zunehmende »Gefahr

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zunehmende »Gefahr
3. Aktuelle und potenzielle Gefahren für die Gesundheit
3.2.9 Klimawandel, Zugvögel und ihre Rolle bei der
Verbreitung von Infektionskrankheiten – zunehmende
»Gefahr« in Zeiten klimatischer Veränderung?
Franz Bairlein & Benjamin Metzger
Klimawandel, Zugvögel und ihre Rolle bei der Verbreitung von Infektionskrankheiten – zunehmende
»Gefahr« in Zeiten klimatischer Veränderung? Vögel sind vom Klimawandel betroffen. Zugvögel kommen im Frühjahr früher zurück und zeigen entweder früheren oder auch späteren Abzug im Herbst. Viele
Arten brüten früher und dabei gibt es eine zunehmende klimabedingte Asynchronität zwischen Brutbeginn und Verfügbarkeit der Nahrung für die Jungenaufzucht mit erheblichen Auswirkungen auf den Bruterfolg. Klimawandel verringert die Zugbereitschaft bei Kurz- und Mittelstreckenziehern, wodurch sich
Vogelgemeinschaften ändern mit einer zunehmenden Dominanz von Standvögeln und kurz- bis mittelweit ziehenden Arten. Auch wird eine Zunahme der Artenvielfalt in gemäßigten, borealen und arktischen Regionen erwartet, wogegen sie in trockeneren Regionen als Folge von höheren Temperaturen und geringeren Niederschlägen abnehmen wird. Vögel sind Träger von Infektionskrankheiten und
es gibt Hinweise, dass Zugvögel bei der Verbreitung von Infektionskrankheiten beteiligt sein können.
Mögliche Pathogene für Vogelverbreitung sind West Nil Virus, USUTU Virus, Vogelmalaria, bakterielle Krankheiten und Blutparasiten. Wahrscheinlicher als die Verbreitung humanpathogener Krankheiten als Folge des
Klimawandels ist die Verbreitung von Vogelkrankheiten in Regionen, die bisher davon frei waren und folglich koevolutive Anpassungen fehlen, so dass das Auftreten eines neuen Pathogens fatale Folgen für die residenten Vogelarten haben kann, wie dies für das West Nil Virus in Nordamerika oder die Vogelmalaria auf Hawaii gezeigt wurde.
Climate change, migratory birds and their role in spreading infectious diseases – increasing risk in times
of climate change? Birds are affected by global warming. Migratory birds arrive earlier at breeding grounds
in spring, and do have an either advanced or delayed autumn departure. Many species breed earlier today, and there are cases of climate driven mis-timing between onset of breeding and peak abundance of
prey, with considerable impacts on the fitness of the birds. Global warming is likely to reduce the predisposition to migrate in short to medium distance migrants which will result in bird communities that will
be increasingly dominated by non-migrating and short to medium distant migratory species. It is also expected an increase in species richness in temperate, boreal and arctic regions, while species richness
is suggested to decline in more arid regions due to increased temperature and decreased precipitation.
Birds can carry pathogens and there are a few hints that migratory birds take a role in spreading a disease, although very much speculative. Pathogens likely for avian spread are West Nile Virus, USUTU virus, avian influenza, bacterial diseases, and blood parasites. More likely than spreading human pathogens due to climate warming is the spread of avian diseases into regions where
long-term co-evolutionary processes were missing so that a new emerging disease could be fatal
for resident birds, as it is the case with West Nile Virus in North America, or avian malaria on Hawaii.
Z
ugvögel verbinden Kontinente und entfernte Re­
gionen. Vögel können Überträger von humanen
Erkrankungen, sein und so ist die Rolle von Zugvögeln
bei der weltweiten Verbreitung von Zoonosen schon oft
diskutiert worden (Altizer et al. 2011), insbesondere
bei der Verbreitung von West Nil Virus (WNV; Rappole
et al. 2000) und aviärer Influenza (z.B. Gauthier-Clerc
et al. 2007). Zoonotische Infektionskrankheiten machen
58% der menschlichen Erkrankungen aus (Woolhouse
& Gowtage-Sequeria 2005), sie sind global gesehen
viel stärker auf bestimmte Regionen konzentriert als
humanspezifische Pathogene und sie kommen über­
proportional häufig in tropischen Regionen vor (Smith
et al. 2007). Zugvögel, die ihre Winterquartiere in den
Tropen haben, stehen deshalb im Besonderen im Fo­
kus als mögliche Überträger von Zoonosen für Mensch
und Tier. Welche Rolle Zugvögel in der Verbreitung
von Infektionskrankheiten für Mensch und Tiere haben
können und in wie weit die globale Klimaveränderung
hierbei eine (zusätzliche) Bedeutung hat (Dobson &
Foufopoulos 2009, Laferty 2009, Pascual & Bouma
2009, Benavides et al. 2012), soll hier kurz zusammen­
gefasst werden.
Das europäisch-afrikanische
Vogelzugsystem
Für die Frage, in wie weit die globale Klimaerwärmung
mit ihren vielfältigen Auswirkungen auf die Zugvögel
auch die Möglichkeit erhöht, dass in tropischen Regio­
nen überwinternde Vögel dortige Pathogene verbreiten
können, ist wichtig zu wissen, wo die Zugvögel im We­
sentlichen überwintern. Von den europäischen Brutvo­
gelarten überwintern etwa 200 in Afrika südlich der Sa­
hara. Die Mehrzahl der Arten zieht in Gebiete südlich der
Sahara, insbesondere in die Savannengebiete (Bairlein
1998, Salewski 2013). Nach Schätzungen ziehen etwa
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Bairlein & Metzger
2,1 Milliarden europäische Zugvögel nach Afrika (Hahn
et al. 2009). Die hauptsächlichen »Zugstraßen« (flyways)
zwischen Europa und Afrika sind der »westeuropäische«
und der »osteuropäische« Zugweg (Abb. 3.2.9-1). Über
das zentrale Mittelmeer ziehen vergleichsweise wenige
Arten, allerdings im Frühjahr mehr als im Herbst.
Die meisten paläarktischen Zugvogelarten überwin­
tern in Afrika in den Savannen und nur wenige dringen
in die Regenwälder ein. Somit überwintert die große
Mehrzahl der in die Tropen ziehenden paläarktischen
Vögel in Habitaten mit vergleichsweise sehr geringem
Pathogenvorkommen. Lediglich die an Wasser gebun­
denen Arten, wie Enten, Reiher, Störche, Limikolen
oder Rallen überwintern in potenziell pathogen-reichen
Lebensräumen (Moreau 1972).
Vögel und Klimawandel
Zahlreiche Arbeiten zeigen, dass der derzeitige globale
Klimawandel vielfältige Auswirkungen und Konse­
quenzen für die Vogelwelt hat und haben kann (z.B.
