Mehrkampfdisziplin - Saarländischer Rundfunk

Transcription

Mehrkampfdisziplin - Saarländischer Rundfunk
rlaub ist eine Mehrkampfdisziplin mit den
Nachbarn“ hat Charles Aznavour angeblich einmal gesagt. Einer dieser Kämpfe ist das
Angeben mit dem exotischsten Urlaubsziel,
ein anderer mit dem tollsten Urlaubserlebnis.
Vielleicht können sich deshalb so wenige
Menschen vorstellen, in der eigenen Heimat
Urlaub zu machen. Dabei könnte man hier
die Nachbarn sehr wohl in ungläubiges Staunen versetzen, wenn man ihnen von Urlaubserlebnissen aus dieser Region berichten
U
tüchern der Queen handelt die diesjährige
Tour de Kultur aber auch. Also Stoff zum Angeben und Erleben gibt’s genug hier im SaarLor-Luxraum. Stoff, den die Reporter von SR3
Saarlandwelle für Sie zusammengetragen haben. Als Service für die Hörer haben sie ausgekundschaftet, probegegessen, testgewandert.
Die Ergebnisse sind dank der Unterstützung
des Saarländischen Wirtschaftsministeriums
und der Saartoto GmbH in dieser Broschüre
zusammengefasst. Eine Broschüre, die es jetzt
Mehrkampfdisziplin
wollte. Wenn man ihnen erzählte, dass man
18m über dem Boden durch Baumkronen
spaziert ist, auf dem Baumwipfelpfad im
Dahner Felsenland, wenn man ihnen von
merkwürdigen Tieren berichtete, die 32 000
Zähne haben und auf einer Schneckenfarm in
Molring für den Kochtopf gezüchtet werden.
Man könnte aber auch von Schmugglern erzählen, auf deren Spuren man mit dem Esel
durch das Umland von Berus geritten ist.
Vielleicht ist Ihr Nachbar aber noch mehr von
einem lothringischen Rentner beeindruckt,
der eine Eingebung hatte und jetzt im Steinbruch von Jaumont Engel aus Stein schafft,
die so kunstvoll sind, dass man ihrem Schöpfer ein Museum widmet. Von Einsiedlern in
Felsenwohnungen, von einer barocken Gräfin
als Fremdenführerin, einer Riech- und
Schmeckstation im Wald oder den Tisch-
zum 15. Mal gibt, weil sie immer schon nachgefragt wird, lange bevor wir unsere Sendereihe
Tour de Kultur in der Ferienzeit wieder auf SR3
Saarlandwelle starten.
Und am Ende gibt’s dann noch die Bustour de
Kultur, in diesem Jahr ins St. Wendeler Land.
Und wenn Sie glauben, dass Sie das schon kennen, dann werden Sie sich wundern. Z.B die
Kapelle, in der immer Musik ist, weil sie eine
gebaute Windharfe ist und..., aber das verraten
wir Ihnen dann nach den Ferien im Bus. Damit Sie Ihrem Nachbarn, wenn er Sie wieder
einmal mit seinem Mallorcaurlaub langweilt,
den Rest geben können.
Gute Fahrt mit SR3!
Stefan Miller
0
eu
se
Thionville
Villerupt
Esch s.A.
25
Neufchâteau
Toul
Commercy
St. Mihiel
50 km
Vittel
Lunéville
Remiremont
Épinal
Sarrebourg
Gérardmer
St-Dié
Le Thillot
La Bresse
Strasbourg
Neuwiller
Mulhouse
Ribeauvillé 27
MoyenmoutiersSenones
Vagney
Rambervillers
Froville
Nancy
21
Bitche
Basel
Freiburg
16
24
Kaiserslautern
Harskirchen
Sarreguemines
Saarbrücken
26 Molring
St Avold
Pange
Faulquemont
Metz
Pont-à-Mousson
2
Windesheim
Birkenfeld
KirchheimBolanden
Nonnweiler
8
Saarburg
Türkismühle 11 18 Otzenhausen
St. Wendel 13 Oberkirchen
Mettlach
Scheiden
30 23 Fürth
29
31 Rodemack
Ottweiler 22
Merzig
Landstuhl
14
Lebach
Breitenbach 28
Neunkirchen
Dillingen
Homburg
Berus 17 Saarlouis
St-Ingbert Zweibrücken
Walsheim
Veckring
Völklingen
1
6 Bliesmengen-Bolchen
4
Forbach
Dahn 25
Eschviller
Creutzwald
Mirecourt
Scy-Chazelles 12
15
in
7
Rh
e
Koblenz
Idar-Oberstein
20 Morbach
Enkirch
Traben-Trarbach
Bernkastel-Kues
l
Mose
Bonn
Köln
Hermeskeil
Daun
Wittlich
Trier
Oberbillig
Sauer
Bitburg
Gerolstein
ar
M
Verdun
Ettelbrück
Luxembourg
Colpach
Wiltz
Hüttingen
5
Prüm
Sûre
St. Vith
Winseler
Moutiers 3
Arlon
Longwy
Virton
Marville 10
Montmédy 19
Avioth 9
Mouzon
Centre
Ardenne
Bastogne
Marche en
Famenne
Liège
Sa
Karl
Dar
Fran
Das andere Museum
1
„Mäh-Robic“ auf der grünen Wiese
Bernhard Lehnert aus Walsheim ist Sensenmann
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Antoine und sein Schutzengel
oder die Entstehung eines aussergewöhnlichen Museums bei Metz
43
Anke Schaefer-Schwarz
8
13
Wolfgang Felk
2
Eine Lothringer Distel für Europa
Besuch im Robert Schuman Haus in Scy-Chazelles
Mal so richtig von den Socken sein
Der Barfußweg in Oberkirchen
48
Ulli Wagner
10
Philippe Fouché
3
Der Poet des Eisens
Die Skulpturen des Amilcar Zannoni in Moutiers
12
Philippe Fouché
4
Wo die Maginot-Linie am stärksten war
Die Festungsanlage Hackenberg zwischen Mosel- und Niedtal
14
14
Die heißeste Frau von Hüttingen...
...heizt das Ofen- und Eisenmuseum
15
17
Wer schön sein will...
Das Friseurmuseum im Haus der Dorfgeschichte von Bliesmengen-Bolchen
16
21
Gott zu Ehren, dem Menschen zu Genuss
Das Orgel ART Museum in Windesheim
Schnippchen auf dem Bockfelsen
Dr. Robert Schuman Rundgang in Luxemburg
55
Der Teufel, der Schuh und das Maß des Überhanges
Neue alte Geschichten rund um's Straßburger Münster
58
Anke Schaefer-Schwarz
Sonja Schäfer
7
52
Anke Schaefer-Schwarz
Sabine Janowitz
6
Am Glan-Bliesweg schnaubte das Dampfross...
...heute quietschen hier die Drahtesel
Gabor Filipp
Silvia Hudalla
5
En route
17
24
Eine Luxusreise für den Kopf
Mit drei Eseln über alte Schmugglerpfade bei Berus
62
Sven Rech
Ulli Wagner
Zeitreise
Kirchengeschichten
18
8
„Ihr wollt wohl eine Kathedrale bauen!“
Der „Hochwald-Dom“ in Nonnweiler - und sein „Schlüssel-Erlebnis“
30
Schaurig-schön
Die gotische Basilika von Avioth
19
33
Wie bei Kommissar Maigret
Die spröde Schönheit von Marville
Fragen Sie nach dem Haus des Majors
Montmédy - Trutzburg gegen Frankreich
20
36
Römische Hochkultur im Hunsrück
Der Archäologiepark Belginum bei Morbach
21
Der Einsiedler
Alleinsein im Krummen Elsaß
Sven Rech
Natürlich Kultur
„Quält Migräne Dich, so wisse, manchmal hilft da auch Melisse!“
In Dr. Potempas Heilkräutergarten in Türkismühle wachsen Kräuter gegen fast jedes Leid
Wolfgang Felk
74
Michael Lentes
Lisa Huth
11
69
Lisa Huth
Lisa Huth
10
66
Stephan Deppen
Wolfgang Felk
9
Kelten sind in
Der Ringwall bei Otzenhausen
40
77
Kultur für Kids
22
Spaziergang mit der Gräfin
Eine historische Stadtführung durch die alte Residenzstadt Ottweiler
82
Sabine Ertz
23
Naschkatzen bei der Riech- und Schmeckstation
Der Waldsinnespfad zwischen Fürth und Steinbach
86
Sabine Ertz
24
Die „Gross' Stub und die Klein' Stub
Das Bauernhofmuseum Outre-Forêt in den Nordvogesen
88
Silvia Hudalla
25
Wipfeltreffen
Ein Spaziergang durch die Baumkronen bei Dahn
90
Silvia Hudalla
26
32.000 Zähne und ein Haus
Die Schneckenzucht in Molring
92
Natalie Weber
Industriekultur
27
Tischtücher für die Queen
Die Stoffmanufaktur von Ribeauvillé
96
Sabine Janowitz
28
Als die Glankuh noch ein treuer Begleiter war
Das Bergmannsbauernmuseum in Breitenbach/Pfalz
100
Michael Lentes
29
Zeitreise durch den Geschirrschrank...
Das Keramikmuseum Mettlach
102
Ulli Wagner
Denkma(h)lzeiten
30
Vom Zankapfel zum Schmuckkästlein
Das Hotel Angel in Sankt Wendel
108
Michael Lentes
31
Chez Gracieuse
Das „kleine Schloß“ von Rodemack
Philippe Fouché
6
Autoren: Stephan Deppen, Sabine Ertz, Wolfgang Felk, Gabor Filipp, Philippe Fouché, Silvia Hudalla, Lisa Huth, Sabine Janowitz,
Michael Lentes, Stefan Miller, Sven Rech, Sonja Schäfer, Anke Schaefer-Schwarz, Ulli Wagner, Natalie Weber
Redaktion: Stefan Miller Gestaltung: Johanna Krimmel
© Saarländischer Rundfunk 2003
Copyright: Die Manuskripte sind urheberrechtlich geschützt. Sie dürfen ohne Genehmigung nicht verwertet,
insbesondere dürfen sie weder ganz noch teilweise oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden.
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Das andere Museum
s ist schönes Wetter, Wochenende oder ein
lauer Sommerabend. Der/die Saarländer/In
rumort in Feinripp und Jogginghose bzw. Leggins und Kittelschürz‘ geschäftig in den Rabatten hinterm Haus. Grillen zirpen, Vögel zwitschern und Insekten brummen. Doch nicht
lange, da fängt ein Rasenmäher an zu rattern,
begleitet von einer Kreissäge hier und einem
Schwingschleifer dort. Knaubers kleine Nachtmusik, die kaum noch Raum läßt für subtilere
Arbeitsgeräusche.
E
Schneise im Wiesenteppich entstanden ist.
Diese Kunst lehrt er nicht nur hinterm eigenen
Haus. Er kommt auf Wunsch und Bestellung
(und gegen Honorar natürlich) auch zu „Mährobic“-Kursen ins ganze Saarland. Zu Kunden,
die unwegsame oder abschüssige Grundstücke
haben. Zu solchen, die ihre Wiesenblumen erst
mal in voller Pracht erleben wollen, bevor sie
mähen. Und zu solchen, die schlicht keine Motorrasenmähmonster mögen. Gerne kommt er
auch zu Vorführungen bei Dorffesten, Bauern-
„Mäh-Robic“ auf der grünen Wiese
1
Bernhard Lehnert aus Walsheim ist Sensenmann
Zum Beispiel für das rhythmische „RitschRatsch“ eines Sensenblattes, das am Wetzstein geschärft wird. Oder das metallische
Klopfen, wenn die ganz abgestumpfte Sense
gedengelt wird. Bei Bernhard Lehnert hinterm Haus in Gersheim-Walsheim gehören
diese Geräusche zum täglichen guten Ton.
Lehnert ist nämlich eine Art „Sensenmann“.
Einer, der alte Sensen sammelt und in einem
kleinen Museum im ehemaligen Schweinestall ausstellt. Der aber auch neue Sensen
samt Zubehör verkauft und – noch wichtiger
– die Käufer auf Wunsch in die Kunst des
richtigen Sensenschwungs einführt.
„Die Technik des Sensens ist nicht allzu
schwer“, so doziert er auf einem Stück saftiger Wiese hinter seinem Haus, „doch die
meisten machen den Fehler, die Sense wie einen Golfschläger schräg von oben herab auf
den Boden zu führen, und da bleibt sie dann
meistens mit der Spitze hängen. Die Kunst
besteht darin, die Sense mit kräftigem, aber
lockerem Schwung aus der Hüfte heraus direkt über den Boden gleiten zu lassen.“
Spricht’s und läßt die Sense elegant und energisch zugleich durch das hohe, feuchte Gras
zischen, bis eine breite, exakt getrimmte
8
märkten oder Naturschutztagen. Meistens mit
einer Begleit-Kollektion aus seinem kleinen
Museum: historische Sensen aus verschiedenen
Ländern mit kunstvollen Etiketten und Verzierungen, altes Zubehör wie Wetzsteinbecher
und Dengeleisen.
Mit im Gepäck auch sein kleines Bändchen
„Naturerlebnis Mähen mit der Sense“. Darin
entpuppt sich der praktische „Sensenmann“
als richtiger „Sensologe“, der sich auch in der
Kulturgeschichte der Sense auskennt. So schildert Lehnert, wie schon unsere Vorfahren in
der Steinzeit zunächst Erntemesser aus Tierknochen, später sichelförmige Geräte herstellten und benutzten. Der Einsatz von Bronze
brachte eine weitere Verbesserung und die
Hau-Sense der Kelten ermöglichte allmählich
eine etwas mühelosere Heuernte.
Die erste „moderne“ Sense mit langem Stil,
die das mühsame Bücken überflüssig machte,
tauchte etwa 200 Jahre vor Christi Geburt auf.
Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte immer
weiter verfeinert und sorgte im Mittelalter für
eine kleine ökonomische Revolution: Die
Bauern konnten dank des „flinken“ Erntehelfers nun größere Flächen anbauen und auch
größere Städte zentral mit Getreide versorgen.
Auch entstanden damals in unseren Breiten
jene ausgedehnten Graslandschaften, die ein
ganz neues Landschaftsbild schufen, vor allem
aber die wirtschaftlichen Grundlagen für die
Viehzucht legten und damit einen weiteren
„Quantensprung“ in Sachen Ernährung darstellten.
Wie so viele andere wurde auch diese segensreiche Erfindung zuweilen zweckentfremdet:
in Kriegszeiten wurde sie zur „Kampfsense“
umgeschmiedet. Leonardo da Vinci entwarf
um 1500 sogar einen Sichel- oder Sensenwagen mit sich drehenden Metallblättern, der
bestimmt einiges Unheil anrichten konnte.
In dieser Zeit mutierte auch in der Mytholo-
gie die scharfe Sense zum Werkzeug des
„Schnitters namens Tod“ (auch Sensenmann
genannt), der uns Irdische einfach ummäht
auf dem Lebensacker, wenn unser letztes
Stündlein gekommen ist. „Mähen und Ernten“, so sagt Bernhard Lehnert, „sind Tätigkeiten, die mit den Jahreszeiten verbunden
sind und dem Blühen und Vergehen des Menschen entsprechen.“
Ein wahrhaft weiter Bogen, den er da spannt
mit seiner Sense vom flotten Mäh-robicWerkzeug bis zum düsteren Symbol des Todes. Und wenn er dann da oben auf den Hügeln über Gersheim steht und im Gegenlicht
der untergehenden Sonne als schwarzer Schattenriss einsam die Sense kreisen läßt, dann hat
das auch schon was, das einen ein bisschen
schaudern läßt...
Wolfgang Felk
Kontakt
Bernhard Lehnert
Allmendweg 54
66453 Gersheim-Walsheim
Tel: 0 68 43 - 85 93
Öffnungszeiten
Dienstag und Freitag
15-18.30 Uhr
nach telefonischer
Vereinbarung
Anfahrtsweg
Von Gersheim über die Landstraße nach Walsheim.
Dort kurz hinter dem Ortsseingang rechts abbiegen
in den Allmendweg
9
finanziert von Robert Vaglio, dem Chef des
Unternehmens. Er stellt eine 2500 Quadratmeter große Werkshalle zur Verfügung. Wie es
zu dieser Museumsgründung kam, ist fast ein
kleines Wunder. Der Betreiber des Steinbruchs, Robert Vaglio, finanziert die Gründung des Museums und stellt den Ort zur Verfügung: Eine 2500 m2 grosse Werkshalle.
Der Künstler Antoine Dyduch hatte den Beruf der Bildhauerkunst nie erlernt. Er ist eigentlich Grundschullehrer. Aber vor 20 Jah-
Antoine und sein Schutzengel
2
oder die Entstehung eines aussergewöhnlichen Museums bei Metz
in Museum entsteht auf dem Gelände des
Steinbruchs in Malancourt-la-Montagne
bei Metz. Die Geschichte dieses Museums ist
die einer Begegnung zwischen einem aussergewöhnlichen Künstler, Antoine Dyduch und
seinem Mäzen, Robert Vaglio.
Die „Carrière de Jaumont“ ist wahrscheinlich
der älteste Steinbruch Frankreichs. Er ist seit
2000 Jahren ohne Unterbrechung in Betrieb.
Den Jaumontstein nennt man auch „Sonnenstein“ aufgrund seiner sonnengelben Farbe,
die ihm das Eisenoxyd verleiht. Die meisten
Gebäude in Metz, darunter die Kathedrale,
sind aus diesem Jaumontstein erbaut worden.
Jetzt entsteht in dem Steinbruch ein Museum,
E
10
ren begann er, Steine zu behauen und er beherrschte das Handwerk auf Anhieb. Der
Künstler ist überzeugt davon, daß nicht er
selbst, sondern übernatürliche Kräfte seine
Hand, seinen Meißel führen. Er hat keine andere Erklärung für seine Begabung.
Seine Inspiration verdankt Antoine einer tragischen Erfahrung. Nach dem Verlust eines
ihm nahestehenden Menschen, verließ ihn jeder Lebensmut. In dieser Situation beschloß
er, sein Leben Gott zu weihen. Seitdem hat er
nur noch ein Ziel vor Augen: Eine Art Gotteshaus zu erbauen. Antoine Dyduch nimmt
für seine Arbeit grundsätzlich kein Geld an.
Im Laufe der Jahre wurde dem Betreiber des
Steinbruchs bewußt, daß in Antoine Dyduch
ein aussergewöhnliches Talent steckt. So beschloss er, dem Künstler kostenlos jeden Stein
zur Verfügung zu stellen, den er sich nur
wünschte. Da das von ihm ausgesuchte Material tonnenschwer war, wurde Antoine Dyduch erlaubt, in einem Atelier auf dem Steinbruchsgelände selbst zu arbeiten. Jetzt hat ihm
Robert Vaglio sogar eine Wohnung mit integriertem Atelier eingerichtet, damit der
Künstler, der seit einem Jahr in Rente ist, Tag
und Nacht seiner Leidenschaft nachgehen
kann: dem berühmten Jaumontstein Form zu
verleihen. Jeden Tag arbeitet Antoin Dyduch
nun 10-14 Stunden an seinen Steinen.
Überdimensional grosse Engel, Reliefs, Tympana, Statuen und Säulen, die der Grundschullehrer in nächte- und jahrelanger Arbeit eigenhändig in Stein gemeißelt hatte, stehen hier als
Zeugen seiner überbordenen Schaffenskraft.
Und dauernd kommen neue Werke dazu.
So wird aus der Riesenindustriehalle langsam
ein Kunstmuseum. Ein ungewöhnlicher Ort
für eine solche Sammlung. Die Halle ist für
den industriellen Bedarf konzipiert und bedarf noch einer ansprechenden Austattung.
Der Innenraum soll so verkleidet werden, damit Skulpturen und Reliefs besser zur Geltung kommen. Dies bedeutet für den Besitzer
eine zusätzliche Investition, aber sie lohnt
sich. Der Anblick der monumentalen Werke
von Antoine Dyduch wird für jeden Besucher
zu einem Erlebnis.
Antoine Dyduch sieht in dem Projekt die Verwirklichung seines Lebenszieles. Für ihn ist das
Museum mehr als nur eine Kunstsammlung.
Er betrachtet es als sein „kleines Heiligtum“.
Mittlerweile ist Antoine Dyduch Antoine
zum „Hauskünstler“ der Carrières de Jaumont
gekürt worden. Der Besitzer, Robert Vaglio,
hat die Rolle des Schutzengels übernommen
und Claude Maillan, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, führt die Besucher durch
das Museum, ein himmlisches Erlebnis.
Philippe Fouché
Kontakt
Claude Maillan
Carrières Vaglio Saint Hubert
57360 Malancourt-la-Montagne
Société Vaglio
Tel: 03 87 53 51 00
Claude Maillan
Tel: 03 87 53 50 41
www.pierre-de-jaumont.fr/cadre.htm
Pers. Homepage mit Fotos von dem Museum:
guymarie.caiveau.free.fr/index3.html
Öffnungszeiten
Nach Vereinbarung
Anfahrtsweg
Autobahn A4 Richtung Paris Ausfahrt Richtung
Rombas N 54. Nach etwa 3 km in Pierrevillers nach
links. Durch das Dorf geradeaus in Richtung
Roncourt fahren. Nach 4 km auf der linken Seite:
Carrières de Jaumont
11
Filigrane Körper strecken sich zum Himmel.
Sieben anmutige Gestalten aus Eisen in
menschlicher Größe scheinen mit ihren ausgestreckten Armen den Kontakt zu den Passanten
zu suchen. Mal verträumt, mal hilfesuchend,
mal verzweifelt oder voller Lebensmut. Beim
Überqueren des Platzes wird der Blick von den
grazilen Figuren magisch angezogen.
Kunst am Bau? Nein, stilles Tanztheater auf
der Strasse. Poesie im Alltag der 7000 Seelenstadt Commercy.
Der Poet des Eisens
3
Die Skulpturen des Amilcar Zannoni in Moutiers
P
lace des Chanoines“ in Commercy. Ein
kleiner Platz in einer kleinen lothringischen
Stadt am linken Maasufer. Vorne der Bäcker,
rechts die Kneipe. Eine Mutter schiebt den
Kinderwagen, ein Lieferwagen fährt um die
Ecke. Auf dem „Place des Chanoines“ ist die
Welt in Ordnung.
Der Ort wirkt unauffällig aber einzigartig
wohltuend. Eine seltsame Leichtigkeit umgibt
Menschen und Fassaden. Woran liegt es? Am
Duft der im Bäckerladen frischgebackenen
goldfarbenen „Madeleines“, der bekannten
Spezialität der Stadt? Am Plätschern des Brunnens? Ja, der Brunnen ist es, der dem Ort den
eigenen Zauber verleiht.
12
Auf dem Sockel des Brunnens, eine Tafel:
Amilcar Zannoni. „ Tag des Zorns – Tag der
Hoffnung“. Darin kann sich jeder wiedererkennen.
Der Tag, an dem ich den „Place des Chanoines“ in Commercy endeckte, war für mich der
Beginn einer neuen Freundschaft.
Amilcar Zannoni, ein Name, der nicht gerade
häufig in Lothringen zu finden ist. Um mehr
über den Künstler zu erfahren, habe ich im Internet recherchiert.
„Amilcar Zannoni, 1923 in Italien geboren,
in Lothringen aufgewachsen. 30 Jahre lang
als Bergarbeiter in den Eisengruben tätig.
Wegen schwerer Berufskrankheit frühpensioniert. Entdeckte die Kunst der Eisenschmiede bei einem Kuraufenthalt in SüdFrankreich. Autodidakt. Zanonni verarbeitet
für seine Kunst nur Schrottteile und hat bereits Hunderte von Skulpturen angefertigt.
Die meisten wurden von Gemeinden erworben und stehen heute vor öffentlichen Gebäuden oder an Straßenrändern in Frankreich und in Italien. Zannoni ist in Frankreich als der „Poet des Eisens“ bekannt. Sein
vollständiger Name: AMILCAR NAPOLEON ZANNONI !“
Napoléon? Mit einem Lächeln auf den Lippen
greife ich zum Hörer:
„Allô, Napoléon? Ici, Fouché.“ Ein Treffen
war schnell verabredet.
Erste Begegnung mit dem Künstler in seinem
bescheidenen Bergmannshaus: Heller Blick,
weißes Haar, markantes Gesicht: Eine Erscheinung wie aus einem Film von Marcel Carné
oder Jean Cocteau. Amilcar kann nur flüstern,
da ihm die Bergmannskrankheit die Stimme
geraubt hat. Umso mehr sprechen die Augen.
„Kunst gehört auf die Strasse, nicht in Museen. Die Objekte gehören demjenigen, der
ihnen auf dem Weg zur Bäckerei oder bei der
täglichen Autofahrt zur Arbeit begegnet, wo
sie ihn zum Nachdenken anregen.
… Meine Skulpturen gehören mir nur in der
Zeit ihrer Entstehung …
… Was im Leben zählt ist Solidarität, Poesie
und Mitgefühl, und ich bin mir sicher: wenn
jeder mit mir diese Grundsätze teilen würde,
gäbe es keinen Krieg mehr.»
Die Einladung zum Mittagessen nehme ich
gerne an. Nach dem Kaffee führt uns ein Spaziergang zu seinem Atelier und zu der „Donation Zannoni“, der „Schenkung Zannoni“.
Amilcar verkauft seine Kunstwerke nicht, er
schenkt sie der Gemeinde Moutiers. Die Gemeinde stellt in einem großen Saal die Skulp-
turen Zannonis aus. Sie darf einige der Objekte an öffentliche Körperschaften verkaufen.
Von dem Ertrag wird der Bau von Sozialeinrichtungen finanziert. Die „Donation Zannoni“ kann nach telefonischer Absprache mit
der „Mairie“ besichtigt werden.
Der Spaziergang durch das Dorf zum Atelier
hat meinen Tagesplan durcheinandergebracht.
Für den nur etwa 500 Meter langen Weg haben
wir über eine Stunde gebraucht. Kaum unterwegs wurde Amilcar von allen Seiten von
Nachbarn oder ehemaligen Kollegen begrüßt.
Mit den vielen Begegnungen hatte ich nicht gerechnet, den vielen netten Gesprächen, den vielen Freunden von Amilcar.
Philippe Fouché
Kontakt
Donation Zannoni in Moutiers
Place des Chanoines in Commercy
Tel: 03 82 46 08 76
Anfahrtsweg
In Saarbrücken Richtung Pont-à Mousson Autobahn
oder Landstrasse. Pont-à- Mousson-Commercy auf
der D 958 Autobahn A 4 Richtung Paris. Ausfahrt
Briey-Auboué- Sainte-Marie aux Chênes. Auboué
durchfahren. Richtung Briey. Moutiers liegt zwischen
Auboué, Homécourt und Briey
13
Wo die Maginot-Linie am stärksten war
4
Die Festungsanlage Hackenberg zwischen Mosel- und Niedtal
ch, jetzt kennen wir uns so lange, denk ich,
nach all der Zeit sind sie leider verrückt
geworden. Peter und Corinna holen mich ab
zum jährlichen Ausflug (krieg' ich seit vielen
Jahren zum Geburtstag, das Ziel ist die Überraschung). Ein himmelblauer Himmel wölbt
sich über uns, eine güldene Sonne steht königinnengleich über dem Königsfeld in Güdingen und die beiden stehen da: dicke Socken
sind zu sehen in sozusagen „Schaffschuhen“,
Anorak. „Silvi“, sagt Peter, „ich glaub nicht,
dass du richtig angezogen bist. Wir fahren zur
Maginot - Linie in eine Militäranlage. Du
glaubst gar nicht, wie kalt es da selbst im
Hochsommer ist.“ Später werd ich, still vor
mich hinfrierend, daran denken.
Nach der Fahrt durch eine liebliche Landschaft, entlang der Grenze, erreichen wir über
Thionville Hackenberg. Es soll die größte Befestigungsanlage der Maginotlinie sein. Wie
mickrig mögen dann wohl die anderen sein?
Besonders beeindruckend finde ich das nun
nicht, wie sich der Eingang präsentiert. Und
dann kommt zur leisen Enttäuschung auch
noch ein Schreck hinzu.10 Kilometer gehen
die Gänge mit all ihren Verästelungen in den
Berg hinein, erklärt uns der Führer. Zur Kälte
A
14
werden dann auch noch Blasen an den Füßen
kommen. Monsieur Dupont, das wird im
Laufe der zweistündigen Führung deutlich,
hat viel Sinn für Dramaturgie. Kurz nachdem
er von den Ausmaßen der Anlage gesprochen
hat, rumpelt und knirscht es unheimlich in einem der Gänge und eine Schmalspurbahn
kommt angeschnauft. Monsieur lächelt verschmitzt, als vernehmlich ein Seufzen der Erleichterung rundherum zu hören ist. Zu laufen haben wir dann immer noch genug. Später werden wir sogar noch eine schier endlos
scheinende Wendeltreppe erklimmen müssen,
um wieder ans Tageslicht zurückzukehren.
Keine Angst, für Leute, die nicht so gut zu Fuß
sind, gibt es den Lastenaufzug. Zunächst mal
aber heißt es: Bitte Platz nehmen.
Einer der prominentesten Gäste, der auch in
diesem Zug gesessen hat, ist sicherlich der
englische König gewesen. Ob Georg VI auch
so beeindruckt gewesen ist, wie wir es im Verlauf der Führung dann sind? Seine Majestät
hat das Fort am 9. Dezember 1939 besucht.
Ein anderer VIP der mit dem Bähnlein, das eigentlich dafür da war, Munition zu transportieren, durch die feuchten Gänge getuckert ist,
war Sir Winston Churchill und ein leibhafti-
ger Sultan, Mohammed V Ben Youssef. Das ist
belegt in einem „Gästebuch“. Verloren geglaubt für immer, ist es vor nicht allzu langer
Zeit wiedergefunden worden.
Eigentlich waren es zwei Forts, aus denen
Hackenberg bestanden hat, verbunden durch
einen Tunnel, mit etwas mehr als einem Kilometer Länge. Insgesamt gab es 17 Kampfblöcke, ausgerüstet mit Artillerie, Mörsern
und Maschinengewehren. Es war das „Heim“
für 1040 Soldaten und 43 Offiziere aller Waffengattungen.
Angefangen hatte alles 1922, nein, eigentlich
mit dem 1. Weltkrieg. Das Grauen des Krieges 1914/18 war tief in das Gedächtnis der
Menschen eingebrannt und so beschloss die
französische Regierung Anfang der zwanziger
Jahre nach Wegen zu suchen, die es für immer
ausschließen würden, jemals wieder vom
Nachbarn Deutschland überfallen zu werden.
Ein Komitee wurde gegründet und nach jahrelangen Beratungen stand fest: Die „Grande
Nation“ baut einen Befestigungsgürtel, der
sich von Menton über die Alpen, dann durchs
Elsass über Lothringen hinauf bis zur belgischen Grenze erstrecken soll. Der nach dem es
dann benannt wurde, André Maginot, hatte in
all den Jahren der Vorbereitung, gemeinsam
mit dem damaligen Kriegsminister Paul Painlevé immer aus politischen, ökonomischen
und diplomatischen Gründen auf eine defensive Variante gedrängt: Wie ein Wellenbrecher
sollten sich die Festungen der Maginotlinie
möglichen Angriffen der Deutschen entgegenstemmen. 1930 wurde der Bau des perfektesten Festungssytems, das Frankreich jemals
realisiert hat, begonnen. Zugleich ein Werk
militärischer Baukunst, das seinesgleichen
sucht. Die Grenze war in 25 Sektoren eingeteilt, sie hatten unterschiedlich starke Befestigungsanlagen, der deutsch-luxemburgische
Teil war der stärkste, darunter Hackenberg.
Gebaut haben es überwiegend Ausländer: Italiener, Polen, Jugoslawen.
Eine Million 600 000 Quadratmeter dehnen
sich die Kasematten und Versorgungsräume
unter Wald und Gestrüpp in der Nähe von
Veckring aus. Unter anderem 9 Kanonen, 5
Haubitzen, 4 Mörser unter versenkbaren
Kuppeln, 32 Mörser unter Panzerkuppeln, 27
Maschinengewehre und 128 Granatwerfer
konnten in einer Minute 4 Tonnen Munition
15
abfeuern. Nachschub kam aus dem Munitionsdepot, das heute den Eingang zu dieser
Anlage bildet.
