als PDF - Kulturstiftung der Länder
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Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 1 2016 IM SCHLOSS VOM UMGANG MIT FÜRSTLICHEN SAMMLUNGEN DEUTSCHLAND IM 19. JAHRHUNDERT: FRÜHE FOTOS FÜR MÜNCHEN HESSEN: DIE SAMMLUNG JOHANN FRIEDRICH STÄDEL EDITORIAL Glanz und Gloria? Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder Liebe Leserin, lieber Leser, „Wi l l kom m“ d e r h es s is ch e n Förste r Eh ren gab e an d en h es s i s c h en Regi er u n gs - u n d Fo rstse k re tä r Geo rg Co n rad H ab er ko r n ( Wi n d h au s en 1692 - 1774 G rünbe rg) S t raßbu rg 1 627- 1639 Si l b er, ve rgolde t Mei s t erze iche n: H P H ö h e: 52 c m, Gewicht: 9 53 g Widmu n gsi n sch r i ft S OV I EL H OLTZ M AN B EY U NS FÄL LT = S OV I E L SEEGEN, G LÜC K U N D H EI L , WER D E U NS ER N C H E F ZUTH EI L . D I ES ES WÜ NS C H EN AN NO 17 56 O b er fö r s t er G. E. Mü l l er, J. S. Eu l er, J. H . H u s c h ky, J.A. Wick Rei t en d e Fö r s t er J. J. H o ff, J. A. H ar t man n , E .C . Re itz, J. P. B ec k, G.C. Ch el i u s, , J. A. Sc h rau b, H.A. C ra me r G.C. H ab er ko r n Regi er u n gs - u n d Fo r s t S e cre ta rius O b er fö r s t er J. J. H ab er ko r n / F.W. H ab er ko r n / J.C. Ro t h / J. S chuhl Rei t en d e Fö r s t er J. H . Wal t h er / J. L . Ni el s / G.C. H a be rkorn / J. A. H u b er / C. Sc hwab / J. P. Rei t z / F. E.C. Ha be rkorn J. P. St rec ker Regi er u n gs - u n d Fo r s t Se cre ta rius G alerie N eus e Kuns thandel G mb H , Ac him N eus e Vo lker Wurster Co ntres c arp e 1 4 , 2 8 2 03 Bremen, Tel. : 042 1 3 2 56 42 , w w w. galerieneuse .com „Das ist eben das Unterscheidende der Monarchie, daß sie auf den Glauben an einen höhergeborenen Menschen, auf der freiwilligen Annahme eines Ideal menschen, beruht“, schrieb der junge Novalis 1798 im Überschwang der beginnenden Romantik und brachte damit die Grundlagen für die Faszination des König tums auf den Punkt. Auch wenn wir es heute besser wissen und historische Wissenschaft und Presseöffent lichkeit, Revolutionen und Diktaturen erheblich am – nicht immer „freiwilligen“ – Konstrukt des „idealen Menschen“ kratzen, so lebt diese Idee doch auf mannig fache Weise fort. Gefilde dieser Wunschträume und Projektionen sind die Schlösser, die wie kaum ein anderer Bautyp die Fantasie ihrer Besucher beflügeln oder gelegentlich beunruhigen, wie die bewegten Debatten um Abriss und Wiederaufbau so manchen deutschen Stadt schlosses zeigt. Von Schleswig-Holstein bis Bayern ist unser Land, das aus bald 40 souveränen Fürstentümern und freien Städten bestand, ein vielfältiges Schlösserland. Was einstmals nur der höfischen Gesell schaft und ausgewählten Besuchern vorbehalten war, ist heute oft ein Publikumsmagnet: vergangene Kulturleis tung und jetziger Standortfaktor in einem (wenngleich, immerhin, 2015 das Schloss Neuschwanstein als belieb testes Reiseziel in Deutschland von einem badischen Vergnügungspark verdrängt worden ist, der „Europa“ im Namen trägt). Hinter allem Glanz aber erzählen Schlösser auch eine andere Geschichte. Denn wie Sie in der Frühlings ausgabe von Arsprototo lesen können, berichten Deutschlands Paläste immer auch von Aufstieg und ARSPROTOTO 1 2016 Niedergang, Geschmackswandel und Neubetrachtung – eingebettet in geschichtliche wie ideologische Zusam menhänge und bis heute als große finanzielle, juristi sche und ethische Herausforderung erlebt. So sind Schlösser Brenngläser der Wechselfälle des 19. und 20. Jahrhunderts, wovon das Schicksal ihrer Bauten und Sammlungen in Ostdeutschland nach 1945 nur ein Kapitel von vielen ist, das uns bis heute beschäftigt. Um so mehr freuen wir uns, dass es nun, nach jahre langen Verhandlungen, gelungen ist, einen Großteil des historischen Inventars aus dem Eigentum der ehemaligen Herzogsfamilie zu Mecklenburg für das gleichnamige Land zu sichern. Was das insbesondere für Schloss Ludwigslust bedeutet, davon berichtet Ihnen unser Autor Michael Zajonz ab Seite 28. Mir bleibt, Ihnen einen schönen Frühlingsanfang zu wünschen und Ihnen ab Seite 50 unser Porträt des Sammlers und Museumsstifters Johann Friedrich Städel zu empfehlen, mit welchem wir das Land Hessen würdigen möchten, dem diese Ausgabe von Arsprototo gewidmet ist. Das Bürgertum, nicht die Krone, steht hinter vielen großen Museumsgründungen. Erinnern wir uns daran, dass dieses Engagement heute noch genauso wichtig ist wie vor 200 Jahren. Ihre Schloss Rheinsberg: Blick durch die Lange Kammer ins Schreibkabinett im 1. Obergeschoss 3 AUTOREN SAMUEL WITTWER Schlossherr Samuel Wittwer begibt sich für Arsprototo auf einen Streifzug durch die Räume und Säle seiner berühmtesten Liegen schaften in Schloss Sanssouci, dem Potsdamer Neuen Palais und in Schloss Charlottenburg. Originale Einrichtung der Fürsten oder Mosaik der Jahrhunderte? Diese Kardinal frage an die Ausstattung der königlichen Gemächer beantwortet der Direktor bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg durchaus unterschied lich: Je nach Vorgeschichte ergeben sich andere, bisweilen sogar kreative Ansätze. Wo einst Höflinge, Kammerzofen und Kaiser die große Bühne betraten, kümmern sich nun Kastellane und Konservatoren um den Prunk vergangener Reiche. Fragen der Gestaltung dieser Räume sind ein ständiges Thema für Samuel Wittwer: Die historischen und ästhetischen Bedingungen heutiger Muse umsschlösser untersucht denn auch gerade ein von ihm mit-initiiertes Forschungsprojekt zur Geschichte der staatlichen Schlösserver waltungen Deutschlands im 20. Jahrhundert. ––– Seite 20 BODO VON DEWITZ Das Thema seiner Doktorarbeit fand Bodo von Dewitz buchstäblich auf der Straße, indem er Postkartenfotos aus dem Ersten Weltkrieg sammelte und daraus die Kriegs erinnerungen und Erfahrungswerte der Soldaten analysierte, parallel zu einem ersten Ausstellungsprojekt über die fotografierende Heimatfront. Mit dem Sammeln hörte der Kunsthistoriker und langjährige Leiter der 4 IMPRESSUM Fotografischen Sammlungen im Museum Ludwig Köln nicht mehr auf: Spektakulär gelang 2005 der Ankauf der kostbaren Agfa-Photo Sammlung mit 11.000 Foto grafien für Köln. Aber auch den Ankauf der historischen Bildersammlung von Robert Lebeck ebenso wie die Erwerbung der sowjetischen Fotografien von Daniella Mrazkova verdankt Köln dem Sammeltrieb Bodo von Dewitz’. Für Arsprototo breitet er das Panorama einer einzigartigen Sammlung von Fotografien des 19. Jahrhunderts aus: Der Sammler Dietmar Siegert übergab seine wertvolle Kollektion mit zahlreichen Inkuna beln der frühen Fotografie-Geschichte dem Münchner Stadtmuseum. ––– Seite 40 GILBERT LUPFER THOMAS RUDERT Steuerschulden wurden konstruiert, private Sammler enteignet, Devisen mit dem Verkauf der Kunstwerke beschafft: Der Kunstraub in der DDR ist ein noch weitgehend im Dun keln liegendes Kapitel des untergegangenen deutschen Staats. Die Provenienzforscher Gilbert Lupfer und Thomas Rudert werfen in ihrem Essay ein erstes Licht auf diese Enteig nungen, beleuchten aber auch die in der Sowjetischen Besatzungszone organisierte Zerschlagung von Großgrundbesitz sowie die Eingliederung von geraubten Werken in ostdeutsche Museen. Gemeinsam mit ihrem Team sind die Wissenschaftler seit vielen Jahren für die Provenienzforschung an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden verantwortlich. Gilbert Lupfer und Thomas Rudert formulieren für Arsprototo An- und Herausforderungen der Untersuchungen zu DDR-Enteignungen, die zukünftig vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg initiiert werden sollen. ––– Seite 60 Titelbild: Georg David Matthieu, Prinzessin Sophie Friederike (Ausschnitt), 1776, 85 × 75 cm; Schloss Ludwigslust Arsprototo Das Magazin der Kulturstiftung der Länder Lützowplatz 9, 10785 Berlin Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 8914251 Redaktion 030 - 89 36 35-27 E-Mail arsprototo@kulturstiftung.de Internet www.kulturstiftung.de Herausgeberin Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder Projektleitung Dr. Stephanie Tasch Chefredakteurin Carolin Hilker-Möll Geschäftsführender Redakteur Johannes Fellmann Redaktionelle Mitarbeit Jenny Berg, Elisa Kaiser, Juliane Kummer Senior Editor Dieter E. Beuermann Consulting Editor Dr. Philipp Demandt Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com Vertriebsleitung, Abonnement, Internet Johannes Fellmann Anzeigen Jenny Berg, Telefon 030 - 89 36 35-21 Dr. Ursula Boekels (Zeit Kunstverlag), Telefon 040 - 3280-1633 INHALT 3 EDITORIAL TITELTHEMA IM SCHLOSS 4 AUTOREN / IMPRESSUM 8 P ASTOR KOHL von Paul Klee 20 10 MECKLENBURGISCHER PLANSCHATZ DES 18. JAHRHUNDERTS Abonnements Arsprototo – Abonnementservice, Bessemerstraße 51, 12103 Berlin E-Mail abo@kulturstiftung.de Telefon 030 - 89 36 35-29 Fax 030 - 26 55 56‑71 Jahresabonnement: 20 Euro Erscheinungsweise Viermal jährlich Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 10.3.2016 Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 15.000 Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Litho Mega-Satz-Service, Berlin Herstellung Buch- und Offsetdruckerei H. Heenemann GmbH & Co., Berlin Vertrieb OML KG , Berlin ISSN 1860 - 3327 Arsprototo erscheint mit Unterstützung des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder. Kulturstiftung der Länder Stiftung bürgerlichen Rechts Lützowplatz 9, 10785 Berlin Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 89 14 251 E-Mail kontakt@kulturstiftung.de Internet www.kulturstiftung.de Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner Dezernenten Dr. Britta Kaiser-Schuster; Dr. Stephanie Tasch Leiterin der Verwaltung Erika Lancelle Finanzbuchhalterin Angela Neumann-Bauermeister Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak Assistentin des Vorstands Jenny Berg TRAUMFABRIK MIT BILDUNGS AUFTRAG Schlösser der Republik zwischen Umnutzung, Rekonstruktion und methodischer Aus stattung — von Samuel Wittwer WARTEN AUF SCHWERIN 28 12NACHLASS von Marianne Hoppe 14VORLASS von Volker Braun 15 HIERONYMUS IM GEHÄUSE aus der Schule des Joos van Cleve 16 T RINKSCHIFF von Hans Ludwig Kienlin d. Ä. Mit dem Ankauf der Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin konnte 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung ein langwieriger Restitutionsfall abgeschlossen werden — von Michael Zajonz Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. ARSPROTOTO 1 2016 5 INHALT 38 VERKALKTER KOLOSS LÄNDERPORTRÄT HESSEN elfen Sie mit: Für den Herakles-Brunnen H des barocken Gartens bittet das hessische Schloss Weilburg um Ihre Unterstützung 50 „ZUM BESTEN HIESIGER STADT UND BÜRGERSCHAFT“ KÜNSTLER, BÜRGER, KÖNIGE 40 Die einzigartige Deutschland-Sammlung von Dietmar Siegert mit Fotografien des 19. Jahrhunderts gelangt ins Münchner Stadtmuseum — von Bodo von Dewitz Vorbildliche Kunstförderung 2015 günther uecker „Uecker“, K20, düsseldorf otto Piene „Licht“, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster heinz Mack „Apollo in meinem Atelier“, MKM Museum Küppersmühle, duisburg 2016 thomas struth Die Sammlung Johann Friedrich Städel in Frankfurt am Main — von Uta Baier 46 PORTALE INS JENSEITS Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder unterstützte die Restaurierung eines klazome nischen Sarkophags in Leipzig 48 NEUE BÜCHER 49 SPENDEN / ABONNIEREN / BILDNACHWEIS 56 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN 60 S CHLOSSBERGUNG, REPUBLIK FLUCHT, KUNST GEGEN DEVISEN – PROVENIENZFORSCHUNG IN OSTDEUTSCHEN MUSEEN „Nature & Politics“, 04.03. – 29.05.2016, Museum Folkwang, essen Johannes brus „Probe zu: Tanzen für Brâncuși“, 17.03. – 16.05.2016, Lehmbruck Museum und „Einerlei wo außerhalb der Welt“, Museum DKM, duisburg tony cragg „Retrospektive“, 19.04. – 14.08.2016, Von der Heydt-Museum, WuPPertal — von Gilbert Lupfer und Thomas Rudert 64 NACHRICHTEN 65 E INE DYNASTIE PRÄGT EUROPA Thüringens Landesausstellung widmet sich dem mächtigen Fürstenhaus der Ernestiner 66 S CHÖN IM DEPOT Alexander Klar über Fritz Erlers Gemälde „Soldaten“ im Museum Wiesbaden richard deacon „Drawings 1968 – 2016“, 26.08. – 13.11.2016, Museum Folkwang, essen Ausgezeichnet mit der „Nadel der Medici 2014“ national-bank.de 6 ERWERBUNGEN PUNKTEN MIT KLEE In wenigen schwungvollen Linien entwarf Paul Klee (1879 –1940) die Physiognomie eines Geistlichen mit Kragen und Hut und knüpfte mit seiner überzeichneten Porträtdarstellung an die ironischen, karikaturhaften Arbeiten seines Frühwerks an. Indem er „Pastor Kohl“ aus einem rechteckigen, leicht verzogenen Raster kleinster Farbfelder zusammensetzte, ließ Klee die Farbstruktur vibrieren. Durch Tiefe und Transparenz entfaltet sich ein leben diger Bildraum, aus dem sich der Pfarrer zu lösen und beinahe zu schweben scheint. Nannte Klee selbst seine Malweise „pointillie ren“, waren es doch weniger die Einflüsse der französischen Maler des Pointillismus, sondern mehr die kurz zuvor besuchten byzantinischen Mosaiken von Ravenna, die ihn inspirierten: Klee erprobte die Zusammenklänge der Farben, ihre Wirkung und Kontraste. Ohne Farbverlauf grenzte er in „Pastor Kohl“ die Farben sorgsam gegeneinander ab, legte sie in winzigen Formen mosaikengleich neu aus. Von den Nationalsozialisten aus seinem Amt als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie vertrieben und als „entarteter“ Künstler ge brandmarkt, verließ Klee Ende des Jahres 1933 Deutschland in Richtung Schweiz; ab 1937 wurden seine Arbeiten aus den Museen ent fernt. Klees 1932 entstandenes Pastorenbildnis verblieb auch während des Exils und nach dem Tod des Künstlers 1940 im Besitz der Familie Klee. Die Bayerischen Staatsgemäldesamm lungen erwarben mit „Pastor Kohl“ aus dem Nachlass des Künstlers ein wertvolles Haupt werk, das in der Pinakothek der Moderne München auf gute Gesellschaft trifft: Die erlesene Sammlung der Klassischen Moderne zählt bereits über 20 Arbeiten des Malers. Paul Klee, Pastor Kohl, 1932, 50 × 65 cm; Pinakothek der Moderne, München Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne e.V. 8 KUNST AUF LAGER SCHWERINER SCHATZ Prominenz statt Provinz: Der zufällige Fund eines einzigartigen Plankonvoluts bewertet die höfische Architektur Mecklenburg-Vorpommerns neu. Fast 200 Jahre war der sogenannte Mecklenburgische Planschatz unangetastet geblieben. Bei Recherchen zur Baugeschichte von Schloss Ludwigslust im Landeshauptarchiv Schwerin entdeckte die zuständige Kunsthistori kerin 2011 auf der Rückseite eines Dokuments den entscheidenden Verweis. So konnte ein wertvoller Schatz gehoben werden, der all die Jahre unentdeckt in einer Kiste in der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern „Günther Uecker“ lagerte: Rund 600 unerforschte Architekturpläne des 18. Jahrhunderts aus der herzoglichen Plankammer – darunter Skizzen des Ludwigsluster Schlosses, die als verschollen galten. Die Blätter umfassen Zeichnungen geplanter und realisierter Hofbauten, Entwürfe für Gartenanlagen, Ländereien und Kirchen sowie Gouachen, Kupfer stiche und Lithografien schönster Schlossfassaden. Die fortlaufende wissenschaftliche Aufarbeitung des Fundes verdeutlicht, dass das mecklenburgische Bauwesen zu Unrecht unterschätzt wird: Im Konvolut enthalten sind Blätter von bedeutenden französischen Architekten wie Jean Laurent Legeay (1710 –1786) und Jean de Bodt (1670 –1745), die den Bauherren Mecklenburg-Vorpommerns offensichtlich als Inspiration dienten. Der Planschatz setzt die Architektur des Gebietes in prominenten Bezug, offenbart die ambi tionierte Planung und Ausrichtung an internationalen Baukunstzentren wie Paris, Rom oder Wien. Im Rahmen des Bündnisses „Kunst auf Lager“ fördert die Kulturstiftung der Länder nun die Restaurierung bedeutender Blätter aus dem Schweriner Museum, die im Zusammenhang mit dem Planschatz stehen – darunter seltene und unikale Blätter. Die Erhaltung von 163 beschädigten Werken er möglicht die für 2018 geplante Ausstellung des Planschatzes, die schließlich jedweden Verdacht des Provinziellen im mecklenburgischen Bauwesen verfliegen lassen dürfte. Planausschnitt für Gartenanlagen und ein Lustschloss, 26,5 × 42 cm; Staatliches Museum Schwerin 10 ARSPROTOTO 1 2016 11 ERWERBUNGEN AUGEN-BLICKE DES THEATERS Eine Schauspielerin auf dem Gipfel ihres Erfolgs: Die Fotografie von Heinz Köster zeigt Marianne Hoppe (1909 – 2002) an der Seite von Gustaf Gründgens (1899 –1963) Anfang der 50er Jahre in der Inszenierung von T. S. Eliots „Die Cocktail Party“ in Düsseldorf. Kraftvoll und distanziert, zerbrechlich und differenziert spielte sie in ihrer über 70-jährigen Karriere am Theater, begeisterte ihr Publikum aber auch im Film. Hoppe, die bereits 1927 ein Engagement am Deutschen Theater in Berlin erhielt, erlebte die Theaterarbeit der Weima rer Republik, im Dritten Reich sowie in der Nach kriegszeit. Von Max Reinhardt und Gustaf Gründ gens, mit dem sie von 1936 bis 1946 verheiratet war, über Heiner Müller bis hin zu Robert Wilson reicht die Riege der Regisseure, mit denen sie zu sammengearbeitet hat. Ihr überaus reicher, theatersowie zeitgeschichtlich gewichtiger Nachlass, den das Deutsche Theatermuseum jetzt erwerben konnte, macht die große Kunstleistung der Schau spielerin Marianne Hoppe in unterschiedlichsten Zeugnissen ihrer beruflichen wie privaten Vergan genheit greifbar. Den schönsten Rückblick auf das Gelebte und Geleistete erlaubt der lückenlos erhal tene fotografische Nachlass. Die über 1.500 Auf nahmen bewahren eindrucksvolle Augenblicke der überaus wandelbaren Mimin. Hoppes Nachlass hält mit geradezu virtuos geschriebenen Tagebüchern sowie Notizen ihre persönliche Weltanschauung facettenreich fest. Handschriftlich bearbeitete Rollenmanuskripte spiegeln ihren künstlerischen Duktus ebenso wie die zahlreichen Briefe, die Hoppe von prominenten Kollegen der Theaterwelt empfing. Das Deutsche Theatermuseum verfügt nun über einen umfassenden Quellenfundus zur Film- und Theatergeschichte des vergangenen Jahrhunderts, der das lebhafte Bild einer der großen Schauspielerinnen ihrer Zeit bewahrt. Tagebücher von Marianne Hoppe aus der Zeit ihrer Ausbildung an einer Handelsschule in Weimar 1926 /27 (unten) sowie aus der Zeit nach Kriegsende 1945 /46; Deutsches Theatermuseum München Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Freistaat Bayern, Deutsche Forschungsgemeinschaft 12 ARSPROTOTO 1 2016 13 ERWERBUNGEN KUNST AUF LAGER DER VERGÄNG LICHKEIT ENTGANGEN Vorausschauender Rückblick Nur gegen erhebliche Widerstände der DDR-Zensur gelangte sein Werk „Großer Frieden“ 1979 auf die Bühne, Gedichte wie „Das Eigentum“ (1990) entfachten zur und nach der Wende heftige Debatten, sein Stück „Iphigenie in Freiheit“ (1992) wurde als „höhnisches Pamphlet auf das vereinte Deutschland“ betitelt (Die Zeit): Immer wieder stellte der 1939 in Dresden geborene Schriftsteller Volker Braun etablierte Verhält nisse in Frage und entwickelte sich so schon früh auch für das internationale intellektuelle Publikum zu einer festen gesellschaftskriti schen Instanz und Größe. Heute gehört der Lyriker, Dramatiker, Prosaautor und Essayist zu den künstlerischen Schlüsselfiguren des literarischen Lebens in der DDR; seine Arbeiten gelten als Spiegel der historischsozialen Entwicklungen jener Zeit. Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder konnte die Akademie der Künste in Berlin nun das vollständige Archiv des GeorgBüchner-Preisträgers erwerben. Die rund 150 Kästen aus den Jahren 1960 bis 2014 enthal 14 ten neben Tage- und Arbeitsbüchern, Ent würfen, Druckbelegen, Kritiken und Thea terplakaten die ca. 20.000 Blatt umfassende Korrespondenz mit einem breiten Spektrum bedeutender Namen aus Literatur und bildender Kunst. In seinem sorgfältig ange legten Vorlass dokumentiert Braun, der von 2006 bis 2010 als Direktor der Sektion Literatur an der Akademie der Künste tätig war, die zahlreichen Entstehungsstufen seiner berühmten Werke mit einer Fülle von kom mentierten Unterlagen, Zeitungsausschnitten und Fotos. Doch auch die Bibliothek des Autors mit Widmungsexemplaren und annotierten Büchern ebenso wie rund 50 Notizbücher mit Gedichtentwürfen, unver öffentlichten Texten und Notaten werden die Forschung zu Werk und Wirken des Schrift stellers, aber auch zum literarischen Leben in Deutschland bereichern. Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Deutsche Forschungsgemeinschaft Hieronymus' knorriger Zeigefinger, entschlossen auf den Totenschädel vor ihm deutend, lässt keinen Zweifel an der Mahnung des Alten: Bedenke, dass du sterben musst! Eine Mahnung, die im Gemälde „Hieronymus im Gehäuse“ aus der Schule des Joos van Cleve (1485 –1541) in Gestalt verschiedener Vergänglichkeitssymbole widerhallt und das gesamte Studierzimmer erfüllt. Nebst Sinnbildern der stetig verrinnenden Zeit – wie die erloschene Kerze und die prächtige goldene Wanduhr – vergegenwärtigt ein konkretes Memento Mori die düstere Conditio des Seins: Das Schriftstück, an die Rückwand des Zimmers geheftet, erinnert sinngemäß daran, dass das Wissen um die eigene Endlichkeit ein sündenfreies Leben birgt. Das Zitat entspringt der sogenannten Vulgata, Hieronymus' eigener Übersetzung der Bibel aus dem Gelehrtenlatein in ein volksnahes Latein. Versunken in Kontemplation, sitzt der Heilige vor einem offenen Buch, das eben jene Bibelübersetzung enthält. Zusammen mit dem breitkrempigen, scharlachroten Kardinalshut weist sie den studierten Hieronymus als einen der vier westlichen Kirchenväter aus. Das auf die Zeit um 1510 datierte Tafelbild – eine von 13 Variationen desselben Bild themas – zitiert in der Verwendung der Attribute die für die Renaissance typische Bildtradition um den Heiligen. Inspirieren ließ sich Joos van Cleve, der „Leonardo des Nordens“, von Albrecht Dürers ikonischen Darstellungen des Hieronymus. Trotz der hohen Relevanz für die Sammlung des Kurhaus Kleve konnte das Museum das Gemälde bisher nicht präsentieren: Der im Bild so prominent thematisierten Vergänglichkeit war das Werk im Laufe der Zeit selbst unterlegen. Abgeplatzte Malschichten und Holzwurmbefall hatten dem Motiv zugesetzt, ein Ausstellen schien unmöglich. Dank des Bündnisses „Kunst auf Lager“ konnte mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder der „Hieronymus im Gehäuse“ restauriert werden. Von den Zeichen der Zeit befreit, wird das Bild fester Bestandteil der Sammlungsschau und mahnt dort nunmehr lediglich metaphorisch die Endlichkeit des Seins an. Aus der Schule des Joos van Cleve, Heiliger Hieronymus im Gehäuse, um 1510, 38,4 × 29 cm; Museum Kurhaus Kleve ERWERBUNGEN EIN SCHIFF WIRD BLEIBEN Dekorativer Tafelschmuck und Spielerei für gesellige Runden zugleich, unterhielt das auf 1650 datierte Trinkschiff aus ziseliertem, größtenteils vergoldetem Silber als exquisites Kuriosum große Tischgesellschaften: Beim Festmahl füllte man den mit Rädern versehenen Rumpf mit Wein und rollte das Schiffchen zur allgemeinen Erheiterung über den Tisch; derjenige Gast, vor dem das Gefährt stehenblieb, musste es in einem Zug durch das am Bug angebrachte Rohr leeren. Seit fast 80 Jahren gehört das Trinkschiff zum Sammlungsbestand des Ulmer Museums, wo es die Kunstfertigkeit seines Schöpfers, des Ulmer Silberschmiedemeisters Hans Ludwig Kienlin d. Ä. (1591–1653), dokumentiert. Das Jahr 1937, in dem das Werk ins Ulmer Museum gelangte, verweist jedoch auf die tragischen Hintergründe des Ankaufs: Das Trinkschiff war Teil der Kunstsammlung des in Hamburg ansässigen jüdischen Ehepaars Budge. 