Warum schief - Pester Lloyd
Transcription
Warum schief - Pester Lloyd
Ungarn-Glossen von Siegfried Brachfeld Warum ist die E N RO K sc f e i h PESTER LLOYD VERLAG Budapest ? Siegfried Brachfeld Mit diesem vierten Buchprojekt „Warum ist die Krone schief?“ stellt der PESTER LLOYD VERLAG einen Autor vor, der in den 70er Jahren zu den bekanntesten zweisprachigen Kabarettisten und Satirikern Ungarns gehörte. Die Montagabendprogramme im Budapester Rundfunk, in denen Siegfried Brachfeld gemeinsam mit Sándor Novobáczky regelmäßig mit freundlich-kritischen Sketchen und Kabarett-Texten an die Öffentlichkeit trat, gehörten zu den beliebtesten Sendungen des Landes. Mütterlicherseits ist Brachfeld deutscher Abstammung, hat in Berlin Germanistik studiert und dort auch promoviert. Er lebte bis zu seinem Freitod im Jahre 1978 in Ungarn und war auch mit einer Ungarin verheiratet. Er verfügt über einen heiteren und eleganten Stil, über einen hintergründigen Humor und über einen scharfen Blick für das Typische an Land und Leuten. Für diese Ausgabe sind Glossen ausgewählt worden, die in den 60er und 70er Jahren bereits in anderen Publikationen – darunter in der Budapester Rundschau erschienen, aber seit Jahren vergriffen sind. Darüber hinaus stellte uns die Witwe des Autors, Anna Brachfeld, unveröffentlichte Manuskripte zur Verfügung, die erstmals innerhalb der vier Kapitel dieses Buches erscheinen. Die beiden Vorworte stammen vom ehemaligen Mitarbeiter des PESTER LLOYD und ersten Kulturminister Ungarns, Dezsô Keresztury, sowie vom Herausgeber und Chefredakteur des PESTER LLOYD, der deutschsprachigen Zeitung Ungarns, Gotthard B. Schicker. Das „letzte Wort“ zu „seinem“ Buch hat der Autor selbst verfasst. Warum ist die Krone schief ? Ungarn-Glossen von Siegfried Brachfeld Siegfried Brachfeld: Warum ist die Krone schief? Ungarn-Glossen Auswahl und Bearbeitung: Marco Schicker Lektorat: Nathalie Olivier Fotos und Dokumente: Privatarchiv Anna Brachfeld Grafiken: Rita Kelemen Czakó Warum ist die Krone schief ? Ungarn-Glossen von Siegfried Brachfeld 1. Auflage, Budapest 2003 PESTER LLOYD VERLAG Buda-Pester-Lloyd GmbH Falk Miksa utca 30 H-1055 Budapest verlag@pesterlloyd.hu www.pesterlloyd.hu Mit einem Vorwort von Dezsô Keresztúry Herausgeber und Chefredakteur: Gotthard B. Schicker Verlagsleiterin: Anikó Halmai Budapest 2003 ISBN 963 210 702 0 Druck: Gyomai KNER Nyomda Rt., Gyomaendrôd © All rights reserved. Alle Rechte vorbehalten. Nachnutzung in jeglicher Form, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlages. PESTER LLOYD VERLAG Budapest I N H A LT Wer war Siegfried Brachfeld wirklich? Vorwort von Gotthard B. Schicker 5 Vorwort von Dezsô Keresztúry 11 I Körülbelül Ein bißchen Ungarisch Ajjajjaj! 15 Finnugor 17 Tilos 19 i 21 Vokalharmonie 23 Wortfolge - Sprechmelodie 25 Kleine und große Freiheit 27 Nyaraló 28 Tschinagln 29 a 31 Hogy van? 32 Tudniilik 33 Gáz 35 Persze 37 Kutya 39 Vigyázz 41 Nincs mese 43 Link 44 Körülbelül 45 Édes 47 Fárad-fáradt 49 Der Ungar und sein Schimpfwort 50 II Warum ist die Krone schief? Ein bißchen Ungarn Balaton oder Plattensee? 55 Warum ist die Krone schief ? 57 Heimweh 59 Museum 61 Anonymus 62 Budapest 65 Ausländische Gäste 67 Kaiser- und Königsbad 69 Hauptstädtische Hauptstadt 71 Der Burgbauer 73 Jury 74 Muffeltiere 75 Rákóczi- und Pandurquelle 77 Puskás Telefonzentrale 79 Die Postleitzahl 81 Der Déli pu. 83 Citadella 84 Das Weihnachtsgeschenk 85 Das Zsóri Bad und die Zivilisation 87 Geschichtsbewusstsein 89 Mezôlövesd 91 Die Größten, die Besten 93 Idegen ideg 95 Königsgrab 97 Grüne Wellen 99 Die Margareteninsel 101 Ungarn in der Welt 103 III Die Julischka aus Budapest Von Frauen, Männern und ein bißchen mehr Die ungarische Frau 109 Der ungarische Mann 111 Szív 113 Nem igen 115 Kismama 116 Csókolom und Szervusz 117 Mädchen, die rauchen 119 Küsse im Hellen 121 Die Julischka aus Budapest 123 Légy... 125 IV Gulyásparty Vom Essen, (bißchen) Trinken und Festen „Hühnenbrust” und Zimmerfrau 131 Sült hal 133 Zigeunerliebe 135 Fasching heißt farsang 137 Stampedli 139 Schwiagamoutta jetzt gaiht´s guat 141 Tarhonya 143 Italienische oder ungarische Gänse? 144 Lúdláb, lúdtalp 145 Gulyásparty 147 Macht nichts! 149 Betrunkene Pogatschen 151 Must und Murci 153 Kirschschnaps 155 Gänseleben, Gänseleber 157 Langer Schritt und Hausmeister 159 Das Beschwerdebuch 160 Das letzte Wort 162 Bücher aus dem PESTER LLOYD VERLAG 163 Sponsoren 165 Vorwort Vorwort Deutscher Ungar – ungarischer Deutscher Wer war dieser Siegfried Brachfeld eigentlich wirklich? Siegfried Brachfeld, 1966 „...er war ein sehr humorvoller, optimistischer, offener und lebensfroher Mensch“ – erzählte kürzlich in unserer Redaktion Anna Pap – genannt „Panni“ – von ihrem dreizehn Jahre älteren Mann, mit dem sie von 1953 bis zu seinem Freitod im Jahre 1978 verheiratet war und für den die „Agentur Panni“ in seiner wissenschaftlichen und künstlerischen Laufbahn offenbar den Lebensmittelpunkt bildete. Diese Offenheit und Freundlichkeit, von der Anna Brachfeld spricht, wurde aber oftmals missverstanden und ausgenutzt. Sie schildert ihren Mann als einen hochsensiblen Menschen, bei dem so manches Verhalten der Zeitgenossen oftmals auch Enttäuschung und Misstrauen auslöste. Siegfried Brachfelds Muttersprache war Deutsch und sein Vaterland Ungarn. Die Mutter kam aus Ostpreußen und der Vater aus Budapest. Der sprach nur Deutsch, weil er meinte, dass die ungarische Sprache nur bis zur Grenze des Landes seine Gültigkeit besäße. Er hatte eine Konzertagentur in Berlin und leitete dort das damals durchaus bekannte Oscar-Brachfeld-Orchester. In einem Kaffeehaus lernte er ein 17jähriges Fräulein kennen, mit dem er eine lebenslange Beziehung einging und die im Laufe der Jahre zwei Mädchen und am 17. April 1917 in Berlin schließlich Siegfried zur Folge hatte. Nach dem Gymnasiumsabschluss arbeitete Siegfried Brachfeld zunächst als Zeitungsausträger, Laufbursche und Straßenverkäufer. In einem Münchner Warenhaus lernte er Annemarie, eine blonde Schönheit und seine erste große Liebe, kennen, die einen tragischen Verlauf nahm. In dieser langen und traurigen Geschichte spielt der Stiefvater des Mädchens eine unrühmliche Rolle. Von Anfang an hatte er etwas gegen die Verbindung der beiden jungen Leute, und tat alles, um diese zu verhindern. Eine flapsige Bemerkung von Siegfried über das Hitlerbild im Schlafzimmer der Eltern von Annemarie kam ihm gelegen. Er zeigte ihn wegen staatsfeindlicher Hetze bei den Behörden an und ließ seine Stieftochter in eine Nervenheilanstalt einliefern. 5 Vorwort Vorwort Während des Prozesses gegen Siegfried Brachfeld tauchte Annemarie auf, die aus dem Irrenhaus geflüchtet war und ihrem Liebsten beistehen wollte. Das Gericht entschied, den Verurteilten als Schutzhäftling nach Dachau zu schicken und dort bei den Politischen einzusperren. Durch eine Intervention Horthys wurden er und seine Eltern dann im Jahre 1940 nach Ungarn, in das Herkunftsland des Vaters, abgeschoben. Siegfried ist dadurch per Gesetz ungarischer Staatsbürger geworden. Anna Brachfeld erinnert sich noch an die Erzählungen ihres Mannes, in denen er die Abschiebung über die ungarische Grenze beschrieb: Ein Grenzpolizist habe ihn aufgegriffen, mit nach Hause genommen und mit Pflaumenmus versorgt. Erstaunt war er darüber, dass der Beamte Unterwäsche aus der Produktion eines kaiserlich-königlichen Hoflieferanten namens Brachfeld trug – von seinem Großvater also. Der Vater wurde zum Militärdienst in die ungarische Armee einberufen und bekam – wegen seiner mangelhaften, aber immer besser werdenden Sprachkenntnisse – einen Schwaben als Dolmetscher zur Seite. Großvater Siegfried (Szigfrid) Brachfeld im Jahre 1903 Visitenkarte des kaiserlich und königlichen, sowie Belgischen Hoflieferanten für Weiß- und Herrenwäsche, Szigfrid Brachfeld (der Großvater) und Söhne, gegr. 1856 in der Nádor utca, neben dem Leopoldstädtischen Casino 6 Das Oscar-Brachfeld-Orchester Berlin spielt im Jahre 1914 im Lokal „Gambrinus“ auf. Ab 1944 beginnt auch der Sohn Siegfried, die ungarische Sprache intensiv zu lernen. Dies ermöglichte ihm, während seiner Militärdienstzeit in Königsberg deutschen Soldaten als Dolmetscher zur Seite zu stehen. In Königsberg geriet er 1945 in Gefangenschaft, aus der er erst Ende 1949 wieder nach Budapest zurückkehrte. Hier arbeitet Siegfried Brachfeld zunächst in einer Buchhandlung und ab 1950 im deutschen Studio von Radio Budapest. Beim Sender lernte er auch seine spätere Frau Anna kennen. Wegen seiner guten Landes- und Sprachkenntnisse übertrug man ihm 1956 die Berichterstattung über den Ungarn-Aufstand beim Rundfunk der DDR in Berlin. Während dieser Zeit begann er in ein Metier einzusteigen, das ihn später in Ungarn ausgesprochen beliebt machen sollte – das des Conférencier. Viel wichtiger war es ihm aber, zunächst an der Budapester ELTEUniversität, bei Prof. Dr. Ferenc Mádl, Germanistik – Zweitfach Theaterwissenschaften – zu studieren. Dieser regte ihn auch zum Thema seiner Dissertation an, die er 1970 an der Philosophischen Fakultät der Freien Universität in West-Berlin mit cum laude abschloss. Das Thema der Arbeit lautete: „Deutsche Literatur im PESTER LLOYD zwischen 1933 und 1944“. Es handelt sich dabei um eine der ersten, aber mustergültigen Analysen des Blattes in einem Zeitraum, in dem solch bedeutende Schriftsteller wie Thomas Mann, Stefan Zweig, Joseph Roth, Alfred Polgar, Egon Erwin Kisch, Erich Kästner und viele andere aus dem Exil für diese meinungsbildende ungarische Zeitung in deutscher Sprache geschrieben haben. 7 Vorwort Vorwort Brachfeld lebte jetzt in Berlin-Wilmersdorf, wohin seine Eltern bereits 1958 wegen der anstehenden Entschädigungszahlungen zogen. Als sein Vater die Summe der Entschädigung erfuhr, hat dieser für immer die Augen geschlossen. Der Urlaub wurde von nun an nur noch in Ungarn, meist am Balaton, verbracht, wo er auch mit Kulturprogrammen unterwegs war. Es war die Zeit, in welcher der ungarische Rundfunk für ihn und seinen Mit-Conferencier, den bekannten Publizisten Sándor Novobáczky, einen ständigen Sendeplatz einräumte. Aber auch im Fernsehen nahmen die beiden „Kempen der Satire“ – wie sie bald bezeichnet wurden – menschliche Schwächen, typische ungarische Verhaltensweisen oder den Umgang mit der Bürokratie kritisch, charmant, humorvoll und scharf pointiert unter die Lupe. Ab 1971 hatte Brachfeld auch eine ständige satirische Kolumne in der „Budapester Rundschau“, jener deutschsprachigen Zeitung, die seit 1967 das gefällige Sprachrohr des ungarischen Außenministeriums war, aber auch wegen ihrer oftmals „Gulaschkommunisten“-Art in der DDR nicht durchgängig vertrieben werden durfte. Dies war mit ein Grund, warum diese Zeitung im Jahre 1999 vom PESTER LLOYD wiederbelebt wurde und seitdem als wöchentliche Beilage über die hauptstädtischen Ereignisse berichtet. Diese Brachfeld-Texte aus der Zeitung - und noch viele andere - wurden seit den 70er Jahren zur großen Freude der Leser in „Diese Ungarn“, „Mitten am Rande“ und „Also nein, diese Ungarn“ meist von ostdeutschen Verlagen publiziert. Heute sind diese heiteren Büchlein, in denen auch sehr viel über die ungarische Sprache und Mentalität zu erfahren ist, allesamt total vergriffen. War Siegfried Brachfeld auf der einen Seite voller Tatendrang, mit reichlich Mutterwitz ausgestattet und an Ideen überschäumend, verstärkten sich andererseits Mitte der 70er Jahre seine Depressionen. Man begegnete in dieser Zeit immer mehr einem enttäuschten und an Verfolgungswahn leidenden Menschen. Hinzu kam ein Einbruch ins Haus der Brachfelds am Balaton im Jahre 1974. Obwohl es sich um eine Einbruchsserie in der gesamten Gegend handelte, glaubte er, diese Tat sei gegen in gerichtet. Sein Nervenleiden nahm mit den Jahren immer mehr zu und wurde für ihn und seine Umgebung mitunter unerträglich. Kein geringerer als sein Freund Dezsô Keresztury, (u.a. erster Kulturminister Ungarns nach dem Krieg, Schriftsteller, Dichter, Direktor des Berliner FinnoUgrischen Institutes) versuchte ihm einen Arzt zu vermitteln, der sein Leiden mildern könnte. Doch seine Witwe erzähltä, dass kurz vor dem Besuch dieses Arztes, am 22. Juni 1978, Dr. Siegfried Brachfeld selbst über sein Leben entschieden hatte. Dieser heitere, lebensfrohe Mensch hat uns ein Werk hinterlassen, das wichtige Einblicke in die deutsch-ungarische Geschichte und in das nicht immer einfache Zusammenleben zweier Völker vermittelt. Brachfelds Ton ist von einem charmanten Dauer-Witz durchzogen und wird von eleganter Satire begleitet. Das Kleine ist ihm wichtig, und damit erhält das scheinbar unbedeutende Gestalt und Bedeutung. Alles groß gemachte, das künstlich Aufgeblasene oder gar folkloristischer Pathos, ist nicht sein Ding. Er gibt solche Erscheinungen – ohne dabei ungarische Gefühle zu verletzen – gekonnt der Lächerlichkeit preis. Brachfeld ist ein meisterlicher Fabulierer und ein Meister des kurzen, pointierten Gedankenblitzes. Nicht alle seine Texte sind von gleicher Qualität, das Tagesgeschäft schimmert da und dort sympathisch durch. Seine Satiren zeugen von einer großen Liebe zu Menschen aller charakterlichen Schattierungen. Sein Umgang mit der ungarischen Sprache, die humorvollen Erläuterungen komplizierter grammatikalischer oder lexikalischer Zusammenhänge, stellen ob ihrer verblüffend einfachen Logik so manches Sprachinstitut oder sich wissenschaftlich gebende Lehrbücher – natürlich satirisch – in Frage. 8 9 Anna und Siegfried Brachfeld 1960 Vorwort Aber Brachfeld war nicht nur ein zu unrecht fast vergessener Satiriker und begabter Schriftsteller, sondern auch ein Literaturwissenschaftler, der mit Sachverstand und politischer Reife analytisch arbeiten konnte. Das für uns verwertbarste Beispiel hierfür ist seine Dissertations-Schrift. Einer der wenigen Texte, die sich mit einer solchen Intensität mit einer Zeitung wie dem PESTER LLOYD beschäftigt haben. Brachfelds diesbezügliche Arbeit ist ein wertvoller Beitrag dafür, das deutsch-ungarische Verhältnis in einer komplizierten Zeit besser zu verstehen und einordnen zu können. Nicht nur wegen der Nähe dieser Zeitung zu Siegfried Brachfeld, und auch nicht allein wegen seiner vergriffenen Bücher in den Regalen, sondern vielmehr wegen der bestehenden Gefahr des Vergessens eines wichtigen „ungarischen Deutschen“, – der im Laufe seines Lebens auch ein „deutscher Ungar“ aber niemals ein „Ungarndeutscher“ wurde – haben wir uns entschlossen, seine Satiren in einer neu geordneten Publikation und mit bisher unveröffentlichten Texten aus seinem Nachlass herauszugeben. Ich bedanke mich insbesondere bei Frau Anna Brachfeld (Foto, 2003), die unser Buch-Projekt – quasi wieder als „Agentur Panni“ - in allen Fragen aufgeschlossen und hilfreich unterstützt hat. Gotthard B. Schicker, Budapest im September 2003 10 Vorwort Vermittler zwischen zwei Kulturen Von Dezsô Keresztúry Im Bewusstsein der Völker erhalten sich oft Charakterbilder wie zählebige Platitüden, die, mit der Wirklichkeit konfrontiert, oft humorvoll oder absurd wirken wie ein Blick in den Zerrspiegel. Sie werden vom betroffnen Volk nicht selten missmutig oder aber mit verständnisvoll-selbstironischem Lächeln wahrgenommen; eine leidenschaftlich, erboste Ablehnung könnte leicht zu Missverständnissen führen. Nach einem ungarischen Sprichwort hat der Wütende nie recht. Die Diskrepanz zwischen romantisierender Legende und konkreter Wirklichkeit wird aber in unseren Tagen, in denen Ungarn ganz grundlegende Wandlungen seiner Daseinsform erlebt, verständlicherweise doch mit Vehemenz empfunden. Auch aus diesem Grund kann man dieses Buch von Siegfried Brachfeld freudig begrüßen. Er nimmt sehr behutsam wichtige Korrekturen eines längst überholten, aber auch des nur erst in manchen Wünschen lebenden Ungarnbildes vor. Mit objektiver Teilnahme eines zu Dank verpflichteten Eingeweihten, der ein verständnisvoll witziger Berichterstatter und ein ergreifend subjektiver Lyriker zugleich ist, entledigt er sich dieses Anliegens. Er versteht es, tiefe Wahrheiten und wichtige Zusammenhänge über unsere Gegenwart ungezwungen mitzuteilen. Nicht gezielt, und doch – oder gerade deswegen – überzeugend. Siegfried Brachfeld, Mitarbeiter der „Budapester Rundschau“ und beliebter Conférencier an ungarischen Bühnen, schrieb unter anderem für seine Wochenzeitung – in Arbeitsteilung mit Sándor Novobáczky – humorvoll kritische Feuilletons über das tägliche Leben in Ungarn. Das fand Anklang und hatte die Herausgabe einer Anthologie dieser wohlgeschliffenen Skizzen zur Folge. Sie erschienen, mit beachtlichem Erfolg, 1974 unter dem Titel „Also nein, diese Ungarn!“ Brachfeld fand inzwischen einen anderen, sehr interessanten Themenkreis. 11 Vorwort Er lernte Ungarisch, als er bereits erwachsen war; hatte also zu diesem eigenartigen, in der indogermanischen Sprachlandschaft Europas fast ganz einsamen finnougrischen Idiom Distanz und Liebe genug, um es mit der Erfahrung des geschulten Philologen und dem geschärften Blick des Journalisten zu betrachten. Dazu besitzt er auch die Fähigkeit, über wesentliche Momente des Ungarischen in flüssig humorvollen Wendungen des Feuilletonisten zu plaudern. (...) Es ist das Werk eines Deutsch-Ungarn, der in den oft tragisch-spannungsvollen Jahrzehnten seines Lebens am eigenen Schicksal erlebte, wie gefährlich und wie schön es sein kann, im Grenzgebiet zweier Kulturen zu leben; der so mehrmals an „zweifachen Klippen“ in ernster Lebensgefahr stand und es doch nicht aufgab, Vermittler zwischen diesen beiden Kulturen zu sein. Seine Erzieher waren diese zwei Welten, ihr tägliches Leben und ihre Klassiker. Ein optimistisch offener, humanistisch geprägter, lebensbejahender, gefühlsbetont kluger Mensch, wurde er zu einem scharfen Beobachter seiner Umgebung, die er mit den Augen des freundlichen Ironikers und nicht mit dem schwarzen Humor eines verwundeten Misanthropen betrachtet. So vermag er viel Wesentliches über unsere ernst erlebte und heiter beschriebene Welt mitzuteilen. Er dient in seiner Vatersprache dem Mutterland und in seiner Muttersprache dem Vaterland. Prof. Dr. Dezsô Keresztúry (1904-1996) schrieb dieses Vorwort im Mai 1978 in das von Siegfried Brachfeld herausgegebene Bändchen „Mitten am Rande – ein bisschen Ungarn“. Keresztury gehört zu den großen kulturellen und politischen Persönlichkeiten Ungarns. Er war u.a. Lehrer und Wissenschaftler, Schriftsteller und Dichter, Direktor des Institutes für Hungarologie der Königlichen, heute HumboldtUniversität zu Berlin, bis 1945 leitender Mitarbeiter und Feuilleton-Redakteur des PESTER LLOYD sowie Direktor des Eötvös-Collegiums Budapest - und schließlich war er auch der erste Kulturminister Ungarns nach dem Zweiten Weltkrieg. 12 I Körülbelül Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Ajjajjaj! Wissen Sie, dass Ungarisch sehr schwer ist? ... Mit diesem Satz begann einmal ein Schlager. Und wie ging er weiter? ... „Ajjajjaj wie ist das schwer!“ Da haben Sie also schon ein ungarisches Wort gelernt, nämlich ajjajjaj. Sie meinen, dass sei ein schweres Wort? Sagen Sie einfach dreimal hintereinander ganz schnell Ei und verbinden Sie die beiden letzten Eier jeweils mit einem j. Sehen Sie, schon haben Sie´s. Das heißt soviel wie: Du meine Güte! Oder: Mein Gott! Na, nee! Was Sie nicht sagen?! Wenn Sie das letzte Ei etwas in die Länge ziehen, ließe sich vielleicht der logischste aller deutschen Sätze der Umgangssprache konstruieren: Das darf doch nicht wahr sein! Nehmen Sie nun nur das erste Ei und setzen Sie ein j davor, etwa wie die jutjebratene Jans, dann können Sie schon ungarisch „Ach!“ sagen. Unterschätzen Sie dieses Wort nicht. Es ist in so mancher Situation recht vielsagend. Denken Sie nur an Kleists Amphitryon. Als Alkmene merkt, wie ihr Gatte dem Gotte für eine Nacht zum Verwechseln ähnlich ist, endet das Lustspiel mit einem „Ach?!“ auf Alkmenes Lippen. Nehmen wir also an, Sie haben sich in Budapest verirrt, finden Ihr Hotel nicht, dann rufen Sie laut „Jaj!“, und jeder wird Ihnen den Weg weisen. Natürlich könnten Sie noch zwei kleine Wörtchen hinzulernen, wenn´s recht ist, nämlich: Hol van...? (Das v wird immer wie w ausgesprochen.) Hol van heißt Wo ist...? Und wenn Sie jetzt noch einen einzigen Laut anfügen, das a (das a wird im Ungarischen wie ein offenes o ausgesprochen), dann haben Sie fast schon einen ganzen Satz: Hol van a ...? Wo ist der, die das? Falls Sie sich nun Ihre Straße oder den Namen Ihres Hotels gemerkt oder aufgeschrieben haben, müssen Sie bitte nur noch darauf achten, ob dieser Name mit einem Konsonanten oder mit einem Vokal beginnt; davon hängt nämlich ab, ob Sie den bestimmten Artikel mit dem einen Laut a oder mit den zwei Lauten az bilden (merken Sie: das ungarische z wird immer wie ein Stimmhaftes deutsches s ausgesprochen). Also: Hol van a Rákóczi út heisst. Wo ist die Rákóczistraße? (út = Straße). Aber: Hol van az 15 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch eszpresszó? Da Espresso mit einem vokal beginnt, heißt der bestimtme Artikel az, während er bei Rákóczi út nur a lautet, weil eben Rákóczi mit einem Konsonanten anfängt. Aber sollten Sie´s einmal verwechseln oder gar völlig durcheinanderbringen, so macht das auch nichts. Schlimmstenfalls sagen Sie, was Sie bisher am besten gelernt haben, einfach: Jaj! Und man wird Ihnen helfen oder deutsch mit Ihnen reden. Finnugor Sprachwissenschaftler haben nachgewiesen, dass die ungarische und die finnische Sprache miteinander verwandt sind. Allerdings sind heutzutage weder Finnen noch Ungarn in der Lage, das Gemeinsame ihrer Sprachen aufzudecken, ebenso wenig wie beispielsweise die Germanen ihre Zugehörigkeit zu einer anderen indogermanischen Sprache, sagen wir zum Französischen. Allerdings weiß ein Berliner, was Friseur heißt. Da kam ein blutjunges Mädchen namens Taimi aus Helsinki nach Budapest. Sie hatte allein schon wegen der uralten Sprachverwandtschaft und der dazugehörigen natürlichen Sympathie, die zwischen unseren Völkern besteht, schnell einige Worte ungarisch gelernt und dann den Entschluß gefasst, sich in Ungarn Arbeit zu suchen und die Fremdsprache im Lande selbst weiter zu lernen. Als sie nach einem Monat fleißiger Tätigkeit ihren ersten Lohn bekommen sollte, schickte man sie zum Lohnbüro, ungarisch: bérosztály, das sich in einem anderen Gebäudeteil ihres Betriebs befand. Damit Taimi das Lohnbüro auch finde, schrieb man ihr das Wort bérosztály auf einen Zettel. Taimi aber verwechselte den Hauseingang zum Lohnbüro mit dem danebenliegenden Eingang zur Ambulanz und wies dem Portier ihren Zettel vor. Der gewissenhafte portás besah sich das Wort sorgfältig durch seine Brille, erfasste mit sicherem Gefühl die Situation der Fremden, die sich wohl finnisch verständlich machen wollte, nahm seinen Bleistift hervor und verbesserte ihr das é im Wort bér auf ô. Danach erklärte er mit gutem Wissen und Gewissen seiner Muttersprache, dass dieses Wort hier falsch geschrieben worden sei, denn bôrosztály schreibe man eben nicht mit é, sonder mit ô, weil es die Abteilung für Hautkrankheiten sei. (Bôr = Haut, bér = Lohn, osztály = Abteilung.) So landete Taimi, zwar mit dem Verdacht auf ein Missverständnis, beim Abteilungsarzt für Hautkrankheiten, und wandte nun vergeblich all ihre finnisch-ungarischen Sprachkenntnisse an, um den Arzt von dem Irrtum zu überzeugen. Der Mann in weißem Kittel beruhigte sie auf Ungarisch, dass es nicht weh tun würde, und dass sie nur den Oberkörper frei zu machen 16 17 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch brauche. Taimi redete immer aufgeregter unser verwandtschaftliches Finnisch, aber der Arzt, sicher ein gebildeter Mann, verstand kein Wort. In letzter Verzweiflung deutete Taimi nur noch mit den Fingern symbolisch das international verständliche Geld an. Der Arzt hingegen machte ebenfalls mit Zeichensprache verständlich, dass es nichts koste. Als Taimi an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt war, hatte sie zwar keinen bér (Lohn) bekommen, aber dafür 2 Ampullen Blut in der Ambulanz gelassen. Übrigens ist das eines der wenigen Worte, die heute noch in der finnischen Sprache fast gleichklingen: veri = Blut, ungarisch: vér. Doch kommt man leider mit der Blutsverwandtschaft, da sich unsere Sprachen in mehr als tausend Jahren so weit voneinander entfernt haben, wie das Germanische vom Sanskrit, nicht weit. 18 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Tilos Im Jahre 1975 ist eine erweiterte Straßenverkehrsordnung in Kraft getreten. Daher sollten vor allem Sie, verehrte Gäste, die Sie auf vier Rädern nach Ungarn zu kommen beabsichtigen, sich ein paar Wörter einprägen. Achten Sie bitte als erstes auf unsere Überschrift (am Ende wie sch gesprochen). Überall, wo Sie das Wort sehen oder hören, ist was verboten. Tilos parkírozni! = Parken verboten! Hat ja ein internationales Verbotszeichen. Aber wenn Sie doch einmal so ein Schild übersehen, Verbotenes betreten oder sonst irgendeine Übertretung begangen haben, dann finden Sie entweder das Wort tilos auf jenem Zettelchen, das an Ihrer Windschutzscheibe klebt und sich als Strafgebühr entpuppt, oder aber der Ordnungshüter erwartet Sie höchstpersönlich an Ihrem Fahrzeug und belehrt Sie freundlich, die Hand am Mützenschirm: Jó napot kívánok! Itt tilos megállni! = Guten Tag! Hier ist Halten verboten! Ob es nun trotzdem noch ein guter Tag für Sie wird, hängt davon ab, wie lange Sie Ihren Wagen dort abgestellt haben, wo es verboten war, und auf welche Summe sich die Ordnungsgebühr beläuft. Wenn Sie unter dem bekannten Schild – roter Rand auf blauem Grund und dem roten Querbalken – die Aufschrift finden: 1 óra, dann heißt das, Sie dürfen hier eine Stunde parken. Vielleicht steht aber auch unter dem weißen P auf blauem Grund an der Parkuhr: hétköznap = wochentags 8-18, szombat = Sonnabend 814. Also können Sie innerhalb dieser Zeiten mit Parkuhr, ansonsten ohne Gebühr parken. Sie fahren gut in Stadt und Land, wenn Sie die arabischen Ziffern von 1 bis 120 auch in ungarischer Schreibweise entziffern können, die so aussieht: 1, 2, 3... usw. Auf der Autobahn sind 120, auf anderen Straßen 100 und in Ortschaften 60 Stundenkilometer a megengedett sebesség = die zulässige Höchstgeschwindigkeit, vorausgesetzt, sie wird durch anderweitige Hinweise nicht herabgesetzt. Im Übrigen sind die Ungarn am Lenkrad nicht schlechter und nicht besser als andere Autofahrervölker auch. Vielleicht unterscheiden sie sich nur in puncto Kraftausdrücke von den Ihnen 19 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch geläufigen, die vielleicht im besten Fall Esel und im schlimmsten Hornochse lauten. Oder sind sie gar noch wortgewandter? Sollten Sie einmal in die peinliche Situation geraten, dass Ihnen beim Überholen jemand aus dem offenen Wagenfenster etwas zuruft, merken Sie sich als Antwort nur den einen Satz: Ön után, kérem! = Bitte, nach Ihnen. Das hat – Sie werden es merken – eine kolossal erzieherische Wirkung... Es bleibt Ihnen frei, sich später bei Ihren ungarischen Bekannten einmal danach zu erkundigen, was man sich hier so von Wagen zu Wagen zuruft! Die Erkenntnis wird verblüffend sein. 20 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch i Der Punkt auf dem i hat in Ungarn neben der allgemein bekannten Bedeutung noch eine andere Funktion. Dieser Buchstabe mit dem Punkt ist kurz, mit dem kleinen Schrägstrich darüber ist er dagegen lang. Zum Beispiel wird der helle laut in ivás = der Trunk wie immer ausgesprochen; ívás = der Laich (nicht die Bierleiche) hingegen klingt eher wie „Sowas wie die Ida war noch nie da...“ Wenn Sie es nicht so genau hinkriegen, macht es auch nichts, weil dieser Unterschied bei der gesprochenen Sprache manchmal kaum zu hören ist. Wer aber richtig und schön ungarisch sprechen will, muß natürlich darauf achten. Das ist die eine Seite des i. Über die andere muß mehr gesagt werden. Das Punkt-i entspricht auch der deutschen Verkleinerungssilbe -lein oder -chen. Die Ungarn bilden anhand dieses liebenswürdigen, eher herzlich gemeinten kleinen i erst einmal die Kosenamen. Heißt also jemand z.B. Mátyás (Matthias), so wird er im Umgang von seinen Freunden, Kollegen und selbstverständlich von den Familienangehörigen Matyi genannt. Sollte ihn einmal seine Frau Mátyás rufen, dann ist Gefahr im Anzug. So können Sie alle Namen der Reihe nach durchgehen. Pál (Paul) Pali, György (Georg) Gyuri, Miklós (Nikolaus) Miki, Tivadar (Theodor) Tivi oder Titi, Lajos (Ludwig) Lajcsi oder Lali, Tibor (gibt’s auf Deutsch überhaupt nicht) Tibi. Nun, ich höre schön Ihre Antworten: Das gibt’s ja auch bei uns! Z.B. Hans-Hansi, Siegfried-Sigi usw. usw. gut. Aber das gibt’s bei Ihnen nicht: foci (die Verniedlichung oder besser die Verkleinerung) – denn kleiner geht’s schon nicht mehr – für Fußball. Oder suli die Verharmlosung für iskola = Schule. Oder, Sie können es täglich hören, wenn jemand seinen Freund oder Kollegen um eine Zigarette bittet: Van egy cigid? Hast du eine Zigi? Kinder und Erwachsene rufen in heißen Tagen nur nach fagyi für fagylalt = Speiseeis, oder nach einer eiskalten limcsi = Limonade. Für das Kino gibt es kaum noch einen anderen Namen als das Wort mozi, einfach eine Abkürzung von Mozgókép = bewegliches Bild. Selbst die Ferien oder Urlaub werden von szabadság 21 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch auf szabi verkleinert, auch wenn sie wochenlang dauern. Aber den originellsten Kosenamen hat wohl der Balaton, immerhin vor dem Bodensee der größte See West- und Mitteleuropas. Er wird im Volksmund Balcsi genannt. Wenn Sie also sagen können: Nyáron megyek a Balcsira = ich fahre im Sommer zum Balcsi (das cs wird wie tsch gesprochen), dann sind Sie ein richtiger Ungar geworden, der hier ausnahmsweise lieber verkleinert, um allem Größenwahn vorzubeugen. 