Diplomarbeit Stefan Held: Veränderte
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Diplomarbeit Stefan Held: Veränderte
Medienhinweise Bücher, Systemische Erlebnispädagogik Lexikon Erlebnispädagogik Andrea Zuffellato, Astrid Habiba Kreszmeier ZIEL 2007 ISBN 978-3-937 210-97-1 Soulcraft Bill Plotkin Arun 2005 ISBN 978-3-935581-76-9 Systemische Naturtherapie Astrid Habiba Kreszmeier Carl-Auer 2008 ISBN 978-3-89670-623-2 Weisheit und Trance Cornelia Schödlbauer (Hrsg.) ZIEL 2002 ISBN 3-934 214-84-3 Bücher, Transpersonale Psychologie Topographie des Unbewussten Stanislav Grof Klett-Cotta 1975 ISBN 3-608-95232-2 Kosmos und Psyche Stanislav Grof Fischer 2000 ISBN 978-3-596-14641-3 Dimensionen der menschlichen Seele Sylvester Walch Patmos 2009 ISBN 978-3-491-42139-4 Hellwach und bewusst leben Charles Tart Arbor 2000 ISBN 3.924195-24-2 Psychologie des Bewussteins Band 4: Bewusstseinszustände Torsten Passie LIT 2007 ISBN 978-3-8258-0287-5 49 Weitere Literatur Gammler, Zen und hohe Berge Jack Kerouac Rororo 2010 ISBN 978 3 499 25397 3 Zwischen Feuer und Feuer William Blake dtv 1996 ISBN 978-3-423-13599-3 Jenseits von Gut und Böse Friedrich Nietzsche Goldmann 1886 ISBN 3-442-07530-0 Die Pforten der Wahrnehmung Himmel und Hölle Aldous Huxley Piper 1970 ISBN 978-3-492-20006-6 Don Quixote von la Mancha Miguel de Cervantes Saavedra Diogenes 1987 ISBN 3 257 21496 0 Vom Spazieren H.D. Thoreau Diogenes 2001 ISBN 3 257 23463 5 Filme Other worlds (2002), Jan Kounen Blueberry (2004), Jan Kounen Internet www.wikipedia.de www.bewusstseinszustände.de www.noack-hypnose.de Und jener unter euch der ohne Quelle ist der werde selber eine! (S.Held, 15.4.2012) 50 Veränderte Wachbewusstseinszustände in der Systemischen Erlebnispädagogik Einleitung Als Grenzgänger setze ich mich in diesem Fachartikel mit einem Thema auseinander, das an mehreren Schnittstellen beheimatet ist. Ich gehe der Thematik veränderter Bewusstseinszustände auf den Grund, das mich schon mein halbes Leben begleitet. Vielleicht auch mein ganzes. Jedenfalls konfrontiere ich mein Umfeld seit Jahren immer wieder mit Aussagen zu diesem Thema und es ist spannend, die unterschiedlichen Reaktionen wahrzunehmen, die von Schwärmerei, Faszination oder Interesse über Skepsis und einer vorsichtigen oder ausweichenden Haltung bis zur Ablehnung durch bissige Kommentare oder zynische Bemerkungen reichen kann. Auch beim Studium der betreffenden Literatur wird immer wieder der grosse Widerstand erwähnt, der das Thema bei Fachkollegen hervorruft. Dem zum Trotz hat sich ein eigener Psychologiezweig gebildet, der sich diesen Phänomenen zuwendet, sie untersucht und erfolgreich zur Heilung oder Linderung psychisch-seelischer Krisen einsetzt: Die Transpersonale Psychologie. Wem mein grober Überblick nicht genügt, den verweise ich auf die Literaturhinweise am Schluss der Arbeit, wo einige Titel führender Vertreter aufgeführt sind. Um die Bandbreite an Schnittstellen zu andern Themengebieten aufzuzeigen, will ich einige aufzählen, ohne allerdings den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Veränderte Bewusstseinszustände (VWB) sind wie erwähnt zentral in der Transpersonalen Psychologie, streifen die medizinische Bewusstseinsforschung, die Parapsychologie, verschiedene esoterische Strömungen, die Glücksforschung, die Psychopathologie und die Erforschung von Nahtoderfahrungen, in östlichen Meditationsformen sind sie ebenso wichtig wie im Schamanismus, ausserdem gibt es erstaunliche Übereinstimmungen zu den neuesten Erkenntnissen der Quantenphysik. Abgesehen davon, dass wohl alle Religionsstifter entsprechende Erfahrungen gemacht haben, gibt es in allen Hauptreligionen mystische Strömungen, die sich auf Techniken zur Herbeiführung veränderter Bewusstseinszustände konzentrieren. Sie spielen eine Rolle in Kunst, Literatur, Musik – und offensichtlich auch in der Systemischen Erlebnispädagogik. Wo genau diese Berührungspunkte sind, interessiert mich in diesem Artikel am meisten. Wo tauchen sie bei der Arbeit in der Natur auf? Wie erkennt man sie? Was ist der Gewinn für einen Klienten aus einer Erfahrung veränderten Bewusstseins? Wie können sie hervorgerufen werden? Um 20 dies zu umreissen, nähere ich mich veränderten Wachbewusstseinszuständen aus verschiedenen Richtungen, versuche die Dimensionen aufzuzeigen, die sich der Beschreibung durch Worte oft entziehen und verknüpfe sie dann mit eigenen Beobachtungen aus der Praxis. Nach dieser wissenschaftlich ausgerichteten Herangehensweise, beleuchte ich das Thema noch „von innen“ mit einem Autointerview. Sollte ich mit einigen Aussagen an deinem Weltbild rütteln, so ist das durchaus nicht ganz ungewollt. Das Zartrosa verschwand und dann war alles purpurne Dämmerung und der Schrei der Stille war wie die Brandung diamantener Wogen die durch die flüssigen Pforten unserer Ohren brausen und einem das Gefühl geben: Mehr brauchst du nicht um die nächsten tausend Jahre ruhig und zufrieden zu sein. (Kerouac, S.100) 21 Was sind veränderte Bewusstseinszustände? Bewusstlosigkeit. Das Unterbewusstsein. Ein kleines Selbstbewusstsein. Bewusstseinserweiternde Drogen. „Ich war mir nicht bewusst, dass …“ Wenn wir vom Bewusstsein reden, haben wir oft das Gefühl, wir wüssten worums ginge. Doch im Grunde ist es eines der grössten Geheimnisse, die noch immer ungelüftet sind. Die Modelle sind zahlreich, die Erklärungen reichen von unbefriedigenden Reduktionen (Bewusstsein = Hirnfunktion) hin zu schwierig nachweisbaren Glaubensansätzen (Es gibt keine Zeit, keine Materie, kein Ich – nur Bewusstsein). Wer sich über den derzeitigen Stand der Bewusstseinsforschung informieren will, kann dies auf der fundierten Internetseite Bewusstseinszustände.de von Torsten Passie tun. Egal welchen Ansatz Du vertretest, einigen können wir uns sicherlich darauf, dass sich unsere Bewusstseinsinhalte laufend verändern. In keinem Moment sind sie dieselben. Was wir wahrnehmen, denken