Exkursionsbericht - Leuphana Universität Lüneburg
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Exkursionsbericht - Leuphana Universität Lüneburg
Universität Lüneburg Lehrstuhl für Geographie Leitung: Dr. Habil. Martin Pries SS 2006 Exkursionsbericht Große geographische Exkursion Tschechien Teilnehmer: Anne Hannemuth, Antje Seidel, Anja Krumbholz, Marco Kühne, Jonathan Happ, Gül Cesur, Anne Pischtschan, Stefanie Kräußel, Larissa Kirmair, Maria Barthelmann, Stefan Ivanov Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung......................................................................................................................................... 4 2 Prag – Von der Furtsiedlung zur Millionenstadt.......................................................................... 5 3 Hradschin – Die Prager Burg....................................................................................................... 11 3.1 Der Veitsdom........................................................................................................................................ 11 3.2 Der Alte Königspalast...........................................................................................................................13 3.3 Das Goldene Gässchen......................................................................................................................... 14 4 Prag – ein Rundgang durch über 1000 Jahre Architektur....................................................... 15 4.1 Die Goldene Stadt................................................................................................................................ 15 4.2 Architekturgeschichte Prags................................................................................................................. 16 5 Prags Außenbezirke am Beispiel Háje.........................................................................................26 5.1 Die Platte.............................................................................................................................................. 26 5.2 Der Ursprung........................................................................................................................................ 27 5.3 Der Stadtteil Háje................................................................................................................................. 28 5.4 Fazit...................................................................................................................................................... 31 6 Jüdisches Prag............................................................................................................................... 32 6.1 Allgemeiner Block über die jüdische Situation..................................................................................... 32 6.1.1 Anfang der Diaspora........................................................................................................................................ 32 6.1.2 Anklage gegen die Juden im Mittelalter.......................................................................................................... 32 6.1.3 Rolle der Juden.................................................................................................................................................33 6.2 Prager Juden – Entstehung der jüdischen Gemeinde............................................................................ 34 6.3 Weißer Berg und Maria Theresia.......................................................................................................... 34 6.4 Das Ende – Assimilierung.................................................................................................................... 35 6.5 Assanierung.......................................................................................................................................... 36 6.6 Altneusynagoge.................................................................................................................................... 36 6.7 Die Jerusalem Synagoge....................................................................................................................... 37 6.8 Der Friedhof......................................................................................................................................... 37 7 Kafka und Prag – Eine Mini-Biografie....................................................................................... 38 8 Theresienstadt................................................................................................................................ 46 8.1 Die Geschichte..................................................................................................................................... 46 8.2 Theresienstadt heute............................................................................................................................. 48 9 Marienbad...................................................................................................................................... 49 9.1 Historische Entwicklung.......................................................................................................................54 9.2 Bäder in Tschechien..............................................................................................................................55 9.3 Aktuelle Entwicklungen....................................................................................................................... 58 10 Die Karsthöhlen von Beroun...................................................................................................... 59 10.1 Oberirdische Karstformen.................................................................................................................. 59 10.1.1 Karren.............................................................................................................................................................59 10.1.2Dolinen............................................................................................................................................................60 10.1.3Poljé................................................................................................................................................................ 60 10.2 Unterirdische Karstformen................................................................................................................. 61 10.2.1 Karsthöhlen.................................................................................................................................................... 61 10.2.2 Ablagerungen in Höhlen................................................................................................................................ 61 10.3 Karst in Tschechien............................................................................................................................ 62 11 Fazit...............................................................................................................................................64 12Literaturverzeichnis..................................................................................................................... 66 1 Einleitung Zwischen dem 11. und dem 18. August 2006 fand unter der Leitung von Dr. Martin Pries die Große Geographische Exkursion in die Tschechische Republik statt. Zwölf Studierende der Universität Lüneburg verbrachten die Exkursionswoche größtenteils in der tschechischen Hauptstadt Prag, die sie jeden Tag aus einem neuen Blickwinkel kennenlernten. Dazu spezialisierte sich jeder der TeilnehmerInnen auf ein Thema und übernahm dafür jeweils die Exkursionsleitung. Der vorliegende Exkursionsbericht ist eine Zusammenfassung der einzelnen Artikel, welche die Studierenden zu ihren Themen verfasst haben. Die einzelnen Berichte sind einer besseren Lesbarkeit zuliebe thematisch geordnet und entsprechen deshalb nicht unbedingt dem zeitlichen Verlauf der Exkursion. Einen ersten historischen Überblick vermittelt der Beitrag von Anne Hannemuth zur Siedlungsgeschichte Prags. Dieser Aspekt wird anschließend von Anja Krumbholz in einer Darstellung wichtiger mittelalterlicher Baudenkmäler konkretisiert. Im Anschluss schildert der Aufsatz zur Prager Architektur von Antje Seidel zeittypische Baustile von der frühmittelalterlichen Romanik bis zum Zeitalter von Postmoderne und Dekonstruktivismus. Von dort aus schlägt Marco Kühne den Bogen in die jüngere Vergangenheit: Sein Bericht verdeutlicht die städtebaulichen Prinzipien aus der sozialistisch-totalitaristischen Vergangenheit der ehemaligen Ostblockländer am Beispiel der Plattenbausiedlung Haje. Drei Beiträge der vorliegenden Zusammenstellung befassen sich mit der Geschichte der Prager Juden: Der Aufsatz von Jonathan Habb beschreibt die frühere Bedeutung Prags für das europäischen Judentum und gibt Einblicke in die Geschichte der ortsansässigen jüdischen Gemeinde. Vor diesem Hintergrund widmet sich Gül Cesur der Lebensgeschichte Franz Kafkas und zeigt, an welchen Orten der Prager Schriftsteller lebte und wirkte. Schließlich beleuchtet Anne Pischtschan in ihrem Aufsatz über die heutige Museumstadt Terezin die Situation im jüdischen Getto Theresienstadt während der nationalsozialistischen Besetzung. Zum Ende der vorliegende Zusammenfassung bieten Stefanie Kräußel und Larissa Kirmair mit ihrer Arbeit über den von Bäderarchitektur geprägten Kurort Marienbad einen kleinen Einblick in die Geschichte des Tourismus im heutigen Tschechien. Den Abschluss bildet der geologische Exkurs von Maria Barthelmann zu den Karsthöhle von Beroun, die sich im Prager Umland befinden. Die Einzelbeiträge des Gesamtberichts wurden von Stefan Ivanov zusammengestellt. 2 Prag – Von der Furtsiedlung zur Millionenstadt Von Anne Hannemuth Vermutlich ca. 3000 v. Chr. findet die erste Besiedlung des Prager Beckens statt. An einer Furt durch die Moldau kreuzen sich mehrere alte Handelswege. An dieser Kreuzung entwickelt sich eine erste Kaufmannssiedlung1. Die eigentliche Stadtgeschichte Prags beginnt allerdings erst in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts n. Chr. mit einer Legende: Libuše aus dem Geschlecht der Přemislyden prophezeit in einer Vision den Bau der Prager Burg. Die Burg solle genau an der Stelle gebaut werden, „an der ein Zimmermann die Schwelle seines Hauses“ 2 zimmere, so Libuše. Ihr Gemahl Přemysl legt, der Sage nach, den Grundstein der Prager Burg genau an dieser Schwelle („práh“). Dem tschechischen Wort „práh“ verdankt die Stadt Prag (tschechisch „Praha“) ihren Namen. Im Jahre 890 wird die Burg („hrad“) fertiggestellt 3. Im Schutz der Burg siedeln ab dem 10. Jahrhundert Kaufleute und Handwerker zu beiden Seiten der Moldau. Prag wird zur wichtigen internationalen Handelsstadt „auf den Wegen zwischen West und Ost.“4. Nicht nur deutsche, sondern auch italienische, arabische sowie jüdische Kaufleute lassen sich in der Moldaustadt nieder5. Um 1091 existieren bereits zwei jüdische Siedlungen in unmittelbarer Nähe des damaligen Marktplatzes, heute „Altstädter Ring.“Im 11. Jahrhundert entstehen durch den wirtschaftlichen Aufschwung Prags um den damaligen Marktplatz („Altstädter Ring“) erste Bürgerhäuser6. Zweihundert Jahre später, im Jahre 1338, wird der Bau des Altstädter Rathauses an eben diesem Platz genehmigt. Während der Regentschaft von König Wenzel I. (1230-1252) wird die Altstadt („Staré Město“) Prags am östlichen Moldauufer umwallt und „mit städtischem Status ausgestattet“ 7. Im Zuge der Ostkolonisation siedelt König Ottokar II. 1257 auf der Kleinseite („Malá Strana“) am westlichen Ufer der Moldau deutsche Händler und Handwerker an. Im selben Jahr erhält auch die Kleinseite das Stadtrecht. Im Jahre 1320 lassen die Burgherren westlich der Burg („hrad“) eine dritte Stadt planmäßig angelegen. Dieses sogenannte Hradschin-Viertel oder Burgviertel („Hradčany“) dient als 1 Vgl. BUSSMANN, M. und TRÖGER, G. 2005: Tschechien, S. 59 2 HABITZ, G. 2004: Prag Preiswert, S. 13 3 GRÜNDEL, E. und TOMEK, H. 2000: Prag, S. 16 4 HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 14 5 Vgl. HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 14 6 PETRO, J. und WERNER, K. 2001: Prag und Umgebung, S. 84 7 PETRO, J. und WERNER, K. 2001: a.a.O., S. 85 Untertanenstadt für die Burg. Unter König Karl IV. (Regentschaft 1346-1378), der 1355 „auch zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation ernannt“8 wird, steigt Prag zur bedeutenden geistigen und künstlerischen Metropole in Europa auf. 1348 gründet Karl IV. das Karolinum, die erste Universität nördlich der Alpen, welche zahlreiche Gelehrte und Künstler aus ganz Europa nach Prag lockt. Aufgrund starker Überbevölkerung innerhalb der drei bestehenden Stadtzellen Prags lässt Karl IV. im selben Jahr die sogenannte Neustadt (Nové Město) anlegen. Ziel hierbei ist zum einen die Schaffung neuen Wohnraumes, zum anderen die Verlagerung von Gewerbe und Handel aus der Altstadt. Während der Regentschaft Karl IV. leben bereits 60000 Menschen in der Stadt an der Moldau9. Karl IV. erteilt des Weiteren 1357 den Auftrag die legendäre, steinerne Karlsbrücke über die Moldau zu bauen. Um das Jahr 1400 steht eine neue, die Prager Geschichte prägende Gestalt im Mittelpunkt des Stadtgeschehens. Der Priester und Rektor der Prager Universität Jan Hus prangert in seinen Reden und Schriften soziale Ungerechtigkeit, Korruption und vor allem den Verfall und „Niedergang der katholischen Kirche“10 an. In einer Zeit der „sozialen und wirtschaftlichen Spannungen“ 11 stoßen Hus Lehren in Prag auf offene Ohren. Mit seiner packenden und mitreißenden Art zu predigen füllt er regelmäßig Säle mit bis zu 3000 Menschen12 und wird somit zur echten Bedrohung für die Lehren der katholischen Kirche. Aus diesem Grund muss sich Hus im Jahre 1415 auf dem Konstanzer Konzil für seine Meinung rechtfertigen. Als er nicht bereit ist diese zu widerrufen, wird er, trotz der Zusicherung des freien Geleites durch den König, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. In Gedenken an den Tod des Märtyrers Hus formt sich in den folgenden Jahre die „HussitenBewegung. Die Hussiten glauben und verehren die Lehren des Jan Hus. Sie fordern religiöse Gleichberechtigung für den hussitischen Glauben. 1419 stürzen aufgebrachte Hussiten dreizehn katholische Ratsherren aus dem Fenster des Neustädter Rathauses13. Dieses Ereignis geht als „Erster Prager Fenstersturz“14 in die Geschichte der Stadt ein und gilt als Auslöser der „Hussitenkriege“ (1419-1434). Die Kriege enden 1434 mit einem Sieg der vereinigten katholischen Heere über die Hussiten. Trotz dieses Sieges wird die hussitische Konfession 1436 auf dem Landtag in Iglau von 8 BROOK, S. 2003: Der National Geographic Traveler Prag und Tschechien, S. 22 9 Vgl. POLSTER, B. 2002: Prag, S. 10 10 WEIß, H. 2001: Prag, S.26 11 WEIß, H. 2001: a.a.O., S.26 12 Vgl. WEIß, H. a.a.O.: Prag, S.162 13 Vgl. HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 16 14 WEIß, H. 2001: a.a.O., S.27 der katholischen Kirche anerkannt 15. 