1937 wurden die rund 2.000 Objekte an den Erben vorbei durch den Kunstauktionator Hans W. Lange in Berlin versteigert. Das Trinkschiff erstand der damalige Ulmer Kulturbeauftragte Carl Kraus für das Ulmer Museum. Auf der Basis der Washingtoner Erklärung von 1998 entschied sich das Ulmer Museum nun zur Rückgabe des Trinkschiffs an die Erbengemeinschaft nach Emma Budge, mit der auch eine Einigung über den Ankauf des Werkes erzielt werden konnte. Das kostbare Trinkschiff, das die rare Gattung der Scherzgefäße aus Ulmer Produktion aufs Schönste illustriert, bleibt somit der Sammlung des Ulmer Museums erhalten. Hans Ludwig Kienlin d. Ä., Trinkgefäß in Form eines Schiffes, um 1650, Silber, teilweise vergoldet, 20,5 × 18 × 7 cm; Ulmer Museum Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Stadt Ulm 16 KUNSTVOLL FÖRDERT KULTURELLE BILDUNG IN FRANKFURT RHEINMAIN Kulturelle Bildung für alle! Es gibt viele Wege zu diesem Ziel. Für den Kulturfonds Frankfurt RheinMain führt der wichtigste über die Schule. Daher bringt der Kulturfonds mit seinem Jugendprogramm KUNSTVOLL seit dem Schuljahr 2013/2014 die Kunst buchstäblich in die Schule. In enger gemeinsamer Arbeit gestalten Schüler und Künstler aus Frankfurt RheinMain über Monate ein Projekt und präsentieren es der Öffentlichkeit. Auf diese Weise leistet der Kulturfonds seinen Beitrag, an den Schulen der Region Zugänge zu herausragender kultureller Bildung zu schaffen. BEWERBUNGSSCHLUSS FÜR DAS SCHULJAHR 2016/2017 IST DER 11. MAI 2016 INFORMATION, BERATUNG UND BEWERBUNGSADRESSE Gemeinnützige Kulturfonds Frankfurt RheinMain GmbH z. H. Claudia Oberschäfer Ludwig-Erhard-Anlage 1–5 · 61352 Bad Homburg v. d. Höhe Tel 06172.999.4695 · kunstvoll@kulturfonds-frm.de www.kulturfonds-frm.de/kunstvoll In einem Europa der Regionen wollen wir die starke Position von Frankfurt RheinMain festigen und weithin sichtbar machen. Mit diesem Ziel führen wir die kulturellen Aktivitäten unserer Region enger zusammen und fördern neue Kulturprojekte mit nationaler und internationaler Ausstrahlung. Getragen wird der gemeinnützige Fonds vom Land Hessen, von Frankfurt am Main, dem Hochtaunuskreis und dem Main-Taunus-Kreis, Darmstadt, Wiesbaden und Hanau. www.kulturfonds-frm.de | Facebook | Twitter | Newsletter Samuel Wittwer über die Schlösser der Republik zwischen Umnutzung, Rekonstruktion und methodischer Ausstattung — Seite 20 Michael Zajonz über die Sammlung Herzogliches Haus MecklenburgSchwerin in Schloss Ludwigslust — Seite 28 TITELTHEMA IM SCHLOSS VON SCHLOSSMUSEEN UND MUSEUMS SCHLÖSSERN Wilhelm Barth, Ludwigslust, undatiert, 56 × 74,5 cm; Staatliches Museum Schwerin 18 ARSPROTOTO 1 2016 19 TITELTHEMA IM SCHLOSS TRAUMFABRIK MIT BILDUNGS AUFTRAG Schlösser der Republik zwischen Umnutzung, Rekonstruktion und methodischer Ausstattung von Samuel Wittwer W ir kommen nun in das Konzertzim mer des unteren Fürstenquartiers, einen Raum, in dem sich die Gäste des Königs zum Musikgenuss versam melten. Die großen Gemälde an der Wand hatte einst Kaiserin Maria Theresia verkauft, und Friedrich der Große erwarb sie über einen Kaufmann, aber erst als Folge einer kleinen Intrige, und das war so: …“ So oder ähnlich lernt der Besucher im Rahmen seines Rundgangs durch das Neue Palais in Potsdam einen wichtigen Raum des Erdgeschosses kennen und erfährt Verschiedenes zu Künstlern, zur Ausstattung, über Materialien und die Nutzung im 18. Jahrhundert (Abb. rechts). Die Zeit ist stehengeblieben, wir tauchen ein in die Geschichte, stehen mitten in einer „authenti zitätsschwangeren“ Atmosphäre und haben das Gefühl, der König sei nur eben mal im Urlaub. Sind Schlösser Zeitmaschinen? Ja und nein. Wenn wir uns zunächst fragen, was denn heute ein Anreiz für uns sein kann, auf die Bootsfahrt, den Kino besuch oder das Buch auf dem Sofa zu verzichten und ein Schloss zu besuchen, so kommt man auf vier grund sätzliche Beweggründe: Schlösser sind „Geschichts- Rhetorik“, sie überzeugen kraft ihrer Aura des Ortes von der Wahrheit der Geschichte, ihre Argumente sind beispielsweise Interieurs und Ausstattungen. Zugleich sind sie eine „Ästhetikschule“: Die Komposition ihrer Räume und Gärten – wohl durchdacht und auf Wir kung hin konzipiert – kann Beiträge zur Geschmacks 20 Potsdam, Neues Palais im Park Sanssouci, Unteres Konzertzimmer, Aufnahme von 2016 ARSPROTOTO 1 2016 21 bildung, zum Stilempfinden, zur Sensibilität in Mate rialfragen leisten und hilft mit, Qualität erkennen zu können. Darüber hinaus sind Schlösser „Traumfabri ken“, denn als zeitliche und ästhetische Gegenwelten erzählen sie von anderen Lebensformen, plaudern bisweilen von Reichtum, Größe, Einfluss oder Schön heit und regen damit die Fantasie an. Wie beim Durch blättern eines Adelsmagazins steht man plötzlich mitten drin. Und schließlich sind sie „a place to see“: Viele Schlösser und ihre Interieurs sind Sehenswürdigkeiten und Tourismusmagnete. Das obligatorische Foto vor der Silhouette von Neuschwanstein, auf den Terrassen von Sanssouci oder im Dresdner Zwinger gehört für viele Reisende zum Nachweis des Besuchs einer be stimmten Region. Die vier Faktoren spielen ineinander, doch eines ist ihnen gemein: Schlösser sind nicht ein fach nur Gegenstand, sondern sie sind anregende Projektionsflächen. Diese Mechanismen funktionieren, weil die meis ten Schlösser von Anfang an für ein breites Publikum gebaut wurden, von Höflingen, Bediensteten, Reisen den und Teilen der Bevölkerung zu allen Zeiten be trachtet werden sollten und konnten, um etwas über den Besitzer zu erfahren. So neu ist es also nicht, dass Gäste eine Erwartungshaltung haben, wenn sie aus unbestimmter Neugier oder mit konkreter Absicht ein Schloss besuchen. Heute begegnet man aber kaum noch einem adligen Bewohner, in vielen Fällen gehören sie der Öffentlichen Hand. Im Folgenden soll deshalb mit einem Blick in die jüngere Geschichte skizziert werden, was die staatlichen Schlösser heute über ihren Eigentümer, die Republik, aussagen können. Im Rahmen des zunehmenden Geschichtsinteresses des 19. Jahrhunderts wurden Schlösser, oder zumindest Teile davon, zunehmend musealisiert. Neben den Wohn- und Verwaltungsbereichen des Hofes bildeten sich Erinnerungsorte an Vorfahren oder Ereignisse Potsdam, Schloss Sanssouci, die Bibliothek Friedrichs des Großen, Aufnahme von 2012 22 heraus, die aus einzelnen Räumen (Bibliothek in Sans souci) oder ganzen Häusern (Schloss Pfaueninsel) bestanden. Persönliches Erinnerungs- und Repräsen tationsbedürfnis der Fürsten und akademische Ge schichtswissenschaft gingen Hand in Hand. So waren es unmittelbar vor der Revolution 1918 zum großen Teil Bürger (Bedienstete des Hofes, Wissenschaftler), die das Bild vom Schloss prägten bzw. vermittelten, womit hier nicht die Künstler und Ausstatter gemeint sind, son dern beispielsweise Kastellane als Schlossführer oder (Kunst-)Historiker als Zuständige für fürstliche Kunst sammlungen und Museumsbereiche. Es war aber kein aktuelles Bild des Schlosses, das sie vertraten, sondern ein historisierendes, indem sie Räume bzw. Schlösser als Geschichtsmonumente darstellten und damit die Bedeutung der Dynastie hervorhoben. Die Novemberrevolution 1918 und die Abschaf fung der Monarchie schufen eine Situation, die inner halb Deutschlands seit der in Folge des Reichsdepu tationshauptschlusses 1803 erfolgten Säkularisation kirchlicher Besitztümer nicht mehr gegeben war. Der Staat sah sich jetzt mit der Aufgabe der Verwaltung umfangreicher Immobilien konfrontiert. Schlösser, teilweise in städtebaulicher Ideallage, boten sich für zahlreiche verschiedene Nutzungsformen an, sei es für Wohnungen, für die Aufnahme von Verwaltungs- oder Bildungseinrichtungen, für die Musealisierung oder zur Schaffung großflächiger, repräsentativer Versammlungs räume. Genau dies waren die Schlösser unter anderen Vorzeichen auch schon vor 1918, so dass solche Nut zungen ohne allzu große bauliche Veränderungen zu realisieren waren. Die Musealisierung wurde besonders von jenen bürgerlichen Kreisen bevorzugt, die die Schlösser schon vor 1918 als Orte der nationalen Ge schichte und der Kunst begriffen hatten. Für sie wirk ten besonders die Bindungen, die die Geschichts schreibung des 19. Jahrhunderts zwischen der breiten Bevölkerung und historischen Mitgliedern der Hohen zollern geschaffen hatten, auch über die Revolution hinweg und gaben deren Wirkungsstätten neue Bedeu tung. Anders ausgedrückt: Nur weil der Kaiser ins Exil geschickt und die Demokratie eingeführt wurde, wur den Friedrich der Große und Königin Luise als dessen Vorfahren nicht zu personae non gratae. Ganz im Ge genteil war die Aussicht, deren Lebensorte nun unein geschränkt besichtigen zu können, ein wesentliches Motivationsmoment. An keiner Stelle in den preußi schen Schlössern wurde dagegen das Lebensumfeld Kaiser Wilhelms II. und seiner Familie unmittelbar zugänglich gemacht. Die Erhebung des Schlosses zum Denkmal und Identifikationsort mit älterer Geschichte vollzog sich gleichsam automatisch und prägte auch die fachliche Diskussion, die die Vermögensauseinander setzung zwischen 1918 und 1926 begleitete. An mehre ren Denkmalpflegetagen zwischen 1919 und 1924 Potsdam, Neues Palais im Park Sanssouci, Unteres Konzertzimmer, um 1900 wurde heftig darüber debattiert, ob die herausragends ten Kunstwerke in situ erhalten, oder aber in Museen überführt werden sollen. Die Diskussion tendierte schließlich dahin, dass es um die Einheit von historisch Gewachsenem gehe, das heißt nicht allein um Ästhetik, sondern um ein authentisches, künstlerisches Vermächt nis. Nicht dem vormaligen Fürsten und seiner Familie kam damit die zentrale Bedeutung zu, sondern der Gemeinschaftsleistung von Künstlern am Schloss. Dies wiederum bedeutete aber, dass die Einrichtungen ARSPROTOTO 1 2016 präzise historischen – und damit politisch unverfäng lichen – Zuständen entsprechen mussten, weshalb ein großes Umräumen und Neueinrichten nach Inventaren früherer Zeit begann. Für das Neue Palais hielt der Kunsthistoriker Charles Foerster diesen Prozess im Vorwort seines Schlossführers von 1923 fest: „Dieser Führer […] verzeichnet […] die Ergebnisse einer kürz lich […] vorgenommenen Neuaufstellung der beweg lichen Ausstattung. Ihr Ziel war, nach Ausscheidung des in neuerer Zeit [= Kaiserzeit] hinzugekommenen 23 Potsdam, Neues Palais im Park Sanssouci, Unteres Konzertzimmer, Aufnahme von 1930 Mobiliars die Einrichtung nach Möglichkeit wieder so herzustellen, wie sie zur Zeit des Erbauers gewesen und durch Beschreibungen des 18. Jahrhunderts sowohl, wie durch die älteren Inventarien belegt ist.“ (Abb. S. 23 und S. 24 o.) Die Aneignung der Schlösser durch den neuen Souverän (das Volk) führte zu einem Ersetzen des gewachsenen Zustands (d. h. der Lebenswelt des letzten bewohnenden Eigentümers) durch ein neues, methodisch konstruiertes Erscheinungsbild. Damit entstand eine neue Museumskategorie, jene des Museumsschlosses, das den gesamten Organismus des Gebäudes in bestimmten Zeitschichten vermittelt. Im Gegensatz dazu wurden in einem Schloss unterge brachte Sammlungen ohne unmittelbar mit dem Ort verbundene Struktur als Schlossmuseen bezeichnet – Potsdam, Neues Palais im Park Sanssouci, Unteres Konzertzimmer, Aufnahme von 1965 24 eine Kategorisierung, die heute sicherlich einer Revision bedürfte. Als 1949 die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik gegründet wurden, hatten sich diese Typen innerhalb der Museumsgattun gen etabliert. Die umfangreichen Kriegszerstörungen an Städten und Kulturdenkmälern schärften den Blick auf Vorhandenes, führten zu teilweise weitreichenden Neuplanungen und forderten eine inhaltliche Ausein andersetzung mit den mit dem Schloss verbundenen Werten, sei es vor dem Hintergrund der Diskussion um Wiederaufbau oder – im Osten Deutschlands – vor demjenigen politischer Ideologie. Denn hier stellte sich eine Situation ein, die wieder sehr an 1918 erinnert: Erneut ging es dem Staat, nun der DDR, nicht zuletzt auch um materielle Werte, deren Aneignung im Rah men der Bodenreform durch das sozialistische Gesell schaftssystem legitimiert wurde. Allerdings konnte es unter dieser Voraussetzung kein Ziel sein, die mit den zuvor privaten Schlössern und Gutshäusern verbundene Lebenskultur zu erhalten oder gar zu zeigen. Nur in seltensten Fällen wurden diese Schlösser in ähnlicher Weise auf historische Formen zurückgeführt und muse alisiert, wie dies die Weimarer Republik mit zahlreichen Häusern der zuvor regierenden Fürsten getan hatte. Im Vordergrund stand nun vielmehr eine öffentliche Nut zung nach praktischen Gesichtspunkten und für mög lichst soziale Zwecke: Die Umwandlung der meist großen, aber nur bedingt geeigneten Häuser in Bil dungsstätten, Altenheime, Militäreinrichtungen und Krankenhäuser öffnete die Schlösser den Bauern, Arbei tern und Soldaten und sorgte für einen großen, einfach verständlichen Kontrast. Für die neue Gesellschaft durfte die sich in den Schlössern spiegelnde Geschichte eines adligen Wertesystems, das in Folge der Revolution 1918 von Bürgern musealisiert wurde, nur noch punk tuell fortgeschrieben werden und zwar in erster Linie in denjenigen Häusern, die schon vor dem Krieg museal betrieben waren. Obwohl im Osten und im Westen gleichermaßen der Abriss der Ruinen beschädigter Residenzen diskutiert wurde, so wurden darüber hinaus gerade im Osten die Stadtschlösser geopfert, ihre Nutz losigkeit von der Regierung betont und an ihnen ideo logische Exempel statuiert. Aber auch aus anderen Gründen veränderte sich die Situation für die Interieurs in den nach dem Krieg museal weiter betriebenen Schlössern: Im Osten wie im Westen fehlten wesentliche Teile der Ausstattung, sei es als Folge von Zerstörungen, Plünderung oder durch die organisierten Abtransporte von Großteilen der Ausstat tung durch die sowjetischen Trophäenkommissionen. Im Neuen Palais waren damit beispielsweise die um 1923 erfolgten Bemühungen um ein möglichst authen tisches, friderizianisches Erscheinungsbild zunichte gemacht. Auch die großen Mengen an Kunstwerken und Mobiliar, die als Folge der Bodenreform in soge nannten Schlossbergungen aus verstaatlichten Gutshäu sern und Schlössern abtransportiert und teilweise auf Museen verteilt wurden (siehe dazu auch den Essay ab Seite 60 in diesem Heft), halfen den Museumsschlös sern nicht viel weiter. Die Qualität dieser jahrhunderte lang in privaten Familien vererbten Stücke entsprach so gut wie nie der Qualität, die Ersatzstücke für verlorenes ehemals fürstliches Inventar haben mussten. In beiden deutschen Hälften führte die Wiederherstellung der Museumsschlösser mit erhaltenen Originalstücken, Werken aus vernichteten oder umgenutzten Schlössern und reinen Ersatzstücken zu ähnlichen Lösungen (Abb. S. 24 u.). In sehr vielen Fällen wurden Appartements nach ästhetischen, kunsthistorischen und didaktischen Kriterien eingerichtet. Verweise, konstruierte Zusam menhänge und manchmal auch Zufälligkeiten domi nierten die bisweilen sehr akademischen und auf die Vermittlung konzentrierten Kompositionen, die anders als in den Museen ganze Räume oder sogar Gebäude teile umfassten. Ein gutes Beispiel ist die sogenannte Grüne Vorkammer im Barockappartement von Schloss Berlin, Schloss Charlottenburg, Grüne Vorkammer, Aufnahme von 2016 ARSPROTOTO 1 2016 25 Charlottenburg, wo die Türwandungen mit Boiserien nach Inventaren der Zeit von Sophie Charlotte verklei det, kleine Wandbereiche mit gelber Seide wie zur Zeit von Friedrich dem Großen ausgeschlagen und dazu eine kostbare Tapisserienfolge aus dem zerstörten Pots damer Stadtschloss aufgehängt wurde, wobei sich in diesem Raum nie eine solche Wandverkleidung befun den hatte (Abb. S. 25). Über die Kostbarkeit hinaus diente die in den Teppichen dargestellte Geschichte von Amor und Psyche aber in der Vermittlung dazu, darauf hinzuweisen, dass die ursprünglichen Deckenbilder bis zu ihrer Zerstörung 1943 Szenen derselben Erzählung gezeigt hatten. Kurzum: Der Kunsthistoriker erforschte, interpretierte, suchte nach Möglichkeiten, trotz der kriegsbedingten Lücken dem Raum eine Aussage zu geben und konstruierte schließlich bewusst einen Zustand. Das daraus resultierende Interieur könnte man als methodische Ausstattung bezeichnen. Ist es denn nun ein „Makel“, dass wir es heute überwiegend mit Kunsthistoriker-Schlössern zu tun haben – was, wie wir sahen, in Ansätzen schon auf das frühe 20. Jahrhundert zurückgeht? Und ist es eine Zumutung, wenn dem Besucher – wie eingangs geschil dert – ein Raum als Konzertzimmer der Gästewohnung Friedrichs des Großen vorgestellt wird, obwohl er in der Kaiserzeit anders genutzt wurde und seit 1945 die meisten Möbel fehlen bzw. sich eher gebastelte Ersatz stücke darin befinden? Sicherlich nicht. Die Darstel lung und Vermittlung von Geschichte ist immer eine von vielen Faktoren beeinflusste Konstruktion, ein Übersetzungsprozess. Und die Interieurs und Gärten in Schlössern waren stets auf Effekt und Aussage hin komponierte „Bilder“. Insofern sind Interieurs in Schlössern heute noch genauso authentisch wie ein Schloss Rheinsberg, Schlafkammer in der Wohnung des Prinzen Heinrich, Zustand nach Umnutzung zu einer Reha-Klinik in der DDR, Aufnahme von 1990 mehrfach restauriertes Altmeistergemälde im Museum. Es wäre ebenso ein Fehler zu glauben, man befinde sich mittels Zeitmaschine an einem unveränderten Ort, den sein Erbauer genau so auch gesehen habe, wie anzuneh men, dass das Gemälde präzise den Eindruck wieder gebe, den es beim Verlassen des Ateliers des Künstlers schon zeigte. In Schlössern geht es heute vielmehr darum, die Mehrdimensionalität von Kunst, ihre Un trennbarkeit von Geschichte und Menschen zu thema tisieren. Und dies nicht nur in Bezug auf eine Zeit, sondern auf den Zeitverlauf: So ist das Konzertzimmer Schloss Rheinsberg, Schlafkammer in der Wohnung des Prinzen Heinrich, Aufnahme von 1924 26 Schloss Rheinsberg, Schlafkammer in der Wohnung des Prinzen Heinrich, Aufnahme von 2009 noch heute ein perfektes Beispiel zur Vermittlung des reifen friderizianischen Rokoko, es vermittelt mit der Geschichte seiner Wandbilder einen Aspekt der Kunst politik Friedrichs des Großen und seiner Zeit, wogegen die Heizungsgitter und die in die Boiserie geschnittene Dienstbotentür die veränderte Nutzung im späten 19. Jahrhundert vor Augen führen, und schließlich die offensichtlichen Leerstellen der derzeitigen Möblierung vom traurigen Schicksal des Schlosses in der Nach kriegszeit zeugen (Abb. S. 21). Alle diese Elemente tragen zu einer spezifischen Atmosphäre bei, die je nach Erwartungshaltung dem einen einleuchten, dem anderen zu nüchtern sein mag. Eine Atmosphäre, die aber unmittelbar an den Genius Loci gebunden und letztlich der Grund ist, weshalb Schlösser besucht werden. Und indem die Schlösser nach wie vor besucht, bestaunt und befragt werden, erfüllen sie ungebrochen einen ursprünglichen Auftrag, den sie neben Wohn- und Verwaltungszwecken stets hatten, wenngleich sich der Besucherverkehr verändert: Ging es nach der Revolution in erster Linie um die Bewahrung und Verwaltung eines Teils des kulturellen Erbes und um dessen bildungswirksame Öffnung, so nahm im Laufe des Jahrhunderts das Reise- und Aus flugsvolumen breiter Bevölkerungsschichten und die ARSPROTOTO 1 2016 damit verbundene ökonomische Abhängigkeit einzelner Regionen in einem Maße zu, dass heute Aspekte wie touristische Standortentwicklung in den Schlösserver waltungen eine mindestens so große Rolle wie Kultur pflege und Bildung spielen – vor allem in den neuen Bundesländern. Aber nicht nur an Reisende richtet sich die leichte Verschiebung des Schlösserauftrages. Über die Unterstützung der Regionalentwicklung hinaus schwingt stets auch mit, dass Schlösser aufgrund ihrer Lage und oftmals schon allein als Folge ihrer Größe Orientierungspunkte in der Umgebung sind, damit etwas wie Zentrumsqualität schaffen und schließlich daraus abgeleitet zu mehr oder weniger bewussten Identitätsmomenten für die ansässige Bevölkerung werden. In einer Zeit, in der Mobilität wie ein Grund recht betrachtet wird, in der es zwischen Globalisierung und Stärkung von Lokalkolorit immer wieder abzu wägen gilt, bilden die Schlösser eine wichtige Spange zwischen außen und innen, fremd und ansässig, inter national und lokal, früher und heute. Die Republik hat seit nahezu hundert Jahren ihre eigene, bewegte Geschichte und muss sich nicht mehr im Verhältnis zur vorgehenden Monarchie behaupten, ebenso haben sich die Schlösser im 20. Jahrhundert eigenständig entwickelt. 