22 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Vokalharmonie Sie haben schon etwas erfahren von der ungarischen Betonung, die stets auf der ersten Silbe liegt, von kurzen und langen Vokalen ohne und mit Strich darüber. So können wir jetzt einmal von der Harmonie heller und dunkler Vokale sprechen. Als ich ungarisch zum ersten mal zusammenhängend sprechen hörte (dem, der mit seiner Muttersprache aufwächst, fällt das erst auf, wenn er darüber nachdenkt!), kam es mir vor, als würden einmal lauter e-s und ein andermal lauter a-s an aneinandergereiht. So sagte jemand empört: Ez megengedhetetlen! = das ist nicht zu erlauben. Ich weiß nicht mehr genau, was ich mir da erlauben wollte, und warum es nicht zu erlauben war. Wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass hier nicht nur sehr vokalreich erlaubt wird, sondern dass in einem Wort meist nur helle oder nur dunkle Vokale vorkommen. Im oben genannten Wort sind – man sehe und staune – sechs helle e-Vokale. Das oben erwähnte Wort heißt in der dritten Person Einzahl enged = er, sie, es erlaubt. Aus dem drangehängten –hetetlen wird klar, dass etwas nicht erlaubt ist. Hier drückt der Ungar also, weil das Stammwort im Vokal hell ist, alles Dazugehörige dementsprechend mit hellen Vokalen aus. Wenn Sie ihn aber fragen, warum das nicht erlaubt ist, dann wird alles dunkel, dann wird er nämlich eventuell so antworten: megmagyarázhatatlan = unerklärlich. Weil der Vokal des Stammwortes in der dritten Person Einzahl magyaráz = er, sie, es erklärt, dunkel ist, zieht er drei a-s hinterher. Nun, ich finde es recht diplomatisch, wenn jemand manchmal nicht sagen will oder kann, warum etwas nicht erlaubt ist. Ein feines Empfinden! Dafür unseren Dank = Köszönetünk. Sehen Sie, da haben wir wieder eine wundervolle Vokalharmonie. Die Endung –ünk = unser richtet sich nach den ö-Vokalen in köszönet =Dank. Der Ungar hat jedoch für den Dank noch ein zweites Wort: hála in diesem Dank ist etwas mehr Dank, etwa Dankbarkeit), das Sie nun aufgrund des Gelernten schon selbst harmonieren können im Plural. Na? 23 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Wenn -ünk das unser von köszönet ist, muß also laut der Regel nach dem dunkel klingenden hála eine dunkle Endung folgen. Aber bitte nicht -unk! Denn das hieße: wir schlafen, sondern -ánk, hálánk, das heißt: unser ganz besonderer Dank. Kapiert? Hála az égnek = Dank dem Himmel. Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch WortfolgeSprechmelodie Thomas Mann, der Sprachgewaltige, äußerte einmal über die ungarische Sprache, sie wirke, ohne dass er sie verstehe, wohlklingend auf ihn, ähnlich wie das Italienische. Fraglos ist dabei der Vokalreichtum gemeint, wenn wir an die dunklen und hellen, kurzen und langen Vokale a, á, o, ó, u, ú, e, é, ö, ô, i, í, û, denken. Selbst ö, i und ü können entweder lang oder kurz sein, wie das Öl oder die Öffentlichkeit, der Irrtum oder die Isabella, die Sünde oder die Sühne. Doch sicher hat auch bei Thomas Mann wie bei jedem, der einmal den Versuch macht, Ungarisch in längeren Perioden auf sich einwirken zu lassen, selbst ohne es zu verstehen, die Wortfolge zu jenem Urteil beigetragen: denn die Wortfolge ergibt ja letzten Endes die Sprechmelodie. Wenn ich zum Beispiel deutsch sage: Ich habe ein gutes, nettes, freundliches, hübsches, sauberes Zimmer bekommen, so muß der Zuhörer erst alle Eigenschaftswörter abwarten, bis er erfährt, was ich, und dass ich überhaupt etwas bekommen habe. Wenn wir also die Sprechmelodie dieses Satzes beschreiben wollen, dann ist sie vom unvollendeten „ich habe” bis zum entscheidenden „bekommen” ein recht bewegtes Auf und Ab. Der Ungar, der das Wichtigste immer an den Anfang stellt, beginnt den gleichen Satz mit: kaptam = ich habe bekommen. (Wobei noch die Betonung auf der ersten Silbe liegt.) Der Zuhörer weiß also sofort: der hat was bekommen. Während man beim Deutschen erst am Ende des Satzes erfährt, dass es kein Kind oder sonst was war, was er bekommen hat, verrät es der Ungar schon im zweiten Wort: egy szobát = ein Zimmer. Wenn wir des Ungarn Wortfolge also wörtlich übersetzen, sagt er: ich habe bekommen ein Zimmer und erst dann zählt er alle Eigenschaften des Zimmers auf. Versuchen wir nun des Ungarn Sprechmelodie zu ergründen, dann spüren wir schon im ersten Wort kaptam (das drei deutsche Wörter vereint) durch die Betonung auf der ersten Silbe einen trochäischen oder fallenden Rhythmus. Versuchen Sie einmal, 24 25 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch um das richtig zu hören und zu verstehen, den Rhabarber nur auf der ersten Silbe zu betonen, so wird ein Rhabarber daraus. Das wäre also die Sprechmelodie für kaptam oder megkaptam (das meg davor gebraucht der Ungar, wenn er etwas ganz bestimmt bekommen hat). Die deutsche Sprechmelodie für ich habe bekommen ist demnach Rhabarber-Rhabarber. Das ist, kurz gesagt, der Unterschied – um es einmal ganz wissenschaftlich auszudrücken – zwischen der ungarischen agglutinierenden und der deutschen flektierenden Sprache. Das große jambische Palaver aller indogermanischen Sprachen fällt im Ungarischen weg, ab, fort, aber es fällt nur so, daß es sich sofort wieder erheben kann wie ein Stehaufmännchen. 26 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Kleine und große Freiheit Wenn Sie das Wort Sabbat mit scharfem S aussprechen, haben Sie ein vielbedeutendes ungarisches Wort, unter gewissen Umständen einen ganzen Satz gelernt. Es heißt: Szabad = frei. Es kann aber auch heißen: Ist was frei? (Der Eingang? Der Ausgang? Das Örtchen? Der Stuhl? Der Tisch?) Gestatten Sie... (dass ich einsteige, aussteige, Sie einlade, auffordere zum Tanz, zum Tee, zum Nachtmahl, zum Téte-á-téte.) Sind Sie noch frei? Sie sehen also, durch wie viele Situationen man sich wursteln kann mit jenem kleinen Wörtchen. Einmal habe ich sogar gehört, wie ein stürmischer Liebhaber auf einer Bank im Rosengarten auf der Margareteninsel ein Mädchen nur mit diesem einen Wort belagerte, während sie sich eine Zeitlang mit nem szabad (nem = nein, nicht) = es ist nicht erlaubt, wehrte. Wenn Sie nun an dieses kleine szabad ein ság dranhängen, dann haben Sie die große ungarische Freiheit. Sie werden bei einem Besuch bei uns diesem Wort öfter begegnen. Es gibt einen Szabadság-Berg, einen Szabadság-Platz, eine Szabadság-Brücke, mehrere Straßen, ein Hotel, manche Kinos führen diesen Namen. Und die größte Tageszeitung heißt Népszabadság (nép bitte nicht wie nepp aussprechen), nép = Volk), also Volksfreiheit und ist das Organ der USAP, der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei. Sie können aber das gleiche Wort auch gebrauchen, wenn Sie sagen wollen, dass Sie Ferien machen, Urlaub heißt nämlich auch szabadság. Ein sinnreiches Wort. Nicht wahr? Die Freiheit vom Alltag, vom Arbeitsplatz, von Zuhause, manchmal von der Ehehälfte mit Schwiegermutter und Familie. Also: Ich gehe oder fahre in den Urlaub heißt: szabdságra megyek. Sie sehen, fünf deutsche Wörter lassen sich ungarisch in zwei sagen. Ist das nicht einfach? Doch wer fragt schon, ob er mit zwei ungarischen Wörtern oder mit sechs deutschen in Urlaub geht. Die Hauptsache, es ist Urlaub. Nicht zu vergessen dabei die Aussichten auf Kurschatten, unwichtig, ob mit oder ohne Sonne, wichtig ist nur in dieser Hinsicht das eine Wort um weiterzukommen. Szabad? 27 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Nyaraló Tschinagln Jemand hat gehört, daß der Sommer bei uns nyár heißt und das Pferd ló. Als er nun zur Sommerfrische hier war, hörte er das Wort nyaraló und übersetzte es logischerweise – eventuell auch weil er schon etwas über die Vokalharmonie wusste – als Sommerpferd. Nyarló ist aber der Urlauber, der Feriengast, der in die Sommerfrische geht. Nicht etwa so zu verstehen, daß das ló = Pferd hier ein Synonym für den Gast wäre; nein, ein nyaraló ist eben einer, der in der Sommerfrische weilt, kurz der Urlauber. (Übrigens heißt auch das Haus, in dem man den Sommerurlaub verbringt nyaraló.) Damit also aus einem Sommerfrischler kein Sommerhengst wird, merken Sie sich am besten: Wenn das ló am Ende eines Wortes steht, hat es mit einem Pferd nichts gemein. Zum Beispiel ist vasaló kein Eisenpferd, sondern ein Bügeleisen. Vas = Eisen, vasalni = bügeln. Oder ein udvarló ist kein Hofpferd (udvar = Hof), sondern einer, der einem Mädchen den Hof macht, also ein Hofmacher. Ein vásárló ist auch kein Marktpferd (vásár = Markt), sondern ein Käufer, also der Mensch, der auf dem Markt einkauft. Steht das ló aber am Anfang des Wortes wie zum Beispiel bei lóvásár, dann wird ein Pferdemarkt daraus. Am besten merkt man sich vielleicht, daß das ló am Anfang des Wortes immer etwas mit Pferden zu tun hat, wenn es aber am Ende steht, dann wird etwas menschliches daraus. Doch da fällt mir gerade ein Wort ein, das meine Theorie glatt über den Haufen wirft. Versenyló (verseny = Wettstreit). Da steht doch dieses verflixte ló am Ende und heißt nicht Wettstreiter, sondern Rennpferd. Womit bewiesen ist, daß auch im Ungarischen die Ausnahme die Regel bestätigt und umgekehrt. Aus Wiener Neustadt waren Freunde bei uns zu Besuch. Sie sind nicht zum ersten Mal hier und haben schon eine Ahnung von der ungarischen Sprache. In Verbindung mit irgendeiner dringenden Arbeit am neu gebauten Häuschen sagte ich vor ihnen zu meiner Frau: Ezt muszáj megcsinálni, was soviel heißt wie: das muß gemacht werden. (Der Ungar ist in seiner Sprache weniger passiv, sondern vielmehr aktiv.) Meine Wiener Neustadt-Freunde hörten aus diesem Satz nur das csinálni = machen und sagten voller Freude über die Entdeckung: „Das habt ihr von uns, dieses tschinagln!“ Nun, ich glaube, es ist eher umgekehrt. Die Österreicher, und hier im Besonderen die Burgenländer, haben das tschinagln aus dem Ungarischen abgeleitet und in ihre Sprache so volkstümlich integriert, daß aus letzten zwei Silben -nálni eben ein Burgenländisches -nagln wurde. Also einer, der in Wiener Neustadt was tschinagln tut, ist ein Tschinagler, nämlich jemand, der was nagelt, hämmert, kurz: was macht. Wir hingegen, damit es nicht eingleisig zügelt zwischen uns, haben von ihnen das Wörtchen muß, so entstand der österreichisch-deutsch-ungarische Satz: muszáj csinálni. Csinálni ist der Infinitiv, csinál die dritte Person Einzahl = er, sie, es macht. (Die anderen Formen können Sie in einer ungarischen Grammatik nachlesen.) Valamit csinálni kell sagt der Ungar, wenn was gemacht werden soll oder muß. Kell = muß, valamit = etwas, das t am Schluß ist der Akkusativ. Wenn´s nicht mehr weitergeht mit der charmanten österreichisch-ungarischen Schlamperei, wenn´s auf den Nägeln brennt, dann wird aus dem ungarischen kell ein österreichischdeutsches muß = muszáj. Der Ungar aber, und das spricht sehr für seine Lebensweisheit, hat für sein csinálni noch eine mildere Stufe, nämlich das csinálgatni. Dieses kleine -gat zwischen csinál und der Endung -ni macht das Machen nicht so tierisch ernst. Es erlaubt dazwischen ein kleine Pause, ein bisschen Ruhe auf eine Zigarettenlänge, unter 28 29 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Umständen eine kleine Erfrischung mit großem Plausch über das, was gemacht werden soll, oft aber auch über die Politik des Tages. Und dabei haben wir zum Beispiel Muße zur Bewunderung des gemeinsamen sowjetisch-amerikanischen Raumfahrtunternehmens, aus dessen Perspektive das, was wir hier in unseren Grenzen tschinagln tun, doch überhaupt nicht, wirklich nicht der Rede wert ist. A Schwierig zu begreifen, und darum schwer erlernbar sind die Geschlechtswörter der, die, das für den Ungarn. Er vermag sehr wohl die Geschlechter nicht zu verwechseln, zum Beispiel die Frau = a nô, der Mann = a férfi, das Kind = a gyer(m)ek, wie aber aus diesem Beispiel ersichtlich, ist ihm kein grammatisches Geschlecht geläufig. Ob der, die und das, für ihn bleibt es ein a. Daher denkt der Ungar logisch und fragt, wenn es sich um die deutsche Sprache handelt: Warum ist die Kirche weiblich, der Turm darauf männlich und das Kreuz auf der Spitze sächlich? Warum haben die Männer eine Brust, während es bei den Frauen der Busen heißt? Warum wird der männliche Regen zum sächlichen Wasser in der weiblichen Pfütze? Warum hat die weibliche Blume ein sächliches Blatt am männlichen Stengel? Warum haben die Weiber einen männlichen Mund und die Männer eine weibliche Stimme? Warum muß immer der männliche Magen die weibliche Speise verdauen, die einzeln betrachtet doch wieder alle Geschlechter enthält: Das sächliche Brot, die weibliche Milch oder den männlichen Honig? Und so könnte der Ungar weiterfragen, den lieben, langen, männlichen tag lang bis in die weibliche Nacht. Warum? Warum? Wie einfach hat er es dagegen mit seinem einzigen kleinen a als Artikel, der sich nur vor Wörtern, die mit einem Vokal beginnen, zu einem az verändert. Die Wörter a férfi = der Mann, a nô = die Frau, a gyerek = das Kind beginnen mit Konsonanten. Aber der Mensch = az ember hat den Vokal im Anlaut und erhält darum wie az idô = die Zeit oder az ég = der Himmel den mit dem weichen s der Rose gesprochenen Artikel az. Ist das nicht als Regel ohne Ausnahme einfacher, leichter, verständlicher und vor allem logischer als das Durcheinander der deutschen Geschlechtswörter? Wer kann da nicht den jungen Mann aus Budapest begreifen, der im Kreis ihn umschwärmender Wienerinnen auf die Frage: „Sprechen Sie unsere Sprache?“ antwortete: „Ja, ich habe nur etwas Geschlechtsschwierigkeiten!“ 30 31 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Hogy van? Wie geht’s? Wenn Sie diesen allgemein üblichen Höflichkeitssatz ungarisch sagen wollen, fragen Sie, genaugenommen nicht: Wie geht es ihnen, sondern wie sind Sie? (Én vagyok, te vagy, ô van = ich bin, du bist, er, sie, es ist – hogy = wie.) Als Ungar geht es mir also nicht so wie einem Mitmenschen deutscher Muttersprache, sondern ich bin gut = jól vagyok. In diesen zwei Wörtern des Frage- und Antwortsatzes liegt, so empfinde ich es, eine typisch ungarische Verhaltensweise des sehr bewusst befühlten Seins. Auf die Frage: Wie hat es Ihnen denn gestern bei uns gefallen? Würde ein Ungar kaum antworten: Ganz prima! Oder: Herrlich! Oder: Sagenhaft! Oder: Das war wunderwunderschön!, sondern er wird sagen: Nagyon jól éreztem magam. = Ich habe mich sehr gut gefühlt. Leider wird in der übermäßig schnellebigen Zeit dieses Hgy van? auch bei uns oft so im Vorbeigehen hingeworfen und erhält dann eine ebenso oberflächliche Antwort, bei der ein kurzes köszönöm = danke zu kösz verstümmelt wird, was noch weniger ist, als wenn man beim „Guten Tag“ den „guten“ fortlässt und sich einfach mit „Tag“ begrüßt. Also mit Hogy van? Können Sie entweder ein Gespräch beginnen oder es gar nicht erst zustande kommen lassen. Wollen Sie es dennoch, fragen Sie: Hogy érzi magát = wie fühlen Sie sich? Dann fühlt sich der Ungar angesprochen und wird Ihnen unter Umständen sein ganzes Leben erzählen, wobei, wenn Sie gut aufpassen, das Wörtchen hogy in so manchen Variationen zu hören ist, als wie und was und weil und daß. Es sei denn, Sie unterbrechen ihn in seinem Redefluß und fragen mal kurz dazwischen: Hogyhogy? = wie, wie, was so viel heißt wie: wieso? Tatsächlich? Wie meinen Sie das? Vielleicht wird er darauf antworten: hogyne, megtörtént!, wortwörtlich: wie nicht, ist es geschehen! Sinngemäß: na und wie, na und ob... Eben, weil der Ungar durch seine Sprache zu den außergewöhnlich gefühlsbetonten Menschen gehört, wird immer ein wenig mehr in der Geschichte seines Lebens stecken. Und weil er das fühlt, fügt er beim Erzählen oft den Satz hinzu: Hogy rövid legyek, wortwörtlich: daß ich kurz sein soll, sinngemäßL: kurz und gut. Doch je 32 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch öfter er das sagt, um so länger wird seine Geschichte. Versuchen Sie es, dabei einfach mal mit dem offen ausgesprochenen Zweifel: Ugyan már! = Aber was! Er wird darauf antworten: Dehogynem! Oder noch bestimmter: Dehogyisnem! Wortwörtlich: aber wie auch nicht!, sinngemäß: nein, ganz bestimmt ist es so! Danach können Sie vielleicht glauben, daß es eventuell bestimmt so ist, wenn es so war. Tudniillik Ein ausländischer Student an der Budapester Universität meinte kürzlich, daß tudniillik für ihn ein komisches Wort wäre, das ihn zum Lachen reize. Ich finde das gut; denn was zum Lachen ist, regt zum Nachdenken an, wenn es kein dummer Witz ist. Tudniillik ist kein Witz, sondern ein zusammengesetztes Wort aus tudni = wissen und illik = passen, gebühren, schicken. Also wortwörtlich heißt tudniillik: es schickt oder gebührt sich zu wissen. Aber man gebraucht es heute oft als Satzanfang wie: das heißt, oder nämlich. Nun kann ich mir lebhaft einen Professor an der Budapester Universität vorstellen, wie er fortwährend mit tudniillik erläutern will, was er eben ausführlich erklärt hat; weil es hier wie überall manchmal Professorenart ist, das Sein und Bewusstsein, das heißt deren Kausalität, das heißt, die Dialektik beider Phänomene, daß heißt tudniillik die Abhängigkeit voneinander, tudniillik die Bestimmtheit, oder tudniillik deren Priorität, einfacher ausgedrückt tudniillik das Wissen vom Wissen zu wissen tudniillik... Darüber kann dann ein Student, wenn er noch dazu die ungarische Sprache nicht ganz beherrscht, nachdenken, bis sich die vielen tudniilliks wie Ohrenwürmer durch alle Gehirnwindungen schlängeln. Mit tudniillik also brauchen Sie sich Ihren Kopf und die Zunge nicht zu zerbrechen. Aber wenn Sie beide Wörter auseinander nehmen, dann wissen Sie von tudni, daß es das Zeitwort wissen ist und von illik das, was sich schickt. Wenn Sie jetzt an das Wörtchen nem = nein oder nicht denken, dann können Sie ungarisch sagen, daß sich nicht schickt, was sich nicht schickt: nem illik semmit nem tudni = es schickt sich nicht, nichts zu wissen. Jedenfalls sollte man bei uns vom Wissen soviel wissen, bis man wie Sokrates weiß, das man nichts weiß. 33 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Gáz Sie wissen es längst, daß das z, ganz gleich wo immer sie es lesen, am Ende, am Anfang oder in der Mitte, wie ein s, so weich wie die Seide ausgesprochen wird. Es ist daher verständlich, daß das Gas, für das selbst die ungarische Sprache, die an Fremdwörtern so selten was Fremdes lässt, kein einheimisches Wort gefunden hat, daß also jedwedes Gas mit z und selbstverständlich mit langem á geschrieben wird. Im Pionierlager Csillebérc, auf dem Szabadság-hegy (Freiheitsberg) in Budapest, wo auch viele ausländische Kinder ihre Ferien verbringen, lief ein Junge aufgeregt zu seiner Gruppe und sagte: „Gáz van!“. Ein deutsches Mädchen mit schneller Auffassung und Verständigungsbereitschaft, die nicht zum ersten Mal hier war, konnte diese beiden Wörter zwar übersetzen: Gáz van = Gas ist, aber den Sinn dieses Ausrufes nicht verstehen. Also plaudern wir ein wenig übers Gas und seine in unserer Sprache eigentümlich vielseitige Bedeutungen. Gas hat oft einen üblen Geruch. Darum entspricht gáz van ungefähr dem Sinn von: Kinder, da stinkt was! Der Junge, der es gerufen hatte, wollte seine Kameraden aufmerksam machen, daß man dem, was er ausgefressen hatte, auf der Spur war. Alle Wörter, von gázfejlesztés = Gasentwicklung bis zum gázosító = Vergaser werden also für meine verehrten Leser logisch und verständlich sein. Nur ein Wort steht im Lexikon zwischen gáznyomás = Gasdruck und Gázolaj = Gasol, das zwar den gleichen Stamm und dennoch nichts mit dem Wort Gas gemein hat: gázol. Die Endung –ol bedeutet die Konjugation der dritten Person Einzahl; z.B. táncolni = tanzen, táncol = er, sie, es tanzt. So müsste, wenn es nach der Logik ginge, gázol soviel heißten wie : er, sie, es gast, oder wenn wir an das erste Sprachbild denken: stinkt. Aber gázol ist die dritte Person Einzahl vom Infinitiv gázolni = waten, gázol = er, sie, es watet. Es kann aber auch heißen: er, sie, es tritt (mir meinen Rasen kaputt). Und mit einem el- davor sogar: er, sie, es überfährt, rempelt jemanden an, baut einen Unfall. Ich habe es bei einem Unfall auf der Straße gehört, wie jemand sagte: 34 35 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Gázolt és tovább hajtott. = Er hat überfahren und ist weitergefahren (geflüchtet). Mit dem gleichen Wort lässt sich auch jemandes Ehre in den Staub zerren: Valakinek = jemandem a becsületébe = Ehre seine in gázol = treten. Aber bitte geben Sie Acht! Sollten Sie zufällig hören, daß einer vom anderen sagt: gazember! (ember = Mensch), dann ist nicht der Gasmann gemeint, sondern ein Schurke, ein Schuft, Gauner, Bösewicht, Spitzbube, kurz: ein Erzhalunke; denn wäre dieser Hundekerl ein Gasmann, müsste er mit langem á geschrieben und gesprochen werden. Kommt aber der Gasmann, heißt es nur: jön a gázos = (Es) kommt der Gasige. 36 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Persze Dieses Wörtchen mit dem typischen Zischlaut zwischen den beiden nach ä klingenden Vokalen wurde von einem, der die Ungarn zum ersten Mal sprechen hörte, für ein Schimpfwort gehalten, „schon darum, weil es so häufig vorkommt“, sagte er. Persze aber heißt = natürlich. Natürlich heißt auch freilich, freilich auch allerdings, allerdings auch eben, eben auch auch. All das ist in persze enthalten, das übrigens aus dem lateinische per se = seinetwegen stammt. Sie sehen, wie einfach es sich der Ungar macht, wenn er allerdings, freilich, eben, auch, halt, natürlich, sagen will. Daher hört jeder, der gut hinhört, dieses persze sehr häufig. Versuchen Sie einmal auf die Frage: Sprechen Sie ungarisch? Nicht mit dem üblichen Lehrbuchsatz: Igen, beszélek egy kicsit magyarul. = Ja, ich spreche ein bißchen ungarisch, nur einfach mit persze zu antworten. Sie werden staunen, was das für einen Eindruck macht. Ungefähr so, als würde ein Ungar auf die Frage, ob er deutsch spreche, antworten: Na klar; Mensch! Ob sie es dann in diesem Stil weiterkönnen, ist im Augenblick nicht so wichtig. Tud valamit Magyarországról? = Wissen Sie etwas über Ungarn? Persze! Auch wenn Sie nichts wissen. Manche Ungarn wissen auch nichts und sagen doch: Persze! Tud valamit Petôfirôl? = Wissen Sie etwas von Petôfi? Persze! Valamit Kodályról? Vagy Bartókról? = Etwas von Kodály? Oder Bartók? Persze! Der eine war´n Dichter, die anderen beiden Musiker oder so was Ähnliches. (So antwortete kürzlich bei uns jemand in einem Quizspiel auf diese Fragen.) Sind Sie noch frei, noch zu haben? Persze! Auch wenn es nicht ganz stimmt. Mit persze immer rein ins Vergnügen! Man kann nie wissen, ob nicht doch was Besseres nachkommt. Nem fél? = Haben Sie keine Angst? Persze hogy nem! Achten Sie bei dieser Antwort bitte auf das kleine hogy (bitte nicht wie hogi aussprechen!) vor der Verneinung nem. Wenn Sie es fortlassen und einfach wie im Deutschen natürlich nicht (persze nem) sagen, ist es nicht rund genug, nicht echt ungarisch. 37 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Wir verwenden das hogy gewissermaßen als Verstärkung für unsere Angst- und Furchtlosigkeit. Auf die aktuelle Frage, ob das Lebensniveau aufgrund einiger erhöhter Preise bei uns nicht sinkt, wird jeder mit Überzeugung antworten: Persze hogy nem! Kutya Obwohl die Ungarn ihren Hund aus der serbokroatischen Sprache geerbt haben, behandeln sie ihn doch so, als wär´s ein Stück von ihnen und können das Tier sogar – wozu sonst niemand imstande ist – durch alle Zeiten in allen Formen beugen. Ein Fremder, der schon einiges davon wusste, wie viele HundeSprachbilder es hier gibt, war doch völlig erstaunt, als er jemanden sagen hörte: „Sokat kutyagolok“. Er übersetzte es für sich: sokat = viel, kutya = -golok = Endung eines Zeitwortes in der Gegenwart erster Person Einzahl, dachte lange darüber nach, was wohl diese Mensch mit seinem Hund gemacht hat: Ich hunde? Was soll das heißen? Bei aller Anerkennung für die reiche Phantasie der Ungarn hat ein Zeitwort hunden doch keinen Sinn. Und doch! Kutyagolni ist tatsächlich ein aus dem Hund gebildetes Zeitwort und heißt: Zu Fuß gehen, marschieren, also wie ein armer Hund laufen. Wer hier demnach noch nicht mit dem Auto fährt und weit von der nächsten Haltestelle wohnt, muß manchmal sehr viel kutyagolni. Schauen Sie einmal nach, was alles noch mit dem Hund ausgedrückt werden kann. Vom kutyabôr = Adelsbrief (solche Dokumente sind einmal auf Hundeleder geschrieben worden) bis zum kutyafáját! = des Hundes Baum! (Lassen Sie sich das von einem Ungarn mal genau übersetzen) – gibt es so viele Anspielungen, Bilder und Vergleiche, daß wer sich da nicht auskennt, fast in Gefahr kommt, alles durcheinanderzubringen. Selbst in diesem Wort durcheinanderbringen steckt der Hund; denn wenn Sie sich völlig verfranst haben in der ungarischen Grammatik und mit dieser Sprache auf den Hund gekommen sind, dann können Sie verzweifelt rufen: Ezt összekutyultam! = Das habe ich zusammengehundet! Eigenartig, daß man hier wie überall zum Hundeleben greift, um Menschliches auszudrücken. Ein kis kutya = kleiner Hund ist einer, der wenig, und ein nagy kutya = großer Hund einer, der viel zu sagen hat, also ein hohes Tier. Wobei das hohe oder große Tier, ungarisch: nagy állat wieder nicht das bedeutet, was man in der 38 39 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch deutschen Sprache darunter versteht. Kutyabaja sincs = wortwörtlich Hundeunglück keins hat dagegen jemand, dem nichts fehlt. Die Hunde selbst jedoch haben Menschennamen. Auf kutya = Hund hört kein ungarischer Hund, es sei denn, Sie liebkosten ihn neben seinen meist sehr menschlichen Namen mit kutyuskám = mein Hünchen. Oder vielleicht noch besser mit kutyulimutyuli, was soviel heißt wie kutyulimutyuli. Sollten Sie einmal sehr verliebt sein – nicht in einen Hund -, können Sie das kutyulimutyuli auch ausnahmsweise für Ihren Liebling gebrauchen. Darüber lässt sich nachdenken! 40 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Vigyázz! Da haben wir nun endlich nach so viel k.u.k. Mischmasch ein ganz reines ungarisches Wort aus der finnisch-ugrischen Sprachfamilie: vigyázz! = Achtung! Vorsicht! Wo Sie dieses Wort lesen oder hören, geben Sie acht auf den letzten Buchstaben z. Wenn ein zweites z dahinter steht, dann lauert Gefahr: ein beißender Hund, ein tiefes Loch oder ein noch tieferes Wasser, eine Hochspannungsleitung, eine Tür, die andersrum aufgeht, als man denkt, eine unvorhergesehene Stufe, eine frisch gestrichene Bank. Oder es ist auf Straßen, Parkplätzen und Parkanlagen, in allen öffentlichen Verkehrsmitteln und Gebäuden die Aufforderung, auf Reinlichkeit zu achten. Also vom vigyázz! = Achtung! Wenn Sie über den Damm gehen, bis zum vigyázz a késsel! ( a kés = das Messer, a késsel = mit dem Messer), bevorzugt man dieses Wörtchen, obwohl man sich auch ungarisch vorsehen = óvakodni oder anders ausdrücken könnte. Das kürzeste und disziplinierteste, zum Kommando verhärtete vigyázz aber gibt´s beim Militär und heißt: Stillgestanden! Und das allerliebenswürdigste, weitgehendste und vielsagendste vigyázz gebrauchen alle Menschen, die sich lieb haben, beim Abschied. Wenn Ihnen Ihr ungarischer Freund (oder Ihre Freundin) beim ersten Aufwiedersehen vor der Haustür, und sei es auch nur beim Abschied bis morgen früh, sagen wird: Vigyázzon magára! = geben Sie acht auf sich!, also wenn sie oder er das sagt, dann müssen Sie wissen, daß er Sie lieb hat, wenn nicht gar schon mint egy ágyú = wie eine Kanone (eine typisch ungarische Metapher für das Hals-über-Kopf-Verliebt-sein) in Sie verknallt ist. In diesem meist leise gesprochenen Wort steckt viel mehr als das Achtgeben. Es liegt darin die Angst und Furcht um den lieben, vielleicht geliebten Menschen, dem ein Unglück, also ein Anderer oder ein Andere zustoßen könnte. Also vigyázz magadra! Damit du dich für mich unbeschädigt erhältst. Achten Sie bitte sehr deutlich auf Betonung und vor allem auf die Situation, in der dieser Satz gesagt wird. Denn nehmen wir an, 41 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Sie sind hier irgendwo irgendwie unangehehm aufgefallen, angestoßen mit oder ohne Auto, und jemand wird darauf zu Ihnen sagen: Vigyázzon magára! Dann heißt das genau das Gegenteil. Dann müssen Sie aufpassen auf Ihren Mund und vielleicht sogar auf die Zähne. Nincs mese Keine Mätzchen! Keine Ausrede! Keine Fisematenten! Keine Ausflüchte! Für all das und noch mehr verwendet der Ungar in der Umgangssprache die beiden worte unserer Überschrift: nincs = kein(e), mese = Märchen. Vergessen Sie dabei nicht die richtige Aussprache! s = sch. Wenn Sie mese nach Ihrer Sprachempfindung mit einem deutschen s und der Betonung auf dem ersten e sprechen, wird so was Ähnliches wie Honig = méz daraus, oder sagen Sie es mit scharfem s, haben Sie anstelle von nincs mese, nics messze = es ist nicht weit, gesagt. Nun kann der Ungar fast aus jedem Hauptwort gleichzeitig ein Zeitwort bilden. Er hängt einfach an mese = Märchen die Endung –l und hat damit das Verb mesél = erzählen, gebildet (achten Sie bitte dabei auf die Veränderung des kurzen Vokals e zum langen Vokal é). Sie können jetzt sagen: Das könnten wir ja auch in der deutschen Sprache mit dem Hauptwort Erzählung, das aus dem Zeitwort erzählen entsteht. Aber es hört sich schon recht komisch an, würde jemand sagen: Erzähl mir keine Erzählung! Da müsste schon für die Erzählung das Wort Märchen stehen. Einfacher ist es jedoch im Ungarischen. Sie brauchen sich nur das Wort mese zu merken und können damit vieles sagen: Ne mesélj! = Was du nicht sagst! (Das -j am Ende ist die Aufforderung). Mese habbal = Quatsch mit Soße (hab = Schaum). Meséld a nénikédnek! = Das kannst du deiner Tante erzählen; solche Märchen kannst du einem anderen aufbinden. Nekem mesélhetsz! = mir kannst du das nicht weismachen, höchstens einem anderen). Esti mese = Abendmärchen, damit ist der Nachtgruß für die Kinder im Fernsehprogramm gemeint und manchmal auch der darauffolgende Kommentar. Ezt nekem akarod bemesélni? = Das willst du mir erzählen? Andersen meghalt, nincs mese = Andersen ist tot, es gibt keine Märchen mehr! Und wenn auch bei uns nicht wie im Schlaraffenland die Zäune aus Würsten gemacht sind, so ist es doch egy meseország = ein Märchenland; schon allein darum, weil das Wort meseország hier einen so romantisch vieldeutigen Klang hat. 42 43 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch der russischen Sprache und war von 1906 bis 1917 das russische Parlament. In unserer Sprache lebt es heute noch täglich, und wird immer angewendet, wenn jemand dumál = quatscht, schwafelt, schwatzt oder quasselt. Aber wenn Sie mit uns zu einem kleinen angenehmen Gespräch zusammenkommen wollen, dann sagen Sie: jövök egy kis dumcsira = ich komme auf einen kleinen Plausch. Kommen Sie! Aber vergessen Sie es nicht! Link Sie meinen, da ist an der Überschrift ein Buchstabe vergessen worden? Entweder ein -e oder -s, oder beides zusammen, damit aus dem verstümmelten Link wenigstens was Linkes wird? Nein, geirrt!. Mit link ist kein deutsches, sondern ein ungarisches Wort gemeint. Sie sind erstaunt? Ja, ich war es ebenfalls, als ich es so zum ersten Mal hörte: Ez egy link kifogás = Das ist eine faule Ausrede. Wie kommt der Ungar für faul zu diesem link, das doch auf den ersten Blick ein deutsches Lehnwort ist? Im neuesten ungarischen etymologischen Wörterbuch, herausgegeben vom Budapester Akademia-Verlag, steht dazu: Link ember (ember = Mensch): eine zur Unterwelt gehörende, geriebene, gerissene Person, und weiter: unecht, falsch, unzuverlässig, schwindelhaft, lügnerisch und die Bemerkung, daß dieses Wort aus der deutschen Sprache stammt. Wir kennen aus dem Großen Deutschen Wörterbuch von Warhig neben linken Armen, Beinen, Seiten, die Linke und die Rechte und im besten Fall das Wort linkisch in der Bedeutung von unbeholfen oder ungeschickt. Und selbst ein Linkshänder ist doch kein Unterwelts- sondern oft ein sehr geschickter Allerweltskerl. Also, wie kommt dieses herablassende, beschämende, beleidigende link in die Sprachwelt der Ungarn? Ich weiß es auch nicht, und kann es mir nicht enträtseln. Fast meine ich, daß dieses Wörtchen sich im Dunkel der Sprachwelt verhüllt und bis zur Mutter aller indoeuropäischen Sprachen, zum Sanskrit, verfolgt werden müsste, um dem Ungarn, der heute linkel sagt – auch dieses Verb wird in der Umgangssprache häufig gebraucht für jemanden, der nicht die Wahrheit sagt -, dies etymologisch zu klären und zu erläutern. Bleibt also nur die freudige Feststellung, daß Sie mit diesem Wort sehr leicht etwas echt Ungarisches gelernt haben, und es bei nächster Gelegenheit anwenden können, wenn jemand Ihnen bei uns etwas erzählt, was unglaubwürdig erscheint. So können Sie ihm also perfekt ungarisch antworten: Link duma, was soviel heißt, wie Mumpitz, oder dummes Gefasel. Aber bitte glauben Sie nun nicht, daß duma von dumm abgeleitet ist! Duma stammt aus „Ein ulkiges Wort“, sagte jemand, als er dieses körülbelül zum ersten Mal hörte, „und sehr schwer auszusprechen.