1541 fallen „zahlreiche Bauten der Kleinseite und der Prager Burg“ 16 sowie des Hradschin-Viertels einem verheerenden Großbrand zum Opfer. Der Wiederaufbau erfolgt im Stil der Renaissance und des Barocks. Noch heute prägen viele der zu dieser Zeit entstandenen Adelspaläste das Erscheinungsbild der Kleinseite Prags. Seit 1526 wird Tschechien von den katholischen Habsburgern regiert. Es kommt in den folgenden Jahren immer wieder zu Spannungen und Konflikten zwischen „der katholischen Monarchie und der weitgehend protestantische Bevölkerung“17 sowie den „vorwiegend protestantischen Ständen.“ 18 Am 23. Mai 1618 kommt es zum „Zweiten Prager Fenstersturz“ 19, bei dem zwei kaiserliche Statthalter und deren Sekretär von radikalen Protestanten aus einem Fenster der böhmischen Kanzlei auf der Prager Burg geworfen werden. Anders als beim Ersten Prager Fenstersturz überleben alle drei Männer dank eines Misthaufens den Sturz aus sechzehn Metern in die Tiefe 20. Trotzdem gilt der Sturz als Auslöser des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648). Der Krieg endet 1648 im Westfälischen Frieden. Allerdings kosten die Kriegswissen circa der Hälfte der Prager Bevölkerung das Leben21. Um 1648 sind die Kleinseite Prags sowie die Burg von den Schweden besetzt. Diese entwenden zahlreiche Kunstschätze aus der Burg. Zu den Kriegsgewinner zählt vor allem der Adel Prags, der in den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg zahlreiche prunkvolle Paläste erbauen lässt. 1784 veranlasst Kaiser Joseph II. die „Zusammenführung der bis dahin getrennten vier Prager Städte“22. Die Altstadt („Staré Město“), die Kleinseite („Malá Strana“), das Hradschin-Viertel („Hradčany“) und die Neustadt (Nové Město) sowie das Juden-Ghetto („Josefov“) verschmelzen zur Metropole Groß-Prag (Velká Praha) mit einheitlicher Verwaltung. Die vereinigte Stadt zählt 1790 mit ihren circa 78000 Einwohnern zu den größten Metropolen in Europa. Der Zusammenschluss der vier Prager Kernstädte ist nur der Beginn einer Reihe von Eingemeindungen. Weitere 90 Umlandgemeinden und Satellitenstädte lassen Groß-Prag bis 1974 zur Millionenstadt heranwachsen. Seit der Aufhebung der Leibeigenschaft durch Joseph II. im Jahre 1781 wächst das Verlangen nach 15 Vgl. HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 16 16 WEIß, H. 2001: a.a.O., S.28 17 HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 17 18 WEIß, H. 2001: a.a.O., S.29 19 WEIß, H. 2001: a.a.O., S.29 20 Vgl. BUSSMANN, M. und TRÖGER, G. 2005: a.a.O., S. 114 21 Vgl. HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 18 22 PETRO, J. und WERNER, K. 2001: a.a.O., S. 92 Demokratie und Selbstbestimmung in der tschechischen Bevölkerung. Durch die Industrialisierung kommt eine große Anzahl der tschechischen Landbevölkerung nach Prag. Im 19. Jahrhundert verliert die deutsche Bevölkerung Prags „ihre Mehrheit im Stadtparlament“ 23, außerdem wird die Karlsuniversität in einen tschechischen und einen deutschen Teil aufgespaltet. Forderungen nach einem unabhängigen tschechischen Staat werden immer lauter. „Im Ersten Weltkrieg (1914-1918) bricht das Habsburger Reich endgültig zusammen“ 24. Am 28.10.1918 wird die „Tschechoslowakische Republik als Staat mit Marktwirtschaft und Demokratie“25 gegründet. Präsident dieses Staates wird Professor Tomáš G. Masaryk, der bis 1935 im Amt bleibt. Problematisch innerhalb der jungen Republik ist „der Widerstand der deutschsprachigen Bevölkerung, im neu geschaffenen Staat zu verbleiben“ 26. Doch die tschechoslowakische Regierung ist nicht bereit die deutschsprachigen Gebiete der Republik an Österreich oder Deutschland abzutreten, da dort große Teile der Schwerindustrie angesiedelt sind 27. Auf internationalen Druck wird 1938 im Münchener Abkommen das Sudetenland an Deutschland abgetreten.28 Entgegen seiner Versprechen gegenüber den Unterzeichnern des Münchener Abkommens lässt Hitler 1939 deutsche Truppen in Prag einmarschieren. Das „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren wird proklamiert.“29 Von 1939 bis 1945 regieren „die deutschen Herren (...) mit dem Gewehrkolben und der Knute“30 das Land. Tausende Menschen werden enteignet, gedemütigt, gefoltert, ins Konzentrationslager verschleppt und getötet. 1945 rückt die Rote Armee in Prag ein und besetzt die Stadt. Im selben Jahr wird die Tschechoslowakische Republik wiederhergestellt. Ihr neuer Ministerpräsident heißt Edvard Beneš. Unter seiner Führung werden Dekrete verabschiedet, die der deutschen Bevölkerung die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft aberkennen.31 Diese sogenannten Beneš-Dekrete haben für circa drei Millionen Sudetendeutsche schlimme Folgen. Sie werden mit Brutalität und Gewalt enteignet und aus dem Land vertrieben. 32 Durch freie Wahlen kommt im Jahre 1948 der Kommunist Klemens Gottwald an die Macht „und 23 HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 19 24 WEIß, H. 2001: a.a.O., S. 30 25 HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 19 26 BROOK, S. 2003: a.a.O., S. 33 27 Vgl. BROOK, S. 2003: a.a.O., S. 33 28 Vgl. WEIß, H. 2001: a.a.O., S. 31 29 WEIß, H. 2001: a.a.O., S. 31 30 PETRO, J. und WERNER, K. 2001: a.a.O., S. 99 31 Vgl. BUSSMANN, M. und TRÖGER, G. 2005: a.a.O., S. 48 32 BROOK, S. 2003: a.a.O., S. 34 schafft die freien Wahlen ab.“33 Im gleichen Jahr wird die Tschechoslowakei zur Volksrepublik. Zwölf Jahre später wird Prag zur neuen Hauptstadt der „Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik“ („ČSSR“). Während des Kommunismus wird in Prag ganz im Zeichen des Internationalen Baustils gebaut. Besonders in den Außenbezirken wachsen große Plattenbausiedlungen wie Pilze aus dem Boden. 1968 wird der Reformer Alexander Dubček Erster Parteisekretär der ČSSR. Er versucht als neuer Staatschef Reformen wie die Pressefreiheit durchzusetzen. Dubček begeistert mit seinem Streben nach Liberalisierung und Demokratisierung das Volk. Sein Optimismus steckt die Bevölkerung im sogenannten „Prager Frühling“ 1968 förmlich an. Der Versuch, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“34 zu schaffen, findet jedoch im August 1968 ein jähes Ende. Sowjetische Panzer rollen in Prag ein und unterbinden weitere Reformen. In den folgenden Jahren wird jedes Widerwort gegen das autoritäre Regime aufs Schärfste bestraft. 1977 unterzeichnen „einige Tausend Intellektuelle, Künstler, Journalisten, Akademiker, Priester und Personen unterschiedlichster Berufe die Charta 77, in der (...) ein Abbau des Totalitarismus in der Tschechoslowakei gefordert“35 wird. Für die Unterzeichner der Charta bleibt ihre Unterschrift nicht ohne Folgen. Sie werden von Regime mit Berufsverbot, Ausbürgerung oder gar Gefängnis bestraft. Bestärkt durch die neue Offenheitspolitik des russischen Premierministers Michail Gorbatschow und den Fall der Berliner Mauer finden sich im Herbst 1989 in der Tschechoslowakei tausende Menschen zu Straßendemonstrationen ein. Innerhalb weniger Wochen wird die kommunistische Führung der ČSSR durch den gewaltlosen Widerstand der Bevölkerung zum Rücktritt gezwungen („Samtene Revolution“36). Neues Staatsoberhaupt der Tschechoslowakischen Föderativen Republik („ČSFR“) wird am 29.12.1989 der Dichter Václav Havel, bekanntestes Mitglied der Charta 77. 1992 beschließen Tschechen und Slowaken per Volksentscheid „die mit dem 1.1.1993 in Kraft tretende Trennung der beiden Staatsteile.“37 Im Januar 1993 wird Václav Havel zum Staatspräsidenten der Tschechischen Republik gewählt. Neue Landeshauptstadt wird Prag.38 Im Jahre 1999 tritt die Tschechische Republik der NATO bei und wird am 1. Mai 2004 nach sechsjährigen Verhandlungen Mitglied der Europäischen Union. 39 33 HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 20 34 WEIß, H. 2001: a.a.O., S. 35 35 BROOK, S. 2003: a.a.O., S. 35 36 HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 20 37 GRÜNDEL, E. und TOMEK, H. 2000: a.a.O., S. 42 38 Vgl. GRÜNDEL, E. und TOMEK, H. 2000: a.a.O., S. 43 39 Vgl. HABITZ, G. 2004: a.a.O., S. 22 3 Hradschin – Die Prager Burg Von Anja Krumbholz Am linken Moldauufer, nordöstlich der Karlsbrücke erhebt sich schon von weitem sichtbar die Prager Burg. Sie kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. So sind ihre Anfänge bis in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts, in dem der erste Fürst der Tschechen, Borivoy I, 875 die Burg als Residenz der Premysliden auf der Anhöhe errichten ließ, zurückverfolgbar 40. Zunächst als Holzburg erbaut, veränderte sich das Erscheinungsbild der Prager Burg im Laufe der Jahrhunderte. So wurden zum Beispiel Elemente im romanischen, gotischen, barocken sowie im Renaissance-Stil ver- und umgebaut oder hinzugefügt – je nach Entstehungsepoche der jeweiligen Bauwerke oder vorgenommenen Verschönerungsarbeiten. Der Ausbau der Burg war 1929 mit der Fertigstellung des Veitsdoms abgeschlossen. Seit 1918 führt der Präsident der Tschechoslowakei bzw. der heutigen Tschechischen Republik seine Staatsgeschäfte von der Prager Burg aus 41. Im Folgenden werden einige ausgewählte Bauwerke der Burg vorgestellt und in einen historischen Kontext gestellt. 3.1 Der Veitsdom Im Veitsdom fand die feierliche Krönung der Könige statt und er ist Grablege zahlreicher böhmischer Monarchen. An der heutigen Stelle des Veitsdoms ließ Vaclav I (der heilige Wenzel) im Jahr 925 eine romanische Rotunde errichten, in der er auch 932 beigesetzt wurde. 1060 wurde aus dieser Rotunde eine romanische Basilika mit drei Kirchenschiffen und zwei Kirchtürmen 42. Als Prag 1344 zum Erzbistum erhoben wurde, ließ Karl IV den Grundstein für die neue gotische Kathedrale legen43. Die Kathedrale erhielt über die Jahrhunderte verteilt drei Schiffe mit einem Querschiff und einem Kranz von Chorkapellen. Der erste Baumeister war Matthias von Arras (1344-1352), auf den Peter Parler (1353-1399) und dessen Söhne Wenzel und Johann (1399-1420) folgten. Die Kathedrale wurde letztendlich nach mehreren Bauunterbrechungen 1929 mit dem Westteil im neugotischen Stil fertig gestellt. Der Veitsdom ist dementsprechend 40 Vgl. ADAC Reiseführer, S. 20 41 Vgl. Taschenlexikon CSSR, S. 182 42 Vgl. Internet "St. Vitus Cathedral"). 43 Vgl. Peter Parler, S. 6 Spiegelbild verschiedener Stilrichtungen und Architekturepochen. Bestes Beispiel dafür ist der Hauptturm. Zuerst als gotischer Turm begonnen, bekam er eine Renaissancehaube und abschließend ein barockes Zwiebeldach 44. Der erste Bauleiter Matthias von Arras fertigte acht polygonale Chorkapellen, wie zum Beispiel die Johannes-Nepomuk-Kapelle und die Sächsische Kapelle, im Ostteil des Doms. Peter Parler vervollständigte Arras´ Arbeiten und setzte gleichzeitig seine Ideen um. So erbaute er die rechteckige Wenzelskapelle, die heute als bedeutendste und größte Kapelle des Doms bezeichnet wird, feststellbar an den reichlichen Grabbeigaben bzw. der wertvollen Ausstattung mit Edelsteinen und Gold. Hier befinden sich der Leichnam und das Grabmal des heiligen Wenzel. Parler errichtete neben der Wenzelskapelle noch die Alte Sakristei, den Hochchor, die Südfront des Doms und weitere Kapellen. Die Südfassade ist die künstlerisch wohl eindrucksvollste Außenansicht, die Peter Parler zur Hauptfront auserwählt hat45. Durch die Goldene Pforte an der Südfront schritten die Könige zur Krönung hindurch. Darüber hinaus ist in die Fassade ein großes Mosaikbild des Jüngsten Gerichts eingearbeitet. Im Inneren des Doms, im Chor vor den im Halbkreis angeordneten Kapellen, befindet sich das Habsburger Mausoleum, das 1564 bis 1589 erbaut wurde. Liegend auf dem Grabmal befinden sich Kaiser Ferdinand I, seine Frau Anna und sein Sohn Kaiser Maximilian II 46. Des Weiteren sind zahlreiche Porträtbüsten vorzufinden, die entlang der oberen Triforiumempore aufgestellt sind. Diese Büsten zeigen Personen aus dem 14. Jahrhundert und der Neuzeit, die sich sehr stark dem Dombau gewidmet haben. Farbige Fenster mit unterschiedlichen Erzählungen und Darstellungen säumen die Wände. So sind auf je einem der Fenster die Taufe von Borivoy I und der heilige Wenzel als Knabe zu sehen. Durch die Heilig-Kreuz-Kapelle gelangen die Besucher des Veitsdoms in die Königsgruft. Hier liegen Kaiser Karl IV und seine vier Gemahlinnen (Blanche von Valois, Anna von der Pfalz, Anna von Schweidnitz und Elisabeth von Pommern - alle in einem Sarg). Darüber hinaus sind in der Königsgruft ebenfalls Kaiser Rudolf II, die Könige Ladislaus Postumus und Georg von Podebrady sowie die Kinder Karls IV König Wenzel IV und Johann von Görlitz bestattet47. Insgesamt sollen im Veitsdom über 1000 Menschen beigesetzt worden sein 48. 3.2 Der Alte Königspalast Der Alte Königspalast befindet sich im Süden der Prager Burg und wurde im späten 9. Jahrhundert 44 Vgl. Die Prager Burg, S. 91 45 Vgl. ADAC Reiseführer, S. 30 46 Vgl. Prag - ein Reiseführer, S.43 47 Vgl. Die Prager Burg, S.99 48 Vgl. mündliche Auskunft des Reiseleiters als Holzgebäude errichtet. Anfang des 12. Jahrhunderts baute Prinz Sobeslav ein romanisches Steingebäude an seine Stelle49. Im Laufe der Jahrhunderte wurden einige Neu- und Umbauten vorgenommen, so dass mehrere Stilrichtungen im und am Alten Königspalast zu erkennen sind. So wurden zum Beispiel unter Karl IV im 14. Jahrhundert gotische Elemente hinzugefügt. Der letzte große bauliche Eingriff wurde unter König Wladislaw II Jagiello Ende des 15. Jahrhunderts vorgenommen, als das spätgotische Obergeschoss des Alten Königspalasts entstand 50. Die jeweiligen Könige bzw. auch Kaiser wohnten im Alten Königspalast, in dem viele Säle vorzufinden sind. Der prächtigste unter ihnen ist der Wladislaw-Saal. Er wurde Ende des 15. Jahrhunderts fertig gestellt und erstaunt durch seine stützenlose Architektur. Nur durch Strebepfeiler wird die 13 m hohe Decke getragen, was zu dieser Zeit ein Meisterwerk war 51. Darüber hinaus ist der Wladislaw-Saal mit seinen Maßen 62 m x 16 m x 13 m eine riesige Halle, in der in früheren Zeiten Ritterturniere, Gastmähler, Krönungsfeierlichkeiten und Märkte abgehalten wurden 52. Heute findet hier die Wahl des Staatspräsidenten der Tschechischen Republik statt. Stellvertretend für den ganzen Palast spiegelt der Wladislaw-Saal verschiedene Epochen der Architektur wider. An der Seitenfront des Saals wird dies besonders deutlich, sind doch die offenen Arkaden ein Element der Frühgotik, die Strebepfeiler der Gotik und die Fenster der Renaissance. Darüber hinaus stammen einige Mauerteile des Vorraums bzw. Eingangs des Palasts noch aus romanischen Zeiten. Des Weiteren ist in der Grünen Stube, die sich links des Vorraums befindet, ein barockes Deckenfresko vorzufinden. Die Stube war früher Sitz des Kammer- und Hofgerichts und Audienzsaal 53. In der Alten Landrechtsstube, die Elemente der Spätgotik und Renaissance enthält, fanden die Ständeversammlungen und die Königswahl statt. Des Weiteren war sie bis 1847 Tagungsstätte des Obersten Landesgerichts. Ein weiterer, geschichtsträchtiger Saal ist der Statthalter-Saal. Hier hat sich am 23. Mai 1618 der Zweite Prager Fenstersturz ereignet, der Auslöser des 30-jährigen Krieges war. Die beiden kaiserliche Räte Jaroslav Martinic und Vilem Slavata sowie deren Geheimschreiber Philipp Fabricius wurden aus dem Fenster des Statthalter-Saals 16 m tief in den Wallgraben geworfen 54. 