27 TITELTHEMA IM SCHLOSS WARTEN AUF SCHWERIN Mit dem Ankauf der Sammlung Herzogliches Haus MecklenburgSchwerin konnte einer der langwierigsten Restitutionsfälle seit der deutschen Wiedervereinigung abgeschlossen werden von Michael Zajonz M it wachem, misstrauischem Blick fixiert er sein Gegenüber, den Unterkiefer trotzig vorgeschoben. In der rechten Hand präsentiert der Herzogliche Kammerdiener Johann Völler einen Schlüssel, und es scheint noch nicht ausgemacht, ob er ihn herausgeben wird. Der mecklenburgische Hofmaler Georg David Matthieu malte Völler sowie andere Angestellte und Familienmitglieder der Herzogsfamilie von Mecklen burg-Schwerin vor rund 250 Jahren täuschend echt als beinahe lebensgroße Aufstellbilder in Ölfarben auf Holz. Eine Art Zimmertheater der Rokokozeit. Insge samt sieben Aufstellbilder Matthieus konnten nun mit der Sammlung Herzogliches Haus MecklenburgSchwerin durch das Land Mecklenburg-Vorpommern erworben werden. Der Herr der Schlüssel darf weiterhin im Schloss Ludwigslust seinen Dienst tun, als stünde er leibhaftig vor uns. Die Zeit scheint still zu stehen. Mecklenburger Zeitgefühl ist sprichwörtlich. Reichskanzler Otto von Bismarck soll gesagt haben: „Wenn die Welt untergeht, gehe ich nach Mecklenburg. 28 Georg David Matthieu, Aufstellfigur des Kammerdieners Johann Völler, 154 × 50 cm; Schloss Ludwigslust Karl Friedrich Schinkel (Entwurf ), Prunktisch, vor 1816/17; Schloss Ludwigslust. Geschenk von König Friedrich Wilhelm III. zur Hochzeit von Alexandrine und Paul Friedrich von Mecklenburg-Schwerin ARSPROTOTO 1 2016 29 Dort passiert alles hundert Jahre später.“ Dem Dichter Fritz Reuter wird ein ähnlicher Ausspruch zugeschrie ben; belegen lässt sich keines der beiden Zitate. Licht ins Dunkel der Überlieferung brachte der Direktor des Schweriner Stadtarchivs mit dem Hinweis, der älteste Nachweis für eine vergleichbare Äußerung stamme aus dem Jahr 1919. Damals erklärte der SPD-Abgeordnete und Landesminister Franz Starosson vor dem Schwe riner Landtag: „Auch in Mecklenburg endlich wird die Demokratie Herr sein, hier bei uns in einem Lande, von dem man gesagt hat, dass alles 500 Jahre später kommen will.“ Es war kein Weltuntergang, aber ein Epochen umbruch, den Starossons Zeitgenossen selbst im be schaulichen Mecklenburg-Schwerin zu spüren beka men. Das jähe Ende des „langen 19. Jahrhunderts“ in den Revolutionsjahren um 1918, vor allem jedoch der politisch-gesellschaftliche Umbruch nach 1945 haben eigentumsrechtliche Fragen aufgeworfen, mit denen sich nun – fast hundert Jahre nach dem Ende der Mo narchie – auch das Land Mecklenburg-Vorpommern und die Kulturstiftung der Länder auseinandersetzen mussten. Konkret ging es dabei um die oben erwähnte Sammlung, mithin um Fürstenkultur vom Feinsten, die das intime Lebensumfeld und die private Erinne rungskultur einer privilegierten Familie und zugleich das berechtigte kulturhistorische Bildungsinteresse einer breiten Öffentlichkeit berührt. Die Sammlung Herzogliches Haus MecklenburgSchwerin umfasst neben Georg David Matthieus Aufstellbildern etliche nicht nur landesgeschichtlich bedeutsame Gemälde von ihm und anderen für den Schweriner Hof tätigen Malern, dazu kostbare Möbel, Skulpturen, Porzellane, aber auch Gebrauchsgegen stände wie Brieföffner und Musikinstrumente. Zusam mengefasst in 252 Inventarpositionen, werden die aus dem privaten Besitz der Großherzöge von Mecklen burg-Schwerin überlieferten Stücke seit Jahrzehnten museal erschlossen und ausgestellt. 1945 im Zuge der Bodenreform mit dem Grundbesitz enteignet, seither im Staatlichen Museum Schwerin / Ludwigslust / Güstrow bewahrt, wurden die Kunstwerke 1997 (an ders als das Land) an die herzogliche Familie restituiert und konnten 2014 – wenige Monate vor dem Ende des gesetzlich befristeten Nießbrauchrechts – schließlich dauerhaft für das Museum erworben werden. Dazu kommen sechs weitere hochkarätige Stücke, von denen sich die heute in Schleswig-Holstein lebende Familie vorerst nicht trennen möchte. Zehn Jahre bleiben sie als unentgeltliche Leihgaben in Schwerin, das Land sicherte sich zudem ein zeitlich unbeschränktes Vorkaufsrecht. Für den Erwerb eingesetzt wurden neben Mitteln des Landes Mecklenburg-Vorpommern Fördermittel der Kulturstiftung der Länder (KSL) sowie der Bundes 30 Georg David Matthieu, Aufstellfigur der Sophie Friederike von Mecklenburg-Schwerin als Kind, 1766, 125 × 111 cm; Schloss Ludwigslust Rudolf Suhrlandt, Herzog Gustav von Mecklenburg, 1839, 96 × 74 cm; Schloss Ludwigslust beauftragten für Kultur und Medien. Seit 2001 war die KSL maßgeblich an den Verhandlungen zwischen dem Land und der herzoglichen Familie beteiligt. Es war der langwierigste Ankaufsvorgang, den die Stiftung bisher betreut hat. Mit der erzielten Einigung gewinnen alle Seiten: Familie, Museum, Öffentlichkeit. „Die Samm lung ist in ihrer Gesamtheit ein wichtiger Teil des kulturellen Erbes und ein wichtiger Teil mecklenburgi scher Landesidentität“, erklärte im Juni 2014 Mecklen burgs Kulturminister Mathias Brodkorb anlässlich der Vertragsunterzeichnung im Schweriner Schloss, mit dem sich das Land für die Welterbeliste der UNESCO bewirbt. „Heute erleben wir einen wichtigen Tag für Mecklenburg, seine Kulturgüter und unsere Familie. Ein großer Traum, der so oft zu platzen drohte, geht in Erfüllung“, kommentierte Donata Herzogin zu Meck lenburg-von Solodkoff, eine Enkelin von Großherzog Friedrich Franz IV. (1882 –1945), das glückliche Ende der komplexen Verhandlungen. Warten auf Schwerin: Dass die im Ent schädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 geregelte Rückgabe der ab 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone enteigneten mobilen Kunst- und Kultur güter aus Privatbesitz im Schweriner Fall erst am Ende der vom Gesetz geber gewährten 20-jährigen Schonfrist in einen Ankauf durch das Land mündete, illustriert die historische Gemenge lage. Das Ende des Großherzogtums war 1918 keines wegs mit hundertjähriger Verspätung eingetreten. Am 14. November, fünf Tage nachdem Scheidemann und Liebknecht in Berlin die deutsche Republik ausgerufen hatten, erklärte Großherzog Friedrich Franz IV. von Mecklenburg-Schwerin seinen Thronverzicht – und lag damit im Mittelfeld der zwischen dem 8. und 30. November abdankenden deutschen Landesfürsten. Keinesfalls verzichten wollte der Großherzog auf sein umfangreiches Privateigentum – eine Rechtsauffassung, die in den anschließenden Verhandlungen bestätigt wurde. Recht zügig gelang bis zum Dezember 1919 die Eigentumsregelung mit dem bei Kriegsende nach Dänemark geflüchteten Friedrich Franz, was umso mehr erstaunt, weil die verfassungsrechtliche Stellung des Landesherrn in Mecklenburg-Schwerin bis 1918 von vormodernen Vorstellungen geprägt gewesen war. Beinahe alle deutschen Teilstaaten wie auch das Deutsche Reich im Ganzen hatten sich im 19. Jahr hundert konstitutionelle Verfassungen gegeben, in Mecklenburg-Schwerin hingegen galt noch immer Ständerecht. Die Herzöge, seit 1815 Großherzöge, waren vom ritterschaftsfähigen Landadel abhängig, eine Separierung von Eigentumsrechten zwischen Staat und Herzogsfamilie war nie erfolgt. Das betraf auch die bereits im 18. Jahrhundert von ausländischen Reisenden gerühmten Kunstsammlungen der Herzöge, etwa die Sammlung niederländischer und flämischer Malerei, für die 1882 in Schwerin eigens ein Galerie gebäude am Alten Garten eröffnet wurde – bis heute der Hauptstandort des Staatlichen Museums. Walter Josephi, der als Direktor dieses Großherzog lichen und ab 1919 Staatlichen Museums wesentlich zur Einigung zwischen dem Freistaat MecklenburgSchwerin und dem Herzogshaus beitrug, resümiert 1920 die schwierige Ausgangssituation: „Dauernd blieb hier zwar die sehr volksfreundliche, aber doch veraltete Regelung von Bestand, daß der Großherzog mit seinem Privateigentum und auf eigene Kosten dem Lande ein Museum unterhielt, dem die Regierungskasse nur ganz unbedeutende Zuschüsse gewährte […]. Die durch den Umschwung des Novembers 1918 geschaffenen Zu stände waren also für Mecklenburgs Kunstbesitz beson ders gefährlich; die durch die Revolution aufgerollten Fragen waren hier schwieriger als allerorts, weil niemals eine Scheidung von Staatsgut und Krongut bzw. Privat vermögen des Landesherren stattgefunden hatte. Die Ansichten über das, was Rechtens sei, gingen himmel weit auseinander: Nach der einen Ansicht war das gesamte Domanium (fast die Hälfte des Landes) nebst den Schlössern mit Ausstattung und dem Museum Privateigentum des Großherzogs, während nach der gegnerischen Ansicht ihm eigentlich garnichts gehörte.“ 31 Der erzielte Kompromiss von 1919/20 stellte beide Seiten zufrieden, wie die Kunsthistorikerin Sabine Bock in ihrem 2014 erschienenen Buch „Großherzogliche Kunst im Schloss Ludwigslust. Fürstenabfindung, Enteignung und Restitution“ anhand erstmals publi zierter Quellen herausarbeitet. Das Museum mit seinen berühmten Holländern, den großartigen Tierporträts des Pariser Hofmalers Jean-Baptiste Oudry und bemer kenswerten kunstgewerblichen Sammlungen sowie das Schweriner Schloss mit Teilen des Inventars gingen 1919 gegen die Überlassung von mehreren tausend Hektar Land sowie die Zahlung von knapp 3,5 Millio nen Reichsmark an den Großherzog in Staatsbesitz über. Friedrich Franz behielt Schloss Ludwigslust, das Jagdschloss Gelbensande sowie umfangreichen Gutsbe sitz. Aus dem Schweriner Schloss und anderen von ihm aufgegebenen Schlössern und Herrenhäusern übernahm er kostbares Inventar: Bilder, Möbel, Hausrat. Ende 1920 bezog die herzogliche Familie den Ostflügel von Schloss Ludwigslust. Das „kleine Ver sailles des Nordens“ hatte Friedrich Franz’ Vorgänger Herzog Friedrich der Fromme 1772 bis 1776 nach Entwürfen seines Hofarchitekten Johann Joachim Busch als spätbarocke Nebenresidenz 50 Kilometer südlich von Schwerin errichten lassen. Nun betätigte sich der einstige Landesherr Friedrich Franz IV. dort als Museumsdirektor. In den Repräsentationsräumen des Westflügels ließ er ein Privatmuseum einrichten, dessen Programm sein ehemaliger Oberhofmarschall Cuno von Rantzau folgendermaßen umriss: „Ich meine, man sollte die in Frage kommenden Räume des Ludwigslus ter Schlosses mit den besten Stücken des Louis XV., Die Herzogliche Sammlung ist viel mehr als die Summe ihrer Teile Louis XVI. und allenfalls der Empirezeit, soweit solche nicht in den Wohnräumen Verwendung finden, mit guten Gemälden der betreffenden Zeiten, in Stilreinheit zu Räumen von seltener Schönheit gestalten, wozu die wundervolle Innenarchitektur sie schon ohne weiteres prädestiniert.“ Historische Fotos bestätigen die Erlesen heit der Interieurs. Der 1912 geborene Christian Ludwig Herzog zu Mecklenburg erinnerte sich an seine Kindheit im Museumsschloss: „Man mußte in Kauf nehmen, daß an den Tagen, an denen Führungen stattfanden, der Haupteingang immer voller Menschen war. Wir gingen daher in dieser Zeit durch den Hinter eingang aus und ein […].“ Schloss Ludwigslust bot bis 1945 Raum für vieles, was nun im Rahmen der Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin zurückerworben werden 32 konnte. Der 1996 verstorbene Herzog Christian L udwig wurde zur historischen Brückenfigur, der das Kriegsende in Ludwigslust ebenso erlebte wie den Beginn der Restitutionsverhandlungen zwischen dem Land Meck lenburg-Vorpommern und seiner Familie nach 1990. Ludwigslust hatten zunächst Amerikaner und Briten, am 1. Juli 1945 schließlich Einheiten der Roten Armee besetzt. Augenzeugen berichten von chaotischen Zu ständen. Das von der herzoglichen Familie besonders geschätzte Staatsporträt der Königin Charlotte von Großbritannien und Irland – einer geborenen Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz – aus der Werkstatt von Thomas Gainsborough etwa soll zeitweilig als Ab deckung eines Hühnerstalls gedient haben. Es wurde geborgen und, wie viele Stücke aus Ludwigslust, in den Nachkriegsjahren vom Schweriner Museum übernom men. Nun ist es eines jener sechs Kunstwerke, die gesichert für weitere zehn Jahre als Leihgabe der her zoglichen Familie im Museum verbleiben. Eigentumsfragen meinte man in der SBZ und in der DDR mit der Bodenreform und anderen Ent eignungsvorgängen gelöst zu haben. Dass damit Un recht geschah, das nach 1990 nur teilweise rückgängig gemacht werden konnte, hat die Verhandlungen über zu restituierendes Kulturgut meist nicht erleichtert. Im Fall der Sammlung Herzogliches Haus MecklenburgSchwerin kam hinzu, dass Umfang und Bewertung dessen, worüber man nach der Grundsatzeinigung 1997 zwischen Land und Familie verhandelte, fließend erschienen. War zunächst das Land Mecklenburg- Vorpommern in Vorleistung gegangen und hatte 152 Stücke, die man für verzichtbar hielt, ohne Bedingun gen an die Familie zurückgegeben (zwei Drittel davon wurden 1999 versteigert), musste andererseits der sogenannte Dachbodenfund, ein 1987 in Ludwigslust wiederentdecktes Konvolut nicht inventarisierter und teils stark restaurierungsbedürftiger Stücke, in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden. Auch die Zahl der Herausnahmen – Stücke, die die herzogliche Fami lie lediglich als Leihgabe zur Verfügung stellen wollte – differierte je nach Verhandlungsstand stark. Politisch nicht durchsetzen ließ sich 2011 die Idee der damaligen Landesregierung, einen Teil der Kaufsumme durch die Überlassung von staatseigenem Wald abzugelten. Da mals wären die Verhandlungen beinahe gescheitert. Es verdankt sich auch dem Engagement der Kulturstiftung der Länder „als Förderer, […] Vermittler und Mode rator beider Parteien“, wie die Generalsekretärin der Stiftung Isabel Pfeiffer-Poensgen bei der Vertragsunter zeichnung 2014 betonte, dass daraus doch noch eine Erfolgsgeschichte werden konnte. Was den Mecklenburgern und ihren Besuchern entgangen wäre, ließ sich erstmals zum Jahreswechsel 2014/15 in der Schweriner Ausstellung „Gesichert! Kunst für das Land“ kennenlernen. Doch erst durch die Objekte aus der für Schloss Ludwigslust gesicherten Sammlung Christian Ludwig, Herzog zu Mecklenburg (im Uhrzeigersinn, beginnend oben links): Bodenstanduhr des Ludwigsluster Hofuhrmachers Johann Conradt Beneke, wohl 1776, Höhe 224 cm; Sofa mit Seidenbespannung und vergoldeten Elementen, um 1775, Breite 134 cm; Pappmaché-Büste Friedrichs des Frommen von Mecklenburg, Rudolf Kaplunger, 18. Jh., 76 × 56 × 36,5 cm; Bodenstanduhr von David Roentgen und Peter Kinzing, ca. 1785 – 95, 185,2 × 53,2 × 20,2 cm, Leihgabe der Herzogin Donata zu Mecklenburg-von Solodkoff; Kommode mit Einlegearbeit und vergoldeten Metallbeschlägen, Mitte 18. Jh., Höhe 85 cm; Schreibschrank, Frankreich oder Deutschland, um 1775, Höhe 132 cm ARSPROTOTO 1 2016 33 Schloss Ludwigslust Georg David Matthieu, Herzog Friedrich zu Mecklenburg-Schwerin, 1772, 196 × 145 cm; Schloss Ludwigslust 34 feierliche Eröffnung des denkmalgerecht sanierten Ostflügels von Schloss Ludwigslust am 5. März 2016 wird mit den 1919 übernommenen Teilen der Herzogs kunst und den Neuerwerbungen von 2014 endlich zusammengeführt, was zusammengehört. Gefeiert werden darf in Ludwigslust die Einebnung einer Grenze, die politischen Verwerfungen des 20. Jahr hunderts geschuldet war. Dirk Blübaum, als Direktor des Staatlichen Museums Schwerin / Ludwigslust / Güstrow Hausherr des Schlosses, verweist darauf, dass erst die beweglichen Teile des Interieurs, die nun dauer haft zurückkehren, ihre architektonische Hülle als Teil eines Gesamtkunstwerks definieren. Ludwigslust macht erlebbar, dass die Sammlung Herzogliches Haus Meck lenburg-Schwerin viel mehr ist als die Summe ihrer Teile. Das „Abbild des Lebens im Schloss“ unter Herzog Friedrich dem Frommen und Großherzog Friedrich Franz I., also zwischen 1756 und 1837, erklärt Blübaum, „ist hier in einer Geschlossenheit zu erleben, wie wir sie sonst nirgendwo haben“. Folgerichtig holte man aus dem Schweriner Museum nicht nur etliche der grandiosen Gemälde exotischer Wildtiere von Jean-Baptist Oudry (als bedeutendste Oudry-Kol lektion außerhalb Frankreichs mecklenburgischer Staatsbesitz seit 1919) nach Ludwigslust – dort hin, wo sie schon einmal bis Anfang des 19. Jahr hunderts hingen. Exzentrisch großgeblümte Wandbespannungen aus Seide, im Zuge der Restaurierungsmaßnahmen nachgewebt, eignen sich jedoch ebenso als Hintergrund für Georg David Matthieus Rokokoinszenierungen des Mecklenburger Hofes. Ein 1776 – dem Jahr der Fertigstellung von Schloss Ludwigslust – gemaltes Kniestück zeigt Herzog Friedrich als Kunstken ner beim Durchblättern eines Stichwerks von Giovanni Battista Piranesi. Auf anderen Bild nissen des Herzogs stellte Matthieu im Hin tergrund die neuen Ludwigsluster Bauten Ferdinand Bertoud, Pendule Uhr, Frankreich um 1770, Höhe dar: die Kaskade oder die Stadtkirche (Abb. S. 34), deren theaterkulissenmäßiges 36 cm; Schloss Ludwigslust ARSPROTOTO 1 2016 Inneres übrigens äußerst sehenswert ist. 48 Gemälde und acht hölzerne Aufstellfiguren zählt der Bestand an Matthieu-Werken im Schwerin / Ludwigslust / Güstrower Museumsverbund nun insgesamt – 15 davon wurden mit der Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin erworben. Von Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky, Matthieus Onkel und Nachfolger als Hofmaler (er wurde vor einigen Jahren dank einer von der Kulturstif tung der Länder geförderten Ausstellung in Dessau und Schwerin wiederentdeckt), konnte mit der Sammlung Herzogliches Haus das 1780 entstandene Porträt von Herzogin Ulrike Sophie, einer Schwester Herzog Fried richs, übernommen werden. Selbst wer ihre Lebensum stände nicht kennt, begreift hier durch Anschauung, dass auch kleinere Höfe zu Zeiten der Spätaufklärung von bemerkenswert nichtprovinziellen Köpfen domi niert worden sind. Weitere mit charakteristischen Arbeiten vertretene mecklenburgische Hofkünstler – Maler wie Bildhauer – aus diesem Konvolut sind Christian Ludwig Seehas, Dietrich Findorff, Theodor Schloepke, Gaston Lenthe, Rudolf Suhrland, Rudolph Kaplunger (Abb. S. 33) und Christian F. Genschow. Überregionale Bedeutung beanspruchen die Werke Johann Alexander Thieles. Im Oktober 1748 unter nahm der Dresdner Hofmaler eine einmonatige Reise nach Mecklenburg, da ihn Herzog Christian Ludwig II. mit einem größeren Auftrag an den Schweriner Hof binden wollte. Die bestellte Serie von 28 Gemälden konnte Thiele vor seinem Tod im Mai 1752 nicht mehr fertigstellen. Geliefert hat er neben kleineren Ansichten die beiden großen Prospekte von Schwerin und von der Festung Königstein, die den umfangreichen Zeich nungsbestand Thieles im Schweriner Kupferstich kabinett ergänzen und für die nächsten zehn Jahre als Leihgaben im Museum bleiben. Arbeiten „ausländischer“ Künstler wie die bereits erwähnte Werkstattwiederholung Gainsboroughs ver danken sich dynastischen Verbindungen und diploma tischem Austausch. Prominent im Schweriner Schloss hingen, wie ein Inventar von 1794 beweist, die Staats porträts Franz von Lothringens und der Kaiserin Maria Theresia von Michael Christoph Emanuel Hagelgans nach Martin Mytens. Bereits 1704 hatte sich der spä tere Herzog Christian Ludwig II., der kunstsinnige Begründer der Schweriner Sammlungen, von Michael Dahl in London malen lassen; 1807 stand Erbprinz Friedrich Ludwig in Paris François Gérard Modell (Abb. S. 37). Jens Juel, Caspar David Friedrichs Lehrer an der Kopenhagener Akademie, malte Erbprinz Fried rich von Dänemark mit seiner Frau, der mecklenburgi schen Prinzessin Sophie Friederike, und ihren Kindern. Aus dem Berlin König Friedrich Wilhelms III. sind mit dem Maler Franz Krüger (Bildnisse von Zar Nikolaus I. und Herzog Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin), 35 dem Bildhauer Christian Daniel Rauch (zwei Büsten der Prinzessin Alexandrine von Preußen, die 1822 den späteren Großherzog Paul Friedrich von Mecklenburg heiratete) sowie dem Architekten Karl Friedrich Schin kel (ein zur Aussteuer gehörender vergoldeter Bronze tisch, Abb. S. 29, sowie KPM-Porzellane nach seinem Entwurf ) gleich drei prominente Künstler präsent. Unter der großen Zahl erworbener Möbel ragen neben dem Schinkel-Tisch eine Pariser Rokoko-Kom mode „aux dragons“ aus der Werkstatt von Pierre Roussel sowie zwei David Roentgen und Peter Kinzing zugewiesene Bodenstanduhren (letztere als Leihgaben) heraus. Besonderes kulturhistorisches Interesse darf eine Gruppe von Möbeln und Skulpturen ganz oder teil weise aus Papiermaché beanspruchen, die aus der von Herzog Friedrich geförderten Ludwigsluster „PappFabrique“ stammen. 1773 wies der Landesherr seine Verwaltung an, ausgediente Akten für die Produktion bereitzustellen und tatsächlich lassen sich zerkleinerte Finanzabrechnungen als Recyclingmaterial in einigen Stücken nachweisen. Die spätere Herzogliche Carton fabrik blieb bis in die 1830er Jahre aktiv. Die nun erworbenen Gegenstände, darunter ein Schrank und eine Standuhr (Abb. S. 33), gehören sicher zur Erstaus stattung von Schloss Ludwigslust, für das man seiner zeit auch Teile der Wanddekorationen, so im Goldenen Saal, aus Papiermaché gefertigt hat. Ganz und gar nicht von Pappe ist und bleibt die Aufgabe, Schloss Ludwigslust zu sanieren und museal umfassend neu zu konzipieren. 1986 war das zuvor vom Rat des Kreises Ludwigslust genutzte Schloss in die Obhut des Staatlichen Museums Schwerin übergegan gen und schrittweise zugänglich gemacht worden. Seit 2009 ließ das Land Mecklenburg-Vorpommern für 13,09 Millionen Euro den Ostflügel des Barockbaus denkmalgerecht sanieren, wobei der größte Teil der Maßnahmen aus EU-Mitteln für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) gefördert werden konnte. Ab 2019 soll die Grundinstandsetzung des Westflügels mit geschätzten Baukosten von 11 Millionen Euro folgen. Rolf Christiansen, der Landrat des Kreises LudwigslustParchim, betont die große Bedeutung dieses Engage ments für die Region: „Wenn in kulturellen und touris tischen Zusammenhängen von unserem Landkreis die Rede ist, dann immer auch vom Schloss Ludwigslust. Nicht zuletzt in Verbindung mit herausragenden Aus stellungen und Konzerten zieht das Ludwigsluster Schloss jährlich viele tausend Besucher aus aller Welt an. Dass sich das Land als Hausherr sehr für die weitere Entwicklung der musealen Aspekte und die Restaurie rung engagiert, schätze ich außerordentlich.