Multiple Sklerose

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Multiple Sklerose
Ein Engagement der betapharm
Multiple Sklerose
Multiple Sklerose
Gesundheit ist unser Ziel!
betaCare-Wissenssystem
Soziallexikon
Die größte Suchmaschine für Sozialfragen im Gesundheitswesen in Deutschland.
4.800 Stichwörter helfen gezielt, soziale, rechtliche und finanzielle Fragen einfach und verständlich zu beantworten.
Finden Sie z.B. Antworten auf folgende Fragen:
– Wie ist die Zuzahlung bei Arzneimitteln geregelt?
– Wie bekomme ich einen Schwerbehindertenausweis?
– Welche Vorsorge kann ich treffen, für den Fall,
dass ich nicht mehr selbst entscheiden kann?
Patientenratgeber
Die Broschüren bieten gebündelt und verständlich sozialrechtliche und psychosoziale
Informationen zur folgenden Themen und Krankheiten:
–Behinderung & Soziales
–Brustkrebs & Soziales
–Demenz & Soziales
–Depression & Soziales
–Epilepsie & Soziales
–Migräne & Soziales
– Multiple Sklerose & Soziales
– Osteoporose & Soziales
– Patientenvorsorge
– Pflege
– Psychosen, Schizophrenie & Soziales
– Schmerz & Soziales
Patientenfilme
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Zu Asthma, Brustkrebs, Darmkrebs, Demenz, Depression, Diabetes,
Osteoporose, Rheuma, Schlaganfall.
Die Initiative „betaCare – Verbesserung der Patientenversorgung und Prävention“
wird gefördert durch die betapharm Arzneimittel GmbH,
ein Generika-Unternehmen mit hochwertigen und
preiswerten Qualitätsarzneimitteln.
www.betaCare.de
Michael Ewers
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Diagnose „Multiple Sklerose“ löst bei Betroffenen gleichermaßen Erschrecken
und Angst aus. Wichtig ist daher, den Überblick in unserem Gesundheitssystem zu
behalten und die Leistungsangebote sowie seine Ansprüche zu kennen.
betapharm setzt sich seit Jahren aktiv für eine verbesserte Versorgungsqualität im
Gesundheitswesen ein. Aus diesem Engagement hat sich betaCare – das Wissens­
system für Krankheit & Soziales – entwickelt, welches Antworten auf alle sozialen
Fragen rund um eine Krankheit bietet.
Der vorliegende betaCare-Ratgeber „Multiple Sklerose & Soziales“ informiert Sie
daher umfassend zu Themen wie Rehabilitationsmöglichkeiten, Pflege, Umgang mit
der Erkrankung im Alltag und Patientenvorsorge.
Impressum
Herausgeber und Redaktion
beta Institut gemeinnützige GmbH
Institut für angewandtes Gesundheitsmanagement,
Entwicklung und Forschung in der Sozialmedizin
Geschäftsführer: Michael Ewers
Kobelweg 95, 86156 Augsburg
Telefon 0821 45054-0,
Telefax 0821 45054-9100
E-Mail: info@beta-institut.de
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Text
Ines Grocki
Mit herzlichen Grüßen,
Layout und Gestaltung
Manuela Mahl
Michael Ewers
Autoren und Herausgeber übernehmen keine Haftung
für die Angaben in diesem Werk.
Geschäftsführer betapharm & beta Institut
Alle Bausteine des betaCare-Wissenssystems mit seinen vielfältigen Inhalten
finden Sie unter www.betaCare.de.
Mehr über das soziale Engagement und die Produkte der
betapharm Arzneimittel GmbH finden Sie unter www.betapharm.de.
Alle Rechte vorbehalten
© 2013
Copyright beta Institut gemeinnützige GmbH
Der Ratgeber einschließlich all seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes
ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen
und die Reproduzierung, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen
Systemen oder Daten­verarbeitungsanlagen.
2. Auflage Juli 2013
Schutzgebühr 5,90 Euro
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung________________________ 2
Die Erkrankung_______________________ 3
Krankheitsbild________________________ 4
Diagnose____________________________ 7
Behandlung__________________________ 9
Medikamentöse Behandlung____________ 10
Heilmittel___________________________ 10
Ergotherapie________________________ 12
Physiotherapie_______________________ 12
Logopädie__________________________ 13
Alternative Behandlungen______________ 14
Berufstätigkeit/Arbeit_________________ 15
Arbeitsunfähigkeit____________________ 16
Entgeltfortzahlung___________________ 18
Krankengeld_________________________ 19
Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit___ 26
Minijobs/Geringfügige Beschäftigung_____ 28
Arbeitslosengeld_____________________ 31
Arbeitslosengeld II und Sozialgeld________ 34
Rehabilitation________________________ 35
Bereiche der Rehabilitation_____________ 36
Zuständigkeit________________________ 36
Medizinische Rehabilitation_____________ 38
Anschlussheilbehandlung______________ 41
Stufenweise Wiedereingliederung________ 43
Berufliche Rehabilitation/Teilhabe
am Arbeitsleben______________________ 44
Übergangsgeld_______________________ 47
Reha-Sport und Funktionstraining_______ 49
Zuzahlungen in der gesetzlichen
Krankenversicherung__________________ 53
Übersicht über Zuzahlungen____________ 54
Zuzahlungsbefreiung bei Erreichen
der Belastungsgrenze__________________ 56
Zuzahlungsbefreiung für chronisch Kranke_ 60
Schwerbehinderung___________________ 63
Grad der Behinderung_________________ 64
Gleichstellung behindert/schwerbehindert_ 65
Schwerbehindertenausweis_____________ 66
GdB-abhängige Nachteilsausgleiche______ 68
Merkzeichenabhängige Nachteils­ausgleiche__________________________ 70
Rente_______________________________ 73
Erwerbsminderungsrente_______________ 74
Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung____________________ 77
Altersrente für Schwerbehinderte________ 79
Pflege______________________________
Pflegebedürftigkeit___________________
Leistungen der Pflegeversicherung_______
Antrag auf Pflegeleistungen____________
Pflegestufen der Pflegeversicherung______
Pflegehilfsmittel_____________________
81
82
83
84
86
89
Alltag und Familie____________________ 93
Partnerschaft________________________ 94
Kinder von Eltern mit MS______________ 94
Sexualität___________________________ 95
Kinderwunsch mit MS_________________ 97
Haushaltshilfe_______________________ 98
Häusliche Krankenpflege______________ 101
Wohnumfeldverbesserung_____________ 104
Depressionen_______________________ 106
Psychotherapie______________________ 107
Chronische Müdigkeit – Fatigue________ 109
Urlaub_____________________________ 113
Reiseplanung________________________114
Medikamente________________________114
Reiserücktrittversicherung______________115
Auslandsreisekrankenversicherung_______116
Sport______________________________ 117
Ernährung__________________________ 119
Patientenvorsorge___________________ 121
Adressen___________________________ 125
Anhang____________________________ 127
Impressum__________________________ 129
1
Vorbemerkung
Multiple Sklerose (MS) wird auch die „Krankheit mit den 1.000
Gesichtern“ genannt, da sowohl der Verlauf der Krankheit als
auch die Beschwerden sehr unterschiedlich und nicht vorhersehbar sind. Viele Fragen zur Erkrankung, wie die nach den
Ursachen, sind noch nicht gänzlich geklärt.
Dieser Ratgeber ist in erster Linie für Patienten geschrieben, bei
denen eine Multiple Sklerose bereits diagnostiziert wurde. Dabei
ist den Autoren bewusst, dass es schwierig ist, allgemeingültige
Aussagen zu MS zu treffen.
Weil die jeweilige Situation der Betroffenen so individuell
ist, wird es zwangsläufig so sein, dass nicht alle Kapitel dieser
Broschüre für jeden von Bedeutung sind. Jeder MS-Erkrankte
braucht andere Hilfen. Die Auswahl der Themen richtet sich
danach, welche Fragen erfahrungsgemäß bei Menschen mit MS
aufkommen können und welche sozialversicherungsrechtlichen
Leistungen häufig von Bedeutung sind.
Als chronische Erkrankung beeinflusst MS den Alltag und die
weitere Lebensplanung entscheidend. Das Wissen über die
sozialen Auswirkungen der Erkrankung und über Möglichkeiten,
den Alltag mit MS zu gestalten, kann helfen Sicherheit und
Orientierung zu gewinnen.
Aus medizinisch-therapeutischer Sicht gibt dieser Ratgeber
nur einen kurzen Überblick – im Kern informiert er wie alle
betaCare-Ratgeber zu sozialrechtlichen und psychosozialen
Themen.
Betroffene und Angehörige sollten sich bewusst machen,
dass im Sozialrecht Formalitäten wie Anträge und Fristen
schwerwiegende Auswirkungen auf mögliche (finanzielle)
Leistungen und den Versicherungsschutz haben können.
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Die Erkrankung
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Krankheitsbild
Multiple Sklerose (MS) ist eine entzündliche Erkrankung des
Nervensystems. Das Gehirn sendet Signale über das Rückenmark an den Körper. Verschiedene Nervenfasern leiten diese
Signale. Ähnlich wie bei Elektrokabeln sind diese Fasern von
einer Schutz- bzw. Isolierschicht umgeben, dem Stoff Myelin.
Entzündungsherde
Bei MS entstehen Entzündungsherde im Bereich dieser Schutzschichten und die Übertragung von Signalen wird behindert
oder blockiert, so dass es z. B. zu vermehrtem Stolpern oder
Sehstörungen kommen kann. Zudem häufig vorkommende
Symptome sind Müdigkeit, Schwäche, Nervenschmerzen und
Gefühlsstörungen der Haut, die oft schubartig auftreten.
Alter
Das Haupterkrankungsalter für Multiple Sklerose liegt zwischen
20 und 40 Jahren. MS kann in seltenen Fällen aber auch bei
Jugendlichen und Senioren auftreten. Die meisten Betroffenen
erkranken um das 30. Lebensjahr herum. Frauen erkranken mit
einer etwa 2- bis 3mal höheren Wahrscheinlichkeit als Männer.
Häufigkeit
Weltweit sind, Schätzungen zufolge, ca. 2 Millionen Menschen
von MS betroffen. In Deutschland leben derzeit mindestens
120.000 Menschen mit einer MS-Erkrankung.
Verteilung
Die Verteilung auf der Welt ist sehr unterschiedlich.
Mit der geographischen Entfernung vom Äquator steigt die
Erkrankungshäufigkeit an. Die Ursachen dafür sind noch nicht
gänzlich geklärt.
Die auffällige Verteilung hat allerdings zunehmend die
Bedeutung von Vitamin D in das wissenschaftliche Blickfeld
gerückt. Näheres ist in einer Leitlinie der Deutschen Gesellschaft
für Neurologie (DGN) und des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS) zu finden.
Folgt man dieser DGN/KKNMS-Leitlinie zur Diagnose und
Therapie der Multiplen Sklerose (Stand: 27.06.2012), herrscht
in Regionen mit niedrigem MS-Auftreten „eine hohe Intensität
der Sonnenstrahlung, die zu starker Vitamin-D-Bildung in der
Haut führt. Die immunregulatorische Rolle von Vitamin D könnte
(…) ein Kofaktor für die Krankheits­manifestation sein. (…).
Zurzeit laufen mehrere prospektive Studien zur Vitamin-DSubstitution bei MS-Patienten an.“
4
Bei MS kommt es durch die Auflösung und Zerstörung der
Markscheiden der Nervenfasern (Myelin) zu einer Störung der
Zusammenarbeit von Nerven- und Körperzellen. Da sich diese
Markscheiden an den unterschiedlichsten Stellen des zentralen
Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) befinden, können
die unterschiedlichsten neurologischen Ausfallerscheinungen
auftreten.
Symptome
Häufig auftretende Symptome sind:
• Müdigkeit (Fatigue)
•Sehstörungen
• Nervenstörungen wie Kribbeln oder Taubheitsgefühlen
•Lähmungserscheinungen
•Blasenentleerungsstörungen
Diese Ausfallerscheinungen können nur kurzfristig anhalten und
dann wieder vollkommen zurückgehen, oder sie bleiben lang­
fristig. Das Auftreten eines oder mehrerer Entzündungsherde
im Nervensystem nennt man „Schub“. Ein Schub entwickelt sich
in mehreren Stunden oder Tagen und kann auch wieder voll­
kommen abklingen. Die neurologischen Fähigkeiten können
dann wieder vollkommen hergestellt sein.
Schub
MS verläuft von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Sowohl
die Auswirkungen und bleibenden Behinderungen nach einem
Schub als auch der zeitliche Verlauf sind äußerst verschieden.
Verlauf
Nur wenige Patienten haben eine so schwere Verlaufsform, dass
sie innerhalb von wenigen Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen
sind. Der Großteil der Erkrankungen verläuft schubförmig und
geht später in einen progredienten (fortschreitenden) Verlauf
über.
Man unterscheidet bei MS zwischen 3 charakteristischen
Verlaufsformen:
1.Schubförmiger Verlauf (rezidivierend-remittierend)
Der Krankheitsverlauf ist bei den meisten Patienten nicht
gleichförmig, sondern erfolgt in Schüben. Die Symptome
können sich zwischen den Schüben teilweise oder auch
komplett wieder zurückbilden, in der Regel nach 6 bis
8 Wochen. Das heißt, der Patient kann zwischen zwei Schüben
auch komplett beschwerdefrei sein. Die Schübe können über
mehrere Jahre in sehr unregelmäßigen Zeitabständen auf­
treten. Bei etwa 80 % der MS-Patienten beginnt die
Erkrankung mit einem solchen schubförmigen Verlauf.
5
2.Späterer fortschreitender Verlauf (sekundär progredient)
Der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft zufolge geht
bei 30–40 % der Erkrankten der schubförmige Verlauf nach
einer Zeit von 10 bis 15 Jahren in einen sekundären progredienten Verlauf über. Das heißt, dass die körperlichen Beeinträchtigungen zwischen den Schüben bestehen bleiben bzw.
zunehmen. Es kommt zu keinen Rückbildungen mehr. Dabei
werden die Schübe weniger oder können ganz ausbleiben.
Die Symptome verschlechtern sich kontinuierlich.
3.Fortschreitender Verlauf von Beginn an
(primär progredient)
Nur bei etwa 10–15 % der Erkrankten verläuft MS primär
progredient. Bei dieser Verlaufsform treten keine Schübe auf;
die Symptome und Beschwerden entwickeln sich von Beginn
an ohne Rückbildungen und schreiten stetig voran. Von
diesem Krankheitsverlauf sind Männer etwa genauso oft
betroffen wie Frauen. Diese Verlaufsform beginnt typischerweise im Alter von etwa 30–40 Jahren.
Ursachen
Um die Ursachen für MS zu ermitteln, wird weltweit intensiv
geforscht. Derzeit wird angenommen, dass der Erkrankung ein
Zusammenwirken mehrerer Faktoren zu Grunde liegt.
Das Immunsystem schützt im Normalfall vor Krankheitserregern,
indem es diese unschädlich macht, wenn sie in den Körper
eindringen. Es spricht viel dafür, dass es sich bei MS um eine
Autoimmunerkrankung handelt, bei der das Immunsystem
infolge einer falschen Programmierung die Schutzhüllen der
eigenen Nervenfasern angreift.
Es wird vermutet, dass mehrere Bedingungen zusammenkommen
müssen, damit die MS-Erkrankung ausgelöst wird. So könnten
z. B. Umwelteinflüsse wie Infektionen, aber auch genetische
Faktoren eine Rolle spielen. Das heißt jedoch nicht, dass es eine
direkte Vererbung der Erkrankung gibt; vererbt wird eher ein
Risiko, die Erkrankung möglicherweise zu bekommen.
Praxistipp!
Der Bundesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft
(DMSG) hat Apps für Smartphones entwickelt, welche die
Betroffenen dabei unterstützen sollen, ein MS-Tagebuch zu
führen, unabhängig davon, an welchem Ort sie gerade sind. Die
App „MS Tagebuch“ gibt es als IOS-Version (App Store) und als
Android-Version (Google Play). Die DMGS beschreibt: „Mithilfe
der Tagebuch-App lassen sich z. B. Symptome beschreiben, man
kann sich an die Medikamenteneinnahme erinnern lassen
und die App zur Besprechung mit dem Arzt nutzen. Alle
protokollierten Werte werden auch grafisch dargestellt.“
6
Diagnose
Auch für einen erfahrenen Arzt kann es mitunter schwierig
sein, MS eindeutig zu diagnostizieren, besonders, wenn
es um eine exakte Einordnung von Krankheitszeichen im
Frühstadium geht. Es kann Wochen, Monate, bisweilen
sogar Jahre dauern, bis eine Diagnose feststeht.
Die Diagnosestellung bei Multiple Sklerose gleicht einem Puzzle.
Je mehr Teile zusammenpassen, desto sicherer wird die Aussage.
Ärzte können mithilfe von Diagnosekriterien die Erkrankung
„einkreisen“. Die Diagnose MS wird heute nach einheitlichen
Diagnosekriterien der Multiplen Sklerose gestellt.
Ein Hauptkriterium der MS-Diagnose ist der Nachweis einer
räumlichen und zeitlichen Streuung (Dissemination) von
Entzündungsherden.
•Räumliche Dissemination
Es liegen an mehr als einer Stelle im zentralen Nervensystem
Entzündungsherde vor.
•Zeitliche Dissemination
Im Verlauf der Erkrankung kommen neue Herde hinzu,
die zu klinischen Symptomen führen können.
Sowohl die räumliche als auch die zeitliche Dissemination sind
typisch für Multiple Sklerose. Es ist allerdings auch möglich, dass
eine andere Erkrankung als Ursache zugrunde liegt.
Klinische Diagnosekriterien
Eine Magnetresonanztomographie (MRT) bzw. Kernspintomographie erstellt Schichtbilder des Gehirns und des Rückenmarks,
die entzündete und vernarbte Gewebebereiche sichtbar machen.
Akute Krankheitsherde können durch ein Kontrastmittel dar­
gestellt und nachgewiesen werden. Eine MRT kann sowohl die
räumliche als auch die zeitliche Dissemination veranschaulichen.
Für den Nachweis einer zeitlichen Dissemination müssen in der
Regel nach einem Zeitraum von mindestens 3 Monaten nach
dem klinischen Erstereignis neue Entzündungsherde nach­
gewiesen werden.
Magnetresonanztomografie
(MRT)
Die MRT-Bildgebung ist ein wesentlicher Bestandteil der
Diagnose. In bestimmten Fällen kann jedoch auch ohne sie
eine Diagnose erfolgen.
Eine MS-Erkrankung allein durch eine MRT festzustellen,
ist nicht möglich.
7
8
Laborchemische
Untersuchung des Liquor
Die Untersuchung des Liquor, einer im zentralen Nervensystem
(Gehirn und Rückenmark) vorkommenden Körperflüssigkeit,
kann weitere Anhaltspunkte für eine Diagnose geben.
Liegt eine MS-Erkrankung vor, finden sich im Liquor häufig
vermehrt Entzündungszellen und es kann eine Produktion von
Antikörpern beobachtet werden. Solche Befunde sind typisch für
MS, können das Vorliegen der Erkrankung aber nicht beweisen.
Evozierte Potenziale
Durch elektrophysiologische Untersuchungen (evozierte
Potentiale) kann die Geschwindigkeit gemessen werden, mit der
sicht-, hör- und fühlbare Reize aufgenommen und zur jeweiligen
reizverarbeitenden Region im Gehirn weitergeleitet werden.
Diese Untersuchungen führen Arztpraxen oder Kliniken durch.
Differenzialdiagnose
Die Differenzialdiagnostik grenzt MS gegenüber anderen
Erkrankungen ab. Sowohl Infektionskrankheiten, andere
chronisch-entzündliche oder entzündlich-demyelinisierende
Krankheiten, Erkrankungen des Stoffwechsels, ein Mangel
an Vitamin B12 als auch psychische Beschwerden müssen
als Ursache für die Symptome ausgeschlossen werden. Die
Differenzialdiagnostik erfolgt häufig durch Blutuntersuchungen.
Behandlung
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Medikamentöse Behandlung
Die Behandlungsmöglichkeiten von MS haben sich in den
letzten Jahren stark verbessert. Von zentraler Bedeutung
ist die Behandlung mit Medikamenten. Es gibt verschiedene
Medikamente, die Schübe verzögern und die Entzündungen
eindämmen.
Die Behandlung muss individuell eingestellt werden, da die
Krankheitsverläufe sich stark unterscheiden. Wichtig ist eine
enge Zusammenarbeit zwischen Patient und Neurologe.
Bei der medikamentösen Behandlung von MS gibt es
verschiedene Ansatzpunkte.
Akute
Schubbehandlung
Verlaufsmodifizierende
Behandlung
Symptomatische
Behandlung
Schubregulierende Medikamente wie Cortison können die
Auswirkungen eines akuten Schubs verbessern. Cortison wirkt
entzündungshemmend und kann eine schnelle Rückbildung der
Symptome bewirken.
Immunregulierende Medikamente wie Beta-Interferone oder
Glatirameracetat können die Schubrate verringern und das
Fortschreiten der Erkrankung verzögern. Sie werden in der
Regel als Basisbehandlung eingesetzt.
Die Symptome sind von Patient zu Patient sehr unterschiedlich.
Einige Patienten leiden unter Blasenstörungen oder unter
Depressionen. Für die Behandlung der entsprechenden
Symptome können weitere Medikamente erforderlich sein.
Heilmittel
Heilmittel wirken mit dem Ziel der Krankheitsbekämpfung
überwiegend äußerlich auf den menschlichen Organismus
ein. Abhängig von den Beschwerden können verschiedene
Heilmittel bei MS helfen, z. B. Physiotherapie, Ergotherapie
oder Logopädie.
Verordnung
10
Heilmittel werden vom Haus- oder Facharzt verordnet.
Die Kosten werden in den meisten Fällen von der Krankenkasse
übernommen. In der Regel werden bei einer Erstverordnung
10 Einheiten für eine bestimmte Maßnahme von der Kranken­
kasse erstattet. Eine Folgeverordnung ist möglich.
Innerhalb der Heilmittelrichtlinien regelt der sogenannte
Heilmittelkatalog die jeweiligen Indikationen zu den einzelnen
Heilmittelmaßnahmen wie der physikalischen, der Stimm-,
Sprech-, der Sprach- oder der Ergotherapie.
Multiple Sklerose ist als Indikation für diese Maßnahmen
im Heilmittelkatalog enthalten. Die Heilmittelrichtlinien und
den Heilmittelkatalog können Sie unter www.g-ba.de >
Informations-Archiv > Richtlinien downloaden.
Heilmittelkatalog
Praxistipp!
Einige Krankenkassen weichen durch individuelle Satzungs­
leistungen vom gesetzlichen Grundanspruch zu Gunsten ihrer
Versicherten ab und übernehmen freiwillig die Kosten für Heilmittel, die nicht im Heilmittelkatalog aufgeführt sind. Dies ist
individuell mit der zuständigen Krankenkasse zu klären.
Gesetzlich Versicherte mit langfristigem Behandlungsbedarf
im Sinne einer besonderen Schwere und Langfristigkeit der
funktionellen bzw. strukturellen Schädigungen, der Beein­
trächtigungen der Aktivitäten und des nachvollziehbaren
Behandlungsbedarfs können bei ihrer Krankenkasse einen
Antrag stellen, die erforderlichen Heilmittel für einen längeren
Zeitraum als es die Regel-Einheiten vorsehen, zu genehmigen.
Diese Genehmigung kann zeitlich befristet werden, soll aber
mindestens ein Jahr umfassen.
Die Krankenkasse hat über den Antrag innerhalb von 4 Wochen
zu entscheiden, andernfalls gilt die Genehmigung nach Ablauf
der Frist als erteilt.
Antrag auf Genehmigung für
längeren Zeitraum
Gesetzlich Krankenversicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet
haben, zahlen 10 % der Kosten plus 10,– ! je Verordnung zu,
auch bei Massagen, Bädern und Krankengymnastik als Bestandteil der ärztlichen bzw. ambulanten Behandlung.
Näheres zur Zuzahlungsbefreiung finden Sie auf S. 56.
Zuzahlung
Die Verordnung von Heilmitteln außerhalb der Praxis des
Therapeuten, insbesondere in Form eines Hausbesuchs, ist
ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn der Patient aus
medizinischen Gründen den Therapeuten nicht aufsuchen kann
bzw. wenn der Hausbesuch aus medizinischen Gründen zwingend
notwendig ist. Der verordnende Arzt muss auf der Verordnung
„Hausbesuch“ ankreuzen.
Therapiebesuch zu Hause
11
Ergotherapie
Durch Ergotherapie können MS-Erkrankte üben, ihren
Körper zu steuern, damit sie den größtmöglichen Grad an
Selbstständigkeit erhalten. So kann der Betroffene lernen,
weniger anstrengende Bewegungen zu verinnerlichen,
ungünstige Körperhaltungen zu vermeiden oder entstandene
Behinderungen durch neue Bewegungsabläufe auszugleichen.
Bei Gedächtnis- und Konzentrationsverlust infolge MS können
spezielle Übungen die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern.
Falls erforderlich, trainiert Ergotherapie auch den Umgang mit
Hilfsmitteln, die den Alltag erleichtern. Der Ergotherapeut kann
solche Hilfsmittel verordnen und individuell anpassen.
Wenn möglich, soll die Ergotherapie auch zur Wiedererlangung
oder zum Erhalt der beruflichen Leistungsfähigkeit beitragen.
Zum Spektrum gehört deshalb auch das Arbeitsplatztraining.
Dies kann im Einzelfall ergonomisches Arbeiten oder eine
Beratung über die Anpassung des Arbeitsplatzes sein.
Physiotherapie
Entgegen früheren Annahmen schadet Bewegung in
angemessenem Maße MS-Erkrankten nicht, sondern ist
sogar sehr hilfreich.
Physiotherapie (Krankengymnastik) kann bei MS eine tragende
Rolle spielen, um die körperliche Leistungsfähigkeit zu erhalten
oder zu verbessern und die Belastbarkeit im Alltag zu erhöhen.
Eine zielgerichtete Behandlung fördert Kraft und Koordination
sowie Stand-, Gang- und Handfunktionen. Physiotherapeutische
Übungen vermindern Spastik und Schmerzen, verbessern Gleichgewicht und Bewegungsabläufe. Beckenbodengymnastik kann
beispielsweise zur Regulierung von Blasenstörungen beitragen.
12
Logopädie
Logopädie (Sprachtherapie) umfasst im Erwachsenenalter vor
allem Maßnahmen zu Verbesserung von Stimm-, Sprach-,
Sprech- und Schluckstörungen.
Eine logopädische Behandlung ist insbesondere bei
folgenden Störungsbildern im Erwachsenenalter indiziert:
• Neurologisch bedingte Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen
• Myofunktionelle Störungen, muskuläre Beeinträchtigungen
des Mund- und Gesichtsbereichs
• Organisch und funktionell bedingte Dysphonien (Stimm­
störungen)
• Dyslalien (Aussprachestörungen)
Durch MS können einzelne oder mehrere Phasen des Schluckens
gestört sein. Das Schlucken von Flüssigkeit oder fester Nahrung
ist ein weitaus komplexerer Vorgang, als man zunächst meinen
mag. 25 Muskeln sind daran beteiligt. Es kann insbesondere zu
wiederholten Hustenanfällen kommen, zu vermehrtem Speichelfluss, zum Zurückfließen von Nahrung in die Nase oder zu einem
Fremdkörpergefühl nach dem Schlucken.
Therapie bei
Schluckstörungen
Aufgabe der Behandlung von Schluckstörungen (Dysphagien)
ist es, den normalen Schluckablauf wiederherzustellen. Der
Patient wird in der Therapie angeleitet, selbstständig Nahrung
auf­zunehmen. Die Nahrungsaufnahme muss so gesichert sein,
dass der Patient sich nicht verschluckt, weil er sonst eventuell
eine Lungenentzündung aufgrund eingeatmeter Fremdkörper
(Aspirationspneumonie) entwickelt.
Bei MS-Patienten sollte der normale Schluckakt angebahnt
werden. Meist besteht eine Beeinträchtigung der Sensibilität im
Schlucktrakt, d. h.: Der Patient spürt nicht wenn Nahrungsreste
auf den Stimmlippen liegen.
