rohstoffmärkte unter preisdruck

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rohstoffmärkte unter preisdruck
ROHSTOFFMÄRKTE UNTER PREISDRUCK
VOLATILE ROHSTOFFPREISE, FINANZMÄRKTE UND
AUSWIRKUNGEN AUF PRODUZENTiNNEN DES FAIREN HANDELS ANHAND DER BEISPIELE KAFFEE UND WEIZEN
HINTERGRUNDPAPIER
Teil 1: Rohstoffpreise und Finanzmärkte: Cornelia Staritz, Österreichische
Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE)
Teil 2: Fairer Handel in Zeiten volatiler Preise – ein Bericht aus der Praxis:
Andrea Reitinger, EZA Fairer Handel
Wien, Juni 2012
HerausgeberIn
Wisenschaftliche Beratung: Österreichische Forschungsstiftung für Internationale
Entwicklung (ÖFSE)
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INHALTSVERZEICHNIS
Zusammenfassung ................................................................................................................... 3
Einleitung und Überblick........................................................................................................... 5
TEIL 1: Rohstoffpreise und Finanzmärkte ................................................................................ 7
1. Entwicklung von Rohstoffpreisen ......................................................................................... 7
2. Funktionsweise von und AkteurInnen auf Rohstoff-märkten ................................................ 8
3. Bestimmungsfaktoren von Rohstoffpreisen ........................................................................ 10
4. Fallbeispiele: Kaffee und Weizen ....................................................................................... 12
5. Politische Empfehlungen .................................................................................................... 17
TEIL 2: Fairer Handel in Zeiten volatiler Preise – ein Bericht aus der Praxis ......................... 21
1. Von Talfahrt und Höhenflug der Kaffeepreise .................................................................... 21
2. Positive Effekte und Herausforderungen............................................................................ 22
3. Hochpreisphasen nützen – Pflanzungen erneuern ............................................................ 26
4. Fairer Handel erschöpft sich nicht an der Preisfrage ......................................................... 27
Literatur .................................................................................................................................. 29
Das Forum Fairer Handel ist ein Netzwerk von Organisationen der Zivilgesellschaft und AkteurInnen des Fairen Handels mit dem Ziel, durch die Bündelung von Kompetenzen und
Strategien den Fairen Handel zu fördern und ihm in der Öffentlichkeit ein größeres Gewicht
zu verleihen.
Das Forum Fairer Handel übt Kritik am dominanten globalen Wirtschafts- und Handelsmodell, das für viele Menschen vor allem im globalen Süden ein würdiges Leben und Arbeiten
unmöglich macht, und tritt für Gerechtigkeit in Handel und Wirtschaft ein. Das Forum fördert
den Fairen Handel als Modell, das aufzeigt, wie gerechte und partnerschaftliche Handelsbeziehungen und würdige Arbeitsbedingungen möglich sind, und entwickelt den Fairen Handel
und die für ihn nötigen Strukturen weiter.
Die Mitglieder des Forums sind die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Weltläden, die Dreikönigsaktion – Hilfswerk der Katholischen Jungschar, die EZA Fairer Handel, FAIRTRADE Österreich, FIAN Österreich (Food First Informations- und Aktionsnetzwerk), OIKOCREDIT und
Südwind.
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Zusammenfassung
Seit 2002 steigen die Preise von Rohstoffen aller Art – Agrarrohstoffen, Energierohstoffen
und Metallen. Nach dem vorläufigen Höhepunkt Mitte 2008 brachen die Preise in der zweiten
Jahreshälfte ein, bevor sie 2009 erneut zu steigen begannen und im Sommer 2011, insbesondere für Agrarrohstoffe und Metalle, ein Rekordhoch erreichten. Ungeachtet ihrer hohen
Volatilität bleiben viele Rohstoffpreise weit über ihrem historisch durchschnittlichen Niveau.
Sogenannte Entwicklungsländer sind von diesen Preisentwicklungen besonders betroffen,
da sie häufig auf der Import- und/oder Export-Seite von Rohstoffen abhängig sind, was am
deutlichsten durch die Nahrungsmittelkrisen in den letzten Jahren mit ihren weitreichenden
sozialen und ökonomischen Folgen wurde. Die Frage nach den Ursachen dieser Preisentwicklungen und nach Regulierungsmöglichkeiten von Rohstoffmärkten, um Rohstoffpreise zu
stabilisieren und die ökonomische und soziale Entwicklung von Rohstoff importierenden sowie exportierenden Ländern zu gewährleisten sind daher aus entwicklungspolitischer Sicht
zentral.
Die derzeitigen Rohstoffpreisentwicklungen spiegeln tiefgreifende Veränderungen auf der
fundamentalen Angebots- und vor allem Nachfrageseite von vielen Rohstoffen wider. Das
rasante Wachstum von China und anderen Schwellenländern hat zu einem Anstieg ihrer
Nachfrage nach Rohstoffen geführt – für Investitionen in die Infrastruktur, für Inputs in die
Industrieproduktion, für sich ändernde Ernährungsgewohnheiten (vor allem die Zunahme von
Fleischkonsum), und für den wachsenden Verbrauch von Energie. Weiters fördern Regierungen, darunter die USA, die EU und Brasilien, die Entwicklung von Agrartreibstoffen, was
zu einer Verschiebung der Anbauflächen und Verwendung von landwirtschaftlicher Produktion führte. Auf der Angebotsseite verzeichnen einige Rohstoffe Versorgungsengpässe aufgrund von Angebotsengpässen und geringer Investitionen in den vorangegangenen zwei
Jahrzehnten.
Diese Veränderungen in den fundamentalen Marktdaten spielen eine wesentliche Rolle für
bestimmte Rohstoffe, vor allem was länger- und mittelfristige Rohstoffpreisentwicklungen
betrifft; Fundamentaldaten alleine können aber nicht die starken kurzfristigen Schwankungen
vor allem den Boom-Bust-Boom-Zyklus zwischen 2007 und 2011 erklären. Die Preise vieler
unterschiedlicher Rohstoffe verzeichneten sehr ähnliche Preisentwicklungen in den letzten
Jahren, was eine Erklärung, die nur auf fundamentalen Faktoren beruht, fraglich macht. Daten zu globaler Produktion, Konsum und Lagerbeständen für verschiedene Rohstoffe können
nicht allein die Entwicklung der Preise und vor allem die großen Schwankungen in den letzten Jahren erklären. Zum Beispiel nahm der Pro-Kopf Konsum von Öl zwar seit Mitte der
1990er-Jahre zu; während des starken Ölpreis-Anstiegs zwischen 2005 und Mitte 2008 stiegen jedoch die weltweiten Vorräte und die Öl-Produktion und die Nachfrage stagnierte bzw.
nahm später sogar ab. Eine Erklärung, die ausschließlich auf fundamentalen Faktoren basiert, kann auch nicht erklären, warum die Preise in der zweiten Jahreshälfte 2008 stark einbrachen.
Neben diesen fundamentalen Erklärungen haben Entwicklungen auf den Finanzmärkten einen wesentlichen Einfluss auf Rohstoffpreise. Seit 2002 hat sich die Struktur dieser Märkte
durch die zunehmende Bedeutung von FinanzinvestorInnen wie Banken, institutionelle Investoren und Hedge Fonds, die auf Rohstoffpreise spekulieren, drastisch verändert. Das
Handelsvolumen auf Rohstoff-Derivatmärkten und der Anteil von Rohstoffderivaten, der von
FinanzinvestorInnen gehalten wird, sind seit 2005 stark gestiegen. Für wichtige RohstoffTerminmärkte in den USA wird der Anteil von FinanzinvestorInnen Mitte 2008 auf zwischen
20 und über 60% der gesamten offenen Positionen geschätzt. Diese parallele Entwicklung
von Finanzinvestitionen und Rohstoffpreisen in Derivatmärkten ist ein Indikator für die Rolle
von spekulativen Handelsstrategien in der Preisentwicklung von Rohstoffen.
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Die ProduzentInnen des Fairen Handels sind von den Schwankungen auf den Rohstoffmärkten mehrfach betroffen – als VerbraucherInnen von Lebensmitteln ebenso wie als ExporteurInnen zumeist landwirtschaftlicher Produkte. Starke und kurzfristige Preisschwankungen wie
in den letzten Jahren beim Rohstoff Kaffee stellen die kleinbäuerlichen Organisationen vor
Herausforderungen. Sie müssen einem verstärkten Wettbewerbsdruck vonseiten der ZwischenhändlerInnen standhalten, einen erhöhten Finanzierungsbedarf decken und in der Lage sein, Preisrisiken abzusichern, um weder den inneren Zusammenhalt der Genossenschaften noch ihre eingegangenen Lieferverpflichtungen zu gefährden. Die höheren Preise
für ihr Exportprodukt sorgen andererseits für ein höheres Einkommen und ermöglichen wichtige Investititionen, dürfen jedoch mit Blick auf die parallel gestiegenen Lebenshaltungs- und
Produktionskosten auch nicht überschätzt werden.
Sowohl zu niedrige als auch spekulativ getriebene, oft kurzfristige Spitzenpreise gehen an
der Zielsetzung, die Fairer Handel verfolgt, vorbei: Den ProduzentInnen Rahmenbedingungen zu sichern, die eine sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Produktion erlauben, und Handelspartnerschaften zu fördern, die die Rolle kleinbäuerlich strukturierter Organisationen als zentrale AkteurInnen in zumeist landwirtschaftlichen Sektoren wie Kaffee stärken.
Politisch besteht ein relativ breiter Konsens gegen „exzessive Spekulation“ auf RohstoffDerivatmärkten. Konkrete Schritte lassen aber auf internationaler Ebene auf sich warten. In
der EU werden gerade Reformen im Rahmen der Überarbeitung der Regulierung für Finanzinstrumente (Markets in Financial Instruments Directive – MiFID) diskutiert. Der Vorschlag
beinhaltet einige wesentliche Regulierungen und wäre ein wichtiger erster Schritt, aber nicht
ausreichend. Um Rohstoffpreise zu stabilisieren und die negativen Auswirkungen des Rohstoffpreisbooms auf Entwicklungsländer einzudämmen, sind weitere Reformen erforderlich.
In einem ersten Schritt ist es notwendig, das Funktionieren der Rohstoff-Derivatmärkte im
Interesse kommerzieller HändlerInnen sicherzustellen, um ihre fundamentale Rolle als verlässliche Preissignale und zur Risikoabsicherung zu gewährleisten.
Im Bereich der Regulierung von Rohstoff-Derivatmärkten sind folgende Schritte notwendig:
-
Reduktion des weitgehend unregulierten außerbörslichen (OTC) Handels und Zurückholen des Handels an regulierte, transparente und öffentliche Börsen (Rohstoffterminmärkte),
-
Erhöhung der Transparenz von Fundamentaldaten und zu Positionen von unterschiedlichen Händlerklassen auf Rohstoffderivatmärkten als Voraussetzung für effektive, strenge und einheitliche Regulierung (strenge Melde- oder Berichtspflichten mit öffentlichen
Berichten),
-
Einführung von Positionslimits für nicht-kommerzielle und gegebenenfalls auch kommerzielle HändlerInnen und aggregiert für Händlerklassen wie Indexinvestoren und Hedge
Fonds, um exzessive Spekulation zu verhindern,
-
Einführung einer mehrstufigen Transaktionssteuer auf den Handel mit Rohstoffderivaten,
um spekulative Handelsaktivitäten zu reduzieren und Preise zu stabilisieren,
-
Schaffung einer Global Intelligence Unit im Rahmen der Vereinten Nationen, die Rohstoffderivatmärkte überwacht sowie Regulierungen auf nationaler Ebene koordiniert.
-
Verbot von Spekulation mit Nahrungsmitteln durch sehr strenge Positionslimits für nichtkommerzielle und gegebenenfalls auch kommerzielle HändlerInnen bis hin zum Verbot
von FinanzinvestorInnen auf Agrarrohstoff-Derivatmärkten
Die österreichische Bundesregierung ist aufgefordert, sich für die Regulierung der Rohstoffderivatmärkte und die oben genannten Reformen nachdrücklich im Rahmen der EU und der
Vereinten Nationen einzusetzen.
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Einleitung und Überblick
Seit 2002 steigen die Preise von Rohstoffen aller Art – Agrarrohstoffen, Energierohstoffen
und Metallen. Nach dem vorläufigen Höhepunkt Mitte 2008 brachen die Preise in der zweiten
Jahreshälfte ein, bevor sie 2009 erneut zu steigen begannen. In der Folge kletterten insbesondere Preise für Agrarrohstoffe und Metalle im Sommer 2011 auf ein Rekordhoch. Ungeachtet ihrer hohen Volatilität bleiben viele Rohstoffpreise weit über ihrem historisch durchschnittlichen Niveau.
Diese Entwicklungen sind sehr gut am Beispiel Kaffee – der ÖsterreicherInnen liebstes Getränk – zu sehen. Die Weltmarktpreise für Kaffee erreichten 2011 Spitzenwerte. Kaffe ist in
den letzten Jahren spürbar teurer geworden - im konventionellen Handel ebenso wie im Fairen Handel. Diese Preissteigerungen betreffen aber nicht nur Genussmitteln sondern auch
Grundnahrungsmittel wie Weizen. Während hierzulande für die Tasse Kaffee ein paar Cent
mehr bezahlt werden müssen, fragen sich anderswo Menschen wie sie sich ihren Weizen für
die Grundversorgung leisten können.
