Desperately Seeking Madonna
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Desperately Seeking Madonna
„Desperately Seeking Madonna“: wechselnde Weiblichkeitsinszenierungen als mediale Konstruktion eines Popstars Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II mit Zusatzprüfung für die Sekundarstufe I, dem Staatlichen Prüfungsamt für Lehrämter an Schulen in Köln vorgelegt von: Friedrike Mimberg 29. September 2005 Prof. Michael Rappe Hochschule für Musik Köln 4 INHALTSVERZEICHNIS Seite 0. Einleitung 4 1. Die Macht der Bilder 8 1.1 Videoclipgeschichte: Historische und wirtschaftliche Hintergründe 8 1.1.1 Die und 8 1.1.2 Musiktechnologische und popkulturelle Entwicklungen als 10 Vorläufer des Clips: Zwischen Werbefilm Synästhesie-Experiment Katalysator für die Entwicklung des Videoclips als Ausdrucksform der Popkultur 1.1.3 Die Krise der Musikindustrie als Geburtshelfer des Videoclips 11 1.2 Die Gründung von MTV oder: Videoclips erobern das Fernsehen 12 1.3 Der Videoclip: Zur ästhetischen und moralischen Debatte 15 1.3.1 Clipästhetik 16 1.3.2 Das Zusammenspiel von Bild, Musik und Starinszenierung 17 1.4 Rezeption und Verstehen von Videoclips 18 1.5 Der Videoclip als audiovisuelles Medium: „BilderHören und 21 MusikSehen“ oder „Bilderwelt der Klänge – Klangwelt der Bilder“ 1.6 Methodisches Vorgehen dieser Arbeit 2. Die Macht der Imagewechsel 2.1 23 24 Burning up (1983) 24 2.1.1 Das New York der 1970er / 1980er Jahre: Von der Tänzerin 25 zur Musikerin – Clubszene – erster Plattenvertrag 2.2 2.3 2.1.2 Image 29 2.1.3 Clipanalyse 30 Express Yourself (1989) 38 2.2.1 Image 41 2.2.2 Daten zum Clip 43 2.2.3 Clipanalyse 45 Frozen (1998) 58 2.3.1 Image 60 5 2.4 2.3.2 Clipanalyse 61 What It Feels Like For A Girl (2001) 68 2.4.1 Image 69 2.4.2 Clipanalyse 70 2.4.2.1 Clipbeschreibung 71 2.4.2.2 Das Zusammenspiel von Bild, Ton und Musik 84 2.4.2.3 Cover 86 2.4.2.4 Interpretation 87 3. Madonnas Macht über die Bilder 93 4. Ausblick und Schlusswort 100 5. Quellenverzeichnis 102 Clipliste 104 Anhang Anhang I: Abbildungsverzeichnis Anhang II: Songtexte Madonna-Clips (DVD) 6 0. EINLEITUNG I’ve had so many lives Since I was a child And I realise How many times I’ve died […] Nobody knows me […] 1 Das Einzigartige an dem Popstar Madonna ist, dass es ihr gelungen ist, seit mehr als zwanzig Jahren die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums auf sich zu ziehen, alle Medienskandale zu überleben und mit ihrer Musik immer aktuell zu bleiben. Sie ist omnipräsent wie kaum ein anderer Popstar: Kein Tag vergeht, an dem es nichts von der Künstlerin zu sehen oder zu hören gibt, im Radio, Internet, Fernsehen, oder der Tages- und Boulevardpresse. Nach Angabe des Guiness-Buch der Rekorde ist Madonna mit 250 Millionen verkauften Tonträgern die international erfolgreichste Sängerin unserer Zeit und gehört mit einem geschätzten Vermögen von 600 Millionen US-Dollar zu den reichsten Frauen der Welt. Seit fast einem viertel Jahrhundert vermarktet sich die Tänzerin, Sängerin, Schauspielerin, Kinderbuchautorin und Geschäftsfrau mit beispielhafter Effizienz. Madonna hat sich im Laufe ihrer langen Karriere immer wieder neu erfunden, sich weibliche und männliche Gesten und Posen bestimmter celebrities angeeignet, sie nach dem Prinzip der bricolage zusammengesetzt und für ihre eigenen Aussagen umfunktionalisiert. Durch die ständigen Umwandlungen, das Tragen und Austauschen von Masken, den permanenten Imagewechsel, der zu ihrem Markenzeichen geworden ist, ist es ihr gelungen, der Abnutzung der Bilder, die mit ihrer medialen Omnipräsenz einhergeht, entgegenzuwirken; denn Pop muss sich pausenlos erneuern, um weiterleben zu können. Das chamäleonhafte „Switchen“ von einem Image zum nächsten wird im Popgeschäft von niemandem mit einer solchen Professionalität beherrscht wie von Madonna: Ob „Girlie“ oder Marilyn Monroe, Domina, Dietrich, Dita Parlo, Mystikern, Auftragskillerin oder Mrs. Ritchie, in allen Rollen ist sie überzeugend und führt auf diese Weise vor, dass sie den Imagewechsel als Spiel betreibt. Madonna, die Meisterin der artifiziellen Authentizität, legt sich dabei auf keines ihrer Images fest, was ihr die Möglichkeit einräumt, sich immer wieder neu und als eine ganz Andere zu erfinden. Auf diese 1 Madonna in ihrem Song „Nobody Knows Me“ vom Album „American Life“, 2003. 7 Weise ist es ihr möglich, ein möglichst breites Publikum anzusprechen auch noch nach über zwei Jahrzehnten an der Spitze des Popbusiness zu stehen. Jede dieser Rollen, so behauptet sie selbst, ist eine Facette von ihr, die sie nacheinander künstlerisch auslebt. Doch keine davon zeigt die „wahre“ Madonna, der Biografen unermüdlich auf der Spur sind, „desperately seeking...“. 2 Der permanente Imagewechsel ist folglich das, was Madonna unter anderem zu ihrem heutigen Status als Popikone verholfen hat. So scheint der Wechsel bei allen Veränderungen eine Konstante in ihrem Werk darzustellen. Im Wechsel liegt Madonnas Kontinuität. So lässt sich die erste These, der in dieser Arbeit nachgegangen werden soll, folgendermaßen formulieren: Trotz der Imagewechsel lässt sich eine Kontinuität ausmachen. Oder anders formuliert: Die Kontinuität des Medienstars Madonna liegt gerade in der Veränderung, in den wechselnden Weiblichkeitsinszenierungen: „Changing her image is her image.“ 3 Ein weiteres Madonna-Merkmal ist es, dass keines der Images eine jeweils komplette Neuerfindung darstellt. In all ihren alter egos, die sie im letzten Vierteljahrhundert entworfen hat, präsentiert sie ein Bild von Weiblichkeit, das sie von Anfang an für ihre Fans so anziehend gemacht hat: Es ist das Bild einer unabhängigen, selbstbewussten Frau mit sozialer Macht und finanziellem Erfolg. In einer Gesellschaft, in der Gesundheit, Körperkult und ein hohes Konsumniveau von großer Bedeutung sind, ist es nicht verwunderlich, dass Madonna für Mädchen und junge Frauen ein Selbstbewusstsein Rollenideal und darstellt. Selbstbestimmung Die ist Artikulation ein Aspekt, von der weiblichem sich ebenso kontinuierlich durch ihr Werk zieht. Dies erreicht sie dadurch, dass sie sich selbst von Anfang an als eigenständige Künstlerin und unabhängige, selbstbewusste Frau mit sozialer Macht und finanziellem Erfolg definiert und darstellt. Die Themen, die sie behandelt, sind ebenfalls seit Beginn ihrer Karriere die gleichen: Die Beziehung zwischen den Geschlechtern, der geschlechtliche Zwiespalt, weibliche sexuelle Autonomie in einer von weißen Männern dominierten Welt. Madonna verkörpert für weibliche Fans einen Zugang zu Privilegien, die traditionell nur Männern zugesprochen werden: Der Anspruch auf (sexuelles) Vergnügen, Geld 2 Der Titel dieser Arbeit bezieht sich auf den Spielfilm mit dem Titel „Desperately Seeking Susan“ (Regie: Susan Seidelman, 1985), in dem Madonna die Rolle der Susan spielt. Dieser Film hat erheblich dazu beigetragen, Madonnas „Girlie-Look“ der Anfangsjahre populär zu machen. 3 Watts, Mark: „Electrifying Fragments: Madonna And Postmodern Performance (1996)“, in: Benson, Carol/Metz, Allan (Hrsg.): The Madonna Companion. Two Decades Of Commentary, New York 1999, S. 297. 8 und Autorität. Dies führt zur zweiten These: In all ihren Inszenierungen geht es um das Aushandeln von Macht und Kontrolle, das Infragestellen der Zuschreibung traditioneller Geschlechterrollen und deren konventioneller Darstellung im Patriarchat, alles im Dienste der Artikulation von weiblicher Selbstbestimmung. Madonna ist ohne Bilder nicht denkbar. Erst mit der visuellen Vermarktung Madonnas kam der Erfolg. Ihre Musik allein hätte sie nicht zu der gemacht, die sie heute ist. Mit jedem Album, fast mit jedem Videoclip, liefert die Künstlerin ein neues Image und ein neues Design mit, die Kritiker wie Fans mitunter mehr zu interessieren scheinen als der Inhalt ihrer Werke. Bei Madonna sind es im wesentlichen die visuellen Eindrücke, die im Gedächtnis bleiben. Das Musikvideo erweist sich als das für Madonnas Intentionen am meisten geeignete Medium. Ohne Musikvideos, die, ausgestrahlt von MTV, schnell für eine flächendeckende Verbreitung ihres Images sorgten, wäre sie vermutlich eines der One-Hit-Wonder der Popmusik geblieben, wie es ihr Kritiker in den 1980er vorhergesagt hatten. So profitierte Madonna zu Beginn der 1980 Jahre von der Entstehung von MTV wie kaum ein anderer Popstar. Mehr als jeder andere erkannte sie im Medium des Musikvideos eine Möglichkeit, die eigene Popularität aufzubauen und für Songs zu werben. Darüber hinaus erkannte sie in den Clips von Anfang an ein Forum, in dem sich ihr Image als Virtuosin der Verwandlung formulieren und manifestieren ließ. 4 Die meisten Kontroversen in Presse und Wissenschaft entstanden weniger um ihre Songs als um die dazugehörigen Videobilder; denn nicht selten erhalten die Songs erst durch den Clip ihre eigentliche Bedeutung. So scheint es gerechtfertigt, Madonna als vornehmlich visuelles Phänomen zu begreifen. Madonna ist ohne Videobilder nicht denkbar, die „Macht der Bilder“ und ihre Präsenz auf MTV haben ihren weltweiten „Siegeszug“ erst möglich gemacht. Der Videoclip ist das Genre Madonnas, das sie ― im Gegensatz zum Film 5 ―, perfekt beherrscht; denn in den Clips ist es ihr möglich, geschlechtliche Identitäten als Maskeraden durchzuspielen oder die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit aufzulösen. Somit kommen wir zur dritten These: Madonnas Erfolg 4 So behauptet Ramona Curry, dass „die Herstellung und Umwandlung von Madonnas Starimage“ in erster Linie in ihren Videoclips stattfindet. Vgl. Curry, Ramona: „Madonna von Marylin zu Marlene: Pastiche oder Parodie?“, in: Neumann-Braun, Klaus (Hrsg.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, S. 184. 5 Für ihre schauspielerischen Leistungen kassierte sie insgesamt acht Mal den „Golden Raspberry Award“ (Die goldene Himbeere) für die schlechteste schauspielerische Darbietung. 9 steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Möglichkeiten, die das Medium Video bietet. Der Aufbau der Arbeit entspricht den aufgestellten Thesen in umgekehrter Reihenfolge. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die wechselnden Weiblichkeitsinszenierungen der Kunstfigur Madonna und die Frage, wie sie diese medial inszeniert. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf ihren Videoclips, die sich wie kein anderes Medium zur Visualisierung ihrer permanenten „Häutungen“ eignen. Am Anfang dieser Arbeit steht deshalb die Betrachtung des Mediums „Videoclip“ im Hinblick auf seine historischen, wirtschaftlichen und popkulturellen Hintergründe, aber auch hinsichtlich seiner Ästhetik und seiner Rezeption. Auch Gründung und Wirkungsweise des Musiksenders MTVs finden im ersten Teil insofern Berücksichtigung, als dass er durch die Ausstrahlung von Madonna-Videoclips wesentlich zur globalen Verbreitung des jeweiligen Madonna-Images beigetragen hat. Der Videoclip, betrachtet als ein spezifisch audiovisuelles Medium, stellt bestimmte Anforderungen an eine Videoclipanalyse und bildet die Voraussetzung für die methodische Grundlage für das Vorgehen im zweiten Teil dieser Arbeit, dessen Gegenstand Themenstellung der die diachronen Arbeit, nämlich Imagewechsel das Aufzeigen Madonnas der sind. Imagewechsel Die als kontinuierliches Phänomen im Gesamtwerk der Künstlerin, visualisiert in ihren Clips, erfordert die Berücksichtigung mehrerer Clips, die im Hinblick auf Image und Themenkontinuität untersucht werden sollen. Zu diesem Zweck wurden vier Clips der Künstlerin ausgewählt, die jeweils unterschiedlichen Phasen ihrer Karriere ― markiert von ihrem ersten Album mit dem sprechenden Titel „The First Album“ (1983) und ihrem 2000 erschienen Album „Music“ ― zuzuordnen sind. Der Analyse eines jeden Clips geht eine Beschreibung der dominanten Konstruktionselemente des jeweiligen Madonna-Images voraus, wobei auch Alben- und Single-Cover Berücksichtigung finden. Der dritte Teil dieser Arbeit soll im Hinblick auf die Ergebnisse des zweiten Teils noch einmal der Frage nachgehen, inwieweit Madonna sich die Welt der Bilder für ihre Imagekonstruktionen nutzbar macht, bevor der vierte Teil mit einem Ausblick auf die „neue“ Madonna, die sich für das Ende diesen Jahres mit einem neuen Album angekündigt hat, schließt. 10 1. DIE MACHT DER BILDER 1.1 Videoclipgeschichte: Historische und wirtschaftliche Hintergründe 1.1.1 Die Vorläufer des Clips: Zwischen Werbefilm und SynästhesieExperiment Videoclips sind in der Regel drei- bis fünfminütige Kurzfilme, die der bildlichen Untermalung eines Musiktitels dienen. Die Geburtsstunde des Videoclips ist in der Literatur umstritten. Fernsehauftritte der Rock ’n’ Roller wie Elvis Presley Mitte der 1950er Jahre im US-Fernsehen können schon als Vorläufer des Clips betrachtet werden: Die Rockstars wurden singend und musizierend gezeigt in der Absicht, den Schallplattenverkauf zu fördern. Die Plattenfirmen erhofften sich, durch die visuelle Abbildung im Fernsehen die Stars ihren Fans näher zu bringen, als es durch das reine Hör-Erlebnis, die Schallplatte, möglich war. Darüber hinaus bot sich auf diese Weise die Möglichkeit, ein größeres Publikum anzusprechen, als man allein durch das Radio erreichen konnte. Da es bis zu der Gründung MTVs Anfang der 1980er Jahre noch keine Fernseh-Musiksender gab, beschränkte sich die Präsentation von entsprechenden Programmen öffentlich rechtlicher Sender. „Kurzfilmen“ auf TV-Shows in den 6 Von Vorteil gegenüber dem Radio sollte sich außerdem die Tatsache erweisen, dass die Ausstrahlung eines aktuellen Musiktitels über das landesweite Fernsehen geographisch ein größeres Publikum erreichen konnte als dieselbe Sendezeit bei einer lokalen Radiostation. Üblicherweise handelte es sich hierbei um Auftritte vor einem Studiopublikum mit dokumentarischem Charakter, wenigen Kameras und ohne große Effekte, da die Videotechnik noch nicht weit entwickelt war. Gesendet wurde regulär live, um die Kosten für die Produktion auf chemischem Film so niedrig wie möglich zu halten. Für die Fernsehsender waren diese Sendeformen wegen der geringen Produktionskosten bei gleichzeitigen hohen Einschaltquoten besonders 6 Zur Übersicht von Rock- und Popmusik im Fernsehen vor der Gründung von MTV und MTV Europe seien hier einige Daten genannt: 1951 Bandstand, tägliche TV-Sendung (auf Philadelphia beschränkt). – Bis 1989 als American Bandstand US-weite Ausstrahlung durch den Sender ABC. – 1963-1966: Ready, Steady, Go! in Großbritannien. – 1.01.1964: Erste Ausstrahlung von Top of the Pops in GB. – 19651972: Radio Bremen produziert 83 Folgen Beat-Club und verkauft sie weltweit. – 1984: In der BRD wurden Formel 1 (ARD) und Tele 5 die Sendungen für Videoclips. – Vgl. Maas, Georg: „Videoclips. Gegenwartskunst oder Gefahr für die Jugend?“, in: Musik und Unterricht 51/1998, S. 9. 11 attraktiv. Das, was im Fernseher zu sehen war, zeigte sich deshalb sehr uniform und war den Vorstellungen des jeweiligen Senders unterworfen. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre änderte sich die Situation mit dem von den „Beatles“ in eigener Regie gedrehten Film zu ihrem Song „Strawberry Fields Forever“ (1967). Alle vier Musiker sind hier zu sehen, allerdings nicht mit ihren Instrumenten. Die Musik fungiert hier erstmals nur als Untermalung der Handlung und Zuspielung zur Bilder. Obwohl es sich um einen chemischen Film handelt und nicht um einen magnetisch aufgezeichneten ― also ein Video ― wird das Werk der „Beatles“ oftmals als Urform aller Videoclips bezeichnet 7 ; denn hier wird im Gegensatz zu den damals üblichen Fernsehsendungen mit den technischen Möglichkeiten des Films gespielt, wie etwa Zeitlupe, rückwärtslaufenden Sequenzen oder dem Einsetzen von Bildnegativen zur Unterstützung des surrealen Charakters des Songs. So steht der Film eher in der Tradition experimenteller Musikfilme wie jenen von Len Lye, Oskar Fischinger, Walther Ruttmann oder Walt Disney, und nicht in der Reihe der bis dahin zu Demonstrations- und Werbezwecken produzierten Filme von Rockmusikern, die in erster Linie der Selbstdarstellung des jeweiligen Künstlers dienten. Den Liverpoolern ging es um das Erschaffen neuartiger Verbindungen zwischen filmischen und musikalischen Abläufen, und dies im Sinne audiovisueller Synästhesie. 8 Doch zunächst blieb der „Beatles“-Film ein experimentelles Einzelwerk. Erst Mitte der 1970er Jahre begann man unter dem Eindruck rückgängiger Schallplattenverkäufe mit der systematischen Herstellung von Videoclips. 9 Somit ist die Entwicklung des Musikvideos sehr eng mit den Absatzschwierigkeiten der Tonträgerindustrie und den Maßnahmen zu deren Überwindung verknüpft. Die Ende der 1970er Jahre einsetzenden, musiktechnologischen und popkulturellen Umwälzungen schafften den Nährboden für diese Entwicklung. 7 So argumentiert auch Michael Fink: „In 1967 the Beatles introduced a new song, ‘Strawberry Fields Forever’, which what was probably the first modern music video. The clip made liberal use of editing techniques and humorous optical tricks for which the Beatles’ films had become famous, but ‘Strawberry Fields Forever’ projected a distinctive image, a unique mood that perfectly complimented the psychedelic nature of the song.” Fink, Michael: Inside the Music Business, New York 1989, S. 163. 8 Siehe hierzu Kap. 1.5 dieser Arbeit, das den Videoclip als spezifisch audiovisuelles Medium darstellt. 9 Als Prototyp der damaligen Clips wurde der 1975 zu dem Song „Bohemian Rhapsody“ der Gruppe „Queen“ produzierte Film betrachtet. Vgl. Maas 1998, S. 6. Oftmals wird auch dieses „Queen“-Video als das erste Musikvideo der Geschichte bezeichnet. 12 1.1.2 Musiktechnologische und popkulturelle Entwicklungen als Katalysator für die Entwicklung des Videoclips als Ausdrucksform der Popkultur Die Ende der 1970er Jahre einsetzende Revolutionierung der Produktionsund Reproduktionstechnologien in der Musikbranche ermöglichte die Erzeugung völlig neuer Sounds: Mit Drumcomputern, Synthesizern und Sequenzern war es nun möglich, künstliche Sounds zu kreieren, die abgespeichert und beliebig oft reproduziert werden konnten. Das Computer-Sampling machte es möglich, Stücke zu schreiben, ohne die jeweiligen Instrumente spielen zu können. Diese Umwälzungen im Produktionsbereich veränderten folglich auch die traditionelle Live-Performance: So hielten die Reproduktionstechnologien Einzug in die „Live-Acts“ der Popmusik, weil es nicht mehr möglich war, die technisch aufwendig produzierten aufzuführen. 10 Songs in einer konventionellen Live-Präsentation In den frühen 1980er Jahren veränderte sich die Live-Performance dahingehend, dass die erzeugte Musik den unterschiedlichsten Quellen entnommen wurde und dass die Band, die live zu sehen war, nicht unbedingt im herkömmlichen Sinne live spielte. Auf diese Weise fand eine „Grenzauflösung zwischen künstlicher und Live-Darbietung“ 11 statt, verbunden mit einem „displacement of the 12 musician“ , wodurch sich die auditive Qualität der Musik relativierte, während die visuelle in den Vordergrund rückte. Live-Auftritte waren so immer seltener Präsentationen musikalischen Könnens als vielmehr perfekt inszenierte Shows, die auf das Image des jeweiligen Stars zugeschnitten wurden. So wie sich im Laufe der 1980er Jahre Popmusik immer mehr zu einem visuellen Gesamtkunstwerk entwickelte, wurde auch der Musiker immer mehr zum Performer. Wie sehr Madonna ein „Kind ihrer Zeit“ ist, zeigen schon die Mitschnitte ihrer ersten, als Gesamtkunstwerk angelegten Konzerte Mitte der 1980er Jahre, in denen sie sich selbst als Mittelpunkt der Show inszeniert, die weit mehr war als die Darbietung von Musikstücken. Die visuellen Effekte drängten in Madonnas Shows die auditiven Aspekte von Anfang an in den Hintergrund. So nannte die Künstlerin selbst ihre 10 Die Produktion des oben angeführten Films der „Beatles“ fand schon Mitte der sechziger Jahre u.a. vor dem Hintergrund dieser neuen Entwicklungen statt: Seit August 1966 trat die Band u.a. nicht mehr öffentlich auf, weil ihnen ihre in den Studios aufwendig produzierte Musik auf der Bühne nicht mehr reproduzierbar erschien. So wurde der Film u.a. auch gedreht, um dennoch in den TV-Sendungen wie etwa Top of the Pops in Erscheinung treten zu können. Vgl. Maas 1998, S. 6. 11 Schmidt, Axel: „Sound and Vision Go MTV ― die Geschichte des Musiksenders bis heute”, in: Neumann-Braun/Schmidt 1999, S. 96. 12 Goodwin, A.: Dancing in the Distraction Factory. Music Television and Popular Culture, London 1992, S. 32. 13 90minütige Show der „Who’s That Girl“-Tour (1987) ein „theatralisches MultimediaSpektakel”. 13 So begann, hervorgerufen durch die technologischen Neuerungen jener Zeit, die Live-Ideologie als Authentizitätsprädikat des traditionellen Rocks zu schwinden und eine Welle der Artifizialisierung die Werte der Rock- und Popwelt zu erfassen. [...] Lippensynchrones Singen und die Selbstpräsentation zur Musik wurden zum integralen Bestandteil der Pop-Performance und bereiteten damit den Boden für den Videoclip als der popkulturellen Ausdrucksform der kommenden Jahre. 14 Den in Folge dieser Entwicklung entstandenen Popclips fehlte es nun an geeigneten Foren, die ihnen mit der Gründung des Musikfernsehens geboten wurden. 1.1.3 Die Krise der Musikindustrie als Geburtshelfer des Videoclips Ende der 1970er Jahre suchte die Musikindustrie wegen Umsatzeinbußen nach effektiveren Formen der Produktwerbung, denn Konzerttourneen und das Radio ― damals die einzigen Foren, in denen Pop-Künstler Promotion für sich und ihre Werke machen konnten ― erwiesen sich als zu kostenintensiv, konservativ und in der Reichweite als zu begrenzt. In Verbindung mit den oben bereits erwähnten, popkulturellen Wandlungsprozessen zeigte sich der Videoclip als ein sehr viel effektiveres Werbemedium. So knüpft der Clip zwar an die Idee der LivePerformance an, stilisiert und artifizialisiert jedoch den Auftritt des Künstlers zu Werbezwecken: Die Inszenierung des Künstlers im Clip ist „performance-aspromotion“ 15 , also Auftritt und Werbung gleichermaßen. Auf diese Weise wird das Produkt Popmusik ― synästhetisch erweitert ― in noch größerem Umfang reproduzierbar und distribuierbar. Im Vergleich zu Tourneen erwies sich der Clip als eine kostengünstige, durch die Verbreitung durch das Fernsehen als eine globale und kontrollierbare Form der Werbung von Popmusik. Die Gründung der Musiksender machten diese Art der Promotion erst möglich, so dass MTV „zum Retter der angeschlagenen Tonträgerindustrie“ avancierte und sich darüber hinaus als ein Medium erwies, „das mit den Tendenzen des Strukturwandels innerhalb einer wiedererstarkenden Musikindustrie perfekt harmonierte.“ 16 13 14 15 16 Madonna zit.n.: Morton, Andrew: Madonna, Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 2002, S. 257. Schmidt 1999, S. 96. Goodwin 1992, S. 25. Schmidt 1999, S. 99. 14 1.2 Die Gründung von MTV oder: Videoclips erobern das Fernsehen Erst mit dem Aufkommen des Kabel- und Satellitenfernsehens in den USA Ende der 1970er Jahre wurde es möglich, Spartenkanäle zu schaffen und damit einen Sender wie MTV zu gründen, der sich bei spezialisiertem (jugendspezifischem) Programmangebot an ein globales Publikum richtete und ausschließlich dazu geschaffen wurde, als Übertragungsmedium für Videoclips zu fungieren. Die Gründung des amerikanischen Senders MTV (Music Television) im Jahr 1981 17 und seine seit August 1987 bestehende westeuropäische Dependance in London radikalisierten das Konzept der Fernsehsender (s. Kap. 1.1.1), indem sie ein Rund-um-die-Uhr-Fernsehprogramm, bestehend aus Werbung und Musik, 18 lieferten, das äußert kostengünstig produziert werden konnte: Der Sender stellt den Sendeplatz zur Verfügung, die Musikbranche beschafft das Programm, und das kostenlos. Sehr schnell zeigte sich, wie attraktiv und profitabel die kleinen Filme waren. Das Publikum schien die neue Darbietungsform von Rock- und Popmusik zu akzeptieren und zu nutzen. Die soziokulturellen Rahmenbedingungen der beginnenden 1980er Jahre zeigten sich sehr günstig hinsichtlich des Musikkonsums: Das träger und älter werdende Rockpublikum und die Entstehung einer Jugendkultur, in deren Zentrum nicht mehr allein die Musik stand, „ebneten den Weg der widerständigen Rockmusik der Siebziger ins kommerzielle Fernsehen der Achtziger.“ 19 Es kam zur Neubildung kultureller Nischen, auf die die Werbebranche mit einem differenzierteren Warenangebot reagierte. Axel Schmidt spricht in diesem Zusammenhang von einer „zielgruppenorientierte[n] Fragmentierung der populären Medienkultur“ 20 . Dabei sollte „MTV mehr sein als ein visuelles Radio [...]. Mit dem 17 Erster ausgestrahlter Clip auf MTV: „Video Killed The Radio Star“ von den „Buggles“. Nachdem am 1.08.1987 MTV Europe den Sendebetrieb in London aufgenommen hat, folgt 1991 MTV Asia. Vgl. Maas 1998, S. 9. 18 Eine Nähe zwischen Werbespot und Videoclip besteht nicht nur in der Funktion, nämlich ein Produkt, im Falle des Clips den Musiker oder die Band zu bewerben, sondern auch in der Ästhetik. Denn seit den Anfängen des Clips haben sich Clipregisseure an der Ästhetik der Werbefilme orientiert. Das Verhältnis zwischen Werbespot und Clip hat sich allerdings inzwischen dahingegen verändert, dass nun die Werbespots die Clipästhetik adaptieren oder diese zitieren: „Die Videocliptechnik von Sendern wie MTV hat einen wahnsinnigen Einfluss [auf die Gestaltung von Werbung] ausgeübt“, so Konstantin Jacoby, Gründer der erfolgreichsten deutschen Werbeagentur Springer & Jacoby in Hamburg, zitiert im Stern 2/1998 vom 31.12.1997, S. 100. 19 Schmidt 1999, S. 100. 20 Ebd. 15 Sender sollte ein ungewöhnlicher und neuer kultureller Service etabliert werden.“ 21 Der Inhalt des Senders sah seine Hauptaufgabe darin, die spezifischen Bedürfnisse seiner Zielgruppe zu befriedigen. Im Laufe der Jahre gründeten sich die unterschiedlichsten MTV-Ableger ― MTV Europe, MTV Russia, MTV Africa ―, die dafür sorgten, dass nicht nur die Popmusik des Westens, sondern auch die Gesichter der Musiker auf der ganzen Welt verbreitet wurden. 22 Somit ist die Gründung von MTV Anfang der 1980er Jahre im Zusammenhang mit Madonnas Karriere von entscheidender Bedeutung; denn auf diese Weise wurde ein Forum geschaffen, in dem die kleinen Werbefilme um den Globus geschickt werden konnten, was Madonna zu ihrem heutigen Status als internationaler Megastar verholfen hat. Inzwischen gibt es kaum mehr einen Haushalt ohne MTV. Musiksender gelten als Trendsetter bei seinem jugendlichen Publikum und genießen eine heute kaum zu überbietende Popularität. 23 Aus diesem Grund gibt es auch heute keinen Charthit mehr ohne Videobilder. Für Promotionzwecke und aus marketingtechnischen Gründen hat sich der Clip als effizientes Medium bewährt ― vorausgesetzt, das Musikfernsehen erklärt sich bereit, den jeweiligen Clip auszustrahlen, was von verschiedenen Faktoren (Qualität, Inhalt, Musikgenre, Label des Künstlers etc.) abhängig ist. Denn Musiksender bestimmen heute über Popkarrieren und produzieren Stars, ähnlich wie früher das Radio. Wer heute zu seiner Musik keine Clips produziert oder dessen 21 Ebd., S. 102. Auch in der BRD wurden seit Anfang der neunziger Jahre Musiksender gegründet und eine zunehmende Diversifizierung und Spezifizierung des Musikprogramms hinsichtlich der Zielgruppen vorgenommen. So gesellte sich am 1. Dezember 1993 zu MTV Europe der Kölner Videokanal VIVA. Mit der Gründung von VIVA 2 am 21. März 1995 wurde speziell die Zielgruppe der jüngeren Erwachsenen angesprochen, der seit 1995 aus Hamburg sendende deutschsprachige Musikkanal VH-1 richtet sich an die 25- bis 49-Jährigen. 1996 ging der Dortmunder Videoclipkanal ONYX auf Sendung, der sich mit einem Programm aus Pop, Jazz, Country, deutschem Schlager, Klassik, Musical und Oldies an die 30- bis 55-Jährigen adressiert. So zeigte sich bis Mitte der neunziger Jahre, ähnlich wie beim Rundfunk, eine zunehmende Spezialisierung hinsichtlich der Zielgruppe und des Musikgenres sowie eine zunehmende Nationalisierung bzw. Regionalisierung ab. - Durch die im Sommer 2004 durchgeführte Übernahme der VIVA Media AG durch den amerikanischen Medienkonzern Viacom ― Muttergesellschaft von MTV ― zeichnet sich allerdings eine zunehmende Uniformierung und ein Aufheben der Diversität hinsichtlich der Programmvielfalt ab. Der Videoclip-Anteil macht in den USA ohnehin nur noch einen Anteil von etwa einem Drittel am MTV-Programm aus. Somit scheint alles, was traditionell unter Musikfernsehen verstanden wird, nicht mehr zu existieren. Vgl. http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/042406_viva.html; http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/041711_viva_viacom.html; http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/041606_viva.html 23 1992 wurde MTV deshalb auch für Wahlkampfzwecke von Bill Clinton hinsichtlich der Präsidentschaftswahl genutzt. Vgl. Maas 1998, S. 6. 