“ Wirklich nicht leicht! Aber doch endlich mal ein Wort, das genau so gesprochen wird, wie es da geschrieben steht; wobei Sie überhaupt nichts verkehrt machen oder falsch betonen können. Und wenn Sie es zehnmal (weniger Begabte zwanzig- bis dreißigmal) laut vor sich hergesagt haben, können Sie ungarisch damit soviel ausdrücken wie: annähernd, ungefähr, etwa, gegen, beiläufig, zirka oder klassisch gebildet sogar: approximativ. Das sind immerhin sieben Wörter, für die ein Ungar sich siebenmal mehr anstrengen muß, wenn er umgekehrt lernen will, was man für körülbelül alles deutsch sagen kann. Also: Wann werden Sei in diesem Sommer zu uns kommen? Körülbelül augusztus közepén = etwa gegen Mitte August. Das ist körülbelül die schönste Zeit am Balaton mit körülbelül zehn Sonnenstunden am Tag und körülbelül günstigen Preisen (in der Nachsaison). Fragen Sie aber nach den Preisen, dann bitte nicht mit körülbelül, sondern immer mit mennyibe kerül. Das hört sich am Ende fast so an wie das körülbelül, heißt aber genau übersetzt: mennyi = wie viel, -be = in, kerül = kommt, sinngemäß: für wie viel geben Sie das? Oder: was kostet es? Also fragen Sie immer, wenn Sie etwas kaufen wollen, nach dem mennyibe kerül, damit Sie zuletzt nicht darüber nachdenken müssen, wie viel Sie körülbelül mehr bezahlt haben, als das, was es wirklich gekostet hat. Unsere Preise sind sowohl staatlich festgesetzt, wie es auch freie Preise gibt. Alle werden zwar ständig durch 44 45 Körülbelül Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch die Volkskontrolle überprüft, aber erstens gibt es noch privaten Handel und privates Gewerbe, und zweitens Menschen, die auch in staatlichen Diensten, so manchmal, aus Versehen, körülbelül rechnen. Natürlich will man im Urlaub nicht kleinlich sein, auf jeden Forint sehen. Dann machen ja die ganzen Ferien keinen Spaß. So denken viele. Und auf diese angenehme Weise kommt körülbelül jeder auf seine Rechnung. Und wenn Sie wieder zu Haus sind und mal so körülbelül nachrechnen, was Sie der ganze Spaß bei uns gekostet hat, werden Sie sehen, daß es körülbelül noch immer billiger war als woanders. Sollte es Ihnen dennoch zu schwer fallen, dieses Wort auszusprechen, können Sie auch in der modernen und sehr gebräuchlichen Abkürzung einfach mit kb. fragen. Körülbelül besteht nämlich aus zwei Wörtern, körül = von außen und belül = von innen. Hierzu eine Anekdote. Ferenc Deák, ein namhafter Jurist, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte und zum Ausgleich (1867) zwischen Österreich und Ungarn wesentlich beigetragen hatte und deshalb a haza bölcse, der Weise des Vaterlandes, genannt wurde, verwechselte einmal seinen Hut mit dem eines Abgeordneten. Na ja, meinte der, unsere Köpfe sind eben körülbelül gleich. Körül = von außen schon, antwortete darauf Deák, nicht aber belül = von innen. Um die Bedeutung in der Zusammensetzung des Wortes zu verstehen, versuchen Sei einmal umgekehrt das Wort ungefähr in seiner etymologischen Bedeutung zu erforschen. Es kommt dabei auch so was Ähnliches heraus wie: Ohne Gewähr. 46 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Édes Ich habe mich schon oft darüber lustig gemacht, daß wir alle unsere Familienangehörigen mit dem Attribut édes = süß schmücken. So werden der Vater édesapa = süßer Vater, die Mutter édesanya = süße Mutter, das Kind édes gyerek = süßes Kind, wenn es ein Mädchen ist: édes lányom = meine süße Tochter, oder ein Junge: édes fiam = mein süßer Sohn oder die Schwestern und Brüder: édes testvéreim = meine süßen Geschwister genannt. Ein älterer Bruder ist im Ungarischen nicht nur der ältere, sondern auch der süße = édes bátyám und der jüngere, der süße = édes öcsém. Merken Sie was? Hier hat der Ältere einen besondren Namen: bátyám, während der Jüngere öcsém heißt, Und auch die ältere Schwester ist eine = édes nôvérem, während die jüngere édes húgom genannt wird. So also kann im großen und ganzen die ungarische Verwandtschaft um alle Ecken und Kanten als eine ausgesprochene süße Familie bezeichnet werden. Sollte Ihnen beim nächsten Urlaub in Ungarn jemand den jüngstgeborenen Nackedei in natura oder auf einem Foto zeigen, die Ungarn tun das bei der ersten besten Gelegenheit liebend gerne – selbst eine Großmutter zeigt die Fotos ihrer Enkelkinder mit so viel Stolz, als ob sie sie selbst zur Welt gebracht hätte -, so brauchen Sie nur mit drei kleinen Wörtchen darauf zu reagieren: Jaj, de édes! = Ach, wie süß! Das genügt, um Mütter-, Väter-, Tanten-, Onkelherzen und die ganze Verwandtschaft über zwei bis drei Generationen weichzukriegen. Auch wenn an dem kleinen Ding nichts Süßes zu sehen, zu entdecken, zu riechen ist, liegen Sie mit diesem Jaj, de édes! immer richtig und können nie etwas verderben. Sollte das Kind hässlich, unartig, frech und ganz ungezogen sein, überlassen Sie es immer den Eltern, ein anderes Attribut als édes zu finden. Allein sie haben das Recht, ihren Sprössling büdös kölyök = stinkender Fratz zu nennen. Nur manchmal bekommt das édes einen sauren Beigeschmack, wenn er, der es sagt, ein ernstes, vielleicht sogar wütendes Gesicht dazu macht. Nach dem Sprichwort: Der Ton macht die Musik. 47 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Geben Sie acht auf den Ton, wenn jemand zum Beispiel sagen sollte: Idefigyeljen, édesapám! = Hören Sie mal her, süßer Vater! Bei dieser Anrede ist gewiß nicht mein oder Ihr süßer Vater gemeint, sondern mein lieber Schwan oder mein lieber Freund. Ganz schlimm steht´s, wenn jemand zu Ihnen sagen sollte: Tûnj el, édesapám! Wortwötlich: Verschwinde, süßer Vater! In diesem Fall haben Sie´s bei einem Ungarn hoffnungslos verdorben. Dann nützt auch nicht mehr das jaj, de édes!, dann sollten Sie nie an den süßen Vater denken, sondern nur noch daran, so schnell wie möglich eltûnni = (zu) verschwinden. 48 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Fárad-fáradt Wer bei dieser Überschrift vielleicht an ein ungarisches Fahrrad denkt, der irrt. Doch das deutsche Fahrrad kann zur Stütze werden beim Lernen der ungarischen Vokabel fáradt = müde. Dabei bietet sich wieder ein Vergleich in beiden Sprachen an. Während das deutsche Wörterbuch nur zwei Wörter: müde und Müdigkeit kennt, füllen im ungarischen Wörterbuch drei lange Spalten mit mehr als 30 Wörtern fárad und fáradt mit allen seinen Ableitungen. Ein müder Mann ist egy fáradt férfi. Aber passen Sie auf! Einer, der sich darum bemüht, nicht müde zu sein, der braucht für sein Bemühen nur das fárad ohne –t. Ist es nichts spaßig, daß hier Müdigkeit und Mühe mit dem gleichen Wort ausgedrückt werden? Der ganze Unterschied liegt nur in einem –t fáradság = Mühe, fárdtság = Müdigkeit. Also, wenn Ihr temperamentvoller ungarischer Gastgeber Ihnen nach den Anstrengungen eines Tages noch das Nachtleben zeigen will, denken Sie an das Fahrrad und sagen Sie einfach: fáradt vagyok = ich bin müde. Aber bitte geben Sie acht! Sollte Ihr Gastgeber, wenn Sie zu ihm auf seine Bude zu Besuch gekommen sind, sagen: Örülök, hogy idefáradt, dann bedeutet das –t nicht das Wort müde, sondern die Vergangenheit, und heißt also nicht: Ich freue mich, daß Sie müde sind, sondern: Ich freue mich, daß Sie sich herbemüht haben. Etwas kompliziert, nicht wahr? Aber ulkig! Der Unterschied zwischen dem –d und dem –dt lässt sich nämlich kaum wahrnehmen. Solche Missverständnisse können oft zu peinlichen Situationen führen. Ich hörte kürzlich in einem modernen Hotel mit dünnen Wänden, wie mein Nachbar im Nebenzimmer schnarchte, und wie daneben jemand laut an die Wand klopfte. Am nächsten Morgen saßen wir gemeinsam am Frühstückstisch. Die Dame von nebenan sprach deutsch, benutzte mich als Dolmetscher und ließ mich meinem Nachbar, dem Schnarcher, ihre Frage übersetzen, ob er es nicht gehört hätte, daß sie in der Nacht laut an seine Wand geklopft habe. Er antwortete darauf: „Igen, de ôszintén szólva túl fáradt voltam.“ = Ja, aber ehrlich gesagt, ich war zu müde. Aus Anstand habe ich es der Dame nicht übersetzt. Doch Sie sollen wissen, was Sie sagen müssen, wenn Sie zu müde sind. 49 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Der Ungar und sein Schimpfwort Von der Ungarn ureigenstem Schimpfwort, das in keiner anderen Sprache in dieser Form existiert, soll hier die Rede sein. Es steht so dicht neben dem typisch höflichen „kezeit csókolom” (Küß die Hand!), daß man oft meint, man hätte danebengehört, wenn ein Ungar, plötzlich über etwas erbost, seinen Gottesfluch durch die Zähne zischt. Es ist nicht etwa nur der harmlose Götz von Berlichingen im Deutschen oder das Kruzitürk des Österreichers, sondern es ist der Wunsch, der liebe Gott möge seine Männlichkeit beweisen, indem er das Ding da, das nicht geht und lebt, begatte, um Lebendigkeit in ihm zu zeugen. Also ein recht tiefsinniger Fluch, der nur darum so wenig gesellschaftsfähig ist, weil er sehr drastisch (sonst wäre es nicht Ungarisch) ausgedrückt wird. Viel weniger verständlich ist der Fluch mit dem Pferdeschwanz, den ein Ungar demjenigen, auf den er böse ist, in sein Hinterteil wünscht. Was das zu bedeuten hat, erfuhr ich selbst erst, als man mir folgende Geschichte erzählte: Eine kleine Universitätsbühne in der DDR hatte die Komödie „Die Schlacht bei Lobositz” von Peter Hacks einstudiert und ein paar anwesende ungarische Studenten eingeladen, sich die Aufführung anzusehen, mit dem Hinweis: „Es wird darin auch Türkisch gesprochen.” Gewiß war man der Meinung, daß Ungarn auch Türkisch verstehen müßten, nachdem ja die Türken mehr als eineinhalb Jahrhunderte (1526-1686) das Land beherrschten. Aber was die Ungarn da während der Aufführung von den die türkischen Landsknechte darstellenden Schauspielern hörten, war nicht türkisch, sondern ungarisch, und zwar laut und deutlich in steter Wiederholung eben jener Fluch vom Pferdeschwanz. Die Ungarn lachten laut und herzlich, obwohl es in dieser Szene an sich gar nichts zu lachen gab. Und nach der Vorstellung sprachen sie mit dem Regisseur und erfuhren, daß ein Universitätsdozent ungarischer Abstammung ihm diesen Fluch aufgeschrieben hatte, mit der Bemerkung, das seien ein paar geeignete türkische Worte 50 Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch für diese Szene. Der Dozent, der sich diesen derben Witz geleistet hatte, wurde konsultiert, und man war nicht wenig erstaunt, als jener beteuerte, dieses ungarische Schimpfwort sei ursprünglich wirklich ein türkisches Wort gewesen und bedeutete soviel wie ein am Ende angespitzter Holzpfahl (lofat), den die Türken demjenigen in sein Hinterteil wünschten, dem sie sehr böse waren. (Das Pfählen war auch wirklich eine grausame Strafe im Mittelalter.) Die Ungarn sollen dieses Wort in ihre Sprache integriert haben, und sie brauchten nur den letzten Buchstaben - vom t zum sz - zu ändern (eine im Ungarischen durchaus plausible Konsonantenverschiebung), um aus dem Holzpfahl einen Pferdeschwanz zu machen. 51 II Warum ist die Krone schief ? Ein bißchen Ungarn Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Balaton oder Plattensee? Ich weiß nicht, warum man so bemüht ist, in den Reiseprospekten unseren Balaton immer wieder mit dem Namen Plattensee zu übersetzen. Was heißt Plattensee? Keinem Ungarn würde es einfallen, den Bodensee Padlóstó zu nennen, weil er einen Boden hat. Warum Plattensee? Ist nicht jeder See platt, wenn kein Wind weht und Wellen aufpeitscht? Woher auch immer dieser Name Plattensee stammt, weg mit ihm! Ein antiquierter Name, wo wir einen so schönen haben: Balaton. Darin liegt Musik. Wollen Sie mitsingen? Hullámzó Balaton tetején... (Auf den wogenden Wellen des Balaton…) Wollen Sie mitfahren? Im Ruder- oder Segelboot, Dampfer oder auf der Luftmatratze? Manche lassen sich so treiben; über sich den Himmel voller Geigen, unter sich den See voller fogas, dem einmaligen Balatonfisch. Doch gibt’s auch noch andere Fische im See: Karpfen und Zander, Hechte und Aale, und wer weiß, was noch alles. Aber sie sind nicht der Rede wert. Hier muß man fogas essen – beim Aussprechen mit einem sch am Ende -: knusprig gebraten auf dem Bauch liegend, so daß Kopf und Schwanz hochstehen. In dieser Pose wird er serviert, mit einem Stück Zitrone im Maul, daß einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Und dazu schmeckt balatonfüredi rizling aus dem Tonkrug und nicht „Plattensee-Riesling“ aus der Flasche. Keinem Italiener oder Spanier würde es in den Sinn kommen, seinem Chianti oder Malaga für Ausländer extra einen anderen Namen zu geben. Bei uns wird der kékfrankos aus Sopron für das Ausland in einen lächerlichen „Blaufranken“, oder der berühmte szürkebarát aus Badacsony am Balaton in den nichtssagenden „Grauen Mönch“ verwandelt. Lernen Sie, bitte, ungarische Weinsorten und Namen kennen. Es gibt außer dem Tokajer noch einige. Sie schmecken anders, wenn man sie beim richtigen Namen nennt. Auch der Balaton benimmt sich anders, wenn Sie ihn nicht mit dem faden Plattensee anreden. Zum Balaton können Sie du sagen; dann fühlt er sich geschmeichelt und gestreichelt; dann breitet er sich ganz flach aus und strahlt 80 Kilometer lang blank geputzt, 55 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn dann schimmert er vom hellsten Blau über dunkles Grau bis zum durchsichtigsten Grün; dann spielt er mit seinen Farben in allen Schattierungen, nicht ganz unabhängig von Himmel und Wolken über ihm. Er ist überhaupt nicht „er“. Für uns Ungarn kann er ebenso gut auch „die See“ sein. Der, die, das Balaton ist wie ein junges, schönes Mädchen auf Figur bedacht; und es hat eine, mit ganz schmaler Taille an der engsten Stelle bei Tihany, von weißen Fährschiffen wie mit einem Perlengürtel geschmückt. Und das saubere, spiegelblank geschliffene Fräulein kokettiert auch mit einer Weite, die sich sehen lassen kann und gesehen werden will. Also kommt und seht und staunt! Laßt Euch von dem seidig weichen Wasser umspülen, oder beschaut Euch die Schöne von oben. Es gibt ringsum viele herrliche Aussichtspunkte. Aber lasst Euch etwas einfallen, wenn Ihr vom Balaton schreibt oder singt; auf daß es Euch nicht so ergehe, wie der Gesellschaft, die in einem Camping am See in weinseliger Stimmung das Lied anstimmte: „Im weißen Rössl am Wolfgangsee...“. Danach setzten sich alle in ein Ruderboot und Fräulein Balaton kippte sie ins Wasser. Als sie naß in ihre Quartiere kamen, sagte jemand: „Wir haben gar nicht gewusst, daß der Plattensee so temperamentvoll sein kann.“ 56 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Warum ist die Krone schief ? „Was ist schief?” „Na, die Krone.“ „Die Krone? Wieso?“ „Na, das Kreuz oben drauf.“ „Ach ja, das Kreuz auf der Krone... das kommt daher... warten Sie ... das weiß ich eigentlich nicht.“ Dieser Dialog fand neulich zwischen einem Ausländer und seinem ungarischen Begleiter neben der Mátyáskirche vor dem Reiterstandbild des Königs Stephan statt. Er sitzt dort auf einem prachtvoll geschmückten Gaul, das Haupt bekränzt mit der von Papst verliehenen Krone, auf deren Spitze das Kreuz schräg nach links verbogen ist. Also warum ist das Kreuz schief? Eher können manche Budapester wahrscheinlich begründen, warum die Banane nicht gerade ist, als auf diese Frage eine Antwort zu geben. Aber wenn das ungarische Krönungskronenkreuz schon schief steht, sollte man diesem Kuriosum doch auf den Grund gehen oder von Sagen sagen lassen. So hört denn: Es geschah zu jener Zeit, da Ladislaus IV., der Kumane, ermordet wurde, nämlich im Jahre 1290, und Andreas III., Enkel Andreas´II., auf den Thron gelangte, nebst Verlobung der Tochter von Andreas mit Wenzel III. von Böhmen. Auch andere hatten es auf den ungarischen Thron abgesehen. Einer von ihnen wollte sogar die nicht mehr zu haltende Krone dem Herzog von Bayern überlassen... Einfacher gesagt: Nach Ladislaus´ des Kumanen Tod hatte der jüngere Andreas, ein Herzog, dem älteren, dem Onkel, den er von seinem angestammten Platz verdrängen wollte... der der Enkel... Genauer: Wenzel II. von Böhmen, gekrönt als Ladislaus, nahm die Krone mit nach Prag, als Andreas III. gestorben war und Otto von Bayern sowie... 57 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Kurzum: Die Krone war weg. Nicht das erste und auch nicht das letzte Mal in ihrer Geschichte. Später dann, im Jahre 1440 soll eine Dame aus dem engeren Hofkreis diese Krone unter ihren weiten Röcken aus der Hochburg von Visegrád entwendet und auf Befehl der verwitweten Königin Elisabeth von Luxemburg auf diese Weise nach Komárom geliefert haben, wo am nächsten Tag die Krönung des neugeborenen Königssohns als Ladislaus V. erfolgte. Danach wurde er samt Krone sogleich ins Ausland gebracht. Inzwischen war bereits das Kronenkreuz leicht verbogen. Wie es passiert ist und wo und wann? Ob schon früher oder unter den Röcken der Hofdame auf dem Hin-, oder aber durch schlechte Verpackung auf dem Rückweg, darüber steht in den Chroniken nichts. Es heißt: Alle späteren Könige und Kaiser sowie deren Mörder, Widersacher nebst allen Abkömmlingen hätten aus lauter Pietät das Kreuz so schief gelassen. Im Übrigen ist die Krone, während ich dies schreibe, wieder einmal zu Haus. Am Ende des zweiten Weltkrieges geriet sie samt schiefem Kreuz – via Pfeil- und Hackenkreuzanhänger – in die USA und kam erst Anfang 1978 zurück. Aber das ist schon eine andere, eine ganz und gar nicht schiefe Geschichte. Also, nun wissen Sie´s und können die Sache mit der Krone weitererzählen, falls Sie danach gefragt werden. Sogar besichtigen können Sie sie samt schiefem Kreuz, Krönungsinsignien sowie Krönungsmantel. Wir werden Sie zwar nie wieder benötigen für einen König, doch gibt es bei uns heute Leute, die kiskirály = kleiner König genannt werden, und denen zur Vervollständigung ihres Habitus nur eben diese Krone auf dem Haupte zu fehlen scheint. 58 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Heimweh Wenn es von Heimweh eine Steigerung gäbe, müsste sie heißen: Heimweh, Heimweher, Ungar. „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“, weiß nicht was die Ungarn leiden, wenn sie irgendwo in der Welt in irgendeiner nichtungarischen Speise stochern und dabei an ein töltött káposzta = gefülltes Kraut, an einen frisch gebackenen almás rétes = Apfelstrudel, oder an ein csirkepaprikás galuskával = Paprikahuhn mit Nockerln denken. Während anderen Menschen das Heimweh von der Seele auf den Magen schlägt, ist es bei den Ungarn gerade umgekehrt. Ich habe von einem in den Vereinigten Staaten gehört, dem dicke Tränen beim Hören der Zeile aus einem Volkslied geflossen sind: Lesz még szôlô, lágy kenyér = Es wird noch Wein geben und weiches Brot. Man muß einmal dieses weiße, weiche ungarische Brot zusammen mit den Weintrauben gekostet haben, um den zu verstehen, den allein Brot und Wein übers große Wasser nach Hause ziehen. Natürlich ist darunter nicht so sehr das Brot aus dem Bäckerladen gemeint, sonder ein selbstgebackenes, wie es die Mutter zu Haus – irgendwo in Ungarn – noch selbst geknetet hat, ein Laib Brot, groß und rund mit hellbrauner, knuspriger Kruste. Das Brot ist überhaupt des Ungarn wichtigste Speise, denn Brot auf dem Tisch darf bei keinem Mittagessen fehlen. Brot zur Vorspeise, Brot zur Suppe, Brot zum Fleisch mit Kartoffeln. Ein Ober in Berlin brachte, als wir Brot zur Suppe bestellten, kopfschüttelnd zwei weiche Schrippen, weil im Restaurant kein Brot aufzutreiben war. So beginnt das Heimweh. Eventuell versteht das der Berliner, der in Budapest Heimweh nach seinen frischen Schrippen hat. Alles ist zu ersetzen: Az akácos út = die von Akazien gesäumte, nach ihr duftende Straße, a muskátlis ablak = das Fensterbrett voll roter Geranien, die Bank vorm Elternhaus, der Arbeitsplatz in der Stadt, die Oper und die Eisbahn, das Espresso und die Schwebebahn, das Dampfbad und die Weinschenke, nur eins gibt´s auf der ganzen Welt nicht: csigatészta = die kleinen selbstgedrehten Schneckennudeln in der Gemüsesuppe. 59 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Eine Frau hatte einen einfachen Nudelmacher in ihrer Reisetasche. Sie fuhr zu Verwandten ins Ausland. Dem Zollbeamten auf dem Flugplatz war dieser kleine, mit Aluminiumdraht durchzogene Holzrahmen bei der Kontrolle aufgefallen. Und da er nach der Verwendung fragte, führte ihm die Frau bereitwillig vor, wie man damit csigatészta macht. Der Zöllner und alle Umstehenden empfanden tiefe Rührung für dieses selbstfabrizierte Nudelgerät, das nun irgendwo in der Welt dazu beitragen wird, das ungarische Heimweh zu lindern. 60 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Museum Das Museum wird ungarisch so geschrieben: múzeum und auf der ersten Silbe betont, nicht wie im Deutschen auf der zweiten. Wenn Sie also in Budapest oder in irgendeiner anderen Stadt ein Museum besuchen wollen – bei Regengüssen zwischen zwei Sonnentagen kann das eine willkommene Abwechslung sein – dann fragen Sie nicht nach dem Museeum, sondern nach dem Muuseum. Denken Sie bitte bei der Aussprache zuerst ans Muh und dann ans seum. Wenn Sie nämlich an die Kuh denken, dann sprechen Sie´s ungarisch richtig aus: Muhsäum, und ein jeder wird Ihnen hilfsbereit zeigen, wo es ein solches zu sehen gibt. Da finden wir in vielen Gegenden die empfehlenswerten Freilichtmuseen, wo uralte Wohnsiedlungen gezeigt werden, so, wie sie einst den Menschen mit Haus, Hof und Herd dienten. Nebenbei können Sie in speziellen Ausstellungen auch die alten Trachten der Ungarn bewundern, die sie an Werk- und Feiertagen trugen. Heutzutage wird man höchstens noch in entlegenen Dörfern beobachten können, wie farbenfroh einst Mädchen und Frauen sonntags auf der Hauptstraße promenierten oder was sie zum Kirchgang anzogen. Sollten Sie sich übrigens für die bekannten Blusen interessieren, die so duftig leicht, auf Ärmeln und Brustseite bunt bestickt sind, so fragen Sie nach einer hímzett blúz (hímzett = bestickt). Sie sehen, aus der französischen blouse wurde die deutsche Bluse und schließlich die ungarische blúz, für die es bis heute kein anderes ungarisches Wort gibt. Was natürlich nicht heißen soll, daß die Ungarin bevor die französisch-deutsche Bluse nach Ungarn kam, „oben ohne“ gegangen wäre. Na, Sie werden es ja bei den alten Trachten erleben. So passierte es kürzlich einem Ungarn, der sich in einem Berliner Museum nach den „alten Abendtoiletten“ erkundigte, daß ihm die Aufsicht am Eingang zu verstehen gab: „Wat? So wat ham wa nich´. Bei uns jibs nur neue und die sin´n janzen Tach offen, aba nich am Abend, da is hier nämlich zu.“ 61 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Anonymus Da sitzt dieser bronzene Anonymus nun schon seit ungefähr 80 Jahren im Budapester Városliget (Stadwäldchen), blickt weder nach rechts noch nach links, auch nicht nach vorn oder hinten, sondern verbirgt sein Antlitz hinter einer tief ins Gesicht gezogenen Mönchskapuze. Bei jedem, der ihn dort je gesehen hat, taucht die Frage nach der Identität dieses Jemand auf, mit dem Federkiel in der rechten Hand und den gebündelten Pergamentblättern in der Linken, auf denen unter anderen in lateinischen Wörtern eingemeißelt steht: „Gloriosissimi Belae regis notarius“. Doch warum blieb der Notarius des “allerglorreichsten Königs Béla“ anonym? Warum durfte, wollte oder konnte er der Welt seinen Namen nicht preisgeben, als er damals, unter dem Titel Gesta Hungarorum (Die Taten der Ungarn) über diese berichtete? Das geschah, als König Béla Ungarn von 1173 bis 1196 regierte. Er beschrieb in lateinischer Sprache, hier und da ein paar ungarische Sprachbrocken verstreuend, a honfoglalást (die Landnahme) – welch schönes Wort anstelle von Eroberung, nicht wahr? Ich habe selbst bei Anonymus und in anderen Geschichtsbüchern nachgelesen und bin zu dem Schluß gekommen, daß eigentlich die Aggressoren jener Zeit a besenyôk = die Petschenegen waren. Man kann das heute ruhig sagen, schon darum, weil doch keiner von ihnen mehr lebt, also nicht sprechen, beleidigt sein und dagegen protestieren kann. Diese Petschenegen – schon das Wort allein klingt wie ein Schlag – haben die Ungarn, die damals irgendwo in Etelköz, dem Zwischenstromland zwischen Don, Dnepr und dem Unterlauf der Donau, eben ihr Stammesoberhaupt Árpád zum Fürsten gewählt hatten, ansonsten sich vermehrten und friedlich jagten, aus ihren Heimen vertrieben, als diese im Dienst von Byzanz gegen den bulgarischen Zaren zu Felde gezogen waren. Wohlgemerkt: im Dienst! Ob die Petschenegen auch im Dienst handelten, darüber schweigt die Geschichte. Wer weiß? Einerseits war das nicht schön von ihnen, daß sie, während die Ungarn – ich meine die Kämpfenden – nicht zu Hause waren... 62 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Andererseits verdanken alle Ungarn ihnen, den Petschenegen, daß sie auf diese Weise hinter der Gebirgskette der Karpaten ihr Leben retten und fortsetzen konnten. Nun berichtet Anonymus nicht nur, wie es begonnen hat mit den Ungarn in Ungarn, sondern wie es weiterging bis zum Tod seines Königs Béla. Sie hatten es, wenn wir es nicht im Dunkel der Geschichte, sondern die Geschichte bei Lichte besehen, nicht weniger faustdick hinter den Ohren als jene, die sie vertrieben haben. Ob sie das alles von denen abgeguckt oder von anderen Räubern gelernt haben, bleibe dahingestellt. Doch wie sie sich während ihrer Streifzüge gegenüber den Slawen, Bayern und Italienern aufführten, war nicht weniger rabiat, jedoch in jener Zeit allgemein üblich. (Das wissen wir nicht von Anonymus, sondern aus anderen Quellen.) Sogar Konrad dem Roten, Herzog von Lothringen, so die Legende, soll ja der Haudegen Lehel, der 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg vom deutschen Kaiser Otto gefangengenommen und zum Tode verurteilt wurde, mit dem Horn, mit dem er zum Angriff geblasen hatte, den Schädel eingeschlagen haben. (Nach Lehel wird heute der bekannte ungarische Eisschrank benannt. Vielleicht, weil Lehel so eiskalt zugeschlagen hat?) Und als auch Lehel danach auf dem Schlachtfeld seine Seele aushauchen musste, kamen die noch überlebenden Ungarn auf den vernünftigen Gedanken, daß man mit eingehauenen Köpfen nicht weiterdenken kann und daß sich mit Raubzügen und Kriegen überhaupt keine Probleme lösen lassen. Die Schamanen-Nomaden-Magyaren traten später zum Christentum über und ließen ihren ersten König Stephan vom Papst krönen. So hat es begonnen mit dem ungarischen Staat. Nun wollte Anonymus – und das ist verständlich – der damals Ordnung und Recht liebenden ganzen christlichen Welt beweisen, daß die Magyaren dieses Land eigentlich nur zurückerobert hatten (es hieß in der damaligen Sprache zurückgenommen), da es doch – so denken auch heute noch viele Ausländer – schon einmal vor ein paar hundert Jahren den Vorfahren der Ungarn, den Hunnen gehört hatte. Man sagt: hier irrte der Mönch. Ungarn hätten nichts mit den Hunnen und die Hunnen nichts mit den Ungarn gemein. Ich weiß es nicht. Mir ist die Sache etwas verdächtig, weil ich in Budapest, in der Attila út, also in der Straße des Hunnenkönigs wohnte. Wenn man Attila, dieser Geißel Gottes, wie er damals in ganz Europa genannt wurde, noch eine Straße in Budapest gelas 63 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn sen hat, wenn man sie noch nicht umtaufte auf Straße des 1. Mai oder 1. November, ist vielleicht doch was Wahres an der Geschichte gewesen? Vielleicht sollten alle Geschichtsschreiber Anonymus heißen. Budapest Geschulte Fremdenführer sind Mangelware im ständig steigenden Fremdenverkehr. Ich hörte, wie ein Mann, der gelegentlich Aushilfsdienste leistete, einigen deutschen Gästen die Sehenswürdigkeiten von Budapest so erklärte: „Donau linkisch! Donau rechtlich! Jetzt hinauf auf Burg! Nach Krieg lange sie hat ausgäsähän sähr bäschießen.!