Sogenannte Entwicklungsländer sind von diesen Preisentwicklungen besonders betroffen,
da sie häufig auf der Import- und/oder Export-Seite von Rohstoffen abhängig sind. Rohstoffpreise haben massive Auswirkungen auf Entwicklungsländer, die von Nahrungsmittel- und
Energieimporten abhängig sind. Zwei Drittel der Entwicklungsländer sind Netto-Importeure
von Grundnahrungsmitteln, aber auch in Entwicklungsländern, wo Importe nur einen kleinen
Anteil am Nahrungsmittelkonsum ausmachen, haben globale Rohstoffpreise einen bedeutenden Einfluss auf lokale Märkte und Preise. Am deutlichsten wurde dies in den letzten Jahren durch die Nahrungsmittelkrisen mit ihren weitreichenden sozialen und ökonomischen
Folgen.
Für Haushalte in Entwicklungsländern, die zwischen 50% und 90% ihrer Einkommen für
Nahrungsmittel ausgeben (im Vergleich zu 10% bis 15% in Industrieländern), bedeuten hohe
Preise einseitige und weniger nahrhafte Nahrung, den Verkauf von Eigentum (z.B. Land und
Vieh) und die Einschränkung bei Ausgaben für Gesundheit oder Bildung (World Development Movement 2010: 5). Frauen sind als Hauptverantwortliche für die Ernährung der Familien von den Preissteigerungen besonders betroffen. In weiterer Folge sind es vor allem Kinder, denen Chancen auf ein gesundes und würdiges Leben verstellt werden.
Aber auch ohne akute Krisen haben Rohstoffpreise Auswirkungen auf wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten und makroökonomische Indikatoren wie Leistungsbilanz, öffentliche
Finanzen, Inflation und Wechselkurse. Während steigende Importpreise zu Problemen führen, können rohstoffexportierende Entwicklungsländer auch profitieren. Dennoch bleibt die
hohe Volatilität eine zentrale Herausforderung und unterstreicht die Verwundbarkeit von
Rohstoff-abhängigen Ökonomien.
Häufig werden als Ursachen für diese Preisentwicklungen die steigende Nachfrage von
Schwellenländern, die Verwendung von agrarischen Rohstoffen als Treibstoff (Agrartreibstoffe), Angebotsengpässe durch fehlende Investitionen und unzureichende Produktivitätsfortschritte sowie schlechte Ernten u.a. in Folge des Klimawandels angeführt. Neben diesen
fundamentalen Erklärungen haben aber auch Entwicklungen auf den Finanzmärkten einen
wesentlichen Einfluss auf Rohstoffpreise. Seit 2002 hat sich die Struktur dieser Märkte durch
die zunehmende Bedeutung von FinanzinvestorInnen wie Banken, institutionelle Investoren
und Hedge Fonds, die auf Rohstoffpreise spekulieren, drastisch verändert.
Die ProduzentInnen des Fairen Handels sind von den Schwankungen auf den Rohstoffmärkten mehrfach betroffen – als VerbraucherInnen von Lebensmitteln ebenso wie als ExporteurInnen von zumeist landwirtschaftlichen Produkten. Starke und kurzfristige Preisschwankun5
gen wie in den letzten Jahren beim Rohstoff Kaffee stellen die kleinbäuerlichen Organisationen vor Herausforderungen. Sie müssen einem verstärkten Wettbewerbsdruck vonseiten der
ZwischenhändlerInnen standhalten, einen erhöhten Finanzierungsbedarf decken und in der
Lage sein, Preisrisiken abzusichern, um weder den inneren Zusammenhalt der Genossenschaften noch ihre eingegangenen Lieferverpflichtungen zu gefährden. Die höheren Preise
für ihr Exportprodukt sorgen andererseits für ein höheres Einkommen und ermöglichen wichtige Investititionen, dürfen jedoch mit Blick auf die parallel gestiegenen Lebenshaltungs- und
Produktionskosten auch nicht überschätzt werden.
Sowohl zu niedrige als auch spekulativ getriebene, oft kurzfristige Spitzenpreise gehen an
der Zielsetzung, die Fairer Handel verfolgt, vorbei: Den ProduzentInnen Rahmenbedingungen zu sichern, die eine sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Produktion erlauben, und Handelspartnerschaften zu fördern, die die Rolle kleinbäuerlich strukturierter Organisationen als zentrale AkteurInnen in zumeist landwirtschaftlichen Sektoren wie Kaffee stärken.
Diese Veränderungen der Struktur von Rohstoffmärkten, ihre Auswirkungen auf Preisentwicklungen sowie in Folge auf ProduzentInnen und KonsumentInnen von Rohstoffen in Entwicklungsländern und vor allem von ProduzentInnen des Fairen Handels werden in diesem
Hintergrundpapier analysiert. Als Referenzbeispiel werden die Rohstoffe Kaffee und Weizen
herangezogen. Das Papier besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werden Rohstoffpreisentwicklungen, die Funktionsweise von und AkteurInnen auf Rohstoffmärkten und Bestimmungsfaktoren von Rohstoffpreisen diskutiert sowie politische Empfehlungen zur Regulierung von Rohstoff-Derivatmärkten gegeben. Im zweiten Teil werden Auswirkungen auf ProduzentInnen des Fairen Handels beleuchtet. Im Besonderen stehen folgende Fragen im Mittelpunkt:
-
Wie haben sich Rohstoffpreise in den letzten Jahren entwickelt (Teil 1, Kapitel 1)?
-
Wie funktionieren Rohstoffmärkte und wie haben sich diese Märkte im letzten Jahrzehnt
durch die steigende Bedeutung von FinanzinvestorInnen verändert? (Teil 1, Kapitel 2)
-
Welche Rolle spielt die Spekulation von FinanzinvestorInnen bei den derzeitigen Rohstoffpreisentwicklungen und welche anderen Ursachen sind für die Preissteigerungen relevant? (Teil 1, Kapitel 3 und 4)
-
Welche Regulierungsmöglichkeiten von Rohstoffmärkten gibt es, um Rohstoffpreise zu
stabilisieren und die ökonomische und soziale Entwicklung von Rohstoff importierenden
sowie exportierenden Ländern zu gewährleisten? (Teil 1, Kapitel 5)
-
Was bedeuten diese Entwicklungen für den Fairen Handel? (Teil 2)
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TEIL 1: Rohstoffpreise und Finanzmärkte
Cornelia Staritz,
Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE)
1. Entwicklung von Rohstoffpreisen
Bei der Preisentwicklung von Rohstoffen sind das Preisniveau und die Volatilität von Bedeutung. Im letzten Jahrzehnt sind die nominellen Preise vieler wichtiger Rohstoffe stark angestiegen und verbleiben weit über ihrem historisch durchschnittlichen Niveau, was als Rohstoffpreisboom beschrieben wird (Abbildung 1). Es gibt Diskussionen, ob diese hohen Preise
eine zyklische Veränderung darstellen wie in den 1950er- und 1970er-Jahren oder eine
strukturelle Veränderung, die mit einer permanenten Veränderung in der Nachfrage nach
Rohstoffen und angebotsseitigen Engpässen verbunden sind (Morris et al. 2011; Nissanke
2011).
Hohe Preisvolatilität ist nicht neu auf Rohstoffmärkten und steht im Zusammenhang mit spezifischen Charakteristika von Rohstoffen wie niedrige kurzfristige Angebots- und Nachfrageelastizitäten. Dies bedeutet, dass Produktions- oder Nachfrageschocks (die bei vielen Rohstoffen häufig auftreten) zu starken Preisschwankungen führen, da sich Angebot und Nachfrage nicht schnell anpassen können (UNCTAD 2010). Der jüngste Boom-Bust-Boom-Zyklus
zwischen 2008 und 2011 ist aber außergewöhnlich hinsichtlich der kurzen Dauer des Aufund darauffolgenden Ab- und erneuten Aufschwungs, der starken Preisausschläge und der
großen Anzahl von Rohstoffen unterschiedlicher Art, die von diesen Preisentwicklungen betroffen sind (UNCTAD 2011).
Abbildung 1: Monatliche nominelle Rohstoffpreisindizes (1960-2011)
Quelle: UNCTAD Stat (2012)
Note: Free market commodity price indices; January 1960-November 2011; Prices are in current US$; 2000=100.
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2. Funktionsweise von und AkteurInnen auf Rohstoffmärkten
Rohstoffe werden auf Rohstoff-Spotmärkten und Rohstoff-Derivatmärkten gehandelt: Spotoder auch physische Märkte sind Märkte, in denen physische Rohstoffe mit sofortiger Lieferung zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen (wie BäuerInnen, VerarbeiterInnen und
GroßhändlerInnen) gehandelt werden. Rohstoff-Derivate sind Kontrakte, die InhaberInnen
das Recht oder die Verpflichtung geben, einen physischen Rohstoff in der Zukunft zu einem
bestimmten Preis zu handeln. Transaktionen auf beiden Märkten können entweder an regulierten Börsen oder ungeregelt Over the Counter (OTC) bilateral zwischen zwei Parteien
stattfinden (TheCityUK 2011). Börsen für Rohstoffderivate werden Rohstoff-Terminmärkte
genannt.
Derivatmärkte bieten zwei wichtige Funktionen für ProduzentInnen und KonsumentInnen von
physischen Rohstoffen (Masters/White 2008): erstens, die Preisfindungsfunktion, da die
Preise auf Derivatmärkten als Benchmark für viele physische Rohstoffpreise verwendet werden, da Spot-Märkte oft geographisch gestreut sind und deren Preise erheblich voneinander
abweichen können. Zweitens, die Versicherungsfunktion, da sich physische MarktteilnehmerInnen auf Derivatmärkten gegen das Risiko von Preisschwankungen absichern können. In
den 1950er- und 1960er-Jahren existierten andere Instrumente zur Preisregulierung und absicherung wie Lagerhaltung und Exportquoten im Rahmen von International Commodity
Agreements (ICAs) und nationale Commodity-Boards oder Stabilization Funds. Aber in den
1970er- und 1980er-Jahren wurden solche Institutionen weitgehend abgebaut und Derivatmärkte übernahmen diese Funktionen.
AkteurInnen auf Rohstoff-Derivatmärkten können in drei Kategorien eingeteilt werden. Die
erste Kategorie sind kommerzielle HändlerInnen, d.h. ProduzentInnen und KonsumentInnen
von physischen Rohstoffen, die sich auf den Derivatmärkten absichern. Die zweite Kategorie
sind nicht-kommerzielle HändlerInnen, die nicht über eine zugrunde liegende physische
Rohstoff-Position verfügen, sondern (gegen eine Prämie) das Preisrisiko von kommerziellen
HändlerInnen übernehmen und darauf hoffen, von Preisentwicklungen zu profitieren. Da im
Gegensatz zu anderen Finanzinvestitionen bei Rohstoff-Derivaten keine Zinsen, Renten oder
Dividenden anfallen, ist der einzige Gewinn, den ein/e HändlerIn erzielen kann, eine vorteilhafte Preisentwicklung. Deshalb ist das Handeln von Derivaten, das nicht der Absicherung
einer zugrunde liegenden physischen Position dient, immer Spekulation (Masters/While
2008). SpekulantInnen agieren entweder auf Grundlage von Informationen über Fundamentaldaten oder verwenden technische Handelssysteme, die zukünftige Preise aufgrund von
vergangenen Preisen oder komplizierteren Preismustern vorherzusagen versuchen (Gilbert
2008, 2010). Bis vor Kurzem dominierten die sogenannten fundamentaldaten-getriebenen
SpekulantInnen auf den meisten Rohstoff-Derivatmärkten (Masters/White 2008).
AkteurInnen auf Rohstoff-Derivatmärkten:
1. Kommerzielle HändlerInnen sind ProduzentInnen und KonsumentInnen von physischen
Rohstoffen, die sich auf den Derivatmärkten absichern.
2. Nicht-kommerzielle HändlerInnen übernehmen (gegen eine Prämie) das Preisrisiko von
kommerziellen HändlerInnen und hoffen darauf, von Preisentwicklungen zu profitieren.
3. FinanzinvestorInnen, wie Banken, institutionelle Anleger und Hedge Fonds, sehen Rohstoffderivate als Anlagemöglichkeiten neben Aktien, Anleihen und Immobilien.
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Seit den 1990er-Jahren und insbesondere seit den frühen 2000er-Jahren ist eine dritte Kategorie von AkteurInnen auf den Rohstoff-Derivatmärkten wichtig geworden: FinanzinvestorInnen. Banken, institutionelle Anleger und Hedge Fonds, haben Rohstoffderivate als neue Anlagemöglichkeiten – neben Aktien, Anleihen und Immobilien – im Zuge der Dot-Com-Krise
(2000/01) sowie der globalen Finanzkrise (2008/09) für sich entdeckt (Gilbert 2008, 2010;
Mayer 2009; UNCTAD 2009). Die zunehmende Bedeutung von FinanzinvestorInnen steht in
engem Zusammenhang mit Deregulierungen auf Derivatmärkten, der Entstehung neuer Anlageinstrumente und der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten. Der Begriff Finanzialisierung beschreibt diese zunehmende Bedeutung von FinanzinvestorInnen und Dynamiken auf
Finanzmärkten in Rohstoffmärkten.