13
Alternative Behandlungen
Viele MS-Patienten suchen nach alternativen Therapie­
möglichkeiten, weil sie z. B. unter den Nebenwirkungen der
Medikamente leiden oder weil sie schulmedizinische Maßnahmen unterstützen wollen.
Alternative Behandlungen bei MS sind sehr unterschiedlich
zu bewerten. Einige Maßnahmen sind trotz fehlender wissenschaftlicher Belege hilfreich, andere sind wirkungslos oder sogar
gefährlich.
Bevor eine alternative Behandlung begonnen wird, sollte der
Betroffene in jedem Fall mit dem behandelnden Arzt sprechen
und ihn einbeziehen.
Insbesondere folgende Aspekte sollten bedacht werden:
• Alternative Behandlungen werden häufig nicht von der
Krankenkasse bezahlt und können mit hohen Kosten
verbunden sein.
• Manche alternative Behandlungen (z. B. eine Aktivierung
der Immunreaktion) sind für den Betroffenen gefährlich.
• Der Patient sollte in keinem Fall die schulmedizinische
Behandlung wegen einer alternativen Therapie abbrechen.
• Ungefährliche zusätzliche alternative Maßnahmen (z. B.
Entspannungstechniken) können sinnvoll sein.
Praxistipp!
Eine Übersicht über Entspannungsverfahren und alternative
Therapien finden Sie unter www.amsel.de > Multiple Sklerose >
MS behandeln.
14
©Udo Kroener_fotolia.com
Berufstätigkeit/Arbeit
15
Arbeitsunfähigkeit
Wer seinen Beruf aufgrund von Krankheit oder Unfall nicht
oder nur unter Gefahr der Verschlimmerung des Zustands
weiter ausüben kann, gilt als arbeitsunfähig.
Definition „Arbeitsunfähigkeit“:
Arbeitsunfähigkeit (AU) ist ein durch Krankheit oder Unfall
hervorgerufener regelwidriger Körper- oder Geisteszustand,
aufgrund dessen der in der Kranken- und Unfallversicherung
Versicherte seine bisherige Erwerbstätigkeit nicht oder nur
unter Gefahr der Verschlimmerung des Zustands weiter
ausüben kann.
Die AU ist Voraussetzung für Entgeltfortzahlung und Krankengeld oder Verletztengeld.
Arbeitsunfähigkeit: Welche Hilfen greifen wann?
Nachfolgend eine vereinfachte grafische Darstellung,
welche Hilfen greifen (können), wenn ein Arbeitnehmer längere Zeit arbeitsunfähig ist.
Arbeitsunfähigkeit (Krankmeldung)
Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber
(in der Regel 6 Wochen) – Seite 18
Krankengeld von der Krankenkasse
(bis max. 78 Wochen) – Seite 19
Aussteuerung aus der Krankenkasse – Seite 25
Rente
wegen Erwerbsminderung
Seite 74
16
Arbeitslosengeld
bei Arbeitsunfähigkeit
Seite 26
Medizinische Rehabilitation
Seite 38
Berufliche Reha – Seite 44
Übergangsgeld – Seite 47
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen, eine telefonische Mitteilung genügt.
Dauert die AU länger als 3 Kalendertage, muss der Arbeitnehmer
eine ärztliche Bescheinigung über die AU und die voraus­
sichtliche Dauer spätestens am darauf folgenden Arbeitstag
vorlegen (§ 5 EntgeltfortzahlungsG). Es kann aber im Arbeits­
vertrag festgelegt sein, dass die AU-Bescheinigung bereits am
ersten Tag der Erkrankung vorzulegen ist.
Mitteilungspflicht
Der behandelnde Arzt stellt eine AU-Bescheinigung in
doppelter Ausfertigung aus, die der Patient unverzüglich
weiterleitet:
• Das Original (mit Diagnose) geht an die Krankenkasse.
• Der Durchschlag (ohne Diagnose) geht an den Arbeitgeber.
Inhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Die AU-Bescheinigung(en) des Arztes muss/müssen vom ersten
Tag der Erkrankung an lückenlos sein.
Die AU-Bescheinigung gilt als Nachweis der AU. Sowohl
Arbeitgeber als auch Krankenkasse sind zunächst an die AUBescheinigung gebunden. Bestehen Zweifel an der AU, hat die
Krankenkasse die Möglichkeit, den Medizinischen Dienst der
Krankenversicherung (MDK) einzuschalten. Auch der Arbeitgeber
kann sich bei Zweifeln an die Krankenkasse wenden, damit diese
den MDK einschaltet.
Ab der 7. Krankheitswoche übersendet die Krankenkasse dem
Arbeitgeber eine Verdienstbescheinigung, in welche dieser die
für die Berechnung des Krankengelds notwendigen Angaben
einträgt. Außerdem erhält der Arbeitnehmer von der Krankenkasse einen sogenannten Auszahlschein, auf dem der Arzt das
Fortbestehen der AU bestätigt.
AU länger als 6 Wochen
Bei AU-Bescheinigungen ausländischer Ärzte kann die Krankenkasse den MDK heranziehen. Die Krankenkasse ist jedoch an die
Feststellung der AU-Bescheinigung durch den Versicherungs­
träger eines EU-Landes gebunden, wenn die Krankenkasse
nicht von der Möglichkeit Gebrauch macht, den Versicherten
(in dessen Wohnland) von einem Arzt ihrer Wahl untersuchen
zu lassen.
AU im Ausland
17
Entgeltfortzahlung
Die Entgeltfortzahlung ist eine arbeitsrechtliche Regelung,
keine Leistung der Sozialversicherung, und im Entgeltfortzahlungsgesetz geregelt. Die meisten Arbeitnehmer erhalten
bei Arbeitsunfähigkeit 6 Wochen Entgeltfortzahlung.
Voraussetzung
Dauer
Entgeltfortzahlung erhalten alle Arbeitnehmer, auch gering­­­fügig Beschäftigte und Auszubildende, unabhängig von der
wöchentlichen Arbeitszeit, die ein ununterbrochenes Arbeits­
verhältnis von 4 Wochen haben.
Die gesetzliche Anspruchsdauer auf Entgeltfortzahlung beträgt
zwar 6 Wochen. Manche Tarif- oder Arbeitsverträge sehen
allerdings eine längere Leistungsdauer vor. Sie beginnt in der
Regel mit dem ersten Tag der Erkrankung. Erfolgt die Erkrankung
während der Arbeit, beginnt die Entgeltfortzahlung ab dem
nächsten Tag.
Im Anschluss an die Entgeltfortzahlung gibt es in der Regel
Krankengeld (siehe S. 19).
Jede Arbeitsunfähigkeit, die auf einer neuen Krankheit beruht,
führt in der Regel zu einem neuen Anspruch auf Entgeltfort­
zahlung; kommt es nach Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit zu
einer anderen Krankheit samt Arbeitsunfähigkeit, so beginnt
ein neuer Zeitraum der Entgeltfortzahlung von 6 Wochen. Falls
jedoch während einer Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit
auftritt, verlängern sich die 6 Wochen Entgeltfortzahlung nicht.
Wegen derselben Erkrankung besteht ein Entgeltfortzahlungsanspruch nur für insgesamt 6 Wochen. Ein erneuter Anspruch
besteht erst, wenn der Arbeitnehmer mindestens 6 Monate nicht
wegen derselben Erkrankung arbeitsunfähig war oder unab­
hängig von jener Frist von 6 Monaten, seit Beginn der ersten
Erkrankung 12 Monate verstrichen sind. Dieselbe Erkrankung
bedeutet, dass sie auf derselben Ursache und demselben Grundleiden beruht.
Höhe
18
Die Entgeltfortzahlung beträgt 100 % des bisherigen üblichen
Arbeitsentgelts. Berechnungsgrundlage ist das gesamte Arbeitsentgelt mit Zulagen.
Falls der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung mehr leistet und
die Krankenkasse noch nicht zahlt, keine Einkünfte oder kein
verfügbares Vermögen zur Verfügung stehen, ist es sinnvoll,
sich an das Sozialamt zu wenden, das dann mit der „Hilfe zum
Lebensunterhalt“ die Zeit überbrücken hilft.
Sozialhilfe
Wer hilft weiter?
Weitere Informationen erteilen die Arbeitgeber.
Krankengeld
Krankengeld erhalten versicherte Arbeitnehmer von der
Krankenkasse, wenn sie länger als 6 Wochen arbeitsunfähig
sind.
Das Krankengeld ist eine sogenannte Lohnersatzleistung, d. h. sie
wird nur gezahlt, wenn nach 6 Wochen kein Anspruch (mehr)
auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber (§ 3 Entgeltfort­
zahlungsgesetz) besteht.
Voraussetzungen
Weitere Voraussetzungen sind:
• Versicherteneigenschaft zum Zeitpunkt des Eintritts der
Arbeitsunfähigkeit.
• Arbeitsunfähigkeit aufgrund Krankheit oder stationäre Behandlung in Krankenhaus, Vorsorge- oder Reha-Einrichtung
auf Kosten der Krankenkasse.
Definition „stationär“:
Teil-, vor- und nachstationäre Behandlung genügt, wenn sie
den Versicherten daran hindert, seinen Lebensunterhalt durch
die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit zu bestreiten.
• Es handelt sich immer um dieselbe Krankheit bzw. um
eindeutige Folgeerkrankungen derselben Grunderkrankung.
Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit
auf, verlängert sich die Leistungsdauer dennoch nicht.
Bezieher von Arbeitslosengeld I erhalten ebenfalls unter diesen
Voraussetzungen Krankengeld.
19
Kein Anspruch
auf Krankengeld
Freiwillig Versicherte
Anspruch auf Krankengeld
Keinen Anspruch auf Krankengeld haben
• versicherungspflichtige Personen in Einrichtungen der
Jugendhilfe.
• Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie
zur Berufsfindung und Arbeitserprobung, die nicht nach dem
Bundesversorgungsgesetz erbracht werden; Ausnahme bei
Anspruch auf Übergangsgeld.
• Studenten (in der Regel bis zum Abschluss des 14. Fach­
semesters oder bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres).
•Praktikanten.
•Familienversicherte.
• Bezieher einer vollen Erwerbsminderungsrente, Erwerbs­
unfähigkeitsrente, einer Vollrente wegen Alters, eines Ruhe­
gehalts, eines versicherungspflichtigen Vorruhestandsgehalts.
• Bezieher von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld.
• Personen die infolge der Gesundheitsreform 2007 kranken­
versicherungspflichtig wurden (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V).
Hauptberuflich Selbstständige, die freiwillig in einer gesetzlichen
Krankenversicherung zum allgemeinen Beitragssatz von 15,5 %
versichert sind, haben einen Krankengeldanspruch ab der
7. Woche Arbeitsunfähigkeit. Alternativ können sie den
ermäßigten Beitragssatz von 14,9 % zahlen und einen Wahltarif
für das Krankengeld abschließen.
Angestellte, die aufgrund von Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze freiwillig versichert sind, erhalten ab der 7. Woche
Arbeitsunfähigkeit Krankengeld.
Anspruch auf Krankengeld entsteht
• bei Krankenhausbehandlung
mit der Aufnahme, also vom Beginn der Krankenhaus­
behandlung bzw. der Behandlung in Vorsorge- oder RehaEinrichtungen.
• bei Arbeitsunfähigkeit
mit dem auf die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit
folgenden Tag.
Praxistipp
Für einen Anspruch auf Krankengeld ist es wichtig, auf eine
lückenlose Attestierung durch den Arzt zu achten. Der Anspruch
entsteht erst einen Tag nach der ärztlichen Feststellung der
Arbeitsunfähigkeit. Spätestens am letzten Tag der Krank­
schreibung muss also beim Arzt ein neues Attest ausgestellt
werden. Auch das Wochenende zählt bei der Berechnung mit.
20
Ist das ärztliche Attest z. B. bis Freitag gültig, ist spätestens an
diesem Tag der Arzt aufzusuchen, ein Arztbesuch am Montag ist
bereits zu spät. Unter bestimmten Voraussetzungen, wie z. B. einer
Kündigung vom Arbeitgeber, kann der Anspruch auf Krankengeld
durch eine nicht lückenlose Attestierung verloren gehen.
Das Krankengeld beträgt
• 70 % des Arbeitsentgelts (sogenanntes Bruttoentgelt),
• maximal aber 90 % des Nettoarbeitsentgelts.
Bei der Berechnung werden auch die Einmalzahlungen in den
letzten 12 Monaten vor der Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt.
Höhe
Berechnungsbeispiel
Das Krankengeld wird kalendertäglich für 30 Tage je
Kalendermonat gezahlt.
Das folgende Berechnungsbeispiel enthält keine
regelmäßigen Zusatzleistungen.
Monatlich brutto 3.000,– e
3.000,– e : 30 für Kalendertag = 100,– e
davon 70 % = 70,– e
Monatlich netto 1.800,– e
1.800 : 30 für Kalendertag = 60,– e
davon 90 % = 54,– e
Folgt: Krankengeld beträgt brutto 54,– e täglich
Abgezogen vom Krankengeld werden Sozialversicherungs­
beiträge für die Arbeitslosen-, Pflege- und Rentenversicherung.
Die Krankenkasse übernimmt die Beiträge der Kranken­
versicherung und jeweils die Hälfte der drei genannten
Versicherungen. Damit ergibt sich in der Regel zusätzlich ein
Abzug von 12,43 % bei Krankengeldempfängern mit Kindern
bzw. von 12,68 % bei kinderlosen Empfängern.
Tarifverträge können vorsehen, dass der Arbeitnehmer für eine
gewisse Dauer, in der Regel abhängig von Betriebszugehörigkeit
und Lebensalter, einen Zuschuss zum Krankengeld vom Arbeit­
geber erhält.
Bei freiwillig Versicherten über der Beitragsbemessungsgrenze
wird nur das Arbeitsentgelt bis zur Höhe der kalendertäglichen
Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt. Das ist 2013 ein Betrag
von 131,25 e (= Beitragsbemessungsgrenze 47.250,– e : 360).
Da das Krankengeld 70 % dieses Arbeitsentgelts beträgt, kann
es maximal 91,88 e täglich betragen, abzüglich der oben
genannten Sozialversicherungsbeiträge.
Höchstbetrag
des Krankengeldes
21
Sonderregelung
bei Arbeitslosigkeit
Steuerfrei
Dauer
Bei Bezug von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosengeld bei
beruflicher Weiterbildung wird Krankengeld in Höhe dieser
Leistungen gezahlt.
Krankengeld ist steuerfrei. Allerdings ist es bei der Steuer­
erklärung anzugeben, da es bei der Berechnung des Steuer­­satzes berücksichtigt wird. Es unterliegt dem sogenannten
Progressionsvorbehalt.
Krankengeld gibt es wegen derselben Krankheit für eine
maximale Leistungsdauer von 78 Wochen (546 Kalendertage)
innerhalb von je 3 Jahren ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit.
Bei den 3 Jahren handelt es sich um die sogenannte Blockfrist.
Die Leistungsdauer verlängert sich nicht, wenn während der
Arbeitsunfähigkeit eine andere Krankheit hinzutritt. Es bleibt
bei maximal 78 Wochen.
Zeiten, in denen der Anspruch auf Krankengeld zwar theoretisch
besteht, aber tatsächlich ruht oder versagt wird (s. u.), werden
wie Bezugszeiten von Krankengeld angesehen (§ 48 Abs. 3
SGB V).
Beispiel
Der Arbeitgeber zahlt bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeit­
nehmers dessen Arbeitsentgelt bis zu 6 Wochen weiter
(§ 3 EntgeltfortzahlungsG), d. h.: Der Anspruch auf Krankengeld besteht zwar, aber er ruht (§ 49 Abs. 1 SGB V).
Erst danach gibt es Krankengeld. Die 6 Wochen Entgelt­
fortzahlung werden aber wie Krankengeld-Bezugszeiten
behandelt, so dass noch maximal 72 Wochen (78 Wochen
abzüglich 6 Wochen = 72 Wochen) Krankengeld gezahlt wird.
Blockfrist
22
Eine Blockfrist (= 3 Jahre) beginnt mit dem erstmaligen Eintritt
der Arbeitsunfähigkeit für die ihr zugrunde liegende Krankheit.
Bei jeder Arbeitsunfähigkeit wegen einer anderen Erkrankung
beginnt eine neue Blockfrist. Es ist möglich, dass mehrere Blockfristen nebeneinander laufen.
Nach Ablauf der Blockfrist (= 3 Jahre), in der der Versicherte
wegen derselben Krankheit Krankengeld für 78 Wochen
bezogen hat, entsteht ein erneuter Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Erkrankung unter folgenden
Voraussetzungen:
• erneute Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit,
• mindestens 6 Monate keine Arbeitsunfähigkeit wegen dieser
Krankheit und
• mindestens 6 Monate Erwerbstätigkeit oder der Arbeits­
vermittlung zur Verfügung stehend.
Erneuter Anspruch auf
Krankengeld wegen
derselben Krankheit
„Dieselbe Krankheit“ heißt:
identische Krankheitsursache. Es genügt, dass ein nicht
ausgeheiltes Grundleiden Krankheitsschübe bewirkt.
Praxistipp!
Zahlt der Arbeitgeber bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers
das Entgelt jedoch nicht weiter, obwohl hierauf ein Anspruch
nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz besteht, gewährt die
Krankenkasse bei Vorliegen der Voraussetzungen (siehe S. 19) das
Krankengeld, da das Krankengeld nur bei tatsächlichem Bezug
des Arbeitsentgelts ruht. Der Anspruch des versicherten Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung geht
dabei auf die Krankenkasse über. Auch hier ist auf eine lücken­
lose Attestierung zu achten (siehe S. 20)
Der Anspruch auf Krankengeld ruht
• bei Erhalt von (mehr als einmalig gezahltem) Arbeitsentgelt.
Das gilt besonders bei Entgeltfortzahlung (§ 3 Entgeltfort­
zahlungsgesetz) bis zu 6 Wochen.
• bei Inanspruchnahme von Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz bis zum 3. Geburtstag eines Kindes.
Dies gilt nicht, wenn die Arbeitsunfähigkeit vor Beginn der
Elternzeit eingetreten ist oder wenn das Krankengeld aus einer
versicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung während der
Elternzeit errechnet wird.
• bei Bezug von Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld,
Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung, Kurzarbeitergeld; auch bei Ruhen dieser Ansprüche wegen einer Sperrzeit.
• bei Bezug von Mutterschaftsgeld oder Arbeitslosengeld.
• solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht
gemeldet ist. Meldefrist bis zu einer Woche nach Beginn
der Arbeitsunfähigkeit.
Anspruch auf
Krankengeld ruht
23
Ausschluss von Krankengeld
Kürzung des Krankengelds
Krankengeld ist ausgeschlossen bei Bezug von:
•Regelaltersrente
• Altersrente für langjährige Versicherte
• Altersrente für Schwerbehinderte
• Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit
• Altersrente für Frauen
• Rente wegen voller Erwerbsminderung (Abgestufte Erwerbsminderungsrente)
• Ruhegehalt nach beamtenrechtlichen Grundsätzen
•Vorruhestandsgeld
Mit Beginn dieser Leistungen bzw. mit dem Tage der Bewilligung
einer Rente endet der Anspruch auf Krankengeld. Wenn eine
Rente rückwirkend bewilligt wird, können sich Anspruchszeit­
räume für Krankengeld und Rente theoretisch überschneiden.
Die Krankenkasse und der Rentenversicherungsträger rechnen
dann direkt miteinander ab. Das Krankengeld wird in diesem Fall
nicht vom Versicherten zurückgefordert.
War das Krankengeld niedriger als der Rentenanspruch für
den Zeitraum, erhält der Versicherte den Differenzbetrag als
Ausgleichszahlung vom Rentenversicherungsträger.
War das bezogene Krankengeld höher als der Rentenanspruch,
muss der Versicherte den Differenzbetrag jedoch nicht zurückzahlen.
Wenn eine der genannten Zahlungen eintrifft, ist dies der
Krankenkasse schnellstmöglich mitzuteilen.
Krankengeld wird gekürzt um den Zahlbetrag der
• Altersrente, Rente wegen Erwerbsminderung oder
Landabgabenrente, jeweils aus dem Gesetz über die
Alterssicherung der Landwirte,
• Teilrente wegen Alters aus der Rentenversicherung,
• Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
(früher: Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit),
• Knappschaftsausgleichsleistung, Rente für Bergleute,
soweit die Leistung nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder
stationären Behandlung zuerkannt wird.
Wegfall des Krankengelds
bei fehlender Mitwirkung
24
Wenn der behandelnde Arzt oder der Arzt des medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung (sogenannter Vertrauensarzt
der Krankenkasse) die Erwerbsfähigkeit des Versicherten als
erheblich gefährdet oder gemindert einschätzt und dies der
Krankenkasse mitteilt (häufig kontaktieren die Krankenkassen
Ärzte gezielt mit dieser Fragestellung, um den weiteren Reha­
bilitationsbedarf abzuklären), kann die Krankenkasse dem Versicherten eine Frist von 10 Wochen setzen, um einen
Antrag auf Rehamaßnahmen zu stellen.
Kommt der Versicherte dieser Aufforderung nicht fristgerecht
nach, ruht mit Ablauf der Frist der Anspruch auf Krankengeld und
die Mitgliedschaft bei der Krankenkasse in ihrer bisherigen
Form endet. Wird der Antrag später gestellt, lebt der Anspruch
auf Krankengeld mit dem Tag der Antragstellung wieder auf.
Zu beachten ist hierbei, dass der Rentenversicherungsträger
nach Prüfung des Antrags auch zur Erkenntnis kommen kann,
dass Rehamaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg (Wieder­
herstellung der Erwerbsfähigkeit) mehr haben und den Antrag
auf Rehamaßnahmen dann direkt in einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente umwandelt.
Wird der Anspruch auf Krankengeld (78 Wochen Arbeits­unfähigkeit innerhalb von 3 Jahren wegen derselben Erkrankung)
ausgeschöpft und ist der Versicherte noch immer arbeitsunfähig,
endet auch seine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken­­
versicherung! Dieser Vorgang wird Aussteuerung genannt.
Ende des Krankengelds durch
Höchstbezugsdauer
In der Regel informieren die Krankenkassen das Mitglied
2–3 Monate vor der Aussteuerung. Damit weiter ein Anspruch
auf medizinische Leistungen besteht, ist es wichtig Mitglied
der Krankenkasse zu bleiben.
Es gibt folgende Möglichkeiten:
• Freiwillige Versicherung bei einer gesetzlichen Krankenkasse
• Familienversicherung (wenn z. B. der Ehemann/die Ehefrau
Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist)
• Beantragung von Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit,
einer Sonderform des Arbeitslosengelds im Sinne der Naht­
losigkeit
Das Krankengeld endet auch automatisch mit dem Tag, ab dem
ein gesetzlicher Anspruch auf eine Rente wegen Alters aus der
gesetzlichen Rentenversicherung besteht. Man sollte daher
bei entsprechenden Ansprüchen seine Altersrente rechtzeitig
beantragen.
Ende des Krankengelds durch
Anspruch auf Altersrente
Praxistipp!
Nach Ende der Mitgliedschaft besteht für Krankengeldbezieher
noch für einen Monat ein sogenannter nachgehender Leistungsanspruch, allerdings ohne Krankengeld. Wer keinen Anspruch
auf eine kostenfreie Familienversicherung hat, sollte daher
spätestens innerhalb dieses Monats eine freiwillige Mitgliedschaft beantragen. Da die freiwillige Mitgliedschaft sich
­unmittelbar an den Tag des Endes der Mitgliedschaft anschließen
muss, besteht auch keine Möglichkeit, diese erst zum Ende des
nachgehenden Leistungsanspruchs beginnen zu lassen.
25
Arbeitslosengeld
bei Arbeitsunfähigkeit
Wenn ein Versicherter keinen Anspruch auf Krankengeld
mehr hat, aber weiterhin arbeitsunfähig ist, kann er
„Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit“ beantragen.
Diese Sonderform des Arbeitslosengelds überbrückt die Zeit
ohne Arbeitslosengeld (weil man nicht vermittelt werden
kann), bis eine andere Leistung, z. B. Weiterbildung oder
Rente, gezahlt wird.
Voraussetzungen
Dauer
26
Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:
•Arbeitsunfähigkeit.
•Arbeitslosigkeit oder
Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, das jedoch aufgrund
einer Krankheit/Behinderung schon mindestens 6 Monate
nicht mehr ausgeübt werden konnte.
• Erfüllung der Anwartschaftszeit.
Die Anwartschaftszeit ist erfüllt, wenn der Antragsteller
in den letzten 2 Jahren vor der Arbeitslosenmeldung und
dem Eintritt der Arbeitslosigkeit mindestens 12 Monate (= 360
Kalendertage) in einem Versicherungspflichtverhältnis stand.
Über andere berücksichtigungsfähige Zeiten informieren die
Agenturen für Arbeit.
• Der Arbeitslose steht wegen einer Minderung seiner Leistungsfähigkeit länger als 6 Monate der Arbeitsvermittlung nicht
zur Verfügung, weswegen kein Anspruch auf Arbeitslosengeld
besteht.
• Es wurden entweder Abgestufte Erwerbsminderungsrente
beim zuständigen Rentenversicherungsträger beantragt oder
Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung Behinderter.
Der Antrag muss innerhalb eines Monats nach Zugang eines
entsprechenden Aufforderungsschreibens der Agentur für
Arbeit gestellt worden sein. Wurde ein solcher Antrag unterlassen, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach Ablauf
der Monatsfrist bis zu dem Tag, an dem der Arbeitslose den
Antrag stellt.
Hat der Rentenversicherungsträger die verminderte Erwerbs­
fähigkeit bereits festgestellt, besteht kein Anspruch auf
Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld.
Das Arbeitslosengeld im Wege der sogenannten Nahtlosigkeit
wird gezahlt, bis über die Frage der verminderten Erwerbs­
fähigkeit entschieden wird, längstens bis der Arbeitslosengeld­
anspruch endet. Damit überbrückt es die Übergangszeit, in
der der Rentenversicherungsträger über das Vorliegen einer
verminderten Erwerbsfähigkeit entscheidet.
Relevant ist, was der Arbeitslose zuletzt im Bemessungszeitraum
(in der Regel die letzten 52 Wochen vor Arbeitslosigkeit) als VollErwerbstätiger verdient hat. Es kommt nicht darauf an, was der
Arbeitslose aufgrund der Minderung seiner Leistungsfähigkeit
verdienen könnte.
Höhe
Wird für die Zeit des Nahtlosigkeits-Arbeitslosengelds rück­
wirkend Übergangsgeld gezahlt oder Rente gewährt, erhält
der Arbeitslose nur den evtl. überschießenden Betrag.
War das Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld höher, muss er den
überschießenden Betrag jedoch nicht zurückzahlen.
Praxistipp!
Wird dem Arbeitslosen vom Rentenversicherungsträger
Leistungsfähigkeit von mehr als 15 Stunden wöchentlich
bescheinigt, muss er sich, um weiterhin Arbeitslosengeld zu
beziehen, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellen – auch
wenn er mit der Entscheidung des Rentenversicherungsträgers
nicht einverstanden ist und gegen diese gerichtlich vorgeht.
Obwohl das Verhalten des Arbeitslosen gegenüber dem Rentenversicherungsträger (Geltendmachung von Leistungsunfähigkeit)
im Widerspruch zum Verhalten gegenüber der Agentur für Arbeit
(Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme) steht,
muss der Arbeitslose im Verfahren mit dem Rentenversicherungs­
träger keine Nachteile befürchten, da die Beurteilung über die
Leistungsfähigkeit ausschließlich nach objektiven Maßstäben
erfolgt. Auf subjektive Erklärungen des Arbeitslosen („sich dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen“) kommt es nicht an.
Wer hilft weiter?
Weitere Fragen beantwortet die örtliche Agentur für Arbeit.
27
Minijobs/
Geringfügige Beschäftigung
Für manche MS-Erkrankte ist die geringfügige
Beschäftigung/Minijob eine interessante Möglichkeit,
wenn eine volle Berufstätigkeit ausgeschlossen ist.
Für die abgestufte Erwerbsminderungsrente (siehe S. 74) gelten
z. B. individuelle Hinzuverdienstgrenzen, die sich u. a. aus
dem Einkommen der letzten 3 Kalenderjahre vor Eintritt der
Leistungsminderung ergeben.