“ Schon der irische Reiseschriftsteller Thomas Nu gent, der den Kunstbesitz der Herzöge von Mecklen burg-Schwerin 1768 mit den besten fürstlichen Kollek tionen Deutschlands verglich, sah die Notwendigkeit, 36 Max Sauerlandt, der erste Direktor des Max Sauerlandt, der erste Direktor des Städtischen Museums Städtischen Museums Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky, Prinzessin Charlotte Friederike von Mecklenburg, 1791, 100 × 75 cm; Schloss Ludwigslust den Bekanntheitsgrad der Sammlung zu erhöhen. Dieses „würde die Enthüllung eines Schatzes ermög lichen, der, sozusagen, jetzt in einer Ecke Deutschlands begraben liegt“. Heute sind die Schätze der Mecklen burger längst gehoben und in der Mitte Deutschlands angekommen. Der glückliche Erwerb und die in ihr historisches Umfeld integrierte Präsentation der Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin in Ludwigslust und Schwerin beweisen es einmal mehr. Michael Zajonz ist Kunsthistoriker und Journalist in Berlin. Staatliches Museum Schwerin / Ludwigslust / Güstrow Kunstsammlungen, Schlösser und Gärten Museum Schloss Ludwigslust Schlossfreiheit 1, 19288 Ludwigslust Telefon 03874 - 5719 15 Öffnungszeiten: 15. Oktober bis 14. April Di – So 10 – 17 Uhr, 15. April bis 14. Oktober Di – So 10 – 18 Uhr www.museum-schwerin.de Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Land Mecklenburg-Vorpommern François Gérard, Erbprinz Friedrich Ludwig von MecklenburgSchwerin, 1807, 66 × 54 cm; Schloss Ludwigslust ARSPROTOTO 1 2016 37 HELFEN SIE MIT: VERKALKTER KOLOSS Für den Herakles-Brunnen des barocken Gartens bittet das hessische Schloss Weilburg um Ihre Unterstützung von Johanna Hohmann Brunnenfigur „Herakles und Antaios“ vor der oberen Orangerie im Schlossgarten Weilburg 38 S chloss Weilburg, eindrucksvoll auf einem Bergsporn hoch über der Lahn gelegen, geht auf eine mittel alterliche Burg aus dem 10. Jahrhundert zurück. Mit der Erbteilung des Hauses Nassau im Jahr 1255 gehörte Weilburg fortan zur walramschen Linie. Infolge weiterer Teilungen und Wiedervereini gungen des Grafenhauses wurde Weil burg schließlich Residenzstadt. Dies machte den Umbau der Burg zu einem repräsentativen Schloss erforderlich. Im 16. Jahrhundert entstand eine Vierflügel anlage, zu Beginn des 18. Jahrhunderts erweiterte man das Schloss zu einer barocken Residenz mit zahlreichen Nebengebäuden, einer Kirche und einem repräsentativen Garten. Das Hochschloss beheimatet heute das Schlossmuseum. Die Brunnenfigur „Herakles und Anta ios“, zu finden auf der oberen Terrasse des Schlossgartens, stammt aus dem 18. Jahrhundert; das Brunnenensemble – in der Mitte der Kampf des Herakles mit Antaios, umgeben von den vier antiken Gottheiten der Elemente Luft, Erde, Feuer und Wasser – wurde 1967 wegen drohender Zerstörung aus dem Neuen Schloss Büdesheim nach Weilburg über führt und dort 1969 im Rahmen der Rebarockisierung vor der oberen Oran gerie aufgestellt. Die Schlösser und Gärten Hessen bitten Sie nun herzlich um Ihre Unterstützung für die dringend notwendige Reinigung des Brunnens, denn massive Kalkablagerungen bedro hen die Substanz der zentralen Figur. Die dargestellte Kampfszene entführt uns in die Antike: Dort traf Herakles auf dem Weg zu seiner zehnten Aufgabe den riesigen und nahezu unbesiegbaren Antaios. Zunächst schien auch Herakles wie alle seine Vorgänger machtlos gegen Antaios zu sein, doch dann erkannte er, dass dessen immer fortwährende Kräfte vom Kontakt mit dem Boden kamen, denn Antaios war der Sohn der Erdmut ter Gaia. Herakles stützte sich deshalb auf einen Baumstumpf, hob Antaios in die Luft und erwürgte ihn dort, wo er seine überlegene Stärke verloren hatte. Die betroffene Figur ist aus mittel- bis grobkörnigem Sandstein gefertigt und präsentierte sich ursprünglich grau-ocker. Das aus dem Mund des Antaios spru ARSPROTOTO 1 2016 Detail der Brunnenfigur „Herakles und Antaios“ mit starker Kalksinterkruste delnde Wasser ist als Symbol des Aushau chens des Lebens zu sehen, die Brunnen figur erfährt dadurch eine intensive Berieselung. Ein flächendeckender weißer, krustenartiger Belag, stellenweise mit Tropfnasen, umhüllt das Objekt, dadurch entsteht eine starke Verteigung der bildhauerischen Konturen. Es finden sich bereits diverse Abplatzungen, zu meist im Zusammenhang mit dem Belag, z. B. hinten am Oberschenkel von Herakles. Die Schichtbildung der Abla gerungen ist bereits weit fortgeschritten, zuletzt sind auffällig viele neue Abplat zungen hinzugekommen, was die oberen Gesteinsschichten in Mitleidenschaft zieht. Dringendes Handeln ist angezeigt, da sich die Abwitterung nun beschleu nigt fortsetzt. Eine Analyse des Belags hat ergeben, dass es sich um eine reine Calcitschicht handelt, also Kalkablage rungen. Verschiedene arbeitstechnische Versuche an Stellen mit unterschiedlich ausgebildeter Kalkkruste lassen eine Kombination von mechanischen und chemischen Reinigungsverfahren am Vielversprechendsten erscheinen. Der Brunnen in Weilburg ist kein Lauf brunnen, sondern wird im Frühjahr mit Wasser befüllt: Nach erfolgter Reinigung und Sicherung des Brunnenensembles soll dieses Wasser in Zukunft durch eine Neutralisationskartusche geleitet werden, um die Kalkanteile herauszufiltern. Für die notwenige Restaurierung werden 20.000 Euro veranschlagt. Aus Eigenmit teln können 10.000 Euro aufgebracht werden, die Schlösserverwaltung bittet nun für die verbleibenden Kosten um Ihre Mithilfe bei der Rettung des kost baren Brunnens. Johanna Hohmann ist Referentin des Direktors der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen. Schloss Weilburg Schlossplatz 3, 35781 Weilburg / Lahn Telefon 06471-91 27- 0 http://schloesser-hessen.de/weilburg.html Wir bitten Sie herzlich, liebe Leserin und lieber Leser, um Unterstützung für Schloss Weilburg. Spenden Sie für die Restaurierung der Brunnenfigur „Herakles und Antaios“ und über weisen Sie bitte unter dem Stichwort „Schloss Weilburg“ auf eines der Konten der Kulturstiftung der Länder. Überweisungsträger finden Sie im Heft nach der Seite 66. Vielen Dank! 39 ERWERBUNGEN KÜNSTLER, BÜRGER, KÖNIGE Die Deutschland-Samm lung von Dietmar Siegert mit Fotografien des 19. Jahrhunderts gelangt ins Münchner Stadtmuseum von Bodo von Dewitz E r habe sich jetzt „entschlossen, in jährlichen Sommerreisen eine grö ßere Sammlung von den meisten in mannigfachen Fächern hervorragenden Persönlichkeiten zu begründen und zu gleicher Zeit nach mehreren Richtungen hin die berühmtesten Baulichkeiten, Monumente und Nationaltypen aufzu nehmen“, schrieb der Lithograph und frühe Fotograf Hermann Biow am 9. Juni 1846 an den Leipziger Verleger T. O. Weigel. Derartige konzeptionelle Überlegungen waren neu, ungewöhnlich weitreichend, und seine Porträts u. a. von Alexander von Humboldt, Christian Daniel Rauch und König Friedrich Wilhelm IV. (heute alle im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg) gehören neben den Bildnissen von Parlamenta riern der Frankfurter Paulskirche zu den besten Darstellungen aus den frühen Jahren der Fotografie. Gleichzeitig sind Biows Geschäftigkeit und sein erwiesenes Können beispielhaft für die enormen Kräfte, die die Erfindung Daguerres freisetzte und die zu einer komplexen Geschichte der Fotografie im deutschen Sprachraum führten. Vielleicht können wir Biows Plan dahingehend interpretieren, dass er mit dem Medium der Fotografie eine gewisse umfassende nationale Repräsentation herstellen wollte. Wir kennen nur wenige 40 Äußerungen von Fotografen aus dieser Zeit, in denen Absichten und Pläne geäußert wurden. Wir kennen aber repräsentative Werke wie z. B. Hermann Krones Städtealbum oder August Lorents Bilderatlas von Denkmalen des Mittel alters aus Württemberg bis hin zu reprä sentativen Ansichtswerken z. B. von Berlin als Hauptstadt Preußens und des Deutschen Reichs. Die Fotografie-Pro duktion durchzog häufig der Gedanke einer national oder zumindest territorial geschlossenen Repräsentation, die latent mit nationalen Sehnsüchten assoziiert werden kann. Erst um 1900 forderte der Hamburger Kunsthallen-Direktor Alfred Lichtwark im Zusammenhang mit der zunehmenden Anerkennung der Foto grafie als künstlerisch bedeutendem Sammlungsgut: „Und wird nicht von heute ab das Material gesammelt, so ist es nicht mehr vorhanden, wenn die immer einen Posttag zu spät aufwa chende Wissenschaft sich danach sehnt.“ Sein Wirken zur Förderung der künstlerischen Amateurfotografie durch Ausstellungen, Publikationen und Sammlung hatte zunächst eine gewisse Breitenwirkung: Gewerbe- und Kunst museen z. B. in Hamburg, Krefeld, Darmstadt, Leipzig und Dresden begannen Fotografien als Kunst- und Kulturgut zu sammeln. Aber kaum eine Initiative wurde nach dem Ende des Ersten Welt krieges fortgesetzt. Dann griffen in den Jahren der Weimarer Republik neue Initiativen wie die von Carl Georg Heise in Lübeck oder von Curt Glaser in Berlin, um Sammlungen künstlerischer Fotografien aufzubauen, bis durch NSZeit und Zweiten Weltkrieg auch diese Anfänge abbrachen. Mühsam entwickelte sich nach 1945 ein neues öffentliches Interesse an der Fotografie. Wollte man Fotografien aus der Geschichte und/oder der Gegenwart sehen, musste man zur Industriemesse Photokina nach Köln kommen. Das Sammeln von Fotografien wurde mit ganz wenigen Ausnahmen der Privat initiative Einzelner überlassen. Deshalb würde der öffentliche Besitz an Kulturgütern der Fotografie heute eine traurige Bilanz ziehen, wenn es nicht die privaten Sammler gegeben hätte, mit denen schlussendlich allseitig befriedigende Übereinkünfte über den Verbleib ihrer Sammlungen getroffen worden sind. Beste Beispiele für diese Entwicklung sind die Ankäufe der Sammlungen von L. Fritz Gruber und Robert Lebeck für die Museen der Stadt Köln 1977 und 1994, die Erwerbung der Sammlung Erich Stenger 2005, als dominanter Teil der Sammlung Agfa, für das Museum Ludwig in Köln, und der Kauf der Sammlung Wilfried Wiegand für das Frankfurter Kunstmuseum Städel im Jahr 2011 (Arsprototo 2/2011). Eine solche überaus wunderbare Über Alois Löcherer zugeschrieben, Der Münzmeister an der Münchner Münze mit seiner Familie vor dem gemalten Hintergrund der Stadt Speyer, um 1855; Münchner Stadtmuseum Joseph Albert, Der Bildhauer Herrmann Oehlmann und ein Unbekannter stellen den Wettlauf des Igels mit dem Hasen dar, München 1862; Münchner Stadtmuseum ARSPROTOTO 1 2016 41 einkunft ist kürzlich zwischen dem umtriebigen und äußerst kenntnisrei chen Sammler Dietmar Siegert und dem Münchner Stadtmuseum getroffen worden: Das Museum erhält dank der Förderung der Kulturstiftung der Länder und anderer Geldgeber dessen so be zeichnete Deutschland-Sammlung, die Fotografien aus der Zeit von 1840 bis 1890 und damit vom Biedermeier bis zur Gründerzeit enthält. Diese Samm lung ist ein Bilderschatz von ganz einzig artiger Qualität. Sie umfasst die Themen Porträt, Naturstudien, Topographie, politisches Ereignis, Kunst und Theater sowie Architektur. Nahezu alle wichtigen in- und ausländischen Fotografen sind in dieser Kollektion vertreten. Sensationell ist das Porträt des Dichters, Weltreisenden und Revolutio närs Harro Harring (Abb. S. 6), welches der Daguerreotypist Carl Ferdinand Stelzner 1848 in Hamburg herstellte. Die Geschichte dieses verwegenen Man nes, der C. D. Friedrich, Heinrich Heine und Lord Byron kannte, der politisch zu radikalen Positionen neigte und – von den revolutionären Bewegungen seiner Zeit enttäuscht – sich 1870 das Leben nahm, wäre ohne dieses Porträt gar nicht entdeckt geworden. Das Repräsenta tionsbedürfnis eines Münchner Münz meisters kommt in einem Familienbild Georg Koppmann‚ Bei den Mühren, von der Mattentwiete aus gesehen, Hamburg 1884; Münchner Stadtmuseum nis vor Stadtkulisse treffend zum Ausdruck (Abb. S. 40), während sich der gelehrte Naturwissenschaftler Justus von Liebig im wohl inszenierten Einzelbild selbstbewusst darzustellen verstand. Das sind nur drei Beispiele aus dieser reich haltigen Bildnis-Sammlung, die Künst ler, Bürger, Schauspieler und Könige umfasst. Jede Fotografie besticht durch eine oft hervorragende Qualität. Die berühmtesten Fotografen der Zeit wie Carl August von Steinheil, Alois Löche rer, Franz Hanfstaengl und Joseph Albert Franz Hanfstaengl, Wilhelm von Kaulbachs Atelier, aufgenommen wenige Tage nach dessen Tod am 12. April 1874, München 1874; Münchner Stadtmuseum 42 Franz Hanfstaengl, Der Chemiker Justus von Liebig, München 1856; Münchner Stadtmuseum sind mit besten Aufnahmen vertreten. Wie sehr das Anschauungsmaterial der Fotografie im 19. Jahrhundert von Künstlern in Anspruch genommen wurde, belegt die umfassende Sammlung von Naturstudien, die Georg Maria Eckert fotografiert hat. Und wie umfang reich das Museum von kunstgewerb lichen Gegenständen des Freiherrn von Minutoli in Liegnitz/Schlesien gewesen ist, belegen einzig und allein die Fotogra fien, die Ludwig Belitski in bestechender Bildqualität herstellte, bevor die Samm lung verkauft und aufgelöst wurde. Fast alle Städte des deutschspra chigen Raums sind mit herausragenden Bildern vertreten: Eine Ansicht zeigt den großzügigen Blick zur Feldherrenhalle und Theatinerkirche in München aus der Zeit um 1854 von Franz Hanfstaengl, viele großformatige Fotografien von Georg Koppmann die engen Wohnvier tel in der Hafenstadt Hamburg, die bald der Sanierung zum Opfer fallen sollten, und die preußische Hauptstadt ist mit ihrem schönsten Platz, dem Gendarmen markt, in einer Aufnahme von Leopold Ahrendts vertreten. Die Metropolen und Provinzen des deutschen Sprachraums sind in dieser Sammlung der vielen spektakulären Aufnahmen in ihrer Bau substanz und oft auch atmosphärischen Ausstrahlung glänzend dokumentiert. Der dänisch-deutsche Krieg von 1864 und der deutsch-französische Krieg von 1870/71 sind in frühen Fotografien vertreten. Bedenkt man die ungeheuren technischen und logistischen Schwierig keiten der damaligen Fotografie, dann erschließt sich die Bedeutung des Wid mungs-Albums des Fotografen Friedrich Brandt aus dem Krieg von 1864 als eine wirkliche Sensation. Spannend und selten sind auch die Aufnahmen von Stationen des Kriegsgeschehens in Frank reich 1870/71, die der Verlag Friedrich Bruckmann verlegt hat. Sinnträchtig wird das militärische 19. Jahrhundert mit Manöverbildern der Brüder Franz und Oscar Tellgmann aus Eschwege abgerundet, aber auch mit faszinierenden Bilddokumenten von den Siegesfeiern nach dem Sieg von Sedan über das Reich Napoleons III. Dass der Fotograf Franz Richard mit einem verwegenen Gerüst in schwindelnder Höhe die Heidelberger Schlossruine aufzunehmen trachtete, belegt eine sensationelle Fotografie aus den frühen 1860er Jahren. Wie am Kölner Dom nach Jahrhunderten der Stagnation mühsam weitergebaut wurde, dokumentieren die Aufnahmen von J. F. Michiels und besonders von Charles Marville aus den 1850er Jahren, als er das Mappenwerk „Les Bords du Rhin“ (1853) vorbereitete. Hermann Emden ist mit seinem Folianten über den Dom zu Mainz, Jakob August Lorent mit heraus ragenden Fotografien des Klosters Maul bronn vertreten. Diese Aufzählung möge ausreichen, um diesen ganz besonderen Bilderschatz zu charakterisieren und neugierig auf diese einzigartige Sammlung zu machen. Dietmar Siegert hat eine komplexe Sammlung zur Kunst- und Kulturge schichte des 19. Jahrhunderts zusam mengetragen. Viele Bilder sind von ausgezeichneter Qualität und stammen aus der besten Zeit der Fotografie, bevor höhere Auflagen hergestellt wurden und ein zunehmend inflationärer Gebrauch des Mediums einzusetzen begann. Diese Bilder dokumentieren die Kunst- und Kulturgeschichte des spannenden 19. Jahrhunderts in besonderer Anschaulich keit und sie verweisen auf traditionelle, aber auch neue Sichtweisen und Ge brauchsformen der Fotografie, des ältes ten der neuen Medien, deren Erfindung ARSPROTOTO 1 2016 Friedrich Brandt, Ansicht der Schanzen III und IV in Düppel, 1864; Münchner Stadtmuseum gerade erst am 19. August 1839 in Paris euphorisch begrüßt worden war. Als vor wenigen Jahren das Konvolut „Lebende Bilder“ mit Märchendarstel lungen aus Münchner Künstlerkreisen auf dem Markt erschien (Abb. S. 41), war das Erstaunen ob dieser gänzlich unbekannten Bilderfolge groß. Nun befindet sich dieses Mappenwerk im Bestand Siegert als ganz einzigartige Bilderserie, die dem Münchner Hoffoto grafen Joseph Albert zugeschrieben werden konnte. Kein Museum hätte damals mitbieten können, aber der private Sammler Dietmar Siegert konnte es und hatte Erfolg. Jetzt können wir uns alle mit dem Münchner Stadtmuseum freuen, dass dieser Bilderschatz sicher im Museum angekommen ist. Denn diese Fotografie-Kollektion repräsentiert nicht nur in vielen Facetten den deutschspra chigen Raum von 1840 bis 1890, sie ist eine Sammlung von nationaler Bedeu tung, die in vergleichbarem Umfang, in der besonderen Vielseitigkeit und außer ordentlichen Qualität in keinem Museum der Bundesrepublik zu finden ist. Münchner Stadtmuseum St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München Telefon 089 - 233 22370 Öffnungszeiten: Di – So 10 –18 Uhr, Mo geschlossen www.muenchner-stadtmuseum.de Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Wüstenrot Stiftung, Hypo Kulturstiftung 43 Fernöstliche Träume Die Ernst von Siemens Kunststiftung fördert den Erwerb einer Schokoladentasse mit Unterschale für die UNESCO-Welterbestätte Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl Doppelhenkelige Schokoladentasse mit Unterschale aus dem Schokoladen-, Kaffee- und Teeservice des Kurfürsten Clemens August von Köln, Meißen 1735. Foto: Bonhams 1739 Ltd. Schon seit Beginn der Handelsbeziehungen Europas mit dem fernen Osten galt das „Land der Seide“ als phantas tisch und unvorstellbar schön. Kauffahrer brachten neben der Seide auch Porzellan aus China und Japan mit, das als „weißes Gold“ als ebenso kostbar angesehen war wie das Edelmetall. Die zerbrechlichen Pretiosen mit ihren exoti schen Malereien begeisterten vor allem im sinnenfrohen 18. Jahrhundert europäische Fürsten und die galante hö fische Gesellschaft. Ludwig XIV. von Frankreich hatte mit seinem „Trianon de Porcelaine“ im Park von Versailles bereits 1670 das Vorbild für einen Palast aus Porzellan geliefert, August der Starke von Sachsen-Polen versuchte 1732, es ihm mit dem Japanischen Palais in Dresden nach zutun, ausgestattet mit nunmehr in Meißen hergestellten Porzellanen. Auch der als kunstsinnig geltende Kurfürst und Erzbischof von Köln, Clemens August von Bayern (1700/23 –1761), war ein begeisterter Anhänger der China mode. Im Park seines Sommerschlosses Augustusburg in Brühl ließ er zwei fernöstlich anmutende Bauten errichten: Das erste, als „Indianisches Haus“ oder „maison sans gêne“ (um 1745) bezeichnet, ist ein frühes Beispiel für Lustbau ten im chinesischen Geschmack und war der perfekte Ort für Gartenfeste. Es lag inmitten einer exotischen Garten gestaltung, die eine Fasanerie mit seltenen Wasservögeln beherbergte. Der Bau, der die zeitgenössische Vorstellung chinesischer Paläste vermitteln sollte, bestand aus drei zweigeschossigen Pavillons auf einem breiten Sockel. Die seitlichen Pavillons waren mit kleinen Appartements aus gestattet und durch eingeschossige Galerien mit dem mitt leren, größeren Pavillon verbunden. Zeitgenossen berich teten begeistert über die Ausstattung des Schlösschens und die kostbaren Sammlungen: Im Sockelgeschoss waren in zahlreichen Vitrinenschränken 154 Porzellanstücke ausge stellt, darunter auch ein 84 Teile umfassendes Service für Schokolade, Kaffee und Tee. Dieses Service hatte Clemens August wohl selbst in der Meißner Manufaktur in Auftrag gegeben. Eine vollstän dige Datumsnennung auf einigen Serviceteilen deutet auf eine Anfertigung zu seinem 35. Geburtstag am 16. August 1735. Nach dem Tode des Kurfürsten wurde das Service am 18. Februar 1761 gezählt. Die Inventarliste nennt zwei Kaf feekannen, je zwei Tee- und Zuckerdosen (davon eine mit Unterschale), eine Teekanne und ein Milchkännchen sowie zwei Spülkummen, eine Konfitüreschale und je 12 Schoko laden-, Kaffee- und Teetassen mit Unterschalen. Auf sämtlichen Gefäßen ist auf der einen Seite das von Löwen präsentierte Wappenbild Clemens Augusts zu sehen, auf der anderen Seite jeweils eine schwarz kon turierte Goldkonsole mit einer vierpassigen Reserve. Da rin finden sich chinoise Hafen- oder Kauffahrerszenen in Purpurcamaieu-Malerei. Die Konsole dient sogenannten Höroldt-Chinesen als Plattform für ihre heiteren Unterneh mungen. Erwachsene Chinesen und Chinesenkinder agie ren auf allen Geschirrteilen mit den Initialen des Kurfürs ten „CA“, dem vollständigen Namenszug oder mit seinen Insignien. Der Umgang mit den fürstlichen Initialen ist mal heiter und sorglos, mal untertänig und ehrfurchtsvoll. Die } www.ernst-von-siemens-kunststiftung.de Szenen waren ganz der geltenden Annahme verhaftet, das ferne China bzw. die Länder des Fernen Ostens, die man allgemein als „indianisch“ bezeichnete, seien von ewigem Frühling und ständiger Heiterkeit geprägt. Teile der Vorla gen für die auf jedem Stück des Services individuell gestal teten Malereien finden sich in einem später zusammenge tragenen Musterbuch, dem sogenannten Schultz-Codex. Die hier gesammelten Blätter zeigen auf, wie die Gestaltung von vielteiligen Servicen als einheitliche Kunstwerke mög lich wurde – auch wenn die Malerei von der Hand verschie dener Porzellanmaler der Manufaktur angefertigt wurde: In diesem Fall neben Höroldt auch Christian Friedrich He rold und Philipp Ernst Schindler d. Ä. Unter diesen Servicen zählt das des Kurfürsten Clemens August von Köln zweifel los zu den Spitzenleistungen. Von den 1761 gezählten 12 