amüsiert, der Hund ist
irgendwie dünner als heute morgen, und die Bilder sind
endlich im Kasten. Ich will gerade die Autos für die Rückfahrt verteilen, da sehe ich, dass Henryk M. Broder schon
wieder in seinem neuen russischen Liebling sitzt. Soll mir
recht sein, ich fahre gern japanisch und seit Neuestem eben auch rumänisch.
8
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
kaputten Fuß hast du kein Gespür
dafür, was du eigentlich machst. Du
spürst nicht, welches Pedal du trittst.
D
Ist Ihnen das selbst je passiert?
Nein. Aber diese Schwierigkeit, mit
einem kaputten Fuß Auto zu fahren,
war für meinen Roman sehr interessant. Ich hatte ja schon in meinem
früheren Roman „Letzte Nacht in
Twisted River“ über einen Mann mit
einem schlimmen Fuß geschrieben. Der
Fuß des Holzfällers Dominic Baciagalupo wird von einem herunterrollenden
Fels zerschmettert. Deshalb musste er
als Koch arbeiten, was wiederum Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte hat. Ich denke mir immer
etwas dabei, wenn ich meinen Charakteren so etwas zustoßen lasse.
er Mann, den
der „Guardian“ als den „letzten der
großen weißen Schriftsteller Amerikas“
gepriesen hat, zeigt uns seine neue
Heimatstadt Toronto. Eineinhalb Stunden hatten wir gesprochen, jetzt
braucht John Irving frische Luft. Seit
einem Jahr hat der 74-Jährige seinen
festen Wohnsitz in Toronto, seine Frau
stammt von hier. Hier, in der kanadischen Großstadt, ist sein Fahrverhalten ein ganz anderes als in Vermont,
wo er lange Jahre in einem großen
Haus auf einem Berg wohnte. Als ihn
Martin Scholz dort 2002 im tiefsten
Winter schon einmal besuchte, wäre er
mit seinem Auto fast nicht mehr weggekommen. Zum Glück entpuppte sich
Irving als amerikanisches Pendant
eines ADAC-Engels.
Es ist wichtig, ob Juan Diego Auto
fahren kann oder nicht?
Ja, es hat Folgen für den Verlauf des
Romans. Weil er nicht fahren kann,
sitzt er beispielsweise auf dem Nachhauseweg nach einem Essen hinten im
Auto neben seiner Ärztin Dr. Rosemary,
mit der er platonisch befreundet ist.
PS WELT: Besitzen Sie noch den
blauen VW Passat mit Allradantrieb,
mit dem Sie mich und mein Z3
Coupé aus dem Schneehang an
Ihrem Haus gezogen haben?
JOHN IRVING: Hahaha. Wenn es Sie
tröstet: Sie waren nicht der einzige,
den ich im Winter an meinem Berg aus
dem Schnee ziehen musste. Aber den
Passat besitze ich schon lange nicht
mehr. Vor einem Jahr bin ich komplett
zu meiner Frau nach Toronto gezogen,
sie ist Kanadierin. Hier in der Stadt
haben wir einen Audi Q5. In der gebirgigen Landschaft Vermonts war
damals ein Wagen mit Allradantrieb
unverzichtbar. Ohne ihn wäre ich nirgendwohin gekommen. Warum um
alles in der Welt sind Sie damals eigentlich im tiefsten Winter mit einem
Z3 Coupé zu mir gefahren?
Für die lange Strecke von New York
zu Ihnen hätte ich ja am liebsten ein
Z3 Cabrio genommen – weil ich so
eins auch in Deutschland fahre. Weil
das aber im Januar keine gute Idee
gewesen wäre, kam das Coupé ins
Spiel. Ein Kompromiss.
Mit Hinterradantrieb auf eine vereiste
Bergstraße – auch keine gute Idee.
Ihre Frau war damals ja an der Abschlepp-Aktion beteiligt. Sie sagte:
„What a nice car.“
„Nice“ schon, aber eben nicht wintertauglich. Zum Glück hatten Sie ja mich
und meinen Passat.
Reden wir über Autos in der Literatur: In Ihrem neuen Roman
„Straße der Wunder“ scheinen sich
Autos gegen Ihren Romanhelden,
den Schriftsteller Juan Diego Guerrero, verschworen zu haben.
Finden Sie?
Na ja, Ihr Held kommt in jungen
Jahren unter die Räder, als ihm sein
Stiefvater mit einem Laster versehentlich über den Fuß fährt.
Ja. Armer Kerl. Sein Fuß wird zerquetscht. Er hat danach eine Gehbehinderung, muss sein Leben lang hinken.
Es kommt ja noch schlimmer: Als er
viel später selbst versucht, Auto zu
fahren, tritt er mit dem behinderten
Fuß versehentlich gleichzeitig auf
Christopher Wahl/ Contour by Getty Images
„Ich habe meine
VW Käfer geliebt“
In seinem neuen Roman hat ein Lkw großen
Einfluss auf eine aberwitzige Handlung. Ein
Gespräch mit JOHN IRVING über Autos in der
Literatur, sein neues Leben auf dem Beifahrersitz
– und Idioten, die mit Skistiefeln fahren
Gas und Bremse. Wie kommen Sie
auf so etwas? Haben Sie das selbst
mal ausprobiert?
Ich hatte insgesamt drei Knie-Operationen. Zwei an meinem linken, eine an
meinem rechten Knie. Die Fäden bleiben länger im Knie, es ist dann extrem
unbeweglich. Wenn ich meinen Fuß zu
jener Zeit in eine andere Position drehen wollte, war das unangenehm und
schmerzhaft. Autofahren war eine
enorme Herausforderung. Denn immer,
wenn ich versuchte, den Fuß gerade zu
halten, um das Gas- oder Brems-Pedal
zu treten, schmerzten die Nähte. Das
ist gefährlich. Denn wenn du deinen
Fuß in eine schmerzfreie Position
drehst, ist er so schief gewinkelt, dass
du auf zwei Pedale, Bremse und Gas,
gleichzeitig treten kannst. Ich musste
höllisch aufpassen beim Fahren. Nach
einer meiner OPs hatte ich dann einem
Freund, der Polizist war, von diesem
Problem erzählt. Ich lebte damals
schon in Vermont, wo es, wie Sie ja
inzwischen wissen, viel Schnee gibt.
Mein Freund sagte: „Was du mir da
erzählst, ist doch gar nichts. Du glaubst
nicht, wie viele Unfälle es jedes Jahr im
Winter gibt, weil irgendwelche Idioten
mit ihren Skistiefeln Auto fahren.“
Jetzt ernsthaft?
Ja, diese Typen kommen von der Piste,
sind dann zu faul ihre Skistiefel auszuziehen und fahren los. Sind Sie mal
mit Skistiefeln Auto gefahren?
Bisher noch nicht. Ich habe es eigentlich auch nicht vor.
Es ist auch nicht empfehlenswert. Skistiefel sind schwere, klobige Dinger.
Mein Freund sagte mir jedenfalls, die
Hauptunfallursache liege darin, dass
Leute mit diesen Stiefeln Bremse und
Gaspedal gleichzeitig treten. Die Dinger sind einfach zu breit. Gas- und
Brems-Pedal gleichzeitig treten – das
ist eine verrückte Kombination. Man
würgt den Motor ab – je nachdem, in
welcher Situation das passiert, kann
alles Mögliche über Sie hereinbrechen.
In einem Skistiefel oder mit einem
Katja Fischer
JOHN IRVING
John Winslow Irving wurde
am 2. März 1942 in Exeter/New
Hampshire geboren, er zählt
zu den erfolgreichsten Schriftstellern der USA. Seine 13
Romane wurden Weltbestseller und in mehr als 35 Sprachen übersetzt. Irving hat
lange in Wien studiert und
seine Erlebnisse dieser Zeit
auch in seinem Roman „Das
Hotel New Hampshire“ verarbeitet. 2000 erhielt er einen
Oscar für die beste Drehbuchadaption für die Verfilmung
seines Romans „Gottes Werk
und Teufels Beitrag“.
John Irving fuhr
keinen Riesen-Jeep,
sondern es reichte
ein Allrad-Passat, um
PS WELT-Autor
Martin Scholz mit
seinem Z3 aus dem
Schnee zu ziehen
Dr. Rosemary offenbart ihm, dass
sie sich früher hätte vorstellen können, Juan Diego zu heiraten.
Und ihr Ehemann sitzt am Steuer,
während er dieses Gespräch mithört.
Diese Szene wäre ganz anders gewesen,
wenn Juan Diego selbst am Steuer
gesessen hätte. Das ist eine meiner
Lieblingsszenen in dem neuen Roman.
Sie lassen Ihren Helden noch weiter
leiden, weil er nicht fahren kann.
Während der Schulzeit wird er deswegen gemobbt. Ist das eine uramerikanische Sicht auf Männer
und Autos: Wer nicht Auto fahren
kann, ist kein richtiger Mann?
Ich würde sagen, das ist in jedem Fall
eine typisch männliche Sichtweise.
Wobei dieser hohe Stellenwert der
Auto-Kultur in den USA wie auch in
Kanada immer noch damit zu tun hat,
dass es diese riesigen Landschaften
gibt, in denen man ohne Auto völlig
aufgeschmissen ist. Ich bin immer
wieder erstaunt darüber, dass man in
vielen Teilen Europas ohne Auto klar
kommen könnte. Ich wüsste nicht, wie
man in Nordamerika ohne Auto überleben könnte. Von den Großstädten
mal abgesehen.
Über Ihren Romanhelden schreiben
Sie, er hätte keinen guten Orientierungssinn, er weiß oft nicht, wo er
sich befindet – eben weil er nie mit
dem Auto unterwegs ist. Nimmt
man vom Lenkrad aus seine Umgebung bewusster wahr?
Ich erzähle Ihnen dazu eine Geschichte. Ich habe mehr als 30 Jahre lang
mehrere Monate des Jahres in Toronto,
den Rest der Zeit in Vermont gelebt.
Seit einem Jahr haben wir hier unseren
Hauptwohnsitz. Aber Toronto ist die
Heimatstadt meiner Frau Janet. Ich
selbst fahre hier so gut wie nie Auto,
und wenn, dann sitze ich nur auf dem
Beifahrersitz meiner Frau. Meistens
gehe ich zu Fuß, nehme die U-Bahn
oder ein Taxi. Aber ich fahre so gut wie
nie selbst in Toronto.
Warum nicht?
Weil Toronto ihre Stadt ist. Wenn sie
Auto fährt, kennt sie alle Wege besser
als ich. Wenn wir aus der Stadt rausfahren zu unserer Ferieninsel im Lake
Huron, fahre ich zwar Teile der Stre-
Von
MARTIN SCHOLZ
cke. Aber meine Frau muss mir immer
sagen, wo ich in Toronto abbiegen
muss. Obwohl ich seit 30 Jahren in der
Stadt lebe, habe ich sie gewöhnlich nur
vom Beifahrersitz aus wahrgenommen.
Wenn du nicht selbst fährst, nur Beifahrer bist, schenkst du deiner Umgebung nicht so viel Aufmerksamkeit.
Es gibt in Ihrem Buch mehrere Autos – nur eines wird detailliert beschrieben: ein roter VW Käfer. Besitzer ist der menschenfreundliche
mexikanische Jesuitenpater Pepe,
eine Art Schutzpatron für den jungen Juan Diego. Haben Sie eine
spezielle Verbundenheit zu gerade
diesem Auto?
Ich liebe die VW Käfer, die Beetles, wie
wir sie nennen. Es gab eine Zeit, da sah
man sie hier einfach überall. Mein
erstes Auto war allerdings kein Käfer,
obwohl ich später mehrere hatte.
Welches war denn Ihr erstes Auto?
Ich wurde Autobesitzer, als meine
Eltern nach einem neuen Wagen suchten. Die alte Karre, einen Pontiac, hatten sie behalten. Er hatte Holzrahmen,
sah aus wie ein Eisenbahn-Waggon. Ich
habe ihn gehasst, habe ihn aber dennoch genommen, weil es der einzige
Wagen war, den ich bekommen konnte.
Wie viele Käfer hatten Sie später?
Ich hatte mindestens zwei, an einen
gelben und einen blauen kann ich mich
sehr gut erinnern. In meiner Zeit als
College-Student, später als junger
Lehrer und Ringer-Trainer fuhr ich
immer Beetles. Ich liebte diese Autos
wirklich. Ich fand sie sehr praktisch, es
kostete nie viel Geld, sie reparieren zu
lassen. Das ist wohl auch der Grund,
warum man sie nicht weiter gebaut hat
– die Hersteller konnten nicht so viel
Geld mit ihnen verdienen, jedenfalls
nicht in jenen Ländern der Welt, in
denen Menschen sehr viel Geld für
Autos ausgeben. Ich fand den Beetle
wunderbar. Und ich fand, der Käfer war
der perfekte Wagen für meinen Priester Pepe in Mexiko. In dem Land sind
die Beetles immer noch im Alltag gegenwärtig. Ich habe viel Zeit in Mexiko
verbracht, um für den Roman zu recherchieren. Es war schön, dort wieder
all diese Käfer zu sehen.
Sie haben auch auf den Philippinen
recherchiert, früher auch in Indien.
Welche Stadt ist für Autofahrer die
chaotischste der Welt?