Bei Rente wegen voller Erwerbsminderung beträgt die Hinzu­
verdienstgrenze bei voller Rentenhöhe 450,– e pro Monat.
Zwei Monate im Jahr dürfen bis zu 900,– e hinzuverdient
werden („doppelte Hinzuverdienstgrenze“).
Die Berechnung des Hinzuverdienstes ist äußerst komplex.
Die individuelle Höhe kann deshalb nur vom zuständigen
Rentenversicherungsträger berechnet werden.
Geringfügig entlohnte
Beschäftigungen
Die Einkommensgrenze für geringfügig entlohnte Beschäftigungen
beträgt 450,– e monatlich, es gibt keine Stundenbegrenzung
(früher 15 Stunden wöchentlich).
Für die Arbeitnehmer bleiben die Minijobs abgabenfrei, der
Arbeitgeber zahlt in der Regel eine Pauschale von 30,84 %.
Diese setzt sich zusammen aus: 15 % Rentenversicherung,
13 % Krankenversicherung, 2 % Pauschalsteuern (Lohnsteuer,
Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer) und 0,84 % Umlage zum
Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen bei Krankheit und
Mutterschaft.
Geringfügig entlohnte
Beschäftigungen
in Privathaushalten
Wer als Haushaltshilfe in einem Privathaushalt beschäftigt ist
und bis zu 450,– e verdient, ist ebenfalls abgabenfrei.
Bei den Minijobs im Privathaushalt (Fachbegriff „haushaltsnahe
Dienstleistungen“) zahlt der Arbeitgeber eine Abgaben­­­pauschale
von 14,44 % (5 % Rentenversicherung, 5 % Krankenversicherung,
1,6 % Unfallversicherung, 2 % Steuern und 0,84 % Umlage).
Zu den haushaltsnahen Dienstleistungen zählen Tätigkeiten wie
Putzen, Kochen, Betreuung und Pflege von Kindern, kranken und
alten Menschen sowie Gartenarbeit.
28
Ein kurzfristiger Minijob liegt vor, wenn die Beschäftigung durch
ihre Eigenart oder durch einen Vertrag im Voraus auf längstens
2 Monate oder 50 Arbeitstage im Kalenderjahr begrenzt ist.
Sie sind für Arbeitnehmer und Arbeitgeber abgabenfrei. Bei der
Beurteilung einer kurzfristigen Beschäftigung ist immer das
laufende Kalenderjahr relevant.
Kurzfristige Beschäftigungen
Es ist möglich, mehrere geringfügig entlohnte Beschäftigungen
nebeneinander auszuüben. Dabei darf es sich jedoch nicht um
denselben Arbeitgeber handeln.
Mehrere Minijobs
Die Verdienste aller Beschäftigungen (mit Ausnahme der kurzfristigen) werden zusammengezählt.
Liegt das Gesamteinkommen unter 450,– e monatlich, bleibt der
Arbeitnehmer abgabenfrei und die Arbeitgeber leisten jeweils die
Pauschale von 30,84 %.
Liegt das zusammengerechnete Einkommen über 450,– e
monatlich, besteht normale Sozialversicherungs- und Steuerpflicht.
Die Pauschalabgaben des Arbeitgebers in Höhe von 30,84 % bzw.
14,44 % werden an eine zentrale Stelle, die Minijob-Zentrale bei
der Bundesknappschaft, entrichtet.
Auch Personen, die lediglich einen Minijob ausüben, können
Ansprüche auf volle Rentenversicherungsleistungen erwerben. Hierzu müssen sie die Differenz zwischen dem Renten­
versicherungsbeitrag des Arbeitgebers und dem vollen Beitrag
zur Rentenversicherung (19,6 %) selbst zahlen. Bei geringfügig
entlohnten Beschäftigungen sind dies derzeit 4,6 %.
Rentenanspruch bei Minijobs
Dem Arbeitgeber ist schriftlich mitzuteilen, dass eigene Rentenversicherungsbeiträge entrichtet werden sollen. Diese werden
dann direkt vom Verdienst abgezogen und an die MinijobZentrale weitergeleitet.
Auch bei geringfügig entlohnten Beschäftigungen bestehen
eine Reihe arbeitsrechtlicher Ansprüche, z. B.
• Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
• Bezahlter Erholungsurlaub.
• Entgeltfortzahlung an Feiertagen und bei persönlicher Arbeitsverhinderung für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit
(z. B. nicht verschiebbarer Arztbesuch).
• Entgeltfortzahlung während berufsbedingter Beschäftigungsverbote bei Schwangerschaft und bei Mutterschutzfristen.
Arbeitsrechtliche Ansprüche
des Arbeitnehmers
29
Hier besteht der Grundsatz der Gleichberechtigung, d. h. geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer dürfen nicht schlechter
behandelt werden als vergleichbare vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer.
Anspruch auf Weihnachts- und Urlaubsgeld besteht nur, wenn
dies im Arbeits- oder Tarifvertrag festgelegt ist.
Praxistipp!
Die Broschüre „Geringfügige Beschäftigung und Beschäftigung
in der Gleitzone“ mit der Artikelnummer A630 kann unter
www.bmas.de > Service > Publikationen kostenlos bestellt oder
heruntergeladen werden.
Wer hilft weiter?
• Knappschaft Bahn-See Minijob-Zentrale,
Pieperstraße 14–28, 44781 Bochum,
www.minijob-zentrale.de.
Servicetelefon 0355 290270799 (zum Ortstarif),
Mo–Fr von 7–19 Uhr.
• Das Bürgertelefon des Ministeriums für Arbeit und Soziales
beantwortet Fragen zu Teilzeit/Altersteilzeit und Minijobs
unter Telefon 030 221911005 (14 Ct./Min.),
Mo–Do von 8–20 Uhr.
30
©Herbie_fotolia.com
Arbeitslosengeld
Arbeitslosengeld gibt es normalerweise 12 Monate lang.
Wer bei Beginn der Arbeitslosigkeit mindestens 50 Jahre alt
ist, hat einen Anspruch bis zu 24 Monate.
Das Arbeitslosengeld beträgt 60 (ohne Kinder) bzw. 67 %
vom letzten Nettogehalt. Arbeitslosengeldempfänger sind
über die Agentur für Arbeit gesetzlich kranken-, pflege- und
unfallversichert und meist auch rentenversichert. Wichtig ist
eine persönliche und frühzeitige Arbeitslosenmeldung.
Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:
•Arbeitslosigkeit
• 65. Lebensjahr noch nicht vollendet
• Bereitschaft, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen
• Persönliche Arbeitslosenmeldung
• Erfüllung der Anwartschaftszeit
Voraussetzungen
Die Anwartschaftszeit ist in der Regel erfüllt, wenn der Antragsteller in den letzten 2 Jahren vor der Arbeitslosenmeldung und
dem Eintritt der Arbeitslosigkeit mindestens 12 Monate (= 360
Kalendertage) in einem Versicherungspflichtverhältnis stand.
Über andere berücksichtigungsfähige Zeiten zur Erfüllung
der Anwartschaftszeit sowie einer möglichen verkürzten
Anwartschaftszeit, d. h. dass unter bestimmten Voraussetzungen
auch ein Anspruch auf Arbeitslosengeld schon ab einem
Versicherungspflichtverhältnis von 6 Monaten bestehen kann,
informiert die Agentur für Arbeit.
Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ist von der
Dauer der Versicherungspflichtverhältnisse der letzten 5 Jahre
vor Entstehen der Arbeitslosigkeit und vom Alter des Antrag­
stellers abhängig.
Dauer
31
Nach Versicherungspflichtverhältnissen
mit einer Dauer von
insgesamt mindestens
… Monaten
12
16
20
24
30
36
48
Nach Vollendung des
… Lebensjahres
—
—
—
—
50.
55.
58.
… Monate
Arbeitslosengeld
6
8
10
12
15
18
24
Besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr, dann erhält
der Arbeitssuchende unter bestimmten Voraussetzungen
Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (siehe S. 34).
Sperrzeit
Sperrzeit heißt, dass das Arbeitslosengeld in der Regel
12 Wochen nicht gezahlt wird, bei besonderen Tatbeständen
3 oder 6 Wochen. Gleichzeitig vermindert sich die Anspruchsdauer um diese Zeit.
Eine Sperrzeit wird verhängt,
• wenn der Antragsteller die Arbeitslosigkeit ohne wichtigen
Grund oder durch arbeitsvertragswidriges Verhalten selbst
grob fahrlässig herbeigeführt hat.
• wenn mit dem letzten Arbeitgeber ein Aufhebungsvertrag
geschlossen wurde.
• wenn eine von der Agentur für Arbeit angebotene Arbeit
oder eine Maßnahme der beruflichen Fort- und Weiterbildung
ohne wichtigen Grund abgelehnt, abgebrochen oder nicht
angetreten wird.
• wenn sich der (künftige) Arbeitslose nicht rechtzeitig bei der
Agentur für Arbeit gemeldet hat.
Die Dauer einer Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen
beträgt 2 Wochen, bei Meldeversäumnissen jeweils eine Woche.
Bei Sperrzeiten von insgesamt 21 Wochen erlischt der Anspruch
auf Arbeitslosengeld.
Höhe
32
Die Höhe hängt ab von der durchschnittlichen Höhe des zuletzt
bezogenen versicherungspflichtigen Arbeitsentgelts, der Lohnsteuerklasse und dem Vorhandensein von Kindern (§ 32 EStG).
Arbeitslose dürfen dazuverdienen, das Nebeneinkommen muss
aber in jedem Fall der Agentur für Arbeit gemeldet werden.
Die Arbeitszeit muss unter 15 Stunden wöchentlich liegen.
Hinzuverdienst
Es gibt einen Freibetrag von monatlich 165,– e, der vom
Nettoeinkommen abgezogen wird. Was darüber hinausgeht,
wird auf das Arbeitslosengeld angerechnet.
Ausnahme: Wurde die Erwerbstätigkeit bereits vor Beginn der
Arbeitslosigkeit ausgeübt (mindestens 12 Monate innerhalb
der letzten 18 Monate), kann ein individuell höherer Freibetrag
gelten.
Arbeitslosengeld ist steuerfrei. Allerdings ist es bei der
Steuer­erklärung anzugeben, da es bei der Berechnung des
Steuersatzes berücksichtigt wird. Es unterliegt dem
sogenannten Progressionsvorbehalt.
Steuerfrei
Bezieher von Arbeitslosengeld sind über die Agentur für Arbeit
gesetzlich kranken-, pflege- und unfallversichert. Sie sind auch
rentenversichert wenn im Jahr vor Beginn des Arbeitslosengeldbezugs Rentenversicherungspflicht bestand.
Sozialversicherung
Arbeitnehmer müssen sich unmittelbar nach Kenntnis der
Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses (z. B. Kündigung oder
Aufhebungsvertrag) oder eines sonstigen Versicherungspflichtverhältnisses (z. B. Krankengeldbezug) persönlich bei der Agentur
für Arbeit melden. Die Meldung muss 3 Monate vor Ablauf des
Arbeitsverhältnisses erfolgen, außer der Arbeitnehmer erfährt
erst später von der eintretenden Arbeitslosigkeit. Bei Nicht­
beachtung dieser Meldepflicht kommt es zu einer einwöchigen
Sperrzeit.
Frühzeitige Meldepflicht bei
drohender Arbeitslosigkeit
Ist die Arbeitsfähigkeit eines Arbeitslosen gemindert, gibt es als
Sonderform das Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit (siehe
S. 26), die sogenannte Regelung im Sinne der Nahtlosigkeit.
Nahtlosigkeit
Wer hilft weiter?
Die örtliche Agentur für Arbeit ist immer der erste Ansprech­
partner. Nur dort bekommt man Auskunft ob und in welcher
Höhe Leistungen zustehen.
33
Arbeitslosengeld II
und Sozialgeld
Arbeitslosengeld II (ALG II) erhalten Arbeitslose nach dem
Arbeitslosengeld, wenn sie erwerbsfähig und hilfebedürftig
sind. ALG II ist eine Leistung zur Grundsicherung für Arbeitssuchende.
Sozialgeld erhalten Angehörige von ALG-II-Empfängern, die
selbst nicht erwerbsfähig oder unter 15 Jahre alt sind.
ALG II und Sozialgeld entsprechen dem Niveau der Sozialhilfe
und setzen sich aus drei Bausteinen zusammen:
• den Regel­bedarfen (382,– e für Alleinstehende),
• den Kosten für Miete und Heizung sowie
• bei besonderen Situationen den Mehr­bedarfen.
Voraussetzungen
ALG-II-Empfänger müssen 3 Voraussetzungen erfüllen:
• 15 bis unter 65 Jahre alt sein.
Für Menschen, die nach dem 31.12.1946 geboren sind,
wird die Altersgrenze monatlich stufenweise auf 67 Jahre
angehoben.
• Erwerbsfähig sein, d. h.: mindestens 3 Stunden täglich
arbeiten können.
• Hilfebedürftig sein, d. h.: ihren Lebensunterhalt nicht aus
eigenem Einkommen und Vermögen bestreiten können.
Sozialgeld erhalten Angehörige, die mit erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben und
einen der beiden folgenden Punkte erfüllen:
• nicht erwerbsfähig und kein Erhalt von Leistungen der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder
• das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet.
Anrechnung von
Einkommen und Vermögen
Anspruch auf ALG II/Sozialgeld besteht nur, wenn der Bedarf
nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen gedeckt werden
kann.
Wer hilft weiter?
Für Anträge und verbindliche Informationen sind zuständig:
die örtlichen Jobcenter, die beauftragte Kommune oder die
Agentur für Arbeit vor Ort.
34
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Rehabilitation
Die Rehabilitation (Reha) ist ein sehr großer und komplexer Bereich,
für den alle Versicherungsträger zuständig sein können.
35
Grundsätzlich gilt:
Reha(bilitation) geht vor Rente (§ 9 SGB VI).
Das heißt: Es wird möglichst versucht, mit Rehamaßnahmen
den Renteneintritt zu verhindern oder zu verzögern.
Bereiche der Rehabilitation
Hier ein kurzer Überblick über die Bereiche der
Rehabilitation:
• Medizinische Leistungen zur Rehabilitation
dienen insbesondere der Ausheilung einer Erkrankung und
der Wiederherstellung der Gesundheit.
• Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
(früher „berufsfördernde Maßnahmen“) sollen die Erwerbs­
fähigkeit Behinderter erhalten, verbessern, (wieder-)herstellen
und möglichst dauerhaft sichern
• Ergänzende Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe
sind Leistungen zur Wiedereingliederung, um das Ziel der
Rehamaßnahmen zu erreichen und zu sichern. Dazu zählen
z. B. Übergangsgeld, Haushaltshilfe, Reisekosten, Kinder­
betreuungskosten.
Zuständigkeit
Nahezu alle Träger der Sozialversicherung können für die
Kostenübernahme von Rehamaßnahmen zuständig sein.
Bei MS-Erkrankten sind dies insbesondere:
• Rentenversicherungsträger
erbringen Leistungen zur Medizinischen Rehabilitation und
zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn die Erwerbsfähigkeit
erheblich gefährdet oder schon gemindert ist und diese
durch die Rehamaßnahme wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann.
• Krankenkassen
sind zuständig bei Leistungen zur Medizinischen Reha­
bilitation, soweit es um den Erhalt oder die Wiederherstellung
der Gesundheit geht und wenn nicht andere Sozialversicherungsträger solche Leistungen erbringen.
36
• Agenturen für Arbeit
übernehmen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn
kein anderer Sozialversicherungsträger hierfür zuständig ist.
• Sozialämter
treten nachrangig für die Leistungen zur Medizinischen
Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben ein, wenn
kein anderer Sozialversicherungsträger vorrangig zuständig ist.
Spätestens 2 Wochen nachdem ein Antrag auf Reha-Leistungen
bei einem Reha-Träger eingegangen ist, muss dieser Träger geklärt haben, ob er hierfür zuständig ist.
Die „Zuständigkeitsklärung“ soll verhindern, dass ein Antrag
zwischen verschiedenen Trägern hin- und hergeschoben wird.
Nach einer weiteren Woche wird über die beantragte Leistung
entschieden, außer der Antrag wurde – bei Erklärung der
Unzuständigkeit – an einen weiteren Reha-Träger weiter­geleitet.
Die Weiterleitung erfolgt (automatisch) durch den Träger, der
zunächst den Antrag erhielt. Dieser „weitere“ (zweite) Träger
entscheidet innerhalb von 3 Wochen, nachdem der Antrag bei
ihm eingegangen ist.
Zuständigkeitsklärung
Anträge, die bei der Krankenkasse gestellt werden, werden
in der Regel an die Rentenversicherung weitergeleitet, wenn
der Antragssteller …
• noch nicht aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist,
• Ansprüche gegenüber der Rentenversicherung hat und
• durch die Rehabilitation eine Wiederherstellung/Verbesserung
der Erwerbsfähigkeit zu erwarten ist.
Wer hilft weiter?
Wenn eine Rehabilitation empfohlen, aber noch nicht beantragt wurde, weil erst geklärt werden muss, wer als Kosten­träger
zuständig ist, sind die Krankenkassen und die sogenannten
„Servicestellen“ die richtigen Ansprechpartner. Letztere bieten
Unterstützung in allen Fragen zur Rehabilitation. Es gibt sie bei
fast allen Kommunen und sie arbeiten rehaträgerübergreifend.
Adressen finden Sie unter www.reha-servicestellen.de.
37
Medizinische Rehabilitation
Die Medizinische Rehabilitation umfasst Maßnahmen, die
auf die Erhaltung oder Besserung des Gesundheitszustands
ausgerichtet sind und vorwiegend die Durchführung
medizinischer Leistungen erfordern.
Es gibt zwei Arten Medizinischer Rehamaßnahmen:
ambulante und stationäre.
Letztere werden umgangssprachlich Kuren genannt.
Grundsätzlich gilt:
Ambulant vor stationär.
Das heißt: Erst wenn ambulante Maßnahmen nicht
ausreichen, werden stationäre Leistungen erbracht.
Leistungen
Wartezeit
Zur Medizinischen Rehabilitation zählen z. B.:
• Anschlussheilbehandlung nach Krankenhausaufenthalt
(siehe S. 41)
• Stufenweise Wiedereingliederung (siehe S. 43)
Zwischen 2 bezuschussten Rehamaßnahmen – egal ob ambulant
oder stationär – muss in der Regel ein Zeitraum von 4 Jahren
liegen.
Ausnahmen macht die Krankenkasse nur bei medizinisch
dringender Erforderlichkeit. Dies muss mit Arztberichten oder
einem Gutachten des behandelnden Arztes bei der Krankenkasse
begründet werden.
Der Rentenversicherungsträger genehmigt Medizinische
Rehamaßnahmen vor Ablauf der 4-Jahres-Frist, wenn vorzeitige
Leistungen aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich
sind, weil ansonsten mit einer weiteren Minderung der
Leistungsfähigkeit zu rechnen ist.
Ambulante Rehamaßnahmen
38
Ambulante Rehamaßnahmen führt der Patient wohnortnah
durch bzw. nimmt sie in Anspruch. Er wohnt zu Hause und nicht
in der Reha-Einrichtung, d. h. der Patient kommt morgens in die
behandelnde Einrichtung und verlässt diese nachmittags oder
abends wieder. Eine ambulante Rehamaßnahme hat immer
Vorrang vor einer stationären.
Voraussetzungen für ambulante Rehamaßnahmen:
• Eine ambulante Krankenbehandlung reicht nicht für den
angestrebten Reha-Erfolg aus.
• Durchführung der ambulanten Rehamaßnahme in einer
Vertragsklinik, in Einrichtungen mit Versorgungsvertrag
oder in wohnortnahen Einrichtungen (Kliniken) mit bedarfs­
gerechter, leistungsfähiger und wirtschaftlicher Versorgung.
Ob eine ambulante Rehabilitation in einer Klinik ohne
Versorgungsvertrag stattfinden darf, muss im Einzelfall
immer vom Rentenversicherungsträger geprüft werden.
Dauer
Eine ambulante Rehamaßnahme dauert längstens 20 Behandlungstage. Eine Verlängerung ist aus medizinischen Gründen
möglich.
Bei einer stationären Medizinischen Reha(bilitation) (umgangssprachlich „Kur“) wohnt der Patient für die Zeit der Rehamaßnahme in einer entsprechenden Einrichtung.
Stationäre medizinische
Rehabilitation
Voraussetzungen für die Beantragung von stationären
Rehamaßnahmen sind:
• Eine ambulante Rehamaßnahme reicht nicht aus.
• Die stationäre Aufnahme ist aus medizinischen Gründen
erforderlich.
Dauer
Stationäre Rehamaßnahmen dauern längstens 3 Wochen. Eine
Verlängerung aus medizinischen Gründen ist möglich.
Praxistipp!
Nimmt ein Elternteil, der zu Hause Kinder betreut, an einer
ambulanten oder stationären Rehamaßnahme teil, kann unter
bestimmten Voraussetzungen eine Haushaltshilfe (siehe S. 98)
gewährt werden.
Den Antrag auf eine Medizinische Rehamaßnahme beim zuständigen Träger sollte zweckmäßigerweise der Arzt gemeinsam
mit dem Patienten stellen. Erforderlich sind ggf. eine ärztliche
Bescheinigung, Arztbericht(e) und ein eigenes, persönliches
Schreiben. Der Leistungsumfang bei Rehamaßnahmen liegt im
Ermessen des Sozialversicherungsträgers und wird aufgrund
medizinischer Erfordernisse festgelegt.
Antrag
39
Praxistipps
Antragstellung bei der Krankenkasse
Erkennt der behandelnde Arzt die Notwendigkeit einer Reha,
so muss er bei der Krankenkasse einen Antrag auf „Einleitung
von Leistungen zur Rehabilitation oder alternativen Angeboten“
stellen. Kommt nach Ansicht der Krankenkasse eine Rehamaßnahme und sie selbst als Kostenträger in Betracht, dann
bekommt der Arzt die „Verordnung von medizinischer Reha­
bilitation“ zugeschickt.
Falls der Antrag bei einem anderen Kostenträger (z. B. Renten­
versicherungsträger) gestellt werden muss, wird dies von der
Krankenkasse mitgeteilt.
Antragstellung mit ausführlicher Begründung
Eigentlich genügt bei den Anträgen auf Rehamaßnahmen
die Angabe der Indikationen nach der ICD-10 (Internationale
Klassifikation der Krankheiten). Es ist jedoch mittlerweile
fast zur Regel geworden, dass der Arzt die Notwendigkeit
der medizinischen Rehabilitation ausführlich begründet. Auf
jeden Fall vermindert es das Risiko einer Ablehnung beim Kostenträger, wenn dem Antrag sofort eine ausführliche ärztliche
Begründung beigefügt wird. Es kann durchaus sein, dass der
MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) über das
ärztliche Attest hinaus den Patienten zu einer Begutachtung
einlädt, um die Notwendigkeit der Rehamaßnahme zu prüfen.
Urlaub
Ambulante und stationäre medizinische Rehamaßnahmen dürfen
nicht auf den Urlaub angerechnet werden. Deshalb besteht auch
Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber
(siehe S. 18).
Wahl der Reha-Einrichtung
Die Leistung wird in der Regel im Inland erbracht.
• Ist der Kostenträger die Krankenkasse, kann der Patient eine
zugelassene und zertifizierte Reha-Einrichtung selbst wählen.
Sind die Kosten höher als bei den Vertragseinrichtungen der
Krankenkasse, zahlt der Patient die Mehrkosten.
• Ist der Kostenträger die Rentenversicherung, kann der Arzt
eine Reha-Einrichtung vorschlagen. Soll die Maßnahme in
einer bestimmten Einrichtung stattfinden, muss der Arzt das
ausdrücklich vermerken und möglichst auch begründen. Auch
die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die
Familie oder die religiösen Bedürfnisse der Betroffenen sollten
bei der Wahl eine Rolle spielen und berücksichtigt werden.
40
Praxistipps!
Unter www.betacare.de > Reha-Kliniken ist eine zielgenaue
Suche nach passenden Kliniken möglich.
Versicherte ab dem 18. Geburtstag müssen bei fast allen
stationären Rehamaßnahmen 10,– € Zuzahlung pro Tag
leisten:
• In der Regel zeitlich unbegrenzt für ambulante und stationäre
Rehamaßnahmen der Krankenkasse.
• Längstens 42 Tage innerhalb eines Kalenderjahres für
stationäre Medizinische Rehamaßnahmen des Renten­
versicherungsträgers. Bereits im selben Kalenderjahr
geleistete Zuzahlungen an den Rentenversicherungsträger
und die Krankenkasse werden angerechnet.
• Findet die stationäre Rehamaßnahme als Anschlussheil­
behandlung (siehe S. 41) statt, so begrenzt sich die
Zuzahlung bei der Krankenkasse auf 28 Tage und beim
Rentenversicherungsträger auf 14 Tage. Eine bereits
geleistete Zuzahlung für die vorhergegangene Kranken­
hausbehandlung wird berücksichtigt.
Zuzahlung
Anschlussheilbehandlung
Die Anschlussheilbehandlung (AHB) ist eine im unmittel­baren Anschluss an eine Krankenhausbehandlung oder
eine ambulante Operation erforderliche Weiterbehandlung
in einer spezialisierten Reha-Einrichtung. Sie zählt zur
Medizinischen Reha.
Eine AHB muss in der Regel innerhalb von 14 Tagen nach der
Entlassung beginnen, möglichst jedoch direkt im Anschluss an
einen Krankenhausaufenthalt. Sie muss beim jeweiligen Sozialversicherungsträger beantragt werden. Die Genehmigung einer
AHB hängt von unterschiedlichen Indikationen ab, deshalb muss
die Diagnose im Indikationskatalog für AHB enthalten sein.
Multiple Sklerose gehört unter der Voraussetzung, dass ein
rückbildender Schub vorliegt und keine Kontraindikationen
vorhanden sind, zum Indikationskatalog für AHB.
41
Ziel
Dauer
Ziel einer Anschlussheilbehandlung ist, verloren gegangene
Funktionen oder Fähigkeiten wiederzuerlangen oder auszu­
gleichen und die Patienten wieder an die Belastungen des
Alltags- und Berufslebens heranzuführen.
Die Kosten werden in der Regel für eine Dauer von 3–4 Wochen
übernommen. Eine Verlängerung ist bei medizinischer
Begründung durch Arzt oder Klinik möglich.
Eine der folgenden versicherungsrechtlichen Voraus­
setzungen muss erfüllt sein:
• Wartezeit von 15 Jahren oder
• 6 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen in den letzten 2 Jahren
oder
• Bezug einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
(Abgestufte Erwerbsminderungsrente) oder
• Wartezeit von 5 Jahren bei verminderter oder in absehbarer
Zeit gefährdeter Erwerbsfähigkeit oder
• Anspruch auf große Witwen- bzw. Witwerrente wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit.
Privat Krankenversicherte können in der Regel nicht direkt vom
Krankenhaus in eine AHB gehen. Sie müssen mit Hilfe ihres
behandelnden Arztes einen Antrag auf eine Anschlussgesundheitsmaßnahme (AGM) beim zuständigen Rentenversicherungsträger stellen.
Die AGM unterscheidet sich von der AHB dadurch, dass die
persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
durch den Rentenversicherungsträger geprüft werden müssen,
bevor der Patient die AGM in einer Rehabilitationseinrichtung
antreten kann.
Persönliche und medizinische Voraussetzungen:
• Akutphase der Erkrankung bzw. Wundheilung muss
abgeschlossen sein.
• Patient muss frühmobilisiert sein.
• Patient muss selbsthilfefähig sein, d. h.: ohne Fremdhilfe zur
Toilette gehen, selbstständig essen, sich allein waschen und
ankleiden können.
• Patient sollte reisefähig sein. Ein Krankentransport ist nur in
Not- und Ausnahmefällen möglich.
42
Die Anschlussheilbehandlung muss von den behandelnden
Krankenhausärzten eingeleitet werden. Nach der Entlassung ist
es für niedergelassene Ärzte nur in Ausnahmefällen möglich,
eine Anschlussheilbehandlung zu begründen.
Antrag
Die Kosten der Anschlussheilbehandlung können von nahezu
allen Sozialversicherungsträgern übernommen werden.
Kostenträger
Wer hilft weiter?