Schokoladentassen mit Doppelhenkel sind heute noch acht zum Teil in Sammlun gen, zum Teil im Privatbesitz befindlich bekannt. Auf der Tasse, die nun mit der Unterstützung der Ernst von Sie Das Indianische Haus im Park von Schloss Augustusburg in Brühl. Ansicht von Osten. Öl auf Leinwand, François Rousseau, um 1760 Foto: Achim Bednorz mens Kunststiftung für Schloss Augustusburg angekauft werden konnte, sind auf der Konsole drei Chinesen zu se hen, links zwei Kinder, rechts ein erwachsener Mann, der vor einem verdorrten Baum steht, an dessen Stamm ein Zettel mit der Aufschrift „Clement / August / 1735“ ange heftet ist. Auf der Konsole der Unterschale sitzt rechts ein erwachsener Chinese auf einem Stuhl, ein links stehender Mann reicht ihm die ineinander verschlungenen Initialen „CA“, während ein Kind in Rückenansicht in der Mitte steht und zusieht. Damit kehrt eine zweite Schokoladentasse mit Un terschale aus diesem einzigartigen Service an seinen ur sprünglichen Ort zurück. Zwar wurde das „Indianische Haus“ 1822 abgebrochen, die Tradition der Porzellan sammlung des Kurfürsten wird jedoch in seinem, seit 1984 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Sommerschloss Augustusburg fortgesetzt. Christiane Winkler UNESCO-Welterbestätte Schlösser Augustusburg und Falkenlust, Brühl FREUNDESKREIS PORTALE INS JENSEITS Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder unterstützte die Restaurie rung eines klazomenischen Sarkophags in Leipzig von Frank Druffner 36 Kilometer westlich von der türki schen Stadt Izmir liegen ausgedehnte Ruinenfelder. Es sind die Reste der ionisch-griechischen Stadt Klazomenai. Die Bedeutung der Siedlung lässt sich daran ermessen, dass sie einer der ersten Orte war, an denen im antiken Grie chenland Silbermünzen geprägt wurden. Wichtige Erwerbszweige waren die Herstellung von Olivenöl (eine Presse aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. hat sich im Grabungsareal erhalten) und die Produktion der nach ihrem Entste hungsort benannten „klazomenischen Sarkophage“. Ein Merkmal dieser in Klazomenai gefertigten Sarkophage ist die aufwän dige Gestaltung ihrer oberen Ränder. Die Aufmerksamkeit, die die Kunsthand werker dem Rahmen widmeten, wirft ein Licht auf das antike Begräbnisritual: Die aus gebranntem Ton gefertigten Sarkophage wurden bis auf den Rand im Erdreich versenkt und, nachdem der in feierlicher Prozession zum Begräbnis ort verbrachte Leichnam in ihm lag, mit einer Steinplatte abgedeckt. Schließlich warf man über ihm einen Erdhügel auf. Im Augenblick der Grablegung war von dem in einem Stück gebrannten Sarkophag also nur der Rahmen zu sehen, woraus sich dessen Ausschmü ckung erklärt. Zunächst beschränkte sich diese nur auf Ornamente, nach 530 v. Chr. treten in der Kopf- und Fußzone vermehrt auch figürliche Darstellungen auf. Der in Tücher gehüllte Tote lag vor dem Verschließen des Grabes in einem gerahmten Gehäuse – und blickte wie aus einem geschmückten Türfeld heraus auf die um ihn versammelte Trauerge meinde, allerdings in liegender Position. Von den weltweit etwa 200 erhalte nen Exemplaren solcher klazomenischer Sarkophage befanden sich vor dem Zweiten Weltkrieg drei Stück im Anti kenmuseum Leipzig. Durch Kriegsein wirkung wurden zwei davon fragmen tiert, der dritte, am wenigsten geschädigte konnte 2013 bis 2014 mit Hilfe des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder restauriert werden. Der Rahmen, der als der einzig geschmückte Bestandteil des Sarkophags noch am Ausgrabungsort von der schmucklosen Wanne abgeschlagen und wie ein Bilder rahmen abtransportiert worden war, ist gereinigt und gefestigt worden. Seine aufgefrischten Malereien sind nun wie der in den Sammlungen des Antiken museums der Universität Leipzig zu besichtigen. Das restaurierte Stück zeigt unmit telbar oberhalb der „Schwelle“ florale Motive, denen sich an den Längsseiten einfache Winkelmuster anschließen. In Kopfhöhe des Leichnams sitzen zwei sich zugewandte Profilgesichter von Jünglin gen. Die obere Querstrebe trägt in ihrem Zentrum eine Palmette. Links und rechts von ihr erscheinen nach außen schrei tende, die Köpfe jedoch zu ihr umwen dende Löwenfiguren. Der Schmuck gehört dem fortgeschrittenen Typus der Sarkophage mit figürlichen Motiven an. Datiert wird der Leipziger Sarkophag in die Zeit um 510 bis 460 v. Chr. Abgesehen von seiner Bedeutung als Zeugnis der frühgriechischen Malerei ist das Exponat ein rares Beispiel internatio nalen Mäzenatentums. Es kam nämlich, zusammen mit zahlreichen anderen Artefakten aus der Antike, im Jahr 1912 als Schenkung an das Antikenmuseum der Universität Leipzig. Der Wohltäter war eine schillernde Figur: Edward Perry Warren, Amerikaner von Geburt, ver schrieb sich der klassischen Archäologie und lebte seit 1888 vorwiegend in Eng land – in offener Lebensgemeinschaft mit einem Mann, dem Archäologen John Marshall (Warren verfasste 1928-30 unter Pseudonym eine dreibändige „Defence of Uranian Love“, eine Vertei digungsschrift für Homosexualität). Warren bereiste Europa, erwarb Antiken für Museen und für den eigenen Besitz und betätigte sich als Förderer verschie dener Sammlungen. Unter der Direktion von Franz Studniczka erlebte die ins frühe 18. Jahrhundert zurückreichende Leipziger Sammlung neuen Aufschwung, und die beiden angelsächsischen Kenner zollten ihr ihre Anerkennung, indem sie rund 300 wertvolle Objekte stifteten, darunter der besagte klazomenische Sarkophag. Auch wenn die beiden Män ner zum Zeitpunkt der Schenkung nicht mehr zusammenlebten (Marshall hatte bereits 1907 zur großen Bestürzung Warrens eine Frau geheiratet), wirken die beiden Jünglingsprofile auf dem Sarko phagrahmen fast wie ein zeitloses Denk mal ihrer ungewöhnlichen „uranischen“ Beziehung. Prof. Dr. Frank Druffner ist stellvertretender Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder und Geschäftsführer des Freundeskreises. Der digitale Kunstführer für das Ruhrgebiet Restaurierter Sarkophag des Hopkinson-Malers, oberer Abschluss der beiden Längsseiten mit den Metopenbildern und dem Kopfende mit dem Figurenfries, um 510 – 460 v. Chr.; Antiken museum der Universität Leipzig 46 gefördert durch die ARSPROTOTO 1 2010 2016 www.kunstgebiet.ruhr 47 NEUE BÜCHER ADOLPH MENZEL Mit schonungsloser Genauigkeit machte Adolph Menzel (1815 –1905) bereits in seinem Früh werk klar: Die Zeiten idealistischer Ansichten sind vorbei. Menzel zeichnete Baugerüste vor seinem Zimmerfenster, fertigte Zeichnungen sterbender Soldaten an, malte die königliche Festgemeinschaft. Indem er sich dem Schönen und Schrecklichen, dem Bedeutungsvollen und Nebensächlichem gleichermaßen widmete, erfasste der Maler die vielschichtige Wirklichkeit mit größter Präzision aus einem ganz eigenen Blickwinkel: Nicht zuletzt durch seine geringe Körpergröße von nur einem Meter vierzig blieb Menzel von vielen Lebensbereichen ausgegrenzt. Jenseits der Familie hatte der als Außenseiter geltende Künstler keine engen Bindungen, wurde für militäruntauglich erklärt, blieb unverheiratet. Dieses nicht gelebte Leben versuchte sich Menzel ersatzweise zumindest visuell anzueignen. Um Selbstachtung ebenso wie um Bestätigung ringend, folgte er mit feinem Spürsinn den Impulsen der Zeit. Werner Busch beleuchtet in seiner reich bebilderten Monographie das Gesamtwerk des Künstlers: Von Menzels Anfängen als Gebrauchsgraphiker sowie als Illustrator von Franz Kuglers „Ge schichte Friedrichs des Großen“ über seine farbigen Ölskizzen bis hin zur kritischen Aus einandersetzung mit der Historienmalerei (die Menzel ablehnte) und schließlich zu Menzels Parisaufenthalten 1855, 1867 und 1868 entfaltet Busch das gesamte Spektrum von Menzels künstlerischer Arbeit. Einfühlsam folgt er biografischen wie historischen Umbrüchen, die er in klaren Einzelbildanalysen von Menzels Werken nachzeichnet. Dabei sensibilisiert der Berliner Kunsthistoriker für gesellschaftliche Wendungen und knüpft Verbindungen zu den epochemachenden Pionierleistungen des großen Künstlers Adolph Menzel. Werner Busch, Adolf Menzel. Auf der Suche nach der Wirklichkeit. Verlag C. H. Beck, München. 304 Seiten mit 167 Abbildungen, 58 Euro 48 DER GARTENKÜNSTLER PETER JOSEPH LENNÉ Joseph Peter Lenné (1789 –1866) – ein intrigan ter Schmeichler? Ein ruhmsüchtiger Schurke und Betrüger? Oder doch eher der größte Land schaftsgärtner seiner Zeit, ein Ausnahmetalent, eine Künstlernatur? Für sein jüngst erschienenes Buch wertet Clemens Alexander Wimmer – selbst renommierter Gartenarchitekt und Denk malpfleger in Potsdam – den Nachlass des berühmten Gartenkünstlers sorgfältig aus und liefert anlässlich seines 150. Todestages eine Biografie auf dem neuesten Stand der Forschung. Ausgehend von der durch Krieg und Not gepräg ten Kindheit Lennés in Bonn schildert der Autor den Aufstieg des ehrgeizigen Hofbeamten, der sich geschickt gegen einflussreiche Konkurrenten durchsetzte und rasch die Gunst der preußischen Könige eroberte. Besonderes Augenmerk legt der Biograf auf die überlieferten Äußerungen von Lennés Zeitgenossen und schreckt dabei auch vor kritischen, gar boshaften Stimmen nicht zurück. Wimmer befreit Lenné von der überhol ten Mythifizierung seiner Person als singuläres Künstlergenie und porträtiert den Schöpfer zahlreicher Gartenanlagen wie Sanssouci, die Pfaueninsel oder den Berliner Tiergarten, als komplexen, charismatischen Charakter und fähigen Künstler. Clemens Alexander Wimmer, Der Gartenkünstler Peter Joseph Lenné. Eine Karriere am preußischen Hof. Lambert Schneider Verlag, Darmstadt. 224 Seiten mit 50 Abbildungen, davon 30 in Farbe, 29,95 Euro FERDINAND HARDEKOPF — BERLINER BRIEFE Seine Berlin-Feuilletons, die er in einer ProvinzZeitung – der Eisenacher Tagespost – veröf fentlichte, erzählen von der großstädtischen Atmosphäre des Berlins der Jahrhundertwende. In knappen Texten von virtuoser, spielerischer Sprache schildert der junge Journalist Ferdinand Hardekopf (1876 –1954) die Eindrücke der Ber liner Straßen, Cafés und Theater, beschreibt mit Witz das illustre Leben des Großstädters. Stets dem ephemeren Moment verschrieben, war das Medium seiner Wahl nicht das auf Ewigkeits werten beruhende Buch, sondern die „Gazetten“, wie Hardekopf die Zeitungen und Zeitschriften nannte. Nur diese, empfand er, würden seinem schnellen Stil gerecht. Unter verschiedenen Pseu donymen schrieb er Hunderte von Aphorismen, Kritiken, Essays, Erinnerungen, Porträts und Feuilletons. Letztere aus den Jahren 1899 bis 1902 – erst kürzlich wiederentdeckt – sind im Band „Briefe aus Berlin“ zusammengefasst. Das Buch bildet den Auftakt zu einer Reihe mit dem programmatischen Titel „Unbegrenzt haltbar“, in welcher der Verlag literarische Wiederentdeckun gen präsentieren möchte. Bernhard Echte (Hg.), Ferdinand Hardekopf – Ber liner Briefe. Feuilletons 1899 –1902. Nimbus Verlag, Wädenswil am Zürichsee. 224 Seiten mit zahlreichen SchwarzweißAbbildungen, 28 Euro GEORG FORSTER Georg Forster (1754 –1794) war ein Mann weiter Horizonte: Noch als Jugendlicher nahm er mit seinem Vater Reinhold von 1772 bis 1775 an James Cooks zweiter Weltumsegelung teil; drei Jahre, die ihn mit ihren Strapazen und ungeahnten Eindrücken zwischen Antarktis und Tahiti auf immer prägen werden. Jürgen Gold stein, Professor für Philosophie, zeichnet die intellektuelle Biographie Forsters nach und identifiziert die Verbindung von Natur und Politik als die Eckpunkte seines revolutionären politischen Denkens. Forster, der 1793 die „Mainzer Republik“ als erste Republik auf deutschem Boden ausrief, verband „Wahrheit, Freiheit, Natur und Menschenrecht“ in seinem Denken und seinem politischen Handeln. Aber Forsters schwärmerischer Geist zerbrach an den Realitäten: Weder mündeten die außerordent lichen Erfahrungen der Weltreise in eine ange sehene Gelehrtenkarriere, noch hielten seine Visionen dem politischen Alltag der Revolution und der direkten Anschauung des revolutionären Terrors von 1793 statt. Forster stirbt 1794 vereinsamt in Paris; was bleibt, sind die Auf zeichnungen seiner „Reise um die Welt“ – und das biographische Denkmal des Weltbürgers und unruhigen Geistes in einer Zeit voller Umbrüche. Jürgen Goldstein, Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt. Verlag Matthes und Seitz, Berlin. 302 Seiten, 24,90 Euro UNTERSTÜTZEN SIE UNS RETTEN SIE KUNST Unterstützen Sie die Spendenaufrufe von Arsprototo. Spenden Sie unter dem Stichwort „Schloss Weilburg“ und helfen Sie bei der Restaurierung der Brunnenfigur „Herakles und Antaios“. ––– Siehe Seite 38 Haben Sie weitere Fragen zu den Projekten? Rufen Sie die Redaktion unter 030 - 89 36 35 27 an. DIE KULTURSTIFTUNG DER LÄNDER Die Kulturstiftung der Länder ist eine Stiftung bürger lichen Rechts und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke. Sie hat die Berechtigung, steuerlich wirksame Spendenbescheinigungen auszustellen. Spenden an die Kulturstiftung der Länder sind steuerlich abzugsfähig. Die Kulturstiftung der Länder wurde 1987 von den Ländern der Bundesrepublik Deutschland gegründet und nahm am 1. April 1988 in Berlin ihre Arbeit auf. Im Oktober 1991 traten die neuen Bundesländer bei. Die Kulturstiftung der Länder unterstützt und berät deutsche Museen, Bibliotheken und Archive bei der Erwerbung und Bewahrung von national wertvollem Kulturgut. Darüber hinaus widmet sie sich wichtigen kulturpolitischen Themen wie dem „Deutsch-Russischen Museumsdialog“ und hat mit „Kinder zum Olymp!“ eine erfolgreiche Bildungs initiative für Kinder und Jugendliche ins Leben gerufen. ––– www.kulturstiftung.de BILDNACHWEIS Titel: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker; S. 3 o.: © Oliver Helbig; S. 3 u.: © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Foto: Leo Seidel, S. 4 l. o.: © Autor privat; S. 4 l. u.: © Autor privat; S. 4 r.: © Barbara Bechter, S. 5 l.: © Staatliches Museum Schwerin; S. 5 r. o.: © Kunst- und Kulturverein Rheinsberg e. V.; S. 5 r. u.: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Michael Setzpfandt; S. 6 l.: © Münchner Stadtmuseum, Sammlung Siegert; S. 6 r.: © Städel Museum, Frankfurt am Main / Foto: Städel Museum – U. Edelmann – ARTOTHEK, S. 8/9 © Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Pinakothek der Moderne; S. 10/11 © Staatliches Museum Schwerin; S. 12/13 , © Deutsches Theatermuseum München, Archiv Heinz Köster / Foto Heinz Köster, © Benedikt Hoppe, S. 14 vorn: © Joachim John, hinten: © Volker Braun; S. 15: © Annegret Gossens, Kleve 2015; S. 16: © Ulmer Museum / Foto: Karl-Friedrich Mühlensiep, Neu-Ulm; S. 18/19: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: D. Klose; S. 20/21, 25, 27: © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Foto: Leo Seidel; S. 22: © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Foto: Hans Bach; S. 23-24, 26 u.: © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg; S. 26 o.: © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Foto: Wolfgang Bittner; S. 28, 30, 31, 34, 36 o., 36 u.: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker; S. 29, 37: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Elke Walford; S. 33: © Staatliches Museum Schwerin / Fotos: Michael Setzpfand, Gabriele Bröcker; S. 35: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Michael Setzpfand; S. 38: ARSPROTOTO 1 2016 BESTELLEN SIE ARSPROTOTO Arsprototo, das Magazin der Kulturstiftung der Länder, erscheint viermal im Jahr. Das Abonnement ist kostenlos. Wir möchten Sie dennoch herzlich bitten, sich mit einem kleinen Beitrag an den Herstellungs- und Vertriebskosten zu beteiligen. Bitte überweisen Sie unter dem Stichwort „Arsprototo“ auf eines unserer Konten (beispielsweise 20 Euro). Vielen Dank! Leider können wir Ihnen für diesen Beitrag keine Spendenbescheinigung ausstellen. So können Sie Arsprototo bestellen: mit der Postkarte am hinteren Heftumschlag per E-Mail: abo@kulturstiftung.de per Fax: 030 - 26 55 56 71 telefonisch: 030 - 89 36 35 0 im Internet: www.kulturstiftung.de Auch vorangegangene Hefte von Arsprototo sind bei der Kulturstiftung der Länder bestellbar – folgende Ausgaben sind jedoch vergriffen: 2/2005, 3/2005, 3/2006, 1/2007, 2/2007, 4/2007, 1– 4/2009, 3/2010, 4/2010, 1– 4/2011, 1– 4/2012, 1/2013, 1/2014, 4/2014 PATRIMONIA Die Kulturstiftung der Länder gibt seit 1988 die Schriftenreihe PATRIMONIA heraus, in der sie ihre wichtigsten Förderungen ediert. Bislang sind über 350 Bände erschienen. Einzelhefte können Sie bei der Kulturstiftung der Länder bestellen. Eine Liste mit Kurzbeschreibungen der einzelnen Bände und Preis angaben finden Sie auf unserer Webseite. © Fotostudio Yasmine Schüßler, 2015; S. 39: © VSG, 2010; S. 40-43: © Münchner Stadtmuseum, Sammlung Siegert; S. 44/45: © Antikenmuseum der Universität Leipzig / Foto: Marion Wenzel; S. 48 l. o.: © Verlag C. H. Beck; S. 48 m.: © WBG-Verlage; S. 48 r.o.: Nimbus-Verlag; S. 48 r. u.: © Verlag Matthes und Seitz; S. 50 – 55: © Städel Museum, Frankfurt am Main / Foto: Städel Museum – ARTOTHEK; S. 56 l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 56 2. v. l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München; S. 56 3. v. l.: © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Foto: Andres Kilger; S. 56 r.: © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg; S. 57 l.: © Louisiana Museum of Modern Art, Schenkung Jytte und Dennis Dresing; S. 57 2. v. l.: © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 57 3. v. l.: © Successió Miró / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 57 r.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 58 l.: © Museumsberg Flensburg; S. 58 2. v. l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Imaging Department, Courtesy of President and Fellows of Harvard College; S. 58 3. v. l.: © Stiftung Arp e.V. Rolandswerth/Berlin, unbekannter Fotograf; S. 58 r.: © Gregor Hildebrandt; Courtesy Wentrup Gallery / Almine Rech Gallery / Galerie Perrotin. Foto: Tom Gundelwein; S. 59 l.: © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: J. Karpinski; S. 59 2. v. l.: © Hahnloser/Jaeggli Stiftung / Reto Pedrini, Zürich; S. 59 3. v. l.: © Nolde Stiftung Seebüll; S. 59 r.: © Bayer & Mitko, München / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 64: Foto: Frîa Hagen; S. 65 o.: © Stiftung Schloss Friedenstein Gotha; S. 65 u.: © Sandstein Verlag; S. 66 © Oliver Mark 49 LÄNDERPORTRÄT HESSEN Johann Nepomuk Zwerger, Bildnisbüste von Johann Friedrich Städel, 1829; Städel Museum, Frankfurt am Main Christian Georg Schütz d. Ä., Markttag am Frankfurter Römerberg, 1754, 104 × 123 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main Die Sammlung Johann Friedrich Städel „ZUM BESTEN HIESIGER STADT UND BÜRGERSCHAFT“ Der Frankfurter Händler und Bankier Johann Friedrich Städel begründete das erste öffentliche, bürgerliche Kunstmuseum in Deutschland und schrieb mit seinem Testament Rechtsgeschichte W ir wissen fast nichts über ihn. So lautet der meistgeschriebene Satz über Johann Friedrich Städel. Dabei trägt eines der bedeutendsten Museen in Deutschland seinen Namen. Dabei gilt seine Stiftung als beispielhaft für privates Mäzenatentum. Und sein Handeln für die Frankfurter Bürger ist das immerwäh rende Vorbild für Frankfurter Bürger. Sie unterstützen ihr Bürgermuseum, sie schenken Kunst, spenden für Ankäufe und Baumaßnahmen in großer Höhe und mit beeindruckender Stetigkeit – all das im Sinne Johann Friedrich Städels, der 1816 seine Kunstsammlung der Frankfurter Bürgerschaft stiftete und außerdem ver fügte, dass sein Vermögen zur Ausbildung von Künst lern genutzt werden solle. In Städels Testament klingt das so: „Grundlage eines zum Besten hiesiger Stadt und Bürgerschaft hiermit von mir gestiftet werdenden Städelschen Kunstinstituts soll meine Sammlung von Gemählden, Handzeichnungen, Kupferstichen und Kunstsachen, sammt dazu gehörigen Büchern“ sein. Zum Umgang mit der Kunst hatte Städel klare Vorstel lungen: Die Sammlung sollte erhalten, vermehrt und bei „vorkommenden Gelegenheiten durch Austausch der vorhandenen schlechten und mittelmäßigen Stücke gegen bessere, vollkommenere“ verändert werden. Der Name Städel ist zum Inbegriff bürgerlichen Engagements und Vertrauens in die Bürgerschaft ge worden. Der Stifter selbst jedoch ist seltsam fremd geblieben. Die Eckdaten seines Lebens und Wirkens mögen bekannt sein – geboren 1728, gestorben 1816. Was für ein Mensch er war, liegt trotz intensiver For schung im Dunkeln. Auch die Kunsthistorikerin Corina Meyer, die für ihre 2013 erschienene Dissertation allen verfügbaren Informationen nachging und sie in ihrem überaus fakten- und detailreichen Buch „Die Geburt des bürgerlichen Kunstmuseums – Johann Friedrich Städel und sein Kunstinstitut in Frankfurt am Main“ zusammenführte, muss konstatieren: „Die Person des Johann Friedrich Städel ist schwer zu greifen.