49 Vgl. Internet "Old Royal Palace" 50 Vgl. ADAC Reiseführer, S. 25 51 Vgl. Prag - ein Reiseführer, S. 47 52 Vgl. Internet "Old Royal Palace" 53 Vgl. Die Prager Burg, S. 76 54 Vgl. Taschenbuch CSSR, S. 183 3.3 Das Goldene Gässchen Das Goldene Gässchen befindet sich im äußersten Nordosten der Prager Burg. Ihr Name ist bereits im 16. Jahrhundert erwähnt worden und bis dahin zurückverfolgbar 55. Im Westen wird die Gasse vom Weißen Turm begrenzt, der in früheren Jahrhunderten Staatsgefängnis und Schuldnerturm des Adels gewesen ist. Im Osten schließt sich der Daliborka-Turm, der bekannteste Wehrturm der Burg, später auch ein Gefängnis, an das Goldene Gässchen an56. Die kleinen, pittoresken, heute buntbemalten Häuser des Gässchens sind nach der Fertigstellung der Nordmauer der Prager Burg entstanden. Zunächst wohnten hier die Burgwächter und -schützen, später war es auch Goldschmieden erlaubt, sich hier niederzulassen. Vom 18. Jahrhundert bis zum 2. Weltkrieg fanden ebenso arme Menschen, Wahrsager, Spielleute und kleine Handwerker in der Gasse ein zu Hause 57. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Goldene Gässchen renoviert und ist heute ein großer Touristenmagnet. Bei Umbauten oder Modifikationen wurde darauf geachtet und großen Wert gelegt, dass das pittoreske Erscheinungsbild des Gässchens erhalten bleibt 58. Dem bedeutenden tschechischen Schriftsteller Franz Kafka wird nachgesagt, dass er in den Jahren 1916/17 im Haus Nummer 22 des Goldenen Gässchens gelebt haben soll. Die Recherchen unserer Seminargruppe haben jedoch ergeben, dass seine Schwester hier ihren Wohnsitz hatte und Kafka zum Schreiben auf die Burg kam, da es in der Gasse weitaus ruhiger zuging als in Prag selbst, wo Kafka eine Wohnung unterhielt. Der Name Goldenes Gässchen kann von der Tatsache herrühren, dass Goldschmiede ihrem Handwerk in der Gasse nachgingen oder er kann von einem Mythos abstammen. Es wird vermutet, dass die Burgzauberer und Alchemisten beauftragt waren, im Goldenen Gässchen Gold herzustellen. Tatsächlich arbeiteten die Alchemisten der Burg jedoch im Pulverturm Mihulka 59. 55 Vgl. Internet "Golden Lane" 56 Vgl. ADAC Reiseführer, S. 40 57 Vgl. ADAC Reiseführer, S. 40 58 Vgl. Internet "Golden Lane". 59 Vgl. ADAC Reiseführer, S. 40 4 Prag – ein Rundgang durch über 1000 Jahre Architektur Von Antje Seidel 4.1 Die Goldene Stadt Prag – die Goldene Stadt – bietet mit ihrer mehr als 1000 Jahre alten Geschichte jedem Architekturinteressierten reichlich Gelegenheit zur Erweiterung seines Horizontes. Wo in der Theorie jeder Baustil für sich betrachtet und erläutert wird, zeigt sich die Stadt Prag in einem fast schon verwirrenden Neben- und Miteinander von Baustilen aus den letzten 11 Jahrhunderten. So findet man einerseits Gebäude mit absolut eindeutiger Formensprache – der Veitsdom als Meisterwerk gotischer Baukunst, um nur eines zu nennen. Andererseits war es unter den Bauherren aus der Zeit der Romanik bis ins 20. Jh. hinein durchaus üblich, ältere Bauten mit neueren, modischeren Fassaden oder Umbauten zu versehen, sodass sich in Prag sehr häufig interessante Stilmischungen finden. Ein Beispiel hierfür stellt die St. Georgsbasilika dar – im Ursprung romanisch, jedoch mit einem barocken West- und einem klassischen Südportal versehen. Seinen Reichtum an beeindruckenden Baudenkmälern hat Prag vor allem seiner bewegten Geschichte zu verdanken. So hat beinahe jedes historisch bedeutende Ereignis, jede Epoche, jedes Herrschergeschlecht seine Spuren auch in der Architektur der Stadt hinterlassen. Das Bedürfnis, Macht und Einfluss mit Hilfe repräsentativer Bauten zu demonstrieren, war dabei über die Jahrhunderte den sonst wenig einigen Mächten der Kirche, des Adels und des Bürgertums zur Gemeinsamkeit geworden. In der folgenden Ausarbeitung sollen dem Leser – über eine Verknüpfung von Geschichte und Architektur der Stadt – die Stadt Prag und ihre Bauwerke näher gebracht und verständlich gemacht werden. 4.2 Architekturgeschichte Prags Bereits Ende des 9. Jh.s begann mit der Besiedlung des Hradschin und dem Bau der Prager Burg die architektonische Geschichte Prags. Den größten Einfluss übte zu dieser Zeit das Herrschergeschlecht der Premysliden-Fürsten aus Böhmen aus, die die Prager Burg zu ihrem Hauptsitz erklärten und eine Vielzahl von Bauwerken im Stile der Romanik errichten ließen. Bis ins 12. Jh. erhielt die Burgstätte unter anderem einen Fürstenpalast, ein Kloster und zwei Basiliken. 60 Aus dieser Zeit stammt auch die bereits erwähnte St. Georgsbasilika. Abbildung 1.: Die St. Georgsbasilika Mit dem Bau dieses wichtigsten romanischen Kirchenbaus von Prag wurde bereits um 915 – unter der Herrschaft des Premysliden Boleslaw II. – begonnen. 1142 nahm die Basilika jedoch bei einem Brand so großen Schaden, dass der heute sichtbare Baubestand im wesentlichen aus der Zeit nach 1142 stammt. Dennoch lassen die Rundbogenfenster, die schützend wirkenden Steinmassen der schweren Außenmauern und die Geschlossenheit der Flächen den romanischen Baustil eindeutig erkennen. Für den Betrachter, der sich dem Bauwerk meist von der Seite des Veitsdomes nähert und der somit als erstes die Westfassade zu Gesicht bekommt, stellt sich die Basilika jedoch zunächst als barockes Bauwerk dar. Erst bei näherem Hinsehen erkennt man, dass es sich hier lediglich um eine barocke Fassadenergänzung (um 1670) handelt. Diese Fassade ist eines der frühesten Beispiele barocker Baukunst in Prag. Folgt man den Außenmauern südlich um das Gebäude herum, fällt dem Betrachter als nächstes ein klassischer 60 Vgl. Prag/Hamburg (1994), S. 24 Dreiecksgiebel, auf, der auf einer Säulengruppe ruht. Dieser Anbau stammt aus der Zeit um 1515, ist damit der erste Dreiecksgiebel Prags und fügt den romanischen und barocken Formen noch Elemente aus der frühen Renaissance hinzu. Erst am östlichen Ende der Basilika tritt der romanische Ursprung des Gebäudes deutlicher hervor. Ergänzend fallen noch gotisch anmutende Elemente, wie angedeutete Spitzbögen und Strebwerke auf.61Mit zunehmendem Einfluss der Kirche und damit vermehrtem Ordens- und Klosterbau in der näheren Umgebung der Prager Burg, gewann im 13. Jh. ein neuer Baustil die Oberhand: die Gotik. Prag, als befestigte städtische Siedlung mit Kirchen, Marktrecht und politischer Stabilität durch das weiterhin mächtige Geschlecht der Premysliden, wuchs stark an, sodass 1230 die Altstadt und 1257 die Kleinseite entstanden. Prag wandelte sich allmählich zu einer Großstadt, die Karl IV. mit umfassenden Bauvorhaben während seiner Regierungszeit (1346-1378) zur bedeutendsten gotischen Stadt Mitteleuropas ausbaute. 62 Unter Karl IV. wurde, neben der berühmten Karlsbrücke, unter anderem der Veitsdom erbaut. Karlsbrücke und Veitsdom waren dem damals größten Meister mittelalterlicher Architektur, Peter Parler, unterstellt. Dem Baubeginn des Veitsdoms ging die Ernennung Prags zum Bistum voran (1344); in diesem Jahr wurde auch der Grundstein des Doms gelegt. Zunächst war Matthias von Arras Erster Architekt des Bauvorhabens, bis er 1352 verstarb. Die trockene, recht einfache Formensprache des Matthias von Arras ist am Kapellenkranz im Inneren deutlich von Peter Parlers phantasiereicher, schwungvoller Linienführung, die vor allem den Hochchor prägt, zu unterscheiden. Abbildung 2.: Netzgewölbe im Veitsdom Eine der größten Errungenschaften Peter Parlers ist die Erfindung des Netzgewölbes, einer bis dahin nicht gekannten Form des Kreuzgewölbes. Kunstvoll verschränkte Gewölberippen überspannen den 61 Vgl. WACHMEIER(1967), S. 144 ff. 62 Vgl. Prag/Hamburg (1994), S. 24 gesamten Raum und stellen dabei nicht nur die künstlerische Fähigkeit Peter Parlers unter Beweis, sondern sind aufgrund ihrer Beschaffenheit in der Lage, ein wesentlich höheres Gewicht zu tragen, als das bisher verwendete Kreuzgewölbe. Leicht vergisst der Betrachter, welch enorme Steinmassen über ihm zu schweben scheinen. Interessant an dieser Art der Gewölbestruktur ist, dass die bisherige Möglichkeit, die Form des Kreuzgewölbes theologisch zu deuten, fast völlig abhanden kommt. So bot das Kreuzgewölbe bis dato einen eindeutigen Bezug zum Tod Jesu am Kreuz. Durch die Abweichung von der reinen Kreuzgewölbestruktur zu einer Netzstruktur wird die theologische Deutungsmöglichkeit zugunsten der architektonischen Kunst in den Hintergrund gedrängt. Ein ähnlicher Effekt ergibt sich auch durch die bisher unbekannte vertikale Dreiteilung der Kathedrale. Bisher kannte man nur die Zweiteilung in unteren, irdischen und oberen, himmlischen Teil. Parler fügt zwischen beide Ebenen eine dritte ein, auf die er Büsten von Königen, wichtigen Persönlichkeiten und sogar von Arras und sich selbst platziert. Der Architekt rückt somit eine gesellschaftliche Ebene in das Blickfeld der Kirchenbesucher, denen bisher nur erlaubt wurde in irdischen und überirdischen Dimensionen zu denken – greift Peter Parler hier schon der Renaissance-Strömung vor? Die Fertigstellung seines Werkes erlebte Peter Parler selbst nicht mehr. Während die Arbeiten am Dom zunächst durch Parlers Söhne nach seinen Plänen weitergeführt wurden, führten Unterbrechungen und politische Wirren, wie die Hussitenkriege dazu, dass der Dom erst 1929 fertig gestellt wurde. So fügte dann auch jede Epoche dem Dom ihre eigene Handschrift hinzu. Der Südturm, der zum größten Teil noch nach Plänen Parlers und seiner Söhne errichtet wurde, stammt aus der Zeit des späten 14. bzw. frühen 15. Jh.s, jedoch wurden im 17. Jh. ein vergoldetes Gitter im Renaissance-Stil sowie im 19. Jh. ein Maßwerkfenster eingefügt. Die zweitürmige Westfassade sowie der gesamte Domteil westlich des Südturmes bzw. des Wolmut-Chors stammen aus der Zeit zwischen 1872 und 1929 und folgen dem Stil der Neugotik. Parler hatte in seinen Plänen die Südseite des Domes betonen wollen, was von den Architekten des 19. und 20. Jh.s nicht berücksichtigt wurde. Sie folgten schematisch ihren Vorstellungen von Gotik und glichen den Dombau dem Typus einer klassischen Kathedrale mit betonter Westseite an. 63 Trotz der langen Bauzeit ist der Veitsdom als Wahrzeichen Prags in seiner Gesamtheit ein beeindruckendes Beispiel gotischer Baukunst, das mit seinen aufstrebenden Spitzbögen, der durchlichteten Höhe des Innenraumes, schlanken Gewölberippen, Treppentürmen und filigranem Strebwerk alle typischen Elemente dieses Baustiles an einem einzigen Gebäude vereint. Man könnte sagen, dass gerade die vielen verschiedenen architektonischen Handschriften diesem Bauwerk seinen in jeder Hinsicht interessanten Charakter geben. 63 Vgl. Wachmeier (1967), S. 92 ff. Während das Äußere wie das Innere des Veitsdomes noch klar die Betonung der Vertikalen erkennen lassen, die so typisch für die Zeit der Gotik mit ihrer Ausrichtung auf das Leben nach dem Tod war, steht der nahe Wladislaw-Saal im ehemaligen Königspalast schon im Zeichen der Frührenaissance. Zwischen 1480 und 1510 erbaut, folgte er mit seinen schwingenden Gewölberippen der Idee Peter Parlers. Jedoch vermochte der Erbauer des Saales, Benedikt Ried, dem Verlauf der Rippen noch mehr Dynamik und Rhythmus zu verleihen. Dabei ist schon erkennbar, wie die Betonung der Vertikalen zugunsten der Betonung künstlerischer Schaffenskraft an Bedeutung verlor.64 Als 1526 der erste Habsburger, Ferdinand I., in Prag die Macht übernahm, musste die Gotik der dem Zeitgeist eher entsprechenden Renaissance weichen. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte baute man in Prag nun Lustschlösser, Adelsresidenzen und Paläste, die teils noch strikt den Ideen der italienischen Renaissance folgten, im Falle von Bürgerhäusern oft aber auf die Umgestaltung von gotischen Fassaden beschränkt blieben. Ein frühes Beispiel eines Prager Adelspalastes ist das Schwarzenberg-Palais auf dem Hradschin. Abbildung 3.: Schwarzenberg Palais Es wurde 1545-1563 nach Vorbildern florentinischer Stadtbauten errichtet. Typisch für die Zeit der Renaissance ist die Ausrichtung des Baukörpers auf die Horizontale, was eine Hinwendung zum Leben im Diesseits symbolisiert, sowie die Orientierung an den Idealen der römischen Antike. Die Betonung der Horizontalen ist am Schwarzenberg-Palais durch die am unteren Drittel des Gebäudes verlaufenden Gesimsbänder erkennbar. Die angedeuteten Diamantquadersteine am Sockel des Gebäudes verstärken diese Wirkung ebenso, wie die Hohlkehle unter dem Dach, die wie sämtliche Außenfassaden des Gebäudes mit Sgraffito-Malerei – einem typischen Element der italienischen Renaissance – versehen ist. Weitere 64 Elemente, wie klassisch-antike Säulenreihen, Vgl. Wachmeier (1967), S. 126-127 und Prag/Hamburg (1994), S. 25 Dreiecks- und Segmentgiebel, Arkadenloggien und Andeutungen von klassischen Tempelfronten finden sich zum Beispiel am Schloss Belvedere in absoluter Stilreinheit, während andere Gebäude teils nur Einzelelemente für die Fassadengestaltung verwenden (vgl. St. Georgsbasilika). Zu Beginn der Habsburger Regierungszeit hatten die weltlichen Mächte die Dominanz der Kirche weitestgehend verdrängt, jedoch führten die Gegenreformation und der verlorene Aufstand der böhmischen Stände nach 1620 zu einer erneuten Stärkung der katholischen Kirche und zu einer Schwächung des Hofes. Gleichzeitig gewannen die Prager Feudalherren an Einfluss. Da gerade Paläste, Klöster und Kirchen als repräsentative Bauwerke und für die Zurschaustellung der Macht ihrer Besitzer genutzt wurden, nahmen die Ausmaße der Bauvorhaben nun immer größere Dimensionen an. Reiche Adlige kauften riesige Areale, um dort ihre neuen Residenzen zu errichten, während die Kirche mit immer neuen Kloster- und Kirchenbauten auf ihre neue, starke Stellung in Prag hinwies 65. So entstanden barocke Monumentalbauten, wie das Waldsteinpalais (1623-1630), das in seiner frühbarocken, eher schlicht-schmückenden Formensprache selbst noch eher bescheiden wirkt, auch wenn es in seinen Ausmaßen – das Palais wurde auf dem Grund von 23 abgerissenen Bürgerhäusern errichtet – schon beinahe größenwahnsinnig erscheint66. Auch das festungsartige, wuchtige CzerninPalais (1669-1692) folgt mit seinem 150 m langen Diamantquadersockel, auf denen 30 monumentale Säulen ruhen und seiner weithin sichtbaren, massigen Präsenz diesem Drang der damaligen Bauherren zur Selbstdarstellung67. Erst das frühe 18. Jh. brachte wirkliche barocke Qualität nach Prag, und die Stadt erlebte eine Barockisierung, die bis heute in weiten Teilen der Innenstadt erkennbar ist68. Ein besonders hervorzuhebendes Beispiel des Barock ist die Kirche St. Niklas auf der Kleinseite (1673 begonnen, ca. 1755 beendet), die im wesentlichen ein Werk des berühmtesten Architekten dieser Zeit, Christoph Dientzenhofer, war. Die typischen Elemente des Barock, wie die Betonung der Mitte, eine unverkennbar rhythmische Gliederung der Fassade sowie geschwungene Ornamentik zeigen sich an diesem Bauwerk 69. Während der Barock eher zur monumentalen Übersteigerung seiner Stilelemente tendierte und dem Glanz der katholischen Kirche und ihrer Mythen huldigte, wandte sich das Rokoko besonders ab der zweiten Hälfte des 18. Jh.s wieder mehr dem Menschlichen zu. Zwar ähnelte die Formensprache des Rokoko stark der des Barock, jedoch wurden die Stilelemente fast ausnahmslos 65 Vgl. Prag/Hamburg (1994), S. 25 66 Vgl. WACHMEIER (1967), S. 159 ff. 67 Vgl. WACHMEIER (1967), S. 56 ff. 68 Vgl. Prag/Hamburg (1994), S. 26 69 Vgl. WACHMEIER (1967), S. 174 ff. verkleinert. Es wurde weniger monumental gebaut, Statuen und Stifterfiguren erhielten menschlichere Züge, Ornamente wurden lebendiger und zierlicher. Ein sehr schönes, wenn auch sehr frühes Beispiel aus dieser Zeit ist die Fassade der Wallfahrtstätte Maria-Loretto, in der die Casa-Santa, ein religiöses Heiligtum untergebracht ist. Die Fassade des Loreto-Heiligtums liegt direkt gegenüber dem Czernin-Palais