Mexico-City ist ziemlich Angst einflößend, was den Verkehr betrifft. Rom
finde ich allerdings auch sehr schwierig, all diese Kreisverkehre, nicht zu
vergessen die italienischen Autofahrer
(lacht). Ganz oben auf meiner Liste der
chaotischsten Auto-Städte wäre aber
Mumbai – weil auf den Straßen nicht
nur Autos unterwegs sind, sondern
auch Pferde- und Eselkarren, manchmal sogar Elefanten. Sehr
herausfordernd.
9
SONNTAG, 19. JUNI 2016
Was Sie
ruhig fahren
können
Jaguar F-Pace: Das ist der
Turbo-Boost für eine ganze Marke
Wir wissen, dass Sie Ihren alten Elfer in der Garage
haben. Oder vielleicht einen Alfa mit H-Kennzeichen.
Aber insgeheim, wenn keiner guckt, dann würden Sie
schon gern mal ein neues Auto fahren, nicht wahr?
Die PS WELT, Fachblatt für Toleranz, hat da etwas
für Sie: vier Neuwagen, die gar nicht peinlich sind
Volvo V90: Können wir bitte alle die
Audi-BMW-Mercedes-Brille absetzen?
Renault Talisman: Man sieht ihn nicht
überall, erkennt ihn aber sofort
Ford Fiesta ST200: wenn man mal
einen alten Elfer versägen will
Ihnen als Pilot eines 70er-Jahre-Porsche
mag es seltsam vorkommen, einen Ford
Fiesta empfohlen zu bekommen. Aber die
PS WELT, Fachblatt für unauffällige Stadtautos, rät ehrlichen Herzens zu einer Probefahrt im Fiesta ST200, denn die wird ein
paar Maßstäbe verrücken: Wozu man früher ein teures Coupé brauchte, das erledigt
man heute im Kleinwagen – 6,7 Sekunden
auf 100, 230 km/h Spitze. Weil vorn ein
1,6-Liter-Turbo mit 200 PS und strammen
290 Newtonmetern Drehmoment arbeitet.
Weil man für 20 Sekunden den Turbo im
Overboost-Modus betreiben kann und
damit weitere 15 Pferdestärken und 30 Nm
erhält. Weil das Getriebe im Gegensatz zu
dem des normalen Fiesta ST kürzer übersetzt wurde, weil die Lenkung direkter
ausgelegt, die Karosserie 15 Millimeter
tiefer gelegt und das Torque Vectoring an
der Vorderachse optimiert wurde. Man
muss das alles ja nicht mögen an einem
Fiesta. Aber heiß ist es schon. 24.460 Euro.
Groß, schön und individuell –
der Klassiker von morgen
Wenn wir von Designchefs sprechen, die
ihre ganze Firma umgekrempelt haben,
dann fällt meist der Name Gorden Wagener (Mercedes). Aber schauen wir nach
Göteborg. Was Thomas Ingenlath da gerade mit der Traditionsmarke Volvo anstellt,
wird einen ähnlichen Effekt haben: Neue
und jüngere Kunden werden die Autos
kaufen. Das Luxus-SUV XC90 reißen sie
ihnen schon aus den Händen, und der neue
Kombi V90 wird zusammen mit der Limousine S90 einen ähnlichen Weg nehmen. Gewiss, hier gibt es stärkere Konkurrenz (5er, A6, E-Klasse), aber die PS WELT,
Fachblatt für Fuhrparkmanagement, sieht
den Volvo als charmante Alternative zur
deutschen Business Class. Neben dem
unglaublichen Design (auch innen!) und
der bemerkenswerten Geräumigkeit bietet
der Volvo auch technischen Mut: Alle Motoren haben nur zwei Liter Hubraum, vier
Zylinder. Schockierend, fährt sich aber gut.
Ab 190 PS, 45.800 Euro.
Jaguar F-Pace
Man glaubt es nicht, man
glaubt es einfach nicht
Das SUV, das uns auf jeden
Fall noch gefehlt hat
Renault Talisman
Volvo V90
Ford Fiesta ST200
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No Jokes with Names? Das
ist hier ein bisschen schwierig
Das Tollste an der Marke Jaguar ist, dass
sie jeder kennt, aber keiner kauft. Okay,
das war fies. Aber die meisten Leute sind
doch überrascht, wenn sie hören, dass
Jaguar pro Jahr keine 100.000 Autos weltweit absetzt. Das aber wird sich nun
schlagartig ändern, denn auch in Gaydon
haben sie die Medizin gegen StückzahlSchwindsucht entdeckt: ein Ess-Juu-Wie,
wie der Engländer sagt, also diese seltsame, aber begehrte Mischung aus Kombi
und Geländewagen. F-Pace heißt das gute
Stück, es sieht trotz SUV-Form sportlich
aus, und es fährt sich traumhaft. Lenkung
und Feder-Dämpferabstimmung lassen
keinen Zweifel daran, dass dieses SUV nun
wirklich Asphalt statt Feldwege befahren
will – obwohl es dank elektronischer Hilfe
eine Menge Offroad-Aufgaben bewältigt.
Die PS WELT, Fachblatt für Linksfahren,
empfiehlt den Jaguar allen, denen ein Land
Rover zu knorrig und ein Audi zu kühl ist.
Ab 180 PS, 42.390 Euro.
Bei Renault haben sie nicht immer ein
Händchen für die Namen, die sie ihren
Autos geben. Immerhin kann man über
den neuen Talisman sagen, dass der Name
besser klingt als der seines Vorgängers
Latitude. Aber Talisman ist eben Talisman,
und warum soll ein Auto ein Glücksbringer
sein? Trotzdem glaubt die PS WELT, Fachblatt für das stille Glück, an das Potenzial
des neuen Renault. Weil er ein selbstbewusstes Frontdesign hat, das man wochenlang vor Kollegen und Nachbarn
rechtfertigen kann. Weil er Massagesitze
schon in der Basisversion bietet, und weil
sich mit dem Auswählen der Fahrprogramme auch das Lichtdesign im Interieur
ändert. Die Motorenauswahl ist allerdings
für einen Petrolhead noch gewöhnungsbedürftiger als das Programm des Volvo.
Renault setzt hier ausschließlich auf aufgeladene 1,6-Liter. Das ist wenig faszinierend, dafür sehr modern und mutmaßlich
effektiv. Ab 110 PS, 27.950 Euro.
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FORD PRÄSENTIERT
10
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
M
an macht ja normalerweise, was
der Chef sagt. Und wenn man
nicht will? Kann es gefährlich
werden, wie Oisin Tymon vergangenes Jahr erfahren musste:
Der „Top Gear“-Producer hatte
seinem Ober-Moderator Jeremy
Clarkson kein warmes Essen
besorgt und spürte nach einem Streit ums Essen plötzlich eine Faust im Gesicht. Der Rest ist bekannt, und es hat zwölf
Monate gedauert, bis „Top Gear“, Clarksons Sendung, wieder
auf den Bildschirm kam. Nur eben ohne Clarkson.
„Wir brauchen einen ultraharten Verriss“, so stand es in
der Mail von meinem Chef. Aber was soll ich sagen – mir gefällt die neue Sendung. Chris Evans
und Matt LeBlanc, die neuen Moderatoren, sie machen es gut, unterhaltsam. Ich finde witzig, dass der Engländer Evans amerikanisch aufgedreht rüberkommt, während Ami
LeBlanc britisch-cool agiert. Sabine
Schmitz und Eddie Jordan, zwei der
vier neuen Co-Stars, die ich bisher in
ihren Einspielfilmen sehen konnte –
auch nicht schlecht. Die Filme selbst:
wie gehabt, sehr schräge Themenwahl, extrem aufwendig gemacht, ich
will einfach nicht abschalten.
Ich denke, mein Chef wird mich
nicht schlagen dafür, aber vielleicht
ballt er die Faust in der Tasche. Um
ihn zu lockern, habe ich mir auch
zwei alte „Top Gear“-Folgen angesehen, die ersten beiden der letzten
Staffel mit Clarkson und seinen Sidekicks Richard Hammond und James
May. Und ich muss es zugeben, die
sind auf eine spezielle Weise besser.
Im direkten Vergleich kann man auch
schnell sagen, warum das so ist.
Erstens: Clarkson, Hammond, May
sind perfekt aufeinander eingespielt,
diese Erfahrung aus 13 gemeinsamen
Jahren kann das neue Team noch
nicht haben. Zweitens: Die drei früheren Moderatoren sind echte Buddies, sie verbrachten auch jenseits
von „Top Gear“ Zeit miteinander. Das
werden Evans und LeBlanc, die auf
verschiedenen Erdteilen wohnen,
nicht tun. Drittens: Es gibt heute wie
damals Kraftausdrücke in der Sendung, die von der BBC treulich mit
einem Piepton gekennzeichnet werden. Aber früher war die gesamte
Haltung unkorrekter. Schwer vorstellbar, dass Evans einen unzuverlässigen Motor mit einem griechischen Bankkonto vergleichen würde, oder dass LeBlanc die Zuschauer
auf das sich deutlich unterm Overall
abzeichnende Gemächt eines Rennfahrers hinweisen würde, mit dem
Wort „sausage“ (Wurst) übrigens. Das ist pubertär, gewiss –
aber mich soll der Teufel holen, wenn nicht diese GroßeJungs-Attitüde ihren Teil zum weltweiten Erfolg von „Top
Gear“ beigetragen hätte.
Und sicher gibt es auch einen ganz grundsätzlichen Unterschied: Clarkson ist ein Autofreak, der sich und seine Sendung weltberühmt gemacht hat. Evans ist ein in England prominenter Radio- und Fernsehmann mit einem Faible für Autos, der eine weltberühmte Fernsehsendung übernimmt und
sie weiter entwickeln will. „Ich bin da, um den Übergang zu
gestalten“, sagt Evans, der mit einem Dreijahresvertrag ausgestattet wurde. Vergleiche mit Clarkson berühren ihn an-
geblich überhaupt nicht. „Man hat sich für mich entschieden,
weil ich Erfahrung habe, weil ich meine Hits und Flops hatte,
und weil ich Druck aushalte“, sagt Evans, als ich ihn bei der
Weltpremiere der neuen, 23. „Top Gear“-Staffel treffe. „Und
ich bin mit roten Haaren und einer Brille aufgewachsen – ich
habe jedes Schimpfwort schon mal gehört.“
Von STEFAN ANKER
Evans spricht dann schnell von Spannungsbögen, die ihm
wichtig seien. Erfolgreiche Fernsehserien, ob Drama oder die
Sitcom „Friends“, mit der Matt LeBlanc berühmt wurde, erzählten in jeder Episode zwei Geschichten, die beide zu Ende
gebracht würden. Dennoch gebe es auch einen Spannungsbo-
ses Roundtable-Gespräch mit internationalen Journalisten zu
Clarksons Zeiten anders gelaufen wäre. Auf die Frage des mexikanischen Kollegen, wann „Top Gear“ denn mal in Mexiko
drehen würde, hätte er nicht so höflich geplaudert wie Evans,
der sich bei allem Temperament auch wie ein Politiker geben
kann. Clarkson hätte einen Witz über Drogen gemacht oder
das häufig wiederkehrende Klischee bemüht, dass die Leute
in Mexiko seine Sendung sowieso nicht mögen. Und dass ein
Reporter aus Dänemark groß und deutlich „Top Fart“ auf einen Zettel geschrieben hat, was auf Dänisch Höchstgeschwindigkeit, im Englischen aber Spitzen-Furz bedeutet, hätte
Clarkson nicht so höflich ignoriert wie Chris Evans.
Andererseits: Soll Evans etwa versuchen, genau wie Clarkson zu sein? Das kann sowieso keiner, also lässt man es bes-
Outback wirklich am Feuer geschlafen und ihr Lager mit
Tretminen abgesichert (wobei angeblich eine Kuh gesprengt
wurde)? Nein, „Top Gear“ war und ist bei allem Petrolheadismus auch eine perfekte Show, für die insgesamt rund 100
Menschen arbeiten. Am Set sind bis zu 50 Personen mit
sechs, sieben Kameras unterwegs, gern haben sie auch Drohnen und Hubschrauber dabei. „Es ist eigentlich unmöglich,
keinen guten ‚Top Gear‘-Film zu drehen“, sagt Chris Evans.
„Wir haben einfach so viele Ressourcen.“
Wenn Amazon im Herbst beginnt, Clarksons neue Show
„The Grand Tour“ zu streamen, muss man daher nicht nur
darauf achten, ob Clarkson & Co. so zotig und rüpelhaft sein
dürfen wie immer – schließlich kommt Amazon aus den USA,
dem Mutterland der politischen Korrektheit. Noch interes-
Chris Evans, neben US-Schauspieler
Matt LeBlanc Gastgeber der neuen
„Top Gear“-Ära, steht selten still,
sein Moderationsstil wirkt aufgekratzt. Im Filmduell fährt er die blaue
Viper gegen die gelbe Corvette,
beide mit Zielerfassungsgeräten und
kleinen Raketen bestückt
Versuch eines VERRISSES
„TOP GEAR“ ist wieder da, die beste Autosendung des Planeten, nur ohne
den besten Moderator. Das kann eigentlich nicht gut gehen. Oder doch?