Wollten Sie immer schon mal ein Kraftwerk
der 30er Jahre sehen, voilá, Hackenberg kann
auch das bieten. Ohrenbetäubender Lärm
empfängt uns, als wir um eine Ecke biegen.
Einer der Originalgeneratoren ist am Arbeiten. Ähnlich ohrenbetäubend muss es in den
Schlafräumen der Mannschaft nachts zugegangen sein. Bei der Akustik, die hier herrscht,
ist wohl jeder Kamerad, der nicht schnarchte,
ein Gottesgeschenk gewesen.
Apropos, Kameradschaft muss groß geschrieben worden sein. Auch wenn die beschriebenen Ausmaße gigantisch erscheinen, für das
tägliche Leben war der geringste Raum vorgesehen. Die Pritschen in den Unterkünften waren sicherlich nicht für Männer mit Gardemaß gedacht. Diese Kaserne ist erst an letzter
Stelle gebaut worden. Viel kleiner als ursprünglich gedacht. 25 Unterkünfte sollten es
sein, 9 wurden es dann nur, weil Kredite ausblieben. Und dann ist auch noch die Besatzung um 50 Prozent stärker ausgefallen als ge16
plant. Drei Monate konnten die Männer
ohne Nachschub von außen in der „Unterwelt“ verbringen. Nicht mal Zahnschmerzen
sollten sie daran hindern. Eine furchterregend
aussehende Zahnarztpraxis gehört auch zur
Einrichtung.
Nach dem Besuch des Lazaretts erreichen wir
nach über einer Meile Block 9. Ein Gewehrturm mit zwei 135 mm Geschützen hebt,
senkt und dreht sich, wie geschmiert, so als ob
alles gerade erst installiert worden wäre. Daneben steht eine 135 mm Howitzer.
Luft, Licht und Sonne erwarten uns oberhalb
besagter Wendeltreppe. Der Blick übers Land
ist atemberaubend. In der Ferne schimmern
die Kuppeln von Cattenom. Ich ernte Protest
von meinen Freunden, als ich murmle, dass
ich einfach nichts bedrohliches daran finden
kann. Mehr Gänsehaut hat mir „dieses
Hauptwerk militärischer Baukunst“ bereitet.
Seiner Faszination aber konnte ich mich dennoch nicht entziehen.
Silvia Hudalla
Kontakt
Amifort Veckring
57920 Veckring
Tel: 0 03 33 - 82 82 30 08 – nur dienstags und
freitags zwischen 17.00 und 18.30 Uhr besetzt
Öffnungszeiten
Samstag und Sonntag von 14.00 bis 15.30 Uhr,
Führung in deutscher Sprache um 14.30 Uhr für einzelne Touristen, jeden Tag für Gruppen von mehr als
25 Erwachsenen oder 40 Schüler nach Voranmeldung
Anfahrtsweg
Hackenberg liegt oberhalb des Dorfes Veckring an
der D 60, etwa 15 km von Thionville oder 30 km
nordöstlich von Metz.
heo Lukas hat ’ne Farm und eine stattliche
Anzahl Rinder. Er wirkt ganz friedlich, aber
das mag täuschen. Denn manchmal muss er
sich abreagieren. Wenn das über ihn kommt,
sagt er, dann geht er in die Werkstatt und
nimmt sich ein besonders restaurierungsbedürftiges Stück vor, einen heruntergekommenen Ofen oder eine Takenplatte, auf der kein
Gusseisen mehr durch den Rost schimmert.
Theo Lukas heißt in der ganzen Gegend nur
Ofen-Lukas, denn gusseiserne Öfen bestim-
T
Tage dauert es allein, den alten Mörtel abzuklopfen, bevor der Boden verlegt werden
kann. Diese Ecke des Speichers wird zur
Stube mit vielen Nähmaschinen und allem,
was sonst noch so dazu gehört. Zum Beispiel
ein anscheinend uraltes Eisen, mit dem die
Eigentümerin des Holzfußbodens bis zu
ihrem Tod letztes Jahr noch gebügelt hat. Brigitte Lukas möchte in einer etwas dunklen
Ecke eine historische Lampe anbringen?
Theo entdeckt in seinem Kopfverzeichnis ein
Die heißeste Frau von Hüttingen...
5
...heizt das Ofen- und Eisenmuseum
men sein Leben. Schon seit über 20 Jahren
sammelt er alles, was ihm interessant scheint,
viel Kleinzeug, das niemand haben will, und
mit dem er erst mal gar nichts anfangen kann.
Heute kommt es ihm zugute, irgendwie kriegt
er jeden Ofen, jede Maschine, jeden Herd,
den er auf Flohmärkten oder in alten Häusern
findet, mit alten Teilen restauriert. In seinem
Kopf ist das Verzeichnis, was er wo aufbewahrt; niemand außer ihm würde sich in
Werkstatt und Lager zurecht finden.
Um die 300 Öfen besitzen der Ofen-Lukas
und seine Frau Brigitte schon, doch das ist
nur ein kleiner Teil ihres Schatzes. Insgesamt
8.000 Stücke hat Theo Lukas restauriert,
etwa ein Viertel davon ausgestellt. Das Museum erstreckt sich über mehre Teile der ehemaligen Wirtschaftsgebäude des Hofes. Jeder
Raum ist historisch eingerichtet. Denn Theo
Lukas ist nicht nur ein Ofen-, sondern überhaupt ein Handwerker-Lukas. Der Getreidespeicher mit dem kalten Betonboden soll
ausgebaut werden? In einem Haus im nahen
Luxemburg nimmt er einen alten Holzfußboden von 1897 heraus und bringt ihn auf
seinen Speicher. Dazu schlichte schwarzweiße Fliesen von Villeroy und Boch, vier
17
altes Brett, das nur darauf gewartet hat, diese
Lampe zu halten.
Seine Frau versteht sich genau so gut darauf,
behutsam zu restaurieren. Mitten in der
Führung durch ihr Museum fragt sie die Besucher, ob ihnen etwas an den Gardinenstangen auffällt. Holz, mehr fällt keinem ein. Die
Gardinenstangen hat sie aus Dreschflegeln
hergestellt, die sie auf dem Hof ihres Mannes
gefunden haben. Und die Gardinen aus altem
Leinen, ebenfalls vom Hof. Man darf nur sehr
langsam durch dieses Museum gehen, damit
einem kein Detail entgeht.
Die Lukas haben ihre Stücke nach etwa 20(!)
Themen geordnet: Eine Ecke bietet eine alte
Schusterei, eine andere ein Stückchen Klassenzimmer. Es gib eine Wäscherei, eine Zimmeranordnung wie in einer alten Kemenate,
eine Kinderecke und eine komplette Küche,
in der sogar manchmal richtig gekocht wird.
Eine Kaffeerösterei mit original geschmuggel18
tem Kaffee aus der Kriegszeit, gefunden in Luxemburg. Eine Näherei mit einem elektrisch
beleuchtbaren Stopfei, erfunden von Konrad
Adenauer.
Viele Besucher haben dem Ehepaar Lukas
schon gesagt, sie müssten ihr Museum eigentlich umbenennen. Aber wie? Wenn überhaupt, dann „Historisches Museum in der Eifel“; alles andere wäre viel zu bescheiden.
Ofen-Lukas findet, alles habe irgendwie mit
dem Heizen zu tun; also bleibt es bei Ofenund Eisenmuseum. Jedes Stück im Museum
ist voll funktionstüchtig, seit Ofen-Lukas es
restauriert hat, und das ist einer der Gründe,
warum es so gemütlich ist. In jedem Raum
ticken die Wand- oder Standuhren, brennen
die alten Lampen. In der Küche strahlt ein
tonnenschwerer Gussofen behagliche Wärme
ab: „Die heißeste Frau von Hüttingen“ wird
sie von Ofen-Theo genannt, denn das Abzugsrohr ist eine Mädchenfigur. Sogar dem
19
mit das Essen schneller gar wurde.) Ofen-Lukas will sein Museum erweitern. Nächstes Jahr
wird er 50, und dann soll mindestens ein weiteres Geschoss ausgebaut sein. Bisher müssen
sich auch größere Gruppen in der (Museums)Küche drängen, wenn die Gastgeber einen
hauseigenen Apfelschnaps servieren; bald soll
es ein Museumscafé geben. Wenn alles ausund umgebaut ist, muss Ofen-Lukas sich eine
neue Herausforderung suchen. Vielleicht
sollte er dann die Geschichten der einzelnen
Stücke aus seinem Kopfverzeichnis herausholen und aufschreiben. Oder doch mal Urlaub
machen. So etwas gibt es bei den Lukas nämlich nicht. Immerhin, zu ihrer Silberhochzeit
sind sie mal weggefahren. Einen Tag.
s ist schon eine kleine Zeitreise. Wenn man
unter dem Dach des Hauses für Dorfgeschichte angekommen ist, vorbei an alten Eggen und Butterfässchen, einem bäuerlichen
Schlafzimmer und einer Schusterwerkstatt,
steht man plötzlich in einem kleinen ländlichen Friseursalon. Zwei Spiegel mit Waschbecken, davor zwei höhenverstellbare Sitze aus
dunklem Holz mit Nackenstütze. Das Leder ist
schon ziemlich mitgenommen, aber die Mechanik funktioniert noch. Stolz führt Alfons
E
Wack die Ausstellungsstücke seiner Sammlung vor. Der Friseurmeister aus Fechingen
vermutet, dass eine der Nackenstützen vielleicht sogar schon hundert Jahre auf dem
Buckel hat. Noch älter ist das BarbierBecken, das traditionelle Symbol für das Friseurhandwerk: aus Zinn ist es, geformt wie
ein Suppenteller, mit einer Aussparung für
den Hals des Kunden. Damit er sich nicht
bekleckerte, wenn er rasiert wurde. Wenn das
Becken draußen vor dem Geschäft hing, be-
Wer schön sein will...
6
Das Friseurmuseum im Haus der Dorfgeschichte von Bliesmengen-Bolchen
Sabine Janowitz
Grammophon, das ausnahmsweise ein bisschen zusammenhanglos in einer Ecke steht,
kann man Töne entlocken. Wenn irgendwann
noch das Thema „Schlafzimmer“ dazu käme,
könnte man glatt hier einziehen. (Allerdings
nicht ohne eine Putzhilfe.)
Man fragt sich wirklich, wie die Lukas das alles nebenberuflich bewältigen. Er arbeitet als
Landwirt, sie in einer Brauerei. Manches seiner Stücke erfordert Hunderte (!) von Arbeitsstunden; ihr Museum ist jedes Wochenende
und an jedem Feiertag geöffnet. Sie laufen
zwar nicht mehr tage- und nächtelang auf allen Flohmärkten von Trier bis Brüssel herum,
so wie früher, doch Arbeit bleibt genug. Theo
Lukas will sogar noch einen Zahn zulegen.
(Diese Redewendung hat Brigitte gerade den
Besuchern vor dem Kamin erklärt: Wenn man
früher „einen Zahn zulegte“, so bedeutete es,
den gusseisernen Topf, der an einer sogenannten Kaminsäge hängend über dem Feuer
schwebte, einen Zahn tiefer aufzuhängen, da20
Kontakt
Brigitte und Theo Lukas
Am Römerberg 10,
54675 Hüttingen-Lahr
Tel: 0 65 66 - 85 42
info@ofen-und-eisenmuseum.de
www.ofen-und-eisenmuseum.de
Öffnungszeiten
ganzjährig! Freitags, samstags, sonntags, feiertags
14-18 Uhr
Eintrittspreise
2,50 €, incl. Führung (rund 1,5 Stunden!!!);
Kinder ab 6 Jahre 1 €
Anfahrtsweg
ca. 160 km, ca. 2 Std. Autobahn oder Landstraße bis
Trier, ab B51 Richtung Bitburg, dort links Richtung
Vianden oder Sinspelt (B 50)
Oder romantischer: an der Sauer entlang fahren
bis Körperich, dann rechts ab nach Hüttingen
21
deutete das in alten Zeiten für den Kunden:
das Wasser ist warm, der Bader ist bereit.
Der Besucherin bleibt kaum Muße, um von
diesen historischen Schmuckstücken beeindruckt zu sein. Im alten Salon sind nämlich
furchteinflößende Gerätschaften aufgebaut,
bei denen man eher an Folterinstrumente als an
Handwerkszeug denkt. Und schon gar nicht an
Handwerkszeug für so filigranes Material wie
Haare. Zum Beispiel ein Exemplar der ersten
Generation von Trockenhauben. Eine sogenannte Zehn-Finger-Haube: zehn fingerdicke
Metall-Rohre, die den Kopf der Kundin umschließen. Oder ein Gerät mit unendlich vielen
Kabeln, an denen Metallrollen hängen. „Das ist
einer der allerersten elektrischen DauerwellApparate“, erklärt Alfons Wack und fügt stolz
hinzu: „Innenbeheizt!“ Die Locken wurden auf
das Metall gewickelt, dann wurden elektrische
Kabel angeklemmt. Ganz schön schwer für die
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Trägerin und auch nicht sehr schmeichelhaft –
mit der Verkabelung sah sie aus wie eine Probandin im Labor für Gehirnforschung. „Das
war schon eine Tortur“, sagt der Friseurmeister.
Und das mit dem Strom war auch nicht ganz
ungefährlich. „Da musste man gut aufpassen,
dass man die Kabel auch richtig angeschlossen
hat“, so Alfons Wack, „sonst machte es ‚ssshht‘
und die Locke war weg.“ Aber das sei sicher nur
ganz, ganz selten passiert.
Wack selbst hat diese Dauerwell-Methode
nicht mehr praktiziert. Sie stammt aus den
20er Jahren. Er hat in den 50er Jahren gelernt.
Nach seiner Meisterprüfung 1960 hatte er 33
Jahre lang einen Salon in Brebach-Fechingen.
Den hat er mittlerweile an seine Nachfolgerin
übergeben. Aber so ganz kann er es nicht lassen. Noch heute schneidet er dort jeden
Dienstag den Stammkunden die Haare. Er ist
eben Friseur aus Leidenschaft.
Ein Drittel der Sammlung, die im Haus der
Dorfgeschichte untergebracht ist, hat der Figaro selbst zusammengetragen. Den Rest bekam er von Kollegen geschenkt. Nach einem
Interview auf SR3 Saarlandwelle konnte er
sich vor Zusendungen und Anfragen gar nicht
retten. Und so sind hunderte von Stücken zusammengekommen, gezählt hat er sie nie. Viel
Technik ist zu sehen: Föne in den bizarrsten
Formen, Bartschneidemaschinen und immer
wieder ganz unterschiedliche Geräte, um den
scheinbar größten Wunsch jeder glatthaarigen
Frau zu erfüllen: Locken.
Aber in der kleinen Ausstellung geht es nicht
nur um Damen- und Herrenfrisuren, sondern
auch um das Zweithaar – die Perücke. Hier
kann man auf die Werkbank des Perückenmachers blicken, englische, deutsch-einfache und
deutsch-doppelte Tressen unterscheiden lernen. Und ein Perückenkopf wird immer auch
die neueste Frisurenmode zeigen. Regelmäßig
neu geknüpft, nur für das Museum.
Vor lauter beeindruckendem Gerät und nostalgischer Einrichtung könnte man fast eine der
größten Kostbarkeiten der Sammlung übersehen: eine Uhrenkette und eine Brosche aus
Menschenhaar. Eine Liebesgabe aus dem 18.
Jahrhundert. Kaum vorstellbar, wieviel Stunden Arbeit dafür aufgebracht worden sein müssen, aus einzelnen Haaren derart fein ziselierte
Schmuckstücke zu knüpfen. Richtig schwer
liegt die Uhrenkette in der Hand. Alfons Wack
hängt sie behutsam zurück in das verschlossene
Glasschränkchen. Er ist froh, mit seiner Sammlung einen Platz im Haus der Dorfgeschichte in
Bliesmengen-Bolchen gefunden zu haben.
„Wir wollen hier nicht nur die traditionelle
landwirtschaftliche Arbeit unserer Region zeigen“, erklärt Erwin Flieger, der Leiter des Museums, „sondern auch das Handwerk.“ Und so
findet sich neben der Schusterwerkstatt eben
auch ein Friseursalon. Ganz so wie auf der
Dorfstraße in alten Zeiten.
Sonja Schäfer
Kontakt
Haus der Dorfgeschichte, Erwin Flieger
Bliestalstr. 67, 66399 Mandelbachtal – Bliesmengen-Bolchen
Tel: 0 68 04-65 78
Öffnungszeiten
Jeden dritten Sonntag im Monat 14 – 18 Uhr
und nach Vereinbarung
Wer Details über das Friseurmuseum wissen
möchte, eine Spende hat, oder gerne eine Führung
hätte kann sich an Friseurmeister Alfons Wack wenden. Tel: 0 68 71-89 55
Eintrittspreise
Eintritt frei
Anfahrtsweg
Die Bliestalstraße ist die L 105, die durch Bliesmengen-Bolchen führt. Das Haus der Dorfgeschichte
liegt hinter dem Haus mit der Nummer 67 – war
früher die dazugehörige Scheune.
23
ie Oberlingers aus Windesheim an der
Nahe sind die älteste Familie von Orgelbauern, die noch im Dienst ist. Seit 1760 werden dort im Naheland Orgeln gebaut, die weit
über die Grenzen der Region hinaus bekannt
sind. Und die Oberlingers haben auch schon
immer alte Instrumente restauriert, oder aber
auch in Zahlung genommen. Im Laufe der
Jahrhunderte hatte sich da so einiges angesammelt. Darunter auch viele wertvolle historische
Instrumente. Doch die standen bloß rum,
D
konnten niemanden erfreuen und verkümmerten auf dem Dachboden oder im Keller. Das
kann so nicht weitergehen, sagte sich eines Tages Wolfgang Oberlinger, ein Ur...enkel des
Gründervaters Oberlinger. Wie dieser ist auch
Wolfgang Oberlinger Orgelbaumeister, aber er
hat noch einen zweiten Beruf: Architekt. Naheliegend also, dass er auf die Idee kam, für die
vielen historischen Instrumente ein eigenes
Haus zu bauen: ein Orgelmuseum. Bloß, alleine war das nicht zu schaffen. Die Oberlingers
Gott zu Ehren, dem Menschen zu Genuss ...
7
Das Orgel ART Museum in Windesheim
24
brachten schon sehr viel Eigenleistung ein: das
Gelände, den Entwurf und vor allem: die Füllung, die Instrumente also, um die es ja letztendlich geht. Die Oberlingers brauchten Mitstreiter und nach vielem Klinkenputzen waren
die auch gefunden. Gemeinde, Kreis und Land
machten mit und unter dem Motto Tourismusförderung entstand so das Orgel Art Museum Rhein-Nahe in Windesheim.
Der Grundriss des Gebäudes erinnert an eine
klassische Orgel. Im Inneren nimmt sich das
Gebäude ganz zurück, die Instrumente stehen
im Vordergrund. Und damit die so richtig zur
Geltung kommen, spielt indirektes aber
natürliches Licht im Orgel Art Museum eine
große Rolle. Von oben flutet das Licht regelrecht an den Wänden vorbei und trifft ganz
weich auf die Instrumente. Und von den Seiten zum Innenhof hin sind Holzjalousien vor
den Scheiben, so entsteht Streulicht.
Die Ausstellung beginnt mit einem der ältesten Instrumente, die in der Literatur erwähnt
werden: einem gotisches Positiv nach dem
Gemälde des Genter Altarbildes von Jan van
Eyck. Die Oberlingers hatten vor langer Zeit
mal den Auftrag erhalten, dieses Instrument
zu rekonstruieren. Von dort aus beginnt die
Zeitreise durch die Geschichte der Orgeln
und der besaiteten Tasteninstrumente. Deren
technische Entwicklung wird nahezu lückenlos dokumentiert und obendrein wird dabei
auch deutlich, dass Orgel- und „Clavier“-Bau
bis zum 18. Jahrhundert eng miteinander verbunden waren.
Was die alten Exponate angeht, so gilt der
Grundsatz: Je kleiner, desto wertvoller. Da ist
zum Beispiel ein ganz kleines Instrument, das
sogar unter den Arm passt, 20 Zentimeter
breit, 80 cm lang und nur 6 cm hoch, kleiner
also als ein Keyboard heutzutage. Um das spielen zu können, brauchten die Musiker früher
einen Kalkanten, einen Menschen also, der die
25
Bälge hochzog oder mit den Füssen bediente.
Adlig geht es auch zu im Orgel ART Museum
der Oberlingers in Windesheim. Die Orgelbauerfamilie hatte nämlich einmal den Auftrag,
ein berühmtes Instrument aus dem schottischen Königshaus zu restaurieren. Halb Orgel,
halb Cembalo ist das, einzeln oder zusammen
bespielbar. Und zum Dank durften die Oberlingers dieses Instrument kopieren, auch vom
Äußeren her, und so befindet sich in Windesheim an der Nahe nun ein Duplikat aus dem
Schloss von Edinburgh in Schottland.
Schließlich gibt es auch noch ein Modell, an
dem gezeigt werden kann, welche Mechanik
in jeder Orgel sein muss, damit die überhaupt
klingt. Verschiedene Ventile, verschiedene
Möglichkeiten, die aufzuziehen, es gibt Pfeifen und aus denen kommen auch Töne.
Anders als in den meisten Museen gibt es im
26
Orgel ART Museum aber nicht nur Historisches zu bestaunen. Auch ganz modern gestylte Instrumente sind dort aufgestellt und
die Besucherinnen und Besucher können
selbst vergleichen, wie Orgeln früher gebaut
wurden und wie heute. Edelstahl spielt heute
eine große Rolle und Intarsien aus verschiedenen Hölzern stehen hoch im Kurs. Früher waren es meist Blattgold-Verzierungen und
Schnitzereien.
Auch wenn Sie bislang wenig oder gar keine
Ahnung von Orgeln hatten, nach Ihrem
Rundgang durch dieses Museum werden auch
Sie wissen, was sich dahinter verbirgt, wenn
eine Orgel vorder- oder hinterspielig ist. Oder
gar seitenspielig, wie jene Stummsche Orgel
aus dem Jahre 1720, eines der Prunkstücke im
Konzertsaal des Museums. Am sogenannten
Nonnen-Positiv können Sie lernen, dass in
Klosterkirchen oft hinterspielige Orgeln verwendet wurden. So konnten die Nonnen in
der Kirche Musik machen, ohne selbst gesehen zu werden. Und Sie werden wahrscheinlich ziemlich Achtung haben vor den Menschen, die früher dafür sorgten, dass aus diesen Orgeln überhaupt Töne kamen, vor jenen
Menschen also, die die Balganlage, die Windlade oder Windbretter in Bewegung hielten.
Es ist nämlich gar nicht so einfach, diese Instrumente zum Klingen zu bringen, mancher
kommt dabei heutzutage mehr ins Schwitzen
als beim Fitnesstraining. Und Gottesdienste
dauerten früher richtig lange.
Über die Empore des Konzertsaals geht es zu
den Saiteninstrumenten. Nach all den Orgeln
wirken die richtig klein, aber auch sie haben
ihre Geschichte zu erzählen. Da ist zum Beispiel ein Fortepiano - der Beginn des Klaviers,
bei dem die Saiten angeschlagen werden und
ein kräftiger Klang entsteht, anders also als bei
den Clavicorden, die noch ganz zart klangen.
Spinette gibt es natürlich auch, ein Tafelklavier, der Vorläufer der Konzertflügel, ein aufrecht stehendes Liraklavier mit langen Seiten.
Alles Originale, die auch den Übergang vom
Holz zum Gussrahmen zeigen. Auch Klaviere
konnten früher reich verziert sein, zum Beispiel gebaut von der Firma Mand aus Koblenz
für Fürsten etwa oder sehr reiche Winzer.
Das jüngste und letzte Exponat in diesem Bereich ist ein Colani-Klavier, extravagant wie
sein Designer. Die Seiten können aufgeklappt
werden und haben spezielle Halterungen für
Bier oder Whisky - schließlich hat er ja auch
mal Durst, der Mann am Klavier.
Bald schon will das Orgel ART Museum in
Windesheim nicht nur in seinem Innern zu ei27
ner Zeitreise durch die Geschichte des Orgelund „Clavier“-Baus einladen. Über eine
Außenorgel soll es Open Air Konzerte in die
Weinberge der Umgebung geben, die Voraussetzungen dafür sind schon geschaffen. Und
am Teich soll ein klingender Garten für Kinder entstehen. Bis dahin gibt es erst einmal
Kunst im Innenhof, genannt Hofkunst, mit
heimischen Künstlern und viel Musik - ganz
wie es sich gehört, in einem Orgel-Museum
der etwas anderen ART.
Kontakt
Orgel ART museum rhein-nahe
Hauptstraße 52
55452 Windesheim
Tel: 0 67 07 - 9 11 44
Info@orgel-art-museum.de
www.orgel-art-museum.de
Öffnungszeiten
Di-So 11 bis 18 Uhr, montags geschlossen
Eintrittspreise
Ulli Wagner
4 €, ermäßigt 2,50 €, Kinder unter 6 Jahren frei,
Familienkarte 10 €
Kirchengeschichten
Anfahrtsweg
Am kürzesten und am schönsten ist die Fahrt über
die B 41 über St. Wendel, Idar-Oberstein und Kirn
Richtung Bad Kreuznach. An der Ausfahrt Rüdesheim/Kreuznach-West auf die L 236 Richtung Roxheim. Dann über Hargesheim nach Windesheim.
Wer ganz schnell fahren und Umwege in Kauf nehmen will, der kann auch die Autobahn nehmen: das
Orgel Art Museum liegt an der A 61 nördlich vom
Nahetaldreieck bei Bingen, Abfahrt Waldlaubesheim/Windesheim/Autobahnkirche und ist auf der
Autobahn bereits ausgeschildet
28
29
as waren noch Zeiten: Die Kirche brechend voll, ja „fast die Hälfte der Gottesdienstbesucher musste bei Wind und Wetter
draußen vor der Kirche der heiligen Messe
beiwohnen. Ein unhaltbarer Zustand“, beschreibt der Lehrer und Ortschronist HansJosef Barth aus Nonnweiler die Lage Ende des
19. Jahrhunderts. Die alte Kirche war nicht
nur zu klein, sie war auch baufällig. Und die
Bevölkerung in Nonnweiler und den umliegenden Hochwalddörfern war stark ange-
D
wachsen und verlangte nach einem neuen
Gotteshaus an alter Stelle. Also wurde im
März 1900 die alte Kirche aus dem Jahre 1787
abgerissen und an gleicher Stelle die heutige
Pfarrkirche St. Hubertus errichtet.
Ein beeindruckendes Gemeinschaftswerk aller
Gläubigen. Die Familie von Beulwitz, Eigentümer des Eisenwerkes Mariahütte und
damit größter Arbeitgeber der Region, gab ein
erkleckliches Sümmchen für den Neubau.
Und erhielt für einen zusätzlichen Obulus di-
„Ihr wollt wohl eine Kathedrale bauen!“
8
Der „Hochwald-Dom“ in Nonnweiler - und sein „Schlüssel-Erlebnis“
rekt hinter der neuen Kirche auch eine Familienbegräbnisstätte, die heute noch dort zu
finden ist. Aber auch die einfachen Leute
spendeten kräftig oder legten sich selbst ins
Zeug. Sie brachen Steine für die Kirche im
Steinbruch am Kahlenberg und transportierten sie mit ihren Pferdefuhrwerken zum Bauplatz. Auch das Bauholz wurde selber geschlagen und aus den Wäldern herangekarrt, so
dass die Handwerker „nur noch“ alles zu einer
Kirche auftürmen mußten.
„Die Nonnweiler wollen wohl eine Kathedrale
bauen“, bemerkte in einer Mischung aus Anerkennung und mildem Spott der Bischof von
Trier angesichts der stattlichen Ausmaße der
neuen Kirche. Zumindest im Volksmund ist
tatsächlich ein Dom draus geworden – der
Hochwald- oder Hubertus-Dom. Am 17. August 1902 war das Werk vollendet. Der erste
Gottesdienst fand statt und anschließend, wie
es sich gehört, ein großes Volksfest. Rund ein
Drittel der Bausumme hatten die Nonnweiler
Bürger durch Eigenleistung und Spenden finanziert, kein Wunder, dass auch heute noch
eine enge Verbundenheit der Bevölkerung mit
„ihrem Dom“ zu spüren ist. Eine Verbundenheit, die freilich auch mit dem Kirchenpatron
30
zu tun hat, der schon Jahrhunderte zuvor die
Gegend und ihre Bewohner geprägt hat:
St. Hubertus.
Im Inneren der Kirche ist er gegenwärtig im
Hauptaltar: Im linken Flügel ist die berühmte
Szene der Bekehrung des Heiligen während
einer Jagd in den Ardennen dargestellt. Seine
Begegnung mit dem Hirsch, der ein Kreuz in
seinem Geweih trägt. Sie macht aus dem adligen Lebemann, Sohn des Herzogs von
Toulouse, im 7. Jahrhundert erst einen Einsiedler, dann einen Missionar, der vor allem in
den Ardennen zur Legende wurde. Aber nicht
nur dort ist er populär geworden und geblieben als Patron der Jäger und des Wildes.
Im rechten Altarflügel schließlich ist seine Ernennung zum Bischof von Tongern durch
Papst Sergius dargestellt, ebenfalls als Halbrelief aus Holz, geschaffen von dem Trierer Bildhauer Karl Frank. Bekannte Motive, die in
vielen Hubertus-Kirchen zu finden sind.
Einzigartig sind jedoch die zwei Nonnweiler
Hubertus-Insignien, die in einem Schrein im
rechten Seitenschiff aufbewahrt werden: Zum
einen das silberbeschlagene „HubertusHorn“, angeblich aus dem Horn eines irischen
Ochsen gefertigt. Der Heilige Hubertus, so
will es die Orts-Legende, soll es beim Jagen im
Hochwald verloren haben. Sicher ist nur: es ist
schon sehr alt. Eine lateinische Inschrift erwähnt einen Nicolaus Clincius, Pastor der hiesigen Kirche Anno 1182. Ursprünglich war es
wohl ein Jagdhorn, um 1500 umgewandelt in
ein Trinkhorn, das seither von jedem neuen
Pastor, der nach Nonnweiler kommt, beim
Amtsantritt einmal benutzt werden darf, so
auch vom amtierenden Pfarrer Hermann Josef
Floeck, dem die Ehre 1997 zuteil wurde.
Kulturgeschichtlich noch interessanter ist jedoch das zweite Stück in der Vitrine, der sogenannte „Hubertus-Schlüssel“. Ein Eisenstab
mit Holzgriff, am anderen Ende ist ein Ring
mit einem Kreuz darin angeschweißt. Dieser
Stab wurde einst glühend gemacht und zur
31
Behandlung von tollwütigen Tieren, meist
Kühen und Rindern, aber auch bei Menschen
eingesetzt. Die befallenen Bisswunden wurden mit dem glühenden Eisen ausgebrannt,
was zwar sehr schmerzhaft war, aber dennoch
zu Heilungserfolgen führte.
Diesem durchschlagenden „Schlüssel-Erlebnis“ verdankt Nonnweiler auch seinen Ruf als
Wallfahrtsort, der vier Jahrhunderte Bestand
hatte und vor allem Anfang des 19. Jahrhunderts in voller Blüte stand. Um die 4000 Menschen pilgerten da jährlich in den Hochwald,
um sich und ihr liebes Vieh „gesundbrennen“
zu lassen. „Natürlich wurde um das ‚Ausbrennen‘ eine Zeremonie herumgebaut“, schreibt
wieder Hans-Josef Barth. „Der Kranke musste
neun Tage lang fasten, durfte nur geweihtes
Wasser und gesegnetes Brot zu sich nehmen
und um die Hilfe des Hl. Hubertus und dessen Fürbitte bei Gott beten.“
Dennoch verbot das Bischöfliche Generalvikariat 1820 schließlich die Anwendung des
Hubertus-Schlüssels und die Wallfahrten
nach Nonnweiler, obwohl (oder weil?)
schließlich sogar „Evangelische“ heimlich den
heilenden Hubertus-Schlüssel ausgeliehen haben. Schade drum, schließlich beruhten die
Heilungen hier mal nicht auf obskuren Wundern, sondern auf medizinisch anerkannten
Methoden!