Der Begriff Finanzialisierung beschreibt diese zunehmende Bedeutung von FinanzinvestorInnen und Dynamiken auf Finanzmärkten in Rohstoffmärkten.
FinanzinvestorInnen können unterteilt werden in jene mit längeren Zeithorizonten und jenen
mit kurzfristigen Horizonten (Farooki/Kaplinsky 2011; UNCTAD 2011).
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Die erste Gruppe besteht aus Indexinvestoren. Indexinvestoren sind institutionelle Anleger wie Pensionsfonds, Sovereign Wealth Funds, öffentliche und private Stiftungen und
Lebensversicherungen, die passive Handelsstrategien verfolgen. Sie bilden RohstoffIndizes nach, die die Preisentwicklung von mehreren Rohstoffen in einem Index zusammenfassen, und setzen auf langfristig steigende Preise (Masters/White 2008). FinanzinvestorInnen gehen dabei eine Vereinbarung (meistens einen OTC-Swap1) mit einer
Bank ein, bei der die Bank aktiv den Rohstoffindex nachbildet und ihre Swap-Geschäfte
auf den Terminmärkten absichert. Die vier größten sogenannten Swap-HändlerInnen im
Jahr 2008 waren Goldman Sachs, Morgan Stanley, JP Morgan und Barclays Bank, die
rund 70% der Rohstoff-Index-Swaps Positionen hielten (Masters/White 2008). Die beiden größten Rohstoff-Indizes sind der Standard & Poor’s Goldman Sachs Commodity
Index (S&P GSCI) und der Dow Jones-Union Bank of Switzerland Commodity Index (DJUBSCI) (siehe Abbildung 2). Die Deutsche Bank ist auch ein wichtiger Player auf Rohstoffderivatmärkten – sie ist nicht nur die Nr. 1 in Deutschland, sondern sie gehört auch
zu den führenden Banken bzw. Finanzakteuren im globalen Rohstoffhandel (Weed
2011).
Die zweite Gruppe von FinanzinvestorInnen sind Money Managers, die mit viel kürzeren
Zeithorizonten agieren und die aktiv auf steigende und fallende Rohstoffpreise spekulieren (Farooki/Kaplinsky 2011). Ihre Investitionen sind in der Regel kleiner, zeichnen sich
durch die Häufigkeit der Transaktionen aus und basieren auf unterschiedlichen Computer-basierte technischen Handelssystemen.
FinanzinvestorInnen:
1. Indexinvestoren sind institutionelle Anleger wie Pensionsfonds, Sovereign Wealth Funds,
öffentliche und private Stiftungen und Lebensversicherungen, setzen mit Rohstoff-Indizes,
die die Preisentwicklung von mehreren Rohstoffen in einem Index zusammenfassen, auf
langfristig steigende Preise.
2. Money Managers agieren mit viel kürzeren Zeithorizonten und spekulieren aktiv auf steigende und fallende Rohstoffpreise.
1
Derivate auf Terminmärkten können in Futures, Options und Swaps unterschieden werden. Futures beinhalten die Verpflichtung zu einem bestimmten Preis in der Zukunft einen physischen Rohstoff zu handeln; Options das Recht. Swaps beinhalten eine Vereinbarung, an zukünftigen Zeitpunkten vertraglich definierte Zahlungsströme auszutauschen (Zahlungsausgleich) – zum Beispiel der Zinssatz einer U.S. Anleihe gegen die
Preissteigerung eines Rohstoff-Indexes.
9
3. Bestimmungsfaktoren von Rohstoffpreisen
In der wissenschaftlichen Diskussion gibt es keinen Konsens über die Ursachen der derzeitigen Rohstoffpreisentwicklungen. Es herrscht zwar Einigkeit darüber, dass fundamentale Angebots- und Nachfragefaktoren eine wichtige Rolle bei der Rohstoffpreisbildung spielen. Bezüglich der Rolle von FinanzinvestorInnen und ihren Handelsstrategien gehen die Meinungen jedoch auseinander. Dieser Dissens ergibt sich aus der unterschiedlichen Sicht auf die
Funktionsweise von Märkten, wobei die Efficient Market Hypothese und die Finanzialisierungs-Hypothese unterschieden werden können.
Die Erste geht davon aus, dass Märkte effizient funktionieren und MarktteilnehmerInnen rational agieren, Marktfundamentaldaten umgehend absorbiert und verarbeitet werden und daher Rohstoffpreise fast ausschließlich von fundamentalen Faktoren bestimmt werden. Zweitere geht davon aus, dass auch nicht-fundamentale Faktoren einen wesentlichen Einfluss auf
Rohstoffpreise ausüben, da Preise von den Erwartungen, Verhaltensweisen und Interaktionen von heterogenen HändlerInnen bestimmt werden (Schulmeister 2009; Nissanke 2011).
Ob Rohstoffmärkte effizient funktionieren, hängt davon ab, ob die Märkte von informierten
HändlerInnen, deren Verhalten auf Fundamentaldaten basiert, oder von noise und uninformierten HändlerInnen, deren Handelsstrategien auf (Pseudo-)Signalen, Veränderungen in
Erwartungen und Herdenverhalten basieren, dominiert werden. Laut der FinanzialisierungsHypothese kann noise und uninformed trading mit Herdenverhalten kombiniert zu erhöhten
kurzfristigen Preisschwankungen und zu einem Überschießen der Preise führen.
Im Bezug auf diese beiden Hypothesen können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden, die im nächsten Teil für Weizen und Kaffee genauer diskutiert werden: Die derzeitigen
Rohstoffpreisentwicklungen spiegeln tiefgreifende Veränderungen auf der fundamentalen
Angebots- und Nachfrageseite von vielen Rohstoffen wider. Im Gegensatz zu früheren
Preiszyklen, die vor allem durch angebotsseitige Schocks (z.B. Ernteausfälle) ausgelöst
wurden, sind die Veränderungen im letzten Jahrzehnt weitgehend durch nachfrageseitige
Faktoren bestimmt (Kaplinsky 2010; Nissanke 2011). Das rasante Wachstum von China und
anderen Schwellenländern hat zu einem Anstieg ihrer Nachfrage nach Rohstoffen geführt –
für Investitionen in die Infrastruktur, für Inputs in die Industrieproduktion, für sich ändernde
Ernährungsgewohnheiten (vor allem die Zunahme von Fleischkonsum), und für den wachsenden Verbrauch von Energie (Farooki/Kaplinsky 2011). Weiters fördern Regierungen, darunter die USA, die EU und Brasilien, die Entwicklung von Agrartreibstoffen, was vor allem bei
Mais zu einer Verschiebung der Anbauflächen und Verwendung von landwirtschaftlicher
Produktion führte.
Auf der Angebotsseite gibt es auch einige gemeinsame Entwicklungen. Mineralien, Metalle
und Öl verzeichneten Versorgungsengpässe aufgrund von Angebotsengpässen und geringer
Investitionen in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten. Im Bereich der Landwirtschaft
stagnierten die Produktion und Produktivität in vielen Entwicklungsländern seit den 1980erJahren aufgrund der Erschöpfung der Böden und negativer Auswirkungen des Klimawandels
sowie Mangel an öffentlichen und privaten Investitionen (OECD/FAO 2009; Weltbank 2007).
Weiters fokussierten exportorientierte Entwicklungsstrategien auf die Produktion von Cash
Crops zulasten der Produktion von Grundnahrungsmittel und nationaler Ernährungssouveränität (Gosh 2010).
Diese Veränderungen in den fundamentalen Marktdaten spielen eine wesentliche Rolle für
bestimmte Rohstoffe, vor allem was länger- und mittelfristige Rohstoffpreisentwicklungen
betrifft; Fundamentaldaten alleine können aber nicht die starken kurzfristigen Schwankungen
vor allem den Boom-Bust-Boom-Zyklus zwischen 2007 und 2011 erklären. Die Preise vieler
unterschiedlicher Rohstoffe verzeichneten sehr ähnliche Preisentwicklungen in den letzten
Jahren, was eine Erklärung, die nur auf fundamentalen Faktoren beruht, fraglich macht. Zwar
existieren gemeinsame fundamentale und makroökonomische Entwicklungen, aber daneben
10
gibt es auch Rohstoff-spezifische angebots- und nachfrageseitige Entwicklungen, die nicht
im Einklang mit dieser starken Parallel-Bewegung stehen.
Daten zu globaler Produktion, Konsum und Lagerbeständen für verschiedene Rohstoffe
können nicht allein die Entwicklung der Preise und vor allem die großen Schwankungen in
den letzten Jahren erklären. Der Pro-Kopf Konsum von Öl nahm zum Beispiel seit Mitte der
1990er-Jahre zu, aber während des starken Ölpreis-Anstiegs zwischen 2005 und Mitte 2008
stiegen die weltweiten Vorräte und Öl-Produktion und die Nachfrage stagnierte und nahm
später ab (Schulmeister 2009; Frenk 2010). Der Pro-Kopf Konsum von Weizen und Reis
stagnierte in den letzten zwanzig Jahren. Der Konsum von Mais nahm seit den späten
1990er-Jahren zu, was durch Agrartreibstoffe zu erklären ist, aber auch bei Mais nahm der
Konsum im Jahr 2007 und 2008 nicht signifikant zu, als die Preise ihren Höhepunkt erreichten.
Eine Erklärung, die ausschließlich auf fundamentalen Faktoren basiert, kann auch nicht erklären, warum die Preise in der zweiten Jahreshälfte 2008 stark einbrachen, da die fundamentalen Preistreiber wie hohe Nachfrage und veränderte Konsummuster in den Schwellenländern und Agrartreibstoffe weiter existierten.
Sogar die Weltbank, die lange die Bedeutung von FinanzinvestorInnen auf Rohstoffpreisentwicklungen bestritten hat, schreibt in einem Arbeitspaper: „Wir nehmen an, dass Indexfondsaktivitäten (…) eine Schlüsselrolle bei der Preisspitze von 2008 gespielt haben. Biosprit
spielte auch eine gewisse Rolle, aber viel weniger, als ursprünglich gedacht. Und wir finden
keinen Beleg, dass die angeblich gestiegene Nachfrage aus Schwellenländern irgendeinen
Effekt auf die Weltmarktpreise hatte.“ (Baffes/Haniotis 2010, 20, Übersetzung aus Oxfam
Deutschland/Weed 2012)
Daten zu globaler Produktion, Konsum und Lagerbeständen für verschiedene Rohstoffe
können nicht allein die Entwicklung der Preise und vor allem die großen Schwankungen in
den letzten Jahren erklären. Derzeitige Rohstoffpreisentwicklungen können nur verstanden
werden, wenn die veränderte Struktur von Rohstoffderivatmärkten und die Rolle von FinanzinvestorInnen und ihren Handelsstrategien in Betracht gezogen werden.
Derzeitige Rohstoffpreisentwicklungen können nur verstanden werden, wenn die veränderte
Struktur von Rohstoffderivatmärkten und die Handelsstrategien der Akteure auf diesen Märkten in Betracht gezogen werden. Das Handelsvolumen auf Rohstoff-Derivatmärkten und der
Anteil von FinanzinvestorInnen sind seit 2005 stark gestiegen. Die Anzahl der ausstehenden
Kontrakte auf Rohstoff-Terminmärkten stieg von 13 Mio. im März 2002 auf 63 Mio. im März
2011 (BIZ). Der rechnerische Wert (notional value) von OTC-Derivaten stieg noch stärker an,
verzeichnet aber einen Rückgang seit Mitte 2008 im Kontext der globalen Finanzkrise. OTCHandel dominiert aber weiterhin den Handel mit Rohstoffderivaten. Der Anteil von Rohstoffderivaten, der auf Terminmärkten von FinanzinvestorInnen gehalten wird, stieg von US$ 13
Mrd. Ende 2003 auf US$ 260 Mrd. Mitte 2008 und macht etwa ein Viertel bis zu ein Drittel
des Nominalwerts von Rohstoff-Terminkontrakten aus. Nach einem Einbruch im Jahr 2008
erreichte er einen historischen Höchstwert mit US$ 410 Mrd. im März 2011 (Abbilung 2,
Barclays Capital). Für Rohstoffterminmärkte in den USA wird der rechnerische Wert (notional
value) von Indexinvestor-Positionen Mitte 2008 auf US$ 200 Mrd. geschätzt, was zwischen
20 und über 60% der gesamten offenen Positionen (long open interest positions2) in wichtigen Rohstoff-Terminmärkten der USA ausmacht (CFTC 2009). Im Durchschnitt fielen 1998
6,5% aller offenen Positionen auf Indexinvestoren, was auf 40,9% im Jahr 2008 gestiegen
ist. Diese parallele Entwicklung von Finanzinvestitionen und Rohstoffpreisen in Derivatmärk2
Long open interest positions stellen alle ausständigen Kontrakte, die auf steigende Preise setzen, zu einem
bestimmten Zeitpunkt dar (short open interest positions stellen offene Positionen, die auf fallende Preise setzen
dar). Diese Größe wird verwendet um die Entwicklung von Transaktionen auf Rohstoff-Terminmärkte darzustellen.
11
ten ist ein Indikator für die Rolle von spekulativen Handelsstrategien in der Preisentwicklung
von Rohstoffen.