Informationen und Leistungen erhält man vom zuständigen
Kostenträger: Krankenkasse, Rentenversicherungsträger oder
Sozialamt.
Stufenweise
Wiedereingliederung
Patienten mit MS können während eines Schubs arbeits­
unfähig (siehe S. 16) und bisweilen über Wochen oder
Monate nicht am Arbeitsplatz sein. Ziel der Stufenweisen
Wieder­eingliederung ist, arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach
längerer schwerer Krankheit schrittweise an die Arbeitsbelastung heranzuführen und so den Übergang zur vollen
Berufstätigkeit zu erleichtern.
Die Stufenweise Wiedereingliederung ist eine Maßnahme der
Medizinischen Rehabilitation, Träger ist meist die Kranken­kasse.
Findet sie im unmittelbaren Anschluss an eine medizinische
Rehamaßnahme statt, d. h. wird sie innerhalb von 4 Wochen
nach Entlassung aus einer Reha-Klinik angetreten, ist die
Rentenversicherung Kostenträger.
Für eine Stufenweise Wiedereingliederung müssen folgende
Voraussetzungen vorliegen:
• Es besteht noch Anspruch auf Krankengeld (siehe S. 19) bzw.
es liegt noch für die Dauer der Wiedereingliederungs­
maßnahme Arbeitsunfähigkeit vor.
• Der Versicherte ist mit der Maßnahme einverstanden.
• Der Arzt stellt einen Wiedereingliederungsplan auf.
• Der Arbeitgeber erklärt sich mit der Maßnahme einverstanden.
• Der Versicherte wird am bisherigen Arbeitsplatz eingesetzt.
Voraussetzungen
43
Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Zustimmung zur Stufenweisen
Wiedereingliederung, vorausgesetzt, es liegt eine ärztliche
Bescheinigung vor, die einen Wiedereingliederungsplan und
eine Prognose über den Zeitpunkt der zu erwartenden Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit enthält und vorausgesetzt
die Maßnahme ist dem Arbeitgeber zumutbar.
Dauer
Entgelt
Die Dauer der Wiedereingliederung ist abhängig vom indivi­
duellen gesundheitlichen Zustand des Arbeitnehmers. In der
Regel dauert sie zwischen 6 Wochen und 6 Monaten.
Grundsätzlich erhält der Versicherte während der Wiederein­
gliederung weiterhin Krankengeld von der Krankenkasse.
Falls der Arbeitgeber während der Maßnahme freiwillig Arbeitsentgelt entrichtet, wird dies auf das Krankengeld angerechnet.
Wer hilft weiter?
Informationen geben die Krankenkassen, Rentenversicherungsträger, der behandelnde Arzt und der Arbeitgeber.
Berufliche Rehabilitation/
Teilhabe am Arbeitsleben
„Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ umfassen alle
Rehamaßnahmen, die die Arbeits- und Berufstätigkeit von
kranken und/oder behinderten Menschen fördern. Alte
Begriffe dafür sind „Berufsfördernde Maßnahmen zur Reha“
oder „Berufliche Reha“.
Teilhabe am Arbeitsleben umfasst Hilfen, um einen Arbeitsplatz
erstmalig oder weiterhin zu erhalten, Vorbereitungs-, Bildungsund Ausbildungsmaßnahmen, Zuschüsse an Arbeitgeber sowie
die Übernahme vieler Kosten, die mit diesen Maßnahmen in
Zusammenhang stehen.
44
Es gibt mehrere Arten von Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben, unter anderem:
1. Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes
2.Berufsvorbereitung
3. Berufliche Bildung
4. Übernahme weiterer Kosten
5. Zuschüsse an den Arbeitgeber
Leistungen der
beruflichen Rehabilitation
Nachfolgend Informationen zu den einzelnen Leistungen.
1. Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes
Vorrangiges Ziel ist es, den bisherigen Arbeitsplatz zu
erhalten. Ist dies nicht möglich, wird nach einem anderen,
geeigneten Arbeitsplatz im bisherigen oder aber in einem
anderen Betrieb gesucht.
In diesem Rahmen übernehmen vorwiegend die Renten­
versicherungsträger im Zusammenwirken mit der Bundesagentur für Arbeit unter anderem folgende Leistungen:
• Umsetzung im Betrieb, Vermittlung eines neuen
Arbeitsplatzes in Form beruflicher Anpassung, Weiter­
bildung und Ausbildung.
• Gründungszuschuss für Arbeitslose, die sich selbstständig
machen, um dadurch die Arbeitslosigkeit zu beenden oder
zu verhindern.
• Fahrtkostenbeihilfe für die täglichen Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstelle, soweit der Versicherte
ansonsten unzumutbar belastet wäre und das Reha-Ziel
absehbar ist.
• Trennungskostenbeihilfe bei erforderlicher auswärtiger
Arbeitsaufnahme und damit verbundener doppelter Haushaltsführung. Das tägliche Pendeln oder der Umzug der
Familie zum Arbeitsort müssen unzumutbar sein.
• Übergangsbeihilfe bei Arbeitsaufnahme bis zur ersten
vollen Lohnzahlung. Die Übergangsbeihilfe wird in der
Regel als Darlehen gewährt.
• Umzugskostenbeihilfe soweit eine Arbeitsaufnahme am
Wohnort unmöglich ist.
2.Berufsvorbereitung
Zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zählt die
Berufsvorbereitung einschließlich der wegen eines Gesundheitsschadens erforderlichen Grundausbildung. Darunter
fallen die ganzheitliche Stabilisierung der Persönlichkeit
und des sozialen Umfelds neben Aufbau und Festigung der
Motivation und der beruflichen Fähigkeiten.
45
3. Berufliche Bildung
Zur beruflichen Bildung zählen Maßnahmen zur Anpassung
an den Beruf, Ausbildung und Weiterbildung einschließlich
des dafür erforderlichen Schulabschlusses. Nicht dazu zählen
allgemeinbildende Maßnahmen.
4. Übernahme weiterer Kosten
Die Berufsgenossenschaften und Rentenversicherungsträger
übernehmen auch Kosten, die mit den Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben in unmittelbarem Zusammenhang stehen.
Hierzu zählen z. B.:
• Lehrgangskosten, Prüfungsgebühren, Lernmittel,
• Arbeitskleidung, Arbeitsgeräte (z. B. Werkzeuge) sowie
• Kosten für Unterkunft und Verpflegung, wenn für die
Teilnehmer einer Maßnahme eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts nötig ist
(z. B. unzumutbar weiter Anfahrtsweg), wegen der Art und
Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolgs
der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
5. Zuschüsse an den Arbeitgeber
Die Reha-Träger können Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben auch als Zuschüsse an den Arbeitgeber leisten.
Anspruchs- und antragsberechtigt ist der Versicherte; der
Arbeitgeber ist „nur“ Begünstigter ohne eigenes Antragsrecht.
Die Gewährung eines Zuschusses kann von Bedingungen und
Auflagen abhängig gemacht werden.
Zuschüsse an den Arbeitgeber gibt es z. B. als
• Ausbildungszuschüsse zur betrieblichen Ausführung von
Bildungsleistungen,
•Eingliederungszuschüsse,
• Zuschüsse für Arbeitshilfen im Betrieb,
• Kostenerstattung für eine befristete Probebeschäftigung,
• Umschulung, Aus- oder Weiterbildung im Betrieb.
Dauer
46
Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sollen für die
Zeit erbracht werden, die vorgeschrieben oder allgemein
üblich ist, um das angestrebte Berufsziel zu erreichen.
•Die berufliche Eingliederung dauert in der Regel bis zur
Erreichung des angestrebten Berufsziels in der hierfür
vorgeschriebenen oder allgemein üblichen Zeit im Sinne
der notwendigen Ausbildungsdauer.
•Die Ausbildung dauert in der Regel bis zu 2 Jahre bei ganztägigem Unterricht. Eine Teilförderung (eines Ausbildungs­
abschnitts) innerhalb einer geschlossenen Weiterbildungsmaßnahme ist nicht möglich.
Eine Verlängerung ist denkbar bei:
• bestimmter Art und Schwere der Behinderung
• Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts
• voller Ausschöpfung des Leistungsvermögens des Behinderten
• Erlernbarkeit des Ausbildungsberufs nicht unter 2 Jahren
Bei Teilnahme an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
werden Beiträge zur Kranken-, Unfall-, Pflege- und Renten­
versicherung sowie Beiträge zur Arbeitslosenversicherung übernommen. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung werden nicht
bei Bezug von Übergangsgeld gezahlt.
Soziale Sicherung
Wer hilft weiter?
Die Leistungen werden von verschiedenen Trägern über­nommen,
meist aber von der Agentur für Arbeit oder vom Renten­
versicherungsträger. Die Anträge auf Kostenübernahme sollten
gestellt werden, bevor die Maßnahmen in die Wege geleitet
werden.
Erster Ansprechpartner ist oft ein Integrationsamt oder ein
Integrationsfachdienst. Diese helfen bei Fragen der beruflichen
Integration weiter. Adressen der Integrationsämter finden Sie
unter www.integrationsaemter.de.
Übergangsgeld
Übergangsgeld überbrückt einkommenslose Zeiten während
der Teilnahme an Rehamaßnahmen oder an Maßnahmen zur
Teilhabe am Arbeitsleben.
Übergangsgeld wird je nach Voraussetzungen vom jeweiligen
Reha-Träger gezahlt. Höhe und Dauer sind im Wesentlichen
einheitlich geregelt, nur die Voraussetzungen unterscheiden
sich bei den Leistungsträgern.
Die Berechnungsgrundlage des Übergangsgelds beträgt bei allen
Trägern 80 % des letzten Bruttoverdienstes, höchstens jedoch
den Nettoverdienst.
Höhe
47
Das Übergangsgeld beträgt:
• 75 % dieser Berechnungsgrundlage bei Versicherten,
– die ein Kind haben oder
– die pflegebedürftig sind und durch ihren Ehegatten
gepflegt werden, der deshalb keine Erwerbstätigkeit
ausüben kann, oder
– deren Ehegatte pflegebedürftig ist und keinen Anspruch
auf Leistungen aus der Pflegeversicherung hat.
• 68 % dieser Berechnungsgrundlage für die übrigen
Versicherten.
Bei Arbeitslosigkeit im Anschluss an Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben vermindert sich das Übergangsgeld jeweils um 8 %,
also auf 67 % bzw. 60 % der Berechnungsgrundlage.
Dauer
48
Die Reha-Träger zahlen Übergangsgeld
• für den Zeitraum der Leistung zur Medizinischen Reha­
bilitation bzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben.
• nach einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben:
– maximal 6 Wochen bei gesundheitsbedingter Unter­
brechung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben,
– maximal 3 Monate bei anschließender Arbeitslosigkeit nach
einer abgeschlossenen Leistung zur Teilhabe am Arbeits­
leben, soweit kein Anspruch auf Arbeitslosengeld für 3
Monate besteht.
• nach Abschluss von Leistungen zur Medizinischen Rehabilitation bzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben bei Erforderlichkeit
weiterer Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, soweit
Arbeitsunfähigkeit vorliegt und kein Anspruch auf Krankengeld oder keine Vermittelbarkeit in eine zumutbare
Beschäftigung besteht. Allerdings wird in diesem Fall das
Übergangsgeld reduziert.
• Findet eine Stufenweise Wiedereingliederung (siehe S. 43)
im unmittelbaren Anschluss (innerhalb von 4 Wochen) an
Leistungen zur medizinischen Reha statt, dann wird das
Übergangsgeld bis zu deren Ende gezahlt.
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Reha-Sport und
Funktionstraining
Multiple Sklerose ist häufig mit schweren Beeinträchtigungen
der Mobilität oder einer Verschlechterung der Selbst­
versorgung verbunden. Reha-Sport oder Funktionstraining
können hier sehr hilfreich sein.
Sie finden immer in Gruppen und unter ärztlicher Aufsicht statt.
Reha-Sport dient der allgemeinen Stärkung der Leistungs­
fähigkeit nach einer Erkrankung. Funktionstraining ist gezielt
auf bestimmte körperliche Funktionsdefizite gerichtet.
Die Maßnahmen dauern je nach Erkrankung und Kostenträger
6 Monate bis 3 Jahre.
Zum Reha-Sport zählen z. B. bewegungstherapeutische
Übungen. Sie dienen der Stärkung von Ausdauer, Koordination,
Flexibilität, Kraft und psychischer Leistungsfähigkeit. Hierunter
fallen u. a. Gymnastik, Leichtathletik, Schwimmen oder
Bewegungsspiele in Gruppen.
Reha-Sport
Funktionstraining wirkt besonders mit den Mitteln der
Krankengymnastik und der Ergotherapie gezielt auf körperliche
Strukturen (Muskeln, Gelenke etc.) und wird unter Anleitung
und Überwachung vor allem durch Krankengymnasten durch­
geführt. Funktionstraining ist immer organorientiert, es dient
dem Erhalt von Funktionen, der Beseitigung oder Verbesserung
von Funktionsstörungen sowie dem Hinauszögern von
Funktionsverlusten einzelner Organsysteme oder Körperteile.
Als Funktionstraining gelten u. a. Trocken- und Wassergymnastik.
Funktionstraining
49
Voraussetzungen
Zuständigkeit
Die Rentenversicherung, die Krankenversicherung und die
Agentur für Arbeit übernehmen Reha-Sport oder Funktions­
training als ergänzende Leistung zur Rehabilitation unter
folgenden Voraussetzungen:
• Ärztlich verordnet.
• Die Verordnung ist von einem Arzt zu erstellen, der das Leiden
und dessen Folgen behandelt.
Sie soll enthalten:
– Diagnose und gegebenenfalls Nebendiagnosen, soweit
diese berücksichtigt werden müssen oder Einfluss auf die
Verordnungsnotwendigkeit nehmen.
– Gründe und Ziele, weshalb Reha-Sport/Funktionstraining
erforderlich ist.
– Dauer und Anzahl der wöchentlich notwendigen Übungseinheiten.
– Empfehlung zur Auswahl der geeigneten Sportart.
• In Gruppen.
• Unter ärztlicher Betreuung.
• Antrag: Vordruck „Antrag auf Förderung von Rehabilitationssport/Funktionstraining“.
Wird während einer Leistung zur Reha die medizinische Not­
wendigkeit einer Reha-Sport-Maßnahme festgestellt, ist vom
Arzt der Behandlungsstätte eine Empfehlung im sogenannten
„Abschlussbericht“ auszusprechen, und der behandelnde Arzt
hat dem Reha-Sport oder Funktionstraining zuzustimmen.
Der Reha-Sport muss dann innerhalb von 3 Monaten nach der
Rehamaßnahme beginnen. Kostenträger sind in der Regel die
Rentenversicherungsträger.
Geht dem Reha-Sport oder Funktionstraining keine Leistung zur
Reha voraus, ist die Krankenkasse zuständig.
Bei Geringverdienenden oder nicht Versicherten kommt unter
Umständen das Sozialamt für die Kosten auf und orientiert sich
dabei an der Kostenübernahme durch die Krankenkasse.
Dauer
50
Reha-Sport bzw. Funktionstraining dauert
• in der Rentenversicherung in der Regel 6 Monate,
bei medizinischer Erforderlichkeit längstens 12 Monate.
• in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Regel
18 Monate.
Wegen der häufig schweren Beeinträchtigung der Mobilität oder
Selbstversorgung bei MS sowie wegen der komplexen Übungen,
kann Erkrankten ein erweiterter Leistungsumfang von 120
Übungseinheiten in einem Zeitraum von 36 Monaten gewährt
werden.
Danach muss der Arzt eine neue Verordnung ausstellen.
Wer hilft weiter?
Die Adressen von Reha-Sportgruppen in der Region sind bei den
Krankenkassen zu erfragen. Diese haben eine Übersicht über die
Sportvereine und -gruppen, mit denen sie vertraglich Kosten­
vereinbarungen (regional unterschiedlich) getroffen haben.
Auch Behindertensportverbände bieten zum Teil RehaSportarten und Funktionstrainingsmaßnahmen an.
Über entsprechende Gruppen informiert die
Hauptgeschäftsstelle des Deutschen Behindertensportverbands,
Telefon 02234 6000-0, E-Mail dbs@dbs-npc.de,
www.dbs-npc.de.
Der Vordruck „Antrag auf Förderung von Rehabilitationssport/
Funktionstraining“ ist bei Sportvereinen, Ärzten und den
zuständigen Leistungsträgern erhältlich.
51
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Zuzahlungen in der
gesetzlichen Krankenversicherung
53
Übersicht über Zuzahlungen
Versicherte ab dem 18. Geburtstag, zum Teil auch Kinder,
müssen zu bestimmten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung Zuzahlungen leisten, z. B. zu Arzneimitteln,
Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausaufenthalten,
Fahrt­kosten und Zahnersatz. Dies gilt auch für Sozialhilfe­
empfänger.
Die folgende Auflistung enthält alle Zuzahlungen, auch
wenn sie nicht immer im Zusammenhang mit Multiple
Sklerose stehen, da für eine mögliche Zuzahlungsbefreiung
(siehe S. 56) alle einbezogen werden.
Zuzahlungen
Arzneimittel
Zuzahlung (umgangssprachlich „Rezeptgebühr“ genannt):
10 % der Kosten, mindestens 5,– €, maximal 10,– €,
in keinem Fall mehr als die Kosten des Arzneimittels.
Preis/Kosten
bis 5,– €
5,01 € bis 50,– €
50,– € bis 100,– €
Ab 100,– €
Zuzahlung
Preis = Zuzahlung
5,– €
10 % des Preises
10,– €
Aufgrund des Arzneimittelwirtschaftlichkeitsgesetzes (AVWG)
entscheidet der Spitzenverband Bund der Krankenkassen,
welche Arzneimittelwirkstoffe von der Zuzahlung befreit
werden können. Auf www.gkv-spitzenverband.de > Service >
Zuzahlungen und Befreiungen > Befreiungsliste Arzneimittel
(Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen) ist eine
Übersicht der zuzahlungsbefreiten Arzneimittel zu finden,
die 14-tägig aktualisiert wird.
Darüber hinaus können Medikamente eines Arzneimittel­
herstellers, mit dem die Krankenkasse einen Rabattvertrag
geschlossen hat, ganz oder zur Hälfte zuzahlungsfrei sein.
Auskünfte hierzu erteilen Apotheken und Krankenkassen.
Verbandmittel
10 % der Kosten, mindestens 5,– €, maximal 10,– €,
in keinem Fall mehr als die Kosten des Verbandmittels.
54
Heilmittel
10 % der Kosten zuzüglich 10,– € je Verordnung.
Heilmittel im sozialrechtlichen Sinn sind äußerliche Behandlungs­
methoden wie Krankengymnastik (siehe S. 10), Massage, Fangopackung, Ergotherapie (siehe S. 12) oder Logopädie (siehe S. 13).
Hilfsmittel
10 % der Kosten, mindestens 5,– €, maximal 10,– €. Bei zum
Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt die Zuzahlung 10 %
je Packung, maximal jedoch 10,– € monatlich.
Ein Hilfsmittel ist ein Gegenstand oder ein Gerät, das unmittel­
bar auf eine Behinderung ausgerichtet ist, z. B. ein Hörgerät,
Krücken, eine Prothese, eine Brille oder ein Rollstuhl.
Häusliche Krankenpflege
10 % der Kosten pro Tag, begrenzt auf 28 Tage im Kalenderjahr,
zuzüglich 10,– € je Verordnung.
Häusliche Krankenpflege bedeutet, dass ein Patient zu Hause von
Fachpersonal versorgt wird.
Soziotherapie
10 % der Kosten pro Tag, mindestens 5,– €, maximal 10,– €.
Soziotherapie ist die ambulante Betreuung schwer psychisch
kranker Menschen.
Haushaltshilfe
10 % der Kosten pro Tag, mindestens 5,– €, maximal 10,– €.
Eine Haushaltshilfe ist eine fremde oder verwandte Person, die
die tägliche Arbeit im Haushalt erledigt (siehe S. 98).
Krankenhausbehandlung, Anschlussheilbehandlung
10,– € pro Kalendertag, für längstens 28 Tage pro Kalenderjahr.
Bereits im selben Jahr geleistete Zuzahlungen zu Krankenhausund Anschlussheilbehandlung (siehe S. 41) werden angerechnet.
Ambulante und stationäre Leistungen zur Rehabilitation
10,– € pro Kalendertag an die Einrichtung, in der Regel ohne
zeitliche Begrenzung.
Fahrtkosten
10 % der Fahrtkosten (bei medizinisch angeordneten Fahrten),
mindestens 5,– €, maximal 10,– €, in keinem Fall mehr als die
Kosten der Fahrt. Auch für Fahrten von Kindern.
55
Zuzahlungsbefreiung bei
Erreichen der Belastungsgrenze
Wer im Laufe eines Kalenderjahres bestimmte Belastungsgrenzen erreicht, kann sich von vielen Zuzahlungen der
Krankenkasse befreien lassen oder sich am Jahresende den
über der Belastungsgrenze liegenden Betrag erstatten lassen.
Die Belastungsgrenze liegt bei 2 % des Bruttoeinkommens,
bei schwerwiegend chronisch Kranken bei 1 %.
Belastungsgrenze
Berechnung
des Bruttoeinkomens
Bei zahlreichen Leistungen der Krankenversicherung muss
der Patient Zuzahlungen leisten. Die Belastungsgrenze soll
verhindern, dass insbesondere chronisch Kranke, Behinderte,
Versicherte mit einem geringen Einkommen und Sozialhilfeempfänger durch die Zuzahlungen zu medizinischen Leistungen
unzumutbar belastet werden.
Das Bruttoeinkommen zum Lebensunterhalt (siehe Einnahmen
zum Lebensunterhalt, S. 57) ist als Familienbruttoeinkommen
zu verstehen. Es errechnet sich aus dem Bruttoeinkommen des
Versicherten und den Bruttoeinkommen aller Angehörigen des
Versicherten, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt leben.
Angehörige des Versicherten sind:
•Ehepartner
• Kinder bis zum Kalenderjahr des 18. Geburtstags
• Kinder ab dem Kalenderjahr des 19. Geburtstags,
wenn sie familienversichert sind
• eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner
• sonstige Angehörige nach § 7 Abs. 2 KVLG
(Krankenversicherung der Landwirte)
Nicht zu den Angehörigen zählen Partner einer eheähnlichen
verschiedengeschlechtlichen oder nicht eingetragenen gleich­
geschlechtlichen Lebensgemeinschaft.
Freibetrag
56
Von diesem Bruttoeinkommen zum Lebensunterhalt werden
ein oder mehrere Freibeträge abgezogen:
• Für den ersten im gemeinsamen Haushalt lebenden
Angehörigen des Versicherten (z. B. Ehegatte): 4.851,– €
(= 15 % der jährlichen Bezugsgröße).
• Für jeden weiteren im gemeinsamen Haushalt lebenden
Angehörigen des Versicherten und des eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartners: 3.234,– € (= 10 % der
jährlichen Bezugsgröße). Dieser Punkt gilt nur für Mitglieder
in der Krankenversicherung der Landwirte.
• Für jedes Kind eines verheirateten Versicherten sowie für
jedes Kind eines eingetragenen gleichgeschlechtlichen
Lebenspartners: 7.008,– € als Kinderfreibetrag, wenn es sich
um ein Kind beider Ehegatten handelt, ansonsten 3.504,– €
(§ 32 Abs. 6 EStG).
• Für das erste Kind eines alleinerziehenden Versicherten:
4.851,– € (= 15 % der jährlichen Bezugsgröße).
• Für jedes weitere Kind eines alleinerziehenden Versicherten:
7.008,– €.
Einnahmen zum Lebensunterhalt sind:
•Altersrenten
•Arbeitsentgelt
• Krankengeld
• Arbeitslosengeld
• Elterngeld, aber nur der Betrag, der über dem Sockelbetrag
von 300,– € liegt (bei doppeltem Bezugszeitraum über
150,– €)
• Arbeitseinkommen (bei selbstständiger Tätigkeit)
• Einnahmen aus Kapitalvermögen, Vermietung und
Verpachtung
• Witwen-/Witwerrente und andere Renten wegen Todes
• Einnahmen von Angehörigen im gemeinsamen Haushalt
(Ehepartner, familienversicherte Kinder, eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner). Nicht hierzu zählen Partner
einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.
• Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung,
soweit diese die Grundrente nach dem Bundesversorgungs­
gesetz (BVG) übersteigt (§ 31 BVG)
• Grundrente für Hinterbliebene nach dem BVG (§ 38 BVG)
Einnahmen
zum Lebensunterhalt
Nicht zu den Einnahmen zählen zweckgebundene
Zuwendungen, z. B.:
•Pflegegeld
•Blindenhilfe
• Taschengeld vom Sozialamt für Heimbewohner
• Beschädigten-Grundrente nach dem BVG
• Rente oder Beihilfe nach dem Bundesentschädigungsgesetz
bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG
57
• Elterngeld in Höhe des Sockelbetrags von 300,– € bzw. 150,– €
(bei doppeltem Bezugszeitraum), Landes­erziehungsgeld
• Leistungen aus Bundes- und Landesstiftungen „Mutter und
Kind – Schutz des ungeborenen Lebens“
• Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung,
soweit diese der Grundrente nach dem BVG entspricht oder
geringer ist
• Ausbildungsförderung (BAföG)
•Kindergeld
Sozialhilfe,
Arbeitslosengeld II,
Grundsicherung
Zuzahlungsbefreiung,
Rückerstattung
Bei Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe), von
Arbeitslosengeld II und von Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung wird jeweils nur die Regelbedarfsstufe 1 als
Bruttoeinkommen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft gezählt,
das heißt: der jährliche Zuzahlungsgesamtbetrag beträgt
91,68 €, bei chronisch Kranken 45,84 €.
Auch die Zuzahlungen werden als „Familienzuzahlungen“
betrachtet, d. h., es werden die Zuzahlungen des Versicherten
mit den Zuzahlungen seiner Angehörigen, die mit ihm im
gemeinsamen Haushalt leben, zusammengerechnet. Dasselbe
gilt auch bei eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebens­
partnerschaften.
Ausnahme: Ist ein Ehepartner beihilfeberechtigt und/oder privat krankenversichert, werden die Zuzahlungen, die auch dieser
eventuell leisten muss, nicht als Familienzuzahlung berechnet,
das bedeutet, die Krankenkasse erkennt diese nicht als
Zuzahlungen in ihrem Sinne an. Beim Familieneinkommen
werden allerdings beide Einkommen herangezogen und somit
als Grundlage für die Zuzahlungsbefreiung genommen.
Überschreiten die Zuzahlungen 2 % der o.g. Bruttoeinnahmen
im Kalenderjahr (= Belastungsgrenze), erhalten der Versicherte
sowie sein Ehegatte und die familienversicherten Kinder, die mit
ihm in einem gemeinsamen Haushalt leben, für den Rest des
Kalenderjahres eine Zuzahlungsbefreiung bzw. den Mehrbetrag
von der Krankenkasse zurückerstattet.
Ist das Ehepaar bei verschiedenen Krankenkassen, dann errechnet
eine Krankenkasse, ab wann die Voraussetzungen für die
Zuzahlungsbefreiung erreicht sind, und stellt gegebenenfalls
eine Zuzahlungsbefreiung aus. Dies wird der anderen Krankenkasse mitgeteilt, so dass die Versicherten für den Rest des Jahres
keine Zuzahlungen mehr leisten müssen.
58
Berechnungsbeispiel
Ehepaar mit 2 Kindern:
Jährliche Bruttoeinnahmen
aller Haushaltsangehörigen:
minus Freibetrag für Ehegatte
(= erster Haushaltsangehöriger):
30.000,– €
4.851,– €
minus Freibetrag für 2 Kinder (2 x 7.008,– €):14.016,– €
ergibt Zwischensumme:11.133,– €
davon 2 % = Belastungsgrenze:
222,66 €
Wenn im konkreten Beispiel die Zuzahlungen die Belastungsgrenze von 222,66 € im Jahr übersteigen, übernimmt die
Krankenkasse die darüber hinausgehenden Zuzahlungen.
Verschiedene Krankenkassen bieten ihren Versicherten ein
Quittungsheft an, in dem sie übers Jahr alle Quittungen von
Zuzahlungen sammeln können.
Quittungsheft
Praxistipp!