22 16 Clips nicht ausgestrahlt werden, läuft Gefahr, von einer breiteren Öffentlichkeit nicht wahrgenommen zu werden. Ob ein Clip in die sogenannte Playlist bei MTV aufgenommen wird, hängt unter anderem davon ab, welchem Label der oder die Künstler angehören. Neue Künstler großer Plattenfirmen erhalten regulär Eingang in die Playlist, 24 die der Independent Label werden kritischer betrachtet. So hatte Madonna von Anfang an das Glück, bei einem der größten Musiklabel Amerikas (Warner Brothers, wenn auch zunächst bei Sire Records, einer kleinen Tochterfirma) unter Vertrag genommen zu werden, was die Ausstrahlung ihrer Clips garantierte. 1984 etablierte der Musiksender MTV auf politischen Druck hin einen Ausschuss, dessen Aufgabe es war, anstößige und nicht jugendfreie Inhalte aus den Clips zu verbannen oder die Ausstrahlung von als gefährdend eingestuften Clips von vornherein zu unterbinden. Anhand der Kriterien „Anstößiges“ (Sex, Drogen, Gewalt) und „Schleichwerbung“ wird eine „hochgradig subjektiv[e]“ 25 Entscheidung gefällt, ob ein Clip der Kategorie „angenommen“, „abgelehnt“ oder „Nachbearbeitung erforderlich“ zugeteilt wird: Der Umfang der Zensuren nahm im Laufe der Zeit zunehmend restriktivere Formen an: 1989 wurden 10% aller Clips beanstandet, 1994 waren es bereits über 30%. Die Definitionskämpfe um ‚Erlaubtes’ und ‚Verbotenes’ führte dazu, dass in einigen Fällen die Clips bis zu sechsmal zwischen MTV und den Plattenfirmen hin- und hergeschoben wurden. 26 Auch einige Madonna-Clips wurden von MTV mit der Zensur belegt und nicht in die Playlist aufgenommen. So widersetzte sich MTV aufgrund vermeintlich pornographischer Inhalte in den 1990er Jahren der Ausstrahlung ihrer Clips zu den Songs „Justify My Love“ (1990) und „Erotica“ (1992). 2001 wurde der Clip zu „What It Feels Like For A Girl“ mit der Begründung abgelehnt, dass er zu viel Gewalt darstelle. Doch Madonna verstand es schon 1990, die Diskussionen um die geplante Zensur für sich nutzbar zu machen, indem sie sich in der Talkshow Nightline entschieden gegen die Zensur erotischer Phantasien aussprach und sich damit den Ruf einer widerständigen Künstlerin erstritt. Darüber hinaus schlug sie aus dem Sendeverbot erheblichen finanziellen Profit, indem sie „Justify My Love“ als Kaufvideo vermarktete und etwa 500 000 Kopien davon absetzte. 27 24 Darüber hinaus verpflichten vertragliche Regelungen zwischen MTV und großen Plattenfirmen den Musiksender dazu, einen bestimmten Anteil an Clips in die Liste zu übernehmen. Vgl. Schmidt 1999, S. 122. 25 Schmidt 1999, S. 122. 26 Ebd., S. 123. – Auch Songtexte mussten mit eingereicht und einer Prüfung unterzogen werden. Für Beispiele siehe ebd. 27 Ebd. – Siehe auch Kap. 2.2 dieser Arbeit. 17 1.3 Der Videoclip: Zur ästhetischen und moralischen Debatte Wegen des enormen Publikumszuspruchs zu MTV kam Mitte der 1980er Jahre eine Diskussion über moralische Werte von Videoclips auf. Die wesentlichen Kritikpunkte waren latenter Rassismus, 28 explizite Sexualitätsdarstellung und die Zurschaustellung von Gewalt. 29 Auf der Gegenseite plädierten die Verfechter einer eigenen kunstästhetischen Videoclipkultur für die Clips als einen neuen Kunsttypus, „der die Gegensätze von Avantgarde und Kommerz aufhebt, indem sich Medienkunst und Populärkultur zu einer neuen Art der Alltagskunst verbinden.“ 30 Die weltweite Verleihung von Videopreisen ― Grammies, MTV-Award, Goldene Europa etc. ― spricht für eine solche Einschätzung. Dass der Videoclip inzwischen als eigenständige Kunstgattung anerkannt ist, steht außer Zweifel: In Sonderprogrammen auf Festivals (wie seit 1998 bei den „Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen“), in Museen oder Galerien (z.B. im „Deutschen Filmmuseum Frankfurt“, 1993; Kunstverein Köln, 1996) oder im Fernsehen selbst (wie etwa die sechsteilige Reihe „Fantastic Voyages ― eine Kosmologie des Musikvideos“, 3sat, 2000) wird es ermöglicht, den Clip dekontextualisiert und in einer anderen Programmatik als der des Musikfernsehens im Hinblick auf seinen ästhetischen Wert, seine bildgebende Macht, Themen und Rhetoriken zu betrachten und einen genauen Blick auf unterschiedliche Autorensprachen oder nationale Besonderheiten zu werfen. Auch anhand der in dieser Arbeit analysierten Videoclips lässt sich die Entwicklung des Mediums ablesen: Innerhalb von weniger als zwanzig Jahren hat sich der Clip zu einer eigenständigen Kunstgattung entwickelt, wovon gerade der Clip „Frozen“ ― produziert von Chris Cunningham, einem der renommiertesten Clipregisseure ― Zeugnis ablegt. 28 Bis zum Erfolg von Michael Jacksons Album „Thriller“ (1982) strahlte MTV keine Clips farbiger Musiker aus! Schwarze Konkurrenz-Sender hingegen konnten sich wegen geringer Werbeeinnahmen nicht allein auf Videoclips schwarzer Musiker beschränken. Vgl. Sanjek, Russell: American Popular Music and its Business: The First Four Hundred Years, vol. 3: From 1900 to 1984, Oxford: Oxford University Press 1988, S. 640 f. 29 Glogauer, Werner: „Sex und Gewalt als auffälligste Inhalte von Videoclips“, in: Musik und Bildung 20/1988, Heft 11, S. 835-840. 30 Bódy, Veruschka/Weibel, Peter (Hrsg.): Clip, Klap, Bum: Von der visuellen Musik zum Musikvideo, Köln 1987. Zitat aus dem Klappentext. 18 1.3.1 Clipästhetik Dass Videoclips Werbefilme, 31 sogenannte „Promos“, d.h. Absatzförderer sind, schließt nicht aus, dass in ihnen auch ein ästhetisches Ideal umgesetzt wird. So wurde die Technik des Verweisens auf populäre Kunstgattungen wie Comicstrips, Filme bzw. Filmgenres zu einem Charakteristikum des Clips. Das folgenlose Zitieren, wie in der klassischen Pop-Art, wurde stilprägend für ambitionierte Clips und macht sie zu typischen Repräsentanten der Postmoderne. Das im zweiten Teil dieser Arbeit analysierte Musikvideo zu Madonnas Song „Express Yourself“ kann hier als beispielhaft angeführt werden, denn es lehnt sich in Kulisse und Personenkonstellation an den Stummfilm „Metropolis“ von Fritz Lang aus dem Jahre 1927 an, womit es sich als ein typischer postmoderner Text erweist. Regisseure und Produzenten von Musikclips machten sich die Neuerungen des experimentellen Films, einiger Fernsehshows, populärer Musik des Filmmusicals und Filmproduktionen von und mit Rockstars wie den „Beatles“ („Sgt. Pepper“), Frank Zappa („200 Motels“) oder Elvis Presley („Heartbreak Hotel“) zunutze. Die Techniken der Montage und Collage wurden durch Trickfilmtechniken und Computeranimation erweitert, so dass das Ergebnis eine Vermischung von Stilen darstellt. So wurde es möglich, die Künstlerin Madonna in „Frozen“ (1998, Chris Cunningham) mit Hilfe von Computeranimation in einen Hund oder einen Raben zu verwandeln und sie durch die Wüste schweben zu lassen; und in einem Clip wie „What It Feels Like For A Girl“ (2001, Guy Ritchie) scheinen sich die Grenzen zwischen Clip und Spielfilm beinahe aufzulösen. Aufgrund der Nutzung neuester Technologien und die durch den musikalischen Rhythmus bedingten, schnellen Bildfolgen wurden Produzenten von Musikvideos aber auch immer wieder mit dem Vorwurf der „Bilderflut“ oder inkohärenter, traumartiger Gebilde konfrontiert. 32 Gegenstimmen weisen allerdings darauf hin, dass Detailanalysen von Clips sowohl ein breites Spektrum an verwendeten Filmtechniken zum Vorschein bringen, als auch über mehr Kohärenz verfügen, als von den Kritikern behauptet wird. 33 31 Zentrales Anliegen der Clips liegt in der Vermittlung der Personality des Stars: Die Botschaft ist das Produkt, das der Star ist. Vgl. Daniels, A.: „Die Genesis eines Popvideos“, in: Bódy, V./Weibel, P. (Hrsg.): Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo, Köln 1987, S. 182-195. 32 Vgl. Kaplan, E.A.: Rocking Around the Clock. Music Television, Postmodernism and Consumer Culture, London 1987. Vgl. auch Neumann-Braun/Schmidt 1999, S.13 f. 33 Dennoch ist die Mehrheit der Clips, die in den Musiksendern in der „heavy-rotation“ präsentiert werden, weit davon entfernt, ambitioniert zu sein und sind vom Selbstverständnis her als Werbefilme konzipiert: Die visuelle Verpackung erscheint oftmals ohne innere Beziehung zur Musik, aufgeladen mit Klischees und Metaphern. In diesen Fällen dominiert die verkaufsfördernde Funktion der Clips die Verwirklichung eines ästhetischen Konzepts. 19 1.3.2 Das Zusammenspiel von Bild, Musik und Starinszenierung Musikvideos unterscheiden sich unter anderem von Filmmusiken dadurch, dass sie der Musik folgen, wohingegen Filmmusik der Filmhandlung folgt. Dabei hat die Musik ― ihre Form, ihr Rhythmus und ihr Sound ― ordnungsstiftende Funktion innerhalb des Clips. Zur Musik und ihrem Text können Bilder auf die unterschiedlichste Weise in Beziehung gesetzt werden, wodurch sich komplexe, synchronisierte oder gegenläufige bzw. widersprüchliche Verweisungszusammenhänge zwischen Musik, Text und Bild ergeben. Die Bilder können allerdings auch von der Musik relativ unabhängige Wirkungen erzielen: Das Visuelle erzeugt Bedeutungen, die über die Musik hinausgehen, so dass oftmals auch dem Bild im Clip Vorrang vor der Musik als ordnungsstiftendendes Element eingeräumt wird. 34 Das Ergebnis aller Möglichkeiten, die sich bieten, ein Musikvideo zu gestalten, führen zu einer für die Gattung des Musikclips charakteristischen Polysemie. So muss eine Clipsanalyse die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Ebenen berücksichtigen: Musik, Bilder und Songtexte, werden sie als Sprache oder sprachähnliche Gebilde verstanden, erzählen eine je eigene Geschichte, wobei sich die Geschichten wechselseitig verstärken, hemmen oder widersprechen können. So wird die Analyse der Madonna-Videoclips verdeutlichen, dass Musik und Text bei ihr eine eher untergeordnete Rolle spielen und es legitim erscheint, Madonna vor allen Dingen über ihre visuelle Inszenierung zu beschreiben. Zentrales Element der Gattung Videoclip ist allerdings die Starinszenierung, auf die sich Musik und Bild in den meisten Fällen als ordnungsstiftende Funktionen beziehen. So ist Madonna in all ihren Videoclips Hauptakteurin, um die herum sich das Geschehen abspielt. Clips stehen zwar ― wie oben ausgeführt ― im Dienst der Musik, doch in avancierten Clipproduktionen einiger renommierter Regisseure ― Julian Temple, Hype Williams, Spike Jones, Chris Cunningham oder Michel Gondry ― sind Tendenzen erkennbar, dieses Verhältnis umzukehren. So scheint bei einer Reihe der oben angeführten Clipregisseure, die oftmals auch in Kinofilmen Regie führen ― wie etwa Spike Jones, der 1999 „Being John Malkovitch“ drehte ―, die Musik nur 34 Vgl. Sierek, K.: „Monolog und Ekstase ― Zum Bildbau im Musikclip“, in: Faulstich, W./Schäffner, G. (Hrsg.): Die Rockmusik der 80er Jahre, 4. Lüneburger Kolloquium der Medienwissenschaften, Bordowick 1994, S. 186-197. 20 noch Soundtrack zu sein. 35 In dem am Ende dieser Arbeit analysierten Clip „What It Feels Like For A Girl“ (Kap. 2.4) von Guy Ritchie wird sehr deutlich, was Olaf Karnik meint, wenn er von „Picture Pop“ spricht, oder anders gesagt: „Video directors reprove what good film directors knew all along ― that visuals can also be music. When executed with élan, an edit becomes a backbeat, a crane shot a solo, a closeup a hook.” 36 1.4 Rezeption und Verstehen von Videoclips In Anbetracht der in den Musikvideos enthaltenen Komplexität und Vieldeutigkeit stellt sich die Frage nach ihrer Rezeption durch ein vor allem jugendliches Publikum. Untersuchungen hinsichtlich der Rezeption von Musikclips und der Nutzung von Musikkanalsendern haben bislang ergeben, dass sich der Rezeptionsprozess vornehmlich an der Musik und weniger an den Bildern orientiert. Letztere dienen Teenagern eher als Illustrationen zur Musik und weniger als narrativ strukturierte Szenen einer eigenständigen Filmhandlung. Ein weiterer Gegenstand der Untersuchung bei der Rezeptionsanalyse stellt die Untersuchung der Wahrnehmung und Verarbeitung der in den Videoclips präsentierten Geschlechterrollen dar. Es wird unterschieden zwischen „maleadressed-videos“ und „female-adressed-videos“. 37 So haben Inhaltsanalysen von Musikclips gezeigt, dass häufig traditionelle Geschlechtsrollenstereotype, Sexismus und Aggressivität präsentiert werden. So wurde Madonna oftmals von Feministinnen der Vorwurf gemacht, mit der Zurschaustellung ihrer Sexualität bestehende Geschlechterrollenklischees zu festigen und sich dem männlichen Blick zu unterwerfen. Die in den Videoclips angelegte Mehrdeutigkeit ermöglicht andererseits aber auch eine emanzipatorische Lesart. Die Ambivalenz vieler Madonna-Clips besteht gerade in der Verwendung sexuell aufgeladener Bilder in Verbindung mit der Proklamation weiblicher Macht, und eben nicht in der Erfüllung hegemonialer Machtstrukturen, wie die Darstellung der Clips zeigen wird. Feministische Analysen sprechen dem Phänomen Musikvideo ― wegen ihrer engen Bindung zum Pop ― ein enormes emanzipatorisches Potential zu, durch das es möglich wäre, Männlichkeits- und Weiblichkeitsstereotype aufzubrechen, um auf 35 Vgl. Karnik, Olaf: „Musikvideo ― Hybrid im Spannungsfeld von Popmusik und Kurzfilm, Musikindustrie und Musikfernsehen“, aus: http://www.miz.org/musikforum/mftxt/mufo9414.htm; Zugang: 18.11.2003. 36 Farber, Jim: „The 100 top music videos“, Rolling Stones, October 14/1993, in: Reiss, Steve/Feinemann, Neil (Hrsg.): Thirty Frames Per Second. The Visionary Art Of The Music Video, New York: Abrams 2000, S. 24. Vgl. auch Karnik 2003. 37 Lewis, L. A.: Gender Politics and MTV: Voicing the Difference, Philadelphia 1990. 21 diese Weise Kritik an der patriarchalen Gesellschaftsordnung zu üben. Doch um die idealtypische Dichotomisierung von Rock und Pop und die damit verbundene stereotype Assoziation mit Männlichkeit und Weiblichkeit zu stützen ― denn auch auf das Genre Videoclip sei das Konzept des „male-gaze“ der feministischen Filmtheorie zu übertragen ―, werde auf traditionelle Konstruktionsweisen der Geschlechterdifferenz zurückgegriffen und das kulturelle Zweigeschlechtlichkeit im Musikfernsehen laufend reproduziert. 38 System der Gegenstimmen verweisen gerade auf den symbolischen Machtgewinn des weiblichen Geschlechts, der dadurch entstehe, dass Frauen in den Clips ihre Sexualität in sonst Männern vorbehaltener Weise inszenieren, was Madonna in ihrem „Express Yourself“Videoclip exemplarisch demonstriert. 39 Untersuchungen haben in diesem Zusammenhang ergeben, dass Musikclips je nach Geschlecht, 40 ethnischer Zugehörigkeit, Alter, allgemeiner Medienerfahrung und familiär geprägtem Umgangsstil mit Medien sehr unterschiedlich wahrgenommen und verstanden werden können. Es muss also davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Rezipienten nicht um eine homogene Gruppe handelt und Videoclips folglich unterschiedliche Wirkungen haben können. So werden auch Erfahrene im Umgang mit Videoclips manche Bilder ― und ganz besonders Zitate ― anders entschlüsseln als Unerfahrene. So verwundert es auch nicht, dass MadonnaClips von ihren Fans positiv, von ihren Gegnern kritisch beurteilt werden. Das Phänomen der Möglichkeit verschiedener Lesarten wird durch die heterogene Rezipientengruppe hervorgerufen. Kennzeichnend für den Videoclip ist ein offenes Zeichenangebot, das nicht nur eine einzig „richtige“ Interpretation erlaubt, sondern mehrere Lesarten, die vom Betrachter aktiv bei der Rezeption konstruiert werden. Voraussetzung ist hierbei eine mehrdeutige Adressierung, d.h. die Gewährleistung von Anknüpfungspunkten für seine Erfahrungen und Vorlieben. Videoclips sind „unfertige“ Texte, was sie zu einem populären Medium macht, und verlangen einen aktiven, partizipierenden und produktiven Leser, der aus den Bildern des Clips seine Erzählung konstruiert. 41 38 Vgl. Bechdolf, U.: „Music Video Histories. Geschichte ― Diskurs ― Geschlecht“, in: Hackl, C./Prommer, E./Scherer, B. (Hrsg.): Models und Machos? Frauen- und Männerbilder in den Medien, Konstanz 1996, S. 277-299. – Weitere Literaturangaben siehe: Neumann-Braun/Schmidt 1999, S. 25. 39 Vgl. Turim, M.: “Gesang der Frauen, Gesten der Frauen”, in: Frauen und Film 58/59 1996, S. 25-43. 40 Vgl. Müller, Renate: „Geschlechtsspezifisches Umgehen mit Videoclips: Erleben Mädchen Videoclips anders?“, in: Kaiser, Hermann J. (Hrsg.): Geschlechtsspezifische Aspekte des Musiklernens, Essen: Musikpädagogische Forschung Bd. 17 1996, S. 73-93. 41 Vgl. Fiske, John: Lesarten des Populären. Cultural Studies Bd. 1 (1989), hrsg. von: Lutter, Christina/Reisenleitner, Markus, Wien: Löcker Verlag 2003. 22 Ramona Curry hat zudem darauf aufmerksam gemacht, dass Inhalte von Clips und deren Wirkungen auf das Publikum nicht isoliert betrachtet werden können, sondern in ihrer Intertextualität, d.h. in ihrer multimedialen Einbettung, interpretiert werden müssen. 42 Intertextualität wird unter Zuhilfenahme des Konzepts der Transtextualität des Linguisten Gérard Genette definiert, die die Relation zwischen zwei oder mehreren Texten innerhalb des zu analysierenden Textes beschreibt. Neue Bedeutungen entstehen dadurch, dass Bekanntes anders arrangiert und kontextualisiert wird. Die These der Intertextualität bzw. der Offenheit und Globalität popkultureller Texte zeige sich insbesondere daran, dass Rezipienten mit kulturell völlig verschiedenen Hintergründen ähnliche Bezüge herstellen und außerdem in der Lage seien, kulturspezifische Interpretationen zu erarbeiten. 43 In Bezug auf die Rezeption von Madonna-Videoclips bedeutet dies, dass die Bedeutung, die ein Rezipient einem Clip zuschreibt, immer auch von der Bedeutung anderer Texte über Madonna bestimmt wird. Demnach ist die Rezeption eines Madonna-Clips immer auch in einem Verhältnis zu Madonnas Image zu sehen, das sich aus vielen verschiedenen Texten zusammensetzt (Radio, Fernsehen, Videoclips, Konzertmitschnitte, Presseberichte etc.). Das in verschiedener diesem Kapitel Lesarten eines angesprochene Videoclips Phänomen spielt im der Hinblick Möglichkeit auf den Gültigkeitsanspruch einer Clip-Interpretation eine entscheidende Rolle; denn als ein synästhetisches Phänomen spricht der Videoclip gleichzeitig die auditive und visuelle Wahrnehmung an, und ruft bei jedem einzelnen Rezipienten jeweils unterschiedliche Assoziationen, sowohl auf visueller als auch auf auditiver Ebene, hervor. Allgemeingültigkeit für eine Videoclipanalyse zu erheben ist vor dem Hintergrund der Betrachtung des Videoclips als audiovisuelles Medium nicht möglich. 42 Curry 1999, S. 175-204. Diese Schlussfolgerungen erinnern an Äußerungen, die in der Bildersprache eine Möglichkeit sehen, grenzüberschreitend, kulturunabhängig und weltweit Kommunikation gewährleisten zu können: „Während die geschriebenen Sprachen die Menschen innerhalb ihrer eigenen kulturellen Monaden einschlossen, wird die Sprache des technologischen Menschen, indem sie sich aller Kulturen dieser Welt bedient, zwangläufig jene Medien bevorzugen, die am wenigsten national sind. Deshalb steht die Bildersprache wie ein unbenutztes Esperanto zur Verfügung. Diese [Bildersprachen] überschreiten mühelos die Länderbarrieren so leicht wie Chaplin oder Disney und scheinen konkurrenzlos als kulturelle Grundlage des kosmischen Menschen.“ Mc Luhan, Marshall: „Das Medium ist die Message“, in: Baltes, Martin/Höltschl, Rainer (Hrsg.): Absolute Marshall Mc Luhan, Freiburg: orange press 2002, S. 106. 43 23 1.5 Der Videoclip als audiovisuelles Medium: „BilderHören und MusikSehen“ oder „Bilderwelt der Klänge ― Klangwelt der Bilder“ 44 Der Videoclip als eine Synthese von Musik und Bild ist nicht neu: Die Verschmelzung von Ton und Bild kann auf eine lange kulturhistorische Tradition zurückblicken und basiert auf der Tatsache, dass menschliche Wahrnehmung generell auf der Komplementarität von Auge und Ohr beruht, d.h. intermodal angelegt ist. Als Beispiele für intermodale Wahrnehmung kann auf „archaische Kulturen mit ihren ganzheitlichen Lebensformen und die direkte Verknüpfung von Musik und Kult verwiesen [werden]“ 45 , auf das alte China und dessen Zuordnung von Tönen und Jahren zu Jahreszeiten, auf die griechische Antike mit ihrem „Prinzip der kosmischen Weltordnung und der Kongruenz von Zahlenverhältnissen, Intervallen, Zusammenklängen mit der Harmonie der Sphären.“ 46 Um 350 v.Chr. wies Aristoteles bereits darauf hin, dass der Mensch über einen übergeordneten Sinn verfüge, der die Wahrnehmung der einzelnen Sinne koordiniere. 47 Diese in der Antike entstandenen, universalästhetisch-philosophischen Konzeptionen hatten bis in das europäische Mittelalter und die beginnende Neuzeit Bestand, was sich z.B. in dem 1650 vorgenommenen Versuch widerspiegelt, „die Identität von Licht und Schall auf der Grundlage von übereinstimmenden Zahlenverhältnissen bzw. Intervallen zu erklären“, 48 oder auch in den Bemühungen Isaac Newtons (1704), die Zusammenhänge zwischen den sieben Spektralfarben und den sieben Tönen der diatonischen Skala darzustellen, was Louis-Bertrand Castel dazu veranlasste, ein Farbenklavier zu konstruieren (1725). 49 Sehen und Hören sind folglich von jeher auf das engste miteinander verknüpft und aufeinander bezogen. Die audiovisuelle Konzeption des Videoclips macht sich die Deutungsvielfalt zu eigen, die das Hören von Musik bei jedem 44 Mit dieser Kapitelüberschrift und in den folgenden Ausführungen beziehe ich mich im Wesentlichen auf: Geuen, Heinz: „BilderHören und MusikSehen: Musikverstehen im Medienkontext“, unveröffentlichter Vortrag im Rahmen der Arbeitstagung „Jugend, Kultur und Kreativität. Suche nach neuen Praktiken des Lernens und Lehrens“ vom 18.-20. Juli 2005 an der Musikhochschule Köln. Außerdem: Rösing, Helmut: „Bilderwelt der Klänge, Klangwelt der Bilder. Beobachtungen zur Konvergenz der Sinne“, in: Helms, Dietrich/Phleps, Thomas (Hrsg.): Clipped Differences. Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo, Beiträge zur Popularmusikforschung 31, Bielefeld: transcript 2003, S. 9-25. 45 Rösing 2003, S. 10. 46 Ebd. 47 Vgl. Hurte, Michael: Musik, Bild, Bewegung. Theorie und Praxis auditiv-visueller Konvergenzen, Bonn: Verlag für Systematische Musikwissenschaft 1982. Zit.n. Ebd. 48 Ebd., S. 19. 49 Vgl. Ebd., S. 10 f. 24 Einzelnen hervorruft. Denn alle musikalischen Schallereignisse, die ein Hörer in einer bestimmten Situation aufnimmt, stehen, so Helmut Rösing, in einer „Wechselbeziehung mit dem bisherigen Musikkonzept und mit dem allgemeinen Erfahrungsinventar einer Person, Schemata und Prototypen“. 50 mit emotionalen, assoziativen, kognitiven Wie ein erklingendes Musikstück bewertet bzw. verstanden und in den eigenen Erfahrungshorizont integriert wird, hängt von der jeweiligen Sozialisation ― mit den Variablen Alter, Geschlecht, Familie, Ausbildung, soziales Milieu, Medien etc. ― ab. In einem Videoclip als spezifisch audiovisuelles Medium illustrieren die Bilder nicht einfach die Musik oder den Text, sondern beeinflussen ihrerseits durch ihre Bedeutungen und die durch sie ausgelösten Assoziationen die Musik und den Rezipienten. 51 Je nach Schwerpunktsetzung der Aufmerksamkeit gegenüber dem audiovisuellen Gesamtgeschehen ändert sich die Wahrnehmung des Rezipienten: Je nach Aufmerksamkeitszuwendung beeinflusst Musik die Bildwahrnehmung oder aber die Bilder die Musikwahrnehmung. Durch die Musik z.B. fokussiert der Rezipient seine Aufmerksamkeit, was dazu führen kann, dass er aus dem gesamten visuellen Informationsangebot nur einen bestimmten Ausschnitt bewusst wahrnimmt. Somit beeinflusst die erklingende Musik die Wahrnehmung des visuellen Geschehens. Das gleiche ist natürlich auch im umgekehrten Falle denkbar: Dadurch, dass sich der Rezipient bewusst auf ein visuelles Geschehen fokussiert, wird auch nur ein Teil der Musik und ihrer Strukturen wahrgenommen und in Bezug zum Bild interpretiert. Damit beeinflusst das filmische Geschehen die Bedeutung der Musik. Somit ist die Struktur eines multimedialen Produktes wie dem Videoclip durch eine Informationsdichte gekennzeichnet, die den Rezipienten zu einer Aufmerksamkeitsfokussierung zwingt. Jeder Rezipient nimmt demnach anders wahr und verfügt über eigene Assoziationen. Eine vorgenommene Interpretation kann 50 Ebd., S. 13. Heinz Geuen bemängelt in seinem Vortrag die nur sehr zurückhaltende Bereitschaft der musikwissenschaftlichen Forschung, sich mit der doch so offenkundigen Bildgeprägtheit der musikalischen Wahrnehmung, den Aspekten der Medialität und Performanz zu befassen und sich nur zögerlich für kulturwissenschaftliche Diskurse und neue methodische Anätze zu öffnen. Als richtungsweisend bezüglich einer Bild-Musik-Forschung betrachtet er die Habilitationsschrift „BilderMusik“ des Bonner Musikwissenschaftlers Anno Mungen aus dem Jahre 2001, der „das die Kunstmusik des 18. und 19. Jahrhunderts bestimmende Paradigma absoluter Musik deutlich relativiert.“ Denn die „Verknüpfung von Instrumentalmusik mit medialen Inszenierungen [...] entsprach spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts einem offensichtlich starken Bedürfnis, ‚semantische Leerstellen’ zu füllen und die Aufführung von Musik auratisch zu stärken.“ Diese Arbeit sei deshalb ein wichtiger Impuls, weil sie aufzeigt, dass Musik – entgegen dem überlieferten Paradigma der absoluten Hörkunst – immer auch eine Medienkunst war. Eine musikwissenschaftlich verortete Auseinadersetzung mit dem Gegenstand Videoclip befindet sich deshalb erst in den Anfängen. Vgl. Geuen 2005. 51 25 und darf demnach nicht zu einer Verabsolutierung führen. Sie kann immer nur ein Interpretationsangebot darstellen, das mitunter auch zeitgeschichtlich bedingt ist. Im Videoclip, der sich durch das Zusammenspiel von Musik, Sprache und bewegten Bildern Unschärferelation“ 52 auszeichnet, um Wahrnehmungsobjekt ein enthält, erhöht Vielfaches. umso sich Denn vielfältiger je sind die „interpretatorische mehr Dimensionen ein die Assoziations- und Verknüpfungsmöglichkeiten, bei denen sowohl intra- als auch intersubjektive Erfahrungen berücksichtigt werden. 1.6 Methodisches Vorgehen in dieser Arbeit Bei den im folgenden Kapitel vorgenommenen Videoclipanalysen liegt die Schwerpunktsetzung der Aufmerksamkeit auf dem visuellen Geschehen; denn Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung von Madonnas wechselnden Weiblichkeitsinszenierungen auf visueller Ebene. Die analytische Ebene der Musik tritt hierbei in den Hintergrund, obgleich sie in allen hier analysierten Clips narrativstrukturierende Funktion hat und in ihrem jeweiligen Ausdruck die Aussage der Bilder unterstreicht. Unter Berücksichtigung der angeführten Hinweise Ramona Currys hinsichtlich der Intertextualität postmoderner Texte wird davon ausgegangen, dass Textbedeutungen nicht allein durch die Erfahrung eines Lesers ― im Falle von Videoclips des Zuschauers und -hörers ― beim Lesen eines einzelnen, in sich geschlossenen Textes entstehen. Die Bedeutungen eines Videoclips, als postmoderner Text betrachtet, werden hingegen von dem Leser aus seiner diskursiven Rezeption im Zusammenhang mit mehreren Texten, die mit diesem in Verbindung stehen, erschlossen. Im Fall von Madonna bedeutet dies, dass das Verständnis eines Clips nie unabhängig von Madonnas Image als Star zu sehen ist. Ein „Starimage“ ― auf der Grundlage der Analyse der Entstehung und Aufnahme von Starimages nach Richard Dyer 53 ― setzt sich aus vielen verschiedenen Texten zusammen: Madonnas Starimage entsteht aus ihren Auftritten in verschiedenen Medienformen ― Schallplatten (CD), Radio, Videoclips, Konzerten und deren Mitschnitten, aus Filmen und öffentlichen Auftritten in Talkshows und Werbespots, sowie der ständigen Kommentierung von Madonnas Aktivitäten und Auftritten in der Tages- und Boulevardpresse. 52 Rösing 2003, S. 22. Vgl. Dyer, Richard: Stars, London 1979, insbesondere S. 38-72; vgl. auch: Ders.: Heavenly Bodies: Film Stars and Society, New York 1986. 53 26 Aus diesem Grund wird dem jeweiligen Clip, der im Zentrum der Analyse steht, eine Skizzierung des jeweiligen Madonna-Images vorangestellt. Wie sich zeigen wird, gibt das jeweilige Cover des Albums bereits aufschlussreiche Informationen über die jeweils dominanten Konstruktionselemente des MadonnaImages der jeweiligen Phase. 2. DIE MACHT DER IMAGEWECHSEL 2.1 BURNING UP (1983) Bei dem 1983 entstandenen Musik-Video zu „Burning Up“ handelt es sich um den ersten Videoclip zu einem Madonna-Song, der von MTV gesendet wurde. Gleichzeitig fällt seine Entstehung in die Phase vor dem künstlerischen Durchbruch der Sängerin in die Top Ten der Charts, der ihr allerdings noch im selben Jahr mit „Holiday“, der vierten Singleauskopplung aus ihrem Debütalbum, gelang. Schon 1978 ging Madonna ― nach abgebrochenem Tanzstudium in Michigan 54 ― nach New York, wo sie ― finanziert durch Gelegenheitsjobs 55 ― darum bemüht war, ihre Karriere voranzutreiben. Mit der Unterstützung der Tanzclub-DJs Mark Kamins und Jellybean Benitez gelang es ihr 1982 schließlich, ihren ersten kleinen Plattenvertrag bei Sire Records abzuschließen, „wo Warner Brothers die Leute [unterbrachten], von denen sie nicht glauben, daß sie sich verkaufen werden“ 56 . Der Vertrag bezog sich zunächst nur auf die beiden Singles „Ain’t No Big Deal“ und „Everybody“. Nachdem „Everybody“, zu dem man allerdings lediglich einen firmeninternen Promotion-Clip herstellte, ein Erfolg in den DanceCharts wurde, entschloss man sich, auch die zweite Single, „Burning Up“, zu produzieren. Ein kurzer Einblick in das New York der späten 1970er und beginnenden 1980er Jahre soll einen Eindruck von den Hintergründen und der Stimmung 54 Geboren am 16. August 1958 in Bay City, Michigan, als das sechste von acht Kindern, beginnt Madonna nach der High School mit einem Begabten-Stipendium ein Studium des klassischen und modernen Tanzes an der University of Michigan Ann Arbor, das sie anderthalb Jahre später, im Juli 1978, abbricht. Vgl. Bullerjahn, Claudia: „Populäres und Artifizielles in den Musikvideos von Madonna“, in: Bullerjahn, C./Erwe, H.