und bietet so gute Gelegenheit, den monumentalen Barock direkt mit seinem Nachfolger, dem Rokoko zu vergleichen. Abbildung 4.: Maria Loretto Die Außenfassade, (ca. 1721-1722) zeigt barocke Formensprache in verkleinertem Maßstab: zierliche Rocaille-Muscheln, eine nur leicht angedeutete Fassadengliederung durch vorgesetzte Pilaster, barocke Schnecken am Fassadengiebel, kleine Turmaufsätze sowie eine insgesamt schlichtere Gliederung, wobei die typisch barocken Elemente wie die Betonung der Mitte und die rhythmische Gliederung durch das zentrale Portal und die sich abwechselnden Fensterverzierungen erhalten bleiben. Größere Bedeutung hatte das Rokoko später vor allem für das Bürgertum, das mit dem wieder erstarkenden Wiener Zentralismus ebenfalls wieder an Bedeutung gewann, wohingegen die Kirche durch die eher weltliche Orientierung während der josefinischen Ära in ihren weiteren Bauvorhaben behindert wurde.70 Das späte 18. und frühe 19. Jh. brachte den Klassizismus nach Prag (sog. Prager Empire) und vereinfachte die Formensprache und Symbolik. Viele Beispiele für diesen Baustil finden sich zumindest in der Prager Innenstadt nicht, die Erwähnung des sog. Zollhauses von 1810 soll hier 70 Vgl. Prag/Hamburg (1994), S. 27 genügen.71 Größeren Einfluss auf die Architektur der Stadt hatte erst wieder die beginnende Industrialisierung. So wurden im 19. Jh. Fabriken und Industriegebäude errichtet, und das aufstrebende Bürgertum verlangte – teils mit wenig Sinn für Architekturgeschichte – nach repräsentativen Wohnbauten und öffentlichen Gebäuden im Stil vergangener Epochen. So entstanden unter anderem das Nationaltheater und das Nationalmuseum im Neorenaissance-Stil, neubarocke Bürgerhäuser der Bourgeoisie, aber auch – als Gegenantwort auf die Auswüchse des Historismus – ab dem Ende des 19. Jh.s Bauten im Jugend- bzw. Sezessionsstil. Der Sezessionsstil als Wiener Unterart der Art Nouveau bzw. des deutschen Jugendstils wurde in Prag besonders als Mittel der Fassadengestaltung angewandt, jedoch wurden auch ganze Gebäudekomplexe in diesem Stil erbaut. Ein interessantes Beispiel hierfür ist der Prager Hauptbahnhof. Der ursprünglich als Neorenaissancebau geplante Bahnhof wurde noch während der Bauphase (1901-1909) vom Baumeister Josef Fanta in einen Bahnhof im Sezessionsstil umgewandelt. Dies ist besonders an der Außenfassade sichtbar, die noch Elemente der Neorenaissance, wie zum Beispiel vorgeblendetes Rustica-Mauerwerk aufweist. Der größte Teil der Bahnhofsfront ist jedoch mit floralen Ornamenten und dem typisch sezessionistischen, etwas kantig anmutenden, oft symmetrisch angeordneten Fassadenschmuck versehen. Im Inneren, unter der großen Kuppel der Bahnhofsvorhalle, finden sich unter anderem die typischen, pflanzenhaft gestalteten, schmiedeeisernen Ziergitter. Es ist bedauerlich, in welchem Zustand sich dieses bedeutende Beispiel sezessionistischer Baukunst befindet, jedoch ist eine Renovierung des gesamten Bahnhofsgeländes im Gespräch72. Abbildung 5.: Das Repräsentationshaus Ein Gebäude, das sich durch seine zentrale Lage direkt im Blickfeld der Touristen befindet und sich in ausgesprochen gutem Erhaltungszustand darstellt, ist das ebenfalls im Wiener Sezessionsstil erbaute Repräsentationshaus. Es wurde zwischen 1906 und 1911 von Osvald Povlíka und Antonín 71 Vgl. Prag/Hamburg (1994), S. 27 72 Vgl. http://www.myczechrepublic.com/de/prag/stadtbesichtigung/neustadt.html 14.11.2006 16.25Uhr Balšánek errichtet, die sich, sowohl bei der Gestaltung der Fassade, als auch bei der Ausstattung der Räumlichkeiten, konsequent an die Stilvorgaben der Sezession hielten. Historisierende Formenelemente wurden abgelehnt; stattdessen wurden die Verzierungen an der Fassade, den Balustraden und am Vorbau vor dem Eingang des Gebäudes pflanzlichen Motiven nachempfunden. Am Repräsentationshaus finden sich auch die besonders in der Innenarchitektur des deutschen Jugendstils verwendeten guss-eisernen Säulen und eisenverstärkten Glas-kuppeln. Neuartig sind auch die Verwendung kräftiger Farbanstriche in Blau- und Grüntönen sowie golden und weiß bemalte Zierelemente. Glas- und Keramikbilder sowie Mosaike führen die Farbgestaltung der Außenfassade in das Innere des Gebäudes fort73. Auch viele Bürgerhäuser erhielten sezessionistische Fassaden, teils jedoch extrem überladen und in etwas seltsamer Mischung mit historisierenden Elementen, sodass sich die Frage aufdrängt, wie viel die damaligen Bauherren von der eigentlichen Idee des Jugendstils, etwas Einzigartiges und Neues zu schaffen, verstanden haben. Weltweit einzigartig ist sicherlich die Übertragung des aus der Malerei bekannten Stils des Kubismus auf die Architektur. Während in der Malerei Objekte in kubische Formen „zersprengt“ und dann neu komponiert wurden, entwarf man in Prag kubistische Gebäude in einer Art Kristallstruktur, die besonders an der Fassadengestaltung am Haus der Schwarzen Mutter Gottes gut erkennbar ist. Dieses Gebäude war der erste konsequent kubische Bau Prags (1911/1912) 74, dem weitere folgten. Abbildung 6.: Haus der Schwarzen Mutter Gottes Mit der Jahrhundertwende zum 20. Jh. kam ein Baustil auf, der zunächst wenig Beachtung fand, der Funktionalismus. Erst mit der Gründung der Tschechoslowakei und der neuen Freiheit nach dem Ende der Habsburger Monarchie 1918 konnte er sich bei vielen Architekten durchsetzen. Der 73 Vgl. WACHMAIER (1967), S. 266 74 Vgl. WACHMEIER (1967), S. 264 „Aufbruch zur Moderne“ war im wesentlichen Architekten wie Jan Kotěra zu verdanken, der zwar erst noch im Stil der Wiener Sezession Fassaden dekorierte, später jedoch zu einem der größten Verfechter des Funktionalismus wurde. So vereinfachte Kotěra das Formenrepertoire und machte die Zweckmäßigkeit und eine nüchterne schlichte Formensprache zum Vorbild für funktionalistische und konstruktivistische Architektur.75 Der neue Baustil fand so großen Anklang, dass nicht nur tschechische, sondern auch weltbekannte Architekten, wie Ludwig Mies van der Rohe und Adolf Loos für Prag entwarfen. In dieser Zeit entstanden einige Villen in Prager Vororten, die mit ihrer Eisen-Skelettbauweise und ihrer kantigen, schlichten Form in krassem Gegensatz zu den bisher in Prag vertretenen Baustilen standen. Leider sind einige dieser Zeugnisse des modernen Bauens heute in Prag dem Verfall preisgegeben, wie die Villa Gibian in Prag-Bubeneč.76 Ein weiteres Beispiel für den Prager Funktionalismus ist der Prager Messepalast, das ehemalige Gebäude der Prager Mustermesse, von dem sich 1930 sogar Le Corbusier begeistern ließ. Das siebenstöckige Gebäude, das zwischen 1924 und 1928 errichtet und kürzlich renoviert wurde, war der europaweit erste Bau im funktionalistischen Stil. 77 Während des Zweiten Weltkrieges ruhten die Bauvorhaben in Prag, und die darauf folgende kommunistische Ära machte es den modernen Architekten unmöglich, auch nur annähernd an den Erfolg der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Stattdessen dominierte nun die Maxime, so schnell und billig wie möglich Wohnraum zu schaffen; die ausgedehnten Neubaugebiete, in denen heute der Großteil der Einwohner Prags lebt, entstanden. Abbildung 7.: Ginger And Fred Building Erst nach der Wende der 1990er Jahre bricht Prag wieder in ein neues, architektonisches Zeitalter 75 Vgl. VYBIRAL in: Prager Architektur und die europäische Moderne (2006), S. 14 76 Vgl. STAMPEL in: Prager Architektur und die europäische Moderne (2006), S. 87f. und Prag/Hamburg (1994), S. 27 77 Vgl. http://www.baunetz.de/sixcms_4/sixcms/detail.php?object_id=12&area_id=717&id=111550 auf. Einerseits besinnt man sich dabei auf die jahrhundertealte Geschichte der Stadt und restauriert behutsam die Baudenkmäler vergangener Epochen. Andererseits zeigen Gebäude wie das 1996 fertig gestellte Ginger and Fred Building, dass man sich nicht scheut, an die Tradition der modernen Architekten der vorkommunistischen Zeit anzuknüpfen. 5 Prags Außenbezirke am Beispiel Háje Von Marco Kühne Von seinen rund 1,2 Millionen Einwohnern, die die tschechische Hauptstadt zählt, leben nur knapp 40.000 im unmittelbaren Zentrum der Stadt. Mehrheitlich konzentriert sich die Wohnbevölkerung auf die umliegenden Neubaugebiete, deren Silhouette durch Hochhäuser in Plattenarchitektur geprägt ist. Abbildung 8.: Der Prager Stadtteil Háje 5.1 Die Platte Seit spätestens den 1960er Jahren entstehen im Umland des Stadtzentrums die modernen Plattenbauten. Konzentriertes Wohnen auf begrenztem Raum: Ein Blick aus einem der Hochhäuser des Prager Umlandviertels “Háje”, im Südwesten der Stadt gelegen, soll das veranschaulichen (vgl. Abb.8). Die im Vordergrund sichtbaren Einfamilienhäuser entstanden höchstwahrscheinlich in der postsozialistischen Ära. Die dahinter stehenden Plattenbauten verdeutlichen hingegen die enorme Wohnkonzentration der für sozialistische Staaten besonders typischen Großwohnsiedlungen. Ziel war es, auf möglichst engem Raum, möglichst viele Menschen unterzubringen und das unter dem Vorzeichen der Kostenminimierung zu realisieren. Die Platte erwies sich dafür als besonders geeignet. Die industriell vorgefertigten Platten konnten vor Ort, dem Baukastensystem78 entsprechend, zusammengesetzt werden und ermöglichten so ein schnelles sowie kostengünstiges Errichten der Häuser. Diese Konzeption ermöglichte ein flexibles Zusammensetzen der Platten, je nach Bedarf zu Zwei- Drei- oder Vierraumwohnungen beispielsweise. Bedingt durch in Größe und Gestalt sich ähnelnde Badezimmer und Küche, verfügten Wohnungen mit gleicher Raumzahl über beinahe identische Grundflächen. Neid sollte so verhindert werden. Abbildung 9 soll das Konstruktionsprinzip beispielhaft erläutern: Abbildung 9.: Beispiel für die Plattenbauweise 5.2 Der Ursprung Mittlerweile ist die Idee älter als 70 Jahre, die in ihrer Konsequenz zur Errichtung solcher reinen Wohngebiete führte, wie wir sie rings um den Stadtkern von Prag vorfinden. In den 1930er Jahren entwickelten Architekten auf einem Kongress in der Nähe von Athen zukunftsweisende Thesen und Forderungen zum zukünftigen Städtebau79. Das heute als Charta von Athen bekannte Manifest enthält zentral die Forderung nach räumlicher Trennung der vier Stadtfunktionen: Wohnen, Freizeit, Arbeit und Verkehr. Diese Forderung fand nach der anonymen Veröffentlichung der CHARTA DURCH LE CORBUSIER selbst im Bundesbaugesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1960 ihren Niederschlag80. Daher finden sich Neubaugebiete, den Prager Außenbezirken ähnlich, in ganz Europa. Sowohl im alten Bundesgebiet, als auch in der DDR. Insbesondere dort entstanden solche Großwohnsiedlungen, die eine Verdichtung der Wohnbevölkerung zum Ziel hatten. Diese geplante Ansiedlung der Wohnbevölkerung verhinderte den im Westen fortschreitenden Prozess der 78 Abbildung: http://www.hglippert.claranet.de/abb47.jpg 79 Vgl.: HEINEBERG, H. (2001); S.219 80 Vgl.: ebenda Suburbanisierung81, die einen größeren Flächenverbrauch und zunehmende Individualisierung des Wohnraums zur Folge hatte und immer noch hat. Die Großwohnsiedlungen im Stil der Plattenarchitektur hingegen folgen dem sozialistischen Leitbild, alle mögen das Gleiche haben und Neid solle dadurch verhindert werden. 5.3 Der Stadtteil Háje Háje besuchten wir, um uns ein real existierendes Beispiel dieser dem Sozialismus entsprungenen Wohnsiedlungen anzuschauen. Umgeben von weder symmetrisch noch sonst irgendwie geordnet erscheinenden Hochhausformationen, befindet sich im Zentrum von Háje ein kleines Einkaufszentrum, das eher einer Betonwüste denn einem gemütlichen Platz zum Erholen gleicht. Ein paar spärliche Bänke ohne Schatten spendendes Grün oder sonst einer Form von Lebendigkeit laden nicht gerade zum Erholen ein. Ein paar kleinere Geschäfte aber auch ein Supermarkt säumen diesen Platz. Die praktische Funktion dieses Ortes scheint ganz eindeutig: Hier wird eingekauft. Punkt. Abbildung 10.: Das Bezirkszentrum vom Stadtteil Háje Genau da saßen wir nun und unterhielten uns über LE CORBUSIER und seine Charta von Athen und was davon hier jetzt eigentlich verwirklicht wurde und was wir von diesem Ort halten sollten. Klar wurde uns: In Háje gibt es keinen Platz zum Arbeiten, mal abgesehen von einigen Angestellten in den Geschäften und im Supermarkt aber definitiv keine Arbeit für 100.000 Menschen - Industrie? Fehlanzeige! Weiterhin fiel uns die große Straße auf, die relativ stark befahren war und parallel zur U-Bahn-Linie verlief, die ebenfalls stark frequentiert erschien und direkt ins Zentrum von Prag führt. Die uns umgebende Bausubstanz war die Platte - kostengünstiger Wohnraum wie wir ja schon 81 Suburbanisierung: Dekonzentration der Bevölkerung, des Handels sowie der Industrie aus dem städtischen Raum in das Umland. (HEINEBERG 2001, S. 40) wussten und daher erfahrungsgemäß Magnet für die finanziell und sozial schwächsten Schichten einer Gesellschaft. In Háje sollten wir jedoch überrascht, wenn nicht gar vom Gegenteil überzeugt werden. Im Bezug auf die Preise für Wohnraum jedoch wurden unsere Erwartungen bestätigt: Abbildung 11.: Preisvergleich zwischen Plattenwohnungen im Prager Stadtteil Háje und „herkömmlicher“ Wohnungen im Bezirk Prag 2.82 Im Vergleich der Preise für Wohnungen zeigt sich ebenfalls der zu erwartende Trend. Wohnraum in der Innenstadt Prags ist wie zuvor beschrieben selten und daher preisintensiv. In Stadtteilen wir Háje beispielsweise ist dieser um einiges günstiger zu haben. Während für eine 2-Raum-Wohnung in einem restaurierten Innenstadthaus (54qm) rund 205.000€ zu bezahlen sind, ist eine vergleichbar große Wohnung mit einem Raum mehr (63qm) bereits für 91.000€ zu haben Die weiter oben beschriebenen Inhalte der Charta von Athen liefern Ansätze zu Interpretation des Vorgefundenen: Eine Verkehrsachse, bestehend aus einer zweispurigen Straße sowie einer UBahnstrecke verbindet den Stadtteil mit dem Zentrum Prags. Diese für die funktionale Trennung von Wohnen, Verkehr, Freizeit und Arbeit zwingende Notwendigkeit ermöglicht es den mehr als 100.000 Einwohnern täglich zur Arbeitsstätte sowie dem freizeitlichen Vergnügen und zurück zu pendeln. Die in der Charta von Athen geforderte Trennung der städtischen Funktionen findet hier praktische Umsetzung. Der Stadtteil Háje ist hauptsächlich der Wohnfunktion gewidmet. Ein paar Geschäfte ermöglichen es, die Waren des täglichen Bedarfs zu besorgen, Kindertageseinrichtungen geben beiden Elternteilen die Chance ihrem Beruf nachzugehen. Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Osteuropa und damit auch Tschechien, lassen sich in diesen Wohngebieten auch vermehrt Freizeiteinrichtungen nieder. In Háje 82 Vgl.: http://prague.tv/realestate/detail.php?refid=A-1227/R-CERES447323# und http://prague.tv/realestate/detail.php?refid=A-1610/R-015284 beispielsweise finden wir ein noch relativ neues Multiplex-Kino, das die aktuellsten HollywoodStreifen zeigt. Dies deutet einen modernen Trend an, der sich in Deutschland noch deutlicher beobachten lässt: Die Funktionstrennung wird zu Gunsten von Verkehrsvermeidung beispielsweise aufgehoben und das Prinzip der Funktionsmischung gewinnt wieder an Bedeutung. Das Konzept der “Stadt der kurzen Wege”, ein Beispiel der Umsetzung von nachhaltiger Stadtentwicklung, soll mehr Leben in die einzelnen Stadtteile bringen, indem die Lebensbereiche Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Erholen wieder vereint werden 83. An dem Vormittag, an dem wir Háje besuchten, bemerkten wir hauptsächlich ältere Menschen oder Eltern mit Kleinkindern im Wohngebiet - insgesamt erschien uns das Wohngebiet eher leer. Vermutlich zurückzuführen auf die geringe Arbeitslosigkeit von gerade einmal 3%84, lässt sich vermuten, dass der Rest der 100.000 EW sich auf Arbeit im Zentrum oder den Industriegebieten der Stadt befand. 