DIE
4
ser bleiben. Und nimmt vorsichtshalber etwas Gas weg. „Was
hier im Studio passiert, ist nicht so wichtig“, sagt Evans, „es
geht vor allem um die Filme, die wir machen.“
Und die können sich – sorry, Chef – sehen lassen. Ein Dogfight zwischen Corvette und Viper, beide ausgerüstet mit Laser-Zielgeräten und Lenkraketen. Ein McLaren-Test mit Jenson Button am Steuer. Ein Wettstreit zwischen Ur-Land-Rover und Ur-Jeep, die wirklich hart rangenommen werden. Natürlich ist das alles nicht so spontan, wie es aussieht, sondern
geplant, geschrieben und mit viel Aufwand inszeniert. Aber
das war früher auch schon so. Glaubt jemand, Clarkson,
Hammond und May hätten bei ihrer Reise ins australische
3
BESTEN JEREMY CLARKSON-QUOTES
omme, was wolle, moderiere, wem es gefalle, und
nenne sich eine Autosendung, wie sie wolle – für uns bleibt
Clarkson auch weiterhin der
Oberpriester in unserer PS-Kathedrale. Hier unsere liebsten
Zitate aus seinen letzten Autokolumnen auf
„driving.co.uk":
K
BMW M2
Die Lenkung
ist absolut
verdammt
fantastisch.
[…] Und das ist
umso erstaunlicher, als die
Servolenkung elektrisch
pa / ZUMAPRESS.com/BBC
gen für die gesamte Staffel der Serie. Und wenn sie sehr erfolgreich sei, erzeugten die Autoren auch eine gemeinsame
Klammer, die alle Staffeln miteinander verbinde.
Während Evans das so genau erklärt, hört man zwischen
den Zeilen, dass es solche Überlegungen, das Schicksal der eigenen Sendereihe zu gestalten, bei Clarkson wohl weniger
gegeben habe. „Wenn du eine Rolle schreibst, dann weißt du
auch, wann und wie sie stirbt“, sagt Evans in einem Ton, der
keinen Widerspruch zulässt. „Wenn nicht, dann bist du überrascht, wenn sie irgendwann gekillt wird.“
Das sind kühle, professionelle Worte einer etablierten
Fernsehfigur, und man kann sich lebhaft vorstellen, dass die-
ist. Was bedeutet, dass alle Sinneseindrücke künstlich sind. Falls
BMW jemals einen Sexroboter
baut, sollten Sie sofort einen
kaufen […].
FERRARI 488 GTB
In England erinnert ein Ferrari
Otto Normalverbraucher daran,
dass etwas in seinem Leben nicht
ganz so geklappt hat, wie er gehofft hat. […]. Das bedeutet, dass
Sie für jede Minute Spaß, die Sie
in Ihrem Ferrari haben, zehn Minuten Beschimpfungen und Hass
ertragen müssen. Also braucht
man ein dickes Fell, um einen zu
fahren. Es sei denn, Sie begegnen
mir auf Ihren Reisen. Denn wenn
ich heutzutage jemanden sehe,
der einen Ferrari fährt, möchte
ich zu ihm rennen und ihn umarmen und ihm anbieten, seine Babies auf die Welt zu bringen.
LEXUS GS F
Im mittleren Drehzahlbereich –
bis, sagen wir: 4.500 Umdrehungen – klingt der Motor unheilvoll
und innerlich leer, wie ein einsamer Wolf. Aber wenn Sie Ihren
Fuß in den Teppich pflanzen und
über 6.000 Umdrehungen gehen,
fängt er an zu klingen, als sei er
darüber wütend, ein innerlich
leerer Wolf zu sein. Er klingt – und
das ist das höchste Lob, das man
einem Auto aussprechen kann –
wie ein Ferrari 458 Italia.
MERCEDES-AMG C 63
Das ist kein gut aussehendes
Auto. Das Heck wirkt, als sei es
geschmolzen, und es gibt viel zu
viele aufdringliche Styling-Details. Es sieht aus, als wäre es in
einen Interior-Design-Laden in
Abu Dhabi gekracht, und alles ist
irgendwie hängen geblieben.
santer wird sein, ob Amazon für „The Grand Tour“ den finanziellen Aufwand treibt, an den Clarkson gewöhnt ist.
Und vielleicht darf ich noch den interessantesten Satz der
„Top Gear“-Weltpremiere zitieren, gesagt von Sabine
Schmitz, der deutschen Rennfahrerin und Co-Moderatorin.
„Die Namen BBC und ‚Top Gear‘ öffnen dir einfach alle Türen.“ Wie stark Jeremy Clarksons Name ohne das mit ihm
verbundene „Top Gear“ ist, wird sich erst zeigen müssen.
Im besten Fall bekommen wir zwei hervorragende englische Autosendungen. Eine mit der kühlen Perfektion der
BBC und eine zweite mit der Portion Anarchie, die
den Hauptfiguren von „Top Gear“ heute fehlt.
SCHNELLE FRAGEN AN DIE SCHNELLSTE SABINE
E
ine Deutsche bei der
erfolgreichsten TV-Sendung dieses Planeten?
Eine Frau mit NordschleifenRundenzeiten, bei denen wir uns
verschämt in die nächste Garage
zurückziehen und ein paar Tröpfchen Öl vergießen? Ja, wir LIEBEN Sabine Schmitz …
Wird das neue TG genauso
lustig wie das alte Format?
Wir möchten das alte „Top Gear“
oder die früheren Moderatoren
nicht kopieren oder nachahmen.
Das neue Moderatoren-Team ist
sehr individuell – jeder hat rund
um Autos sein eigenes Fachgebiet,
auf dem er sehr gut ist. So kann
man aus einer Vielfalt auswählen
und die Rollen perfekt verteilen.
Lustig wird’s auf alle Fälle! „Top
Gear“ soll ja weiterhin alle Familienmitglieder begeistern.
Wie sind die Aufgaben verteilt?
„Top Gear“ kann man nicht vergleichen mit einem StandardTuning- oder einem reinen Automagazin. Es ist für jeden etwas
dabei. Information und Innovation werden genauso ein Bestandteil sein wie total durchgeknallte
Geschichten, die einen manchmal
an die Grenzen des Machbaren
bringen! Gut ist, dass wir alle
technisch versiert sind und uns
vor nichts fürchten. Dazu kommt,
dass wir alle „Petrolheads“ sind.
Eine Aufgabe ist auf jeden Fall
fest verteilt: Der Stig ist der
schnellste Fahrer und braucht sich
weder über Outfit noch Moderation Gedanken zu machen.
Wann wird die Nordschleife endlich offizielle TG-Teststrecke?
Ja, das wär’s! Wir drehen definitiv
auf der Nordschleife. Das frühere
Team hatte sehr viel Respekt vor der alten Dame
und hat es lieber vermieden, dort selbst zu
fahren – und nach
einigen Runden mit
mir darauf verzichtet, auf dem
Beifahrersitz
Platz zu
nehmen …
BBC Top Gear
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RENAULT TALISMAN GRANDTOUR
Auf die Details kommt es an
1
Der Renault Talisman Grandtour im Überblick
Es gibt sie, die Liebe auf den ersten Blick.
Deswegen ist es schön, wenn das Design
eines Wagens rundherum überzeugt – so
wie beim Renault Talisman Grandtour,
der sowohl außen als auch innen mit viel
Liebe zum Detail ausgestattet wurde.
Seine markante Frontpartie, seine attraktive Seitenlinie und seine kraftvollen Schultern verleihen ihm eine Persönlichkeit, die
Selbstbewusstsein und Stilsicherheit in
jeder Situation ausstrahlt. Wie die CoupéLimousine weist auch der Renault Talisman
Grandtour dynamische Proportionen, ein
lang gezogenes Profil und eine hohe Gürtellinie auf. Die Dachlinie wird durch einen
Heckspoiler verlängert, und die Neigung
des Heckfensters betont die Dynamik. All
das wird ermöglicht, ohne Kompromisse
beim Kofferraumvolumen zu machen.
Zur Ausstattung außen gehört unter anderem noch, dass sich an den Fenstern
Chrom-Einfassungen befinden und sowohl
die Türgriffe als auch die Außenspiegel in
der jeweiligen Wagenfarbe lackiert sind.
Hinzu kommt, dass der LED-Blinker bei
> Design: stillvolle Persönlichkeit und unverwechselbare Eleganz
> Fahrspaß: individualisierbares MULTI-SENSE System und
dynamische Allradlenkung 4CONTROL2
> Komfort: gehobene Verarbeitung und innovative Technologien
> Einstiegspreis: ab 28.950,– Euro3
den Außenspiegeln integriert
wurde und sie elektrisch anklapp- und einstellbar sind.
Schon an diesem Beispiel ist zu
sehen, wie das Design hier mit
der Funktionalität auf eine einzigartige Weise vereint wird.
Dieses Prinzip, dass das Beste
aus beiden Welten im Renault Talisman
Grandtour vereint wird, setzt sich selbstverständlich auch im Inneren des Kombis
fort. Damit der Fahrer zum Beispiel die
innovative Technik möglichst optimal im
Griff hat, wurde die Mittelkonsole mit viel
Sinn für Ergonomie gestaltet. Handwerkliche Sorgfalt prägt dabei jedes Detail.
Das klare Design sorgt dafür, dass jede
Fahrt angenehm ist und zum komfortablen
Vergnügen wird. Wie der Schalthebelknauf
ist auch das Lenkrad, das natürlich problemlos längs- und höhenverstellbar ist, in
Leder gefasst.
Der Renault Talisman Grandtour hat eindeutig Charakter. Alles ist an ihm dafür gemacht, um mit Leichtigkeit schön zu sein.
EINE KLASSE FÜR SICH
DER FEINE UNTERSCHIED
FAHRZEUG MIT CHARAKTER
Charismatisches Außendesign
Zeitloses Interieur
Stilvolle Persönlichkeit
Der Renault Talisman Grandtour hat das Zeug zum Verführer. Seine breite Front sorgt
für eine starke Präsenz auf der Straße und strahlt selbstbewusst Kraft und Leistung
aus. Der große Kühlergrill mit den feinen Chrom-Elementen unterstreicht dabei noch
sein markantes Auftreten. Dieser Wagen repräsentiert eine Klasse für sich.
Die handwerklich perfekte Verarbeitung der hochwertigen Materialien und die
durchdachte Ergonomie vermitteln das gute Gefühl des gehobenen Lebensstils.
Dieses Gefühl wird noch durch Details im Design wie die Ziernähte in der Verkleidung4 des Instrumententrägers ganz natürlich verstärkt.
Das richtige Auftreten ist eine Frage des Stils. Vom Renault Talisman Grandtour
wird sie mit viel Liebe zum Detail beantwortet. Seine Persönlichkeit wird unter
anderem durch edle 19-Zoll-Räder2, die charakteristischen seitlichen Luftauslässe
und seine am Tag und in der Nacht leuchtende Lichtsignatur unterstrichen.
Renault Talisman Grandtour ENERGY dCi 110: Gesamtverbrauch innerorts/außerorts/kombiniert (l/100 km): 4,2/3,5/3,7; CO2-Emissionen kombiniert (g/km): 98. Renault Talisman Grandtour: Gesamtverbrauch kombiniert (l/100 km):
6,0–3,7; CO2-Emissionen kombiniert (g/km): 135–98 (Werte nach Messverfahren VO [EG] 715/2007).
1)
3 Jahre Renault Neuwagengarantie und 2 Jahre Renault Plus Garantie (Anschlussgarantie nach der Neuwagengarantie) gem. Vertragsbedingungen für 60 Monate bzw. 100.000 km ab Erstzulassung; 2) Serienmäßig oder optional (gegen Aufpreis), verfügbar ab Ausstattungsniveau Intens; 3) UPE zzgl. Überführung
für einen Renault Talisman Grandtour Life ENERGY dCi 110; 4) Serienmäßig ab Ausstattungsniveau Intens; Renault Deutschland AG, Postfach, 50319 Brühl
DER RENAULT TALISMAN IST WELT-KLASSE.
MEHR INFORMATIONEN UNTER WWW.WELT.DE/WELT-KLASSE
12
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
MATS
HUMMELS
SHKODRAN
MUSTAFI
AUDI R8 SPYDER
13
SONNTAG, 19. JUNI 2016
JÉRÔME
BOATENG
MERCEDES-AMG
S65 COUPÉ
BENTLEY CONTINENTAL
GT CONVERTIBLE
Der Innenverteidiger
fährt gerne groß,
bequem und schnell.
Keine Einwände
Der stylischste
unserer Fußballer bevorzugt
englischen Luxus
BILD Leserreporter
Der Hesse mag es auch
im spanischen Exil
am liebsten deutsch
MARIO
GÖTZE
MERCEDES SLS AMG
Der Weltmeister liebt
Autos, die genauso
flink sind wie er selbst
HerMuniCar/autogespot.de
MAX
KRUSE
MASERATI
GRANTURISMO
Ganz klassisch italienisch …,
äh nein, eher nicht.