Die Belastungsgrenze wird im Nachhinein wirksam, weshalb
Patienten immer alle Zuzahlungsbelege aufbewahren sollten, da
nicht absehbar ist, welche Kosten im Laufe eines Kalenderjahres
auflaufen. Wenn ein Versicherter im Lauf des Jahres die 1- bzw.
2-%-Belastungsgrenze erreicht hat, sollte er sich mit seiner
Krankenkasse in Verbindung setzen.
Die Krankenkasse wird dem Patienten die Zuzahlungen zurückerstatten, die die 1- bzw. 2-%ige Belastungsgrenze übersteigen.
Bei Erreichen der Belastungsgrenze wird für den Rest des Jahres
eine Zuzahlungsbefreiung ausgestellt.
Es besteht auch die Möglichkeit, bereits zu Jahresbeginn die
Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze (2 % bzw. 1 %) im Voraus
zu leisten. Der Patient erhält dann sofort einen Befreiungs­
ausweis und für das gesamte Kalenderjahr sind keine
Zuzahlungen mehr erforderlich.
59
Zuzahlungsbefreiung
für chronisch Kranke
Für MS-Patienten, die wegen ihrer Krankheit in Dauer­
behandlung sind, gilt eine andere Belastungsgrenze, da
sie als chronisch krank gelten: Sie gelten bereits dann als
„belastet“, wenn sie mehr als 1% der jährlichen Brutto­
einnahmen zum Lebensunterhalt für Zuzahlungen ausgeben
müssen/mussten.
Definition „schwerwiegend chronisch krank“
Als „schwerwiegend chronisch krank“ gilt, wer sich
wenigstens ein Jahr lang wegen derselben Krankheit
mindestens einmal pro Quartal in ärztlicher Behandlung
befindet und mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt:
• Pflegebedürftigkeit mit Pflegestufe 2 oder 3.
• Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 60 oder
eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. ein Grad der
Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 60 % (Schwerbehinderte).
• Eine kontinuierliche medizinische Versorgung (ärztliche
oder psychotherapeutische Behandlung, Arzneimittel­
therapie, Versorgung mit Hilfs- und Heilmitteln) ist
erforderlich, ohne die aufgrund der chronischen
Krankheit nach ärztlicher Einschätzung eine lebens­
bedrohliche Verschlimmerung der Erkrankung, eine
Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte
Beeinträchtigung der Lebensqualität zu erwarten ist.
Überschreiten die Zuzahlungen 1 % der Bruttoeinnahmen im
Kalenderjahr (= Belastungsgrenze), erhalten der schwerwiegend
chronisch Kranke, sein Ehepartner und die familienversicherten
Kinder für den Rest des Kalenderjahres eine Zuzahlungsbefreiung
bzw. den Mehrbetrag von der Krankenkasse zurück.
Vorsorge und
therapiegerechtes Verhalten
60
Die reduzierte Belastungsgrenze bei Zuzahlungen für schwer­
wiegend chronisch Kranke gilt in der Regel nur dann, wenn sich
der Patient an regelmäßiger Gesundheitsvorsorge beteiligt hat
oder sich therapiegerecht verhält.
Hierbei gelten bestimmte Altersgrenzen:
• Wer nach dem 1.4.1972 geboren ist und das 35. Lebensjahr
vollendet hat, muss jedes 2. Jahr am allgemeinen Gesundheitscheck zur Früherkennung von Krankheiten, insbesondere von
Diabetes, Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen teilnehmen.
Wer das nicht tut und chronisch erkrankt, für den liegt die
Belastungsgrenze bei 2 % vom Bruttoeinkommen.
• Frauen, die nach dem 1.4.1987 geboren sind und das
20. Lebensjahr vollendet haben, sowie Männer, die nach dem
1.4.1962 geboren sind und das 45. Lebensjahr vollendet haben,
und die an einer Krebsart erkranken, wofür Früherkennungsuntersuchungen angeboten werden, können die 1-%Belastungsgrenze nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie
sich über die Chancen und Risiken der entsprechenden Untersuchungen von einem hierfür zuständigen Arzt haben beraten
lassen. Diese Regelung umfasst zunächst die Untersuchungen
von Brust-, Darm- und Gebärmutterhalskrebs.
• Gesundheitsuntersuchungen und Beratung müssen mittels
einer ärztlichen Bescheinigung über therapiegerechtes
Verhalten dokumentiert werden. Ausgenommen von der
Feststellung therapiegerechten Verhaltens sind Schwer­
behinderte mit einem Grad der Behinderung über 60 und
Pflegebedürftige der Pflegestufen II oder III.
• Ausgenommen von der Pflicht zur Beratung bzw. zu Gesundheitsuntersuchungen sind Versicherte
– mit schweren psychischen Erkrankungen
– mit schweren geistigen Behinderungen oder
– die bereits an der zu untersuchenden Erkrankung leiden.
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Behinderung
Immer bessere Behandlungsmöglichkeiten der Multiplen Sklerose
ermöglichen Menschen mit MS zunehmend eine aktive und längerfristige Zukunftsplanung.
Da MS aber trotz aller Fortschritte bislang nicht heilbar ist,
kann auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Behinderung“ sinnvoll sein.
Auch mit Behinderung ist eine aktive Lebensgestaltung möglich.
63
Grad der Behinderung
Bei MS kann vom Versorgungsamt ein Grad der Behinderung
(GdB) bzw. Grad der Schädigungsfolgen (GdS) festgestellt
werden. Die Höhe des GdB/GdS richtet sich vor allem nach
den zerebralen (das Gehirn betreffenden) und spinalen
(das Rückenmark betreffenden) Ausfallerscheinungen.
MS kann dazu führen, dass Patienten als schwerbehindert ein­
gestuft werden.
„Behinderung“ im sozialrechtlichen Sinne ist genau definiert.
Kern ist, dass erhebliche Beeinträchtigungen vorliegen müssen,
die länger als 6 Monate anhalten. Nur wer als Behinderter vom
Versorgungsamt anerkannt ist, kann Vergünstigungen und
Nachteilsausgleiche (siehe S. 68) in Anspruch nehmen.
Zuständig für diese Anerkennung ist das Versorgungsamt.
Viele Nachteilsausgleiche erhält man nur als Schwerbehinderter.
Das erfordert einen Schwerbehindertenausweis (siehe S. 66),
den man wiederum nur erhält, wenn man einen „Grad der
Behinderung“ von mindestens 50 hat.
Der Grad der Behinderung (GdB) beziffert bei Behinderten die
Schwere der Behinderung. Er wird durch das Versorgungsamt
festgestellt, soweit er nicht bereits anderweitig festgestellt
wurde, z. B. durch einen Rentenbescheid oder durch eine
Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung.
Versorgungsmedizinische
Grundsätze
Das Versorgungsamt richtet sich bei der Feststellung der
Behinderung nach den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“.
Diese enthalten allgemeine Beurteilungsregeln und Einzel­
angaben über die Höhe des GdB bzw. GdS. Es handelt sich allerdings nur um einen Orientierungsrahmen, die Berechnung des
GdB/GdS ist vom individuellen Einzelfall abhängig. Letztlich
entscheidend ist immer eine Gesamtsicht der tatsächlichen
Beeinträchtigung, es werden nicht einfach mehrere GdB-Werte
aufaddiert.
Die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ können beim
Bundesjustizministerium unter www.gesetze-im-internet.de/
versmedv/anlage_8.html eingesehen werden.
Kündigungsschutz
für Schwerbehinderte
64
Die Kündigung eines Schwerbehinderten bedarf in der Regel der
vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Die Kündigungsfrist beträgt mindestens 4 Wochen.
Schwerbehinderte haben Anspruch auf zusätzlich 5 bezahlte
Urlaubstage im Jahr. Bei mehr oder weniger als 5 Arbeitstagen
in der Woche erhöht bzw. vermindert sich der Zusatzurlaub
entsprechend.
Zusatzurlaub
für Schwerbehinderte
Gleichstellung
behindert/schwerbehindert
Für Personen mit einem GdB von weniger als 50, aber
mindestens 30, gelten die gleichen gesetzlichen Regelungen
wie für Schwerbehinderte, wenn sie infolge ihrer
Behinderung keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen
oder behalten können (§§ 2 Abs. 3, 68 Abs. 3 SGB IX).
Gleichgestellte genießen wie Schwerbehinderte einen
besonderen Kündigungsschutz. Sie haben jedoch im Gegensatz
zu Schwerbehinderten keinen Anspruch auf einen Zusatzurlaub
von 5 bezahlten Arbeitstagen im Jahr (§ 125 SGB IX) und auf
vorgezogenes Altersruhegeld nach Vollendung des 60. Lebens­
jahres (Altersrente für Schwerbehinderte).
Unterschiede
Gleichgestellte bekommen keinen Schwerbehindertenausweis
und keine „Erleichterungen im Personenverkehr“ (Öffentliche
Verkehrsmittel).
Praxistipp!
Die Gleichstellung erfolgt durch die zuständige Agentur für
Arbeit. Der Antrag muss unmittelbar bei der Agentur für Arbeit
gestellt werden, unter Vorlage des Feststellungsbescheids des
Versorgungsamts und eines Schreibens des Arbeitgebers, der
den Behinderten als Schwerbehinderten einstellen bzw. weiterbeschäftigen würde. Die Gleichstellung wird mit dem Tag der
Antragstellung wirksam. Sie kann befristet werden.
65
Schwerbehindertenausweis
Der Schwerbehindertenausweis belegt Art und Schwere
der Behinderung und muss vorgelegt werden, wenn
Vergünstigungen für Schwerbehinderte beantragt oder
in Anspruch genommen werden.
Schwerbehinderte können je nach Grad der Behinderung
und/oder Merkzeichen folgende Nachteilsausgleiche
beanspruchen:
• Merkzeichenabhängige Nachteilsausgleiche (siehe S. 70)
• Nachteilsausgleiche abhängig vom Grad der Behinderung
(siehe S. 68)
Antrag
Die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises erfolgt
auf Antrag des Schwerbehinderten. Antragsformulare sind
beim Versorgungsamt erhältlich.
Praxistipps!
Folgende Tipps helfen bei der Antragstellung:
• Nicht nur die Grunderkrankung, sondern auch alle
zusätzlichen Beeinträchtigungen (z. B. Sehfehler) und Begleiterscheinungen angeben.
• Kliniken und Ärzte anführen, die am besten über die
angeführten Gesundheitsstörungen informiert sind. Dabei
unbedingt die dem Antrag beiliegenden Schweigepflichts­
entbindungen und Einverständniserklärungen ausfüllen,
damit das Versorgungsamt bei den angegebenen Stellen die
entsprechenden Auskünfte einholen kann.
• Antragstellung mit dem behandelnden Arzt absprechen.
Der Arzt sollte in den Befundberichten die einzelnen
Auswirkungen der Erkrankung (z. B. körperliche Belastbarkeit)
detailliert darstellen. Diese Kriterien, nicht allein die Diagnose,
entscheiden über den Grad der Behinderung.
• Bereits vorhandene ärztliche Unterlagen gleich bei Antrag­
stellung mit einreichen, z. B. Krankenhausentlassungsbericht,
Kurbericht, alle die Behinderung betreffenden Befunde in
Kopie.
• Lichtbild beilegen.
• Nach der Feststellung des Grades der Behinderung (GdB)
bekommt der Behinderte vom Versorgungsamt einen
sogenannten Feststellungsbescheid. Ab einem GdB von 50
besteht die Möglichkeit, einen Schwerbehindertenausweis
zu bekommen.
66
Der Ausweis wird in der Regel für längstens 5 Jahre ausgestellt.
Gültigkeitsdauer
Ausnahme: Bei einer voraussichtlich lebenslangen Behinderung
kann der Ausweis unbefristet ausgestellt werden.
Verlängerung: Die Gültigkeit kann auf Antrag höchstens
zweimal verlängert werden. Danach muss ein neuer Ausweis
beantragt werden.
Seit 1.1.2013 kann der Schwerbehindertenausweis als
Identifikationskarte im Bankkartenformat ausgestellt werden.
Über den genauen Zeitpunkt der Umstellung entscheidet jedes
Bundesland selbstständig. Ab 1.1.2015 wird er nur noch in dieser
Form ausgestellt. Alle alten Ausweise im Papierformat, die bis
31.12.2014 ausgestellt werden, gelten noch solange, bis ihre
eingetragene Gültigkeitsdauer abläuft.
Ausweis im
Scheckkartenformat
Verschlechtert sich der Gesundheitszustand eines Menschen mit
Schwerbehindertenausweis oder kommt eine weitere dauer­
hafte Einschränkung dazu, dann sollte beim Versorgungsamt ein
Antrag auf Erhöhung des Grades der Behinderung (GdB) gestellt
werden. Der Vordruck für den Antrag wird auf Anfrage vom
Versorgungsamt zugeschickt und es wird geprüft, ob ein neuer
Schwerbehindertenausweis mit eventuell neuen Merkzeichen
ausgestellt wird.
Antrag auf Erhöhung
Verschiedene Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis
kennzeichnen die Behinderung und signalisieren, welche
Vergünstigungen der Behinderte erhält.
Merkzeichen
Es gibt folgende Merkzeichen:
• Merkzeichen G:
erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sowie erhebliche Geh- und/oder Stehbehinderung
• Merkzeichen aG:
außergewöhnliche Gehbehinderung
• Merkzeichen H:
hilflos
• Merkzeichen Bl:
blind oder hochgradig sehbehindert
• Merkzeichen RF:
Rundfunk- und Fernsehgebührenbefreiung
• Merkzeichen B:
ständige Begleitung bei Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel notwendig
• Merkzeichen Gl:
gehörlos und an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit
schwerer Sprachstörung
67
GdB-abhängige
Nachteilsausgleiche
Nachteilsausgleiche, die bei einem niedrigen GdB angeführt
sind, gelten auch für alle höheren GdB.
GdB 20
• Teilnahme am Behindertensport (§ 29 Abs. 1 Nr. 4 SGB I)
GdB 30/40
• Gleichstellung (§ 2 Abs. 3 SGB IX)
• Kündigungsschutz bei Gleichstellung (§ 68 Abs. 3 SGB IX)
• Steuerfreibetrag (§ 33b EstG)
–GdB 30: 310,– €
–GdB 40: 430,– €
GdB 50
• Schwerbehinderteneigenschaft (§ 2 Abs. 2 SGB IX)
• Steuerfreibetrag: 570,– € (§ 33b EStG)
• Bevorzugte Einstellung, Beschäftigung (§§ 81, 122 SGB IX)
• Kündigungsschutz (§§ 85 ff SGB IX)
• Begleitende Hilfe im Arbeitsleben (§ 102 SGB IX)
• Freistellung von Mehrarbeit (§ 124 SGB IX)
• Eine Arbeitswoche Zusatzurlaub (§ 125 SGB IX)
• Altersrente mit 60/63 (§§ 37, 236a SGB VI)
• Vorgezogene Pensionierung von Beamten mit 60 bzw. 62
(§ 52 BBG)
• Stundenermäßigung bei Lehrern: bundeslandabhängig
• Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung für Behinderte in Werkstätten (SGB V u. SGB VI)
• Beitragsermäßigung bei Automobilclubs, z. B. ADAC,
DTC (Satzungen der Clubs)
• Ermäßigung des Flugpreises für BVG-/SVG-Beschädigte
(Passagetarife der Lufthansa)
• Kfz-Finanzierungshilfen für Berufstätige
(z. B. § 20 SchwbAV i. V. m. KfzHV)
• Abzug eines Freibetrags bei der Einkommensermittlung
im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei Pflege­
bedürftigkeit nach § 14 SGB XI: 2.100,– € (§ 24 Wohnraumförderungsgesetz)
• Freibetrag beim Wohngeld bei Pflegebedürftigkeit
(§ 14 SGB XI): 1.200,– € (§ 13 Wohngeldgesetz)
• Ermäßigung bei Kurtaxen (Ortssatzungen)
68
GdB 60
• Steuerfreibetrag: 720,– € (§ 33b EStG)
GdB 70
• Steuerfreibetrag: 890,–– € (§ 33b EStG)
• Werbungskostenpauschale: 0,30 €/km (§ 9 Abs. 2 EStG)
• Abzugsbetrag für Privatfahrten: GdB 70 + Merkzeichen G:
bis zu 3.000 km x 0,30 € = 900,– €(§ 33 EStG)
GdB 80
• Steuerfreibetrag: 1.060,– € (§ 33b EStG)
• Freibetrag beim Wohngeld bei Pflegebedürftigkeit
(§ 14 SGB XI): 1.500,– € (§ 13 Wohngeldgesetz)
• Abzug eines Freibetrags bei der Einkommensermittlung
im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei Pflegebedürftigkeit (§ 14 SGB XI): 4.500,– € (§ 24 Wohnraum­
förderungsgesetz)
• Preisnachlass bei verschiedenen Mobilfunkbetreibern
• Abzugsbetrag für Privatfahrten: GdB 70 + Merkzeichen G:
bis zu 3.000 km x 0,30 € = 900,– € (§ 33 EStG)
GdB 90
• Steuerfreibetrag: 1.230,– € (§ 33b EStG)
• Sozialtarif beim Telefon: Bei Blindheit, Gehörlosigkeit oder
Sprachbehinderung: Ermäßigung bei den Verbindungs­
entgelten bis zu 8,72 € netto monatl. im Rahmen des ISDNSozialtarifs und für Verbindungen im T-Net durch die Telekom,
wenn diese dauerhaft als Verbindungsnetzbetreiber vorein­
gestellt ist
GdB 100
• Steuerfreibetrag: 1.420,– € (§ 33b EStG)
• Freibetrag beim Wohngeld: 1.500,– € (§ 13 Wohngeldgesetz)
• Freibetrag bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer in
bestimmten Fällen (§ 13 Abs. 1 Nr. 6 ErbStG)
• Vorzeitige Verfügung über Bausparkassen- bzw. Sparbeiträge
(Wohnungsbau-Prämiengesetz bzw. Vermögensbildungsgesetz)
• Abzug eines Freibetrags bei der Einkommensermittlung im
Rahmen der sozialen Wohnraumförderung 4.500,– €
(§ 24 Wohnraumförderungsgesetz)
69
Merkzeichenabhängige
Nachteilsausgleiche
Merkzeichen aG – außergewöhnlich gehbehindert
• Unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr
nach Erwerb einer Wertmarke (§§ 145–147 SGB IX)
• Kraftfahrzeugsteuerbefreiung (§ 3a Abs. 1 KraftStG)
• Anerkennung der Kfz-Kosten für behinderungsbedingte
Privatfahrten als außergewöhnliche Belastung:
bis zu 15.000 km x 0,30 € = 4.500,– € (§ 33 EStG)
• Kostenloser Fahrdienst in vielen Gemeinden und Landkreisen
mit unterschiedlichen kommunalen Regelungen
• Parkerleichterungen, Parkplatzreservierung (§ 46 Abs. 1 StVO)
Merkzeichen B – Notwendigkeit ständiger Begleitung
• Unentgeltliche Beförderung der Begleitperson im öffentlichen
Nah- und Fernverkehr, ausgenommen bei Fahrten in Sonderzügen und Sonderwagen (§§ 145–147 SGB IX)
• Unentgeltliche Beförderung der Begleitperson bei innerdeutschen Flügen der Lufthansa und der Regionalverkehrsgesellschaften. Details regeln die Tarife der Fluggesellschaften.
• Unentgeltliche Beförderung von Begleitpersonen blinder
Menschen im internationalen Eisenbahnverkehr
(Internat. Personen- und Gepäcktarif TCV)
Merkzeichen G – erheblich gehbehindert
• Unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr
nach Erwerb einer Wertmarke (§§ 145–147 SGB IX) oder
Kraftfahrzeugsteuerermäßigung (§ 3a Abs. 2 Satz 1 KraftStG)
• Abzugsbetrag für behinderungsbedingte Privatfahrten bei
einem GdB ab 70: bis zu 3.000 km x 0,30 € = 900,– €
(§ 33 EStG)
• Mehrbedarfserhöhung bei der Sozialhilfe: 17 % (§ 30 SGB XII)
70
Merkzeichen RF –
Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht
• Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht
(§ 6 Abs. 1 RGebStV)
• Sozialtarif beim Telefon: Ermäßigung bei den Verbindungsentgelten bis zu 6,94 € netto monatlich im Rahmen des
ISDN-Sozialtarifs und für Verbindungen im T-Net durch die
Deutsche Telekom, wenn diese dauerhaft als Verbindungs­
netzbetreiber voreingestellt ist
• Bei zusätzlicher Blindheit, Gehörlosigkeit oder Sprachbehinderung mit einem GdB von mindestens 90 (Sprach­
behinderung allein GdB von 30): Vergünstigung von 8,72 €
netto monatlich
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Rente
73
Erwerbsminderungsrente
Der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und dem
Krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose
(KKNMS) zufolge führt die MS bei etwa einem Drittel der
Patienten zu vorzeitiger Berentung (vgl. DGN/KKNMSLeitlinie zur Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose
27.06.2012).
Erwerbsminderungsrente erhält, wer aus gesundheitlichen
Gründen in seiner Arbeitsfähigkeit deutlich eingeschränkt ist.
Die Rente muss beantragt werden, ist befristet und kann ver­
längert werden. Zuständig ist die Rentenversicherung.
Die volle Erwerbsminderungsrente und die teilweise Erwerbs­
minderungsrente ersetzen die frühere „Rente wegen Berufs­
unfähigkeit“ und die „Rente wegen Erwerbsunfähigkeit“.
Versicherungsrechtliche
Voraussetzungen
Medizinische
Voraussetzungen
74
Folgende versicherungsrechtliche Voraussetzungen müssen
erfüllt sein:
• Erfüllung der Wartezeit (= Mindestversicherungszeit)
von 5 Jahren.
• in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung
wurden 3 Jahre Pflichtbeiträge abgeführt.
Anspruch auf die abgestufte Erwerbsminderungsrente besteht
bis zum 65. Geburtstag. Seit 2012 wird die Altersgrenze schrittweise auf 67 Jahre angehoben.
Für eine Erwerbsminderungsrente muss die Erwerbsfähigkeit
eingeschränkt sein. Es wird unterschieden zwischen teilweise
und voll erwerbsgemindert:
• Teilweise erwerbsgemindert ist,
wer aus gesundheitlichen Gründen auf nicht absehbare Zeit
eine berufliche Tätigkeit von mindestens 3, aber weniger
als 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann.
• Voll erwerbsgemindert ist,
wer aus gesundheitlichen Gründen auf nicht absehbare Zeit
nur eine berufliche Tätigkeit von weniger als 3 Stunden
täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes ausüben kann.
Wer aus gesundheitlichen Gründen nur noch eine Teilzeitarbeit
von mindestens 3 Stunden, aber weniger als 6 Stunden ausüben
kann und zugleich arbeitslos ist, gilt als voll erwerbsgemindert
und erhält Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Versicherte, die vor dem 2.1.1961 geboren sind und in ihrem
oder einem vergleichbaren Beruf nur noch weniger als 6 Stunden
arbeiten können, bekommen eine teilweise Erwerbsminderungsrente wegen Berufsunfähigkeit, auch wenn sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 und mehr Stunden arbeiten könnten
(§ 240 SGB VI).
Berufsschutz
Die Abgestufte Erwerbsminderungsrente wird in allen Fällen nur
auf Antrag gezahlt.
Antrag
Die Erwerbsminderungsrente ist in der Regel befristet.
Befristung
Sie wird für längstens 3 Jahre gewährt. Danach kann sie wiederholt beantragt werden. Unbefristet wird die Rente nur gewährt,
wenn keine Verbesserung der Erwerbsminderung mehr absehbar
ist; davon ist nach 9 Jahren auszugehen (§ 102 Abs. 2 SGB VI).
Die Höhe der teilweisen bzw. der vollen Erwerbsminderungsrente
wird individuell errechnet. Sie ist von mehreren Faktoren
abhängig, z. B. Beitragszeiten, Beitragshöhe, Rentenartfaktor.
Höhe
Die monatliche Rentenhöhe (brutto) kann beim Renten­
versicherungsträger erfragt werden. Die Höhe der vollen
Erwerbsminderungsrente (brutto) kann auch aus der jährlichen
Renteninformation entnommen werden, in der Regel sind dabei
die Rentenabschläge berücksichtigt.
Praxistipps!
Folgende Tipps helfen beim Antrag auf Rente:
• Dem Rentenantrag sind zweckmäßige ärztliche Unterlagen
(z. B. Befundbericht des Hausarztes) sowie alle Versicherungsnachweise beizufügen, damit er möglichst schnell bearbeitet
werden kann.
• Bei Notwendigkeit der Weiterführung der Rente ist ein
neuer bzw. ein Verlängerungsantrag nötig. Im Antrag sind die
Einschränkungen des Versicherten durch den Arzt möglichst
genau zu beschreiben bzw. die Angaben aus dem Erstantrag
zu bestätigen, falls keine Verbesserung eingetreten ist.
• Der Versicherte kann dabei mithelfen, indem er sich
selbst genau beobachtet bzw. sich von seiner Umgebung
beobachten lässt, um festzustellen, worin er im Vergleich
zu anderen Gleichaltrigen behindert/eingeschränkt ist. Die
meisten Ärzte schätzen es sehr, wenn der Patient diese
Aufzeichnungen mit zur Sprechstunde bringt.
75
Rentenabschläge
Für jeden Bezugsmonat der Erwerbsminderungsrente, der vor
dem 63. Geburtstag liegt, gibt es einen Rentenabschlag von je
0,3 %; der Abschlag beträgt aber höchstens 10,8 %.
Das heißt: Bei einem Rentenbeginn vor dem 60. Lebensjahr
beträgt der Abschlag immer 10,8 %, bei einem Rentenbeginn
nach dem 63. Lebensjahr gibt es keinen Abschlag. Diese
Rentenkürzung ist dauerhaft, d. h. sie fällt mit dem Eintritt
in eine Altersrente nicht weg und führt nach dem Tod des
Versicherten auch zu einer Kürzung der Hinterbliebenenrente.
Vorgezogene Monate vor dem
63. Geburtstag
Dauerhafte Kürzung
der Rente um
1 Monat
0,3 %
2 Monate
0,6 %
3 Monate
0,9 %
4 Monate
1,2 %
…
…
33 Monate
9,9 %
34 Monate
10,2 %
35 Monate
10,5 %
36 Monate und mehr
10,8 %
Seit 2012 wird diese Abschlagsgrenze schrittweise von 63 auf
65 Jahre angehoben. Der Rentenabschlag bleibt insgesamt auf
10,8 % begrenzt.
Erwerbsminderungsrente
und Selbstständigkeit
Hinzuverdienst
76
Auch selbstständig Erwerbstätige können eine Erwerbs­
minderungsrente beanspruchen, wenn sie die versicherungsrechtlichen und medizinischen Voraussetzungen erfüllen. Die
weitere Ausübung der selbstständigen Erwerbstätigkeit auf
Kosten der Gesundheit ist rentenunschädlich. Das erzielte
Einkommen ist dabei allerdings auf die Rente wegen Erwerbsminderung anzurechnen und kann den Rentenzahlbetrag
mindern.
Die volle Erwerbsminderungsrente wird nur dann ungekürzt
ausgezahlt, wenn der Hinzuverdienst monatlich 450,– € nicht
übersteigt. Bei höherem Hinzuverdienst wird die Rente nur noch
in geringerer Höhe oder überhaupt nicht mehr ausgezahlt. Jede
Erwerbstätigkeit ist dem Rentenversicherungsträger zu melden.
Praxistipp!
Bei der teilweisen Erwerbsminderungsrente kann die
Berechnung der individuellen Hinzuverdienstgrenzen beim
Rentenversicherungsträger oder z. B. bei einem Rentenberater
(Rentenversicherung) durchgeführt werden.
Wer hilft weiter?
Auskünfte und Beratungsstellen vor Ort vermitteln die Rentenversicherungsträger, die auch individuelle Rentenberechnungen
vornehmen.
Grundsicherung im Alter
und bei Erwerbsminderung
Die Grundsicherung soll den grundlegenden Bedarf für
den Lebensunterhalt von Menschen sicherstellen, die
wegen Alters oder aufgrund voller Erwerbsminderung aus
medizinischen Gründen endgültig aus dem Erwerbsleben
ausgeschieden sind und deren Einkünfte für den not­
wendigen Lebensunterhalt nicht ausreichen.