oder fühlen ändert sich in stetem Strom und diese Veränderung ist so fundamental normal, dass wir es uns selten bewusst sind. Was wir oft mitkriegen, sind BAM! – heftige Änderungen. Hervorpreschende Emotionen, schnelle Szenen- oder Stimmungswechsel, ein Hallo von hinten, ein Blitz direkt vor uns, die Idee, auf die wir gewartet haben. Wenn dies passiert, sind wir von den Bewusstseinsinhalten ganz eingenommen – und bemerken nicht, dass auch Änderungen im Bewusstseinszustand passieren. Gut, stopp – was ist nun der Unterschied von Bewusstseinsinhalt und Bewusstseinszustand? Nun. Der Inhalt kann sich auch ganz gut ändern, ohne dass der Zustand sich radikal verändert – aber nicht umgekehrt. Steige ich in den Zug, fahre zur Arbeit, steige aus, gehe zu Fuss zur Arbeitsstelle, trete ein, ziehe meine Jacke aus – dann ändern sich meine Wahrnehmungen am Band. Aber: Ich mache und erlebe all das ohne emotionale Höhen- oder Tiefflüge, ohne Bewusstlosigkeit, ohne Ekstase, sondern im Alltagsbewusstsein mit kleineren Schwankungen (Müdigkeit im Zug, eine Überschrift in der Gratiszeitung lässt mich in Gedanken versinken, die kalte Luft auf dem Weg macht mich wach und klar…). „Ein Bewusstseinszustand ist etwas Dynamisches. In Einzelheiten verändert er sich ständig, wobei das übergreifende Muster aber immer erkennbar bleibt.“ (Tart, S.21) Würde ich hingegen im Zug ganz wegschlafen, dann würde sich der Bewusstseinszustand deutlich ändern – und damit auch der Inhalt. Somit sind Bewusstseinszustände grundlegender als 22 Bewusstseinsinhalte, sie geben uns ein besser abgrenzbares Ordnungssystem. Dazu, was nun ein veränderter Bewusstseinszustand sei, wird auch heute noch oft Charles Tart zitiert: „Ein Bewusstseinszustand ist dann ein „veränderter Bewusstseinszustand“, wenn er sich deutlich von einem Normalzustand (baseline state of consciousness) unterscheidet, der uns als Vergleichsmassstab dient. Da als Vergleichsmassstab meist das gewöhnliche Wachbewusstsein genommen wird, ist ein Bewusstseinszustand wie das nächtliche Träumen demzufolge ein veränderter Bewusstseinszustand. Andere wohlbekannte Beispiele veränderter Bewusstseinszustände sind der Zustand der Hypnose, Zustände, die durch psychoaktive Drogen wie Alkohol hervorgerufen werden, Zustände, die bei starken Emotionen wie Wut, Panik, Depression und freudiger Erregung auftreten, und Zustände, die durch meditative Praktiken induziert werden.“ (Tart, S.21) Wir merken: Beim Wechsel vom Alltagsbewusstsein zu einem der erwähnten veränderten Bewusstseinszustände, wechseln auch die Bewusstseinsinhalte immer auf verschiedenen Ebenen: „Neben den Veränderungen der subjektiven Erfahrung sind veränderte Bewusstseinszustände durch Veränderungen kognitiver Funktionen (Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis usw.), Verhaltensmodifikationen und bestimmte physiologische Veränderungen (Erregungsniveau, EEGWellenmuster usw.) gekennzeichnet.“ (Passie, S.21) Auffallend ist, dass diese Wechsel im Moment des Erlebens wohl wahrgenommen, aber nur in gewissen Fällen und oft nur mit Mühe oder mit viel Übung „aus Distanz“ wahrgenommen werden können. Meist nehmen sie uns ganz für sich ein, sie erfassen uns, wir identifizieren uns ganz mit ihnen. Ich denke nicht: „Aha! Sirenen heulen, Rauch und rennende Leute – und Hey! da kommt ja auch schon meine Panik. Willkommen! Was möchtest du mir gerne sagen?“, sondern: „RAUS HIER!!“ Und auch wenn die Gedächtnisfunktion bei einigen negativ beeinflusst werden kann oder das herrschende Chaos ein genaues Zuordnen im Nachhinein schwierig macht – so sind es doch meist starke, herausragende und den gesamten Lebensfluss strukturierende Momente: Der Schlaf rhythmisiert unser Wachen, die Heldentaten im Rausch werden legendär, ein Wutausbruch würde vielleicht gern ungeschehen gemacht werden, ein Höhenflug für immer im Gedächtnis bleiben, vom Wohnungsbrand das Ewiggleiche erzählt werden. Oder mit den Worten Torsten Passies: „Untersuchungen […] zeigen, dass diverse veränderte Bewusstseinszustände ein häufiges und regelmässig anzutreffendes Phänomen der menschlichen Erfahrungswelt darstellen und von daher nicht nur eine wissenschaftliche Kuriosität darstellen. Sie 23 Wenn es gelingt, unsere Wahrnehmungsstruktur zu verändern, verändert sich unsere Welt oder kurz gesagt, wer anders wahrnimmt, nimmt anderes wahr. (Habiba, S.13) können sogar die beeindruckendsten psychologischen Phänomene sein, die dem Menschen erfahrbar sind. So kann eine fünfminütige Erfahrung in einem veränderten Bewusstseinszustand (etwa eine religiöse oder eine Nahtoderfahrung) die habituelle Ausrichtung, Wertorientierung und den ganzen Lebensweg einer Person gravierend verändern.“ (Passie, S.13) Tart zieht als Gegenpol zum alltäglichen Wachbewusstseinszustand Beispiele massiv veränderter Wachbewusstseinszustände (VWB) wie Depression, Hypnose, Rausch ua. heran. Es scheint mir aber bedeutsam zu betonen, dass das gewöhnliche Wachbewusstsein erheblichen Schwankungen unterworfen ist. Wenn wir uns vor Augen führen, wie grundlegend anders wir wahrnehmen, denken oder fühlen wenn wir an einer verschneiten Beerdigung teilnehmen oder uns gerade auf dem Klo erleichtern oder über Korallen schnorcheln… so sehen wir, dass die Schwankungen riesig und die Grenze zum VWB weit weniger deutlich ist, als wir es uns im ersten Augenblick wünschen würden. Es gibt zwar Klassen von Zuständen, die sich klar unterscheiden lassen, an ihren Grenzbereichen gehen sie aber oft fliessend ineinander über. Ab dem wievielten Schluck Bier würdest du dein Bewusstsein als verändert bezeichnen? Ab dem ersten? Oder brauchts da schon drei Blonde dazu? Es ist mir wichtig zu betonen, dass in dieser Arbeit nicht alle Bewusstseinsveränderungen gleichermassen interessieren. Grof hat es wie folgt formuliert: „Das Bewusstsein kann durch ganz verschiedene pathologische Prozesse gründlich verändert werden – durch Hirntraumata, durch Vergiftungen, durch Infektionen oder durch Degenerationsprozesse und Probleme mit dem Blutkreislauf im Gehirn. Solche Erscheinungen können zweifellos zu tiefgehenden geistigen Veränderungen führen, die unter die Kategorie „aussergewöhnliche Bewusstseinszustände“ fallen würden. Sie verursachen jedoch „triviale Delirien“ oder „organische Psychosen“, Zustände, die zwar klinisch sehr wichtig, aber für unsere Fragestellung nicht von Belang sind.