Kruse ist und bleibt ein ganz
eigener Charakter
Christoph Reichwein/ BILD Zeitung
EMRE
CAN
MERCEDES-AMG G 63
Der Liverpool-Legionär
tritt auch auf der Straße
gerne etwas robuster auf
instagram.com/shkodranmustafi
imagot
instagram.com/ec2323
MESUT
ÖZIL
UNSERE PETROLHEAD-ELF
LAMBORGHINI
AVENTADOR
Mit Fußball kennt sich der Jogi aus, aber bei Autos fragt man besser uns. Oder einen der folgenden Herren, die wegen ihrer Liebe
zum Blech hiermit von uns in unsere ganz persönliche Lieblings-Petrolhead-Elf nominiert werden
Der Lambo ist ideal
im Londoner Stadtverkehr
– findet jedenfalls
unser Mittelfeld-Genie
wenn.com
JULIAN
DRAXLER
Carspotter Fabian
MERCEDESAMG GT S
Feurig rot geht auch auf
Deutsch – wie der
Mittelfeldspieler beweist
LUKAS
PODOLSKI
MANSORY
STALLONE F12
instagram.com/poldi_official
MARCO
REUS
RALF
FÄHRMANN
ASTON MARTIN
VANQUISH
FERRARI
GTB 488
Das mit dem Führerschein
war blöd, die Autowahl war
es bestimmt nicht
Wer als Torwart
viel steht, will auf der Straße
erst recht eines der besten
Fahrerlebnisse. Verständlich
Gerd Scheewel / BILD Zeitung
Marc Vollmannshauser / BILD Zeitung
Alles, was auf einem Ferrari
F12 basiert, kann keine ganz
schlechte Wahl sein. Auch
wenn wir das Original bevorzugen würden
12
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
MATS
HUMMELS
SHKODRAN
MUSTAFI
AUDI R8 SPYDER
13
SONNTAG, 19. JUNI 2016
JÉRÔME
BOATENG
MERCEDES-AMG
S65 COUPÉ
BENTLEY CONTINENTAL
GT CONVERTIBLE
Der Innenverteidiger
fährt gerne groß,
bequem und schnell.
Keine Einwände
Der stylischste
unserer Fußballer bevorzugt
englischen Luxus
BILD Leserreporter
Der Hesse mag es auch
im spanischen Exil
am liebsten deutsch
MARIO
GÖTZE
MERCEDES SLS AMG
Der Weltmeister liebt
Autos, die genauso
flink sind wie er selbst
HerMuniCar/autogespot.de
MAX
KRUSE
MASERATI
GRANTURISMO
Ganz klassisch italienisch …,
äh nein, eher nicht.
Kruse ist und bleibt ein ganz
eigener Charakter
Christoph Reichwein/ BILD Zeitung
EMRE
CAN
MERCEDES-AMG G 63
Der Liverpool-Legionär
tritt auch auf der Straße
gerne etwas robuster auf
instagram.com/shkodranmustafi
imagot
instagram.com/ec2323
MESUT
ÖZIL
UNSERE PETROLHEAD-ELF
LAMBORGHINI
AVENTADOR
Mit Fußball kennt sich der Jogi aus, aber bei Autos fragt man besser uns. Oder einen der folgenden Herren, die wegen ihrer Liebe
zum Blech hiermit von uns in unsere ganz persönliche Lieblings-Petrolhead-Elf nominiert werden
Der Lambo ist ideal
im Londoner Stadtverkehr
– findet jedenfalls
unser Mittelfeld-Genie
wenn.com
JULIAN
DRAXLER
Carspotter Fabian
MERCEDESAMG GT S
Feurig rot geht auch auf
Deutsch – wie der
Mittelfeldspieler beweist
LUKAS
PODOLSKI
MANSORY
STALLONE F12
instagram.com/poldi_official
MARCO
REUS
RALF
FÄHRMANN
ASTON MARTIN
VANQUISH
FERRARI
GTB 488
Das mit dem Führerschein
war blöd, die Autowahl war
es bestimmt nicht
Wer als Torwart
viel steht, will auf der Straße
erst recht eines der besten
Fahrerlebnisse. Verständlich
Gerd Scheewel / BILD Zeitung
Marc Vollmannshauser / BILD Zeitung
Alles, was auf einem Ferrari
F12 basiert, kann keine ganz
schlechte Wahl sein. Auch
wenn wir das Original bevorzugen würden
14
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
VOLLGAS
Der PORSCHE PANAMERA war kein Liebling der
Autoverrückten. Zu schwer, zu dick, zu behäbig. Nun stellt
der neue Porsche-Chef OLIVER BLUME den Nachfolger vor.
Und alles ist ganz anders. Wie konnte das passieren?
15
SONNTAG, 19. JUNI 2016
in die Zukunft
Von
ULF POSCHARDT
Fotos
OLIVER KRÖNING
16
ist so gutmütig, wie ein Flaggschiff von
diesen Dimensionen sein kann.
Den Panamera wird es auch in der
Stretch-Version geben für diejenigen,
die sich in ihm gerne chauffieren lassen. Wer ihn aber als Turbo und wohl
auch als „S“ kauft, der wird seinen
Chauffeur umschulen, um den Spaß
selbst auszukosten. Der neue Panamera
ist ein Fahrerauto. Mehr als alle Konkurrenzangebote in der Oberklasse.
*
Beim Eintritt in Weissach werden
die Kameras auf iPhone, iPad und Laptop abgeklebt. Es ist eine geheimnisvolle Welt. Der Besucher sitzt in einem
freudlosen Warteraum und hört Macan
S, Turbo S, GTS, GT3 und Panamera
vorbeibrummen. In fast allen Farben.
Weissach ist für Petrolheads ein mythischer Ort. Seit 1973 werden alle Innovationen hier ausgebrütet. Und das
kleine Dorf im Dorf bei Pforzheim
wächst und wächst. An der Besucherpforte drängen sich Japaner, Chinesen,
Skandinavier und jede Menge Schwaben. Porsche – so scheint es – bleibt
auf fast bockige Art eben auch ein
schwäbisches Unternehmen.
In der Kantine gibt es für ein paar
Tausend Mitarbeiter Platz und doch
wirkt alles irgendwie beschaulich, und
für aus Norddeutschland Angereiste
schmeckt das Kantinenessen unge-
wohnt knackig. Die Pasta mit den
Scampi-Spießen wird frisch zubereitet.
Die Meeresfrüchte für den Angestellten
werden auf den Grill gelegt, beim Espresso die Kaffeebohnen frisch gemahlen. Die Stimmung ist auf konzentrierte
Art heiter. Von Ferry Porsche stammt
das programmatische Zitat: „Wir wollen
nicht nur technische und ästhetische
Avantgarde sein, sondern auch soziale.“
Trotz der Konzernzugehörigkeit
bleibt die Porsche-Welt eine eigene.
Die eigenste wohl unter den großen
Marken des Hauses. Michael Mauer,
der Chefdesigner, hat ein neues, eigenes Reich bekommen. Das DesignZentrum sieht aus wie ein Museum für
moderne Kunst. „Im August 2004 bin
ich zu Porsche gekommen. Der damalige Designchef Harm Lagaay hatte bereits erste Panamera-Skizzen gezeichnet. Das Projekt lag zu dem Zeitpunkt
allerdings auf Eis. Erst mit meinem
Eintritt in das Unternehmen haben wir
uns wieder damit beschäftigt. Glücklicherweise.“ Der Panamera war Mauers erstes Baby. „Das erste Fahrzeuggesamtkonzept, für das ich verantwortlich war.“ Jetzt kann er seinen Erstling
überarbeiten. Und es gibt einiges zu
tun. Er ist selbstkritisch.
Mauer liebt den Panamera. „Es gibt
für mich kein besseres Auto.“ Er erzählt von seinen Zeiten, die er morgens
von seinem Zuhause bei Weissach nach
Oliver Kröning/ Studio Orel
F
angen wir mit
einem Geständnis
an. Den Panamera
mochte ich nie
wirklich. Für einen
Elferisten, also
einen Vertreter jenes merkwürdigen
Menschenschlags, der am liebsten in
luftgekühlten Porsche 911 durch sein
geschmacksverliebtes Leben rollt, war
der Panamera eine Absonderlichkeit.
Etwas eher Abschreckendes.
Als Petrolhead erinnere ich mich gut
an jenen krassen „Top Gear“-Test von
viersitzigen Sportlimousinen, bei denen sich die drei besten Motorjournalisten stets die Augen zuhielten, wenn
sie von einem Panamera überholt wurden. „Top Gear“ hasste den Panamera.
So beeindruckt Clarkson, Hammond
und May von der Leistung der schwäbischen Sportlimousine waren, so entsetzt blieben sie von deren wuchtiger
Erscheinung, insbesondere dem pummeligen Heck. Der sowieso als PorscheHasser agitierende Jeremy Clarkson
schrieb in seiner „Sunday Times“Kolumne 2011: „It is the ugliest car on
the road today.“ Das war natürlich
schamlos übertrieben, aber Clarkson
wollte den Punkt machen. Wohl auch,
weil er immer wieder aus seiner Begeisterung für einen 997 Turbo oder
einen 996 GT3 keinen Hehl machte vor
Millionen von Zuschauern. Er wollte
seinem Markenkern „Porschehass“ treu
bleiben, weil seine beiden Co-Moderatoren eben Superfans der Zuffenhausener waren und sind.
Als ich den Wagen 2010 testete, passte der Kinderwagen für einen Wochenendsprint an die Ostsee nicht hinein.
Da wusste ich nicht recht, was ich mit
dem Panamera anfangen sollte, wenn
er so spürbar weniger sportlich war als
ein Elfer und im Kofferraum so spürbar
kleiner als ein Kompaktwagen. Der
Panamera war in seiner Urversion ein
Porsche in Anführungszeichen. Ein
Statussymbol für zu Frischreiche.
Nach den ersten Fast Laps in Weissach, auf der Teststrecke von Porsche,
hat sich das verändert. Ich bin etwas
erschüttert. Die Fahrt im Turbo hat die
Wahrnehmung gedreht. Die fünf Meter
lange, gut 2,1 Tonnen schwere Limousine rast auf der kurzen Geraden im
Sport-Plus-Modus selbst mit einem
Weissach-Novizen am Steuer über 220
km/h. Eher locker. In den Kurven bekommt man das Heck nur schwer zum
Drift. Das Auto liegt fest auf der Straße, springt über Unebenheiten und
versetzt leicht wie ein Sportwagen. Die
Bremsen beißen derart kraftvoll zu,
dass die Reifen sich in den Teer vergraben und die Insassen in ihre Gurte
gedrückt werden. Neben mir sitzt der
neue Porsche-CEO, und er erträgt den
hektischen Irrsinn des Testfahrers mit
einem freundlichen Gesichtsausdruck.
So wie ein Gastronom den schmatzenden Gast im Sterne-Restaurant. Jemand, der seine Umgangsformen vergessen hat, weil er vom Gegenstand
seiner Bewunderung allzu verzückt ist.
Einer der „Top Gear“-Gags war es
auch, das Gesicht von Wendelin Wiedeking zu zeigen, samt Doppelkinn und
Schnäuzer, und dann den Panamera als
eine Art blechernes Double. Das wäre für
die „Top Gear“-Jungs jetzt schon schwieriger. Blume ist schlank und jungenhaft,
ohne einen Hauch Feistigkeit. Sein Auftreten ist leise und vornehm. Auch das
gehört bei Porsche zur DNA. Wiedeking
scheiterte bei Porsche am Ende auch
gerade an seinem Größen-Ich. Die CEOs
danach haben damit nichts mehr zu tun.
Und wollen es auch nicht.
Der Co-Pilot beobachtet das wüste
Agieren des Journalisten entspannt.
Auch in engen, kurzen S-Kurven mit
Wellen bleibt der Panamera stoisch auf
Kurs. Sein Fahrwerk ist auf „Sport
Plus“ gestellt, für jeden Wahnsinn zu
haben. Mehr noch: Das Auto suggeriert
auch dem Neuling am Steuer mit einer
Seelenruhe die Tiefe seines Könnens.
Ob in den sehr schnellen Kurven, bei
brutalen Vollbremsungen oder beim
Beschleunigen von null auf hundert: Es
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
Oliver Blume, 48, hatte zuletzt
drei Jobs im Vorstand bei Porsche.
Dieses Megaprogramm sieht man ihm
nicht an – ebenso wenig sein Alter
„Die Welt braucht nicht
noch ein Stufenheck“
Michael Mauer, Porsche-Designchef
Wolfsburg braucht. Wie geht das? Montagmorgen vor dem großen Stau los
und dann die freien Autobahnen hinter
Frankfurt genießen. Er schweigt. „Da
bin ich allein unterwegs“, schmunzelt
Mauer wieder.
Am Ende der Kurve hat er trotz der
Straßenlage seines Panamera Turbo
feuchte Hände. Mauer ist ein Autoverrückter und ein Porsche-Philosoph.
Er hat die Marke in ihrem Sosein geprägt und geformt und hat mit der
beim Macan eingeführten Heckpartie
eine markante Form für die Markensprache angeregt, die sich nun über
den 991 und den 718 erstreckt und ihnen eine neue athletische Drahtigkeit
verpasst. Kurz bevor wir von seinem
bunkerähnlichen, mega-bescheidenen
Büro im Designzentrum hinunter in die
Halle gehen, wo zwei nagelneue
Panamera warten, sieht man in Mauers
Augen die gespannte Neugier, wie das
der Besucher und notorische PorscheNerd wohl finden mag. Die Kritik am
Panamera hat ihn damals wohl auch
getroffen. Der „Walbuckel“ war kein
schöner Spitzname. Bei der Entwicklung des neuen Panamera wurde
grundsätzlich diskutiert, ob man beim
Fließheck bleiben sollte, ob es ein Stufenheck wird, sogar die klassische Dreibox-Struktur wurde erwogen. Am Ende
blieb Porsche bei der schnellen Coupélinie. „Die Welt braucht nicht noch
eine Stufenhecklimousine“, wie Mauer
betont. Das sollen andere machen.