-J. (Hrsg.): Das Populäre in der Musik des 20. Jahrhunderts. Wesenszüge und Erscheinungsformen, Hildesheim u.a.: Georg Olms Verlag 2001, S. 209. 55 So tanzte sie am Alvin Ailey Dance Theatre und in der Pearl Lang Dance Company, finanzielle Nöte zwangen sie zur Annahme von Nebenjobs, etwa die Arbeit als Aktmodell in Kunsthochschulen und für einzelne Künstler und Fotografen. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 209. 56 Countdown Magazin, Special Annual 2/1985, zit. n. Fiske, John: Lesarten des Populären. Cultural Studies Bd. 1, hrsg. von Lutter, Christina/Reisenleiter, Markus, Wien: Erhard Löcker Verlag 2003, S. 103. 27 vermitteln, die Ausgangspunkt für Madonnas Karriere waren und die ihren Stil und ihr erstes Image entscheidend geprägt haben. 2.1.1 Das New York der 1970er / 1980er Jahre: Von der Tänzerin zur Musikerin ― Clubszene ― erster Plattenvertrag Entscheidend für Madonnas Entwicklung ist die Tatsache, dass sich Manhattan gegen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre zum „Dreh- und Angelpunkt der Musikindustrie“ 57 entwickelte. Die Tänzerin Madonna lernte Schlagzeug und Gitarre zu spielen, sang ein halbes Jahr als Backgroundsängerin in der Gruppe von Patrick Hernandez 58 , mit der sie schließlich nach Paris und andere europäische Städte reiste, während sie gleichzeitig weiterhin Tanz- und Gesangsunterricht nahm. Zurück in New York engagierte sie sich als Schlagzeugerin und Sängerin in der Band Breakfast Club, die sie allerdings wegen Streitigkeiten verließ, um ihre eigene Band, Emmy, zu gründen. 59 Die Erfahrungen, die sie als Musikerin und durch kleinere Engagements als Backgroundsängerin sammelte und die ihr erste Tonstudioerfahrungen einbrachten, spielten sich in einem New York ab, in dem eine kulturelle Entwicklung ihrem Höhepunkt zustrebte, die sich „in der zwielichtigen Atmosphäre der AfterhoursKlubs am unteren Ende des Broadway in den schwarzen Schwulendiskos und Drogenkellern zusammengebraut hatte“ 60 und den Namen „Disco“ trug. Ihre Quellen waren vielfältig und hatten eine Mischung aus Musik, Mode, Lifestyle, Sex und Drogen hervorgebracht, die in einem „ekstatischen Tanzkult“ 61 ihren Ausdruck fand, bei dem der „Selbstgenuss der eigenen Körperlichkeit“ 62 im Vordergrund stand. Die Nachtclubszene Manhattans, ein Melting Pot verschiedenster subkultureller Milieus, wie der der Homosexuellen, Afroamerikaner, Puertoricaner und anderen Minderheiten, der allerdings auch anderen zugängig war, machte die Körperkulte der Schwulendiskos „salonfähig“, und trug dazu bei, dass sie sich zur einer Massenbewegung des Mainstream entwickeln konnten. Das „Studio 54“ etwa entwickelte sich zu einem jener inzwischen legendären Disco-„Paläste“, in denen Madonna als Go-Go-Girl, Backgroundsängerin und -tänzerin für Hernandez auftrat, 57 Vgl. Bego, Mark: Madonna. Who’s That Girl? Andrä-Wördern 1992, S. 51-57; zit.n. Bullerjahn 2001, S. 209. 58 Patrick Hernandez, puertoricanischer Sänger und DJ, hatte 1979 mit dem Song „Born to Be Alive“ einen gigantischen Hit gelandet und tourte seitdem um die Welt. Vgl. Wicke, Peter: Von Mozart zu Madonna. Eine Kulturgeschichte der Popmusik, Leipzig: Gustav Kiepenheuer Verlag 1998, S. 274. 59 Vgl. Bullerjahn 2001, S. 209 f. 60 Wicke 1998, S. 269. 61 Ebd. 62 Ebd. 28 bevor sie selbst 1982 mit ihrem bereits erwähnten Solo-Debüt „Everybody“ einen Dancefloor-Hit landete. So schien das New York am Ende der 1970er Jahre für Madonna wie geschaffen zu sein, ihre Extrovertiertheit auszuleben: Als Tänzerin verfügte sie über ein besonderes Körperbewusstsein, das sie in einer Umgebung, in der die körperliche Inszenierung im Vordergrund stand, gezielt einsetzen konnte. Sowohl ihre Ausbildung als Tänzerin als auch der Einfluss dieser New Yorker Anfangszeit, in der der Umgang mit gesellschaftlichen Randgruppen zu einer Quelle der Inspiration wurde, haben ihre künstlerische Entwicklung als Sängerin bzw. Performerin stark beeinflusst, wie in vielen ihrer Videoclips 63 und auch in Mitschnitten ihrer Konzerttourneen 64 ersichtlich ist. Anfang der 1980er Jahre gehörte Madonna einer New Yorker Clique an, die sich aus jungen Künstlern, Sängern und Performern zusammensetzte. 65 Man traf sich in den Clubs, die als Treffpunkt als auch als gemeinsames „Büro“ fungierten: Man kam dort zusammen, um zu tanzen, sich zu amüsieren und Beziehungen zu knüpfen. Die angesagtesten Clubs der 1980er Jahre - ein Sammelbecken für aufstrebende Künstler und Musiker 66 - waren die „Danceteria“, das „Roxy“ und der „Mudd Club“. 67 Madonnas Freundeskreis, der ebenfalls in diesen Clubs zuhause war 68 , lieferte starke künstlerische Impulse und erweiterte darüber hinaus ihr Interesse an der bildenden Kunst. Niederschlag findet dieser Einfluss zum einen in zahlreichen Videoclips, in denen sie mit kunst- 69 und filmhistorischen Zitaten 70 arbeitet, zum anderen aber auch in ihrem fortlaufenden ― äußerlichen ― 63 So z.B. in „Borderline“, „Open Your Heart“, „Like A Prayer“, „Vogue“ oder „Secret“, um nur einige zu nennen. 64 So handelt es sich bei der Mehrheit ihrer Tänzer, die sie auf ihren Konzerttourneen begleiten, um Homosexuelle, Schwarze und andere nicht-weiße Minderheitengruppen. Siehe z.B. „The Girlie Show“. 65 Vgl. Morton, Andrew: Madonna, Frankfurt a.M.: Krüger Verlag 2002, S. 176 ff. 66 Wie z.B. die Beastie Boys, Grandmaster Flash oder der schwarze Graffiti-Künstler Jean-Michel Basquiat, mit dem Madonna 1983 ein Verhältnis haben sollte, der 1988 im Alter von 27 Jahren an einer Überdosis Drogen starb. Vgl. Morton 2002, S. 177 u. 197. 67 So arbeitete die englische Sängerin Sade an der Bar, der Graffiti-Künstler Keith Haring als Garderobier in der Danceteria. 68 Dazu zählten die schon verstorbenen Künstler Andy Warhol, Keith Haring und Martin Burgoyne, die Club-Besitzerin Erika Belle, Make-up Künstlerin, inzwischen Hollywoodschauspielerin Debi Mazar oder die Modehändlerin Maripol. Vgl. Morton 2002, S. 177; siehe auch Bullerjahn 2001, S. 220. - Viele Freundschaften Madonnas aus der New-York-Anfangszeit bestehen noch immer: So wirkte Debi Mazar in vielen ihren Videoclips mit, zuletzt in „Music“, außerdem in „Papa Don’t Preach“ oder „True Blue“. 69 In „Open Your Heart“ und „Vogue“ verwendet sie z.B. Bilder der polnischen Malerin Tamara de Lempicka. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 224. 70 Einen Nachweis des „artifiziellen Charakters“ der Madonna-Musikvideos liefert Claudia Bullerjahn in dem hier schon angeführten Artikel: Bullerjahn 2001, S. 203-268. Dem im Folgenden zu analysierende Clip, „Express Yourself“ wird durch das Zitieren des Stummfilms „Metropolis“ ein besonders hoher künstlerischer Wert zugesprochen. Weitere Filmzitate finden sich u.a. im Video zu „Material Girl“ („Gentlemen Prefer Blondes“), „Oh Father“ (Szenen aus „Citizen Cane“) und „Ray Of Light“ (Zeitrafferund Zeitlupeneffekte aus „Koyaaniqatsi“). Vgl. Ebd., S. 223 ff. 29 Imagewechsel: von der Marilyn-Monroe-Imitation über Anlehnungen an Liza Minelli, Marlene Dietrich, Rita Hayworth, Greta Garbo und Mae West bis hin zu einzelnen Gesten Elvis Presleys oder sogar Michael Jacksons. Die Vermarktung ihrer ersten Single „Eyerybody“ richtete sich an ein modernes Großstadtpublikum, Puertoricanern das zusammensetzte. sich Aus größtenteils diesem Grund aus Schwarzen entschied und Madonnas Plattenfirma Sire Records, die Single in der Kategorie „schwarze Dancefloor-Musik“ zu veröffentlichen und die Künstlerin selbst ― die sich kurz zuvor die Haare blondiert hatte ― als schwarze Sängerin zu bewerben. Um das Marketing-Konzept nicht zu gefährden, wählte man daher für das Cover von „Everybody“ ― im Oktober 1982 erschienen und produziert von Mark Kamins ― nicht etwa eine Fotografie der Künstlerin selbst, sondern ein Bild von Downtown New York im Stil einer Hip-HopCollage (Anhang I, Abb. 10). 71 Zu Werbezwecken ließ Sire Records ein firmeninternes Video von einem Auftritt Madonnas im „Paradise Garage“ 72 anfertigen, durch das auch dem Rest des Werbeteams in ganz Amerika ein Eindruck von Musik und Darstellung der neuen Künstlerin vermittelt werden sollte. Ed Steinberg, Betreiber der Rock-AmericaVideofirma, erhielt für diesen Auftrag ein Budget von 1500 Dollar ― ein Betrag, der umso geringer erscheint, wenn man bedenkt, dass zur gleichen Zeit für Michael Jacksons Videos bereits sechsstellige Summen ausgegeben wurden. 73 Obwohl allein dieser Umstand zu belegen scheint, dass die Plattenfirma an einer Ausstrahlung des Clips bei dem Musiksender MTV offensichtlich nicht interessiert war, ist zu bedenken, das der Sender MTV selbst noch weit am Anfang stand und bis zu diesem Zeitpunkt keine Tanz-Videos im Stil Madonnas ― einer Mischung aus Gesang und Tanz ― in sein Programm aufgenommen hatte. Steinberg hingegen erkannte die visuelle Wirkung Madonnas und verschickte Exemplare des Videos an Nachtclubs in ganz Amerika. So hielt „Everybody“ im November 1982 Einzug in die Dance-Charts und Wochen später schaffte es die Single sogar auf Platz 1. Erst nach dem Erfolg von „Everybody“ schienen die 71 Vgl. Ebd., S. 210. – Die Entscheidung der Plattenfirma spiegelt die Realitäten jener Zeit wieder: Zu Beginn der achtziger Jahre war die Popmusik in den USA noch in Kategorien unterteilt, die durch die im Radio und in ein paar Fernsehprogrammen aufgestellten Playlists bestimmt wurden. Noch war die Zeit nicht da, in der Diskjockeys in Clubs oder MTV im Fernsehen über Aufstieg oder Fall einer Single entscheiden sollten. Vgl. Morton 2002, S. 189 f. 72 Das „Paradise Garage“, eine Downtown-Schwulendisco und ehemalige LKW-Werkstatt in Lower Manhattan, hatte sich als subkultureller Gegenpol zum „Studio 54“ etabliert. Vgl. Wicke 1998, S. 274. Die Entscheidung des Regisseurs, das Video dort abzudrehen, hatte vor allen Dingen ökonomische Gründe, denn dort konnte er kostenlos drehen. Vgl. Ebd., S. 194. 73 Vgl. Ebd., S. 193 f. 30 Plattenfirmen Madonnas Potential zu erkennen und konkurrierten miteinander darum, die Künstlerin unter Vertrag zu nehmen. 74 So lässt sich feststellen, dass es Madonnas visuelle Präsentation war, die ihr den ersten Erfolg verschaffte; denn ihre minimale Stimmkraft, ihr geringer Stimmumfang und der sehr mädchenhafte Charakter ihrer Stimme wurden in den Anfängen ihrer Karriere immer wieder stark kritisiert. Eine Bezeichnung wie „Minnie Mouse on helium“ 75 bringt zum Ausdruck, dass das Interesse der Fans und Kritiker an Madonna weniger der „Sängerin“ Madonna galt als vielmehr ihrer provozierenden, visuell vermittelten „Verpackung“. Dieser Vorwurf prägt bis heute den Madonna-Diskurs. Madonna, sich ihrer stimmlichen Schwäche und visuellen Wirksamkeit bewusst, hat im Videoclip das Medium erkannt, das es ihr ermöglicht, ihre Fähigkeiten gezielt einzusetzen und ihre Botschaften zu vermitteln. Nachdem „Burning Up“, der Song für die zweite Single ― produziert von Reggie Lucas von Warner Brothers ― Anfang 1983 aufgenommen worden war, gab Sire den Dreh eines Videos in Auftrag, um für die Single zu werben. Dieses Musikvideo, bei dem Steve Baron Regie führte, 76 „war Amerikas erste Einführung in Madonnas berechnend sexuelle Präsentation und wurde bei MTV, die inzwischen mit der Vorführung von Dance-Videos begonnen hatten, zu einem kleinen Hit.“ 77 Wie die folgende Analyse des Clips zeigen wird, ist die durch die Bilder vermittelte Botschaft, nämlich als Frau Macht und Kontrolle auszuüben, seit Beginn von Madonnas Karriere Thema ihrer Videoclips. Der schnelle Erfolg von „Burning up“ ― im März 1983 erschienen und kurz danach auf Platz 3 der Dance-Charts ― veranlasste Madonnas Plattenfirma dazu, die Produktion ihres Debüt-Albums in Auftrag zu geben, das bereits im Juli 1983 veröffentlicht wurde. 78 Die Abbildung des Konterfeis der Künstlerin auf Album- und Singlecover (Anhang I, Abb. 01 und 11) ― letzteres eine Collage aus verschiedenen 74 Vgl. Ebd., S. 199. Bullerjahn 2001, S. 211. 76 Steve Baron war durch die Produktion von Michael Jacksons „Billie Jean“-Video bekannt geworden. 77 Der erste „richtige“ Videoclip ― d.h. mit dem Ziel der Ausstrahlung bei MTV ―, erwies sich als eine Art „Familienproduktion“: Martin Burgoyne entwarf das Cover für die Single, Debi Mazar wurde als Maskenbildnerin für das Video engagiert, Maripol, die Madonna mit ihrem modischen Markenzeichen, den Gummiarmbändern, bekannt gemacht hatte, war die Stylistin. Madonnas „Immer-mal-wieder-Lover“ Ken Compton spielte den männlichen Part im Clip. Vgl. Morton 2002, S. 200 f. 78 Produziert wurde das Album von Reggie Lucas und Jellybean Benitez. Obgleich Madonna sich den Soundvorstellungen der Plattenfirma zunächst fügte, traf sie schon in dieser frühen Phase ihrer Karriere die Entscheidung, einige schon fertiggestellte Songs noch einmal abmischen zu lassen, die dann ― nun ihren Vorstellungen entsprechend ― auf ihrem ersten Album erscheinen. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 211. 75 31 Madonna-Portraits im Pop-Art-Stil ― und ihre zunehmende Präsenz auf MTV machten die Diskussion um ihre Hautfarbe schließlich überflüssig. 2.1.2 Image Das Image der jungen Madonna in dieser ersten Phase ihrer Karriere ist das eines frechen, verführerischen, sexy und selbstbewussten Mädchens. Ihr Outfit, in ihren ersten Videoclips zur Schau getragen und deutlich abzulesen an den Covern ihrer ersten beiden Alben (Anhang I, Abb. 01 und 02), entwickelt in ihrer „NewYork-Anfangs-Pleite-Zeit“, ist gekennzeichnet durch eingerissene Second-HandKleidung, den freien Bauchnabel, Stofffetzen in auftoupiertem blondierten Haaren, Leggins aus ihrer Tänzerinnenzeit, Spitzenhandschuhe mit abgeschnittenen Fingern und jeder Menge billigem Modeschmuck wie Gummiarmbänder ― ursprünglich Treibriemen aus elektrischen Schreibmaschinen ―, Rosenkränze und Kruzifixe. Ihr Stil zeigt sich als eine Mischung aus Hip Hop und Punk. Sie brachte „die Begleitrituale ihrer strengen katholischen Erziehung auf die Showbühne und stilisierte sich im Juli 1983 zur Promotion ihrer ersten LP mit Dutzenden von Kruzifixen [...].“ 79 Ihre ersten Videos ― neben „Burning Up“ vor allem die populäreren Clips zu „Lucky Star“ (Clip 02) und „Borderline“ ihres Debütalbums ― und der 1985 in den Kinos laufende Film „Desperately Seeking Susan“ 80 , in dem die Künstlerin die Hauptrolle spielte, haben die Verbreitung des Madonna-Looks vorangetrieben, der schließlich weltweit von Mädchen und jungen Frauen kopiert wurde. Erfolgsrezept für ihren großen Durchbruch 1984 mit ihrem zweiten Album „Like A Virgin“ war eine provozierende Mischung aus Religion und Sexualität, die sie in ihren Clips und ihren öffentlichen Auftritten zur Schau stellte: Zur Verleihung der MTV Awards im September 1984 erschien sie ― wie in ihrem Videoclip zu „Like a Virgin“ (Clip 03) ― in einem nur auf den ersten Blick bieder erscheinenden Outfit, einem weißen Brautkleid, dessen Anblick aber durch den inzwischen berühmten „Boy Toy“-Gürtel, das auftoupierte Haar und die Menge an wertlosem Modeschmuck sowie großen Kruzifix-Ohrringen um so provozierender wirkte. Darin räkelte sie sich auf der Bühne und ahmte in ihren Bewegungen unmissverständlich einen Geschlechtsakt nach, womit sie zwar in erster Linie die anwesenden Kritiker und das Publikum schockierte, in zweiter Linie aber nicht unwesentlich zur Steigerung 79 Graves, Barry/Schmidt-Joos, Siegfried/Halbscheffel, Bernward: Rock-Lexikon, Bd. 2, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 1998, S. 560. 80 1985, Regie: Susan Seidelman, dt.: „Susan...verzweifelt gesucht“, Madonna in der Rolle der „Susan“ an der Seite von Rosanna Arquette. 32 ihrer Popularität beitrug: „Es war der Auftritt, der ihre Karriere machte. Er zeigte, dass sie clever genug war, zu wissen, wie sie die Kamera zu ihrem Vorteil nutzen konnte.“ 81 Dieses Image wurde von ihr in den ersten Jahren ihrer Karriere weitgehend beibehalten. Erst mit der Veröffentlichung ihres dritten Albums „True Blue“ im Jahre 1986 vollzog Madonna die erste tiefgreifende Veränderung in ihrem Auftreten. 2.1.3 Clipanalyse Schon in Madonnas erstem Videoclip wird die Bedeutung der Bilder für die Aussage des Songs und die Botschaft der Sängerin deutlich, was folgende Ausführungen veranschaulichen werden. Der Videoclip „Burning Up“ (Clip 01) zeigt eine Frau ― Madonna ― in einem weißen Kleid. Auf einer dunklen, verlassenen Landstraße liegend, singt sie über die Leidenschaft für einen Mann, der ihre Liebe offensichtlich nicht erwidert, während sie ― sich auf dem Asphalt windend ― den hilflos leidenden Zustand ihrer unerwiderten Liebe auch körperlich zum Ausdruck bringt. Den Besungenen sieht man zur gleichen Zeit am Steuer eines Autos sitzend ― scheinbar auf der gleichen, verlassenen dunklen Landstrasse ―, offensichtlich mit dem Vorsatz, die auf der Strasse Liegende zu überfahren. Die unerwiderte Liebe, von der Madonna singt und die sie in Gebärden der Hilflosigkeit und Unterwürfigkeit zum Ausdruck bringt, scheint sie zu einem hilflosen Opfer zu machen. Die letzte Einstellung des Clips allerdings zeigt Madonna selbst am Steuer des Wagens, mit einem wissenden und verächtlichen Lächeln auf den Lippen. Der Mann, der sie zuvor zu überfahren drohte, ist nicht mehr zu sehen. Die Bilder des Clips, die durch die letzte Einstellung den Eindruck weiblicher Hilflosigkeit und Unterlegenheit zurückweisen, erweisen sich somit als Gegenentwurf zum Text (Anhang II). So singt sie „Do you wanna see me down on my knees? / Or bending over backwards now would you be pleased?”, wobei sie ― eine aus dem Tierreich entlehnte Geste äußerster Unterwerfung nachahmend ― auf der Straße kniet, sich nach hinten beugt, den Kopf zurückwirft und dem Betrachter und ihrem virtuellen Angreifer ihren Hals präsentiert, ein Verhalten, durch das sie sich zum symbolischen Opfer stilisiert. Der Ton ihrer Stimme und ihr Blick in die Kamera haben hingegen nichts von dieser Unterwürfigkeit, sondern zeigen Härte 81 Arthur Baker, zit. n. Morton 2002, S. 213. - Die Single „Like A Virgin” sollte bis heute Madonnas größter Hit werden, mehrere Platin-Schallplatten gewinnen und sich sechs Wochen lang an der Spitze der Charts halten. Vgl. Ebd., S. 213. 33 und Verachtung, die ihrer Körpersprache zuwiderlaufen. Unter dem Eindruck von Stimme und Blick wird die oben zitierte Frage so in eine Herausforderung verwandelt. Auf textlicher Ebene dient die Feuersymbolik als Ausdruck brennender Liebe der Frau für den Mann: „I’m on fire“, „I’m burning up for your love“. Sie ist verliebt, doch die Liebe wird nicht erwidert, weil sie als nicht stark genug empfunden wird: „Don’t you know that I’m burning up for your love / You’re not convinced that that is enough“, „And day and night I cry for your love / You’re not convinced that that is enough“. Sie ist bereit, alles zu tun, damit er sie liebt und schreckt nicht einmal davor zurück, sich dafür zu erniedrigen: „Unlike the others I’d do anything / I’m not the same, I have no shame“. Sie ist eben “on fire”, und deshalb bereit, alles zu tun. Auf textlicher Ebene begibt sie sich demnach in die Rolle der unterwürfigen Frau, die darauf wartet, dass der Mann, den sie liebt, sie in ihrem Leid wahrnimmt und sie aus ihrer Opferrolle erlöst. Als Opfer ihrer Gefühle ist sie diesen hilflos ausgeliefert, womit ihr Verhalten scheinbar der stereotypen Vorstellung von der verzweifelten, an Eisenbahnschienen gefesselten Frau in vielen Stummfilmen entspricht. 82 Sie erniedrigt sich vor ihm, weil sie hofft, seine Liebe auf diese Weise zu gewinnen und sie ist bereit, alles dafür zu tun, damit er die Liebe zulässt, die sie in ihm erkennt: „I’m not blind and I know / That you want to want me but you can’t let go.“ Die Sprache der Bilder ist allerdings eine andere. Zwar scheinen auf den ersten Blick die Art und Weise, in der Madonna das Leiden über die unglückliche Liebe durch ihre unterwürfige Haltung, das Liegen und Winden auf der Straße, zum Ausdruck bringt, der stereotypen Vorstellung einer an der Liebe leidenden Frau und damit der Aussage des Textes zu entsprechen. Ihr Umgang mit der Kamera, ihr fordernder Blick und die Art und Weise, in der sie singt, unterlaufen allerdings eine solche Lesart: Sie scheint die Erniedrigung als Lustgewinn zu empfinden, ausgedrückt durch das fast schon masochistische Spiel mit der Kette um ihren Hals, das sich insofern als ein Spiel mit der Opferrolle erweist, indem sie es selbst kontrolliert und zur Förderung ihrer Lust einsetzt. Damit erfüllt sie nicht die passive Rolle der von der Liebe enttäuschten Frau, denn sie fordert die Liebe ein, sie ist aktiv, sie ruft auf. Auf diese Weise kann ihre Erniedrigung auch als Stärke verstanden werden, denn sie verweigert die passive Opferrolle, die ihr durch ihr 82 Vgl. Fiske 2003, S. 115. 34 männliches Gegenüber zugeschrieben wird. Sie artikuliert ihren Schmerz, und dies auf eine aggressive Art und Weise, was durch Stimme und Musik unterstützt wird. Der Sound ist reduziert im Gegensatz zum Discosound der 1960er bzw. 1970er Jahre. Madonnas Stimme, die Text und Gesang deutlich artikulierend, skandierend und bissig hervorbringt, erscheint relativ isoliert über einer Mischung aus elektronischen Beats und Gitarrenriffs, in der der Einfluss von Punk bzw. New Wave unüberhörbar ist. Dieser Mix ergibt in einem „kalten“ Sound, der der „kalten“ Szenerie entspricht: der glatt asphaltierten, staubig-grauen und menschenleeren Straße in der Nacht, ein abweisender, kühler Ort, an dem romantische Liebe offenbar keinen Platz hat. Auf diese Weise wird die Bedeutung des Textes hervorgehoben und die fast schon aggressive Grundstimmung zum Ausdruck gebracht, die der Rolle der Frau als Opfer ihrer unglücklichen Liebe widerspricht. Diese Stimme fordert, zeigt Stärke und nichts von der Unterwürfigkeit ihrer Gebärden. Somit entspricht der Soundcharakter auch der visuellen Erscheinung der Sängerin, die sich in ihrem Outfit sehr punkig zeigt. Madonna kehrt die konventionelle Mediendarstellung der romantischen Liebe um: Sie übernimmt den traditionell männlichen Part. Sie ist diejenige, die bereit ist, für die Liebe zu kämpfen, sie umwirbt den Mann. Im Vergleich zur romantischen Vorstellung würde sie allerdings nie soweit gehen, sich dafür selbst zu opfern, wie das Ende des Clips verdeutlicht. Neben dieser emanzipatorischen Lesart des Clips ist es andererseits auch möglich, Madonna auf die Sexualität ihres Körpers zu reduzieren, die der Clip auszubeuten scheint, indem er sie in Posen der Unterwerfung zeigt. Die visuelle Sexualisierung Madonnas befriedigt demnach gleichermaßen den männlichen Blick, obgleich dieser die letzte Szene ausblenden muss und damit die Aussage des Clips reduziert. Diese Möglichkeit der verschiedenen Lesarten ist typisch für MadonnaClips und trug erheblich zu ihrer Popularität bei. Die Mehrdeutigkeit ihrer Videos macht mehrere Lesarten nebeneinander möglich. Es gibt nicht nur eine einzig richtige Interpretation. Dies wird erreicht durch ein offenes Zeichenangebot und ist, im Gegensatz zum klassischen Hollywoodfilm, ein typisches Merkmal für die Gattung Videoclip, wie Claudia Bullerjahn konstatiert: Eine mehrdeutige Adressierung an den Betrachter, das heißt die Gewährleistung von Anknüpfungspunkten für seine Erfahrungen und Vorlieben, ermöglicht es jedem Zuschauer, seine persönliche Interpretation des Musikvideos aktiv bei der Rezeption zu konstruieren. 83 83 Bullerjahn 2001, S. 219. – Siehe auch Kap. 1.4 und 1.5 dieser Arbeit. 35 So ist es einerseits möglich, dass sich junge Frauen durch diesen Clip angesprochen fühlen, eine Aufforderung darin sehen, selbstbewusst ihren Weg zu gehen, und dies unabhängig von konventionellen Vorstellungen, die die hegemoniale Gesellschaft vorgibt. Andererseits ist es auch möglich, dass ein männlicher Blick Gefallen an der Präsentation findet, zuwiderläuft. Kritiker, der der die in feministisch-emanzipatorischen Interpretation Madonnas Videos eine Festigung bestehender Rollenklischees erkennen, haben sie deshalb seit Beginn ihrer Karriere beschuldigt, für Promiskuität bei Teenagern einzutreten, die Gier nach Macht und Materialismus zu fördern und zum Verfall der Familie beizutragen. Feministinnen beschuldigen sie des Revisionismus, der Wiederbelebung der manipulierten Frau, die sich mit Koketterie und Künstlichkeit durchbringt. 84 Bei aller Kritik ist allerdings zu bedenken, dass es sich bei Videoclips intentional um Werbefilme handelt, die darauf abzielen, die Verkaufszahlen des jeweils angepriesenen Produktes, in diesem Fall der Marke „Madonna“ bzw. ihrer Platten, in die Höhe zu treiben. „Sex sells“ ist eine Devise, die im 20. Jahrhundert nicht erst in den 1980er Jahren in den Dienst ökonomischer Interessen gestellt wurde. Madonna-Clips können also als eine Parodierung des „male-gaze“ aufgefasst werden. Madonnas Sexualität kann eine Herausforderung oder eine Bedrohung der vorherrschenden Konventionen von Weiblichkeit und Männlichkeit darstellen. Auf diese Weise liefert die Sängerin jungen Mädchen und Frauen ein emanzipatorisches Modell weiblicher Identität, das einen Gegenentwurf zum gültigen, vom männlichen Blick dominierten, Gesellschaftsbild liefert. 85 Eine besondere Art der Parodie und damit der Macht und Kontrolle über das eigene Image und die eigene Sexualität liegt nach John Fiske in der wissenden Art, in der Madonna die Kamera dazu benutzt, sich über konventionelle Darstellungen weiblicher Sexualität lustig zu machen, während sie sich ihnen gleichzeitig anpasst. Entscheidendes Machtinstrument Madonnas im Clip zu „Burning Up“ ist der Blick, der Look, wie Fiske darstellt. Die Anfangssequenz des Clips zeigt insgesamt 21 Einstellungen, bevor Madonna singend gezeigt wird, in denen nach Fiske zwei wesentliche Typen von Bildern eine Rolle spielen: solche des Blickes und solche der Unterwerfung oder Fesselung. 86 84 85 86 National Times 23./29.8.1985, S. 10, zit.n. Fiske 2003, S. 111. Vgl. Fiske 2003, S. 106 f. Vgl. Ebd., S. 116 f. 36 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. weibliches Auge, sich öffnend weiße Blumen, eine öffnet sich [wird hell angeleuchtet, Anmerkung d.V.] weiblicher Mund, geschminkt (wahrscheinlich der von Madonna) ein blaues Auto, die Scheinwerfer gehen an Madonna in weiß, auf der Straße liegend männliche griechische Statue mit leeren Augen [Kopf; Anmerkung d.V.] Goldfisch in einem Glas Nahaufnahme der männlichen Statue, die Augen leuchten auf Halbtotale auf die Statue, die Augen werden immer noch beleuchtet extreme Nahaufnahme auf Auge der Statue, immer noch beleuchtet Kette um einen Frauenhals, so eng, daß sie in das Fleisch einschneidet verschwommene Nahaufnahme von Madonna, mit lose baumelnder Kette Laserstrahl, der heftige Kreise beschreibt und sich kettengleich um weibliches Handgelenk legt Laserstrahl auf Goldfisch im Glas Madonna, die ihre dunklen Brillen [sic!] abnimmt und gerade in die Kamera blickt Madonna, auf der Straße sitzend Madonna, die dunklen Brillen [sic!] abnehmend Madonna, auf ihrem Rücken auf der Straße liegend die dunklen Brillen [sic!] auf der Straße, ein Auge erscheint in einem der Brillengläser, grünlich elektronische Effekte verschmelzen zu einem realistischen Bild des Auges Madonna auf der Straße sitzend, Gesicht zur Kamera Nahaufnahme auf Madonna auf der Straße, sie wirft ihren Kopf zurück 87 Traditionellerweise ― darum hier die Augen der griechischen Statue ― wird der Blick von Männern als Machtinstrument zur Kontrolle der Frauen eingesetzt. Die daraus hervorgehende weibliche Unterordnung wird durch Madonnas Unterwerfungsposen auf der Straße zum Ausdruck gebracht. Der im Glas gefangene Goldfisch, eine ironische Metapher der Frau, wird durch den männlichen Blick gefangengehalten. Doch im Laserstrahl erkennt Fiske einen modernen, unpersönlichen „Blick“, der es der Frau ermögliche, sich von den Ketten, die sie fesselten, zu befreien. Ebenso vermöge Madonna durch das Singen die Kette um ihren Hals zu lockern. Wenn sie singt, dass sie sich nach ihrem Liebhaber sehnt und von ihm wissen möchte, was sie tun soll, um ihn für sich zu gewinnen, zieht sie die Kette zunächst fester zu, um sie anschließend wieder zu lockern. Es folgt eine Einstellung, die eine Collage von Männeraugen zeigt, darunter Madonnas singende Lippen. So kann nach Fiske der Clip als Veranschaulichung aufgefasst werden, wie Frauen sich vom männlichen Blick und ihrer Macht befreien können. Die Tatsache, dass sie die dunkle Brille abnimmt, während sie in die Kamera schaut, also den 87 Ebd., S. 116. 