“ (Grof, S.24) Für Grofs Fragestellung – und für mein Interesse sind hingegen eine andere Gruppe von VWB von Belang: „Erfahrungen aus veränderten Bewusstseinszuständen, Trance und plötzlichen inneren Aufbrüchen können zu einer gewinnbringenden inneren Transformation führen. Dies ist eine weitere wichtige Perspektive der transpersonalen Psychologie: Veränderte Bewusstseinszustände sind nicht pathologisch, sondern unterstützen unsere Gesundheit.“ (Walch, S.117) Mit Gesundheit meint Walch vor allem unsere geistig-seelische Gesundheit. Psychosomatisch wirkt sich die natürlich 24 VWB sind psychohygienisch, sozialintegrativ, archetypischmythologisch, existenzielltransformativ und spirituellmystisch. (Walch S.178) positiv auf den Körper aus, doch geht es im weitesten Sinn um den positiven Effekt, den VWB auf die Persönlichkeitsentwicklung ausüben können. Zur begrifflichen Klärung: - Veränderte Bewusstseinszustände definieren sich dadurch, dass sie vom wachen Alltagsbewusstsein abweichen. - Veränderte Wachbewusstseinszustände (VWB) definieren sich dadurch, dass sie vom Alltagsbewusstsein abweichen, den Schlaf aber nicht miteinbeziehen. - Holotrope Bewusstseinszustände sind VWB, die potentiell heilsam sein können (holotrop = auf Ganzheit ausgerichtet). Dies ist ein Begriff Grofs, der noch nicht so bekannt, in der Transpersonalen Psychologie aber verbreitet ist. Schau Heut strahlet die Natur in purem Grün und Blau Ich wanke, taumel nur und staune ab der Schau Nach dem Himmel will ich tasten Und auf vollen Wiesen rasten Im See will ich ertrinken Und in tiefe Täler sinken All die Formen, all die Pracht Alles übet solche Macht Als wär ich unterm Kleide einer kurvenvollen Frau (S.Held, 2006) 25 Ursachen von VWB Eine anerkannte Liste von Ursachen veränderter Wachbewusstseinszustände umfasst vier Hauptgruppen: I Stoffgebundene Stimuli z.B. Psychedelika II Verschiedene Formen von Reizentzug z.B. sensorische Deprivation III Erhöhte Rhythmizität des Wahrnehmungsfeldes z.B. Stroboskop IV Weitere Einzelstimuli z.B. Orgasmus, Lesen von Geschichten, Hören von Musik, Fasten, Schlafentzug… (Passie, S.14) Mich verwundert, dass diese Einteilung weitreichende Akzeptanz findet, ist doch gerade die vierte Gruppe ein sehr vages Sammelbecken, in dem nicht wirklich Ordnung herrscht. Ausserdem fehlen verschiedene wirksame Trancetechniken, sowie meditative Übungen Ich habe selbst eine Einteilung gewagt, welche die Ursachen umfassender und klarer darzustellen vermag, in dem ich die „Stimuli“ als Veränderungen einer bestimmten Ebene beschreibe und in folgendes Schema einordne: Veränderung von aussen Veränderung von innen Körperebene Wahrnehmungsebene I Stoffzentrierte Veränderungen II Körperzentrierte Veränderungen III Reizzentrierte Veränderungen IV Achtsamkeitszentrierte Veränderungen Transpersonale Ebene V Transpersonale Einflüsse VI Hinwendung Um die einzelnen Gruppen zu charakterisieren und klarer von einander abzugrenzen, gebe ich eine nicht abschliessende Auswahl an Beispielen für jede der sechs Gruppen. Gruppe I Stoffzentrierte Veränderungen II Körperzentrierte Veränderungen III Reizzentrierte Veränderungen IV Achtsamkeitszentrierte Veränderungen V Transpersonale Einflüsse VI Hinwendung Beispiele Cannabis, LSD, Meskalin, Psilocybin, Alkohol, Kokain, Heroin, unter Umständen auch Gewürze und Coffein Hyperventilation, Atemsenkung, Fasten, Überanstrengung, Schlafentzug, Orgasmus Sensorische Deprivation, Stroboskop, Selbstkasteiung Fokussierung auf ein Objekt, eine Tätigkeit oder einen Sinn, Meditation, Gebet Contact high, Erfasstwerden durch einen Archetypen, spontane mystische Erfahrungen Einladung höherer Kräfte, Gebet, Bitte um Schutz oder Geleit, Provozieren archetypischer Situationen 26 Anmerkungen: - Manche Techniken nutzen mehrere Ursachen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Die Meditation ist zum Beispiel im Kern eine achtsamkeitszentrierte Methode, dennoch gesellen sich die sensorische Deprivation, das Aushalten von Schmerzen, Überanstrengung, Fasten, Atemkontrolle oder Schlafentzug je nach Art und Weise noch dazu. Beim „archaischen“ Trancetanz können die Hinwendung zu Beginn, die Einnahme bestimmter Substanzen, die ewiggleichen tranceinduzierenden Rhythmen, die Überanstrengung nach Stunden starker Aktivität und dazugesellende Schmerzen ihren Teil zum Auftreten eines VWB leisten. - Ursachen verschiedener Gruppen können denselben Bewusstseinszustand hervorrufen. - Viele dürften mir dazu raten, die Kategorie der Transpersonalen Ebene wegzulassen oder nicht gleich zu gewichten, wie die anderen. Besonders Atheisten, Materialisten oder Szientisten dürften die Existenz von Phänomenen der Art von Klasse V anzweifeln oder leugnen und entsprechend die Wirkung von Klasse VI als gering einstufen. Es gibt viele Belege transpersonaler Geschehnisse, die der verbreiteten Meinung, die Welt verlaufe kausal, widersprechen. Phänomene wie ausserkörperliche Wahrnehmung, Erinnerungen an frühere Leben oder Synchronizitäten sind bspw. erstaunlich gut dokumentiert. Im Vergleich zu den wilden Weltmodellen, die führende Physiker heute in Erwägung ziehen, sind solche und weitere Phänomene, welche die transpersonale Psychologie beschreibt, geradezu harmlos. - Speziell hervorheben will ich, dass der Atem ein bemerkenswertes Mittel ist, um VWB hervorzurufen und dessen Teilnahme an der Gesamtwirkung einer Technik oft unterschätzt wird. So kann eine Veränderung des Atems beim Meditieren, Singen, Geschlechtsverkehr, Sport oder nur schon in einem angeregten Gespräch dazu führen, dass leichte bis heftige VWB auftreten können. Grosse Drogen Ich brauche keine grossen Drogen Ein Spaziergang müsste reichen Wurde niemals zwar belogen Doch musste Zeit verstreichen Zeit, in der ich wieder fand Was jeweils ich verlor Klarheit war ein grosses Pfand Und ich ein grosser Thor (S.Held, 2008) 27 „Dass ein irrender Ritter aus Gründen rasend wird, darin zeigt sich ebenso wenig Anstand als Talent; die Kunst liegt darin, ohne alle Ursache unsinnig zu werden.