Porsche hat mit dem Elfer eine Art
Urmeter des Sportwagenwesens. Jetzt
soll der Panamera der Anfang einer
neuen Tradition werden. Mit dem neuen Modell wird dem alten zugestanden
zu reifen. Mauer kann fast mathematisch erklären, wie sich bei einem Porsche das Verhältnis von Höhe, Breite
und Länge verhalten muss. Wobei er
nicht als Zahlenwizard wahrgenommen
werden will. Es gibt Richtlinien, aber
innerhalb dieser Richtlinien extrem
viel Freiraum. „Für mich gibt es zwei
Kernpunkte: Markenidentität und Produktidentität. Die Leuchte vorne ist
Produktidentität. Wäre es Markenidentität, hätten alle 911er-Scheinwerfer.
Mit den Heckleuchten wollen wir die
Markenidentität stärken über die Baureihen hinweg.“ Mit dem neuen
Panamera ist das gesetzt. Das Heck ist
17
SONNTAG, 19. JUNI 2016
Fotografieren dürfen wir nur den
leicht getarnten Panamera. Die Leuchtenringe sind nur aufgeklebt und werden im Original eckiger und aggressiver
Der Designer ist vorfreudig. Von
seinem kleinen Büro aus zeigt er nach
unten in die riesige Halle. Dort stehen
ein abgeklebter und ein unabgeklebter
Panamera. Weltpremiere!
Vom Smart zum Porsche – Michael MauMICHAEL
MAUER
er hat in seiner 30-jährigen Designerkarriere schon viele Autos gestaltet. In
den Neunzigern war er für Mercedes SLK, SL und A-Klasse mitverantwortlich, wurde 1999 Smart-Designchef.
2000 ging er in derselben Position zu Saab und ist seit
2004 Leiter des Porsche-Designs. 2015 holte ihn Volkswagen-Chef Matthias Müller zusätzlich als Designchef des
ganzen Konzerns nach Wolfsburg, für Porsche bleibt Mauer, 53, weiter verantwortlich. Wie Oliver Blume entspannt
er sich beim Sport, ist begeisterter Ski- und Fahrradfahrer.
Seit dem 1. Oktober 2015 ist Oliver Blume
Vorstandschef von Porsche – er folgte im
Zuge der VW-Abgasaffäre auf CEO Matthias Müller, der den Vorstandsvorsitz von Volkswagen
übernahm. Blume, 48, war zuletzt zwei Jahre als Vorstand
für Produktion und Logistik bei Porsche tätig, vorher
hatte er Karriere im Volkswagenkonzern gemacht. Oliver
Blume wurde in Braunschweig geboren und lebt heute mit
seiner Frau und zwei Töchtern in Stuttgart. Als Hobbysportler nimmt er an Halbmarathons teil, früher spielte
Blume Fußball, meist auf der Liberoposition.
OLIVER
BLUME
bei diesem Auto von einem Problemfall
zu einem Glanzstück mutiert. Der
Porsche-Schriftzug findet Halt, das
Ende hat jetzt eine elegante Aggressivität, Schärfe und Definiertheit.
Mauer wirkt etwas stiller und bescheidener als andere Designer. Er
genießt die Eleganz seines Entwurfs,
aber er problematisiert dessen Perfektion. Als Designer freut ihn eine
sichere Markenidentität, aber umso
wichtiger wird in Zukunft die Produktidentität. „Dass wir eben nicht in
die Falle laufen, dass zwar jeder
Mensch einen Porsche erkennt, aber
nicht mehr weiß, um welches Modell es
sich handelt.“ Das Audi-Problem, sagt
der Journalist. Mauer lacht. So will er
es natürlich nicht nennen, spricht lieber über eine andere deutsche Marke,
bei der sich aus seiner Sicht Mittelund Oberklasse sehr ähnlich sehen.
Wird der Cayenne nächstes Jahr auch
so ein Heck bekommen? „Darüber darf
ich nichts sagen“, erklärt Mauer, um
dann schelmisch hinzuzufügen: „Ein
früherer Entwicklungsvorstand hat
immer gesagt, da muss man die Glaskugel nicht allzu sehr polieren, um drauf
zu kommen, dass der Cayenne ein
vergleichbares Heck bekommt.“
Künftig wird jeder Überholte noch
klarer sehen, dass er von einem Porsche überholt wurde. Um es kurz zu
machen: Mauer hat den Panamera zu
einer muskulös-sehnigen Schönheit
gemacht. Obwohl er einen Hauch größer geworden ist, wirkt er kompakter
und leichter. Insbesondere das Heck
und die Schultern scharf konturiert, die
Linienführung auf der Motorhaube
ebenso wie die Linien an den Flanken.
„Der Wagen sieht aus wie ein Leistungssportler, der nach Jahren des
entspannten Genießens wieder angefangen hat zu trainieren.“ Wie jedes
Auto ist es das Double seiner Macher.
Mauer zwickt sich in die Hüften und
erklärt: „Ich muss mir das Croissant
am Morgen auch sparen.“
Das klingt kokett, wirkt der 53-Jährige doch drahtig wie ein GT3 RS. Von
hinten nähert sich Oliver Blume, ebenfalls drahtig bis zum Kantigen. Ehemaliger Fußballer und Triathlet, der Bodymass-Index der Porsche-Führung erinnert an den von Leistungssportlern.
Blume wird an diesem Tag 48 Jahre
alt und sieht jünger aus. Als er mit
Mauer am Auto steht, wird der sonst
nüchterne CEO ziemlich euphorisch,
spricht von einem „Quantensprung“.
Blume: „Der neue Panamera ist – und
das ist mir extrem wichtig – noch mehr
Porsche geworden.“
Für ihn ist es das erste Auto, das er
noch entscheidend mitprägen konnte,
nachdem er im Herbst ziemlich überraschend die Nachfolge vom jetzigen
VW-CEO Matthias Müller übernommen hatte – alles im Zuge des VWSkandals. Seit 2013 war Blume Produktionsvorstand und kannte die Baureihen daher sehr gut. Der Panamera
sei ein sehr wichtiges Auto, erklärt
Blume, und nach sieben Jahren eben
renovierungsbedürftig.
Als wäre das Äußere nicht verführerisch genug, bietet das Innere eine
zweite, fast nachhaltigere Überraschung. Das Interieur war bei den ganz
alten Porsche eine spartanische Minimalismus-Meditation und ist mit den
Traditionsbrüchen der wassergekühlten
(Boxster und 996) zu einer etwas modischen Nachlässigkeit verkümmert.
Jetzt findet das Interieur auf eine sehr
luxuriöse Art zum Minimalismus der
Ur-Elfer zurück. So als hätten Apple
und F.A. Porsche (der Designer des
Elfer 1963) ein uneheliches Kind gezeugt. Die Materialien verkörpern in
unterschiedlichen Grautönen jene kühle, reduzierte Eleganz, wie sie für digitale Hardware und zeitgenössische Architektur selbstverständlich geworden ist.
Das Multimedia-Display beendet den
sympathisch-nachlässigen Is-mir-egalStyle der Zuffenhausener, wenn es um
die Digitalisierung der Fahrzeuge geht.
Wie müssen zeitgenössische Autos
aussehen? So, könnte man vermuten.
18
sieht, besonders am Heck, bieten wir
unseren Kunden spürbar mehr Platz.“
Über der akkuraten Frisur von Blume
erkennt man die Ausrundungen der
Dachverkleidung, die den Passagieren
mehr Bewegungsfreiheit gibt. Der hohe, bislang ungeahnte Standard innen
soll so auch beim Cayenne nächstes
Jahr selbstverständlich werden.
Porsche bleibt ein ganz eigener Kosmos, weil Weissach auch eine ganz
eigene Aura besitzt. „Das Traditionelle,
Mittelständische, ja Familiäre wird
erhalten bleiben. Obwohl wir jetzt
25.000 Mitarbeiter sind, wirkt es noch
immer so, als ob jeder jeden kennt.
Und jeder kann sich auf den anderen
verlassen. Und die Obsession für das
Produkt verbindet. Da fighten alle für
die letzten Extraprozente für Performance und Qualität, auch unter
schwierigen Umständen wie in den
vergangenen Monaten.“ Blume war ein
paar Monate lang CEO, zugleich Produktionsvorstand und in Vertretung
auch Entwicklungsvorstand für den im
Zuge der Abgasaffäre beurlaubten
Wolfgang Hatz. „Das ging nur mit diesem unglaublichen Team – und dem
Vertrauen in die Mitarbeiter. Bei uns
passt die Mischung wie in einer guten
Fußballmannschaft“, erklärt der ehemalige Libero. Da half natürlich auch,
dass der neue VW-CEO Müller seine
Liebe zu Porsche nicht mit dem neuen
Amt verloren hatte. Der Mentor konnte
auch helfen, wenn es sein musste. Bis
auf den Dialekt (Müller spricht, obwohl
in Sachsen geboren, ein breites Boarisch) sind sich Blume und Müller
ähnlich, wenn es um die Obsession für
das Produkt geht. Gleichzeitig managen sie gerne. Bei Porsche hat sich die
Belegschaft in den vergangenen fünf
Jahren fast verdoppelt, und da musste
Blume den Laden wieder rekonturieren, so wie Mauer den Panamera.
*
Auch bei der x-ten Runde auf dem
Beifahrersitz erträgt Blume die Raserei
des Journalisten klaglos. Er fordert gar
dazu auf, das Auto über Ecken, Wellen,
Unebenheiten zu scheuchen. Er will,
dass der Panamera nicht als BoulevardBeauty erkannt wird, sondern als Spaß
für den Track. Deswegen regt er auch
an, das Dickschiff aus Tempo 190 auf
Null herunter zu bremsen, mit voller
Kraft. Es stinkt und staubt. Der Porsche-Chef hat den Wagen in Leipzig
und Nardò selbst am Limit bewegt. Er
weiß, was die Kiste kann.
Als wir dann an der Teststrecke
stehen und die Reifen und Bremsen
noch vor sich hin dampfen, geht es um
Rechts der Porsche-Chef am Lenkrad,
unten der Autor. Das Nummernschild
legt die Latte für den Wagen hoch
Oliver Kröning/ Studio Orel
Natürlich ist das ein kostspieliges und
luxuriöses Format. Aber gerade dieses
„Geld-Rausfeuern“ sah bei deutschen
Autos oft etwas neureich und günstig
aus. Der techige Touchscreen und die
lackierten schwarzen Kunststoffteile
erinnern an Schachspiele im Museum
of Modern Art. Für Blume, der sich
selbst einen „Qualitätsfanatiker“
nennt, war das Finish entscheidend.
„Qualität beginnt aber logischerweise
beim Fahrzeugkonzept. Dazu kommt
die spätere Funktions- zur Anmutungsqualität. Und die Servicequalität ist
selbstverständlich enorm wichtig für
unsere Kunden. Wer es mit der Qualität ernst meint, muss sie ziemlich komplett denken, leben, umsetzen.“
Da galt es, im Inneren jene Nonchalance aufzugeben, die Porsche über
Jahre gepflegt hat. Was die Kommunikationstechnologien betraf, waren Porsche Neo-Vintage. Man sah bis zum 991,
dass dieses Thema lange vernachlässigt
wurde. Das wollten Blume und Mauer
ändern. Es sollte puristisch und clean
werden, aber auch eine Anmutung haben, die man eher in Bentley oder RollsRoyce-Autos vermutet – minus den
barocken Pomp. Beim Testfahrzeug
erkennt Blume noch Mängel im Detail.
„Die Oberfläche ist noch nicht ganz in
Ordnung“, erklärt Blume. „Wenn Sie die
Tür öffnen, sehen Sie noch ein paar
nicht ganz perfekte Stellen. Im neuesten Stand, der inzwischen gebaut wird,
ist das allerdings auch schon korrigiert.“
Der Touchscreen ist doppelt so groß
wie bisher, die Bedienelemente sind
digitalisiert, geben aber auch noch eine
analoge Rückkopplung, wenn man sie
drückt. Blume ist detailversessen. „Am
Ende kann der Kunde vielleicht nicht
sagen, warum sich das besser anfühlt
oder das schöner aussieht, es ist einfach das Zusammenspiel. Es sind so
viele Details, die am Ende dann die
Wahrnehmung und Perfektion ausmachen.“ Ob das mehr Geld gekostet
hat? „Nein“, sagt Blume. „Richtig geplant und vorbereitet, kostet das nicht
mehr Geld. Wir mussten nur detaillierter planen und in der Konsequenz viel
ehrgeiziger werden. Wer extrem genau
plant, kann neue Qualitätsniveaus ohne
zusätzliche Etats erreichen.“ Aber auch
beim Blech bietet der Panamera Details
für Feinschmecker. Blume fährt mit
seinen langen Fingern die Abrisskanten
am Heck und den Verlauf der Seitenlinie nach. Der sonst sachliche, zurückhaltende Blume gerät ins Schwärmen.
„Also wenn Sie sich jetzt diese Ziehtiefen mal anschauen, das ist absolut
beeindruckend. So kommt die Porschetypische Schulter ideal zur Geltung.
Diese Ziehtiefe müssen Sie aus einer
Aluminiumplatine erst mal rausholen,
und gerade bei so einem Fahrzeugteil
mit dieser Länge ist das die ganz, ganz
hohe Kunst des Werkzeugbaus.“
Um noch mehr Knowhow in der
Herstellung von Blech- und Aluminiumteilen zu erhalten, hat Porsche von
Kuka die Werkzeugbausparte gekauft.
„Für uns hat das hervorragend gepasst.