37 Betrachter ansieht, zeige ihre Kontrolle über den Blick, denn wir sähen nur das, was sie uns gestattete. 88 Der Begriff des Look, über dessen Wirksamkeit Madonna sich bewusst ist, ist nach Fiske als komplexer Begriff zu verstehen: Zum einen meint er Madonnas Blick an sich (wie sie andere anschaut, insbesondere die Kamera), zum anderen aber auch ihren Anblick (Aussehen) und den Blick der anderen auf sie. 89 Traditionell stand der Blick wie oben bereits erwähnt unter männlicher Kontrolle: So ging Freud davon aus, dass dies eine „grundsätzliche Art und Weise der Ausübung von Kontrolle durch eine Ausweitung des Voyeurismus“ 90 darstellt. Madonna beansprucht diese männliche Kontrolle für sich, denn erst durch die Kontrolle der Frauen über den Blick ― in jeder der drei oben genannten Weisen ― ist es möglich, „dass sie die Kontrolle über ihre eigenen Bedeutungen innerhalb des Patriarchats erlangen.“ 91 Kontrolle über den männlichen Blick ist demnach eine Form der Machtausübung, die Madonna für sich in Anspruch nimmt und die sie den jungen Mädchen, die ihre Clips sehen und ihre Musik hören, anbietet. Ein weitere Form der Machtausübung erreicht Madonna durch die in den Musikvideos inszenierte Provokation, die sie durch die Vermischung ursprünglich als antagonistisch oder als unvereinbar empfundener Komponenten erzeugt. So stehen im Text des Songs „Burning Up“ religiöser und sexueller Diskurs nicht nur nebeneinander, sondern werden miteinander vermischt. Zwar scheint das Sexuelle im Vordergrund zu stehen, doch das Singen vom Niederknien („down on my knees“) und Brennen, ihrem Mangel an Scham („I have no shame“) und dem Teil in ihrem Herz, der einfach nicht sterben will („And this pounding in my heart just won’t die“), lassen den religiösen Diskurs als nicht weniger bedeutend erscheinen. Diese Vermengung von Sexualität und Religion wird von Madonna von Anfang an als Provokation gewinnbringend vermarktet: Die reine Jungfrau Maria und die sündige Maria Magdalena als weibliche Stereotype des Christentums sind Bestandteile der Selbstinszenierung Madonnas als Synthese einer zuvor als unvereinbar angenommenen Dualität. 92 88 Vgl. Ebd., S. 117. - Auch der Clip zu „Lucky Star“ beginnt und endet mit einer Einstellung, in der Madonna eine dunkle Sonnenbrille abnimmt und am Ende wieder aufsetzt, während sie ihren Blick offensiv in die Kamera richtet, den Blick des Betrachters auf diese Weise kontrollierend. 89 Vgl. Ebd. 90 Ebd. 91 Ebd. 92 Bullerjahn 2001, S. 228. 38 Auch die Bilder dieses ersten Clips weisen ― wenn auch mit Blick auf MadonnaClips der folgenden Jahre noch sehr harmlos wirkend ― eine Dualität in der Inszenierung Madonnas auf: In einem weißen Kleid räkelt sich die Sängerin, die den Namen einer der höchsten Kirchenheiligen, der Jungfrau Maria, trägt, in deutlichen, der Erwartungshaltung des Betrachters zuwiderlaufenden, sexuell aufreizenden Gesten auf der schmutzigen Straße. Auch die von ihr getragenen Accessoires ― schwarze Kruzifixe als Ohrringe ― erhalten in diesem Zusammenhang den Charakter eines Sakrilegs: Madonna trägt sie als Modeschmuck. Aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgerissen, verlieren sie somit ihre eigentliche Bedeutung, was Fiske ― im Hinblick auf die noch folgenden Madonna-Videoclips ― folgendermaßen formuliert: Sie nimmt Gegenstände des urbanen Lebens, reißt sie aus ihrem ursprünglichen sozialen und daher bedeutungsgebenden Kontext und kombiniert sie auf neue Arten und in einem neuen Kontext, der ihre ursprünglichen Bedeutungen leugnet. 93 So wird nicht nur das Kruzifix zweckentfremdet, sondern auch das gebleichte blonde Haar mit bewusst zur Schau gestelltem dunklen Ansatz ist nicht länger das Merkmal für eine „nuttige Schlampe“. Dieses „Herauswinden der Produkte des Kapitalismus aus ihrem ursprünglichen Kontext und ihre Wiederverwertung zu einem neuen Stil“ sei, so Chambers, „eine für die urbane Popularkultur typische Praxis.“ 94 Die Straße produziert eine bricolage des Stils, wobei die Waren kapitalistischer Gesellschaften nur noch als Signifikanten bestehen: Ihre ideologischen Signifikate werden abgeschüttelt und in ihrem ursprünglichen Kontext zurückgelassen. Die sinnentlehrten Signifikanten müssen nicht zwangläufig mit neuer Bedeutung aufgeladen werden, sie erwerben nicht unbedingt neue Signifikate. Der Akt der Befreiung aus ihrem ideologischen Kontext bedeutet für diejenigen Freiheit, die von ihnen Gebrauch machen: „Er bezeichnet die Macht [...] der Beherrschten, etwa Kontrolle im kulturellen Prozeß der Bedeutungsherstellung auszuüben.“ 95 Auf eben diese Weise handelt Madonna dadurch, dass sie die Kruzifixe als Schmuck trägt, und zwar ohne in ihnen ihre religiöse Bedeutung zu sehen, sondern einfach, weil sie sie dekorativ findet. 96 Madonna bedient sich an Produkten des 93 Fiske 2003, S. 112. - Der Film „Desperately Seeking Susan“ zeigt deutlich Madonnas Fähigkeit, Produkte der Bourgeoisie zu verwenden, ihren eigenen Stil zu entwickeln und ihnen damit eine Bedeutung in ihrem Sinne zu verleihen. 94 Ebd.; vgl. auch Chambers, I.: Popular Culture: The Metropolitan Experience, London 1986. 95 Fiske 2003, S. 113. 96 Dabei ist zu bedenken, dass das Tragen christlicher Symbole bei Madonna sicherlich immer auch als Provokation zu verstehen ist. 39 Kapitalismus, um einen Stil zu entwickeln, der ihr eigener ist: ein Stil, der Bedeutung zurückweist und in dieser Zurückweisung seine Macht behauptet, die darin besteht, sich selbst vom ideologischen Ballast zu befreien, der der Bedeutung zugrunde liegt. 97 Sie löst den polaren Gegensatz zwischen Jungfrau und Hure auf und bietet jungen Frauen ein Image, das Sexualität positiv und frauenzentriert repräsentiert, was durch den ständigen Verweis auf ihre Unabhängigkeit, ihr „Sieselbst-Sein“ zum Ausdruck gebracht wird. Doch, so stellt Fiske fest, kann eine solch scheinbar unabhängige, selbstdefinierende Sexualität nur innerhalb und gegen eine bestehende patriarchale Ideologie wirksam werden. Die Bedeutungen, vom Patriarchat geliefert, müssen also da sein, damit überhaupt Widerstand geleistet werden kann. 98 Madonna-Videos, so konstatiert Fiske, beziehen sich immer auf die Herstellung des Images, sie machen sogar die Kontrolle über die Herstellung zu einem Teil des Images selbst. Diese Hervorhebung der Herstellung des Images erlaubt es dem Leser, allen voran dem weiblichen, zu erkennen, daß die Bedeutungen weiblicher Sexualität ihrer Kontrolle unterliegen können, in ihrem Interesse hergestellt werden können, und daß ihre Subjektivitäten nicht notwendigerweise zur Gänze vom herrschenden Patriarchat bestimmt sind. 99 Was Madonna also auch schon in ihrem ersten Video vermittelt, ist das Aufzeigen der Möglichkeit, Macht und Kontrolle über das eigene Image, die eigene Imagekonstruktion zu erlangen, entgegen patriarchaler Rahmenbedingungen, weibliche Unabhängigkeit für sich in Anspruch zu nehmen und selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Diese Botschaften, vermittelt durch die Musik und die Art des Gesanges, verstärkt noch durch die Bilder des Clips, mögen einen Eindruck davon vermitteln, was in den 1980er Jahren junge Mädchen ― eine unbeachtete, randständige Gruppe in der Gesellschaft ― in ihrem Sozialisationsprozess an Madonna fasziniert haben mag. Nicht zuletzt unzählige „Madonna-Wannabes“, die nach deren künstlerischem Durchbruch die Straßen von Amerika bevölkerten, können ein Zeugnis darüber ablegen. Im Hinblick auf die weitere Entwicklung des polaren Nebeneinanders von religiösem und sexuellem Diskurs, der schon Thema ihres ersten Songs ist, mit „Like A Virgin“ seinen ersten Höhepunkt erreicht und mit den Clips zu „Justify My 97 98 99 Auch Subkulturen verfahren auf diese Art und Weise bei der Herstellung von Bedeutungen. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., S. 110. Ebd., S. 113. 40 Love“ und „Erotica“ teilweise bis ins Groteske geführt wird, wirkt die Inszenierung in „Burning Up“ noch spielerisch und harmlos, fast kindlich. In diesem ersten Clip ging es Künstlerin sowie Plattenfirma zunächst darum, das neue Gesicht populär zu machen. Trotz allem wirken ihr Auftreten, ihre Gebärden sowie ihr ganzes Outfit provozierend 100 und laufen dem Ideal der Leinwandschönheiten klassischer Hollywoodfilme zuwider. Mag ihr Outfit zu Beginn des 21. Jahrhunderts harmlos erscheinen, so muß man sich heute immer wieder den gesellschaftlich-kulturellen Kontext Amerikas der 1980er Jahre vergegenwärtigen, um ermessen zu können, welchen Eindruck Madonna bei besorgten Eltern und Kulturkritikern hinterlassen haben muss. Bereits dieses erste Album von 1983 hatte Madonna zu einem Markennamen gemacht. 101 Im Laufe der folgenden Jahre, in denen Madonna mit ihren Clips ― vor allem durch religiösen Tabubruch 102 ― immer wieder auf sich aufmerksam machte, sollte sie Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre vor allem durch sexuelle Provokation auffallen. Der im Folgenden zu analysierende Clip wurde sechs Jahre nach „Burning Up“ gedreht und vermittelt einen Eindruck davon, wie sehr sich die Madonna der späten 1980er Jahre von der anfänglichen Girlie-Version entfernt. 103 2.2 EXPRESS YOURSELF (1989) Der Song „Express Yourself“ stammt von Madonnas viertem Album, „Like A Prayer“, das 1989 veröffentlicht und wegen seines „musikalischen Einfallsreichtum[s]“ 104 erstmals von der Kritik gelobt wurde. Mit diesem Album, eine 100 So wirkt Madonna in diesem Clip wesentlich offensiver und sexualisierter als in dem 1984 produzierten Clip zu „Lucky Star“ (Regie: Arthur Pierson), das sie tanzend in ihrem typischen Outfit und mit bauchfreiem T-Shirt in schwarzer Kleidung zusammen mit zwei weiteren Tänzern vor weißer Leinwand zeigt (Clip 02). 101 Vgl. Morton 2002, S. 205. 102 Den größten Skandal provozierte Madonna in dieser Zeit wohl mit ihrem Videoclip zu „Like A Prayer“ von ihrem vierten gleichnamigen Album von 1989. Religiöse Fundamentalisten in den USA und der Vatikan zeigten sich entrüstet über das Musikvideo, in dem die Sängerin mit erotischen Körperbewegungen vor brennenden Kreuzen tanzt und einen schwarzen Jesus küsst, woraufhin Pepsi Cola sich gezwungen sah, einen mit Madonna eingegangenen Sponsorenvertrag zu kündigen. Der Clip, der nach eigener Aussage der Sängerin eigentlich den Rassismus in den USA anprangern wollte, wurde in der BRD verboten und auf MTV nur nachts ausgestrahlt. So wurde „Like A Prayer“ wohl auch aufgrund dieser unfreiwilligen Werbung zu einem ihrer größten Erfolge. Vgl. Ebd., 281 f. 103 Darüber hinaus wird offensichtlich, wie sich durch die Erfahrung mit dem Medium Videoclip und technische Neuerungen der Clip allmählich zu künstlerisch wertvollen Filmen entwickelt hat. 104 Clerk, Carol: Madonna-Style, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2002, S. 80. 41 Co-Produktion von Madonna, Steve Bray und Patrick Leonard, 105 entfernte sich die Künstlerin deutlich vom Dancefloor und integrierte neue Klangfarben, so dass das Album insgesamt düsterer und gefühlsbetonter als die bisherigen Alben erscheint. In der Literatur wird immer wieder der sehr persönliche Charakter der Texte der neuen Songs hervorgehoben, in denen sie unter anderem ihre zu diesem Zeitpunkt gescheiterte Ehe mit dem Schauspieler Sean Penn, mit dem sie seit 1985 verheiratet war, ihre Kindheit und ihre Auseinandersetzung mit dem Katholizismus, den frühen Tod der Mutter 106 , sowie nicht zuletzt das gespaltene Verhältnis zu ihrem Vater verarbeitete. 107 Symbolisch dafür steht der Titel, „Like A Prayer“, der wie das Album selbst ihrer Mutter gewidmet ist. 108 Darüber hinaus nimmt das Album in höherem Maße persönliche musikalische Erfahrungen aus ihrer Kindheit und Jugend auf, wie sie selbst zum Ausdruck bringt: In the past my records tended to be a reflection of current influences. This album is more about past musical experiences. The songs “Keep It Together” and ”Express Yourself” for instance are sort of my tributes to Sly and the Family Stone. “Oh Father” is my tribute to Simon and Garfunkel, whom I loved. Also the overall emotional content of the album is drawn from what I was going through when I was growing up. 109 Das Cover des Albums (Anhang I, Abb. 04) zeigt nicht, wie die bisherigen Alben, ein Konterfei der Künstlerin selbst, sondern in provozierend-aufreizender Weise den unteren Teil ihres nackten Bauches bis zur Hüfte. Madonna trägt eine Jeans, deren oberster Knopf geöffnet ist und in deren Bund beide Daumen eingehängt sind, so dass ihre Hände rechts und links über den Hosentaschen zu liegen kommen. An ihren Fingern stecken zahlreiche goldene Ringe, verziert mit großen farbigen 105 Auch „Prince“ war an dem Text des dritten Tracks des Albums, „Love Song“, beteiligt, einem Duett zwischen Madonna und ihm. 106 Die Mutter Madonnas, von der sie ihren ersten Namen übernommen hat, starb im Alter von 30 Jahren am 1. Dezember 1963 an Brustkrebs. Der frühe Verlust ihrer Mutter und seine Verarbeitung ist ein Element in Madonnas musikalischer Biographie, das immer wieder in Erscheinung tritt („Promise To Try“ auf diesem Album). In ihrem Film „Truth or Dare ― in Bed With Madonna“ (1991) wird dieses offensichtlich traumatische Erlebnis durch einen Besuch des Grabes der Mutter für ein Millionenpublikum stilisiert und ausgeschlachtet. 107 Vgl. Bullerjahn 2001, S.211 f.; Clerk 2002, S. 80; Morton 2002, S. 281; – Auch das Verhältnis zu ihrem Vater ist ein gespaltenes, was damit begann, dass er zwei Jahre nach dem Tod der Mutter wieder heiratete. Er galt als autoritär und streng katholisch und widersetzte sich Madonnas Entscheidung, ihr Studium abzubrechen um nach New York zu gehen, womit er ihr jegliche finanzielle Unterstützung untersagte. Auf ihren ersten Konzerttourneen macht sie diesen Konflikt sogar zu einem Bestandteil ihrer Show. Vgl. hierzu: Bronfen, Elisabeth: „Von der Diva zum Megastar ― Cindy Sherman und Madonna“, in: Bronfen, Elisabeth/Strautmann, Barbara: Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München: Schirmer/Mosel 2002, S. 207. - Auf diesem Album verhandelt der Song „Oh Father“ zum einen den Tod der Mutter, zum anderen verweist er auf das problematische Verhältnis ihrem Vater gegenüber. Bullerjahn spricht gar von einem „Elektra-Komplex“ Madonnas, „der infolge überstarker und unterdrückter Liebe der Tochter zum Vater entsteht.“ Bullerjahn 2001, S. 231. - Selbst auf dem zuletzt von Madonna veröffentlichten Album – sie ist inzwischen selbst Mutter - „American Life“ (2003), wird das Thema im Song „Mother and Father“ erneut verhandelt. 108 Vgl. Morton 2002, S. 281. 109 Madonna, zit.n. Bullerjahn 2001, S. 212. 42 Steinen, eine üppig geschmückte, orientalisch anmutende goldene Kette mit bunten Perlen hängt über dem Hosenbund. Auf der Rückseite des Covers trägt Madonna ein großes, mit roten Steinen besetztes Kruzifix an einer Halskette. So zitiert die Vorderseite von „Like A Prayer“ das weithin bekannte Plattencover des „Rolling Stones“-Albums „Sticky Fingers“ aus den frühen 1970er Jahren mit Jeansausschnitt und Reißverschluss, allerdings von Madonna auf ihre sehr persönliche Weise umgedeutet. 110 Auf diese Weise spielt die Künstlerin mit den Erwartungen des vornehmlich männlich intendierten Betrachters, dessen Phantasie durch die angedeutete Enthüllung angesprochen werden soll. Das Cover zur Single hingegen (Anhang I, Abb. 12), das sie in einer auffordernden Tanzpose zeigt, wirkt vergleichsweise unspektakulär. Der Clip zu dem Song „Express Yourself“, mit dem die Sängerin zum 15. Mal eine Platzierung in den Charts erzielte, wurde in den USA am 1. Mai 1989 erstmals auf MTV ausgestrahlt, kurz nach dem Skandal-Clip zu „Like A Prayer“. Ausgangspunkt und Schlusspunkt der Geschichte ist die Kunstfigur Madonna: Sie ist diejenige, die die Fäden zusammenhält, an deren Enden die anderen Figuren wie Marionetten zu hängen scheinen. Das Bekenntnis „Express Yourself“ entspricht dabei dem eigenen, dominanten Rollenverständnis der Künstlerin: Sie ist eine Frau, die in jeder Situation die Kontrolle behält und sich von niemandem verunsichern oder sich etwas vorschreiben lässt. Dies sind Eigenschaften, die sonst eher dem männlichen Geschlecht zugeschrieben werden. Wie schon in der Analyse zu „Burning Up“ dargestellt, erkennt John Fiske in dem Begriff „Kontrolle“ das zentrale Motiv von Madonnas Bildersprache. Madonna adaptiert hier männliches Rollendenken und männliche Verhaltensmuster, indem sie selbst die Kontrolle übernimmt: Kontrolle über ihre mediale Repräsentation, ihre diversen Firmen und, zumindest in ihren Clips, auch über ihre Männer. Als probates Machtinstrument zur Durchsetzung ihrer Interessen und Wahrung der Kontrolle dient ihr dabei in erster Linie ihre offensiv zur Schau gestellte Sexualität. Anders aber als noch zu Beginn ihrer Karriere setzt sie sie in dieser Phase ihrer künstlerischen Entwicklung auf aggressivere Weise ein: Sie benutzt sie zur Unterstreichung ihrer eigenen Unabhängigkeit. Gleichzeitig setzt sie sich in „Express Yourself“ expliziter mit Geschlechterrollen und –grenzen auseinander und kreiert dabei eine neue, androgyne Figur, die männliche Ratio und weibliche Psyche in sich vereint. Allein optisch wird der Wunsch nach Macht und 110 Vgl. Clerk 2002, S. 83. 43 Kontrolle durch den sportlichen, durchtrainierten Körper der Künstlerin zum Ausdruck gebracht. Wirkte Madonna bis Mitte der 1980er Jahre noch sehr jugendlich und rundlich, so verkörpert sie am Ende des Jahrzehnts die durchtrainierte Frau, die zeigt, wie hart sie an ihrem Körper gearbeitet hat. Dieser durchtrainierte Körper ist in Clips wie „Express Yourself“ oder auch „Open Your Heart” 111 deutlicher Ausdruck eines Machtstrebens. So offensichtlich der Unterschied zwischen einer „Lucky Star“- oder „Burning Up“-Madonna und der „Express Yourself“-Madonna aber äußerlich sein mag, so ähnlich sind sie sich doch in der Grundaussage: Stellte Madonna schon in ihrem ersten Clip die Dominanz des männlichen Geschlechts in Frage, so stellt auch dieser Clip bestehende gesellschaftliche Rollenverständnisse in Frage, indem er sie subtil unterläuft. Dies erreicht sie unter anderem dadurch, dass sie zum Teil sehr unterschiedliche verschiedene Modelle von Weiblichkeit darstellt, die sich ebenso mühelos männlicher wie weiblicher Rollenmuster bedienen und je nach Situation zwischen ihnen hin- und herwechseln. Dieses Spiel mit den Masken, das sie seit der Veröffentlichung ihres dritten Albums „True Blue“ 1986 systematisch betreibt, entwickelt sie in dieser Zeit zu ihrem Markenzeichen. 2.2.1 Image Mit dem Erscheinen ihres Musikvideos zu „Papa Don’t Preach“ 112 , das im Juni 1986 zusammen mit dem dritten Album „True Blue“ veröffentlicht wurde, vollzog Madonna erstmals einen augenfälligen Imagewechsel, der sich nicht zuletzt an dem Cover des dritten Albums ablesen lässt (Anhang I, Abb. 03). In diesem Clip präsentiert Madonna sich mit kurzgeschnittenem, blondiertem Haar, in jungenhafter Kleidung und mit wenig Schmuck, den sie zusammen mit dem dramatischen Makeup der Anfangsjahre abgelegt hatte. 113 War sie schon mit dem Clip zu „Material Girl“ 114 kurzzeitig in ein anderes Image, nämlich das der Filmdiva Marilyn Monroe geschlüpft, so sollte sie sich von nun an mit jedem neuen Album, fast für jeden neuen Clip, ein neues Äußeres zulegen. Ihre Videoclips trugen wesentlich dazu bei, ihr neues Image zu prägen, das vor allem durch die öffentliche Zurschaustellung von gesellschaftlich tabuisierten 111 112 113 114 Regie: Jean-Baptiste Mondino, 1986, aus dem Album „True Blue“. Regie: James Foley. Vgl. Clerk 2002, S. 59. Regie: Mary Lambert, 1985, aus dem Album „Like A Virgin“. 44 Themen die amerikanische Öffentlichkeit schockierte. Dabei sollte das vorherige Girlie-Image nicht komplett abgelegt werden. Vielmehr wurde in dieser Phase die sexuell-erotische Komponente des bereits etablierten Madonna-Mythos in den Vordergrund gerückt, vor allem mit dem Ziel der Provokation. Der Videoclip zum Song „Papa Don’t Preach“, dessen Text die Schwangerschaft eines unverheirateten Teenagers als unproblematisch darzustellen scheint, löste eine Kontroverse in Amerika aus, ebenso der vier Monate später erschienene Clip zu „Open Your Heart“ (Clip 04). Dieser wurde wegen der darin zur Schau gestellten, aufreizenden Kleidung und der sexuellen Andeutungen insbesondere von politisch rechtsstehenden Gruppierungen in den USA kritisiert, ebenso wie die im März 1989 bzw. im Dezember 1990 erschienenen Clips zu „Like A Prayer“ und „Justify My Love“. 115 So trug nach Curry der Videoclip zu „Open Your Heart“ „wesentlich dazu bei, Madonnas früheres Starimage als ‚trashy iconoclast’ und ‚Material Girl’ in das einer ‚sexy phallic woman’ umzuwandeln.“ 116 Innerhalb dieses Clips verändert Madonna sogar mehrere Male ihre äußere Erscheinung. Hier tritt sie in einem schwarzen Lederkorsett als Striptease-Tänzerin in einer PeepShow auf, zunächst mit einer schwarzen Kurzhaarperücke, die sie gleich zu Beginn abnimmt und sich von nun an mit blondem Kurzhaarschnitt zeigt. Ihr Körper ist schlank und durchtrainiert und zeigt nur noch wenig von den weiblichen Rundungen der von ihr noch kurz zuvor verkörperten Marilyn Monroe-Figur. Mit ihrem Äußeren zitiert sie im Clip mehrere Starimages der Filmgeschichte, wie etwa die von Marlene Dietrich, Liza Minelli und Rita Hayworth, zum Schluß auch Charlie Chaplins und Impressionen aus dessen Film „The Kid“. 117 Wie die folgende Analyse zu „Express Yourself“ zeigen wird, wurde für Madonna das Tragen unterschiedlicher Kleidung und Frisuren zu einem Spiel mit Masken, die sie nach Belieben verändert. Das Image der Künstlerin Madonna Ende der 1990er Jahre wird neben den Kontroversen, die ihre Clips in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgelöst haben, weiterhin von ihrer schlagzeilenträchtigen Verbindung und anschließenden Ehe mit Sean Penn, ihrer angeblichen lesbischen Liebesbeziehung mit der bisexuellen Komödiantin Sandra Bernhard sowie durch das Auftauchen früherer Nacktfotos, die 115 So äußerte sich Margaret Scott von der rechten kalifornischen Gruppe United Parents Under God mit folgenden Worten über Madonna: „Unsere Kinder werden von Madonna ausgenutzt und manipuliert. Sie nimmt öffentlich Stellung gegen die Moral. Trotzdem verehren Kinder sie. Sie sollte verboten werden, um unsere Kinder vor dem Untergang zu retten.“ Zit.n. Bullerjahn 2001, S. 218. 116 Curry 1999, S. 185. 117 Vgl. Ebd., S. 184. 45 in Playboy und Penthouse veröffentlicht wurden, mitbestimmt. 118 Zu Merkmalen ihres Images hatten sich in den letzten Jahren Eigenschaften wie „selbstsichere, offen ausgedrückte Sexualität“, „Narzissmus“, „jugendliche Vitalität“ und „Selbständigkeit“ herausgebildet. 119 Passend zu ihrem „neuen“, durchtrainierten Körper präsentierte sie sich nun während ihrer Konzerte vornehmlich in Bustiers, Korsetts, BHs, Bodys und Netzstrumpfhosen, unter denen sie viel nackte Haut zeigte ― wie etwa auf der „Who’s That Girl“-Tour 1987. 120 Zu ihrem Markenzeichen wurde schließlich das von dem Modedesigner Jean-Paul Gaultier entworfene, goldene Korsett, das Madonna während der „Blonde Ambition“-Tour 1990 bei der Performance zu ihrem Song „Like A Virgin“ trägt. Flankiert wird sie dabei von zwei Tänzern, die ebensolche spitzbrüstigen, überdimensionalen Korsetts tragen. Die von Gaultier entworfenen Outfits schienen genau das zu repräsentieren, wofür Madonna in dieser Phase ihrer Karriere stand: nämlich die Zuschauer zur sexuellen Befreiung zu ermutigen. Die extremen Kreationen des Modedesigners machten es darüber hinaus möglich, sie bei ihrem Spiel mit Geschlechterrollen zu unterstützen: Durch die Überbetonung weiblicher sekundärer Geschlechtsmerkmale provozierte sie nämlich nicht nur, sondern erzielte gleichzeitig einen Verfremdungseffekt, vor allem indem sie ihre männlichen Tänzer mit ebensolchen überdimensionalen Brust-Kegeln ausstatten ließ. Der Zuschauer sah also die Künstlerin selbst, die sich kurz zuvor noch als Marilyn-Monroe-Lookalike und somit als eine Ikone der Weiblichkeit dargestellt hatte, durchtrainiert und mit dem Habitus eines Mannes, während ihre männlichen Tänzer mit auffälligem Make-up und in Damen-Unterwäsche auftraten. Ihre Erwartungshaltung wurde also so nicht nur ostentativ durchkreuzt, sondern darüber hinaus wurden durch diese Darstellung bestehende Geschlechterunterschiede deutlich in Frage gestellt. 121 2.2.2 Daten zum Clip Der fast fünfminütige Clip zu „Express Yourself“, bei dem David Fincher 122 Regie führte, lehnt sich in Kulisse und Rollenverteilung an Fritz Langs Stummfilm 118 Vgl. Clerk 2002, S. 59 u. 77. Vgl. Curry 1999, S. 184. 120 Schon im Clip zu „Open Your Heart” zeigt sie sich im schwarzem Korsett mit aufgesetzten goldenen Spitzen auf den Brüsten und Netzstrumpfhose, entworfen von Marlene Stewart. 121 Vgl. Clerk 2002, S. 84. - Ihre Wandelbarkeit beschränkt sich nicht allein auf ihr Äußeres, auch in ihren Alben greift sie bis heute immer wieder neue musikalische Trends auf oder recyclet alte. Aus diesem Grund wechselt sie in regelmäßigen Abständen ihre Co-Autoren und –produzenten, um neue künstlerische Ideen entwickeln zu können. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 217. 122 Fincher wurde im Folgenden mit Filmen wie „Alien 3“, „Seven“, „The Game“, „Fight Club“ und „Panic Room“ bekannt. 119 46 „Metropolis“ von 1927 an. 123 Madonna beteiligte sich gegen den Rat ihres damaligen Managers Freddy DeMann 124 mit einer Million Dollar Eigenkapital an den Produktionskosten des Clips, der neben dem zu Michael Jacksons „Thriller“ zu einem der teuersten Clips zählt, die je produziert wurden. Dies weist zum einen darauf hin, wie wichtig der Künstlerin der Clip zu sein schien, zum anderen wird augenfällig, wie viel Einfluss Madonna sich damit auf die Clipproduktion verschaffte. Folgendes Zitat bringt diese Tatsache zum Ausdruck: Bei diesem Video hatte ich den größten Einfluß. Ich habe mich um alles gekümmert ― die Kulissen, die Kostüme, das Make-up, die Frisuren, die Beleuchtung ... einfach alles. Die Besetzung, die Suche nach der richtigen Katze ― um jedes Detail. Es war, als würde ich einen kleinen Film machen [...]. Ich hatte ein paar Ideen zum Szenenaufbau, zum Beispiel die Katze und die Idee mit Metropolis [...]. Genau diese Atmosphäre wollte ich erreichen, dieses Bild von den Männern ― den Arbeitern, die fleißig und unbeirrt vor sich hin arbeiten. 125 Der Textinhalt (Anhang II) unterstreicht bestimmte Eigenschaften von Madonnas Image in dieser Phase ihrer Karriere, nämlich das einer rationalen, autonomen und pragmatischen Karrierefrau, die sich von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt hatte, was allgemein als kluger und auch notwendiger Schritt im Hinblick auf ihre eigene Karriere bewertet wurde. 126 Madonna präsentiert sich als eine Frau, die alles unter Kontrolle hat und dadurch unabhängig wirkt. Inhaltlich beschreibt der Clip nicht nur den Unterschied zwischen den Geschlechtern, sondern bezieht sich auch auf die polaren thematischen Pole arm ― reich, Unterdrückung ― Herrschaft. Die Unterscheidung zwischen Ober- und Unterwelt wird von Madonna im Clip dazu verwendet, ihre Machtposition zum Ausdruck zu bringen. Auch in der filmischen Vorlage „Metropolis“ geht es um die Aufteilung der Gesellschaft in zwei „Klassen“: eine Ober- und Unterwelt, die mit einem Fahrstuhl miteinander verbunden sind. Auch ist es in Langs Film eine (Roboter-)Frau, die die Unterwelt aus den Fugen geraten lässt. Die Unterwelt bricht durch die Verführung der Roboterfrau zusammen, Männer werden zum Objekt der Begierde. Der entscheidende Unterschied zwischen filmischer Vorlage und Madonna-Clip besteht darin, dass in „Metropolis“ die Roboterfrau im Auftrag des Mannes agiert, wohingegen Madonna im Clip in eigener Regie das Geschehen bestimmt, sowohl 123 Bullerjahn vermutet, dass Madonna durch die populärmusikalische Bearbeitung des ursprünglichen Films durch Giorgio Moroder inspiriert wurde, die Mitte der achtziger Jahre in den amerikanischen Kinos lief. Darüber hinaus weise der Clip zahlreiche andere intertextuelle Bezüge auf, die allerdings nicht von annähernd plakativer Wirkung seien. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 239. 124 Freddy DeMann, zuvor Manager Michael Jacksons, sollte 15 Jahre lang Madonnas Geschäfte managen. Vgl. Morton 2002, S. 205 f. 125 Schmiedke-Rindt, Carina: „Express Yourself ― Madonna Be With You”. Madonna-Fans und ihre Lebenswelt, Augsburg 1998, S. 58. 126 Vgl. Curry 1999, S. 193. 47 intern als zentrale Figur, in deren Hand die Fäden zusammenlaufen, als auch extern, als Co-Produzentin und Investorin. 