“ (Cervantes) Bandbreite an Erfahrungen in VWB Stanislav Grof, ein Mitbegründer der Transpersonalen Psychologie, gibt uns eine Übersicht über die Erfahrungen, die während Zuständen veränderten Bewusstseins gemacht werden können – und liefert im Buch „Topographie des Unterbewusstseins“ gleich eine ungemein erweiterte Landkarte der Tiefen unserer Psyche, welche die Tiefenpsychologie Freuds direkt als Oberflächenpsychologie erscheinen lässt. I Ästhetische Erfahrungen: Grof beschreibt, dass mit veränderten Bewusstseinszuständen oft eine veränderte Wahrnehmung einhergeht. Die Aussenwelt wird oft intensiver oder gar verwandelt erlebt und bei geschlossenen Augen können abstrakte, verschwommene bis hin zu kristallklaren, komplexen Szenerien wahrgenommen werden. II Psychodynamische Ebene: Hier dominiert biographisches Material die Erfahrung, dessen wichtigste Mechanismen Freud beschrieben hat. III Perinatale Ebene: Grof beschreibt vier Phasen rund um die Geburt, welche eine Grundmatrix von Ersterfahrungen bilden, an denen sämtliche spätere Erfahrungen anknüpfen (und die in einem VWB direkt wiedererfahren werden können). - Die „ozeanische“ Ureinheit mit der Mutter - Die Enge und Ausweglosigkeit im geschlossenen uterinen System - Der „vulkanische“ Geburtsprozess selbst - Der neue, getrennte Zustand an der Mutterbrust IV Transpersonale Ebene: Hier beginnt ein weites Feld, dessen verschiedenartige Erfahrungen Grof genau kategorisiert und von denen ich nur einige wenige nennen möchte. Genannt wird das Erleben von Archetypen, karmischen Mustern, Ahnengeschichten, Gottesbegegnungen verschiedener Qualitäten, Identifikationen mit Teilen des eigenen Körpers, mit Pflanzen, Tieren oder ganzen Völkern – auch hier dürften eingefleischte Atheisten, Materialisten oder Szientisten wiederum nur den Kopf schütteln. Grof hält dagegen, dass niemand, egal ob Wissenschaftler oder Atheist, der in einem VWB Kontakt zur transpersonalen Ebene hatte, danach die Möglichkeit der Wiedergeburt ganz ausgeschlossen hätte. Die Wahrheit Wissen stets verneint sie Nur der Moment vereint sie (S.Held, 2006) 28 Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein. (Nietsche, S.71) Würfelmodell zur Einordnung von VWB Verschiedene Möglichkeiten der Einordnung stellt der Bewusstseinsforscher Torsten Passie in seinem Buch Psychologie des Bewusstseins, Band 4: Bewusstseinszustände vor. Das umfassendste Modell darin ist wohl folgendes. Es beschreibt die VWB auf zwei Kontinua: - Ein Kontinuum geht vom Alltagsbewusstsein aus und bewegt sich über schöpferisch-kreative Erregtheit (Inspiration) zu psychotischen Zuständen hin zur Ekstase. Der Strom innerer Bilder, die Reizmenge nimmt auf diesem Kontinuum stetig zu, was es zunehmend schwieriger macht, Überblick und Klarheit zu behalten. Die Alltagsidentität löst sich mehr und mehr auf, die Wahrnehmung kehrt sich nach innen. - Das zweite Kontinuum geht ebenfalls vom Alltagsbewusstsein aus und bewegt sich über verschiedene meditative Zustände hin zum erleuchtungsähnlichen Zustand Samadhi. Die Reizmenge reduziert sich zunehmend, Klarheit, Ruhe und Einfachheit werden immer umfassender; auch hier löst sich die Alltagsidentität mehr und mehr auf, die Wahrnehmung kehrt sich ebenfalls nach innen. Die beiden Extreme Ekstase und Samadhi können paradoxerweise fliessend ineinander übergehen. Obwohl dieses Modell fähig ist, sehr viele VWB einzuordnen, hat es doch seine Grenzen. So fehlt beispielsweise eine Einordnung erweiterten, bzw. verminderten Bewusstseins und auch der Grad des Antriebs ist nicht direkt ersichtlich. Wo sind tranceartige Zustände einzuordnen? Wo uninspirierte Raserei? Dass diese Aspekte fehlen, brachte mich auf die Idee, ein Würfelmodell zu entwickeln. Es umfasst die oben 29 genannten beiden Kontinua, das den inneren Strom an Bildern beschreibt, eine zweite Achse bezieht sich auf den Antrieb, eine dritte auf das Mass an Bewusstheit. Das sieht im Modell dann so aus: Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 ROT: Veränderungen auf der vertikalen, roten Achse bedeutet eine Zu- bzw. Abnahme des Stroms innerer Bilder (Abb. 1). Oberhalb des Normal-Balkens kommen die im ersten Modell beschriebenen Ebenen der Inspiration, der psychotischen Zustände und als Extrem die Ekstase, unter dem Normal-Balken folgen verschieden tiefe Zustände der Meditation mit dem Extrem des Erleuchtungszustandes Samadhi. GRÜN: Veränderungen auf der horizontalen, grünen Achse beschreiben das Mass des Antriebs (Abb. 1). Besonders typisch für die beiden Extreme erscheinen mir (nicht aus erster Hand!) für die Antriebslosigkeit der Zustand, der durch Heroin ausgelöst wird, für den übersteigerten Antrieb den durch Amphetamin. Mit dem Antrieb einher geht eine gesteigerte, bzw. verminderte motorische Aktivität. BLAU: Veränderungen auf der blauen Tiefenachse beschreiben, wie weit das Fenster des Bewusstseins geöffnet ist (Abb. 1). Alkohol beispielsweise verringert den Bewusstseinshorizont, engt ihn ein, bis der Trinker in der Bewusstlosigkeit anlangt, die hier als Trance gekennzeichnet ist. Durch die Einnahme 30 For me, it’s very important. Without that spiritual knowledge, one cannot know oneself as a conscious human being. (Kestenbetsa, in Other worlds) bewusstseinserweiternder Drogen oder jahrelange Übung ist es möglich, das Bewusstseinsfenster zu vergrössern oder im Extrem alle Mauern wegfallen