Ein bisschen „Kult“ ist aber dennoch geblieben
in Nonnweiler. Zumindest einmal im Jahr, am
ersten Sonntag nach dem Hubertus-Tag am 3.
32
November. (2003: 9. Nov.) Da wird ein feierliches Festhochamt zu Ehren des Heiligen im
Hochwald-Dom zelebriert, zu dem Jäger aus
Nah und Fern kommen. In schmucker Montur, zu Fuß, zu Pferde und im Geländewagen.
Da erschallen im langen, lichten Schiff der neogotischen Kirche die Jagdhörner, und St. Hubertus im Hauptaltar bekommt leuchtende
Augen angesichts der großen frommen Jägerschar, die sich versammelt hat zu seinen
Füßen...
Wolfgang Felk
vioth liegt im extremen Norden des Départements Meuse in Lothringen. Genauer
gesagt: hinter Luxemburg, kurz vor Belgien.
Noch genauer gesagt: Kommt man vom belgischen Arlon herunter, wird die Gegend zusehends rauer, die Häuser geduckter, hier und
da blitzen die Reste niederländisch-spanischen Reichtums auf, die Straßen werden
schmaler, die Vögel, die Autos offenbar nicht
gewöhnt sind, stieben erst gar nicht auf,
Hunde bellen am Straßenrand die Reifen an.
A
Schaurig-schön
9
Die gotische Basilika von Avioth
Kontakt
Hans-Josef Barth
Trierer Str. 17
66620 Nonnweiler
Tel: 0 68 73-72 01
oder
Kath. Pfarramt Nonnweiler
Trierer Str. 3
Tel. 0 68 73-2 84
Öffnungszeiten
Kirche ist außer zu Gottesdienst-Zeiten in der Regel
geschlossen,Schlüssel im Pfarramt erhältlich von
9-12 und 15-18 Uhr
Anfahrtsweg
A1, Abfahrt Nonnweiler, Kirche prangt unübersehbar
in der Ortsmitte (Trierer Straße)
Ein paar Traktoren balancieren riesige Strohballen. Die Häuser verlieren sich, die Gegend
wird vollends unwirtlich. Sie denken, die Erde
ist in Wirklichkeit doch eine Scheibe und
gleich fallen wir runter – da baut sich hinter
einem Hügel eine gigantische Kathedrale auf.
DAS ist Avioth.
Avioth, das ist eine gotische Basilika, gebaut
zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert, umringt von fünf bis 20 Häusern, keine Kneipe
(das wäre im Saarland nicht passiert).
Montagmorgen, der Platz vor der Kirche liegt
verwaist, nur die Kirchentauben künden von
Leben. Wie kommt eine solche Kathedrale
mitten in ein Nichts aus Wiesen, Büschen und
Feldern? Büsche, das ist das Stichwort für Nathalie Grudman, eine Pariserin, die es vor Jahren in diese raue Ardennenlandschaft verschlagen hat. Sie ist Fremdenführerin aus Leidenschaft. Leuchtenden Auges erzählt sie, dass
Schäfer in den Feldern eine Schwarze Madonna gefunden hätten. Das vor fast 900 Jahren. Dazu muss man wissen, dass der
Schwarze-Madonna-Mythos auf heidnische
Ursprünge zurück geht. Eigentlich geht es um
eine Muttergottheit, die sozusagen christianisiert wurde. Der Schwarzen Madonna, die
33
heute übrigens weiß ist, wurden heilende
Kräfte zugeschrieben. Aber nicht nur das. Sie
konnte Tote zum Leben erwecken. Makaberschaurig: Von weither brachten die Menschen
ihre tot geborenen Kinder. Ungetauft wären
sie dem ewigen Fegefeuer anheim gefallen.
Die Schwarze Madonna sorgte dafür, dass sie
sich noch einmal bewegten, dass ihnen doch
noch eine Träne über die Wange lief. Damit
galten die Babys kurzfristig als lebendig und
konnten getauft ins Himmelreich gelangen.
Was der mittelalterliche Mensch nicht wusste:
Nach der Totenstarre wird der Körper wieder
beweglich. Lebendig wurden die Kinder also
keineswegs wieder, auch nicht für einen kurzen Moment.
Dort, wo die Schäfer die Schwarze Madonna
angeblich gefunden hatten, wurde die erste,
romanische, Kapelle gebaut. Davon ist heute
recht wenig übrig. Fest steht, dass sie nicht die
Form eines lateinischen t‘s hatte. Die gotische
Basilika hat ein hohes Mittelschiff und zwei
34
kleine Seitenschiffe. Es gibt ein paar Kapellen
von reichen Stiftern, einen Rundgang um den
Altar, gebaut für Mönche und später Nonnen,
die niemals einziehen sollten und andere Geheimnisse mehr. Es findet sich kein Zugang zu
einer Krypta, doch es ist offensichtlich, dass es
eine geben muss. Der Nordturm der Kirche ist
gleichzeitig auch ein Verteidigungsturm. Ein
unterirdischer Gang führt von der Basilika ins
zehn Kilometer entfernte Zisterzienserkloster
Orval (im heutigen Belgien). Einen turmartigen gotischen Tabernakel ziert eine schmiedeeiserne Tür mit einer mysteriösen Inschrift,
die bis heute niemand entziffern konnte.
Im Rundgang findet sich eine Statue der Heiligen Ursula. Die Französische Revolution hat
zwar auch an dieser Stein-Statue ihre Spuren
hinterlassen (der linke Arm ist abgeschlagen),
eine Besonderheit aber ist nicht den Bilderstürmen der Revolution geschuldet: Der obere
Teil des Kopfes, beginnend über den Augen,
kann abgenommen werden. Geistig Behin-
derte berührte man mit diesem Teil, die Geste
sollte Heilung bringen.
Eine Besonderheit auch im mittleren Schiff:
Der Predigtstuhl aus dem 15. Jahrhundert ist
nicht aus Holz, sondern, sehr selten, aus Stein
gemeißelt. Es finden sich noch Spuren bunter
Farbe und hier zeigt sich, dass der mittelalterliche Mensch seine Kirchen nicht aus nüchternem Stein, sondern farbenprächtig gestaltet
hatte.
Am 28. April 1180 wird Avioth erstmals in einer Bulle von Papst Alexander III. erwähnt.
Zufall oder nicht, 1223 erhält Avioth vom
Grafen von Chiny den Freibrief. Mit dem entstehenden Marktflecken bekamen die Bürger
die Möglichkeit, recht autonom über ihre
kommunalen Finanzen zu verfügen. Die Pilger strömten zahlreich, der Reichtum von
Avioth wuchs. Die Geschäftstüchtigkeit zeigt
sich auch an einem einzigartigen Bauwerk direkt vor der Basilika: Der „Recevresse“. Da
man die Kirche von der Seite betritt, muss
man an diesem kapellenartigen Bau vorbei.
Die Bauern aus der ganzen Umgebung brachten Geschenke und Opfergaben auf ihrer Pilgerreise mit, die in der „Recevresse“ entgegen
genommen wurden – genau das bedeutet auch
der Name.
Später wurde hier Gericht gehalten. Dieses
einzigartige spätgotische Bauwerk muss auch
andere Bestimmungen gehabt haben, es steht
dort ein steinerner Altar. Genaueres weiß man
aber nicht. Schon im 17. Jahrhundert war in
Vergessenheit geraten, wozu die „Recevresse“
ursprünglich diente. Als Pranger jedenfalls
nicht, auch wenn die schmiedeeiserne Kette
mit den Handschellen, die über dem Altar
hängt, das vermuten lassen könnte: Ein
Kriegsgefangener hatte sie dort hingehängt,
nachdem er den Türken entkommen war. Solche Ex-Voto-Objekte müssen früher zuhauf
an der „Recevresse“ angebracht gewesen sein.
Nicht nur die „Recevresse“, auch Avioth fiel
langsam der Vergessenheit anheim, erstaunlicherweise als der Ort beim Pyrenäenfrieden
1659 Frankreich zugeschlagen wurde. Für die
zentralistische Pariser Verwaltung war ein
Flecken irgendwo im Nordnordosten von
Frankreich nicht mehr bedeutsam genug.
Aber das ist eine Geschichte, die an anderer
Stelle erzählt werden muss.
Lisa C. Huth
Kontakt
Office du Tourisme du Pays de Montmédy
Laurence Muller
Boîte Postale 28
55600 Montmédy
Tel: 03 29 80 15 90 oder 03 29 80 06 35
montmedy@wanadoo.fr
www.montmedy.com oder:
users.skynet.be/torgny/Environs_fr/avioth_f.htm
Öffnungszeiten
Täglich von 7 Uhr bis Mitternacht
Eintrittspreise
Keine. Eine Führung kostet für 20 oder 40 Personen:
0,76 € bzw. 1,52 € pro Person
Führungen nur auf französisch
Anfahrtsweg
Von Saarbrücken aus über die Autobahn bis
Luxemburg, von Schengen über Mondorf-les-Bains
bis Dudelange über die Landstraße, bei Dudelange
wieder über die Autobahn über Esch-sur-Alzette bis
Pétange, von dort ab wieder Landstraße: Aubange,
Mussan, Harnoncourt, Ecouvier (Rtg. Montmédy:
nach 1-2 Kilometern: dem Schild „Avioth“ (rechts ab)
folgen, Ankunft nach weiteren ca. 7 Km. Ca. 170 Km,
2-2,5 h Fahrt, wenn die Autobahn zwischen
Schengen und Dudelange fertig ist, schneller
35
Rest ist unsichtbar, geschützt von den Außenmauern. Das erinnert doch an? Ja, mittelalterliche Dörfchen in der Provence, oder wenigstens Vezelay in Burgund. Das ist die erste
Überraschung. Die zweite: Hier finden Sie
Gotik und das Mittelalter, Renaissance und
eine reiche spanisch-lothringische Vergangenheit, eine mystische Legende, fürchterlich
viele Gebeine und die Kulisse für einen Film.
Es gibt nur eine Zufahrtsstraße für Autos in
das Dorf.
Wie bei Kommissar Maigret
10
Die spröde Schönheit von Marville
enn Sie nach Marville fahren, fahren Sie
erst einmal daran vorbei. Sieht es doch
auf den ersten Blick aus wie jedes x-beliebige
Dörfchen, das links vom Weg auf einer kleinen Anhöhe liegt.
Fahren Sie noch einmal zurück, aber nicht in
den Ort hinein, sondern ganz gemütlich die
Straße entlang und schauen Sie noch einmal
genau hin. So sieht eine original mittelalterliche Stadt aus: eine Befestigungsmauer, überragt von Häusern, die ebenfalls noch der Befestigung dienen, dahinter ein Kirchturm, der
W
36
Kommen Sie im Frühling, säumen die Straße
japanische Kirschblütenbäume. Dahinter blitzen Renaissancefassaden auf. Klein und geduckt sind die Häuser, trotzdem ist ihnen ihre
einstige herrschaftliche Pracht anzusehen.
Über die beiden großen Plätze hinweg finden
Sie zur Kirche St. Nicolas. Sie wird gerühmt
als das außerordentlichste Bauensemble im
Nordosten Frankreichs: Hier vereinigen sich
Gotik und – nicht Romanik, sondern – Renaissance. 1227 begonnen, findet sich in der
ersten dreijochigen Brücke des Mittelschiffes
noch ursprüngliche Frühgotik. Bis ins 16.
Jahrhundert weitergebaut, entwickelt sich die
gotische Kunst immer weiter, besonders gut
zu sehen an der spätgotischen Auflösung des
Marienalters in einer der Seitenkapellen. In
der zweiten Brücke finden sich bereits Renaissance-Elemente, ebenso auf der wunderbar
durchbrochenen Orgelempore.
In der Kirche St. Nicolas ist auch eine seltene
Heilige anzutreffen: Die italienische Heilige
„Santa Fina“ von Gimignano. Das mag auf die
italienischen Einflüsse des „Chevalier Michel“
zurückzuführen sein, jedenfalls gibt es sogar
eine Seiten-Kapelle, die der Heiligen Fina gewidmet ist. Eine ungewöhnliche Kapelle in
zwei Etagen. Links und rechts führt je eine
Treppe auf die Empore. Gut zu sehen: Die
Stufen sind überbaut worden. Angeblich sind
diese Steinstufen vom „Auf-den-Knien-nachoben-Rutschen“ dermaßen ausgehöhlt worden, dass es irgendwann unmöglich war, darauf nach oben zu gehen.
Beim Verlassen der Kirche fällt die unverfälschte Renaissance-Häuserpracht auf: Absolut nichts scheint in den letzten vier Jahrhunderten verändert worden zu sein. Das mag einer der Gründe gewesen sein, warum Marville
als Kulisse für einen Maigret-Film von Georges Simenon gewählt wurde. Die Bürger von
Marville verweisen heute noch stolz auf einige
besonders angemalte Fassaden. Die SimenonKrimis spielen alle in den 60-er Jahren. Für die
Kulisse musste fast nichts verändert werden.
Die Filme laufen derzeit im französischen
Fernsehen, und Marville kommt so wieder zu
neuer Berühmtheit.
Dass das mittelalterliche Städtchen nie zerstört
wurde, hängt auch damit zusammen, dass es
über 500 Jahre lang neutral war. Durch Heirat
37
an das Herzogtum Luxemburg und die Grafschaft Bar gefallen, wurde es gewissermaßen zu
neutralem Boden. Das war 1270. Damals besaß Marville bereits das Marktrecht. Die Bürger organisierten Finanzen und Verwaltung auf
eine damals recht demokratische Weise: Die
„40 Männer“, das heißt 40 Familien, wählten
jeweils für ein Jahr den Bürgermeister. Wohlgemerkt, in Marville selbst herrschten niemals
Adlige, Marville war von Anfang an eine Bürgerstadt. Über Jahrhunderte hinweg funktionierte das System hervorragend, das Städtchen
(heute würde man Dorf sagen) wurde immer
reicher. Seine Blütezeit erlebt Marville im 16.
Jahrhundert, ein Jahrhundert, in dem Eroberungs- und Religionskriege rings um den neutralen Marktflecken tobten. Aus dieser Zeit
stammen auch die meisten Renaissancebauten.
2000 Menschen bevölkerten Marville inzwischen. Dann wüteten aber auch der 30-jährige
Krieg und die Pest hier. Schließlich wurde Marville von den Franzosen erobert, im Pyrenäenfrieden 1659 wurde der Flecken endgültig den
Franzosen zugeschlagen.
Leider vergingen danach Reichtum und
Ruhm. Heute findet er sich vor allem in dem
außergewöhnlich gut erhalten Bürgerhäusern
wieder. Zum Beispiel der Balkon am Haus des
„Chevalier Michel“. Die Fresken dieser „Loggia“ aus dem 16. Jahrhundert im italienischen
Stil vereinigt das Weltbild des RenaissanceMenschen: Die Bibel (David gegen Goliath),
die Antike (die Legende von Pyramus und
Thisbe) und das Lokale: der Roman der vier
Aymon-Brüder, denen es mit Hilfe eines Magiers gelang, das verzauberte Pferd Bayard einzufangen. Nach zahlreichen Abenteuern beschließt Renaud, einer der Brüder schließlich,
nach Köln zu gehen, um dort am Bau der Kölner Kathedrale mitzuwirken.
Wenn Sie Zeit finden, fahren sie noch auf den
Marville gegenüber liegenden Hügel: Dort
38
sind der Friedhof und die Kirche St. Hilaire
(eine wunderbar erhaltene romanische Kirche
aus dem 12. Jahrhundert, heute nicht mehr
genutzt). Kanadische Gräber erinnern daran,
dass ganz in der Nähe eine Nato-Basis war,
deutsche Gräber erinnern an die Kriege zwischen Deutschland und Frankreich, besonders
interessant sind aber das Ossuarium aus dem
16. Jahrhundert (mehr als 40.000 Schädel
und Knochen wurden in diesem Beinhaus zusammengetragen) und die Renaissance-Gräber – ein regelrechtes Museum der Grabmalkunst aus dem 15. bis 17. Jahrhundert.
Natürlich Kultur
Lisa C. Huth
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Office du Tourisme du Pays de Montmédy
Laurence Muller
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www.cr-lorraine.notaires.fr/meuse/circuit2.htm
Öffnungszeiten
Keine, immer zu besichtigen
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Keine. Eine Führung kostet für 20 oder 40 Personen:
0,76 € bzw. 1,52 € pro Person
Anfahrtsweg
Von Saarbrücken aus über die Autobahn bis Luxemburg, von Schengen über Mondorf-les-Bains bis Dudelange über die Landstraße, bei Dudelange wieder
über die Autobahn über Esch-sur-Alzette bis
Pétange, von dort ab wieder Landstraße: Longwy,
Longuyon, dort Richtung Montmédy, nach ca. 12 Kilometern links: Marville. Ca. 160 Km, 2-21/2 Fahrt,
wenn die Autobahn zwischen Schengen und Dudelange fertig ist, schneller.
39
chöne alte Bäume spenden angenehmen
Halbschatten, schräg fällt das Sonnenlicht
durch die flirrenden Blätter auf sattgrüne
Wege und Beete. Und da wächst, blüht und
gedeiht es in allen möglichen Formen, in allen
Farben des Regenbogens. Dr. Karl-Heinz Potempas Kräutergarten auf dem 4000 Quadratmeter großen Hanggrundstück an der Saarbrücker Straße in Nohfelden-Türkismühle ist
zuallererst mal ein Augenschmaus. Man kann
sich nämlich kaum satt sehen an der üppigen
S
1
Blütenpracht der 400 verschiedenen Heilund Kräuterpflanzen, die hier stehen, vergißt,
dass man sich ja eigentlich in einem Nutzgarten befindet, angelegt zum Zwecke, allerlei
Wehwehchen von Migräne über Herzrasen bis
Verstopfung auf weitgehend „natürliche“
Weise zu lindern.
Und Potempa, von Beruf Apotheker, trägt
auch selber alles dazu bei, dass eine Führung
durch die Welt seiner Kräuter zu einem „Gesamtkunstwerk“ wird. Das beginnt damit,
Quält Migräne dich, so wisse, oftmals hilft da auch Melisse!
In Dr. Potempas Heilkräutergarten in Türkismühle
wachsen Kräuter gegen fast jedes Leid
dass er seine Besucher in einer gemütlichen
Laube am Eingang zünftig mit Strohhut und
Wanderstock (der alsbald zum Zeigestock
wird), willkommen heißt mit einem Gedicht,
das sich auf viele der Kräutchen hier einen
Reim macht:
„Ist der Magen schwach und krank,
hilft ihm bittrer Wermuttrank.
Oder wenn er schlecht verdaut,
tut’s manchmal Tausendgüldenkraut.
Baldrian kurz aufgebrüht,
wirkt auf Nerven und Gemüt.
Quält Migräne dich, so wisse,
oftmals hilft da auch Melisse.“
Nach diesem gereimten „Briefing“ geht es dann
schnell zur Sache. Die Pflanzen in ihren Rabatten beiderseits des Weges tragen auf einem
Schildchen den lateinischen Namen ihrer Spezies, die gebräuchliche deutsche Bezeichnung
und natürlich das Anwendungsgebiet: Tussilago farfara, der Huflattich; Blüten und Blätter
bei Husten, Asthma, Magenbeschwerden.
Daphne mezereum, der Seidelbast; Rinde und
Früchte äußerlich als Bad oder Tinktur bei
Hautjucken, Ekzemen, Neuralgie.
40
Pimpinella, die Bibernelle; schleimlösend,
Auswurf fördernd.
Um nur einige Beispiele zu nennen. Aber
keine Angst: Dr. Potempa „klappert“ bei seinem Rundgang durch den Garten nicht einfach stur alle Pflänzchen ab von Nummer 1 bis
400. Er setzt Schwerpunkte, weist auf besonders schön blühende oder seltene Pflanzen
hin, läßt die Besucher Blüten und Samen
pflücken, beriechen, betasten, hat fast immer
eine Story oder Anekdote auf Lager. Hildegard
von Bingen, die Ikone der Naturheilkunde,
führt er gerne im Munde. Zeigt auf das gelb
blühende Bilsenkraut, das als Öl gut gegen
Rheumaschmerzen sein soll. Doch die Hildegard, so erzählt er, hielt es auch für ein wirksames Mittel gegen die Trunksucht bei Männern: Man mußte nur dem Mann erst mal den
Schädel glatt rasieren und ihm dann das zerquetschte Kraut drauf binden! Ob’s wirklich
half oder den Probanden eher vor Schreck erst
mal vom Trinken abhielt, ist nicht so recht erwiesen.
Erwiesen aber ist zum Beispiel die Heilkraft
des Beinwell, so etwas wie die Lieblings-Heilpflanze des launigen Kräuterapothekers. Die
pflanzt und erntet er in großem Stil und verarbeitet sie in seiner Apotheke in Türkismühle
zu Beinwell-Salbe oder -Gel. Wirkt bei Arthrose, Rheuma und Sportverletzungen wie
Zerrungen und Prellungen. Und dieses Gel
kann man auch gut selber zu Hause herstellen,
verrät Potempa:
Die Pflanze wird einschließlich Wurzel ausgegraben, gewaschen und dann zerkleinert - von
der Wurzel bis zu den Blättern. Das Ganze
kommt in ein Glasgefäß, wird mit 50-prozentigem Alkohol versetzt, umgerührt und drei
Wochen abgedeckt stehen gelassen. Danach
hat sich ein dunkler Sud gebildet, der durch
ein Sieb passiert wird. Die Restflüssigkeit wird
mit einem Gel-Bilder versetzt und ein Tag spä-
ter kommt noch eine Ammoniaklösung dazu.
Das macht den Extrakt cremig und haltbar.
Noch einmal kräftig durchgerührt – fertig ist
das Beinwell-Gel zum Einreiben! Andere
Pflanzen, vor allem die mit giftigen Ingredienzien, sollte man aber tunlichst nicht selber
verarbeiten – und auch nicht einnehmen,
ohne vorher den Arzt oder Apotheker gefragt
zu haben.
Seit 1974 betreibt Potempa nun seinen Heilund Kräutergarten. Nicht weil er ein fanatischer Apostel der Heilkräuterkunde wäre – in
seiner Apotheke gibt’s ja auch jede Menge
„normaler“ Pillen – sondern weil er in den Naturkräutern eine vernünftige und wirksame
Ergänzung zu den Erzeugnissen der PharmaIndustrie sieht. Inzwischen ist seine in jeder
Beziehung blühende „Feld-Wald-und-Wiesen-Apotheke“ am Busen der Natur ein beliebter Treffpunkt geworden für Landfrauen
wie für Studenten der Pharmazie, für naturheilkundlich orientierte Ärzte wie für Wanderer, die sich von der auffallenden Blütenpracht
41
Kontakt
Dr. Karlheinz Potempa
Hubertus-Apotheke
Saarbrücker Straße 47
66625 Nohfelden-Türkismühle
Tel: 0 68 52 - 63 65
Fax: 0 68 52 - 77 59
www.hubertus-kraeutergarten.de
Öffnungszeiten
am Wegesrand haben anlocken lassen. Sie alle
sind eingeladen, sich zwischen Mai und September von Dr. Potempa durch den Garten
Eden der Naturheilkräuter führen zu lassen.
Alles andere als eine trockene Angelegenheit,
nicht nur deshalb, weil der Apotheker seine
Gäste zum guten Schluss noch zum Umtrunk
in eine lauschige Laube bittet...
Und wer sich danach noch weiter in die Materie vertiefen will, dem sei das Bildbändchen
von Ulrike und Karl-Heinz Potempa empfohlen: „Dr. Potempas Gift und Heilkräutergarten“ – eine Beschreibung heimischer Heilkräuter, ihrer Wirkung und Anwendung.
Von Mai bis Sept., nur für Gruppen
und nach tel. Vereinbarung
Einzelpersonen können sich Gruppenführungen
anschließen. Schon feststehende Termine:
15./20.5. jew. 15 Uhr, 30.5. 18 Uhr,
5.6. 17 Uhr, 26.6. 16 Uhr,
28.6./9.8./16.8. jew. 9 Uhr
as war gewagt. Das war so gewagt, das kann
man sich heute fast gar nicht mehr vorstellen: Mai 1950. Der Krieg ist gerade erst fünf
Jahre vorüber. Die Deutschen sind endlich besiegt. Sie werden gehaßt. Und da geht einer her
und sagt den Franzosen: Laßt uns eine Versöhnung anstreben. Laßt uns die Grundlagen der
wirtschaftlichen Prosperität, laßt uns Kohle
und Stahl gemeinsam nutzen. Laßt uns die
Communauté Européene du Charbon et de
l'Acier, die Montanunion gründen.
D
Es war ein Samstag oder ein Sonntag, als
Robert Schuman, der französische Außenminister, den Entschluß faßte, die Gründung der
EGKS (auch Montanunion genannt, ursprünglich eine Idee Jean Monnets) vorzuschlagen und voranzutreiben. Er hatte wie immer am Freitag den Zug bestiegen, um der Pariser Stadtluft zu entkommen. Er war hier, atmete die lothringische Luft von Scy Chazelles.
Vielleicht stand er am Fenster seines Arbeitszimmers. Vielleicht guckte er über seinen
Eine Lothringer Distel für Europa
Besuch im Robert Schuman Haus in Scy-Chazelles
Eintrittspreise
3 € pro Person (incl. Umtrunk)
Anfahrtsweg
A 1/A 62, Abfahrt Nohfelden-Türkismühle.
Treffpunkt für Führungen: Hubertus-Apotheke,
Saarbrücker Str. 47 in Türkismühle
Wolfgang Felk
42
43
12
großen Garten hinweg in die Weite. Sah auf
die bewaldeten Hügel auf der anderen Seite
der Mosel. Ganz sicher stellte er sich ein geeintes Europa vor. 1950!
Die Mosel war lange der Grenzfluß gewesen.
Von 1870 bis 1918 hatte Scy-Chazelles zu
Deutschland gehört. Aber als Schuman sein
kleines Haus hier kaufte, im Frühjahr 1926,
war es schon wieder Frankreich. Lothringen –
Grenzland, Spielball der Mächte. Und er?
Schuman? Grenzgänger, einflußreicher Spieler im Team der Mächtigen, obwohl er nie einer der machthungrigen Intrigenspinner war,
die sonst dieses Feld bevölkern.
Er war vielmehr ein sehr gebildeter und
durchgeistigter Mann. Sprach Französisch,
Deutsch und Luxemburgisch. Las viel.
Glaubte an Gott. Und war dazu ein sehr bescheidener Mann. Die Einwohner von ScyChazelles erzählen sich, dass er niemals ein
Taxi genommen hätte, um zum Bahnhof zu
44
kommen, wenn er zum Zug nach Paris
mußte. Er lief, wie alle anderen auch, zu Fuß
den Berg hinunter und auch wieder hinauf.
Und Scy-Chazelles liegt am Hang des Mont
St. Quentin, da gilt es ganz schön Steigung zu
überwinden. (Was einem leichter fällt, wenn
man sich den erwähnten Blick über das Moseltal ausmalt.) Er grüßte grundsätzlich
freundlich alle Menschen, denen er begegnete, interessierte sich für die Schicksale seiner Mitbürger, war sich auch nicht zu fein,
sie dann und wann um Rat zu fragen.
Oft hat er die Gesellschaft von Mönchen gesucht, sich in die Abgeschiedenheit der Abtei
von Ligugé zurückgezogen, in der Nähe von
Poitiers.
In der Bibliothek neben seinem Arbeitszimmer, reihten sich dicht an dicht 8000 Bände.
Werke der französischen, der deutschen Literatur, Werke über Lothringen, über Luxemburg, über das Saargebiet.
45
Heute besitzt das Museum davon nur noch
3000 Bände, denn als Schuman 1963 starb,
konnten sich die Erben nicht einigen, was mit
den Büchern geschehen sollte und verkauften
sie auf einem Flohmarkt im Garten, auf den
sie auch keinen weiteren Wert legten.
In diesem riesigen Garten blühten über Jahre
nur mehr Gänseblümchen. Die hätten Schuman zwar bestimmt gefallen, denn er liebte
vor allem weiß-blühende Blumen, doch es
hätte ihn auch erschüttert, ihn so verwahrlost
zu sehen.
Erst in diesem Jahr bekommen wir Nachkommen wieder eine Ahnung davon, wie
Schumans Garten ausgesehen hat. Im Rahmen des Projekts „Gärten ohne Grenzen“
werden auf 1000 Quadratmetern lothringische Pflanzen angesät. Dazu gesellt sich, unter den Bäumen, ein „Schattengarten“ und
außerdem wird es wieder einen üppigen
Gemüsegarten geben. Wir werden vor Bohnen, Erbsen und Salat stehen. Schuman war
„un homme à tout faire“, einer, der alles
konnte. Und so war er nicht nur Denker und
Politiker, sondern gelegentlich auch Klempner und Gärtner. In seinem Gemüsegarten
wuchs alles, was des Gourmets Herz höher
schlagen läßt. Ein Koch war er zwar nicht,
aber das konnte er getrost seiner Haushälterin überlassen. Marie Kelle hieß sie, war 20
Jahre älter als ihr Dienstherr, lebte 44 lange
Jahre mit ihm, bis zu seinem Tod, und von
ihren Kochkünsten schwärmen die Schuman-Kenner heute noch.
Marie war zwar nicht die einzige Frau in Schumans Leben, aber er hat nie geheiratet. Man
sagt, er habe eine sehr enge Beziehung zu seiner luxemburgischen Mutter gehabt, der er als
Student (der Jurisprudenz) aus Metz, Bonn,
Berlin, München und Straßburg fast täglich
schrieb. Und als sie starb, war er erst 25. Vielleicht hat er danach immer eine Frau gesucht,
46
die seiner Mutter geähnelt hätte? Und diese
nicht gefunden?
Diese Details aus dem Privatleben des „Vater
Europas“ erfährt man im Museum nicht, da
muß man schon die Mitarbeiter des Centre Europeen Robert Schuman fragen, dessen Aufgabe es unter anderem ist, Leben in dieses Museum zu bringen. Es veranstaltet Treffen für Jugendliche, vermittelt die Geschichte Europas.
Jetzt noch in einem Zelt, das auf dem hintersten Zipfel des Garten-Geländes steht, in absehbarer Zeit aber in ganz neuen Gebäuden.
Der Conseil Regional de la Moselle hat mit der
Maison Robert Schuman viel vor. Insgesamt
will man in den nächsten Jahren 5-6 Millionen
Euro auf dem Mont St. Quentin investieren.
Bis Mai 2004 wird das Wohnhaus selbst geschlossen sein, es muß renoviert werden,
denn es kommen inzwischen 10.000 Besucher im Jahr (überwiegend Deutsche) und
dafür war das Parkett nicht gemacht. Dann
sollen neue Ausstellungs- und Veranstaltungsräume, wie auch Büros entstehen. Wo
die plaziert werden, das ist noch nicht geklärt
und wird den Architekten auch einiges Kopfzerbrechen bereiten, denn das ganze Ensemble um die Maison Robert Schuman steht
unter Denkmalschutz. Dazu gehört neben
dem Wohnhaus auch das zweite Haus auf
dem Grundstück, die Conciergerie (in der
sich unten eine Schuman-Ausstellung befindet, die, wie auch der Garten, während des
Umbaus des Wohnhauses offen bleibt). Vor
allem aber auch die wunderschöne romanische Wehrkirche gegenüber, in der Schumann begraben liegt. François Mitterrand
hätte ihn gerne ins Pantheon geholt, doch
seine Freunde wehrten dieses Ansinnen ab –
er hätte so viel großstädtischen Pomp gewiß
nicht gewollt, argumentierten sie.