Wir erhöhen damit unsere Wertschöpfungstiefe und sichern uns wertvolles
Knowhow. Für unsere Fahrzeuge brauchen wir erstklassige Werkzeuge.“ Er
kniet vor dem Panamera. „Das ist noch
mal ein Riesenunterschied, wie die
Radien ausgeführt sind, wie die Oberfläche ... nirgends gibt es eine Unruhe
im Blech. Die Präzision, wie dann die
Kanten durchgezogen sind, diese
Schärfe, diese Perfektion kriegen Sie
nur hin mit einem ganz besonderen
Erfahrungsschatz.“
Blume hat kein Problem damit, seine
Konkurrenz zu loben: „Die S-Klasse von
Mercedes ist im Bereich der Luxuslimousinen ganz hervorragend, was Qualität, Komfort und Stimmigkeit betrifft.
Mit unserer neuen Luftfederung werden wir da aber noch eins draufsetzen“,
strahlt Blume stolz, der jetzt im Fond
des Panamera Platz genommen hat.
Dort findet der 1,93 Meter lange
Manager gut Platz. Auch das freut ihn
erkennbar. „Obwohl das Auto von außen knackiger und dynamischer aus-
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
Rückleuchten von Porsche 718, 911,
Macan (v.l.) – so dreidimensional werden die Leuchten auch beim Panamera.
Hinzu kommt eine dunkle horizontale
Linie wie beim 718
19
SONNTAG, 19. JUNI 2016
die Zukunft. Für Porsche erst mal komische Themen wie die Digitalisierung.
„Wir müssen die nächsten zehn Jahre
vorplanen. Es geht um große Sprünge:
Neue Technologien, Elektromobilität,
Digitalisierung, Konnektivität – und
dabei wollen wir die Stärken von Porsche in die Zukunft tragen. Wie passt
unsere Tradition in die Zukunft, damit
Porsche auch in Zukunft Porsche
bleibt?“ Blume selbst nimmt ein Beispiel aus den Medien: Unter der Woche
nutzt er digitale Medien, am Wochenende liest er gerne auch gedruckte
Zeitungen. Er will beides bieten: ein
Auto, das man unter der Woche vernünftig, sparsam und irgendwann –
falls gewünscht – auch autonom fahren
kann, und das gleichzeitig fürs Wochenende „ein richtiges Spaßauto“ ist.
Automatisiertes Fahren ist für Blume
auch auf der Rennstrecke kein Tabu. So
könnte es für den Elfer etwa irgendwann als App ein zubuchbares Rennsporttraining geben, in dem „Mark
Webber als virtueller Fahrer mal eine
Runde vorlegt. Der Wagen fährt dann
komplett autonom und zeigt, wo ich
ideal anbremse, wo ich wie optimal
beschleunige – auf diese Weise kann
ich von den Besten lernen. Mit so einer
Vision kann ich viel anfangen.“ Gleichzeitig soll der Panamera oder Cayenne
beim Fahren vor ein Restaurant den
Fahrer und seine Frau (oder die Fahrerin und ihren Mann) vor dem Eingang
absetzen und sich selbst einen Parkplatz suchen. Beim neuen Panamera
gibt es schon jetzt einen Stauassistenten, hier fährt, bremst, lenkt das Fahrzeug selbstständig – bis Tempo 60.
Doch Blume weiß, dass Tradition für
diese Marke genauso wichtig ist. Deswegen haben die Zuffenhausener für
die Elferisten mit dem 911 R eine puristische Fahrmaschine mit Handschalter
gebaut. Und ohne Spoiler. „Das wird in
Zukunft auch ein wesentliches Element
unserer neuen Strategie sein“, verspricht Blume unseren Lesern, den
Petrolheads. „Einen Porsche will man
in jedem Fall auch in Zukunft selbst
fahren. Nein, eigentlich muss man ihn
selbst fahren wollen. Aber eben nicht
immer. Und die Selbstfahrsysteme
bieten manchmal mehr Komfort.“
Bei der Digitalisierung soll die Feier
des Analogen nicht vergessen werden.
Die Tradition macht die Marke und das
Michael Mauer hat in seinem Büro zig
Porsche-Modelle versammelt, die er
wie optische Zitate beim Interview auf
den Tisch stellt. Und dann malt er auch
noch. Hier die PS WELT-Skizze
Unternehmen so beliebt. Als er die
Bewerbungen für das neue Werk in
Leipzig durchsah, war Blume beeindruckt, dass es fünfzig Mal mehr Bewerbungen als Stellen gab.
Mit der Gründung der Porsche Digital GmbH soll möglichst jeder verwertbare Aspekt der Digitalisierung in die
Traditionsfirma eingespeist werden.
Der Kopf Thilo Koslowski kommt aus
dem Silicon Valley und ist Porsche-Fan.
Das hilft. Schon die Urväter der Digitalisierung wie Bill Gates und Steve Jobs
waren Petrolheads und Elferfahrer,
deshalb gibt es Leidenschaftsschnittstellen, die jetzt professionalisiert
werden müssen. Mit Büros im Valley
wie an der Torstraße in Berlin.
Während sein Vorgänger Müller
noch etwas ketzerisch über Tesla
sprach („Warum sollen die ein Vorbild
sein mit ihren roten Zahlen?“), ist
Blume voller Respekt. „Ich habe Hochachtung davor, was Tesla auf die Beine
gestellt hat, mit welchem Mut sie an
die Themen rangegangen sind. Sie
haben in jedem Fall die Automobilindustrie in Bewegung gesetzt – und
unabhängig davon, dass Tesla noch
keinen Dollar verdient hat, sind das
inspirierende Methoden und Prozesse,
die sie einführen. Ich schaue mir immer gute Sachen an. Ich lerne gern von
anderen, übertrage es und kombiniere
das dann mit den eigenen Stärken.“
Das hat er auch schon als Produktionsvorstand getan, auch die Firmen der
Konkurrenz besucht. „Wir müssen die
ganze Industrie nach vorne bringen.“
Die großzügige Einschätzung von
Tesla hat auch mit dem Selbstbewusstsein zu tun, das Porsche hat, seit sie
mit dem Mission E ihr erstes E-Mobil
angekündigt haben. „Mit dem Mission
E bringen wir ein unglaublich emotionales Elektrofahrzeug auf die Straße.
Warum? Weil wir eben genau wie beim
GT 2 oder 911 R denken. Jede neue
Baureihe muss gut zu unserer Tradition und unserem sportlichen Erbe passen.“ Und zum deutschen Standort.
„Da haben wir sehr viel dafür getan,
die Technologie hier in Deutschland zu
halten, hier in Baden-Württemberg.
Wir sind stolz, dass die ganze Belegschaft geholfen hat, ein wirtschaftliches Paket auf die Beine zu stellen. Der
Preis muss attraktiv sein, aber da bin
ich zuversichtlich. Das wird sich auch
über Skaleneffekte ergeben, wenn die
Elektromobilität an Fahrt gewinnt.
Entscheidend für den Erfolg der Elektromobilität sind Ladezeit, Reichweite
und Ladeinfrastruktur. Wir haben unser Produkt so konzipiert, dass wir uns
in 15 Minuten in der Lage sehen, 80
Prozent von 500 Kilometer Reichweite
zu laden. Während dieser Zeit kann ich
an der Autobahnraststelle anhalten,
einen Kaffee trinken und anschließend
weiter fahren.“ Diesen Plan will Porsche aber nicht allein verwirklichen.
„Für den Ausbau dieser Schnellladeinfrastruktur benötigen wir die Unterstützung der Politik. Wir werden auch
einiges selbst in die Hand nehmen. Von
alleine passiert nichts, wenn man bis
zum Zeitpunkt X eine Million Elektrofahrzeuge auf den Straßen haben
will. Da müssen Industrie und Politik
Höchstleistung bringen. Und das nicht
nur in Deutschland, logischerweise.“
Elektromobilität soll ein Standbein von
Porsche werden. Der Mission E wird
nur der Anfang sein.
Am Ende des Tages parkt der Panamera wieder vor der imposanten Glaswand der Designhalle. Blume steigt in
seinen Dienst-Macan und rollt zur Familie, um den Geburtstag zu feiern. Wer
sich also einen Panamera zum Angeben
kaufen will, hat seine Macher nicht
verstanden. Es geht darum, eine gute
Zeit zu haben und dabei auf dem Boden
zu bleiben. Darum geht es bei Porsche:
konkret bei der Straßenlage wie im
übertragenen Sinne bei der gewünschten Demut vor der Verantwortung desjenigen, der zeigen kann, dass es ihm
gut geht und er Erfolg hat. Blume fährt
den kleinen Dienstwagen seines Unternehmens.
20
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
Ziemlich laute Lebenslust
Der MASERATI GHIBLI gilt zurecht als eines der schönsten Autos, die jemals gebaut
wurden. Grund genug, unseren Testfahrer Jochen Wagner durch die Alpen zu jagen
W
enn Flammen aus dem
Lüftungsschlitz der Motorhaube schlagen, Vollgas geben, bloß nicht
stehen bleiben, dann
fackelst du ihn ab“, mahnt
der Mechaniker. Wir sind im bayerischen Pfaffenwinkel,
Ghibli fahren. Die Startzeremonie bedeutet zweimal, auf
keinen Fall öfter, aufs Gaspedal treten. Klappt. Heiser
trompetet der Maserati aus dem hinten sich rausreckenden Doppelrohr. Oh, du tierischer Sound! Obenraus dreht
er gierig, der Achtzylinder mit vier offenen, flammsiebbewehrten Weber-Doppelvergasern.
Mit dem dreispeichigen Holzlenkrad bedient man die
schwergängige Lenkung (Servo gab es erst später gegen
Aufpreis). Endlich kein Sauwetter mehr und wenig Verkehr hier. Bequeme Ledersitze, luxuriöses Interieur.
Komfortabel. Wird der Asphalt aber holprig, schwimmt
die Fuhre freilich und reicht die Stöße ohne Filter an die
Insassen weiter. Einzelradaufhängung vorne, aber hinten
die Starrachse samt Blattfedern und Panhardstab – da
rühren die 1.640 Kilo spürbar die Linie durcheinander.
Auf glatter, lang gezogener Piste ein souveräner Gleiter,
verlangt das Glühen mit dem Ghibli einen Könner. Dezenter Speed aber wird vom schwarzen SS von 1973 sofort belohnt. Und’s Promenieren. Selbst in den Dörfern
heißt es: Dreizack mit Zuschauer! Diese alte Karre hat
eine Aura, die sogar auf der Anhöhe zum Fernblick in die
Alpen für Applaus sorgt.
Über frisch verschneite Gipfel schweifen die Gedanken
ins Vergangene. Ein roter Ghibli glüht eine Küstenstraße
an der Côte d’Azur entlang. Atemberaubend. Am Steuer:
Alain Delon, die Sozia: Romy Schneider. Man schreibt das
Jahr 1968, es läuft gerade der Film „Der Swimmingpool“.
Traumauto, Traumpaar, Traumstraße. Das ist Kult, das
langt für Youtube noch heute.
„Masseerraaattiii“, das war auch im Autoquartettspiel
ein Favorit unserer Kinderträume. Gut 50 Jahre ist das
her, doch die Passion altert nicht. Autos verbrauchen ja
nicht nur Energie für die Bewegung, sie laden auch unsere
Lebensbatterien wieder auf. Automobilsein ist der Traum,
den Schwung alles Lebendigen in eine Apparatur zu fangen. Wie in einen Maserati. Die Welt erobern mit Eros auf
vier Reifen.
Die Marke ist nun auch schon 100 Jahre im Verkehr. Als
Società Anonima Officine Alfieri Maserati von den fünf
Brüdern Alfieri, Bindo, Carlo, Ernesto und Ettore am
1.12.1914 in Bologna gegründet – im Ersten Weltkrieg ist
das ein kreativer, ziviler Impuls. Das Markenlogo, der
Dreizack, italienisch „Tridente“, ist dem Neptunbrunnen
zu Bologna entlehnt und verheißt Furor pur.
Anfangs baute Maserati nur Rennwagen – mit denen
etwa Fangio 1957 die Formel-1-WM gewann –, erst 1946
folgte das erste Serienmodell, der A6. Bis 1967 war das
Unternehmen im Besitz der Familie Orsi, gehörte dann zu
Citroën und De Tomaso und seit 1993 zu Fiat – es wird
also eng mit Ferrari kooperiert. Dessen Modernisierungsund Qualitätsmanagement tat dem rasenden Dreizack
freilich nur gut. Denn Maserati, immer schon schnell und
schön, war auf gut Deutsch halt auch ein „Glump“ – was
auch der Preisverfall der Gebrauchten zeigt, außer bei
dem 2.800 Mal gebauten Zagato Spyder.
Der Ghibli erregte Aufsehen als einer der schnellsten
Sportwagen der 1960er-Jahre. Kaum auf dem Autosalon in
Turin 1966 vorgestellt, avanciert der klassische Gran Turismo zum Edelsportler der oberen Zehntausend. Ab 1967
ausgeliefert, als ein Maserati-Motor im Cooper seinen
letzten Formel-1-Sieg feierte, wird der Flitzer mit 1.247
Exemplaren (inkl. 125 Spyder) zum Bestseller. Benannt
nach einem tunesischen Sahara-Wind, ist der Ghibli wohl
das Glanzstück des Designers Giorgetto Giugiaro, der
auch den BMW M1 kreierte. Als er 1964 von Bertone weg
geht, hat er schon einen Entwurf für die Carrozzeria Ghia
in der Tasche. Aus ihm entsteht binnen drei Monaten der
Ghibli. Der Dreizack im niedrigen, über die ganze Front
laufenden Kühlergrill krönt eine lange flache Motorhaube,
der sich ein Zweisitzer-Fond und ein lang abfallendes
Schrägheck (Inspiration für Audi 100, VW Scirocco, Bitter,
Aston Martin DBS und andere) anschließen.