zu lassen. Das Alltagsbewusstsein erscheint einem dann als Alltagstrance und es kann der Eindruck entstehen, man würde aus einem schlafwandlerischen Zustand erwachen, in dem wichtige Entscheidungen nur aufgrund diffuser Emotionen und ungenauer Vorstellungen getroffen werden. Der Begriff des kosmischen Bewusstseins stellt hier nicht das äusserste Extrem dar, doch kann man sich ohne weitreichende Erklärungen schon mal etwas darunter vorstellen. Man verzeihe mir diese Ungenauigkeit. Darüber hinaus entziehen sich gewisse Erfahrungen gänzlich einer Mitteilung durch Sprache, wodurch jemand, der noch nie einen Zustand erweiterten Bewusstseins erlebt hat, Mühe mit dem Verständnis dieser Achse haben wird. Anmerkungen: - Die Streifen des Normalbereichs sind hier willkürlich gewählt und entsprechen nicht den realen Verhältnissen! Sie sind ausserdem von Mensch zu Mensch verschieden, variieren je nach Alter, Lebensabschnitt und spiritueller Praxis. Denkt man sie dreidimensional ins Innere des Würfels (Abb. 2), entsteht dort ein kleiner Würfel, der die Grenzen des Alltagsbewusstseins angibt (Abb.3). Dieses Abbild zeigt besonders schön, was William James meint, wenn er sagt „dass unser normales Wachbewusstsein, rationales Bewusstsein, wie wir es nennen, nur eine bestimmte Art von Bewusstsein ist, während um es herum, abgeteilt nur durch eine hauchdünne Scheidewand, potentielle Formen des Bewusstseins liegen, die ganz andersartig sind. […] Keine Betrachtung des Universums in seiner Gesamtheit kann abschliessend sein, welche diese anderen Formen des Bewusstseins ausser Acht lässt.“ (Passie, S.5) - Ausgehend vom Alltagsbewusstsein in der Mitte gibt es sechs Balken (als Verlängerungen der Würfelseiten), in denen nur eine Dimension verändert und zwei weiterhin normal sind. Dann gibt es zwölf „würfeldicke“ Flächen, in denen zwei Dimensionen verändert und eine normal ist und acht Quadranten, in denen sämtliche Dimensionen verändert sind („Eckquadranten“). Man könnte nun all diese Räume nummerieren, charakterisieren, mit Beispielen versehen und eine umfassende Einordnung von Methoden vornehmen, was kompliziert und spannend und herausfordernd und vielleicht sogar praktisch wäre… aber definitiv eine Arbeit für einen anderen Artikel. - Gewisse Techniken bewirken Veränderungen auf mehreren Achsen. Beispielsweise beim Zazen (Sitzmeditation) nähert man sich auf der roten Achse dem Zustand des Samadhi, während bei manchen 31 Meditationsformen das Bewusstseinsfenster mitvergrössert und auf der blauen Achse das „kosmische Bewusstsein“ angestrebt wird. Auch wenn der/die Übende äusserlich unbeweglich scheint, bleibt der innere Antrieb (grün) unverändert und die Körperspannung im Gleichgewicht. Beim Gestalten eines inneren Sachverhaltes in der Natur (z.B. „Meine Abenteuerlust“), ist der Blick halb nach innen gerichtet, der Bewusstseinszustand bewegt sich auf der roten Achse hin zur schöpferisch-kreativen Erregtheit Richtung Ekstase, der Antrieb (grün) kann gesteigert sein und das Bewusstseinsfenster (blau) je nach ProbandIn und Setting geweitet oder eingeengt. - Ich bin mir sicher, dass viele Süchte und Sackgassen durch Achsenverwechslungen entstehen. Ein Alkoholkranker, der Vergessenheit sucht, hat vielleicht eher das Bedürfnis nach meditativen Zuständen, jemand der sich mit Coffein und härteren Mitteln aufputscht vielleicht nach einem erweiterten Bewusstsein. Vielleicht. - Auch in diesem Modell werden nicht alle Aspekte von VWB umfasst, trotzdem ist eine differenziertere Einordnung von Zuständen möglich. Die Täuschung Täuschung klebt am Firmament Nur wer klare Nächte kennt Weiss: Grellblauer Sonnenschein Lässt keine Sternenwahrheit rein Blicke hinter Lichtfassaden Die den Sternen in dir schaden Nur durch Dunkelheit und Stille Dringt der Sphären weiter Wille (S.Held, 2007) 32 Beispiele der Systemischen Erlebnispädagogik In diesem Kapitel werde ich eine Hand voll von VWB vorstellen, die in der Praxis der Systemischen Erlebnispädagogik auftreten können. Waking entranced Dies ist ein Begriff von Erich Fromm und bezeichnet einen Wachzustand, in dem „eine Person ein Ereignis oder einen Gegenstand der Aussenwelt mit faszinierter Aufmerksamkeit betrachtet. […] Beispielsweise kann ein faszinierter Musikhörer zeitweilig so vertieft in sein subjektives Erleben sein, dass er trotz seiner Wachheit keinen rechten Unterschied zwischen Phantasie und Realität mehr wahrnimmt.“ (Passie, S.27) Auch die intensive Wahrnehmung eines Bildes, einer Szene oder einer Landschaft können diesen Zustand hervorrufen. Wichtige Merkmale sind die erhöhte Aufmerksamkeit und eine grosse persönliche Resonanz, welche das Bewusstsein von der Aussenwelt nach innen lenkt, sowie eine passive/wahrnehmende Haltung. Das Tagträumen Während dem Tagträumen „sinkt“ das Bewusstsein nach innen, ist nicht mehr nach aussen gerichtet. Man starrt irgendwo hin, ohne dies selbst wahrzunehmen. „Das Denken vollzieht sich eher in imaginierten Bildern als in Sprache oder linearer Logik. Die Vorstellungswelt des Tagträumers handelt zumeist von Dingen, die leichten Zugang zum Bewusstsein haben bzw. schon bewusst sind. Zeitweise kann es aber auch zu einem Abdriften in realitätsferne Gefilde kommen. Trotzdem bleibt nahezu immer die Möglichkeit erhalten, den Tagtraum zu steuern.“ (Passie S.28) Inspirationsphase schöpferischer Prozesse Die Inspirationsphase ist einer von vier Abschnitten, die im schöpferischen Prozess auftauchen kann. In der Planung einer schöpferisch-kreativen Arbeit, wird oft viel Energie dafür aufgewendet, über den Verstand zu einem Ergebnis zu gelangen. Wenn dies fehlschlägt (oder es so beabsichtigt ist), geht der/die Schöpferische über in eine Entspannungsphase, um Distanz zu gewinnen, die Informationen setzen zu lassen, was oftmals die fehlenden Glieder einbringt, eine Lösung aufwirft oder eine Richtung anzeigt. „In der dritten Phase ist der schöpferische Prozess ein abgewandelter Bewusstseinszustand, währenddessen eine gesteigerte Wachheit und ein erhöhtes Vermögen des Arbeitens mit vorbewussten und unbewussten Prozessen statt einer solchen mit reiner Logik. […] In diesen Zuständen können oft Probleme besser verstanden werden, 33 „Seht doch hin, gnädiger Herr“, sagte Sancho, „dass das, was da steht, keine Riesen, sondern Windmühlen sind, und was Ihr für die Arme haltet, sind die Flügel, die der Wind umdreht, wodurch der Mühlenstein in Gang gebracht wird.