127 Gleich in Clip und Film ist die Tatsache, dass die weibliche Sexualität Einfluss auf die vorhandenen Herrschaftssysteme ausübt. Madonna hat die filmische Vorlage demnach in ihrem Sinne weiterentwickelt und für ihre Zwecke umfunktionalisiert. 2.2.3 Clipanalyse Die Anfangseinstellung des Videoclips (Clip 05) zeigt Impressionen einer blau ausgeleuchteten, hinter dampfenden Nebelschwaden hervortreten Kulisse, die durch das Nebeneinander von Hochhausfassaden und sich bewegenden Maschinenteilen gleichzeitig den Eindruck einer Großstadtsilhouette und den eines Uhrwerksinneren vermittelt. Die Bilder der sich drehenden Maschinenräder und der Stadt wechseln sich mit kurzen Naheinstellungen von nackten Oberkörpern junger Männer bei der Bedienung schwerer Maschinen in einer Fabrikhalle ab. Besondere Aufmerksamkeit gilt einem der jungen Arbeiter mit längerem Haar, Madonnas späterem Liebhaber. Die Sängerin erscheint auf dem Rücken einer monumentalen Adlerstatue, die sich auf einem der Hochhäuser befindet. Die Sequenz wird von Nebel eingehüllt als Schnitt und Trennung zwischen Ober- und Unterwelt. Von dem Adler aus skandiert die Sängerin ihre Botschaft, die sie an ihr weibliches Publikum richtet: „Come on girls / Do you believe in love? / ’Cause I got something to say about it / And it goes something like this”. Im Folgenden findet eine visuelle Trennung der Kulissen in Ober- und Unterwelt statt. Der Unterwelt, die Welt der Arbeiter, nass und dunkel dargestellt, steht die Oberwelt gegenüber, die hell, sauber, fast steril und in kräftigen Farben dargestellt ist. Dies ist die Welt der weiblichen Protagonistin und des Fabrikbesitzers, der vermutlich ihren Ehemann darstellen soll. Aus der Unterwelt steigt der langhaarige junge Arbeiter zu der Protagonistin in ihre Oberwelt auf, nachdem diese ihre schwarze Katze losgeschickt hat, um den Arbeiter in ihr Schlafzimmer zu bestellen. Während sich die Frau und ihr Liebhaber hinter verschlossener Tür vermutlich vereinigen, gerät die Situation in der 127 Einem genauerem Vergleich zwischen filmischer Vorlage und Clip kann an dieser Stelle nicht nachgegangen werden. Es sei verwiesen auf: Huyssen, Andreas: “The Vamp and the Machine: Fritz Lang’s Metropolis”, in: Ders: (Hrsg.): After the Great Divide. Modernism, Mass Culture, Postmodernism, Houndmills u.a. 1986, S. 45-81. - Zum Film „Metropolis“ siehe: Patalas, Enno: Metropolis in/aus Trümmern. Eine Filmgeschichte, Berlin: Bertz 2001; oder auch: Schenk, Imbert: Dschungel Großstadt: Kino und Modernisierung, Marburg 1999. 48 Fabrikhalle außer Kontrolle: Die Arbeiter zeigen sich in einem aggressiven Ringkampf, der als filmische Parallelisierung zum angedeuteten „Ringkampf“ zwischen der Protagonistin und ihrem Liebhaber zu verstehen ist. Der Clip endet im Stil alter Hollywood-Filme mit einer Art Aphorismus, den Madonna vor allem ihren Zuschauerinnen, die sie zu Beginn des Clips angesprochen hatte, nahelegt: „Without the heart there can be no understanding between the hand and the mind.” 128 Vor der Erstausstrahlung des Clips auf MTV wurde der Song in den USA nach der Veröffentlichung des Albums im Februar 1989 oft im Radio gespielt, so dass der Text den meisten Radiohörern geläufig war, bevor die dazugehörigen Bilder von Madonna nachgeliefert wurden. 129 Nach Ramona Curry kann auf semantischer Ebene der Text des Songs so verstanden werden, dass das Wichtigste in einer Liebesbeziehung die geistige und emotionale Kommunikation zwischen den Partnern ist und die offene Mitteilung von Gefühlen eine wichtige Rolle spielt. Weiterhin werde auf textlicher Ebene die Idee vertreten, dass eine gute ökonomische Stellung des Mannes allein nicht ausreicht, um eine Beziehung zu rechtfertigen. Eine materialistische Einstellung wird von Madonna somit im Songtext ausdrücklich abgelehnt: […] You don’t need diamond rings Or eighteen karat gold Fancy cars that go very fast You know they never last, no, no […] Long stem roses are the way to your heart But he needs to start with your head Satin sheets are very romantic What happens when you are not in bed You deserve the best in life So if the time isn’t right then move on Second best is never enough You’ll do much better baby on your own. chorus: Don’t go for second best baby Put your love to the test You know, you know, you’ve got to Make him express how he feels 128 An dieser Stelle soll eine skizzenhafte Darstellung des Clipinhaltes genügen, der im Verlauf der Interpretation noch näher erläutert wird. Eine ausführliche Beschreibung des Clips findet sich bei: Altrogge, Michael: Tönende Bilder. Interdisziplinäre Studie zu Musik und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung für Jugendliche, Bd. 2: Das Material: Die Musikvideos, Berlin: Vistas Verlag 2000, S. 91-107. – Ebenso sei verwiesen auf: Curry 1999, S. 190-198. 129 Vgl. Curry 1999, S. 192. 49 And maybe then you’ll know your love is real. Express yourself You’ve got to make him Express himself Hey, hey, hey, hey So if you want it right now, make him show you how Express what he’s got, oh baby ready or not. […] Das nachträglich gelieferte Bildmaterial allerdings verdeutlicht, dass das Wichtigste in einer intimen Liebensbeziehung nicht (nur) die zwischenmenschliche Kommunikation zwischen Mann und Frau ist, sondern vielmehr der Austausch auf sexueller Ebene, verbaler wie körperlicher Art: Mann und Frau sollen nicht nur in körperliche Interaktion treten, sie sollen sich auch gegenseitig ihre intimsten Wünsche mitteilen und sie miteinander ausleben. Dabei steht auch die sexuelle Leistungsfähigkeit des Mannes im Vordergrund: Eine sexuell aktive und extrovertierte Frau wünscht sich einen ebensolchen Mann, mit dem sie ihre Phantasien ausleben kann. Die Zeile „Make him express himself“ erscheint als ein von einer begehrenden und machtvollen Frau ausgesprochener Imperativ, der ausdrücklich auf die phallische Leistungsfähigkeit des Mannes abzielt. 130 Mit Blick auf den Text und den zahlreichen Anspielungen, die allein auf semantischer Ebene gegeben werden, ist es allerdings auch möglich, zu behaupten, dass der Textinhalt der Bilder die verschlüsselte Botschaft Madonnas lediglich unterstreicht bzw. konkretisiert, d.h. der Text allein sexuelle Konnotationen hervorruft. So fordern Textzeilen wie „What you need is a big strong hand / To lift you to your higher ground / Make you feel like a queen on a throne / Make him love you till you can’t come down“ eindeutig dazu auf, Forderungen zu stellen, die allein das Ziel sexueller Befriedigung in den Vordergrund rücken: „Denn alles was du brauchst, ist eine starke Hand / die dich befriedigt und auf eine höhere Ebene versetzt / dass du dich wie eine Königin auf dem Thron fühlst / bring ihn dazu, dass er dich derart in Extase versetzt, dass du nicht mehr herunterkommst (von deinem Thron, aus der Extase).“ Somit ist allein der Text eindeutig sexuell konnotiert, die Bilder unterstreichen lediglich die im Songtext schon enthaltene Botschaft und bestätigen ausschließlich das, was die Textebene verschlüsselt darstellt. Claudia Bullerjahn 131 vertritt die Meinung, dass die Bilder zu „Express Yourself“ eine alternative Interpretation des Textes anbieten, die darin besteht, 130 131 Vgl. Curry 1999, S. 193. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 240 ff. 50 dass nicht die geistige und emotionale Verständigung, sondern die sexuelle Leistung des Mannes in den Vordergrund einer Beziehung rücken sollte. Im Clip würden die traditionellen Rollen umgedreht, denn Madonna sei diejenige, die die sexuelle Befriedigung einfordere und der Mann sei das Objekt ihrer sexuellen Begierde. Ramona Curry bezeichnet das Musikvideo deshalb als „Parodie der sexuell differenzierten Darstellungskonventionen, wonach der Mann die sexuelle Lust empfindet und deren Befriedigung aktiv verfolgt, während die Frau (und nur die Frau) ein passiver Auslöser und das Objekt der männlichen Lust ist.“132 Madonna benutzt die Bilder in diesem Clip dazu, um die gängigen Rollenklischees umzukehren. Sie fordert die „girls“, denen ihr „Schlachtruf“ zu Beginn des Clips gilt, dazu auf, sich zu nehmen, was ihnen zusteht. Ihre Performance als androgyne Marlene-Dietrich-Figur im Tanzstil Michael Jacksons zeigt eine aggressive Form männlicher Sexualität. Macht ist bei Madonna verbunden mit Sexualität und gebunden an bestimmte sexuelle Muster. Männer werden zu Marionetten, deren Fäden in der Hand der Protagonistin zusammenlaufen. Die Katze ― traditionell eines der Begleittiere der Hexe oder Zauberin 133 ― wird von ihr losgeschickt, um ihr den gewünschten Mann in die Oberwelt zu holen. Der wird auf diese Weise zum Objekt weiblicher Lust. Die Katze ist in diesem Clip von zentraler Bedeutung, denn „sie ist die eigentliche Klammer der Handlung und markiert daher den Anfang (die Katze wird von Madonna zum Vorarbeiter geschickt [...]) und Abschluß bis zum Eintritt des Vorarbeiters in das Schlafzimmer Madonnas (der Vorarbeiter setzt die Katze im Schlafzimmer auf den Boden [...]).“ 134 Die Katze ist außerdem Bestandteil fast aller Bilder, die den Liebhaber Madonnas zeigen sowie das alter ego Madonnas, die sich in die Katze verwandelt, um sich in die Unterwelt zu schleichen. Auch die 132 Curry 1999, S. 191 f. - Außerdem wird ein Klassenunterschied akzentuiert, nämlich der zwischen der in der Oberwelt lebenden, reichen Madonna und den armen, in der Unterwelt lebenden Arbeitern. Madonna verfügt demnach nicht nur über die sexuelle, sondern ebenso über die materielle Macht. Darüber hinaus wird in einer Nebenszene angedeutet, dass die (weiße) amerikanische Musikindustrie schwarze Jazzmusiker ausbeutet, jedoch Madonna nicht beherrschen kann. Gemeint ist hier die Szene, die den (weißen) Fabrikdirektor vor einer Glaskuppel zeigt, die wie in einer Spieluhr drei schwarze Jazzmusiker gefangen hält, und die er von seinem Sessel aus durch Knopfdruck auf seiner Fernbedienung an- und abstellen kann. Die Tatsache, dass es dem Fabrikdirektor offensichtlich nicht gelingt ― so zeigt es der Clip ―, Madonna ebenso zu beherrschen, lasse auf ihre Unabhängigkeit als Künstlerin schließen. Vgl. Curry 1999, S. 197. 133 Außerdem gilt die schwarze Katze in der Mythologie auch als Begleiterin oder Gespielin der Hexe und stellt damit ein antichristliches Symbol dar, womit Madonna auf das immer wieder von ihr verhandelte Thema des Katholizismus rekurriert. Die Funktion der Katze ist außerdem die der Liebesbotin, die von Madonna losgeschickt wird, um ihr den Mann zu holen, den sie ausgewählt hat. Darüber hinaus stellt die Katze die Verbindung zwischen Ober- und Unterwelt her. 134 Altrogge 2000, S. 106. 51 Einstellung, in der Madonna katzengleich über den Boden kriecht, legt diese Interpretation nahe. Die schwarze Katze und Madonna werden im Clip als austauschbar dargestellt, womit die Doppeldeutigkeit des Wortes „pussy“, das in der Umgangssprache auch als Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsorgan Verwendung findet, auf doppeldeutige Weise visualisiert wird. 135 Liebe wird bei Madonna gleichgestellt mit Sexualität: Liebe ist sexuelle Befriedigung. Es geht in diesem Clip um das Ausspielen von Rollenklischees der Geschlechter: Sie persifliert die bürgerlich-romantische Vorstellung von Liebe, die ihre Erfüllung in der geistigen Vereinigung sieht. Somit ist auch anzunehmen, dass in einer Zeile wie „you hold the key“ oder „I’ll give you love if you, you turn the key“ wie in „Open Your Heart“ der Schlüssel als Phallussymbol zu verstehen ist, der Schlüssel, der benötigt wird, um zu ihrem Herzen zu gelangen. Darüber hinaus spielt Madonna auf provozierende Weise auf bürgerlich-kleingeistige Vorstellungen von wirtschaftlichem Wohlstand als Basis einer Beziehung oder Ehe an: Sie sagt explizit, dass materieller Wohlstand nur ein unzureichender Ersatz für wahre, tiefe Befriedigung sein kann, sowohl auf körperlicher, als auch auf geistiger Ebene. Außerdem fordert sie die „girls“ dazu auf, sich nicht aufgrund materieller Interessen von einem Mann abhängig zu machen, um ihm auf diese Weise die Grundlage seiner Kontrolle über sie zu entziehen. Liebe ist in der Vorstellung der Künstlerin selbst immer in erster Linie auch körperliche Liebe. Dieses Liebeskonzept scheint sie somit auch in „Express Yourself“ zum Ausdruck zu bringen. Jim Albright, ehemaliger Leibwächter und Liebhaber Madonnas, umschreibt seine einstige Arbeitsgeberin als eine Frau, die zwischenmenschliche Nähe über körperliche Nähe herzustellen sucht: [...] Was Madonna am meisten braucht, ist Liebe. Deshalb benutzt sie Sex als eine Form von Liebe, weil sie eben diese übermächtige Sehnsucht hat, sich geliebt zu fühlen und Liebe zu empfangen: Liebe ist auf jeder Ebene Madonnas Antriebskraft, sie will, dass die Fans sie lieben, und sie will, dass die Leute, mit denen sie schläft, sie lieben. Sie nimmt den körperlichen Vorgang von Sex, egal ob mit einem Mann oder mit einer Frau, und verwandelt ihn in Liebe. Madonna lebt von der Liebe und leidet am Hunger nach Liebe. 136 135 Wie die Analyse des Clips zu dem Song „Frozen“ zeigen wird, wird die Transformation Madonnas in ein tierisches Lebewesen zu einem zentralen Element. Die Gleichstellung Madonnas mit der Katze verfolgt in diesem Clip allerdings eher das Ziel, erotische Assoziationen, die das englische Wort „pussy“ hervorruft, zu wecken. Dort allerdings erfolgen die Verwandlungen mit dem Ziel, Madonnas Verbundenheit mit der Natur zum Ausdruck zu bringen. Vgl. Kap. 2.3 dieser Arbeit. 136 Jim Albright, zit. n. Morton 2002, S. 325. 52 Auch in „Open Your Heart“ – wie in „Burning Up“ – ist Madonna diejenige, die die Männer dazu bringt, sie zu lieben. Die Zeile „Open your heart, I’ll make you love me“ drückt auch hier wieder die Bedingungen ihres Liebeskonzepts aus: Öffnest du dein Herz, dann werde ich dich dazu bringen mich zu lieben. Dabei handelt es sich immer um einen aktiven Prozess, der Zeitpunkt des Sich-Verliebens wird von ihr selbst bestimmt, ebenso wie der Mann, den sie lieben wird, von ihr ausgewählt wird: Sie verfügt mittels Sexualität über die Macht, alle Männer dazu zu bringen, sie zu lieben. In „Express Yourself“ wird die sexuelle Macht außerdem noch durch ihre ökonomische Macht über die Männer verstärkt. Diese Vorstellung widerspricht grundsätzlich dem romantischen Liebeskonzept, nach dem es das Schicksal zweier durch eine höhere Macht füreinander bestimmter Menschen ist, vom Pfeil Amors getroffen zu werden, vor dem es für sie kein Entkommen gibt. 137 Die höchste Form der Liebe ist die unerfüllte Liebe. Madonna hingegen funktionalisiert Liebe, um sich Macht zu verschaffen, weshalb es also auch nicht schwierig ist, sie zu lieben, wie sie in „Open Your Heart“ darlegt: „It’s not that hard, if you just turn the key“. Erfüllte Liebe bedeutet in Madonnas Vorstellung immer auch ein erfülltes Sexualleben. Die höchste Form der Liebe ist bei Madonna die höchste Form sexueller Befriedigung. Madonna verkörpert in „Express Yourself“ sieben verschiedene, zum Teil androgyne Frauentypen: Zunächst ist sie ein blondgelocktes „Soulgirl“, das ― göttergleich auf dem Rücken einer monumentalen Adlerstatue wie auf dem Olymp „thronend“ ― in einem violettfarbenen, ärmellosen Kleid ihren weiblichen Zuhörerinnen ihren Schlachtruf entgegenschleudert. Anschließend sieht sie man sie als mondäne Dame in einem grünen Abendkleid im Stil der 1930er Jahre, das Haar ebenfalls blond gefärbt und ― entsprechend dem Stil ihres Kleides ― in Wasserwellen gelegt. Danach sehen wir die Künstlerin in Dessous und Seidenstrümpfen, die hinter einem von hinten angeleuchteten Paravent einem Schattenspiel gleich eine Mischung aus Striptease und Tanz performed, gefolgt von einer tanzenden, sehr maskulinen, den Marlene-Dietrich-Typ nachahmenden Frauenfigur: In einem Anzug, unter dem sie lediglich Unterwäsche zu tragen scheint 137 Als klassisches Beispiel hierfür mag Gottfried von Strassburgs „Tristan und Isolde“ dienen: hier können die Protagonisten und Namensstifter des Epos’ auch nicht ihrer „Bestimmung“ entgehen, einander zu lieben, so sehr sie sich aufgrund standesbedingter und gesellschaftlicher Grenzen auch dagegen zur Wehr setzen. 53 und mit einem Monokel, das an einer Kette befestigt ist, imitiert sie ― erkennbar am inzwischen vielfach parodierten Griff in den Schritt ― eine Michael-JacksonPerformance. Anschließend sieht man die Künstlerin in einem enganliegenden schwarzen Kleid mit nassem, zerzaustem Haar, wie sie katzengleich auf allen Vieren unter einen Tisch kriecht, um sich anschließend ― lediglich bekleidet mit einem Halseisen und einer nicht weniger schweren Kette, die daran befestigt ist ― auf einem großen weißen Bett unter weißen Seidenlaken zu räkeln. Abschließend sieht man die Künstlerin dort in Erwartung ihres imaginierten Liebhabers, deren Nacktheit nur noch durch ein um Schultern und Hüften geschwungenes Bettlaken verdeckt wird. Durch diesen Wechsel der Rollen demonstriert Madonna die Kontrolle, die sie über ihre unterschiedlichen Images hat. Dieser Rollenwechsel verschafft ihr die nötige Macht, gesellschaftlich determinierte Geschlechterrollen in Frage zu stellen und für sich als Frau einen Habitus in Anspruch zu nehmen, der eben nicht mehr geschlechterspezifisch determiniert ist und den eine patriarchal strukturierte Gesellschaft lediglich dem Mann zugesteht. Nicoläa Grigat weist darauf hin, dass das „Metropolis“-Zitat nicht nur dekorative Zwecke zu erfüllen habe: Hierbei handele es sich vielmehr um einen weiteren „visuellen Fingerzeig auf die Gefährdung eines Herrschaftssystems durch weibliche Sexualität, da im Film ‚Metropolis’ dieses Thema von zentraler Bedeutung ist.“ 138 Bezeichnend sei hier das aufgegriffene Element des Molochs, der Allegorie der „Vagina-Dentata“, dem Sinnbild männlicher Ängste in Bezug auf weibliche Sexualität. 139 Die Tanzbühne entspreche dem Treppenaufgang als Zugang zum Moloch der Filmvorlage, auf der Madonna in einem dunklen Anzug erscheint140 , und wo sie sich während der Tanzperformance mehrfach ― wie oben bereits erwähnt ― in den Schritt greift und immer wieder ihr Jackett öffnet, unter dem sie lediglich einen BH trägt. Am Schluss dieser Szene greift sie sich noch einmal mit einer Hand zwischen die Beine, während die andere eine Pistole formt, mit der sie einen imaginären Schuss abfeuert. 138 Grigat, Nicoläa: Madonna Bilder. Dekonstruktive Ästhetik in den Videobildern Madonnas, Frankfurt a.M. u.a. 1995, S. 62. 139 Vgl. Ebd., S. 63. 140 Schmiedke-Rindt (1998, S. 80) weißt darauf hin, dass die Tatsache, dass die Knöpfe des Anzugs auf der linken Seite angebracht sind, den Anzug zu einem weiblichen Kleidungsstück mache, womit Madonna sozusagen auch in der Kleidung die gleichzeitige Zweigeschlechtlichkeit signalisiere. Auch musikalisch verweigere sich der Song einem tonalen Zentrum, denn G- und F-Dur stehen gleichberechtigt nebeneinander, zum Teil ergibt sich sogar eine Polytonalität. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 241. 54 Der Hosenanzug steht für die Kontrolle, die Madonna über ihr Image ausübt. Die Funktion des Tanzstils ist eine parodistische, denn sie bezieht sich damit, worauf Curry hinweist, selbstvergewissernden afroamerikanischer Griff auf in Straßenkultur Michael den Jackson, Schritt ursprünglich ― ein der in den der Symbol für männlich- Zeichensprache extrovertierte Männlichkeit ― als essentielles Element seiner Bühnenperformance etabliert hat. Parodistisch ist diese Geste deshalb, weil sie ― ausgeführt von einer Frau mit eindeutig weiblichen Geschlechtmerkmalen ― männliches Imponiergehabe ad absurdum führt. Verfremdend wirkt das Zitat darüber hinaus, weil Jackson selbst eine Parodie der konventionellen Abgrenzung zwischen Mann und Frau darstellt: ein Mann, der sich ― äußerlich eher wenig maskulin wirkend und sich selbst mehr und mehr zur Frau stilisierend ― in seiner Performance der klassischen Gesten eines überzogen-selbstreflexiven männlichen Rollenverständnisses bedient und damit konventionelle, gesellschaftlich determinierte Geschlechterdefinitionen in Frage stellt. Madonna parodiert dieses von Jackson bis zur äußersten Grenze getriebene Image, indem sie ― in Männerkleidung auftretend und einen weiblichen Mann imitierend ― das Bild einer männlichen Frau entwirft. 141 So kommt Bullerjahn zu dem Schluss, dass „[s]olch Transvestimus [...] als Kritik an der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlechtsunterschieden aufgefasst werden [könnte], allerdings ist auch eine Interpretation als Autoerotik möglich, da Madonna ebenfalls häufig ihre Brüste berührt.“ 142 Madonna schlüpfe mit ihrer Hosenrolle symbolisch in die Position des Machthabers und spiele damit gleichzeitig auf ihr Image als erfolgreiche Geschäftsfrau an. Im Gegensatz zum klassischen Hollywoodfilm wird die von Madonna dargestellte „femme fatale“ für ihr Verhalten belohnt und muss nicht untergehen. 143 Grigat weist außerdem darauf hin, dass Madonna somit auf einer weiteren Ebene ihrem Namen gerecht werde, der „meine Herrin“ bedeutet. Und auch in diesem Clip spielt der Blick als Kontrollinstrument ― als weiterer Beweis für Madonnas Verlangen nach dem Besitz von Macht ― eine Rolle: So stellt Wieland fest, dass Madonna mit ihrem Monokel, das sie zum Anzug trägt, die Macht des beobachtenden Mannes unterlaufe, den sie außerdem mit ihrem BH unter dem Männerjackett konfrontiere. 144 So kann auch die Überblendung von 141 142 143 144 Vgl. Curry 1999, S. 195. Bullerjahn 2001, S. 241. Vgl. Grigat 1995, S. 68. Vgl. Wieland, Karin: „Madonna aus der neuen Welt“, in: Der Alltag 66 (1994), S. 73. (S. 65-80). 55 Madonnas Augen zu Beginn der „Dietrich-Jackson-Tanzszene“ und am Ende des Clips mit Erscheinen des Mottos als Etablierung des weiblichen Blickes aufgefasst werden, der sowohl Kontrolle als auch sexuelles Verlangen ausdrücken kann. Vorwürfe von Feministinnen folgten in Bezug auf Madonnas gefesselte Erscheinung in den schweren Eisenketten und hinsichtlich der Szene, in der sie wie eine Katze auf dem Boden unter dem Tisch kriecht und Milch schlürft, denn hierbei handele es sich um Anspielungen auf klassische „Darstellungskonventionen der Pornographie.“ 145 Doch tatsächlich entziehen sich die Bilder Madonnas, die zwischen Macht und Unterwerfung, zwischen Sexualsubjekt und –objekt hin- und herpendeln, einer eindeutigen Lesart. 146 Durch eine mehrdeutige Adressierung ergeben sich verschiedenen geschlechtsspezifische Lesarten, wie Michael Altrogge in einer empirischen Untersuchung feststellen konnte. 147 Zum einen könne der Clip als ein Aufruf zur sexuellen Selbstverwirklichung von jungen Frauen aufgefasst werden, womit eine emanzipatorisch-feministische Lesart gegeben ist. Diese Lesart ist vermutlich die von Madonna beabsichtigte, denn in einem Interview behauptete sie, dass die Aussage des Clips „pussy rules the world“ sei, und eine Frau ― wie der Text selbst unmissverständlich zum Ausdruck bringt ― sich nicht mit dem Erstbesten zufrieden geben solle. 148 Zum anderen kann auch der traditionell männliche Blick an diesem Clip ― wie schon an „Burning Up“ aufgezeigt ― Gefallen finden; doch durch diese Perspektive verliert der Clip an Komplexität, wird auf einzelne Bilder reduziert, wie dies auch für den männlichen Blick auf „Burning Up“ dargestellt wurde. Es ist die Lesart vornehmlich männlicher Jugendlicher, die Madonna lediglich als Sexualobjekt wahrnehmen und sich ausschließlich an die pornographisch-erotischen Szenen ― die Künstlerin in Reizwäsche oder nackt und gefesselt im Bett ― erinnern. Feministinnen, die gerade diese Szenen als äußerst rückschrittlich in Bezug auf Emanzipationsbestrebungen der Frau bewerten, hält Madonna entgegen, dass das 145 Curry 1999, S. 193. Vgl. Grigat 1995, S. 70 f. 147 Vgl. Altrogge, Michael: : “…wo alles drunter und drüber geht”. Zur Ordnung und Wahrnehmung von Musik und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung für Jugendkulturen. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie am Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften I der Freien Universität Berlin 1996, S. 627-631. 148 Madonna, zit.n. Bullerjahn 2001, S. 242. 146 56 Anlegen der Ketten schließlich ihre eigene, freie Entscheidung gewesen und ihr nicht von außen aufgezwungen worden sei. 149 So ist es schließlich die Doppeldeutigkeit der Bilder, die eine mehrdeutige Adressierung möglich macht und Madonna eine möglichst weitgefächerte Zielgruppe ihres Clip zusichert. Dabei beschränkt sich die Doppeldeutigkeit der Bilder nicht allein auf Madonna selbst. So können die muskulösen Arbeiter zum einen die Wunschvorstellung von Frauen verkörpern. 150 Zum anderen könnte ihre Art der Darstellung auch einen homosexuellen Blick ansprechen, denn die Ästhetik der Bilder entspricht der jener Gay-Magazine, die Ende der 1980er Jahre en vogue waren. So erinnert die Darstellung der Arbeiter in der Fabrikhalle, an deren muskulösen Oberkörpern Wasser und Schweiß in dicken Perlen herabtropft, nicht nur an die Szene in „Metropolis“, in der die Stadt überflutet wird, sondern ist „auch deutlich von Konventionen der zeitgenössischen Gay-Pornographie in den USA beeinflusst.“ 151 Die Adressierung beschränkt sich also nicht allein heterosexuelles Publikum und damit auf heterosexuelle Konventionen. auf ein 152 Im Clip tritt Madonna als eine Frau auf, die sowohl in sexueller als auch in ökonomischer Hinsicht eine Bedrohung für den Mann darstellt. Sie zeigt sich als eine „femme fatale“, die sich das holt, von dem sie glaubt, dass es ihr zusteht. So hat Madonna die Sentenz am Ende des Clip an anderer Stelle auch folgendermaßen kommentiert: Die grundlegende Aussage des Songs ist, dass, wenn du dich nicht selber offenbarst, wenn du nicht sagst, was du willst, dann wirst du es auch nicht bekommen. Und die Unfähigkeit zu sagen, was du fühlst, oder das zu verfolgen, was du willst, hat schließlich zur Folge, dass du wie ein Gefangener in Ketten liegst. 153 Damit spricht sie dem Song einen appellativen Charakter zu, der junge Frauen dazu auffordern soll, eigene Bedürfnisse zu artikulieren. Unterstützt wird diese Botschaft durch die Musik, die gleichzeitig den Rhythmus der Videoschnitte bestimmt. Insgesamt ist auffällig, dass alle Sequenzen mit hoher Genauigkeit den musikalischen Formteilen entsprechen, so dass die Dauer der einzelnen Sequenzen weitgehend von der Länge der musikalischen Formteile bestimmt wird. Gerade der 149 Vgl. Bullerjahn 2001, S. 242. Die Art und Weise, in der die Körper der Männer dargestellt werden, lässt eindeutig einen weiblichen oder zumindest einen nicht-heterosexuellen Blick erkennen. Wie zu Beginn dieses Kapitels dargestellt, hatte Madonna entscheidenden Einfluss auf die Produktion dieses Clips, was hier deutlich zum Ausdruck kommt. 151 Curry 1999, S. 194. 152 Vgl. Altrogge 2000, S. 105. 153 Madonna zit.n. Clerk 2002, S. 83. 150 57 Anfang des Clips verdeutlicht den Zusammenhang zwischen musikalischem und Bildschnittrhythmus. 154 Das Verhältnis zwischen Bild und Musik ist demnach sehr eng. Gleiches gilt für den musikalischen Charakter und die Art, in der Madonna den Song vorträgt, und die Bildern bzw. Aussage des Songs. Der Sound, der viele funkige Elemente enthält, wirkt durch den Einsatz eines dichten Bläserapparates äußerst hymnisch und erhält den Charakter eines musikalischen Statements, womit die Musik die Aussage des Songs unterstützt. Auffällig ist, dass Madonnas Stimme durch einen Chor beständig unterstützt wird, wodurch ihre Stimme aufgeladen und sehr kräftig wirkt und damit dem appellativen Charakter, der Botschaft Madonnas, entspricht. Im Gegensatz zum Song „Burning Up“, in dem ihre Stimme ― obgleich der Gesang fordernd vorgetragen wird ― eher isoliert erscheint, wird ihr in diesem Song die ihrem Status entsprechende Fülle und Wirkkraft verliehen. Was ihre Stimme allein nicht leistet, wird durch den Computer korrigiert. So scheinen auch Musik und Stimme im Dienste der Botschaft zu stehen. Die matriarchalische Machtdemonstration Madonnas in ihrem Clip „Express Yourself“ basiert auf der Umkehrung der bestehenden patriarchalischen Herrschaftsstrukturen. So wurde dargestellt, dass durch die Dekonstruktion bestehender gesellschaftlich vorgegebener Geschlechterrollen der Musikclip Anknüpfungspunkte sowohl für Hetero- als auch für Homo- und Bisexuelle beiderlei Geschlechts bietet. Der 1990 gedrehte Clip zu dem von Lenny Kravitz produzierten Song „Justify My Love“ 155 (Clip 06) treibt das Spiel mit den Geschlechterrollen noch weiter: Im Video werden die heterosexuell geprägte Dichotomie Mann/Frau und die klassischen Definitionen von männlich und weiblich in Frage gestellt, denn kurze oder verschwommene Einstellungen oder Überblendungen tragen dazu bei, dass Geschlechteridentitäten unklar bleiben oder die Akteure als androgyn charakterisiert werden. 