Walther et al. 2002, Møller et al. 2010, Wormworth
& Sekercioglu 2011). Auswirkungen des Klimawan­
Abb. 3.2.9-1: Winterverbreitung von in Deutschland zur Brutzeit beringten Weißstörchen als Beispiel der etwa 200
europäischen Zugvogelarten, die im tropischen Afrika südlich der Sahara überwintern (dargestellt sind Funde im Dezember bis Februar mit einer Entfernung von mehr als 1.000 km vom Beringungsort; nach: Bairlein et al. 2014).
3. Aktuelle und potenzielle Gefahren für die Gesundheit
dels auf Vögel lassen sich im Wesentlichen vier Berei­
chen zuordnen: Veränderungen in der Phänologie von
Ziehen und Brüten, Veränderungen im Ausmaß des
Zugverhaltens, Veränderungen in der geografischen
und altitudinalen Verbreitung und demographische
Veränderungen. Für die Ausbreitung von Infektions­
krankheiten durch Zugvögel sind dabei vornehmlich
Veränderungen im Zugverhalten und Änderungen von
Arealgrenzen von Relevanz.
Veränderungen im Zugverhalten
Abgesehen von phänologischen Veränderungen im
Zugverhalten, wie frühere Rückkehr von Zugvögeln
im Frühjahr und späterer Abzug im Herbst (Lehikoinen & Sparks 2010), sind andere Veränderungen im
Zugverhalten bisher nur wenig quantitativ untersucht.
Von Verkürzungen der Zugstrecken bei Kurz- und Mit­
telstreckenziehern berichten z.B. Fiedler et al. (2004)
und Visser et al. (2009). Für Zugvögel, die südlich der
Sahara überwintern, sind solche Veränderungen derzeit
unbedeutend. Zwar scheinen bei mancher dieser Arten
in jüngerer Zeit vermehrt einzelne Vögel auch nörd­
lich der Sahara in z.B. Marokko oder Südspanien zu
überwintern, von einer wirklichen nordwärts Verlage­
rung des Überwinterungsgebietes und damit einer Ver­
kürzung der Zugwege ist bei diesen tropischen Über­
winterern jedoch nicht zu sprechen und angesichts der
Unwirtlichkeit der Regionen dazwischen auch nicht zu
erwarten (Coppack et al. 2008).
Erwartet wird auch eine fortschreitende Abnahme
der Zugbereitschaft bei Kurz- und Mittelstreckenzie­
hern sowie ein zukünftig höherer Anteil an Kurzstre­
ckenziehern und Standvögeln, da das Zugverhalten von
Langsteckenziehern stärker im genetischen Programm
fixiert ist, im Gegensatz zu Standvögeln und Kurz- und
Mittelstreckenziehern, die in ihrem Verhalten plasti­
scher auf Witterungs- und Klimaveränderungen reagie­
ren. Dadurch können sich Vogelgemeinschaften erheb­
lich verändern. Beispielsweise hat auf Helgoland der
Anteil durchziehender Langstreckenzieher ab- und der
der Kurzstreckenzieher seit 1960 kontinuierlich zuge­
nommen (Hüppop & Hüppop 2007). Zunehmende Sess­
haftigkeit zeigt sich auch in den mittlerweile unzähli­
gen Winternachweisen von Arten wie Hausrotschwanz
Phoenicurus ochruros oder Mönchsgrasmücke Sylvia
atricapilla im Brutgebiet.
Zugwegverkürzungen und zunehmende Sesshaf­
tigkeit spiegeln sich darüber hinaus in Veränderungen
zugbezogener Morphometrie wider. Bei mehreren Ar­
ten zeigen sich Verringerungen der durchschnittlichen
Flügellänge (Salewski et al. 2010, van Buskirk et al.
2010, Goodman et al. 2012), die ein Maß für Zugweg­
länge ist (Förschler & Bairlein 2011).
Arealveränderungen
Bei 45% der Landvogelarten und Arten der Binnenge­
wässer bestehen besonders enge Beziehungen zwischen
ihrer Verbreitung und den Temperaturbedingungen im
Sommer (Böhning-Gaese & Lemoin 2004). Somit ist
davon auszugehen, dass der Klimawandel auch Konse­
quenzen für die Verbreitung dieser Arten haben wird.
Eine Modellierung der geografischen Verbreitung
der Brutvögel Europas im Lichte des erwarteten Kli­
mawandels zeigt, dass sich die potenziellen geogra­
phischen Vorkommen bis zu mehr als 1.000 km ver­
lagern könnten (Huntley et al. 2006, 2008). Es wird
zudem erwartet, dass insbesondere Arten mit einge­
schränkter Verbreitung und auf besondere Biome spezia­
lisierte Arten erhebliche Kontraktionen in der Brutver­
breitung erfahren werden. Besonders betroffen dürften
Zugvögel sein, da bei diesen sowohl Brutgebiete und
Winterquartiere als auch Rastgebiete beeinflusst sein
könnten (Huntley et al. 2006). Für die mehr als 400
betrachteten europäischen Brutvogelarten ergibt sich
im Mittel eine Reduktion ihrer Brutverbreitung von
etwa 19% und eine Reduktion der Vogelartendiversi­
tät von etwa 9% (Huntley et al. 2006). Für 29 Arten
beträgt die erwartete Reduktion der Brutverbreitung in
Europa sogar mehr als 90%. Dies betrifft insbesondere
arktische und hoch montane Arten, aber auch Arten der
borealen und subalpinen Wälder.
Bei vielen Arten südlicher und gemäßigter Breiten
zeigt sich eine nordwärts gerichtete Ausbreitung ihrer
Brut- bzw. Winterareale (z.B. Thomas & Lennon 1999,
La Sorte & Thompson 2007, Brommer 2008, MacLean
et al. 2008, Zuckerberg et al. 2009, Brommer & Møller
2010, Chen et al. 2011, Brommer et al. 2012, La Sorte
& Jetz 2012, Lehikoinen et al. 2013) mit durchschnitt­
lich etwa 2 km/Jahr aber bis zu mehr als 20 km/Jahr
Ausbreitung der nördlichen Arealgrenze. In Ausbrei­
tung nach Zentraleuropa sind derzeit beispielsweise
Bienenfresser Merops apiaster, Schwarzkopfmöwe
Larus melanocephalus oder Silberreiher Casmerodius
albus. Somit dringen Arten in Gebiete vor, die sie vor­
her nicht besiedelt hatten. Dadurch kommt es zu neuen
Kontaktzonen und Veränderungen der lokalen Vogel­
gemeinschaften (Brotons & Jiguet 2010) mit derzeit
unbekannten Auswirkungen auf Ökosystemfunktionen
(Sekercioglu et al. 2004, Crowl et al. 2008). Dies gilt
auch für die derzeitige, klimabedingte Höhenausbrei­
tung von Arten (Sekercioglu et al. 2008, Popy et al.