Die parallele Entwicklung von Finanzinvestitionen und Rohstoffpreisen in Derivatmärkten ist
ein Indikator für die Rolle von spekulativen Handelsstrategien in der Preisentwicklung von
Rohstoffen.
Abbildung 2: Rohstoffderivate unter Kontrolle von FinanzinvestorInnen auf Terminmärkten
(1990-2011)
Quelle: Barclays Capital, The Commodity Investor, various issues.
Note: Year end with the exception of 2011 where data is from March; US$ billion.
4. Fallbeispiele: Kaffee und Weizen
Der wichtigste Terminmarkt für den Handel mit Weizen ist der Chicago Board of Trade
(CBOT); für Arabica Kaffee ist der wichtigste Handelsplatz der Intercontinental Exchange
(ICE, früher New York Board of Trade) in New York und für Robusta Kaffee der Euronext
London International Financial Futures and Options Exchange (LIFFE) in London.3 Preise auf
diesen Märkten fungieren als globaler Benchmark für Weizen- und Kaffeepreise, was zwei
KaffehändlerInnen folgendermaßen beschreiben: „That’s the first thing you look at, New York
and London.” (Zitat von einem Kaffeehändler, c.f. Bargawi/Newman 2009, 10) „[T]he futures
price is the determinant all along the chain. It feeds right down through because at any point
on any given day there is not going to be anyone who is able to put a price that is drastically
much higher or lower than anyone who is basing themselves on the futures market.” (Zitat
eines Kaffeehändlers, c.f. Bargawi/Newman 2009, 12).
3
Andere Terminmärkte für Weizen sind der Kansas City Board of Trade (KCBT), der Minneapolis Grain Exchange (MGEX), der NYSA Liffe in London and Paris, der Multi Commodity Exchange of India (MCX), der
Zhengzhou Commodity Exchange (ZCE) in China und der Mercado a Término de Buenos Aires in Argentinien; für Kaffee der Singapore Commodity Exchange (Robusta), der Commodities & Futures Exchange (Bolsa
de Mercadorias & Futuros, BM&F) in Brasilien (Arabica) und der Tokyo Grain Exchange (Arabica und Robusta).
12
Die UNCTAD4 berichtet zwei Preise für Weizen – „Wheat, United States, n°2 Hard Red Winter” und „Wheat, Argentina, Trigo Pan Upriver”. Beide Preise stiegen seit dem Jahr 2002
stark an und erreichten einen Höhepunkt im März 2008. Von 2002 bis März 2008 stiegen der
erste um 249% und der zweite um 242%. Danach fielen beide Preise um 48% und 55% von
März bis September 2008. Zwischen Jänner 2009 und Februar 2011 stiegen beide Preise
wieder an – um 54% und 99%. Seit Februar 2011 fielen beide Preise um 20% und 32% bis
November 2011 (Abbildung 3).
Abbildung 3: Preisentwicklung für Weizen (1960-2011, monatliche Preise)
Quelle: UNCTAD.
Für Kaffee berichtet UNCTAD acht Preise.5 Diese Preise beziehen sich großteils auf die
Preise der International Coffee Organisation (ICO), die vier Spot Preise für Kaffee berichtet
sowie einen Composite Index. Diese Spot Preise korrelieren stark mit den ICE und LIFFE
Terminpreisen. Kaffeepreise waren in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre sehr niedrig, stiegen 1994 und 1997 aber stark an.6 Seit 2000 und bis 2004 spricht man von der Kaffeepreiskrise, wobei die niedrigsten Preise in Jahrzehnten erreicht wurden. Ein wesentlicher Grund
der Krise war globale Überproduktion, besonders in Vietnam aber auch in Brasilien. Seit
2005 steigen Kaffeepreise – abgesehen von starken Einbrüchen in den letzten drei Quartalen 2008 und 2011 – stark an. Der ICO Composite Index stieg von 2002 bis Februar 2008
um 219%, fiel um 26% zwischen Februar und Dezember 2008 und stieg wieder von 2009 bis
März 2011 um 118%. Von März 2011 bis Jänner 2012 fiel der Composite Index um 16%
(Abbildung 4). Der Preiseinbruch im Jahr 2008 war also schwächer als bei Weizen und der
Preishöhepunkt im ersten Quartal 2011 wesentlich bedeutender als der zu Beginn 2008. Die
Preisausschläge 2008 und 2011 waren historisch nicht so bedeutend wie für Weizen.
4
Die beiden am weitesten verbreiteten Rohstoffpreis-Indizes sind der All Prices Commodity Index der UNCTAD
und der Commodity Price Index des IWF, wobei in diesem Paper UNCTAD Daten verwendet werden.
5
„Coffee, Colombian mild Arabicas”, „Coffee, Brazilian and other natural Arabicas”, „Coffee, other mild
Arabicas”, „Coffee, Robustas”, „Coffee, composite indicator price 1976 version”, „Coffee, other mild Arabicas”,
„Coffee, Robustas” und „Coffee, ICO composite indicator price”
6
Im globalen Kaffeesektor kann man zwei zentrale Perioden unterscheiden – von 1962 bis 1989, wo Kaffeepreise auf globaler Ebene reguliert waren und viele Produktionsländer national über Kaffeemarketing Systeme
im Rahmen von Marketing Boards und Stabilization Funds die Produktion und den Handel mit Kaffe regulierten und seit 1989, wo es auf internationaler und nationaler Ebene zu wesentlichen Deregulierungen und Liberalisierungen kam.
13
Abbildung 4: Preisentwicklung für Kaffee (1960-2011, monatliche Preise)
Quelle: UNCTAD
Die Preise von Weizen und Kaffee werden von fundamentalen Faktoren auf physischen
Märkten wie der Produktion, dem Konsum und der Lagerhaltung beeinflusst. Wesentliche
Faktoren, die die Produktion von landwirtschaftlichen Rohstoffen beeinflussen, sind wetterbedingte Ernteausfälle, die bei Kaffee besonders relevant sind, da die Produktion und der
Export von Kaffee auf wenige Länder konzentriert sind.7 Aufgrund der niedrigen kurzfristigen
Preiselastizität von Angebot und Nachfrage gleichen Preise diese kurzfristigen Angebotsschocks aus. Ein wichtiger längerfristiger Faktor auf der Konsumseite ist der Anstieg von
Konsum in stark wachsenden Schwellen- und Entwicklungsländern.
Ein Vergleich zwischen Angebot (Produktion), Nachfrage (Konsum) und Lagerbeständen in
physischen Märkten für Weizen und Kaffee und den entsprechenden Preisentwicklungen ist
von wesentlicher Bedeutung, um die Efficient Market Hypothese zu testen. Im Folgenden
wird daher deskriptiv analysiert, inwieweit Preise auf Terminmärkten fundamentale Faktoren
wie Produktion, Konsum und Lagerhaltung widerspiegeln.
Für Weizen ist die globale Lagerhaltung zwischen 1999/2000 und 2003/04 stark zurückgegangen. In dieser Periode sind die Weizenpreise aber nicht besonders gestiegen. Der Preisboom hat erst wirklich Mitte 2007 begonnen – zu einem Zeitpunkt, als die globale Produktion
stärker wuchs als der globale Konsum. Schulmeister (2009) vergleicht weiters die aktuellen
Prognosen von den monatlichen World Supply and Demand Estimates (WASDE) für landwirtschaftliche Rohstoffe des U.S. Department of Agriculture mit den Entwicklungen der
Rohstoffpreise. Für Weizen standen die Preisentwicklungen bis Oktober 2007 in Zusammenhang mit der nach unten revidierten WASDE Vorschau zur globalen Weizenlagerhaltung. Der Preisboom hielt aber bis März 2008 an, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Vorschau
für globale Produktion und Lagerhaltung nach oben revidiert wurde (Schulmeister 2009, 34f).
Der Preisboom für Weizen hat erst wirklich Mitte 2007 begonnen – zu einem Zeitpunkt, wo
die globale Produktion stärker wuchs als der globale Konsum.
7
Die Top 10 Produzentenländer (Brasilien, Vietnam, Äthiopien, Indonesien, Kolumbien, Indien, Peru, Mexiko,
Honduras und Guatemala) produzieren 84% des weltweiten Kaffees im Jahr 2011.
14
Für Kaffee werden Daten zu Produktion, Konsum und Lagerhaltung von der ICO veröffentlicht. Die globale Lagerhaltung8 ist zwischen 2003/04 und 2011/12 zurückgegangen. Seit
2003/04 lag der (geschätzte) globale Kaffeekonsum9 auch immer über der globalen Produktion (mit Ausnahme von 2006/07, wo Produktion und Konsum ausgeglichen waren). In dieser
Periode sind auch die Kaffeepreise im Durchschnitt stark gestiegen. Jährliche Preistrends
korrelieren also mit fundamentalen Daten, monatliche Preisschwankungen aber nicht unbedingt. So ist der starke Preisanstieg 2007 und Anfang 2008 und seit Beginn 2010 sowie der
Preisverfall in den letzten drei Quartalen 2008 nicht durch Veränderungen in den Fundamentaldaten zu erklären.
Der starke Kaffee-Preisanstieg 2007 und Anfang 2008 und seit Beginn 2010 sowie der
Preisverfall in den letzten drei Quartalen 2008 ist nicht durch Veränderungen in den Fundamentaldaten zu erklären.
Neben diesen fundamentalen Faktoren, die vor allem für lang- und mittelfristige Preisentwicklungen wesentlich sind (aber nicht mit kurzfristigen Preisentwicklungen korrelieren), haben auch Bedingungen auf den Rohstoff-Derivatmärkten einen wichtigen Einfluss auf Weizen- und Kaffeepreise. Ein Vergleich zwischen dem Handelsvolumen und der Bedeutung
von unterschiedlichen Arten von HändlerInnen in den Terminmärkten für Weizen und Kaffee
sowie den Preisentwicklungen ist von wesentlicher Bedeutung, um die FinanzialisierungsHypothese zu testen. In Terminmärkten in den USA10 hielten Indexinvestoren im Jahr 2008
66% aller long open interest Positionen für Weizen - 1998 stand dieser Anteil bei nur 11%.
Im Falle von Kaffe ist ihre Rolle nicht ganz so bedeutend, aber auch hier ist ein deutlicher
Anstieg der Indexinvestoren von 1,7% im Jahr 1998 auf 42% im Jahr 2008 zu beobachten
(Abbildung 5).
8
Lagerhaltung von Kaffe kann unterschieden werden in gross opening stocks zu Beginn des Jahres in Produzentenländern und in inventories am Ende des Jahres in Konsumentenländern. Seit 1990 ist die Lagerhaltung
in Produzentenländern relativ kontinuierlich gefallen mit der Ausnahme von 2000/01 bis 2003/04 im Kontext
der Kaffeepreiskrise. Die Lagerhaltung von Kaffee in Importländern hat seit 1990 zugenommen.
9
Konsum ist schwer direkt zu messen und daher wird als bester Indikator Konsum in Produktionsländern plus
Disappearance in Mitgliedsländern der ICO, was die wichtigsten Produzenten- und Konsumentenländer von
Kaffee beinhaltet, verwendet. Disappearance wird gemessen als globale Importe von Kaffee abzüglich der
Re-Exporte und angepaßt an die Lagerhaltung in Importländern. Von 1999 bis 2000 wurden auch Daten zu
Disappearance in allen Importländern (zuzüglich der nicht-ICO Mitglieder) veröffentlicht. Aufbauend auf diesen
Daten wurde die Disappearance in allen Importländern von 2000/01 bis 2010/11 geschätzt.
10
Für Terminmärkte in den USA gibt es seit 1995 Daten zur Bedeutung von nicht-kommerziellen und kommerziellen Händlern. Seit 2007 berichtet die CFTC aber disaggregierte Daten zu Indexinvestoren. Seit 2009 publiziert CFTC auch disaggragierte Daten für fünf Händlergruppen zusätzlich zu den drei oben-genannten Händlergruppen, die Producers, Merchants, Processors and Users (PMPU), Swap Dealers, Money Managers,
Other Reporting Traders, und Non-Reporting Traders inkludieren.
15
Abbildung 5: Long open interest Positionen von kommerziellen, nicht-kommerziellen und
Index HändlerInnen in U.S. Rohstoffterminmärkten (1998 & 2008)
1998
2008
Physical
Hedgers
Traditional Index Spe- Physical Traditional Index SpeSpeculators culators
Hedgers Speculators culators
Average
77,3
16,2
6,5
31,3
27,8
40,9
Lean Hogs
56,6
27,6
15,8
13,6
19,1
67,3
Wheat
67,5
21,3
11,3
15,9
18,2
65,9
Live Cattle
67,6
23,8
8,6
11,7
27,3
61
Heating Oil
87,7
2
10,2
36,5
14
49,5
Sugar
87,2
9,4
3,4
36
17,4
46,5
Soybeans
86,6
11
2,4
28,5
28,2
43,3
Coffe
80,6
17,7
1,7
28,7
29,6
41,7
Cotton
Unleaded
Gas
84,4
13,5
2,2
36,3
22,6
41,1
80
4,3
15,7
36,5
23,4
40
Feed Cattle
52,4
37,3
10,3
17
45,2
37,8
Corn
87,2
8,5
4,4
40,6
22,5
36,8
Soybean Oil
72,7
27,3
0
45,5
19,8
34,8
Wheat KC
86,3
5,4
8,3
38,1
27,6
34,2
Silver
40,7
59
0,4
24,2
44,1
31,7
Natural Gas 90
WTI Crude
Oil
84,1
3
7
58,3
12,7
29
3,5
12,4
42,5
28,6
28,8
Gold
90,1
8,5
1,3
19,8
54,5
25,7
Cocoa
89,3
Quelle: CFTC.