156 In diesem Clip, der in einem Pariser Stundenhotel spielt, 157 wird die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich gänzlich aufgehoben und auf ein Rollenspiel reduziert. Es werden männliche Frauen und weibliche Männer gezeigt, die ― so Corinna Herr ― „ihre Künstlichkeit durch das Anbringen von Zeichen männlicher 154 155 156 157 Vgl. Altrogge 2000, S. 91 ff. Regie: Jean-Baptiste Mondino, 1990, aus ihrem ersten „Best Of“-Album „The Immaculate Collection“. Bullerjahn 2001, S. 243, zit.n. Grigat 1995, S. 78. Vgl. Clerk 2002, S. 102. 58 Insignien (Schnurrbart) konterkarieren und betonen [...].“ 158 In diesem Clip wird die Maskerade bis an ihre extremsten Grenzen geführt, denn „[n]icht nur Weiblichkeit, sondern auch Männlichkeit ist Maskerade. Die Zeichenhaftigkeit der Konstruktion beider Geschlechter wird offenbar.“ 159 Darüber hinaus wird hier Sexualität zur Lebensmaxime erhoben: Madonna selbst verkörpert einen Menschen auf der Durchreise, symbolisiert durch den Koffer, den sie trägt. Sie kommt in das Hotel, holt sich, was sie braucht, und verlässt den Ort, augenscheinlich zufriedengestellt. Sie fordert für sich das ein, was nach konventionellen Vorstellungen der Männerwelt vorbehalten ist, nämlich Sexualität auch außerhalb der im konservativen Amerika einzig akzeptierten Gesellschaftsinstitution, die dem ― natürlich heterosexuellen ― Geschlechtsakt vorbehalten ist, der Ehe, zu praktizieren, ins Bordell zu gehen, seine sexuellen Wünsche zu artikulieren und sie auszuleben. So nimmt Madonna, wie auch in „Express Yourself“, für sich dasselbe Recht in Anspruch, das sonst nur Männern zugesprochen wird: Sie ist selbstbestimmt und nimmt ihr Recht wahr, ihre sexuellen Phantasien unbeirrt von gesellschaftlichen Konventionen und ohne Angst vor Tabubrüchen auszuleben. Daher lautet auch das Motto des Songs, das von Madonna selbst innerhalb des Songs gesprochen und am Ende des Clips noch einmal eingeblendet wird: „Poor is the man whose pleasures depend on the permission of another“ (wobei „man“ vermutlich doppeldeutig als „Mann“ und „Mensch“ verstanden werden kann!). Dass Madonna Liebe mit körperlicher Liebe gleichstellt ― was bereits bei der Analyse des Clips „Express Yourself“ herausgestellt wurde ― wird hier auf die Spitze getrieben. Der Titel des Songs, „Justify My Love“, und das angeführte Motto haben die rechtfertigen. Funktion, die im Clip dargestellte sexuelle Freizügigkeit zu 160 Dass das amerikanische Publikum über einen solchen Clip entsetzt war, mag nicht verwundern. So verweigerte auch der Musiksender MTV die Ausstrahlung des 158 Herr, Corinna: „Madonnas Maskeraden im Kontext von Gender und Hermetik“, in: Hochschule für Musik und Theater Hannover/Beyer, Kathrin/Kreutziger-Herr, Annette (Hrsg.): Musik. Frau. Sprache. Interdisziplinäre Frauen- und Genderforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover, Herbolzheim: Centaurus Verlag 2003, S. 350. – So wird in einer Szene gezeigt, wie sich das androgyne männliche Pärchen gegenseitig Schnurrbärte aufmalt. 159 Ebd. 160 Vgl. Ebd. – Wie man sich denken kann, wurde der Clip besonders von Homosexuellen positiv aufgenommen. So haben diese und andere Clips erheblich dazu beigetragen, dass Madonna außerdem zu einer Ikone der gay community geworden ist. Vgl. Volkmann, Laurenz: „Madonna und postmoderne Identitätskonstruktionen: Die Warenlogik der Unterhaltungsindustrie“, einzusehen in: http://www.gradnet.de/papers/pomo2.archives/pomo99.papers/volkmann99.htm, Zugang: 28.04.2005. 59 Clips, was Madonna aber lediglich noch mehr Publicity verschaffte. Ihre Reaktion auf die Zensur bestand darin, die erste Video-Single, die überhaupt je produziert wurde, herauszugeben. Wie öffentlichkeitswirksam Skandale sein können, zeigt sich hier auf augenfällige Weise: Die Video-Single war so erfolgreich, dass sie sich 800.000 mal verkaufte. 161 Das Ergebnis der Kontroverse um ihren Clip war, dass „Justify My Love“ und das dazugehörige Best-Of-Album, „The Collection“, auf den oberen Plätzen der CD- und Videocharts landeten. Immaculate 162 So war Madonna zu Beginn der 1990er Jahre zu einem Sexsymbol avanciert. 1991 ließ sie schließlich den Videofilm „Truth Or Dare ― In Bed With Madonna“ 163 folgen, einer Dokumentation ihrer „Blond Ambition Tour“: Darin scheint sie allein durch Titel und Cover des Videos ― es zeigt sie in lasziver Pose mit schwarzen Dessous auf weißer Satinbettwäsche, mit Marilyn-Monroe-Frisur und rotgeschminkten Lippen ― eine ungenierte Zurschaustellung ihrer intimsten Ansichten und Momente zu versprechen. Das 1992 erschienene, und an das skandalträchtige Image anschließende Album „Erotica“ durfte wegen seines eindeutig zweideutigen Covers (Anhang I, Abb. 05) teilweise nur in einer zusätzlichen Verpackung verkauft werden. 164 Es folgte die Veröffentlichung ihres Buches mit dem Titel „Sex“, einer „publicityträchtige[n] Ausstellung ihres nackten Körpers in pornographischen Gesten“ 165 zur Unterstützung des parallel erschienenen Albums „Erotica“. Der 1993 in den Kinos laufende Film „Body Of Evidence“ 166 , in dem Madonna die Hauptrolle spielte und der aufgrund zahlreicher Sexszenen Madonnas Wunsch, sich als seriöse Schauspielerin zu etablieren, eher abträglich war, wurde bei Kritikern zu einem Misserfolg. So schien Mitte der 1990er Jahre das Thema Sexualität für Madonnas künstlerische Produkte ausgereizt und eine Phase der Madonna-Müdigkeit machte sich breit: Das Publikum war übersättigt mit Madonna-Bildern, die nichts mehr über ihre Künstlerin zu erzählen wussten, was nicht schon erzählt worden wäre. Offensichtlich war es Madonna nicht mehr möglich, den eingeschlagenen, exhibitionistischen Weg weiterzugehen, weil es nichts mehr zu zeigen gab, wie ein Journalist in einer Artikelüberschrift zum Ausdruck bringt: „Alles gezeigt, was es zu 161 162 163 164 165 166 Vgl. Morton 2002, S. 284. Vgl. Clerk 2002, S. 102. Regie: Alek Keshishian. Vgl. Volkmann. Wicke 1998, S. 266. Regie: Ulrich Edel. 60 zeigen gibt. Stockender Verkauf, geringes Interesse am neuen Film ― der Markenartikel ‚Madonna’ ist out.“ 167 Der Videoclip, der im Zentrum des nächsten Kapitels steht, zeigt daher die Sängerin in der Phase nach den körperbetonten Exzessen. In der darauffolgenden Phase sollte sie sich von der Künstlichkeit entfernen und Natürlichkeit in den Vordergrund rücken. Die Madonna am Ende der 1990er Jahre zeigte sich mit einem vollständig neuen Image, das sie weiser und integrativer darstellen sollte. So schien die Zeit des Brüskierens und Posierens vorbei zu sein. Im Vordergrund stehen nun Ernsthaftigkeit und Authentizität, Glaubwürdigkeit, Tiefe und Bewusst-Sein statt Schein, was anhand der Analyse des Clips zum Song „Frozen“ dargestellt werden soll. Madonna behält weiterhin die Macht über ihr Image, die Kontrolle verschafft sie sich nun durch Lebensweisheit und die Verbundenheit mit der Natur. 2.3 FROZEN (1998) „Madonna, Mond und Sterne“ betitelte die taz am 13. März 1998 ihren Artikel zum neu erschienenen Madonna-Album „Ray of Light“. Und weiter heißt es: Das Material Girl wohnt hier nicht mehr: Zum neuen Album „Ray of Light“ ist Madonnas Künstlichkeit einer künstlichen Natürlichkeit gewichen. Der Sound ist Sphäre und Raum, und über allem liegt ein Hauch Esoterik: Statt Sex setzt es Kitsch, Kabbala und Liebe. 168 Mit der Veröffentlichung ihres siebten Albums im Frühjahr 1998, das von Madonna selbst als ihr bestes bezeichnet wird, 169 gelang es der Künstlerin nach einer langen, auch kommerziell weniger erfolgreichen Phase, wieder an alte Erfolge anzuknüpfen. Das Album, „das New-Age- und Weltmusik-Einflüsse integriert und Ambient und Trance als aktuelle Tanzmusik-Stile mit älteren verknüpft“ 170 , wurde von Kritikern hoch gelobt und brachte ihr vier Grammies ein, unter anderem einen für das beste 167 Pfister, René: „Alles gezeigt, was es zu zeigen gibt. Stockender Verkauf, geringes Interesse am neuen Film ― der Markenartikel ‚Madonna’ ist out“, in: SonntagsZeitung vom 14. Februar 1993, S. 18. 168 Blümner, Heike: „Madonna, Mond und Sterne“, in: taz Nr. 5481 vom 13.03.1998, S. 15. 169 Vgl. Bullerjahn 2001, S. 213. 170 Ebd. - Hatte sie auf ihrem Album „Bedtime Stories“ (1994) schon einen sehr europäischen Sound mit zeitgemäßen Trance- und Ambient Dance-Rhythmen abgegeben (der Song „Bedtime Story“ ist von Björk geschrieben), geht das Album „Ray Of Light“, für das sie mit Patrick Leonard, Mario de Vries und dem britischen Ambient-Produzenten zusammen gearbeitet hat, diesen Weg konsequent weiter. Es ist ein elektronisches Album, durchzogen von verspielten Effekten, die die Handschrift eines William Orbit tragen, „so dass es zirpt, raschelt, hallt, surrt und knarzt ohne Unterlass.“ Blümner 1998. 61 Popalbum. Der Song „Frozen“ 171 , eine der Single-Auskopplungen des Albums, war Madonnas erster Nummer-1-Hit in England seit „Vogue“ im Jahre 1990. Wie das oben angeführte taz-Zitat andeutet, legte Madonna sich passend zum neuen Album auch ein neues Image zu, das im Vergleich mit dem der „Sex“Phase nicht gegensätzlicher hätte ausfallen können. Mit ihrem 1994 erschienen Album „Bedtime Stories“ hatte sie ein letztes Mal mit ihrem Image als Sexsymbol kokettiert: Cover (Anhang I, Abb. 06) und Booklet zeigen sie in einer modernen Marilyn-Monroe-Dita-Parlo-Version mit Nasenpiercing, roten Lippen, schwarz umrandeten Augen und blondgelocktem kurzen Haar in weißem Négligé auf einem großen, türkisfarbenen, plüschigen Bett. Mit der Veröffentlichung ihres Balladenalbums „Something To Remenber“ (1995) und der Rolle der Evita Peron in Allan Parkers Verfilmung des WebberMusicals „Evita“, das 1996 in die Kinos kam, entfernte sie sich mehr und mehr von ihrem alten Image. Nach ihrer ersten Schwangerschaft und der Geburt ihrer Tochter Lourdes im Oktober 1998 entdeckte sie Ende der 1990er Jahre den Buddhismus und kurz darauf die Kabbala-Lehre für sich. Die Boulevardpresse stellte Madonna in ihrer neuen Rolle als liebevolle und glückliche Mutter dar, die ― vom Vater des Kindes getrennt lebend ― als bewusster single parent ihre Tochter großzog. 172 Auf der Suche nach Erneuerung und neuen Wegen entdeckte sie gleichzeitig einen neuen Modetrend, den sie mit ihrem Album „Ray Of Light“ und den jeweiligen Videoclips verbreitete: „Ray Of Light“ (Anhang I, Abb. 07) präsentiert eine in sich ruhende und Zufriedenheit ausstrahlende Madonna mit langem, gelocktem, naturblond wirkendem, im Wind wehenden Haar und einem schillernden, hellblauen Kleid. Im Booklet wird eine tanzende Madonna mit offenem Haar abgebildet, Sensualität und Neubeginn suggerierend. Sexualität wird hier nur noch auf sehr subtile Weise angedeutet: „Ihre künstliche Künstlichkeit ist einer künstlichen Natürlichkeit gewichen: Madonnas neuer Look wäre perfekt für eine Werbekampagne für Parfüms mit den Namen ‚Joy’, ‚Sun’, ‚Life’ oder ‚Optimism’.“ 173 Von der „femme fatale“ der früheren Jahre hat sie sich verabschiedet, in die Stelle von sexueller Erfahrungen tritt Lebenserfahrung, geprägt durch eine neue Form von Esoterik und Spiritualität. So sieht nach Heike Blümner das Cover des Albums so aus, 171 172 173 „wie geschmackvolle Menschen sich visualisiertes ‚positives Denken’ „Frozen“ wurde produziert von Madonna und Patrick Leonard. Vgl. Volkmann. Blümner 1998. 62 vorstellen: sehr, sehr sauber und ordentlich sind die Fotos auf krisp-blauen Hintergrund gelegt.“ 174 Die Trance-Ballade „Frozen“ steht damit ganz im Zeichen ihres neuen Images, dass sich die Sängerin während ihrer ersten Schwangerschaft zugelegt hat. Der dazugehörige Videoclip ― 1998 von Chris Cunningham 175 produziert ― zeigt Madonna von einer dunklen, mystischen Seite. Das Cover zur Single (Anhang I, Abb. 13) zeigt das Portrait der Künstlerin in der der Tendenz des Albums folgenden, harmonischen Atmosphäre vor einem okkafarbenen, Wärme suggerierenden Hintergrund. Somit wird ersichtlich, dass das im Clip dargestellte Image als nur eine Facette ihrer neu definierten Künstlerpersönlichkeit angesehen werden darf, auf das im folgenden Kapitel explizit eingegangen werden soll. Die Analyse des Clips soll sich dem anschließen. 2.3.1 Image Mit ihrem neuen Image als glückliche alleinerziehende Mutter bewegte sich Madonna weg von der Sexualisierung und hin zu einer Sensualisierung. Eine neue Ernsthaftigkeit prägte ihre Wirkung nach außen, gepaart mit beinahe als archaisch zu bezeichnender Mütterlichkeit. Dies bedeutete gleichzeitig das Ende von grotesker Übersteigerung oder Karikierung des verwendeten kulturellen Zeichensystems. Das Spiel mit den Erwartungen und der Reiz an der Provokation sind Kategorien wie Ernsthaftigkeit, Sinnfälligkeit und Authentizität gewichen. 176 So sind nicht nur ihr Album, sondern auch ihre Videoclips durchzogen von esoterischem Gedankengut, von kabbalistischen, buddhistischen und konfuzianischen Glaubenslehren bis hin zu südostasiatischen Lebensweisheiten, die sich auch stilistisch niederschlagen, z.B. in der Art der Kleidung, bestimmten rituellen Gebährden, traditionell definierten, artifiziellen Zeichen und einem stark reduzierten Make-up, um nur einige Aspekte zu nennen. Äußerlichkeiten stehen weiterhin im Vordergrund, daneben aber gewinnen inhaltliche Aspekte zunehmend an Gewicht. Das Bild der betont extrovertierten Kunstfigur früherer Clips, die ihre 174 Ebd. Cunningham, britischer Regisseur für Videoclips, Werbeclips und Videokunst, ist u.a. bekannt geworden mit Videoclips für Leftfield („Africa Shox“), Autechre („Second Bad Vilbel“), Portishead („Only You“), Björk („All is Full Of Love“) oder für Aphex Twin („Come to Daddy“, „Windowlicker“ und „Monkey Drummer“). 176 Bei aller „Natürlichkeit” handelt es sich natürlich auch bei diesem „neuen“ Image um eine mediale Inszenierung, die nur bedingt etwas mit der natürlichen Privatperson Madonna zu tun hat, da es sich ja auch bei der „neuen“ Madonna um ein „Markenprodukt“ handelt, dessen mediale Wirkung genauesten kalkuliert ist. 175 63 erotische Ausstrahlung offen zu Markte trug und die ihren Sexappeal als höchstes Kapital einsetzte, wird abgelöst von einer deutlich zurückgenommenen Künstlerpersönlichkeit, die augenscheinlich das Interesse an der Provokation verloren hat und mehr an inhaltlichen denn an äußerlichen Veränderungen interessiert zu sein scheint. Wirkte die Künstlerin vorher hart und kompromisslos, erscheint sie nun weicher, warmherziger und verständnisvoller. Was vorher auf Konfrontation hinauslief, zeigt sich jetzt als Einsicht, Güte und Gelassenheit. Die Sängerin, die sich nun öffentlich mit dem Namen ihres mystischen alter ego „Veronica Electronica“ ansprechen ließ, 177 hatte den Schritt vom Körperlichen zum Spirituellen vollzogen, „in Madonnas Fall also vom Material Girl zur ätherischen Mutter“ 178 , eben so, wie es die Lehre der Kabbala 179 vorgibt. So handeln die Songtexte des Albums „Ray Of Light“ auch nicht mehr von sexueller Befreiung, sondern predigen Lebensweisheit, zelebrieren Mutterglück und erzählen von den Schattenseiten einer Starexistenz. Die Anfangszeilen des ersten Songs „Drowned World / Substitute For Love“ können als Motto des Albums gelesen werden: „I traded fame for love / Without a second thought / It all became a silly game / Some things cannot be bought“. Der dazugehörige Videoclip 180 (Clip 08), in dem „Madonna ihr nicht immer erfreuliches Leben als Star, ständig auf der Flucht vor Paparazzi [reflektiert]“ 181 , zeigt eine Madonna, die erstmals Authentizität zu suggerieren und das Spiel mit den Masken aufgegeben zu haben scheint. Doch die Bilder des Videoclips zu „Frozen“ machen deutlich, dass die Künstlerin auch Ende der 1990er Jahre weiterhin mit Weiblichkeitsinszenierungen spielt. 2.3.2 Clipanalyse Der Clip (Clip 07) zeigt Madonna in einer Wüste als eine mystische Gestalt, die sich abwechselnd in einen oder mehrere schwarze Raben oder einen schwarzen 177 Vgl. Morton 2002, S. 377. Ebd. 179 Hebr. „Überlieferung“. Seit dem 13. Jh. Name der jüdischen Mystik, die sich als esoterische Lehre der Juden in eigenen Schulen von Spanien und Südfrankreich aus verbreitet hat. Die Kabbala ist eine Sammlung überlieferter jüdischer, mystischer Texte, die auf dem Sohar-Text basieren, einer 2000 Jahre alten Schrift. „Die Kabbala erklärt die Beziehungen zwischen dem Selbst, Gott und dem Universum und betont dabei das Bedürfnis nach Frieden und Harmonie zwischen dem Physischen und dem Spirituellen.“ Morton 2002, S. 375 f. - Das Kabbalazentrum, eine Organisation mit Zweigstellen in der ganzen Welt, hat mit Rabbi Philip Berg, einem ehemaligen Versicherungsvertreter, eine „Kabbala Light“-Version entwickelt, die in den USA inzwischen einen Kultstatus erlangt hat. Die anziehende Wirkung dieser mystischen Lehre auf Madonna besteht nach Andrew Morton darin, dass sie ihr eine „spirituelle Begründung, einen metaphysischen Kontext für die Kernwerte und Überzeugungen, die sie bisher angetrieben haben“ liefert. Ebd., S. 176 f. 180 „Drowned World / Substitute For Love“, 1998, Regie: Walter Stern. 181 Bullerjahn 2001, S. 219. 178 64 Hund verwandelt, während sie von der Liebe singt, die es nur geben könne, wenn man bereit sei, sein Herz zu öffnen. 182 Der Clip beginnt mit einer Kamerafahrt über einen ausgedorrten Wüstenboden, erkennbar an der harten lehmigen Erde, die von einem Geflecht aus tiefen Rissen durchzogen ist und den Eindruck höchster Trockenheit hinterlässt. Das Licht ist bläulich-kühl, die Wüste erscheint vollkommen unbelebt. Am weiten Horizont erscheint über den Boden schwebend mit gesenktem Kopf eine reglose schwarze Gestalt, eingehüllt in von kräftigen Windstößen aufgeblähte schwarze Tücher und schwarzen, weiten Gewändern. Am Ende des Intros ist die Kamera bei der fokussierten Gestalt angekommen und zeigt sie beim Singen der ersten Strophe. Der obere Teil ihres hüftlangen, glatten schwarzen Haares ist am Hinterkopf kunstvoll zusammengesteckt, das Gesicht wirkt blass und kaum merklich geschminkt. Die Figur trägt einen weiten, seidig glänzenden, bodenlangen schwarzen Rock. Der schwarze Tüll der Ärmel lässt die Blässe ihrer Haut erahnen, die Rücken und Decolleté unverhüllt freilegen. Im Kontrast zu dem muskulösen und mitunter maskulinen Auftreten der Künstlerin Anfang der 1990er Jahre wirkt sie hier deutlich angreifbarer, weicher und verletzlicher. Der durch exzessives Fitnesstraining gestählte Körper und der Habitus der Unnahbarkeit sind einem zwar noch immer kraftvollen und sehnigen, aber weitaus natürlicherem Erscheinungsbild gewichen: Er dokumentiert auf körperlicher Ebene die Abkehr der Künstlerin von der reinen Äußerlichkeit als Zeichen von Vitalität und Leistungsfähigkeit und die Hinwendung zu einem veränderten Körperbewusstsein, das den Körper nicht mehr nur als „Ausstellungs-Objekt“ begreift, sondern als Teil einer Einheit, als „Gefäß“ und Ausdruck der Seele. Die Figur in „Frozen“ hat nichts mehr von dem vorlauten Mädchen der „Girlie Show“: Ihr Blick ist gesenkt, wirkt beinahe verunsichert und suchend und weicht der Kamera aus, während sie das Motto des Songs vorträgt: „You only see what your eyes want to see / How can life be what you want it to be / You’re frozen / When your heart’s not open.” (Anhang II) Dabei bewegt sich ein schwarzes Tuch ― verwirbelt vom Wind ― in schlängelnden Bewegungen über den Wüstenboden auf sie zu, bis es schließlich in ihren Händen liegt. 182 Der 350 000 Dollar teure Clip wurde in der Mojave-Wüste, im Südwesten der USA, gedreht. Ursprünglich waren vier Drehtage geplant, doch wegen Regengüssen musste der Dreh nach zwei Tagen abgebrochen werden. Durch digitale Nachbearbeitung konnte Cunningham das Material allerdings retten. Vgl. Beier, Lars-Olav/Wellersdorf, Marianne: „Die Entfesselung der Kamera“, in: Der Spiegel 1/2004. 65 Mit Einsetzen des Refrains kippt ihre Gestalt in Richtung Kamera und zerschellt auf dem Wüstenboden in viele schwarze Einzelteile, die als Raben in alle Richtungen davonfliegen. Im Anschluss erscheint die Figur wiederhergestellt, aber verdreifacht, als eine mystische „Madonna Selbdritt“: Nebeneinander stehend bzw. auf dem Boden aufeinanderfolgenden kauernd Phasen befinden oder drei sich entsprechend Facetten einer drei zeitlich Persönlichkeit drei identische, schwarzgekleidete Frauengestalten, die der Reihe nach in die Kamera singen, sich von ihr abwenden und auf den Wüstenboden sinken. In der zweiten Strophe findet eine weitere Verwandlung statt: Die in sich versunken scheinende Figur, die ― eine fast vollkommene tänzerische Einheit mit dem sie umspielenden schwarzen Tuch bildend ― mit trancehaften, ästhetische Perfektion anstrebenden Tanzbewegungen ihr imaginäres Gegenüber zu beschwören scheint, nimmt schließlich die Gestalt eines großen, schwarzen Hundes an. Der Dobermann, in seiner hochgewachsenen und athletischen Erscheinung ein Sinnbild maskuliner Eleganz und Schönheit, wirkt durch seine Stärke gleichzeitig bedrohlich und einschüchternd wie majestätisch und würdevoll: In weiten, kraftvollen Sprüngen bewegt er sich auf die Kamera zu, die seinen geraden, einen imaginären Punkt am Horizont fixierenden Blick einfängt. Die zweite Wiederholung des Refrains zeigt wieder die mystische Gestalt, die ihre tanzartigen, kraftvollen Bewegungen vollführt, das schwarze Tuch immer in den Händen, das sie um ihren Körper windet und unter anderem dazu benutzt, die Transformierung ihrer menschlichen Gestalt in eine andere visuell zu unterstützen. Das auf die zweite Wiederholung des Refrains folgende Intermezzo, dominiert von Streichern und orientalisch anmutend in der Melodieführung, zeigt die Wüste zunächst menschenleer: Wolken ziehen am Himmel entlang, der Einbruch der Nacht wird in Zeitraffer dargestellt. Schatten der Wolken fallen auf den trockenen Wüstenboden, vor dem sich verdunkelnden Himmel zeichnen sich Sterne ab und vermitteln Impressionen wie aus einem „Märchen aus 1001 Nacht“. Die Frauenfigur schwebt ― eingehüllt in flatternde Tücher, die sie wie schwarze Flammen umspielen ― in den Himmel, als fast ätherische, körperlose Erscheinung. Der Hund ― gebannt von dem imponierenden Naturschauspiel und angezogen von der gleichzeitig herrisch-gebieterischen und lockenden Geste der Frauenfigur, die ihn zu sich zu rufen scheint ― fixiert sie mit smaragdgrünen Augen und lenkt den Blick des Betrachters so in das Zentrum des Geschehens: die Veränderungen, die sich anschließend vor dem Horizont der Wüstenlandschaft abspielen. Im weissen, 66 kalten Licht des Mondes erscheinen die Bilder nun noch düsterer als zuvor. Die Frauenfigur wirkt in ihrer Unnahbarkeit und schwarzen Erscheinung bedrohlich, einem Vampir gleich durch die Dunkelheit schwebend, wie eine stillschweigende Verbündete mit den imaginären Mächten der Finsternis. Sie ist nicht mehr menschliches Wesen, sondern schwarze Magierin, Hexe, Göttin der Nacht, Dämon, oder einfach ein Alptraum in der Nacht, um nur einige menschliche Angstphantasien zu zitieren. In der nächsten Einstellung wird aus dem Himmel der Wüstenboden, aus dem Madonna mit ihren Händen das Wasser saugt. Mit wieder einsetzender Strophe ist die Kamera auf Madonna gerichtet, die nun auf dem Boden kniet, den Oberkörper nach vorn gelehnt, in einer Demutsgeste, oder aber als Ausdruck ihrer Erdverbundenheit. Beim Refrain erscheint sie wieder in der dreifachen Version, in Dreiecksformation mit den Rücken einander zugeordnet. Die Figuren führen kontrollierte, langsame Bewegungen durch, schreiben mit ihren Händen Zeichen in die Luft. In den letzten Einstellungen erscheint sie spinnengleich. Sie kniet auf dem Boden, der Oberkörper ist nach vorn übergebeugt und mit ihren hennabemalten Händen und den dunkel lackierten Nägeln scharrt sie in der trockenen Erde. Auffällig ist in diesem Clip wieder, wie in den bisher betrachteten Clips auch, wie stark die Formteile der Musik die Struktur des Clips bestimmen: Mit jedem neuen Formteil verändern sich die Bilder. Die Visualisierung der Musik erscheint außerdem als eine direkte Übersetzung des Sounds, was Cunningham durch die Kamerabewegung, die fließend scheinenden Übergänge zwischen den einzelnen Einstellungen, surrealistische Motive, die Farbgestaltung und die Wahl der Kulisse erreicht. Wirkt die Musik allein schon bedrohlich durch den pulsierenden Beat, „kalt“ durch den Techno-Sound und sphärisch durch die Streicher ― vor allem in dem kurzen, orientalisch anmutenden Intermezzo, das durch die Glissandi und den unregelmäßigen Rhythmus die Bodenhaftung zu verlieren scheint ―, so unterstreichen die Bilder ihren mystisch-entrückten Charakter. Visuell umgesetzt werden diese Assoziationen in der über den Boden schwebenden, „ätherischen“ Frauengestalt vor dem nächtlichen Sternenhimmel. Die Kälte wird erzeugt durch die mit kühlen Farben ausgeleuchtete Kulisse, die Trockenheit und Leblosigkeit der menschenleeren Wüste, die dunkle Erscheinung der Frauengestalt und der Blick ihrer eisblauen Augen, ihre Transformationen und die Symbole, die Assoziationen wie Angst und Bedrohung hervorrufen. 67 Darüber hinaus entspricht das Tempo der Bilder dem balladenhaften Charakter des Songs. „Frozen“ ist ein langsamer Clip. Die wenigen Schnitte wirken weich durch Überblendungen, Morphing und langsame Kamerafahrten, die den Blick des Betrachters leiten. Die Bilder vermitteln den Eindruck von Ruhe, womit sie der Erscheinung Madonnas als ein in sich ruhendes, autarkes Wesen entsprechen. Auch Madonnas Stimme ist der Botschaft und dem Charakter des Songs angepasst: Sie wirkt klar und ungeschützt in den Strophen, im Refrain unterstützt durch Streicher und Chor. Sie ist weich und natürlich, alles andere als aufgeladen und aggressiv wie in „Express Yourself“, aber bestimmend. Die Stimme entspricht damit der körperlichen Erscheinung der Sängerin, die, obgleich sehr viel zarter, dennoch kraft- und energiegeladen wirkt. Madonna zeigt sich in diesem Clip als die Weise, als Magierin, die auf ihren Händen magische Symbole trägt und mit der Natur in tiefer, ursprünglicher Verbindung steht: Sie ist Herrscherin über die Elemente, die den Tag zur Nacht machen kann und das Wasser aus der scheinbar ausgetrockneten Erde zieht. 183 In diesem Clip geht es um die Abkehr vom puren Materialismus und einseitiger Diesseitsbezogenheit, kurz, einer hedonistischen Lebensweise. Madonna vollzieht den Schritt von der vita activa zur vita contemplativa, durch den der Blick auf das Wesentliche geschärft werden soll und bei dem inhaltliche Werte im Vordergrund stehen. Der Tod scheint in diesem Clip allgegenwärtig, der Topos des memento mori durchdringt die Sprache der Bilder, hervorgerufen durch die Symbolik (s.u.). So ruft Madonna die Zuhörer bzw. Betrachter dazu auf, ihre Zeit nicht mit „hate and regret“ zu verschwenden und sich von materialistischen Interessen zu distanzieren („You’re so consumed with how much you get“). Auch in diesem Clip betreibt Madonna ein Spiel mit der Androgynie, doch steht nicht mehr das Körperlich-Sexuelle im Vordergrund. Androgynie wird hier als ein Spiel mit dem Verwischen der Grenzen zwischen den Geschlechtern verstanden. Die Protagonistin verwandelt sich in einen Hund und einen Raben, beides Tiere, die bestimmte Assoziationen wecken und über symbolhafte Bedeutungen verfügen. So gilt der schwarze Hund als das Symbol des Wächters der Unterwelt. Der Hund als 183 Nicht nur aufgrund der visuellen Effekte ― wie etwa das Aufsaugen des Wassers mit ihren Händen aus dem Wüstenboden ― erinnert der Clip an die 1992 von Bram Stroker neuverfilmte Version von „Dracula“ mit Anthony Hopkins, Winona Ryder und Keanu Reeves. Denn auch Madonna zeigt sich in ihrer Fähigkeit, die Elemente zu beherrschen, ihren Körper zu verlassen, ihrer Transformationsfähigkeit in Tiere, „vampirgleich“. 68 die zivilisierte Form des Wolfes ist ein Dobermann, ein Symbol für Macht, ausgedrückt durch seinen athletischen Körperbau. Durch seine maskuline und heroische Erscheinung strahlt er Macht, Dominanz und Kontrolle aus, was zusätzlich durch seine smaragdgrünen 184 Augen zum Ausdruck gebracht wird. Auffällig sind diese Augen deshalb, weil es sonst im Clip keine Farbe gibt. Doch die Farbe grün, die traditionell für die Hoffnung steht, ist hier fluoreszierend, kühl und stechend, der Blick des Hundes durchdringend und bedrohlich. So könnte die Verwandlung der Frauenfigur in einen Hund ― wie oben bereits erwähnt ― ihre männlichen Anteile zum Ausdruck bringen, ebenso wie ihren Willen nach Macht. Der Rabe kann unterschiedliche symbolische Funktionen erfüllen: Verkörpert er im Glauben vieler Völker einen Unglücks- und Seelenvogel oder gilt als Personifikation des Teufels, so wird er auch als kluger und beratender Begleiter des Menschen angesehen (aber auch der Hexe). Allgemein steht er für den Tod, aber eben auch für Weisheit. 