5.4 Fazit Geprägt durch den deutschen Blick auf ghettoisierte Plattenviertel entwickeln viele Deutsche eine gewisse Distanz zur Platte als Wohn- und Lebensraum. Schnell schleicht sich der Gedanke an Sozialwohnungen und Arbeitslosigkeit oder Kriminalität ein, zumindest erging es mir so. Sollte man sich tatsächlich sicher fühlen können, umgeben von so viel Beton? In Háje begegneten uns weder herumstreifende Jugendgangs, noch Junkies oder übermäßig viele bettelnde oder herumlungernde, Bier trinkende Menschen. Meine Klischees wurden hier nicht erfüllt. Es scheint als liege das Problem nicht an der Bausubstanz, obwohl sie in den Köpfen untrennbar damit verbunden scheint. Das Plattenviertel Háje erwies sich trotz oder gerade wegen seiner Architektur als funktionierender Lebensraum. Prag scheint nicht zuletzt aufgrund seiner guten wirtschaftlichen Situation und geringen Arbeitslosigkeit dem Prinzip des sozialistischen Wohnungsbaus Erfolg zu bescheinigen. Dennoch bleibt auch hier zu befürchten, dass eine wirtschaftliche Verschlechterung über ansteigende Arbeitslosigkeit zu ähnlichen Entwicklungen wie in den Großwohnsiedlungen der ehemaligen DDR führen könnte. Es ist die Aufgabe der tschechischen Regierung diese Trends rechtzeitig zu bemerken und zu verhindern, dass es in den noch gut funktionierenden Großwohnsiedlungen Prags zu einer ähnlichen sozialen Segregation kommt wie in denen der ehemaligen DDR. 83 Vgl.: HEINEBERG 2001, S.130 84 Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Prag 6 Jüdisches Prag Von Jonathan Happ 6.1 6.1.1 Allgemeiner Block über die jüdische Situation Anfang der Diaspora Der römische Feldherr Pompejus eroberte 63 v. Chr. die Oberstadt Jerusalems, wodurch er die Eingliederung des Gebietes Palästina an das römischen Reich abschloss 85. Rund einhundert Jahre später, im Jahre 66 n. Chr. kam es zu einem großen Aufstand der Juden gegen diese römische Herrschaft. Diese Rebellion wurde durch den Feldherren Titus 70 n. Chr. niedergeschlagen. Dabei wurden die Tempelanlagen und die angrenzenden Stadtgebiete nahezu vollständig zerstört. Heute erinnert nur noch die westliche Außenmauer, auch bekannt als Klagemauer, an diese Epoche. 86 Darüber hinaus wurden in dem Rachefeldzug der Römer auch alle weiteren größeren Siedlungen der Israelis vernichtet. Die Juden flüchteten aus ihrer Heimat und Verstreuten sich auf der gesamten Welt, da sie von den Römern nicht mehr weiter in ihrer Heimat geduldet wurden. Die jüdische Identität überlebte diese Vertreibung nur auf Grund des sie stark zusammenschweißenden Glaubens, aus der eine konklaveartige Lebensweise folgte, die es nötig machte und erlaubte den Glauben weiterhin zu leben. Da Jerusalem die religiöse Heimat der Juden ist, bleibt jeder andere Ort eine Art Fremde. Für diesen Zustand des nicht zu hause seins hat sich der Begriff der Diaspora geprägt. 6.1.2 Anklage gegen die Juden im Mittelalter Die Situation der Juden war in den meisten Gastländern bis zu dem ersten Kreuzzug 1096 relativ ruhig, doch dann folgte für die jüdische Gemeinde ein bis heute andauerndes düsteres Jahrtausend. Das Elend setzte mit dem Aufbruch des ersten Kreuzfahrerheeres ein. Dieses hatte die eigentliche Aufgabe Jerusalem von den Muslimen zu befreien, nicht die Juden zu verfolgen. Doch kam es bereits auf dem europäischen Festland zu ersten verheerenden Pogromen. Dabei wurden zwei Punkte außer Acht gelassen: Erstens waren es die Römer, die Jesus kreuzigten, zweitens war und sah sich Jesus selbst auch als Jude87. Eine weitere große Serie an Pogromen kam mit dem schwarzen Tod. Denn die Pestpandemie, die Gesamteuropa von 1347 – 1353 erfasste, wurde oft damit 85 Vgl. KONZELMANN 1984 : 225ff 86 Vgl. KONZELMANN 1984 : 313ff 87 Vgl. THORAU 2005 : 47f. begründet, dass Juden Brunnen und Quellen vergifteten. Dass sie für die Seuche aufgrund ihrer strengen Hygienevorschriften unanfälliger waren, trug nicht zu ihrer Entlastung bei. Auch die geistige Elite des Abendlandes stieß in den Chor der Antisemiten mit ein, wie die Schriften Martin Luthers 1544 beweisen. In „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlechte Christi“ schreibt er wörtlich: "(...) Also thue man hie auch, verbrenne ihre Synagogen, verbiete alles, was ich droben erzählt habe, zwinge sie zur Arbeit, und gehe mit ihnen um nach aller Unbarmherzigkeit; wie Mose that in der Wüste und schlug drei tausend todt, daß nicht der ganze Haufe verderben müßte. Sie wissen wahrlich nicht, was thun, wollen's dazu wie die besessenen Leute nicht wissen, hören, noch lernen. Darum kann man hie keine Barmherzigkeit üben, sie in ihrem Wesen zu stärken. Will das nicht helfen, so müssen wir sie wie die tollen Hunde ausjagen, damit wir nicht , ihrer greulichen Lästerung und aller Laster theilhaftig, mit ihnen Gottes Zorn verdienen und verdammt werden. Ich habe das Meine gethan; ein jeglicher sehe, wie er das Seine tue. Ich bin entschuldigt. "88 6.1.3 Rolle der Juden Betrachtet man die Situation genauer, stellt man fest, dass der verbitterte Hass nicht nur einem religiösen Fanatismus, sondern oftmals auch einem einfachen weltlichen Neid folgte. Denn Juden war es durch ihre Religion anders als den Christen nicht verboten, durch Zinsen Geld zu verdienen. Ihnen blieb andererseits aber auch kaum was anderes übrig als durch Handel und Geldverleih ihre Lebensgrundlage zu bestreiten, denn durch bestehende Gesetze war ihnen der Zutritt zu Handwerk und Zünfte verwehrt. Einige Mitglieder der jüdischen Gemeinde brachten es zu anschaulichem Wohlstand und zahlreiche christliche Bürger standen bei Ihnen in der Schuld. Kam es nun zu einer Pest oder schlechten Ernte, lag es nahe, nicht dem lieben Gott oder dem Schicksal die Schuld in die Schuhe zu schieben, sondern die Juden mit ihren vermeintlichen Teufelsanbetungen und Ritualmorden dafür verantwortlich zu machen. Bei der anschließenden Plünderung des Judenviertels kam dann oftmals der Geldverleiher ums Leben – ein Schelm der behauptet, es wäre reiner Zufall dass der Plünderer anschließend schuldenfrei war. 88 Vgl. SPONSEL 2005: 2 6.2 Prager Juden – Entstehung der jüdischen Gemeinde Den Prager Juden war im Vergleich zu ihren anderen in Europa lebenden Glaubensbrüdern ein ruhiges Leben gegönnt. Zwar erlitten auch sie durch das Kreuzfahrerheer 1096 einen großen Pogrom, doch liefen die darauf folgenden 750 Jahre relativ friedlich ab. Dies mag mit unter daran liegen, das Prag kaum von der Pest berührt wurde, womit die darauf begründeten Racheakte ausblieben. Viel wichtiger scheint aber ihre exponierte finanzielle Lage, die eine großzügige Geldpolitik erlaubte. Denn Prag liegt auf der damaligen Haupthandelsroute nach Osteuropa, die von Mainz ausging und über Prag und Krakau führte. Speziell bei einer solchen transnationalen Handelsroute machen sich die überregionalen Kontakte, wie diese die Juden hatten, positiv bemerkbar. Ein beträchtlicher Teil der daraus folgenden Geldmittel wurde benutzt, um das Wohlwollen der jeweiligen Machthaber zu sichern, die sie im Gegenzug vor Übergriffen seitens der einfachen Bevölkerung schützten. Als direkte Folge erlebte die Prager Gemeinde ein beständiges großes Wachstum, da Vertriebene und Gejagte Glaubensbrüder nach Prag zogen, die so der Verfolgung in anderen Ländern entgingen. Hieraus entwickelte sich eine der bedeutendsten jüdischen Gemeinden in Gesamteuropa, dass eine Vielzahl an berühmten Medizinern, Schriftstellern und Rabinern hervorgebracht hat. 6.3 Weißer Berg und Maria Theresia Ein anschauliches Beispiel dieser Geldpolitik stellt der Machtwechsel 1618 dar. Damals erlangten die Katholen mit dem Beginn des 30jährigen Krieges die Herrschaft über Prag. Nach der Zahlung einer hohen Summe gaben sich die Katholen damit zufrieden, die Juden lediglich zu der Teilnahme an den christlichen Gottesdiensten zu zwingen, mit der Absicht sie hierdurch zu bekehren. Es fand keine Plünderung statt. Die Juden beugten sich der Legende nach dieser Verpflichtung, doch sie stopften sich vorher Wachs in die Ohren, um von der falschen Lehre nicht verblendet zu werden. Erst 1757 sollte sich das Blatt für die Juden wieder wenden. Friedrich II. griff Prag an und eroberte weite Teile der Stadt, darunter auch das jüdische Ghetto. Dessen Einwohner zahlten auch diesmal wieder und wurden so vor Plünderungen verschont. Doch die Truppen der Preußen schafften es nicht die Verteidiger vernichtend zu schlagen und begnügten sich mit der Belagerung der noch nicht eroberten Stadtteile. Als zwei Monate später weitere feindliche Truppen zur Unterstützung der Verteidiger eintrafen, blies Friedrich II. zum Rückzug. Die Juden, da ja vermeintlich mit den Preußen kollaboriert hätten, waren schutzlos der Rache Maria Theresias ausgeliefert, Es folgte ein 30 stündiges Pogrom. Für die gefürchtete Maria Theresia war diese Bestrafung aber noch nicht genug. Sie erließ ein Gesetz, dass es den Juden verbot, in Prag zu leben. Diese mussten aus der Stadt und bei Freunden und Verwandten unterkommen. Zwei Jahre lang dauerte diese Zeit des Exils, bis das Verbot auf Drängen der Prager Händler aufgehoben wurde, denn die gesamte Wirtschaft brach wegen des Fehlens der jüdischen Kaufleute zusammen. Dennoch war diese Zeit für den Stadtteil eine Katastrophe, da die Häuser gegenüber Wind, Wetter und Eindringlingen ungeschützt waren und so an baulicher Substanz einbüßten. Hiervon erholte sich das Viertel nie wieder gänzlich, auch wenn die Juden wieder zurückzogen. 6.4 Das Ende – Assimilierung Um das Ende der Judenstadt zu verstehen, muss man sich bewusst darüber sein, dass es kein schönes Leben im Ghetto war. Für viele der Bewohner war es eine Art Gefängnis. Man wollte nicht, sondern musste hier leben. Es war überfüllt, die Häuser in einem schlechten Zustand und die Hygienische Versorgung auch nicht besonders. Somit ist es nicht verwunderlich, dass das Ende des Ghettos nicht durch eine Pogrom oder Feuersbrunst herbeigeführt wurde, sondern durch das genaue Gegenteil. Es wurde den Juden erlaubt, auszuziehen. Josef II., Sohn Maria Theresias, führte eine liberale Politik ein und ging auf die Juden zu. 21 Jahre nach der Rache seiner Mutter erließ er im Jahre 1781 das Toleranzpatent. Dieses erlaubte es den Juden unter anderem, jedes Handwerk zu erlernen und auszuführen, an Universitäten zu studieren und Besitz außerhalb der Ghetto-Mauern zu erwerben und dort zu wohnen. Zu Ehren dieses Ediktes wurde der Stadtteil nach Josef II. in Josefov, bzw. Josephstadt umbenannt. Die Folge des Erlasses war ein massenhafter Wegzug der Bevölkerung. Denn jeder, der es sich leisten konnte, verließ das überfüllte und begrenzte Viertel und suchte sich ein Grundstück in einer besseren Lage. In der Folge kam es zu einem Zuzog einer sehr armen christlichen Schicht. Der gesamte Stadtteil verkam daraufhin neuerlich, denn die neuen Bewohner bemühten sich nicht um den Erhalt der Gebäude. 6.5 Assanierung Abbildung 12.: Das enge Judenviertel. Die baufälligen Gebäude wurden im Zuge der Assanierung zwischen 1893 und 1913 komplett abgerissen. Die aus der Verwahrlosung und hygienischen Mängel resultierenden Folgen waren derart schlimme Gesundheitsprobleme, dass sich die Prager Verwaltung 1893 zu dem Plan der Assanierung durchrang. So bot sie den Grundeigentümern zwei Optionen an: Entweder sie rissen die bisherigen Strukturen ab und errichteten einen vernünftigen Neubau, was mit einer Steuerbefreiung von 20 Jahren belohnt wurde, oder sie wurden durch die Stadt enteignet, die dann ihrerseits die Bauten abriss. In der Folge blieben von der einstiegen Judenstadt nur das ehemalige Rathaus, 6 Synagogen und der alte jüdische Friedhof bestehen. 6.6 Altneusynagoge Die Altneusynagoge ist die älteste erhaltene Synagoge Europas. Sie ist vor rund 800 Jahren gebaut wurden und die einzige Synagoge im alten Ghettogebiet, in dem auch heute noch der Sabat gefeiert wird. Ihr Alter kann man erahnen, wenn man sich das Bild genauer anguckt – früher hat man Fenster nicht tiefer eingebaut als heute – Die Stadt ist nach oben gewachsen. Ursprünglich hieß sie bloß Neue Synagoge, doch mit dem Bau neuerer Gebetshäuser verlor sie diesen Namen. Beim weiteren Betrachten des gotischen Bauwerks überrascht es nicht, dass hier die streng Orthodoxen zuhause sind. Dies beinhaltet auch, dass Frauen während des „Gottesdienstes“ nicht im Raum anwesend sein dürfen. Für sie sind kleine Löcher mit hinter liegenden Räumlichkeiten in die Mauer eingelassen, so dass sie zumindestens dem Wort des Rabiners lauschen können. Doch, wie uns unsere Führerin amüsiert sagte, bleibt es ja jedem und jeder offen, orthodox oder reformiert zu leben. Sie hätte sich hierfür entschieden und bereut es nicht, für andere gebe es ja auch zum Beispiel die Jerusalem Synagoge. 6.7 Die Jerusalem Synagoge Außer in der Altneu Synagoge wird nur noch in der Jerusalemsynagoge freitagabends der Gottesdienst begangen. Sie ist ein bemerkenswertes Gebäude weit ab vom eigentlichen Judenviertel in der Prager Neustadt und direktes Resultat der Assanierung. Denn durch den weit reichenden Abriss von Gebetshäusern bedurfte es einer neuen Synagoge. Dieses stark maurisch geprägte und mit Jugendstil verzierte Gebäude wurde in den Jahren 1905 – 1906 errichtet und diente mit Ausnahme der Kriegsjahre immer der jüdischen Gemeinde. 6.8 Der Friedhof Weltweit bekannt ist der jüdische Firedhof. Er entstand in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und war bis 1787 der zentrale Ort für Beisetzungen, bis Josef II. dies verbot. Da Im jüdischen Glauben es verboten ist, Leichen zu exhuminieren oder zu verlegen, aber vor der Zeit Josefs es auch nicht gestattet diese an einem anderen Orte beizusetzen, behalf man sich damit, Sand über die alten Gräber aufzuschütten und so Platz für neue zu schaffen. Deshalb stehen auf dem kleinen Areal, das bis heute nahezu komplett erhalten geblieben ist, ungefähr 12.000 Grabsteine, dicht aneinander gedrängt auf bis zu 12 Schichten an Gräbern. 