Ein paar 1000 der zu investierenden Euros sollen auch in die Garage fließen, in der man den
alten Simca Aronde ausstellen will, das Auto,
das Robert Schuman fuhr.
Das ist vielleicht ein netter Gag, wird aber
nicht so viel über Schuman aussagen, wie der
„chardon lorrain“, die lothringische Distel,
die sich immer wieder auf seinen Schränken
findet, auf dem Geschirr und hoffentlich auch
im Garten. Die Distel, Symbol für eine anspruchslose Pflanze, die ganz schön durchsetzungsfähig ist, eine gewisse Härte ausstrahlt,
dabei aber wunderschön blüht. Symbol für die
Lothringer und Symbol auch für diesen bescheidenen Europäer, der mit seiner großen
Vision vom Frieden die Welt ein bißchen besser gemacht hat.
Anke Schaefer
Kontakt
Maison de Robert Schuman
8, Rue Robert Schuman
F – 57160 Scy-Chazelles
Tel: 0 03 33 - 87 60 19 90
www.cg57.fr
Öffnungszeiten
1.Mai bis 30. September tägl. außer Dienstag
10 - 12 Uhr, 14 -18 Uhr
1. Oktober bis 30. April tägl. außer Dienstags
14 - 18 Uhr
Wohnhaus wegen Umbau geschlossen,
Wiedereröffnung 9. Mai 2004;
Garten und Wehrkirche sind aber geöffnet.
Eintrittspreise
3€
ermäßigt 1,50 €
Anfahrtsweg
Autobahn in Richtung Metz, Abfahrt Metz Centre,
dann immer Richtung Autobahn Nancy,
Montigny les Metz; durch Montigny les Metz
ganz durch, wieder Richtung Autobahn Nancy/
Verdun, auf den Autobahnzubringer und über
die Mosel, dann Scy Chazelles,
auf der Hauptstrasse an dem Schild nach links
abbiegen und den Berg hochfahren...
47
eutzutage müssen unsere Füße ganz schön
viel aushalten. Nicht nur unser Gewicht.
Meist sind sie auch noch eingepackt in
Strümpfe und fest verschnürt in Schuhen, ob
mit oder ohne Absatz. Die armen! Kein Wunder, dass sie sich manchmal ins Freie sehnen
...aber auch Sandalen sind da nur ein kleiner
Lichtblick. Barfuß laufen wäre das richtige –
aber wann macht der Mensch von heute das
noch? Vielleicht im Urlaub am Sandstrand
oder im Wattenmeer oder bei der Reflexzo-
H
nen-Massage. Das alles ist aber entweder weit
weg oder teuer. Doch unseren Füßen kann geholfen werden. Sogenannte Barfußwege haben nämlich Konjunktur. Und im Saarland
gibt es inzwischen sogar zwei davon. Den in
Waldhölzbach und jetzt auch den im Freisener
Ortsteil Oberkirchen. Der wurde vor einem
Jahr eröffnet und gehört zum Projekt Renaturierung und Reaktivierung des Ostertals.
Der Barfußweg Oberkirchen ist ein Rundweg
von gut anderthalb Kilometern Länge und
Mal so richtig von den Socken sein
13
Der Barfußweg in Oberkirchen
liegt mitten im schönen Ostertal im Norden
des Saarlandes. Der Weg hat 22 Stationen und
führt über weite Strecken am Hobelbach entlang. Der kann sich seit kurzem auch wieder
frei in seinem Bett entfalten und ist ein Quellzufluss der Oster.
Das Prinzip der Barfußwege ist ganz einfach:
ohne Schuhe über ganz verschiedenen Untergrund laufen. In Oberkirchen sind das zum
Beispiel Sand und Lehm, Rindenmulch und
Wiesen oder Kiesel und Hölzer. Jede der 22
Stationen hat einen eigenen Untergrund, mal
ganz fein, aber auch mal ganz grob.
Und weil das manchmal nicht so angenehm
ist, vor allem wenn Sie länger nicht barfuß gelaufen sind, ist der Oberkircher Weg so angelegt, dass Sie schummeln können, ohne dass es
groß auffällt: Sie laufen einfach um die Station
rum. Aber das ist ja nicht der Sinn der Sache
und außerdem lohnt es sich in dem Fall wirklich, tapfer zu sein!
Nicht nur Ihre Füße machen neue Erfahrungen, wenn sie direkten Kontakt zur Erde haben.
Auch Sie nehmen sich selbst und Ihre Umgebung ganz anders wahr. Beim Gang über Waldboden und Wiese zum Beispiel merken Sie, wie
weich natürlicher Untergrund ist, wie gut er
48
abfedert, kostenlos – bei Straßenschuhen müssten Sie das teuer bezahlen.
Auf dem Knüppeldamm dann werden Sehnen und Muskeln so richtig gefordert und gefördert. Auf den Rundhölzern ist nämlich abrollen angesagt. Das sind wir kaum noch gewohnt und das sieht auf den ersten Metern
auch ziemlich lustig aus, aber dann machen
Ihre Füße das von selbst. Und die empfindlichen Fußsohlen bekommen als Belohnung
eine richtig gute Massage – kostenlos, versteht sich.
Beim Laufen durch Sand oder über Kiesel
können Sie testen, wie beweglich Ihre Zehen
sind und wenn Sie Lust haben, können Sie sogar richtige Greifübungen damit machen –
das ist nur ein bisschen anstrengend, bringt
aber richtig Spaß, vor allem, wenn Sie in der
Gruppe sind und Kinder mit dabei haben.
Zwischendurch lohnt es sich immer wieder,
eine kleine Pause einzulegen und einfach die
Landschaft zu genießen. Dabei sollten sie sich
vor allem den Weiselberg einmal genau anschauen. Das ist jener Berg, nach dem das
Schwimmbad am Start und Ziel des Barfußweges benannt ist. Und dieser Weiselberg
hat eine sehr lange Geschichte. In früheren Jahren haben die Menschen im Freisener Land
dort nämlich nach Halbedelsteinen gesucht
und sind auch fündig geworden. Die Schätze
wurden dann nach Idar-Oberstein zu den
Schleifern gebracht. Auch heute noch wird in
der Region nach Halbedelsteinen geschürft, allerdings nur noch zum Vergnügen. Und die
Stollen im Weiselberg sind auch noch vorhanden. Sie sind nur leider in so schlechtem Zustand, dass es lebensgefährlich wäre, dort hinein zu gehen. Und deshalb sind diese Stollen
gut verschlossen. Noch, es gibt nämlich bereits
Pläne, den wertvollen Weiselberg für den Tourismus zu erschließen. Das aber kostet ziemlich
viel und da auch in der Freisener Gemeindekasse derzeit Ebbe herrscht, wird es wohl noch
einige Zeit dauern, bis die Stollen im Weiselberg für die Öffentlichkeit freigegeben werden.
Auf dem Rückweg müssen Sie mit bloßen
Füßen den Hobelbach überqueren. Und das
heißt entweder rein ins klare, aber nicht allzu
tiefe Nass, oder Geschicklichkeitstraining und
Steine-Hüpfen machen. Wenn Sie nicht wasserscheu sind, wird es Ihnen ohnehin so viel
Spaß machen, dass Sie beide Varianten ausprobieren. Und wenn Sie Kinder dabei haben, werden Sie sich an der Stelle vermutlich sowieso
länger aufhalten. Für die Kleinen gibt es dann
kurz vorm Ziel noch einen Leckerbissen, einen
49
Kontakt
Gemeinde Freisen
Schulstraße 60
66629 Freisen
Tel: 0 68 55 - 97 55
Gemeinde_Freisen@t-online.de
www.freisen.de
Öffnungszeiten
Von Mai bis Oktober
täglich von 9 bis 20 Uhr
En Route
Anfahrtsweg
Über die B 41, ob mit oder ohne Abstecher auf
die Autobahn, über Neunkirchen nach Ottweiler.
Dort auf die B 420 bis etwa Höhe Marth.
Dann auf die L122 über Osterbrücken und
Haupersweiler nach Oberkirchen.
Der Barfußwanderweg startet am Weiselbergbad
und das ist gut ausgeschildert
ziemlich großen Spielplatz mit allen erdenklichen Geräten zum ausprobieren und austoben.
Wenn Sie dann zurück zum Parkplatz des
Weiselbergbades kommen, dann werden Ihre
Füße gut massiert und gut durchblutet und
auch ein bisschen schmutzig sein. Aber auch
daran haben die Planer des Barfußwegs in
Oberkirchen gedacht. Direkt neben dem
Holzhäuschen, in dem Sie Ihre Treter abstellen können, gibt es nämlich eine Wasserstelle.
Dort können Sie Ihre Füße waschen und sich
dann ganz sauber und um etliche Eindrücke
reicher auf den Heimweg machen.
Ulli Wagner
50
51
ine landschaftlich reizvolle Strecke vorbei
an Natur- und Landschaftsschutzgebieten,
gut befahrbar, ohne nennenswerte Steigungen
und rund 15 Kilometer lang – das sind die
grundlegenden Merkmale des 2002 eröffneten Radwegs zwischen Waldmohr und GlanMünchweiler.
Der Radweg, den auch Wanderer nutzen können, führt zum Teil über die Trasse der ehemaligen Glantalbahn, aber auch über asphaltierte
Feldwirtschaftswege. Wo der Asphalt fehlt, rollt
E
idyllisch gelegene Mohrmühlweiher veranlasst
nicht nur Angler zum stationären Müßiggang,
vielmehr ist er mit seinen Rastmöglichkeiten
und gastronomischen Angeboten auch geeignet, Radfahrambitionen zu dämpfen.
Wer sich dennoch vom Weiher lösen kann,
der wird kurze Zeit später nach rechts auf die
ehemalige Bahntrasse einschwenken und in
einer mit Bäumen und Sträuchern gesäumten
tiefen Schneise schnurgerade dahin rollen.
Schatten ist selbst an heißen Sommertagen zur
Am Glan-Bliesweg schnaubte das Dampfross ...
14
...heute quietschen hier die Drahtesel
das Rad auf einem Belag aus feinkörnigem
Steinsand auf festem Unterbau, so dass selbst
nach Regentagen die Felgen nie Gefahr laufen
in schlammigem Boden zu versinken.
Schon beim Start in Waldmohr könnte der
Radwanderer indes der Versuchung erliegen,
bereits nach wenigen Metern das Pedaltreten
einzustellen, um vor Ort zu verweilen. Der
52
Genüge da. Die ersten Kilometer sind mangels Steigungen ohnehin alles andere als
schweißtreibend. Auf der Höhe von Schönenberg-Kübelberg müssen die radfahrenden
Touristen die Route der 1981 verbannten Eisenbahnzüge verlassen und auf einen Feldwirtschaftsweg wechseln. Linkerhand zeigt
sich der über eine Brücke zu erreichende
schmucke Ort. Burgen und Schlösser oder andere Aha-Erlebnisse hat Schönenberg-Kübelberg zwar nicht zu bieten, dafür aber einige
Einkehrmöglichkeiten und vor allem ländliche Abgeschiedenheit mit herrlichen Aussichten. Der Blick schweift ungehindert über die
weite Hügellandschaft, sucht aber möglicherweise vergeblich das nächste Hinweisschild,
das Aufschluss auf den weiteren Verlauf des
Radweges geben könnte. Vandalen montieren
mitunter die mit einem Radfahrer-Logo versehenen Wegweiser ab.
Die freundlichen Zeitgenossen aus dem Kreis
Kusel helfen dann aber gegebenenfalls gerne
weiter, klären darüber auf, daß es zunächst
einmal nach rechts geht, dann in einem Linksbogen um einen kleinen Fischweiher herum,
bevor es schließlich wieder rechts hinunter talwärts zu fahren gilt. Beiderseits des Radwegs
sind nur Wiesen und Weiden, stellenweise
aufgelockert mit Baumbewuchs.
Unten angekommen sollte man es vermeiden,
das nach links weisende Hinweisschild zu
übersehen, rechts endet der Weg entlang eines
teilweise sumpfigen und durchaus schönen
Terrains abrupt im Kiefernwald vor dem Zaun
eines US-Militärgeländes.
Die richtige Route streift irgendwann einen
unschönen Autoschrottplatz – einziger Makel
des Glan-Blies-Radwegs. Danach ist es nur
noch pure Freude durch die Landschaft zu radeln, einen Bach überquerend, um alsbald
wieder die alte Bahntrasse zu erreichen. Andere Radfahrer kommen entgegen, sportliche
Mountainbiker, die aufs Tempo drücken,
dann wieder komplette Familien oder ältere
Leute, die eher das gemütliche Dahinrollen
auf der Kräfte schonenden Strecke schätzen.
Ein Abstecher zum nahen 15 Hektar großen
Ohmbach-Stausee ist jetzt empfehlenswert.
Da kann man baden, grillen oder Boot fahren,
sich eine Ruhepause gönnen – wenn´s länger
sein soll auch auf dem Campingplatz.
Ansonsten geht es inzwischen wieder auf der
alten Bahntrasse weiter auf Elschbach zu, dort
vorbei am ehemaligen kleinen Bahnhof, der
heute Privathaus ist. Kurz hinter dem Ort radelt man durch einen Tunnel, in dem eine bescheidene Beleuchtung den nach wie vor
guten Zustand des Weges ausreichend erkennen lässt. Unmittelbar nach Verlassen der vielleicht zweihundert Meter langen Röhre folgt
das schönste Teilstück des Glan-Blies-Weges:
ein weites Tal öffnet sich, tief unter der Trasse
53
54
Die romanische Kirche ist auf 840 datiert und
d i e Sehenswürdigkeit vor Ort, wo 1793 die
Reichsgräfin von der Leyen vor den französischen Revolutionstruppen Zuflucht suchte.
Nach deren Siegszug gehörte Glan-Münchweiler übrigens zum Kanton Waldmohr im
Arrondissement Saarbrücken.
Vor Antritt der Rückfahrt nach Waldmohr
lohnt ein Besuch von „Ulli´s gudd Stub“.
Dort gibt es nicht nur Stärkung zu zivilen
Preisen, sondern auch Gratis-Pressluft für die
Fahrradreifen. Die dürfte notfalls auch noch
für die Fortsetzung des Glan-Blies-Radweges
bis nach Bliesbruck-Reinheim oder gar bis
Saargemünd reichen.
Gabor Filipp
Kontakt
Tourist-Information Kusel
Trierer Straße 41
66869 Kusel
Tel: 06 38 - 42 42 70
Touristinformation@kv-kus.de
Öffnungszeiten
ganzjährig
Anfahrtsweg
Ab Saarbrücken über Autobahn A 620 bzw. A 6 bis
Anschlussstelle Waldmohr, ab dort auf der B 423 in
Richtung Schönenberg-Kübelberg, links nach Waldmohr und bei erster Gelegenheit rechts zum Mohrmühlweiher einbiegen. Dort gibt es Parkmöglichkeiten und ist der Start. Gesamtentfernung ca. 43 Kilometer ab Saarbrücken.
undes Gesicht, abstehende Ohren, einen
Ausdruck in den Augen, der nicht so leicht
zu deuten ist. Vielleicht fragt er sich, was das
ganze Posieren soll, vielleicht zweifelt er auch
ein bißchen daran, ob das, was sich vor seinen
Augen (und für uns unsichtbar) abspielt, wohl
seine Richtigkeit haben mag. Wie alt wird er
sein, auf diesem Bild? Vielleicht 12? Er steht
neben seiner sehr geliebten Mutter, die in die
gleiche Richtung guckt, am Fotografen vorbei, offen, freundlich. Robert Schumans Mut-
R
© Centre d’études et de recherches européenes Robert Schumann
fließt der Glan gemächlich dahin, sucht sich
das naturbelassene Flüsschen mit vielen Windungen nach Gusto seinen Weg, begleitet sich zwischen grünen Wiesen dahinschlängelnd - den Radwanderer nunmehr auf seiner
weiteren Fahrt. Den Weg mal zu verlassen für
ein Picknick am Ufer oder um einfach die
Füße ins kühle Wasser baumeln zu lassen ist
sicherlich nicht verkehrt.
Dietschweiler als nächste Station bietet außer
einer Pizzeria eine eigens für Radfahrer geschaffene Imbissmöglichkeit und darüber hinaus ein beschauliches dörfliches Ortsbild. Gegenüber der hübschen neoromanischen Kapelle in der Kirchstrasse ist bei der Imkerei
Thoma feiner Honig zu haben.
Wenig später – kurz vor Nanzdietschweiler und
von der Trasse kaum einsehbar – ist der Glan
wieder ganz nah und an seinem Ufer eine unter Denkmalschutz stehende alte Waschtreppe
bestehend aus elf Steinquadern, unter denen
die Stufen hinab zum Wasser führen. Jenseits
einer kleinen Brücke gleich nebenan gruppieren sich einige Häuser romantisch um eine verfallene Mühle aus Sandstein.
Von Nanzdietschweiler aus lässt sich ein Abstecher nach Brücken machen. Wer wie Marilyn Monroe der Meinung ist „diamonds are
the girls best friends“ wird dort das Diamantschleifermuseum ansteuern. Andernfalls folge
man wieder dem Radweg, der an mit
Schildchen erklärten geologischen Besonderheiten in der flankierenden Felswand vorbei
führt, um dann eine noch in Betrieb befindliche Bahntrasse zu queren. Rechterhand glitzert der Glan, und kurz darauf taucht GlanMünchweiler auf sowie dann ein Schild mit
der Aufschrift: „Hier endet vorläufig der
Glan-Blies-Weg. Wir bauen weiter für Sie“.
Glan-Münchweiler, besiedelt schon zur Römerzeit, ist gewiss nicht aufregend, sondern
ein eher stilles und gemütliches Fleckchen.
Schnippchen auf dem Bockfelsen
15
Dr. Robert Schuman Rundgang in Luxemburg
ter war Luxemburgerin, und hier in Luxemburg, in Clausen, nahe der Alzette, in einem
wunderschönen Haus mit Türmchen ist er geboren. In diesem Dorf ist er groß geworden.
Er, der später französischer Außenminister
wurde und nach dem 2. Weltkrieg mit dem
Schuman-Plan einen Weg der Versöhnung
eröffnete, indem er die Montan Union auf
den Weg brachte. Er, der heute zu recht
gerühmt wird als der „Vater Europas“. Er
sorgte dafür, dass Deutsche und Franzosen
Kohle und Stahl gemeinsam nutzten und ein
neuerlicher Krieg damit unmöglich wurde. Er
war prädestiniert für diese Rolle des Vermittlers über die Grenzen hinweg. Denn seine
Mutter war Luxemburgerin, sein Vater aber
Deutscher. Zuerst. Und dann Franzose. Sein
Vater war Lothringer, aus dem kleinen Dörfchen Evrange, das an der Grenze zu Luxemburg liegt, gegenüber von Frisange. Als Robert
geboren wurde, 1886, waren Vater und Sohn
Deutsche. Nach dem ersten Weltkrieg aber,
1918, wurden sie Franzosen.
Die Stadt Luxemburg hat nun einen Weg
erdacht, der durch die ganze Innenstadt führt,
und der verspricht, die geneigte Europäerin
auf den Spuren des damals noch jungen Vaters
der heute immer größer werdenden Union
entlang zu führen. Zweieinhalb Stunden soll
sie einplanen und wird gefragt, ob sie wohl
auch wirklich gut zu Fuß sei? Selbstverständlich, nickt die Europäerin leichtfertig und da
legt die Führerin auch schon los, ihre ersten
Ausführungen macht sie – auf der Place d’Armes, direkt vor dem City Tourist Office. Dieses befindet sich im sehr repräsentativen „Cercle Municipal“. Und hier waren Räumlichkeiten für den Gerichtshof der EGKS, der von
Schuman gegründeten Europäischen Union
für Kohle und Stahl untergebracht (Mitglieder: Benelux, Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande). So so. Nächster Ort von
Interesse – das neoklassische Rathaus auf der
Place Guillaume. Hier fanden sich am 8. August 1952 die Außenminister der EGKS ein
und feierten die Etablierung der sogenannten
„Hohen Behörde“ (aus der später die EUKommission hervor gehen wird). Aha, soso,
mhmh. Nebenbei erklärt beflissen die Führerin, dass dieser Platz bei den Luxemburgern ja
der „Knuedler“ genannt wird. Warum? Weil
sich hier Anfang des 13. Jahrhunderts ein
Franziskaner Kloster befand, das eines Nachts
vor langer Zeit, auch das, bitte sehr, nur ne55
© Luxembourg City Tourist Office
benbei, spektakulär in die Luft flog, weil ein
Munitionslager explodierte. Aber, also jedenfalls diese Franziskaner-Mönche, die pflegten
ihre braunen Kutten durch einen Strick am
Leib festzubinden, der natürlich geknotet
werden mußte, mit einem „Knued“, daher
später der „Knuedler“..... Interessant, nickt
höflich die geneigte Europäerin, und beginnt
heimlich und leise zu zweifeln, ob sie auf diese
Weise dem jungen Robert Schuman mit den
abstehenden Ohren wohl näher kommen
wird? Hat er die Geschichte vom Knued wohl
(anders als die meisten anderen Luxemburger,
wie die Führerin stolz versichert) gekannt?
Und wenn ja - hat sie ihn interessiert? Hat er
sich vielleicht als Junge mal als Mönch verkleidet? Und sich am Knoten einer Kutte versucht? Abwegig wäre das nicht, denn er hat
später, als er dann Außenminister war, oft das
Leben in der Abgeschiedenheit gesucht, ist in
ein Kloster gefahren, um zu beten und alleine
56
zu sein. (Näheres zum Leben des erwachsenen
Schuman in diesem Heft auf S.43 Seitenverweis). Heute gibt es sogar eine Gesellschaft,
die sich um seine Heiligsprechung bemüht
und man hofft, dass es 2005 so weit sein wird.
Sehenswürdigkeit Nummer drei ist dann ein
weiteres, eher schnödes, sehr abweisendes, unpersönliches Gebäude: Die Nationalbibliothek. Bevor die Nationalbibliothek allerdings
hier einzog, war dies das Athenäum der Stadt
Luxemburg, das Jesuiten-Gymnasium. Und
hier lernte Robert Schuman Deutsch und Französisch, dazu Latein und Griechisch. Aus welchem der Fenster mag er wohl geguckt haben,
wenn ihm zwischen all den Vokabeln mal zum
Träumen war? Oft ist das sicher nicht vorgekommen, denn obwohl er ein sehr guter
Schüler war, mußte er sich konzentrieren. Es
wurde viel verlangt. „Wir“, sagte er später über
seine Schulzeit, „wir, die wir auf dieser Demarkationslinie zwischen Frankreich und Deutschland lebten, mussten uns profunde Kenntnisse
in beiden Sprachen und beiden Kulturen aneignen. Das hat es den Lehrern nicht leicht gemacht, die Lehrpläne waren überfrachtet. Vielleicht habe ich nie in meinem Leben mehr gearbeitet“.
Noch steht man vor der Mauer, guckt zu den
Fenstern hoch, versucht sich den rundgesichtigen Jungen dahinter vorzustellen, als die Führerin zum Weitergehen drängt, Sie wissen ja,
zweieinhalb Stunden, nein, da sollten wir nicht
trödeln, Punkt Vier des Weges ist angesagt... –
doch: Da durchfährt es die geneigte Europäerin - nein. Stop. Zu Punkt Vier sollen wir doch
tatsächlich über die ganze lange Brücke, den
Pont Adolphe wandern, nur um dann vor der
Banque et Caisse d’Epargne de l’Etat mit ihrem
Turm zu stehen und auf das Gebäude gegenüber zu blicken, in dem einst der Verwaltungssitz der Eisenbahngesellschaft war und dann –
1952 – der Sitz der „Hohen Behörde“ einge-
richtet wurde. Nein. Gut zu Fuß sein ist eines,
aber Pflastertreten zwischen 17.000 Autos und
noch mehr Auspuffen, nur um etwas von Nahem zu sehen, was man von Weitem viel besser
sieht, und was noch dazu wenig mit dem Jungen zu tun hat, um den es hier geht, das ist was
anderes. Und sollten Sie, geneigte Tour de Kultur-Leser, an diesem Punkt stehen, schlagen Sie
allen Fremdenführern und dem Robert Schuman Rundgang ein Schnippchen, legen sie ein
Veto ein, falls sie nicht völlig fußplatt und abgasvergiftet auf den Spuren des Europäischen
Vaters am Ende den Glauben an den Himmlischen und dazu an alle Väter der Touristik verlieren wollen. Gehen sie nicht über diese
Brücke, dann auch nicht zur Villa Vauban, wo
die öffentlichen Sitzungen des Gerichtshofs der
EGKS abgehalten wurden. Lassen Sie den
Rond-Point- Robert Schuman, einen der – ach
welch Augenweide – verkehrsreichsten Punkte
der Stadt, einfach aus. Ebenso das Gymnasium,
das sich nördlich dieses Verkehrsknotenpunkts
befindet und einfach nur den Namen Schumans trägt, sonst nichts. Sparen sie sich getrost
den wenig erfreulichen Blick auf das rostige,
wenig sinnliche Schuman-Denkmal. Gehen sie
einfach direkt über Los.
Das heißt: Steigen Sie auf den Bockfelsen.
Dies ist die Wiege der Stadt. Von hier oben hat
man eine herrlichen Blick. Tief unten liegt zum
Beispiel das Tal der Alzette, darüber das Kirchberg-Plateau mit dem weißen Hochhaus, in
dem das Europäische Parlament seinen Sitz hat.
Und unter diesem markanten Hochhaus, steht
im Tal, im Stadtteil mit Namen Clausen, besagtes wunderschönes Haus mit dem Türmchen, Robert Schumans Geburtshaus. Weiß
getüncht, hellgelbe Fenstereinlassungen, zwei
kleine Giebelchen ragen neben dem Turm aus
dem schwarzen Dach. Es von hier oben zu sehen ist völlig ausreichend. Heute nämlich ist
darin ein Centre Robert Schuman für Europäi-
sche Studien beherbergt, man kann nicht hinein. Es lohnt sich daher nicht, völlig fußlahm
dort unten anzukommen und dann nur einen
sehnsüchtigen Blick durch das Fensterchen in
der Tür in den Flur werfen zu können. Aber
hier oben, auf der Terrasse des Bockfelsen, gibt
es eine Bronzeplakette, die uns den jungen
Schumann in reifen Jahren zeigt und daneben
gibt es einen Knopf: Drücken Sie ihn – und Sie
hören ihn sprechen. Luxemburgisch, französisch und deutsch.
Geneigt oder nicht, gut zu Fuß oder nicht, in
zweieinhalb Stunden oder vier - näher kommt
man ihm, dem Vater Europas, auf diesem
Rundweg nicht. Aber die Stimme, die aus den
Lautsprechern dieses Open-Air-“Parlodrom“
scheppert, die ist sympathisch, sie hat Überzeugungskraft, hat Charisma. Und wenn man
Schuman in seinen drei Sprachen reden hört,
mit Blick auf diese von Gräben durchfurchte,
geschichtsträchtige Stadt im Grenzland, dann
ahnt man, wie sehr schon der rundgesichtige
Junge mit den abstehenden Ohren die europäische Geschichte im Herzen getragen haben muß. Es war seine Bestimmung, ein Vermittler zwischen den Kulturen zu sein.
Anke Schaefer
Kontakt
Luxembourg City Tourist Office
Place d’Armes
L- 2011 Luxemburg
Tel: 0 03 52 - 47 96 27 09
Touristinfo@luxembourg-city.lu
www.luxembourg-city.lu/touristinfo/
Anfahrtsweg
Autobahn in Richtung Luxemburg, parken am besten
in einem der Parkhäuser, dann zu Fuß auf die Place
d‘Armes
57
W
ie kommt der Teufel von A nach B, oder
sagen wir - von Saarbrücken nach Straßburg? Er reitet nicht auf dem Besen, er ist ja
keine Hexe. Er läuft nicht und er fährt auch
nicht mit dem Auto, er ist ja nun wirklich kein
moderner Mensch. Der Teufel hat ein ganz eigenes Vehikel. Und das trifft man in Straßburg. Natürlich nicht irgendwo, sondern direkt vor dem Gotteshaus. Vor der Kathedrale.
Doch da sind wir noch nicht. Noch stehen wir
auf der“Place du Marché aux Chochons de
erheben sollte. Dieser zweite Turm wurde nie
gebaut, warum, das weiß man nicht. Er fehlt
einem ein bißchen, aber die leere Plattform
ließ sich auch so hervorragend nutzen: Jahrhunderte lang saß da oben nachts ein Wächter und ließ seine Blicke unablässig über die
Stadt schweifen. Nach Bränden hielt er Ausschau und wenn es irgendwo rauchte, dann
schlug er sofort Alarm.
Die Kathedrale, die zieht jedermanns Blick
sofort auf sich, wem aber fällt schon auf, wo-
Der Teufel, der Schuh und das Maß des Überhanges
16
Neue alte Geschichten rund um’s Straßburger Münster
lait“, 100 und ein paar Meter von der Kathedrale entfernt. Wir sind auf der Suche nach
den kleinen Geschichten aus der Geschichte,
die in keinem Reiseführer stehen: Elisabeth,
meine Stadtführerin, und ich. Sie zeigt gerade
eindringlich nach oben, ich will mit dem Blick
der Richtung ihres Armes folgen, als neben
uns etwas rasselt. Wir drehen uns um und sehen, tatsächlich, ein Schwein. Wenn es nicht
rasselt, dann gibt es durchdringende Töne von
sich, ganz wie ein verunglücktes „Oink Oink“.
Klar, muss ja so sein, auf dem Ferkel-MarktPlatz. Doch dieses Schwein rasselt so seltsam
vor sich hin, weil es ein armes KunststoffSchwein ist. Es gehört zum Angebot des Souvenirgeschäftes und zieht die Kinder der Touristen an. Nicht aus Kunststoff waren dagegen
die Ferkel, die hier auf diesem Platz im Mittelalter verkauft wurden. Lang ist’s her. Geblieben ist nur der Name des Platzes, und das
wunderschöne alte Fachwerkhaus, in dem
jetzt rasselnde Souvenirs angeboten werden.
Wir lassen uns nicht weiter ablenken und
gucken nach oben. Da sehen wir ganz nah den
einen, einsamen Turm der Kathedrale und daneben das flache Haus auf der Aussichtsplattform, dort wo sich eigentlich der zweite Turm
58
hin Elisabeth jetzt zeigt? Da dreht sich ein Eisen-Schuh in luftiger Höhe auf dem Giebel
des alten Fachwerkhauses im Wind. Ein mittelalterlicher Schnabelschuh ist das, der sich
schwungvoll über den Zehen zur Schnecke
wölbt. Die Straße, die zur „Place du Marché
aux Chochons de lait“ führt, heißt Rue du
Maroquin, hier wurde also feines marokkanisches Leder verarbeitet, auch zu Schuhen.
Doch der Wetterfahnen-Schuh erinnert an
die Füße eines ganz besonderen Menschen,
weiß Elisabeth: „Es war wohl 1414, als Kaiser Sigismund hier vorbei kam, Kaiser im
Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen“, sie guckt mich kritisch an, wie um zu
fragen, wie gut kennst du dich in Geschichte
aus? Sicherheitshalber fügt sie dann hinzu:
„Straßburg gehörte ja damals zum „Saint
Empire“! „Dieser Sigismund“, so erzählt sie
weiter, sei ein liederlicher Mensch gewesen.
„Kaum war er angekommen, folgte er auch
schon der Einladung einiger Damen zum
Tanze. Nur ist er so blitzschnell hinter den
Frauen her gelaufen, dass er keine Zeit mehr
hatte, seine Schuhe anzuziehen. Er lief barfuß, bis die Damen schließlich solches Mitleid mit seinen armen Füßen hatten, dass sie
ihm hier ein paar Schuhe gekauft haben.“ So
war das also.
Zwar nicht in Schnabelschuhen, dafür aber in
wesentlich luftigeren Sommer-Sandalen gehen wir jetzt in Richtung Kathedrale. Vorbei
an den vielen Restaurants, von denen in der
Rue du Maroquin die meisten einem Deutschen gehören: Dieterle. (Man erkennt sie
leicht: Überall die gleichen roten „Wir- machen-hier-einen-auf-Tradition“-Lampenschirme! Allein schon deshalb ißt man auf jeden Fall lieber woanders...)