9,2
1,5
34,4
44,7
20,9
Im CBOT für Weizen und im ICE für Kaffee ist das Handelsvolumen seit 2002 stark gestiegen und hat einen Einbruch in der zweiten Hälfte 2008 verzeichnet. Ein Problem früherer
Daten ist, dass Indexinvestoren als kommerzielle HändlerInnen angesehen werden, da sie
eine bestehende (finanzielle) Position absichern. Erst seit 2006 gibt es aufgeschlüsselte Daten zu Positionen von kommerziellen HändlerInnen, Indexinvestoren/Swap Dealern und Money Managers (Abbildung 6 und 7). Besonders im CBOT für Weizen haben Indexinvestoren/Swap Dealer eine dominante Rolle. Die Entwicklung von Weizen- und Kaffeepreisen korreliert zumindest zu einem gewissen Grad mit den long open interest Positionen von Indexinvestoren/Swap Dealern plus Money Manger. Diese Korrelation ist aber für Weizen stärker
ausgeprägt als für Kaffee.
16
Abbildung 6: Long open interest Positionen von kommerziellen HändlerInnen, Swap Dealern
und Money Managers für Weizen (2006-2011, CBOT)
Quelle: CFTC
Note: An open position accounts for a contract of 5.000 bushels.
Abbildung 7: Long open interest Positionen von kommerziellen HändlerInnen, Swap Dealern
und Money Managers für Kaffee (2006-2011, ICE)
Quelle: CFTC.
Note: An open position accounts for a contract of 37.500 pounds.
5. Politische Empfehlungen
Politisch besteht ein relativ breiter Konsens gegen „exzessive Spekulation“ auf Rohstoffderivatmärkten wie an den Tagesordnungen der letzten G20-Treffen und dem Ruf nach bestimmten Beschränkungen von spekulativen Handelsaktivitäten zu sehen ist. Im Rahmen der
G20 hat vor allem der französische Präsident Sarkozy das Thema zu einem Schwerpunkt
gemacht und in der Abschlusserklärung des Gipfels in Cannes im November 2011 wurden
einige Maßnahmen empfohlen, um das Funktionieren des landwirtschaftlichen Terminhandels zu verbessern. Hierzu sollten Behörden effektive Eingriffsmöglichkeiten haben, um
Marktstörungen anzugehen und Marktmissbrauch zu verhindern, insbesondere die Möglichkeit Positionslimits zu setzen (Newsletter EU-Finanzreformen März 2012). Auch die mexikanische G20-Präsidentschaft nahm das Thema auf die Tagesordnung. Der Prozess ist aber
langsam, und konkrete Schritte lassen auf internationaler Ebene auf sich warten.
17
In den USA, wo immer noch der größte Anteil von Rohstoffderivatgeschäften stattfindet,
wurden im Kontext der Finanzkrise von 2008/09 und den starken Rohstoffpreisschwankungen Rohstoffmärkte wieder verstärkt reguliert. Der im Juli 2010 verabschiedete Dodd Frank
Act enthält wichtige Neuregelungen wie die Erhöhung der Transparenz durch höhere Reporting Standards in Termin- und OTC Märkten, die Stärkung von Positionslimits - ohne Ausnahmen für Indexinvestoren – sowie das Verbot von Eigenhandel.11
In der EU werden gerade Reformen im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie für Märkte
für Finanzinstrumente (Markets in Financial Instruments Directive (MiFID)) diskutiert. Nach
einer langen internen Diskussionsphase hat die Europäische Kommission (EK) Vorschläge
für eine Überarbeitung der MiFID und für eine neue Verordnung zum gleichen Thema, die
Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR), im Oktober 2011 veröffentlicht. Das
Europäischen Parlament und der Europäische Rat (genauer der EU-Ministerrat der Finanzminister – ECOFIN) entscheiden über die Reform der MiFID und MiFIR. Die Revision wird
mindestens bis Herbst 2012 und voraussichtlich bis zum Jahr 2013 dauern.
Der EK-Vorschlag beinhaltet die Schaffung neuer Handelsplattformen und verlangt, dass
OTC-Handel reduziert wird und Transparenz- und Eigenkapitalanforderungen erfüllen muss.
Es wird auch eine Echtzeit-Berichterstattung (real-time reporting) von HändlerInnen an die
Plattformen und einen wöchentlichen Bericht der Handelsplattformen zu disaggregierten
Handelspositionen vorgeschlagen. Weiters wird Handelsplätzen die Möglichkeit gegeben,
Positionslimits einzuführen (Newsletter EU-Finanzreformen Februar 2012).
Diese Vorschläge sind begrüßenswert und ein wichtiger Schritt, aber nicht ausreichend. Bezüglich Positionslimits wird Handelsplätzen die Möglichkeit gegeben, diese oder „alternative
Regelungen“ einzuführen; ex-ante, verpflichtende und EU-weite Positionslimits, die von einer
Regulierungsbehörde eingeführt und angepasst werden, wäre für die Wirksamkeit von Positionslimits jedoch notwendig. Weiters sollen Positionslimits nur für einzelne HändlerInnen
und nicht für Händlerklassen gelten, was ihre Umgehung vereinfacht und keine Kontrolle von
bestimmten Anlageformen ermöglicht, wie Indexinvestitionen, Hedge Fonds und Hochfrequenzhandel. Der OTC-Handel wird auch nicht ausreichend reduziert und auf regulierte Börsen zurückgebracht; durch die Schaffung neuer multilateraler Handelsplätze besteht insbesondere die Gefahr, dass weiterer Handel von geregelten Börsen abgezogen wird. Die Verbesserung der Transparenz durch wöchentliche Berichte in Echtzeit ist ein längst überfälliger
Schritt. Die EU hinkt diesbezüglich der USA hinterher (für nähere Informationen siehe Oxfam
Deutschland/Weed 2012).
Ende März hat der Berichterstatter des EP (Markus Ferber) einen Entwurf für die Position
des Parlaments zu MiFID veröffentlicht. Im Entwurf kommen einige begrüßenswerte Änderungen, vor allem bei den Positionslimits, die verschärft und wo „alternativen Maßnahmen“
als Ersatz für Positionslimits gelöscht werden sollen, und beim Hochfrequenzhandel, der
direkter und stärker reguliert werden soll, vor. Bis Mai 2012 haben Abgeordnete die Möglichkeit, diesen Bericht zu kommentieren, um zu einer gemeinsamen Position des EP zu gelangen (für nähere Informationen siehe Newsletter EU-Finanzreformen März 2012).
Um Rohstoffpreise zu stabilisieren und die negativen Auswirkungen des Rohstoffpreisbooms
auf Entwicklungsländer einzudämmen, sind einige der oben im EK-Vorschlag genannten
sowie weitreichendere Reformen dringend erforderlich. In einem ersten Schritt ist es notwendig, das Funktionieren der Rohstoffderivatmärkte im Interesse kommerzieller HändlerInnen sicherzustellen, um ihre fundamentale Rolle als verlässliche Preissignale und zur Risikoabsicherung zu gewährleisten. Durch die Veränderungen in Rohstoffderivatmärkten und
die dominante Rolle von FinanzinvestorInnen ist der Zugang zu diesen Märkten für Absiche11
Eigenhandel bedeutet, dass eine Bank nicht im Auftrag und auf Rechnung einer/s KundIn auf Rohstoffmärkten
handelt, sondern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Im Eigenhandel gehen Banken oft besonders
hohe Risiken ein.
18
rungsgeschäfte für kommerzielle HändlerInnen erschwert worden. Insbesondere haben sich
die Kosten und Komplexität von Absicherungsgeschäften erhöht und die Bedeutung der
Preissignale für physische Geschäfte ist aufgrund der hohen Volatilität und der reduzierten
Beziehung zu Fundamentaldaten zunehmend fragwürdig. Dies ist aber die eigentliche Aufgabe dieser Märkte. In einem zweiten Schritt sind Reformen, die über die Regulierung von
Rohstoffderivatmärkten hinausgehen, notwendig und insbesondere das effektive Management von Lagerbeständen, die Schaffung von Preisabsicherungsinstrumenten abseits von
Derivatmärkten, sowie breitere landwirtschafts- und industriepolitische Entwicklungsstrategien betreffen (siehe unten).
Im Bereich der Regulierung von Rohstoffderivatmärkten sind folgende Schritte notwendig:
-
Reduktion des außerbörslichen (OTC) Handels und Zurückholen des Handels an
Börsen (Rohstoffterminmärkte): Der starke Anstieg des weitgehend unregulierten
OTC Handels führte zu einer Erhöhung des Risikos und zu einem Verlust von Kontrolle
und Regulierung des Rohstoffderivathandels. Soweit möglich sollte der OTC Handel auf
regulierte, transparente und öffentliche Börsen zurückgeholt werden. Da dies nicht gänzlich möglich ist, muss der bestehende OTC Handel mit Meldepflichten und hohen Sicherheitsleistungen belegt werden.
-
Erhöhung der Transparenz von Fundamentaldaten und auf Rohstoffderivatmärkten: Transparenz im Bereich der Fundamentaldaten, vor allem zu globaler Produktion,
Konsum und Lagerhaltung, ist zentral für die Preisbildung und das Funktionieren von
Rohstoffmärkten. Besonders bezüglich Lagerhaltung ist die öffentliche Datenlage sehr
schwach. Noch intransparenter ist die Datenlage zu Positionen auf Rohstoffderivatmärkten, da zurzeit nur die USA disaggregierte Positionen von unterschiedlichen Händlerklassen und auch nur für Terminmärkte berichtet. Zur Erhöhung der Transparenz sind
strenge Melde- oder Berichtspflichten in Echtzeit und öffentliche Berichte zu Positionen
von unterschiedlichen Händlerklassen notwendig. Die genaue technische Ausarbeitung
dieser Melde- und Berichtspflichten muss von unabhängigen ExpertInnen erfolgen. Diese Daten sind Voraussetzung für effektive Regulierungen.
-
Einführung von Positionslimits für HändlerInnen und Händlerklassen: Zur Prävention von exzessiver Spekulation sind Positionslimits, das heißt Obergrenzen für den
Handel mit Derivaten, was Produkt, Höhe und Laufzeit betrifft, für nicht-kommerzielle
und gegebenenfalls auch kommerzielle HändlerInnen auf Börsen und außerbörslichen
Märkten unerlässlich. Ann Berg, Direktorin am Chicago Board of Trade, erklärt dazu:
„(…) over 150 years of futures trading history demonstrates that position limits are necessary in commodities of finite supply to curb excessive speculation and hoarding.” (c.f.
Oxfam Deutschland/Weed 2012) Positionslimits sind nicht nur für individuelle HändlerInnen, sondern auch für Klassen von HändlerInnen wie Indexinvestoren, Money Managers
und Hedge Fonds notwendig. Dies reduziert die Umgehungsmöglichkeiten und macht es
möglich, aufgeschlüsselte und unterschiedliche Positionslimits für bestimmte Händlerklassen zu setzen, wie Indexinvestoren, Pensionsfonds oder Hedge Fonds. Positionslimits sollen nicht von einzelnen Handelsplätzen, sondern auf nationaler und idealerweise
auch regionaler und globaler Ebene von Regulierungsbehörden gesetzt werden.
-
Einführung einer mehrstufigen Transaktionssteuer auf den Handel mit Rohstoffderivaten: Um spekulative Handelsaktivitäten zu reduzieren und Preise zu stabilisieren ist
eine mehrstufige Transaktionssteuer, die ursprünglich für Devisenmärkte vorgeschlagen
wurde (Spahn 1996), notwendig. Bei einem mehrstufigen Steuersystem würde eine niedrige Transaktionssteuer auf alle Transaktionen anfallen (0,01-0,1%). Ein hoher Steuersatz (50-100%) würde anspringen, sobald Preisschwankungen über ein dynamisches
Band hinausgehen. Die Steuersätze und die Bandbreite können an die fundamentalen
Gegebenheiten von unterschiedlichen Rohstoffmärkten angepasst werden. Durch dieses
System würden langsame Preisanpassungen ermöglicht aber kurzfristige spekulative
Geschäfte verteuert und starke kurzfristige Ausschläge verhindert werden (Nissanke
19
2011). Der geringe Steuersatz würde vor allem Hochfrequenzhandel stark treffen, da die
Steuer bei jeder Transaktion anfallen würde und somit erheblich reduzieren.
-
Schaffung einer Global Intelligence Unit: Eine Global Intelligence Unit im Rahmen der
Vereinten Nationen hätte eine zentrale Funktion als globale Aufsichtsbehörde, die Rohstoffderivatmärkte auf globaler Ebene überwacht und Regulierungen auf nationaler Ebene koordiniert. Diese Koordinierungs- und Kontrollfunktion auf globaler Ebene ist zentral,
da Rohstoffderivathandel oft die Jurisdiktion von mehreren Ländern und nationalen Aufsichts- und Regulierungsbehörden betrifft. In einem weiteren Schritt könnte sich die Global Intelligence Unit für eine stufenweise Harmonisierung von nationalen Regulierungen
oder zumindest für globale Mindeststandards einsetzen. Das Ziel wäre eine globale Aufsichtsbehörde mit Regulierungskompetenzen. Zusätzlich zur globalen Regulierungsbehörde müssen auch nationale und regionale Aufsichtsbehörden gestärkt werden.