2010, Chen et al. 2011).
Solche Arealverschiebungen sind nicht nur in den
nördlichen gemäßigten Breiten zu beobachten, auch
wenn sie dort viel zahlreicher dokumentiert und be­
schrieben sind, sondern finden sich auch in tropischen
Regionen (Marini et al. 2009). Für die mögliche Rolle
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Bairlein & Metzger
von Zugvögeln als Vehikel für Infektionskrankheiten
sind dabei die nutzungs- und klimabedingten Verände­
rungen in der Sahelzone Afrikas (Zwarts et al. 2009)
von besonderer Relevanz. Nachlassende Niederschläge
bei gleichzeitig ansteigender durchschnittlicher Luft­
temperatur, vor allem aber zunehmende Nutzung von
Oberflächengewässer für z.B. Landwirtschaft, führen
zu einem zunehmenden Verlust von Feuchtgebieten
für überwinternde oder rastende Zugvögel. Dadurch
kommt es zu steigenden Konzentration von Vögeln an
den weniger und kleiner werdenden Feuchtgebieten
mit einer daraus resultierenden unweigerlich höheren
Transmissionsrate von Pathogenen an solchen »hot­
spots« (Benavides et al. 2012).
Vogelarten, Krankheitserregern und deren Vektoren
können neue Kontaktmöglichkeiten zwischen Krank­
heitserregern und potenziellen Wirten entstehen und so
die Ausbreitung und Neu-Etablierung von Endemiege­
bieten zur Folge haben.
Das Einschleppungsrisiko mit einer Übertragung
auf den Menschen gilt besonders hoch bei pathogenen
Viren, die an Zugvögel assoziiert sind und auf dem Zug
mit Vektoren Kontakte haben, die im Siedlungsgebiet
heimisch sind. Dies gilt für von Vektoren übertragene
pathogene Viren wie z.B. das Sindbis-, das Usutu- und
das Westnil-Virus. Viren zeichnen sich durch extrem
hohe Mutationsraten und das Potenzial zu horizonta­
lem Gentransfer aus, was ihnen den Sprung auf neue
Wirtsarten erleichtert. Im Folgenden sollen einige an
Zugvögel als mögliche mobile
(Zug)Vögel assoziierte Zoonosen mit potenzieller bis
Krankheits-Reservoire
tatsächlicher Relevanz für den Menschen näher be­
Weltweit gelten 58% aller human relevanten Infektions­ trachtet und ihr Ausbreitungspotential gerade vor dem
krankheiten als zoonotisch, und 13% der von Vektoren Hintergrund der Klimaveränderung diskutiert werden.
übertragenen humanen Erreger befinden sich derzeit in
Ausbreitung. 75% von diesen sind zoonotischen Ur­ Virosen
sprungs, d.h. Tiere sind das Reservoir, von dem sie auf
Westnil-Virus
den Menschen übertragen werden können.
In Deutschland sind 24 humane Infektionskrank­ Das Westnil-Virus (WNV) ist ein Flavovirus. Die vek­
heiten endemisch, die von Schildzecken, Stechmücken torvermittelte Zoonose hat ihr Reservoir in diversen
oder Nagern übertragen werden. In neuerer Zeit finden Vogelarten, Vektoren sind vor allem ornithophile Stech­
zunehmend auch Wildvögel bei der Suche nach den po­ mücken aus der Gattung Culex (Hayes et al 2005), au­
tenziellen Reservoiren von Zoonosen mit humanpatho­ ßerdem spielen auch Schildzecken (Ixodidae) und an­
gener Relevanz Beachtung. So sind nachweislich bei dere Blut saugende Ektoparasiten eine Rolle. Das Virus
mindestens fünf Erregern Vögel als Wirte für ihre Ver­ ist über Afrika, Südeuropa und den mittleren Osten bis
mehrung bekannt (Reed et al. 2003). Darüber hinaus weit nach Asien verbreitet und hat in jüngerer Zeit Nor­
gibt es einige mit Vögeln assoziierte Krankheitserreger, damerika erreicht. Neben Menschen gelten vor allem
die, wenngleich sie nicht humanpathogen sind, in der Pferdeartige als häufig betroffene Fehlwirte.
Der erste Nachweis des Virus erfolgte 1937 bei
Geflügelhaltung mit ihren sehr hohen Individuendich­
ten erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen einer Frau aus Uganda. In den fünfziger Jahren des
können. Nicht zuletzt kommt auch der Verbreitung von vorigen Jahrhunderts kam es in Israel im Zuge einer
Krankheiten innerhalb der Bestände von Vögeln und Epidemie zu Todesfällen. In den Jahren 1996 bis 2000
ihrer Bedeutung für Bestandsänderungen eine wach­ erfolgten diverse Ausbrüche in Südeuropa und im nah­
sende Rolle zu (Smith et al. 2007, LaDeau et al. 2007, en Osten (Zeller & Schuffenecker 2004). Dabei wur­
de von einzelnen Todesfällen bei Menschen berichtet.
Robinson et al. 2010).
Krankheitserreger beeinträchtigen bei Wildvögeln Das Virus konnte sich in Europa allerdings bisher nicht
die Überlebensrate, die Fitness und den Bruterfolg, etablieren, sondern wurde vermutlich jeweils aufs Neue
und sie können zu Änderungen im Verhalten und bei von Zugvögeln eingeschleppt. Allerdings gibt es Nach­
für den Lebenslauf wichtigen Entscheidungen führen. weise, dass eine Überwinterung in den Vektoren oder
Insgesamt ist über das Ausmaß von Krankheiten und eine Persistenz in den Wirten möglich ist (Cernescu et
die Folgen chronischer Infektion bei Vögeln im Frei­ al. 2000, Vázquez et al. 2011). Da viele europäische
land jedoch erst wenig bekannt, wenngleich sich Vögel Zugvogelarten als potenzielle Wirte in Frage kommen
auf Grund ihrer Omnipräsenz, ihrer Auffälligkeit und und als Langstreckenzieher in den zentralafrikanischen
Mobilität hervorragend als Modellsysteme beim Ver­ Endemiegebieten überwintern, scheint es nur eine Fra­
ständnis der Ausbreitungsmechanismen von Zoonosen ge der Zeit, wann die ersten Epidemien auch Mittel­
europa erreichen, zumal ornithophile Stechmücken der
eignen.
Mit dem globalen Klimawandel und ihren Konse­ entsprechenden Arten auch in Mitteleuropa zumindest
quenzen für die räumliche und zeitliche Verteilung von im Sommerhalbjahr stellenweise sehr häufig sind. Vor
3. Aktuelle und potenzielle Gefahren für die Gesundheit
allem vor dem Hintergrund der mit der Klimaverän­
derung verbundenen milderen Winter und feuchten,
heißen Sommer und stärker und häufiger werdender
Überflutungsereignisse, die eine Massenvermehrung
der Vektoren ermöglichen, sollten räumlich begrenzte
Ausbrüche, analog zur Situation in Südeuropa, auch
in Deutschland zunehmend wahrscheinlicher werden.