“ Meyer nimmt an, dass er „ein introvertierter, aber durchaus offener, moderner Mensch war, der sich zwar um sein Selbstbild nicht kümmerte, doch schon Wert darauf legte, dass seine Stiftungen seinen Namen tragen“. Dass es eine große Unkenntnis über den Menschen Städel bis heute gibt, war – so steht es zu vermuten – durchaus in seinem Sinne. Wäre er an persönlichem Nachruhm interessiert gewesen, hätte er zu Lebzeiten Johann David Passavant (zugeschrieben), Porträt Johann Friedrich Städel, um 1850 (?), 39,4 × 25 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main von Uta Baier 50 ARSPROTOTO 1 2016 51 dafür sorgen können, ebenso wie für ein Porträt, schließlich war er ein reicher und bekannter Großhänd ler und Bankier mit entsprechend zahlreichen Verbin dungen. Doch auch ein repräsentatives Porträt gibt es nicht. Allein eine ziemlich dilettantische Bleistiftzeich nung des Frankfurter Kunstschriftstellers Johann David Passavant befindet sich in der Städelsammlung. Die Marmorbüste von Johann Nepomuk Zwerger, die heute im Museum steht, entstand nach einer früheren Passa vant-Zeichnung und mehr als zehn Jahre nach Städels Tod. Eine gewisse Idealisierung abgerechnet, ist hier ein freundlicher älterer, asketisch wirkender Herr zu sehen, der gleichzeitig große Ruhe und große Willenskraft ausstrahlt. Ausschweifend und laut scheint nichts an ihm. Ein solcher Mann feiert keine glamourösen Feste, er führt vertrauensvolle Gespräche, versenkt sich in ein Kunstwerk, verhandelt für ein gutes Geschäft. Ob Städel solche Spekulationen gerecht werden, wird sich nicht mehr klären lassen, denn seine persön lichen Aussagen sind spärlich, allein Geschäftsbriefe im üblichen korrekt-förmlichen Stil der Zeit haben sich erhalten. Fest steht: Der Frankfurter Gewürzhändler und Bankier Johann Friedrich Städel tat Großes für die Bürger seiner Stadt und für alle, die Kunst sehen wollen. Aber nicht nur das. Völlig ungeplant schrieb er auch Rechtsgeschichte, denn bis sein Testament eröffnet wurde, hatte noch niemand einer noch nicht bestehenden Stiftung sein ganzes Vermögen hinterlassen. Die Rechtsgültigkeit dieser Verfügung zweifelten daher sofort nach seinem Tod zwei entfernte Verwandte aus Straßburg an. Ihr Argument: Niemand könne Erbe sein, der zum Zeit punkt des Erbantritts noch gar nicht existiert habe. Es dauerte mehr als zehn Jahre, bis das Problem um die Stiftung mit einem Vergleich gelöst wurde: Die ent fernten Verwandten bekamen ein Drittel des Vermö gens. Die endgültige rechtliche Klärung kam später. Paragraph 84 im Bürgerlichen Gesetzbuch bezieht sich auf diesen besonderen Fall und gibt Städel im Nachhin ein Recht, denn er lautet: „Wird die Stiftung erst nach dem Tode des Stifters als rechtsfähig anerkannt, so gilt sie für die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tod entstanden.“ Die beschenkten Bürger staunten nicht schlecht über das Städelsche Vermächtnis, das neben der Kunst sammlung aus 1,3 Millionen Gulden bestand. Damit war Städel der drittreichste Frankfurter. Das war damals offenbar nicht bekannt – was ein weiterer Hinweis auf Städels Bescheidenheit ist. Selbst Goethe, durchaus ein Kenner und Besucher von Sammler und Sammlung, glaubte an einen Kommafehler, als er von der Summe erfuhr. Dabei lag das Handeln Städel im Blut – schon sein Vater war Händler und besaß ein Spezereien handelsgeschäft. Sohn Johann Friedrich arbeitete dort mit und führte es auch nach dem Tod des Vaters 1777 52 Flämisch (Nachfolge Rubens oder Van Dyck), Trabender Schimmel in einer Flachlandschaft vor einer Stadt, ca. 1648 –53, 101,2 × 67,9 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main weiter. Außerdem war er Bankier und Spediteur. Wie sein Vater übernahm er Verantwortung im Bürgeraus schuss der Stadt, dem sogenannten 51er Kolleg. Sein Haus baute Städel an der damals exklusivsten Adresse Frankfurts, am Rossmarkt. Über dieses Haus war bisher fast nichts bekannt, denn der Gebäudekomplex wurde um 1900 von der Stadt abgerissen und das Archiv des Frankfurter Bauamts verbrannte im Zweiten Weltkrieg. Erst die Forschungen von Corina Meyer brachten einige Klarheit über Städels Haus, das er nach dem Tod des Vaters erwarb, umbaute und als Geschäfts-, Wohnund Ausstellungshaus nutzte. Im Erdgeschoss befanden sich die Verkaufsräume, darüber zwei aufwändig ausge stattete Geschosse für seine Gemäldesammlung. Nach Sichtung verschiedener Akten schließt Städel-Forsche rin Corina Meyer auf ein ambitioniertes Ausstattungs konzept der Säle, die reine Schauräume waren. Eine Vermischung von Kunst und Wohnen, wie bei vielen Privatsammlern üblich, lag offenbar nicht in Städels Interesse. Vielmehr entschied er sich bei der Zurschau stellung in seinen Privaträumen für eine museale Prä sentation und unterschied sich nicht nur darin von anderen Frankfurter Sammlern. Denn im reichen Frankfurt gab es viele Privat sammler, doch ihre Sammlungen waren nicht unbe dingt beständig und wurden nach 20 oder 30 Jahren Deutscher Meister, Bildnis eines Mädchens in Schäfertracht, 1665, 86,1 × 67,2 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main ARSPROTOTO 1 2016 53 Pieter Soutman (?), Bildnis eines Kindes mit rotgefüttertem Strohhut, ca. 1640, 36,8 × 31,7 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main wieder verkauft oder zerstreuten sich durch Vererbung und die damit verbundene Aufteilung. Nicht so die Sammlung Städels – er sammelte 50 Jahre lang bis zu seinem Tod. Die ersten beiden Bilder kaufte er 1763, für 1814 ist der letzte Kauf mehrerer graphischer Blätter nachweisbar. Diese Kontinuität war sowohl Ausdruck seines ungebrochenen Erfolgs als Geschäftsmann, seines anhaltenden Interesses an der Kunst wie auch seines Lebens als unverheirateter, kinderloser Bürger. Das war ihm durchaus klar, denn er schrieb 1811 in einem Brief: „(m)eine Vermögens-Umstände in Verbindung mit dem ledigen Stande, begünstigten sowol in Rücksicht der nöthigen Muße, als des erforderlichen Aufwandes diesen Kunsthang, so dass ich meine Samlung an Ge mälden, Kupferstichen und andern Kunstsachen für ansehnlich halten darf.“ Wenn Städel „ansehnlich“ sagt, gibt er sich bescheiden und stolz zugleich, denn bei 54 seinem Tod umfasste die Sammlung 476 Gemälde von 200 Künstlern sowie 4.600 Handzeichnungen und graphische Blätter. Die Hälfte der Gemälde stammte aus den Niederlanden, die andere Hälfte war zu etwa gleichen Teilen deutsch und italienisch. Städel besaß vor allem Landschaften, Historien mit christlichen Sujets, auch Genreszenen und Porträts. Stillleben interessierten ihn hingegen weniger, denn es zählten nur 13 zur ursprünglichen Sammlung. Die Vorliebe für bestimmte Themen war zeittypisch, die Begeisterung für italie nische Kunst etwas Besonderes. Zum Städelschen Besitz zählten – nach damaliger Zuschreibung – Vermeer und Rubens, Parmigianino und Tintoretto, Tizian und van Dyck, Frans Hals, Willem Kalf, Angelika Kaufmann und Antonio Canal – um nur einige wenige zu nennen. Trotz einer eigenhändigen Auflistung seines Kunst besitzes lassen sich längst nicht alle Bilder identifizieren, denn heute sind aus der Ur-Sammlung nur noch 70 Gemälde im Museumsbesitz. Von den 4.600 Hand zeichnungen sind 1.900 übrig. Das hat nicht nur mit der – für einen privaten Sammler ungewöhnlich un eitlen – testamentarischen Verfügung zu tun, Schlechte res zu verkaufen, um Besseres für die Sammlung kaufen zu können, sondern mit Administratoren, die allzu intensiv an die eigene Unfehlbarkeit glaubten. So be fand der Jurist Karl Friedrich Starck, dass die meisten Gemälde als minderwertig zu betrachten seien und begann sofort nach Städels Tod mit dem Verkauf. Zu einer gänzlich anderen Einschätzung über die Qualität waren verschiedene Besucher der Städelschen Samm lungen gekommen. Zum Beispiel Johann Isaak von Gerning, ebenfalls ein Sammler. Er schrieb im Jahr 1800: „Mehr im italienischen oder im höheren welt bürgerlichen Kunstgeschmack ist das reiche Städelische Kabinet (...).“ Goethe urteilte in „Ueber Kunst und Alterthum“ 1816: „Der Decan aller hier lebenden ächten Kunstfreunde, Hr. Städel, genießt in seinem hohen Alter noch immer der lebenslänglich mit Ein sicht und Beharrlichkeit gesammelten Kunstschätze, in dem wohlgelegensten Hause. Mehrere Zimmer sind mit ausgesuchten Gemälden aller Schulen geschmückt, in vielen Schränken sind Handzeichnungen und Kupfer stiche aufbewahrt, deren unübersehbare Anzahl, sowie ihr unschätzbarer Werth den öfters wiederkehrenden Kunstfreund in Erstaunen setzt.“ Nun ist es weder ein Qualitätskriterium, dass Goethe etwas nicht beziffern und im Wert schätzen kann, noch dass ihn etwas in Erstaunen versetzt. Doch Goethe ist nicht allein mit seinem Urteil. Jochen San der, stellvertretender Direktor des Städelmuseums und Sammlungsleiter der deutschen, holländischen und flämischen Malerei vor 1800, lobt: „Was sie besonders machte und auf Städels eigene Geschmacksbildung und Kunstvorstellung verweist, ist der beachtliche Anteil Aert van der Neer, Nächtliche Feuersbrunst in einer holländischen Stadt, 38 × 54,4 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main ARSPROTOTO 1 2016 Canaletto (Giovanni Antonio Canal), (vermutlich Canaletto-Nachfolge), Ansicht einer venezianischen Brücke, 68,6 × 98,9 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main von Werken der italienischen und sonstigen romani schen Schulen sowie der Anteil an erzählenden Bildern, an Historien.“ Und Corina Meyer konstatiert nach ausführlichen Vergleichen mit zeitgenössischen Frank furter Sammlungen: „Städel hatte beim Einkauf auf große Namen geachtet (van Eyck, Ruisdael, Rubens. Tizian, Tintoretto, Lorrain etc.).“ „Als erster Bürger im deutschsprachigen Raum begründete er ein öffentliches Kunstmuseum und eine Kunstakademie“, lobt der aktuelle Städel-Direktor Max Hollein. Heute ist die Kunstakademie eine staatliche Schule. Das Museum jedoch, das erst in Städels Haus eingerichtet wurde, zwischenzeitlich in einem Palais an der Neuen Mainzer Straße residierte und 1878 in das neu gebaute Ausstellungshaus am Schaumainkai zog, blieb ein Bürgermuseum. Wie die Sammlung an den verschiedenen Standorten präsentiert wurde, hat das Museum in den vergangenen Jahren intensiv erforscht. Seit Frühjahr 2016 kann der Besucher der Internetseite www.staedelmuseum.de die historischen Hängungen in 3D-Rekonstruktionen erkunden. Anlässlich des 200. Todestages Johann Friedrich Städels am 15. März 2015 gab es nicht nur dem Anlass entsprechend angemessene Feiern. Das Städelmuseum eröffnete einen unterirdischen Erweiterungsbau, der zu 50 Prozent durch private Spenden finanziert wurde. Zeitgleich bekam das Museum zwei Kunstwerke ge schenkt. Guido Renis „Himmelfahrt Mariens“ von 1596/97 finanzierte der Museumsverein, die Zeichnung „Studie eines Aktes“ von Edgar Degas eine Frankfurter Mäzenin. Sie alle handelten in bester Städel-Tradition und erfüllten, was Johann Friedrich Städel sich für sein Erbe gewünscht hatte: Vermehrung des Bestehenden. Zu einer solchen Vermehrung in seinem Sinne fühlten sich in den vergangenen 200 Jahren viele Frankfurter Bürger aufgerufen und haben damit die Bedeutung ihres Museums befördert. Städels Stiftung einer priva ten Kunstsammlung steht damit nicht für eine beispiel lose Entwicklung, doch sehr wohl für eine beispiel hafte. Uta Baier ist Kunsthistorikerin und Journalistin in Berlin. 55 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN BREMEN HAMBURG HESSEN MECKLENBURG-VORPOMMERN Jean Miró bei der Arbeit an Blau II (Bleu II), 1961 Lyonel Feininger, Marine mit Barke, 1912 von Carolin Hilker-Möll BADEN-WÜRTTEMBERG BAYERN BERLIN BRANDENBURG Pablo Picasso, Liegende mit Buch, 1939 Per Kirkeby, Brett — Felsen, 2000 August Kopisch, Die Pontinischen Sümpfe bei Sonnenuntergang, 1848 Gabriele Münter, Jawlensky und Werefkin, 1909 DER BLAUE REITER KEHRT ZURÜCK Joseph Beuys, Bruno Corà-Tee, 1975 JOSEPH BEUYS UND ITALIEN Von seiner Landschaft, Geschichte und Kultur gleichermaßen ins piriert, fühlte sich Joseph Beuys (1921–1986) zeitlebens eng mit Ita lien verbunden: Als junger Soldat war der Künstler im mediterranen Raum stationiert, seine erste Einzel ausstellung in Neapel führte ihn 30 Jahre später zurück in die Region. Joseph Beuys’ Liebe zu Italien mani festiert sich in Zeichnungen, Multi ples und Objekten aus unterschied lichen Schaffensphasen. Einige der eindrucksvollsten Werke, wie die Installation „Terremoto in Palazzo“ (1981), in der sich Beuys mit der Erdbebenkatastrophe in Neapel aus einandersetzte, sind nun in Heil bronn zu sehen. Kunsthalle Vogelmann, Heilbronn www.museen-heilbronn.de bis 29.5.2016 ELGER ESSER — ZEITIGEN Anlässlich der Verleihung des Os kar-Schlemmer-Preises 2016 an Elger Esser zeigt die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Arbeiten des 1967 geborenen Künstlers. Indem Esser auf Techniken und Stilmittel der Piktorialisten Bezug nimmt und Kompositionen der Landschafts malerei aufgreift, schafft er in seinen teils malerisch anmutenden Foto grafien wahre Zeit-Räume: Essers Werke, die verlassene Nutz- und Sakralbauten oder zeitlose Land schaften vorweisen, setzen sich mit Momenten des Vergehens und Ver gessens auseinander. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe www.kunsthalle-karlsruhe.de bis 10.7.2016 56 Franz Marc, Wassily Kandinsky, Paul Klee und weitere Künstler aus dem Kreis des „Blauen Reiter“ gelten als entscheidende Pioniere der modernen Kunst des 20. Jahr hunderts. Gleichberechtigt stell ten Kandinsky und Marc im 1912 erschienen Almanach „Der blaue Reiter“ die Werke alter europäischer Meister neben Volks- und Kinder kunst, afrikanische Schnitzereien, bayerische Hinterglasmalerei sowie ägyptische Schattenbilder. Im Len bachhaus spiegeln sich die facetten reichen künstlerischen Anreize nun in der neuen Präsentation der welt weit größten Sammlung zur Kunst des „Blauen Reiter“. Lenbachhaus, München www.lenbachhaus.de Dauerausstellung NIEDERLÄNDISCHE ZEICHNUNGEN — NEU ENTDECKTE WERKE AUS DEM GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM Der Bestand des Germanischen Na tionalmuseums umfasst niederlän dische Zeichnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts – die 90 schönsten Werke werden nun in einer Sonder ausstellung präsentiert. Von Figu renskizzen und Landschaftsdarstel lungen über Genreszenen bis hin zu religiösen Motiven zeigt die Aus stellung nicht nur eine für die hol ländischen und flämischen Meister charakteristische Themenpalette, sondern zeugt zudem von techni scher Vielfalt und Finesse: Schließ lich besaß die Zeichnung – von der ersten Ideenskizze bis hin zum auto nomen Kunstwerk – verschiedenste Funktionen. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg www.gnm.de bis 22.5.2016 AUGUST KOPISCH — MALER, DICHTER, ENTDECKER, ERFINDER Graf von der Groeben, Aquarell, um 1850 DIE GÄRTEN PETER JOSEPH LENNÉS ZWISCHEN SCHLESIEN UND POMMERN Historienmaler, Schriftsteller, Briefautor, Librettist, Historiker, Zeichner, Ingenieur, Forscher und Entdecker der Blauen Grotte auf der Insel Capri: August Kopisch (1799 –1853) ist einer der vielsei tigsten Künstler der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seine Werke als Maler sind von besonderer poeti scher Intensität und Strahlkraft der Farben. Schon der preußische König Friedrich Wilhelm IV. schätzte sein bevorzugtes Bengalisches Blau oder seine schwelgerischen Rottöne und wurde zum wichtigsten Förderer und Sammler seiner Kunst. Erstmals widmet nun die Nationalgalerie dem Multitalent Kopisch eine Aus stellung und zeigt die Vielfalt seines außergewöhnlichen interdisziplinä ren Wirkens. Gartengestalter, Stadtplaner, Ko ordinator von Gärtnern, Blumen zucht, Baumschulen und Land wirtschaft: Peter Joseph Lenné (1789 –1866) wird in diesem Jahr anlässlich seines 150. Todestages ge feiert. So vertraut uns seine deut schen Parkanlagen sind, so verbor gen liegen seit dem 2. Weltkrieg einige jener Landschaftsprojekte, die er und seine engsten Mitarbei ter auf der anderen Seite der Oder, in den ehemaligen östlichen Provin zen Preußens, verwirklichten. Die Besucher der zweisprachigen Aus stellung können bedeutende Land schaftsgärten im heutigen Polen in Fotografien kennenlernen sowie fast vergessene Wirkorte Lennés wiederentdecken. Alte Nationalgalerie, Berlin www.smb.museum 19.3. – 17.7.2016 Schloss Caputh, Caputh www.kulturforum.info 1.5. – 24.7.2016 WIR SUCHEN DAS WEITE — REISEBILDER VON ALBRECHT DÜRER BIS OLAFUR ELÍASSON AUS DEM KUPFERSTICHKABINETT HERZ HAUS MESSER KREUZ — MALEREI, GRAFIK, PLASTIK, OBJEKTE AUS DER SAMMLUNG MUSEUM JUNGE KUNST FRANKFURT (ODER) Die schönsten, verlockendsten und kuriosesten Reisebilder aus über fünf Jahrhunderten zeigt das Kup ferstichkabinett diesmal in seiner Sommerausstellung, bei der sich der Bogen von der Renaissance bis in die Gegenwart spannt: von pracht voll illustrierten Büchern aus der Zeit um 1500 über die Kunst um Humboldt, die rätselhaften Para diese Paul Gauguins und die aus drucksstarken Südsee-Aquarelle Emil Noldes bis hin zu Ed Ruschas 60er-Jahre-Tankstellen irgendwo in Amerika und Franz Ackermanns farbexplorierenden „Mental Maps“. Die weitläufige Rathaushalle bildet den Rahmen für Gegensätzliches: Leben und Tod, Liebe und Hass, Utopien und Katastrophen, Ma terielles und Spirituelles sind die Themen, die in den rund 100 prä sentierten Arbeiten aufgefächert werden. Gemeinsam ist den 37 Künstlern, dass sie sich mit zeichen haften Situationen wie kollekti ven Symbolen oder Piktogrammen auseinandersetzen. Kupferstichkabinett, Berlin www.smb.museum 18.3. – 25.9.2016 Museum Junge Kunst, Frankfurt (Oder) www.museum-junge-kunst.de bis 11.9.2016 PER KIRKEBY — WERKE AUS DEM LOUISIANA MUSEUM OF MODERN ART Als einer der vielseitigsten Gegen wartskünstler Dänemarks und zu gleich als promovierter Geologe macht Per Kirkeby (*1938) die Na tur zum Hauptthema seiner Arbeit: In Malereien, Zeichnungen sowie Modellen aus Bronze greift er, zwi schen Konkretem und Abstraktem changierend, stets natürliche For men auf. Wie aufgetürmte Erd schichten legt Kirkeby seine Farb ebenen übereinander. Wirken seine frühen Bilder geheimnisvoll-distan ziert, inspirierte das Licht des Nor dens Kirkeby im späteren Schaf fen zu einer helleren Farbpalette. Die sinnlichen sowie expressiven Arbeiten aus dem Louisiana Mu seum of Modern Art in Humlebæk, Dänemark, werden nun in Bremen gezeigt. Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen www.museen-boettcherstrasse.de bis 5.6.2016 KINDER, KERLE, CHARAK- TERE — DAS DRUCK- GRAPHISCHE WERK ADRIAEN VAN OSTADES Adriaen van Ostade (1610 –1685) kannte die Geheimnisse der Ra dierkunst: Er wusste die Ätztechnik nicht nur detailreich umzusetzen, sondern erreichte durch sensible Lichtwirkungen eine große Nähe zu seinen Themen. Nicht ohne Hu mor schilderte er das zeitgenössische Leben in aller Vielseitigkeit: Ställe, Hütten und Wirtshäuser, einfa che rauchende, trinkende, tanzende und spielende Leute begegnen dem Betrachter auf seinen 50 Radierun gen. Die Radiertechnik des heraus ragenden Künstlers illustrieren in der Kunsthalle Bremen auch dessen Vorzeichnungen und Ätzplatten. Kunsthalle Bremen www.kunsthalle-bremen.de 6.4. – 3.7.2016 ARSPROTOTO 1 2016 PICASSO — FENSTER ZUR WELT Als Vermittler zwischen innerer und äußerer Welt ist das Fenster aus dem Œuvre Picassos nicht wegzudenken. Über viele Jahre sowie verschiedene Schaffensphasen hinweg, hielt ihn das Fenstermotiv bis in sein spä tes Werk fest. Immer wieder kam er auf das lichte Thema zurück: Es war Symbol der Malerei, Sinnbild des Sehens und stand stellvertretend für den Maler selbst. Das Fenster gab Picassos Arbeit einen Rahmen: Mit ihm orientierte er sich immer wie der neu, behandelte darüber hinaus künstlerische Grundfragen, die sich an den Grenzen zwischen Skulptur und Malerei sowie in der fortwäh renden Auseinandersetzung mit Henri Matisse stellten. Das Bucerius Kunstforum zeigt u.a. Leihgaben aus Paris, London, Barcelona und New York. Bucerius Kunstforum, Hamburg www.buceriuskunstforum.de bis 16.5.2016 ECKERSBERG: FASZINATION WIRKLICHKEIT — DAS GOLDENE ZEITALTER DER DÄNISCHEN MALEREI In der Hamburger Kunsthalle wer den die eindrucksvollen Werke des Dänen Christoffer Wilhelm Eckers berg (1783 –1853) gezeigt. Mit ei nem tragbaren Malkasten ausge stattet, zog er durch Rom und die Campagna, gab seine Erfahrungen des direkten Naturstudiums dann als Lehrer an der Kopenhagener Akademie weiter. Innovative Per spektiven sowie radikale Kompo sitionen verbinden sich in seinen Werken mit einer großen stofflichen Unmittelbarkeit. Hamburger Kunsthalle www.hamburger-kunsthalle.de bis 16.5.2016 JOAN MIRÓ — WANDBILDER, WELTENBILDER Innerhalb seines Œuvres schuf Joan Miró (1893 –1983) Großes: In mo numentalen Formaten entwarf er physische, haptische Bildwelten auf weiß grundierten Leinwänden, in die er teilweise Jute, Faserplat ten, Sand- oder Teerpappen ein band. Fasziniert von seinen Bildern auf Wänden, aber umgekehrt auch von Wänden in seinen Bildern, griff Miró das Thema immer wieder auf. Statt die Wirklichkeit einfach wie derzugeben wollte sich Miró vom Bildträger lösen, dazu setzte er Bild fläche und Wand gleich. Die Schirn Kunsthalle widmet sich in einer Sonderausstellung Wand-Bildern des Künstlers aus unterschiedlichen Schaffensphasen von seinen Traum bildern der 1920er Jahre bis hin zu den monumentalen Werken „Blau I-III“ und „Malerei I-III“ aus den 1960er und 1970er Jahren. Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. M. www.schirn.de bis 12.6.2016 ALLES NEU! 100 JAHRE NEUE TYPOGRAFIE UND NEUE GRAFIK IN FRANKFURT AM MAIN Das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt präsentiert in seiner von der Kulturstiftung der Länder ge förderten Schau Höhepunkte der Typografie und Grafik. In enger Beziehung zum Gestaltungs- und Modernisierungsprojekt „Das Neue Frankfurt“ siedelten sich in der Stadt nach 1945 Verlage wie Suhr kamp und S. Fischer sowie Werbe agenturen an. Nicht zuletzt durch dieses kreative Umfeld entwickelte sich ein bis heute lebendiges Zent rum für Typografie und Grafik. Museum Angewandte Kunst, Frankfurt a. M. www.museumangewandtekunst.de 25.3. – 18.9.2016 LYONEL FEININGER: RÜGEN, RIBNITZ, USEDOM — REISEN AN DIE OSTSEE VON 1892 BIS 1913 Der Besuch des Kunstmuseums Ah renshoop ist in jeder Hinsicht ein Wiedersehen mit dem Meer: In den Jahren 1891–1913 bereiste Lyonel Feininger Orte auf den Inseln Rü gen, Usedom sowie an der Ribnitzer See mit angrenzender Boddenland schaft vor Ahrenshoop. Zahlreiche prägnante Kompositionsideen sowie charakteristische Bildmotive, die Feininger vorerst in Skizzen entwarf, dann in späteren Jahren immer wie der aufgriff, haben ihre Quelle in diesen frühen Ostseeaufenthalten. Von der Naturnotiz über die Druck graphik bis zum Gemälde verfolgt die Ausstellung diese Verbindung in einigen konsistenten Werkfolgen. Kunstmuseum Ahrenshoop, Ahrenshoop www.kunstmuseum-ahrenshoop.de 19.3. – 17.7.2016 DIETER GOLTZSCHE — SCHÖNE ZEICHNUNG Mit großer Freiheit im Ausdruck, leicht und zugleich sicher im künst lerischen Gestalten schafft Dieter Goltzsche auserlesene Zeichnun gen, die zwischen Phantasie und Realität oszillieren. 