“ Die Touristen lachten. Der Cicerone zog eine saure Miene und sagte lange nichts. Dann zeigte er nach unten auf die Brücke, die Donau und die beiden Stadtteile und sagte: „Buda linkisch, Pest rechtlich, wie Sie ersähän. Ersähän Sie es umgedräht, es ist umgedräht. Aber das Donau ist immer in Mitte.“ Die Leute lachten wieder. Und jetzt lachte auch der biedere Mann, denn erspürte, daß er einen Witz gemacht hatte. Und wenn ein Budapester spürt, daß die Leute über seine Witze lachen – wenn es nicht eben solche sind, die mit dem letzten Krieg Zusammenhang stehen - dann freut er sich. Da stellte einer der Touristen die Frage, warum Budapest eigentlich Budapest heiße. Der „Fremdenführer“ sagte, ohne in Verlegenheit zu kommen: „Ich habe keine Schule, aber ich kann sagen, was sagen die Leute von däm. Pest ist gewesen immer der Pest.“ Jemand warf ein: „Die Pest“. Unser Mann ließ sich nicht beirren: „Der Stadt ist immer gewäsen der Pest. Der Stadt hier, wo jetzt wir stähän, ist gewäsen der Buda, oder auch was früher genannt haben die Menschen, die Ofen.“ Jemand bemerkte: „Der Ofen.“ „Der Ciccerone blickte mürrisch drein und fuhr fort: „Dann ist noch gewäsen eine alte Ofen, was früher genannt haben die Menschen Óbuda.“ Eine Stimme meldete sich: „Ein alter Ofen heißt also ungarisch Óbuda?“ Die Leute lachten. Unser Mann sagte: „Nein, eine alte Ofen heißt ungarisch: öreg kályha, aber ich habe schon gesagt, ich habe keine Schule und kann nur sagen, was sagen die Leute von däm. Drei Stadt, Óbuda, Buda und Pest sind zusammengäeint geworden gewäsen hundert Jahr bevor.“ 64 65 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Da sprang ich dem Mann und dem Missverständnis zu Hilfe und erklärte, daß der Stadtteil Pest links der Donau nichts mit der Pest, und Buda mit Óbuda oder auch Alt-Buda rechts der Donau, nichts mit einem Ofen gemein hätten. Das Wort Pest stamme wahrscheinlich aus dem Slawischen und habe, als hier noch rechts und links der Donau slawische Stämme wohnten, soviel wie Hütte oder Ofen, oder auch Talmulde, bedeutet, worum sich die Wissenschaftler allerdings noch stritten. Vielleicht könne man den Streit beilegen, wenn man sich vorstelle, daß die Hütte ein Ofen war, nämlich ein Hüttenofen, ein Schmelztiegel... Weniger Streit aber gebe es um den Namen Buda. Buda sei der Bruder des Hunnenkönigs Attila gewesen, dessen Namen dieser Ort hier links der Donau schon getragen habe, als die Ungarn noch hinter den Karpaten wohnten. Wobei das heutige Óbuda = Altofen zuerst bestanden habe. Alle sahen mich erstaunt an, ich zog meinen Hut und ging zufrieden weiter. Kürzlich begegnete ich dem redseligen Mann wieder, als er jemandem selbstsicher erklärte: „Unter uns sähän Sie die Donau. Rechtlich Pest, was ist gewäsen ein Schmelztiegel, linkisch Buda, was ist gewäsen junger Bruder von Attila. Hinten Óbuda, was ist gewäsen alter Bruder Attila. Hundert Jahre bevor beide Buda-Bruder wurden zusammengäeint gewäsen geworden im Schmelztiegel Pest zu Budapest. Ich habe eine Schule.“ 66 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Ausländische Gäste Wir hatten ausländische Gäste zu Besuch. Sie waren zum ersten Mal hier, also wollte ich ihnen soviel wie nur möglich zeigen. Doch: Wer die Wahl hat, hat die Qual. Es gibt allein in unserer Hauptstadt soviel Sehenswertes, daß ich die Stadtrundfahrt ein wenig nach der Geschichte von Budapest ausrichtete. Zuerst zeigte ich ihnen den romantisch mittelalterlichen Stadtteil im Burgviertel von Buda mit der einmalig schönen, alten Mátyás-Kirche; daneben das Hilton-Hotel, wo die Architekten Altes mit Neuem vereinend, Mauerreste und Kreuzgang eines ehemaligen Klosters harmonisch in den Hotelbau eingefügt haben. Wir tranken einen Kaffee auf der Terrasse der Fischerbastei mit herrlichem Ausblick auf die Stadt; ich erklärte die Geschichte ihres Namens und zeigte meinen Gästen die wichtigsten Gebäude und Anlagen jenseits der Donau. Später auf dem Gellértberg, vor dem Befreiungsdenkmal, dem Monumentalwerk des Bildhauers Kisfaludi Strobl, vor der riesigen Frauengestalt, die mit erhobenen Händen einen Palmenzweig zum Zeichen des Friedens nach Osten hält, erzählte ich Einzelheiten der Geschichte, die unsere Stadt auf so tragische Weise mit dem letzten Weltkrieg, mit der Räterepublik 1919, den Freiheitskriegen 1848/49 und 1703-11 und mit der Christenverfolgung im 11. Jahrhundert verbindet. Auf dem Heldenplatz, neben dem Reiterstandbild des Fürsten Árpád samt den sechs anderen Stammesfürsten – dahinter stehen im Säulenrund Abbilder der bedeutendsten Könige, Fürsten und Staatsmänner der tausendjährigen Geschichte - streifte ich kurz die wechselvollen tragischen Geschehnisse seit dem 9. Jahrhundert, seitdem der Stammesvater Árpád dieses Land einnahm mit ungefähr 30.000 Ungarn (Wissenschaftler streiten sich über diese Zahl, wahrscheinlich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, denn damals wurde noch kein Personenstandsregister geführt). Wir gingen nebenan ins Museum der Bildenden Künste, besahen Werke alter Meister der Malerei und Bildhauerkunst aus dem Ausland, fuhren von dort durch das Theaterviertel, vorbei an der 67 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Staatsoper ins Nationalmuseum. Im Museumsgarten, vor den Stufen, die majestätisch breit zum klassizistischen Säulengang hinaufführen, sprach ich über unseren Freiheitsdichter und –Kämpfer Sándor Petôfi, über sein „Nationallied“, mit dem er hier auf diesen Stufen am 15. März 1848 Zehntausende begeisterter Budapester zur Revolution anfeuerte. Ich erwähnte dabei, daß er ein schweres Leben hatte als Sohn einer einfachen Fleischerfamilie, als mich beim Wort „Fleischerfamilie“ einer meiner aufmerksamen Zuhörer mit der Frage unterbrach: „Wo gibt’s hier Salami?“ Der Anfang des „Nationalliedes“ – ich wollte es eben meinen Gästen zitieren – blieb mir im Hals Stecken: Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Kaiser- und Königsbad Die Frage: „Wo gibt’s hier Salami?“ katapultierte mich aus der von Pulverdampf erfüllten Vergangenheit in unsere friedlich nach Benzin vor sich hin stinkende Gegenwart. Wo gibt es hier Salami? Ich wusste es nicht. Von da ab machte sie mit den Gästen Stadt- und Landrundfahrten, von denen diese jedes Mal glücklich zurückkehrten, mit Salami und Barack (Aprikosenschnaps), Trachtenpuppen und Hirtenflaschen, Gulaschkesseln, Holzkellen, bestickten Pantoffeln und Gott weiß, was alles noch. Goethe hatte recht, als er sagte: „Wer in die Vergangenheit geht, vergisst sich dort gern zu lang und kehrt gealtert wieder. Also bleiben wir jung mit Salami und Barack und all dem anderen Zeug unserer glücklichen Gegenwart. Vor einiger Zeit entstand neben dem alten Budapester Császár fürdô (Kaiserbad) eine nach modernsten Erkenntnissen errichtete neue Schwimmhalle. Sie wurde nach Béla Komjádi, dem verdienten Organisator des ungarischen Wasserballsports benannt. Inzwischen erwies es sich aber, daß unsere Leute wenig von dem Namen beeindruckt sind und weiterhin in den „Csaszi“ gehen. Also zum Schwimmen, Baden und Sonnen dem „Kaiserli“ den Vorzug geben, eine Befürchtung, die ich von Anfang an hegte. Das altehrwürdige Restaurant „Gundel“ im Budapester Stadtwäldchen (seit Jahren wegen Renovierung, für weitere Jahre wegen Renovierung geschlossen) scheint mir dafür die glaubhafte Bestätigung zu liefern. Es wurde nämlich von den Gästen erst wiederentdeckt und ein beliebter Ort der „inneren“ Einkehr, als man auf den glücklichen Einfall kam, diesem Lokal mit der komfortablen Innenausstattung, guter Bedienung und Küche, den alten Namen „Gundel“ einer sehr ehrbaren Familie nahmhafter Budapester Gastronomen wiederzugeben. Aber zurück zum Kaiserbad. Woher stammt der Name? Wir hatten nie einen Kaiser. Die Römer jedoch, die hier schon vor der Zeitenwende warme Quellen entdeckten, könnten mit ihrem lateinischen Cäsar zum ungarischen Császár beigetragen haben. 1832 fand man einen Sarkophag an jener Stelle, der einem der römischen Cäsaren als letzte Ruhestätte diente. Es ist kaum anzunehmen, daß österreichische oder deutsche Kaiser hierher zum Baden gereist sind. Die hatten´s doch in Baden bei Wien oder meinetwegen auch in Karlsbad viel näher. Am Eingang des alten Kaiserbades ist auf einem Stück roten Marmor eine türkische Inschrift aus dem 16. Jahrhundert erhalten geblieben. Und da wir jedem Hinweis dankbar sind, mag er von den Römern, den Österreichern oder den Türken stammen, gilt auch diesem unsere Aufmerksamkeit. Nur leider, gebricht es mir an türkisch. Trösten wir uns, hinter den Namensgeschichten verbergen sich oft schöne Geschichten oder gar keine. Da steht zum Beispiel in der Budapester Fô utca das Király fürdô (Königsbad). 68 69 Auf! Die Heimat ruft, Magyaren! Jetzt heißt´s: Sich zusammenscharen! Wollt ihr frei sein oder Knechte? Hier die Frage, wählt das Rechte! Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Noch heute ist die achteckige Badehalle in Betrieb, die im Jahre 1566 durch Pascha Sokoli Mustafa ihrer Bestimmung übergeben wurde. Im warmen Wasser sitzend, kann sich jeder, der Phantasie besitzt, vorstellen, wie hier einst auf dem noch heute erhalten gebliebenen Boden des Beckens aus rotem Marmor die Haremsdamen ihren Pascha umplanscht haben. Durch die Butzenscheiben im Kuppeldach fällt sanftes Licht. Kaum ein lautes Wort stört die Gedanken. Das leise Plätschern des Wassers wirkt einschläfernd. Auch das Baden erheischt Kultur. Wir haben sie unter dem türkischen Halbmond übernommen und pflegen sie weiter mit kleinen Lendentüchern, die, mir ganz unverständlich, von manchen vorne und von anderen hinten getragen werden. Es schickt sich nicht, danach zu fragen, warum. Doch warum diese anscheinend für die Ewigkeit gebaute Türkensauna Königsbad genannt wird, danach darf man fragen. Nachdem die Türken endlich wieder zu Hause badeten – man half ihnen dabei ein bißchen nach - wurde das Bad nicht etwa einem ungarischen König zuliebe so benannt, sondern nach der Budapester Familie Király (König), die genügend Geld besaß erhielt seinen Namen einfach nach dem Beruf z.B. Szabó = Schneider, Molnár = Müller oder Kovács = Schmied. Und wer gar keins hatte, hieß eben Fekete =Schwarz oder Fehér = Weiß. Heutzutage jedoch baden Schwarz und Weiß, Kovács und Szabó gleichermaßen für einen Pappenstiel oder gar auf Kosten der Krankenkasse im ehemaligen türkischen Haremsbad, oder deutschösterreichisch-ungarischen „Kaiser- und König-Gesundungs- oder Reinigungsdomizil“ von gestern, dem Volksvergnügungsort von heute. 70 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Hauptstädtische Hauptstadt Es gibt bei uns einen hauptstädtischen Zirkus, hauptstädtische Modesalons, das Hauptstädtische Operettentheater. Wir fahren in hauptstädtischen Straßenbahnen, Bussen oder Taxen in die hauptstädtischen Bäder oder zum hauptstädtischen Lunapark. Das Brot der hauptstädtischen Bäckereien ist nicht besser als das Brot aus Miskolc, der zweitgrößten Stadt, wie auch die meisten hauptstädtischen Künstler nicht besser spielen als die aus Debrecen oder Pécs. Aber dennoch unterstützen manche Programmgestalter in der Provinz den hauptstädtischen Fimmel und drucken aufs Plakat: „Heute bunter Abend unter Mitwirkung von hauptstädtischen Künstlern.“ Dieser Tage las ich auf einem amtlichen Briefkopf die Anschrift: „An das Budapester Hauptstädtische Gesundheitsamt im Budapester Hauptstädtischen Rat.“ Als wolle man immer wieder mit Nachdruck betonen, daß Budapest und eben keine andere die Hauptstadt des Landes ist. Dafür gibt es Erklärungen. Budapest feierte 1972/73 sein hundertjähriges Bestehen. 1872 wurden die drei damals noch getrennten Städte Óbuda, Buda und Pest zu Budapest vereint. Als sich Budapest danach zur Metropole entwickelte, wuchs eine stille Konkurrenz zur alten Kaiserstadt Wien. Da hieß es auf einmal: Budapest, die Perle der Donau! Prachtbauten entstanden und Prachtstraßen. Am Donaukorso ging die Welt spazieren. Ja, es gab sogar Ansätze, Wien den Rang abzulaufen, wenn man an den Bau der Untergrundbahn denkt, die im Jahre 1896 nach London die zweite in Europa war, oder nehmen wir die prachtvollen Anlagen auf der Margareteninsel, die bizarre Fischerbastei, das märchenhafte Parlamentsgebäude, das Hotel Gellért mit Wellenschwimmbad usw. bis zu den einmalig schönen Brücken zwischen Buda und Pest. Unter solchem Blickpunkt mag man die sprachliche Schrulle von der hauptstädtischen Hauptstadt mit einem Lächeln verzeihen, denn Budapest ist mit seinen über 71 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn zwei Millionen Einwohnern nicht nur das Zentrum des Landes, sondern hat auch eines der schönsten weltstädtischen Gesichter. Die neue U-Bahn, nach dem Muster der Moskauer Metro gebaut, durchfährt heute die Donau von unten. In der Innenstadt geht es drunter und drüber. Und am Rande wachsen in rasantem Tempo Wohnsiedlungen, Kinderspielplätze, Schulen, Einkaufszentren und Sportanlagen. Und dennoch, und dennoch! Sieht man genau hin, fehlt es noch an manchem in und an der hauptstädtischen Hauptstadt. Vielleicht, weil sie uns niemand mehr streitig macht? 72 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Der Burgbauer 140 Burgen und Burgruinen sind in Ungarn stumme Zeugen mittelalterlicher Lebensgewohnheiten. Im Anblick dieser mehr oder weniger erhaltenen Ringmauern, Wehr- oder Wohntürme, Rondelle und Kasematten mache ich mir immer wieder Gedanken über die so viel schnellere Vergänglichkeit unserer heutigen Lebensspuren. Ähnliches muß auch der Mann gedacht haben, der am Rande der Stadt Sopron seit 15 Jahren an seiner Turmburg baut und nach eigenen Aussagen bis zum 60. Lebensjahr – jetzt ist er 45 – damit fertig sein will. Es hat sich schon im Lande herumgesprochen, daß da ein Familienvater in jeder Stunde seiner Freizeit – er arbeitet als Färber in der Soproner Tuchfabrik – mit Hilfe seiner Familienmitglieder in mühseliger Arbeit Stein auf Stein trägt. Zwei oder drei Türme sind schon fertig, von deren Spitzen hoch über der Stadt sich klirrende Metallfahnen im Winde drehen. Ich weiß nicht, ob István Taródi sich in seinen Türmen verteidigen oder ob er nur viel Aussicht schaffen will. Bisher konnten die Verantwortlichen in der Abteilung für Städtebau des Soproner Stadtrates dem komischen Kauz seine mittelalterlichen Gedanken und Pläne nicht ausreden und müssen sich nun wohl oder übel damit abfinden, daß Sopron – es hieß einmal Ödenburg – allen Besuchern neben den alten sehenswerten Burgmauern auch funkelnagelneue zu bieten hat. Wie es auch immer war, als einst hierzulande die 140 Burgen entstanden sind, ihre Geschichten sind sich doch sehr ähnlich. Sie zeigen oder lassen ahnen, wie Burgherren und Burgfräuleins in ihren Zinnen die Zeit oder sich gegenseitig vertrieben, wie sie Angreifer abgewehrt oder um ihr Leben gegen Türken oder Habsburger gekämpft haben. Nun gibt es eine Grenzburg, in der alle Besucher kommender Jahrhunderte sich davon überzeugen können, wie im 20. Jahrhundert ein einfacher Soproner Tuchfabrikarbeiter gearbeitet, gelebt und mit den Behörden um die Baugenehmigung gekämpft hat. 73 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Jury Die Jury ist eine Körperschaft. Nähme man sie auseinander, wäre sie sinnlos wie ein Körper ohne Schaft. Eine Jury besteht aus mehreren Meinungen und Tafeln mit Nummern von 1 bis 10, die, vom Computer schnell zusammengerechnet, eine Zahl ergeben als Bewertung für Schlagersänger, Schlittschuhläufer, Schauspieler, Dirigenten und ähnliche Wettstreiter, die wissen wollen, wer von ihnen Erster, Zweiter oder Dritter ist. Ein mit Beethoven oder Bartók um eine Zehntelsekunde schneller durch die Noten jagen; doch ob er am Schluß Erster oder Letzter wird, entscheidet nicht die Stoppuhr, sondern die Jury. Wir hatten im Fernsehen, dem größten Kommunikationsmittel auf der Welt zur Bildung einerseits und zur Verdummung andererseits, erst kürzlich wieder eine internationale Jury aus halb Europa zu Gast, die darüber abstimmte, wer von unseren jüngsten Schlagersängern und Beatmusikern die drei besten im Lande sind. Da saßen sie beim Endentscheid im Budapester Nationaltheater – ich hätte sie mir eher in eine Sporthalle gewünscht – den ganzen weiten Rang entlang: zehn, zwanzig, dreißig, ich weiß nicht wie viel Personen, schön bunt durcheinander mit den Nummernschildern zwischen den Knien. Und jedes Mal wenn die Fernsehkamera an ihnen entlang fuhr, hoben sie mit grinsenden oder todernsten Gesichtern ihre Meinungen hoch, vom Publikum beklatscht oder ausgepfiffen. Aber auch das Publikum spielte im weitesten Sinne als Jury mit; ihm war das Recht vorbehalten, seine Punktzahl per Post einzusenden und auf diese Weise Sänger oder Musikensembles aus der Versenkung, in die sie durch die Jury gefallen waren, wieder ans Rampenlicht zu befördern. All das hat viel Mühe und viel Geld gekostet. Ein ganzes Volk weiß nun, wer fürs Schlagersingen, Spielen und Popowackeln die ersten drei Preise und dazu hohe Summen bekam. Und die ferner liefen, erzählen es nun überall, daß sie wenigstens mit dabei waren. Ich habe darüber nachgedacht. Ließe sich denn nicht mit dem Aufwand einer solchen Jury einmal feststellen, wer die ersten Straßenbauarbeiter bei uns sind? Die höflichsten Verkäufer und Be74 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn amten? Die schnellsten Bauarbeiter, Postboten? Die ehrlichsten Kellner? Die pünktlichsten Lokomotivführer und Büroangestellten? Die gründlichsten Automonteure und –Wäscher? Die anständigsten Marktweiber und Ehemänner? Die saubersten Putzfrauen und Serviererinnen? Die treuesten Ärzte und Ehefrauen? Die sparsamsten Kalkulateure und Mütter? Die sichersten Piloten und Staatsmänner? Die klügsten Lehrer und Fernsehkommentatoren? Kurz: Wer die Freundlichsten, Hilfsbereitesten, Selbstlosesten, Gutgelauntesten und Fleißigsten unter uns sind? Dafür würde ich im größten Saal auch meine winzig kleine Stimme gern in die Waagschale werfen. Muffeltiere Wer in den Budapester Straßen oder vor den Hotels Hirschgeweihe auf Dächern von Autos sieht, der weiß, jetzt ist in den Jagdgefilden etwas los. Eben zu jener Zeit geschah es, daß ein „Jäger aus Kurpfalz“ in den Piliser Bergen – dem herrlichen Jagdrevier, eine halbe Autostunde von der Hauptstraße entfernt – einen prächtigen Mufflon erlegte. Und da der Jägersmann, verwundert über sein Jagdglück, danach fragte, woher sich denn diese Wildschafe mit dem schönen, querrunzligen Schneckengehörn in die ungarischen Wälder verlaufen hätten, erzählte man ihm, daß vor Jahrzehnten aus Korsika ein paar Muffeltiere hier ausgesetzt worden seien, sich seitdem in ihrer neuen Heimat zu ihrem eigenen und zum Glück der Jäger beträchtlich vermehrt hätten und sich bis zum Abschuß ausgezeichneter Gesundheit erfreuten. In der nächsten Saison reiste nun der Jäger auf die Insel Korsika, um diesen Widdern in ihrer Urheimat auf die Spur zu kommen. Doch vergeblich kraxelte er die weißen Felsen hoch und suchte sie in allen Jagdrevieren. Als er bei der Bevölkerung und schließlich beim Bürgermeister einer kleinen Stadt nach ihnen fragte, erhielt er die Auskunft, daß diese Tiere dort ausgestorben sind, genauer gesagt, im letzten Weltkrieg von hungrigen Menschen aufgegessen wurden. Auch das letzte Muffeltier habe dran glauben müssen. 75 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn „Aber in Ungarn leben sie“ – verkündete der Jäger und erzählte, wie er dort selbst eins erlegt hatte. Der Bürgermeister horchte auf, suchte Verbindung zu den hiesigen Stellen und es dauerte nicht lange, bis vom Forstzentrum in Piliscsaba 10 Wildschafe aus der Piliser Bergwelt in Korsika eintrafen. Nun bleibt nur zu hoffen, daß sie sich in ihrer einstigen Heimat wieder einleben. Ich habe noch nie einen Widder gekostet, aber gehört, daß er gut zubereitet großartig schmecken soll. Darum könnte es geschehen, daß der Piliser Muffel als paprikás gulyás oder Jungfernbraten bei uns in Mode kommt und sich für In- und Ausländer zur Delikatesse empormuffelt. Und wenn es darum vielleicht bei uns keine Muffeltiere mehr geben wird, da sie alle zur Strecke gebracht oder verzehrt worden sind, dann können wir uns ja wieder von der Insel Korsika ein paar ungarische Wildschafe holen. 76 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Rákóczi- und Pandur-Quelle Jeder Ungar wird hellhörig, wenn er im Ausland über seine Heimat Worte vernimmt wie: Puszta, Paprika, Salami, Gulasch, Tschardasch oder Piroschka. In Bad Kissingen, dem bekannten Staatsbad in Bayern, heißen die ältesten Heilquellen Rákóczi und Pandur. In der Verordnung zur Trinkkur steht unter anderem: „Morgens nüchtern am Brunnen langsam trinken: 1 Glas 200-300 Gramm Rákóczi warm entgast, danach 20 Minuten gehen.“ Ein Ungar geht mit seinem Trinkglas durch die große Wandelhalle, oder bei schönem Wetter vorbei am Regentenbau, durch gepflegte Gartenanlagen. Und während die Mineralquelle in ihrer Verbindung von Chlornatrium, Eisen und Kohlensäure eine Anregung der Schleimhautfunktion sowie einen gelinden Anreiz der Darmtätigkeit bewirkt, zur Steigerung des Appetits, zur Beschleunigung des Blutkreislaufs und zur Förderung des Stoffwechsels beiträgt, durchdringt Rákóczi auch sein Klein- und Großhirn. Neben blitzblank geputzten Messingrohren, während niedliche Kissingerinnen „Rákóczi“ aus dem Hahn lassen, bittet ein beleibter Herr um ein Glas Brunnenwasser von Rakotschi – mit Betonung auf dem o. Dem Ohr des Ungarn ein Greuel, der darum verbessert: „Gestatten Sie, darauf aufmerksam machen zu dürfen, daß das cz in Rákóczi wie ein tz gesprochen wird und die Betonung auf dem á liegt.“ Der Angesprochene ist erstaunt. So was, er hat immer nur was von Rakotschi gehört. Auf völlig falscher Spur aber ist, wer auch noch das „t“ verschluckt. Man kommt beim Weitergehen ins Gespräch. „Warum wurden die Quellen hier eigentlich nach Rákóczi und dem Pandur benannt?“ fragt der Ungar. Sein Gegenüber weiß es nicht. Die Frau neben ihm auch nicht. Eines der Brunnenmädchen dreht Rákóczi den Hahn ab und macht große Augen: „Rakotschi und Pandur...? Ja, so heißen die Quellen, aber warum...?“ Sie hebt die Schultern und lächelt bayerisch-fränkisch-freundlich. 77 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Der Ungar aber will es wissen. Er fragt die Garderobenfrau vor dem Lesesaal, den Mann, der die Zeitungen abhängt, den Ober im Kurcafé und den im Spielkasino. Niemand kann Auskunft geben. Endlich, in der Kurverwaltung, überreicht man ihm Prospekte und Broschüren mit der Bemerkung: „Da steht alles über Kissingen und seine Bäder.“ Alles ist gut. Zwar ist sehr gründlich die Wirkung von sechs Quellen auf die verschiedensten Leiden beschrieben, aber kein Wort darüber, warum mit Rákóczi und Pandur gekurt und geheilt wird. In jeder Saison ein großer Kurball. Auf den Einladungen steht: „Fürst Rákóczi gibt sich die Ehre...“ Wo aber steht, wer er war, woher er kam, ob er mit dem Wasser oder das Wasser mit ihm etwas zu tun hatte. Nun, so soll die schnell vergessende Welt wissen, daß Ferenc Rákóczi II. von 1703 bis 1711 an der Spitze eines Freiheitskrieges, gemeinsam mit vielen anderen Patrioten, für die Unabhängigkeit seiner Heimat gegen das Wiener Kaiserhaus gekämpft hat. Im Jahre 1701 brachten ihn seine Häscher, die Panduren – ein im Dienst der Habsburger stehender Soldat hieß ungarisch pandúr – nach Wiener Neustadt und von dort in den Kerker. Seine Frau – die Tochter des Landgrafen von Hessen-Rheinfels- befreite ihn und verhalf ihm zur Flucht nach Polen. Rákóczi wurde vom kaiserlichen Hof zum Tode und zum Verlust seiner Güter verurteilt. 1703 suchten ihn die Anführer der aufständischen Leibeigenen auf. An ihrer Spitze, im Bund mit einigen patriotisch gesinnten Adelsherren, rief er die Nation zum Aufstand gegen die habsburgische Unterdrückung auf. Sieben Jahre lang führte er mit seinen Soldaten, den Kurutzen, diesen Freiheitskrieg, den am 1. Mai 1711 die Adelsherren ohne sein Wissen mit dem Frieden von Szatmár beendeten. Rákóczi nämlich, 1707 zum Fürsten proklamiert, verhandelte damals in Petersburg mit dem Zaren. Er floh von dort zunächst nach Polen, dann nach Frankreich und emigrierte schließlich 1717 in die Türkei. Dort, in Rodosto, starb er am 8. April 1735. Die Quellen von Kissingen wurden 1737 entdeckt. Um diese Zeit lebten nur mehr die Häscher, die Panduren. Wo und wem aber der Gedanke kam, die Quellen nach ihm, dem Revolutionär, und seinen Häschern Rákóczi und Pandur zu benennen, konnte der Ungar nicht ausfindig machen. Er fand es nur symbolisch, daß ihm die Kur aus dem Pandurbrunnen, das heißt aus der Quelle der Häscher, nicht verordnet wurde. Wahrscheinlich wusste wenigstens einer, der weise Kurarzt, warum. 78 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Puskás´ Telefonzentrale Wer den Namen Puskás hört, denkt heute immer zuerst an den, der zusammen mit den anderen sogenannten aranylábú fiúk (goldfüßigen Jungen) im Jahre 1953 den Engländern im Wembley Stadion die Niederlage von 6:3 beibrachte – und später „die Fahne verließ“. Doch man sollte auch den anderen Puskás, den, der vor ihm lebte, nicht vergessen, der Edisons Mitarbeiter war und am 11. Februar 1887 für die im Entstehen begriffene Welt der Quasselstrippe, für die erste Budapester Telefonzentrale, seine bedeutende Erfindung, den Multiplex-Schaltkasten, aufgestellt hatte. Man muß sich diese Sensation nur einmal vorstellen! Da nahm der glückliche Telefonbesitzer den Hörer ab, worauf sich eine liebliche Stimme meldete: Hier Puskás-Zentrale! Oder so etwas. Der Mensch am Ende des Drahtes nannte die Nummer, mit der er zu sprechen wünschte – und die Verbindung war hergestellt. Und wie viele Drähte es auch gab, und wie viele Sprechmuscheln an ihren Enden, so viele konnten, wenn sie wollten, auf einmal miteinander reden und sich auch über weite Entfernungen verstehen. In Puskás´ Schaltkasten klappte es immer. Vielleicht hat das Wort „klappen“ hier sogar seinen Ursprung. Dann hätten die Ungarn der Welt nicht nur Tivadar Puskás geschenkt, sondern auch den Ausdruck, daß etwas klappt, wenn es geklappt hat. 90 Jahre danach nehme ich von meinem schmucken weißen Telefonapparat den Hörer ab und warte, warte auf das Zeichen, den Summton unserer automatischen Telefonzentrale. Ich höre deutlich, wie in meiner Muschel andere sprechen, nicht nur einer, sondern mehrere durcheinander, dazwischen ist auch das Besetztzeichen zu hören und das Klingeln für jemanden, der vielleicht nicht zu Hause ist oder den Hörer nicht abhebt, weil er schlafen will. Nur das Zeichen, daß ich wählen kann, bleibt aus. Ich lege den Hörer einige Sekunden auf, in der Hoffnung, daß sich das Durcheinander in der Automatik legen werde. Als ich ihn wieder abnehme, vernehme ich das gleiche Stimm- und Tonwirrwarr. Jetzt halte ich mit der rechten Hand den Hörer ans Ohr und beginne mit der linken die Taste zu drücken, zuerst langsam, schön 79 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn ruhig, im Rhythmus der Vernunft und des Verständnisses für den Unverstand einer Automatik, die durch alle möglichen Einflüsse aus den Fugen geraten zu sein scheint. Nach zwei bis drei Minuten wird der Rhythmus des Niederdrückens unwillkürlich schneller und immer schneller, bis die Nerven in den Fingerspitzen durchdrehen, ich die Wählerscheibe ziehe, rupfe, stoße und das ganze Ding auf den Tisch haue. Verflucht! Es muß doch.. Nein, es muß nicht! Eine Automatik hat kein Gefühl für meine Emotionen. Ich nehme Mantel und Hut, laufe zur nächsten öffentlichen Telefonzelle und rufe die Störungsstelle an. Besetzt! Besetzt! Ich fahre in meine Telefonzentrale. Höflich führt man mich in einen Saal, wo sich dauernd und mit großem Lärm unzählige Scheiben auf vertikalen Achsen drehen. Aber nichts klappt hier mehr wie bei Puskás. Woran es liegt, will ich wissen. Der Verantwortliche weiß es auch nicht. Die Zentrale ist einfach überlastet! Es gibt zu viele Anschlüsse! Es wird zu viel geredet! Es muß was getan werden! Wo ist ein neuer Puskás? Wir brauchten dringend einen hier – und den anderen auf dem Fußballplatz. 80 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Die Postleitzahl Auch in Ungarn werden schon seit längerer Zeit auf Briefen und Karten Zahlen unter die Namen der Dörfer, Städte und Stadtbezirke gesetzt, um der Post die Verteilung zu erleichtern. Auch bei uns war es für die Briefschreiber gewiß nicht einfach, sich an diese Umstellung zu gewöhnen; den erstens sollte die eigene vierstellige Postleitzahl des Absenders auswendig gelernt, und dann bei jedem Brief, jeder Karte im eigens dafür herausgegebenen Büchlein die entsprechende Zahl für den bestimmten Ort bzw. Straße gesucht werden. Da gibt es also das bekannte Heftchen mit dem rotschnabeligen Raben auf dem Deckel. (Übrigens der Rabe aus dem Wappen des Matthias Corvinus, der laut Legende dem jungen Matthias, als er noch nicht König, sondern Gefangener des böhmischen Königs war, in wenigen Stunden den Brief seiner Mutter im Schnabel übermittelte.) Das Heft also enthält eine Unmenge Zahlen, alphabetisch geordnet für alle neuen Postleitbezirke, in die die Hauptstadt eingeteilt ist. Es gibt aber außerdem noch ein gleiches Heft mit den Zahlen für die anderen fünf Großstädte und ihre Bezirke. Wer also die Postleitzahlen der Stadt Debrecen sucht, findet sie in dem andren Büchlein. Sucht man jedoch nach den Leitzahlen von Székesfehérvár – eine ebenfalls alte und ansehnliche Stadt, so findet man sie in einem dritten Büchlein. Natürlich hätte man bei der Post auch alle drei in einem vereinen, ich meine zum Beispiel bei Budapest anstelle des Hinweises auf die Stadtbezirksleitzahlen im anderen Heft, diese gleich fortlaufend aufführen können. Aber das wäre zu einfach. Auf einen so einfachen Gedanken kommen im Allgemeinen die Menschen schwerlich, die von und mit Postleitzahlen leben. Man ist da sozusagen von Zahlen berauscht, befangen, gefangen. Das beweist schon, daß es in Budapest mit den Leitzahlen der Bezirke erst bei 1.000 beginnt, obwohl es doch nach Adam Riese bei1 beginnen könnte. 