“ – „Es scheint wohl“, antwortete Don Quixote, „dass du in Abenteuern nicht sonderlich bewandert bist, es sind Riesen.“ (Cervantes, S.63) weil unbewusste Inhalte in die Wahrnehmung einfliessen und sie neuartig zusammenfügen.“ (Passie, S.29) Wichtig ist vielleicht noch darauf hinzuweisen, dass die zweite, die Entspannungsphase, ebenfalls ein VWB sein kann, der aber mehr mit dem Tagträumen zu tun hat. Auch im Traum können einem Lösungen zufallen – nur ist das Träumen eben kein VWB (veränderter Wachbewusstseinszustand) Tranceähnliche und meditative Zustände Der Begriff der Trance ist vorbelastet. Oft wird er mit Willenlosigkeit und Stumpfsinn oder mit wilden Orgien und hysterischen Heulkrämpfen assoziiert. Dass Trancephänomene geringer Tiefe fast alltäglich sind, ist uns wenig bewusst. Durchschnittlich drei Prozent der vorhandenen 24 Stunden eines Tages (also fast 45min) verbringen wir in Subtrance (Passie, S.11). Auch wird Trance heute oft mit meditativen Zuständen verwechselt. Sowohl bei der Trance, als auch bei der Meditation kehrt sich der Blick nach innen, der Geist beruhigt sich, im Unterschied zur Trance wird das Bewusstseinsfenster bei meditativen Zuständen aber nicht kleiner, sondern bleibt gleich oder wird sogar weiter. Klarheit und Erinnerung bleiben so bei letzteren eher erhalten. Ob wir im ewig gleichen Schritt des Schneeschuhlaufens also in Trance oder in einen meditativen Zustand geraten, hängt von unserer Achtsamkeit ab. Bei grosser Anstrengung wird es eher die Trance sein, bei einem Schneelabyrinth eher ein meditativer Zustand. Eine spezielle Gruppe tranceähnlicher Zustände sind die Lösungs- und Problemtrance Durch genaues Analysieren und Auseinandernehmen eines Problems und seiner Ursachen kann es geschehen, dass ein Klient oder Gesprächspartner ganz von seinem Problem eingenommen wird, der Blick sich einschränkt – er steckt in einer Problemtrance, die wie folgt charakterisiert wird: - Die Fokussierung ist eher auf den inneren Dialog oder eigene starre Erwartungen gerichtet und die erlebte Diskrepanz zwischen Erwartung und erlebter Wirklichkeit bewirkt zusätzliche Anspannungen. - Der Körper ist unangemessen angespannt bzw. sogar verkrampft oder auch schlaff und träge. - Der Bewegungsablauf ist ruckartig, steif, unkoordiniert und nicht fließend. - Der Atem ist flach und nicht frei, das Atemvolumen wird nicht genutzt. - Die innere Mitte scheint nicht verfügbar zu sein. - Das eigene Verhalten wird als nicht selbst gesteuert empfunden. - Die Zeitwahrnehmung wird verzerrt erlebt. 34 Im Osten war es grau; im Norden fürchterlich; im Westen, reiner Wahn, rangen eiserne Narren in der aufsteigenden Finsternis; im Süden meines Vaters Nebel. (Kerouac, S.309) Wie oft stecken wir wohl ebenfalls in einer Problemtrance? Die Punkte lassen vermuten, dass wir immer wieder in oberflächlichere Trancezustände fallen – zu denen es auch ein positives Äquivalent gibt: Die Lösungstrance. - Die Fokussierung ist eher auf den inneren Dialog oder eigene starre Erwartungen gerichtet. - Der Körper ist angemessen entspannt. - Der Bewegungsablauf ist gut koordiniert und fließend. - Der Atem ist gleichmäßig und frei. - Die innere Mitte wird wahrgenommen. - Die eigenen Ressourcen stehen zur Verfügung (www.noack-hypnose.de) Flow Es war der Glücksforscher und Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi, der dieses Phänomen als erster beschrieb. Flow ist Englisch und bedeutet wörtlich „fliessen“. Im Flow geht der Erlebende ganz in seiner Tätigkeit auf, er ist weder über- noch unter- sondern optimal gefordert. Die Aufmerksamkeit ist erhöht und fokussiert. „Diese Fokussierung paart sich mit Gefühlen von Transzendenz, Glück, Befriedigung und Freude, so genanntem positivem Stress. […] Wahrnehmung und Sein, Aussen und Innen, Hier und Dort verschmelzen im Zustand des Flow.“ (Zuffellato, S. 50) Flowerlebnisse können in verschiedensten Situationen auftreten, so zum Beispiel beim Klettern, beim Spielen eines Instruments, beim Liebesakt, in vertiefter Arbeit, im „Schreibfluss“ oder beim kreativen Gestalten und vielem mehr. Gipfelerfahrungen Den Begriff der Gipfelerfahrungen (peak experience) hat der Psychologe Abraham Maslow geprägt. Es handelt sich um spontane Erfahrungen der Erhebung, "Momente von tiefer Ehrfurcht, Momente intensivsten Glücks oder sogar der Verzückung, Ekstase und Seligkeit". Maslow fand, dass solche Erlebnisse sehr viel häufiger auftreten, als man für gewöhnlich annimmt, und dass sie den Schilderungen von Mystikern sehr nahe kommen. (bewusst-sein.net) Grenzerfahrungen Im Buch Weisheit und Trance nicht ausdrücklich als VWB beschrieben, weisen sie viele Züge davon auf. Grenzerfahrungen hängen mit Präsenz, Flow, spirituellen Erfahrungen und starken Emotionen zusammen. Für Manfred Poser ist sie „eine tiefgreifende Erfahrung, die einem die Grenzen der eigenen Existenz bewusst werden lässt. Diese Erfahrung geschieht ungeplant und bringt das Leben in eine neue Richtung. Ob jemand eine Grenzerfahrung gemacht hat, weiss er erst hinterher, wenn sie verstanden und ins Leben eingegliedert wurde.“ (Cornelia Schödlbauer (Hrsg.), S.104) 35 Depersonalisationsphänomene Diese beschreiben weniger einen eigenen VWB, sondern können VWB begleiten. Sie sind „typischerweise mit Körperschemaveränderungen verbunden und begleiten häufig schöpferische, ekstatische oder meditative Zustände.