-
Verbot von Spekulation mit Nahrungsmitteln: Nachdem starke Preisschwankungen
und Spekulation für ProduzentInnen und KonsumentInnen aller physischen Rohstoffe zu
massiven Problemen führen rechtfertigt die besondere gesellschaftliche Funktion von
Nahrungsmitteln eine weitreichendere Kontrolle. Spekulation mit Nahrungsmitteln ist zu
unterbinden durch sehr strenge Positionslimits für nicht-kommerzielle und gegebenenfalls auch kommerzielle HändlerInnen bis hin zum Verbot von FinanzinvestorInnen auf
Agrarrohstoff-Derivatmärkten. Dies könnte durch eine verpflichtende Registrierung und
Genehmigung von HändlerInnen erreicht werden.
Die österreich Bundesregierung ist aufgefordert, sich für die Regulierung der Rohstoffderivatmärkte und die oben genannten Reformen nachdrücklich einzusetzen. Dies ist vor allem
auf zwei Ebenen möglich: Erstens im Rahmen der EU bei den derzeitigen Diskussionen und
Entscheidungen zur EU-Finanzmarktreform im Rahmen der Revison der MiFID und der MiFIR im Europäischen Parlament sowie im Europäischen Rat, wo Österreich vor allem durch
die Finanzministerin im ECOFIN vertreten ist; und zweitens, im Rahmen der Vereinten Nationen, wo sich Österreich vor allem für die Schaffung einer Global Intelligence Unit einbringen
kann.
Neben der Reregulierung der Rohstoffderivatmärkte sind auch weitere Reformen notwendig,
um Rohstoffpreise zu stabilisieren, Rohstoffabhängigkeit zu reduzieren und die potentiellen
Entwicklungs-Effekte von Rohstoffproduktion und -exporten sicherzustellen. Insbesondere
das effektive Management von Lagerbeständen auf internationaler und nationaler Ebene, die
Schaffung von Preisabsicherungsinstrumenten abseits von Derivatmärkten, da diese Instrumente vor allem für kleine ProduzentInnen und KonsumentInnen in Entwicklungsländern
aufgrund der hohen Kosten und der Komplexität keine effektive Absicherung bieten, sowie
breitere landwirtschafts- und industriepolitische Entwicklungsstrategien mit dem Ziel Importund Exportabhängigkeit zu reduzieren, Ökonomien zu diversifizieren und nachhaltige lokale
Rohstoffproduktion und breitere Entwicklungseffekte sicherzustellen. Landwirtschaftspolitische Strategien sind im Kontext der menschenrechtlichen Gewährleistungspflicht des Rechts
auf Nahrung, das Regierungen dazu verpflichtet, eine ausreichende und adäquate Ernährung ihrer Bevölkerung sicherzustellen, zu sehen. Länder müssen das Recht haben, die lokale und regionale Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen und die lokale Landwirtschaft
im Sinne der Ernährungssouveränität zu stärken und vor Billig-Importen zu schützen. Ziel ist,
dass Preise von Nahrungsmitteln und von agrarischen Rohstoffen wie Kaffee zumindest
nicht unter der Deckung der Produktionskosten und der Lebenshaltungskosten der BäuerInnen liegen.
20
TEIL 2: Fairer Handel in Zeiten volatiler Preise – ein Bericht
aus der Praxis
Andrea Reitinger, EZA Fairer Handel
Ein Preis, der eine sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Produktion erlaubt, ist
nicht alleiniges jedoch ein zentrales Element des Fairen Handels. Um kleinbäuerlich strukturierten Organisationen ein höheres Maß an Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten, wurden deshalb im Rahmen des FAIRTRADE-Systems für zahlreiche agrarische Rohstoffe, darunter auch Kaffee, sogenannte Mindestpreisregelungen geschaffen. Der Anstieg der Weltmarktpreise über das Niveau der garantierten Mindestpreise wird aus Sicht der ProduzentInnen grundsätzlich begrüßt, da er deren finanziellen Spielraum – vor allem angesichts steigender Lebenshaltungs- und Produktionskosten – sowohl auf individueller Ebene als auch
auf Ebene der Genossenschaften erweitert. Gleichzeitig stellt er die Kooperativen vor neue
Herausforderungen, ganz besonders dann, wenn der Anstieg von hohen Schwankungen
begleitet wird.
Als alternativer Ansatz im herrschenden Wirtschaftssystem ist der Faire Handel zwar in der
Lage in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den ProduzentInnen im globalen Süden
Wege aufzuzeigen, die deren Interessen verstärkt berücksichtigen. Das macht sie jedoch
nicht unabhängig von den globalen Rahmenbedingungen, unter denen das aktuelle Wirtschafts-, Handels- und Finanzsystem funktioniert. Hier bedarf es zahlreicher neuer Weichenstellungen. Die Umsetzung der oben genannten Empfehlungen in Hinblick auf die stärkere Regulierung der Rohstoffderivatmärkte ist ein wichtiger Baustein, kann er doch dazu
beitragen, den hochspekulativen Zugriff auf agrarische Rohstoffe mit all ihren negativen
Auswirkungen auf die davon abhängigen Menschen zu beschränken bzw. zu verhindern.
Im Folgenden wird dargestellt, wie die Entwicklung auf dem Terminmarkt für Kaffee auf ProduzentInnen des Fairen Handels wirkt. Dabei wird der Stimme von VertretreInnen aus den
Kooperativen Raum gegeben. Sie machen deutlich, dass der Preis für ihr Produkt ein wesentliches Fundament für die Zukunft ihrer Mitglieder darstellt, zeigen jedoch auch, dass sich
Fairer Handel nicht an der Preisfrage erschöpft, sondern als Konzept betrachtet wird, das
kleinbäuerlich strukturierte Organisationen als zentrale AkteurInnen in der Produktionskette
sichtbar macht und stärkt.
1. Von Talfahrt und Höhenflug der Kaffeepreise
Vor rund 10 Jahren sah man für Hochland Arabica-Sorten Tagesnotierungen unter 50 US
Cents pro Pfund an der New Yorker Warenterminbörse, der Jahresdurchschnittspreis zwischen 2001 und 2003 erreichte keine 65 US Cents und lag damit unter den Produktionskosten. Die Folgen für die vom Kaffeeanbau abhängigen Kleinbäuerinnen und -bauern waren
dramatisch. Sie wurden zu Tausenden in den Ruin getrieben, vernachlässigten – mangels
Perspektive – ihre Kaffeepflanzungen oder verkauften ihr Land.
Der im FAIRTRADE-System vorgesehene garantierte Mindestpreis von damals 121 US
Cents pro Pfund – plus eine Sozialprämie von 5 US Cents und eine Bio-Prämie von weiteren
15 US Cents – waren für die KaffeeproduzentInnen des Fairen Handels von existentieller
Bedeutung, konnten sie doch dadurch ihre Produktion aufrecht erhalten und wurden nicht in
die Migration gezwungen.
Seit 2007 hat sich die Situation auf dem Kaffeeweltmarkt gewandelt. Die Nachfrage nach
hochqualitativen Arabica-Kaffees hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Zu21
nahme des Verbrauchs in den Anbauländern selbst wie etwa in Brasilien und neue Märkte in
Asien, die Bedarf anmelden, kommen hier zum Tragen. Dem steht ein geringeres Angebot
gegenüber. Vor allem bei sogenannten gewaschenen Arabicas aus Kolumbien oder Mittelamerika wurde weniger produziert als nachgefragt. Kurzfristigere wetterbedingte Einflüsse
wurden ebenfalls spürbar. War es bei der mexikanischen Ernte 2009 ein Zuviel an Regen,
was den empfindlichen Arabica Stauden zusetzte, litt die guatemaltekische Kaffeeproduktion
unter extremer Trockenheit. Die Ernte Kolumbiens war 2009 die schlechteste seit über 30
Jahren. Auch hier waren es exzessive Regenfälle, die ihre Spuren hinterließen, das Auftreten vermehrter Pilzerkrankungen die Folge. In vielen Anbauländern kamen die Nachwehen
der extrem niedrigen Preise der ersten Hälfte des Jahrzehnts dazu. Kaffeepflanzungen hätten erneuert werden müssen, doch mangels entsprechender Einkommen haben viele Bauern
und Bäuerinnen darauf verzichtet und/oder konnten sich die Investitionen nicht leisten. Abnehmende Erträge waren die Folge.
Diese Fundamentaldaten erklären jedoch nicht die rasante Aufwärtsentwicklung der Kaffeepreise mit Spitzennotierungen von über 300 US Cents pro Pfund für gewaschene Arabicas
wie im April 2011 und die starken kurzfristigen Schwankungen. Hier liegt der preistreibende
Effekt spekulativer Aktivitäten von FinanzinvestorInnen, wie im Teil 1 gezeigt, nahe.
Die Weltmarktpreise für Arabica Hochlandkaffees haben die Spitzenwerte des letzten Jahres
nicht gehalten und befinden sich aktuell auf einen Zweijahrestief (während die Robustapreise
auf vergleichsweise hohem Niveau blieben). Eine prognostizierte gute Ernte in Brasilien
(+16% zum Vorjahr) sowie die aktuelle Eurokise werden als mögliche Erklärungen dafür ins
Treffen geführt.12 Die Nachrichtenagentur Bloomberg hält dazu am 15.Juni 2012 fest: „Arabica coffee on ICE Futures U.S. in New York has fallen 33 percent so far this year as traders
sold the futures on anticipation of a record harvest in Brazil, the world’s biggest grower. The
commodity is the worst performer on the Standard & Poor’s GSCI index of 24 raw materials.”13 Demgegenüber rechnet die Internationale Kaffeeorganisation mit einem anhaltenden
Anstieg des Verbrauchs (vor allem in sogen. ‚Emerging markets‘, in Exportländern sowie bei
der Nachfrage in sogen. Nischenmärkten), was Angebot und Nachfrage in Balance halten
und den Preis für Arabica Bohnen stützen könnte.14
2. Positive Effekte und Herausforderungen
VertreterInnen von kleinbäuerlichen Vereinigungen des Fairen Handels kommentieren den
Preisanstieg v.a. der letzten beiden Jahre durchaus differenziert. Zum einen verweisen sie
auf den erweiterten finanziellen Spielraum, den ihre Mitglieder durch die höheren Preise gewinnen. Denn die gestiegenen Lebenshaltungs- und Produktionskosten erfordern auch ein
höheres Einkommen. Doch sie betonen auch die Herausforderungen, vor die sie als Kooperative gestellt werden.
Martha Villareyna, bis Anfang 2011 Mitarbeiterin der nicaraguanischen Kaffeekooperative
Cecocafen, schreibt dazu an die österreichische Partnerorganisation EZA Fairer Handel:
„Die hohen Preise helfen, die hohen Produktionskosten zu decken. Denn der Anstieg des
Ölpreises hat alles verteuert. Den Transport, die Arbeitskraft, die Verarbeitung. Nun bleibt
auch etwas, um die Höfe zu verbessern. Das ist eine Situation, auf die die ProduzentInnen
schon lange gewartet haben.“15
12
Vgl.:http://www.ico.org/documents/cmr-0512-e.pdf , Twin Tradin: TwinCafé Bulletin Vol.19: No. 03 24th May
2012
13
Vgl.: http://www.bloomberg.com/news/2012-06-15/guatemala-costa-rica-sell-coffee-on-concern-about-pricedrops.html
14
Vgl.:http://www.ico.org/documents/cmr-0512-e.pdf
15
Statement an EZA Fairer Handel vom März 2011
22
Franz Vanderhoff von der mexikanischen Kooperative UCIRI betont: „Man darf nicht vergessen, dass in den vergangenen Jahren die Inflation sehr hoch war. Der Anstieg des Kaffeepreises bedeutet, dass die Mitglieder der Genossenschaft Schulden zurückzahlen können,
die sie bei ihrer Spar- und Kreditkooperative haben. Sie können wichtige Anschaffungen machen, ihre Häuser verbessern, Kaffeeentpulper kaufen, um ihren Kaffee weiter zu verarbeiten. Viele legen auch einen Teil ihrer Einnahmen auf ihr Sparkonto bei der Kooperative.“16
2.1 Anhebung des FAIRTRADE-Mindestpreises und der -Prämien
Die höheren Kosten in Produktion, Verarbeitung aber auch in der Deckung der Grundbedürfnisse führten im Fairen Handel zu einer schrittweisen Anhebung der garantierten Mindestpreise. Seit 1. April 2011 werden gemäß den Standards von Fairtrade International für gewaschene Arabicasorten 140 US Cents pro Pfund garantiert. Dazu kommt eine Prämie von 20
US Cents, wovon 5 US Cents zweckgewidmet in die Erneuerung der Pflanzen und Qualitätsverbesserung gehen, über die Verwendung der verbleibenden 15 US Cents entscheidet die
demokratisch gewählte Generalversammlung der Kooperative. Für Kaffee aus kontrolliert
biologischem Anbau kommt eine Prämie von weiteren 30 US Cents pro Pfund hinzu. Dieser
garantierte Preis für gewaschene Arabicas aus biologischer Produktion und Fairem Handel –
also mindestens 190 US Cents pro Pfund – stellt für die KaffeebäuerInnenvereinigung ein
wichtiges Sicherheitsnetz nach unten dar. Sinkt der Weltmarktpreis unter die 140 US Cents,
kommt diese Preisregelung zum Tragen.17
In der Hochpreisphase der Jahre 2010 und 2011 sowie im ersten Halbjahr des Jahres 2012
lag der Terminmarktpreis für den Rohstoff Kaffee jedoch deutlich über der von Fairtrade International festgelegten Mindestpreisgrenze. In dieser Situation – so sehen es die Standards
vor – wird der Börsenpreis zum Referenzwert. Mindestens zu bezahlen sind der Weltmarktpreis plus die FAIRTRADE-Prämien für soziale Investitionen und biologische Produktion.
