Einer für alle, alle für einen

Reiseblatt
SE IT E R 6 · D O N N E R S TAG , 7 . O K T O B E R 2 0 1 0 · N R . 2 3 3
ei dem Mann hat die Natur ganze Arbeit geleistet. Windschnittiges Gesicht, sehnige Haut, Nase
spitz wie ein Schiffsbug, Oberschenkel würdig eines Pferdes, kantiges
Siegerlächeln. Auch den Namen hätte
sich kein Imageberater passender ausdenken können: Toni Tauler, Radrennfahrer
und Medaillengewinner bei Olympia. Da
steht er neben seinem Kollegen Joan Llaneras, der noch mehr Titel gewonnen
hat, auf dem Podium der schmucklosen
Mehrzweckhalle in Mahón, während Arturo Sintes die beiden stolz vorstellt.
Etwa zweihundertfünfzig Augenpaare
mustern anerkennend die Null-GrammFett-Athleten. Wenig später lassen sie
sich geduldig mit den Freizeitradlern fotografieren.
Arturo Sintes liebt diese kleinen Rituale. Sie zeigen, dass er sich mal wieder
mächtig ins Zeug gelegt hat, um seiner
Radtour den richtigen Glamour zu geben. Bisher ist ihm das immer gelungen.
Alle, die schon einmal mitgefahren sind
bei der „Volta Cicloturista Internacional“, wissen das und schätzen Sintes dafür. Der Geschäftsmann opfert jede freie
Minute der großen, dreitägigen Straßenrundfahrt von Menorca, jedes Jahr. Als
Direktor der menorquinischen Vereinigung der Radsportamateure ist Arturo
Sintes nicht nur deren Organisator, sondern auch deren größter Fan. Im Clubhaus hängen Hunderte von Fotos, die ihn
mit den Granden des Radrennsports zeigen. Sogar ein Bild mit Eddy Merckx,
dem Zeus seiner Zunft, ist dabei.
Die Volta hat Tradition. Im Jahr 2001
fuhren Sintes und seine Freunde zum ersten Mal quer über die Baleareninsel –
von der Hauptstadt Mahón im Osten
nach Ciutadella an der Westküste und zurück, insgesamt einhundertzehn Kilometer. Von Anfang an galt das Motto: Jeder,
der sich fit genug fühlt, ist herzlich willkommen, mit in die Pedale zu treten –
Frauen und Männer, Teenager und Rentner. Es ist das Geheimnis des Erfolgs.
Und so sind diesmal zwei fünfzehnjährige Mädchen mit von der Partie. Die ältesten Teilnehmer haben die siebzig lange
überschritten. Alle fahren in der gleichen Geschwindigkeit; zwar flott, aber
mit-, und nicht gegeneinander. Die Volta
ist sozusagen ein sportlich anspruchsvoller Ausflug für Familien und Freunde.
Dass dabei auch Radtouristen herzlich
willkommen sind, die mal etwas Ungewöhnliches im Urlaub erleben wollen,
war auch eine Idee von Sintes, die er sofort im Namen der Tour verewigte. Jedes
Jahr reisen nun Gäste von anderen Baleareninseln, vom spanischen Festland und
sogar aus Großbritannien und Deutschland an, um gemeinsam mit den Menorquinern zu strampeln.
Wer allerdings glaubt, an einer Kaffeefahrt teilzunehmen, radelt auf dem Holzweg. Schon beim vierzig Kilometer-Prolog am Freitag, der dem gegenseitigen
Kennenlernen dient und immer zu einer
Sehenswürdigkeit Menorcas mit anschließendem Picknick führt, stellt man das
fest. Überall sirrt und klackt es. Freilauf,
schalten, bremsen, manövrieren – sogar
von geübten Pedaleuren fordert das Fahren inmitten Dutzender Rennräder höchste Konzentration. Vorne gibt ein Wagen
F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G
Wie nur wenige andere Flecken in Spanien ist Menorca daher ein Radlerparadies. Neben der Volta Cicloturista im
Herbst hat sich das Mountainbikerennen
„Volta a Menorca BTT“, das drei Wochen
zuvor mit inzwischen bis zu siebenhundert Teilnehmern statt findet, fest etabliert. Und auch die anspruchsvolle „Ruta
de los Faros“, die als erster Radsportwettkampf des Jahres am 8. Mai über etwa
zweihundert Kilometer zu den schönsten
Leuchttürmen der Insel führt, wird immer beliebter. Veranstalter vor Ort übernehmen für die Teilnehmer die Anlieferung der Räder, und statten sie mit entsprechender Kleidung und Routenkarten
aus. Es gibt geführte Tagestouren, aber
auch GPS-gestützte Touren für jene Gäste, die zwar komfortabel aber unabhängig
unterwegs sein wollen.
Radsportler profitieren überdies von
zwei Eigenheiten der Insel, die Menorca
seiner Geschichte verdankt: Der Camí de
Cavalls ist ein einhundertachtzig Kilometer langer Meldereiterweg aus dem siebzehnten Jahrhundert, der über Stock und
Stein entlang der schönsten Küstenabschnitte führt und seit diesem Jahr für
Mountainbiker kartographisch erfasst ist.
Der Camí d’en Kane, die alte Ost-WestTangente, wurde im achtzehnten Jahrhundert von den Briten gebaut, die damals
Menorca besetzten. Er ist etwa dreißig Kilometer lang und voll asphaltiert, wird
aber kaum noch von Autos befahren und
dient deshalb der Volta Cicloturista als
ideale Hauptstrecke.