“ (Passie, S.41) Depersonalisationsphänomene können Menschen auch unterschwellig chronisch begleiten und bei geschärfter (Körper-)Wahrnehmung bewusst werden. Sie können gar krankhaften Charakter annehmen. Drei von fünf typischen Ausprägungen sind: Seligkeit spendende Visionen sind im Allgemeinen mit einem Gefühl der Trennung vom Körper verbunden, einem Gefühl der - Emotionale Taubheit: Betroffene klagen, dass sie nichts fühlen oder dass ihre Gefühle „flach“ oder unwirklich sind. Ihre Wahrnehmung von Personen oder Objekten „lässt sie oft kalt“, d. h. das Beobachten eines Sonnenuntergangs, die Wahrnehmung von Schmerz oder das Berühren ihres Partners löst keine Emotionen aus. Entindividualisierung. - Veränderung des Körpererlebens: Der eigene Körper oder Teile des Körpers werden als verändert (leichter/schwerer, größer/kleiner), als leblos oder als nicht zu-sich-gehörig empfunden. Das eigene Spiegelbild oder die eigene Stimme können fremd wirken. Manche Betroffene haben das Gefühl, nur „ein Kopf ohne Körper“ oder nur „Augen ohne Körper“ zu sein. - Veränderung der visuellen Wahrnehmung: Viele Betroffene haben das Gefühl, „neben sich zu stehen“, so, als würden sie ihre Umwelt aus einer veränderten Perspektive (von weit weg, von außerhalb ihres Körpers, durch eine Kamera oder wie auf einer Filmleinwand etc.) sehen. Verschiedene Quellen geben verschiedene Häufigkeiten an, es ist davon auszugehen, dass in der „gesunden“ Bevölkerung zwischen 30-50% solche Erfahrungen kennen. (Wikipedia) Positiv erlebte Depersonalisationsphänomene erinnern auch an folgende Erfahrungen: „Das Körperbewusstsein löst in gewissen Momenten seine eigenen Grenzen scheinbar völlig auf, um sich dem grösseren Ganzen hinzugeben und zu einem Gefäss für „spirituelle Erfahrungen“ im weitesten Sinn zu werden oder etwa, um für so genannte Flowerlebnisse Platz zu machen. Erfahrungen dieser Art sind nicht plan- oder steuerbar. (Zuffellato, S.233) Sehen Ist ein Sinn An sich (S.Held, 2007) 36 (Huxley) Ursachen für VWB in der Systemischen Erlebnispädagogik 1. Die meisten von uns halten sich einen Grossteil ihrer Zeit in wohltemperierten Räumen auf, gebunden an Pflichten, an Termine und Pläne, gewohnt in einem Bett zu schlafen, sich mehrmals täglich irgendwo gespiegelt zu sehen, in stetem Kontakt mit seinen Mitmenschen. All diese einsperrenden, aber auch Sicherheit vermittelnden Strukturen werden draussen gelockert und lösen sich allmählich auf. Das bewirkt einen Perspektivenwechsel und einen Wechsel der Selbstsicht – was bereits einen niederschwelligen VWB auslösen kann. 2. Durch den Wegfall Sicherheit vermittelnder Strukturen können Ängste sich derart steigern, dass die Grenze zum VWB ebenfalls überschritten wird, zum Beispiel in einer Problemtrance. Wird der Wegfall erwähnter Strukturen als befreiend empfunden, kann sich umgekehrt Euphorie breit machen. 3. Die alleinige Naturwahrnehmung in einem offenen, entspannten Zustand bietet die Möglichkeit, verschiedene VWB hervorzurufen. So z.B. spontane Gipfelerfahrungen (nicht nur auf einem Berggipfel), erhöhte Inspiration, tranceähnliche und meditative Zustände, starke Emotionen oder Tagträume. „Sie [die „grossen Lebensfragen“ oder spontane Glückszustände] können auch aufbrechen, wenn wir uns ganz eins mit der Natur fühlen, still sitzend am Meeresstrand und uns an einem Sonnenaufgang erfreuen, oder wenn wir Nachts zum Sternenhimmel aufschauen, innehalten und die Weite des Kosmos uns berührt, oder wenn wir eine tiefe Begegnung mit einem geliebten Menschen erleben dürfen. Dann treten die alltäglichen Sorgen in den Hintergrund, und wir fühlen uns gelassener und eingebettet in einen grösseren Gesamtzusammenhang. (Sylvester Walch, S.120) 4. Mit der Naturerfahrung einher gehen intensive sensorische Schwankungen: Kälte des Schnees und Hitze des Feuers, Regenwasser und Schlafsacktrockenheit, Wind, Sonne, Rauch, Mücken, Staub und Stein – das Aufeinandertreffen all dieser Gegensätze schwächt den denkgewohnten Verstand. 5. Ermüdung wegen harter Bedingungen, körperlicher Anstrengung oder unterbrochener Schlaf fördern ebenfalls das Auftauchen von VWB. 6. Explizite Aufforderungen wie die Hände tun zu lassen, die Füsse gehen zu lassen, in der Wahrnehmung zu sein, den Körper zu spüren, auf seine Emotionen oder seine 37 Dieses Entschwinden in Nebel und Wolken, dieses plötzliche Auftauchen einer seltsamen, intensiv bestimmten Form, eines verwitterten Felsblocks zum Beispiel, eines uralten, von jahrelangem Ringen mit dem Wind gekrümmten Nadelbaums – all dies kann Entrückung bewirken. (Huxley, S.97) Intuition zu achten – all das fördert ein Umgehen des Verstandesweges, der ein Hauptverteidiger des Alltagsbewusstseins ist. 7. Das Gestalten ästhetischer Bilder fördert es, ins Tun zu kommen (siehe Nr.6), das Betrachten ästhetischer Bilder lädt VWB ein, aufzutauchen, da diese oft durch ästhetische Wahrnehmungen begleitet sind. In seinem Buch „Himmel und Hölle“ beschreibt Aldous Huxley den Drang des Menschen nach Schönheit (Marmor, Edelsteine, Gold, Kirchengestaltung, gewisse Formen der Kunst ua) als Ausdruck des Wunsches nach Entrückung oder als Extrem: Den Wunsch, das Paradies auf Erden zu finden (wobei der paradiesische Zustand ein VWB ist). 8. Der Ausdruck innerer Bilder mit Naturmaterialien verwischt die Subjekt-Objekt-Grenze. 9. Auch wenn einige Übungen nicht ausdrücklich als geführte Meditationen betitelt werden, gibt es solche Ansätze immer wieder. 10. Eine bewusst veränderte, ungewohnte Zeitstruktur trägt bei verschiedenen Methoden ihren Teil dazu bei VWB auszulösen – besonders im Mythenspiel, bei der Parts Party und bei rituellen Gestaltungen. Das Mythenspiel ist eine Theaterform, bei der wortlos und in Zeitlupe gespielt wird. Genaue Beschriebe dieser Methoden sind in Büchern wie dem Lexikon Erlebnispädagogik oder Systemische Naturtherapie zu finden. 