Deshalb erfolgten in jüngerer Zeit auch mehrere groß
angelegte Studien. Linke et al. (2007) untersuchten
zwischen 2000 und 2005 3.400 Vögel aus 87 Arten
und fanden je nach Vogelart eine Antikörperprävalenz
(IFA, NT) von 0% bis 20%. Lediglich in 5 der 87 Ar­
ten konnten Antikörper nachgewiesen werden, bei drei
von ihnen handelt es sich dabei um stark an Feucht­
gebiete gebundene Arten (Weißstorch Ciconia ciconia,
Fischadler Pandion haliaetus und Höckerschwan Cygnus olor), was die Vektorendichte in diesen Habitaten
widerspiegelt. Weiterhin wurde festgestellt, dass die
Prävalenz von Antikörpern im Blut von großen Vogel­
arten höher lag als in dem von kleineren Arten und dass
sie in Mitteleuropa bei juvenilen Individuen deutlich
niedriger ausfiel als bei adulten. Letzteres legt nahe,
dass sich das WNV in Deutschland noch nicht etabliert
hat und die Antikörper durch eine transovarielle Über­
tragung in das Blut der Jungvögel gelangen. Wichtig
scheint, dass bei keinem der 3.400 untersuchten Vögel
die Isolation des Virus gelang, was ebenfalls darauf
hinweist, dass die Infektion der Vögel mit dem Virus
lediglich im Winterquartier oder in Rastgebieten auf
dem Zug erfolgte. Komar et al. (2003) konnten nach­
weisen, dass nach einer experimentellen Infektion eine
Übertragungswahrscheinlichkeit des Virus von Vögeln
auf Mücken lediglich in den ersten vier Tagen nach In­
fektion hoch ist, was ein Einschleppen des Virus durch
Zugvögel nach Mitteleuropa nicht allzu wahrscheinlich
macht. Auch Seidowski et al. (2010) fanden in mehr als
2.700 Blutproben von 72 Arten aus 2005–2009 keine
Hinweise auf eine Etablierung des WNV in Mitteleu­
ropa. Lediglich in 11 Arten, allesamt Zugvögel, ließen
sich WNV-Antikörper nachweisen. Von 364 von 20092011 gesammelten Blutproben von 40 Wildvogelarten
waren 17 Fälle WNV-positiv, mit Ausnahme der Nebel­
krähe nur Zugvögel (Ziegler et al. 2012). Die geringe
Virulenz und Letalität des Virus bei afrikanischen wie
europäischen Vogelarten ebenso wie auch bei Menschen
aus diesen Regionen deutet darauf hin, dass die Ent­
wicklung der Beziehungen zwischen Virus und Wirten
über einen längeren Zeitraum mit der daraus resultie­
renden Möglichkeit der Ko-Adaptation erfolgte. Eine
Ausnahme bildet der Ausbruch einer WNV-Epidemie
in Israel 1998, dem damals zahlreiche Weißstörche und
Hausgänse zum Opfer fielen (Malkinson et al. 2002).
Ein zur Alten Welt stark kontrastierendes Bild, das
einen Eindruck davon vermittelt, was passieren kann,
wenn Zoonosen neue Regionen erreichen, zeigt sich auf
dem Nordamerikanischen Kontinent (Komar 2003, Allan et al. 2009). Hier kam es im Jahr 1999 ausgehend
vom New Yorker Zoo zum Ausbruch einer Epidemie.
Wie das Virus, das fast identisch mit einem Stamm aus
Israel ist (Lanciotti et al. 1999), in die USA gelangte,
lässt sich nicht belegen (Rappole et al. 2000). Dafür in
Frage kommen sowohl infizierte Menschen wie auch
Haus- oder Zootiere oder im Flugzeug mitgereiste in­
fektiöse Mücken. Da es keinerlei transatlantische Zug­
wege von Vögeln aus dem Nahen Osten an die Ostküs­
te Nordamerikas gibt, das erste Auftreten in New York
auch nicht in eine Zugperiode fiel, erscheint die Ein­
führung auf einem Zugvogel als extrem unwahrschein­
lich. Erste Opfer in den USA waren Amerikanerkrähen
Corvus brachyrhynchos, die auch in der Folge beson­
ders stark betroffen waren (Koenig et al. 2010). Auf
Grund fehlender Ko-Evolution kam es in der Vogelwelt
bei vielen weiteren Arten zu einer hohen Mortalität,
auch bei Menschen gab es viele Todesfälle (Allan et
al. 2009). In wenigen Jahren hat sich das Virus vermut­
lich mit in Amerika heimischen Zugvögeln über weite
Teile Nordamerikas und bis in die Karibik ausgebreitet.
Es gilt inzwischen als fest in Amerika etabliert und hat
speziell auf Vogelgemeinschaften in anthropogen über­
formten Habitaten, in denen beispielsweise künstliche
Bewässerung hohe Stechmückenpopulationen zur Fol­
ge hat, einen starken Einfluss auf die Vogelbestände.
Usutu-Virus
Das Usutu-Virus (USUV) ist wie das WNV ein durch
Stechmücken übertragenes Flavivirus, als Wirte gelten
Vögel verschiedener Arten. 1959 in Südafrika entdeckt
und mittlerweile vielerorts in Afrika nachgewiesen (Nikolay et al. 2011) wurde das Virus außerhalb Afrikas
zum ersten Mal 2001 in Österreich festgestellt, wo es in
Wien in der Zeit zwischen Juli und September zu einer
Epidemie mit hohen Mortalitätsraten in der dortigen
Population der Amsel Turdus merula kam (Weissenböck et al. 2002). Wie das Virus nach Wien gelangte,
lässt sich nicht eindeutig belegen, ein Eintrag auf
Zugvögel kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Nachträglich konnte nachgewiesen werden, dass das
Virus bereits im Jahr 2000 in Amseln in Wien vorkam,
wenngleich aus diesem Jahr kein auffälliges Amselster­
ben bekannt geworden war. Eine Persistenz des Virus
in überwinternden Stechmückenweibchen wird postu­
liert. Fast alle tot gefundenen Amseln aus Gebieten, in
denen im Vorjahr ein Amselsterben stattgefunden hatte,
wurden auch im Folgejahr positiv getestet. Auffällig
ist, dass neben Amseln kaum andere Vogelarten betrof­
fen scheinen. Ab 2006 wurde das Virus auch in Zürich
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Bairlein & Metzger
festgestellt, wo es ebenfalls in Amseln, darüber hin­
aus jedoch auch in Haussperlingen Passer domesticus
festgestellt wurde (Schweizer Zoonosebericht 2006 im
BVET-Magazin3/2007), 2008 erstmals in Italien (Tamba et al. 2011, Calzolari et al. 2013) und 2011 auch in
der Tschechischen Republik (Hubálek et al. 2014) .