B
A
Gleich geht’s los: Hundertzehn Kilometer von Ost nach West und zurück müssen die Pedaleure während des Etappenrennens bewältigen.
Foto Sven Weniger
Einer für alle, alle für einen
Alt und Jung, Frauen
und Männer treten bei
der Volta Cicloturista
Internacional auf
Menorca in die Pedale.
Wer die Etappenfahrt
gewinnt, ist zweitrangig
– was zählt, ist der
Spaß am gemeinsamen
Radfahren.
Von Sven Weniger
des Radclubs das Tempo vor. Fünfundzwanzig bis siebenundzwanzig Kilometer
pro Stunde sollen alle im Schnitt fahren.
Da muss manch einer trotz der nur moderaten Steigungen erst einmal die innere
Trägheit überwinden und hängt sich mutig ans Hinterrad von Toni Tauler und den
anderen Profis, die immer mit im Peloton
unterwegs sind.
Die Volta Cicloturista ist ein Glücksfall für Menorca. Die Insel tut sich
schwer, eine eigene Identität im Schatten
Mallorcas zu finden. Durch die Wirtschaftskrise ist die Saison für Sonneund-Strand-Urlauber auf gerade mal vier
Monate im Jahr zusammengeschnurrt.
Wer sich heute noch einen Kurzurlaub
auf den Balearen leisten kann, bleibt
beim großen Nachbarn hängen. Deshalb
setzt Menorca vor allem auf Natur- und
Aktivtourismus. Denn den kann man
dort immer machen. Hunderttausend Besucher kommen aus diesem Grund jedes
Jahr nach Menorca – zu Recht. Nach den
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dem Bauboom machte, erließ die menorquinische Inselregierung in den neunziger Jahren eine Reihe von Umweltgesetzen. Fünfzig Prozent Menorcas stehen unter Naturschutz, darunter auch viele
Strände, an denen nicht gebaut werden
darf. Das hügelige Eiland wirkt mit seinen Trockensteinmauern, engen Dörfern, Gehöften und sattgrünen Pferde-
쐽 Gemeinsam radeln: Die nächste Volta
쐽 Geführte Radtouren: Fahrradausflüge
Cicloturista Internacional findet vom 22.
bis zum 24. Oktober statt, Anmeldungen
sind nur im Internet möglich unter
www.ciclomenorca.com. Radfahrer zahlen 52 Euro, Teilnehmer des Rahmenprogramms 30 Euro. Auskunft über die Volta
a Menorca BTT und die Rutade los Faros
geben die Internetseiten www.menorcabtt.com und www.ciclomenorca.com.
organisiert unter anderem Dia Complert,
C.B., Passeig Marítim 41, Fornells Mercadal, Telefon: 00 34/6 09 67 09 96, Auskunft
im Internet unter www.diacomplert.com.
쐽 Informationen: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 63, 10707
Berlin, Telefon: 0 30/8 82 65 43, im Internet unter www.spain.info/de und unter
www.menorca.es.
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und Schafwiesen oft so urtümlich wie Wales oder Irland. Da es fast keine Küstenstraßen gibt, konzentriert sich der Autoverkehr auf die einzige moderne Fernstraße zwischen Mahón und Ciutadella, die
wie ein Ameisenpfad über den Inselrücken läuft. Bei Abstechern nach rechts
oder links hinab zum Meer vergisst man
schlagartig jede Alltagshektik.
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rturo Sintes, dessen gedrungene
Statur eher den Epikureer als
den Asketen erkennen lässt, kümmert sich um jedes Detail seiner
Tour. Er begrüßt alle Teilnehmer, überwacht die Einschreibung und die Ausgabe
der Startnummern. Er organisiert Ausflugsprogramme für Angehörige der Radler und lädt sie auch zum gemeinsamen Abschlussessen in Mahón ein. Während der
Hauptfahrt am Samstag sitzt er in dem
Auto, das an der Spitze das Tempo vorgibt,
während Polizeieskorte und Besenwagen
eine renntaugliche Atmosphäre schaffen.
Er sorgt für Snacks und Getränke in den
Volta-Pausen. Kein Anliegen, kein Teilnehmer bleibt unbeachtet. Es ist dieses wirsind-ein-Team-Ambiente, das alle, Profis
wie Amateure, die einmal mitgemacht haben, so mögen. Daher musste Arturo Sintes auch nicht lange bitten, als er für die
Volta Cicloturista 2010 versprach, etwas
ganz besonderes auf die Beine zu stellen.
Zum zehnjährigen Jubiläum will er fünf
von sieben spanischen Tour-de-France-Gewinnern nach Menorca holen.
Bei so viel Prominenz könnte es sogar
für Toni Tauler eng werden. Bei der
Schlussetappe am Sonntag ist er diesmal
jedenfalls nicht zu schlagen. Der Anstieg
auf den mit dreihundertachtundfünfzig
Metern höchsten Berg Menorcas, den
Monte Toro, ist der einzige, den jeder
Fahrer mit eigenem Tempo angehen
kann. Da lässt der spanische Meister im
Einzelzeitfahren die strammen Waden
fliegen, als führe er mal eben kurz zum
Bäcker um die Ecke. Und vermutlich ist
er schon beim Duschen, als die Letzten
die höllische Siebzehn-Prozent-Steigung
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