1934 in Dres den geboren, arbeitet er seit 1960 freischaffend in Berlin und wurde mit zahlreichen Preisen geehrt: dem Käthe-Kollwitz-Preis, dem HannahHöch-Preis sowie dem Hans Theo Richter-Preis. Die Sonderausstel lung in der Kunstsammlung Neu brandenburg präsentiert Zeichnun gen aus dem 2014 erschienenen Werkverzeichnis. Kunstsammlung Neubrandenburg www.kunstsammlung-neubrandenburg.de 10.3. – 12.6.2016 57 NIEDERSACHSEN NORDRHEIN-WESTFALEN Jacob Nöbbe, Wilhelm Dreesen als Landschaftsmaler, 1893 Fernand Léger, Les Plongeurs, 1943 MYTHOS HEIMAT — WORPSWEDE UND DIE EUROPÄISCHEN KÜNSTLERKOLONIEN Angelockt von unverfälschter Na tur, ländlicher Beschaulichkeit oder markanten Lichtverhältnissen, ent schieden sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert Künstler in ganz Europa für das gemeinschaftliche Leben in Künstlerkolonien. Entle gene Orte wie Worpswede, Barbi zon, Ahrenshoop und viele weitere boten einerseits außergewöhnliche Motive, zum anderen eine idylli sche Heimat. Im Künstlerkollektiv herrschte ein kreatives Umfeld; der stete gegenseitige Austausch schlug sich nieder in inspirierenden Na turansichten. Über 200 Werke aus rund 20 Künstlerkolonien Europas geben im Landesmuseum Hannover faszinierende Einblicke in künstle rische Lebenswelten fernab der städ tischen Kunstzentren. Landesmuseum Hannover www.landesmuseum-hannover. niedersachsen.de 18.3. – 26.6.2016 VITAMINBOMBE — FRÜCHTEBILDER VON PICASSO BIS WARHOL So vitamin- wie variantenreich: Früchte beschäftigen Maler schon seit jeher und bleiben selbst in der Gegenwartskunst aktuell. Die Kunsthalle Emden präsentiert aus gewählte Fruchtstücke des 20. und 21. Jahrhunderts aus der fast 300 Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle, Graphiken sowie plastische Werke umfassenden thematisch fruchtba ren Sammlung des Unternehmers und Wissenschaftlers Rainer Wild, darunter Arbeiten von Max Pech stein, Karl Schmidt-Rottluff, Georg Baselitz, Jörg Immendorf und Emil Nolde. Kunsthalle Emden www.kunsthalle-emden.de bis 29.5.2016 58 FERNAND LÉGER — MALEREI IM RAUM Gelb, Rot, Blau, Grün und wie der Gelb – das sind die Farben, die als breite Balken formiert den Hintergrund für die Silhouetten zweier verschlungener Figuren bil den. Fernand Légers (1881–1955) Wandgemälde „Les Plongeurs“ (Die Taucher), 1942, bildet das Herz stück der Ausstellung im Museum Ludwig. Vom Haus des Architekten Wallace K. Harrison, für das es der französische Künstler ursprünglich konzipierte, wurde es vor 30 Jahren vom Ehepaar Ludwig für den gleich namigen Museumsneubau erwor ben. Hier veranschaulicht es nun die Beziehungen zwischen Architektur und Raum, mit denen sich der ku bistisch inspirierte Künstler intensiv auseinandersetzte. Museum Ludwig, Köln www.museum-ludwig.de 9.4. – 3.7.2016 THOMAS STRUTH — NATURE & POLITICS So unterschiedlich die Orte sind, die Thomas Struth (*1954) foto grafiert, ist den großformatigen, farbintensiven Ansichten von Er lebnisparks, Kirchenräumen oder Forschungsinstituten doch vieles gemeinsam: Die menschengemach ten Räume bieten eine oszillierende Fülle an Details, die bekannt und doch geheimnisvoll anmuten. Auch wenn die Fotografien das techni sche Können ihrer Erbauer sowie dessen Vorstellungskraft beeindru ckend präsentieren, lassen sie auch die Möglichkeit der Überforderung anklingen. Museum Folkwang, Essen www.museum-folkwang.de bis 29.5.2016 RHEINLAND-PFALZ SAARLAND Gregor Hildebrandt, Ausstellungsansicht Saarlandmuseum, 2015 Hans Arp, Tristan Tzara, Hans Richter vor dem Hotel Elite, Zürich 1918 GENESE DADA — 100 JAHRE DADA ZÜRICH In Remagen sind Auflehnung und Provokation zu erleben: Anlässlich des 100. Geburtstags von Dada wid met sich das Arp Museum in einer durch die Kulturstiftung der Län der geförderten Ausstellung jener Kunstrichtung des 20. Jahrhunderts, die sich radikal vom traditionellen Kunstbegriff sowie von etablierten bürgerlichen Werten absetzte. In der Zürcher Künstlerkneipe „Cabaret Voltaire“ fand die Bewegung 1916 ihren Ursprung. Statt gängigen Kunstpraktiken zu folgen, suchte die Gruppe internationaler Künst ler um Hans Arp, Emmy Hennings und Hugo Ball eine Alternative. In Gedichten, Kunst, Tanz und Theater hießen sie zufällige, banale, absurde Ausdrucksformen willkommen. Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen www.arpmuseum.org bis 10.7.2016 „SIND BRITEN HIER?“ — DIE ENGLÄNDER AN RHEIN UND MOSEL Ein Dampfschiff, das 1816 das erste Mal von London nach Köln fuhr, schlug große Wellen: Zwar hatten auch schon vorher Engländer die malerische Rhein- und Moselland schaft besucht, doch stieg die tou ristische Beliebtheit nach 1816 stark an. Nicht zuletzt neugierig gemacht von Lord Byrons Gedicht „Cast led Crag of Drachenfels“, kamen zahllose englische Touristen, dar unter Dichter und Künstler, um rheinische Motive zu entdecken, aber auch in Bildern für die Heimat festzuhalten. GREGOR HILDEBRANDT — STERNE STREIFEN DIE FLUTEN Schallplatten, Kassetten und die Musik rhythmisieren Gregor Hilde brandts (*1974) Arbeiten. Mit über 1.000 Vinylplatten gestaltet er me terhohe Wände, Tonbänder ordnet er auf Leinwänden an. Teils minu tiös setzt er aus den analogen Da tenträgern nicht nur Muster oder Motive zusammen, sondern schafft darüber hinaus Möglichkeiten des Erinnerns: Bewahren die Datenträ ger Songs seiner Lieblingsmusiker wie The Cure oder Tocotronic, ru fen sie beim Ausstellungsbesucher eigene musikalische Erinnerungen wach. So werden ganz persönliche, möglicherweise fast vergessene Lieb lingsklänge, Lieder und Lebenserin nerungen lebendig. Saarlandmuseum, Moderne Galerie, Saarbrücken www.kulturbesitz.de bis 24.4.2016 INSPIRATION ANTIKE — EUGEN VON BOCH UND DIE ARCHÄOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT Suchen, Sammeln, Sichern: Als ein Vorreiter der Archäologie in Deutschland hatte Eugen von Boch (1809 –1898), der erfolgreiche Steingutfabrikant, die Ambition, eine keramische Universalsammlung zusammenzutragen, die alle Epo chen und Regionen umfasst. Seine umfangreichen Projekte spannen ei nen weiten Bogen zwischen Ausgra bungen, Restaurierungen und Alter tumsforschung. Glanzpunkte seiner privaten Antikensammlung treffen nun auf bedeutende Leihgaben aus internationalen Museen. Museum für Vor- und Früh geschichte, Saarbrücken www.kulturbesitz.de 16.4. – 11.9.2016 SACHSEN Becken mit Perlmuttmosaik, Indien 16. Jh., Fassung: Elias Geyer, Leipzig, um 1600 WELTSICHT UND WISSEN UM 1600 Die von Kurfürst August (1526 – 1586) gegründete Kunstkammer stellt die Welt im Kleinen dar: Sie zeigt ein buntes Spektrum von Gartengeräten über Kunstkammer schränke bis hin zum vermeint lichen Horn des Einhorns – einem Narwalzahn. In kostbaren, kunstvol len und kuriosen Gegenständen von Nah und Fern spiegelt sich die Ent deckung fremder Länder. Ebenso umfasst die kurfürstliche Sammlung technische und wissenschaftliche Er rungenschaften. Das Dresdner Resi denzschloss zeichnet in seiner neuen Dauerausstellung ein lebhaftes Bild künstlerischen, technischen und wissenschaftlichen Schaffens der Spätrenaissance. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer im Residenzschloss www.skd.museum Dauerausstellung, ab 19.3.2016 SACHSEN-ANHALT SCHLESWIG-HOLSTEIN Paul Cézanne, Provenzalische Landschaft, 1883–85 Emil Nolde, Glühender Abendhimmel, 1945 MAGIE DES AUGENBLICKS EMIL NOLDE — DAS SPÄTWERK Das Kunstmuseum Moritzburg prä sentiert 150 Meisterwerke aus der Sammlung des Ehepaares Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler aus Winterthur bei Zürich. Von den frühen Vertretern der Moderne wie Cézanne und van Gogh über Rodin, Bonnard, Redon bis hin zu Matisse und Renoir reicht die Riege der französischen Künstler, mit denen das Sammlerpaar in regem Austausch stand oder freundschaft lich verbunden war. Zwischen 1906 und 1936 entstand so eine außer ordentliche Privatsammlung des Post-Impressionismus und Fauvis mus. Ausgewählte Gemälde, Aqua relle, Zeichnungen, Druckgraphiken sowie Bronzegüsse machen nun in Halle Station. 1926 zog Emil Nolde (1867 –1956) nach Seebüll, das ihm zur Heimat wurde und der Ursprungsort seines späten Schaffens ist. 1937 als „entar tet“ verfemt, setzte sich Noldes Ver folgung fort: Seine Bilder wurden beschlagnahmt und verkauft, 1941 erhielt er ein Berufsverbot als profes sioneller Künstler und setzte seine im Geheimen erarbeiteten Ideen nach dem Krieg frei. Im Spätwerk vermehrt das Verhältnis zwischen den Menschen aufgreifend, schuf Nolde vielfältige Motivwelten an den Grenzen zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Die in See büll gezeigte Auswahl eröffnet einen farbfreudigen Einblick in die Tiefe des künstlerischen Spätwerkes. Kunstmuseum Moritzburg, Halle (Saale) www.stiftung-moritzburg.de 12.3. – 11.9.2016 VON ZINGG BIS ZILLE — HANDZEICHNUNGEN DES DER BERLINER SKULPTUREN- 19. JAHRHUNDERTS FUND „ENTARTETE KUNST“ Wurden zuvor Porträts, idealisierte IM BOMBENSCHUTT Vor dem Roten Rathaus in Berlin wurden 2010 bei archäologischen Grabungen 16 lange verschollen ge glaubte Skulpturen entdeckt und ge borgen. 1937 als „entartet“ verfemt und aus deutschen Museen entfernt, tragen die aus Keramik, Bronze, Messing, Marmor und Steinguss geschaffenen Kunstwerke deutliche Narben ihrer Vergangenheit: Brand spuren zeugen von der Bombardie rung 1944. Die Skulpturen werden in Görlitz, wo sie anlässlich einer Wanderausstellung zu sehen sind, zu ausgewählten Objekten der Samm lung in Beziehung gesetzt. Kulturhistorisches Museum Görlitz www.museum-goerlitz.de bis 29.5.2016 Landschaften und religiöse Motive festgehalten, erfasste das Genre der Zeichnung im 19. Jahrhundert neu artige Themen: Grotesken und Kari katuren, Dokumentarischem sowie banalen Alltagserfahrungen galt nun das Augenmerk der Zeichner. Die Sonderausstellung im Kulturhisto rischen Museum spürt dem Wandel der Kunstauffassung mit Zeichnun gen und Aquarellen u.a. von Adrian Zingg, Ludwig Richter, Friedrich Wasmann, Moritz von Schwind, Caspar Scheuren, Sascha Schneider und Heinrich Zille nach. Kulturhistorisches Museum Magdeburg www.khm-magdeburg.de bis 22.5.2016 Nolde Stiftung Seebüll www.nolde-stiftung.de bis 30.11.2016 BESTE FREUNDE — KUNSTWERKE FÜR SCHLOSS GOTTORF Seit mehr als 65 Jahren unterstützt der Freundeskreis Schloss Gottorf e. V. das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Die Anschaf fungen von Kunstwerken und die Unterstützung von Projekten sind heute die prominentesten Aufgaben des Freundeskreises. Die Ausstellung „Beste Freunde“, die nur etwa zwan zig Prozent der rund 1.000 durch den Freundeskreis gewonnenen Dauerleihgaben zeigt, spiegelt die Moden und Vorlieben der jeweiligen Sammlungsausrichtungen in dieser großen Zeitspanne. Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Schleswig www.schloss-gottorf.de bis 5.6.2016 THÜRINGEN Hans Purrmann, Blick auf Collioure, 1911 HANS PURRMANN: DIE FARBEN DES SÜDENS — GEMÄLDE UND ZEICHNUNGEN Überwältigt von der künstleri schen Avantgarde der Fauves, reiste der junge Absolvent der Münch ner Kunst-Akademie Hans Purr mann (1880 –1966) gemeinsam mit seinem Freund und Lehrer Henri Matisse nach Südfrankreich. Unter freiem Himmel entwickelte er dort seinen ganz eigenen Stil – gekenn zeichnet durch den Umgang mit möglichst reinen, unvermischten Farben. Inspiriert von der sonnigen Landschaft des Südens, verschlug es den Künstler weiter nach Lan genargen am Bodensee über Ischia und Florenz bis nach Montagnola. Das Angermuseum in Erfurt rückt den außergewöhnlichen Koloristen nun in den Fokus einer Ausstellung und präsentiert eine Auswahl von 114 herausragenden Gemälden und Zeichnungen. Angermuseum, Erfurt www.erfurt.de bis 16.5.2016 ALTENBOURG IM DIALOG IV— PAUL ELIASBERG Paul Eliasberg (1907–1983) steht im Mittelpunkt des vierten und letzten Dialogs der Altenburger Ausstellungsreihe. Den Zeichner und Graphiker verband eine enge Freundschaft mit Gerhard Alten bourg, beide standen im regen Aus tausch miteinander. Das LindenauMuseum stellt erstmals das Werk der Künstlerkollegen einander gegen über und beleuchtet die verbinden den Elemente ihrer Druckgraphi ken. Kern der Schau bilden sieben – mit persönlicher Widmung verse hene – Radierungen von Eliasberg aus Gerhard Altenbourgs Nachlass. Lindenau-Museum Altenburg www.lindenau-museum.de bis 16.5.2016 Mittelrheinmuseum Koblenz www.mittelrhein-museum.de bis 12.6.2016 ARSPROTOTO 1 2016 59 ESSAY Schlossbergung, Republikflucht, Kunst gegen Devisen – Provenienzforschung in ostdeutschen Museen von Gilbert Lupfer und Thomas Rudert P rovenienzforschung ist werkbezogene Kontextforschung. Interessant sind der Entstehungszusammenhang eines Werkes, seine meist mehrstufigen Erwerbungs- und möglichen Entziehungskontexte, aber auch die Bedingungen seiner historischen und aktuellen Präsentation. Deren Untersu chung erfordert differenzierte Fragestellungen und Methoden; sie ist eingebunden in je eigene Rechts kontexte. Das gilt auch für die Zeit der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und die der DDR, also für die Zeit zwischen 1945/49 und 1990. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Welt kriegs beschlagnahmten die Trophäenbrigaden der Roten Armee in den Bergungsdepots der SBZ all jene Bestände, die als Kompensation für die eigenen Kriegsverluste an Kulturgütern geeignet erschienen; diese Werke waren damit Teil der sowjetischen Repara tionsforderungen. Die Anzahl der Stücke, die 1945/46 nach Moskau, Leningrad und Kiew abtransportiert wurden, war siebenstellig. Nach einem Jahrzehnt der völligen Tabuisierung kehrten 1955 die Gemälde der Dresdner Galerie zurück, 1958 folgten dann weitere erhebliche Konvolute von Kunstwerken. Doch nach wie vor fehlen den Museen nicht nur der ehemaligen DDR zahlreiche Stücke, von denen sich manche noch in russischen oder ukrainischen Museen befinden, andere in Privatsammlungen. An deren Identifizierung mitzuwirken, ist eine Aufgabe für die Provenienz forschung ostdeutscher Museen. Zu diesen sensiblen Fragen gibt es seit Jahren Konsultationen mit der Russischen Föderation und anderen Nachfolgestaaten der UdSSR, insbesondere mit der Ukraine. Abschlie ßende Lösungen sind zwar noch nicht in Sicht, doch existieren mit dem Deutsch-Russischen Museumsdialog und der Deutsch-Ukrainischen Kommission für Kulturgüterrückführung erprobte institutionelle 60 Rahmenbedingungen, um miteinander im Gespräch zu bleiben. So konzentriert sich der 2005 in Berlin auf Initiative der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Kulturstiftung der Länder und über 80 deutschen Museen gegründete Deutsch-Russische Museumsdialog (DRMD) bei seiner Arbeit auf die Aufklärung der kriegsbedingten Verlagerungen von Kunst- und Kulturgütern beider Seiten sowie den wissenschaft lichen Austausch (vgl. Arsprototo 4/2014). Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben im Rahmen des DRMD die Bestände der Gemäldegalerie, der Skulpturensammlung sowie des KupferstichKabinetts untersucht, und sie sind seit deren Gründung Mitglied der deutsch-ukrainischen Kommission. Erst seit einigen Jahren ist übrigens bekannt geworden, dass die Problematik dieser Kriegsverluste auch westdeutsche Institutionen betrifft. Ausführlich publiziert ist der Fall des Aachener Suermondt-LudwigMuseums. Dortige Bestände waren – aus heutiger Sicht wenig strategisch – noch im Februar 1941 und Oktober 1942 in Bergungsdepots auf die Albrechtsburg Meißen verlagert worden, wo größere Teile davon den Trophä enbrigaden der Roten Armee in die Hände fielen. Ende 1945 waren alle Museen von Bedeutung zwischen Magdeburg und Frankfurt/Oder, sofern sie baulich und institutionell überhaupt noch existierten, weitgehend leergeräumt – und in der Logik der damaligen historischen Situation war nicht damit zu rechnen, diese Bestände jemals wiederzuerlangen. Zu den Ambivalenzen in der Kulturpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht gehörte, dass gleichzeitig der Befehl erging, die Museen so schnell wie möglich wieder zu eröffnen. Parallel dazu war in der SBZ seit September 1945 die sogenannte Bodenreform angelaufen, in der nicht nur tausende Güter und Schlösser entschädi gungslos enteignet wurden, sondern in der sogenannten Schlossbergung auch deren mobile Ausstattung: Kunstsammlungen, Archive, Bibliotheken, aber auch Wohnungsausstattungen ohne Kunstwert und sonstige persönliche Habe. Aus gegenwärtiger Perspektive erscheint der Begriff „Schlossbergung“ in einer merk würdigen Ambivalenz, doch war er von den damals an der Bergung beteiligten Museumsleuten offenbar nicht so zynisch gemeint, wie er uns heute anmutet. Gesetzliche Grundlage war die am 11. September 1945 erlassene „Bodenreformverordnung“, die auf alle Güter mit mehr als 100 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zielte; ferner auf das Eigentum von Kriegs verbrechern und aktiven Nazis und von Mitgliedern der Reichs- und Landesregierungen. Tatsächlich wurde die Bodenreformverordnung darüber hinaus aber auch als Instrument der Repression gegen politisch Missliebige eingesetzt und war flankiert von brutalen Verfolgungs maßnahmen gegen adlige Familien, unabhängig von deren politischer Haltung im „Dritten Reich“. Zuständig für die „Verwertung“ der enteigneten Sachwerte in Sachsen, dem wegen seiner hohen Güterdichte von der Schlossbergung wohl am stärksten betroffenen Gebiet der SBZ, war die Landesbodenkom mission (LBK), die vom Innenminister geleitet wurde, der ein von der Besatzungsmacht ausgewählter und geschulter kommunistischer Kader war. Das Interesse der LBK richtete sich primär auf eine kommerzielle Nutzung, nicht auf die Sicherung von wertvollen Stücken für die Museen. So wurde – ausgerechnet im Albertinum an der Brühlschen Terrasse, dem einzigen Museumsgebäude Dresdens, das den Krieg halbwegs unbeschadet überstanden hatte – von der LBK eine Verkaufsstelle für Schlossbergungsbestände eingerichtet. Für die Jahre 1948 –50 ist ein penibel geführtes Verkaufsbuch erhalten geblieben. Es listet neben dubiosen, bereits während der NS-Zeit aktiven Kunsthändlern, neben Parteien und Behörden, auch eine Reihe honori ger Dresdner Bürger als Käufer auf: etwa von Gemäl den, Graphiken, Möbeln, Schmuck, Taschenuhren, Münzen und Geschirr. Auch die Museen versuchten, ihre Lücken mit Werken aus ehemaligem Adelsbesitz zu füllen, deren exzeptionellste den Dresdner Wissenschaftlern natürlich bekannt waren. Es entwickelten sich langjährige heftige Konflikte mit der LBK. Zunächst ging dieser Konflikt häufig zu Ungunsten der Museen aus. Erst ab Ende der 1940er Jahre änderte sich das sukzessive; die volle Verantwortung für die Schlossbergungsbestände – so weit diese noch nicht anderweitig „verwertet“ waren – ging in Sachsen schließlich erst nach der Auflösung der LBK im Juli 1952 an die Museen über. Mit dieser Verantwortung wurde dann ganz unterschiedlich umgegangen: In einigen Museen inventarisierte man die als museumswürdig kategori sierten Stücke gleich, in anderen fand erst später eine Nachinventarisierung statt. In der Dresdner Gemälde ARSPROTOTO 1 2016 galerie wurden in den 1950er Jahren zwei Sonderinven tare angelegt: das S-Inventar („S“ von Schlossbergung) und das Mo-Inventar („Mo“ von Schloss Moritzburg bei Dresden, einem der beiden Großdepots für Gemäl de und Möbel aus der Schlossbergung). In diese bis heute genutzten Sonderinventare fanden rund 6.000 Gemälde Aufnahme, von denen seit 1994 die meisten an die damaligen Bodenreformopfer bzw. deren Erben zurückgegeben werden konnten. Es geht beim Thema Schlossbergung also um hohe Stückzahlen, so dass der Bearbeitung und gegebenenfalls Restitution dieser Bestände im Gesamtspektrum der Provenienzforschung in den ostdeutschen Museen auch quantitativ eine herausragende Bedeutung zukommt. Rechtliche Grundlage für den Umgang mit Schlossbergungsfällen ist das „Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungs rechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage“ von 1994, kurz auch „Ausgleichsleistungsgesetz“ oder EALG genannt. Danach gilt, dass in der Bodenreform enteignete Immobilien nicht physisch restituiert werden; hingegen regelt § 5, dass enteignete Mobilien zurückzugeben sind, soweit sie sich in öffentlichem Besitz befinden. Dies betrifft vor allem Stücke in Museen. Auch wenn das Gesetz – etwa wegen seiner kulturpolitischen Folgen für öffentliche Sammlungen – nicht ohne Kritik geblieben ist, wurde doch immer hin ein verwaltungsrechtlich abgesicherter Verfahrens weg etabliert, der sich bewährt hat, sowohl aus Muse umssicht als auch aus Sicht der Anspruchsberechtigten. Bei zuständigen „Ämtern zur Regelung offener Vermö gensfragen“ auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene waren und sind die Restitutionsverfahren anhängig, deren Entscheidungen gerichtlich nachprüfbar sind. Die Museen agieren, wie die Alteigentümer oder deren Erben, als Verfahrensbeteiligte; sie stellen also weder Erbberechtigungen fest noch fällen sie Restitutionsent scheidungen. Doch verkennen auch die Museen nicht ein dem EALG inhärentes Problem: das der seinerzeit recht knapp bemessenen Fristsetzung für die Anmel dung von Ansprüchen. Allerdings sind für Sachsen nur sehr wenige Einzelfälle bekannt, in denen keine fristgerechten Anträge gestellt worden sind. Auch der Umgang mit Ansprüchen der bis 1918 regierenden Fürstenhäuser fällt in den „neuen“ Bundes ländern in den Geltungsbereich des EALG. In Sachsen wählte die Staatsregierung den Weg von direkten Verhandlungen mit dem Haus Wettin, das seine umfangreichen, aus den Schlossbergungen resultieren den Ansprüche fristgerecht geltend gemacht hatte. Es dürfte sich um eines der größten und kompliziertesten Verfahren dieser Art gehandelt haben, das im Wege des Vergleichs inzwischen zu einem einvernehmlichen Abschluss gekommen ist. In einen anderen historischen und juristischen Kontext gehören offene Vermögens 61 fragen mit Bezug auf den Zeitraum 1949 –1990. Diese liegen nicht im Geltungsbereich des EALG, sondern des „Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen“, das die Volkskammer der DDR noch im September 1990 verabschiedet hatte. Es behandelt nicht nur offene Vermögensfragen aus der Zeit der DDR, sondern auch die Wiedergutmachung von Schäden aus NS-Verfol gung, soweit diese in der DDR unterblieben war. Offene Vermögensfragen der Zeit von 1949 –1990 werden bisweilen pauschal als aus „DDR-Unrecht“ resultierend bezeichnet. Das ist sicherlich zu undifferen ziert, da es sich dabei um ganz unterschiedliche Entziehungskontexte handelt: solche, die selbst nach Die Geschichte des privaten Sammelns und des privaten Kunsthandels in der SBZ/DDR ist bisher ungeschrieben DDR-Recht staatliche Willkürakte darstellten; solche, die nach DDR-Recht legal, nach heutigem Verständnis aber grob rechtsstaatswidrig waren; und schließlich auch solche, die sowohl nach DDR-Recht als auch nach heutigen rechtsstaatlichen Maßstäben nicht zu bean standen sind. Letzteres kann etwa Teilaspekte von Steuerstrafverfahren gegen Sammler und/oder Händler in der DDR betreffen, bei denen auch heute bundes deutsche Finanzämter oder -gerichte eine Steuerschuld feststellen würden – und dies von Fall zu Fall auch tun. Damit soll freilich nicht der grundsätzlich rechts staatswidrige Charakter des spätestens seit den frühen 1970er Jahren in der DDR etablierten Verfahrens der Enteignung von Sammlern und/oder Händlern durch konstruierte Steuerstrafverfahren in Zweifel gezogen werden. Denn deren Ziel war die systematische Beschaffung von Kunstwerken aus DDR-Privathand zum Verkauf gegen Devisen. Exemplarisch für diese Opfergruppe des DDR-Unrechts steht der Dresdner Sammler und Händler Helmuth Meißner. Im März 1982 fand bei ihm eine durch massiven Einsatz von Inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staats sicherheit vorbereitete Haussuchung statt. Der Sammler selbst war zuvor zwangsweise in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen worden, wo er ohne jede medizi nische Indikation ein dreiviertel Jahr festgehalten wurde; auch sein behandelnder Psychiater war IM. Währenddessen wurden Wohnung, Geschäft und Lager komplett geräumt; die vom „VEB Antikhandel Pirna“ aufgestellte Schätzliste umfasste rund 5.000 Positionen. Der Direktorin der Dresdner Staatlichen Porzellan sammlung gelang es, einen seltenen Meißner Porzellan krug aus der Meißner-Sammlung zum national wert vollen Kulturgut der DDR erklären zu lassen, für ihr 62 Museum zu reklamieren und damit dessen Verkauf ins westliche Ausland zu verhindern. Dabei „half“ ihr Ehemann, Direktor des Dresdner Grünen Gewölbes, Mitglied der Kulturgutschutzkommission der DDR – und ebenfalls IM. Der bei weitem größere Teil der Sammlung Meißner jedoch ging über das Mühlenbe cker Lager der Kunst & Antiquitäten GmbH (K&A) in den Verkauf Richtung Westen und ist deshalb bis heute einer Restitution entzogen – selbst wenn man weiß, wo sich einzelne Werke heute befinden. An diesem Fall lässt sich das ambivalente Agieren von Museumsdirektoren und -konservatoren in der DDR sinnfällig erläutern. Viele von ihnen wirkten als Gutachter und Schätzer in Strafverfahren sowie bei Fällen von „Republikflucht“ und legaler Ausreise mit. Dabei hatten sie auch die Interessen ihres Museums im Blick. In Einzelfällen dachte mancher wohl auch – das soll nicht verschwiegen werden – an seine private Sammlung. Doch sind dies nach derzeitigem For schungsstand Einzelfälle. Bei aller Ambivalenz ist zu konstatieren, dass durch diese spezielle Form der „Musealisierung“ Kunstwerke in öffentlicher Hand blieben, die sonst auf dem westlichen Kunstmarkt verschwunden und damit heute für die Opfer der Enteignungen nicht mehr greifbar wären. Erst der Verbleib in Museen auf dem Boden der ehemaligen DDR macht solche Stücke heute zum Gegenstand von Restitutionsverfahren nach dem „Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen“. So auch bei dem erwähnten Deckelkrug aus Meißner Porzellan: Er wurde 2005 an den Sohn von Helmuth Meißner restituiert, dann durch das Entgegenkommen des Erben für die Porzellansammlung erworben und ist heute – mit einem Ausstellungshinweis auf Sammler und Erwerbungskontext – im Dresdner Zwinger zu sehen. Vor jeder Beurteilung des Agierens von DDRMuseumsmitarbeitern ist also genau zu prüfen, wie und mit welcher Motivation sie damals handelten. Die Museen und ihre Mitarbeiter waren in keinem der hier erörterten Entziehungskontexte Urheber der Enteig nungen. Aber sie waren als Hinweisgeber und Gutach ter Teil des etablierten Systems von Kunstgutentziehun gen, und mitunter waren sie nicht nur Handlanger, sondern auch Profiteure. Die Hauptakteure dieses politisch zentral gesteuer ten Entzugs gehörten dem Bereich „Kommerzielle Koordinierung“ beim Ministerium für Außenhandel der DDR an bzw. der diesem attachierten, Anfang 1973 gegründeten K&A, die speziell für den Verkauf von Kunstwerken und anderen Kulturgütern gegen Devisen eingerichtet worden war. Ideengeber und Organisator dieser Aktivitäten war Alexander Schalck-Golodkowski, eine schillernde Figur der deutsch-deutschen Nach kriegsgeschichte. Er war Staatssekretär im DDR-Minis terium für Außenhandel und als Offizier im besonderen Einsatz (OibE) zugleich Oberst des Ministeriums für Staatssicherheit. Der K&A ging es jedoch nicht nur um Werke aus Privateigentum, sondern ausdrücklich auch um Anti quitäten und Museumsbestände aus dem „staatlichen Fundus“. Das lief auf einen systematischen Ausverkauf des qualitätvollen Kunstbesitzes der DDR hinaus. In den Verwaltungsregistraturen der DDR-Museen sind für die 1970er und 1980er Jahre regelmäßige, mehr und mehr insistierende Anfragen aus dem Kulturministe rium an die Museen überliefert, Werke zum Export freizugeben, um die zuvor bereits zentral eingeplanten Millionenbeträge zu „erwirtschaften“. Doch auch hier agierten die Museumsmitarbeiter unterschiedlich und ambivalent. Die Spanne möglicher – und durch das Ministerium letztlich akzeptierter – Handlungsoptionen reichte von vorauseilendem Gehorsam bis hin zu passivem Widerstand. Die Zimelien der Sammlungen versuchte man in aller Regel zu schonen. Da exzeptionelle, zumal publizierte Werke am Markt wiedererkennbar gewesen wären, traf sich dies mit der naiven Absicht der Partei- und Staatsfüh rung, die Herkunft der Werke und die Mechanismen ihrer Beschaffung möglichst diskret zu behandeln – was von Anfang an aussichtslos war. An den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) beispielsweise hatte die Direktorenkonferenz unter Generaldirektor Man fred Bachmann beschlossen, keine Stücke aus dem eigenen Altbestand herauszugeben, sondern auf Werke der Schlossbergung zurückzugreifen. So gelangten hunderte von Gemälden aus sächsischen Adelsfamilien in den Handel. In der Agonie der späten DDR allerdings kehrte sich diese Konstellation in ihr Gegenteil. Zwischen November 1989 und September 1990 waren wichtige Museen der DDR Kunden der K&A. Für die SKD sind mehrere Einkaufsreisen von Museumsmitarbeitern in das Lager Mühlenbeck dokumentiert. Diese Erwerbun gen versuchte man mit den konkurrierenden Kollegen aus Berlin und Potsdam zu koordinieren. Für mehr als 800.000 DDR-Mark, die das Kulturministerium aus Sondermitteln zur Verfügung gestellt hatte, erwarben die SKD in Mühlenbeck Gemälde, Graphiken, Skulp turen, Münzen, Porzellane, Möbel und andere kunst gewerbliche Objekte. Meistens – allerdings nicht immer – sind diese Zugänge in den Inventaren mit der Provenienz „Mühlenbeck“ ausgewiesen. Die Spuren konnten bisher nicht weiter zurück verfolgt werden, denn von den umfangreichen Aktenbeständen der K&A waren bisher lediglich allgemeine Geschäftsakten zugänglich, nicht jedoch die stückgenauen An- und Verkaufslisten. Das hat sich inzwischen geändert: Seit Frühjahr 2015 befinden sich auch letztere endlich im Bundesarchiv Berlin. ARSPROTOTO 1 2016 Die erwähnten K&A-Aktenbestände aus Mühlenbeck sollten nach der geplanten Erschließung möglichst bald und systematisch ausgewertet werden. In diesem Zusammenhang wäre ein größeres Forschungsprojekt zur detaillierten Auswertung der Geschäftsakten vorstellbar. Einerseits ermöglichte dies, die Kenntnis über diese historischen Vorgänge endlich auf eine breitere empirisch-wissenschaftliche Basis zu stellen. Andererseits könnte auch die Geschichte des privaten Sammelns und des privaten Kunsthandels in der SBZ/ DDR, die bisher – abgesehen von einigen wenigen Einzeluntersuchungen – ungeschrieben geblieben ist, erheblich davon profitieren. Und schließlich ist es die Pflicht der Provenienzforschung an ostdeutschen Museen, sich Klarheit über die Voreigentümer der aus Mühlenbeck stammenden Werke in ihren Beständen zu verschaffen. Mutatis mutandis gilt dies auch für den umfangreichen Komplex der Schlossbergungen. Derartige Grundlagenforschungen könnten auch zur Klärung beitragen, wie viele ungelöste Fälle, wie viele nicht vollzogene Restitutionen es noch gibt – bis her liegt dazu wegen der oft verschlungenen, mitunter auch grenzüberschreitenden Wege, die diese Werke in der späteren DDR gegangen sind, keine sichere Datengrundlage vor. Westdeutsche Museen, Händler und Sammler spielten bislang im hier skizzierten Kontext noch überhaupt keine Rolle. Doch auch auf sie als Akteure und Profiteure sollte sich der wissenschaft liche Blick der Provenienzforschung richten. Zwar ist die Rechtslage dazu eindeutig, so dass Restitutionen hier nicht zu erwarten sind. Doch wäre ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass der größere und qualitätvollere Teil der in der SBZ/DDR entzogenen Kunstwerke und Kulturgüter nicht im Osten geblieben ist. Denn ihr zentral initiierter und gesteuerter Entzug erfolgte zum Verkauf ins westliche Ausland. Es ist gut und sinnvoll, dass diese Thematik nun endlich stärker in den Fokus der öffentlichen Wahr nehmung der Bundesrepublik rückt; ebenso, dass Grundlagenforschung und konkrete Rechercheprojekte zukünftig vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert werden können. Wenn auf Grund von versäumten, weil kurz bemessenen Anmeldefristen in Einzelfällen DDR-Unrecht bisher nicht getilgt werden konnte, so wäre auch das zu diskutieren – allerdings nicht allein von den Museen, sondern auch von politischen Entscheidungsträgern und vom Gesetz geber. Denn von den Museen in solchen Fällen pole misch-populistisch „moralisches Handeln“ zu verlangen – was konkret heißt das eigentlich? – ist wohl wenig zielführend. Öffentliche Museen sind ihren Trägern gegenüber verpflichtet und haben jenseits geltenden Rechts klar definierte Grenzen für eigene Entschei dungsspielräume. 63 NACHRICHTEN WER LEITET DIE MUSEEN VON MORGEN? Museion 21. bietet Akademieprogramm für Nachwuchsführungskräfte Deutschen Museen steht ein Generationswechsel auf Leitungsebene bevor. Die aktu ellen und zukünftigen Museumsleiter sehen sich dabei vielfältigen Herausforderungen gegenüber, für deren Bewältigung eine fachliche Qualifikation allein kaum aus reicht. Eine Förderallianz aus Körber-Stif tung, Volkswagen Stiftung, Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. und Kulturstiftung der Länder bietet daher seit 2014 mit Unter stützung des Deutschen Museumsbundes ein Akademieprogramm für Nachwuchsfüh rungskräfte an, welches jetzt zum dritten Mal ausgeschrieben wird. Museion 21. Die Museumsakademie richtet sich an die diejenigen, die in naher Zukunft eine Führungsaufgabe im Museum anstre ben oder gerade eine solche übernommen haben. Das Programm fördert engagierte Museumsmitarbeiter unterschiedlicher Fachrichtungen und Funktionsbereiche, die sich mit der Frage beschäftigen, welche Eigenschaften sie zu einer Führungsper sönlichkeit machen, und die sich gezielt auf diese Rolle vorbereiten möchten. In vier Modulen durchlaufen die Teilneh menden die Stationen zukünftiger Heraus forderungen: von der Reflexion der eigenen Wirksamkeit über die Visions- und Strate gieentwicklung für das Museum der Zu kunft, weiter zu Fragen der Umsetzung und Organisation bis hin zur Konfrontation mit Krisen und Konflikten. Anhand unter schiedlicher Lern- und Arbeitsformate werden Szenarien durchgespielt, Kompeten zen trainiert, Beispiele guter Praxis analysiert und Netzwerke erweitert. Profilierte Perso nen aus Museumswelt, Wirtschaft, Politik und Kulturförderung geben Impulse und leiten die Workshops. Zwei Jahrgänge mit je 20 Teilnehmern haben das Programm bereits durchlaufen und halten das entstandene Netzwerk weiterhin aktiv. Dr. Marie Luisa Allemeyer, Direktorin der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen und Absolventin des 1. Jahrgangs, beschreibt es so: „Das Pro gramm hat eine ungeheure Schubkraft auf mich ausgeübt: durch die Trainer, die sehr gezielt und zugleich auf vielfältige Weise dazu anregen, eigene Potentiale zu erkennen und wirkungsvoll einzusetzen; durch die eingeladenen Experten, die extrem wertvolle Einblicke in ihre Arbeit und ihre Strategien geben und ganz besonders durch diese unglaubliche Teilnehmergruppe: zwanzig Museumsleute mit unterschiedlichster Erfahrung und unbändiger Lust, konstruk tiv, kreativ und kooperativ zusammen zu denken, zu diskutieren und gemeinsam die Vision einer zukünftigen Museumsland schaft zu entwickeln.“ Museion21. wird operativ von der Toep fer Stiftung betreut. Weitere Informationen zu Ausschreibung, Bewerbungsfirst und Programm finden Sie unter: http://toepferstiftung.de/museion-21/ Das Akademieprogramm findet im Seminarzentrum Gut Siggen der Toepfer Stiftung in Ostholstein statt 64 Haupt mann auf Hiddensee Mit Hilfe des Freundes kreises der Kultur stiftung der Länder wurde eine Graphik sammlung des Dichters Gerhart Hauptmann gesichtet und gesichert Die Ostseeinsel Hiddensee liegt nicht nur abgeschieden vom hektischen Treiben jeder Großstadt, sie besticht außerdem durch landschaftliche Weite, atmosphärische Ansichten und das Meer. Der Dichter Gerhart Hauptmann (1862 –1946) besuchte die Insel ab den 1890er Jahren regelmäßig. 1930 erwarb er hier ein eigenes Haus, in dem er bis 1943 die Sommer verbrachte. Nahezu so, wie der Dramatiker seine Arbeits- und Lebensstätte verlassen hatte, erlaubt das Gerhart-Hauptmann-Haus in Kloster intime Einblicke in Hauptmanns Kunstgeschmack; denn zum Bestand zählt eine aus ca. 70 Blatt bestehende Graphiksammlung. Der Dichter, der ursprünglich Bildhauer hatte werden wollen, regte besonders mit den frühen Arbeiten bekannte Künstler der Klassischen Moderne, wie Käthe Kollwitz und Heinrich VogelerWorpswede, zu bedeutenden Zyklen an. Zu seiner Kollektion gehören Arbeiten der Klassischen Moderne: Emil Orlik, Johannes Avenarius, Ivo Hauptmann, Eggert Gustavs, Käthe Kollwitz u. a. sind vertreten. Porträts des Dichters, wie die Arbeiten von Spiro und Orlik, gesellen sich zu graphischen Auseinandersetzungen mit Hauptmanns Werk. Die Sammlung zeichnet sich nicht nur durch ihren eigenständigen künstlerischen Wert aus sondern vermittelt zudem die intensive Nähe, die zwischen Hauptmanns Literatur und der Bildenden Kunst herrschte. Durch die Unterstützung des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder konnten die einzigartigen Graphiken gesichtet und Schäden erkannt werden. Alle Blätter wurden auf Pappen aus säurefreiem Museumskarton aufgelegt, anschließend mit Seidenpapier abgedeckt. Lagerten die Graphiken bislang in Hauptmanns originalen Einbauschränken im Arbeitszimmer, konnte das Gerhart-Hauptmann-Haus durch die Förderung nun einen Graphikschrank erwerben, der die Arbeiten adäquat schützt. AUSSTELLUNGEN EINE DYNASTIE PRÄGT EUROPA Thüringens Landesausstellung widmet sich dem mächtigen Fürstenhaus der Ernestiner von Jenny Berg J. F. Löber, Theaterszene mit Friedrich III. und Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg, um 1751; Stiftung Schloss Friedenstein Gotha Über 20 Jahre hatten die Brüder Ernst und Albrecht ihr väterliches Erbe bereits gemeinsam regiert. Doch dann war Schluss: Im November 1485 besiegelten die Kurfürsten und Herzöge von Sachsen das Ende und unterzeichneten in Leipzig den Teilungsvertrag. Dieser mutige Schritt hatte nicht nur territoriale Konse quenzen: Aus dem bedeutenden und traditionsreichen Adelsgeschlecht der Wettiner gingen dauerhaft die Dynastien der Albertiner und Ernestiner hervor. In den einstigen Residenzstädten Gotha und Weimar widmet Thüringen letzteren nun eine umfassende Landesschau, die das politische und kulturelle Wirken des Fürstenhauses zwischen Reformation und Revolution vorstellt. Auf mehr als 4.000 qm präsentiert die u. a. von der Kulturstiftung der Länder geförderte ARSPROTOTO 1 2016 Ausstellung hochkarätige Exponate aus mehr als vier Jahrhunderten thüringi scher und europäischer Geschichte und rückt damit das einst mächtige, heute fast vergessene Adelsgeschlecht wieder in das öffentliche Bewusstsein. Wie gelangten die Ernestiner zu politischem Einfluss? Wie sicherten sie ihre Position im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, insbesondere nach dem Verlust der Kurwürde im Jahre 1547? Die herrschaftlichen, religiösen und finanziellen Ziele stets im Blick, verfolgten die Ernestiner eine ausgeklü gelte Heiratspolitik, die es ihnen ermög lichte, wichtige Verbindungen zu ein flussreichen Dynastien zu knüpfen. Bis heute befinden sich unter den europäi schen Monarchen Nachkommen des ruhmreichen Adelsgeschlechts – sogar die britische Königin Elizabeth II. zählt zu ihnen. Eine ebenso große Rolle für das Schicksal und Selbstverständnis des Herrscherhauses spielte die Reformation. Als Hüter des „wahren Luthertums“ trugen die Ernestiner wesentlich zur Verbreitung des protestantischen Glau bens bei. Doch nicht nur theologische Fragen trieben die Ernestiner um: Schon seit dem frühen 16. Jahrhundert ver schrieben sie sich der Wissenschaft, erforschten die Naturgesetze, gründeten Universitäten und bauten Wissensspei cher kontinuierlich aus. Vom nachhal tigen wissenschaftsfördernden Engage ment legen die Universität in Jena, die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar und die Sternwarte in Gotha ein beeindruckendes Zeugnis ab. Als weiteres Merkmal der ernestinischen Politik thematisiert die Thüringer Landesaus stellung die Förderung von Kunst und Kultur. Die Fürsten standen in regem Kontakt zu Malern, Bildhauern und Komponisten, zudem wurden Theater begründet, wie das barocke Ekhof-Thea ter auf Schloss Friedenstein samt inno vativer Bühnenmaschinerie, und die Grundlagen für die heutigen musealen Sammlungen mit kostbaren Kunst schätzen geschaffen. Die einzelnen Höfe waren eng miteinander vernetzt und tauschten sich über alle Landesgrenzen hinweg intensiv aus. So schufen die Kleinstaaten die Grundlage für eine einzigartige und – wie die Schau beweist – bis in die Gegenwart erfahrbare kultu relle Vielfalt Thüringens. Jenny Berg ist Assistentin des Vorstands der Kulturstiftung der Länder. Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa Thüringer Landesausstellung Neues Museum und Stadtschloss Weimar Herzogliches Museum und Schloss Friedenstein Gotha; 24.4. – 28.8.2016 Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa. Hg. v. Friedegund Freitag, Karin Kolb, Klassik Stiftung Weimar, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Sandstein Verlag, Dresden. 540 Seiten mit ca. 350 farbigen Abbildungen, 34,90 Euro (erscheint am 24. April) 65 SCHÖN IM DEPOT Was verbergen Sie eigentlich vor uns, Herr Klar? Alte Nationalgalerie –Staatliche Museen zu Berlin Museumsinsel Berlin Bodestraße 1–3, 10178 Berlin Die Ausstellung wird ermöglicht durch den Verein der Freunde der Nationalgalerie und unterstützt durch die Volkswagen Aktiengesellschaft. Der Krater des Vesuvs mit dem Ausbruch von 1828 (Detail), 1828 © Privatbesitz 100 Jahre Dada Zürich Das Bild „Soldaten“ von Fritz Erler (1868 – 1940) entdeckte ich bei einem meiner viel zu seltenen Besuche in unseren Depots. Es gehört zu einer Gruppe von fünf Kriegsgemälden Erlers, die dieser nach mehreren Frontbesuchen 1916 und 1917 malte. Eine Recherche ergab, dass die Bilder dem Museum 1954 aus einer Firmensammlung „aus dokumentarischen Gründen“ geschenkt wurden und bis auf eine zweijäh rige Ausleihe an die Wehrbereichsverwal tung in Wiesbaden Ende der 50er Jahre das Depot nie wieder verlassen haben. Es ist nachvollziehbar, dass die Gemälde im Gefolge zweier von Deutschland ausgegan genen Weltkriege nicht mehr gezeigt wurden, der erste Blick auf ihre Sujets („Der Kompanieführer“, „Kämpfer vor Verdun“) legt auch nahe, dass sie der Obersten Heeresleitung genehme Propaganda waren. Blickt man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass sie – bis auf eines – über geplante Propaganda weit hinausgehen. Es sind auch durchaus sachliche Blicke auf den Terror des Krieges, der sich hier bei Freund und Feind gleichermaßen zeigt: Eine Kolonne russischer Kriegsgefan gener zieht an einem deutschen Bewacher vorbei, Bewacher wie Gefangene vereint ein blutiger Kopfverband, ebenso der allen gemeinsame Gesichtsausdruck eines grimmigen Fatalismus. Die Monumentalität des Bildes symbolisiert hier auch nicht etwaige kriegerische Heroik, sondern eher die Dimension des Desasters dieses Krieges. 100 Jahre nach ihrer Entstehung scheint es mir an der Zeit, einen neuen Blick auf die fünf Bilder zu werfen und ihre Botschaft neu zu lesen, was wir in einer Ausstellung in diesem Sommer unternehmen werden. Dr. Alexander Klar, Direktor des Museums Wiesbaden, mit Fritz Erlers Gemälde „Sol daten“ von 1916 im Depot des Museums, fotografiert von Oliver Mark A D A D E S E N E G 14. Februar bis 10. Juli 2016 In Kooperation mit dem Cabaret Voltaire, Zürich 66 Seit 2013 hat unser Born to Be-Programm die Zukunftsperspektiven von über 1,3 Millionen Kindern und Jugendlichen mit mehr als 170 Bildungsprojekten in 19 Ländern verbessert. Born to Be unterstützt junge Menschen dabei, ihr volles Potenzial zu entfalten, indem es Kompetenzen fördert, ihren Ehrgeiz weckt und ihnen neue Chancen eröffnet. Unsere Born to Be-Projekte rund um die Welt: DB.COM/LIFECHANGER