Eine umfassende Untersuchung an unterschied­
lichen Vogelarten in Großbritannien in den Jahren
2001–2002 ergab bei einigen Arten teilweise hohe
Prävalenzen von Antikörpern, wenngleich die Suche
nach dem Virus selbst negativ blieb (Buckley et al.
2003). Von in Deutschland zwischen 2000 und 2005
untersuchten 3400 Vögeln aus 87 Arten wurden in 8
Vögeln von drei Arten (Weißstorch, Fischadler, Gar­
tenrotschwanz Phoenicurus phoenicurus) Antikörper
gegen USUV gefunden und zwar mit einer Gesamtprä­
valenz von 0,2% (Linke et al. 2007). USUV in Deutsch­
land wurde erstmals im August 2010 in Culex-Mücken
nachgewiesen (Jöst et al. 2011), im Sommer 2011 kam
es in SW-Deutschland erstmalig in Deutschland zu
einem USUV-bedingten Vogelsterben (Jöst et al. 2011,
Becker et al. 2012, Bosch et al. 2012).
Auch für dieses Virus fällt die Prävalenz in den
Vogelpopulationen in die Sommermonate. Es fällt auf,
dass das Virus überwiegend auf Standvögel lethal wirkt.
In den Epidemiegebieten tot gefundene Vögel anderer
Arten wurden auf Usutu fast immer negativ getestet.
Eine weitere Manifestation von USUV in Mitteleu­
ropa und eine Ausbreitung durch Zugvögel gilt jedoch
gerade bei steigenden durchschnittlichen Sommertem­
peraturen als wahrscheinlich (Brugger & Rubel 2009,
Vásquez et al. 2011). Wenngleich in Einzelfällen nach­
weislich auch Menschen an USUV erkrankten (Pecorari et al. 2009), kommt dem Virus aber offenbar keine
große humanpathogene Relevanz zu.
Aviäre Influenza (Vogelgrippe)
Keine Zoonose rückte in den letzten Jahren weltweit
stärker in das Interesse der Öffentlichkeit und wurde
bezüglich ihres Gefahrenpotenzials und ihrer Ausbrei­
tungsmechanismen kontroverser diskutiert als die Avi­
äre Influenza (AI). Der Erreger ist ein Subtyp der Influ­
enza-A-Viren, von denen seit langem bekannt ist, dass
sie ihr natürliches Reservoir als schwach pathogene
Influenza-Stämme (LPAI) in Wildvögeln haben (Fiedler et al. 2005, Bahl et al. 2013, Barton et al. 2014).
Die meisten Subtypen wurden in verschiedenen Was­
servogelarten nachgewiesen, in denen sie in der Regel
asymptomatisch bleiben. Mehrere Untersuchungen in
wilden Wasservogelgemeinschaften zeigten zum Teil
hohe Antikörperprävalenzen gegen einen oder auch
mehrere dieser Subtypen (bis 50%; De Marco et al.
2003). Über die Inkubationszeiten und die Pathogenität
für die Vögel sowie über die Reservoire der einzelnen
LPAI-Stämme ist nach wie vor wenig bekannt (Kalthoff et al. 2008, Breithaupt et al. 2010).
Als gesichert gilt jedoch, dass in Geflügel-Inten­
sivhaltung die Vorraussetzungen gegeben sind, dass in
die Haltung gelangte, primär schwach pathogene AIErreger zu hoch pathogenen Formen (HPAI) mutieren
können (Fereidouni et al 2009).
Auf Grund mangelnder hygienischer Bedingungen
und der Verwendung von nicht sterilisierten Schlachtab­
fällen, Futterresten und Geflügelkot als Dünger in der
Landwirtschaft oder als Futter in der Aquakultur kön­
nen diese HPAI-Erreger ins Freie gelangen, wo sie in
der Lage sind, Wildvögel zu infizieren. Solche HPAIAusbruchsereignisse werden in der Regel dadurch er­
kannt, dass es zu erhöhter Mortalität bis zu Massen­
sterben bei bestimmten Wasservogelarten kommt. Da
selbst während Ausbruchsgeschehen die Prävalenz des
Virus in Wildvogelpopulationen offensichtlich sehr ge­
ring ist, sind die Infektiösität und die Inkubationszeit
sowie die Pathogenität und Mortalität von HPAI auf
bestimmte Vogelarten noch immer recht unzureichend
geklärt. Auch über die Persistenz des Virus in einzel­
nen Vogelarten im Freiland ist wenig bekannt. Darüber
hinaus ist unklar, wie lange ein Vogel Virus-Ausschei­
der bleibt und in wie weit er eventuell in der Lage ist,
trotz einer Infektion mit HPAI auf dem Zug noch weite
Strecken zurückzulegen. Mit Sicherheit wirken auf den
Krankheitsverlauf neben der Artzugehörigkeit diverse
Umweltparameter wie Dichte der Population und Nah­
rungsverfügbarkeit aber auch intrinsische Faktoren wie
einerseits Immunstress oder andererseits eine Teilim­
munisierung auf Grund vorheriger Exposition zu LPAIStämmen.
Immer wieder wurden und werden Zugvögel zur
Erklärung für die Ausbreitung der HPAI herangezogen,
kritisch betrachtet halten diese Erklärungsversuche in
der Regel aber den Tatsachen nicht stand (Kilpatrick
et al. 2006, Peterson et al. 2007, Weber & Stilianakis
2007, Globig et al. 2009, Tsan-Yuk Lam et al. 2011,
Bahl et al. 2013). Die große Ausbreitungswelle nach
Westen in 2005 und auch die im Hochsommer 2007
fielen nicht in eine Vogelzugperiode (Gauthier-Clerc
et al. 2007). Wenngleich es beispielsweise Entenarten
gibt, die von Sibirien nach Südosteuropa ziehen, voll­
zog sich die Ausbreitung von Ostasien nach Europa
entlang wichtiger Handelsrouten, wie der transsibi­
rischen Eisenbahn, und nicht entlang etablierter Vo­
gelzugrouten (Gauthier-Clerc et al. 2007). Des Wei­
teren fällt auf, dass die Ausbruchsherde im Einzelnen
meist räumlich eng umgrenzt bleiben. Wären ziehende
Vögel an der Verschleppung beteiligt, sollte sich das
Virus ausgehend von diesen Epizentren flächenartig
3. Aktuelle und potenzielle Gefahren für die Gesundheit
ausbreiten. Es verschwand jedoch in der Regel nach
wenigen Wochen wieder aus den lokalen Populationen.