81 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Als ich diesen einfachen, aber, ich gebe zu, recht unfachkundigen Gedanken einmal habe laut werden lassen, schüttelten die Fachleute von der Post über einen derartigen Unsinn ihre zahlenträchtigen Köpfe; denn das gäbe doch Anlaß zu unmöglichen Verwechslungen. Ich habe darüber selbstkritisch nachgedacht und bin zu dem Schluß gekommen, daß zum Beispiel bei 1.000 doch viel leichter eine Null vergessen, weggelassen werden kann, als bei einer Zahl, bei der es keine Nullen gibt. Abgesehen davon ist es mir nicht gleichgültig, ob die Nullen rechts stehen oder links. Wie doch aber auch ohne alle Postleitzahlen, ja selbst ohne Adresse einer seinen Brief erhält, bewies mir kürzlich folgende kleine Begebenheit: Ein Landmann – man sah es an seiner Festtagskleidung, dem schwarzen Hut, der schwarzen Joppe, der in schwarzen Schaftstiefeln steckenden Hose – machte Winterurlaub vom Arbeitsplatz, von Haus und Familie in einem der Gewerkschaftsheime der Budaer Berge. Er schrieb schwer – ich sah es ihm an – an einer Budapester Ansichtskarte nach Haus. Als Adresse stand nichts weiter als: „An meine Frau in Fenékpuszta. Wenn sie nicht hinten im Gärtchen ist, ist sie in der Küche.“ Und welch Wunder, die Karte ist angekommen. 82 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Der Déli pu. Kürzlich antwortete jemand auf meine Frage, woher er komme und wohin er jetzt gehe: „Ich komme vom Keleti pu. Und fahre jetzt zum Déli pu.“ Was meint er mit pu, dachte ich, und fragte vorsichtig, um ihn nicht zu verletzen wegen des offensichtlich falsch verstandenen Wortes: „Verzeihung, ich habe nicht gut hingehört, wohin fahren Sie jetzt?“ Er wiederholte es deutlich“ ...zum Déli pu.“, wobei er das Déli = Südlich ganz richtig auf der ersten Silbe mit einem langen é betonte. Aber was pu ist, wollte ich wissen: „Na, der pu, der Bahnhof da!“ antwortete der Gast mit Sicherheit und ein wenig Entrüstung in der Stimme. Er hatte recht. Es ist mir und sicher auch manch andrem überhaupt noch nicht aufgefallen, daß die Abkürzung von pályaudvar = Bahnhof, also die ersten beiden Anfangsbuchstaben von pálya und udvar: pu., nicht nur am Bahnhof selbst, sondern sogar im Budapester Telefonbuch steht. Die Einheimischen lassen das Wort Bahnhof aus Bequemlichkeit fort, wenn sie sagen: A Délirôl indulok = ich fahre vom Südlichen ab, also vom Südbahnhof. Es gibt in Budapest drei bedeutende Bahnhöfe, von denen man ab- und anreisen kann: a Keleti, a Nyugati és a Déli pályaudvar = der Ost-, der West- und der Südbahnhof. Die Abkürzung pu. Steht zwar daneben, aber niemand gebraucht sie. Und wenn es ein Fremder so sagt, wie es da steht, kann es missverstanden werden. Der pu. so für sich gesprochen, könnte fast etwas anderes bedeuten. Sie verstehen? Aber das ist die Schuld derer, die sich mit all ihren Abkürzungen fast lächerlich machen. Übrigens gehört es zu den originellen Gegensätzen, daß wer aus dem Westen zu uns reist, immer am Keleti, also am Östlichen ankommt. Reisen Sie vom Osten her an, steigen Sie am Nyugati, am Westlichen aus. Aber wenn Sie weiter wollen in Richtung Balaton, müssen Sie durch Pest – wenn der Budapester von seiner Hauptstadt spricht, lässt er Buda nur so aus Bequemlichkeit weg – zum Déli, also zum Südlichen. Und mit dem pu. machen Sie´s am besten so wie wir, verschweigen Sie ihn. 83 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Citadella Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Vielleicht wusste es mein Großvater noch, wer damals die vielen Kanonen abgeholt hat, die da ringsum in den Schießscharten auf Pest und Buda gerichtet waren. Ich weiß nur, daß sich die Citadella zwischen den beiden Weltkriegen zum idealen Platz der Sterngucker verwandelte, und daß sie im letzten Weltkrieg mit Geschützen der Nazis bestückt war, die jetzt nicht nur nach unten, auf die Stadt, sondern auch nach oben auf Flugzeuge schossen. „Komm mit“ sagte ich zu meinem Gast, „ich zeig´ Dir die Citadella von heute.“ Am Tor, an dem es vor 1945 nur auf eine geheime Tagesparole Einlaß gab, bezahlt man heute einen geringen Eintritt und gelangt über Kopfsteinpflaster in den Innenhof. Dort, wo einst Soldaten gedrillt wurden, werden jetzt Hühner in Fett gegrillt und nur geschäftig umherlaufende Kellner schwitzen unter der Last ihrer vollen Tabletts zwischen den immer besetzten Tischen eines dort eingerichteten Restaurants. Die ehemaligen Kasematten im Innern dienen heute als Jugendhotel. Und tief unten in den Gewölben, wo einst Pulver und Kugeln gelagert waren, laden bunt gedeckte Tische zu ungarischem Schmaus mit Zigeunermusikbegleitung ein. Hier kann man vom Wein berauscht singen: Im tiefen Keller... oder ein neues Lied über die Lust zum Leben in Frieden und Freiheit. Ein Gast aus Berlin, zum ersten Mal in Budapest, zeigte am Fuß des Gellértberges auf ein Straßenschild mit einem Pfeil, über dem „Citadella“ geschrieben stand und sagte: „Ach, da gib´s wohl Wurscht!“ Er hatte die Citadella mit der Mortadella verwechselt. Auweia! Wir sollten einsichtig sein. Wir sind schon soweit weg von dem Wort Citadella, daß man es verzeihen kann, wenn jemandem bei dieser Aufschrift die Zervelatwurst auf der Zunge liegt. Außerdem wird die italienische Citadella deutsch schon längst Zitadelle geschrieben. Wir aber halten noch bei der älteren, schöneren Schreibweise, denn abgesehen von dem C – auch den ungarischen Zement schreibt man cement – finde ich das –della am Schluß schöner als die –delle. Obwohl gerade bei dieser Festung eine Delle den Anfang vom Ende bedeutete. Über dem Eingang hat nämlich dieses fast 130 Jahre alte Gemäuer ein sichtbar großes Loch, das nicht der letzte Krieg als Andenken hinterließ. An ihn erinnert das Befreiungsdenkmal an der östlichen Spitze der Citadella – das Monumentalwerk des Bildhauers Kisfaludi Strobl-, auf dessen Sockel auf der einen Seite der Drachentöter, auf der anderen der Fackelträger steht. In der Mitte, wo die Namen hunderter gefallener Sowjetsoldaten eingemeißelt sind, erhebt sich eine 30 Meter hohe Frauengestalt, den Palmenzweig in den erhobenen Händen haltend. Die Delle aber über dem Eingang, ungefähr sieben Meter hoch aus der vier Meter dicken Mauer gerissen, erinnert auch an eine Befreiung, die jedoch nur so groß war, wie der Spalt im Verhältnis zur gesamten Riesenfestung. Vor rund 90 Jahren als der Kaiser in Wien einsehen musste, daß man mit den Ungarn auf solche Weise nicht weiterkommt, wenn man ihre Hauptstadt von dieser Festung aus – er selbst hat sie 1851 nach der niedergeschlagenen Revolution und dem Freiheitskrieg 1848/49 bauen lassen – von österreichischen Landsern bewachen lässt, wurde jenes Loch als Symbol des neuen Geschichtsabschnittes zwischen Österreich und Ungarn über dem Eingang zur Citadella gesprengt. Es geschah zum ersten Weihnachtsfest nach dem letzten Weltkrieg, als sich Freunde in der Schweiz brieflich danach erkundigten, womit sie zum bevorstehenden Fest eine Freude machen könnten. Der Familienrat beschloß für jedes Mitglied das zu nennen, was in den Grenzen der Bescheidenheit lag und in denen der Notwendigkeit. Für mich wurde der Wunsch nach einem weißen Oberhemd beschlossen, denn nur noch ein einziges war mir geblieben. Aber auch dieses eine Hemd war deutlich von der Zeit mitgenommen. Aus dem Gesäßteil hatte die Flickschneiderin ein Viereck ausgeschnitten, als der Kragen zum erstenmal unansehnlich und untragbar geworden war und machte aus jenem ausgeschnittenen Stück Hemd einen neuen Kragen. Sie setzte dafür einen buntkarierten Fleck ein. Ich erinnere mich, daß die Man 84 85 Das Weihnachtsgeschenk Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn schetten zu gleicher Zeit umgedreht worden waren und so für lange Zeit mir und der Umwelt den Schein eines neuen Hemdes vortäuschten. Aber der Krieg hielt länger an, als Kragen und Manschetten aushielten. So wurde denn dieses Hemd nicht nur als Zeichen des Notstandes an die Adresse jener guten Schweizer Freunde gesandt, sondern auch um die genaue Kragenweite anzugeben. Die Freunde, sicherlich zutiefst gerührt von unserem Elend, ließen fünft maßgeschneiderte Hemden aus bester Qualität nach vorliegendem Muster nachfertigen. Und allen fünf wurde am Gesäß ein viereckiges, buntkariertes Stück Stoff eingenäht. Man möge sich den Schreck und das Gelächter beim Anblick dieses Weihnachtsgeschenks vorstellen. Was müssen sich wohl die Freunde in der Schweiz und die Hemdennäherin für Gedanken über uns Ungarn gemacht haben, bis sie sich dazu entschlossen, dieses buntkarierte Viereck in das Hinterteil des Oberhemdes einsetzen zu lassen. Ich trug die Hemden lange. Aber um den guten Menschen ihre Freude nicht zu verderben, haben wir nie in den Dankesbriefen etwas davon erwähnt. Nach schweren Nachkriegsjahren zog langsam auch bei uns ein relativer Wohlstand ein. Wir kauften nicht nur Hemden und neue Kleider, sondern auch neue Möbel und ein Auto. Wir machten Reisen ins Ausland und besuchten auch unsere Freunde in der Schweiz. Und für viel Genossenes revanchierten wir uns, indem wir sei nun endlich einmal nach Budapest einluden. Sie kamen mit Freude und vielen Weihnachtsgeschenken. Nichts hatten sie vergessen. Nicht einmal meine Kragenweite. Und so lagen denn unter dem Weihnachtsbaum für mich drei prachtvolle, nach neuester Mode auf Taille gearbeitete, feinste, weiße Batisthemden. Doch als ich am nächsten Tag unseren Gästen zu Ehren eines der Hemden anziehen wollte, fand ich im Gesäßteil wieder den viereckig eingesetzten buntkarierten Flicken. Tragikomische Erinnerungen! Nun aber müssen sie endlich erfahren – und alle sollen es wissen, die sich in der Schweiz seit 30 Jahren über dieses mysteriöse bunte Stück Stoff im Hinterteil der Herrenhemden ungarischer Männer den Kopf zerbrochen haben, die womöglich daran dachten... ich wage diesen Gedanken nicht niederzuschreiben ... Sie alle müssen die wahre Bedeutung dieses karierten Hinterteils endlich erfahren. 86 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Das Zsóri-Bad und die Zivilisation Am Rande von Mezôkövesd, der kleinen Stadt in Nordungarn, woher die berühmten Matyó-Stickereien kommen, ließ einst ein reicher Mann namens Zsóri nach Öl bohren und stieß in nicht geringer Tiefe auf heißes Quellwasser, das seitdem mit über 70 Grad Celsius, an Mineralien reich, aus der Erde sprudelt. Da er mit Öl also kein Geld verdienen konnte, ließ er an Ort und Stelle ein kleines Wasserbecken bauen, zog einen Zaun darum und stellte ein paar Holzbuden als Umkleideräume auf. Das heiße Wasser lief von der Quelle in einer Rinne ins Becken, wurde dort mit kaltem Wasser gemischt, und fertig war das Zsóri-Bad. Die Bewohner des kleinen Ortes und die Dorfbevölkerung der Umgegend kamen an Sonn- und Feiertagen zu Fuß, auf Fahrrädern oder mit Pferdefuhrwerken und badeten für ein geringes Eintrittsgeld im Thermalwasser. Und da wenige von ihnen je etwas von Badekultur gesehen oder gehört hatten, badeten sie in ihren Unterkleidern, die Frauen in Unterröcken, die Männer in den zum Teil aus hausgewebtem Leinen hergestellten langen Unterhosen. Damit war nicht nur etwas für die Gesundheit getan, sondern auch für die Wäsche, die im heißen Wasser auf diese angenehme Weise gleich sauber wurde. Und da das Wasser unaufhörlich Tag und Nacht in großen Mengen aus der Quelle lief, wurde es jeden Abend aus dem Becken abgelassen und bis zum nächsten Morgen war das Becken wieder voll. Ich weiß nicht, wie viele Jahre lang die Menschen dort dieses Geschenk der Natur in friedlicher Ruhe, unangetastet von jeglicher Zivilisation, genossen haben. Doch langsam machte das Zsóri-Bad bei Mezôkövesd in weiteren Kreisen von sich reden. Fachleute kamen aus der Hauptstadt und stellten genaue Wasseranalysen auf. Ärzte nannten alle Krankheiten, zu deren Vorbeugung oder Heilung diese warme Quelle diente. Papier häufte sich auf Papier beim Gemeinde-, Stadt- und Kreisrat. Das kleine Zsóri-Bad war plötzlich ins große Getriebe der Zivilisation geraten. 87 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Vom Wasseramt bis zum Gesundheitsministerium zerbrach man sich die Köpfe über die ungeahnten Perspektiven. Neue Bassins wurden angelegt, bessere Umkleideräume (nun schon auf Staatskosten), Parkanlagen und Blumenbeete, Restaurants und ein kleines Hotel entstanden. Ein Wasserbecken wurde überdacht und auf diese Weise für den Winter eingerichtet. Für die Betreuung der Badenden sorgten von nun an Badeärzte und Bademeister mit einem ganzen Stab von Dienst- und Hilfspersonal. Die zivilisierte Badekultur hatte Einzug gehalten und mit ihr selbstredend auch Hausordnungen, Vorschriften und Verbotstafeln. Da erschien unter manchen Bekanntmachungen auch ein Schild am Rande des Bassins mit der Aufschrift: „In Unterröcken und langen Unterhosen ist das Baden verboten!“ Das löste in den Kreisen der einfachen Dorfbevölkerung fast revolutionäre Gedanken aus. Ich beobachtete einen der Ureinwohner, wie er sich trotz der Verbotstafel in seinen langen, grauweißen Leinenunterhosen dem Wasserbecken näherte. Ein schriller Pfiff des Bademeisters hielt ihn vor dem letzten Schritt zurück. Dieser nahm den Alten freundlich am Arm, führte ihn in eine Badekabine und gab ihm eine kurze, aber für den kleinen Mann etwas zu große, sehr einfache Dreieckbadehose. Der Alte, der so ein Ding sein Lebtag nie gesehen hatte, drehte es nach allen Seiten und wusste nicht, in welche der drei gleichen Öffnungen er hineinsteigen sollte. Schließlich entschloß er sich, beide Beine in ein Loch zu stecken, und was von dem Lappen übrig blieb, schlang er sich um die Hüfte und stopfte das Ende von oben hinein. Ich überlasse es der Phantasie der Leser, wie er darin aussah, als er danach langsam auf das Wasserbecken zuging. Wieder schreckten ihn ein schriller Pfiff und die Worte des Bademeisters zurück: „Mann, um Himmelswillen, so können sie doch nicht baden gehen!“ Worauf der Alte in aller Ruhe etwas außerordentlich Kluges sagte: „Na, sehen Sie, ist das nun vielleicht besser mit diesen modernen Dingern?“ 88 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Geschichtsbewusstsein Wenn es so ist, daß jedes Volk in Sprachbildern seiner und der Menschheit Geschichte lebt, so stimmt dies für den Ungarn erst recht. Wo zum Beispiel etwas verloren geht, beruhigt man sich oder den anderen, indem man mit der Hand abwinkt und sagt: Bei Mohács ist mehr verlorengegangen! Gemeint ist die verlorene, entscheidende Schlacht gegen die Türken am 29. August 1526 bei Mohács, die Ungarns Schicksal besiegelt und für 150 Jahre dem türkischen Halbmond unterwarf. Noch heute sagt man von dem, der kein Jota abweichen, nichts von seinen Prinzipien aufgeben will: Er gibt nichts von 48! Damit ist die Revolution des Jahres 1848 angesprochen, deren Errungenschaften das Wiener Kaiserhaus Schritt für Schritt rückgängig zu machen versuchte. Nach dem Ausgleich mit den Habsburgern im Jahre 1867 galt dann nur jener Politiker als richtiger Patriot, der sich konsequent an die Forderungen von 1848 hielt. Heute wird damit bezeichnet, daß jemand hartnäckig an seinen Vorstellungen festhält. Vor kurzem sahen wir in einer kleinen ungarischen Stadt im Kreise einer Familie die aktuelle Abendsendung des Fernsehprogramms, als die Hausfrau beim Anblick eines Sprechers sagte: „Da ist ja wieder unser Tatarenkopf!“ Es war der Mann mit dem sehr spärlichen Haarwuchs, von dem die Fernsehkamera nie etwas sehen lässt, weil sie nicht von hinten photographiert. Glattrasierte Schädel ungefähr dieser Größenordnung hatten die Tataren, die 1241/42 in das Land eindrangen und es verwüsteten. Gleich danach – nicht nach dem Mongolensturm, sondern nach der Sendung – traten unsere Schlagersänger mit ihren neuesten Liedern auf. Beim Anblick einer von Natur ohne große Vor- und Nachteile bedachten Sängerin, deren Haare lang und glatt das schmale Gesicht umrahmten, daß nur ein paar zusammengezogene Augenbrauen durchblickten, sagte die Hausfrau: „Schaut, da singt wieder die schmerzensvolle Genoveva!“ Ich habe später erst im Lexikon nachgelesen, um zu erfahren, welche Genoveva hier gemeint war: die französische Heilige oder 89 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn die von Brabant? Und nachträglich bin ich nun doppelt erstaunt, daß diese rührende Gestalt deutscher Sagendichtung, die Tochter des Herzogs von Brabant, die – als Gemahlin des Pfalzgrafen Siegfried, von dessen Haushofmeister verleumdet, die ehelich Treue gebrochen zu haben – zum Tode verurteilt, aber von einem Knecht aus Mitleid gerettet, sechs Jahre lang mit Kind und einer Hirschkuh in einer Höhle des Ardenner Waldes versteckt worden war, daß also diese Schmerzensreiche aus dem Jahre 731 bei den Ungarn heute noch gegenwärtig ist, wenn jemand so leiderfüllt, zehnfach durchs Mikrophon verstärkt, wehklagt wie jene, von der man weiß, daß man nicht weiß, ob ihr Jammer wahr war. Mit welchen Bildern man bei anderen Völkern, in anderen Sprachen die Häßlichkeit ausdrückt? Wer kann es sagen? So hässlich wie ... ein jeder möge hier einsetzen, was er denkt, was er gewöhnt ist. Die Ungarn sagen schon lange: Der (die, das) ist so hässlich wie der Weltkrieg! 90 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Mezôkövesd Schon so oft habe ich über diesen bezaubernden Ort im Norden Ungarns geschrieben – bezaubernd wegen seiner bunt bestickten alten Volkstrachten, über die Matyós - matyók (so werden die Bewohner in Mezôkövesd und Umgebung genannt, wahrscheinlich nach dem König Matthias im 15. Jahrhundert, der diese talentierten, fleißigen Menschen unterstützte und ihren Wohnsitz schon damals zur Stadt erhob)-, ist schon viel über sie selbst und ihr Leben berichtet worden, daß man vielleicht glauben könnte, Ungarns Bevölkerung bestünde nur aus Matyós. Nun, ich will es nicht leugnen, daß ich diese Menschen, ihre bunten Kleider von einst, die Häuser und Gärten und alle ihre Einrichtungen noch immer durch die rosarote Brille des Verliebten betrachte, der vor vielen Jahren einem der schönen Matyómädchen – ihre Schönheit ist allgemein bekannt – den Hof machte und sie nach allen Regeln, Sitten und Gebräuchen schließlich heimführte. Meine Frau brachte dieser Tage von zu Haus einen Fremdenverkehrsprospekt mit, der auch in deutscher Sprache verfasst worden ist. So liebenswert wie das hier mit all den kleinen stilistischen und anderen Fehlern verfasst wurde, so sind sie, die Matyós. Also, bitte lesen Sie: „Das Matyó Hochzeitsfest. Die in Volkstracht gekleideten Mitglieder des Ensembles empfangen die Gäste – im Allgemeinen im Hof des Hausmuseums – und bieten Ihnen Brot und Schnaps an, dann bekommen sämtliche Teilnehmer einen Rosmarin. Die Volksmusikkapelle spielt langsame und frische Tschardasch, in der Rolle des Brautführers begrüßt ein Volkskünstler die Hochzeitsgäste mit alten Sprüchen und bietet den Anwesenden Wein an. Die Gäste – falls sie Lust dazu haben – können am gemeinsamen Tanz teilnehmen; die Darsteller führen die Brautwerbung nach den uralten Sitten vor: Abschied der Braut und des Bräutigams. Der Bräutigam bekommt sein Trauungshemd, ein Rosmarin wird daraufgesteckt, dann folgt ein Doppeltanz. 91 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Der Bräutigam bittet das Bett der Braut aus – was nicht ohne volle Volkstracht gekleidete Braut ein. Der Polstertanz wird vorgeführt und ertönt das ergreifende Abschiedsgedicht zu den Eltern. Die Braut und der Bräutigam stellen sich nebeneinander, und eine symbolische Trauung findet statt. Schließlich folgt unter Hinzuziehung der Gäste das gemeinsame Hochzeitsmahl. Die einzelnen Gerichte werden nebst humorvollen Sprüchen aufgetragen, und in der Pause werden die Kerzen- und Brauttänze vorgeführt. Alles geschieht in traditioneller, feierlicher Ordnung. Das charakteristische Mezôkövesder Hochzeitsmahl wird mit guten Weinen, laut separaten Speisekarten zusammengestellt, aufgetischt und bedeutet ein wahres gestronomisches Erlbenis.“ So etwas haben Sie sicher noch nie erlebt, wie ein Bräutigam das Bett seiner Braut vor allen Anwesenden „ausbittet“. Kommen Sie also nach Mezôkövesd! 92 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Die Größten, die Besten Die Ungarn neigen manchmal etwas zur Übertreibung. Das ist ebenso bekannt wie verständlich. Ein kleiner Mann misst sich immer an einem noch kleineren. Und der mit dem spärlichen Haarwuchs zählt die Haare auf dem Kopf des anderen. Wo in Ungarn ein Haus mit 10 Stockwerken gebaut wird, spricht man von einem Turmhaus, und 20 Etagen genügen schon, um das Gebäude einen Wolkenkratzer zu nennen. Mag sein, daß in Ungarn die Wolken tiefer hängen als woanders, denn die Hügel im Nordosten oder Südwesten Ungarns (Mátra und Mecsek) nennt man Gebirge und den Balaton das ungarische Meer. Selbst die, die im deutschen Sprachgebiet auf dem Meer nur zur See fahren, heißen auf dem Balaton tengerész = Hochseeschiffer. Eines der neuerbauten Luxus-Hotels am Nordufer, das Annabella-Hotel, wird auf allen Prospekten als das größte Strandhotel in Mitteleuropa bezeichnet. „500 Zimmer! Jedes mit Aussicht aufs ungarische Meer!“ Kleinere Strandhotels auf der Promenade in Siófok sind wenigstens die größten in Südost-Mitteleuropa. Und wenn man das Garn der Fischernetze der gesamten Balatoner Fischerei-Flotte ausrollen würde, reichte es der Länge nach fast um die Erde und der Höhe nach fast auf den Mond. Die Balatonfischer fangen Fische von seltener Größe! Und einmalige Fische. Der Fogas schwimmt auf der ganzen Welt nur im Balaton. Für ihn – den Zander – gibt es keinen anderen Namen als den, den die Ungarn ihm gaben: fogasch. Dieser ungarische Fisch ist also das dritte Wort in der ungarischen Sprache, neben huszár = Husar und kocsi = Kutsche, das zu einem internationalen Begriff geworden ist. Ein Beweis mehr für die These, daß die ungarische Sprache auf dem besten Wege ist, eine Weltsprache zu werden. Die Ungarn bezeichnen sich gern als ein sprachbegabtes Volk unter den Kleineren. Für den Ungarn sind weniger die Fremdsprachen das Hindernis, als vielmehr die Geschlechtswörter der Fremdsprachen. Dennoch steigt die Geburtenzahl ständig. Das lässt sich an den statistischen Zahlen ablesen, die von den Zeitungen regelmäßig bekanntgegeben werden, nach denen zum 93 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Beispiel im vergangenen Jahr in der zweiten Augustwoche am Balaton zwei Millionen sechshundertfünfunddreißigtausendzweihundertelf, und zur gleichen Zeit in diesem Jahr drei Millionen einhundertfünfundzwanzigtausendsechshundertachtundzwanzig Flaschen Bier getrunken worden sind. Ungarn ist – und das sicherlich ohne jede Übertreibung – unter den Kleinen der größte Kaffeeverbraucher der Welt; und sicher auch einer der größten Verbraucher an Lebensmitteln in Europa, aber zumindest doch in Mitteleuropa, aber ganz sicher in seinen Grenzen; denn was man hier so konsumiert, ist fast grenzenlos. 94 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Idegen ideg Ideg ist der Nerv und idegen (also ein Wort mit dem gleichen Stamm – so scheint es – und der Endung –en) heißt fremd oder auch der Fremde, der Unbekannte, der Ausländer. Ich möchte daher vorschlagen, diese beiden Wörter gründlich zu betrachten und mit all ihren Möglichkeiten der Deklination zu lernen, damit es Ihnen nicht so ergeht, wie einem, der ungarisch sagen wollte, daß er kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehe, und sich so ausdrückte: Idegen összeroppanás elôtt állok. Genau übersetzt hieße das: Ich stehe vor einem Fremdenzusammenbruch. Manchmal kann ein idegösszeroppanás tatsächlich durch einen idegen = Fremden, oder durch mehrere Fremde = idegenek (der Plural wird am Ende immer durch ein –k gebildet) ausgelöst werden. In diesem Falle könnte jemand sagen: Az idegen az idegemre megy = Der Fremde geht mir auf den Nerv. Besonders, wenn er alles falsch versteht, kann man schon nervös = ideges werden. Aber des Ungarn liebenswürdigste Eigenschaft, die Gastfreundschaft, öffnet den Fremden = az idegeneknek Tür und Tor. Sollten Sie hier dennoch irgendwo auf einer Tafel lesen: Idegeneknek belépni tilos! = Fremden ist der Eintritt verboten!, so sind nicht die Ausländer damit gemeint, sondern die Unbefugten. Übrigens soll man solche Aufschriften nie zu ernst nehmen. Ich gehe im Prinzip immer da hinein, wo der Eintritt verboten ist, weil ich von Natur aus neugierig bin, und rede mich dann, wenn´s wirklich verboten war, damit heraus: Nem vagyok idegen. = Ich bin kein Fremder, kein Unbefugter. Aber nehmen wir an, Sie sind bei uns wirklich einmal wo hineingetreten, hineingekommen, wo Sie nicht hingehören, und nicht wissen, wie Sie da wieder herausfinden, dann sagen Sie einfach, was Sie heute gut gelernt haben: Idegen vagyok. = Ich bin fremd, hier unbekannt. Man wird Ihnen helfen. Aber geben Sie Acht, daß Sie es nicht zu gut, ich meine zu ungarisch, aussprechen, sonst könnte es sein, daß man es Ihnen nicht glaubt und der Meinung ist, sie wollten sich mit diesem altbekannten Trick eine extra nachsichtige Behandlung erschleichen. 95 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Ich muß aufrichtig gestehen, wir sind oft zu den Fremden = az idegenekhez höflicher als zu uns selbst. Das geht mir manchmal auf die Nerven = ez néha az idegeimre megy. Königsgrab Von jeher galt meine Bewunderung den Archäologen, die in mühsamer Kleinarbeit aus der Erde durch Knochen-, Stein und Scherbenreste die Vergangenheit menschlicher Kulturen mit präziser Genauigkeit feststellen und gegenwärtig machen. Es ist viel mehr als die Liebe zum Beruf. Es ist die Berufung von oben oder unten, aus dem Elysium oder dem Hades, wenn zum Beispiel - ich habe es von einem Archäologen persönlich gehört - aus einem Stückchen Stein, einer Rosette auf dem Sarkophag allen bisherigen Behauptungen, daß darin einmal ein großer ungarischer König begraben worden sein soll, widersprochen und das Gegenteil (zweifelsfrei) festgestellt wurde. Was ist für einen Laien das Gegenteil eines Königsgrabes? Ein Bettlergrab. Über solchen Unsinn werden alle Wissenschaftler die Nase rümpfen. Ähnliche Gedanken können nur im Kraut eines Spaßmachers wachsen. Nun wollte es aber das Schicksal, daß in jener uralten Stadt wieder bei Ausgrabungen ein bisher unbekanntes Königsgrab gefunden wurde. Doch welch fatale Überraschung! Das Grab war ausgeplündert, der König samt seinen wertvollen silbernen und güldenen Anhängseln verschwunden. Wer weiß? Man suchte nach ihm in allen Ecken und auch wohl nach dem doppelten Boden. Warum sollte es vor rund 1000 Jahren nicht schon solchen Hokuspokus gegeben haben? Und nach dem bewährten Sprichwort: „Wer lange sucht, wird endlich finden” - kamen plötzlich, ganz unerwartet, und tagelang nicht gesehen, ein paar alte Knochen ans Licht. Aber erst die Sonne brachte es an den Tag, daß sie nicht dem König, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach dem Plünderer gehörten, der wiederum - und hier kommt der Narr zu seinem Recht - doch alles weniger als ein König gewesen sein konnte, sondern eben ein Bettler, der es nicht auf die alten Knochen, sondern eben auf die wertvollen Anhängsel abgesehen hatte. Vielleicht ist ihm dabei der schwere Sargdeckel auf den Kopf gefallen? Doch dann mußte doch auch noch der König daneben liegen. Vielleicht hat gar ein Dritter den Bettler für den König ins Grab gelegt, so wie es kürzlich in einer Pyramide entdeckt wurde, wo 96 97 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn anstelle der ägyptischen Herrschermumie eine alte Affenmutter gefunden ward. Vielleicht aber - und das möchte ich behaupten, bis es von den Fachexperten einwandfrei widerlegt wird - hat ein Spaßmacher bei Nacht und Nebel vom Friedhof nebenan ein paar alte Knochen eingesammelt und ungesehen in einer Ecke des Königsgrabes versteckt, damit sich die Archäologen noch lange darüber die Köpfe zerbrechen können. Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Grüne Wellen Der Verkehr platzt aus allen Gassen und ergießt sich in grünen Wellen durch die Hauptverkehrsstraßen. Man kann zum Beispiel auf so einer grünen Welle vom Ostbahnhof bis zur Elisabethbrücke mit 40 bis 50 Stundenkilometern Geschwindigkeit schwimmen, wenn nichts dazwischen kommt. Geheimnisvoll, wie das „Sesam öffne dich” einer Photozellentür gibt es Vorfahrt an jeder Kreuzung für jeden Wagen, der sich ihr nähert, wenn nichts dazwischen kommt. Kommt aber ein Fußgänger auf den Zebrastreifen, dann tritt der menschenfreundliche Autofahrer - es werden ihrer immer mehr in Budapest - auf die Bremse und macht die straßenkameradschaftliche Geste: Bitte nach Ihnen! Ob er, und alle, die mit ihm anhalten müssen, es auch wirklich so höflich meinen, bleibt dahingestellt. Ein Fußgänger auf dem Zebrastreifen hat Vorgehrecht, hat die Macht, der schönsten, größten, längsten grünen Welle entgegenzutreten, ihr Einhalt zu gebieten, sie anzuhalten, solange er will. Manche genießen es ordentlich, dem Tempo der Autofahrer des ständig wachsenden Verkehrs ihre verbriefte Trägheit entgegenzustellen. Denn vom Fußgänger aus gesehen entwickeln sich alle Menschen am Steuer von Fahrern zu Überfahrern und können daher nur noch mit Tiernamen angeredet werden, freilich solange, bis die Fußgänger nicht selbst am Steuer sitzen, dann gehören selbstverständlich alle schlechten Eigenschaften nur Latschenden, Träumenden, schwätzenden alten Eseln und Eselinnen, die über den Fahrdamm stolpern, kriechen, schlendern. Eigentlich müßte bei der ständig steigenden Zahl von Autos in unserem Land, wo Benzin und Öl fließen wie Milch und Honig, bald der Tag ohne Fußgänger kommen, an dem sich alle grünen Wellen so recht genießen ließen und man nur auf die böse zu sein brauchte, die durch fortwährendes Wechseln der Fahrspuren den fließenden Verkehr verlangsamen oder ihn gar durch Halten und Parken zum vorübergehenden Stillstand bringen. Autofahren wird erst dann zum richtigen Vergnügen, wenn man fahren kann, ohne zu bremsen und zu halten. Darum wünscht sich 98 99 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn jeder Autofahrer einen Vordermann in Fahrt. Jeder Lastkraftwagen, der vor einem fahrenden Autofahrer anhält, muß aus dem Grunde seines Herzens verflucht und in die Nacht verwünscht werden, wo er doch seine Waren bei geringerem Verkehr ruhiger ausladen könnte. Und für einen fahrenden Autofahrer sind auch alle Autobus-, Trolleybus-, Straßenbahn- und Taxifahrer verkehrsbehindernde Subjekte. Man sollte sie verbieten wie die Radfahrer. Und wiederum für alle am Steuer der öffentlichen Verkehrsmittel sind die Herren und Damen das größte Hindernis im Straßenverkehr. Aber die Hunde bellen und die Karawane zieht weiter. Vor zehn Jahren sagten die Skeptiker: In fünf Jahren gehts nicht mehr weiter, wenn es so weitergeht. Aber es geht weiter. Und es sieht von außen ganz fließend aus und zivilisiert mit den Grünen Wellen. Doch „wie´s da drinnen aussieht, geht niemanden was an”. 