7 Kafka und Prag – Eine Mini-Biografie Von Gül Cesur In den kurzen Jahren vor seinem späten Ruhm und frühen Tod verließ der berühmte Dichter Franz Kafka nur selten seine Heimatstadt Prag (und wenn auch nur für kurze Zeit). Er war der Sohn einer Tochter aus einem Rabbinergeschlecht in Prag und er war der Sohn eines tschechischen Galanteriewarenhändlers, eines tatkräftigen Mannes, der es vom Hungerleider zu einem angesehenen Mann gebracht hatte. Wir kennen ihn, weil wir seinen Sohn kennen. Seinen Sohn, den er verkannte. Franz war ein Dichter, aber er besuchte die Universität. Franz wollte immer ein Dichter sein, aber er wurde ein Jurist! Der Franz wurde Versicherungsbeamter. Alles hätte so schön werden können. Der Aufstieg war garantiert. Die Gehaltsforderungen wurden erfüllt. Er hatte eine Braut und er musste nicht ins Feld. Die Braut lernte er an einem dreizehnten August kennen – bei seinem Freund Max Brodt. Jahre später, wieder an einem dreizehnten August, wurde ihm seine Krankheit diagnostiziert. Tuberkulose. Er war froh. Er brauchte nun nicht mehr ins Büro. Und auch die Verlobung, die der Feind der Dichtkunst war, konnte nun gelöst werden. Denn er war ein Todeskandidat. Und er wollte ein paar Jahre Ruhe zum Schreiben. Und wenn es im Sanatorium war, im Liegestuhl, mit einer Decke drum herum. Der Franz war ein hübscher Kerl. Auch im Sanatorium verliebte er sich wieder. Aber bevor ein neuer Versuch, die Liebe unter Dach und Fach zu bringen, unternommen wurde, starb der Franz. in seiner Heimatstadt Prag. Franz Kafka hat seine Heimatstadt Prag in der kurzen Zeit seines Lebens (1883 – 1924) kaum je verlassen: verschiedene Dienstreisen, einige Bildungsreisen, viele Sanatoriumsaufenthalte, ein halbes Jahr in Berlin und einige Monate auf dem böhmischen Land – das war alles. „Hier war mein Gymnasium, dort in dem Gebäude, das herübersieht, die Universität und ein Stückchen weiter links hin mein Büro. In diesem kleinen Kreis" - und mit seinem Finger zog er ein paar kleine Kreise – „ist mein ganzes Leben eingeschlossen“. Dieses Zitat Kafkas beschreibt treffend die Enge und das dichte Beieinandersein der Plätze und Orte, die im Leben des Schriftstellers von Bedeutung waren. Begibt man sich in Prag auf Spurensuche, ist man immer wieder überrascht, dass kaum eine Lokalität außerhalb des historischen Stadtzentrums liegt und auch darüber, wieviel davon im Kern bis heute erhalten geblieben ist. Wer sich in Prag selber auf den Weg macht um die wichtigsten Lebensstationen Kafkas in Augenschein zu nehmen, sollte dafür mindestens einen Tag einrechnen. Der folgende historische Spaziergang deutet nur an, wie verbunden Franz Kafka mit der Stadt Prag war. Verschiedene Wohnungen, in denen Franz Kafka aufwuchs und einige in denen er als Erwachsener lebte, konnten wir auf unserer Exkursion entdecken. Abbildung 13.: Das Geburtshaus Franz Kafkas Kafka wurde am 3. Juli 1883 als ältestes Kind des Kaufmanns Hermann Kafka und seiner Frau Julie in Prag geboren, auf der Grenze zwischen Altstadt und Josefstadt, also am Rand des damals als architektonische Einheit noch bevorstehenden Ghettos. Im Geburtshaus der heutigen Rathausgasse (U Radnice) 5, von dem sich nur das Portal erhalten hat – das Haus brannte 1897 ab und wurde erst 1902 wieder aufgebaut – befindet sich eine kleine Kafka-Ausstellung und an der Fassade eine im „Prager Frühling“ Mitte der sechziger Jahre angebrachte Gedenkbüste. Abbildung 14.: Das Haus Minutta Zwar ist das Geburtshaus von Franz Kafka hinter dem Rathaus mit Büste und Hinweistafel ausgestattet, die Kafka-Gedenkstätte im nahe gelegenen Kinsky-Palais (dem früheren deutschen Gymnasium) jedoch verschwunden. Auch die meisten anderen Gebäude sind ohne Hinweis auf den großen, Deutsch schreibenden jüdischstämmigen Dichter. Man geht am Altstädter Ring am Uhrturm des Rathauses vorbei und in etwa 100 Meter Entfernung davon befindet sich das alte Haus (17. Jahrhundert), das aufgrund der schönen Sgraffitos kaum zu übersehen ist. Im Haus Minutta, einem zu Anfang des 17. Jahrhunderts errichtetem Haus, das den Grossen von dem Kleinen Altstädter Ring trennt, wohnte die Familie Kafka von Juni 1889 bis September 1896. Die Außenfassade des Hauses besitzt schöne Sgraffitos, die biblische und antike Mythen darstellen. Obwohl schon vor 1615 angebracht, waren sie zu der Zeit, als die Familie Kafka das Haus bewohnte, noch übertüncht. In dieser Zeit wurden alle Geschwister Franz Kafkas geboren; die drei Schwestern Elli (1889), Valli (1890) und Ottla (1892), sowie zwei früh verstorbene Brüder. Durch den Haupteingang des Hauses gelangt man in einen Innenhof mit den typischen Prager Pawlatschen. Auf einen dieser "Balkons" kam es zu der bekannten Erziehungsmaßnahme, die Kafka als Erwachsener im "Brief an den Vater" so eindrucksvoll geschildert hat: Direkt erinnere ich mich nur an einen Vorfall aus den ersten Jahren. Du erinnerst Dich vielleicht auch daran. Ich winselte einmal in der Nacht immerfort um Wasser, gewiss nicht aus Durst, sondern wahrscheinlich teils um zu ärgern, teils um mich zu unterhalten. Nachdem einige starke Drohungen nicht geholfen hatten, nahmst Du mich aus dem Bett, trugst mich auf die Pawlatsche und ließest mich dort allein vor der geschlossenen Tür ein Weilchen im Hemd stehn. Ich will nicht sagen, dass das unrichtig war, vielleicht war damals die Nachtruhe auf andere Weise wirklich nicht zu verschaffen, ich will aber damit Deine Erziehungsmittel und ihre Wirkung auf mich charakterisieren. Ich war damals nachher wohl schon folgsam, aber ich hatte einen inneren Schaden davon. Das für mich Selbstverständliche des sinnlosen Ums-Wasser-Bittens und das außerordentlich Schreckliche des Hinausgetragenwerdens konnte ich meiner Natur nach niemals in richtige Verbindung bringen. Noch nach Jahren litt ich unter der quälenden Vorstellung, dass derriesige Mann, mein Vater, die letzte Instanz, fast ohne Grund kommen und mich in der Nacht aus dem Bett auf die Pawlatsche tragen konnte und dass ich ein solches Nichts für ihn war.89 Abbildung 15.: Das Opplethaus Man geht am Altstädter Ring nur in Richtung Parizka trida. Das erste Eckhaus der Straße ist das Oppelthaus. Das Oppelthaus war ein modernes Miethaus mit eigenem Aufzug, das im Zuge der Assanierung gebaut wurde. Hier richtete sich die Familie, die im November 1913 einzog, im obersten Stockwerk in einer geräumigen Sechszimmerwohnung ein. In den ersten Jahren zog die Familie Kafka öfters um, entsprechend dem gesellschaftlichen und ökonomischen Aufstieg, der durch zunehmenden Erfolg von Hermann Kafka als Galanteriewarenhändler gewährleistet wurde. Franz Kafka lebte hier bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges. Das Oppelthaus wurde im zweiten Weltkrieg stark beschädigt und ist in veränderter Form wieder aufgebaut worden. In den Räumlichkeiten des Oppelthauses befindet sich heute das Wirtschaftsministerium der Tschechischen Republik. 89 KAFKA F. "Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande", S. 122-123 Abbildung 16.: Kinsky-Palais am Altstädter Ring Das Staatsymnasium befindet sich direkt am Altstädter Ring und ist eigentlich nicht zu verfehlen. Nachdem der zehnjährige Franz Kafka die Aufnahmeprüfung in den Fächern Religion, Deutsch und Mathematik erfolgreich bestanden hatte, wurde der Schüler am 20. September 1893 in das "StaatsGymnasium mit deutscher Unterrichtssprache in Prag Altstadt" aufgenommen. Das Gymnasium befand sich im Hinterhaus des Kinski-Palais, in dessen Vorderhaus auch Herrman Kafka von 19121918 sein Warengeschäft betrieb. Kafka, der bereits während seiner Gymnasialzeit zu schreiben begann, hat hier auch seine ersten größeren Texte geschrieben. Von den kleineren Prosastücken ist nur "Das Gassenfenster" erhalten geblieben und wurde in sein Erstlingswerk "Betrachtung" aufgenommen. Abbildung 17.: Bilekgasse – Das ersteeigene Zimmer. Die Bilkova befindet sich im heutigen Josefov. Es ist die Zeit des ersten Weltkriegs: Das hatte Folgen auch für die Familie Kafka. Während Franz Kafka zwar für tauglich, aber als für die Versicherungsanstalt unabkömmlich beurteilt wurde und daher vom Militär freigestellt blieb, mussten seine beiden Schwager, Karl Herrmann und Josef Pollak, sofort einrücken. Man brachte den einberufenen Karl Herrmann, Ellis Ehemann, zum Zug und beschloss kurzerhand, dass Elli und ihre zwei kleinen Kinder nicht alleine in ihrer Wohnung zurückbleiben sollten. Man überließ Ihnen Franzens Zimmer. Kafka war somit bereits 31 Jahre alt, als er - mehr unfreiwillig - das erste Mal das Elternhaus verließ. Das Zimmer das Franz Kafka im Februar 1915 mietete gab er jedoch nach wenigen Wochen wieder auf – der Nachbar ist zu laut, die Wirtin zu leise, nebenan lernt jemand Französisch... es folgte der Umzug in das Haus „Zum Goldenen Hecht“. Kommt man von der St.-Veits-Kathedrale her, geht man am Seitenschiff der Kathedrale entlang durch den Dritten Burghof, von dort an der St.-Georgs-Kirche vorbei in die Georgsgasse (Jirska ulice). Dort biegt man dann links in die Alchimistengasse ein. Leider ist die Begehung der Alchimistengasse inzwischen kostenpflichtig. Abbildung 18.: Die Alchemistengasse auf dem Hradschin Kafka, der unter dem Lärm seiner Wohnung im Haus "Zum goldenen Hecht" litt, suchte im Sommer 1916 wieder einmal eine ruhige Stätte für sein Schreiben. Da traf es sich gut, dass auch seine jüngste Schwester Ottla, die sich von dem vereinnahmenden Elternhaus zu lösen suchte, auf der Suche nach einer Bleibe war. Gemeinsam machte man sich auf den Weg und wurde überraschend in einem kleinen Gässchen fündig, dass heute eine der großen Touristikattraktionen von Prag ist und damals vor allem aber von ärmeren Menschen bewohnt wurde. Zwar war Ottla die eigentliche Mieterin des Häuschens, doch überließ sie es alsbald ihrem Bruder, der es für sein nächtliches Schreiben nutzte. Kafka, der hier bis etwa April 1917 seine Abendstunden schreibend verbrachte, verfasste hier die meisten Erzählungen, die in den Erzählband "Ein Landarzt" Eingang fanden, der 1920 veröffentlicht wurde. Das Häuschen kann natürlich heute noch besichtigt werden. In deren Räumlichkeiten befindet sich heute ein kleiner Buchladen, der dem Vitalis-Verlag angehört und in dem man einige schöne Bände zu Kafka und Pragerdeutschen Schriftstellern günstig erstehen kann. Das Palais Schönborn befindet sich im Stadtviertel "Kleinseite" und ist bequem von der Karlsbrücke aus zu erreichen. Das Palais Schönborn war der letzte Versuch Kafkas selbständig in Prag zu leben. Kafka, der die Wohnung "Zum goldenen Hecht" wieder aufgab, fand hier, am Fuße des Laurenziberges neben seinem "Arbeitszimmer" in der "Goldenen Gasse" ein recht luxuriöses Zuhause, dass, so fürchtete er, seine finanziellen Mittel übersteigen könnte. Als er die Wohnung in einem Wohnungsbüro genannt bekam, konnte er es am Anfang kaum glauben: Es war wie die Erfüllung eines Traumes. Ich ging hin. Zimmer hoch und schön, rot und gold, wie etwa in Versailles. Vier Fenster in einen ganz versunkenen stillen Hof, ein Fenster in den Garten. Der Garten! Wenn man in den Torweg des Schlosses kommt, glaubt man kaum, was man sieht. Durch das Halbrund des von Karyatiden flankierten zweiten Tores sieht man von schön verteilten, gebrochenen verzweigten steinernen Treppen an den großen Garten eine weite Lehne langsam und breit hinaufsteigen bis zu einer Gloriette.90 90 KAFKA, F.: Brief an Felice Bauer 1916/17 Abbildung 19.: Das Schönborn-Palais – ein luxuriöses Zuhause In der Nacht vom 12. auf den 13. August 1917 widerfuhr ihm im Palais Schönborn mit dem Blutsturz jenes einschneidende Erlebnis, das sein Leben von Grund auf ändern sollte. Der erst diagnostizierte Bronchialkatarrh erwies sich alsbald als Tuberkulose. Kafka gab daraufhin beide Wohnungen auf und wohnte fortan, wenn er nicht zu Erholungsurlauben in Sanatorien verweilte, bis zu seinem Tod im Jahre 1924 wieder in seinem Zimmer bei den Eltern im Oppelthaus. Das Schönborn-Palais ist heute Sitz der US-Botschaft. Kafkas Wohnung befand sich hinter den drei Fenstern im zweiten Stock links. 8 Theresienstadt Von Anne Pischtschan 8.1 Die Geschichte Die Geschichte von Theresienstadt beginnt Ende des 18. Jahrhunderts. Während seiner Regierungszeit ließ Kaiser Josef II im Jahr 1780 dort, am Zusammenfluss von Elbe (Labe) und Eger (Ohre), eine Festungsanlage erbauen. Abbildung 20.: Terezin / Theresienstadt Sie sollte während des Krieges zwischen den Habsburgern und den Preußen und in der Zukunft das Eindringen feindlicher Heere in das Innere Böhmens verhindern. Die Festung, die innerhalb eines Jahrzehntes errichtet wurde, unterteilt sich in eine Hauptfestung und der Kleinen Festung. Insgesamt bestand sie aus einer reihe mächtiger Bastione, Ravelinen, Lunetten, Mauern, Schanzen, Überflutungsgräben und einem weitläufigen System unterirdischer Gänge. Die Hauptfestung wurde auch Garnisonsstadt genannt. Sie befand sich in der Mitte der eigentlichen Stadt. Die Kleine Festung hingegen, wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer Strafanstalt errichtet. Diesen Zweck erfüllte sie besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In den Jahren des 1. Weltkrieges wurden hier Feinde der Habsburgischen Monarchie und die Attentäter von Sarajevo eingeschlossen. Nach Entstehung des tschechoslowakischen Staates im Jahre 1918 diente die Kleine Festung für weitere zwanzig Jahre als militärische Straf- und Haftanstalt. In Folge des 2. Weltkrieges trat Theresienstadt nun in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit als Symbol der Unterdrückung der Widersacher Hitlerdeutschlands und gleichzeitig auch als Symbol des ungeheuerlichen Holocaust an den Juden in Europa. Im Juni 1940 wurde die Kleine Festung dann durch die Deutschen zum Polizeigefängnis der Prager-Gestapo Vorrangig wurden hier politische Gefangene eingeliefert. In der Stadt selbst, der Hauptfestung, entstand im November 1941 ein Sammel- und Durchgangslager für Juden. Die Nazis nannten es „Ghetto Theresienstadt“. Zuerst kamen hier Juden aus dem Protektorat Böhmen und Mähren unter, später auch Juden aus dem Reich (Deutschland und Österreich) und aus sämtlichen anderen von Hitler besetzten Ländern. Diese Entstehung des jüdischen Ghettos in Theresienstadt war bedeutender Bestandteil des ungeheuerlichen Mechanismus „der Endlösung der Judenfrage“, wie die Nazis den Massenmord an den Juden beschönigend bezeichneten. Daraufhin wurde im Februar 1942 ein Erlass über die Auflösung der Gemeinde Theresienstadts beschlossen. Die damalige Zivilbevölkerung Theresienstadts wurde aufgefordert die Stadt bis Juni 1942 zu verlassen. Die jüdischen Häftlinge wurden zunächst in den Kasernengebäuden untergebracht, im Laufe der Zeit jedoch wurde die ganze Stadt zu einem Gefängnis umfunktioniert. Seit Anfang 1942 kamen nun in der Stadt regelmäßig Massentransporte von Juden aus verschiedenen Städten Böhmen und Mährens an. Die Einwohnerzahl des Ghettos stieg stetig an. Die Häftlinge bewohnten mittlerweile nicht nur die großen Kasernengebäude, sondern auch die übrigen Häuser der Stadt. Männer, Frauen und Kinder lebten getrennt in den großen Unterkünften, wo nur die notwendigste Ausstattung zur Verfügung stand: dreistöckige betten, ein Tisch, Regale und Kleiderhaken für persönliche Sachen. Privatleben kannten die Leute nicht mehr. Hinzu kam, dass die gemeinsamen Unterkünfte enorm überfüllt waren. In den Sälen der Kasernen, beispielsweise, wo der Großteil der Häftlinge untergebracht wurde, waren hundert bis vierhundert Personen zusammengepfercht. Die Lebensbedingungen waren demnach kaum zu ertragen. Kälte, Mangel an Nahrungsmitteln, Enge, Ungeziefer sowie die minimale Ausstattung, fehlende Medikamente und dadurch entstehende Krankheiten forderten hohe Todeszahlen. Etwa 33.500 Menschen starben dadurch in dem Lager. Dennoch galt Theresienstadt als nationalsozialistisches „Vorzeigelager“. Dank einer großen Zahl von Künstlern, Schriftstellern, Wissenschaftlern und malerisch begabten Kindern gab es im Ghetto Konzerte, Lesungen und Theateraufführungen. Seit Januar 1942 stellte Theresienstadt für insgesamt ca. 60.400 tschechische und 16.100 deutsche Juden eine Durchgangsstation für Transporte in die Vernichtungslager nach Osten dar. Ab Oktober 1942 führten die Deportationen ausschließlich nach Auschwitz. Kaum einer überlebte. Am 8. Mai 1945 wurde Theresienstadt schließlich von der Roten Armee befreit. Nun wurden hier Sudetendeutsche eingesperrt, die beschuldigt wurden Nazis zu sein bzw. mit ihnen zusammen gearbeitet haben sollen, bevor sie dann nach Deutschland vertrieben wurden. Die Stadt blieb zudem vorerst Garnisonsstadt tschechischer Einheiten. Am Ende der 90er Jahre zog sich die Armee dann doch zurück, und die Stadt stand ausschließlich zivilen Zwecken zur Verfügung. 