Von Bedeutung erscheint außerdem die Tatsache, dass
beispielsweise in Südostasien Länder mit restriktiven
Einfuhrbeschränkungen für Geflügel und –produkte
bisher frei von HPAI Ausbrüchen blieben, selbst dann,
wenn sie auf den Korridoren und Drehscheiben des
asiatischen Vogelzugsystems liegen. Gleiches gilt auch
für das Auftreten der Vogelgrippe in einzelnen afrika­
nischen Ländern, deren Nachbarländer und die meisten
Länder auf den Zugrouten keine Epidemien verzeich­
neten. Nicht zuletzt sind die klinischen Symptome von
mit HPAI infizierten Vögeln meist schwer, weshalb
eine Verfrachtung des Virus über weite Strecken in
einem für HPAI positiven Vogel als unwahrscheinlich
angesehen werden kann. Auch für den angenommenen
Transport des Virus in Folge einer durch einen Kälte­
einbruch ausgelösten Winterflucht von Höckerschwä­
nen vom Schwarzen Meer nach Sizilien fehlt jeglicher
Beleg, dass ein kranker Vogel wirklich diese Strecke
geflogen ist.
Festzuhalten bleibt, dass die räumlichen wie zeit­
lichen Muster im Auftreten von HPAI in Populationen
wilder Vögel viel besser durch den internationalen
Handel mit Vögeln, Geflügel und Geflügelprodukten
erklärbar sind, als mit Vogelzugmustern. Ob und in­
wiefern eine Klimaveränderung die Ausbreitung der
HPAI begünstigt, ist kaum abschätzbar, wenngleich
beispielsweise die Zunahme von extremen Wetterer­
eignissen bei Vögeln vermehrt physiologischen und
damit auch Immunstress auslösen kann, was sie auch
für AI-Viren anfälliger werden ließe. Allerdings redu­
ziert sich bei höheren Temperaturen und zunehmender
Trockenheit die Überlebenswahrscheinlichkeit des Vi­
rus außerhalb des Körpers (Fiedler et al. 2005). Zudem
dürften mildere Winter die Fälle reduzieren, in denen
es auf Grund von anhaltenden Eislagen zu einer Ver­
dichtung von Wasservögeln an wenigen »Eislöchern«
kommt, so wie dies im Februar 2006 auf Rügen der Fall
war (Fiedler 2006). Für den Menschen besteht die Ge­
fahr einer Ansteckung mit starken Symptomen bis zur
Todesfolge vor allem bei intensivem und unzureichend
geschütztem Kontakt zu infiziertem Nutzgeflügel. Er­
krankungen nach Exposition mit infizierten Wildvö­
geln sind bisher nicht bekannt.
Weitere Virosen
Neben vielen weiteren auf Vögel als Wirte beschränkten
Virosen, wie Newcastle-Krankheit und Vogelpocken,
gibt es auch noch eine ganze Reihe zur Zeit recht sel­
tener viraler Zoonosen mit humanpathogener Relevanz,
die ihre Reservoire in Zugvogelpopulationen haben. Zu
diesen zählen z.B. das Sindbis- und das Bahig-Virus,
sowie das Hämorrhagische Omsk- und Krim-Fieber.
Sie alle besitzen theoretisch das Potential, sich im Zuge
des Klimawandels aus ihren momentan räumlich be­
grenzten Endemiegebieten mit Zugvögeln auszu­breiten.
Das von der Zecke Hyalomma marginatum verbreitete
Krim-Kongo Hämorrhagische Fieber (CCHF) ist hier­
für ein Beispiel. H. marginatum ist endemisch in Afri­
ka, im Mittleren Osten und in Südeuropa, hat diese Ze­
cke mittlerweile auch Deutschland erreicht (Metzger
2003, Stern 2005), höchstwahrscheinlich eingetragen
von Vögeln auf dem Heimzug (Metzger 2003) (Abb.
3.2.9-2).
In einer Pilotstudie, in der im Frühjahr 2009 durch­
ziehende Vögel zwischen der italiensichen Insel Vento­
tene und Norddeutschland untersucht wurden, fanden
sich auf etwa 5% H. marginatum mit einer Dichte von
durchschnittlich 1,9 Zecken je infiziertem Vogel (n =
2031), wobei aber ausschließlich Fernzieher befallen
waren. Auf der Ostseeinsel Greifswalder Oie zeigte
Abb. 3.2.9-2: BraunkehlchenWeibchen, gefangen und beringt
am 9. Mai 2014 auf Comino,
Malta, von dem insgesamt 82 Hyalomma marginatum Nymphen
abgesammelt werden konnnten
(Foto: B. Metzger).
3.2.9
Bairlein & Metzger
sich eine Prävalenz von 4,9% mit einer mittleren Dichte
von 3,7 Zecken je infiziertem Vogel (n = 123; Metzger
& Bairlein, unveröff.). Bei einer geschätzten Zahl von
2,1 Milliarden Zugvögeln zwischen Europa und Afri­
ka (Hahn et al. 2009) kann der Import von Hyalomma
durch Zugvögel ganz erheblich werden. Hyalomma ist
bisher in Mitteluropa noch nicht etabliert, doch wur­
de in Süddeutschland bereits ein Adulttier gefunden
(Kampen et al. 2007). Es ist also nicht unwahrschein­
lich, dass sich Hyalomma im Zuge des Klimawandels
mit vor allem milderen Wintern in den wärmeren Regio­
nen Ost- und Süddeutschlands etabliert. Die derzeitige
Nordgrenze der Verbreitung von Hyalomma in Osteur­
opa liegt bei etwa 50°N (Ergonul & Whitehouse 2007)
und in Russland breitet sie sich derzeit nordwestwärts
aus (Butenko & Karganova 2007). Auch steigt die An­
zahl von CCHF Infektionen in den Endemismusgebie­
ten, wie z.B. Türkei (Ylmaz et al. 2008).
Hyalomma marginatum ist möglicherweise auch
der Vektor für eine ganze Reihe weiterer Zoonosen, wie
beispielsweise für das Sindbis-, das West-Nile- und das
Bahig-Virus, sowie für das Hämorrhagisches Omskund Krim-Fieber (Hillyard 1996).
Bakteriosen
Borreliose
Borrelien gehören innerhalb der Bakterien zu den Spi­
rochaeten. Als Wirte kommen viele landlebende Wirbel­
tiere in Frage, Vektoren sind in der Regel Schildzecken
(Ixodidae). Unter dem Artnamen Borrelia burgdorferi
senso latu sind eine Reihe Genospezies zusammenge­
fasst, die z.T. fast weltweit verbreitet sind. In Mitteleu­
ropa ist die Borreliose die mit Abstand häufigste von
Vektoren übertragene Krankheit und erlebte seit 1980
einen dramatischen Anstieg (Randolph 2001). Dieser
lässt sich vor allem durch eine Bestandszunahme der
Vektoren erklären, die regional extrem hohe Präva­
lenzen von bis zu 50% aufweisen können (Rauter et
al. 2002). Die gesundheitliche Gefahr für den Fehl­
wirt Menschen liegt in der Langzeitmanifestation der
Erreger in den Gelenken, in Nervengewebe, Haut und
Muskeln, wenn die Borreliose im akuten Stadium nicht
erkannt und rechtzeitig mit Antibiotika behandelt wird.