Leistungsberechtigt sind Menschen mit gewöhnlichem
Aufenthalt in Deutschland,
• die das 65. Lebensjahr vollendet haben oder
• die das 18. Lebensjahr vollendet haben und wegen ihrer
Krankheit dauerhaft voll erwerbsgemindert sind und ihren
Lebensunterhalt nicht selbst aus ihrem Einkommen und
Vermögen bestreiten können (wenn z. B. einer alleinlebenden
Frau, abzüglich Miete und Heizkosten, weniger als 382,– €
im Monat zur Verfügung stehen. Ob die Kosten für Miete und
Heizung angemessen sind, wird immer individuell vom Grundsicherungsamt geprüft.).
Voraussetzungen
Für Personen, die nach dem 31.12.1946 geboren sind, wird seit
2012 die Altersgrenze für die Grundsicherung im Alter schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Nicht leistungsberechtigt sind
Personen, die ihre Bedürftigkeit in den letzten 10 Jahren
vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben.
77
Umfang und Höhe
Die Grundsicherung ist abhängig von der Bedürftigkeit und
entspricht in der Höhe der Hilfe zum Lebensunterhalt in der
Sozialhilfe.
Eine alleinlebende Frau könnte z. B. 382,– e plus Unterkunft
und Heizung, Kranken- und Pflegeversicherung sowie eventuell
einen Mehrbedarfszuschlag erhalten. Einkommen und Vermögen
werden aber immer angerechnet.
Sie umfasst hauptsächlich folgende Leistungen:
• Den für den Antragsberechtigten maßgebenden Regelsatz
der Sozialhilfe der Regelbedarfsstufe I.
• Angemessene tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft
und Heizung.
• Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, wenn keine
Pflichtversicherung besteht.
• In Einzelfällen Mehrbedarfszuschläge, einmalige Leistungen
und Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen, insbesondere
Übernahme von Mietschulden.
• Von diesem Bedarf werden die eigenen Einkünfte abgezogen,
die Differenz wird als Grundsicherung ausgezahlt. Sind die
Einkünfte höher als der Bedarf, besteht kein Anspruch auf
eine Grundsicherungsleistung.
Die Grundsicherung wird in der Regel für 12 Kalendermonate
bewilligt.
Wer hilft weiter?
Der Antrag wird beim zuständigen Sozialamt gestellt, es führt
auch die individuellen Berechnungen durch.
78
Altersrente
für Schwerbehinderte
Schwerbehinderte (siehe S. 64) können bereits mit 63 Jahren
in Rente gehen, wenn sie 35 Rentenversicherungsjahre
vorweisen können. Zudem können sie ab 60 Jahren eine
vorgezogene Altersrente beantragen, allerdings mit
Abschlägen bis zu 10,8 %.
Zu beachten ist, dass der Rentenanspruch auch weiter besteht,
wenn während des Bezugs der Rente die Schwerbehinderung
aufgehoben wird.
Wer als Schwerbehinderter (Grad der Behinderung mindestens
50) anerkannt ist, hat bereits ab dem vollendeten 63. Lebensjahr
Anspruch auf abschlagsfreie Altersrente für Schwerbehinderte,
wenn er die Wartezeit (= Mindestversicherungszeit) von
35 Jahren erfüllt.
Geburtsjahrgänge bis 1951
Bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres kann ein Schwer­
behinderter Altersrente beantragen, wenn er
• die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt und
• die Hinzuverdienstgrenze von 450,– € monatlich nicht
überschreitet - dies gilt nur bis zum 65. Geburtstag und
• schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von
mindestens 50 ist oder vor dem 1.1.1951 geboren und
berufs- oder erwerbsunfähig ist.
Rentenabschläge
Die vorgezogene Altersrente für Schwerbehinderte ist niedriger
als die Regelaltersrente. Für jeden Monat, den die Rente vor den
63. Geburtstag vorgezogen wird, wird die Rente um je 0,3 % gekürzt (siehe Tabelle, S. 76). Diese Rentenkürzung ist dauerhaft.
Vertrauensschutz
Versicherte, die vor dem 17.11.1950 geboren wurden und am
16.11.2000 bereits schwerbehindert bzw. berufs- oder erwerbsunfähig waren, genießen Vertrauensschutz, d. h.: Sie können
die Altersrente für Schwerbehinderte nach Vollendung des
60. Lebensjahres ohne Rentenabschläge in Anspruch nehmen.
79
Geburtsjahrgänge bis 1952
Seit 2012 wird die Altersgrenze für eine abschlagsfreie,
vorgezogene Altersrente für Schwerbehinderte beginnend mit
dem Geburtsjahrgang 1952 schrittweise von 63 auf 65 Jahre
angehoben.
Gleichzeitig wird die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Rente von 60 auf 62 Jahre angehoben. Mit 62
ist dann ein Rentenabschlag von maximal 10,8 % in Kauf zu
nehmen.
Praxistipps!
Der Antrag sollte innerhalb von 3 Monaten nach Ablauf des
Monats, in dem die Rentenvoraussetzungen erfüllt werden,
gestellt werden. Ansonsten wird Geld verschenkt.
Antragsformulare gibt es bei den Rentenversicherungsträgern.
Der Rentenanspruch besteht auch weiter, wenn während des
Bezugs der Rente die Schwerbehinderung wieder aufgehoben
wird.
Wer hilft weiter?
Auskünfte und Beratungsstellen vor Ort vermitteln die Rentenversicherungsträger, die auch individuelle Rentenberechnungen
vornehmen.
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Pflege
Multiple Sklerose kann je nach Verlauf zu einer
vorüber­gehenden oder dauerhaften Pflegebedürftigkeit führen.
81
Pflegebedürftigkeit
Damit die Pflegekasse Leistungen übernimmt, müssen zwei
Voraussetzungen erfüllt sein:
• Die Pflegebedürftigkeit muss festgestellt werden und
• die Vorversicherungszeit (in den letzten 10 Jahren mindestens
2 Jahre pflegeversichert) muss erfüllt sein.
Definition „Pflegebedürftigkeit“
Pflegebedürftig ist, wer wegen einer körperlichen, geistigen
oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die
gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden
Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer,
voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem
oder höherem Maße der Hilfe bedarf. Die Schwere der Pflegebedürftigkeit wird in Pflegestufen (siehe S. 86) eingeteilt.
Krankheiten/
Behinderungen
Gewöhnliche und
wiederkehrende
Verrichtungen
Krankheiten oder Behinderungen sind:
• Verluste, Lähmungen oder andere Funktionsstörungen am
Stütz- und Bewegungsapparat
• Funktionsstörungen der inneren Organe oder der Sinnesorgane
• Funktionsstörungen des zentralen Nervensystems, wie
Antriebs-, Gedächtnis- oder Orientierungsstörungen, sowie
endogene Psychosen, Neurosen oder geistige Behinderungen
Gewöhnliche und wiederkehrende Verrichtungen im Ablauf
des täglichen Lebens sind:
• Körperpflege:
Waschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren,
Darm- oder Blasenentleerung.
• Ernährung:
Mundgerechte Zubereitung und Aufnahme der Nahrung.
• Mobilität:
Selbstständiges Aufstehen und Zubettgehen,
An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen,
Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
• Hauswirtschaftliche Versorgung:
Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen,
Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung, Heizen.
82
Hilfe bedeutet: Unterstützung, Übernahme und Anleitung
bzw. Beaufsichtigung.
• Unterstützung bedeutet, dass der Pflegebedürftige
grundsätzlich zur selbstständigen Erledigung einer Verrichtung
in der Lage ist, jedoch zur Vorbereitung, Durchführung oder
Nachbereitung ergänzende Hilfeleistungen der Pflegeperson
benötigt.
Beispiel: Infolge einer teilweisen Lähmung muss die Hand
des rechten Arms zum Kämmen von einer anderen Person
geführt werden.
• Übernahme
Teilweise Übernahme bedeutet, dass Hilfe bei einer teilweise
selbstständig erledigten Verrichtung benötigt wird.
Vollständige Übernahme bedeutet, dass die Pflegeperson
die Verrichtung notwendigerweise selbst ausführt, da der
Pflegebedürftige diese nicht selbst ausführen kann.
• Anleitung oder Beaufsichtigung haben zum Ziel, dass die
täglichen Verrichtungen in sinnvoller Weise vom Pflege­
bedürftigen selbst durchgeführt werden. Anleitung bedeutet,
dass die Pflegeperson bei einer konkreten Verrichtung den
Ablauf der einzelnen Handlungsschritte oder den ganzen
Handlungsablauf lenken oder demonstrieren muss.
Unterstützung, Übernahme,
Anleitung
Leistungen
der Pflegeversicherung
Die gesetzliche Pflegeversicherung tritt für die pflegerische
Versorgung von Personen mit einer Pflegebedürftigkeit ein.
Es gibt folgende Pflegeleistungen:
• Häusliche Pflege
Der Patient wird zu Hause gepflegt.
• Teilstationäre Pflege
Der Patient wird entweder tagsüber oder während der Nacht
in einer Einrichtung versorgt.
• Vollstationäre Pflege
Der Patient lebt in einer Pflegeeinrichtung und wird dort vom
Pflegepersonal versorgt.
• Kurzzeitpflege
Der Patient wird vorübergehend in einer Pflegeeinrichtung
betreut.
• Pflege in einer Behinderteneinrichtung
Der behinderte Mensch wird in einer Behinderteneinrichtung
rund um die Uhr versorgt.
Leistungen zur
Pflegeversicherung
83
Antrag auf Pflegeleistungen
Wenn ein MS-Erkrankter pflegebedürftig ist und Leistungen
der Pflegeversicherung erhalten möchte, muss er die Pflegeleistungen bei der Pflegekasse beantragen. Die Pflegekassen
sind an die Krankenkassen angegliedert.
Formulare für den Pflegeantrag sind bei der Pflegekasse
erhältlich und können telefonisch angefordert werden. Das
ausgefüllte Formular geht an die Pflegekasse. Die Pflegekasse
beauftragt den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) mit der Prüfung der Pflegebedürftigkeit.
Der MDK kommt zu einem Vor-Ort-Termin und begutachtet die
Pflegesituation. Auf der Grundlage des Gutachtens legt die
Pflegekasse die Pflegestufe fest. Die Pflegestufe entscheidet
über die Höhe der Leistungen.
Zeit der Antragstellung
Zwischen Antragstellung und Genehmigung können mitunter
mehrere Wochen vergehen. Falls in dieser Zeit bereits eine
Pflegeperson notwendig ist, muss diese selbst bezahlt werden.
Falls dazu kein Geld vorhanden ist:
Vorübergehend kann beim Sozialamt „Hilfe zur Pflege“ beantragt
werden. Liegen die Voraussetzungen vor, geht das Sozialamt in
Vorleistung und rechnet dann bei Bewilligung des Pflegeantrags
direkt mit der Pflegekasse ab.
Wenn die Kosten vom Pflegebedürftigen vorerst selbst übernommen werden:
Wird der Antrag genehmigt, übernimmt die Pflegekasse die
Kosten im Nachhinein ab dem Datum der Antragstellung und
bis zur Höhe der genehmigten Sachleistungen. Deshalb ist es
wichtig, alle Belege aufzubewahren.
Begutachtungsfristen
bei Pflegeantrag
Über einen Antrag zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit muss
die Pflegekasse innerhalb einer bestimmten Frist entscheiden.
Die Frist ist abhängig vom Aufenthaltsort des Antragstellers und
von der Beantragung von Pflegezeit.
Die Frist beträgt
• 5 Wochen, wenn sich der Antragsteller zu Hause befindet.
• 2 Wochen, wenn sich der Antragsteller zu Hause befindet und
ein Angehöriger Pflegezeit beantragt hat.
• 1 Woche, wenn sich der Antragsteller im Krankenhaus, in einer
stationären Reha-Einrichtung oder in einem Hospiz befindet,
oder wenn er eine ambulante Palliativversorgung erhält.
84
Spätestens 5 Wochen nach dem Pflegeantrag muss die Pflegekasse dem Antragsteller ihre Entscheidung schriftlich mitteilen
(§ 18 Abs. 3 SGB XI). Erteilt die Pflegekasse den schriftlichen
Bescheid über den Antrag nicht innerhalb von 5 Wochen oder
werden andere Begutachtungsfristen nicht eingehalten, muss
die Pflegekasse seit 1.1.2013 für jede begonnene Woche der
Fristüberschreitung unverzüglich 70,– € an den Antragsteller
zahlen.
Der Beginn der Leistungen durch die Pflegekasse hängt vom
Datum der Antragstellung und vom Beginn der Pflege­
bedürftigkeit ab.
Beginn der Leistungen
Die Pflegekasse leistet
• ab dem Datum der Antragstellung, wenn der Versicherte an
diesem Tag seit weniger als einem Monat pflegebedürftig ist.
• ab dem Ersten des Monats der Antragstellung, wenn der
Versicherte am Tag der Antragstellung schon länger als einen
Monat pflegebedürftig ist.
• ab dem tatsächlichen Eintritt der Pflegebedürftigkeit, wenn
der Antrag bereits gestellt wird, wenn die Pflegebedürftigkeit
noch nicht vorliegt.
Es ist sehr empfehlenswert, dass pflegende Angehörige vor
dem Begutachtungstermin des MDK 1 bis 2 Wochen lang ein
sogenanntes Pflegetagebuch führen.
Pflegetagebuch
Wenn dies aufgrund der aufwendigen Pflege des Patienten nicht
möglich ist, reichen auch einige Tage. Dabei sollte möglichst der
Aufwand an „guten“ und an „schlechten“ Tagen erfasst werden.
In das Pflegetagebuch tragen alle an der Pflege beteiligten
Personen ihre Pflegezeiten und Pflegetätigkeiten ein. Dabei
wird minutengenau festgehalten, wie viel Zeit die einzelnen
Tätigkeiten im Rahmen der Grundpflege und hauswirt­
schaftlichen Versorgung einnehmen. So bekommt der
Pflegende einen Überblick über den gesamten Hilfebedarf
und Zeitaufwand der täglichen Pflege.
Praxistipp!
Eine Musterseite eines Pflegetagebuchs zum Ausfüllen finden
Sie im Anhang auf S. 128.
Auf Anfrage ist ein Pflegetagebuch auch bei manchen
Pflegekassen erhältlich.
85
Pflegestufen
der Pflegeversicherung
Die Pflegestufe ergibt sich aus der Schwere der Pflegebedürftigkeit und bedingt die Höhe der Leistungen der
Pflegekasse.
Pflegestufe I –
erheblich Pflegebedürftige
Hilfebedarf besteht einmal täglich für wenigstens zwei
Verrichtungen aus den Bereichen Körperpflege, Ernährung
oder Mobilität und zusätzlich mehrfach in der Woche bei
der hauswirtschaftlichen Versorgung.
Der Zeitaufwand eines Familienangehörigen oder einer anderen
nicht als Pflegekraft ausgebildeten Pflegeperson beträgt für
die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung
wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten.
Davon müssen auf die Grundpflege mindestens 46 Minuten
entfallen.
Leistungen Pflegestufe I
Pflegegeld
235,–
Pflegegeld bei erheblichem allgemeinem
Betreuungsbedarf
305,–
Pflegesachleistungen
450,–
Pflegesachleistungen bei erheblichem allgemeinem
Betreuungsbedarf
450,–
Kombinationsleistung
Teilstationäre Tages- oder Nachtpflege
86
anteilig
450,–
Stationäre Kurzzeitpflege (längstens 4 Wochen/Jahr)
1.550,–
Vollstationäre Pflege
1.023,–
Ersatzpflege, Verhinderungspflege durch
Fachkräfte und nicht verwandte Laienhelfer
(längstens 4 Wochen/Jahr
1.550,–
Ersatzpflege durch verwandte Laienhelfer
Pflegestufe II –
schwer Pflegebedürftige
E/mtl.
235,–
Hilfebedarf besteht mindestens dreimal täglich zu ver­
schiedenen Tageszeiten für Verrichtungen aus den Bereichen
Körperpflege, Ernährung oder Mobilität und zusätzlich mehrfach
in der Woche bei der hauswirtschaftlichen Versorgung.
Der Zeitaufwand eines Familienangehörigen oder einer anderen
nicht als Pflegekraft ausgebildeten Pflegeperson beträgt für
die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung
wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 3 Stunden. Davon
müssen auf die Grundpflege mindestens 2 Stunden entfallen.
Leistungen Pflegestufe II
E/mtl.
Pflegegeld
440,–
Pflegegeld bei erheblichem allgemeinem
Betreuungsbedarf
525,–
Pflegesachleistungen
1.100,–
Pflegesachleistungen bei erheblichem allgemeinem
Betreuungsbedarf
1250,–
Kombinationsleistung
anteilig
Teilstationäre Tages- oder Nachtpflege
1.100,–
Stationäre Kurzzeitpflege (längstens 4 Wochen/Jahr)
1.550,–
Vollstationäre Pflege
1.279,–
Ersatzpflege, Verhinderungspflege durch
Fachkräfte und nicht verwandte Laienhelfer
(längstens 4 Wochen/Jahr)
1.550,–
Ersatzpflege durch verwandte Laienhelfer
440,–
Hilfebedarf besteht täglich rund um die Uhr, auch nachts,
bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität und
zusätzlich mehrfach in der Woche bei der hauswirtschaftlichen
Versorgung.
Der Zeitaufwand eines Familienangehörigen oder einer
anderen nicht als Pflegekraft ausgebildeten Pflegeperson für
die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung beträgt
wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 5 Stunden. Davon
müssen auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen.
Leistungen Pflegestufe III
Pflegegeld
E/mtl.
700,–
Pflegesachleistungen
1.500,–
Kombinationsleistung
anteilig
Teilstationäre Tages- oder Nachtpflege
1.550,–
Stationäre Kurzzeitpflege (längstens 4 Wochen/Jahr)
1.550,–
Vollstationäre Pflege
1.550,–
Ersatzpflege, Verhinderungspflege durch
Fachkräfte und nicht verwandte Laienhelfer
(längstens 4 Wochen/Jahr)
1.550,–
Ersatzpflege durch verwandte Laienhelfer
Pflegestufe III –
Schwerstpflegebedürftige
700,–
87
Härtefall
Ein Härtefall liegt bei Erforderlichkeit eines außergewöhnlich
hohen und intensiven Pflegeaufwands vor, der das übliche Maß
der Pflegestufe III weit übersteigt.
Dies ist z. B. dann der Fall, wenn Hilfe bei der Grundpflege
mindestens 6 Stunden, davon mindestens dreimal in der Nacht,
erforderlich ist oder mehrere Pflegepersonen notwendig sind.
Leistungen Härtefall
Höherstufung
E
Pflegesachleistungen monatlich
1.918,–
Vollstationäre Pflege monatlich
1.918,–
Die Einstufung in eine höhere Pflegestufe ist immer dann
möglich, wenn sich der Pflegeaufwand erhöht. Dazu ist ein
Antrag bei der Pflegekasse zu stellen und ein erneutes Fest­
stellungsverfahren über den MDK nötig, das auch als Wieder­
holungsgutachten bezeichnet wird.
Als Wiederholungsgutachten gilt auch die Begutachtung im
Auftrag der Pflegekasse, wenn diese den Hinweis erhält, dass
die häusliche Pflege nicht mehr in ausreichender Weise gewährleistet ist.
Praxistipp!
Reicht der Pflegebedarf für die Pflegestufe I nicht aus, erhält
der Hilfebedürftige prinzipiell keine Leistungen der Pflege­
versicherung. Ausnahmsweise kann es finanzielle Hilfen vom
Sozialamt geben. An den vom MDK festgestellten Pflegebedarf
ist das Sozialamt gebunden. Die hilfebedürftige Person sollte
dann beim zuständigen Sozialamt einen Antrag auf Hilfe zur
Pflege stellen.
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Pflegehilfsmittel
Die Pflegeversicherung bezahlt bei Patienten, die zu Hause
gepflegt werden, bestimmte Pflegehilfsmittel.
Die Pflegehilfsmittel sind nicht zu verwechseln mit den Hilfs­
mitteln, deren Kosten die Krankenkasse übernimmt (siehe
S. 55). Bei Pflegekassen oder in Sanitätshäusern ist ein Pflege­
hilfs­mittelverzeichnis erhältlich, das über die Kostenübernahme
informiert.
Die meisten Produkte werden nicht doppelt als Hilfsmittel und
als Pflegehilfsmittel aufgeführt. Ausnahmen bilden aber z. B.
Bettschutzeinlagen, Krankenunterlagen, Pflegebetten oder Einmalhandschuhe.
Der Arzt muss stets entscheiden, ob pflegerische Aspekte maßgebend sind oder der Erfolg einer Krankenbehandlung gesichert
bzw. eine Behinderung ausgeglichen werden soll.
Pflegehilfsmittel und technische Hilfen gehören im Rahmen
der Pflegeversicherung zur häuslichen Pflege. Sie können
in der Regel neben den anderen Leistungen der häuslichen
Pflege gewährt werden. Auch Zuschüsse für Maßnahmen zur
Verbesserung des Wohnumfeldes (siehe S. 104) zählen hierzu.
Prinzipiell müssen die Vorversicherungszeit erfüllt und eine
Pflegestufe festgestellt werden.
Voraussetzungen
89
Kategorien
Pflegehilfsmittel sind Hilfsmittel
• zur Erleichterung der Pflege
z.B. Pflegebetten und Zubehör, Pflegebett-Tische
• zur Körperpflege/Hygiene
z.B. Waschsysteme, Duschwagen, Bettpfannen, Urinflaschen
• zur selbstständigen Lebensführung
z.B. Hausnotrufsysteme
• zur Linderung von Beschwerden
z.B. Lagerungsrollen und -halbrollen
• die zum Verbrauch bestimmt sind
z.B. saugende Bettschutzeinlagen zum einmaligen Gebrauch,
Schutzbekleidung, Desinfektionsmittel.
Nicht zu den Pflegehilfsmitteln gehören Mittel des täglichen
Lebensbedarfs, die allgemeine Verwendung finden und
üblicherweise von mehreren Personen benutzt werden oder
in einem Haushalt vorhanden sind.
Kostenübernahme
Die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln erfolgt in der Regel durch
Vertragspartner der Pflegekasse. Bezieht der Versicherte aufgrund eines berechtigten Interesses Pflegehilfsmittel bei einem
anderen Leistungserbringer, der nicht Vertragspartner der Pflegekasse ist, muss der Versicherte die Mehrkosten selbst tragen. Um
dies zu vermeiden, sollte sich der Versicherte vorab die Vertragspartner der Pflegekasse benennen lassen.
Bei der Kostenübernahme ist zu unterscheiden zwischen
Pflegehilfsmitteln, für die ein Festbetrag besteht, und
Pflegehilfsmitteln ohne Festbetrag.
• Pflegehilfsmittel mit Festbetrag.
Die Kassen übernehmen die Kosten bis zur Höhe des
Festbetrags.
• Pflegehilfsmittel ohne Festbetrag beim Vertragspartner.
Die Kassen übernehmen die Kosten bis maximal zur Höhe des
vertraglich vereinbarten Preises.
• Pflegehilfsmittel ohne Festbetrag bei Leistungserbringern,
die nicht Vertragspartner der Pflegekasse sind.
Die Kassen erstatten nur Kosten in Höhe des niedrigsten
Preises einer vergleichbaren Leistung eines Vertragspartners.
Kostenträger
90
Die Pflegekasse zahlt Pflegehilfsmittel nachrangig gegenüber
anderen Hilfsmitteln, die bei Krankheit und Behinderung von
den Krankenkassen, den Berufsgenossenschaften oder den
Rentenversicherungsträgern geleistet werden.
Das heißt: War beispielsweise bislang die Krankenkasse für
einzelne Hilfsmittel zuständig, bleibt sie dies auch weiterhin,
unabhängig davon, ob zur krankheitsbedingten Behinderung
auch Pflegebedürftigkeit im Sinne des Pflegeversicherungs­
gesetzes hinzukommt.
Der Antrag für die Kostenübernahme eines Pflegehilfsmittels
kann ohne ärztliche Verordnung bei der Pflegekasse gestellt
werden. Diese stellt eine Bestätigung über die Notwendigkeit
der Pflegehilfsmittel aus. Unter Vorlage dieser Bestätigung
erhält der Versicherte vom zugelassenen Leistungserbringer die
benötigten Pflegehilfsmittel. Der Leistungserbringer verrechnet
direkt mit der Pflegekasse.
Versicherte ab dem 18. Geburtstag müssen für technische
Hilfen folgende Zuzahlung leisten:
• 10 % der Kosten des Hilfsmittels
• maximal 25,– € je Hilfsmittel
• Bei leihweiser Überlassung von technischen Pflegehilfsmitteln
entfällt die Zuzahlung, es kann jedoch eine Leihgebühr
anfallen.
Zuzahlungen
Wer hilft weiter?
Bei weiteren Fragen helfen die Pflegekassen oder das
Bürgertelefon des Bundesministeriums für Gesundheit:
030 3406066-02, Mo–Do von 8–18 Uhr und Fr von 8–15 Uhr.
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Alltag und Familie
MS ist eine Erkrankung, die eine Partnerschaft oder ein
Familiensystem nachhaltig verändern kann. MS tritt überwiegend zwischen
dem 20. und 40. Lebensjahr auf, also in den Jahren der persönlichen Entwicklung
und Produktivität. Die Erkrankung beeinflusst die Lebensplanung deshalb sehr stark.
93
Partnerschaft
Das Leben mit MS stellt eine Partnerschaft vor große
Herausforderungen. Durch die MS-Erkrankung muss
das gewohnte Leben oft völlig umstrukturiert werden.
Die Rollenverteilung der Lebenspartner kann sich ändern,
Aufgaben werden neu verteilt. Jemand der vorher berufs­
tätig war, führt z. B. zukünftig den Haushalt oder umgekehrt.
Wichtig bei einer Neuausrichtung ist ein verständnisvoller,
partnerschaftlicher Umgang. Die reduzierte Leistungsfähigkeit
und Hilfebedürftigkeit des Erkrankten kann bei diesem zu Frustration, Wut und Niedergeschlagenheit führen. Dagegen kann
der gesunde Partner sich überfordert und eingeengt fühlen,
wenn er sich zu viele Aufgaben auflastet. Eine offene
Kommunikation mit dem Partner ist deshalb sehr wichtig.
Missverständnisse können dadurch verringert und das alltägliche
Zusammenleben erleichtert werden. Um Konflikte und ein „BurnOut-Syndrom“ zu vermeiden, sollten rechtzeitig Ressourcen
genutzt werden, z. B. durch Informationen und Unterstützung
von professionellen Helfern und Selbsthilfeverbänden.
Kinder von Eltern mit MS
Wenn ein Elternteil erkrankt, machen sich Kinder
verständlicherweise große Sorgen. Die durch die
Erkrankung eines Elternteils bedingten Veränderungen
im Zusammenleben können bei Kindern zu großer
Verunsicherung führen.
Kleinere Kinder haben Angst, dass Mama bzw. Papa sterben
könnten oder fürchten sich davor, verlassen zu werden. Deshalb
ist eine offene Kommunikation mit den Kindern über die MSErkrankung wichtig, um Ängste bei den Kindern abzubauen.
Dabei sollten die Eltern auf eine altersgerechte Erklärung der
Erkrankung achten.
Bei Jugendlichen besteht die Gefahr, dass sie sich stark zurückziehen oder viel Ablenkung suchen. Ein ausweichendes Verhalten
sollte aber nicht als ignorant betrachtet werden. Für Jugendliche
ist es normal, dass sie zu gleichaltrigen Freunden dazugehören
wollen und Angst haben, z. B. durch die Krankheit der Eltern,
von der Norm abzuweichen.
94
Manche Jugendlichen neigen vielleicht auch dazu, im Familiensystem übermäßig viel Verantwortung im Haushalt oder bei
der Versorgung des Erkrankten zu übernehmen und dadurch
eigene Bedürfnisse und Interessen zurückstellen. Dabei ist
daran zu denken, dass Teenager nicht die Verantwortung eines
Erwachsenen übernehmen können, sondern eine altersgemäße
Rolle in der Familie behalten sollten. Ansonsten besteht die
Gefahr der Überforderung des Jugendlichen.
Praxistipp!