11. Soziale Wechsel verlangen Rollenwechsel und können die Präsenz erhöhen: Von der Grossgruppe zur Kleingruppe, von der Arbeit zu zweit, zur Arbeit alleine und wieder in die Grossgruppe… 12. Das Nicht-Wissen der Probanden schärft deren Präsenz und Aufmerksamkeit. Der Verstand würde gerne wissen, was genau der Plan ist, was als nächstes kommt und auf welche Probleme er sich einzustellen hat. Bekommt er diese Nahrung, wird er mit seinen Schutzmechanismen auch weiterhin aktiv bleiben. Bekommt er diese Informationen nicht, fällt es den TeilnehmerInnen leichter, in der Wahrnehmung zu bleiben und sich „mit Haut und Haar“ einzulassen. Vorausgesetzt natürlich, der Verstand akzeptiert das Nicht-Wissen und Ruhen-dürfen. 13. Die Einsamkeit des Solos lässt einen tief in den ganz eigenen Prozess eintauchen und verstärkt seine Dynamik. 14. Grenzerfahrungen können sich auch einstellen, wenn sie nicht im Hochgebirge gesucht werden. Vielleicht hats geregnet und der Schlafsack ist nass – da kann man schon 38 Sinnbilder sind Quellen wahrer Erkenntnis über die Natur der Dinge, und diese wahre Erkenntnis kann dazu dienen, den Geist, der für sie offen ist, auf eigene unmittelbare Einblicke vorzubereiten. (Huxley, S.24) Der Wald sieht immer vertraut aus wie etwas längst Verlorenes, wie das Gesicht eines vor langer Zeit gestorbenen Verwandten, […] wie alles Leben und alles Sterben und aller Herzenskummer seit Millionen von Jahren, und mir war so, als ob die Wolken, die über unserem Kopf dahinschwebten und selbst Vertraute der Einsamkeit sind, diese Gefühle bestätigten. Sogar Verzückung fühlte ich. (Kerouac, S.89) an eine individuelle Grenze stossen und in einen VWB geraten. Transpersonale 15. Die lösungs- und ressourcenorientierte Grundhaltung trägt auf verschiedenen Ebenen dazu bei, dass der oder die Begleitete aus dem Alltagsbewusstsein oder einer Problemtrance in eine Lösungstrance kippt. 16. Synchronizitäten bezeichnen das gleichzeitige, als sinnvoll empfundene Auftreten eines inneren Zustandes und einer äusseren Erscheinung. So verwischen sie die Grenzen von Innen und Aussen und können VWB auslösen. Sie werden durch die „phänomenologische Wahrnehmung“ in der Systemischen Erlebnispädagogik bewusst eingeladen und als „Phänomene“ bezeichnet. Umgekehrt sind VWB verhältnismässig oft von Synchronizitäten begleitet. Erfahrungen sind oft von seltsamen sinngemässen Koinzidenzen begleitet, die sich mit linearer Kausalität nicht erklären lassen. (Grof, S.134) 17. „Höhere Kräfte“ werden von der Leitung nicht explizit angerufen, archetypische Situationen aber bewusst provoziert. Dass jemand in einer Grenzsituation den Beistand aus transpersonalen Gefilden erbittet, kann durchaus geschehen. Ordnet man diese 17 Auslöser dem allgemeinen UrsachenRaster zu, ergibt sich folgende Zuteilung: Körperebene Wahrnehmungsebene Veränderung von aussen I Stoffzentrierte Veränderungen III Reizzentrierte Veränderungen 1, 2, 3, 4, 11, 15 Veränderung von innen II Körperzentrierte Veränderungen IV Achtsamkeitszentrierte Veränderungen 6, 7, 8, 9, 10, 12, 13, 14, 15, 16 5 Transpersonale Ebene V Transpersonale Einflüsse VI Hinwendung 16, 17 Natürlich kann man über gewisse Zuteilungen streiten, da sich für einige Punkte die Gründe überlagern und der Hauptgrund anders gewichtet werden könnte (z.B. bei 1, 2, 3, 15 und 16). Betrachtet man die Zuteilung mit einer gewissen Beweglichkeit, ist eine starke Tendenz zur Arbeit auf der Wahrnehmungsebene und eine stärkere Gewichtung der Veränderungen „von innen“, als von aussen feststellbar. Wichtig ist noch zu erwähnen, dass nicht alle Gründe gleich gewichtet werden können. 39 Zusammenfassung 1. Bewusstseinsinhalte ändern sich ununterbrochen. 2. Bewusstseinszustände sind ebenfalls dynamisch, ihr Grundmuster bleibt über weite Strecken dasselbe, ihre Grenzbereiche sind meist fliessend. 3. Es gibt VWB, die sich auf verschiedenen Ebenen positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken können. 4. Die Mittel zur Erreichung eines VWB sind auf - der Körperebene, - der Wahrnehmungsebene und - auf Transpersonaler Ebene angesiedelt und wirken von aussen oder von innen. Auch wenn es weder explizites Ziel noch Auftrag der Erlebnispädagogik ist, spirituelle Erfahrungen zu ermöglichen, erzählen Menschen doch immer wieder von solchen. (Habiba, S.187) 5. Die Erfahrungen in VWB sind - ästhetischer - psychodynamischer - perinataler oder - transpersonaler Natur. 6. Die drei Kontinua Samadhi Ekstase Antriebslosigkeit übermässiger Antrieb und Trance kosmisches Bewusstsein umfassen drei Hauptaspekte zur Einordnung von VWB. Sie bilden als Achsen einen Würfel, in dessen Mitte das Alltagsbewusstsein eingebettet ist. 7. Der Systemischen Erlebnispädagogik nahe stehende VWB sind (nicht abschliessend) - Grenzerfahrungen - Gipfelerfahrungen - Flow - Lösungs- und Problemtrance - Tranceähnliche und meditative Zustände - Inspirationsphase schöpferischer Prozesse - Das Tagträumen - Waking entranced 8. Die Gründe für die VWB in der Systemischen Erlebnispädagogik sind vielfältig. - Auf der Körperebene wird ausschliesslich mit dem Körper selbst und nicht über fremde Substanzen gearbeitet. - Auf der Wahrnehmungsebene ballen sich die meisten Auslöser für VWB - Auf der transpersonalen Ebene bilden die phänomenologische Wahrnehmung und das 40 Provozieren archetypischer Erfahrungen einen Schwerpunkt. Spirituelle Erfahrungen werden nicht als Ziel, sondern als Geschenk betrachtet. Du musst allein sein, um dein Innerstes zu sehen. Das was in uns allen wohnt. (Blueberry) Aber wer durch die Tür in der Mauer zurückkommt, wird nie wieder ganz derselbe Mensch sein, der durch sie hinausging. Er wird weiser sein, aber weniger selbstsicher, glücklicher, aber weniger selbstzufrieden, demütiger im Eingeständnis seiner Unwissenheit und doch besser ausgerüstet, die Beziehung zwischen Worten und Dingen, zwischen systematischem vernunftgemässem Denken und dem unergründlichen Geheimnis zu verstehen, das er mit eben jener Vernunft ewig vergeblich zu begreifen versucht. (Huxley, S.61f) 41