In den natürlichen Wirten scheint die Borreliose hinge­
gen weitgehend asymptomatisch zu verlaufen.
Die Reservoire der Borrelien liegen vor allem in
Kleinsäugerpopulationen, doch auch Vögel spielen
eine Rolle (Tsao et al. 2004, Staszewski et al. 2008,
Brinkerhoff et al. 2011), besonders solche Vogelarten,
die überwiegend in Bodennähe nach Nahrung suchen
und damit besonders häufig und stark von Ixodes-Ze­
cken parasitiert werden. Von B. burgdorferi s.l. ha­
ben sich mindestens zwei Genospezies auf Vögel als
Wirte spezialsiert. Ein weltweiter Übertragungsweg
mit transhemisphärischem Austausch von B. garinii
findet sich beispielsweise zwischen der Seevogelzecke
I. uriae und koloniebrütenden marinen Zugvogelarten
(Olsen et al. 1995). Die Verbreitung eines einzigen Ri­
botyps (20047) von B. garinii über ganz Europa weist
ebenfalls auf eine Verbreitung durch Vögel hin (Kurtenbach et al. 2002). In Schweden trugen 1,4% der von
Zugvögeln abgelesenen Holzböcke (Ixodes ricinus)
Borrelien (Comstedt et al. 2006). Ein Hinweis auf die
große Bedeutung ziehender Vögel bei der Verbreitung
bestimmter Borrelien-Genospezies ist der experimen­
telle Befund, dass latent mit Borrelien infizierte Rot­
drosseln Turdus iliacus bei Induktion von Zugunruhe
verstärkt rezidive Borellien entwickelten, was bedeutet,
dass diese Tiere gerade in Rastgebieten auf dem Zug
die Erreger weitergeben und damit zu einer vermehrten
Ausbreitung beitragen können (Gylfe et al. 2000).
Eine weitere an Vögel assozierte Genospezies Borrelia valaisiana (Kurtenbach et al. 2002) besitzt eben­
falls potenziell humanpathogene Relevanz. Begünstigt
werden die Transmissionszyklen durch hohe Wirtsdich­
ten für die Vektoren (z.B. Piesman 2002). Habitate mit
geringer Biodiversität und hohen Individuendichten an
Reservoir-Arten fördern die Zoonose zudem (Logiudice et al. 2003). Zudem dürften feuchtwarme Sommer
und milde Winter die Vermehrung und Überlebens­
wahrscheinlichkeit der als Vektoren relevanten Zecken
begünstigen (Gilbert 2010).
Damit können Zugvögel vermehrt Reservoire und
Transportsysteme auch für andere, von Zecken übertra­
gende Krankheiten werden, wie Frühsommer-Menin­
goenzephalitis, Erlichiose (Bjöersdorff et al. 2001) und
möglicherweise besonders Rickettsiose (Mukherjee et
al. 2014). Rickettsiosen kommen bevorzugt in milden
Klimazonen, z.B. Mittelmeerraum oder Südafrika, vor.
Krankheitsfälle nach Zeckenstich sind in Deutschland
bisher nicht zweifelsfrei belegt. Deutschlandweit sind
etwa 10% der Zecken mit humanpathogenen Rickett­
sien infiziert (http://www.jenagen.de/index.php/hu­
mandiagnostik/Borreliose/rickettsiose; 11. Mai 2014).
Es ist davon auszugehen, dass die Gefahr von Rickett­
siosen bisher stark unterschätzt wird, und es wird ver­
mutet, dass Rickettsiose-Infektionen in Deutschland
mit der Klimaerwärmung zunehmen werden.
Botulismus
Botulismus wird durch das Bakterium Clostridium botulinum verursacht, ist jedoch keine Zoonose im klas­
sischen Sinn (Westphal 1991). Der gegen Kälte, Hitze
und Austrocknung extrem resistente Dauerstadien bil­
dende Erreger tritt ubiquitär auf, ist häufig in Kadavern
3. Aktuelle und potenzielle Gefahren für die Gesundheit
zu finden und spielt unter anderem in der Lebensmit­
telhygiene eine Rolle. Das Bakterium produziert ein
hoch wirksames, aus der Schönheitsindustrie unter dem
Namen Botox bekanntes Toxin (Botulin), das nach star­
ker Vermehrung des Erregers in warmen, hypertrophen
Gewässern zur Vergiftung und zum Massensterben von
Wasservögeln führen kann. Ein vermehrtes Auftreten
in Deutschland auf Grund wärmerer Sommer ist sehr
wahrscheinlich. Ein Botulismus-Ausbruch in Süd­
schweden von 2000–2004, dem mehr als 10.000 See­
vögel zum Opfer fielen, wird auf wärmere Tempera­
turen zurückgeführt (Neimanis et al. 2007). Auf Grund
der Omnipräsenz des Erregers spielt eine Verbreitung
durch Zugvögel keine Rolle, bei Wasservögeln kann es
aber insofern zu einer synergistischen Wirkung kom­
men, als mit hohen Botulinwerten konfrontierte Tiere
immunologisch gestresst und dadurch ein leichteres
Ziel für Zoonosen werden.
Eine weitere, vor allem in der Geflügelhaltung häu­
fige Bakteriose, ist die Konjunktivitis (Mycoplasma
gallisepticum), die sich in Nordamerika auch in wilden
Hausgimpeln (Carpodacus mexicanus) etablieren und
über den Zug dieser Art ausbreiten konnte (Fischer et
al. 1997). Mit Hilfe eines einzigartigen Citizen-Sci­
ence-Projekts wurden die Ausbreitungsmechanismen
und der Rückgang der Population detailliert untersucht,
wodurch der Konjunktivitis beim Verständnis der Zo­
onoseausbreitung durch Vögel Modellcharakter zu­
kommt (Hosseini et al. 2006).
Darüber hinaus spielen in der Vogelhaltung die Or­
nithose oder Psittacose, die selten auch den Menschen
befallen kann, und die Vogel-Cholera eine Rolle. Für
beide sind ziehende Vögel nach momentanem Kennt­
nisstand aus epidemiologischer Sicht aber unbedeu­
tend.
von Blutprotozoen in nördlicher verbreiteten Wildvö­
geln, und Greiner et al. (1975) berichten von höheren
Prävalenzen von Leucocytozoon im Gebirge und in
borealen Habitaten. Dies wird mit dem dort häufigeren
Vorkommen von Simuliiden erklärt. Bei spanischen
Greifvögeln war die Prävalenz von Haematozoa in
Waldarten höher als in Vögeln der offenen Landschaft
(Tella et al. 1999).