Vor der Kathedrale gehen wir rechts und stehen unversehens in einem Pulk von Touristen. Sie warten darauf, vor die astronomische Uhr, also ins Innere des Münsters, gelassen zu werden. Keiner guckt auf die rechte
Wand dieses Süd-Portals. Keiner sieht: Da
steht doch was! In gotischer Schrift: „DIES
IST DIE MASSE DES ÜBERHANGES“.
Drum herum ist ein Kasten gezogen. Elisabeth zeigt die Länge dieses Kastens mit den
Händen: „Die Strecke ist 90 Zentimeter
lang.“ Nur so weit durften die Häuser im
Mittelalter „überhängen“, erklärt sie, eine
wichtige Maßeinheit war das. Denn es gab
im mittelalterlichen Straßburg nur sehr wenig Platz innerhalb der schützenden Stadtmauern. Und knappes Gut war schon damals
teuer: Hausbesitzer mußten gemäß der von
ihnen beanspruchten Grundfläche gesalzene
Steuern bezahlen. Doch manche dieser mittelalterlichen Hausbesitzer waren listig. Sie
bauten ihre Häuser unten ganz eng und klein
und ließen sie nach oben immer breiter werden... Man kann sich leicht vorstellen, wo das
59
hingeführt hätte, hätte die Stadt nicht hier,
an prominenter Stelle, festgelegt, wie weit der
Überhang höchstens in die Straße ragen
durfte... Dazu kommt, dass manche Straßburger Straßen ja auch sehr eng waren (und
es immer noch sind) und sich dort die Erker
fast berühr(t)en – was natürlich vor allem bei
Ausbruch eines Brandes fatal sein konnte
(und kann).
Wir lassen die Touristen, die keine Ahnung
von den kleinen Dingen, etwa vom Maß des
Überhanges haben, weiter auf das (zugegeben:
auch nicht zu verachtende) Uhr-Erlebnis warten und gehen einmal hinter der Kathedrale
herum, bis wir auf deren Nordseite stehen.
Gegenüber der Kirche verkauft ein wohlhabender Straßburger Antiquitätenhändler seine
Schmuckstücke. „Achte auf das schmiedeeiserne Schild an diesem Haus aus dem 18. Jahrhundert“, sagt Elisabeth und lenkt einmal
mehr meinen Blick nach oben. Das Schild
zeigt die Kathedrale, mit einem erstaunlichen
Zusatz: Auf der Spitze ihres einsamen Turmes
trägt sie ein kleines rotes Mützchen! Über diesem Emblem lächelt ein bronzener Männerkopf. Es ist der Kopf des Herrn, der hier früher
wohnte, Herr Sulzer. „Das war zur Zeit der
Revolution einer der bedeutenden Schmiede
der Stadt Straßburg“, erklärt Elisabeth, „und
die Revolution, die ist natürlich auch am
Straßburger Münster nicht spurlos vorüber
gegangen.“ 1792 wurden die Gottesdienste
abgeschafft, man nannte das Münster nur
noch den „Tempel der Vernunft“. Rund 300
Statuen haben die Revolutionäre zerstört,
doch damit nicht genug, wollten sie auch
noch dem Turm die Spitze abschlagen. Eine
einsame Spitze, das widersprach doch klar
dem Postulat der Gleichheit! „Doch da kam
Sulzer!“ ruft Elisabeth, voller Stolz auf die Findigkeit dieses Mannes, „er hat sie gerettet! Er
hat vorgeschlagen, dass man die Spitze doch
60
lieber nutzen sollte, anstatt sie abzuschlagen.
Man könnte ihr doch eine rote Jakobinermütze aufsetzten! Die Revolutionäre fanden
das gut!“ Und er wahrscheinlich auch, denn er
hat die Mütze aus Blech hergestellt, rot angemalt. (Doch bestimmt nicht umsonst.) „Neun
Jahre“ weiß Elisabeth, „hatte die Spitze diesen
Jakobiner-Hut auf – das war eine hervorragende Werbung für die Revolution!“
1801, als der Spuk vorüber war und die Kathedrale wieder zum Gotteshaus werden
durfte, hatte die Spitze ihre rote Mütze noch
auf – und dann noch für ein weiteres ganzes
Jahr – denn sie war nur schwer wieder abzunehmen. Später ist sie dann leider im Kugelhagel von 1870 zerstört worden.
Hier, wo wir jetzt stehen und rund um die
Kathedrale, befand sich im Mittelalter der
Friedhof. Die Menschen wollten so nah wie
möglich neben der Kirche begraben sein... Irgendwann, Anfang des 16. Jahrhunderts, hat
man dann aber gemerkt, dass es der Gesundheit nicht unbedingt zuträglich war, wenn das
Wasser, das man aus den Brunnen schöpfte,
auch durch die Verwesung verunreinigt war.
Also verbot man das Begraben der Leichen innerhalb der Stadtmauern und nutzte den Platz
bald anders. Hier, auf der Nordseite, entstand
ein Markt für Brot und Salz, auf der Südseite
einer für Kirschen und Lumpen (damals hat
man nichts weggeworfen!). Und rund um die
Kathedrale wurde eine Galerie gebaut, denn
im 18. Jahrhundert hatten sich jede Menge
kleine Geschäfte an der Kirchenmauer angesiedelt, die dem Kardinal ein Dorn im Auge
waren. Nicht, dass er gemäß dem Bibelwort
die Händler aus der Kirche oder von der Kirche wegjagen wollte – aber einen ästhetischen
Eindruck, den sollte sein Gotteshaus doch
machen – daher die neogotischen Bögen der
Galerie, die einem gar nicht gleich auffällt.
Jetzt, endlich, gehen wir in Richtung Haupt-
portal der Kathedrale. Im Vorbeigehen werfen
wir noch einen Blick rechts auf das Hotel de la
Cathédrale – hängt doch neben dem äußersten Fenster im zweiten Stock etwas
Schwarzes. Wer hat`s gesehen? Es ist tatsächlich eine übrig gebliebene Granate aus dem
Krieg von 1870/71! Es gibt noch ein paar weitere in den Mauern dieser Stadt, martialische
Erinnerung an die – glücklicherweise vergangenen - Kriegszeiten. Als wir mitten auf der
„Place de la Cathédrale“ stehen, wird uns kalt.
Der Wind, der hier bläst, scheint aus der Arktis zu kommen, er ist eisig. Im Winter braucht
man eine dicke Daunenjacke, um das auszuhalten, jetzt ziehen wir die dünnen Pullöverchen über die T-Shirts, was wenig nützt. Der
Wind, ja, der kalte, kalte Wind... woher
kommt der? Elisabeth lächelt wissend. „Das
war so“, hebt sie an, „als man die Kathedrale
fertig gebaut hatte, also um 1330, da hatte jemand nichts besseres zu tun, als zum Teufel zu
gehen und zu prahlen: Wir haben hier ein tolles, ein wunderschönes Gebäude errichtet! Zu
Ehren Gottes! Das konnte der Teufel natürlich
nicht unbesehen so stehen lassen. Das möchte
ich sehen, rief er und schickte nach seinem Vehikel.“ Und was ist das Vehikel des Teufels?
Elisabeth rollt mit den Augen: „Der Wind!“
Na klar. „Vor dem Portal stieg der Teufel ab,
hieß den Wind warten und ging in die Kathedrale hinein. Drinnen aber ärgerte er sich so
furchtbar über die Schönheit des Gebäudes,
dass er vor lauter Wut direkt und ohne Umschweife in die Hölle gefahren ist.“ - „Und der
Wind?“ frage ich und ahne die Antwort
schon: „Der wartet immer noch auf ihn!“
Mit wehenden Hosenbeinen und eiskalten
Zehen (vielleicht hätten Schnabelschuhe an so
teuflischen Orten doch was für sich?) gehen
wir wieder in Richtung Place du Marché aux
Chochons de lait. 900 Jahre Geschichte finden sich hier in den kleinsten Details, denke
ich noch, aber da sitzen wir auch schon vor einer guten Portion Choucroute. Wo? Im
„Münsterstuewel“, das gehört keinem Deutschen und hier herrscht so viel Ur-Straßburger
Atmosphäre, dass man sich leicht vorstellen
kann, dass es vielleicht im Mittelalter schon
genauso gut geschmeckt hat.
Anke Schaefer
Kontakt
Office de Tourisme Strasbourg
17, Place de la Cathédrale
67 082 Strasbourg
Tel: 00 33 3 88 52 28 28
Info@ot-strasbour.fr
www.ot-strasbourg.fr
Öffnungszeiten
9 – 19 tous les jours
Eintrittspreise
Die Tour „Strasbourg Insolite“ dauert 2 Stunden
und man kann sie für 6 € mitmachen
(Allerdings nur auf französisch) am 9 Juli, 23 Juli,
6 August, und 20 August 2003, jeweils 18.30 Uhr
Man kann aber auch privat eine Tour für eine Gruppe
buchen – 114 € (maximal 40 Personen)
Anfahrtsweg
Autobahn A4 bis Strasbourg
61
urz vor der letzten Kurve trat ich erschrocken auf die Bremse. Ein entsetzliches
Geräusch drang durch den Motorlärm. Es
mußte vom Getriebe kommen, so kreischend,
so ungeschmiert, so verrostet wie das klang...
Ich hielt an und schaltete den Motor aus. Einen Moment lang war es so still, wie ein warmer Frühlingstag nur sein kann: Vögel zwitscherten, Kinder lachten, Rasenmäher
brummten. Dann aber wurde das akustische
Idyll erneut zerrissen von jenem klagenden,
K
wie Gerhard Stahl-Manstein, der eigentlich
Geologe ist und in Überherrn auf dem Umweltamt arbeitet, zusammen mit seiner Frau,
die eigentlich ebenfalls Geologin ist, allerdings
in Saarbrücken auf dem Umweltamt arbeitet,
das Haus des Schweinehirten von Berviller auf
dem lothringischen Saargau gekauft hat, wie
sie es peu à peu restauriert und gemütlich gemacht haben, wie ihr Sohn geboren wurde
und („ein halber Franzos!“) hier auch zur
Schule geht, wie sie von den Alten im Dorf
Eine Luxusreise für den Kopf
17
Mit drei Eseln über alte Schmugglerpfade bei Berus
markerschütternden Laut. Es war nicht das Getriebe. (Gottseidank!). Es war - etwas Größeres... vielleicht (hoffentlich!) nur ein rostiges
Eisentor, das zerknirscht in seinen Angeln
hing, drüben, in Berviller? Ich fuhr hin. Das
Geräusch wurde lauter. Kein Schrei einer verbogenen Scheunentür, schlimmer: das Todesröcheln einer gequälten Kreatur, der Hund
von Baskerville, ein Werwolf, Günther Wewel? Jedenfalls ein letztes asthmatisches Brüllen aus einer grausam gemarterten Brust, aus
tieftser Seele, Herr, ruf, schrei ich zu Dir - !
„Das ist Noëlle“, sagte Gerhard Stahl-Manstein. „Sie freut sich immer so, wenn sie die
Gartentür hört.“ Noëlle reckte noch einmal
den Hals und saugte mit einem heiseren,
schwellenden, steigenden „Huuüüüüiiiiiiiii“
ihre Lungen voll Luft und hustete dann alles
wieder mit einem vielstimmig krächzenden
„Bchwwaaaaaaaa!“ wieder hinaus. „Du alter
Esel!“, sagte ich, und Noëlle nickte freundlich
mit ihrem großen Kopf. Noëlle ist ein alter
Esel.
„Ich habe sie gerade noch vor dem Metzger
retten können“, sagte Gerhard Stahl-Manstein und öffnete den Rosé. Es würde eine
lange Geschichte werden. Sie handelte davon,
62
und von den Alten von drüben, aus Berus,
Schmugglergeschichten gehört und gesammelt haben, wie sie zu den Hühnern kamen,
die nun im Garten grüne Eier legen, wie
Noëlle, die Eselsdame, in letzter Sekunde von
der Schlachtbank geführt wurde, wie später
Stella dazukam und in ihrem Bauch den Eselsjungen mitbrachte, der jetzt mit den anderen
auf der Weide steht, wie der Rosé in Südfrankreich von ehemaligen Fremdenlegionären abgefüllt wird, wie die kranken Kinder von der Kohlhofklinik mit den Eseln über
die Felder wandern, wie eine Mutter in
Saarlouis drei Monate im Kittchen saß, weil
sie Kartoffeln geschmuggelt hatte, wie die
ganze Gegend einmal ein Meeresboden war
und ob ich noch eine Merguez wolle.
Und irgendwie hatte ich das Gefühl, daß alles
miteinander zu tun hatte: die Esel, die
Schmuggler, die grünen Eier, der Rosé, die Geologie, die Merguez. Alles hatte mit allem zu
tun, denn in der Mitte saß ein Mann, der erzählen kann wie ein marokkanischer Derwisch.
Er hielt die Fäden in der einen und das Weinglas in der anderen Hand und alles fügte sich,
während er erzählte, zusammen, wie sich in einem Traum alles auf wunderbare Weise fügt.
© J.Krimmel
Es ist nämlich so, daß der Derwisch am Wochenende (für 125 Euro pro Gruppe) seine drei
Esel mit einem Sack voller Geschichten und
drei weiteren voller Rosé und Kartoffelsalat bepackt und den alten Schmugglerpfaden folgt.
Also den Wegen, auf denen man noch 1990
wegen einer Kiste Wein verhaftet werden
konnte. Früher, nach dem Krieg, war es noch
schlimmer: da kamen die Leute aus Berus zu
den Leuten aus Berviller und baten um Brot,
Kartoffeln oder ein Stück Fleisch. All das war
streng verboten und mußte bei Nacht und Nebel über die Grenze geschafft werden. Einmal
hatten die Leute aus Berviller den Leuten aus
Berus gar eine Ziege geschenkt - mit weißem
Fell. Keine gute Farbe für eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Also wurde die Ziege in einen
Tarnanzug aus Kartoffelsäcken gesteckt - in
Berus kam sie trotzdem nicht an. Vor lauter
Angst und Finsternis sind die Schmuggler im
Kreis gelaufen - und die Ziege blieb französisches Bruttosozialprodukt.
Solcherart sind die Geschichten, die man unterwegs von Gerhard Stahl-Manstein zu hören
bekommt. Und viele Informationen, die man
bis dato nie vermißt hat und die zu kennen daher der pure Luxus ist: Champagner für den
Geist. Etwa, daß man früher bei der Geburt
eines Mädchens eine Pappel gepflanzt hatte denn Pappeln wachsen genauso schnell wie
Mädchen, und wenn diese groß genug zum
Heiraten sind, sind jene groß genug zum Fällen. Und das Holz der Pappel finanziert die
Aussteuer des Mädchens. Wozu muß man das
wissen? Man muß es nicht wissen. Das ist das
Schöne.
63
Oder die Hl. Oranna zu den Kopfschmerzen wer hätte schon geahnt, daß sie die Tochter
eines irischen Königspaares aus dem 5. Jahrhundert war? Gerhard Stahl-Manstein aber
kennt nicht nur die Vornamen der noblen Eltern, sondern auch das gereimte Gebet, mit
dem Jungfrauen die Heilige um einen Mann
anhauen können. In der Kapelle (dieseits? jenseits?) der Grenze liegen noch zwei Eisenkronen, die gegen Kopfweh helfen, wenn man
fest dran glaubt.
Einen ganzen Tag kann man so mit den Eseln
durch die Felder ziehen, oder auch zwei: Herr
Stahl-Manstein sorgt schon für die Übernachtung. Man kommt am Europadenkmal vorüber, von dem aus die Sicht über die Grenzen
hinweg phantastisch ist, man steht im Dickicht
struppiger Hecken vor verwitterten Grenzsteinen und versucht sich zu erinnern, wer beim
Wiener Kongress mit wem getanzt hat, man
schreitet vorsichtig über zwei Bänder aus Beton, in die deutsche und französische Kinder
ihre kleinen Hände gedrückt haben, als er noch
frisch war, man schaut über weite Wiesen, auf
denen einmal der Kaiser selbst ein Manöver abhalten ließ und jetzt ein Traktor gegen den
Lehm ankämpft, „Stundenböden“, sagt StahlManstein, weil sie nur ein paar Stunden im Jahr
überhaupt zu beackern sind. Schon wieder ein
Glas Schampus für den Kopf.
Und die Esel? Die trotten gemütlich mit und
rupfen sich hie und da eine Orchidee, nachdem
ihr Herr den botanischen Namen beschworen
hat. Und dann sagen sie vor Freude so laut
„Huuüüüiiiii - bchwaaaaaa!“, daß der schon abgereiste Reporter zwei Kilometer weiter doch
nochmal besorgt nach dem Getriebe schaut.
Aber es waren wirklich die Esel: am nächsten
Tag ging mein Auto über den TÜV - ohne
Mängel!
Kontakt
Gerhard Stahl-Manstein, Berviller, Frankreich
Tel: 0033 3 87 57 03 57
Mdp@maison-du-patre.de
www.maison-du-patre.de
Eintrittspreise
In der Regel 125 € für eine Esels-Tour auf den
Schmugglerpfaden, die Gruppe kann dabei bis zu
15 Teilnehmer betragen.
Die Tour eignet sich für Betriebsausflüge ebenso
wie für Klassenfahrten oder private Wanderungen
Zeitreise
Anfahrtsweg
Über Saarlouis - Felsberg Richtung Metz, irgendwann gehts links ab nach Berviller.
Genaue Anfahrtsskizze im Internet (s.o.)
Sven Rech
64
65
elten sind ‚in‘. Das Interesse an Lebensweise und Gewohnheiten der Kelten ist in
den letzten Jahren rapide gewachsen. Vielfältige Keltenfeste belegen diesen Trend. Davon
profitiert auch der Keltische Ringwall von Otzenhausen.
Ein wahrlich gigantisches Werk: auf dem
Dollberg bei Otzenhausen angelegt, ist er
noch immer bis zu 10 Meter hoch. Seine Innenfläche beträgt 19 ha, etwa 200.000 Kubikmeter Baumaterial haben die Kelten etwa
K
um das 2. bis 1. Jahrhundert v.Chr. zusammengetragen.
Erde, Holz und Taunusgranit haben sie damals zu der noch heute gigantisch erscheinenden Umfassungsmauer aufgehäuft. Selbst die
zerfallenen Mauern, die als Randbefestigung
dienten, türmen sich dem heutigen Besucher
noch immer als zwei Meter hohe und bis zu 15
Meter breite Wälle auf. Große graue Granitbrocken – teils mit Moos bewachsen, die zu
überwinden einige Anstrengung erfordert.
Kelten sind in
18
Der Ringwall bei Otzenhausen
Die Granitbrocken stammen vom Dollberg
selbst – vermutlich war das mit ein Grund,
warum der Wall gerade dort angelegt wurde.
Ganz genau wissen das die Ringwall-Forscher
noch nicht. Ebenso wenig ist klar, welche
Rolle der Ringwall im damaligen Siedlungsgefüge gespielt hat. Aufgegeben wurde die Siedlung innerhalb des Ringwalles, als die Römer
die Region für sich entdeckten. Aber auch die
genauen Gründe für die Aufgabe liegen noch
im Dunkeln. Immerhin haben die Funde auf
dem Dollberg keine Anzeichen dafür erbracht, dass es um die Siedlung und den Wall
eine kriegerische Auseinandersetzung gegeben
hätte.
Die Grabungen auf dem Dollberg sind in den
letzten Jahren verstärkt worden. Im 19. Jahrhundert hatten sich Forscher schon einmal
den Ringwall vorgenommen, dann noch einmal zwischen 1936 und 1940. Dann aber passierte rund 60 Jahre lang gar nichts. Immerhin: die Grabungsergebnisse der 30er Jahre
boten eine brauchbare Basis für weitere Forschungen. Es fanden sich Siedlungsspuren aus
früh-, vor allem aber spätkeltischer Zeit, wie
zum Beispiel Siedlungsmüll, also Keramik66
scherben und eisernes Gerät sowie Bodenverfärbungen, die Rückschlüsse auf die Struktur
der Gebäude zulassen.
2001 gründeten der Landkreis St.Wendel und
die Gemeinden Marpingen, Nonnweiler,
Oberthal und Tholey die Terrex gGmbH.
Diese Gesellschaft kümmert sich um die
Pflege der römischen und keltischen Bodendenkmäler im Kreis St.Wendel - und um deren touristische Vermarktung. Ein Projekt ist
‚Römischer Vicus im Wareswald‘ bei Tholey,
das andere der Ringwall von Otzenhausen.
Das in den letzten Jahren stark gewachsene Interesse an den Kelten sehen die Archäologen
der Terrex mit gemischten Gefühlen, gilt es
doch, die Grenze zu ziehen zwischen esoterischen Auswüchsen und historisch authentischer Wiedergabe der damaligen Lebensumstände. Auf jeden Fall versucht die Terrex das
Interesse an keltischer Kultur für ihre Arbeit
zu nutzen. So präsentieren sich Mitarbeiter
der Terrex und des Freundeskreises Keltischer
Ringwall auf Messen und Festen in Kostümen, die andeuten, wie sich die Kelten damals
kleideten. Nicht der kriegerische Aspekt steht
dabei im Vordergrund, sondern der hand67
werkliche: Gewänder schneidern, Brot auf traditionelle Weise backen, Lederschuhe herstellen oder Pfeile und Bögen.
Diese Fertigkeiten werden auch interessierten
Besuchern vermittelt: So bietet die Terrex zusammen mit der Europäischen Akademie Otzenhausen Archäologieseminare an. Mit
großem Erfolg. Junge Menschen aus ganz Europa verbringen eine Woche auf dem Dollberg, je nach Jahreszeit bei Regen, Nebel und
niedrigen Temperaturen auf den Knien in einem eng umgrenzten Erdloch. Oder auch Senioren, die einmal an einer Ausgrabung teilnehmen möchten – manche haben schon
mehrmals an solchen Seminaren in Otzenhausen teilgenommen.
Für den ersten Zugang zu den Kelten in unserer Region bieten sich zwei Wege an. Der eine
führt in eine Buchhandlung: In Caesars Schilderungen über den Gallischen Krieg finden
sich viele interessante Hinweise auf den Alltag
im ersten vorchristlichen Jahrhundert. Der
andere Weg führt direkt nach Otzenhausen:
Dort gibt es seit zwei Jahren einen archäologischen Wanderweg mit Schautafeln. Darauf
finden sich Erklärungen zum Ringwall selbst,
aber auch zum Leben der Kelten. Aber Achtung: Festes Schuhwerk ist für die Wanderung
auf dem Ringwall ebenso wichtig wie die Bereitschaft, die eine oder andere Steigung zu erklimmen. Der Ringwall selbst präsentiert sich
so, wie ihn viele noch von ihrer persönlichen
‚Erstbesteigung‘ als Schüler kennen – das Informations- und Unterhaltungsangebot aber
ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Ein Besuch lohnt sich also
Kontakt
Projekt Ringwall
Thomas Fritsch
Tel: 0 68 73 - 66 92 32
Hunnenring@t-online.de
Gemeinde Nonnweiler
Tel: 0 68 73 - 66 00
tourist@nonnweiler.de
Freundeskreis keltischer Ringwall
Tel: 0 68 73 - 66 92 32
www.hochwaldkelten.de
Öffnungszeiten
ie kennen die Festung im lothringischen
Bitche, oder haben zumindest davon
gehört: Die stark ausgebaute Festung sollte vor
allem den Deutschen trotzen. Anders Montmédy im lothringischen Département Meuse,
im Dreiländereck zwischen Belgien, Luxemburg und Frankreich: Die Zitadelle von
Montmédy hat ihre spitzen Wehrwerke komplett nach Frankreich ausgerichtet. Noch
merkwürdiger: Zwar ist die Gegend heute
französisch, doch hört man hie und da, dass
S
die Bevölkerung auf ihre ältere Vergangenheit
mit sehr viel mehr Stolz zurück blickt als auf
die letzten 300 Jahre. Wie kann das kommen,
wo doch die Franzosen für nichts mehr als
ihren Stolz auf die Grande Nation bekannt
sind?
Montmédy ist heute ein typisch-französischer
2000-Seelen-Ort: Marktplatz, Mairie, Monument aus dem 1. Weltkrieg. Die Häuser könnten französischer nicht sein. Die Unterstadt
wird überragt von der weithin sichtbaren Zi-
Fragen Sie nach dem Haus des Majors
19
Montmédy - Trutzburg gegen Frankreich
Nach Absprache
Eintrittspreise
Wanderweg kostenfrei,
Seminare, Workshops und Ausgrabungen
auf Anfrage
Anfahrtsweg
Aus Saarbrücken über die A1 bis AK Nonnweiler
Bundesstraße nach Nonnweiler
Hinweisschildern nach Otzenhausen folgen
Der Wanderweg beginnt am Ortsausgang
Otzenhausen auf dem Hunnenringparkplatz.
Stephan Deppen
68
69
tadelle aus dem 16. Jahrhundert. Kein Geringerer als Karl V, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und König
von Spanien, ließ diese wahrhaft gigantische
Festung errichten. Der Grund: Montmédy
wurde um 1545 dreimal eingenommen und
jedes Mal wenig später von Karl V zurück erobert. Das reichte ihm schließlich, er wollte
diese Seite seines Reiches gegen Frankreich gesichert wissen. Als er 1556 zu Gunsten seines
Sohnes Philipp II abdankte, baute dieser die
Zitadelle weiter aus. Montmédy gehört nun
also zu den spanischen Niederlanden.
Lange vor dem berühmten Wehr-Baumeister
Vauban fand sich für die Zitadelle eine Lösung, den toten Punkt bei der Verteidigung zu
vermeiden: Spitze Winkel statt runder Türme
zeichnen die Festung von Montmédy aus.
Aber nicht nur das: Man kann mit dem Auto
in den inneren Ring hineinfahren – über meh-
70
rere tiefe Gräben und Zugbrücken hinweg,
schließlich durch einen meterlangen Tunnel.
Allein das ist schon beeindruckend.
Doch, es gab ein Problem: Die Chiers floss
zwar im großen Bogen um Montmédy herum,
bildete so einen zusätzlichen Schutz gegen Eroberer, doch in der Zitadelle selbst gab es kein
Wasser. Zwar war es im Mittelalter üblich nicht nur in Montmédy - dass Kinder die Burg
verlassen durften, um Wasser zu holen. Doch
wie viel Wasser konnten Kinder in eine Burg
hinein tragen, wenn sie ein Heer zu versorgen
hatten? Das Wasser sollte den Verteidigern der
Zitadelle schließlich zum Verhängnis werden.
Über hundert Jahre lang trotzte Montmédy
dem steten Ansturm der Franzosen. Diese waren mittlerweile bis ins benachbarte Stenay
vorgedrungen. 1657, im Alter von 19 Jahren,
belagerte Ludwig XIV persönlich mit seinem
Heer, circa 30.000 Mann, die Zitadelle von
71
Montmédy. Selbst Kardinal Mazarin war angereist. Gemeinsam mit Ludwig XIV und einem großen höfischen Gefolge wohnte er der
Belagerung bei. In der Festung: 736 Soldaten
unter dem damaligen Gouverneur von Montmédy, Jean d’Allamont, und die Bevölkerung
aus der Unterstadt. (Die Bevölkerung konnte
sich in den inneren Ring zurückziehen, denn
dort steht ein regelrechtes Dorf mit etwa zwei
Dutzend Häusern).
57 Tage hielten die Mannen von Jean d’Allamont dem Riesenheer des zukünftigen Sonnenkönigs stand. Die Bewohner Montmédys
halfen, wo sie konnten. Selbst die Kinder, die
ausrückten, Wasser zu holen, wurden angehalten, die ausgetrockneten Holzwälle der Franzosen anzuzünden. Doch schließlich gab es
kein Wasser mehr, die Soldaten starben, zuletzt kam d’Allamont selbst um, die Festung
wurde eingenommen. Der 7. November 1659
markiert das Ende des Krieges zwischen Spanien und Frankreich (Sie erinnern sich, durch
Philipp II war Montmédy spanisch geworden): beim Pyrenäenfrieden wurden die Festung und das weitreichende Umland endgültig
Frankreich zugeschlagen. Im Fremdenführer
über Montmédy steht: „Und da öffnete sich
die gloriose Seite unserer Geschichte.“ So glorios war sie leider nicht.
Zunächst darf der Baumeister des Sonnenkönigs, Vauban, die Außenbefestigungen und
die Unterstadt noch nach den damals neuesten wehrtechnischen Erkenntnissen umbauen. Dann dauert es schon gute 100 Jahre,
bis Montmédy wieder Erwähnung findet:
Ludwig XVI wollte 1791 nach Montmédy
fliehen, doch die Revolutionstruppen stoppten ihn bereits bei Varennes.
In den folgenden anderthalb Jahrhunderten
spielt Montmédy kaum noch eine Rolle. Studiert man nämlich die Karte Frankreichs, fällt
auf, dass vor allem die Landesteile unmittelbar
72
gegenüber der deutschen Grenze geradezu gespickt sind mit Wehranlagen und Festungen.
Die inzwischen veraltete Anlage von Montmédy an der französisch-belgisch-luxemburgischen wurde aber nicht mehr weiter ausgebaut.
Für Frankreich ist die Region inzwischen wirtschaftlich völlig uninteressant. Außer Kalk
und Wald hat sie nichts zu bieten. Weder
Kohle noch Stahl, auch sonst keine Bodenschätze, es gibt keine nennenswerte Industrie.
Die einstmals reichen Flecken verarmten,
kaum jemand verirrte sich noch hierher. Die
Folge der 300 Jahre langen Ausdünnung: Die
Jugend hat ihr Heil in Paris oder anderswo gesucht, die Alten konservieren die Geschichte.
Und die reicht sehr viel weiter zurück als nur
bis zu Karl V: Schon die Römer gaben Montmédy den Namen: Madiacum. Möglicherweise ist der Name auf den römischen Gott
Merkur zurückzuführen, den die Römer auf
diesem Felsen verehrten. Nach den Römern
blieb der Ort fast 1300 Jahre unbewohnt,
Hunnen und Franken verwüsteten das Land.
Doch dann kamen die Grafen von Chiny (10.
Jahrhundert), die die erste Burg, Mont de
Mady, auf dem Felsen errichten ließen (1221
unter Arnulf III). Nachdem sich so lange keiner für Montmédy interessiert hatte, überschlagen sich die Besitzer in den folgenden
Jahrhunderten geradezu: Chiny, Luxemburg,
Spanische Niederlande, Frankreich, Deutschland, Frankreich. Sie alle haben ihre architektonischen Spuren in der Region hinterlassen.
Heute sind die Belgier und Niederländer an
der Reihe, allerdings auf eine andere Weise:
Die Oberstadt im Innern der Zitadelle war
völlig verfallen. Nach und nach werden die bis
zu vierstöckigen Häuser vor allem von Niederländern aufgekauft und nach den strengen
Regeln des Denkmalschutzes renoviert.
Wenn Sie in der Oberstadt sind, fragen Sie
nach dem Haus des Majors. Vielleicht treffen
Sie dort einen wild gelockten Mann an, der
sich Ihnen als Comte de Irgendwas aus der
Gascogne vorstellt. Für die Bewohner von
Montmédy galt er anfangs als verrückt, war er
doch entschlossen, das bis auf die Grundmauern zerstörte Haus des Majors wieder aufzubauen. Ein wenig wunderlich mag der Comte
de Irgendwas aus der Gascogne schon erscheinen, doch hat er es geschafft: Stein für Stein
und nach uralten Bauplänen hat er das Haus
innerhalb weniger Jahre ganz alleine wieder
aufgebaut. Der berechtigte Stolz auf diese Leistung ist ihm anzumerken. Fragen Sie ihn
nach der Bedeutung der liebevollen Details
über dem Türsturz (von ihm selbst gemeißelt), Sie werden so auch viel über die Geschichte der Gegend erfahren.