Spekulative Hochpreisphasen bergen hohes Risiko
An die Kooperativen und ihre Mitglieder stellen Hochpreisphasen wie die der letzten beiden
Jahre neue Anforderungen. Um an den Kaffee zu gelangen, treten ZwischenhändlerInnen
aggressiver denn je auf. Sie bieten – unabhängig von der Qualität – hohe Preise bar auf die
Hand, was ProduzentInnen dazu verleiten kann, ihren Kaffee nicht wie vereinbart an die Kooperative zu liefern, sondern an die Coyotes18. Das hat zum Teil weitreichende Folgen, vor
allem dann, wenn Genossenschaften dadurch ihren Lieferverpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Der individuelle Nutzen für die einzelnen Bauern und Bäuerinnen ist kurzfristig und keinesfalls nachhaltig. Denn ZwischenhändlerInnen kümmert eine dauerhafte Begleitung und Beratung der ProduzentInnen, wie die Genossenschaften sie leisten, nicht.
José Rojas, Mitarbeiter der peruanischen Kooperative Cepicafé, stellt dazu fest: „(…) sobald
der hohe Preis den garantierten Mindestpreis des Fairen Handels übersteigt, wird der
(Preis)Abstand zwischen den Kooperativen und den Transnationalen Konzernen geringer
und der Wettbewerb härter. Denn die Transnationalen haben geringe Fixkosten, während die
Kooperativen aufgrund ihres sozialen Engagements höhere Kosten haben. Deshalb können
die Großen in dieser Situation dem Produzenten einen besseren Preis bieten.“19
Auch Eimar Velázquez von der mexikanischen Kleinbauernvereinigung ISMAM beschreibt
die Gefahr: „Wenn durch den Preiskampf Genossenschaften geschwächt werden, nützt das
16
Statement an EZA Fairer Handel vom April 2011
Die garantierten Mindestpreise für nicht gewaschene Arabicas und Robustasorten wurden ebenfalls entsprechend angehoben, liegen aber unter den garantierten Mindestpreisen für gewaschene Arabicas. Siehe dazu
auch: http://www.fairtrade.net/standards.html
18
Der in Lateinamerika gebräuchliche Ausdruck für Zwischenhändler
19
Statement an EZA Fairer Handel vom Mai 2012
17
23
mittelfristig vor allem den Händlern. Die Kooperativen sind ein wichtiges Regulativ. Denn nur
wenn die Leute organisiert sind und bleiben, können sie auf den Preis einwirken.“20 Die Herausforderung besteht also darin, gegenüber den ZwischenhändlerInnen konkurrenzfähig zu
bleiben und dabei die Aufrechterhaltung der kooperativen Strukturen – sowohl in sozialer als
auch in wirtschaftlicher Hinsicht – sicher zu stellen.
2.2 Risikomanagement gewinnt an Bedeutung
Wenn Kooperativen am Markt agieren, nehmen sie dabei zwei Rollen ein. Sie kaufen Kaffee
von ihren Mitgliedern und verkaufen Exportkaffee an ihre KundInnen in Übersee. Dazwischen liegt – gerade wenn die Weltmarktpreise hoch sind bzw. stark schwanken – ein zum
Teil beträchtliches kommerzielles Risiko. Es besteht im Wesentlichen in der Preisdifferenz
und den Dynamiken zwischen lokalem Markt, auf dem sie den Kaffee beziehen, und dem
internationalen Markt, auf dem sie ihn verkaufen.21 „Es geht also darum, Kompetenz in den
Kooperativen aufzubauen, um mit dieser speziellen Situation zurecht zu kommen“, stellt Raúl
del Aguila, Geschäftsführer der peruanischen Kooperative Cocla und Vorstandsmitglied von
Fairtrade International fest.22
Zur besseren Bewältigung dieser Herausforderungen wurde von Fairtrade International im
Rahmen eines „Coffee Action Plans“ ein „Coffee Help Desk“ geschaffen, an den sich sowohl
ProduzentInnenenorganisationen als auch HändlerInnen wenden können. Bei ProduzentInnenorganisationen werden Schulungen zum Risikomanagement durchgeführt (etwa in Kooperation mit der britischen Fairhandelsorganisation Twin). Leitlinien zum Umgang mit dem
Preisrisiko wurden ausgearbeitet. Darin wird eine Reihe von Strategien beschrieben, mithilfe
derer sich Kooperativen gegen drohende Preisrisiken absichern können.23
In den FAIRTRADE-Standards für Kaffee wurden ebenfalls Ergänzungen vorgenommen, die
auf die veränderte Situation Bezug nehmen. Die FAIRTRADE-Standards definieren offene
Verträge als die allgemein gültige Regel: Das erlaubt den ProduzentInnenorganisationen den
Preis dann zu fixieren, wenn die Mitglieder ihre Ernte an die Kooperative liefern. Festpreisverträge sind nur in Ausnahmesituationen erlaubt. Das ist z.B. dann der Fall, wenn die Kooperative den Kaffee bereits auf Lager hat, Auktionssysteme keine offenen Verträge erlauben und VerkäuferIn und KäuferIn überein kommen, dass es für beide von Vorteil ist, den
Preis sofort zu fixieren. In diesem Fall ist die Festlegung einer Risikostrategie zwischen VerkäuferIn und KäuferIn vorgeschrieben. Werden Preise bereits vor der Ernte festgelegt, muss
der/die KäuferIn diesen zustimmen. Auch hier bedarf es einer Risikostrategie. Weiters können Preise nur mehr maximal für ein Erntejahr fixiert werden.24
EXKURS: Beispiel aus der Praxis – Preisfixierung für Verträge mit der
EZA Fairer Handel GmbH
Die FAIRTRADE-Standards legen fest, dass der Preis von der ProduzentInnenenorganisation fixiert wird. In den Kaffeeverträgen, die die EZA mit ihren PartnerInnen zu Beginn des
Erntejahres abschließt, wird zunächst vereinbart, wie viel Menge in welcher Qualität und zu
welchem Zeitpunkt geliefert wird. Weiters ist vertraglich festgehalten, dass zumindest der
garantierte FAIRTRADE-Mindestpreis (inklusive -Prämien) sowie eine zusätzliche Prämie für
20
Statement an EZA Fairer Handel vom März 2011
Fairtrade International: Guidance Document on Fairtrade Coffee Standard – Price risk management strategies,
January 2012, S.2
22
Interview von EZA Fairer Handel mit Raúl del Aguila vom Oktober 2011
23
Fairtrade International: Guidance Document on Fairtrade Coffee Standard – Price risk management strategies,
January 2012
24
Fairtrade International: Guidance Document on Fairtrade Coffee Standard – Price risk management strategies,
January 2012
21
24
bestimmte Qualitäten und Provenienzen (=Qualitätsdifferentiale) entrichtet werden. Die tatsächliche Preisfixierung wird jedoch offen gelassen und obliegt der ProduzentInnenorganisation. Diese hat – vertraglich so festgehalten – das Recht, vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bis zum letzten Tag des Vorverschiffungsmonats den Preis zu fixieren. Als Referenz für sogenannte „Other Milds“ (gewaschene Arabica Hochlandkaffees) gelten die Futures
Preise für Coffee „C“, 2nd Position an der Intercontinental Exchange, der Warenterminbörse
in New York. Wenn etwa die Verschiffung für März eines Jahres geplant ist, wird die Mai Position desselben Jahres als Referenzwert herangezogen.25
Dass die Preisfixierung lt. FAIRTRADE-Standards Sache der ProduzentInnen ist, gibt diesen
großen Handlungsspielraum, macht sie aber von den Entwicklungen an den Terminbörsen
nicht unabhängig.26 Den Zeitpunkt der Fixierung bei schwankenden Weltmarktpreisen auf
hohem Niveau richtig zu wählen ist eine der großen Herausforderungen für die Kooperativen.
Der EZA Fairer Handel Mitarbeiter Franz Denk besucht alljährlich im Herbst Genossenschaften in Mittelamerika und stellte nach seiner letzten Reise im November 2011 fest: „Was die
Fixierung der Preise anbelangt, sind die Verantwortlichen deutlich vorsichtiger geworden.“ Im
Vorjahr wurde zum Teil zu früh fixiert, der Preis ist daraufhin weiter gestiegen. Genossenschaften hatten Schwierigkeiten, die Ware von ihren Mitgliedern zu bekommen. Nun wird der
Preis der Ware knapper vor der Verschiffung fixiert, wenn der Kaffee bereits physisch auf
Lager liegt und sie sich der abgelieferten Mengen durch die Mitglieder sicher sein können.“
Die Entwicklungen der letzten Monate könnten sich jedoch abermals als problematisch erweisen. So sehen sich lt. Franz Denk einige Kooperativen mit der nun umgekehrten Situation
konfrontiert: Zu Beginn der Ernteperiode 2011/12 lagen die Weltmarktpreise für Arabica Kaffees noch deutlich über dem heutigen Niveau. Die Kooperativen bezahlten ihren Mitgliedern
auf dieser Basis (und auf Basis dessen, was die lokalen Zwischenhändler boten) einen hohen Aufkaufpreis. Manche von ihnen verabsäumten allerdings die Preisfixierung mit den
KäuferInnen in Übersee. Mittlerweile ist der Preis gefallen und die Genossenschaften sehen
sich vor der Schwierigkeit, die Preisdifferenz zwischen An- und Verkaufspreis auszugleichen.
Das macht deutlich, dass in Hinblick auf die Absicherung des Preisrisikos vermehrt Trainings
notwendig sind.
Finanzbedarf steigt
Die deutlich höheren Weltmarktpreise erfordern in den Kooperativen ein Mehr an liquiden
Finanzmitteln, um den Mitgliedern die Ernte Abkaufen zu können. Durch die Zusammenarbeit mit alternativen Finanzierungsorganisationen und lokalen Banken konnten die Genossenschaften diesen erhöhten Finanzbedarf besser absichern als noch im Jahr davor. In diesem Zusammenhang soll der kürzlich gegründete Fairtrade Access Fund (eine Kooperation
von Fairtrade International, Grameen Foundation und Incofin Investment Management) den
Genossenschaften den Zugang zu Finanzmitteln zukünftig weiter erleichtern. Neben der Bereitstellung unterschiedlicher Kreditarten (Betriebsmitteldarlehen, Vorfinanzierungsdarlehen
oder Langzeitkredite) sieht dieser Fonds auch eine fachliche Unterstützung der ProduzentInnen vor.27
25
Siehe dazu www.theice.com
Das ist immer dann der Fall, wenn die Rohstoffpreise für Kaffee über den im FAIRTRADE-Schema festgelegten
Mindestpreisen liegen.
27
Siehe dazu: http://www.fairtrade.at/nc/presse/pressemitteilung/article/neuer-fairtrade-access-fund-oeffnet-tuerzu-fairen-mikrokrediten
26
25
3. Hochpreisphasen nützen – Pflanzungen erneuern
Nicht nur die am Markt erzielbaren Preise für ihren Kaffee sind für das Einkommen der
Kleinbäuerinnen und -bauern relevant, sondern auch die Erträge, die sie auf ihren Parzellen
erwirtschaften können. Dabei gibt es je nach Land und Region zwar große Unterschiede. Die
regelmäßige und zeitgerechte Erneuerung der Kaffeesträucher ist jedoch generell eine Voraussetzung dafür, dass kleinen Parzellen – die durchschnittliche Größe eines Kaffeegartens
im FAIRTRADE-System beträgt 1,5 Hektar – langfristig Erträge abwerfen, die wirtschaftlich
sind. Denn auch ein hoher FAIRTRADE-Mindestpreis oder Weltmarktpreis kann ein geringes
Einkommen durch minimale Erträge eines Kaffeegartens nicht ausgleichen. Das haben die
ProduzentInnen auch selbst erkannt, wie aus Rückmeldungen von Kooperativen an die EZA
Fairer Handel GmbH hervorgeht: „Die Einnahmen im letzten Jahr waren deutlich höher als in
der Vergangenheit. Die Preise sind gestiegen, was unsere ProduzentInnen dazu motiviert,
ihre Pflanzungen zu erneuern und zu investieren“, stellt Fermin Silva García von der mexikanischen Kaffeekooperative „21 de Septiembre“ fest.28
Auch seine Kollegin aus Nicaragua, Martha Villareyna, sieht die Notwendigkeit, das zusätzliche Einkommen teilweise in neue Pflanzungen zu investieren: „Vergleicht man die aktuelle
Situation mit jener davor, so kann man sagen, dass die ProduzentInnen die Lektion der Jahre 1999 – 200329 gelernt haben. Sie wissen, dass die aktuell guten Preise dazu genutzt werden müssen, die Infrastruktur und die Pflanzungen zu verbessern, damit sie vorbereitet sind,
für den Fall, dass die Preise wieder sinken.“30
Franz Vanderhoff, von der mexikanischen Kooperative UCIRI bringt einen weiteren Aspekt
ins Spiel. Der Klimawandel hinterlässt in den Kaffeegärten der Kleinbauernfamilien seine
Spuren: „Die Mitglieder von UCIRI haben in den letzten Jahren 40 Prozent ihrer Produktion
durch Schlechtwettereinfluss verloren. Es gab starke Regenfälle, Kälteperioden, heftige
Stürme, und eine Trockenperiode genau zur Blütezeit des Kaffees. Das bedeutet, dass die
Mitglieder ihre Parzellen mit widerstandsfähigeren Pflanzen erneuern müssen, die diese klimatischen Veränderungen besser verkraften.“31
Auch im Rahmen der Überarbeitung der FAIRTRADE-Standards für Kaffee wurde auf die
geänderten Rahmenbedingungen reagiert. Die FAIRTRADE-Prämie wurde per 1.4.2011 auf
20 US Cents pro Pfund Rohkaffee angehoben, wobei 5 US Cents in die Erneuerung der
Pflanzen und in Maßnahmen zur Qualitätssicherung und verbesserte Produktivität investiert
werden müssen.