100 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Die Margareteninsel In dem Brief einer Leserin aus Berlin, den sie zu unserer großen Überraschung in ungarischer Sprache verfaßte, steht die Frage, ob die Margitsziget (Margareteninsel) zu den wandernden Inseln gehört, die nur durch die beiden Brücken, die Árpádhíd am oberen und die Margithíd am unteren Ende festgehalten wird. Nun, ich weiß nicht, ob hier nicht einer unserer ungarischen Spaßvögel dieser Leserin einen Floh ins Ohr gesetzt hat, so wie der, der einem Fremden während einer Stadtbesichtigung erzählte, daß die Kettenbrücke bei Regenwetter in den dahinter liegenden Tunnel geschoben oder die Donau für besondere Gäste blau gefärbt wird. Nehmen wir aber an, die Frage wäre berechtigt, dann hätte die Insel doch spätestens wieder mit ihrer Wanderung beginnen müssen, als die Margaretenbrücke am unteren Ende, während des letzten Krieges, in die Luft gesprengt wurde. Denn erstens kann keine Insel flußaufwärts wandern, und zweitens gab es damals am oberen Ende noch keine Brücke zum Festhalten. Die Insel blieb an ihrer Stelle, bis die untere Brücke wieder hergestellt war und erst 1950 oben die Árpádbrücke fertig wurde. Vielleicht aber hat unsere Leserin erfahren, daß die Insel ursprünglich aus drei Teilen bestand. Bei einer Flußregulierung wurde die obere kleine Badeinsel von Menschenhand abgetragen und am Ende des 19. Jahrhunderts die untere kleinere, sogenannte Malerinsel, mit der eigentlichen Margareteninsel durch Auffüllung verbunden. Übrigens ist die Geschichte des Namens Margit (Margarete) nicht uninteressant. Einer der Könige aus dem Haus der Arpaden versprach im 13. Jahrhundert, seine Tochter Margit ins Kloster auf diese Insel zu schicken, wenn die Tataren, die damals das Land besetzt hielten, von hier abzögen. Aus welchen Gründen auch immer, sie taten ihm den Gefallen und er hielt sein Versprechen. Kaum würde heute noch jemand daran denken, wenn das arme Königskind nach seinem Ableben nicht selig gesprochen worden wäre. Und so also Insel und Brücke ihren Namen bekamen. 101 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Jeder, der heute über die nichtwandernde Insel wandert, kann noch ein paar Mauerreste des alten Klosters sehen. Aber man geht heute auf die Insel nicht ins Kloster, sondern zum Schwimmen, Tennisspielen, zum Tanzen, ins Theater, Hand in Hand durch den duftenden Rosengarten oder zum Abendessen in ein Restaurant und genießt die Gegenwart bei einem pikant zugerichteten Tatarenbeefsteak. Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Ungarn in der Welt Die Nachricht von der Verleihung des Nobelpreises an Denis Gábor, den Erfinder der Holographie, ist bei den Ungarn mit Stolz und Freude aufgenommen worden. Nicht so sehr, weil es nun eine dreidimensionale Photographie gibt - damit wissen nur wenige etwas anzufangen, sondern weil wieder mal ein Ungar Weltruhm erlangt hat. Denn Denis Gábor hieß ursprünglich Dénes Gábor und wurde in Budapest geboren. Und wie sagte Goethe schon: „Geborenwerden ist der erste Schritt zur Unsterblichkeit.” Daß der junge Gábor nach den ersten Schritten seine Heimat verließ, in Berlin studierte und alle weiteren, großen Schritte in England machte, tut der Freude über den jüngsten „ungarischen” Nobelpreisträger für Physik keinen Abbruch. Auch wenn es der Welt schnuppe ist, die Ungarn registrieren den Ruhm ihrer Landsleute auf dem weiten Erdenrund wie ein Seismograph, und seit sich herausstellte, daß selbst Albrecht Dürers Vater aus dem ungarischen Ájtos nach Regensburg ausgewandert war, wittern sie hinter jedem Genie, wo immer es sich auch entpuppt, mindestens eine ungarische Großmutter. Und wo sich auch beim besten Willen keine nachweisen läßt, da genügt schon ein kurzer Aufenthalt in Ungarn, eine freundliche Geste diesem Lande gegenüber, vielleicht ein ungarisches Wort im Tagebuch, eine Liaison mit einer Ungarin - so wie jene zwischen Beethoven und dem Schloßfräulein von Martonvásár -, um zu behaupten: Nun gut, Beethoven ist nicht so ein Ungar wie Franz Liszt, aber die Mondscheinsonate hat er doch hier komponiert. Was wäre schon aus ihr geworden, ohne den Mondschein von Martonvásár? Und wem verdankt die Welt Schuberts Unvollendete? Der unvollendeten Liebe des Komponisten zu einer vollendeten Ungarin. Und wer hat der Welt jenes bedeutende pädagogische Werk geschenkt? János Ámos Comenius. Bitte? Der Mann hieß Komensky und war ein Tscheche? Ja, aber er hat vier Jahre im berühmten Kolleg von Sárospatak gewohnt. In der Tat, es ist ein Wunder, wieviele große Geister von diesem kleinen Völkchen inspiriert wurden oder aus ihm hervorgingen. Und wenn die Ungarn sich noch immer in betontem Nationalstolze 102 103 Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn an ihren Taten und denen ihrer großen Söhne ergötzen, so doch nur darum, weil alle Welt noch immer lieber den Ziehbrunnen in der Puszta sehen will als das hypermoderne Wasserkraftwerk an der Theiß, lieber einen mit Geige schluchzenden Zigeuner als einen mit Reagenzglas experimentierenden Chemiker, weil Ausländer beim Namen Ungarn eher an Piroschka denken als an den Erbauer der neuen Elisabethbrücke in Budapest. Oder liegt es vielleicht nur daran, daß die Ungarn es noch immer nicht gelernt haben, sich propagandistisch ins rechte Licht zu rücken? Ich entdeckte kürzlich im Ausland wieder ein Plakat, das für eine Reise nach Ungarn mit ein paar wild dahinjagenden Pferden warb. Symbolisch gesehen ist das durchaus zutreffend, denn jene Pferde drücken, wenn man so will, das von jeher ungestüme Vorwärtsstreben dieses kleinen Völkchens aus. Aber vielleicht sollte man die Symbolik in unserer Zeit etwas deutlicher machen, etwa mit dem Zusatz: Kennen Sie ungarische Paradepferde? Oder noch besser: Kennen Sie das kleine Land der großen Köpfe? Ach, Sie meinen, das könnte missverstanden werden, wegen der Pferdeköpfe? Also dann, klipp und klar: Besuchen Sie das Land, wo jeder zweite ein Genie ist! Sie meinen, das sei nun wieder übertrieben? Gut, dann sagen wir: Besuchen Sie das Land, wo jeder zweite -kein Genie ist! 104 III Die Julischka aus Budapest Von Frauen, Männern und ein bißchen mehr Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Die ungarische Frau Wie es nur kommen mag, daß man im Ausland von ungarischen Frauen und Mädchen eine grundverkehrte Vorstellung hat? Man glaubt nämlich, sie hätte ein Herz aus Paprika, die Juliska, die Juliska aus Buda... Buda...pest. Vergleicht man die Ungarin von heute mit anderen Frauen in Europa, so findet man wohl kaum wesentliche Unterschiede. Die Mädchen in Stadt und Land kleiden sich nach der neuesten Mode und ihrem Geldbeutel. Wie überall haben sie auch hier die Hosen an. Außer in der Schule, da bestimmt noch immer der Lehrer. In ihrer Freizeit schwärmen sie für Popmusik, Popstars, sie treffen sich in Clubs mit jungen Männern zum Tanz, sie verlieben sich ohne große Worte und gehen auseinander, wenn es zusammen nicht mehr geht. Mit der verheirateten Ungarin hingegen steht es ähnlich wie mit jener Frau, von der ihr Mann begeistert sagt: Meine Frau arbeitet und mir gehts gut! Immer wieder wird auch in höchsten Stellen in Ministerien und Regierung von der großen Bedeutung der Frau in Beruf und Familie gesprochen, und man überlegt, wie man ihr die sogenannte „zweite Schicht” im Haushalt, durch entsprechend moderne Haushaltsgeräte und -maschinen sowie vorgefertigte Speisen erleichtert werden könnte. Aber der Ungarin ist oftmals nicht zu helfen. Als ausgezeichneter Köchin schmeckt ihr nichts so gut wie das, was sie eigenhändig zubereitet hat. Wer die Speisekammer einer ungarischen Frau nicht kennt, kennt die Ungarin nicht. Die Wohnungseinrichtung muß nicht unbedingt vollständig sein, doch die Speisekammer ist es auf jeden Fall, sie ist vollgestopft mit Lebensmitteln bis obenhin. Diese wollen allerdings erstmal eingekauft und nach Hause befördert sein - ein besonderes Vergnügen am Wochenende - und wo sich in einer Neubauwohnung die Speisekammer als zu klein erweist, da muß der Kühlschrank herhalten. Die berufstätige Frau dirigiert häufig sogar ihren Haushalt auch vom Arbeitsplatz aus, per Telefon und natürlich mit dem stillschweigenden Einverständnis ihres Chefs, dessen Frau es auch nicht anders macht, 109 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... nämlich so etwa: „Hallo Liebling, vergiß nicht, die Kinder aus dem Kindergarten abzuholen und bring von unterwegs noch etwas Suppengrün mit. Hol die Wäsche vom Trockenboden und gib den Schlüssel wieder beim Hausmeister ab! Ich komme heute später, ich habe noch eine wichtige Besprechung.” Und natürlich bringt der Vater die Kinder auch ins Bett. Neulich hörte ich einen Nachbarn, wie nach dem Abendmärchen im Fernsehen der jüngste Sprößling die Frage stellte, ob denn alle Märchen mit „Es war einmal...” begännen. Darauf der Vater: „Nein nicht alle Märchen. Manche fangen auch so an: Ich habe noch eine wichtige Besprechung...”. Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Der ungarische Mann Die Meinung der Frauen über den ungarischen Mann ist voller Widersprüche: bezaubernd und ohne Sinn für Romantik, zärtlich und ungeschlacht, feurig, aber durch und durch untreu, vieles versprechend und nichts haltend, gutherzig, kaltschnäuzig, grob, einschmeichelnd, zu Strohfeuern neigend, jähzornig, einfallsreich, einfältig, kindisch, klug, feinfühlend, mit ausgeprägtem Familiensinn, großzügig, geizig, unzuverlässig, alkohol-, vergnügungs- und eroberungssüchtig. Und welche Meinung haben Sie vom ungarischen Manne, verehrte Leserin? Ausländerinnen behaupten, sie würden sich in der Gesellschaft eines ungarischen Mannes wohlfühlen, einfach, weil er ein Mann ist. Manch glauben auch, es stecke noch etwas von einer ursprünglichen Wildheit in ihm. Gewiß empfindet das eine nichtungarische Frau anders als die einheimische Geschlechtsgenossin die sich, wenn es auch mancherseits immernoch bestritten wird, daß ihre Vorfahren einst mit den ungarischen Stämmen aus Asien über die Karpaten eingewandert sind, im Laufe von rund tausend Jahren nur recht schwer damit abgefunden hat, daß der Mann „úra és parancsolója”, ihr Herr und Gebieter ist und sich auch häufig noch so benimmt. Nun hat die neue Zeit zwar die Parität zwischen Mann und Frau hergestellt, aber Papier ist bekanntlich geduldig, und die Wurzeln der Tradition sind oft noch recht fest verhaftet. Einer der großen Dichter der ungarischen Romantik, Dániel Berzsenyi, unternahm in seinem Gedicht „Die Tänze” den Versuch, von den Volkstänzen der verschiedenen Völker auf den Charakter ihrer jeweiligen Männer zu schließen. Beim Ungarn heißt es da: Pindaros gleicht der Magyar, von Leidenschaften durchlodert, feurig verkündet sein Schritt, was ihn im Taumel bewegt. 110 111 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Bald ist er schwebender Windhauch, Bald sich verzehrende Sehnsucht, und seiner Sinnlichkeit Glut webt er zu tanzender Zier. Szív (übertragen von Kerpel-Claudius) Ungefähr einhundertfünzig Jahre sind vergangen, seit der Dichter diese Verse schrieb. Im ungarischen Leben hat sich doch einiges verändert. Aber noch heute kann man beobachten, wie ein Magyar, wenn es ihn gepackt hat, zum Tanz antritt und „feurig verkündet”, was ihn „im Taumel bewegt”. War es seinerzeit der feurige Csárdás, so sind es heute die heißen Pop-Rhythmen, die den Tänzer vom Stuhl reißen. Und wenn gar der Alkohol die Hirnbremsen löst, dann kullern dicke Tränen an dem feurigen Kerl herunter, dann fängt er förmlich an zu dampfen - und nun ist unser Ungar soweit, daß er an der Brust der Geliebten um die verlorene Mutter oder an der Mutterbrust um die verlorene Geliebte heult, dann steigert er sich in eine Stimmung hinein, in der er unter ÉljenRufen alles in Scherben schmeißen möchte. Im Übrigen ist der ungarische Mann als solcher treu und überzeugt davon, daß seine die bessere Ehefrau von allen ist und zwar solange, bis er sich vom Gegenteil überzeugt hat. 112 Wir plaudern über das ungarische szív = Herz. Es gibt viel darüber zu sagen. Mehr als im Deutschen. Schauen Sie einmal selbst in den Wörterbüchern nach. Sie werden staunen, wie wenig Wörter es vom einfachen Herz bis zur Herzverfettung, und wie viel es dagegen vom szív bis szívzörej = Herzgeräusch gibt. Deutsch sind es nicht einmal hundert Wörter, ungarisch dagegen fast viermal so viel. Also, mit dem szív und allen Ableitungen ist die ungarische Sprache um vieles reicher. Ob das an größerer Herzlichkeit liegt? Ich will es nicht behaupten. Aber die Sprache erklärt manches. Für die freundliche Aufforderung: Sei so gut... verwendet der Ungar lieber das szíves = herzlich. Also, das von szív abgeleitete légy szíves = sei so freundlich, genau übersetzt: herzlich, ist die am aller häufigsten gebrauchte Redewendung, wenn der Ungar jemanden bittet zu kommen, oder wenn er ihn auffordert dahin zu gehen, woher er gekommen ist. Haben Sie mit dem Angesprochenen noch keine Brüderschaft getrunken, heißt es: Legyen szíves! Oder wollen Sie es mit dem Wörtchen so verstärken: Legyen olyan szíves! Wenn Sie dabei mit der Hand nach der Tür zeigen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als so herzlich zu sein und das Weite zu suchen. Alles was ein Ungar tut, macht er szívesen oder nem szívesen, - herzlich oder nicht herzlich. Gehen wir tanzen? = Megyünk táncolni? Szívesen. Gehen wir arbeiten = Megyünk dolgozni? Nem szívesen. (Sie können diese Antworten natürlich nach Belieben umdrehen.) Sehr verbreitet ist – besonders unter Eheleuten – der Kosename szívem = mein Herz (womit nicht das meine gemeint ist) oder szívecském = mein Herzchen; wem das alles zu lang ist, abgekürzt einfach: szivi, ungefähr wie das Herzi. In meiner Nachbarschaft höre ich oft durch die dünnen Neubauwände, wie der Mann zu seiner Frau sagt: Szívem, mindjárt kapsz egy pofont! = Mein Herz, du kriegst gleich eine Ohrfeige! So herzlich leben die miteinander, daß ich a legszívesebben = am allerliebsten gar nicht hinhören möchte. 113 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Als es einmal sehr laut wurde da drüben, habe ich an der Tür geklingelt und gesagt: Kérhetek egy szívességet? Szíveskedjék a szívecskéjét halkabban felpofozni! Genau übersetzt: Darf ich um eine Herzlichkeit bitten? Wären Sie so herzlich, Ihr Herzchen leiser zu ohrfeigen? Ich muß es aufrichtig gestehen: Ezt nem vette szívesen = Das nahm er nicht herzlich auf. Nem igen Sie sollen nicht nur wissen, was auf ungarisch ja = igen und nein = nem heißt, sondern ein bißchen mehr. Das nem ist einfach, weil Sie dazu wie beim Berliner Nee den Kopf schütteln können. Das igen scheint etwas schwerer, erstens weil man nicht mindenre igent mond = zu allem Ja und Amen sagt (minden = alles, -re = zu, mond = sie es sagt) und zweitens weil igen nicht nur ja heißt, sondern auch: sehr, außerordentlich, besonders, überaus, ungemein; ja, mit ez davor kann sogar ein ganzer Satz gebildet werden; ez igen = Das lass´ich mir gefallen. Und wer es sich gefallen lassen muß, der kann auch, wie im Deutschen, ein wohl ans Ja hängen, und auf kurze Befehle seines Feldwebels zu Haus igenis (is = auch) jawohl! Sagen. Solche Männer heißen bei uns nur papucs = Pantoffel ohne Held. (Sie sehen daran, daß in Ungarn ein Mann, auch ohne Held zu sein, ein Pantoffel sein kann.) Damit haben wir das igen fast erschöpft. Ich will nur wieder nachdrücklich auf die Betonung der ersten Silbe hinweisen; denn wenn Sie sagen igeen, also mit der Betonung auf der zweiten Silbe, dann haben Sie fast ein völlig anders Wort ausgesprochen, nämlich igény = Anspruch. Nun, nur der hat also einen Anspruch darauf, igen hamar = gar bald verstanden zu werden, der igen mit igény nicht verwechselt. Und nun kommen wir zum nem, das erstens nein, zweitens nicht und drittens Geschlecht heißen kann. Nachdem es aber in der ungarischen Sprache bekanntlich die Geschlechtswörter der, die, das nicht gibt, müssen Sie sich mit dem dritten nem nicht den Kopf belasten. Es gibt zwar auch a gyengébb = das schwache und az erôsebb nem = das starke Geschlecht. Wenn aber bei uns eine Vertreterin des schwachen Geschlechts nem sagt, dann seien Sie gewiß, daß es auch so gemeint ist. Selbst wenn Sie zufällig einmal das nemigen zusammen gesprochen hören sollten, so heißt das nicht wörtlich: neinja oder vielleicht jein, sondern es heißt genau übersetzt: nicht sehr, oder kaum. Sollten Sie also mit großer Hoffnung im Herzen fragen Látom magát ma este? = Sehe ich Sie 114 115 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... heute Abend? Und sie antwortet. Nemigen, dann haben Sie kaum Chancen bei ihr. Dann ist es zu empfehlen, sich schnell nach einer anderen umzusehen, nach einer, die nemigen mond nemet = kaum nein sagen wird. Und wenn das kleine, eben Geborene demnächst in der Wiege schreit, und zufällig ein Mädchen ist, dann nimmt es die Kismama mit aller Mutterliebe in den Arm und beruhigt es in ihrer finnischugrischen Muttersprache mit den Worten: „Ne sírjál, kisanyám!“ „Weine nicht, meine kleine Mutter!“ Hier verrät die ungarische Sprache wirklich ihren ureigensten Inhalt, denn in diesem kleinen Würmchen steckt heute schon die kismama von morgen und die nagymama = Großmutter von übermorgen. Kismama Csókolom und szervusz Die Trolleybusschaffnerin rief laut durch den Wagen: „Kérek egy helyet a kismamának!“ „Ich bitte um einen Platz für die Kleinmutter“. Und die Fahrgäste wussten sofort, daß da vorne oder hinten eine Frau in guter Hoffnung oder vielleicht schon mit dem Kindchen auf dem Arm zugestiegen war. Männer und Frauen (selbst die Alten) erhoben sich und boten der Kismama ihre Plätze an. Ein eigenartiges Attribut der ungarischen Sprache ist nicht nur dieses Wörtchen kis (klein) für die Mütter, die manchmal überhaupt nicht klein sondern groß und sehr umfangreich sind; ebenso komisch klingt das internationale Wort Mama, das die Ungarn sonst kaum gebrauchen oder manchmal nur im Volksmund, wenn von einer alten Mutter die Rede ist. Die ungarische Anya = Mutter, die mit so vielen entzückenden, liebenswürdigen, herzlichen Variationen angeredet wird, wie: Anyu! Anyám! Anyukám! Anyuci! usw. tritt im Zustand des Mutterwerdens oder mit einem Säugling auf dem Arm aus der finnisch-ugrischen Sprachfamilie in die indoeuropäische Sprachwelt und wird zur „Kleinmama“, der man respektvoll Plätze anbietet, Türen öffnet, Kinderwagen in die Fahrstühle trägt. Alle Kismamas stehen besonders jetzt nach dem neuesten ungarischen Baby-Boom in noch höherem Ansehen, denn es muß etwas getan werden für einen intensiveren ungarischen Familienzuwachs. Die ungarische Nation soll leben! Das Volk greift ihnen unter die Arme und der Staat in die Tasche, um zu helfen, daß es allen Kismamas besser gehe. Neben vielen Vergünstigungen und Erleichterungen für die Berufstätigen gibt es höhere Summen bei jeder Geburt, progressive höhere Kinderzulagen nach ein, zwei, drei und mehreren Kindern. Es finden auch im Fernsehen Modeschauen für die Kismamas und ihre Umstandskleider statt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als schlagartig die alte Gesellschaftsordnung abgelöst wurde, versuchte man von oben her den feudalen Gruß „Küss´die Hand“ abzuschaffen und das einfache, in jeder Sprache gebräuchliche schlichte „Guten Tag“ einzuführen. Aber das konnte sich nicht bewähren. Die Ungarn suchen über den „Guten Tag“ hinaus schon in der Begrüßung das Persönliche, die engeren, herzlicheren Beziehungen. Im Wörtchen Servus liegt das vertrauliche Du. Guten Tag, sagt nur, wer ganz fremd ist. Und ganz fremd sind sich die Ungarn selten. Dem ungarischen Jungen, der von einem deutschen Mädchen mit „Guten Tag“ begrüßt wurde, nachdem sie sich gestern Nacht im Haustor geküsst hatten, war es, als bekäme er eine eiskalte Dusche auf den heißverliebten Kopf, und er sinnierte, was er wohl an der innigen Beziehung zu ihr verdorben hatte. Und zum Beispiel das Mädchen aus Leipzig, dem der Budapester Ingenieur zum erstenmal „Küss´die Hand“ sagte, kicherte und wollte nie wieder etwas mit diesem „Spinner“ von gestern zu tun haben. Mit csókolom also haben Sie zunächst einmal, sprachlich jedenfalls, eine klare Situation geschaffen. Jetzt ist die Frage - bei uns keine unbedeutende – was Sie küssen wollen, die Wange, die Hände oder den Mund. Bitte lachen Sie nicht. Der Ungar (oder die Ungarin) meint es mit allen dreien ernst. Den Wangen- oder Bruderkuß kennen Sie (er ist oft auch unter Männern, auch unter 116 117 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Staatsmännern, die keine Brüder sind, üblich). Den Handkuß kennen Sie auch. Er hieße genau gesagt: csókolom a kezeit. Das kommt fraglos aus dem österreichischen Küss´die Hand, heißt aber wortwörtlich: ich küsse Ihre Hände. Während also der Österreicher nur eine küsst, nimmt der Ungarn gleich alle beide. Sicher hat ihm dieser kleine Unterschied die in der Damenwelt allgemeinverbreitete Ansicht eingebracht, daß er der höflichste Mann... usw. usf. Nun, der Hof ist schon lange im Eimer, aber seine Reste leben noch immer unter uns. Ob die Frauen oder die Männer sich so schwer davon trennen können, weiß ich nicht. Doch langsam ist ihm eine Verstümmelung anzumerken. Sie können einer Dame csókolom sagen, in dem zwar noch der alte Handkuß steckt, aber ohne Hand. Und ich habe schon manche Frauen gesehen, die die Hand fortziehen, damit es dem Mann gar nicht erst einfallen sollte. Aber ich kenne auch solche, die dem, dem es überhaupt nicht mehr einfällt, den Handrücken hinreichen. Wer kennt sich da noch aus? Sollten Sie, lieber Leser, zur Jugend gehören, dann sagen Sie ruhig gleichaltrigen Jungen oder Mädchen in Ungarn szervusz. Und wenn Sie das auch in anderer Gesellschaft tun sollten, sebaj! sagt der Ungar: kein Problem. Man wird höchstens darüber lachen oder sich freuen, daß man so schnell und ohne alle Umschweife einen neuen Duzfreund gefunden hat. 118 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Mädchen, die rauchen... ...und Hühnern, die krähn, denen soll man beizeiten die Hälse umdrehn. Ich habe diesen Reim in meiner Kindheit in deutscher Sprache gehört. Von Mädchen, die pfeifen. Hier aber geht´s um Rauchen. Es ist mir nicht bekannt, ob es auch im Ungarischen etwas Ähnliches gibt zur Abschreckung für pfeifende oder zigarettenrauchende Mädchen oder krähende Hühner. Wollte aber jemand hier solchen Rat ernst nehmen - ich habe ihn kürzlich beim Anblick rauchender junger Mädchen auf einem Budapester Bahnhof von einer älteren deutschen Dame mit Verachtung sagen gehört - so müßte wenigstens der Hälfte aller bezaubernden ungarischen Backfische die Hälse... Mein Gott, ich will dieses Wort nicht noch einmal wiederholen. Ja, ungarische Mädchen, die rauchen, rauchen nicht versteckt im Klo oder von den Erwachsenen ungesehen in ihren Kellerclubs, sondern sie tun es ungeniert auf der Straße, in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder eben dort, wo es auch jungen Männern erlaubt ist. Ob ihn nun jemand schön oder häßlich findet, den Anblick eines Mädchens mit einer brennenden, im Mundwinkel hängenden Zigarette, das ist Geschmackssache des Beschauers oder eine Frage der Erziehung. Ist das entzückende Mädchen schöner, das wie ein Wald- und Wiesenwiederkäuer den Kaugummi von einem Mundwinkel in den andren schiebt und ab und zu durch ihre Lippen einen weißen Luftballon bläst? Oder sind es vielleicht die, die weder rauchen, noch kauen, keine Höschen oder dünnen Schlabberkleider tragen, doch es faustdick hinter den Ohren haben? Ich denke, wir sollten, was unsere Jugend allgemein und im besonderen die rauchenden Mädchen angeht, uns von althergebrachten Sprüchen und Maßstäben nicht so beeinflussen lassen. Die Jugend wird von selbst erwachsen und einsichtig. Und was ihnen schadet oder nützt, werden sie bald selbst merken und danach handeln. 119 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Ich kenne - nur so nebenbei gesagt - eine vierfache Urgroßmutter am Rande der Puszta. Sie hat fast 100 schöne, gesunde Enkelkinder. Und nie hat sie jemand anders gesehen, als mit einer dicken Zigarre im Mund; oder ab und zu bei Familienfesten mit einer Pfeife. Sie glauben es mir nicht? Ich zeige Ihnen den Weg zu ihr, denn wenn sie nicht gestorben ist... Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Küsse im Hellen Als ich zum ersten- oder zweitenmal verliebt war, haben wir uns im Dunkeln hinter Bäumen, auf der Bank im Park, im Hauseingang, in Mauernischen oder in verdunkelten Zimmern geküßt. Bei Tageslicht konnten Erwachsene höchstens ahnen, daß die beiden „zusammen gehen”, wenn sie ab und an mal die kleinen Finger ineinanderhakten. Ich will hier keine ungarischen Sitten mit anderen vergleichen, sondern nur feststellen, daß bei uns heute die Küsse aus der Dunkelheit ans Licht der Sonne, also an den Tag gebracht worden sind. Verliebte in Budapest - in anderen Städten habe ich es noch nicht beobachtet - nehmen sich ungeniert mitten auf der Straße, oft sogar mitten auf dem Fahrdamm, in die Arme und küssen sich inniglich an- und aushaltend, auch wenn die Verkehrsampel schon längst von Rot auf Grün geschaltet hat. Dann machen die Autofahrer lächelnd einen Bogen um sie, oder witzige Passanten kommentieren es laut mit lustigen Bemerkungen. Doch die im Hellen Küssenden lassen sich dadurch nicht stören, und jeder wird es beobachten können, daß ihre Zahl in Budapest stetig zunimmt. Sie tun es nicht etwa ostentativ, um die „Alten” zu ärgern oder gar zur Nachahmung aufzufordern, sondern man küßt sich auf offener Straße im Hellen - so glaube ich es jedenfalls - weil es für unsere Jugend die natürlichste Sache der Welt ist, um die es sich nicht lohnt, viele Worte und viel Federlesen zu machen. Nun lädt die Stadt Budapest ja an allen Ecken und Enden mit ihren zahlreichen Plätzen, besonders an den so warmen Tagen im Sommer zu derartigen Zärtlichkeiten geradezu ein. Da ist zum Beispiel die Fischerbastei, wo in unzähligen Mauernischen mit absoluter Rückendeckung oder von rechts und links von Säulen verdeckt, ungestört im Anblick des gestirnten Himmels darüber und des Lichtermeers der Stadt darunter sich Himmlisches oder Irdisches zuflüstern läßt. Oder nicht weit davon kann man eng umschlungen, gedankenverloren durch die kleinen Gassen der Altstadt Buda schlendern, wo fast jeder Toreingang, mit eingebauten Sitznischen aus Steinen zum Verweilen auffordert. 120 121 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Und der andere Berg daneben, der mitten aus der Stadt herauswächst? Der Gellért-Berg? Ist er nicht so, wie er dort steht, mit den dicken Mauern der alten Zitadelle auf der Spitze, den Blumenhainen, den sich durch dichtes Strauchwerk windenden Wegen, ist er nicht der ideale Platz für alle Verliebten? Doch wer keine Höhen erklimmen will um ein paar Küsse, dem bietet die Stadt unten ebenso viel heimliche Plätze in den jetzt blühenden Rosengärten auf der Margareteninsel, auf den Stufen und Promenaden am kilometerlangen Donaukai oder unter dichtem Baumwerk im Stadtwäldchen und den anderen Parks. Doch die neue Romantik, so scheint es, liegt weniger in sternenklarer, mondbeschienener, von Blütenduft erfüllter, kühler Nacht, sondern vielmehr auf heißem Asphalt in greller Sonnenflut mitten in der benzin- und rauchgeschwängerten Luft des Großstadtverkehrs. Ich glaube, ich bin dem Geheimnis dieser neuen Romantik auf der richtigen Spur. Kürzlich sprach ich mit einem Mädchen sehr offen darüber. Sie sagte: „Warum muß man seine Gefühle vor der Umwelt verbergen, und übrigens, da oben in den dunklen Nischen der Fischerbastei, da müßte man sich ja zwischendurch irgendwas sagen. Und da fällt uns nie was Gescheites ein.” So wird mir der heiße Kuß unter der Verkehrsampel verständlich; denn dabei ist jedes Wort überflüssig. Das Wort hat da immer nur der Zuschauer. 