Zögern Sie auch nicht, mit dem „Office de
Tourisme“ Kontakt aufzunehmen. Die Chefin, Laurence Muller, macht auch für deutsche
Gäste alles möglich, um „le pays de Montmédy“ der Vergessenheit zu entreißen. Die Innenstadt ist kostenlos zu besichtigen, doch
lohnt es sich, die paar Euro fuffzig auszugeben
für die geführte Besichtigungstour über die
Befestigungsanlage, mit den Pferdeställen,
den Pulvermagazinen und dem (spät!) entdeckten Brunnen in 80 Metern Tiefe. Besonders spannend: Die „Nocturnes de la Citadelle“, jeweils freitags und samstags nachts im
Juli und August. Mit Fackeln geht es in die
Tiefen der Befestigung hinunter. Und wer
noch mehr über Wehranlagen wissen möchte:
Im Museum Jules Bastien-Lepage in der ehemaligen Hauptwache der Zitadelle erfahren
Sie alles über Kriegstechnik, von den Römern
bis heute.
Kontakt
Office du Tourisme du Pays de Montmédy
Laurence Muller
Boîte Postale 28
55600 Montmédy
Tel: 03 29 80 15 90 oder 03 29 80 06 35
montmedy@wanadoo.fr
www.montmedy.com oder:
www.cr-lorraine.notaires.fr/meuse/circuit2.htm
Öffnungszeiten
Im Sommer (Juli/August): 10-19 Uhr,
im Frühjahr und Herbst: 10-18 Uhr,
im Winter (November bis März: 10-16 Uhr)
Eintrittspreise
4 € für Erwachsene,
2 € für Kinder
Anfahrtsweg
Von Saarbrücken aus über die Autobahn bis
Luxemburg, von Schengen über Mondorf-les-Bains
bis Dudelange über die Landstraße, bei Dudelange
wieder über die Autobahn über Esch-sur-Alzette
bis Pétange, von dort ab wieder Landstraße:
Aubange, Mussan, Harnoncourt, Ecouvier,
nach weiteren 6-7 Kilometern: Montmédy.
Ca. 170 km, 2-2,5 h Fahrt, wenn die Autobahn
zwischen Schengen und Dudelange fertig ist,
schneller
Lisa C. Huth
73
ausende Autos brummen täglich über die
Hunsrückhöhenstraße Richtung Mainz
beziehungsweise Hermeskeil. Das war vor
2000 Jahren nicht anders, nur dass es keine
Autos waren, sondern schwerfällige Pferde –
und Ochsenkarren. Reger Verkehr herrschte
schon immer auf den Höhen des Hunsrücks.
Mehr durch Zufall wurde schon im 19. Jahrhundert die Siedlung „Belginum“ unweit des
heutigen Ortes Morbach entdeckt. Seitdem
wurde immer mal wieder nach Altertümern
T
Römische Hochkultur im Hunsrück
20
Der Archäologiepark Belginum bei Morbach
gegraben. Nun hat die Gemeinde Morbach
ein geräumiges Museum auf die Reste der alten römischen Siedlung gesetzt, ein richtiger
Archäologiepark ist entstanden, so etwa wie in
Bliesbrück – Reinheim oder in Borg.
Was hier oben in nur 2 Jahren auf die Beine
gestellt wurde, kann sich sehen lassen. Das
Museum vermittelt in seiner Struktur einen
hervorragenden, dreidimensionalen Eindruck
von der antiken Bebauung. Große Panoramafenster geben den Blick frei auf das antike Gräberfeld, das sich in östlicher Richtung zum
Wald hin erstreckt hat. Nördlich die Mosel
und die Höhen der Eifel, im Westen der Tempelbezirk, im Süden die Siedlung. Die Dauerausstellung: Mal was anderes. Man muß selber
was tun und das macht den besonderen Charme dieser Präsentation aus.
So muß man, will man in römische Zeiten abtauchen, Schubladen aufziehen. Die stecken
in einer Art Kiste und verbergen zunächst die
Funde aus keltischer und römischer Zeit.
Klappt man den Deckel einer Kiste auf, zeigt
sich das Panorama zum Beispiel einer antiken
Besiedlung.
Bekannt ist Belginum schon lange und auch
immer wieder wurden Funde gemacht, eher
74
unsystematisch beim Bestellen der Felder etwa
oder beim Fällen von Bäumen. Diese Funde
kamen dann, der Zuständigkeit halber, nach
Trier ins Rheinische Landesmuseum. Von
dort, kleine Ironie der Geschichte, sind sie
nun zurück auf dem Hunsrück - als Leihgabe.
Kleine, wunderschön gearbeitete Statuetten
etwa, eine Quellgöttin oder eine Amme, 10,
15 Zentimeter hoch, doch bis ins Detail die
originalgetreue Abbildung eines Menschen –
oder wenn man so will einer Göttin, aber diese
waren bei den alten Römern ja meist allzu
menschlich.
Die Macher der Ausstellung haben sich
bemüht eine möglichst umfassendes Bild gallo
– römischer Lebensverhältnisse zu bieten.
Gleich welche Kiste man öffnet, immer wartet
eine Überraschung. Zum Beispiel: welche
Pflanzen gab es vor 2000 Jahren auf dem
Hunsrück?
Brot wurde gefunden, Getreide zum Bereiten
des sehr beliebten Breis oder Gebäck, das genauso aussieht wie heute die aus den USA importierten Bagels. Also Teig mit Loch in der
Mitte.
Belginum war ein Straßendorf, denn was
heute als Hunsrückhöhenstraße in den Karten
auftaucht, war schon seit Urzeiten eine der
wichtigsten Handelsstraßen.
Hatte man, von Trier kommend, erst einmal
die Anhöhe erklommen, ging es nur noch
eben bis nach Mainz. Handel und Handwerk
die Urtätigkeiten des Menschen.
Und damit alles seinen rechten Gang ging,
wurden schon früh Waagen erfunden. Die ältesten weit mehr als 2000 Jahre alt. Noch sehr
klein, warum weiß keiner. Aber bei den Römern wurde dann alles viel größer, Waagen
zum wiegen von Zentnerlasten sind keine Seltenheit.
1 % der Gesamtfläche sind bisher erst erforscht, es gibt also noch viel zu tun.
Belginum war nicht nur eine wichtige Zwischenstation auf der großen Handelsroute, es
war auch Garnison. Zu beiden Seiten der
Straße befanden sich auf einer Länge von
rund 600 Metern dicht an dicht schmale, nur
8 bis 10 Meter breite Parzellen, die aber bis
zu 90 Meter lang sein konnten. Diese Parzellen waren mit einer Steinmauer umgeben,
wehrhaft, denn nicht erst seit dem Schinderhannes gibt es böse Buben auf dem Hunsrück. Die Wohnverhältnisse waren einfach,
mit Werkstatt und Laden kombinierte
Wohnhäuser, der Eingang an der Straße. An
diesen Bereich schloß sich ein Tempelbezirk
75
an, der wohl der Zivilbevölkerung diente.
Die Soldaten hatten einen eigenen kultischen
Bezirk.
Mit am aufschlussreichsten war für die Archäologen das riesige Gräberfeld mit 2 500
Grabanlagen aus keltischer und römischer
Zeit. Ein weiterer Beweis für die tausendjährige Besiedlung des Areals.
Die Überreste der Toten und die Grabbeigaben finden sich ebenfalls im neuen Museum,
in einer ganz großen Kiste mit vielen unterschiedlich großen Deckeln.
Hier kann man auch nachvollziehen, wie sich
im Laufe der Zeit die Begräbnissitten wandelten. Lebensgeschichten anhand von Gräbern
sollen erzählt werden.
Viel kann man von Seiten der Wissenschaft
erfassen, erklären, aber noch lange nicht alles.
Und das ist das Schöne an dieser Dauerausstellung auf dem Hunsrück, es bleibt dem Besucher Raum sich selbst ein Bild zu machen,
seiner Phantasie freien Lauf zu lassen, in seinem Kopf Lebenswelten längst vergangener
Epochen entstehen zu lassen.
Und wer noch ein wenig mehr wissen will, der
kann sich einen Audio–Guide nehmen. In Interviews mit verschiedenen Wissenschaftlern
wird hier konkret auf die jeweiligen Exponate
oder bestimmte Fragestellungen eingegangen.
Michael Lentes
76
Kontakt
Archäologiepark Belginum
Keltenstraße 2
Wederath
Tel: 0 65 33 - 95 76 30
Belginum@t-online.de
Öffnungszeiten
März bis Mai 10.00 bis 17.00 Uhr
Juni bis September 10.00 bis 18.00 Uhr
Dezember und Januar geschlossen,
montags geschlossen
Eintrittspreise
Erwachsene: 3,10 €, Kinder (6-15 J.): 1,50 €,
Familie 6,10 €
Gruppen je Person 1,50 €,
Schulklassen je Person 0,80 €
Führungen (max. 25 Pers.) nach Anmeldung: 35 €
Anfahrtsweg
Von Saarbrücken über die A1, Abfahrt Otzenhausen,
dann über Birkenfeld Richtung Morbach. Belginum
liegt unmittelbar im Kreuzungsbereich der B 327
(Hunsrückhöhenstraße) und der B 50 bei dem Dorf
Wederath
Der Einsiedler
Alleinsein im Krummen Elsaß
21
ie taten ihm nichts. Sie mochten ihn nicht,
sie beäugten ihn mißtrauisch. Hinter seinem Rücken tuschelten sie sich die absurdesten Geschichten über ihn zu. Aber sie taten
ihm nichts. Sie ließen ihn in Ruhe. Das war
schon etwas.
Nach ca 15 Minuten Wanderung auf einem
schönen breiten Weg geht es links ab.
So siehst du aus! Schon nach zehn Minuten
Wanderung hatte sich der schöne breite Weg
zu einem Trampelpfad durch die Hecken verjüngt, und nach 15 Minuten stand ich auf einer grünen Wiese, auf der es nirgendwo hin
ging - oder überall. Die Bienen summten, die
Blumen leuchteten in der Sonne, die Erde
roch nach Frühling. Hier war es schön und
still und friedlich. Hier konnte es nicht sein.
S
78
Ich suchte nach einem Ort der Entbehrung,
der Einsamkeit, der Buße.
Er sprach nicht viel. Nur das Nötigste. Seine
Sprache war verräterisch. Sie verriet seine Herkunft. Zumindest verriet sie, wo er nicht herkam: er kam nicht von hier. Er kam (hier gingen die Meinungen auseinander) aus einem benachbarten Tal. Oder aus den Bergen. Oder aus
der Schweiz. Nein: aus B... Jedenfalls: er
gehörte nicht dazu. Seine Sprache verriet es. Er
war ein Fremder und würde es immer bleiben.
Bleiben... Er konnte nicht zurück. Er blieb.
Hier. Allein.
Ich suchte die Einsiedelei von Hellert im
krummen Elsaß. Eine Felsenwohnung. Maison troglodyte. Eine Höhle im Fels, in der einmal ein Mensch gehaust hat, als der Rest der
Menschheit schon Fahrrad fahren, Licht anknipsen und Gesangsvereine gründen konnte.
Dieser eine aber konnte, wollte das alles nicht.
Warum?
Ich ging den Pfad zurück, durch die Hecken,
in den Wald, der Pfad wurde breiter und zu
dem schönen Weg vom Anfang. Er ist, was mir
am Anfang entgangen war, eine Trimm-DichStrecke mit Geräten aus Original-Holzstämmen aus diesem Wald. Bei Station 9 (Bauchtraining) verzweigt sich der Weg. Weil ich zuvor links hätte abbiegen müssen, ging ich jetzt
nach rechts. Bergab. Schon nach wenigen Metern kamen die Felsen: ein Plateau, ein jäher
Abgrund und unten - endlich - die Höhlen.
Genaugenommen sind es keine Höhlen, sondern Felsvorsprünge, deren offene Seite zugemauert ist. Eine Öffnung fürs Fenster, eine für
die Tür, drinnen gestampfter Lehmboden, ein
gemauerter Kamin. Der Einsiedler habe einen
Strohsack, einen Stuhl und einen Ofen besessen, berichtet der Prospekt des Tourismusbüros. Ihm schräg gegenüber wohnte der „Felsenmartin“ mit seiner Frau. Keine Einsiedelei
also, sondern eine Dreisiedelei. Aber auch drei
allein in einem Wald sind wenig. Kein Wasser, kein Strom-, kein Gasanschluß. Nur die Aussicht ist phantastisch.
Er konnte nicht zurück. Der Pfarrer Schwaller, dem er sich anvertraute, notierte später, er
habe seine Heimat aus bedauerlichen Meinungsverschiedenheiten in seiner Familie verlassen. Was er nicht notierte, war, warum
Edouard Himbert nicht in einem der Dörfer
wohnen wollte. Zu den Höhlenbewohnern
am Falkenfelsen war er gezogen, zu den Wilddieben und Plünderern. Seit Menschengedenken hausten sie hier, lange bevor sich im
Tal die Dörfler ansiedelten und mit scheelen
Augen zu ihnen hinaufsahen. Erst als der
deutsche Kaiser die ganze Gegend annektierte
und die preußische Forstverwaltung die
Höhlen mit Dekreten und Dynamitstangen
zum Einsturz brachte, mußten sich auch die
Gesetzlosen fügen. Alle, bis auf drei. Der Felsenmartin mit seiner Frau und er selber:
Eduard Himbert, genannt der Waldbruder.
Sie hatten ein Stückchen Fels gefunden, das
nicht dem Kaiser gehörte. Dort ließ man sie in
Ruhe.
Warum zieht es jemand vor, in einer zugigen
Felswand zu leben statt in einem Dorf mit einem Bäcker und einem Wirtshaus und Leuten, die einander grüßten und miteinander
lachten? Wollten sie ihn nicht, oder wollte er
sie nicht? Wie fühlte man sich, wenn man
morgens erwachte in einer Behausung, die
halb Versteck, halb stolze Burg hoch über den
Gemeinen war? Woran dachte Eduard Himbert, wenn er Stöcke schnitzte und zuschaute,
wie gegenüber der Kirchenfelsen von Dabo in
den Horizont ragte wie ein Schiff?
Auf dem Riff vor Himberts Höhle stehend
ahnte ich unter mir das Meer, aus dem vor Urzeiten glucksende Seeungeheuer ihre dünnen
grünen Hälse reckten. Insekten, fett wie Katzen, flogen von Schachtelhalm zu Schachtelhalm, und in den Zweigen wuchs einem Affen
das Gehirn so schnell, daß sein Nachfahr noch
Millionen Jahre später davon Kopfschmerzen
bekam. Ich starrte in die längst verdampfte
See, auf deren Grund jetzt Bäume standen
und Renaults und ein Dorf, in dem kein
Mensch an Ungeheuer dachte, sondern an den
Rasenmäher, an die Steuererklärung oder an
Tahiti. Über Kilometer hinweg konnte man
die Braten riechen und die Scheuermittel, mit
denen dort drüben die Äonen weggeputzt
wurden, auf daß Sonntag sei, der siebente Tag,
und der Mensch in seinem Paradiese sehe, daß
es gut war. Und für einen Moment lang, den
Bruchteil einer Sekunde wußte ich genau,
warum der Einsiedler nicht dort unten wohnen wollte, sondern allein in seiner Höhle.
79
Sie taten ihm nichts. Sonntags drückte er
dafür den Blasebalg für die Orgel in ihrer Kirche. Er mochte die Musik und das Feierliche
am Gottesdienst. Im Grunde mochte er wohl
auch die Menschen. Er schnitzte ihnen Kreuze
und Spazierstöcke und Heiligenbilder. Sie
nahmen sie ihm gerne ab. Er schnitzte gut.
Aber er gehörte nicht dazu. Er gehörte auf seinen Felsen, umgeben von kühler, freier Luft
und von Legenden.
Am 21. März 1902 ist Eduard Himbert gestorben. Sein Haus verfiel, bis es vor rund
zehn Jahren für die Touristen wieder hergerichtet wurde. Wenn sie jetzt im Wald noch
Schilder aufstellen, wie man dahinkommt,
findet vielleicht auch einer hin. Allerdings ist
es dann auch nicht mehr so einsam dort - und
das ist ja eigentlich die Hauptattraktion.
Sven Rech
80
Kontakt
Office de Tourisme du Pays de Dabo
10, place de l’église,
F-57850 Dabo
Tel: 00 33 3 87 07 47 51
Info@ot-dabo.fr
www.ot-dbo.fr
Anfahrtsweg
Über die Autobahn Saarbrücken-Strasbourg, Ausfahrt Phalsbourg. Hinter der Pèage-Station im Kreisel zunächst Richtung Dabo. Kurz nach dem Schiffshebewerk von Arzwiller gabelt sich die Straße (bei
Sparsbrod). Links hoch in Richtung Hellert.
Vor dem Ortseingang Hellert befindet sich ein Sägewerk. Gleich dahinter geht es scharf rechts einen
Feldweg hoch. Nach ca. 50 Metern parken.
DemTrimm-Dich-Pfad in den Wald folgen (hier steht
auch noch ein Schild „Maisons troglodytiques“).
Bei Station 9 (Bauchmuskeln) links den Pfad hinunter. Nach knapp 100 Metern steht man auf dem
Falkenfelsen.
Kultur für Kids
81
ie Kaffeetafel ist gedeckt, der Page empfängt uns an der Tür, die Gräfin erwartet
uns zum Plausch im Witwenpalais in Ottweiler, der ehemaligen Residenzstadt der Fürsten
zu Nassau-Saarbrücken.
„Wir“ – das sind Kinder des 21. Jahrhunderts
– und die Gräfin ist Catharina, Reichsgräfin
und Gemahlin des Fürsten Ludwig.
Catharina möchte erzählen vom Leben am
Hofe, aus ihrer Zeit. Sie ist inzwischen 244
Jahre alt, sieht aber dafür noch ganz gut aus in
D
die Jungs sie nicht mehr ärgern konnten. Das
hat ihr den bis heute erhaltenen Spitznamen
eingebracht. Geboren wurde sie nämlich nicht
als Gräfin, sondern als einfaches Kind vom
Land.
An den Hof der Fürsten zu Nassau-Saarbrücken kam Catharina als Kindermädchen
und wie das so ist, hat der Fürst sich in das
Kindermädchen verliebt und als seine erste
Frau starb, hat er dann Catharina zu seiner
zweiten Frau gemacht.
Spaziergang mit der Gräfin
22
Eine historische Stadtführung durch die alte Residenzstadt Ottweiler
ihrem Kleid aus dem Barock, mit Reifrock
und Perücke.
Die Kaffeetafel ist schon ein bisschen anders als
zu Hause: Die Gräfin hat vor sich ein Gedeck
aus edlem Porzellan – schließlich gab es in Ottweiler ja die Manufaktur -, für uns Kinder ist
nur Tongeschirr vorgesehen. Komisch.
Aber das war damals so, erfahren wir.
Der normale Untertan aß und
trank aus Tongeschirr, Porzellan
gab’s nur bei Hofe. Auch zu essen gab’s nur Brot und zu trinken Wasser – das bekommen
jetzt auch wir vorgesetzt,
während die gräfliche Tasse mit
Kaffee und der Teller mit Gebäck
gefüllt wird. Egal, es schmeckt uns
trotzdem und mit vollem Mund, ganz gegen
die höfischen und auch heutigen Sitten beeilen
wir uns zu antworten: „Gänsegretel“, als Gräfin Catharina uns fragt, unter welchem Namen
sie denn besser bekannt sei?
Gänsegretel – den Beinamen hat sie ihrer Tierliebe zu verdanken, erzählt sie uns bei Wasser
und Brot. Als sie etwa 13 Jahre alt war, hat sie
eine Gans vor den Streichen einiger Jungs gerettet und mit nach Hause genommen, damit
82
Das klingt zwar alles wie im Märchen, ist aber
wahr und in den Geschichtsbüchern auch
nachzulesen – dennoch haben wir wenig Interesse daran, vielleicht auch mal Gräfin zu werden. Das scheint uns dann doch zu anstrengend! Immer diese riesengroßen Kleider, immer Diener um uns rum und überhaupt die ganzen höfischen Sitten!
Aber ein schönes Lustschlösschen
hatten die damals! Das steht
heute noch in Ottweiler, inzwischen nicht mehr auf einer Insel, sondern direkt an der B 41
und ist auch nicht mehr bewohnt, sondern dort ist jetzt eine
Behörde untergebracht.
Aber früher, wenn der Fürst Feste feiern wollte, dann fanden die dort statt. Mitten im Rosengarten, der heute wieder so hergerichtet worden ist, wie er früher ausgesehen
hat. Mit Brunnen und exakt angelegten Wegen, mit Rosenbüschen und Sträuchern –
ganz wie früher, nur die Zugbrücke über die
Weth ist nicht mehr da, dafür gibt’s jetzt die
Ampel über die B 41. Und schon sind wir mitten in unserem Spaziergang mit der Gräfin
durch ihre alte Residenz.
Ausgangspunkt ist der Rosengarten, von dort
geht’s in die Museumsapotheke. Die älteste
privilegierte Apotheke im Saarland seit 1771.
Der Graf hatte erlassen, dass hier eine Apotheke eingerichtet werden durfte, damit die
Untertanen nicht mehr auf die fahrenden
Händler angewiesen waren, die Kräuter und
Tränke anboten und damit sicher gestellt war,
dass die Tinkturen und Mixturen auch genau
nach Rezept hergestellt worden sind und nicht
etwa gefährlich waren.
„Herba artemisiae“ liest Nina auf einem alten
Holzgefäß – Flora wundert sich, dass alle Gefäße aus Holz sind, nicht wie heute aus Glas,
aber besonders interessant finden wir alle den
riesengroßen Mörser. Violetta und Kim können ihn kaum heben, so schwer ist das Gerät.
„Warum sind da Teebeutel drin?“ will Kim
wissen – „weil man früher in so einem Mörser
Kräuter gestampft hat, die dann zu Tee gebraut wurden.
Jeder Apotheker hatte ein Kräutergärtchen bei
der Apotheke, erklärt uns die Gräfin, er musste nämlich seine Arzneien selber mischen.
Und dann hatte er noch ein kleines Häuschen
im Garten, das sogenannte Stoß-Häuschen, in
dem wurde mit dem Mörser gearbeitet – nicht
etwa in der Apotheke selbst.
„Warum denn nicht, das wäre doch viel praktischer?“
Ganz einfach: die Mörser waren so schwer,
dass hin und wieder mal die Decke eingekracht wäre, wenn der Apotheker immer wieder in einem Raum im Haus damit gearbeitet
hätte. Und auch die Waagen finden unser Interesse, so was haben wir noch nicht gesehen.
Gewichte, winzig klein und kaum spürbar, so
leicht sind sie und dann wieder andere, die
wiegen richtig viel. Ja, auch das war ganz, ganz
wichtig, wenn man sicher sein wollte, dass die
Arzneien die richtige Mischung enthielten.
Wenn man nämlich von dem einen oder anderen Kraut zuviel genommen hat, dann wurden
die Patienten vielleicht nicht gesund, sondern
83
noch viel kränker oder konnten sogar sterben.
Und dann erklärt uns Gräfin Catharina auch
noch, warum der Apotheker auch hin und
wieder Pillendreher genannt wird. Das Gerät,
mit dem er die Pillen früher von Hand herstellen musste, ist ebenfalls noch in der Museumsapotheke zu sehen.
Viel gäbe es hier noch zu bewundern und zu
testen, aber wir müssen weiter, die Tour ist
noch lange nicht zu Ende.
Über den Schlossplatz, vorbei am Quakbrunnen, wo die Gräfin uns vom alten Brauch erzählt, dem der Brunnen seinen Namen verdankt, gehen wir an der Schlossmauer entlang
zum Zwinger. So nannte man den engen Zwischenraum zwischen beiden Stadtmauern, die
die Stadt schützten. Der äußere Teil diente als
Schutz, am inneren Teil waren ganz eng die
Häuser angebaut. Hier steht auch das älteste
Ottweiler Haus. Es wurde 1444 zum ersten
84
Mal in einer Urkunde erwähnt und darin
wohnten die letzten drei Nonnen des Ottweiler Klosters Neumünster. Und schon gehen wir
durch Ottweilers älteste Straße, die Tensch.
Der Name hat nichts mit Dreschen zu tun, wie
wir hören, sondern es war ein schmaler Uferweg über einen Weiherdamm. Die Straße ist
auch heute noch ganz schmal, allerdings stehen
heute hier keine Häuser mehr. Das älteste
Schulhaus ist allerdings noch erhalten. Um
1700 war hier eine Schule für Buben und der
Lehrer wohnte gleichzeitig auch da.
„Das war ja bestimmt ganz eng“, meint Nina
– ja, das war es sicher, denn die Häuser sind
noch immer sehr eng und schmal. Es gab auch
nicht viel mehr als den Raum, in dem so 20
bis 30 Buben unterrichtet wurden und dann
den Raum, in dem der Lehrer wohnte und
eine Küche.
„Und das Klo?“ Das Klo war ein Häuschen im
Hof, das war früher so und bis vor etwa 30
Jahren gab es auch in Ottweiler in der Altstadt
eine Stelle, wo noch immer einige Klohäuschen standen. Apropos Klo: Ottweiler war
schon damals etwas vornehmer als die Dörfer
rundum: die Rinne, in der der ganze Abfall,
das Abwasser und alles, was man loswerden
wollte, weggespült wurde, war in Ottweiler
schon im Mittelalter gepflastert – und deshalb
waren die umliegenden Dörfer neidisch und
haben den Ottweilern einen nicht ganz liebevollen Spitznamen verpasst: die Plaschderschisser! Aber hier konnte man eben alles ganz
gut wegspülen und es hat in der Stadt nicht
mehr so stark gestunken! Durch die engen
Straßen der Altstadt kommen wir zur evangelischen Kirche. Dort im Keller war früher das
so genannte Grabgelege der Ottweiler Grafen.
Bis vor 10 Jahren hat man immer mal wieder
Gebeine gefunden. Die Gruft wurde immer
wieder geplündert und wenn heute im Kirchenkeller gefeiert wird, gibt’s immer wieder
die eine oder andere gruselige Anekdote. Auch
Gräfin Catharina weiß eine vom Silberschatz,
der dem Kloster Neumünster gehörte und
nach dem die Leute immer wieder suchten.
Im heutigen Stadtteil Neumünster sollen Burschen immer wieder versucht haben, den
Schatz zu finden und haben tagelang gegraben, bis sie auch wirklich einen riesigen Sarg
gefunden haben... In den wollten sie natürlich
auch reingucken, weil man ja schließlich Gold
und Silber bei den Gebeinen vermutete... Einer der jungen Burschen entdeckte ein kleines
Fensterchen, das rieb er blank und schaute
rein - und schrie und rannte weg! Und die anderen taten es ihm der Reihe nach nach! Sie
schauten rein und schrien und rannten weg!
„Und warum rannten sie weg?“ Im Sarg lag
der Heilige Terentius und der soll den Jungs
einen Finger gezeigt haben! Den Schatz hat
man bis heute nicht gefunden, aber man weiß
jetzt wenigstens, wo der Heilige Terentius bestattet liegt. Soviel zu den Sagen und Geschichten, die sich um Schätze und das Kloster
Neumünster ranken!
Tja, so ist das mit den Schätzen und Geschichten! Zum Abschluss gibt’s noch eine
Geschichte, die ist aber wahr und gar nicht
gruselig.
Vor gut sieben Jahren, als in Ottweiler die mittelalterliche Ringbebauung um den Schlossplatz wieder hergestellt wurde, hat man auch
einen kleinen Innenhof neu benannt und zwar
nach dem in Ottweiler gebürtigen deutschen
Barockmaler Fornaro. Geboren wurde er eigentlich mit dem Nachnamen Schmidt, da er
aber lange Zeit in Italien gelebt hat, hat er
wohl den übersetzten Namen schöner gefunden. Fornaro also wurde im August 1757 in
Ottweiler geboren, sein Vater war Lakai bei
Hofe und der Junge hatte so Gelegenheit, den
Porzellanmalern über die Schulter zu schauen
– und bei ihnen was zu lernen. Fürst Ludwig
wurde irgendwann aufmerksam auf ihn, erkannte, dass der Junge Talent hatte und nahm
ihn mit nach Saarbrücken, wo der Junge beim
Hofmaler in die Schule ging und später mit
diesem nach Darmstadt. Dort wurde der
junge Fornaro selbst Hofmaler und wie das
damals so war, suchte er sein Glück und die
Vervollkommnung seiner Kunst in Italien.
Lange Zeit soll er in Rom gelebt haben. Um
ihn in Ottweiler wieder in Erinnerung zu
bringen, wurde erst der Platz nach ihm benannt, dann eine Torte und eine Praline erfunden, die seinen Namen tragen und sich inzwischen gut verkaufen.
Ottweiler ist also eine Reise wert – eine Reise
ins Barock, egal ob Groß oder Klein.
Sabine Ertz
Kontakt
Kulturamt des Landkreises Neunkirchen
Wilhelm-Heinrich-Straße
66564 Ottweiler
Tel: 0 68 24 - 90 60
Öffnungszeiten
Nach Vereinbarung
Eintrittspreise
Unterschiedlich, je nachdem ob Privatpersonen,
Schulen oder Verein, die Führung buchen
Anfahrtsweg
Je nach Treffpunkt in Ottweiler
85
ih“ – „ Das ist doch nur eine Blindschleiche“,
solche und ähnliche Ausrufe gibt’s häufiger
auf unserem Spaziergang über den Waldsinnespfad zwischen Ottweiler-Fürth und Steinbach.
Knapp vier Kilometer lang ist der Pfad und
wir haben ausreichend Zeit eingeplant, um alles in Ruhe erfahren und genießen zu können.
Los geht’s an der Ölmühle Wern – immer den
Ohren oder Augen nach. Es ist noch früh im
Jahr, der Waldboden selbst ist schon ein Erlebnis für die nackten Füße – zartgrün mit un-
I
auf etwas ganz Bestimmtes. Wie zum Beispiel
den einfachen Guckkasten, der plötzlich mitten im Weg steht.
Guckt man durch, wird der Blick auf einen alten, durchlöcherten Baumstamm gelenkt, an
dem offenbar ein Specht ganze Arbeit geleistet
und ihn dann aufgegeben hat.
Verlassen ist der Baum deswegen aber trotzdem nicht, viele Insekten und auch Fledermäuse haben ihn zur Wohnung erkoren. Der
Guckkasten ist nur ein Symbol für all das, auf
Naschkatzen bei der Riech- und Schmeckstation
23
Der Waldsinnespfad zwischen Fürth und Steinbach
zähligen Buschwindröschen übersät, verlockt
es geradezu, Schuhe und Strümpfe auszuziehen und einfach Laub, Blüten und Sand unter
den Füßen zu spüren – aber das sparen wir uns
dann doch lieber auf bis zum eigens dafür angelegten Barfußpfad. „ Das ist Wiese – das ist
Moos – jetzt laufen wir über Sand, der kitzelt
unter den Füßen und zwischen den Zehen“,
meinen Nina und Flora als sie über die vier abgeteilten Felder laufen und mit verbundenen
Augen versuchen, zu erraten, was sie da
fühlen. „iih, die Kieselsteine sind aber kalt,“
findet Violetta und läuft schnell weiter auf zartes Moos. Rindenmulch ist offenbar nicht so
toll, die Kinder ziehen Moos und Sand vor.
Der Barfußpfad ist bewußt mit vier unterschiedlichen Materialien angelegt worden, um
Kindern wie Erwachsenen wieder einmal vielleicht vergessene Eindrücke fühlbar zu machen. Barfuß über den Waldboden – ein wunderbares Gefühl, auch wenn die ein oder andere Ameise zwickt.