185 Madonna bedient sich in diesem Clip der Doppeldeutigkeit, die das Bild des Raben impliziert. Zum einen erinnert er daran, dass der Tod allgegenwärtig ist, wenn alles erfriert, weil man sein Herz nicht öffnet. Zum anderen steht er für die (Lebens-)Weisheit, die Madonna für dieses Image für sich in Anspruch nimmt. Daß die Frauenfigur sich in viele davonfliegende Raben transformiert, kann als Indiz für ihren Facettenreichtum und ihre geistige Beweglichkeit angesehen werden. Sie ist lebenserfahrener und weiser geworden, versteht sich als Botschafterin der Wahrheit. Madonna stellt sich als Naturphänomen dar, sie bewegt sich mit den Elementen, d.h. sie folgt den Bewegungen des Windes. Sie ist Teil der Natur, vereint sich mit ihr und zieht ihre Energie aus ihrer Umgebung. Diese Wandelbarkeit, das Auflösen der Grenzen zwischen Mensch und Tier, die Belebung von leblosen Dingen (Tuch) wird hier zum Ausdruck von Macht. Sie ist wandelbar und anpassungsfähig. Gleichzeitig wirkt sie wie ein autarkes Wesen, das nur für sich selbst steht. Die Bilder des Clips werden von dunklen Farben dominiert. Madonna hat schwarzes Haar, trägt schwarze Kleidung, Raben und Hund sind schwarz, die Nacht ist schwarz. Schwarz ist die Farbe des Todes, der Trauer und des feierlichen Ernstes, des Geheimnisvollen, Gesetzwidrigen und Bösen. Die Nacht ist darüber 184 Auch hier gibt es wieder einen Verweis auf das Märchenhafte, Surrealistische: Smaragde gibt es in den Märchen von 1001 Nacht. Grün ist eine magische Farbe, auch die Farbe von Absinth. 185 So bringen im germanischen Mythos die Raben Huginn und Odin Nachrichten aus aller Welt. Bei den nördlichen Stämmen der Nordwestamerikaner spielt der Rabe Yelch die Rolle des Kulturheroes, der den Menschen die Sonne bringt, und die eines listenreichen Tierhelden. 69 hinaus traditionell weiblich konnotiert. Sie spiegelt die dämonische Seite der Weiblichkeit wieder, wie auch ganz deutlich in diesem Clip zum Ausdruck gebracht wird. Die dämonische Seite Madonnas in diesem Clip wirkt sowohl kraftvoll, mächtig und verführerisch, als auch rätselhaft. In diesem Videoclip wird ein anderes Bild von Weiblichkeit inszeniert, als das, was bislang von Madonna entworfen wurde. Die Frau wird als mystisches, weises Wesen dargestellt. Erfolgte ihre Selbstbestimmtheit zuvor in Bezug zu Männern, die von Männern dominierte Welt, so zeigt sich das gesamte Album „Ray of Light“ unabhängig vom anderen Geschlecht. Sex steht nicht im Mittelpunkt, sondern die Einkehr, die Lebensweisheit. Auch hier wird Macht verhandelt, doch auf eine andere Art. Madonna demonstriert ihre Stärke nun durch Weisheit. Wurde zuvor ihre Macht und Stärke auf andere projiziert, benötigt sie nun kein männliches Gegenüber mehr, um ihre Macht zu demonstrieren. Sie vereint, wie schon zuvor auch, männliche und weibliche Anteile in sich. Ende der 1990er Jahre tut sie dies allerdings weniger plakativ und aggressiv, sondern in einem übergeordneten mystischen Systemzusammenhang. Macht wurde zuvor immer in Relation zum Äußeren dargestellt, als das Unterjochen von anderen, mit dem Fokus auf das, was sie umgibt. In der Wüste, in der der Mensch ganz auf sich selbst zurückgeworfen ist, verkündet sie geistige Autarkie, die explizite Abkehr vom Fleisch in einer lebensfeindlichen Umgebung. Textzeilen wie „give yourself to me“ oder „you hold the key“ erwecken in diesen Clip keinerlei sexuelle Konnotationen. Denn im Vordergrund steht nun die Betrachtung der Liebe als eine geistige Vereinigung. Die verschiedenen Facetten, die sie zuvor auf viele Personen verteilt hat, vereint sie hier. Doch auch dies ist wieder eine Maske, und zwar die Maske von der geistig herrschenden Frau. Mit dem Album „Ray Of Light“ hat sich ein Bruch in der Symbolik vollzogen, doch sind die Bilder ebenso symbolgeladen wie zuvor; die Sprache ist allerdings eine andere. Mit Erscheinung ihres folgenden Albums „Music“ im Jahre 2000 erfuhr ihr Image wieder eine Umakzentuierung. Die Millenium-Madonna zeigt sich nach Mutterschaft und Meditationsphase wieder sehr viel extrovertierter und glamouröser als die „Ray Of Light“-Madonna. Der „Veronica Electronica“ folgt die „Lady Madonna”, das neue alter ego mit Platz in der britischen Gesellschaft. „Sie hat jetzt 70 die englische Aristokratie im Sinn und will ihr Image verändern. Sie will jetzt eine Lady werden und die Vergangenheit vergessen.“ 186 Der Videoclip, der im Zentrum des nächsten Kapitels steht, zeigt ein weiteres Modell von Weiblichkeit, das wenig gemein hat mit der neuen „Mrs. Ritchie“, die mit der Gesellschaft konform zu gehen scheint. Die Analyse des 2001 gedrehten Clips „What It Feels Like For A Girl“ wird zeigen, dass das Thema um Macht und Kontrolle weiterhin Madonnas visuelle Inszenierungen bestimmt, wieder in einer anderen Variation. 2.4 WHAT IT FEELS LIKE FOR A GIRL (2001) Der Song „What It Feels Like For A Girl” 187 ist die dritte und letzte Singleauskopplung aus Madonnas achtem, im Jahre 2000 erschienenen Album „Music“, dem ersten Madonna-Album, was außerhalb der USA aufgenommen wurde. Der dazugehörige Clip, bei dem der britische Regisseur Guy Ritchie 188 , mit dem sie seit Dezember 2000 verheiratet ist, Regie führte, löste aufgrund der darin zur Schau gestellten Brutalität eine heftige Kontroverse über Gewaltdarstellungen in den Medien aus. Der Musiksender MTV, der „Haussender“ Madonnas, beschränkte sich deshalb in den USA auf eine einmalige Ausstrahlung des Clips im Rahmen einer kritischen Berichterstattung über den Dreh. 189 Das Album „Music“, das Madonna gemeinsam mit William Orbit und dem franco-schweizerischen DJ Mirwais Ahmadzai produzierte, steht wieder mehr in der Tradition ihrer Anfangsjahre: Die Songs sind funkiger und weniger ätherisch als die des letzten Albums. Euro-Dancebeats bestimmen den Grundton und geben eine Mischung aus French-Disco, leichtem Pop, Folk und Electronica. Doch im Vordergrund der Rezensionen stand wie immer die Kommentierung ihres neuen Looks, der mit den dazugehörigen Clips via MTV weltweit verbreitet wurde. Das bekannteste Accessoire, was zum Markenzeichen dieser Phase wurde, war ihr Stetson-Cowboyhut, mit dem sie ― vergleichbar mit dem Beginn ihrer Karriere ― einmal mehr einen „Trend“ setzte. „Wenn es Trend ist, hat es Madonna“, betitelt die Berliner Zeitung ihren Artikel zur Neuveröffentlichung des Albums. 190 186 Ed Steinberg, zit. n. Morton 2002, S. 401. Produziert von Madonna, Guy Sigsworth und Mark „Spike“ Stent. 188 Regisseur von „Bube, Dame, König, grAs“ („LOCK, STOCK AND TWO SMOKING BARRELS“), GB 1998; und „Snatch ― Schweine und Diamanten“ („SNATCH“), USA 2000. Ritchie ist außerdem der Vater ihres zweiten Kindes Rocco, das im Jahr 2000 geboren wurde. 189 Vgl. Netzeitung. http://www.netzeitung.de; Zugang: 19.03.2001. 190 Böker, Carmen: „Wenn es Trend ist, hat es Madonna“, in: Berliner Zeitung vom 25.09.2000. 187 71 2.4.1 Image Auf ihrem Albumcover (Anhang 1, Abb. 08) zeigt sie sich in einer glamourösen Cowgirl-Kostümierung, mit blondem ― im Vergleich zu „Ray Of Light“ um einige Nuancen hellerem ―, schulterlangem lockigen Haar, einem breitkrempigen, hellblauen Cowboyhut, einer dunkelblaufarbenen, glänzenden und mit Pailletten bestickten Bluse und einer dunklen Denimhose, auf deren Taschen Strasssteine appliziert sind (Rückseite des Covers). Das ganze äußere Erscheinungsbild des Album wird dominiert von Cowboy- und Westernmotiven, symbolischen Accessoires, die wesentlicher Bestandteil der rassistischen und sexistischen Kultur sind, die sie als Künstlerin einst so vehement ablehnte. Überhaupt scheint es, als habe Madonna mit diesem Album begonnen, sich von ihrer Vergangenheit zu verabschieden. So ist nach Andrew Morton ihr Videoclip zu dem Song „Music“ (Clip 09), in dem sie in einer Stretchlimousine mit zwei Freundinnen aus ihrer New Yorker Anfangszeit durch die Stadt fährt, als „eine liebevolle Hommage und ein Abschiedsgruß an ihre Vergangenheit“ 191 zu verstehen. Diese These wird zusätzlich dadurch gestützt, dass die Künstlerin im Clip ― wie in einem Kampf gegen das eigene, ungeliebte Image der Vergangenheit ― als Comicfigur Leuchtreklamen und Schriftzüge ihrer eigenen Produktionen angreift und somit symbolisch wie in einem „Rundumschlag“ ihre ungeliebten alter egos bekämpft, die sich nicht mehr in ihr neues, bürgerliches Selbstverständnis einfügen: „Cherrish“ (1988), „Rain“ (1992), „Borderline“ (1982), „Bad Girl“ (1992) und „Material Girl“ (1984), um nur einige Beispiele zu nennen. Dazu passt auch, dass Madonna zur gleichen Zeit bei öffentlichen Auftritten begann, sich von ihrer Vergangenheit zu distanzieren 192 . So entsteht der Eindruck, als habe die neue „Lady Madonna“, wie die Zeitschrift Rolling Stone sie in ihrer Ausgabe vom Oktober 2000 bezeichnete, nichts mehr gemein mit der gegen bestehende gesellschaftliche Konventionen rebellierenden Künstlerin der vergangenen 18 Jahre, die sich als Verfechterin der Interessen von gesellschaftlichen und nationalen Randgruppen wie Homosexuellen, 191 Morton 2002, S. 370. – Denn in der Tat ist diese Szene im Clip eine Reminiszenz an die frühen achtziger Jahre, als Madonna mit ihren ersten Erfolgen in den Clubs New Yorks auftrat und anschließend in einer Limousine, die die Plattenfirma stellte, mit ihren Freundinnen um die Häuser zog. Vgl. Ebd., S. 201. 192 So habe Madonna, der bei einer Fernsehshow ihr erster MTV-Auftritt mit „Like A Virgin“ präsentiert wurde, mit der rhetorischen Frage geantwortet: „Kannst du dir vorstellen, dass ich mir ein altes Paar Strumpfhosen in die Haare gewickelt habe“, womit sie diese ganze Inszenierung, die ihr doch letztlich den gewünschten Erfolg gebracht hat, „auf den Status eines ‚Fernsehulks’ herabgestuft“ habe. Ein solcher Auftritt erscheine als eine Verleugnung ihrer Vergangenheit, ihrer Musik, sogar ihrer früheren Persönlichkeit. Vgl. Ebd., S. 370. 72 Nicht-Weißen und jungen Frauen verstanden hatte. Nach der „bürgerlichen Wende“ 193 in ihrem Privatleben war es in den letzten Jahren um Madonna ruhiger geworden. Das Bild in der Presse und das, was sie bei offiziellen Anlässen präsentierte, war stets das einer glücklichen Mutter und Ehefrau, die mit Ehemann und Kindern ein zurückgezogenes Leben auf einem englischen Landgut führt und offensichtlich „erwachsen“ geworden ist, wie Andrew Morton schlussfolgert: Offenbar hat sich Madonnas ständig präsentes Alter Ego von der „Dita Parlo“, der goldzähnigen Domina ihrer „Erotica“- und Sex-Ära, in die gute alte Mrs. Ritchie ― wie sie auf eigenen Wunsch jetzt heißt ―, eine pflichtbewusste Ehefrau und Mutter verwandelt. 194 Und weiterhin heißt es: Die Frau, die einst die Titelseite des Playboy schmückte, ist jetzt eher auf Good Housekeeping zu finden, eine Mutter, die Tugenden von Vollwerternährung, „liebevoller Strenge“ und Fernsehverbot preist. 195 Die Analyse des Clips zum Song „What It Feels Like For A Girl“ wird zeigen, dass auch die Figur „Mrs. Ritchie“ offensichtlich wieder nur eine von Madonnas unzähligen Imagevariationen darstellt. Im Clip zeigt sie sich allerdings in der Rolle einer Rächerin an der Männerwelt, die darstellt, wie groß die Bedeutung permanenter gesellschaftlicher Unterdrückung und männlicher Gewalt für Frauen und Mädchen ist und welche dramatischen Folgen sie haben kann. Das Thema Macht und Kontrolle bestimmt dabei weiterhin ihre künstlerische Arbeit. Die Analyse des vorliegenden Clips, die in einem zugleich narrativen als auch analysierenden Verfahren vorgenommen werden soll, erfolgt deshalb in einer ausführlicheren Form als die der vorangegangenen, da darin ein Diskurs über ein zeitgenössisches Geschlechterrollenmodelle geführt wird und ein starker aktueller Zeitbezug gegeben ist. 2.4.2 Clipanalyse Der Clip (Clip Nr. 10) zeigt Madonna in der Rolle einer sich als Auftragkillerin gebenden Frau, die in einem muscle car „eine Spur der Vernichtung hinter sich herzieht, um am Schluss bei einem Frontalzusammenstoß zu sterben.“ 196 193 Geuen, Heinz/Rappe, Michael: „Chromatische Identität und Mainstream der Subkulturen. Eine audiovisuelle Annäherung an das Stilphänomen Madonna am Beispiel des Songs ‚Music’“, in: Helms, Dietrich/Phleps, Thomas (Hrsg.): Clipped Differences ― Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo, Bielefeld: Transcript Verlag/ASPM Beiträge zur Popularmusikforschung 31, 2003, S. 51. 194 Morton 2002, S. 369. 195 Ebd. 196 Geuen/Rappe 2003, S. 47. 73 2.4.2.1 Clipbeschreibung [0’00’’] Die ersten Einstellungen des Clips zeigen die Sängerin Madonna in einem Motelzimmer im Stil der 1950er Jahre, dunkelbraunem, billigem Mobiliar, braunem Teppichboden, hellen Wänden, einem cremefarbenem Überwurf auf einem breiten Bett, an dessen Fußende die Sängerin sitzt, die Unterarme auf die Oberschenkel gestützt, die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt, so dass ihr Gesicht nicht zu sehen ist. Sie ist bekleidet mit einem schwarzen BH und einem dunkelblauen Overall, der nur bis zur Hüfte hochgezogen ist. Ihre Oberarme sind muskulös und sehnig, auf ihrem linken Unterarm ist eine Tätowierung zu erahnen. Ihre Sitzposition ist „männlich“, Körper und Körpersprache wirken androgyn. Ihre Haare sind glatt, kinnlang, von hellblonden und dunklen Strähnen durchzogen. Links neben ihr auf dem Bett liegt ein Paar schwarzer Handschuhe, hinter ihr ein silberner Hartschalenkoffer. Auf den beiden Nachttischen rechts und links neben dem Kopfende des Bettes befindet sich je eine Lampe, beide sind eingeschaltet. Auf dem rechten Nachttisch (vom Betrachter aus gesehen) befindet sich ein altes grau-weißes Telefon, eine Toilettenpapierrolle und einige weitere Utensilien, die aber nicht deutlich zu erkennen sind. Eine Standbildanalyse lässt erkennen, dass es sich auf dem rechten Nachttisch um Tabletten handelt, auf dem linken um eine Tablettendose und eine halbleere Flasche mit braunem Inhalt, vermutlich Alkohol. Die Protagonistin, nun ganz in den blauen Overall eingekleidet, steht vor einem Spiegel in ihrem Zimmer, schminkt sich mit einem lachsfarbenen Lippenstift die Lippen, ihre Augen sind dezent mit dunklem Kajal umrandet. Make-up und Haarschnitt wirken sehr „Lady-like“ im Gegensatz zu ihrem sehr sehnigen Körper. Die Perspektive ändert sich: Der Betrachter (die Kamera) ist nun der Spiegel und zeigt die Künstlerin in einer Portraitaufnahme, die, sich selbst im Spiegel betrachtend, sich mit beiden Händen am Scheitel ansetzend durch die Haare streicht. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst. [0’06’’] Ortswechsel. Der Blick ist auf die Knie einer alten Frau gerichtet, die in einem Sessel vor einem niedrigen, kniehohen Tisch sitzt. Sie trägt ein türkis-blaues geblümtes Kleid mit rot-weiß-blauem Blumendruck, eine cremefarbene Strickjacke mit Lochmuster an Bündchen und Saum, die Brustseiten sind mit einer Art Alpenmuster bedrückt oder bestickt. Ihre Hände sind faltig, am linken Mittelfinger trägt sie einen großen, silberfarbenen, rautenförmigen Ring, der in der Mitte einen weißen Stein einfasst. In der rechten Hand hält sie zwischen Daumen und Zeigefinger ein Puzzleteil. Auf dem Tisch liegt ein umgedrehter kleiner roter Karton eines Puzzlespiels, auf dem der Betrachter POCKET PUZZLE lesen kann. Hinter diesem Puzzlekarton am linken Bildrand befindet sich ein Weidenkorb, in dem Wollknäuel und zwei Stricknadeln liegen. Die Kamera folgt den Bewegungen der 74 Hände, die die richtige Stelle für das Puzzleteil gefunden zu haben scheinen und es an der passenden Stelle einsetzen. Die Hände zittern, wobei unklar ist, ob dies von einer neurologischen Krankheit herrührt oder Ausdruck des Suchens nach der richtigen Stelle des Puzzleteils im Puzzle ist. Die Kamera richtet sich nun auf das Gesicht der Person, womit bestätigt wird, dass es sich um eine alte Dame handelt. Sie trägt den „gängigen“ Kurzhaarschnitt einer alten Frau, allerdings kastanienrot gefärbt, eine große, silber- bis kupferfarbene Brille und einen bordeauxroten Lippenstift. [0’10’’] Hotelzimmer. Die Protagonistin wieder vor dem Spiegel wie in der letzten Hotelzimmer-Einstellung. Mit der linken Hand hängt sie sich einen Ohrring an ihr linkes Ohr: ein silberner Schriftzug mit den Lettern L-A-D-Y, aneinandergereiht zu einem schillernden, glitzernden, etwa kinnlangen Ohrring. Zurechtrücken des Kragens. Die Kamera schwenkt vom Gesicht der Frau auf einen Teil des overallummantelten Arms und ihre Hand um, die einen schwarzen, spitzen Lackschuh mit einem schmalen hohen Absatz der Marke Prada über den rechten Fuß zieht. Sie schließt, nun die schwarzen Handschuhe tragend, den auf dem Bett liegenden silbernen Koffer, dessen Inhalt nicht genau zu erkennen ist. Auf den ersten Blick scheint es Wäsche zu sein, ungeordnet, achtlos hineingeworfen (eher eine männliche Art des Kofferpackens). Eine Standbildanalyse lässt erkennen, dass sich zwischen der Kleidung ein Tablettendöschen und ein „Flachmann“ befinden. Sie zieht den Koffer mit der rechten Hand vom Bett. Die nächste Einstellung zeigt sie von hinten auf einer offenen Treppe, die sie hinuntergeht, in dem die mit der rechten Hand das weißlackierte Geländer umfaßt. Die Protagonistin befindet sich nun vor dem weißen, steril wirkenden Motel mit türkisfarbenen Türen, dessen Treppe sie zuvor hinuntergegangen ist, mit dem Koffer in der Hand. Es ist Tag, rechts und links von ihr sind ein paar Palmengewächse zu erkennen. Es scheint ein leichter Wind zu wehen, was an dem leicht wehenden Haaren der Protagonistin und den Blättern der Pflanzen zu erkennen ist. Das vordere Drittel des Bildschirmes wird von dem Dach eines gelben Autos eingenommen, auf das, wie sich in den nächsten Einstellungen zeigen wird, die Frau in dem Overall zielstrebig zugeht. Ihre behandschuhte Hand öffnet die Autotür, sie wirft einen kurzen Blick über beide Schultern und lädt den Koffer in den Wagen. [0’24’’] Ortswechsel. Portrait der alten Frau, sie hebt ihren Blick in den linken oberen Bildrand. Der Betrachter sieht sie in der nächsten Einstellung von hinten in ihrem Sessel sitzend. Links von ihr befindet sich ein kräftiger schwarzer Mann in einem weißen Kittel ― offensichtlich ein Pfleger ―, der der alten Dame unter den linken Arm greift, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Die Kamera zeigt den Raum, in dem sich die alte Dame befindet: Offensichtlich ein Senioren- oder Pflegeheim, 75 an den Wänden hängen viele gerahmte Photodrucke, hauptsächlich Stilleben und Blumenbilder, links in der Zimmerecke befindet sich ein Spazierstock. Vor der alten Dame wird ein laufender Fernseher gezeigt, offensichtlich ein älteres Modell, auf dem ein kleiner Ventilator zu sehen ist. Links hinter dem Fernseher steht an der Wand ein Bücherregal, in dem sich kleine Bilderrahmen und andere Gegenstände befinden. Links vom Sessel ist ein kleiner runder Beistelltisch mit einem Telefon und einer Kaffeetasse platziert. Hinter dem Pfleger erahnt der Betrachter ein Bett. Das Inventar passt zu der alten Frau und steht im Kontrast zur sterilen Motelkulisse der Protagonistin. Alles wirkt alt und abgenutzt. [0’27’’] Die Protagonistin sitzt im Auto hinter dem Steuer des Wagens, in den sie zuvor ihren Koffer geladen hat. Sie bricht die Lenkradsperre auf, schließt das Auto kurz und startet den Wagen (alles männliches Gangsterverhalten). Die Kamera zeigt aus der Froschperspektive von links (Weitwinkel) das vordere Nummernschild des Autos ― ein gelber Chevrolet Camaro von 1978 ―, auf dem in weißen Lettern auf schwarzem Grund P-U-S-S-Y zu lesen ist. Das Auto fährt rückwärts aus dem auf dem Asphalt eingezeichneten Parkplatz heraus. Die Kamera befindet sich nun hinter dem Auto, das auf sie zufährt und in gerade so weit vor ihr zum Stehen kommt, dass durch das Aufleuchten der roten Bremslichter das hintere Nummernschild zu erkennen ist: Ebenso gestaltet wie das vordere, ist darauf der Schriftzug C-A-T zu entziffern (der Betrachter fügt also zusammen: PUSSY-CAT). Das Auto verlässt darauf zügig den Motel-Parkplatz. [0’35’’] Die Protagonistin wird in einer Portrait-Aufnahme im Auto gezeigt, nun offensichtlich in mäßigem Tempo auf der Straße fahrend. Ihr Blick ist selbstsicher, ihr linker Ellbogen auf der Fahrertür abgestützt, bei der das Fenster heruntergelassen ist (typisch männliche Geste). Die Bilder vermitteln den Eindruck einer bürgerlichen Kleinstadtatmosphäre, hervorgerufen durch die akkurat geschnittene Hecke und gepflegte Vorgärten. Die Protagonistin hebt ihren linken Unterarm, senkt ihn wieder und formt dabei eine Pistole mit der behandschuhten Hand, indem sie Zeigefinger und Daumen abspreizt. Dabei umspielt ein süffisantes, überlegenes Lächeln ihre Lippen. Die Protagonistin hält vor einem einfachen weißen Haus im Stil der 1950er Jahre und steigt aus. Ein paar Treppenstufen führen zum verglasten Eingangsbereich, über dem der Schriftzug OL KUNTZ GUEST HOME zu lesen ist. Die Protagonistin geht um das Heck des Autos herum auf den Eingang des Hauses zu, zielstrebig und bestimmt, aber ohne Eile. [0’42’’] Im Gebäude. Im Mittelpunkt des Bildes befinden sich die Protagonistin und die alte Frau. Die Protagonistin hat die Dame an ihrer rechten Seite untergehakt und stützt sie beim Gehen. Die alte Dame geht leicht gebeugt, während ihr Gesicht dem Boden zugewandt ist. Sie wirkt klein und labil und ihre unsicheren, wankenden 76 Schritte vermitteln den Eindruck, dass das Gehen ohne Hilfe nicht mehr möglich ist. Beide Frauen bewegen sich langsam auf die Kamera zu, Madonnas Blick ist regungslos. Der Raum, der im Hintergrund gezeigt wird, scheint ein Aufenthaltsraum oder Gesellschaftsraum des Pflegeheims zu sein. Die Einrichtung wirkt wie seine Bewohner alt, aber gepflegt. Das Paar tritt vor das Haus ― wobei die Protagonistin die alte Frau noch immer stützt ― und nähert sich langsam dem Camaro, der vor dem Haus am Fuße der Treppe parkt. [0’45’’] Beide Frauen sitzen nun im Auto. Die Protagonistin schließt den Anschnallgurt der alten Dame und die Fahrt beginnt. Die Kamera zeigt das ungleiche Paar, von dem nicht klar ist, in welchem Verhältnis es zueinander steht, von vorne im Auto sitzend: Die Protagonistin, mit einem angedeuteten Grinsen, die alte Dame, von der man ausschließlich den oberen Teil des Gesichtes sieht, leicht lethargisch, teilnahmslos wirkend, der Blick scheint leer. Am Rückspiegel des Wagens hängen zwei silberne Würfel an einer silbernen Kette, die durch die Fahrtbewegungen des Autos hin- und herpendeln. In einem Zeitrafferverfahren verdunkelt sich der Himmel, womit angedeutet wird, dass die beiden offensichtlich schon ein ganze Weile zusammen „spazieren fahren“. Die Straßenlaternen gehen an, es wird Nacht. [0’52’’] 1. „Gewalt“-Szene: Männerauto an der Kreuzung. Der gelbe Camaro bleibt an einer Kreuzung neben einem anderen Auto stehen, einem blauen Chrysler, in dem drei junge Männer sitzen. Die Protagonistin blickt in das benachbarte Auto (sie ist diejenige, die die Kontaktaufnahme initiiert), woraufhin die jungen Männer zu ihr herüberstarren, während sie mit den Köpfen zu einer nicht hörbaren Musik nicken. Der Fahrer des Wagens ― mit kurzgeschnittenem Haar und Dreitagebart offensichtlich vollkommen überzeugt von seiner einnehmenden Wirkung auf Frauen ― deutet mit seinen Lippen einen Kuss an, den er Madonna zuwirft, den diese mit einem Augenzwinkern beantwortet. Kurz darauf fährt der gelbe Camaro ― obwohl die Ampel noch rot zeigt ― in einer weiten Linkskurve quer über die Kreuzung, lässt das Männerauto hinter sich und fährt aus dem Bild heraus. Die Kamera zeigt eine menschenleere Strasse. In der nächsten Einstellung sieht man den Lackpump der Protagonistin, der das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrückt. In ihrem starren, zielgerichteten Blick der Frau zeigen sich Wut und Aggression, doch auch Überlegenheit. Mit wachsender Geschwindigkeit ― erkennbar an dem aus dem Auspuff aufsteigenden Rauch und dem durch die durchdrehenden Reifen erzeugten Qualm ― steuert der Camaro auf den blauen Chrysler zu, der noch immer an der roten Ampel steht, und rast frontal in dessen Fahrerseite hinein und schiebt den Wagen nach rechts aus dem Bild. Die 77 alte Dame wird durch den Aufprall nach vorne geschleudert und eine Glasscheibe ― vermutlich das Fenster in der Fahrertür des Chryslers ― zersplittert. Die beiden Frauen im Camaro, der durch den Aufprall zum Stehen gekommen ist, sind unversehrt. Die Protagonistin wirft ihrer Beifahrerin, deren Brille durch den Aufprall heruntergerutscht ist, einen prüfenden Blick zu, und rückt sie schließlich mit dem Zeigefinger der behandschuhten rechten Hand wieder zurecht. Der Blick der alten Dame ist noch immer starr ins Leere gerichtet. Die Protagonistin legt daraufhin den Rückwärtsgang ein, setzt das Auto, dessen Vorderfront nun stark demoliert ist, ein Stück zurück und verlässt den Unfallort. [1’20’’] 2. „Gewalt“-Szene: Überfall Geldautomat. Der Camaro hält am Straßenrand, der Gehweg ist erleuchtet. Im Eingang eines öffentlichen Gebäudes steht ein untersetzter Mann mit dem Rücken zur Kamera an einem Geldautomaten. Die Protagonistin steigt aus dem Wagen, wirft mit einer schwungvollen und tänzerisch anmutenden Geste des rechten Arms die Wagentür zu, führt dann in einer fließenden Bewegung den Arm bis fast über den Kopf, während ihr Blick den Mann am Geldautomaten fokussiert. Ihre Körperhaltung gleicht der einer tänzerischen Position, bei der sie das rechte Bein leicht anwinkelt und vor das linke schiebt. In ihrer linken Hand wird nun ein Elektroschockgerät sichtbar, das sie ebenso kunstvoll mit über der Brust angewinkeltem linken Arm, von ihrer rechten Achsel bis zu ihrem Kinn führt und dabei provokativ seine Funktionstüchtigkeit demonstriert, sichtbar durch kleine blaue Blitze und begleitet von einem surrenden Geräusch, das die Stromstöße signalisiert, die von ihrer Waffe ausgehen. Begleitet wird das Einnehmen dieser Position von einem leichten Öffnen ihrer Lippen, die sie beim Anwinkeln des linken Armes wieder schließt, wobei sie sich leicht auf die Unterlippe beißt. Sie nimmt hier die Position eines Stierkämpfers ein, als wolle sie ihr Opfer zum „Paso Doble“ auffordern, der sich im traditionellen Verständnis als tänzerische Interpretation des Stierkampfes versteht. Diese Szene zeigt die Selbstsicherheit der Protagonistin, die sich darum bemüht, ihre Auftritte so auffällig wie möglich zu gestalten. Obgleich sich mehrere Männer auf dem Gehweg befinden, reagiert niemand auf ihre beabsichtigte Gewalttat oder versucht, die Frau davon abzuhalten. Die Protagonistin, die sich aus ihrer Angriffsposition gelöst hat, bewegt sich auf den Mann am Geldautomaten zu, ein vielsagendes, selbstsicheres und gleichzeitig spöttisches Grinsen im Gesicht. Die Kamera zeigt in einer Einstellung, die an Duellszenen alter Western erinnert, ihren beschwingt bewegten Hintern in Nahaufnahme, während sie sich mit lässigen Schritten ihrem Opfer nähert. Trotz des Overalls, der ― obgleich natürlich im Stil Madonnas figurbetont und sexy geschnitten ― ein Arbeits-Utensil ist, das aufgrund seines eher groben Schnittes 78 und Materials weniger modischen Ansprüchen entgegenkommt, sondern allein praktischen Zwecken dient, wirkt sie dabei elegant wie eine Lady! Es gehen Menschen vorbei, von denen niemand sich jedoch für das offensichtliche Vorhaben der Frau, die das Elektroschockgerät ostentativ vor sich herträgt, zu interessieren scheint. Sie sind das Abbild einer teilnahmslosen Gesellschaft, in der jegliche Form von Sozialkontrolle verloren gegangen scheint, sei es aus mangelndem Verantwortungsbewußsein, Feigheit, oder einer durch die mediale Bilderflut übersättigten Geisteshaltung, für die ein Gewaltverbrechen nur noch eine willkommene Abwechslung in einem ansonsten ereignislosen Leben darstellt. Abwechselnd zeigt die Kamera den Hintern der Protagonistin und das Elektroschockgerät in ihrer linken Hand, von dem blaue Blitze ausgehen, begleitet von einem Surren der kleinen Stromstöße. Die nächste Einstellung zeigt die Protagonistin mit einem Bündel Geldscheine in der rechten Hand. Im Hintergrund sieht man das Opfer, den untersetzten Mann, der zuvor am Geldautomaten gezeigt wurde, zusammengesunken am Boden liegend. Im gleichen lässigen Gang wie zuvor sieht man die Täterin ― die Geldscheine achtlos in der Hand haltend ― zu ihrem Wagen zurückgehen, wobei ihr einige Scheine zu Boden fallen. Mit durchdrehenden, qualmenden Hinterreifen verlässt der Camaro zum Schluss blitzschnell die Szenerie. Auch in dieser zweiten „Gewalt“-Szene wird nicht explizit gezeigt, wie die Protagonistin den Mann zu Boden streckt, ebenso wenig wie in der ersten „Gewalt“Szene, in der das Männerauto aus dem Bild geschoben wird und die Auswirkungen der Gewalt nicht sichtbar sind. Es bleibt damit unklar, ob das Opfer nur gering oder ernsthaft durch das Elektroschockgerät verletzt wurde. So scheint es, als stünde nicht der Akt selbst im Vordergrund, sondern vielmehr die Beweggründe der Frau, diese Gewalttaten auszuüben. Für diesen Gedanken spricht außerdem die Art und Weise, in der die Täterin mit ihrer „Beute“ umgeht: Das Geld nimmt sie nicht an sich, um sich zu bereichern, sondern um eine „Trophäe“ vom Tatort mitzunehmen. Darüber hinaus ist Geld ein unmissverständliches Symbol für Macht. Die Atmosphäre im Clip scheint sich immer stärker aufzuladen: Das Verlassen des zweiten „Tatortes“ mit dem Auto erscheint aggressiver als das des ersten ― dafür sprechen das visuelle und hörbare Durchdrehen der Reifen und das hohe Tempo beim Verlassen des Geschehens. 