122 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Die Julischka aus Budapest Ein weltbekannter Schlager hieß einmal: Die Julischka, die Julischka, aus Buda-Buda-Pest... Es geht darum, daß die Juliska und der Jancsi (Kosename von János) und alle anderen der rund 10 Millionen Ungarn, wohin sie auch gehen in der Welt, eigentlich immer aus Budapest kommen. Ich habe wirklich noch kaum gehört, daß zum Beispiel jemand geantwortet hätte: Ich bin aus Balassagyarmat oder Törökszentmiklós, zwei ebenso schön klingende Städtenamen, von denen es doch so zahlreiche gibt: 79 Städte und 3.135 Gemeinden! Neben der Zweimillionenstadt Budapest wohnen in Miskolc um 200.000, in Debrecen ungefähr 160.000 oder in Pécs - um nur die drei größten Städte nach Budapest zu nennen - rund 150.000 Menschen. Wenn die Juliska oder Piroska auch aus Hódmezôvásárhelykutasipuszta stammt, als Gast im Ausland danach gefragt, woher sie kommt, wird sie gewiß antworten: aus Budapest. Man denke aber nicht, daß so etwas aus Angabe oder Großtuerei getan wird, sondern eher, weil ein Fremder ungarische Städtenamen kaum aussprechen kann, vorausgesetzt er weiß, daß es außer Budapest überhaupt noch so viele Städte in Ungarn gibt. Die Hauptstadt ist ein allgemeiner Begriff in der Welt. Wenigstens weiß man doch soviel, daß es eine schöne Stadt an der schönen blauen Donau ist. Abgesehen davon hat die Juliska gewiß Beziehungen zur Hauptstadt; denn irgendein Verwandter ihrer Familie lebt oder arbeitet ganz bestimmt hier. Das ist auch der Grund, warum die Budapester selbst in den allerschwersten Zeiten ihrer Geschichte kaum am Hungertuch genagt haben. Tante Juliska oder Onkel János aus der Kleinstadt oder dem Dorf schickten oder brachten persönlich Eier, Wurst und Speck, Schinken und Hühner, Enten und Gänse. Und selbst heute, wo das doch überhaupt nicht mehr notwendig ist, in Anbetracht der von Lebensmitteln überquellenden Märkte und Geschäfte, selbst heute kann man beobachten, wie zum Beispiel am Ostbahnhof Menschen vom Lande aussteigen, denen das 123 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Geflügel aus dem Gepäck gackert oder die schwer an Körben und Taschen schleppen, in denen halbe Schweine verarbeitet sind. Sie glauben das nicht? Stellen Sie sich einmal am Freitagabend, wenn das Wochenende beginnt, auf den Bahnsteig und fragen den, der da mit einem Rucksack und zwei schweren Taschen kommt, nach dem Inhalt. Meine Schwiegermutter, zum Beispiel, bringt jedesmal, wenn sie aus Mezôkövesd (Nordungarn) zu uns zu Besuch kommt, eine Tasche voll Eier, eine andere voll Hühner, eine dritte voll Wurst und Speck. Und immer sind hilfsbereite Mitreisende da, die ihr beim Aussteigen und Tragen helfen. Und auf alle meine Einwendungen, daß sie sich damit nicht abschleppen solle, weil man doch auch alles hier bekommt, gibt es immer die gleiche Antwort: „Das ist alles viel besser!” Aber als man sie auf unserer letzten Auslandsreise danach fragte, woher sie denn komme, antwortete auch sie, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt: aus Budapest. 124 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Légy... Da stand ein verliebter junger Ungar – man kann jemandem so etwas an der Nasenspitze ansehen – am Geländer der Terrasse des Budapester Flughafens, winkte einem Mädchen zu, das eben im Begriff war, sich mit einer Interflug-Maschine von ihm und der ungarischen Erde abzusetzen, und rief ihr laut übers Rollfeld hinterher: Légy jó! Nehmen wir an, das Mädchen hat das nicht verstanden – es kommt vor, daß Liebende sich verstehen ohne sich zu verstehen – dann wird sie vielleicht doch, während das Flugzeug noch über Budapest kreiste, in einem Taschenwörterbuch nachgelesen haben, was er als letztes Wort gerufen hat. Im kleinen Langenscheidt wird das Mädchen als erstes unter légy (bitte nicht wie legi aussprechen, sonst hat es was mit Luft zu tun): Fliege finden. Jó ist gut, sie hat das schon öfter gehört: so hieße denn: légy jó = Fliege gut! Sie hätte gedacht, daß ein verliebter Ungar beim Abschied zu mehr oder Schönerem fähig ist, zu so etwas wie z.B. szeretlek édes! Ich liebe Dich, Süße! Oder: gondolj rám! Denke an mich! Oder: ne csalj meg! Betrüge mich nicht! Aber falsch gedacht. Er hat ihr mit Légy jó! etwas sehr Schönes nachgerufen: Sei gut! Légy jó mindhalálig = Sei gut bis zum Tod! Lautet der ungarische Titel des schönen Jugendromans „Mischi und das Kollegium“ von Zsigmond Móricz. Das zweite légy im Wörterbuch hatte sie übersehen. Dahinter steht: imp. zu lenni. Das heißt: Imperativ oder die Befehlsform zu sein; also: Sei gut! So drückt sich der Ungar aus, wenn er nicht der Fliege = a légynek, sondern az embernek = dem Menschen, der ihm am Herzen liegt, etwas mit auf den Weg geben will. So könnte man Légy jó! auch sinngemäß mit: Bleib mir gut! übersetzen oder meinetwegen: daß mir nichts Schlechtes über Dich zu Ohren kommt. Sei gut zu mir! Zu Vater und Mutter! Zu Tanten und Onkeln! Aber nicht zu anderen Kerlen! Jetzt wissen Sie, liebes unbekanntes Mädchen in dem Flugzeug, was Sie Ihrem lieben Budapester Jungen schuldig sind, und vor allem, was Sie ihm, wenn er einmal nach Berlin kommt, in Schönefeld 125 Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... beim Abflug zurufen können. Wenn Sie das dritte Wort mindhalálig (mind = immer, halálig = Tod, -ig =bis) noch dazulernen, wird das einen gewaltigen Eindruck auf ihn machen; vielleicht so sehr, daß er Ihnen vom Fleck weg sagen wird: Légy az enyém! Sei mein! Nun wissen Sie schon, daß das nichts mehr mit einer Fliege oder dem fliegen zu tun hat. Nun wissen Sie es. Handeln Sie danach! 126 IV Gulyásparty Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Hühnenbrust und Zimmerfrau Schon des öfteren habe ich mich über den deutschen Sprachgebrauch in Ungarn mokiert und ich beginne – ehe ich es bei anderen tue – erst einmal bei mir selbst. Auch mir passiert es häufig, daß ich deutsche Zungenwurst aus der ungarischen Salami mache oder umgekehrt. Daß es auf den deutsch geschriebenen Speisekarten ungarischer Restaurants von lustigen Fehlern oft nur so wimmelt, das werden unsere deutschsprachgien Gäste oder Urlauber gewiß schon selbst gemerkt und sich darüber amüsiert haben; wenn nämlich statt gebackener Hühnerbrust gebackene Hühnenbrust auf betyárer Art angeboten wird oder eine wilde Rehstelze statt einer Rehkeule auf Wildbretart, oder Gänseleben in eigenem Schmalz statt Gänseleber in Gänseschmalz, oder ein Rückenschwein mit Bohnengrün statt Schweinerücken mit grünen Bohnen. Heute aber, da ausländische Touristen en masse das Land besuchen, findet man gelegentlich auch an öffentlichen Stellen schon Hinweisschilder in deutscher Sprache. Es hat mich so manches Mal gewundert, daß in Geschäften, wo deutsch gesprochen wird, neben dem „English spoken“ stets die Formulierung „Man spricht Deutsch“ zu finden ist. Warum nicht: Hier wird deutsch gesprochen? Um das zu verstehen, muß man von der ungarischen Grammatik wissen, daß es hier das Passiv „wird gesprochen“ nicht gibt. Zwar kennt man auch das „man“ nicht, aber ein Ungarn kann sich eher noch vorstellen, daß man spricht, als das gesprochen wird. Im Ungarischen wird nicht gearbeitet, sondern ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie arbeiten, also der einzelne Mensch arbeitet (wenn er muß oder will), aber immer nur im Aktiv, nie im Passiv. Das trifft natürlich auch auf das Erlernen der deutschen Sprache zu. Jeder (der muß oder will), bemüht sich, gut Deutsch zu lernen und das Gelernte auch möglichst sinnvoll anzuwenden. Doch wenn ein Ungar nicht genügend Deutsch gelernt hat, kann man so nette 130 131 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Sachen lesen, wie am Fenster eines Hauses in Balatonfüred: Zimmerfrau! Anstelle von Zimmer frei! Oder, an der Mole des Siófoker Hafens am Balaton: Das Betreten des Molos ist (wegen dem ins Wasserfallen) verboten. Sült hal In vielen Ausflugsorten der Donau und der Theiß oder an anderen Flüssen und Seen findet man häufig ein Schild mit zwei Wörtern: sült hal. Also gibt es hier gebratenen Fisch (sült = gebraten, hal = Fisch). Man sollte sich das aber nicht nur darum merken, weil die gebratenen See- oder Flussfische gut schmecken, sondern auch deshalb, weil es mit dem Wort hal auch bei uns einige geflügelte Worte gibt. Se hús, se hal = Weder Fleisch noch Fisch heißt es von Dingen oder Menschen, deren Äußeres oder Inneres im Wesen und wesentlichen manchmal unbestimmbar durcheinandergeraten ist. Eigentlich ist das nicht ganz logisch, weil doch auch der Fisch Fleisch hat um seine Gräten. Hier denkt man aber, wenn man vom Fleisch spricht, doch wohl zuerst an das der Rindviecher, schon darum, weil es bei uns davon mehr gibt als Fische. Will man sagen, daß jemand wie ein Fisch in die Gegend glotzt, wird der Satz mit dem Wort sült = gebraten ergänzt und heißt: Bámul, mint egy sült hal = Er (sie, es) starrt wie ein gebratener Fisch. Dabei kommen die Stielaugen, das erstaunte Mundaufsperren bestens zum Ausdruck. Betrachten wir nun den allgemein bekannten und tiefsinnigen Satz: Der Fisch fängt am Kopf zu stinken an. Wer dieses Sprachbild von wem übernommen hat, ist unwichtig. Wichtig ist, wie es sich ungarisch anhört: Fejétôl bûzlik a hal. Wortwörtlich: Kopf von stinkt der Fisch. Merken Sie, wie die ungarische Sprache auf den Kopf losgehend, das Wichtigste an den Anfang stellt? Wenn der Fisch bei all diesen Gemeinplätzen auch im ungarischen Sprachbild eine ziemlich negative Rolle spielt, so ist es andererseits erstaunlich, wie das Leben dieser stummen Flossentiere als beispielhaft glücklichstes mit dem Dasein des ehemaligen „Kaiser von China“ oder „Gott in Frankreich“ verglichen wird. Der Ungar sagt über jemanden, der sorgenlos gut lebt: Úgy él, mint hal a vízben. = Er lebt wie ein Fisch im Wasser. In der deutschen Sprache ist ein kleiner Fisch ein unbedeutender Mensch oder eine belanglose Sache. Für einen Ungarn hat der kleine Fisch ebensowenig Bedeutung wie das große Tier. Wollte 132 133 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen man das geflügelte Wort vom großen Tier in die ungarische Sprache übersetzen, wird daraus nicht jemand mit großer Stellung oder großem Einfluß, sondern egy nagy állat, nämlich ein wirklich großes, dummes Tier. Das große Tier hingegen heißt ungarisch nagy kutya = großer Hund. Sie sehen allein daraus, daß der Ungar mit dem Hund nicht auf den Hund kommt. Aber kommen wir vom Hund zurück zum Fisch. Ein allgemein bekanntes Sprichwort heißt: Kleine Fische – gute Fische. Genauso, wie Sie es hier lesen. Sie glauben es nicht? Versuchen Sie nächstens einmal einen Ungarn danach zu fragen. Er wird Ihnen die Bedeutung ungarisch erklären. 134 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Zigeunerliebe Violinen schluchzen, Zimbelschlegel tanzen, Bassgeigen husten, Flöten pfeifen die Tonleiter hoch bis zum Piep. Der Kapellmeister glänzt – auch auf der Stirn. Er würde sich gerne den Tropfen von der Nase wischen, aber jetzt braucht er beide Hände für Wichtigeres; die eine hält den Taktstock hoch, die andere die Faust; oben auf der Bühne geht der Zigeunerhochzeitstanz in seine Apotheose über. Zigeunerinnen, breitbeinig von einem Fuß auf den anderen stampfend, schütteln Flickenröcke und halbbedeckte Oberteile, während die Tänzer in winzigen Schritten um sie herumtrippeln und ab und zu mal trotzig mit ihren Stiefelabsätzen die Bretter treten, die die Welt bedeuten. Im Halbdunkel des Hintergrundes ihrer Wagenburg halb stehend, halb liegend, klatschen Statisten kräftig im Rhythmus der Zigeunersynkope. Scheinwerfer huschen gespenstig dazwischen und lassen hier oder dort etwas durchflimmern und aufblitzen. Und alles zusammen gerät im gesteigerten Wirbel von Tanz und Musik in eine Ekstase, daß die bunten Fetzen staubig durcheinanderflattern. Der Vorhang fällt. Applaus braust auf. Die Zigeunerdarsteller verneigen sich im Rampenlicht. Wer sagt, daß es mit der Operette aus ist? „Die Csárdásfürstin“ ist unsterblich! „Der Zigeunerbaron“ frißt seinen Schweinespeck bis zu unser aller Lebensende. Und „Die Zigeunerliebe“ – Lehár würde sich vor Freude im Grab umdrehen – lebt, liebt und wird geliebt. Alle Nichtzigeuner sind schon einmal hinter dem Vorhang verschwunden, aber die begeisterte Menge will sie noch einmal sehen, in den hübschen bunten Lappen, mit glitzerndem Geschmeide auf Stirnbändern und Kopftüchern, an Ohren, Nasen, Händen und Füßen. Ach, mein Gott, diese armen schönen Zigeuner! Man geht langsam durch die Pause, bleibt an eine Marmorsäule gelehnt unter goldener Stuckgirlande stehen und lässt das Publikum an sich vorbeischlendern. Da, zwei blasse Mädchen in langen, bis zur Erde reichenden Röcken aus lauter bunten Flicken grob zusammengenäht. 135 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Die blonden Haare verdecken eng um den Kopf geschlungene Tücher, von denen kleine, an den Rand genähte glitzernde Metallblättchen baumeln. Der Kostümbildner hinter der Bühne hätte sie nicht besser ausstatten können. Zwei junge Männer treten hinzu und bringen ihnen Limonade. Ihre Hosenbeine schleifen in Fransen über den Boden wie die Haare über den Schultern. Ach Gott, nein, sie sind keine „armen“ und keine „schönen“ Zigeuner! Der Blick schweift zu einer anderen Gruppe. Drei Damen unterschiedlichen Alters in langen, schwarzsilbrig glitzernden, eleganten Abendkleidern mit dezentem, echtem Schmuck am Hals und an den Handgelenken unterhalten sich leise mit drei Herren in gut sitzenden dunklen Abendanzügen. Sie erwecken Aufmerksamkeit, nicht wegen ihrer Kleider, sondern wegen ihrer Haut- und Haarfarbe. Man möchte wetten, das sind waschechte Zigeuner. Könnte Meister Lehár sie hier sehen, er würde sich gewiß im Grabe nach ihnen umdrehen, nach den echten und den falschen Zigeunern, denn beide bringen ihm sein Konzept im Konflikt mit der „Zigeunerliebe“ völlig durcheinander. 136 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Fasching heißt farsang Sie sind kaum noch zu zählen, die Einladungen verschiedenster Berufsgruppen zum farsang. Ein Sammler hätte seine Freude daran, zu sehen, wie sich alle zu überbieten scheinen in Ankündigung ihrer Faschingsbälle. Wo nimmt man so viele Künstler her zur Bestreitung des Programms, so viele Musikkapellen, wenn an den Wochenenden der Faschingszeit in den 22 Budapester Stadtbezirken durchschnittlich 5 bis 10 Bälle veranstaltet werden? Es bleibt mir ein Rätsel, wie das alles reibungslos abläuft. Nun bekam ich unter vielen anderen auch die Einladung zum „Gold- und Silberschmiedeball“. Ich war schon beim Presse- und Schauspielerball, auch schon beim Hausmeister- und Straßenfegerball, aber Gold- und Silberschmiede in einem Ballsaal vereint, habe ich noch nicht erlebt. So nahm ich die Einladung an, in der Hoffnung auf blitzende Wunder. Die Gesellschaft hatte sich den großen Speisesaal des EuropaHotels gemietet, saß unauffällig, fast schmucklos um die gedeckten Tische. Eine kleine Kapelle spielte dezente Musik. So einfach benahmen sich diese wahren Künstler, die Budapester Silber- und Goldschmiede, so ohne jede Maskerade. Sie strahlten Gelassenheit und Ruhe aus, genau so wie an ihren Arbeitsplätzen. Ich habe sie einmal dort beobachtet, wo aus edlen Metallen und Steinen fast lautlos märchenhaft schöner Schmuck entsteht. Plötzlich wurde es dunkel im Saal. Scheinwerfer leuchteten auf und vor die Kapelle trat eine von Kopf bis Fuß glitzernde, blitzende Sängerin in buntem, weitem Fransenrock, durchsichtiger Bluse, die außer der nackten Schulter noch manches ahnen ließ. Um die Ohren, Finger und Fußknöchel funkelte Gold und Silber, und tausendfach brach sich rotes, grünes, blaues und weißes Licht im Schliff der Steine. Blauschwarze Haare fielen ihr lang und wellig über den Rücken. Aus grünen Augen besah sie sich zunächst ihr Publikum, um sie dann mit langen schwarzen Wimpern zu verdecken und stimmte ein wehklagendes Lied über ein betrogenes, unglückliches Zigeunermädchen an. Gold- und Silberschmiede applaudierten höflich, was die Künstlerin veranlasste, noch ein Lied 137 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen zu singen, und dann noch eins, wobei sie mit immer schnelleren Bewegungen alle Muskeln spielen ließ, die Finger schnalzten den Takt, bis ihr Geschmeide zu bimmeln und zu klimpern begann. Auf diese Weise sang sie sich in eine Ekstase, die aber niemanden so richtig mitriß. An meinem Tisch saß ein hübsch gekleidetes, rotblondes Mädchen und sagte ohne zu applaudieren verächtlich: „Alles unecht.“ „Nun gut“, antwortete ich, „der Schmuck und die Wimpern, aber die Zigeunerin vielleicht doch nicht“. „Doch, die auch, sagte sie mit Bestimmtheit, „so kleidet und schmückt sich keine und so singt sie auch nicht.“ „Woher wissen Sie das?“ wollte ich wissen. „Weil ich selbst eine bin“, sagte sie bescheiden und fügte leise hinzu: „Ich erlerne die Goldschmiedekunst.“ Dieses Zigeunermädchen auf dem Faschingsball kann längst Echtes von Unechtem unterscheiden. Ich glaube, es ist an der Zeit, daß es auch die Zigeunerliedersängerin lernt. Und so nebenbei gesagt, auch diejenigen, die ähnliche Programme oft für In- und Ausländer veranstalten. 138 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Stampedli Jetzt habe ich doch einmal unseren bekannten Germanisten und Wörterbuchautoren, Elôd Halász, bei einer kleinen Ungenauigkeit erwischt. „Was ist ein stampedli?“ fragte mich ein deutscher Gast, der von seinem ungarischen Gastgeber aufgefordert wurde: „Trinken Sie einen stampedli mit mir!“ Vorsichtig lehnte er ab, da er auf seine Frage, was denn ein stampedli sei, die Antwort erhalten hatte: „Ein stampedli ist eine Stampfe.“ Nun, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie dem Mann die Stampfe oder Ramme, mit der Pflastersteine oder Stahlträger in den Boden getrieben werden, durch Kopf und Magen gegangen ist. Den Ungarn ist ja mit ihren scharf gewürzten Speisen und Getränken so manches zuzutrauen. „Stampedli“, beruhigte ich ihn, „ist nach der Größenordnung das kleinste Gläschen Schnaps und hat nichts mit dem Stoßgerät oder einer Stampfe gemein.“ „Aber“, sagte er mit Bestimmtheit „so steht es im großen ungarisch-deutschen Wörterbuch, im Halász!“ Ich habe tatsächlich nachgelesen, so steht´s da: „stampedli = Stampfe“. Wie ist das zu erklären? Der hervorragende Wörterbuchredakteur geht ganz sicher richtig von dem österreichisch-bayerischen Stamperl aus, dem Wein- oder Schnapsglas ohne Stiel, das in der Umgangssprache als Diminutivform zum Stampfer gebraucht wird. Aber wohl gemerkt, Stampfer und Stampfe sind zweierlei. Wer mehrere Stampfer getrunken hat, kann wie ein Schiff bei hohem Seegang in Längsrichtung auf und nieder nach Hause stampfen. Aber weder die Stampfe noch die norddeutsche Hauddramme, noch der Stößel eignen sich als Trinkbehälter. Hier ist eigentlich nur das r am Ende zuviel. Aber lassen wir dem Druckteufelchen seine Freude. Das bayerisch-österreichische Stamperl verändert im Ungarischen nur seine Endung –erl in –edli, wie zum Beispiel die österreichischen Nockerln, die Mehl- oder Grießklößchen, hier nokedli genannt werden. 139 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Also, wenn Ihnen, liebe Leser, nächstens ein stampedli angeboten wird, nehmen Sie ihn ohne Bedenken an, und wenn der Schnaps daraus geschmeckt hat – meist ist er vortrefflich - dann können Sie ruhig sagen: Kérek még egy stampedlit! = Bitte noch ein stampedli! Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Schwiagamuotta jetzt gaiht´s guat Bei der deutschsprechenden Minderheit, oder einfacher gesagt, bei unseren Schwaben war wieder was los. Auf drei großen Schwabenbällen in Budapest – ich weiß nicht wie viele kleine sie in anderen Städten und Gemeinden jährlich veranstalten – haben sich an die fünftausend auf ihre Weise köstlich amüsiert. Was die Zahl der Bälle und ihre Ballgäste anbetrifft, sind sie immer an erster Stelle. Ein lustiges Völkchen, wenn es zum Teil in altdeutschen Trachten bei Blasmusik mit Alkoholzusatz in Stimmung gerät, zum Walzer und Hopsassa antritt oder am Tisch schaukelnd das alte, von seinen Urgroßvätern nach Ungarn mitgebrachte deutsche Volkslied singt. Und obwohl allerorts, wo die Schwaben heute noch ansässig sind, eigene Sing- und Spielgruppen mit viel Hingabe dafür sorgen, daß die zahlreichen alten, schönen Volkslieder, Sitten, Gebräuche und Trachten, also das gesamte schwäbische Kulturgut nicht in Vergessenheit gerät und ihnen der „Demokratische Verband der Deutschen in Ungarn“ dazu jede Hilfe und Unterstützung gewährt, ist und bleibt beim fröhlichen Gesang am Tisch oder auf dem Tanzparkett das Lied „Schwiagamuotta jetzt gaiht´s guat...“ der Ungar-Schwabenhit Nummer 1. Ich beobachte das sehr lange. Kein Lied hat bei den Schwaben größeren Erfolg, keines ist da, das der Schwiagamuotta Konkurrenz bieten, ihr den ersten Platz streitig machen könnte. Sie ist nicht nur der Karnevalsschlager, sondern ein Schlager an sich. Zwar habe ich keinen Einblick in die intimen Familienverhältnisse einer ungarisch-schwäbischen Familie, aber ich bin fest davon überzeugt, daß die Schwiegermutter da eine besondere Rolle spielt, eine ganz besonders gute oder..? Nein, das kann ich mir nicht denken, denn sonst würde das Lied nicht so beginnen: Schwiagamuotta jetzt geht’s gut. Schon in diesem ersten Satz steckt viel Sinn- und Wertvolles über die Schwiagamuotta, die man teilhaben lassen möchte an der Freude, nicht ausschließen will vom Vergnügen: im Gegenteil, der man 140 141 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen gewissermaßen, in dem man sie besingt, das allgemeine Wohlbefinden zuerst mitteilt, sie vielleicht sogar als wichtigste Person in der Familie betrachtet. Das ist nicht das Lied von der Oma, der man ihr kleines Häuschen versäuft. Wie geht das Lied eigentlich weiter? Ich weiß es nicht. Dabei hab ich ja genau hingehört. Aber nach dem ersten Satz war es mir immer unverständlich, und ich schrieb es zuerst dem mir nicht sehr geläufigen schwäbisch-ungarischen Dialekt zu. Dann habe ich nachgefragt, wie und ob es überhaupt weiter geht im Text. Aber niemand wusste ihn. Ein korpulenter, rotbackiger, blauäugiger Mann antwortete nur mit ausgebreiteten Armen ungarisch: „Nem mindegy? = Ist es nicht egal?“ Und dann stimmte er aus vollem Hals, nicht schön aber sehr laut das Lied an: „Schiagamuotta jetzt gaiht´s guat la la la la la la la ...“ Das Gegenteil erlebte ich kürzlich in Backnang, einer kleinen, hübschen Stadt bei Stuttgart, in der jetzt viele Schwaben wohnen, die vor dem Krieg in Ungarn lebten. Bei einem „Ungarischen Weinlesefest“ sangen sie, von Zigeunermusik begleitet, stundenlang ungarische Volkslieder und tanzten Csárdás besser als manche Ungarn zu Haus. Das Lied von der Schwiagamuotta hörte ich den ganzen Abend über kein einziges Mal. 142 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Tarhonya Was wissen Sie über die ungarischen Suppen? Das könnte fast eine Preisfrage sein. Das Wort unserer Überschrift tarhonya sollten Sie sich für alle Fälle merken – es ist das einzige ungarische Wort, das auch die Königin von England weiß – weil ich es auf vielen Speisekarten schon vergeblich in englischer Übersetzung gesucht habe. Wenn Sie es richtig aussprechen, das ny wie nj, dann kann nichts schief gehen, dann bringt Ihnen der Ober zum Beispiel tarhonya = Eiergraupen zum Pörkölt. Kosten Sie das mal! Es schmeckt zum paprikagewürzten Fleisch besser als Kartoffeln. Nun, tarhonya wird auch als Suppe serviert. Dann müssen Sie eine tarhonyaleves (leves = Suppe) bestellen. Sie ist ähnlich wie eine Nudelsuppe, mit dem Unterschied, daß die Nudeln eigentlich keine Nudeln sind, sondern Eiergraupen. Wenn Sie eine wirkliche Nudelsuppe essen wollen, müssen Sie nach einer tésztaleves fragen (tészta = Teig, metélt tészta = Nudelteig). Ich habe kürzlich in einem Budapester Restaurant einen fremden Gast beobachtet, der wahrscheinlich stolz über seine ungarischen Sprachkenntnisse dem Ober sagte: „Kérek fôtt tésztát“ (fôtt = gekocht). Der Mann war also der festen Überzeugung, daß er gekochte Nudeln, selbstverständlich zu einer Suppe verkocht, bestellt hatte. Der Ober fragte: „Mákkal vagy dióval?“ = mit Mohn oder Walnüssen? Da wurde es dunkel um den Gast. Ich sah, wie er den Ober hilfesuchend anblickte und danach fragte, was das wohl für eine Suppe wäre mit Mohn oder Nuß? Der Ober erklärte, daß Nudeln gekocht bei uns keine Nudelsuppe, sondern eine Mehlspeise aus Nudeln sind. So wie das gulyás (in Deutsch auch Gulasch geschrieben), was Sie als kleine Fleischstückchen mit Kartoffeln und Soße kennen, bei uns wiederum eine Suppe ist, nämlich die gulyásleves = Gulaschsuppe. Wollen Sie aber, ungefähr nach Ihrem Geschmack, nur ein bißchen ungarischer, mit Paprika oder Tomatensoße zubereitet, einen Gulasch essen, dann bestellen Sie nicht Gulasch, sondern pörkölt. Und dazu entweder burgonya = Kartoffeln oder tarhonya = Eiergraupen. Sie sehen, die Endungen - onya - beider Wörter 143 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen gleichen sich. So können Sie sich also, damit´s leichter wird, zuerst das tar merken. Aber vergessen Sie nicht das –honya hinten dran, sonst heißt das Wort kahl. Und bei aller Vielseitigkeit und Raffinesse ungarischer Speisen gibt es dennoch keine tarleves, also keine kahle Suppe. Nein, die gibt’s nie! aus dem Süden? Zwar überfüllten die Gänse das ihnen vorgeschrieben Plansoll von 130.000 Eiern und legten 212.000, von denen aber nur 23.000 befruchtet waren. Das Unternehmen mußte einen Verlust von mehr als vier Millionen Forint verbuchen. Die Genossenschaftsmitglieder beschlossen, den Verlust bei der Universität für Agrarwissenschaft einzuklagen. Und der Prozeß scheint für die Gänse aus Italien schlecht auszugehen. Die ungarischen Gänse dieser Gegend aber schnattern lauter denn je, heben die Köpfe noch höher und machen die Schnäbel noch weiter auf: Denn es zeigt sich wieder einmal, wohin man mit der Vorliebe für manch Fremdes gekommen ist. Was die Italiener können, das können wir Ungarn schon lange! Wenn nicht vielleicht sogar viel besser. Italienische oder ungarische Gänse? Lúdláb, lúdtalp Wahrscheinlich hat schon mancher von Ihnen während seiner Reise durch Ungarn irgendwo am Dorfteich Gänse in größeren Scharen beobachtet, die von weitem gesehen, fast den Eindruck einer verschneiten Winterlandschaft im Sommer machen. Wie sie dann bei Sonnenuntergang nach Sippe und Zusammengehörigkeit anstehen und in Reih und Glied nach Hause watscheln, sich an Wegkreuzungen in mehrere Gruppen trennen und immer den richtigen Weg finden. Alle sind sichtbar mit verschiedenen Farben gekennzeichnet und erkennbar gemacht. Die Gänse wissen auch ohnedem, zu wem sie gehören. Das Wort von der „dummen Gans“ besteht zu Unrecht. Die ungarische Gans im Ganzen, oder nur ihre Gänseleber und die weichen Federn bringen uns harte Valuten. Darum haben sich zwei reiche Genossenschaften dazu entschlossen, gemeinsam eine Gänsezuchtstation einzurichten. Man brachte über 50 Millionen Forint zusammen für die Anlagen und für den Ankauf der Zuchtgänse, die nach dem Plan einer Expertengruppe so bald wie möglich 130.000 Bruteier legen sollten. Die Universität für Agrarwissenschaft empfahl einen Zuchtgänserich aus Italien, der sein Können schon mehrfach unter Beweis gestellt hatte und dessen Potenz der des ungarischen Gunars (so heißt die ungarische Gans männlichen Geschlechts) weit überlegen zu sein schien. Doch die Italiener bekamen in ihrer neuen ungarischen Umgebung plötzlich Minderwertigkeitskomplexe. Oder beeinträchtigten andere Einflüsse, deren Ursachen noch geprüft werden müssen, die Fortpflanzung des weißen Federviehs Da haben wir schon wieder ein komisches Wort, das zu Verwechslungen führen kann, denn einmal ist lúdláb ein Gänsefuß, ein anderes Mal ein Tortenstück, nicht etwa von den vorzüglichen ungarischen Zuckerbäckern so benannt, als ob lúdláb nach einem Gänsefuß schmecke, sondern eher deshalb, weil diese Schokoladenkremtorte so aussieht wie ein gespreizter Gänsefuß. Da fragte kürzlich ein Gast und Freund unserer Sprache, der diesen wohlschmeckenden lúdláb schon einmal gekostet hatte, den Geschmack noch halb im Gaumen, das Wort noch halb im Ohr, in der gleichen Konditorei den Ober: Van lúdtalp? = Haben Sie einen Plattfuß? Der Ober, erschrocken über diese indiskrete Frage, antwortete mit Humor: Ja, den habe ich, kann ihn aber nicht servieren, doch einen ludláb, den bringe ich sofort. Láb ist also der Fuß oder das Bein, und talp ist die Fußsohle, wobei aber auch talp manchmal im Sinne von Bein verwendet wird. Das berühmte Nationallied des Dichters Sándor Petöfi, das er zu Beginn der Revolution 1848/49 schrieb, beginnt mit den Worten: Talpra magyar! Es wäre schlecht übersetzt mit dem Satz: Auf die Beine, Ungar! Auf die Sohlen ... hört sich noch schlechter an, also muß es heißen: „Auf, Magyaren!“ Daß die Gans ungarisch lúd heißt, wissen Sie nun. Aber wenn Sie jemanden eine dumme Gans nennen wollen, müssen Sie buta 144 145 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen liba sagen. Eine buta lúd gibt es nicht. Sie sehen, der Ungar hat zwei Namen für seine Gänse. Nur der liba wird die Eigenschaft dumm zugeschrieben, der lúd aber die Eigenschaft ludas = der Schuldige. Nunmehr können Sie also nicht nur eine ungarische Torte bestellen oder jemanden eine dumme Gans nennen, sondern sogar einen ganzen Fragesatz stellen: Ki a ludas? = Wer ist der Schuldige? Und Sie werden darauf viel lustige Antworten finden in unserem Witzblatt Lúdas Matyi = Der Gänsehirt. Und wenn Sie das nächste Mal bei uns sind, können Sie einmal darin blättern, während Sie einen lúdláb mit Schlagsahne verzehren. 146 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gulyás-party Sie finden diese Überschrift in vielen Programmen des ungarischen Fremdenverkehrs. Und mit ein wenig Phantasie lässt sich vorstellen, was Sie auf einer Gulyás-party (oder auch wie man deutsch sagt: Gulasch-Party) erwartet. An erster Stelle natürlich Gulasch. Doch weniger phantasiebegabte Teilnehmer möchte ich auf einiges aufmerksam machen: Die mit viel Paprika gewürzte Gulyássuppe wird meist in tiefen irdenen Tellern serviert und oft mit Tonlöffeln gegessen, die eher kleinen Suppenkellen ähneln, weil man sich damit weniger den Mund verbrennen kann; denn eine Gulyássuppe muß heiß sein, wie das Temperament aller auf einer Gulyásparty. Da spielen Ihnen, während Sie die Suppe schlürfen, das Rindoder Schweinefleisch zerkauen, die Zigeuner in bestickten paprikaroten Westen scharfe Sachen vor, zur Steigerung der Gulyássuppen-Partystimmung. Sicher werden dabei Lieder zu hören sein, wie: „...beteg vagyok, fáj a szívem...