Bei diesem Wagen steigen
die Damen gerne ein. Hübsch von
außen, hübsch von innen
und sogar hübsch unter der Haube
Der rot-braune Ghibli
aus „Swimmingpool“
Das faszinierende Kleid über dem kunstvollen Gitterrohrrahmen birgt einen 4,7 Liter großen V8-Motor (basiert auf dem Rennmotor von 1956, ab 1964 im Quattroporte) mit zunächst 330 PS/441 Nm, ab 1970 im SS (SuperSport) einen 4,9-Liter mit 335 PS/480 Nm. 4,59 Meter lang,
1,80 Meter breit, 1,16 Meter hoch, ähnelt der Ghibli mit
Flügelmuttern an gut bereiften Speichenrädern, elektrisch
klappbaren Scheinwerfern, chromgefassten Scheiben und
Fließheck in Proportion und Form zwar dem Lamborghini
Miura, wirkt aber graziler. Schnell haben die üblichen
Verdächtigen wie Jean-Paul Belmondo, Peter Sellers, Sammy Davis Jr., Henry Ford II usw. einen Ghibli in der Garage – für 73.000 Mark, schön und teuer. Stil, die Alltagsschwere in Leichtigkeit aufzuführen, kostet halt Geld. Und
Sprit. „Playboys fahren Ferrari, aber Gentlemen sitzen im
Maserati“, lautet ein bekanntes Zitat von Peter Ustinov,
Von JOCHEN WAGNER
Fotos JULIAN BENEDIKT
der auch wusste: „Man sollte zwei Maserati haben, damit
sich immer einer in der Werkstatt erholen kann.“
Doch aufgemerkt: So träge oder malade ist der Bock
nicht, stellt er doch 1970 im Test bei „Auto, Motor und
Sport“ mit gemessenen 274,8 km/h einen Rekord auf. Eleganz und Kraft gehen zusammen, zumindest wenn das
Werk wie beim Testauto Sorgfalt obwalten lässt. Kundenexemplare kommen nur auf 250 Sachen. Nur? Sein Tempo
langt und im Finish – einfach Traum. Wir erleben, er-fahren
ihn und dröhnen zurück, dem nahenden Gewitter davon.
Einen neuen Ghibli gibt es nun seit 2013. Das Revival
mit diversen Dreiliter-V6-Motoren hat zwischen 300 und
400 PS und ähnelt einem downgesizten Quattroporte oder
kommt in die Nähe eines BMW 5er. Gediegen, qualitativ
top, auch schnell, nobelstes Understatement eben. Dennoch geht den Neuinterpretationen der Lifestyle, das
flirrende Lebensgefühl der 1960er-Jahre, dieser swingende
Pop ab, von Sekunde zu Sekunde in purer Improvisation
statt nach Vorschrift zu leben. Der alte Ghibli bleibt das
ungeschminkte Vergnügen. Heute ist das schöne, schnelle
„Glump“ nicht unter 120.000 Euro zu haben (vor zehn
Jahren waren es noch 50.000 Euro). Eine Sozia samt geschwungener Kurven ist leichter zu finden.
Unser Ghibli, Augapfel unter zahllosen vom Kleissl
Hans, Mercedes-Flügeltürer-Profi im Oberland, zeugt mit
seinen römischen Kennzeichen vom verheißenen Leben in
Arcadia. In ihm spielen Form und Funktion miteinander.
Nur das Nötigste, analoge Rundinstrumente, den Drehzahlmesser im Blick, ein paar Schalterchen, elektrische
Fensterheber schon damals, aber das war es. Weder Sicherheitsgurt noch Airbag. Der Mechaniker ätzt: „Ist halt
nix für Mädels.“ – „Woss?“, wettert die Sozia, denn ihr
steht der feine Ghibli auch wie angegossen. Erst beim
Tanken wird die Emanzipation runtergedimmt. Er säuft
nämlich nicht schlecht, der Maserati. Und grüßt aus einer
Zeit, wo keine ökologische Nachhaltigkeit so schönes
rollendes Blech schrammte. Mobiles Glück unplugged.
Niveau schaut halt auch in Sachen mechanische
Skulptur nur von unten aus wie Arroganz.
21
SONNTAG, 19. JUNI 2016
Das Auto zum Kind
Schöne Dinge, um unseren Nachwuchs schon jetzt autosüchtig zu machen …
Audemar Piguet Royal Oak
und Panzer Leopard – weil
lumbersexual gestern war
Tudor Glamour und
Mercedes SLC – coole Kombi
Dezent, aber stilsicher
Männlich bis ins Mark
Echtes Elektroauto –
mein erster Mercedes
Großer Fahrspaß
für die ganz Kleinen
Holzautos von Vilac
– savoir-vivre
Schöne Holzautos mit
französischem Flair
Omega Seamaster 300 M und
BMW 7er – für alles bereit
Tag Heuer Nismo
und Nissan Skyline GT-R –
Performance ohne Gehabe
Pierce Brosnan kann nicht irren
Zwei wie Hantelbank und Energieriegel
LEGO Speed Champions
– ganz wie Mama oder Papa
Coole Serie wunderbarer
Sportwagen
Das Eisen zum Blech
Heute aus der Rubrik „Luxusprobleme“: Welche Uhr passt zu welchem Auto?
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22
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
G
roßartig ausgeschildert ist das hier nicht, aber wer
sich aufs Unimog-Testgelände mit
seinem Pkw verirrt, der hat sowieso ein
Problem. Das PS WELT-Team ist mit
passenden Fahrzeugen versehen und
hat dabei einiges zu besprechen.
ALBRECHT WILKE: Das kann er
jetzt nicht gesagt haben. Hat er es
wirklich gesagt? Hat er „springen“
gesagt?
STEFAN ANKER: Mein Gott, ja. Ich
sehe den kleinen Hügel, ich sehe das
große Auto, und ich will Bilder machen.
Also probier’s halt.
Ich schaue zu dem Daimler-Mann
an meiner Seite. „Vierter Gang und
Vollgas“, sagt der. Um Leser ohne
Lkw-Führerschein zu beruhigen:
Der Unimog hat acht Gänge, so
schnell wird es also im vierten nicht.
Trotzdem ist mir mulmig.
Okay, Kamera auf zehn Bilder pro Sekunde, Belichtungszeit eine Tausendstel – ich will den Unimog knackscharf.
Und ich will ihn fliegen sehen. Flieg,
Unimog, flieg!
Oh! Mein! Gott! Er hebt ab, sechseinhalb Tonnen Unimog verlassen
ihre Umlaufbahn, es ist für eine
Sekunde ein unglaubliches Gefühl.
Die Landung hätte ich mir allerdings
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gerne erspart. Der Bug des Unimog
zeigt steil nach unten, krachend
setzt er wieder auf. Der DaimlerMann guckt, als hätte er Schmerzen. Jedenfalls sollte man die ganzen Auto-Flüge im Kino nicht glauben, und der Bus in „Speed“ wäre
im wahren Leben wohl senkrecht
von der Brücke gestürzt.
Yes, we can! Das hat zwar etwas gekracht, aber ich würde den Sprung gern
noch einmal aufnehmen, bei der Landung stand ein Gebüsch im Bild. Ein
Fotografenkollege von Daimler ist
ebenfalls da, reißt den Busch heraus,
wir sind bereit. Nur Wilke schwächelt,
der Unimog fliegt nicht noch einmal.
Und irgendwie ist auch keiner bereit,
die G-Klasse zum Vergleich fliegen zu
lassen. Man müsste es mal mit einem
Porsche 911 versuchen, der wird vorn
nicht so heruntergezogen.
Vielleicht können wir aber auch mal
arbeiten. Dies ist das Testgelände
für Daimlers Unimogs, der coolste
Männerspielplatz von allen …
… nach der Nordschleife …
… und es ist doch auch viel beeindruckender, was beide Autos schaffen, wenn sie mit allen Rädern auf
dem Boden bleiben.
Okay, da sind tolle Steigungen, das
muss ich zugeben. 60 Prozent Schotter,
70 Prozent Beton, der Unimog dampft
da hoch, als wäre es eine Uferpromenade. Am besten finde ich, dass
beide Autos am Hang anhalten und
dann lässig wieder anfahren können.
Ganz egal, ob man es mit der Automatik des G oder der manuellen Schaltung des Unimog versucht.
Aber die Achsverschränkung ist
beachtlich. Und hier kommen ihm
auch die Portalachsen zugute.
Hä?
Vielleicht könnte sich der Herr Fotograf ja mal fragen, warum zum Einsteigen in beide Testautos eine Leiter ganz praktisch wäre.
Dass sie überaus hochbeinig sind, ist
mir schon aufgefallen. Deswegen hast
du doch in der G-Klasse so viel Spaß.
Der Wagen bügelt über alles drüber.
Ja, der G 4x42 liegt 20 Zentimeter
höher als eine übliche G-Klasse,
weil er die Portalachsentechnik
vom Unimog übernommen hat.
Okay, und wie funktioniert das?
Wenn die G-Klasse
driftet und der
Unimog zum Weitsprung ansetzt,
dann befindet sich
das Team der
PS WELT hoffentlich
nicht in Ihrer Nähe,
sondern auf einem
abgeschiedenen
Testgelände. Dort
zahlt es sich aus,
dass man einen
Lkw-Führerschein
hat, und aus Dunkelblau-Metallic wird
irgendwann
ein mattes Grau
Was an der Kraft ihrer Motoren
liegt. Vierliter-V8 im G, Biturbo, 422
PS, 610 Newtonmeter. Der Unimog
fährt mit Turbodiesel: Reihensechser, nur 299 PS, aber 7,7 Liter Hubraum. Darum 1.200 Newtonmeter
Drehmoment. Zwölf-hun-dert!
Und offensichtlich Grip ohne Ende.
Der Unimog fährt sogar eine 60-prozentig ansteigende Treppe hoch, wobei
die Reifen naturgemäß weniger Bodenkontakt haben. Da muss der G passen,
weil sie ihn heute mit Autobahnreifen
ausgerüstet haben. Ich bin ebenfalls
nicht optimal vorbereitet: Meine Turnschuhe verlieren auf dem Abstieg von
der Schotter-Steigung den Halt, und
ich falle hart auf den Rücken.
Das tut schon beim Zusehen weh.
Weil ich mich nicht abstütze, sondern
die Kamera hochhalte. Jetzt ist der
rechte Ellbogen schwer lädiert. Mercedes-Lkw-Sprecher Claws Tohsche
bleibt gelassen. „Der Wilke und ich
kennen uns vom Technischen Hilfswerk.“ Will sagen: Ein THW-Mann
weiß immer Rat. Tohsche hat Desinfektionslösung im Auto und duscht
darin meine riesige Schürfwunde – aua!
Dann wäre das ja geklärt, und ich
kann mit dem Unimog über die Felsen kraxeln. 48 Zentimeter hoch
ragen die aus dem Boden, aber der
U5030 geht drüber wie ein Gecko.
Vielleicht nicht ganz so schnell.
Normalerweise setzt eine Achse in
der Mitte der Räder an. Bei unseren
beiden Spielzeugen liegt die Achsmitte aber höher als die Radmitte
und ist durch ein sogenanntes Vorgelege mit den Rädern verbunden.
Wenn man diese Konstruktion direkt von vorn oder von hinten betrachtet, wirkt sie wie ein Torbogen.
Ein Portal.
Darum kann der Unimog kurzzeitig
110 Prozent steigen (G-Klasse: 100
Prozent), und er hält eine Seitenneigung von 38 Grad aus, ohne zu
kippen (G-Klasse: 36 Grad).
Und weil man weiß, wie viel unters
Auto passt, ohne dass es am Unterboden schabt, verliert man allen Respekt
vorm Gelände. Wird schon gehen, mein
Auto ist ja hoch. Ich fürchte, wenn so
eine Monster-G-Klasse mal einen Unfall hat, dann tut es richtig weh.
Kann ich mir auch vorstellen. Wenn
ich die Beschleunigungskraft des V8
bedenke (7,4 Sekunden von null auf
100 km/h), dann wäre der bei der
Sprungübung wahrscheinlich erst
außerhalb des Testgeländes wieder
gelandet.
Ich würde gern wissen, was das für
Leute sind, die solche Autos kaufen.
Reiche Leute. Der Unimog kostet
300.000 Euro, und der G 500 4x42 ist
ab 230.000 Euro zu haben.
Klar muss man reich sein, um ein Auto
mit sechsstelligem Preis zu haben. Aber
was tun die Leute mit ihrem Über-G?
Und erst recht mit dem Unimog?
Mercedes sagt, den Unimog kaufen
tatsächlich überwiegend Nutzfahrzeugkunden, etwa Hilfsorganisationen. THW und so.
Die mit den Desinfektionsmitteln.
Und die von uns getestete G-Klasse
geht vor allem in arabische Länder,
ganz dem Klischee entsprechend.
Ich denke, wegen der Dünenrennen,
das ist ein beliebter Sport da unten. Mit
dem G 500 4x42 versägt man jeden X5,
jeden Cayenne, einfach alle.