Ein gutes Infoportal für Kinder und Jugendliche zum Thema MS
ist www.kinder-und-ms.de. Verantwortlich für die Inhalte sind
der Bundesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft
(DMSG) und AMSEL e.V., der Landesverband der DMSG in BadenWürttemberg.
Sexualität
Ein erfülltes Sexualleben gehört für die meisten Menschen
zu einer glücklichen Partnerschaft oder einem aktiven Leben
dazu. Viele MS-Betroffene haben aufgrund psychischer oder
organischer Ursachen Problemen in der Sexualität.
Die Diagnose MS stellt eine bestehende Partnerschaft auf
die Probe. Wird es gelingen sich gemeinsamen den neuen
Herausforderungen zu stellen und das Leben vielleicht anders
zu gestalten, als eigentlich geplant? Wenn durch MS außerdem
die Intimität leidet, kann die Beziehung zusätzlich belastet sein.
Paare sollten sich allerdings stets vergegenwärtigen, dass sich
auch bei gesunden Menschen Probleme im Sexualleben einstellen und nicht jede Schwierigkeit auf MS zurückzuführen ist.
Auch Stress und Druck in der Arbeit oder anhaltende Müdigkeit
können die Ursache sein.
Lernt ein Betroffener einen neuen Partner kennen, kommt
die Frage auf, ob und wann er diesem von seiner Erkrankung
erzählen soll. Dies ist allerdings stark von den individuellen
Bedürfnissen und der Situation abhängig. Hier sollte sich der
Betroffene auf sein Gefühl verlassen.
Befürchtungen, dass sexuelle Aktivität für den Erkrankten
schädlich ist oder sogar einen Schub auslösen könnte, sind
aus medizinischer Sicht unbegründet.
Intimität
95
Mögliche Probleme
Lustempfinden und Sexualität sind komplexe Bereiche und
können durch MS auf mehreren Ebenen beeinflusst werden.
Folgende Einschränkungen im genitalen Bereich können
auftreten:
Bei Frauen
• Verminderte Empfindung oder Missempfindungen im
Bereich der Scheide
• Trockenheit der Scheide
• Schwierigkeiten einen Orgasmus zu erreichen
• Verringerung/Verlust des Lustempfindens (Libido)
Bei Männern
• Störung oder Verlust der Erektionsfähigkeit
• Verringertes Empfinden im Glied
• Störung oder Verlust des Ejakulationsvermögens
• Verringerung/Verlust des Lustempfindens (Libido)
Zudem können weitere körperliche Einschränkungen
Auswirkungen auf das Sexualleben haben:
• Gesteigerte Muskelspannungen (Spasmen) in den
Oberschenkeln
• Blasen- und Darmstörungen (Inkontinenzprobleme)
• Fehlende Energie durch Müdigkeit/Fatigue
• Geringeres sexuelles Verlange durch Medikamente
Die psychische Verfassung spielt eine große Rolle für ein
erfülltes Sexualleben. MS-Erkrankte sind häufig mit
folgenden Problemen konfrontiert:
• Seelische Belastungen
•Depressionen
• Negatives Körpergefühl durch krankheitsbedingte optische
und funktionale Veränderungen
• Rückzug wegen des Gefühls, als Sexualpartner nicht attraktiv
zu sein
• Kein gleichberechtigtes Partnerschaftsgefühl durch
Verschiebung von Rollen
Umgang und Hilfe
Die Diagnose MS bedeutet nicht, dass Nähe und Intimität mit
einem Partner nicht mehr möglich sind. Es gibt verschiedene
Wege, sich einer gemeinsamen Sexualität anzunähern. Zudem
ist der Geschlechtsakt nicht die einzige Form, gegenseitige
Zuneigung und Liebe auszudrücken.
Von zentraler Bedeutung ist eine offene Kommunikation mit
dem Partner. Gegebenenfalls kann auch ein Sexualtherapeut
Unterstützung bieten.
96
Mit Hilfe des Arztes, z. B. Hausarzt, Neurologe, Gynäkologe oder
Urologe, kann der Betroffene herauszufinden, ob die Ursachen
für sexuelle Störungen organisch oder psychisch sind, und
ob eine Behandlung mit speziellen Medikamenten oder die
Verwendung von mechanischen Hilfen sinnvoll ist.
Oft hilft es schon, auf das richtige Timing zu achten: z. B. bei
verfrühter Müdigkeit sexuelle Aktivität eher nicht auf den Abend
zu legen oder bei Blasenstörungen vor dem Geschlechtsverkehr
bewusst weniger zu trinken.
Betroffene sollten sich auch nicht scheuen, einen Psycho­
therapeuten (siehe S. 107) zu kontaktieren, wenn die psychische
Verfassung eine der Hauptursachen für ein nicht zufrieden­
stellendes Sexualleben ist.
Kinderwunsch mit MS
Die MS-Erkrankung beginnt meist im jungen Erwachsenenalter. Das Thema „Familienplanung“ spielt daher bei vielen
Betroffenen eine große Rolle. Die Erkrankung ist kein
genereller Hinderungsgrund für eine Schwangerschaft.
Eine genaue Abstimmung mit dem Neurologen ist aber in
jedem Fall erforderlich.
Multiple Sklerose ist keine Erbkrankheit. Für das Kind steigt
lediglich das Risiko an MS zu erkranken.
Folgendes sollte im Vorfeld einer Schwangerschaft überlegt
werden:
• Eine Schwangerschaft sollte nur in körperlich stabilem
Zustand angestrebt werden, möglichst auch nicht nach
einem gerade überstandenen Schub.
• Da der Verlauf der MS-Erkrankung schwer abzuschätzen
ist, sollte sich eine Betroffene klar darüber sein, dass die
körperliche Belastbarkeit abnehmen und Einschränkungen,
beispielsweise motorischer Art, nach einem Schub bleiben
können. Daher sind eine stabile Partnerschaft und ein festes
soziales Umfeld Faktoren, die Sicherheit geben. Das Kind
sollte auch dann betreut und versorgt werden können, wenn
dies der eigene Gesundheitszustand momentan oder auf
längere Sicht nicht ermöglicht.
• Vor einer Schwangerschaft sollte unbedingt mit dem
behandelnden Arzt abgeklärt werden, ob eine Dauer­
medikation während der Schwangerschaft beibehalten
werden kann oder bestimmte Medikamente abgesetzt
werden müssen.
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Haushaltshilfe
Eine Haushaltshilfe ist eine fremde oder verwandte Person,
die die tägliche Arbeit im Haushalt erledigt. Sie übernimmt
alle zur Weiterführung des Haushalts notwendigen Arbeiten,
z. B. Einkauf, Kochen, Waschen oder Kinderbetreuung. Die
Kosten werden in der Regel dann übernommen, wenn die
haushaltsführende Person ins Krankenhaus muss und
zu Hause Kinder unter 12 Jahren zu versorgen sind.
Voraussetzungen
Haushaltshilfe kann eine Leistung der Krankenversicherung oder
der Rentenversicherung sein, bei Geringverdienenden oder nicht
Versicherten auch eine Leistung der Sozialhilfe, die sich dabei an
den Leistungen der Kranken­versicherung orientiert.
Die Krankenkasse oder die Rentenversicherung stellt eine
Haushaltshilfe, wenn:
• die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist wegen
Krankenhausbehandlung, medizinischer Vorsorgeleistungen,
häuslicher Krankenpflege oder Medizinischer Rehabilitation
und
• ein Kind im Haushalt lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe
das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder
das behindert und auf Hilfe angewiesen ist, z. B. für
Ernährung, Körperpflege, seelische Betreuung und
• keine im Haushalt lebende Person (auf Volljährigkeit kommt
es nicht an) den Haushalt weiterführen kann, z. B. wegen sehr
hohem Alter, schlechtem Gesundheitszustand, des Umfangs
der Haushaltsführung.
Wichtig ist hierbei, dass sich die andere im Haushalt lebende
Person (z. B. der Ehepartner oder ältere Kinder) nicht wegen
der Weiterführung des Haushalts von ihrer Berufstätigkeit,
Berufs- oder Schulausbildung beurlauben lassen muss, d. h.
der Haushaltsangehörige kann seine eigene berufliche oder
schulische Rolle beibehalten.
Praxistipps!
Der gesetzliche Grundanspruch auf die Kostenübernahme für
eine Haushaltshilfe besteht, wenn ein Kind unter 12 Jahren
im Haushalt lebt. Viele Krankenkassen weichen von diesem
Grundanspruch durch individuelle Satzungsleistungen zu
Gunsten ihrer Versicherten ab und bezahlen die Haushaltshilfe
auch, wenn die Kinder älter sind oder in Einzelfällen sogar,
wenn gar keine Kinder mehr im Haushalt leben.
98
Es sollte individuell mit der Krankenkasse abgeklärt werden, in
welchem Umfang die Kostenübernahme für eine Haushaltshilfe
in der Satzung festgelegt ist.
Anspruch auf Haushaltshilfe besteht auch bei Mitaufnahme der
haushaltsführenden Person als Begleitperson ins Krankenhaus.
Zudem müssen die weiteren Voraussetzungen (siehe S. 98) vor­
liegen.
Wurde der Antrag auf eine Haushaltshilfe abgelehnt und leben
Kinder im Haushalt, deren Versorgung infolge der Erkrankung der
Mutter/des Vaters nicht gewährleistet ist, kann beim Jugendamt
ein Antrag auf ambulante Familienpflege gestellt werden.
Sachleistungserbringung
Vorrangig erbringen die Krankenkassen und die Renten­
versicherungsträger eine Sachleistung, d. h.: Sie bezahlen
eine Haushaltskraft einer Vertragsorganisation, die sich der
Versicherte in der Regel selbst aussuchen kann.
Leistungsumfang
Die Krankenkassen haben mit geeigneten Organisationen (z. B.
Trägern der freien Wohlfahrtspflege, ambulanten Pflegediensten
oder Sozialstationen) Verträge über die Erbringung von Haushaltshilfe geschlossen. Haushaltshilfekräfte dieser Vertrags­
organisationen erbringen die Leistung und rechnen dann direkt
mit der Krankenkasse ab.
Selbst beschaffte Haushaltshilfe
Wenn die Sachleistungserbringung nicht möglich ist, werden die
Kosten für eine selbst beschaffte Haushaltshilfe in angemessener
Höhe, d. h. in Anlehnung an das tarifliche oder übliche Entgelt
einer Haushaltshilfe, von Krankenkasse oder Berufsgenossenschaft übernommen. Dies muss unbedingt vorher mit dem
Leistungsträger abgesprochen und von diesem genehmigt sein.
Für Verwandte und Verschwägerte bis zum 2. Grad, d. h.: Eltern,
Kinder, Großeltern, Enkelkinder, Geschwister, Stiefeltern, Stiefkinder, Stiefenkelkinder, Schwiegereltern, Schwiegerkinder, Großeltern des Ehepartners, Schwager/Schwägerin, kann es lediglich
eine Erstattung der Fahrkosten und des Verdienstausfalls geben
(siehe unten), nicht aber eine Kostenerstattung für eine selbst
beschaffte Haushaltshilfe.
Fahrtkosten, Verdienstausfall
Die Krankenkassen und die Rentenversicherungsträger können
die erforderlichen Fahrtkosten und den Verdienstausfall für
Verwandte und Verschwägerte bis zum 2. Grad erstatten.
Den Verdienstausfall muss der Arbeitgeber bestätigen. Ein entsprechendes Formular gibt es bei den Kostenträgern.
99
Anderweitige Unterbringung
Ausnahmsweise können die zuständigen Kostenträger anstelle
der Haushaltshilfe die Kosten für die Mitnahme oder ander­
weitige Unterbringung der Kinder bis zur Höhe der Haushalts­
hilfe-Kosten übernehmen, soweit darunter der Reha-Erfolg
nicht leidet. Dies gilt vornehmlich bei Gewährung der Haushaltshilfe-Leistung durch die Renten­versicherung (§ 54 Abs. 2 SGB IX).
Zuzahlung
Die Zuzahlung beträgt 10 % der Kosten pro Kalendertag, jedoch
mindestens 5,– € und höchstens 10,– €.
Eine Befreiung von der Zuzahlung ist bei Erreichen der
Belastungsgrenze möglich (siehe S. 56).
Wer hilft weiter?
Antragsformulare für eine Haushaltshilfe gibt es bei den
Krankenkassen, den Berufsgenossenschaften und den Renten­
versicherungsträgern. Sie beraten auch bei Detailfragen und
geben individuelle Auskünfte.
100
Häusliche Krankenpflege
Häusliche Krankenpflege bedeutet, dass ein Patient zu Hause
von Fachpersonal versorgt wird. Neben der medizi­nischen
Versorgung kann das auch die Körperpflege, Ernährung,
Mobilität und den Haushalt des Patienten um­fassen. Die
häusliche Krankenpflege wird in der Regel von der Krankenkasse finanziert und ist nicht zu verwechseln mit der
„häuslichen Pflege“ der Pflegeversicherung (siehe S. 83).
Die Krankenversicherung stellt unter bestimmten Voraus­
setzungen eine häusliche Krankenpflege oder übernimmt
die Kosten dafür. In Einzelfällen tritt die Krankenhilfe des
Sozialhilfeträgers für die Kosten ein.
Häusliche Krankenpflege kann verordnet werden, wenn:
• eine Krankenhausbehandlung erforderlich, aber nicht
ausführbar ist (z. B. Patient verweigert aus nachvollziehbaren
Gründen die Zustimmung zur Krankenhauseinweisung) oder
• eine Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wird.
In beiden Fällen handelt es sich um die sogenannte Kranken­
hausvermeidungspflege, oder
• sie zur Sicherung des ärztlichen Behandlungszieles erforderlich
ist (z. B. falls der Arzt Injektionen im nötigen Umfang nicht
selbst vornehmen kann). In diesem Fall handelt es sich um
die sogenannte Sicherungspflege. und
• keine im Haushalt lebende Person den Patient im
erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann.
Praxistipp!
Einige Krankenkassen weichen durch individuelle Satzungsleistungen vom gesetzlichen Grundanspruch zu Gunsten ihrer
Versicherten ab und übernehmen freiwillig die Kosten für eine
häusliche Krankenpflege, auch wenn oben genannte Voraussetzungen nicht vorliegen. Dies ist individuell mit der zuständigen
Krankenkasse zu klären.
Ist die Krankenkasse der Kostenträger, wird die häusliche
Krankenpflege an geeigneten Orten erbracht, an denen sich
der Patient regelmäßig aufhält, z. B.:
• in der Wohnung des Patienten.
• in betreuten Wohnformen, z. B. Wohngemeinschaften.
• in Schulen und Kindergärten.
• bei besonders hohem Pflegebedarf in Werkstätten für
Behinderte.
• bei besonders hohem Bedarf an medizinischer Behandlungspflege (für mindestens 6 Monate) ausnahmsweise in Heimen.
Ort der Pflege
101
Dauer
Die Krankenhausvermeidungspflege ist bis zu 4 Wochen je
Krankheitsfall möglich. In medizinisch begründeten Fällen
(Prüfung durch MDK) auch länger.
Bei der Sicherungspflege ist keine zeitliche Begrenzung
durch den Gesetzgeber vorgegeben, jedoch ist die Dauer von
der Satzung der Krankenkasse abhängig.
Umfang
Die Krankenhausvermeidungspflege umfasst:
•Behandlungspflege
•Grundpflege
• Hauswirtschaftliche Versorgung
Die Sicherungspflege umfasst:
•Behandlungspflege.
• Grundpflege nur, wenn dies in der Satzung des Kostenträgers
geregelt ist.
• Hauswirtschaftliche Versorgung nur, wenn dies in der Satzung
des Kostenträgers geregelt ist.
Leistungsinhalte
Behandlungspflege bedeutet:
• medizinische Hilfeleistungen, z. B. Verabreichung von
Medikamenten, Anlegen von Verbänden, Injektionen, Messen
der Körpertemperatur, Spülungen und Einreibungen oder
• verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen
z. B. An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der
Klasse 2, Sekret absaugen oder Wechseln einer Sprechkanüle.
Auch wenn sie bereits im Hilfebedarf bei der Feststellung der
Pflegebedürftigkeit in der Pflegeversicherung berücksichtigt
worden sind, sind diese verordnungsfähig.
Grundpflege bedeutet:
pflegerische Leistungen nicht­medizinischer Art,
z. B. Körperpflege, Ernährung, Mobilität.
Hauswirtschaftliche Versorgung bedeutet:
z. B. Einkaufen, Kochen, Putzen, Spülen, Waschen, Heizen.
Praxistipp!
Voraussetzung für eine Kostenübernahme der Häuslichen Kranken­
pflege durch die Krankenkasse ist, dass auf der Verordnung
des Arztes Behandlungspflege verordnet ist. Grundpflege und
hauswirtschaftliche Versorgung ohne Notwendigkeit von
Behandlungspflege wird nicht übernommen.
Verordnung
102
Die Verordnung einer häuslichen Krankenpflege erfolgt in der
Regel durch einen Vertragsarzt, z. B. den Hausarzt.
Hält ein Krankenhausarzt bei Entlassung eines Patienten eine
häusliche Krankenpflege für erforderlich, so kann er diese
anstelle des Vertragsarztes für maximal 3 Tage verordnen.
Der Krankenhausarzt sollte vor der Entlassung den weiter­
behandelnden Vertragsarzt darüber informieren.
Versicherte ab dem 18. Geburtstag zahlen 10 % der Kosten pro
Tag für längstens 28 Tage im Kalenderjahr sowie 10,– € pro
Verordnung.
Zuzahlung
Vorrangig erbringen die Krankenkassen eine Sachleistung, d. h.:
Sie bezahlen eine Pflegekraft einer Vertragsorganisation, die sich
der Versicherte in der Regel selbst aussuchen kann.
Sachleistungserbringung
Die Krankenkassen haben mit geeigneten Organisationen (z. B.
Trägern der freien Wohlfahrtspflege, ambulanten Pflegediensten
oder Sozialstationen) Verträge über die Erbringung von
häuslicher Krankenpflege geschlossen. Pflegekräfte dieser
Vertragsorganisationen erbringen die Leistung und rechnen
dann direkt mit der Krankenkasse ab.
Wenn die Sachleistungserbringung nicht möglich ist, werden
die Kosten der Pflegekräfte der Sozialstationen, Kranken­
pflegevereine etc. von der Krankenkasse übernommen. Dies
muss unbedingt vorher mit dem Leistungs­träger abgesprochen
und von diesem genehmigt sein.
Die Krankenkassen erstatten die Kosten für eine selbst
beschaffte Kraft in angemessener Höhe (d. h. in Anlehnung
an das tarifliche oder übliche Entgelt einer Pflegekraft),
falls:
• die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege
stellen kann, z. B. wenn die Kapazität der von der Krankenkasse
eingestellten Pflegekräfte erschöpft ist.
• die selbst beschaffte Pflegekraft geringere Kosten verursacht.
• die zu pflegende Person aus nachvollziehbaren Gründen nur
eine bestimmte, selbst ausgewählte Kraft akzeptiert. Diese
Kraft muss geeignet sein, pflegerische Dienste zu erbringen,
was allerdings nicht notwendigerweise eine abgeschlossene
Ausbildung voraussetzt.
Ausnahme
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat zur Häuslichen Krankenpflege Richtlinien erstellt. Diese können Sie unter www.g-ba.de >
Informations-Archiv > Richtlinien downloaden.
Richtlinien
Wer hilft weiter?
Krankenkassen beantworten weitere Fragen zur
Häuslichen Krankenpflege.
103
Wohnumfeldverbesserung
Maßnahmen zur Verbesserung und Anpassung des Wohn­
umfelds eines Pflegebedürftigen erleichtern oder ermöglichen
die Pflege oder die selbstständige Lebensführung zu Hause.
Die Zuschüsse leistet die Pflegekasse, da diese Maßnahmen zu
den Pflegehilfsmitteln (siehe S. 89) zählen.
Voraussetzungen
Prinzipiell müssen die Vorversicherungszeit erfüllt, eine Pflegestufe festgestellt und die Maßnahmen bei der Pflegekasse beantragt werden.
Voraussetzung für die Gewährung eines Zuschusses ist, dass die
vorgesehenen Maßnahmen die häusliche Pflege ermöglichen
oder erheblich erleichtern oder dass eine möglichst selbst­
ständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt,
also die Abhängigkeit von der Pflegekraft verringert wird.
Es muss sich um Maßnahmen in der Wohnung des Pflege­
bedürftigen handeln oder um Maßnahmen in dem Haushalt,
in dem der Pflegebedürftige aufgenommen ist und gepflegt
werden soll.
Gegebenenfalls schaltet die Pflegekasse den MDK zur Begut­
achtung der häuslichen Pflegesituation ein. Dieser stellt vor Ort
fest, ob entsprechende Mängel für die Pflegesituation und
Sicherheitsrisiken vorliegen und ob die Wohnraumanpassung
dabei hilft, einen Umzug in ein Heim zu verhindern.
Die Entscheidung, ob und in welcher Höhe ein Zuschuss zur
Verbesserung des Wohnumfeldes gewährt wird, liegt im
Ermessen der Pflegekasse.
Bezuschussungsfähige
Maßnahmen
Beispiele bezuschussungsfähiger Maßnahmen sind:
• Einbau einer Dusche
• Einbau und Anbringung von Treppenliften
•Türverbreiterungen
• Installation von Wasseranschlüssen
• Ein- und Umbau von Mobiliar entsprechend der individuellen
Erfordernisse der Pflegesituation
Zu den Kosten zählen auch statische Gutachten, Antrags­
gebühren, Kosten der Bauüberwachung, nachgewiesene Fahrtkosten und der Verdienstausfall von am Bau mithelfenden
Angehörigen und Bekannten.
104
Die Zuschusshöhe beträgt maximal 2.557,– € je Maßnahme.
Höhe
Der Eigenanteil des Pflegebedürftigen beträgt:
• 10 % der Kosten der Maßnahme,
• höchstens jedoch 50 % seiner monatlichen Bruttoeinnahmen
zum Lebensunterhalt.
Selbstbeteiligung/
Eigenanteil
Reichen die Leistungen der Wohnumfeldverbesserungen für
die notwendigen Umbaumaßnahmen nicht aus, können
Leistungen auch im Rahmen der Eingliederungshilfe über das
örtliche Sozialamt beantragt werden. Dabei dürfen allerdings
bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschritten werden.
Eingliederungshilfe
Bevor der Versicherte eine Wohnumfeldanpassung durch­führen
lässt, die von der Pflegekasse finanziert werden soll, ist ein
Antrag zu stellen. Es kann sein, dass die Pflegekasse mehrere
Kostenvoranschläge verlangt, bis sie die Maßnahme genehmigt.
Wenn eine Wohnumfeldverbesserung durchgeführt wird, und der
Versicherte erst danach mit der Rechnung zur Pflegekasse geht,
wird kein Zuschuss gewährt.
Antrag
Wer hilft weiter?
Viele Städte und Gemeinden haben Beratungsstellen für Wohnraumanpassung und barrierefreies Wohnen. Meistens sind diese
Stellen der Behinderten- oder Seniorenberatung angeschlossen.
In manchen Fällen kommen die Berater auch in die Wohnung des
Pflegebedürftigen, um gemeinsam zu sehen, welche Veränderung
sinnvoll und durchführbar ist.
105
©drubig.photo_fotolia.com
Depressionen
Bei etwa der Hälfte der MS-Patienten kann es im Krankheitsverlauf zu einer Depression kommen. Dabei handelt
es sich um eine psychische Erkrankung, die die Stimmung,
das Denken, das Verhalten und die Körperfunktionen der
Betroffenen tiefgreifend verändert.
Depressionen haben sehr unterschiedliche seelische und körper­
liche Auswirkungen. Die häufigsten Symptome sind gedrückte
Stimmung und Antriebslosigkeit, d. h.: die Unfähigkeit, sich zu
irgendwelchen Handlungen aufzuraffen.
Gesunde Traurigkeit
Nicht zu verwechseln sind Depressionen mit vorübergehenden
Phasen von Niedergeschlagenheit oder Antriebsschwäche,
die fast jeder kennt. Oft folgen solche Phasen auf die Diagnose
MS. Patienten brauchen Zeit, um sich an die neuen Heraus­
forderungen der Multiplen Sklerose zu gewöhnen. Mit der
Krankheit Depression hat das nichts zu tun, solange die Phase
der Traurigkeit bald wieder vorüber ist und ihren Zweck erfüllt
hat, nämlich dass der Betroffene wieder Mut und Kraft hat.
Einige Menschen kommen mit den Veränderungen durch die
MS-Erkrankung ohne fremde Hilfe zu Recht. In vielen Fällen, vor
allem, wenn noch andere belastende Ereignisse dazu kommen,
kann es sinnvoll sein sich psychologische Hilfe zu suchen.
Die meisten Depressionen können durch Behandlung mit
Medikamenten und eventuell begleitende Psychotherapie
(siehe S. 107) geheilt werden.
106
Psychotherapie
Bei psychischen Störungen mit Krankheitswert übernimmt
die Krankenkasse die Kosten bestimmter psychotherapeu­
tischer Behandlungen (im Sinne einer Krankenbehandlung).
Für eine Psychotherapie ist keine Überweisung durch einen Arzt
erforderlich. Der gewählte Psychotherapeut muss allerdings
eine Kassenzulassung haben, damit die Krankenkasse die Kosten
übernimmt.
Der Patient kann sich seinen Therapeuten selbst aussuchen
und zum Test 5 Probestunden machen, bei einer analytischen
Psychotherapie bis zu 8, bevor er entscheidet, ob er dort die
Therapie durchführen möchte.
Probesitzungen
Nach diesen Probesitzungen, auf jeden Fall bevor die eigentliche
Therapie beginnt, muss ein Arzt, z. B. Hausarzt, Internist oder
Neurologe, aufgesucht werden, um abzuklären, ob eventuell
eine körperliche Erkrankung vorliegt, die zusätzlich medizinisch
behandelt werden muss.
Dieser Arztbesuch ist jedoch nur nötig, wenn es sich bei dem
behandelnden Therapeuten um einen psychologischen Psychotherapeuten handelt. Handelt es sich um einen ärztlichen
Psychotherapeuten, erübrigt sich dieser Arztbesuch.
Praxistipps!
In den meisten Geschäftsstellen der Kassenärztlichen Vereinigung
(KV) auf Länderebene gibt es Vermittlungsstellen für psycho­
therapeutische Behandlungen.
Unter www.kbv.de stehen die Internetadressen der Kassenärztlichen Vereinigungen. Dort gibt es unter dem Stichwort „Arztsuche“ ein Verzeichnis der Ärzte aller Fachrichtungen, auch der
psychologischen Psychotherapeuten vor Ort.
Einige KVen haben eine sogenannte „Koordinationsstelle Psycho­
therapie“ eingerichtet. Diese informieren Patientinnen über
unterschiedliche Therapiemöglichkeiten und -formen.
Außerdem werden dort freie Psychotherapieplätze vermittelt.
Falls ein Patient nachweisen kann, dass erst nach mehrmonatiger
Wartezeit ein Therapieplatz in der Region frei wird, kann die
Krankenkasse auf Antrag auch die Therapie bei einem Psychotherapeuten mit Berufszulassung, jedoch ohne Kassenzulassung
genehmigen. Daher sollte eine Liste der vergeblichen Suche mit
107
Namen der Psychotherapeuten, Anrufdatum und Wartezeit angefertigt und bei der Krankenkasse vorgelegt werden. Diese prüft
jedoch selbst nach, ob tatsächlich kein Platz bei Therapeuten,
mit denen Verträge bestehen, zu bekommen ist. Erst wenn die
Genehmigung der Krankenkasse vorliegt, kann die Therapie dort
begonnen werden.
Antragsverfahren
Der Patient muss bei seiner Krankenkasse einen Antrag auf Feststellung der Leistungspflicht für Psychotherapie stellen. Hierzu
teilt der behandelnde Psychotherapeut der Krankenkasse die
Diagnose mit, begründet die Indikation und beschreibt Art und
Dauer der Therapie.
Derzeit anerkannt sind psychoanalytisch begründete Verfahren
und Verhaltenstherapie. Zu den anerkannten psychoanalytisch
begründeten Verfahren zählen die tiefenpsychologisch fundierte
und die analytische Psychotherapie. Für andere Therapien übernehmen die Kassen die Kosten nur im Einzelfall.