„Die ProduzentInnen sehen wieder Zukunft in der Arbeit mit Kaffee, auch für die jungen Leute wird das Produkt wieder interessant. Die Erneuerung der Kaffeegärten – vor allem in Oaxaca – ist voll angelaufen“, beschreibt Franz Denk von EZA Fairer Handel GmbH seine Eindrücke beim letzten Besuch bei der Kooperative Yeni Navan in Oaxaca. Gerade hier waren
die Erträge der zum Teil veralteten Kaffeesträucher dramatisch zurückgegangen, was – trotz
Fairem Handel – die Einkommenssituation deutlich verschlechterte. Dazu kamen die in Mexiko rapide steigenden Lebenshaltungskosten. Auch wenn die Familien ihren Mais und ihre
Bohnen für den eigenen Bedarf anbauen – Kaffee ist ihre Existenzgrundlage. Er muss das
Geld bringen, das sie zum Leben brauchen.
Beim langjährigen EZA- Kaffeepartner Yeni Navan wurde deshalb ein umfassendes Programm gestartet, das die Kooperativenmitglieder in die Lage versetzen soll, wieder ausreichend Ertrag auf ihren kleinen Parzellen zu erwirtschaften. Hektarerträge von etwa 100-130
kg Rohkaffee wie in manchen Kaffeegärten der Fall, bieten hier keine ausreichende Perspek28
Statement an EZA Fairer Handel vom März 2011
Diese Periode zeichnete sich durch extrem niedrige Preise für Rohkaffee aus.
30
Statement an EZA Fairer Handel vom März 2011
31
Statement an EZA Fairer Handel vom April 2011
29
26
tive. Der Ertrag pro Hektar soll verdoppelt und im besten Fall vervierfacht werden.32 Die Erneuerung der Kaffeepflanzen ist dabei nur ein Aspekt. Die Böden werden ebenso einer genauen Analyse unterzogen wie der Bestand an Schattenbäumen. Sie sind Schutz gegen
Erosion und wichtig, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen. Baumschulen sind entstanden,
in denen die Setzlinge gezogen und anschließend den ProduzentInnen zur Verfügung gestellt werden.
Das gesamte Programm berücksichtigt die Kriterien des kontrolliert biologischen Anbaus,
begleitend werden Schulungen abgehalten, in denen die Kleinbauern und -bäuerinnen wichtige Informationen zur Schattenregulierung und der Pflege des Kaffeegartens erhalten.
Diversifizierung vermindert Abhängigkeiten
Für die Kleinbauernfamilien bleibt der Export von Rohkaffee die wichtigste Quelle zur Erzielung von Geldeinkommen. Nichts desto trotz ist Diversifizierung ein wichtiger Aspekt zur
Verminderung von Abhängigkeiten. Es ist jedoch auch eine Frage praktikabler Alternativen.
So haben Kaffeegenossenschaften etwa in Mexiko damit begonnen, ihre erstklassigen Exportqualitäten auch für den heimischen Markt rösten zu lassen, haben Kaffeehäuser initiiert,
wo Kaffee aus Fairem Handel angeboten wird und eröffnen mit diesen noch kleinen (aber
bedeutsamen) Initiativen auch im eigenen Land die Diskussion um ganzheitliche Qualität.
Andere Kooperativen wiederum versuchen, ihr Exportgeschäft auf mehrere Produkte auszuweiten und setzen neben Kaffee auch auf Kakao oder Honig wie José Rojas von der peruanischen Genossenschaft Cepicafé bestätigt: „Die Preise für Nahrungsmittel sind tatsächlich
sehr stark gestiegen, was das Leben verteuert hat. Die Diversifizierung ist wichtig. Etwa 80
Prozent unserer Mitglieder bauen deshalb auch noch andere Produkte an.“
Die Verbindung von Exportproduktion und dem Anbau von Nahrungsmitteln für die eigene
Versorgung ist in vielen kleinbäuerlich strukturierten Betrieben des Fairen Handels bereits
Realität und kann dort zumindest teilweise die stark gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel abfedern.
4. Fairer Handel erschöpft sich nicht an der Preisfrage
Die Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten haben auch im Fairen Handel den Fokus stark
auf die Preiskomponente gerichtet. Dabei sind die unterschiedlichen AkteurInnen in der Kaffeekette - vom Kleinbauern und der Kleinbäuerin, über die ExporteurInnen und HändlerInnen, bis hin zu den KonsumentInnen – betroffen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.
Geht es bei den KonsumentInnen um die Frage, wann die „preisliche Schmerzgrenze“ beim
Kauf einer Packung Kaffee erreicht ist, müssen sich HändlerInnen und ProduzentInnen fragen, wie hoch respektive wie niedrig ihre Marge ausfallen kann und darf, um wirtschaftlich
tragfähig zu sein. Bei den Genossenschaften, die am System des Fairen Handels teilhaben,
stellt sich – abseits der Auswirkungen spekulativer Hochpreisphasen – die Frage, welche
Bedingungen sie generell brauchen, damit Kaffeeproduktion ihnen und ihren Kindern eine
Zukunftsperspektiven eröffnet.
Ein Preis, der eine nachhaltige Produktion ermöglicht, sowohl in sozialer, ökologischer wie
wirtschaftlicher Hinsicht, muss dabei ein zentrales Element des Fairen Handels bleiben und
in partizipativer Weise regelmäßig überprüft und angepasst werden. Auf VerbraucherInnenseite – und auf Seiten der KaffeeanbieterInnen – muss sich die Erkenntnis durchsetzen,
dass nicht nur hier, sondern auch in Ländern des globalen Südens die Lebenshaltungs- und
32
Der durchschnittliche Hektarertrag liegt in Mexiko bei rd. 8 Quintales und soll in den kommenden Jahren auf 20
Quintales angehoben werden. Siehe: http://www.americaeconomia.com/negocios-industrias/mexico-buscaaumentar-su-produccion-de-cafe-y-volver-ser-uno-de-los-principales- Bei Yeni Navan strebt man eine Steigerung
auf 10 Quintales pro Hektar an (460 kg).
27
Produktionskosten steigen und diesen in der angemessenen Bezahlung der ProduzentInnen
Rechnung zu tragen ist.
Sozialen Zusammenhalt stärken
Das Konzept des Fairen Handels weist jedoch über die alleinige Preisdimension hinaus. Das
betont auch Martha Villareyna, ehemals Mitarbeiterin der nicaraguanischen Kooperative Cecocafen: „Der Faire Handel ist der wichtigste Markt für organisierte KleinproduzentInnen. Die
Verträge mit dem Fairen Handel eröffnen uns günstigere Finanzierungsmöglichkeiten. Die
Praxis des Fairen Handels in unseren Organisationen hat für den Zusammenhalt in den Familien gesorgt, die Leute mussten nicht abwandern, das Land konnte behalten werden, die
sozialen Projekte haben die Lebensbedingungen der ProduzentInnen verbessert. Wir haben
Stipendien finanziert, die Produktion wurde diversifiziert, das Verhältnis zwischen Frauen
und Männern wurde thematisiert und bearbeitet. Wenn die Weltmarktpreise hoch sind und
die finanzielle Differenz zum Fairen Handel geringer wird, ist es mitunter schwieriger für die
Mitglieder, den Unterschied zwischen Fairem Handel und kommerziellem Handel in seiner
ganzen Breite nachzuvollziehen. Doch das Bewusstsein, dass es beim Fairen Handel um ein
Konzept geht, das über den Markt hinaus weist, die Vorteile und Verbesserungen, die er für
die Leute gebracht hat, führt dazu, dass die Beteiligung aufrecht bleibt.“ 33
Die Gestaltung transparenter, partnerschaftlicher und verlässlicher Handelsbeziehungen, der
Austausch von Information und Erfahrung, Unterstützung bei der Umstellung auf biologischen Landbau, bei der Anpassung an den Klimawandel, der Diversifizierung der Produktion,
beim Zugang zu alternativen Finanzierungsquellen, Weiterbildung und Trainings – all dies
sind bedeutende Aspekte des Fairen Handels, da sie den sozialen Zusammenhalt fördern
und Wege aus der Armut aufzeigen.
Verhandlungsmacht aufbauen
Raúl Del Aguila, von der peruanischen Genossenschaft Cocla verweist auf eine zusätzliche
und wesentliche Dimension: „Der Preis war immer wichtig, von Anfang an. Doch es geht im
Fairen Handel um viel mehr als um den fairen Preis. Es geht etwa auch darum, dass organisierte KleinproduzentInnen gestärkt werden, um Einfluss auszuüben auf die Politik ihres
Landes, sodass die Bildungssituation, die Gesundheitssituation, die Infrastruktur verbessert
werden können. Einzelne, unorganisierte Bauern haben niemals eine vergleichbare Verhandlungsmacht.“34
Diese Verhandlungsmacht entsteht durch Fairen Handel – so del Aguila – auch entlang der
Produktions- und Lieferkette des Kaffes: „Die Werte wie Solidarität, Demokratie und Mitgestaltung hat es in unserer Organisation auch schon vor dem Fairen Handel gegeben. Doch
der Faire Handel war ein Schlüssel dafür, dass sich unsere Organisation festigen konnte. Wir
haben Zugang zum Markt bekommen, nicht nur zum fairen Markt, sondern zum Markt ganz
allgemein. Die ProduzentInnen sind in der Handelskette sichtbar geworden. Sie sind nicht
mehr das Letzte, sie sind zu international wirtschaftenden Akteuren geworden, die in ihrem
Land wahrgenommen werden. Heute sind wir eine große Bewegung, die sich artikuliert und
wo es Kontakte gibt zu unseren KollegInnen in Nicaragua, Mexiko aber auch in Afrika und
Asien. Dieser Austausch zwischen uns ist von großer Bedeutung.“35
329 FAIRTRADE-zertifizierte Kaffeebauernvereinigungen – allesamt Kleinbauern und –
bäuerinnen – in 28 Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens sind aktuell Teil dieser Bewegung. Rund 530.000 Menschen sind darin organisiert.36
33
Statement an EZA Fairer Handel vom März 2011
Statement an EZA Fairer Handel vom März 2011
35
Statement an EZA Fairer Handel vom April 2011
36
Fairtrade International: Monitoring the scope and benefits of Fairtrade, Third Edition, 2011
34
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IMPRESSUM
HerausgeberIn:
Forum Fairer Handel
c/o FIAN Österreich (ZVR: 937 480 634)
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Wissenschaftliche Beratung:
Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE)
AutorInnen: Andrea Reitinger (Teil 2), Cornelia Staritz (Teil 1)
Redaktion: Sophie Veßel
Wien, Juni 2012
Das Forum Fairer Handel ist ein Netzwerk von Organisationen der Zivilgesellschaft und AkteurInnen des Fairen Handels mit dem Ziel, durch die Bündelung von Kompetenzen und
Strategien den Fairen Handel zu fördern und ihm in der Öffentlichkeit ein größeres Gewicht
zu verleihen.
Das Forum Fairer Handel übt Kritik am dominanten globalen Wirtschafts- und Handelsmodell, das für viele Menschen vor allem im globalen Süden ein würdiges Leben und Arbeiten
unmöglich macht, und tritt für Gerechtigkeit in Handel und Wirtschaft ein. Das Forum fördert
den Fairen Handel als Modell, das aufzeigt, wie gerechte und partnerschaftliche Handelsbeziehungen und würdige Arbeitsbedingungen möglich sind, und entwickelt den Fairen Handel
und die für ihn nötigen Strukturen weiter.
Die Mitglieder des Forums sind die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Weltläden, die Dreikönigsaktion – Hilfswerk der Katholischen Jungschar, die EZA Fairer Handel, FAIRTRADE Österreich, FIAN Österreich (Food First Informations- und Aktionsnetzwerk), OIKOCREDIT und
Südwind.
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