Strümpfe und Schuhe wieder angezogen,
geht’s weiter, einfach quer durch den Wald
oder auch den Wegen nach – man kommt immer wieder an eine Station, die mit hölzernen
Augen oder Ohren aufmerksam machen will
86
das man beim Spaziergang durch den Wald
achten kann. Er wurde aufgestellt, um bewusst aufmerksam zu machen auf etwas,
woran man normalerweise bestimmt eher
achtlos vorbei gehen würde. Mit den kleinen
Symbolen und Hilfen haben die, die vor drei
Jahren begonnen haben den Pfad anzulegen
den Blick oder das Ohr bewusst lenken, die
Sinne ein bisschen schärfen wollen für das,
was am Waldrand, auf der Wiese oder in den
Bäumen so passiert – und sei es nur ein Wespennest oder ein paar Käfer, die unter Steinen
leben. So wie hier am Bach, wo wir trotz der
frühen Jahreszeit unter anderem Larven von
Steinfliegen finden. Dort ist der Beweis dafür,
dass die Wasserqualität des Baches, der durch
den Wald plätschert, gut ist. Die Kinder lernen, dass die Köcherfliegenlarven und die
Steinfliegenlarven das Wasser brauchen, bis sie
zu Fliegen werden und dann die Luft zu ihrem
Element machen. Mit ihrer braunen Farbe
sind sie für ihre Feinde auch kaum zu erkennen und leben damit gut geschützt unter den
Steinen, die wir im Wasser umdrehen, um sie
zu finden. Wir gehen weiter und raten zwischendurch immer wieder mal, welcher Vogel
da gerade zwitschert - ein Rotkehlchen, meint
Flora, ein Spatz Elena – die Auswahl ist groß.
Und wenn man die Vögel dann sehen kann,
weil sie gerade mal Rast machen auf einem nahen Ast, dann kann man sie am Gefieder erkennen und unterscheiden – am Gezwitscher
ist das eher schwer. Da hören wir nur den
Specht eindeutig, wie er wieder einen neuen
Baum bearbeitet.
Wir kommen zur Riech- und Schmeckstation,
die angelegt wurde, damit die Kinder Kräuter
und Beeren kennenlernen. Sauerampfer,
Minze, Liebstöckel, Bärlauch – das alles und
viel mehr ist hier zu finden. Und wenn der
Sommer richtig da ist, dann gibt’s auch jede
Menge Beeren zu naschen. Elena hat schon
die nächste Attraktion entdeckt und ist mit
Violetta kräftig dabei, den aufgehängten
Holzstämmen eine Melodie zu entlocken.
Das klingt zwar eigentlich nur laut, aber wenn
man genau hinhört, kann man beim Holzxylophon erkennen, dass die unterschiedlich dicken
und langen Stämme auch ganz unterschiedlich
klingen. Vio und Elena sind vielleicht noch etwas zu kurz geraten – sie haben noch Mühe, die
Stämme richtig zu treffen. Flora und Nina
kommen schon besser an das hölzerne Musikinstrument. Aber: keine Sorge! Auch für die
Kleinsten soll in Kürze ein solches Xylophon
aufgestellt werden, dann können auch sie ohne
Mühe neue Kreationen komponieren.
Nina und Flora sind schon weiter gegangen, sie
interessieren sich für das Leben im Totholzbaum. Auch wieder so ein Begriff, der eigentlich irreführend ist. Der Baum ist nämlich keineswegs tot, er ist voller Leben, auch wenn er
als Baum abgestorben und gefällt worden ist.
Inzwischen leben hier Ohrwürmer, Schlupfwespen, Spinnen, alle möglichen Insekten und
allerlei Organismen – und deswegen ist es eigentlich ein Biotop-Baum, der gar nicht tot ist.
Und dann kommen wir noch zum Tastkasten,
- hier kann man fühlen und raten, was man in
den Fingern hält. Das mögen die vier Mädels
gar nicht so gern. So ganz ohne zu wissen, was
sie erwartet, kostet es ein bisschen Überwindung, in den Kasten zu greifen. Es könnte ja
eine tote Maus drin sein! Aber Christoph Hassel von der Stadt beruhigt: „Das werdet ihr
nicht finden. Wir haben da nur Federn, Baumzapfen und Moos oder Rinde reingelegt“. Los
geht das fröhliche Materialien-Raten.
Spaß hat’s gemacht, viel zu schnell ist die Zeit
vorbei und wir sind in Steinbach angekommen. .... und eigentlich könnten wir dort im
Freizeitgelände Hiemes jetzt Rast machen und
dann noch mal zurücklaufen – aber das machen wir ein anderes Mal, wenn’s wieder andere Dinge zu entdecken gibt. Und bis dahin
sind dann vielleicht auch noch neue Stationen
aufgebaut, denn fertig ist man hier noch lange
nicht – der Wald ist schließlich riesengroß.
Sabine Ertz
Kontakt
Christoph Hassel, Stadt Ottweiler
Postfach, 66564 Ottweiler
Tel: 0 68 24 - 30 08 36
Öffnungszeiten
Ganzjährig, 7-tägig
Anfahrtsweg
Von Ottweiler über
B 420 nach Führt,
Ortsmitte:
Ölmühle Wern
ein, sagt die Frau empört, so haben sich die
Frauen niemals getragen in unserer Gegend. Das Tuch gehört nicht dazu, der Kragen
stimmt auch nicht.“ Wie sie es sagt, das kann
ich hier nicht wiedergeben. Die Frau, die es
sagt, ist aus Kochersberg. Sie steht vor einer lebensgroßen Puppe und das Schildchen besagt,
dass dies eine Tracht just aus ihrer Region ist.
Spass haben sie aber allemal, die Leute aus der
Gegend von Marlenheim, schon allein wegen
ihres Erschreckens, als sie in die Gross´Stub
N
wie die Trachtenpuppe aus Kochersberg.
Weniger schweigsam sind die Gänse im Wirtschaftsteil dieses Bauernhauses. Bedrohlich zischend recken sie uns ihre Hälse entgegen.
„Deshalb haben wir sie ja auch hinter „Gitter“
gebracht“, sagt M. le directeur als ich ihm erzähle, dass ich von Kindesbeinen an Angst vor
diesem Federvieh habe. Sie sind damit nicht
allein, aber sie gehören nun mal dazu.
Das war sicherlich auch schon so, als Felix
Stambach dort 1717 eingezogen ist. Der war
Die Gross´Stub und die Klein´Stub
24
Das Bauernhofmuseum Outre-Forêt in den Nordvogesen
kommen und dort im Sonntagsgetüch ein
Herr Messer und Gabel schwingt. Natürlich
am Tisch, gedeckt mit Elsässer Geschirr und
den typischen Motiven..“Bon appetit, Monsieur.“ Aber er schweigt genauso beharrlich
88
ein zugewanderter Immigrant aus Böhmen
und hatte damals auf den Grundrissen eines
quadratischen Turmes den Bauernhof im typischen Fachwerkstil der Weißenburger Gegend
wiederaufgebaut
Wie behaglich Stambach und sein Nachfolger
Georg April und viele andere dort ihr Leben
verbracht haben, das kann der A.M.R.O.F.,
der Verein der „Freunde des Bauernhofmuseums vom Outre-Forêt“ nicht mehr zeigen.
Wie komfortabel es aber seit etwa 1920 schon
zugegangen ist, das zeigt die Küche. Da gibt es
nicht nur die Sauermilchbank zu sehen. Nein,
da steht ein ausgewachsener Kühlschrank.
Was immer Bauknecht glaubte zu wissen , was
Frauen wünschen, er war auf alle Fälle aus Holz.
Geschirrspüler, aus welchem Material auch
immer, gab es nun doch noch nicht. Aber
nach dem Hantieren in der Seifenlauge immer
griffbereit in der Küche: Niveacreme. Die
Dose ist nun wirklich aus jener Zeit, als die A.
M. R. O. F. zu sammeln begonnen hat. Ich bin
sicher, dass sie auf dem Arbeitstisch angeklebt
ist, aber nein, die „Amis“ vertrauen, dass ihrer
Bitte entsprochen wird: „Ouvrez grand vos
yeux, mais ne touchez pas. Merci.“ Na und an
das Eingemachte im Vorratskeller wird sowieso niemand gehen. Dem sieht man an, dass
es ein paar Jahre, ach was Jahrzehnte, auf dem
Buckel hat.
Große Augen mache ich , als ich sehe, wie behaglich es in der „Schönstube“ schon zugegangen ist. Die gute Stube, sie wurde vom Flur
aus beheizt und behagliche Wärme mag sich
ausgebreitet haben, als die Reibolds oder Pfitzingers sich e G’schichtel vum Aloys erzählt
haben.
Er het e Mann gekannt vun 92 Johr,
der het allen Owe so gebatt:
Lieber Herr Gott
Hol mich wenn du willst
Awer in de nächschde zehn Johr nit.
G’schichteln gibt es bestimmt viele zu erzählen, aber das Waschhaus, das Brennhaus,
das historische Klassenzimmer, die erzählen
von allein - ohne Worte. Und deshalb ist die
Frau aus Kochersberg mit ihrer Familie gar
nicht so böse gewesen, dass die Tracht nicht
so ganz geschichtsgetreu gewesen ist. Ihr
Gelächter, ihre freudigen, erstaunten Ausrufe
haben mich während des ganzen Rundgangs
begleitet.
Silvia Hudalla
Kontakt
Maison Rurale de l’Outre-Forêt
1, place de l’Eglise
67 250 Kutzenhausen
Tel: 0 03 33 - 88 80 53 00
Fax: 0 03 33 - 88 80 63 33
maisonrurale@wanadoo.fr
Öffnungszeiten
Vom 01.04. – 30.09.03 Dienstag bis Freitag
von 10.00 bis 12.00 Uhr
und von 14.00 – 18.00 Uhr,
sonn- und feiertags 14.00 – 18.00 Uhr
Juli und August auch am Samstag
von 14.00 – 18.00 Uhr
Vom 01.10.03 bis 31.03.03
Mittwoch, Sonntage und Feiertage
von 14.00 bis 18.00 Uhr (im Januar geschlossen)
Eintrittspreise
Erwachsene: 3,90 €, Kinder 2,30 €,
Rentner, Schüler, Studenten 3,10 €
Anfahrtsweg
Von Weißenburg in Richtung Haguenau,
nach Soultz-sous-Forêts. An der ersten Ampel
Richtung Kutzenhausen.
Das Museum befindet sich an der Hauptstraße
neben der weißen Kirche.
89
odesmutig erklimme ich die erste Sprosse.
Auch wenn mich meine höchste Bergwanderung in 3500 Meter Höhe geführt hat, Leitern hasse ich. Aber der Job verlangt die ganze
Frau. Schließlich habe ich mir den Baumwipfelpfad in der Pfalz auch selber ausgesucht.
Nichts ahnend, dass dessen Fertigstellung immer wieder hinausgeschoben wird.(Wenn Sie
in den Schulferien mit ihren Kindern dorthin
einen Ausflug machen wollen, dann ist er fertig, versprochen)
T
Der Redaktionsschluss für dieses Heft naht,
ich muss dort hoch. Ich kann doch nicht über
einen Baumwipfelpfad von unten schreiben.
15 Meter klettere ich hoch, das Grummeln im
Bauch in Gedanken an den Abstieg, verdränge
ich. Oben erzählt mir Projektleiter Ulrich
Diehl, wie die Bauverzögerungen entstanden
sind. Keiner in Deutschland hat Erfahrungen
mit Pfaden in luftiger Höhe. Einzig in Brasilien gibt es einige und Australien hat einen.
„Nein“, lacht der Biologe, „Erfahrungen der
Wipfeltreffen
25
Ein Spaziergang durch die Baumkronen bei Dahn
90
anderen einzusammeln, Dienstreisen in d e r
Größenordnung, so was steht schon lange
nicht mehr zur Debatte“. Ein mutiges Projekt
also, das die Pfälzer vor ein paar Jahren anfingen zu planen.
Bei meiner naiven Frage, ob das ganze dann
vom TÜV abgenommen wird, lacht er wieder.
Das ist ja das Problem. Nicht das ganze Projekt auf einmal kann einer peinlichen Prüfung
unterzogen werden. Nein, all die verschiedenen Gewerke wurden immer wieder auf Sicherheit überprüft. Der Holzsteg, der sich in
luftiger Höhe durch die Kronenregion des
Waldes schlängelt. Holz, das eine Gewerk.
Dazu wurden die Stege nicht direkt an die
Bäume gehängt, sondern sitzen auf freitragenden Stahlstämmen. Sie sollen an die Form von
Bäumen erinnern. Stahl, das zweite Gewerk.
Und für die sogenannten Erlebnisbereiche war
wieder ein anderer Prüfer zuständig.
Haben Sie schon einmal auf einer Glasplatte
oder einem Rost gestanden und in die Tiefe
geschaut? Den meisten kommt der vermeintlich sichere Boden gar nicht mehr so sicher
vor. Erst recht wenn diese Kanzel sich durch
einen gekonnten Hüftschwung, in Schwingungen versetzen lässt. Aber das ist immer
noch nicht alles. Schwankende Hängebrücken sollen zum Nervenkitzel in den
Baumwipfeln beitragen und Taubrücken, an
denen man sich entlang hangeln kann.
Und wo bleibt da die Natur, bei all dem Abenteuer und der Selbsterfahrung mit der Höhenfestigkeit? Schon allein wegen des Baulärms
haben doch wohl Spechte, Baumläufer und
Fledermäuse das Weite gesucht und Borkenkäfer, Nachtfalter und anderes Getier, das
möglicherweise in dieser Höhe zu beobachten
sein könnte, an die ist doch sowieso schwer
heranzukommen. Denken Sie doch, erklärt
Ulrich Diehl geduldig, an die Mittelstreifen
der Autobahn. Da hat vor langem schon tie-
risches Leben wieder Einzug gehalten und zu
uns werden die Bewohner des Waldes, die
hierher gehören, auch wieder zurückkehren.
Bis dahin aber wird den Besuchern der Specht
in einer Animation begegnen. Tok tok tok ertönt es aus einem Automaten und das klingt
spechtiger als jeder Specht, den ich jemals zu
hören glaubte.
Wem die 15 -18 Meter Höhe auf dem Holzbohlenpfad noch nicht reichen, der kann sich
in den sogenannten Adlerhorst schwingen
und aus 35 Metern Höhe Tiere, Pflanzen,
Moose und Misteln aus der Nähe betrachten.
Gedacht ist der Baumwipfelpfad in Fischbach
bei Dahn für alle: Jung und alt, Abenteuerlustige und stille Naturbeobachter. Keiner muss
jetzt mehr eine Leiter erklimmen, selbst an
eine Rampe für Rollstuhlfahrer ist gedacht.
Wer sich allerdings am Ende einen spektakulären Abgang verschaffen möchte, der verlässt den Parcours durch die Baumwipfel mittels einer Rutsche aus 20 Metern Höhe.
Silvia Hudalla
Kontakt
Ulrich Diehl
Am Königsbruch 1, 66996 Fischbach bei Dahn
Tel: 06393/921012
Info@biosphaerenhaus.de
www.biosphaerenhaus.de
www.wappenschmiede.de
Öffnungszeiten
April bis Oktober montags bis freitags 9 -18 Uhr,
samstags, sonntags, feiertags 9.30 - 18 Uhr,
November bis März montags bis freitags 9 -17 Uhr,
samstags, sonntags, feiertags 9 - 17 Uhr
Eintrittspreise
Bei Drucklegung noch nicht bekannt
91
den großen Räumen im Erdgeschoss, die den
Charme einer Garage versprühen, ist es warm
und feucht. Man könnte hier Pilze züchten.
Dabei handelt es sich um einen Schneckenstall.
„C'est la nursery.“, reklamiert M. Giraud. Nursery???
Nursery, so verrät mein Wörterbuch, darf man
auch als Franzose sagen (obwohl die Académie
Française sicher nicht glücklich darüber ist); gemeint ist ein Wickelraum. Gewickelt wird
natürlich nicht in der Nursery der Schnecken-
32.000 Zähne und ein Haus
26
Die Schneckenzucht in Molring
ean-Michel Giraud spricht nicht wie ein
Lothringer. Seine weiche Aussprache verrät
den Landais. Er hat immer noch ein Häuschen am Bassin d'Arcachon, wo die berühmten Austern herkommen. Und eigentlich ist er
Molkereidirektor. In Holland hat er Käse, in
Belgien Milchpulver und in Frankreich Butterreinfett hergestellt. Bis vor zehn Jahren sein
Patron, der Besitzer der Kette, sämtliche Betriebe zugemacht hat. Da war M. Giraud 51
und — arbeitslos.
Doch anstelle von Stellenanzeigen studierte er
Wirtschaftfbroschüren und ins geübte Auge
des Managers sprang eine Zahl, die wir anderen
wohl bestenfalls achselzuckend zur Kenntnis
genommen hätten: Die Franzosen essen im
Jahr 40.000 t Schnecken, züchten aber selbst
nur 700 t. Der Rest wird importiert. Und wenn
man jetzt noch weiß, dass eine Schnecke nur 18
bis 23 g wiegt, dann hat man in der Tat eine
Marktlücke entdeckt. M. Giraud fing an zu experimentieren, schließlich kaufte er einen zerfallenen Hof in Molring im lothringischen
Salzland und setzte erst mal Fenster ein. Dann
ging's los. Molring ist der kleinste Ort Lothringens, sagt er, 4 Häuser, 16 Einwohner und...
– 300.000 Schnecken. „Hereinspaziert...“ In
J
92
farm von Molring, aber Jean-Michel Giraud
stellt den Zusammenhang schnell klar: Hier
geht's um das, was er diskret mit „Reproduktion“ bezeichnet. Also wenn ein Schneck mit
einer Schneckin in einer schummerigen
Ecke....
M. Giraud schüttelt den Kopf, denn es gibt weder Schneck, noch Schneckin. Es gibt nur
Schnecke. „Ein Hermaphrodit“, präzisiert er.
Wieder so ein leicht verschämtes Fremdwort.
Will heißen: Die Schnecke ist Männlein und
Weiblein zugleich. „Also, macht sie dann mit
sich selbst...?“ — „Nein, nein“, würgt M. Giraud meinen verirrten Gedankengang sofort
ab, „man braucht schon zwei! Die Paarung dauert 4 Stunden. Dann suchen sie ein Stück Erde,
wo sie ihre Eier ablegen können – alle beide.“
M. Giraud greift nach einer durchsichtigen
Plastikschachtel – so einer, in der man sonst Sojasprossen oder Cocktailtomaten kauft. Sie ist
mit lockerer Erde gefüllt, oben sitzen ein paar
Schnecken und als er die Schachtel hochhebt,
kommen auf der Unterseite mehrere Klumpen
der weißen, klebrigen Eier zum Vorschein. Sobald die Tiere mit der Eiablage fertig sind,
nimmt er die Klumpen vorsichtig aus der Erde
und legt sie in eine andere Plastikschachtel, die
nur mit einem feuchten Filz ausgeschlagen ist.
„Wegen der Parasiten“, erklärt M. Giraud.
„Was glauben Sie, wie viele Lebewesen gern
Schneckeneier essen? Es gibt übrigens auch
Menschen, die das tun.“ Sein Gesichtsausdruck
verrät deutlich, dass er nicht dazu gehört.
In der Nursery also werden die ganz kleinen
Schnecklein (Helix aspersa maxima, „Gros
Gris“) gepäppelt, wenn es draußen noch zu kalt
ist, zwar nicht mit der Milchflasche, aber dennoch mit einem Kraftfutter, das auch Menschenkinder auf die Beine bringen würde:
Milchpulver, Mais- und Weizenmehl, Kleie.
Und Kalk für die winzigen Häuschen auf dem
Rücken, mit denen die Schnecken bereits
schlüpfen. In der Natur überleben nur drei bis
fünf Prozent der Winzlinge, bei Herrn Giraud
sind es immerhin fünfzig. Und wie Menschenkinder machen auch Schnecken... nun ja, in die
Windeln. Aber Pampers für Schnecken, lacht
M. Giraud, seien leider noch nicht erfunden,
deswegen muss er die Käfige täglich mit Wasser
ausspritzen. Die sind Marke Eigenbau, zylindrige, lichtdurchlässige Plastikkübel mit
Drahtboden und -deckel, das erleichtert die
Reinigung. Überhaupt ist hier fast alles selbstgebastelt, Zuliefererfirmen für den gehobenen
Schneckenzüchterbedarf gibt's noch nicht.
Einmal dem Stadium des „Naissain“ entwachsen (so heißen im Französischen sonst junge
Austern oder Muscheln), kommen die Tiere ins
Grüne. Die „Parcs“, die Gehege, sehen aus, als
hätte jemand einen zu groß geratenen Sandkasten auf die Wiese gesetzt, aber vergessen, Sand
einzufüllen. Einfach ein paar niedrige Blechwände, fertig. Das Futter ist ja schon von Natur aus vorhanden, und darauf legt M. Giraud
auch großen Wert. Sumpfdotterblumen, kleine
Brennesseln und Disteln, Löwenzahn, Klee,
Raps und wilder Senf – einen Teil der Kräuterbutter erhalten die Schnecken sozusagen schon
zur inneren Würzung. Zugefüttert werden
höchstens ein paar Gurken oder Zucchini, von
denen bleibt nur noch die Schale übrig, wen
sich 300 Schnecken pro m2 über sie hergemacht haben.
Aber wie alles auf der Welt hat auch die sorglose Zeit des Kräuterfressens einmal ein Ende
für die Schnecken von Molring. Dann winkt
der Kochtopf. Vorher aber müssen sie noch ihre
Pflicht erfüllen: Für Nachwuchs sorgen. Im
zweiten Raum der Farm stehen riesige Drahtkäfige, die ein bisschen an Austernbänke erinnern. Obendrauf kriecht etwas sehr seltsames:
eine Nacktschnecke. Was macht die denn hier?
M. Giraud lacht: „Was wohl? Schnorren! Wenn
Sie Hühner halten, haben Sie Spatzen am Hals,
die Ihnen das Futter wegfressen. Bei uns sind es
die Nacktschnecken. Hier ist es schön warm
und feucht und das Futter schmeckt ihnen.“
Eigentlich ein Gütesiegel. Und da die Nacktschnecken den Behausten nichts antun, lässt
M. Giraud sie in Ruhe. Seine Tierchen erhalten
hier noch einmal für zwei bis drei Wochen das
Futter ihrer Kindertage. „Das hat einen entscheidenden Vorteil: Durch dieses Futter reinigt die Schnecke ihre Därme von selbst. Wenn
sie ihre Eier gelegt haben, können sie in den
Kochtopf.“
Nein, mit dem Kochen seiner Schützlinge hat
er keine Probleme. Wichtig ist, dass das Wasser
vorschriftsgemäß siedet; so sind die Tiere in Sekundenbruchteilen tot, schneller, als wenn eine
Kuh oder ein Schwein geschlachtet wird. Es ist
streng verboten, die Tiere langsam zu erhitzen.
„Dann kommen sie aus dem Haus und fahren
ihre Fühler aus. Daran kann man sehen, dass
sie gelitten haben.“ An dieser Stelle schlüpft
Herrn Giraud in sein zweites Ich. Mit umgebundener Schürze steht er, ganz Chef de Cuisine, in der großen, hellen Küche und macht
aus den gekochten Schnecken eine Gaumenfreude. Das bedeutet viel popelige Handarbeit;
die komplizierteste Maschine, die ich in dieser
Küche sehe, ist eine Schere. Zunächst müssen
die Tiere aus den Häuschen gezogen werden
und während letztere in Soda baden und anschließend im Backofen sterilisiert werden, nimmt
M. Giraud jede einzelne Schnecke in die Hand
und schneidet den Kopf ab. „Der ist nämlich
schwer verdaulich, hier, fühlen Sie mal, das sind
die Zähne.“ Und tatsächlich, hart und hornig
spüre ich sie unter meiner Fingerkuppe, auch
wenn der gesamte „Kiefer“ nicht länger als ein
paar Millimeter ist. „Das sind 32.000 winzige
Zähne, eine wahre Reibe!“, grinst der Chefkoch,
und mir fallen die unzähligen Sonnenblumen,
Basilikumpflanzen und sonstigen liebevoll gehegten Gewächse meiner Mutter ein, die ihnen
schon zum Opfer gefallen sind.
In die Kräuterbutter kommen bei Maître Giraud Petersilie, Knoblauch, Schalotten, Salz
und Pfeffer „und dann noch zwei Kleinigkeiten, die ich nicht verrate“. Ich verstehe.
Küchengeheimnis. Schmecken tun sie jedenfalls vorzüglich. Ein halbes Dutzend Escargots
de Molring versöhnen mich wieder mit den
vielen Achatschnecken, die in den letzten Jahren den Markt überfluten und mir den Genuss
zuletzt verdorben hatten. „Ach, das sind doch
gar keine richtigen Schnecken! Das sind Meerestiere, wussten Sie das nicht? Wir machen
auch keine Tiefkühlkost. Wir liefern nur frisch.
Und auch nicht an Supermärkte. Nur an Restaurants und Privatkunden.“
Aber lange wird M. Giraud das nicht mehr machen. Er ist über 60 und denkt an Ruhestand.
94
Das Häuschen an der Bucht von Arcachon...
Die Farm in Molring will er seiner Tochter und
seinem Schwiegersohn vermachen. Der wird
übrigens kein Self-Made-Man mehr sein.
Claude besucht die Landwirtschaftsschule in
Besançon. Auch dort hat man die Marktlücke
erkannt und einen Abschluss in Schneckenzucht eingeführt. Héliciculteur diplômé. In
Frankreich ist die Schnecke eben Staatssache.
Natalie Weber
Kontakt
Industriekultur
Hélicicole de Molring, Herr Jean-Michel Giraud
13, rue Pricipale, F-57670 Molring
Tel: 00 33 - 3 87 01 51 60
kindersite.chez.tiscali.fr/HELICICULTURE/TARIF01.htm
Öffnungszeiten
Wochentags: 9 - 17 Uhr, samstags 9 - 12 Uhr,
ansonsten am Wochenende nur nach vorheriger Anmeldung (wg. Messen & Märkten)
Eintrittspreise
Kinder: 2,50 €, Erwachsene: 3 €.
Besichtigung mit einfacher Verköstigung & Wein:
4,40 €, mit 1/2 Dutzend Schnecken und Wein: 5,80 €
Anfahrtsweg
ab Goldener Bremm: Autobahn A 320 / A 4 Richtung
Straßburg, Ausfahrt Farébersviller, rechts auf die
D 29 Richtung Henriville, in Cappel erst rechts auf die
Hauptstraße (N 56), hundert Meter weiter wieder links
auf die D 29 Richtung Valette/Leyviller. In Héllimer
rechts auf die N 74 Richtung Morhange, nach 3 km
links auf die D 22 Richtung Dieuze. Nach ca. 10 km
links auf die D 88 Richtung Vahl-lès-Bénestroff. Im Ort
rechts nach Nébing, in Nébing noch einmal rechts,
dann geradeaus über die Hauptstraße nach Molring
(Vorsicht, nicht ausgeschildert, der Abzweig sieht eher
wie die Zufahrt zu einem Gehöft aus. Notfalls fragen.)
In Molring (ganze 4 Häuser!) rechts.
95
ch hätte diesen Auftrag nicht annehmen sollen. Dabei hatte es so schön angefangen. Ich
hatte mir einen Alfa Romeo besorgt – nur Cabrio-Fahren hätte noch schöner sein können.
Bis Straßburg war der Himmel noch milchig
und trübe; auch in Sélestat, etwa eine Viertel
Stunde weiter südlich, war er noch eher weiß
als blau. Doch als ich in Ribeauvillé ausstieg,
um nach dem Weg zur M.I.E., der Stoffdruckmanufaktur zu fragen, fühlte sich alles
nach einem strahlend schönen Frühlingstag
I
an. Ich musste mich beeilen; Jean-Michel Borin wartete. Monsier le Président persönlich
wollte mich durch die Manufacture d'Impression sur Etoffes führen. „Wir haben eine
Stunde zehn Minuten.“ Na gut. „Haben Sie
die deutsche Fahne gesehen?“ Ich hatte gedacht, die würde immer hier hängen. Monsieur Borin klärt mich auf, dass er das immer
so halte; morgens sei der belgische „Agent“ angekommen, da habe man die belgische gehisst,
dann schnell wieder eingezogen, um den Be-
Tischtücher für die Queen
27
Die Stoffdruckmanufaktur von Ribeauvillé
96
such aus Deutschland zu begrüßen. (Ich lege
keinen Wert auf die Bekanntschaft des Händlers aus Belgien. Er ist der Grund, dass Monsieur Borin mich nicht zum Mittagessen einladen kann.)
Monsieur Borin hat den bankrotten Betrieb
1980 gemeinsam mit seinem inzwischen verstorbenen Vater für wenig Geld gekauft und saniert. Früher hieß das Unternehmen nach seinem Gründer Charles Steiner. Als wir an Steiners ehemaliger Villa mit einem höchst seltenen Tulpenbaum aus Virginia vorbeieilen, erzählt mir M. Borin, dass der Firmengründer
mit der Erfindung des „Türkisch Rot“ berühmt
wurde; einer Stofffarbe, die sich durch die besondere Verbindung eines Pigments aus den
Vogesen mit dem Wasser des Strengbachs ergibt, der so eilig an uns vorüberplätschert wie
wir an ihm. Das „Türkisch Rot“ ist die beherrschende Farbe in einem Stoffbild namens Panneau Japonnais, vor dem wir später – natürlich
nur kurz – verweilen, damit ich erfahren kann,
dass es bei der Weltausstellung in Paris 1900 einen ersten Preis erhielt und 43 Farben enthält,
die mit 1500 Schablonen und einer Geschwindigkeit von fünf Zentimetern pro Tag gedruckt
wurden. Eines der 5 erhaltenen Exemplare befinde sich beim japanischen Kronprinzen.
97
„Wir sind die letzten in Europa, die noch so
drucken.“ Die letzten einer ansonsten ausgestorbenen Art. Früher lebten 24.000 Elsässer
zwischen deutscher und schweizerischer
Grenze vom Stoffdruck. Weber, Färber, Spinner, Drucker. Über 150 Unternehmen. Drei
oder vier seien übrig, aber die M.I.E. sei einzigartig.
„Bonjour, ca va?“ Monsieur Borin begrüßt jeden der Arbeiter, die wir kurz, aber erkennbar
stören, mit Handschlag. Er zahlt gut, belohnt
gute Qualität, nicht Masse. Seine Mitarbeiter
sind treu. Es gibt keine Vorgaben, wie schnell
eine Tischdecke bedruckt werden muss, wie
viele Servietten pro Stunde eine Näherin zu
säumen hat. „Klein, aber fein, nur Top-Qualität, keine Fehler.“ Fehler, sagt Monsieur Borin
zwischen zwei Produktionsstätten, Fehler kann
man sich nicht erlauben, wenn man teuer ist.
Und teuer ist seine Ware. Teuer ist bereits das
Rohmaterial, Baumwolle aus Ägypten und
Seide aus Thailand; nur die beste. Teuer sind
die Weber in der Schweiz, Deutschland und
Frankreich, aber nun mal die besten. Teuer ist
es, seine Drucker etwa ein Jahr lang selbst auszubilden – „ein Jahr, kein Zentimeter“. Teuer
ist es, keinen Arbeitsschritt auszulagern, obwohl manche Maschinen nur etwa drei Stunden am Tag laufen. Top-Qualität könne man
nur kontrollieren und garantieren, wenn man
alles selber mache.
Ein flüchtiger Blick auf einige Tischdecken und
Servietten auf ihrem Weg durch die Fertigung.
Bis zu 20 Farben können hier auf einen Stoff
gedruckt werden – „Das“, sagt Monsieur Borin, „ist einzigartig in Europa“. Einzigartig
auch das Siebdruckverfahren per Hand,
„Flachdruck“. 300 Meter Stoff laufen über eine
Rolle zu einem Tisch. Zwei Drucker stehen sich
gegenüber, legen eine Schablone auf den Stoff.
Darauf schwimmt eine Farbe. Im Hintergrund
das Rauschen einer Maschine. Mit größter
98
Sorgfalt bewegen die Drucker ihre Hände am
Rand des Tischs hin und her – das soll der
Druckvorgang sein? „Da ist ein Elektromagnet
unter dem Teppich“, ruft Monsieur Borin gegen das Geräusch an. Soll ich mir das jetzt erklären lassen? Ich weiß nicht genau, wie viel unserer Zeit bereits verstrichen ist und lasse es
bleiben. Der Stoff bewegt sich weiter; wie
durch ein Wunder ist nicht zu sehen, wo die
Schablone aufgesetzt hat. Der Stoff sieht aus,
als wäre er an einem Stück bedruckt worden.