Du würdest also die G-Klasse nehmen. Ich stehe mehr auf die absurden Kletterfähigkeiten des Unimog. Da ist er selbst der besten
G-Klasse noch überlegen.
Und ich mag die Unverschämtheit des
aufgemotzten G 500, vor allem seinen
Sound. Mach die Augen zu, und du
denkst, es kommt eine Corvette angebollert. Mach die Augen auf, und
es kommt etwas viel Besseres.
23
SONNTAG, 19. JUNI 2016
N
eulich bekam ich
eine E-Mail von Alpina, es ging um ein
Event. Ich habe ein gestörtes Verhältnis zu weißen Wänden, wohl weil meine Mutter immer von Alpinaweiß
schwärmt, weil das robust und frisch
ist. Events mit Alpina sind nichts für
mich, dachte ich kurz. Dann las ich die
E-Mail doch bis zum Ende.
Okay, Sie haben es natürlich schneller kapiert als ich. Es geht nicht um
Wandfarbe. Es geht um Autos. Sie sind
ja auch jemand, der sich für Autos
interessiert. Würden Sie sich fürs Renovieren interessieren, hätten Sie jetzt
„Schöner Wohnen“ in der Hand und
nicht „PS WELT“.
Das Event war ein Autorennen. Kein
Autorennen für Rennautopiloten, sondern ein Rennen für Kunden. AlpinaKunden haben nämlich ein Problem. Sie
haben einen Alpina BMW gekauft, 30
Prozent teurer als ein normaler BMW,
und nun sitzen sie da. Malträtiert von
Tempo-30-Zonen, von Tempolimits und,
wenn’s schlimm kommt, von Stop and
Go. Stop and Go ist auch im Opel Corsa
schlimm. Wenn man aber 400 PS, ein
optimales Fahrwerk, ein Drehmoment
der Sonderklasse und vier Auspuffrohre
am Heck hat, dann ist Stop and Go auf
die Dauer ungesund. Weil ein Fuß, der
aufs Gas will, aber nicht darf oder nicht
kann, die Psyche verändert. Es war ein
Rennen für Menschen mit einem riesengroßen Kraftstau.
Ich selbst habe keinen Kraftstau. Ich
fahre ja auch keinen Alpina, nicht mal
einen BMW, sondern Volvo. Er hat sieben Sitze und einen Riesenkofferraum,
ja, es ist ein SUV. Ich bin eine Art fahrendes Feindbild für Alpina-Besitzer und
alle, die gern schnell oder, wie Schnellfahrer es nennen: sportlich fahren.
Ich werde sofort von dem Autorennen erzählen, kleinen Moment
noch. Erst muss ich von meinem Auto
erzählen. Nicht von meinem Volvo,
obwohl der wirklich lieb und gut und
zuverlässig ist.
Weiß, aber schuldig
Eine neue Sportart für sich zu entdecken ist immer mit Anfangsschmerzen verbunden.
Schön, wenn dafür auch die Glückshormone schnell zur Stelle sind
Von KATHRIN SPOERR
Foto MICHAEL LÖWA
Mein Alpina war blau. Ein sehr dunkles Blau. Wenn man ihn länger anschaute, sah man, dass seine Haut ein
bisschen grün, ein bisschen weiß, ein
bisschen silbern glitzerte. Ich blickte
meinem Alpina in die Scheinwerfer. Ein
Auto von vorn anzusehen, finde ich
wichtig, es ist wie einem Menschen in
die Augen zu sehen. Seine Augen waren
schmal und aufmerksam. Geheimnisvoll. Er sah intelligent aus. Nun
wollte ich sein Inneres sehen. Und
jetzt kommt’s: Er war weiß. Alpinaweiß. Frisch und robust, würde meine
Mutter sagen, was aber nicht stimmt.
Verletzlich war er. Edel und empfind-
Vom SUV ins richtige Auto – geht
doch, auch wenn es anstrengend ist
sam. Ein Auto, das einfach nicht mit
Ketchup bekleckert werden will, das
überhaupt „nein“ zu Kindern sagte. Es
war mir egal. Meine Kinder waren ja zu
Hause geblieben. Niemand würde heute dieses Leder besudeln. Heute nur ich
und dieses schlangenhaft schöne Wesen, das nicht wie ein Kraftproll aussah, sondern wie jemand, der jetzt
wahnsinnig gern mit mir shoppen fahren würde. Doch, halt, es ging ja heute
um Autorennen.
Ich testete die Beweglichkeit meines
Fußes, Fuß rauf, Fuß runter. Der Alpina
blitzte und lächelte frech. Er sah bereit
aus. Mein Fuß war noch etwas steif.
Ich startete den Motor. Das war
leicht. Die Aufgabe bestand nun darin,
brav hinter dem Coach herzufahren,
und zwar die Rennbahn entlang, also
eigentlich immerzu im Kreis. Überholen und drängeln war verboten – fast
wie auf der deutschen Autobahn. Ich
musste eigentlich nichts tun, außer den
rechten Fuß zu bewegen, und das hatte
ich ja gerade geübt. Der Coach im ersten Auto erklärte nun per Walkie Talkie, was … ja, was eigentlich?
Der Konvoi fuhr langsam ein paar
Schleifen und bog dann auf die Rennbahn ein. „Blinker setzen“, sagte der
Coach. Ernsthaft! Blinken! Wir fuhren
eine Kennenlernrunde. Mein Fuß durfte nun arbeiten. Ich drücke das Gaspedal. Das Auto macht einen Hopser
und ich dachte: Huch! Da hatte ich
wohl etwas zu heftig trainiert.
Die Rennbahn heißt Bilster Berg. Sie
liegt im mittelgebirgigen Westfalen. In
diese Berge hinein haben sie eine Bahn
gebaut, die die Prinzipien des Straßenbaus unberücksichtigt ließ, was, wie
ich bald merke, der Sinn einer Rennbahn ist. Es gibt hier Steigungen wie
auf der Skipiste und Buckel mit
schlimmster Sichtbehinderung. Es gibt
Stellen, die so eng sind, dass man nicht
mal bei Tempo 30 überholen würde,
und dann natürlich Kurven. Steile Kurven, enge Kurven, steile und enge und
sichtbehinderte und bucklige Kurven.
Es gibt jede Sorte verrückter Kurven.
Das kann einem Menschen, der Wandfarbe und Autos nicht unterscheiden
kann, schon einen Schreck einjagen.
Der Sinn des Rennens war es, diese
absurd die Verkehrssicherheit missachtende Kurvenstrecke von Runde zu
Runde schneller zu fahren. Schnell
fahren klingt ja sehr einfach. Es klingt
nach Gas. Das ist ein Irrtum. Ich musste sehr schnell, und zwar in jeder Runde schneller, lernen, dass es auf Anderes ankam. Auf Gas im richtigen Moment. Aufs Bremsen. Aufs Bremsen im
richtigen Moment. Aufs „hart Bremsen“. So hart, dass die Bremsbeläge, die
Reifen und mein Kopf an Grenzen
stießen. Und dann: die richtige Linie.
Auch das klingt leicht. Mein Alpina
konnte es auch, nur mir fiel es schwer.
Der Kopf: Er wollte am Anfang immer hin und her fliegen, was unangenehm war, obwohl ich einen Helm trug.
Der Kopf musste aber fest bleiben, er
durfte nicht verkrampfen. Der Körper:
Er musste lernen, nicht jede Kurve mit
Kraft zu bekämpfen. Er musste locker
bleiben. Er durfte auch nicht verkrampfen. Das klingt sehr einfach. Aber wenn
man Gas, hart Bremsen, optimale Linien und irrwitzige Kurven zu bewältigen hat und dabei immer immer immer
schneller werden muss, dann ist es ganz
schön schwer, nicht zu verkrampfen.
Ich will es kurz machen. Die Sache
mit der Verkrampfung habe ich nicht
wirklich hingekriegt. Ich schaffte es auch
nicht, auf den Tacho zu schauen. Das
wäre zu viel gewesen. Mein Fuß, mein
Körper, mein Gehirn und die Klimaanlage arbeiteten wie die Irren. Sie war nicht
ganz so stark wie meine Schweißdrüsen.
Wir hatten drei Stunden, mein Alpina
und ich. Es waren die anstrengendsten
Stunden, die ich je mit einem Auto hatte. Ich fahre jetzt wieder Volvo. Ich
versuche, den Alpina zu vergessen. Es
wird mir irgendwann gelingen.
Seinen Namen, verdammt, den wollen Sie sicher wissen. Ich habe
vergessen, danach zu fragen.
24
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
enjamin Brandt fährt
gerne Ente, und das
wirklich gut. So gut, dass
er uns wiederholt auffiel,
als er gerade mit seinem
Citroën quer durch Berlin zur Arbeit eilte. Wir schrien ihm
begeistert zu, er möge einmal anhalten
(hupen ist ja verboten), wir winkten aus
dem Fenster und am Ende steckten wir
sogar Zettel hinter die Scheibenwischer
seines geparkten Autos. „Bitte melde
Dich!“ Und: „Keine Angst, wir sind
nicht irre, nur autoverrückt“. Nicht
gefährlich, nur leidenschaftlich. Endlich der Anruf, gefolgt von einem
Essen nebst Ausfahrt im roten Renner.
Unsere Begeisterung ist für normale
Menschen vielleicht befremdlich, aber
für Autonarren wahrscheinlich verständlich, denn Benjamin gleitet mit
dem roten 2 CV 6 Club durch den Berufsverkehr wie ein Opinel-Filetiermesser durch Butter, die zu lange in der
südfranzösischen Mittagssonne gestanden hat. Das erinnert verdächtig an
die rasende Nonne in den GendarmerieFilmen von Louis de Funès und macht
schon beim Zusehen enormen Spaß,
weil sich das rote Auto bei jeder bloßen
Ahnung einer Kurve so stark neigt, dass
man fast sehen kann, ob der Fahrer
seine Schuhe auch ordentlich zugeschnürt hat.
Aber das Allerschönste: Es beweist,
dass man nicht endlos PS braucht, um
zügig vorwärts zu kommen, es zeigt uns,
dass man völlig legal, aber trotzdem
schnell fahren kann, und es bestätigt
das, was wir ja alle eigentlich sowieso
wissen: Es kommt immer auf den Menschen hinter dem Steuer an. Entweder
kannst du fahren oder eben nicht.
„Die Ente klingt beim Losfahren wie
ein startendes Kart“, sagt Benjamin und
gibt uns damit schon einen ersten Hinweis, woher er sein fahrerisches Können hat. Wie viele Stunden er als junger
Mann auf der Kart-Bahn verbracht hat?
„Unzählige.“ Das ist die beste Fahrschule überhaupt, und man merkt es
B
DER BESTE
Autofahrer von allen
Wie wir zufällig jemanden entdeckten,
der wirklich fahren kann
Wer sagt, dass man mit 27 Pferdestärken in einem alten Auto
keinen Spaß haben kann? Wir nicht
auf jedem Meter. „Ist dir schon aufgefallen, dass die Ente rot ist wie ein
Ferrari und das Zündschloss links hat
wie ein Elfer?“ Ja, ist mir aufgefallen,
und einen Boxermotor hat sie auch,
wenn auch nur mit zwei Zylindern.
Warum gerade eine Ente? Na, weil er
auf der Ente seiner Mutter das Fahren
gelernt hat und nach einigen Jahren
mit einem Mini Cooper S einfach wieder eine Ente wollte. Benjamin weiß,
seine Ente ist ein unterschätztes Auto
für Petrolheads, jedenfalls wenn man
bereit ist, alle paar Sekunden zu schalVon GUIDO BELLBERG
Fotos STEFAN BEETZ
ten. Das Drehzahlband des kleinen
Motors ist schnell ausgedehnt, dafür ist
die Schaltung eine echte Rennnummer:
erster hinten links, zweiter vorne Mitte, dritter hinten Mitte, vierter vorne
rechts und hinten rechts, nun, da geht
es nicht weiter, das war’s.
Welche Genugtuung, die rote Ente
dabei zu beobachten, wie sie sich zwischen zwei unfähigen SUVs hindurchschlängelt. Welche Freude, anzuer-
kennen, dass der Fahrer wirklich jeden
Schleichweg und jede Ampelphase so
weit verinnerlicht hat, dass das Ganze
semiautomatisch abläuft und so mehr
bewusste Aufmerksamkeit für den
Verkehr, der ihn umgibt, übrig bleibt.
Wie ein Gitarrist, der nicht erst überlegen muss, wo der Lautstärkeregler
am Verstärker ist, wenn er auf einer
stockdunklen Bühne den unfähigen
Mann am Mischpult ärgern möchte.
Wie ein Meisterkoch, der mit dem
Brotmesser Dinge anstellt, vor denen
ambitionierte Hobby-Brutzler auch mit
Messerbesteck für Tausende von Euros
fluchend scheitern. Es ist eine echte
Petrolhead-Offenbarung, jemanden zu
beobachten, der in einem alten französischen Auto mit 27 PS Fahrzeuge hinter sich lässt, die das Zehnfache kosten
und über Motoren verfügen, die wesentlich mehr Leistung ausspucken.
Extrem befriedigend und süße Rache
für all die hinter unfähigen Kombifahrern verlorenen Lebensminuten, all die
hinter Eltern auf dem „School-Run“
verpassten Grünphasen und all die
durch Zweitereiheparker aufgenötigten
Spurwechsel. Der Mann fährt
für uns alle, und er fährt gut.