Im kontinentalen Bereich spielt also der Groß­
lebensraum eine wichtige Rolle im Vorkommen von
Vektoren, die ihrerseits die Prävalenz von Parasiten
bestimmen. Dies gilt auch für das Vorkommen von
Parasiten auf Inseln. Auf Hawaii hat das unfreiwillige
Einschleppen von gebietsfremden Malaria-Spezies in
die autochthone Avifauna, die vormals keine Malaria
kannte, dramatische Konsequenzen (Warner 1968). In
vom Menschen eingeführten Vogelarten auf die Inseln
gebracht, sprangen die Parasiten mittels vorhandener
Vektoren in kurzer Zeit auf etliche heimische Arten
über, die wegen fehlender Möglichkeit zur Ko-Adapta­
tion keinerlei Resistenzen aufwiesen und in vielen Fäl­
len extrem zurückgingen oder gar ausstarben (Warner
1968, Atkinson & Samuel 2010).
Scheuerlein & Ricklefs (2004) fanden darüber
hinaus einen Zusammenhang zwischen Körpergröße
(Körpermasse) und Prävalenz von Blutprotozoen. Die
Körpermasse erklärte allein 20% der Variation in der
Parasitenprävalenz. Ursache dafür könnte sein, dass
größere Vögel mehr CO2 abgeben, ein Anlockungs­
signal für dipteroide Vektoren. Auch könnten größere
Vögel mehr Oberfläche für Vektorenbefall anbieten.
Die prognostizierte Klimaerwärmung erhöht das
Risiko von Vogelmalariaausbrüchen bei Wild- wie
Hausgeflügel, wobei insbesondere Europa und Afrika
betroffen sind (Garamszegi 2011).
Protozoonosen
Fazit und Ausblick
Wenngleich unter den Protozoen wegen einer weitge­
henden Wirtsspezialisierung auf bestimmte Tiergruppen
eine Übertragung vom Vogel auf den Menschen in der
Regel nicht anzunehmen ist, kommt beispielsweise der
Aviären Malaria im Verständnis der Ausbreitungs- und
Etablierungsmechanismen von Zoonosen durch Zug­
vögel aus mehreren Gründen eine Schlüsselrolle zu. In
diversen phylogenetischen Linien von Aviärer Malaria
(Haemoproteus, Plasmodium) in Zugvögeln hat sich
mehrfach unabhängig die Eigenschaft entwickelt, nicht
nur während einer bestimmten Jahreszeit, sondern das
ganze Jahr über in ihren Wirten infektiös zu sein, was
ihnen eine gewaltige Ausweitung ihres Areals ermög­
lichte und damit einen evolutiven Vorteil verschaffte
(Valkiunas 1997, Perez-Tris & Bensch 2005). Scheuerlein & Ricklefs (2004) fanden höhere Prävalenzen
Die globale Klimaerwärmung wird erhebliche Auswir­
kungen auch auf die Vogelwelt haben. Dabei werden
manche Arten negative Beeinträchtigungen erfahren,
andere werden durch die geänderten ökologischen Be­
dingungen Vorteile haben. Für die gemäßigten Breiten
ist zu erwarten, dass sich das Gefüge an Arten erheb­
lich verändert. Reduzierter Zugumfang, Zugwegver­
kürzungen, Veränderungen der Zugzeiten, vermehrtes
Überwintern im Brutgebiet sowie die Einrichtung nä­
her am Brutgebiet liegender Winterquartiere sind gera­
de bei den weniger ausgeprägten Zugvögeln schon jetzt
sichtbar. Der Klimawandel ist dabei nicht homogen in
Raum und Zeit, sondern verschieden in verschiedenen
Regionen und verschieden zwischen Brut-, Rast- und
Überwinterungsgebieten, so dass eine große Heteroge­
nität erwartet werden darf.
3.2.9
Bairlein & Metzger
Vögel, und hier insbesondere ziehende, sind
prinzipiell in der Lage, Pathogene sehr schnell und
weiträumig auszubreiten (Hosseini et al. 2006). Zum
Teil können sie nicht nur die Erreger selbst, sondern
auch die Vektoren über weite Distanzen verfrachten.
Häufig erzeugt erst der Mensch durch Massentierhal­
tung hochpathogene Stämme (HPAI, Mycoplasma gallisepticum) oder führt unbewusst Pathogene, Vektoren
oder Wirte in Regionen ein, in denen sie ursprünglich
nicht vorkamen und deshalb keine Möglichkeit für eine
gemeinsame Ko-Evolution hatten. Auf Grund klima­
tischer Veränderungen werden sich in den kommenden
Jahren geographische Vorkommen und Wanderwege
vieler Wirtsvogelarten weiter verändern, Vektoren und
Pathogene werden ebenso mit Arealveränderungen re­
agieren, was insgesamt neue Kontaktzonen von poten­
ziellen Wirten und Zoonosen nach sich zieht. So ist die
Ausbreitung von Erregern in bisher natürlicherweise
pathogenarme Regionen (z.B. arktische Tundra) mög­
lich, mit möglicherweise fatalen Auswirkungen.
Zugvögel könnten also in seltenen Ausnahmefäl­
len eine Rolle bei der Verbreitung humanpathogener
Infektionskrankheiten spielen. Ihre wirkliche Rolle ist
derzeit nicht bekannt und sehr spekulativ und sollte
deshalb stärker untersucht werden. Ihre Rolle dürfte
aber insgesamt gesehen recht gering sein, auch, weil
viele tropische Zugvögel in trockenen Lebensräumen
überwintern mit geringem Pathogenvorkommen. Als
viel bedeutsamer für die rasche Verbreitung von Pa­
thogenen wird die Globalisierung gesehen (Smith et al.
2007), die ehemals regional vorkommende Pathogene
heute in rasanter Geschwindigkeit weltweit verbreitet
(vgl. Japanische Buschmücke Hulecoeteomyia japonica; Werner et al. 2012, oder Asiatische Tigermücke Stegomyia albopicta; Scholte & Schaffner 2007, Krüger
2008 (s. auch Kap. 3.2.4 - Krüger - in diesem Band),
die sich dann in Folge des Klimawandels auch in Regi­
onen etablieren können, in denen sie bisher klimatisch
bedingt nicht vorkamen (Caminade et al. 2012).
Dank: Wir bedanken uns bei Wolfgang Fiedler und
Ommo Hüppop für Kommentare zu Teilen einer
früheren Version des Manuskripts.
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franz.bairlein@ifv-vogelwarte.de
Dr. Benjamin Metzger
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