8.2 Theresienstadt heute Nach dem Ende der deutschen Besatzung beschloss die tschechische Regierung 1947 auf Initiative ehemaliger gefangener und Hinterbliebener die Kleine Festung in eine Gedenkstätte umzuwandeln. Ein Grossteil der Anlage von Theresienstadt ist bis heute nicht restauriert und strahlt einen gewissen Charme aus. Die erhaltenen Gebäude, Zellen, Einrichtungen, Plätze und Museen erinnern und veranschaulichen jedem Besucher diese jüngere, tragische Vergangenheit. Vor den Mauern der Kleinen Festung befindet sich der Nationalfriedhof, auf dem die sterblichen Überreste von ungefähr 10.000 Opfern beigesetzt sind. Seit 1946 werden alljährlich am dritten Maisonntag Totenfeiern für die umgekommenen Häftlinge abgehalten, um so den Opfern der nazistischen Besetzung und an die Leiden der Häftlinge in den repressiven Einrichtungen in Theresienstadt zu gedenken. In der frei begehbaren Hauptfestung befindet sich heute das große Ghettomuseum mit einer gut organisierten Ausstellung über das damalige Leben im Ghetto, außerdem die Magdeburger Kaserne, das Kolumbarium, die Zeremonieräume Sehenswürdigkeiten zu nennen. und die zentrale Leichenhalle, um nur einige 9 Marienbad Von Stefanie Kräußel und Larissa Kirmair Zu Beginn der Ausführungen zu Marienbad, soll im Folgenden die Lage Marienbads beschrieben werden. Es befindet sich im westlichen Teil der Tschechischen Republik, etwa 150 Kilometer westlich von Prag, im Gebiet Westböhmen. Marienbad ist Teil des westböhmischen Bäderdreiecks, welches aus den drei berühmten Kurbädern Karlsbad (Karlovy Vary), Franzensbad (Františkovy Lázne) und eben Marienbad (Mariánské Láznĕ) besteht. Vor ca. einem Jahrhundert waren diese noch der europäischen Hautevolee vorenthalten, währenddessen sie heute jedermann offen stehen. Bei der Vorbereitung des Tages in Marienbad fiel vor allem auf, dass die Beschreibungen des Ortes nahezu überschwänglich sind: „Marienbad ist unbegreiflich schön“, schwärmte einst Franz Kafka. Und das ist der Kurort noch immer: Ein inmitten von dicht bewaldeten Hügeln gelegenes, mit weiten Parkanlagen durchsetztes Paradies. Es gibt nur wenige Städte Europas, die ohne Küstenromantik so viel Flair haben.“ Dieser Beschreibung schloss sich auch unsere Reiseleiterin vor Ort an. Sie schwärmte in den „höchsten Tönen“ von dem Kurort. Die Schilderungen wurden durch viele positive Eindrücke bestätigt. So vor allem die Lage des Kurviertels. Es liegt in einem an drei Seiten von bewaldeten Bergen geschützten und nur gegen Süden offenen Kessel. Doch nicht nur dadurch beeindruckt das Zentrum, sondern auch durch die vielen imposanten Bauten, Parkanlagen, Kolonnaden und Pavillons. Das Neue Kurbad zum Beispiel, ist ein 1896 im Stil der Neurenaissance eröffnetes Bad. Es ist heute ein sehr imposantes und prunkvolles Kurhotel, welches auch Nicht-Hotelgästen zugänglich ist. Dort werden für jedermann ärztliche Untersuchungen und Kuranwendungen (Mineralbäder, Magnettherapien, Paraffinwickel) angeboten, in deren Genuss die Exkursionsteilnehmer aus Zeitgründen leider nicht kamen. Abbildung 21.: In einem an drei Seiten von bewaldeten Bergen geschützten und nur gegen Süden offenen Kessel befindet sich das Kurzentrum – traumhaft! Abbildung 22.: Das Neue Kurbad ist ein sehr prunkvolles und imposantes Kurhotel, das nicht nur Hotelgästen zugänglich ist. Marienbad ist darüber hinaus auch für die weit über 40 kalten Quellen mit ihren speziellen Heilwirkungen rund um und im Ort bekannt. So auch die Kreuzquelle, die im Kreuzbrunnen gefasst ist. Der Kreuzbrunnen ist mit der dahinter gelegenen Säulenhalle eines der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten des Kurbades. Die Kreuzquelle zeichnet sich durch ihren hohen Anteil an Glaubersalz, welches abführend wirkt, aus und ist gut gegen Allergien, schmeckt jedoch sehr unangenehm. Abbildung 23.: Eines der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Marienbads ist der Kreuzbrunnen mit der dahinter gelegenen Säulenhalle. Die neue Kolonnade ist zweifelsohne eines der schönsten Bauwerke der Stadt. Sie ist eine gusseiserne Konstruktion und dient als Kurzentrum. So befinden sich eine kleine Orchesterbühne, Cafés und Geschäfte in ihr. Auch im Inneren wirkt die lange, leicht geschwungene Konstruktion sehr beeindruckend und zeichnet sich durch ihre wunderschönen Deckenmalereien im Stil der Neorenaissance und des Neobarock aus. Abbildung 24.: Die Neue Kolonnade dient als Kurzentrum und zeichnet sich durch ihre gusseiserne Konstruktion aus. Abbildung 25.: Das Innere der Neuen Kolonnade ist mit wunderschö-nen Deckenmale-reien im Stil der Neorenaissance und des Neobarock dekoriert. Abbildung 26.Das ehemalige Hotel „Rübezahl“ ist baufällig, sanierungsbedürftig und ähnelt eher einer Mülldeponie. Abbildung 27.: Zahlreiche Baustellen im Ort zeigen, dass heute fieberhaft daran gearbeitet wird, den Ort wieder glänzend erscheinen zu lassen. Jedoch verfiel das Kurbad während der kommunistischen Herrschaft in eine Art „Dornröschenschlaf“ und geriet in Vergessenheit. Infolgedessen sind viele Gebäude baufällig und sanierungsbedürftig. Viele Hotels stehen sogar mitten im Kurzentrum leer und verwahrlosen zunehmend. Heute wird fieberhaft daran gearbeitet, die beeindruckenden Bauten wieder herzurichten und das traumhafte Bild des Ortes herzustellen. Zeuge dessen sind die vielen Baustellen im Ort. 9.1 Historische Entwicklung Bevor man vom Bädertourismus spricht, spricht man allgemein vom Kurtourismus. Der Kurtourismus ist bis in die erste Hälfte des 19.Jahrhunderts populär und hat die Heilbäder zum Reiseziel. Die Gäste beschränken sich dabei auf die Aristokratie, nur vermögensreiche Leute der höheren Stände können sich einen Aufenthalt in Heilbädern leisten. Diese gelten deshalb auch als gesellschaftlicher Treffpunkt, wo Freizeit und Vergnügen im Mittelpunkt stehen. Der Bädertourismus, als Unterform des Kurtourismus, ist von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ungefähr 1914 sehr populär. Man spricht von Heil- und Gesundbädern und die Besucherschichten erweitern sich, so dass das städtisch dominierte Bürgertum zur Hauptzielgruppe wird. Die Bäder werden zu Urlaubsorten, die Gesundheitsurlaub mit Freizeit und Vergnügen verbinden. 91 Heute gehört der Bädertourismus zu den weltweit wachsenden Wirtschaftszweigen, es reisen alleine rund 20 Millionen Europäer jedes Jahr in Badeorte im Ausland. 92 9.2 Bäder in Tschechien „Die Anwendung von natürlichen Heilquellen, Bädern und Trinkkuren – als älteste Therapien – spielte in der Heilkunde schon immer eine bedeutende Rolle. Die Bäder entstanden nach und nach in der Nähe von Mineral- und Thermalquellen, von Torflagern und Mooren. An bestimmten Orten, die sich durch ein besonders günstiges Klima auszeichneten, entstanden Luftkurorte.“ 93 Auf dem Gebiet der Tschechischen Republik entspringen zahlreiche hochwertige Mineralquellen, die dazu führen, dass bereits Anfang des 15. Jahrhunderts eine Entwicklung von Kurorten und Heilbädern beginnt. 91 Vgl.: Waitzbauer, Harald: Zur Entstehung und Entwicklung der Seelandschaft als spezieller Typus einer Tourismusregion, http://www.sbg.ac.at/init/INIT/Zur%20Entstehung%20und%20Entwicklung%20der %20Seenlandschaft%20als%20spez%E2%80%A6.pdf 92 93 Vgl.: http://www.geothermie.de/kurzmeldungen/04-07-19-tuerkei.htm VALASEC, 2.4.2004 : Die Bäder der Tschechischen Republik, http://www.Cot.cz/zobrazcl.php?id=3276 Diese üben aufgrund ihrer Lage in schönen Landschaften und der spezifischen Architektur eine große Anziehungskraft auf Gäste aus.94 Das tschechische Kur- und Heilbäderwesen entwickelt sich richtig ab dem Ende des 18. Jahrhunderts. Damals werden schon Kurhäuser gebaut und die Heilquellen überdacht, sowie auf eine einheitliche Architektur geachtet. Außerdem wird die Qualität der Quellen untersucht, da eine harte Konkurrenz der Bäder beginnt. Bei den Kurgästen handelt es sich fast ausschließlich um Angehörige der gesellschaftlichen Oberschicht. Im 19. Jahrhundert erfährt das tschechische Kur- und Heilbäderwesen seine Blütezeit. Die Kurkomplexe sind fast abgeschlossen und neue Heilmethoden erweitern das bestehende Programm. Ein Kuraufenthalt wird nicht mehr als rein therapeutischen Aufenthalt angesehen, sondern ist Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlichen Stellung. „Die Heilbäder und Kurorte verwandeln sich in gesellschaftliche und kulturelle Zentren und werden immer mehr zu Schwerpunkten eines florierenden Fremdenverkehrs. Ihre Besucherzahlen stehen an zweiter Stelle im Lande und werden nur von Prag übertroffen.“95 Hinter dem Eisernen Vorhang erlischt der Glanz der Bäder jedoch zunächst. Erst nach der Samtenen Revolution von 1989 wird mit der Restaurierung der Bauten begonnen.96 In den 90er Jahren bedingt der veränderte Lebensstil neue Programme als Erweiterung der Standart-Kur, sowie ein breites Sportprogramm, wie zum Beispiel Golf, Wanderungen und Fitnessprogramme. Heute bieten in Tschechien rund vierzig Heilbäder und Kurorte vielfältige Programme an. Die Tradition des Bäderwesens in Tschechien hat aufgrund der hohen Qualität der natürlichen Heilquellen eine große Berühmtheit erlangt und wird in der Medizin und Balneologie anerkannt. „Durch die Nutzung modernster Heil- und Rehabilitationsmethoden in Kombination mit der traditionellen Nutzung des natürlichen Mineralwassers, der Peloide (Heilschlamm), heilender Gase und des Klimas ist die Tschechische Republik zu einer europäischen Bädergroßmacht aufgestiegen. Böhmische Bäder sind aber nicht nur ein Synonym für Heilkuren, sondern auch für Erholung und Entspannung. Sie sind ein Ort, an dem man neue Kräfte schöpfen und die Gesundheit verbessern kann. Das alles in Kombination mit attraktiver Umgebung und einem vielfältigen kulturellen Angebot, Sportmöglichkeiten und anderen Ablenkungen. Höhepunkte des Kuraufenthalts können Besichtigungen romantischer Schlossparks, mittelalterlicher Burgen, Schlösser, Kirchen oder Klöster sein. Ganz nach Belieben kann man sich aussuchen, wie man wohnen möchte – in einer kleinen Familienpension, einem Touristenhotel oder einem Luxushotel 94 Vgl.: Czechtourism : Kurorte, http://www.czechtourism.com/index.php?lang=2&show=003003 95 Czechtourism: Kurorte, http://www.czechtourism.com/index.php?show=000001&lang=2 96 Vgl.: BERG: Einheitsgrau ist Geschichte, Landeszeitung Lüneburg, 11./12. Februar 2006 mit breiter Dienstleistungspalette.“97 Es gibt keinen Ort, der sich mit der Anzahl von Heilquellen im Bäderdreieck zwischen Karlsbad, Marienbad und Franzenbad messen könnte. Neben diesen drei größten und bekanntesten Bädern gibt es eine Vielzahl kleinerer Bäder, die ebenfalls große Erfolge in der Behandlung von Patienten vorweisen können. Die folgende Abbildung zeigt eine Übersicht der Bäder: Abbildung 23: Bäder in Tschechien Karlsbad ist das größte und bedeutendste Heilbad der Tschechischen Republik und wurde Mitte des 14. Jahrhunderts gegründet. Es liegt auf 380m Höhe und wird durch Mittelgebirgsklima geprägt. In Karlsbad entspringen zwölf Heilquellen. Bei den Behandlungen stehen Stoffwechselstörungen an erster Stelle. Außerdem wird das Quellwasser für Inhalationen und Badekuren verwendet. Die bekannteste Quelle ist ein Sprudel, der aus einer Tiefe von 2000 bis 3000 Metern an die Oberfläche kommt und eine Temperatur von 73 Grad Celsius erreicht. Die Temperatur der übrigen Quellen liegt bei ungefähr 40 Grad Celsius. Karlsbad ist zudem bekannt für bedeutende Baudenkmäler, Kristallglas- und Porzellanherstellung, das Mineralwasser, als Veranstaltungsort und als Stadt mit dem ältesten Golfplatz der Tschechischen Republik 98 Die Stadt hat 55000 Einwohner und 8000 Gästebetten. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts hat Karlsbad 70000 Kurgäste pro Jahr. Nach 1945 steht die Stadt fast leer, da alle Deutschen aus der Stadt vertrieben werden, was die Mehrzahl der Einwohner darstellt und die Kommunisten verstaatlichen das Kurwesen. Laut offizieller Statistik reisen heute Gäste aus achtzig Ländern an und bleiben im 97 VALASEC, 2.4.2004 : Die Bäder der Tschechischen Republik, http://www.Cot.cz/zobrazcl.php?id=3276 98 Vgl.: Czechtourism: Karlsbad, http://www.czechtourism.com/index.php?show=000001003&lang=2 Durchschnitt dreizehn Tage. Der größte Anteil der Gäste kommt aus Russland und Israel 99. Marienbad ist das zweitgrößte Heilbad der Tschechischen Republik und liegt auf 628 m Höhe. Vor Ort entspringen ca. vierzig Mineralquellen, sowie einhundert kalte eisenhaltige kohlensaure Quellen. Außerdem erfolgt eine natürliche Kohlendioxidausströmung. Es wird eine Vielzahl von Krankheiten behandelt, wie z. B. Nieren- und Nervenkrankheiten oder Erkrankungen der Atemwege. Marienbad zeichnet sich ebenfalls durch eine landschaftlich schöne Lage, einem reichen Kulturprogramm, besonderer Architektur und dem zweitältesten Golfplatz Europas aus 100. Mitte des 19. Jahrhunderts kommen ca. 25000 Kurgäste pro Jahr nach Marienbad. Diese Zahl steigt bis zur Weltwirtschaftskrise auf über 50000 pro Jahr an. Während des Eisernen Vorhangs verkommt auch Marienbad zusehends. Heute wird die Gästezahl von 50000 pro Jahr fast wieder erreicht 101. Franzensbad liegt auf einem Hochplateau auf einer Höhe von 450 m und wurde 1793 gegründet. Bis heute hat das Bad das Aussehen einer kleineren Kurstadt von der Jahrhundertwende bewahrt, das einheitliche architektonische Bild der im klassizistischen Stil gehaltenen Kurhäuser und Pavillons unterstreicht diesen Eindruck. Die dreiundzwanzig hochwertigen kohlensauren, stark alkalischen Mineralquellen, das Franzensbader Moor und die Naturgas-Quellen werden bei Gefäß-, Herz- und Frauenkrankheiten eingesetzt102. Franzensbad hat 5000 Einwohner und erlebte seine Blütezeit vor dem Ersten Weltkrieg103. Neben diesen drei größten Bädern gibt es eine Vielzahl kleinerer Bäder, beispielsweise Joachimsthal, Konstantinbad, Bad Königswart, Darkov oder Luhacovice, um nur einige zu nennen. 9.3 Aktuelle Entwicklungen Den böhmischen und mährischen Bädern gelang es, in der Zeit der Transformation der tschechischen Ökonomie, ihre Bedeutung und Stellung am Markt zu verteidigen. Betriebe wurden ständig modernisiert, sowohl in medizinischer Sicht als auch im Verpflegungs- und Unterkunftsteil. Weiterhin werden heute Entwicklungsprogramme vorbereitet, die die Qualität und Infrastruktur des Kurmilieus verbessern, Wirtschaft und Forschung unterstützen und gemeinsame Marketingaktivitäten ankurbeln sollen. Besonders in den ökonomisch schwächeren Regionen ist das Kurwesen vom ökonomischen Standpunkt ein Antriebsmotor für ihre weitere Entwicklung und Beschäftigungslage. Heute wird 99 Vgl.: BUSSMANN/TRÖGER, S. 45: Westböhmen & Bäderdreieck, Michael Müller Verlag, Erlangen 2005 100 Vgl.: Czechtourism: Marienbad, http://www.czechtourism.com/index.php?show=000001005&lang=2 101 Vgl.: BUSSMANN/TRÖGER, S. 83: Westböhmen & Bäderdreieck, Michael Müller Verlag, Erlangen 2005 102 Vgl.: Czechtourism: Franzensbad, http://www.czechtourism.com/index.php?show=000001001&lang=2 103 Vgl.: BUSSMANN/TRÖGER: Westböhmen & Bäderdreieck, Michael Müller Verlag, Erlangen 2005 das Kurwesen in der Tschechischen Republik als kompletter Dienst angesehen, der den Gästen gewährt wird, welcher nicht nur Kurmedizin, sondern auch Vorbeugung und Entspannung bietet. Diese komplette Entwicklung führte zur Gründung einer gemeinnützigen Gesellschaft tschechischer Bäder in Europa, die für die Propagierung des Tschechischen Kurwesens und für die in Zusammenhang stehende Fachgebiete gegründet wurde. Eine daraus entstandene neue Tradition ist das Kurfestival Karlsbad, welches Informationsveranstaltungen, Workshops und Preisverleihungen bietet104. Das Bäderwesen ist sehr wichtig für die Tschechische Republik, was sich auch in einer professionellen Vermarktungs- und Angebotsform äußert. So kann man auf der Homepage www.czecot.com nach verschiedenen Kriterien einen passendes Heilbad suchen: Regionen, Kreis, Kategorie der Kureinrichtung, Krankheiten, Sprachkenntnisse des Personals etc. Auch die Ergebnisübersicht ist sehr ansprechend und liefert viel Information. 