“ = ich bin krank, mein Herz tut weh... und ähnliches. Wenn Sie dazu klatschen – Zigeunergeiger sind das vom ungarischen Publikum nicht gewöhnt und spielen zum Essen immer ohne Applaus, dann wird der Primasch seiner Kapelle einen Wink geben und sofort mit „Wien, Wien, nur du allein“ fortsetzen. Und erst, wenn Sie noch während des Essens oder später beim Trinken deutlich zu erkennen geben, daß Sie nicht aus Wien, sondern nehmen wir an, aus Hamburg sind, dann spielen die Zigeuner sofort mit allergrößtem Eifer „In München steht ein Hofbräuhaus“ und singen vielleicht auch dazu, wobei sie München wie Münken aussprechen werden, weil für den Ungarn das ch ebenso schwer ist, wie die Artikel der, die, das. Haben Sie also schon so viel Gulyássuppe und Wein in sich, daß Sie den Mut aufbringen, dem Ober mitzuteilen, er möchte doch den Zigeunern sagen, daß Sie nicht aus München sind, dann müssen Sie nicht staunen, wenn der Ober antwortet: „Sehr wohl! Ich werde das Primasch sagen, der Kapelle soll die Lied aus Hamburg spielen“ - und Sie können gewiß sein, die Zigeuner auf einer Gulyás147 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen party spielen für Sie das Lied von der Reeperbahn. Sie können alles, von „Untern Linden, untern Linden“, das sich auch als „Váci utca, Váci utca“ singen lässt, bis zum neuesten Weltschlager. Am besten aber, Sie sagen gar nichts und lassen die Zigeuner spielen, was sie wollen. Dann werden sie Ihnen ganz bestimmt „die Lerche“ von Dinicu vorzwitschern und dabei auch dem Zymbalspieler, dem Flötisten und dem Bratschisten ein Solo überlassen, denn ein selbstbewusster Primasch weist mit dem Bogen auch auf das Selbstbewusstsein seiner Mitspieler hin. Wem alles so gut gefallen hat, daß er noch einmal eine Gulyásparty mitmachen möchte, dem ist zu raten, dem Primasch die Hand zu drücken mit einer Kleinigkeit dazwischen. Sie können es auch auffällig machen, indem Sie einen Geldschein auf die Spitze seines Fiedelbogens spießen. Danach wird er Ihnen Ihr Lieblingslied noch einmal vorspielen, und Sie dabei bis zum Ausgang begleiten. Nun habe ich ganz vergessen zu sagen, daß bei einer Gulyásparty noch viele hübsche ungarische Mädchen in bunten Volkstrachten tanzen und singen und meist sehr lustig sind, auch wenn sie am Tage Ärger gehabt haben. Vielleicht bietet sich sogar die Möglichkeit, mit einem dieser niedlichen, reizenden, immer lachenden Mädchen ins Gespräch zu kommen, dann erfahren Sie etwas vom Ernst des Lebens hinter der Gulyássuppe. 148 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Macht nichts! Jedermann weiß, wie schwer es ist, sich in erregtem Zustand in einer fremden Sprache ausdrücken zu müssen. Selten fallen in solchen Augenblicken die passenden Worte ein, und da der Mensch im Allgemeinen, und der Ungar im Besonderen, in solchen Hochspannungsmomenten nicht in fremden Worten, sonder lieber in der eigenen Muttersprache die treffenden und passenden Ausdrücke sucht, um den überflüssigen Dampf abzulassen, mag sich der Leser folgende Geschichte vorstellen: Meine Frau Panni hatte für einen deutschen Gast den Tisch mit der prachtvollen, in allen Farben eines ungarischen Bauerngartens leuchtenden Tischdecke von zu Haus, aus Mezôkövesd, gedeckt (bekannt für die berühmten Matyó-Stickereien). Auf dem Küchenherd stand die Halászlé = Fischersuppe brodelnd auf kleiner Flamme. Jedem Fremden wird sie mit ein paar passenden Worten angekündigt, weil sie Geruchs- und Geschmackssinne in außerordentliche Stimmung versetzt, dabei durch ihre dunkelrote Farbe auch das Auge reizt und ein schier unerschöpfliches Gesprächsthema ist über Herkunft, Zubereitung und Zutaten. Eine Fischersuppe wird meist in einem kleinen, an einem Ständer aufgehängten Kochkessel (bogrács) serviert. Und als meine Frau mit niedlich ungarischem Akzent in der gelernten deutschen Sprache aufforderte: „Bittä sär, bädienen Sie sich“ – da geschah es, als der Gast die Suppe aus dem schwankenden Kessel löffeln wollte, daß sie überschwappte, und auf dem schneeweißen Leinentuch am Rande eines bunten Blumenmusters einen großen roten Klecks hinterließ, der in Form einer roten Kussrose (Kussrose ist ein typisches Stielelement in der Matyó-Stickerei) gar nicht schlecht wirkte. Aber eine Hausfrau im Allgemeinen und meine im besonderen sieht einen roten Fleck anders, und sie sagte etwas in ihrer Muttersprache, wofür ich ihr noch heute dankbar bin, daß sie nicht versuchte, es übersetzen zu wollen. Es wäre ja auch für unseren Gast schwer zu verstehen gewesen. So entstand die bekannte peinliche Situation, wenn der Schuldige Entschuldigungen stammelt, und der Betroffene die im Deutschen dafür übliche Redewendung gebraucht: „Macht nichts!“ 149 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Ungarn lernen in der Deutschstunde sicher vieles für alle möglichen Situationen. Aber „macht nichts“ habe ich noch in keinem deutsch-ungarischen Sprachführer gefunden. Na, macht nichts. Ich erklärte dies meiner Frau später, als Gast und Fleck längst weg waren. Und es kam wieder ein deutscher Gast und es gab wieder die herrlich duftende Fischersuppe. Und wieder schmückte den Tisch die in Mezôkövesd gestickte, längst gereinigte Tischdecke. Meine Frau war vorsichtig geworden und teilte nun selbst die paprikarote Suppe aus. Da geschah das Unerwartete: es kleckste etwas auf die helle Hose unseres Freundes: worauf meine Frau mit bezauberndem Lächeln und mit dem so reizend klingenden ungarischen Akzent „Macht nichts!“ sagte. 150 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Betrunkene Pogatschen Ein Preuße, als ihm hier einmal Pogatschen angeboten wurden, fragte: „Wat für Latschen?“ Pogatschen jedoch sind nichts für die Füße, sondern etwas zum Essen. Wenn sie auf der Zunge wie Butter zergehen, dann sind es die richtigen, die feinen, die Grammel, oder meinetwegen auch Speckgriebenpogatschen, ohne die es in Ungarn kein Weihnachten, kein Neujahr und überhaupt keinen Feiertag gibt. Besonders da, wo Schlachtfeste gefeiert werden, gehören die Grammelpogatschen dazu wie ein Dessert nach dem Festmahl. Am besten schmecken sie noch dampfend heiß. Man braucht dazu nur etwas Mehl, Fett, zerkleinerte Speckgrieben und Salz. Der Teig wird wie zum Strudel gerollt und mit Grieben überstreut, dann wie ein Tischtuch zusammengelegt und mit einer runden Form ausgestochen – so kommt er in den Backofen. Ich habe es selbst einmal versucht. Es war wirklich sehr einfach, doch es kam am Ende wirklich fast ein alter Latschen heraus. Dann habe ich es mir von der Schwiegermutter zeigen lassen. Die Kunst beginnt schon beim Rollen des Teigs; je dünner, desto besser, dann wird er liegengelassen. „Man muß es im Gefühl haben, wie lange“, sagte sie. „Und dann wieder rollen und wieder liegen lassen, während die zerkleinerten, durch einen Fleischwolf gedrehten Grieben vorbereitet werden.“ Ihre Handbewegungen beim Kneten und Rollen wirkten wie die eines Zauberers, der zum Schluß seinen Hokuspokus darüberstreicht. Nachdem die Pogatschen schon ausgestochen waren, nahm sie sie alle noch einmal einzeln zwischen die hohlen Hände und drückte die einen leicht nach rechts, die anderen nach links. Und das erklärte sie folgendermaßen: „Das werden die betrunkenen Pogatschen.“ Als sie nach fünfzehn Minuten aus dem Backofen genommen wurden, standen sie wirklich alle wie kleine Männchen da, die ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle haben. 151 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Ihre knusprig braun gebackenen, aufgetürmten Teigblättchen bogen sich nach links und rechts, nach vorn und hinten. Und zwei von ihnen hielten sich so aufrecht wie Säufer, die umfallen würden, lehnten sie sich mit ihren Köpfen nicht aneinander. Wie nach so einer Grammelpogatsche ein Glas Wein schmeckt, sollte jeder einmal versuchen. Man kann das natürlich auch öfter wiederholen, bis man so schief steht wie die betrunkenen Pogatschen. 152 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Must und murci Damit, wer an schönen Herbsttagen durch Weingärten spazieren geht, auch den Leuten, die da geschäftig Reben lesen, Körbe tragen, Trauben mahlen und pressen, etwas zurufen kann, nehme er das erste Wort unserer Überschrift und setze ein jó = gut davor und ein Fragezeichen dahinter; dann hat er die Frage gestellt, ob es ein guter Most ist. Die Angesprochenen werden sich darüber freuen, denn erstens ist der must (ganz offensichtlich ein deutsches Lehnwort in der ungarischen Sprache, bei dem man nicht vergessen soll, daß das s wie sch gesprochen wird), in diesem Jahr im Durchschnitt süßer als zur letzten Weinlese, und zweitens wird der Angesprochene seinen must loben wie das eigene Pferd, den eigenen Wagen oder das eigene Kind. Wenn Sie den must danach zu kosten bekommen, denn das war ja der Anrede tiefer Sinn, ist er auf alle Fälle der süßeste von allen, die Sie eventuell bereits woanders gekostet haben. Merken Sie sich das! Sie brauchen da kein weiteres ungarisches Wort zu kennen. Wenn Sie beim Kosten nur bedächtig, verständig mit dem Kopf nicken, und dazu das auch Ihnen bekannte Hm! sagen, wird man noch ein Gläschen einschenken und vielleicht noch eins. Sie können sich vielleicht noch die beiden Wörter merken: nagyon édes = sehr süß, dann werden Sie so viel must trinken können, wie Sie wollen. Um Gottes willen, fragen Sie nie danach, ob da eine Zuckerlösung hinzugemischt worden ist. Jeder selbstbewusste Weinzüchter wird es verneinen. Nach dem Grad der Süßigkeit können Sie fragen, oder besser gleich mit Kennermiene sagen: húsz fok = zwanzig Grad. Ein Winzer, der was auf sich hält, hat überhaupt keinen must unter húsz fok. Kommt Ihnen bei diesem Hm! und nagyon édes! vielleicht auch der Gedanke, mal vom Wein des letzten Jahrganges zu kosten, dann lernen Sie bitte die drei Wörter: jó bor lesz! = es wird ein guter Wein! Sie werden sehen wie der Winzer, Ihre Gedanken erratend, sofort seinen gläsernen Weinheber in das alte Faß steckt und den besseren vom vorigen Jahr heraussaugt. 153 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen So leicht verständlich für Sie aber der must ist, so schwer verständlich wird Ihnen das Wort murci erscheinen. Uns auch. Und solange sich die Sprachwissenschaftler darüber streiten, ob wir es aus den slawischen oder anderen Sprachen übernommen haben, können Sie den murci mal probieren. Es ist der Rauscher oder Sauser, also der must, in dem der Gärungsprozeß schon begonnen hat. Aber geben Sie acht! Ein Rausch von diesem Rauscher ist nicht von schlechten Eltern. Besonders wenn Sie aus dem Keller an die frische Luft kommen, macht er sich plötzlich bemerkbar. Sollten Sie dann überhaupt noch etwas Gescheites zusammenbringen, denken Sie an das Wort jó = gut, und konjugieren einfach den murci in der ersten Person Mehrzahl der Vergangenheit: Jót murciztunk, das heißt wortwörtlich: wir haben gut gemurcit, oder meinetwegen: gerauscht oder gesaust; mit einem Wort: wir haben uns einen Rausch angetruken. Halt! Nein, das sind ja sechs Wörter! Nur im Ungarischen ist es eins: becsíptünk. 154 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Kirschschnaps Die Internationale Budapester Herbstmesse ist wieder in vollem Gange - ich meine sie ist voll bis zum Rand mit Neuheiten aller Art und Neugierigen, die nach dem Rundgang voll sind, von Kostproben aller Art. „Ja, ja der Wein ist gut...” - und die Gänseleber und die Salami und das neueste vorgekochte Schnellgericht für Junggesellen oder Kochmuffel. Auch der Technik neuester Stand kann nicht so umlagert sein, wie der alte Wein am Kostprobenstand. Was braucht der Mensch zum Leben? Eine vollautomatische Waschmaschine? Den ferngesteuerten Fernseher? Die allerneueste Bohrmaschine? Ein billiges und zugleich sicheres Auto? Aufblasbare Möbelstücke? Oder einen neuen Hut? Was nützt der letzte Schrei der Mode und der Technik, wenn der neueste Eisschrank mit aufgesetzter Tiefkühltruhe leer steht? Der leere Teil für Flaschen, ist schließlich für volle gedacht. Also, wo gibts den alten Schnaps oder Wein? Eben gerade jetzt hat ein Mann, zwischen 90 und 100 Jahre alt, im Fernsehen nach dem Geheimnis seines Alters in Gesundheit befragt, die Antwort gegeben: „Der Schnaps, mein Herr! Der Schnaps! Jeden Morgen ein halbes Dezi, das bringt den Magen und den ganzen Tag in Ordnung!” „Wo gibts den berühmten barack, den Aprikosenschnaps der Magyaren?” fragte ich einen Herrn vor einem dieser Riesenfässer, in denen Weinkostproben verkauft werden. Er nahm vertrauensvoll meine Hand und führte mich in einen Pavillon für neueste Haushaltsgeräte hinter eine der Kojen, wo auf bequemen Sesseln die Geschäfte abgeschlossen werden. Aus dem Wandschrank nahm er eine Flasche Kirschschnaps und zwei Gläser mit den Worten: „Immer dieses Vorurteil mit dem Barack! Wissen Sie denn nicht, daß der Kirsch besser schmeckt und gesünder ist?” Er goß ein und prostete mir zu. „Wirklich, ich habe ihn eigentlich noch nie so richtig gekostet”, sagte ich, „ausgezeichnet im Aroma.” 155 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen „Das freut mich”, sagte mein Gastgeber und goß wieder ein, „ich sage immer, man soll auch mal die andere Marke versuchen. Sehen Sie, das hier zum Beispiel ist unser neuestes Fernsehgerät Venus gegen den alten Jupiter.” Der Tisch lag mit Prospekten voll und ringsum stand die Venus in strahlender Pracht. „Sehen Sie, alles schwört auf Jupiter, aber ich sage Ihnen, Venus ist besser, schöner und preiswerter.” Er goß noch einmal ein. Und ich dachte, während ich trank, ich werde von nun an nur noch diesen Kirschschnaps trinken. „Nun”, fragte mein Gastgeber, „wie gefällt Ihnen die Venus?” Ich sagte: „Gut, aber ich habe schon einen Jupiter.” „Ach was”, sagte der freundliche Mann, „trennen Sie sich vom Jupiter und...”, er goß noch einen Schnaps ein und danach noch einen. Lächelnd reichte ich ihm die Hand, nachdem der Kaufvertrag unterschrieben war, verabschiedete mich und ging. Sagte ich nicht, die Messe sei in vollem Gang. Als ich sie dann etwas wankend verließ, fiel mir wieder ein, was der Mensch zum Leben braucht: Kirschschnaps. 156 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gänseleben, Gänseleber „Fuchs, du hast die Gans gestohlen...” - das singen ungarische Kinder nicht, obwohl hier - wie überall - ungarische Füchse ungarischen Gänsen auflauern und sie klauen, wo es ihnen gelingt. Doch ich behaupte, daß im Verhältnis zu anderen Ländern bei uns weniger Gänse von Füchsen gestohlen werden. Meine Annahme liegt vorläufig jedoch nur in einer Umfrage begründet, wieviele Gänse hier und dort, bei kleinen und großen, genossenschaftlichen, staatlichen und privaten Gänsezüchtern von Füchsen gestohlen worden sind. Gänse sind bei uns überall gut behütet, oder werden im „Prozeß der Stopfung” gar nicht erst aus ihren sicheren Bestallungen gelassen. Dieses Stopfen, eins so ausgeführt, indem mit der einen Hand der Schnabel gespreizt, mit der anderen nacheinander die Maiskörner in den Schlund gesteckt wurden, vollbringt heute in modernen Zuchthäusern die Stopfmaschine. Müheloser für den Menschen und „gefahrloser” für die Gänse. Nun, aufrichtig gesagt, als Tierfreund gefallen mir beide Methoden nicht. Noch weniger natürlich die, einer Gans soviel Freiheit zu lassen, daß sie schließlich vom Fuchs geholt und aufgefressen wird. Nein! Dann sehe ich die Gänsebrust lieber in meinem Bauch. Und selbst, wenn ich Vegetarier wäre, ließe ich Gänse nicht in alle Ewigkeit leben. Erstens, weil sie sich sehr schnell vermehren, und es bei uns soviel Füchse heute gar nicht mehr gibt, die sich den Überschuß holen würden. Und zweitens, weil auf die nicht unwichtige Frage des Exports von Gänsebrüsten, Gänselebern und noch ganz gelassenen Gänsen die klipp und klare Antwort gegeben werden muß: Es lebe die ungarische Gans und ihre Gänseleber! Eigentlich stimmt dieser Satz nicht. Auch wenn er sich reklamemäßig für unseren Außenhandel gut anhört. Man müßte eher sagen: Es lebe die tote Gans und ihre tote, krankhaft aufgedunsene Gänseleber! Ich sehe ein, daß sich mit einem solchen Reklametext sehr schwer etwas verkaufen ließe. Also soll, wer immer auf der Welt von einer im fetten Gänseschmalz steckenden, dicken, großen Gänseleber ein Scheibchen abschneidet, es in den Mund steckt und 157 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen auf der Zunge wie Butter zergehen läßt, aus dem Kopf zumindest die Gedanken verscheuchen, wie eine so kleine Gans zu einer so großen Leber kam. Denn, ganz unter uns gesagt, meine ich, daß die dickste, schönste, größte, schwerste ungarische Gänseleber eine kranke, für das Viech jedenfalls eine bösartige, schlechte Leber ist. Sicher sagt man daher auch bei uns allgemein zu jemandem, der sehr bösartig ist: rosszmájú vagy. = Du hast eine schlechte Leber... Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Langer Schritt und Hausmeister Es ist allgemein bekannt, daß die Ungarn nicht nur einen guten Wein anbauen, sondern ihn auch trinken. Sie rangieren übrigens in punkto Alkoholverbrauch unter den ersten zehn Ländern der Welt. Das kann man sowohl positiv als auch negativ bewerten. Ich für meinen Teil glaube: Wenn das Trinken in gewissen Grenzen bleibt, ist es ein gutes Zeichen. Mir persönlich sind Menschen lieber, die Wein trinken anstatt Limonade. Nein, die Ungarn sind keine Alkoholmuffel. Sie lieben das Leben, mit allem, was dazugehört. Zum Beispiel den Wein und all die schönen Sachen, die man damit anfangen kann. Von Goethe stammen jene bekannten Verse, die er flugs den „Herren am Tische” schrieb, als diese sich darüber mokierten, daß er Wein mit Wasser mischte. Die Ungarn mischen verschiedene Mengen von Wein und Wasser. Da gibt es beispielsweise den „kisfröccs”, den kleinen Gespritzten, bestehend aus einem Dezi Wein und einem Dezi Sodawasser, dann den „nagyfröccs”, den großen Gespritzten, mit zwei Teilen Wein und einem Teil Wasser. Symbolische Namen tragen der „Lange Schritt” und der „Hausmeister”. Während man den ersten, den „hosszú lépés”, mit einem Dezi Wein und zwei Dezi Wasser trinkt, gebühren dem „házmester” drei Dezi Wein und zwei Dezi Wasser. Ihn trinkt in erster Linie natürlich derjenige, dem zu Ehren diese Mischung benannt wurde - der Hausmeister. Er genießt heutzutage in städtischen Lokalitäten etwa noch das gleiche Ansehen wie seinerzeit der „csikós”, der Pferdehirt in den Pusztaschenken. Er stand höher im Kurs als der Schafhirt oder gar der Schweinehirt. Und ein ungarischer Hausmeister ist nicht zu vergleichen mit einem österreichischen Hausmeister oder einem deutschen Portier, sondern er ist eben ein echt ungarischer Hausmeister, dem unter Umständen noch ein Vizehausmeister zur Seite steht. Und ein solcher Vize trinkt keinesfalls auch einen „házmester”, sondern bestenfalls einen „Langen Schritt”. 158 159 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Das Beschwerdebuch „Das Fleisch kann ich nicht essen“, sagte der Gast zum Kellner, „bitte rufen Sie den Geschäftsführer.“ „Sehr wohl mein Herr“, erwiderte der Kellner, „aber der wird es auch nicht essen können.“ Solche dummen Witze gehören in Ungarn der Vergangenheit an. Erstens darum, weil ein Geschäftsführer heute nicht so einfach gerufen werden kann. Ein Geschäftsführer nimmt seinen Beruf ernst. Er führt Verhandlungen, Sitzungen, Besprechungen meist außer Haus, oft außer Landes. Wem etwas nicht schmeckt, passt, gefällt, dem steht das Beschwerdebuch zur Verfügung. Bitte, da hängt es am Bindfaden sogar mit einem Bleistift dabei und fordert direkt zur Beschwerde heraus. Manchmal muß man die Verkäuferin oder Kassiererin, den Ober oder den Postangestellten oder sonst wen danach fragen. Dann wird es aus irgendeiner Ecke hervorgeholt und, je nach dem Wesen des Betreffenden, mit eisigem Lächeln vorgelegt, oder mit drohender Miene hingeworfen. Man kann nun seine Beschwerde durch ein Durchschlagpapier in zwei Ausfertigungen eintragen, und wenn die volle Adresse nicht vergessen wurde, nach geraumer Zeit auf Antwort warten. Ich bekam erst kürzlich einen Brief von der Generaldirektion eines großen Unternehmens, die mich mit aller Höflichkeit davon verständigte, daß ich mit meiner Beschwerde völlig im Recht sei, alles sei unternommen worden, um solche Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden und der Verantwortliche seines Postens enthoben wurde. Der Fall lag so lang zurück, daß ich längst vergessen hatte, worüber ich mich eigentlich beschwert hatte. Und es plagte mich jetzt rückblickend das Gewissen, daß einer so lausigen Beschwerde wegen ein Mensch, womöglich der Ernährer einer großen Familie, seine Stellung verloren hatte. Ich ging der Sache nach und fand jenen Mann in der gleichen Firma, im wahrsten Sinne des Wortes seines Postens enthoben – in gehobener Stellung. Sehen Sie, das ist das geniale an einem Beschwerdebuch. Es schafft den vernünftigen Abstand von der plötzlichen Erregung bis zur Nüchternheit und vermeidet auf diese Weise größere Schäden in den zwischenmenschlichen Beziehungen. 160 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Denn was ist der Beschwerde tiefster Sinn? Daß der, der sich beschwert, sein Recht haben soll, wo er recht hat. Das ist durch das Beschwerdebuch vollends gesichert. Ein ausländischer Gast beschwerte sich kürzlich darüber, daß eine Delegation zum Frauenkongreß sein Zimmer besetzt hatte. Diese Beschwerde wird jetzt gründlich untersucht und der Verantwortliche gesucht. Dabei ist schon festgestellt worden, daß der Direktor und alle seine Stellvertreter keine Verantwortung tragen, weil sie zur Zeit des Geschehens außer Haus, außer Landes oder außer sich waren. Die Ermittlungen erstrecken sich jetzt auf die Reisegesellschaft IBUSZ. Aber auch da steht es schon fest, daß der Direktor und alle seine Stellvertreter zur Zeit des Geschehens ... usw. Vielleicht lag es gar am eigenmächtigen Handeln der Frauen des Frauenkongresses? Es wird sich herausstellen, daß auch dort alle Geschäftsführerinnen und ihre Stellvertreterinnen zur Zeit.. usw. usf. Aber seien Sie gewiß, lieber ausländischer Gast, daß Sie, wenn Sie schon längst nicht mehr daran denken, einen Brief erhalten, in dem Ihrer Beschwerde in völligem Einklang mitgeteilt wird, daß der Verantwortliche zur Verantwortung gezogen wurde. Und wenn Sie wieder einmal im Lande sind, fragen Sie doch mal nach beim Geschäftsführer, denn ich bin gewiß, daß aus dem Verantwortlichen etwas geworden ist. 161 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Das letzte Wort Als ich schon so einigermaßen sprechen konnte, sagten meine Mitmenschen oft zu mir: „Daß Du immer das letzte Wort haben musst!“ Sie hatten nicht unrecht. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich hatte es wirklich. Und wenn ich manchmal an diese letzten „Worte“ zurückdenke – ich glaube, sie rührten daher, daß mir zum Schluß immer noch etwas einfiel, was ich vergessen hatte. Im Bett oder auf der Treppe beim Nachhause gehen formulierte ich oftmals, was ich eigentlich hätte sagen sollen. Leider ist es mir nicht gegeben, im rechten Augenblick das Rechte, das Treffende zu treffen. Aufrichtig gestanden: meine ganze Bewunderung gilt den Schlagfertigen. Das war ich nie. Für mich geht das Nachdenken übers Vordenken. Darum steht bei mir am Ende jedes Mal der Gedanke: Das hätte ich alles noch viel besser, klarer, schöner, prägnanter ausdrücken sollen. Da ist zum Beispiel dieser Titel: Mitten am Rande – ein bißchen Ungarn. Wird man das nicht falsch verstehen? Etwa so, daß wir mit unsrem Land am Rande stehen? Ich muß also erklären, wie es überhaupt dazu kam, ich meine wie wir soweit gekommen sind. Da waren zuerst unsere Glossen in der „Budapester Rundschau“ unter dem Titel „Diese Ungarn“, einfach deshalb, weil über Schwächen und Stärken der Ungarn schon fast alles gesagt worden war, mir es aber darum ging, die kleinen Geschehnisse am Rande unseres Lebens in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu gesellten sich im Laufe der Zeit die Plaudereien über die ungarische Sprache unter dem Titel „Ein bißchen ungarisch“, die eigentlich von Lesern der „Budapester Rundschau“ angeregt worden waren. So kam es zur Zusammenfassung beider Titel, wobei ich das „ungarisch“ absichtlich in „Ungarn“ umgewandelt habe, weil ich vermeiden wollte, daß der Leser womöglich zu dem Schluß kommt: Aha, das ist wahrscheinlich ein ungarisches Sprachlehrbuch, was soll ich damit!? Denn ich wollte und will mit diesen Plaudereien über die Sprache der Ungarn kein Lehrbuch schreiben, sondern lediglich den Humor aufspüren, der hier seine tiefsten Wurzeln hat. 162 Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Ein bekanntes Sprichwort habe ich einmal so abgewandelt Sage mir, worüber du am liebsten lachst, und ich sage dir, wer du bist. Lachen wird hier groß geschrieben, obwohl es in der Rechtschreibung wie alle Zeitwörter klein steht. Allerdings bedarf es noch zweier Dinge: des Witzes und des Humors. Und da Witz bekanntlich vom Verstand kommt und Humor vom Herzen, muß man beides haben, um von ganzem Herzen mit klarem Verstand lachen zu können. Der große ungarische Klassiker János Arany sagte einmal: „A humor mosolygás könnyek között“ – Humor ist Lächeln unter Tränen – oder an anderer Stelle: „...felhôkrôl visszaverôdô napsugár“ – ein von den Wolken zurückgeworfener Sonnenstrahl. Nun, Wolken gab es an Ungarns tausendjährigem Himmel zur Genüge. Wie kann ein Volk, kaum daß es sich zu einem Staatsgefüge formiert hat, den Mongoleneinfall überstehen, 150 Jahre währende Türkenherrschaft ertragen, jahrhundertelanges Habsburgerjoch dulden, und schließlich – in jüngster Vergangenheit in zwei Weltkriegen verwickelt – alles verlieren, was es in ein paar Friedensjahren gewonnen und aufgebaut hat, wie kann ein solches Volk im Ernst ohne „das Lächeln unter Tränen“, ohne einen „von den Wolken zurückgeworfener Sonnenstrahl“ existieren, weiterleben, überleben? All das durchzustehen kann nur – und das ist meine feste Überzeugung – wer Humor hat, wer ihn spürt oder ihn wenigstens erahnt. Ich sage absichtlich Humor, der vom Herzen kommt. Denn Witz – das ist eine Art Knallbonbon, der erst ungefähr seit der Jahrhundertwende existiert, nachdem sich Budapest zur Großund Weltstadt gemausert hatte. Jener typisch Budapester Witz, von dem man nicht genau weiß, wo er zuerst entstanden ist, in Wien oder in Budapest, hat sich seinen Weg durch die Welt gebahnt, um nach langer Zeit dann in abgewandelter Form plötzlich wieder hier aufzutauchen – als neuester Witz vom Sender Jerewan oder als „echt Berliner“ Witz. Doch damit soll noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Viel wichtiger scheint mir, abschließend sagen zu können, daß wir in den letzten drei Jahrzehnten nach dem totalen Chaos ab und zu wieder lachen konnten, und zwar aus vollem Herzen. So lachen aber kann nur, wer aus tiefstem Herzen zu weinen gelernt hat. 163 Bücher aus dem PESTER LLOYD VERLAG Melancholie des Markknochens Robin Foods gastrosophische Reisen durch das Land der Magyaren Der erste deutschsprachige Restaurantführer Ungarns Der PESTER LLOYD VERLAG, der auch die deutschsprachige Zeitung Ungarns herausgibt, hat den ersten Gastronomieführer des Landes in deutscher Sprache editiert. Es handelt sich dabei um subjektive Eindrücke der Autoren, die seit 1994 im Ungarnlande unterwegs sind, um für die Leserschaft landesweit 99 Restaurants zu entdecken und zu empfehlen. Die Texte sind teils liebevoll und wohlwollend, aber auch kritisch und ironisch geschrieben. Es werden keine Sterne, Hauben oder Kochlöffel vergeben, daür gibt es aber interessante Einblicke in die hiesige Gastronomie und deren überwiegend positive Entwicklung. Natürlich sparen die Autoren auch nicht mit ein paar sarkastischen Tipps, wie man sich z.B. in ungarischen Restaurants als Gast verhalten sollte. Andererseits werden dem Restaurantpersonal in humorvoller Weise Empfehlungen verabreicht, wie sie durch einen mitunter recht eigentümlichen Service ihre Lokale mitunter noch gastfreier gestalten können. In vielen der Restaurant-Kritiken wird der Leser seine Erfahrungen mit der hiesigen Gastronomie sicherlich wiederentdecken. Geschrieben wurde das Buch aber vor allen Dingen, um das zarte Pflänzchen Restaurantkultur in Ungarn weiter zu pflegen und zu hegen sowie von allerlei Wildwuchs und eigenartigen Trieben zu befreien. Darüber hinaus ist das Buch auch eine kurzweilige und unterhaltsame, genießerische Landeskunde mit vielen praktischen Tipps, Hinweisen und Empfehlungen von hier ansässigen deutschsprachigen Zungen, geschrieben für Entdeckungsreisende durch die Höhen und Tiefen der ungarischen Gastronomie. Melancholie des Markknochens Robin Food's gastrosophische Reisen durch das Land der Magyaren Der erste deutschsprachige Restaurantführer Ungarns Pester Lloyd Verlag Budapest, 2002 250 Seiten, Hartdeckeleinband ISBN 963-8116-4 Preis: 4.500 Forint Bücher aus dem PESTER LLOYD VERLAG Träume deutsch – mit ungarischen Untertiteln Georg Kövary Kaffeehaus-Geschichten Georg Kövary alias Eric Corda wurde am 21. Februar 1922 in Budapest wahrscheinlich schon zweisprachig geboren, hat in Ungarn und in Berlin gelebt, geliebt, geschrieben und ist 1956 unwiederbringlich nach Wien abgehauen. Davor und danach hat er, hier wie dort, hauptsächlich in Kaffeehäusern herumgesessen, die nach eigenem Eingeständnis schon immer ein essentieller Teil seines Lebens waren, sein zweites Zuhause - obwohl er schon als Dreikäsehoch zum ersten Mal von einem renommierten Kaffeehaus mit Lokalverbot belegt wurde. In diesen letzten Refugien der k.u.k.-Zeit hat Kövary viele seiner Werke geschrieben, viele bekannte oder durch ihn bekannt gewordene Persönlichkeiten getroffen sowie über Gott, die Welt und über sich schreibend nachgedacht. Seine biographischen Notizen, die nun als Kaffeehaus-Geschichten in diesem Büchlein vorliegen, sind somit eine Art Melange eines auf wunderbare Weise aufregenden Lebens, um das ihn so mancher beneiden dürfte. Da er seine Lebensgeschichte auf den folgenden Seiten in kleinen Geschichten selbst erzählen wird, wollen wir uns biographische Daten über den Dichter, Journalisten, Kinderbuch-, Hörspiel-, Drehbuchautor, Musicallibrettisten und Feuilletonisten, den Romancier, Filmdramaturgen und Theaterstückeschreiber, Übersetzer, Kabarett-TexteVerfasser, Conferencier, Kinonarren, Jazzfan, Hobbyschauspieler, Theaterund Konzertmanager, Musikliebhaber... – und PESTER LLOYD Autor Prof. Kövary ersparen. "Träume deutsch - mit ungarischen Untertiteln" Georg Kövary, Kaffeehaus-Geschichten Pester Lloyd Verlag, Budapest, 2002. 250 Seiten, Hartdeckeleinband ISBN 963 009529-7 Preis: 2.500,- Forint auch in ungarischer Sprache erhältlich Für die Unterstützung bei der Herausgabe dieses Buches bedanken wir uns bei: HUNGARY PROMOTERS & ADVISORS Hergestellt in der Gyomaer Kner Druckerei Rt im 120. Jahr nach der Gründung der Druckerei Verantwortlicher Direktor: Lajos Papp Telefon/Fax: (66) 386-211 E-Mail: knergyoma@bekes.hungary.net