Eine Farbe, eine Schablone. Wenn die zweite
Farbe gedruckt wird, ist die erste schon fast
trocken. Das, sagt Monsieur Borin, mache niemand sonst in Europa, wer nehme sich heute
schon die Zeit, zu warten.
Zur Hälfte ist M.I.E. eine reine Lohndruckerei,
Lieferant erlesener Stoffe für die größten Firmen in Frankreich. Viele Muster sind historisch; M.I.E. ist darauf spezialisiert, alte „Dokumente“, wie die historischen Dessins genannt werden, wieder zu entdecken und zu
drucken. Das wissen auch Kuratoren großer
Schlösser in Deutschland: Benrath, Charlottenburg, Sanssouci, Heidelberg, Schwetzingen.
Alle lassen ihre Stoffe in Ribeauvillé restaurieren. Bei diesen Aufträgen erscheint der Name
der Druckerei jedoch nicht; nur der des Auftraggebers. „Ruhm“, sagt Monsieur Borin eilig,
„Ruhm wollen wir nicht.“ Eine eigene Marke,
„Beauvillé“, produziert M.I.E. aber auch. Zwei
Kollektionen pro Jahr entwerfen die Designer.
Eine Stunde fünf Minuten sind um. Wir sind
einmal über das Gelände gelaufen und durch
sämtliche Produktionsräume gehastet. Ich habe
Stoff gesehen, der gewaschen, gefärbt, gebleicht, fixiert, bedruckt, getrocknet, bei über
100 Grad auf seine Kochfestigkeit überprüft
wurde. Wie, frage ich Monsieur Borin, kann
sich der normale Besucher zur Führung anmelden. Monsieur Le Président winkt lässig ab.
Das gehe natürlich nicht, denn da würde die
Produktion doch gestört. Sicher, es kämen immer wieder Prominente, die dieses Relikt der
Stoffdruckkunst selbst sehen wollten; Queen
Elizabeth von England oder Königin Silvia von
Schweden habe er schon geführt (ich frage
nicht, in welchem Tempo); auch Cathérine Deneuve habe er den Wunsch nicht verwehrt.
Aber sonst ...
Ich hätte diesen Auftrag nicht annehmen sollen. Warum sollte ich unsere Hörer in diese
Oase handwerklicher Tradition schicken, die
nicht zu besichtigen ist? Eine Stunde zehn Minuten sind abgelaufen. Über dem Eingang wehen nur noch die Flaggen von Frankreich und
M.I.E. Alles geht in die Mittagspause – die
wichtigste Zeit des Tages, sagt Monsieur Borin.
„Wollen Sie gut und teuer essen oder gut und
billig?“ Gut und billig erscheint mir angemessener, schließlich wartet noch der firmeneigene
Laden auf mich. „Au Cheval Noir“ verputze ich
einen mit Munster aus der Region überbackenen Flammkuchen und fahre dann zurück an
den Strengbach, um im Laden die Stoffe genauer anzuschauen und anzufassen. Der Parkplatz ist überfüllt, Autos aus ganz Deutschland
und aus Frankreich. Ich bleibe etwa eine
Stunde, zwanzig Minuten. Auf meinem Arm
stapeln sich bald Tischdecken, Fehldrucke,
Küchentücher und Servietten, manche erste,
manche zweite Wahl. An der Kasse hilft nur die
Kreditkarte; der Betrag auf dem Bon entspricht
in etwa dem, was ich mit dem Schreiben dieses
Beitrags verdienen werde. Ich hätte diesen
Auftrag nicht annehmen sollen.
Öffnungszeiten und Eintrittspreise
Die Manufaktur selbst ist leider nicht zu besichtigen.
Der Laden „Beauvillé“ (das ist der Name der Marke)
ist Mo-Fr von 9-12 und von 14-18 h geöffnet. Man
kann dort nicht nur die modernen Dessins kaufen,
sondern auch Stoffe am laufenden Meter, die den
historischen nachempfunden sind! Beauvillé ist alles
andere als billig; die Preise in Ribeauvillé sind allerdings nur gut halb so hoch wie im normalen Handel.
Anfahrtsweg
Ca. 160 km, knapp 2h (beliebig verlängerbar, wenn
man nicht die Autobahn herunterrast). Am schnellsten
über Saargemünd auf die A 4 Richtung Straßburg,
später A 35. In Straßburg Richtung Colmar/Mulhouse.
Kurz hinter Séléstat, rund 14 km vor Colmar, nimmt
man die Ausfahrt Ribeauvillé und fährt Richtung
Vogesen. Im Ort im Kreisverkehr unmittelbar vor dem
historischen Zentrum links halten, über eine Brücke
fahren, dann rechts Richtung Ste.Marie aux Mines.
Nach etwa einem km liegt M.I.E. auf der linken Seite,
kurz vor dem Ortsausgang. Beschilderung (sehr klein):
Beauvillé oder M.I.E.
Sabine Janowitz
Kontakt
Eigentlich keiner!
19, route de Sainte-Marie-aux-Mines
68150 Ribeauvillé , Tel: 0 03 33 - 89 73 74 74
beauville@wanadoo.fr, www.beauville.com
99
benfahrt per Computer rundet das Angebot in
diesem Teil des Museums ab.
Wie aber wohnten die Bergmannsbauern in
der Pfalz? Wie im Saarland – oder doch anders? Vergleichen kann man das mittels der
Rekonstruktion eines typischen Bergmannsbauernhauses. Dazu sind zu sehen: Öfen und
Ofenplatten, Uhren und Regulatoren (Wanduhren), sogar Militaria aus den Kriegen zwischen 1870 und 1945.
Ganz besonderen Wert hat man auf die Reli-
Als die Glankuh noch ein treuer Begleiter war
28
Das Bergmannsbauernmuseum in Breitenbach / Pfalz
ergmannsbauer, das ist im Saarland ein Begriff. Hierzulande, im Hochwald etwa, gab
es sie zuhauf. Die Woche über wurde auf den
Saargruben geschuftet, am Wochenende rief
die Landwirtschaft, die unter der Woche von
Frau und Kindern betrieben worden war. Aber
auch in der angrenzenden Westpfalz, im
Raum Waldmohr, gab es dieses Phänomen.
Und den dortigen Bergmannsbauern ist seit
1980 ein eigenes Museum gewidmet. In Breitenbach, heute Ortsteil der Gemeinde Waldmohr.
Untergebracht ist es in der ehemaligen Schule,
Platz ist also genug.
Wie an den Wandtafeln im Eingangsbereich
deutlich wird, die Blütezeit des Bergbaus in
der Gegend liegt schon lange zurück. Sie war
im 18./19. Jahrhundert. Aber auch nach dem
Zweiten Weltkrieg wurde hier nach Kohlen
gegraben. Doch das lohnte sich bald nicht
mehr. Betriebstätten wie Labach wurden bald
geschlossen. Wie dort gearbeitet wurde, zeigt
das Breitenbacher Museum anhand eines
nachgebauten Stollens. Und wer es dann noch
genauer wissen will, der kann sich einen Film
dazu ansehen. Selbst ganz moderne Medien
haben Einzug gehalten. Eine virtuelle Gru-
B
100
giosität der Bergleute gelegt. Ein eigenes „Kirchenzimmer“ ist diesem Thema gewidmet.
Nicht fehlen dürfen natürlich auch die Küche,
das Schlafzimmer, die Wohnstube. Ein Musikzimmer dokumentiert eher bürgerliches
Leben des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Ein Archiv mit Dokumenten zur örtlichen
und regionalen Historie macht das Bergbauernmuseum in Breitenbach darüber hinaus zu
einer richtigen kleinen Forschungseinrichtung für Heimatgeschichte.
Bis das Museum in seiner heutigen Form
stand und pfalzweite Bedeutung erringen
konnte, war ein langer Atem notwendig.
Schon seit den frühen 60er Jahren des vorigen
Jahrhunderts wurden Gegenstände aus den
längst vergangenen Zeiten der Bergbautradition gesammelt und, da oft in marodem Zustand, gereinigt und restauriert. 1974 begann
man mit einer noch sehr bescheidenen Ausstellung in der alten Lehrerwohnung. Jetzt
verfügt das Museum über rund 650 qm in 14
Ausstellungsräumen.
Gearbeitet haben die Bergleute aus der Pfalz
eher im heutigen Saarland, auf Grube Frankenholz zum Beispiel. Diese Gruben lagen
wohnortnah, man konnte also nach der
Schicht nach Hause. Meist zu Fuß, dann später mit der Bahn, noch später konnte man sich
sogar ein Fahrrad leisten.
So bewirtschaftete der Bergmannsbauer dann
sein ererbtes Land, meist 3 – 4 ha, hielt zwei
oder drei Ziegen, Hühner, Hasen, vielleicht
ein Schwein und eine Kuh, genauer eine
Glankuh. Das war eine besondere Rasse,
genügsam und robust, mit guter Milchleistung und hervorragend als Zug und Pflugtier
zu gebrauchen. Genau ein solches Mehrnutzungstier brauchten die Bergmannsbauern.
Reich wurden die Bergmannsbauern in der
Gegend um Waldmohr nicht, aber sie verarmten auch nicht. Einerseits hatten sie das Geldeinkommen aus der Grubenarbeit, andererseits garantierte die Landwirtschaft die
Ernährungsgrundlage für die gesamte Familie
übers Jahr.
1953 wurde Grube Labach endgültig geschlossen, die Saargruben waren einfach leistungsfähiger und letztendlich auch billiger.
Damit war auch endgültig Schluß mit dem
Bergmannsbauerntum. Das lebt jetzt halt im
Museum weiter.
Kontakt
Günter Schneider
Tel: 0 63 86 - 12 37
Öffnungszeiten
Michael Lentes
Mittwoch von 19.00 bis 22.00 Uhr,
immer am ersten Sonntag im Monat
Eintrittspreise
Erwachsene: 1,50 €,
Gruppen: 1,00 €,
Familien: 2,50 €
(unabhängig von der Kinderzahl)
Anfahrtsweg
Autobahn A 6 Saarbrücken-Mannheim,
Abfahrt Waldmohr. Von dort Landstraße
Richtung Breitenbach. Von Sankt Wendel
über Werschweiler nach Breitenbach
101
ange Jahre hatte das Keramikmuseum
Mettlach seine Residenz in Schloss Ziegelberg. Das war ein schönes Zuhause und die
Decken waren stuckverziert, aber die Räume
waren schon lange viel zu klein. Und außerdem lenkte die Schönheit des Gebäudes von
der der Exponate ab. Und so entschloss sich
die „Familie“ dann, das Keramikmuseum direkt im Herzen der Firma aufzunehmen. Seit
vergangenem Herbst ist das Museum im Barockbau der Alten Abtei untergebracht. In
L
seum. Und damit die so richtig zur Geltung
kommen, wurde eigens für sie ein Vitrinensystem entwickelt, das die rechte Hälfte des
großen Ausstellungsraums einnimmt. Darin
spielt das Licht eine große Rolle und die Beleuchtung ist so organisiert, dass Einzelstücke
oder Produktgruppen jeweils am besten wirken. Die meisten Ausstellungsstücke sind Produktionsbeispiele der „Familie“, von etwa
1810 bis heute, natürlich nur in Schwerpunkten, sonst wäre das Museum völlig überfrach-
Zeitreise durch den Geschirrschrank....
29
Das Keramikmuseum Mettlach
dieser modern gestalteten ehemaligen Industriehalle ist der Rahmen nüchtern und sachlich, nichts lenkt mehr ab vom Glanz der Exponate.
Das Museum bietet einen Überblick über die
Produktionsgeschichte und lädt ein zu einem
Rundgang durch die Entwicklung der Keramik von 1748 bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Das Museum ist Teil
der Erlebniswelt. Mit Ihrer Eintrittskarte können Sie auch alle anderen Teile besuchen und
am besten beginnen Sie Ihren Rundgang in
der Keravision. Dort bekommen Sie nämlich
auf unterhaltsame Weise einen Überblick über
250 Jahre Villeroy & Boch. Sir Peter Ustinov
informiert Sie dabei über die Entwicklung der
Produktion und des Designs in 5 Etappen.
Und danach haben Sie dann den richtigen
Durchblick für Ihre Zeitreise durchs Keramikmuseum.
Die startet an der Schatzwand. Und die ist genauso verheißungsvoll wie ihr Name. Sie bietet einen groben Produktionsüberblick bis in
die Neuzeit und soll Ihre Neugier wecken.
Und sie enthält etwas, das Sie garantiert noch
nie gesehen haben, aber dazu später mehr ......
Rund 17.000 Exponate gibt es in diesem Mu102
tet. Hinzu kommen einige Schenkungen, vorwiegend von Erben ehemaliger V&Bler und
Exponate einzelner Kunden.
Diese Zeitreise durch die Geschichte der Keramik ist zugleich auch eine Zeitreise durch
die Geschichte des Geschmacks, der Lebensart, des Lifestyle, wie es heute neudeutsch
heißt. Und das ist schon sehr beeindruckend.
Es beginnt mit barockem Prunk an Terrinen
und Kaffeekannen, geht über klassizistische
Vasen und Teller, gründerzeitlichen Luxus in
Form von Amphoren bis hin zum ColaniDesign und damit zur Lifestyle-Ära von Villeroy & Boch.
Alt-Luxemburg das vielleicht erfolgreichste
V&B-Geschirrdekor eröffnet den Rundgang
durch die Geschichte der Keramik, die untrennbar mit der Geschichte des Unternehmens verbunden ist. Tafelgeschirr spielt überhaupt eine große Rolle in dieser rechten
Hälfte der Ausstellung. Und so mancher wird
sich wundern, was die früher alles schon
kannten. Die Ursprünge liegen im 18. Jahrhundert. Das Geschirr wurde nach Vorlagen
von Gold- und Silberschmieden gefertigt
und meist war es für große Familien gedacht,
denn damals wurde zuhause gefeiert und ge-
© J.Krimmel
103
© J.Krimmel
speist. Das konnten sich freilich nur betuchte
Familien leisten, aber die taten das dann auch
gründlich. Mit Extras, für die es heute Ohs
und Ahs gibt, wie zum Beispiel ziselierte
Spargelschalen, Mokkakännchen oder eigens
für den Tischgebrauch angefertigte Waschgarnituren.
Viel Adel und Königtum ist auch zu sehen
bei dieser Zeitreise im Keramikmuseum
Mettlach. Aber auch Geschirr für die einfachen Leute. Und auch das hat seine Geschichte. Wie zum Beispiel die Hochzeitsteller. Die enthalten den Namen der Eheleute
und hatten vor allem im Raum Luxemburg
Tradition. Nach dem unbestätigten Bericht
eines luxemburger Pfarrers sollten die an jedem Hochzeitstag die Ehepaare daran gemahnen, die Suppe, die sich sich gemeinsam
eingebrockt hatten, auch gemeinsam auszulöffeln. Vermutlich aber waren diese
Hochzeitsteller vor allem für einfache Leute
104
das feinste Geschirr, das sie je besaßen. Keine
Frage, dass das nur an Festtagen auf den
Tisch kam.
Das gilt sicherlich auch für die letzte Etappe
der Produktionsgeschichte. Für das Geschirr
im Colani-Design zum Beispiel oder andere
Extravaganzen. „was, das ist auch von V&B?“,
fragt sich da mancher Besucher überrascht.
In der linken Hälfte folgen dann die ThemenPavillons. Das sind einzelne Boxen, die mit
Ausstellungsstücken und Dokumenten, teils
auch mit Film- und Tonmaterial eine spezielle
Geschichte erzählen und zum Verweilen einladen. Da geht es zum Beispiel um die Produktion der sogenannten Mettlacher Platten,
also um jenes berühmte und unverwüstliche
farbige Steinzeug. Oder da wird gezeigt, wie
sich die Firma auf den Weltausstellungen in
Europa und in Übersee präsentiert hat - V&B
war nämlich keineswegs erst bei der Expo
2000 in Hannover mit von der Partie. In ei105
nem Pavillon lernen Sie Matthias Hein kennen. Er war einer der ersten Industrie-Designer, die für Villeroy & Boch gearbeitet haben. Etliche seiner Entwürfe gingen in Produktion und einige davon können wir uns
heute noch anschauen. Und in einem dieser
Pavillons können Sie auch viel erfahren über
die Bedeutung der „Firma“ für die Region.
Dokumente aus dem umfangreichen V&BArchiv geben einen Eindruck in das soziale
Leben jener Zeit, das Vereinsleben im 19. und
Anfang des 20. Jahrhunderts mit Sport- und
Musikvereinen und der werkseigenen Feuerwehr zum Beispiel. Und sie belegen die Verbundenheit vieler Mitarbeiter mit der Firma,
die früher zumindest für viele auch die Familie war. Und so kommt denn auch vieles, was
auf dieser Zeitreise durch die Geschichte der
Keramik zu sehen ist, von ehemaligen V&BMitarbeitern. Und eines Tages könnte es vielleicht sogar eine Ausstellung nur mit solchen
Sammelobjekten geben ....
Der Rundgang durch das Keramikmuseum
Mettlach endet logischerweise dort, wo er begonnen hat: an der Schatzwand. Und die
sollten Sie sich zum Schluss noch einmal genau anschauen. Vor allem das Geschirr, das
da im linken Teil zu sehen ist. Das ist nämlich ganz was Besonderes. Seit Generationen
produziert V&B auch Geschirr für den
Papst. Und das wird nach Möglichkeit persönlich übergeben. So war es auch mit dem
Mettlacher Produkt für Johannes Paul II. Das
übergab Wendelin von Boch vor vielen Jahren bei einer Audienz zusammen mit seiner
damals hochschwangeren Frau und seinem
ältesten Sohn. Und der Kleine, so ist zu
hören, war sich weder der Würde, noch gar
der Schwere des Augenblicks bewusst. Er
hatte, wie alle kleinen Kinder, nur Augen für
das Besondere, die Kopfbedeckung zum Beispiel oder den großen Ring des ehrwürdigen
106
Mannes. Der soll sich als ausgesprochen kinderfreundlich erwiesen und richtig mitgespielt haben. Auch das ist ein Erlebnis auf der
Zeitreise durch die Geschichte der Keramik
im Museum in der Alten Abtei in Mettlach.
Ulli Wagner
Kontakt
Keramikmuseum Mettlach
Alte Abtei, Saaruferstraße
66693 Mettlach
Tel: 06864 81 12 94 oder 06864 81 10 20
Info@keramikmuseum-mettlach.de
www.keramikmuseum-mettlach.de
Denkma(h)lzeiten
Öffnungszeiten
Mo-Fr: 9 -18 Uhr,
Samstag, Sonn- und Feiertage:
9.30 - 16 Uhr
Eintrittspreise
Für das gesamte V&B-Erlebniszentrum
mit Keravision, Erlebniswelt Tischkultur und
Keramikmuseum: 4 €, ermäßigt 3 €
(Gruppen und Studenten), Schüler frei
Anfahrtsweg
Über die A 620 / A 8 bis Merzig, oder gleich ganz
über die B 51, von Merzig aus dann über Besseringen nach Mettlach, die Alte Abtei ist direkt am Saar
Ufer – falls die Saaruferstraße noch Baustelle ist,
der Umleitung Richtung Bahnhof folgen, von der sind
V&B und die Keravision ausgeschildert
107
ie Decken marode, das Dach undicht, die
Fassade mit einer hässlichen grünen Plane
verhängt, so sah das Haus Angel am Sankt
Wendeler Fruchtmark direkt gegenüber dem
Wendalinus-Dom noch vor wenigen Jahren
aus. Es schien nur noch eine Frage der Zeit,
wann das Doppelhaus einfach in sich zusammenbrechen würde. Dabei ist und war das Gebäude denkmalgeschützt. Und genau da lag
der Hase im Pfeffer. Jahrelang, ja eigentlich
jahrzentelang gab es Knies zwischen den Be-
D
Vom Zankapfel zum Schmuckkästlein
30
Das Hotel Angel in Sankt Wendel
sitzern, der Familie Angel, und dem Landeskonservator. Vor allem Konservator Johann Peter Lüth wehrte sich ebenso lange wie
vehement und letztendlich erfolglos gegen die
Pläne der Angels aus ihrem Stammhaus ein sogenanntes Romantik-Hotel zumachen.
Die heute seltenen Treppentürme an der
Rückfront - Renaissance - unbedingt zu erhalten. Die morschen Deckenbalken genauso.
Die Fassade sowieso. Aber um die gab es die
wenigsten Auseinandersetzungen. Lang und
schlecht, die Angels mussten alles in allem
rund 20 Jahre auf die Baugenehmigung warten. Wann die genau dann kam, will Hotelbetreiberin Manuela Angel gar nicht mehr wissen. Sie ist froh, dass ihr Hotel nun endlich
fertig ist. Und sogar Ex-Landeskonservator
108
Kontakt
Lüth muss mittlerweile eingestehen: Was die
Angels da gemacht haben, hat Hand und Fuß,
besteht auch unter den gestrengen Augen der
Denkmalpflege. Erhalten wurde soviel wie
möglich. Einer der beiden Treppentürme
blieb was er war, beim anderen musste man
sich aus statischen Gründen etwas einfallen
lassen. Stockwerk für Stockwerk wurden die
Hotelzimmer integriert. Die Idee: Machen
wir doch das Bett der Suiten hinein. Das ist
jetzt halt rund und sehr geräumig. Gerade
diese Zimmer, so Hotelchefin Manuela Angel,
sind bei Jungvermählten sehr beliebt.
Die Deckenbalken, auf die der Landeskonservator so großen Wert gelegt hat. Sie sind noch
da. Allerdings ihrer ursprünglichen Funktion
entkleidet. Und entkleidet kann man ruhig
wörtlich nehmen. Sie wurden freigelegt und
zieren nun den Restaurantbereich.
Und auch sonst überall Spuren der langen Geschichte dieses Hauses. Zum Beispiel Bruchsteinmauerreste im Aufgang zur Bar (riesige
Cocktail-Karte!!). Selbstverständlich bietet
das Hotel auch alle Annehmlichkeiten heutiger Spitzenhäuser. Die Zimmer wurden im historischen Maßstab erhalten und in der
Möblierung vergangenen Zeiten angepasst.
Nichts aber wirkt verstaubt. Klare Linien ohne
pseudo-historischen Schnick-Schnack herrschen vor.
Im Keller - der musste eigens gebaut werden,
weil das Haus nie unterkellert war - der Wellness-Bereich mit Sauna, römischem Tepidarium, einer Infrarot-Dusche und einem Kosmetikstudio. Fürs Verwöhngefühl werden
zahlreiche Arragements angeboten, die eines
aber nie außer acht lassen: Das gute Essen im
Restaurant „Luise“.
„Angels Hotel“
Sankt Wendel am Fruchtmarkt
Tel: 0 68 51 - 99 90 00
Info@angels-dashotel.de
www.angels-dashotel.de
Anfahrtsweg
Die A 6 bis Autobahnkreuz Neunkirchen,
A 8 bis zur B 41, von dort über Ottweiler
nach St. Wendel
Besonders bemerkenswert: Im Angel Hotel
kann man bis 18.00 Uhr frühstücken, wenn es
abends in der Bar „May-Club“ etwas länger
war zum Beispiel. Und man braucht auch
nicht um 11.00 Uhr sein Zimmer zu räumen.
Auschecken ist in Sankt Wendel auch bis
20.00 Uhr möglich. Fahrradfahrer sind natürlich auch willkommen. Für die gibt es auch eigene Angebote.
Ein Vierstern-Haus der etwas anderen Art.
Gar nicht steif, schön locker und entspannt
und auch die Preise sind eher zivil.
Michael Lentes
109
„Ich habe mich 1974 in das „La maison des
Baillis“ verliebt, „das kleine Schloss der
Markgrafen von Baden“ wie es in der Dorfchronik genannt wird Das „Kleine Schloss"
wurde um 1560 von Christoph II. von Baden-Rodemachern errichtet. Das Gebäude
besitzt noch stilvolle Empfangsräume aus
dem 18. Jahrhundert Das schöne Herrenhaus
war zum Teil verfallen. Während des zweiten
Weltkrieges waren hier russische Gefangene
untergebracht. Einige haben uns inzwischen
Chez Gracieuse
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Das „kleine Schloß“ von Rodemack
eißer Sommertag in Rodemack, einem
Dorf mit mittelalterlichem Flair im
Dreiländereck. Im Innenhof eines Herrenhauses sitze ich im Schatten an einem kleinen
weißen schmiedeeisernen Gartentisch. Gegenüber auf dem Eingangstor ein Schild: „Restaurant: La maison des Baillis“. Wie die anderen Gäste warte ich auf meine Bestellung.
Die Patronne, Madame Gracieuse del Vecchio
– habe ich jemals einen so wohlklingenden
Namen gehört? - geht sorgsam von Blumenstock zu Blumenstock und gießt. Ich denke an
das, was sie mir eben über ihre Küche, über
ihre Vorstellung der Gastfreundschaft und
über das Dorf Rodemack erzählt hat.
H
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besucht. Das war sehr ergreifend. Wir haben
umfangreiche Restaurierungsarbeiten angefangen, um das stilvolle Haus bewohnbar zu
gestalten und es in eine Kunstgalerie zu verwandeln. Mein Mann und ich sind Innenarchitekten von Beruf. In den drei Salons haben
wir mühsam die Holztäfelungen aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts von mehreren
Schichten Lack befreit, die Wänden neu tapeziert. Ich wollte aus dem „kleinen Schloss“
ein Haus der Begegnungen machen, wo viele
Gäste kommen, feiern, und jeder sich wie zu
Hause fühlt. Eines Tages habe ich mich selbst
an den Herd gestellt. Seit 11 Jahren betreiben
wir. Georges und ich, ein Restaurant“
Durch das offene Tor sehe ich von meinem
Tisch aus kleine alte Häuser, Dächer am Hang
und ganz oben das „große Schloss“ von Rodemack. Die Schlossbewohner müssen eine
herrliche Sicht auf das Tal haben – und möglichcherweise auch auf die nahen Kühltürme
von Cattenom. Das quadratisch angelegte
Schlossgebäude überragt das Dorf und ist von
ihm durch eine hohe Mauer getrennt.
Herr Del Vecchio deckt die im Innenhof aufgestellten langen Biergartentische mit einfachen Papierdecken. Alles geht hier sehr familiär zu. Die jungen Damen des „Office du tourisme“ gegenüber schließen. Mittagspause.
Um diese Zeit und bei der Hitze wirkt das
Dorf wie verlassen.
In den Prospekten, die im Verkehrsamt verteilt werden, ist von einem der schönsten
Dörfer Frankreichs die Rede. Rodemack
wird als „Das kleine Carcassonne“ gepriesen!
Ich habe Schwierigkeiten in dieser Schilderung des Prospektes das charmante unprätentiöse Bild wiederzuerkennen, das ich vor
Augen habe. Dort liesst sich die gedruckte
Geschichte des Dorfes wie eine endlose Aufzählung von Kriegstaten, Belagerungen und
gewaltsamen Befreiungen.
„Haben denn die Dorfbewohner nie gelebt,
geliebt? Sollen sie immer getrauert und
gekämpft haben? wundert sich Gracieuse.
Warum müssen immer nur die Gräueltaten in
die Geschichte eingehen? Es ist immer wohl
so, auch bei mir selbst: Wenn mich jemand
fragt, ob es mir gut geht und ich antworte mit
ja, dann bin ich für ihn nicht mehr interessant. Wenn ich sage, mir tut es hier und da
weh, dann werde ich weitergefragt. Die Menschen haben nur für das Elend, das Schmerzliche Interesse, nicht für das Glück. Diese Reduzierung der Geschichte auf blutigen Ereignisse ist schade… und dieser Vergleich mit
Carcassonne! Grotesk! Rodemack ist ein Dorf.
Ruhig, ohne großen Ansprüche, liebenswürdig, bescheiden. Es hat mit der südfranzösischen prächtigen hochtouristischen mittelalterlichen Festung nichts gemeinsam. Gott sei
Dank ! In Rodemack wird keine wertvolle Zeit
an der Kasse von Souvenirläden vergeudet, in
den Gassen werden keine Schlüsselanhänger
mit Ministadtmauern aus Plastik verkauft.
Nach Hause nimmt der Besucher nur die persönlichen Eindrücke, die er entlang der Gassen oder in dem winzigen Garten mit mittelalterlichen Kräutern gesammelt hat. Rodemack ist ein bescheidener Ort mit einem gewissen Charme und soll es auch in Zukunft
bleiben. In Rodemack sind eben die Spuren
aus dem Mittelalter nicht so spektakulär wie
in Carcassonne oder Rothenburg“
„Vorsicht, die „tarte“ ist sehr heiß !“ Georges
Del Vecchio bringt die Vorspeise. Am Nachbartisch haben vier Kunden verschiedene Sorten „tarte“ auf dem Teller. Jeder Gast erhält
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eine andere Füllung, damit alle an einem
Tisch mehrere Varianten probieren können.
Das ist ein Prinzip des Hauses sagt Herr del
Vecchio seinen Gästen. Er und Gracieuse
freuen sich, wenn sie sehen, dass Teller über
den Tisch weitergereicht werden.
Ich sitze allein am Tisch und komme leider
nicht in den Genuss der vielen Varianten. Und
ich wage es nicht, den Patron nach Probehäppchen aus der Küche zu fragen. Die Vorspeise war in der Tat sehr heiß. Im Schatten
des hohen Ahorns ist mir plötzlich sehr warm.
Ich knöpfe mein Hemd auf.
„Ich finde es herrlich, wenn die Gäste bei mir
in Jeans erscheinen oder in Shorts, mit Reitstiefeln oder in Fahrradausrüstung. Jeder soll
kommen, wie er sich wohl fühlt. Ich habe als
Kind früher vornehme Restaurants gehasst. Einige Kunden kommen auch sehr chic gekleidet.
Warum nicht? Das Haus ist es auch wert.“
Im „maison des Baillis“ wird der rohe Schinken mit frittiertem Gemüse serviert. Eine
äußerst leckere Spezialität von Gracieuse. Das
Gemüse kommt aus dem Garten, wo gerade
die Kinder von einem der Nachbartische spielen. Sie haben dort eine Rutsche entdeckt, auf
einem Rasen zwischen Blumenbeeten und
dem großen Kirschbaum.
„ Ich mag es, wenn neugierige Dorfbesucher
sich in meinen Garten wagen. Selbst wenn sie
keinen Tisch bei mir reservieren. Ich beobachte, wie sie die Feigen betasten, an den Blumen riechen, wie sie sich kurz unter einen
Baum in den Schatten setzen. Ich empfinde
mich nicht als alleinige Besitzerin dieses Hauses. Es gehört mehr oder weniger jedem, der
sich ihm nähert.“
Zu jeder Jahreszeit kommen viele Stammgäste
und Neugierige in das „kleine Schloss“ von
Gracieuse und Georges. Über die Hälfte der
Gäste kommt aus dem nahen Luxemburg und
aus dem Saarland. Die Küche ist gutbürger112
lich, unprätentiös. Die Köchin bereitet zu,
was in ihrem Garten wächst. Das ist „gute
Omaküche“ im besten Sinne. Und das Dorf
Rodemack mit seinem mittelalterlichen Flair
ist eine Reise wert, selbst wenn es in der Tat
mit Carcassonne wenig gemeinsam hat.
Philippe Fouché
Kontakt
La Maison des Baillis Place des Baillis
57570 Rodemack
Tel: 0 03 33 - 82 51 24 25
www.les-baillis.com
Öffnungszeiten
„La maison des Baillis“ ist täglich mittags und
abends geöffnet, außer Montag und Dienstag.
Menüs kosten zwischen 16 und 30 ,
Führungen durch das Dorf und im Schloss auf
Wunsch in deutscher Sprache: Zu erfragen beim
„Office du tourisme“
Place des Baillis
57570 Rodemack
Tel: 0 03 33 - 82 51 25 50
www.rodemack.com
Anfahrtsweg
Von Perl kommend über Schengen und Mondorf.
In Mondorf Grenzübergang Richtung Thionville (d1).
Nach einem Kilometer rechte Hand die d 57 über
Puttelange nach Rodemack fahren.