104 Vgl.: DOLINA 2006: Böhmische und Mährische Bäder in Europa, http://spalife.info/index_D.html 10 Die Karsthöhlen von Beroun Von Maria Barthelmann Im Rahmen der Großen Geographischen Exkursion nach Prag/Tschechien 2006 besuchten wir am 14. August die Karsthöhlen von Beroun. Um die Landschaft Karst und seine Formenschätze zu verstehen werde ich im Folgenden seine Entstehung und Erscheinungsformen erläutern. Der Name Karst wurde aus der Bezeichnung der Landschaft „Kras“ in Slowenien übernommen, welche sich über das Hinterland der Triester Bucht bis zu den Dinarischen Alpen erstreckt. Ursprünglich bezeichnet Karst eine kahle, vegetationsarme Landschaft mit weißen Kalksteinböden. Der deutsche Name Karst hat sich als allgemeine, international etablierte Bezeichnung derjenigen Landschaften durchgesetzt, die ähnliche Formenbilder der Verkarstung aufweisen wie das Ursprungsgebiet. Die Verkarstung kommt in leicht wasserlöslichen Gesteinen vor. Dort wo Grundund Oberflächenwasser auf wasserlösliche Gesteine treffen, entstehen oberirdisch oder auch unterirdische Formenschätze. Zusammen mit einem Unterirdischen Wasserkreislauf spricht man dann von einem Karstrelief. Für die Entstehung von Karst sind leicht wasserlösliche Gesteine eine Voraussetzung. Zu diesen Gesteinen gehören vor allem Kalke, aber auch Dolomite, Gips, Anhydrit und Salzgesteine, aber auch metamorphe Gesteine. Die Löslichkeit der Gesteine erhöht sich, wenn Kohlenstoffdioxid CO2 im Wasser gelöst ist. Durch die Diffusion von CO2 wird das Wasser sauer, das entspricht einem pHWert von unter sieben und es bildet sich teilweise Kohlensäure H²CO³. Der feste Kalk CaCO³ wird gelöst, indem das kohlensäurehaltige Wasser in die Spalten und Klüfte der Kalkschicht eindringt. Es entsteht gelöstes Ca (Calcium)- Bikarbonat. Durch das Verschwinden des Wassers in den Untergrund entstehen unterirdische Höhlensysteme und oberirdische, verschiedenartigste Formenschätze. 10.1 Oberirdische Karstformen 10.1.1 Karren Eine Form der oberirdischen Karsterscheinungen sind die Karren. Das sind Rinnen oder auch Löcher. Sie entstehen vor allem dadurch, dass saures Oberflächenwasser auf verkarstungsfähigem Gestein abfließt. Dabei kann dieser Prozess, der vor allem chemisch und weniger mechanisch zu begründen ist, auf freiliegenden, aber auch unter Bodenbedeckung auftreten. Je steiler das Gestein der Gesteinshang ist, desto höher ist die Fließgeschwindigkeit des Wassers, so dass in diesen Gebieten vor allem flächenhafte Rillenkarren auftreten. Doch nicht nur durch die unterschiedliche Lage bedingt, gibt es verschiedene Karrentypen. Zusätzlich unterscheiden sich die Typen auch durch ihre Form, den Bildungsvorgang oder ihren Wirkungsraum. 10.1.2 Dolinen Weitere Formen oberirdischer Karsterscheinungen sind Dolinen (slowenisch: Dolina = Tal). Das sind schüssel- oder wannenartige Vertiefungen in einer Karstlandschaft. Die Unterscheidung erfolgt entweder anhand der Genese oder der Form. Geht man von der Entstehungsart aus, lassen sich Lösungs-, Einsturz- und Sackungsdolinen unterscheiden. Lösungsdolinen entstehen, indem Oberflächenwasser an Abzugsstellen durch Fugen und Klüftungen in die Tiefe abfließt. Die Fugen und Klüftungen werden durch die dadurch bedingte Korrosion erweitert, so dass eine meist trichterförmige Vertiefung entsteht. Einsturzdolinen dagegen entstehen durch das Einstürzen eines Höhlendaches, wenn dieses durch Korrosion seine Tragfähigkeit verloren hat. Nach der Form lassen sich wiederum Trichter-, Schüssel-, Kessel- und Schlotdolinen unterscheiden. 10.1.3 Poljé Eine weitere Erscheinungsform ist die Polje. Der Begriff wird für ein großes, geschlossenes, steilwandiges Becken verwendet, welches einen ebenen Aufschüttungsboden besitzt und meist eine elliptische, lang gestreckte Form aufweist. Der Boden fällt zu einer tiefen Stelle ab, in der Oberflächenwasser verschwindet (Ponor). Da der Abfluss durch diese Schlote in feuchten Gebieten nicht ausreicht um die gesamte Polje zu entwässern, sind manche Poljen flache Seen oder aber sie werden von einem Fluss durchzogen. Zur Entstehung einer Polje gibt es zwei verschiedene Ansichten. Einige Wissenschaftler behaupten, dass Poljen durch das Zusammenwachsen von Karstmulden (Uvalas) und Dolinen entstanden sind, andere behaupten, Poljen seien ein tektonisches Senkungsgebiet. Heute geht man davon aus, dass durch die Verstopfung der Ponore ein abfließen des Oberflächenwassers verhindert wird, so dass an den Seitenwänden eine verstärkte Korrosion einsetzt, die eine Ausweitung zu einer Polje erst möglich macht. Darüber hinaus gibt es aber noch viele weitere oberirdische Karsterscheinungen, wie zum Beispiel Karsttäler oder Cockpits, die hier aber nicht näher erläutert werden. 10.2 Unterirdische Karstformen Zum Wesen einer Karstlandschaft gehören nicht nur die augenscheinlichen oberflächlichen Erscheinungen, sondern auch ein unterirdischer Wasserkreislauf. Da das Gestein in Karstlandschaften stark wasserlöslich ist, bilden sich Abflüssen, so genannte Ponore, in denen ganzen Flüsse verschwinden. Aber auch ein Versickern des Oberflächenwassers im Karstgestein ist möglich. Durch Fugen und Klüftungen gelangt das Wasser vertikal in die Tiefe, bis es auf Grundwasser trifft. Hier sind alle Hohlräume mit Wasser gefüllt, so dass das eindringende Wasser in eine horizontale Fließrichtung zum Vorfluter hin gezwungen wird. An einer Karstquelle tritt das Karstwasser wieder an die Oberfläche, so dass eine Wasserzirkulation entsteht. 10.2.1 Karsthöhlen Karsthöhlen sind natürliche, unterirdische Hohlräume in verkarstungsfähigem Gestein. Die Hohlräume können mit Luft, Wasser, Gas, Gestein oder Eis gefüllt sein.Voraussetzung für die Genese sind Klüftungen und Fugen, durch die saures Oberflächenwasser vertikal eindringen kann. Durch die dadurch stattfindende Korrosion kommt es zu einer Erweiterung der Spalten, entstehen Hohlräume, die sich im Verlauf mehrerer Jahrmillionen zu Höhlen und Gangsystemen entwickeln können. 10.2.2 Ablagerungen in Höhlen Wenn in eine Höhle Wasser mit gelöstem Kalk eintritt, wird das Kohlenstoffdioxid, welches zuvor aus der bodennahen Luft aufgenommen wurde, an die Höhlenluft abgegeben. Durch Verdunstung setzt sich Kalkspat CaCO³ an der Höhlenwand ab. Die Wassertropfen sind von einer Kalkschicht hauchdünn überzogen. Wenn mehr Wasser an dieser Stelle austritt, wird der Wassertropfen größer, bis er schließlich platzt. Zurück bleibt dann die Kalkhaut, die sich als Ring an der Wand oder Decke anlagert. Lagert sich so genug Kalk ab, entstehen Tropfsteine, die so genannten Stalaktiten, die von der Höhlendecke abwärts wachsen. Jedoch fällt ein großer Anteil des ausgefällten Kalks beim Zerplatzen zu großer Wassertropfen auf den Höhlenboden, wo er sich breitflächig verteilt. Dadurch entstehen dann die Stalagmiten, welche vom Höhlenboden in Richtung Höhlendecke wachsen. Wachsen Stalaktiten und Stalagmiten zusammen, entstehen Tropfsteinsäulen, Stalagmaten. Damit ein Tropfstein entstehen kann, darf die Fließgeschwindigkeit des Wassers nur maximal ein Tropfen pro Minute betragen und der Kristallisationsvorgang muss mehrere tausend Jahre andauern. Karst ist eine Landschaftsform, die in vielen Gebieten der Erde auftritt. Je nach spezifischem Formenschatz werden verschiedene Karsttypen unterschieden. Die verschiedenen Faktoren, die zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen, können sein: - Die Gesteinsart: Dolomite, Gips, Salz, aber vor allem Kalke sind stark verbreitet und stellen dadurch den Haupttypus von Karstlandschaften dar. - Hydrologische Gesichtspunkte: bei seichtem Karst liegt der lösungsfähige Untergrund dicht unter der Erdoberfläche, bei tiefem Karst, reichen die Karsterscheinungen durch eine große Mächtigkeit des löslichen Gesteine bis in die Tiefe. - Morphologische Gesichtpunkte: Bei dem so genannten Vollkarst treten keine Täler, sondern nur Dolinen, Poljen oder Karren auf. Halbkarstlandschaften sind durch fluviatile Prozesse entstanden. - Die Vegetationsdecke: Wenn keine Vegetationsdecke vorhanden ist, spricht man von Nacktem Karst, erstreckt sich die Karstlandschaft unter einer Vegetationsdecke, wird von Bedecktem Karst gesprochen. - Klimamorphologische Gesichtspunkte: Dabei unterscheidet man nach Karstformen in den gemäßigten Breiten, Mediterranen Karst und Tropischen Karst. 10.3 Karst in Tschechien Auch in Tschechien gibt es eine ausgedehnte Karstlandschaft. Der Mährische Karst gehört dabei zu den bedeutendsten Karstgebieten in Europa. Das komplexe System von Karsthöhlen gehört zu den schönsten und am meisten besuchten Gebieten in Tschechien. Weniger bekannt ist dagegen der Böhmische Karst (Cesky Kras), der sich von Prag in südwestliche Richtung bis nach Beroun erstreckt. Die größten Höhlen dieses Karstgebietes sind die Koneprusy Höhlen, welche sich im Naturschutzgebiet Krivoklatsko 35 Kilometer südwestlich von Prag entfernt befinden und 128 Quadratkilometer groß ist. Die für den Aufbau des Karstes entscheidenden Erdzeitalter sind Silur und Devon. So besteht der Karst in Böhmen auch überwiegend aus Kalk und Kalkschiefer. In ihren Hauptteilen entstanden die Höhlen vor 25 bis 30 Millionen Jahren. Sie erstrecken sich über drei Ebenen und über eine Gesamtlänge von über zwei Kilometern. Der Höhenunterschied zwischen der tiefsten und der höchsten Stelle beträgt 70 Meter. Entdeckt wurden die Höhlen im Jahr 1950 bei Steinbrucharbeiten und 1959 wurden sie für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Besonderheiten der Höhlen sind international bedeutende paläontologische Ausgrabungen und die Überreste einer Geldfälscherstätte aus dem 15. Jahrhundert. In den Jahren 1469 bis 1472 sollen hier zwischen 5.000 und 10.000 Münzen hergestellt worden sein, von denen eine Person etwa zwei beziehungsweise vier Jahre lang leben konnte. Darüber hinaus kommen in der Höhle verschiedene Tropfsteingebilde vor, wie Stalaktiten, Stalagmiten und Stalagmaten. Allerdings ist der Karstuntergrund nur leicht zerklüftet, so dass nur wenige und vergleichsweise kleine Tropfsteine entstanden sind. Daher war die Besichtigung der Höhle geologisch betrachtet weniger interessant. 11 Fazit Neben der Vertiefung ihrer Fachkenntnisse bot die Große Geographische Exkursion Tschechien den Teilnehmern eine für viele von ihnen erstmalige Gelegenheit, ein Land des ehemaligen Ostblocks kennenzulernen. Die in dieser Arbeit zusammengestellten Aufsätze zeichnen ein vielfältiges Bild Tschechiens sowie seiner Hauptstadt Prag. Im Folgenden sollen die wichtigsten Punkte und Erfahrungen, welche die Gruppe im Verlauf der Exkursion gesammelt hat, zusammengefasst werden. Die Auseinandersetzung mit der Prager Geschichte bringt unumgänglich auch einen Einblick in die Geschichte Böhmens, Österreichs (Österreich-Ungarns) und der Tschechischen Republik mit sich. Ereignisse wie der Erste und der Zweite Prager Fenstersturz (1419 und 1618) oder der Prager Frühling 1968 stellen bedeutende Meilensteine der gesamteuropäischen Geschichte dar. Auch die Rolle der Jüdischen Gemeinde ist im historischen Rückblick nicht zu unterschätzen. Da vergleichsweise wenige Umstände das Leben der Prager Juden erschwerten, konnten sie das Potential ihrer Gemeinschaft entfalten und verhalfen der Stadt zunächst zu wirtschaftlichem Aufschwung um sich ab der Herrschaft des österreichischen Imperators Josef II auch verstärkt am kulturellen Leben Prags zu beteiligen. Die Geschichte der Jüdischen Gemeinde geht Hand in Hand mit der des heutigen Stadtteils Josefov, des ehemaligen jüdischen Ghettos, und hat sie entscheidend geprägt. Die Vielzahl an Baustilen, die das Stadtbild Prags ausmachen, zeugt davon, daß die Stadt über lange Perioden ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum war, in dem die Baukunst fruchtbaren Boden fand. Allerdings muß man keineswegs bis auf die Ursprünge der Siedlung zurückblicken um zu erkennen, welche Bautechnik und welche Periode das Gesicht der Stadt am stärksten prägt: In Plattenbauweise errichtete Großwohnsiedlungen aus der sozialistischen Zeit dominieren das Stadtbild. Als Ergebnis einer ihrerzeit innovativen Idee und ihrer kompromisslosen Umsetzung sollten sie hohe Ansprüche an Wirtschaftlichkeit und soziale Gerechtigkeit erfüllen. Hierzulande immer mehr in Verruf geraten, erfüllen sie in Prag ihre eigentliche Aufgabe – das Ermöglichen der Stadtfunktion Wohnen – auf eine bemerkenswert selbstverständliche Art und Weise und bringen manche scheinbar utopische städtebauliche Ideen der Moderne näher an die Realität. Anders als in den neuen Bundesländern fand die Transformation des wirtschaftlichen und politischen Systems Tschechiens nach der Wende auf anderen Wegen und mit anderen Tempi statt. Den Wandel, der in der ehemaligen DDR seit der Wende durch die direkte Übernahme eines neuen Systems und massive Investitionen ermöglicht wird, muß Tschechien nach der friedlichen Trennung von der Slowakei aus eigener Kraft verfolgen. Ein dichtes Eisenbahnnetz zeugt zwar vom wirtschaftlichen und industriellen Höhenflug vergangener Tage, aber die Spuren des Verfalls aus den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sind ebenso nicht zu übersehen. Besonders gut erkennbar ist das an manchen Stellen in Marienbad. Trotzdem ist Tschechien mit seinem bedeutenden historischen und kulturellen Erbe einer der Vorreiter des Übergangs unter den ehemaligen Ostblockländern und eine Bereicherung für die europäische Familie, deren Mitglied das Land seit dem 01. Mai 2004 offiziell ist. 12 Literaturverzeichnis ADAC Reiseführer Prag, ADAC Verlag, München, 2005. BACHMANN, E.: Peter Parler. Der Göttinger Arbeitskreis, Heft 25, Kitzingen, 1952. BERG, DETLEF: Einheitsgrau ist Geschichte, Landeszeitung Lüneburg, 11./12. Februar 2006. BROOK, S.: Der National Geographic Traveler Prag und Tschechien. Washington, 2003. BUSSMANN, M. und TRÖGER, G.: Tschechien. Erlangen, 2005. DOLINA, JAROSLAV: Böhmische und Mährische Bäder in Europa, 2006. FORMANEK, V. et al. Die Prager Burg, Prag, 1965. GRÜNDEL, E. und TOMEK, H.: Prag. Köln, 2000. HABITZ, G. 2004: Prag Preiswert. Breisgau, 2004. HEINEBERG, Heinz: “Grundriß Allgemeine Geographie: Stadtgeographie”; Paderborn, München, Wien, Zürich; Schöningh; 2001 KAFKA, F.: Brief an den Vater. Ditzingen, 1995. KAFKA, F.: Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß. Frankfurt, 2000. KONZELMANN, 1984. KUTZ-BAUER, H.: Prag - schönste Schwester Hamburgs: Mosaikbild einer besonderen Stadt. 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