Vereinfachte Unterscheidung zwischen
„psychoanalytisch“ und „verhaltenstherapeutisch“:
Psychoanalytisch begründete Verfahren setzen sich eher
mit dem Unbewussten auseinander, um aktuelle Konflikte
zu bearbeiten. Sie beschäftigten sich mit der Vergangenheit,
um daraus die Gegenwart zu erklären.
Verhaltenstherapeutische Verfahren arbeiten mehr über
das bewusste Denken, Fühlen und Handeln, um Erkenntnisse
oder Veränderungen zu erreichen. Sie setzen an der Gegenwart an, um die Zukunft zu verändern.
Dauer
Nach Klärung der Diagnose und Indikationsstellung werden vor
Beginn der Behandlung der Behandlungsumfang und die -frequenz
festgelegt. Die Dauer einer Psychotherapie ist abhängig von
der Art der Behandlung, die Probesitzungen zählen nicht zur
Therapie. Eine Sitzung dauert mindestens 50 Minuten.
Einige Beispiele:
• Kurzzeittherapie
Maximal 25 Sitzungen, auch in halbstündigen Sitzungen mit
entsprechender Vermehrung der Gesamtsitzungszahl, ebenso
bei Gruppentherapie.
• Analytische Psychotherapie
Bis 160 Stunden, in besonderen Fällen bis 240 Stunden;
bei Gruppenbehandlung bis 80, in besonderen Fällen bis zu
120 Doppelstunden.
108
• Verhaltenstherapie
45, in besonderen Fällen bis 60 Stunden.
• Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
50, in besonderen Fällen bis 80 Stunden, bei Gruppen­
behandlung bis 40, in besonderen Fällen bis zu 60 Doppel­
stunden.
• Gruppentherapie
Eine Gruppensitzung (100 Minuten) zählt wie 2 Einzel­
sitzungen, maximal 90 Sitzungen.
Eine Überschreitung ist dann zulässig, wenn mit der Beendigung
der Therapie das Behandlungsziel nicht erreicht werden kann,
aber bei Fortführung der Therapie begründete Aussicht darauf
besteht.
Wer hilft weiter?
Krankenkassen beantworten Fragen zur Psychotherapie.
Chronische Müdigkeit –
Fatigue
Von Fatigue (chronische Müdigkeit) oder Erschöpfungs­
syndrom wird gesprochen, wenn Erschöpfung und Müdigkeit
über das normale Maß hinausgehen, für den Patient sehr
unangenehm sind und auch durch Schlaf und Regeneration
nicht mehr verschwinden.
Fatigue betrifft viele MS-Erkrankte. Die anhaltende Erschöpfung
schränkt die Lebensqualität des Patienten sehr ein.
Der Betroffene ist auf das Verständnis seiner Mitmenschen
angewiesen, wenn er z. B. abendliche Feiern oder Feste immer
auffallend früh verlassen muss, um nicht am Tisch einzuschlafen.
109
Symptome
Behandlung
Symptome sind:
• anhaltende Müdigkeit
•Schwäche
• körperliche und seelische Erschöpfung
•Interesselosigkeit
• Depression (siehe S. 106)
• Frust, Reizbarkeit
•Hoffnungslosigkeit
Fatigue ist ein sehr vielschichtiges und komplexes Leiden.
Patienten sollten die Fatigue ernst nehmen und mit ihrem Arzt
darüber sprechen.
Je nach Symptomen und Einschränkungen gibt es
• ärztlich-therapeutische Behandlungsmöglichkeiten,
z. B. Medikamente, Physiotherapie oder Psychotherapie,
• Unterstützung mit pflegerischen Maßnahmen,
z. B. Beratung, Aromapflege, Motivation zu körperlichem
Training oder
• Tipps für den Alltag, die Patient und Angehörige umsetzen
können.
Praxistipps für den Alltag!
Tagesablauf
• Tagesablauf bewusst planen, genug Zeit nehmen,
so dass kein Druck entsteht.
• Dinge, die nicht wichtig sind, weglassen.
• Zeit für Ruhepausen zwischendurch nehmen.
• Täglich Dinge einplanen, die Körper und Seele gut tun.
• Kleine Hilfen im Alltag schaffen, z. B. Waschen und Ankleiden
im Sitzen erledigen.
• Unterstützung/Hilfe von Angehörigen und Freunden holen
und annehmen.
• Professionelle Hilfe, z. B. von einem Psychologen, annehmen.
• Energietagebuch führen, um Stärken und Schwächen zu
erkennen.
• Nicht von Rückschlägen entmutigen lassen.
110
Schlaf
• Ein schönes und ruhiges Zimmer als Ort zum Schlafen wählen.
• Für gut temperierten (16 bis 18 °C) Raum sorgen.
• Vor dem Schlafengehen erholsame Zeit verbringen:
ein Bad nehmen, Musik hören oder lesen.
• Alkohol und koffeinhaltige Getränke vor dem Schlafengehen
meiden.
• Vor dem Schlafengehen, wenn möglich, an die frische Luft
gehen.
Ernährung
• Auf ausgewogene und gesunde Ernährung achten.
• Keine Diät halten.
• Wenn es vom Arzt erlaubt ist, vor dem Essen einen appetitanregenden Aperitif trinken.
• Öfters kleine Mahlzeiten zu sich nehmen.
• Viel Ruhe und Zeit für die Mahlzeiten einplanen.
• Mahlzeiten appetitlich anrichten.
Weiterführende Informationen zu Fatigue finden Sie unter
www.deutsche-fatigue-gesellschaft.de.
111
112
Urlaub
Wenn Patienten mit Multiple Sklerose verreisen wollen,
ist eine gute Planung wichtig. Extremes Klima sollte vermieden,
nötige Impfungen sollten mit den Ärzten abgesprochen und
die medizinische Versorgung vor Ort sollte in Erfahrung gebracht werden.
Der Patient sollte seinen eigenen gesundheitlichen Zustand, seine Grenzen und
seine Vorlieben realistisch einschätzen. Wichtig ist zudem die richtige Mitnahmen
von Medikamenten, d. h. in aus­reichender Menge, verteilt auf
verschiedene Gepäckstücke und zusammen mit einem Rezept.
113
Reiseplanung
Patienten, bei denen Hitze und Wärme ungünstigen
Einfluss auf das körperliche Befinden haben, sollten nicht
in die (Sub-)Tropen reisen. Ein extremer Klimawechsel kann
die Wahrscheinlichkeit einer Erkältung oder Grippe erhöhen,
was wiederum einen Schub auslösen könnte.
Einige Impfungen, die bei Reisen in ferne Länder geboten sind
(Cholera, Diphtherie, Hepatitis A und B, Typhus etc.), stehen im
Verdacht, einen Schub auslösen zu können. Dieses Risiko sollte
im Arztgespräch diskutiert werden.
Zur eigenen Sicherheit trägt es auch bei, wenn man sich von
zu Hause über eine gute medizinische Versorgung vor Ort
informiert. Sollte der MS-Patient am Urlaubsort einen Schub
erleiden, dann weiß er, wo er sich behandeln lassen kann.
Medikamente
Bei Dauermedikation gilt es Folgendes zu bedenken:
• Medikamente in ausreichender Menge mitnehmen.
• Bei Flugreisen einen Teil der Medikamente im Handgepäck
mitnehmen. Falls das Gepäck nicht rechtzeitig kommt,
entsteht kein Engpass.
• Müssen Medikament gekühlt werden, muss die Kühlkette
auch während der Reise gegeben sein. Kühltaschen oder Kühlaggregate können dies gewährleisten.
• Die Medikamente sollten in der Originalpackung mitgeführt
werden, dann gibt es am Zoll kaum Probleme.
• Mit dem Arzt ist zudem zu besprechen, welche Medikamente
für typische Reisebeschwerden wie Übelkeit oder Durchfall
mitzuführen sind, die sich mit der ständigen Medikation
vertragen.
• In den Urlaub sollten mehr Medikamente mitgenommen
werden, als eigentlich notwendig, denn die Reisedauer kann
sich unvorhersehbar verlängern. Das gleiche gilt für die Mitnahme auf Ausflüge.
114
• Für sogenannte Betäubungsmittel (z. B. sehr starke Schmerzmittel) sind separate Vorschriften zu beachten. Patienten, die
auf diese Medikamente angewiesen sind, müssen für die
Zollbehörden den Beipackzettel sowie – in nichtdeutsch­
sprachigen Ländern auf Englisch übersetzt – ein ärztliches
Attest vorweisen können, das erklärt, dass sie das Medikament
auf ärztliche Verordnung einnehmen müssen und es dazu
dient, sie während des Aufenthalts gesund zu erhalten.
Informationen und Vordrucke unter www.bfarm.de >
Betäubungsmittel/Grundstoffe > Betäubungsmittel >
Reisen mit Betäubungsmitteln.
Wer hilft weiter?
Hilfreiche Adressen zu Multiple Sklerose im Ausland bietet die
Internationale MS-Gesellschaft unter www.msif.org/de/.
Reiserücktrittversicherung
Für MS-Erkrankte ist es oft sinnvoll eine Reiserücktritts­
versicherung abzuschießen, für den Fall, dass der Urlaub
wegen akuter Beschwerden nicht angetreten werden kann
oder abgebrochen werden muss. Eine Reiserücktritts­
versicherung kann für Stornogebühren aufkommen, die
bis zu 80 % der gesamten Reisekosten betragen.
Manche Versicherungen argumentieren bei MS-Erkrankten
allerdings mit der Vorhersehbarkeit der Ereignisse und ver­
weigern die Zahlung. Sie gehen von der Annahme aus, dass
ein Schub bei Multiple Sklerose vorhersehbar ist, da es sich um
eine bekannte chronische Vorerkrankung handelt. Am besten
sollte mit der Reiserücktrittsversicherung direkt geklärt werden,
ob ein Vertragsabschluss mit MS überhaupt möglich ist und
unter welchen Bedingungen der Versicherungsschutz greift.
Es ist zudem empfehlenswert, den behandelnden Arzt in die
Reiseplanung miteinzubeziehen. Wenn dieser attestiert, dass
der Patient stabil ist, der letzte Schub längere Zeit zurückliegt
und weder das Reiseziel noch die Art der Reise einen negativen
Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben, kann das die eigene
Position gegenüber der Versicherung im Falle eines Schubes
wesentlich stärken.
115
Auslandsreisekrankenversicherung
Rechtzeitig vor Reiseantritt sollte der Krankenversicherungsschutz im Ausland geklärt werden.
Insbesondere MS-Erkrankte sollten sich vor Antritt eines
Auslandaufenthalts mit der Krankenkasse absprechen, ob ein
ausreichender Versicherungsschutz besteht. In der Regel ist es
ratsam, eine private Auslandsreisekrankenversicherung abzuschließen. Menschen mit MS sollten ihre Erkrankung der
Versicherung nicht verschweigen, da dies zur Nichtigkeit des
Versicherungsvertrags führen kann.
EHIC-Karte
Mit der Europäischen Krankenversichertenkarte (EHIC-Karte)
besteht Versicherungsschutz in den EU-Staaten bzw. Staaten des
Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), die mit Deutschland das
sogenannte Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen haben.
Die Krankenkasse muss allerdings nur die Kosten übernehmen,
die auch in Deutschland für die jeweilige Behandlung anfallen
würden, und das kann im Zweifel zu einer hohen Eigenbelastung
führen. Zudem wird mit der EHIC-Karte beim behandelnden Arzt
im Ausland manchmal eine Barzahlung verlangt oder es findet
gar keine Behandlung statt. Es ist auch daran zu denken, dass
die Kosten für einen Rücktransport nicht übernommen werden,
sofern dieser medizinisch nötig sein sollte.
In anderen Ländern (z. B. USA, Asien) gilt nur ein stark ein­
geschränkter Versicherungsschutz und auch der nur unter
bestimmten Voraussetzungen.
Kosten
Für etwa 10,– € im Jahr kann man bereits einen guten Ver­
sicherungsschutz durch eine private Auslandsreisekranken­
versicherung erhalten. Anbieter sind z. B. Versicherungs­
gesellschaften, Banken oder Automobilclubs.
Auch die Krankenkassen können ihren Versicherten eine
Auslandsreisekrankenversicherung vermitteln.
Wer hilft weiter?
Weitere Informationen erhalten Sie über:
• die Krankenkassen.
• die DVKA (Deutsche Verbindungsstelle Kranken­
versicherung – Ausland), Pennefeldsweg 12c, 53177 Bonn,
Telefon 0228 9530-0, Fax 0228 9530-600,
www.dvka.de, E-Mail post@dvka.de.
116
Sport
Körperliche Aktivität und Sport können bei MS-Patienten,
entgegen früheren Annahmen, große therapeutische Effekte haben.
Die Frage, welche Sportart für welchen MS-Patienten geeignet ist,
kann nur individuell beantwortet werden und hängt stark von den jeweiligen
Auswirkungen der Erkrankung und dem Behinderungsgrad einer Person ab.
Fest steht jedenfalls, dass MS und Sport sich prinzipiell nicht ausschließen.
117
Sport hat bei jedem Menschen einen hohen Allgemeinnutzen
für die Gesundheit, so kann durch Bewegung, bei richtiger
Dosierung, der Blutdruck normalisiert, das Immunsystem
stabilisiert und der Cholesterinwert gesenkt werden.
Von zentraler Bedeutung sind zudem die Auswirkungen auf
die Psyche. Regelmäßige körperliche Aktivität sorgt für ein
gutes Körpergefühl und kann Depressionen (siehe S. 106) vorbeugen.
Betroffene sollten Überanstrengung jedoch vermeiden. Ärzte,
Physiotherapeuten oder Sportmediziner können dabei helfen,
geeignete Sportarten und die passende Trainingsintensität zu
finden.
Langfristig hat Sport bei MS-Erkrankten positive Auswirkungen
auf Herz, Kreislauf und den Fettstoffwechsel. Der Patient kann
seine Mobilität erhöhen und seine Lebensqualität verbessern,
da sich Sport günstig auf die MS-Symptome auswirkt.
Zudem kann sportliche Aktivität zu Toleranz und Berück­
sichtigung krankheitsbedingter Einschränkungen durch die
eigene Person und das Umfeld führen. Werden regelmäßig
Sportangebote, vor allem in Gruppen, genutzt, kann das
einem sozialen Rückzug entgegenwirken.
Praxistipps!
Der Bundesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft
(DMSG) bietet unter www.dmsg.de > Multiple Sklerose > MS und
Sport detaillierte Informationen zu sportlicher Betätigung und
unterstützt dabei, geeignete Sportarten für sich zu finden.
Für MS-Erkrankte besteht häufig auch die Möglichkeit RehaSport oder Funktionstraining ärztlich verordnet zu bekommen
(siehe S. 49).
118
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Ernährung
Es gibt nach dem momentanen medizinischen Wissensstand
nicht „die Diät“, die bei MS heilen oder den Verlauf stoppen kann.
Patienten wird, wie gesunden Menschen auch,
eine ausgewogene und fettreduzierte Ernährung empfohlen.
119
Da es sich bei MS um eine entzündliche Erkrankung handelt,
kann man davon ausgehen, dass sich eine Umstellung auf
fleischarme Kost und der Verzicht auf tierische Fette positiv auf
den Krankheitsverlauf auswirkt. Stattdessen sollten pflanzliche
Öle, Obst, Gemüse und fettarme Milchprodukte auf dem Speiseplan stehen.
Patienten, die auf den Rollstuhl angewiesen und in ihrer
Bewegung eingeschränkt sind, sollten auf eine ausreichende
Zufuhr von Ballaststoffen und Flüssigkeit achten, um möglichen
Verdauungsproblemen vorzubeugen.
Krankenkostzulage
MS-Betroffene mit geringem Einkommen haben unter
Umständen Anspruch auf Krankenkostzulage vom Sozialamt
oder der Arbeitsagentur.
Da MS keine ernährungsbedingte Erkrankung ist, erhalten
MS-erkrankte Arbeitslosengeld-II- oder Sozialhilfe-Empfänger
nicht grundsätzlich einen Mehrbedarf aufgrund kostenauf­
wendiger Ernährung.
Ein erhöhter Ernährungsaufwand bei MS ergibt sich lediglich
im Einzelfall, wenn es sich um einen schweren und verzehrenden
Krankheitsverlauf mit gestörter Nahrungsaufnahme oder
mangelnder Nährstoffverwertung handelt.
Dies ist insbesondere der Fall, wenn
• der BMI unter 18,5 liegt (und das Untergewicht Folge der
Erkrankung ist) und/oder
• ein schneller, krankheitsbedingter Gewichtsverlust (über
5 % des Ausgangsgewichts in den vorausgegangenen drei
Monaten; nicht bei gewollter Abnahme bei Übergewicht)
zu verzeichnen ist.
120
Patientenvorsorge
Im Idealfall machen sich Menschen über den Bereich
„Patientenvorsorge“ Gedanken, wenn sie noch gesund sind und
tragfähige Entscheidungen für die Zukunft treffen können.
121
Zunehmende Einschränkungen durch MS und mögliche Folge­
erkrankungen, z. B. Depressionen (siehe S. 106), können Anlass
sein, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wobei zu
betonen ist, dass eine Beschäftigung mit der Patientenvorsorge
auch dann sinnvoll ist, wenn keine Erkrankung vorliegt. Es ist
für jeden hilfreich, frühzeitig vorzusorgen, um sich und seinen
Angehörigen oder Freunden einen entspannten Blick in die
Zukunft zu ermöglichen.
Im Rahmen der Patientenvorsorge können Menschen regeln,
wie in wichtigen Lebensbereichen für sie entschieden werden
soll und welche medizinischen Maßnahmen gewünscht sind,
falls sie sich selbst nicht mehr dazu äußern können.
Für Zeiten, in denen durch die Erkrankung körperliche, geistige
und/oder psychische Fähigkeiten verloren gehen und man die
eigenen Angelegenheiten nicht mehr oder nicht mehr in vollem
Umfang regeln kann, werden persönliche Wünsche und Vor­
stellungen schriftlich niedergelegt, um einer „Fremd­­bestimmung“
durch andere vorzubeugen.
Patientenvorsorge kann man ab dem 18. Geburtstag treffen.
Vorher haben die Eltern das Sorgerecht. Angehörige von volljährigen Personen können nur rechtsverbindliche Erklärungen
abgeben oder Entscheidungen treffen, wenn sie dafür bevollmächtigt oder als gerichtlich bestellte Betreuer eingesetzt sind.
Das gilt auch für nahe Angehörige wie Geschwister, Eltern oder
Ehepartner.
Erklärungen
Für die Patientenvorsorge gibt es drei verschiedene
schriftliche Erklärungen:
• Vorsorgevollmacht
•Betreungsverfügung
•Patientenverfügung
Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung sind sich
ähnlich: Darin legen Sie für Ihre Alltagsangelegenheiten eine
oder mehrere Personen fest, die für Sie handeln und entscheiden
dürfen. Die beiden Formen unterscheiden sich darin, wie stark
die von Ihnen eingesetzten Personen von offizieller Seite
kontrolliert werden.
122
Die Vorsorgevollmacht ist sinnvoll, wenn man für den Fall der
eigenen Hilflosigkeit eine Vertretung wünscht und eine absolut
vertrauenswürdige Person kennt, die diese Vertretung über­
nehmen möchte. Das kann sich auf einzelne oder alle Bereiche
des Lebens beziehen. Der Bevollmächtigte entscheidet dann quasi
anstelle des Patienten und wird in der Regel nicht kontrolliert.
Da dies sehr schwerwiegende Entscheidungen sein können,
sollten die eigenen Vorstellungen mit dem in der Vorsorgevollmacht vor­gesehenen Bevollmächtigten besprochen werden.
Vorsorgevollmacht
Zu den Aufgabebereichen des Bevollmächtigten können
insbesondere gehören:
• Gesundheitssorge und Pflegebedürftigkeit
•Vermögenssorge
• Wohnungs- und Mietangelegenheiten
• Aufenthalt und Unterbringung
• Post- und Fernmeldeverkehr
• Behörden- und Ämtervertretung
• Beauftragung von Rechtsanwälten und Vertretung vor
Gerichten
Eine Betreuungsverfügung ist eine schriftliche Willens­äußerung,
die dem Betreuungsgericht vorschlägt, wer im Falle einer
Betreuung die persönlichen Angelegenheiten übernehmen soll
oder auf keinen Fall übernehmen sollte. Eine Betreuung wird
dann gerichtlich angeordnet, wenn ein Mensch selbst nicht mehr
entscheiden kann. Die Betreuungsverfügung ist heranzuziehen,
wenn Sie keine Person kennen, die Ihr uneingeschränktes Vertrauen genießt, so dass Sie diese, im Rahmen einer Vorsorgevollmacht, bevollmächtigen würden oder, wenn Sie bestimmten
Personen misstrauen. Die eingesetzten Betreuer werden vom
Betreuungsgericht kontrolliert. Eine Betreuungsverfügung kann
auch Vorgaben für den Betreuer enthalten. Wenn eine Vorsorgevollmacht (s. o.) vorliegt, die einem Bevollmächtigten aus­
reichend Befugnisse erteilt, dann wird kein Betreuer eingesetzt.
Betreuungsverfügung
Mit der Patientenverfügung legt man schriftlich fest (ohne
Einschaltung eines fremden Entscheiders), wie in bestimmten
medizinischen Situationen die Behandlung in der letzten Lebensphase erfolgen soll. Das kann, wenn gewünscht, auch den Hinweis auf eine Organspende einschließen.
Patientenverfügung
In der Patientenverfügung kann festgelegt werden, unter
welchen konkreten Bedingungen eine Behandlung
• erst gar nicht begonnen werden darf, das heißt unterlassen
werden muss bzw.
• nicht weiter fortgeführt werden darf, das heißt beendet
werden muss.
123
Eine Patientenverfügung ist rechtlich bindend, wenn die
gewünschte Behandlung (oder Nicht-Behandlung) auf die vorliegende Krankheitssituation zutrifft – das festzulegen erfordert
aber medizinische Fachkenntnis. Deshalb sollte man sich bei der
Erstellung einer Patientenverfügung vom Arzt beraten lassen.
Testament
Ein Testament wird immer erst nach dem Tod wirksam, deshalb
ist es nicht Bestandteil der Patientenvorsorge.
Wer hilft weiter?
Informationen geben Hausärzte, Amts- und Betreuungsgerichte,
Rechtsanwälte und Notare.
124
Adressen
125
©robynmac_fotolia.com
Aktion Multiple Sklerose Erkrankter,
Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg e. V.
Regerstraße 18, 70195 Stuttgart
Telefon 0711 697860
E-Mail: info@amsel.de
www.amsel.de
Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG),
Bundesverband e. V.
Küsterstraße 8, 30519 Hannover
Telefon 0511 968340
E-Mail: dmsg@dmsg.de
www.dmsg.de
Krankheitsbezogenes Kompetenznetz Multiple Sklerose
Geschäftsstelle: Klinikum rechts der Isar, TU München
Neurologische Klinik und Poliklinik
Ismaninger Straßw 22, 81675 München
Telefon 089 41404628
E-Mail: info@kkn-ms.de
www.kompetenznetz-multiplesklerose.de
Multiple Sklerose.TV
MultipleSklerose.TV ist ein Gemeinschaftsprojekt der DMSG,
Bundesverband e. V. und der AMSEL, Landesverband der DMSG.
Unter
• www.dmsg.de > Mediagalerie
• www.amsel.de > Video
• www.youtube.com/MultipleSkleroseTV
steht ein breites Spektrum an informativen Videos und
Videopodcasts zu Multiple Sklerose zur Verfügung.
126
Anhang
127
Pflegetag (Datum): ___________________________________
Erforderliche Hilfe bei:
Zeitaufwand in Minuten
morgens
Körperpflege
Waschen:
Ganzkörperwäsche
Teilwäsche
Duschen
Baden
Zahnpflege
Kämmen
Rasieren
Darm- und Blasenentleerung
Wasserlassen
Stuhlgang
Richten der Kleidung
Wechseln von Inkontinenzeinlagen/Windeln
Wechseln/Entleeren des Urinbeutels/Stomabeutels
Ernährung
Mundgerechte Nahrungszubereitung
Aufnahme der Nahrung
Mobilität
Aufstehen, Zu-Bett-Gehen
Umlagern
Ankleiden
Auskleiden
Gehen, Bewegen im Haus
Stehen
Treppensteigen
Verlassen,
Wiederaufsuchen der Wohnung
Hauswirtschaftliche Versorgung
Einkaufen
Kochen
Wohnung reinigen
Spülen
Wechseln, Waschen
der Wäsche/Kleidung
Beheizen der Wohnung
128
mittags
abends
nachts
22–6 Uhr
Art der Hilfe
Anleitung oder
Beaufsichtgung
mit
Unterstützung
teilweise oder
volle Übernahme
Michael Ewers
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Diagnose „Multiple Sklerose“ löst bei Betroffenen gleichermaßen Erschrecken
und Angst aus. Wichtig ist daher, den Überblick in unserem Gesundheitssystem zu
behalten und die Leistungsangebote sowie seine Ansprüche zu kennen.
betapharm setzt sich seit Jahren aktiv für eine verbesserte Versorgungsqualität im
Gesundheitswesen ein. Aus diesem Engagement hat sich betaCare – das Wissens­
system für Krankheit & Soziales – entwickelt, welches Antworten auf alle sozialen
Fragen rund um eine Krankheit bietet.
Der vorliegende betaCare-Ratgeber „Multiple Sklerose & Soziales“ informiert Sie
daher umfassend zu Themen wie Rehabilitationsmöglichkeiten, Pflege, Umgang mit
der Erkrankung im Alltag und Patientenvorsorge.
Impressum
Herausgeber und Redaktion
beta Institut gemeinnützige GmbH
Institut für angewandtes Gesundheitsmanagement,
Entwicklung und Forschung in der Sozialmedizin
Geschäftsführer: Michael Ewers
Kobelweg 95, 86156 Augsburg
Telefon 0821 45054-0,
Telefax 0821 45054-9100
E-Mail: info@beta-institut.de
www.betainstitut.de
Text
Ines Grocki
Mit herzlichen Grüßen,
Layout und Gestaltung
Manuela Mahl
Michael Ewers
Autoren und Herausgeber übernehmen keine Haftung
für die Angaben in diesem Werk.
Geschäftsführer betapharm & beta Institut
Alle Bausteine des betaCare-Wissenssystems mit seinen vielfältigen Inhalten
finden Sie unter www.betaCare.de.
Mehr über das soziale Engagement und die Produkte der
betapharm Arzneimittel GmbH finden Sie unter www.betapharm.de.
Alle Rechte vorbehalten
© 2013
Copyright beta Institut gemeinnützige GmbH
Der Ratgeber einschließlich all seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes
ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen
und die Reproduzierung, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen
Systemen oder Daten­verarbeitungsanlagen.
2. Auflage Juli 2013
Schutzgebühr 5,90 Euro
Ein Engagement der betapharm
Multiple Sklerose
Multiple Sklerose
Gesundheit ist unser Ziel!
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Die größte Suchmaschine für Sozialfragen im Gesundheitswesen in Deutschland.
4.800 Stichwörter helfen gezielt, soziale, rechtliche und finanzielle Fragen einfach und verständlich zu beantworten.
Finden Sie z.B. Antworten auf folgende Fragen:
– Wie ist die Zuzahlung bei Arzneimitteln geregelt?
– Wie bekomme ich einen Schwerbehindertenausweis?
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dass ich nicht mehr selbst entscheiden kann?
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Die Broschüren bieten gebündelt und verständlich sozialrechtliche und psychosoziale
Informationen zur folgenden Themen und Krankheiten:
–Behinderung & Soziales
–Brustkrebs & Soziales
–Demenz & Soziales
–Depression & Soziales
–Epilepsie & Soziales
–Migräne & Soziales
– Multiple Sklerose & Soziales
– Osteoporose & Soziales
– Patientenvorsorge
– Pflege
– Psychosen, Schizophrenie & Soziales
– Schmerz & Soziales
Patientenfilme
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Zu Asthma, Brustkrebs, Darmkrebs, Demenz, Depression, Diabetes,
Osteoporose, Rheuma, Schlaganfall.
Die Initiative „betaCare – Verbesserung der Patientenversorgung und Prävention“
wird gefördert durch die betapharm Arzneimittel GmbH,
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