79 [1’40’’] 3. „Gewalt“-Szene: Drive-In-Szene / Polizisten. Der Camaro, langsam von rechts nach links in das Bild fahrend, hält an einem Drive-In-Restaurant. Zwei Fast-food essende Polizisten ― beide halten in der linken Hand einen Hamburger und in der rechten einen großen Pappbecher mit Strohhalm ― stehen neben ihrem Dienstwagen. Beide Männer tragen Uniform, der rechte hat eine Schnurrbart, der linke ist kräftig und bullig. Im Hintergrund erkennt man parkende Autos. Die Protagonistin und ihre Beifahrerin nehmen ihre Bestellung am Drive-In von einer beleibten jungen Frau entgegen, die ihnen auf einem Kunststofftablett zwei große Getränkebecher und Pommes Frites durch das heruntergelassene Fenster des Autos reicht. In einer herablassenden Geste, die an großspuriges männliches Zahlungsverhalten gegenüber vorgeblich niederen weiblichen Dienstleistungen erinnert, steckt die Protagonistin der Angestellten die zuvor gestohlenen Geldscheine in ihren Kittel, ein Betrag, der ― wie der überraschte Blick der jungen Bedienung erahnen lässt ― im Verhältnis zur Bestellung offensichtlich viel zu hoch ist. Die Bedienung ist die erste und einzige Frau in diesem Videoclip, die neben dem Protagonistinnen-Paar in Erscheinung tritt. Sie entspricht der typischen Durchschnittsfrau der amerikanischen Mittelschicht: übergewichtig, weiblich, im Service arbeitend. Allein die Tatsache, dass sie eine Frau ist, schützt sie offensichtlich davor, nicht angegriffen zu werden; dass die Protagonistin ihr das gestohlene Geld zusteckt, könnte aber nicht nur als herablassender, männliches Verhalten gegenüber Frauen imitierender Gestus verstanden werden. Er könnte auch als symbolische Wiedergutmachung bzw. Entschädigung eines typischen weiblichen Opfers durch das Geld eines typischen männlichen Täters verstanden werden. Im übertragenen Sinn wird somit die Macht des Mannes ― symbolisiert durch die Dollarscheine ― auf die Frau übertragen und die Besitzverhältnisse werden auf sinnbildliche Weise umgekehrt. Die Protagonistin und die alte Dame saugen im Auto an den Strohhalmen in ihren Getränkebechern, während die Protagonistin gleichzeitig ihre Pommes Frites isst. Als sie ihre Fahrt wieder aufnimmt, schrammt sie im Vorbeifahren scheinbar genüsslich an der vollen Längsseite des Polizeiwagens entlang und fixiert dabei ― weiterhin ihre Pommes Frites kauend ― die beiden verdutzten Polizisten mit den Augen. Anschließend fährt sie wieder zurück und zückt eine Pistole, die sie auf die beiden Polizisten richtet, die sich hinunter beugen, um in das Auto hineinsehen zu können. In Erwartung eines weiteren Gewaltszenarios sieht man die Protagonistin ihre Waffe auf die Köpfe der Polizisten richten. Im selben Augenblick, indem man 80 einen Schuss erwarten würde, zeigt sich aber, dass es sich um eine Wasserpistole handelt ― ein weiterer Ausdruck höchster Verachtung des männlichen Gegenübers. Die Protagonistin macht die beiden Polizisten im wörtlichen Sinne „nass“: Sie erniedrigt sie, indem sie sie mit einem Kinderspielzeug einschüchtert. Darüber hinaus könnte das Spritzen mit der Wasserpistole auch als symbolische „Ejakulation“ verstanden werden. Die Protagonistin würde sich somit eines weiteren, demütigenden männlichen Verhaltens gegenüber Frauen bedienen, das vor allem aus Pornofilmen bekannt ist, dem sogenannten „Come Shot“: Dabei handelt es sich um den sprichwörtlichen Höhepunkt einer jeden Szene, bei dem der Mann auf die Frau ejakuliert. Indem die Protagonistin mit ihrer Pistole ― ein klassisches Symbol für das männliche Geschlechtsteil, das Madonna auch schon in ihren früheren Videos 197 benutzt ― die beiden Polizisten, die angesichts der täuschend echten Waffe vermuten müssen, erschossen zu werden, mit Wasser bespritzt, erniedrigt sie sie auf zweifache Weise: als Hüter von Ordnung und Gesetz und als Männer. Unberührt von den Ereignissen setzt sie ihr Auto am Ende der Szene ein Stück zurück und lässt die Polizisten, die die Verfolgung aufgenommen haben, frontal auffahren. Durch den Aufprall lösen sich die Airbags im Polizeiauto, wodurch sie ihre Verfolgungsjagd abbrechen müssen, die noch gar nicht begonnen hat. Die Protagonistin bedient sich als Frau sämtlicher männlicher stereotyper Verhaltensweisen: Sie benutzt deren Statussymbole (muscle cars, Waffen), imitiert ihre Körpersprache (breitbeiniges Sitzen auf dem Bett, Cowboy-Gang vor dem Geldautomaten), trägt ihre Tätowierungen und ahmt ihr Imponiergehabe nach (das Zuzwinkern in der Szene an der Kreuzung, das Zustecken der Geldscheine im Drive-In-Restaurant). Sie holt sich, was sie will, und sie bekommt es durch männliches Verhalten. Madonna geht allerdings noch einen Schritt weiter: Zwar bedient sie sich der Verhaltensweisen der männlichen Welt, um sich in einer männlichen Welt Respekt zu verschaffen und sich durchsetzen zu können, gleichzeitig aber zerstört sie die Illusion von gewaltbasierter Macht, indem sie sie in ihren schockierenden destruktiven Folgen ostentativ zur Schau stellt. [2’17’’] 4. „Gewalt“-Szene: Parkplatz, Hockeyspieler. Die Protagonistin fährt auf einen Parkplatz, auf dem einige junge Männer RollerHockey spielen, rammt zunächst wahllos parkende Autos und fährt ein Motorrad 197 Z.B. in „Express Yourself“ oder „Open Your Heart”. 81 um. Anschließend fährt sie zwischen den Männern durch, steuert dann mit dem Wagen auf sie zu, fährt zuerst eines der Hockey-Tore um und nimmt zum Schluss einen von ihnen auf die Motorhaube, während sie weiterhin genüsslich ihre Pommes Frites isst. Während die anderen jungen Männern wütend hinter dem Camaro herjagen, um ihn mit wütenden Hieben ihrer Hockeyschläger zu bearbeiten, verlässt die Protagonistin den Parkplatz, nicht ohne allerdings ein paar weitere Autos zu rammen. Um ihre Pommes-Frites-Tüte zu entsorgen, bringt sie den inzwischen auffallend ramponierten Camaro neben einem Mülleimer aus voller Fahrt zum Stehen, wobei die Kamera einen Schwenk in das Fahrzeuggetriebe ― genauergesagt auf die Bremsscheiben ― macht. Die Protagonistin streckt ihren Arm aus und wirft die noch halbgefüllte Pommes-Frites-Tüte in den Mülleimer. [2’49’’] 5. „Gewalt“-Szene: Tankstellenszene. In der nächsten Einstellung sieht man wieder den Lackpump der Protagonistin, in Machomanier mit dem Gaspedal spielend. Der Motor heult und die Reifen drehen durch, so dass Straßendreck aufgewirbelt wird. Der Camaro schießt schließlich nach vorn, Reifenquietschen und Motorengeräusche sind zu hören, die am Rückspiegel aufgehängten Würfel pendeln hin und her. Das Aggressionsniveau der Protagonistin ist weiter angestiegen. Sie vermittelt dem Zuschauer den Eindruck eines Stieres, der kurz vor seinem Angriff wutschnaubend die Nüstern bläht und mit den Hufen scharrt. [2’54’’] Tankstelle: Die Protagonistin fährt auf eine Tankstelle, hält hinter einem roten Pontiac Firebird an einer Zapfsäule (im Folgenden wird diese Einstellung „Tankstelle“ genannt). An dieser Stelle wird die bislang chronologische Abfolge unterbrochen, die seit der Abfahrt der beiden Frauen vom Seniorenheim durchgehalten wurde. Flashbacks in das Hotelzimmer und das Seniorenheim wechseln sich mit den Bildern des Firebirds und der fortschreitenden Handlung ab. Die Frequenz der Schnitte erhöht sich mit dem Anstieg des Aggressionsniveaus. Dabei haben die Rückblenden die Funktion, die fehlenden Sequenzen der Anfangsszenen durch wichtige Details zu ergänzen. [2’56’’] Flashback Hotelzimmer: Die Protagonistin sitzt auf dem Bett. Der herabgelassene Overall gewährt einen Blick auf ihren nackten Rücken, links neben ihr liegt der geöffnete Koffer. Auf beiden Unterarmen trägt sie Tätowierungen, ebenso im Nacken, wo in schwarzen Lettern L-O-V-E-D zu lesen ist. Die Tätowierung auf ihrem rechten Arm zeigt eine Pistole, aus deren Öffnung Rauch aufsteigt, auf ihrem linken Arm ein Kreuz. Über dem Kreuz ist das Wort NO, unter dem Kreuz 82 SURREND[ER] zu erkennen, wobei die letzten beiden Buchstaben nicht mehr mit Sicherheit zu entziffern sind. NO SURRENDER meint „keine Kapitulation“, „kein Aufgeben“, „keine Auslieferung“. Die Tätowierungen muten dilettantisch an und sehen aus, als stammten sie nicht von einem Profi. Die Wahl des Kruzifix-Motives als Symbol des christlichen Glaubens rekurriert auf vergangene Madonna-Videos wie „Like A Prayer“ oder „Like A Virgin“. In diesem Clip muss es aber vermutlich weniger als Provokation denn ― im Gegenteil ― als ein Sinnbild eines intensiv empfundenen, stark verinnerlichten Glaubens verstanden werden, der der Protagonistin Hoffnung und Kraft auf ihrem persönlichen Kreuzzug gegen die Männerwelt verleihen soll. Nach dieser Szene im Hotelzimmer verdunkelt sich die Szenerie, bevor es in die nächste Einstellung geht. Im Vordergrund steht bis zu Minute [3’27’’] die Inszenierung des roten Sportwagens. [3’01’’] Firebird: Man sieht den roten Pontiac Firebird mit eingeschalteten Scheinwerfern. Auf der Kühlerhaube ist das Emblem des Firebirds abgebildet: ein stilisierter goldener Adler mit ausgebreiteten Flügeln und flammenförmiger, kranzartiger Umrandung. Während einer anschließenden Kranfahrt, die vor dem Auto beginnt, über die Motorhaube und bis zum Dach hinaufführt, gibt die Kamera dem Betrachter Zeit, den Firebird in seiner beeindruckenden Erscheinung genau zu betrachten. Die Zeit scheint währenddessen stillzustehen. Es ist ein anerkennendästhetisierender Blick, der sich vornehmlich an ein männliches Publikum richtet, das auf den Abonnentenlisten von Motorsport-Magazinen zu finden ist, sich auf Automobil-Messen über die neuesten Tuning-Trends austauscht und am Wochenende mit der Freundin im Kino Blockbuster wie „Too fast, too furious“ in Dolby Surround-Qualität ansieht. [3’04’’] Tankstelle: Die Protagonistin steigt aus dem ramponierten gelben Camaro, während der Mann, der vor ihr seinen Firebird betankt, in ihre Richtung sieht. Das rote Auto des Mannes wird als das erkennbar, das in der vorherigen Einstellung detailliert gezeigt wurde. [3’05’’] Firebird: Die Kamera setzt ihre Fahrt über das Autodach fort. [3’07’’] Tankstelle: Die Protagonistin hat der alten Dame aus dem Camaro geholfen und führt sie an der Hand, an einer Zapfsäule vorbei, zielstrebig zu dem Firebird. [3’08’’] Firebird: Die Kamera ist nun fast über der Mitte des Autodaches. [3’10’’] Tankstelle: Die junge Frau führt ihre greise Beifahrerin an der Hand zwischen dem Camaro und dem Firebird durch. Der Autobesitzer, der lange, wellige Haare und eine Lederweste mit Silberapplikationen trägt, schenkt dem Frauenpaar keine Beachtung. Am Firebird angekommen, öffnet die junge Frau der alten Dame die Beifahrertür. 83 [3’12’’] Firebird: Die Kamera ist nun direkt über dem Autodach und schwenkt von der Vertikalen in die Horizontale um, so dass das Auto waagerecht im Bild ist. [3’16’’] Tankstelle: Nachdem die Protagonistin der alten Dame auf den Beifahrersitz des Firebirds geholfen hat, geht sie um das Auto herum und setzt sich ans Steuer. Der Besitzer ist so mit der Tankanzeige an der Zapfsäule beschäftigt, dass er nicht bemerkt, dass die beiden Frauen in sein Auto gestiegen sind. [3’17’’] Firebird: Die Kamera hat wieder umgeschwenkt und ist nun am hinteren Ende des Wagens angekommen, wo langsam sie an ihm herunterfährt, bis sie dieselbe Position wie zu Beginn der Kranfahrt eingenommen hat, nur diesmal in entgegengesetzter Richtung. [3’27’’] Der Fuß der Protagonistin mit dem schwarzen Lackpump tritt wieder auf das Gaspedal, während die Kamera auf den Tacho des Firebird und in den Motorraum zoomt. [3’28’’] Tankstelle: Die beiden Frauen sitzen im Firebird, an dessen Rückspiegel die Figur eines kleinen grünen „Aliens“ hängt. Als die Reifen des Wagens durchdrehen, blickt der Besitzer kurz auf. Die Protagonistin stößt daraufhin einen Lenkradwürfel an ― ein Spielzeug des Wagenbesitzers ― und fährt los. Bei dem verzweifelten, aber sinnlosen Versuch des von den Ereignissen überrumpelten Firebirdbesitzers, den Wagen festzuhalten, stürzt dieser, während gleichzeitig der Einfüllstutzen des Benzinschlauchs aus dem Tank gerissen wird. Durch die Wucht des abrupten Herausreißens hin- und herspringend verspritzt der Schlauch weiter Benzin, das nach und nach den Boden vor der Zapfsäule überschwemmt. Die Protagonistin fährt über die Tankstelle, wendet dann um 180 Grad, steuert auf den Wagenbesitzer zu und fährt ihn so an, dass er auf die Windschutzscheibe geschleudert wird. Anschließend rammt sie eine Zapfsäule derart, dass sie umkippt und fontänengleich Benzin aus ihr herausschießt. Daraufhin verlässt sie mit dem Firebird die Tankstelle, zieht ein silberfarbenes Feuerzeug aus der Tasche, zündet die Flamme und lässt es aus dem Fenster fallen. Ein Schwenk zurück auf die Tankstelle zeigt noch einmal den benzinspeienden Schlauch, der sich über den Boden windet. Es folgt die erwartete Detonation, die allerdings nur durch eine kurzzeitige, orange-gelbe Überblendung angedeutet wird. Die Kamera zeigt das Wageninnere des Firebirds, wobei sie zwischen den beiden Vordersitzen positioniert scheint, mit dem Fokus auf Armatur und Schaltknüppel. Unterstützt wird der Eindruck einer Detonation nicht nur visuell durch Farbeffekte, sondern auch akustisch durch das knallend-berstende Geräusch einer Explosion und einen großen Gegenstand, der ― vermutlich der Tankstelle zuzuordnen ―, gegen die Windschutzscheibe des fahrenden Firebirds prallt. 84 Die Brutalität hat sich mit jeder „Gewalt“-Szene erhöht. Doch auch hier wird sie nicht detailliert in ihren Auswirkungen gezeigt: Man sieht weder tote Menschen noch durch die Luft wirbelnde Leichenteile, die inzwischen zum Standardrepertoire von Gewaltvideos und Dokumentationen von Katastrophen gehören und deren höchstes Interesse es ist, möglichst nah an das eigentliche Geschehen heranzukommen, um dem Betrachter zu suggerieren, er befinde sich mitten im Geschehen. 198 Guy Ritchie befriedigt mit seiner Inszenierung den Voyeurismus der Zuschauer nicht: Die Explosion wird lediglich angedeutet durch das orange-gelbe Licht und den Gegenstand, der gegen die Windschutzscheibe des sprichwörtlichen Feuervogels prallt. Das vernichtende Ausmaß der Detonation und der sich darin dokumentierende Gewaltakt bleibt als Leerstelle bestehen, die von der Vorstellungskraft des jeweiligen Zuschauers gefüllt werden kann. Auf diese Weise bezieht Madonna den Betrachter nicht nur aktiv mit in das Geschehen ein, indem er ihn zwingt, das Gesehene zu reflektieren. Er führt ihm auch eindrücklich die gesellschaftliche Teilnahmslosigkeit vieler Menschen vor Augen, die tagtägliche Gewalt um sich herum zwar zu registrieren, aber glauben, sich durch Ignoranz der sozialen Verantwortung entziehen zu können. [3’48’’] Flashback Senioren-/Pflegeheim: Die alte Dame sitzt in ihrem Sessel vor dem laufenden schwarz-weiß-Fernseher, der das Bild eines über die Straße schleudernden Autos zeigt. Die sonst sehr lethargisch wirkenden alte Frau krallt bei diesem Anblick unter Anspannung ihre Finger in die Armlehne, womit sie erstmals eine innerliche Teilnahme am äußeren Geschehen signalisiert. [3’50’’] Hotelzimmer: Die Protagonistin zieht sich eine kugelsichere Weste an. [3’51’’] Firebird/Tacho/Armatur: Die Nadel des Tachos schlägt nach oben aus. Alters-/Pflegeheim: Die alte Dame legt sich Schienbeinschoner an. [3’53’’] Hotelzimmer: Die Protagonistin zieht sich weiter die Weste an. Unter der rechten Brust ist ein etwa faustgroßes, dunkles Hämatom zu erkennen. [3’54’’] Firebird: Die Protagonistin schaltet in einen höheren Gang, Geschwindigkeitssteigerung suggerierend. 198 Man vergegenwärtige sich die Fernsehbilder vom 11. September 2001, die fast bis zur Unerträglichkeit immer wieder den Einschlag der beiden Boeings in das World Trade Center zeigten, und danach stundenlang die verzweifelten Rettungsversuche der New Yorker Feuerwehr zu dokumentieren, während im Hintergrund die Häuser hinter Rauchwolken verschwanden, Gebäudeteile plötzlich einstürzten und Rettungsmannschaften unter sich begruben. Unvergessen auch die aktuelleren Bilder von den vernichtenden Auswirkungen des Tsunamis in Sri Lanka: Immer tauchten neue Amateurvideos auf, die dokumentierten, wie die meterhohe Sturmflut auf die Küste zurollte, um dann bei ihrem Einbruch in die Strassen alles unter sich zu begraben. 85 [3’54’’] Hotelzimmer: Die Protagonistin schließt die Weste, wobei sie ihr Gesicht vor Schmerz verzieht. Sie steht nun angezogen vor dem Bett und wirft den „Flachmann“ in den noch geöffneten Koffer. [3’57’’] Firebird: Die Kamera zeigt, Tempo suggerierend, Motor und Schaltknüppel, der von der rechten Hand der Protagonistin betätigt wird. [3’59’’] Hotelzimmer: Die behandschuhten Hände der Protagonistin blättern einen Stapel Personalausweise durch. Offensichtlich handelt es sich um ihre alter egos, die sie je nach Bundesstaat wechselt. [4’00’’] Firebird/Tacho Hotelzimmer: Die Kamera zeigt einen der Nachttische, auf dem sich acht Tablettendöschen, eine halbvolle Wodkaflasche, ein alter Radiowecker und eine Waffenzeitschrift befinden, auf der wiederum ein kleiner Schlüssel mit blauem Anhänger sowie die Personalausweise liegen. Mit den Händen blättert die Protagonistin durch die Ausweise und entscheidet sich für ihre „Ohio“-Identität. Noch einmal wird kurz die LOVED-Tätowierung in ihrem Nacken gezeigt. [04:02] Firebird/Schaltknüppel: Von der Hand der Protagonistin geschaltet. Hotelzimmer: Die Protagonistin zieht die schwarzen Handschuhe an, blickt in die Kamera (wir erinnern uns an den Anfang des Clips: Sie blickt in den Spiegel) und deutet einen Kuss an, den sie sich sozusagen selbst zuwirft (ebenso wie der Fahrer des Männerwagens ihr einen Kuss zugeworfen hat). [4’03’’] Firebird auf der Strasse, von außen: Das Auto fährt mit eingeschalteten Scheinwerfern rechts ins Bild, die Strasse ist menschenleer und grau, noch immer ist es Nacht. [4’04’’4’13’’] Hotelzimmer: Die Protagonsitin verlässt ihr Zimmer. Firebird/Schaltknüppel: Wieder wird geschaltet, der Motor gezeigt, dann der Tacho, das zunehmende Tempo suggerierend. Hotel: Die Protagonistin verlässt ihr Zimmer, schaut beim Heraustreten kurz zu beiden Seiten und zieht die Tür hinter sich zu, die die Zahl 669 trägt. Beim Zuschlagen der Tür kippt die letzte Ziffer nach unten, so dass aus 669 die Zahl 666 wird, das Zahlensymbol für den Antichrist bzw. den Teufel. Firebird: Die alte Frau krallt ihre rechte Hand in den Autositz. Damit zeigt sie erstmals eine Reaktion seit Beginn der gemeinsamen Autofahrt. Der Fuß der jungen Frau befindet sich auf dem Gaspedal, ihre Hand am Schaltknüppel. Die Kamera zeigt Bilder vom Auto, Madonnas Gesicht, Motor und Tacho. Rückblende im Zeitraffer: Die immer schneller werdenden Schnitte (siehe Zeitangaben) enden in einer Art Rückblende des Clips im Zeitrafferverfahren ― vergleichbar mit der Rekapitulation des eigenen Lebens beim Sterben. Ein Bild folgt dicht dem anderen. Die Kamera fokussiert das Gesicht der alten Dame, deren 86 Augen weit aufgerissen sind und ins Leere starren, der Kopf der Protagonistin liegt auf dem Lenkrad. Die Serie beginnt mit der ersten Einstellung des Clips: Die Kamera zeigt die Protagonistin auf dem Hotelbett sitzend, den Kopf geneigt. Es folgen Bilder des hinteren Nummernschildes des Camaro (CAT), der Würfel, der Wasserpistole und des Feuerzeugs. Die Protagonistin, deren Augen geschlossen sind, sitzt mit zurückgelehntem Kopf hinter dem Steuer. Sie wirkt entspannt und ohne Ausdruck, während der Firebird auf die Kamera zurast. Vor der Kamera befindet sich ein (Laternen-)Pfahl. Die Scheinwerfer des Firebirds sind ausgeschaltet. [4’13’’4’29’’] Aufprall. Das Auto prallt mit so hoher Geschwindigkeit gegen den Pfahl, dass es sich durch die Schubkraft um ihn herumzuwickeln scheint. Zeitlupeneffekte zeigen den Zusammenstoß in seiner ganzen Wucht. Der aufsteigende Rauch und die durch die Luft fliegenden Splitter signalisieren, dass der Aufprall tödlich ist. Er ereignet sich parallel zum letzten Rhythmusschlag in der Musik. Danach setzt Stille ein, bis schließlich sprichwörtlich der „Vorhang fällt“, für die Beteiligten wie für die Inszenierung insgesamt. Die letzte Einstellung wird ausgeblendet. 2.4.2.2 Das Zusammenspiel von Bild, Ton und Musik Das Video zu „What it Feels Like For A Girl“ illustriert nicht die balladenhafte Album-Version des Songs, sondern bedient sich eines House-Beat-Remixes, der nichts mit der melancholischen Grundstimmung der Album-Version gemeinsam hat. Zu Beginn des Clips werden folgende Textzeilen von der Sängerin gesprochen, die ihm als Motto vorangestellt werden: Girls can wear jeans And cut their hair short, Wear shirts and boots, ‘Cause it’s OK to be a boy, But for a boy to look like a girl is degrading, ‘Cause you think that being a girl is degrading, But secretly you’d love to know what it’s like. Wouldn’t you (s.u.) What it feels like for a girl Anschließend wiederholt sich der von Madonna gesungene Chorus immer wieder: „For a girl / In this world” und „Do you know / What it feels like for a girl? / Do you know / What it feels like / In this world / For a girl?” 87 Das „Motto” ist ein Zitat aus dem Film „The Cement Garden”, in dem die Schauspielerin Charlotte Gainsbourg folgende Zeilen spricht: „It’s OK for a girl to look like a boy, but for a boy to look like a girl is degrading”. 199 Von Madonna werden die ersten Zeilen fast stimmlos und kühl mit dem Timbre eines jungen Mädchens gesprochen. Darunter läuft ein pulsierender, synthetischer, anschwellender Rhythmus. Auffällig ist in diesem Clip, dass die Musik nur einen Kommentar zum Bild stellt, das im Mittelpunkt steht. Die Musik ist eine zusätzliche Ebene, die sich unterhalb der der Bilder befindet. Im Vergleich mit den bislang in dieser Arbeit analysierten Clips spielt sie hier eine nur untergeordnete Rolle. Durch die Schnelligkeit der Beats und die dadurch suggerierte latente Unruhe unterstützt sie lediglich die Botschaft der Bilder. Dennoch erfüllt die Musik ― wie auch in den vorangegangenen Clips ― eine strukturierende Funktion: Die einleitende, gesprochene Sequenz endet, als die Protagonistin ihren Wagen gestartet hat und ihren Roadtrip beginnt. Während des Sprechparts steht die Stimme Madonnas im Vordergrund, der Rhythmusapparat ist zurückgenommen. Mit zunehmender Spannungssteigerung innerhalb der Handlung wird die Stimme der Sängerin, die den Chorus in einer Endlosschleife singt, kräftiger und bestimmter. Ein zweites Mal wird das Motto in derselben Weise wie am Anfang bei der „Firebird-Inszenierung“ vorgetragen. An dieser Stelle scheint, wie oben dargestellt, die Zeit für einen Augenblick zu still zu stehen, bevor der Showdown beginnt. Das gesprochene Motto mit dem zurückgenommenen beats unterstützt damit die visuelle Wirkung dieser Szene. Der Anfang des Clips erinnert eher an einen Werbespot ― ausgelöst durch die Verknüpfung von Bild und Sprechpart ― und weist viele spielfilmähnliche Elemente auf. So wird eine stringente Geschichte erzählt, die Story ist in sich geschlossen und auch die Schnitte entsprechen zeitgenössischer Film-Ästhetik. Die Charaktere werden ― clipuntypisch ― in ihrer jeweiligen Umgebung eingeführt, bevor beide Erzählstränge zusammengeführt werden und die Story beginnt. Wie schon die letzten Clips deutlich gemacht haben, ist auch dieser Clip bis in das letzte Detail durchkonzipiert und jedes Symbol wurde sorgfältig ausgewählt, wie die Clipbeschreibung zum Ausdruck bringt. 199 Der Film nach dem gleichnamigen Roman von Ian McEwan wurde 1992 von Andrew Birkin verfilmt. Das Drama erzählt eine düstere Geschichte über Geschwisterliebe, Inzest und Tod. 88 „What It Feels Like For A Girl“ ist ein „schneller“ Clip. Dieser Eindruck wird in erster Linie durch die Schnelligkeit der Schnitte hervorgerufen. Die Frequenz der Bilder nimmt im Laufe zu, ein filmästhetisches Stilelement, das der dramatischen Entwicklung des Geschehen entspricht. 2.3.2.3 Cover Das Cover zum Clip (Anhang I, Abb. 14) vermittelt einen anderen Eindruck als der Clip selbst. Es zeigt Madonna dem Western-Image des Albums entsprechend als Cowgirl, an dem die Zeit spurlos vorbei gegangen zu sein scheint 200 : Bekleidet mit einem weißen, durch Büroklammern zusammengehaltenen T-Shirt ― eine Reminiszenz an ihre Tänzerinnenzeit, in der die zerrissene und durch Sicherheitsnadeln zusammengehaltene Kleidung zu ihrem Markenzeichen wurde ―, einer dunkelblauen Denimhose, einem breiten, schwarzen Gürtel mit silberner Gürtelschnalle, Nietenbesatz und Strasssteinen und mit platinblonden, leicht gewellten und dunkel gesträhnten Haaren, einer silberfarbenen Kette um den Hals und nur dezent geschminkt, lehnt sie in lasziver Haltung an der Seite eines silberfarbenen Trucks. Den rechten Arm hält sie hinter dem Kopf verschränkt, so dass das weiße T-Shirt ein Stück Haut knapp über der tief sitzenden Jeans freilegt. Ihre Zungenspitze berührt herausfordernd die mit pinkfarbenem Lippenstift geschminkte Oberlippe, wobei sie ihren Blick ― ihr Gesicht ist ins Dreiviertelprofil gedreht ― seitlich in die Kamera richtet. Die Diskrepanz zwischen Cover und Inhalt des Clips verweist einmal mehr auf die Tatsache, dass es sich wie immer bei Madonna um ein Spiel mit Masken handelt. Das Cover lässt einen anderen Inhalt vermuten, als der Clip offenbart: Er ruft beim Betrachter Erwartungen hervor, die konsequent nicht erfüllt werden. Während das Cover sich augenscheinlich an ein männliches Klientel richtet, die an dem darauf gebildeten „girl“ Gefallen finden könnte, läuft der Inhalt des Clips jeder männlichen Erwartungshaltung, die mit dem Cover verknüpft werden könnte, zuwider: Die radikale, kompromisslose und selbstbewusste Protagonistin hat mit dem mit der Kamera kokettierenden Girl nichts gemeinsam. Durch diesen Bruch zwischen suggeriertem Anspruch und tatsächlicher Botschaft des Clips werden die darin präsentierten Bilder noch wirksamer. Bei genauer Betrachtung hinterlässt allerdings selbst das Cover eine gewisse Irritation: Auf den ersten Blick durchaus 200 Immerhin ist die Künstlerin zu diesem Zeitpunkt bereits 42 Jahre alt und dem Mädchen-Alter längst entwachsen! 89 als sexistisch zu bezeichnen, gewinnt man doch den Eindruck dezenter Ironie und eines Überlegenheitsanspruches, die Madonna in ihren Blick und die herausfordernde Zungenbewegung legt. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass hinter jedem neuen Madonna-Produkt immer auch eine Marketing-Strategie steckt, der es darum geht, das Produkt möglichst gewinnbringend zu verkaufen. 2.4.2.4 Interpretation Das Video veranschaulicht nach Madonnas eigener Aussage ihren Charakter: „Ich lebe meine Phantasie aus und mache Dinge, die Mädchen nicht machen dürfen“ 201 ― ein Bekenntnis, das ― im Hinblick auf die durch die Bilder zur Schau gestellte Brutalität ― nicht nur befremdlich, sondern beinahe zynisch anmutet. Auf der anderen Seite zeigt der Videoclip „What It Feels Like For A Girl“ eine starke, selbstbewusste, aber auch vom Leben gezeichnete Frau (Alkoholismus, Tablettensucht), die sich nicht länger von Männern Vorschriften darüber machen läßt, wie sie sich zu verhalten habe, und wo ihr Platz in der Gesellschaft sei. Dieser Anspruch auf Selbstbestimmung geht aber ― und das ist die zynische Botschaft des Clips ― nicht mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen konform, sondern fordert Opfer ― was, wie der Clip zeigt, auch im wörtlichen Sinne zu verstehen ist ―: zuletzt auch das eigene Leben. Der Clip prangert in einer radikalen Umkehrung der realen Verhältnisse die gesellschaftlichen Zustände in einer von Männern dominierten Welt an und greift damit ein „traditionelles“ Thema der Künstlerin Madonna auf: die unterprivilegierte Stellung von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft und der Entwurf alternativer Rollenmodelle. 202 Dies geschieht in erster Linie durch ein Spiel mit Klischees: Sie parodiert stereotypes männliches Rollenverhalten, indem sie es übertrieben und vor allem akkumulierend adaptiert. Als „Lady“ tritt sie Männern gegenüber, um sie mit ihrem eigenen, zum Teil absurd-lächerlichen Verhalten zu konfrontieren, und sie die Demütigungen und Verletzungen erfahren zu lassen, die Frauen alltäglich durch männliche Gewalt erfahren. Sie ist eine Gangsterin, die in Motels wohnt, in denen sie ihre Anonymität wahren kann, da sie sich offensichtlich permanent auf der Flucht befindet. Ihre zahlreichen Personalausweise dienen aber nicht nur dazu, ihre wahre Identität zu 201 Madonna, zit.n. Morton 2002, S. 409. Wobei durch die zahlreichen Menschenleben, die der im Videoclip unterbreitete Alternativentwurf fordert, deutlich wird, dass es sich dabei nicht um einen ernstzunehmenden Vorschlag handeln kann! Er spielt nur ein Modell durch, dass der gegenwärtigen, von Männern dominierten Gesellschaft den Spiegel vorhalten soll! 202 90 verschleiern, sondern sind auch ein Symbol dafür, dass sie als Figur austauschbar ist: Sie könnte jede Frau, in jedem beliebigen amerikanischen Bundesstaat sein, ihre wahre Identität spielt bei der „Mission“, die sie zu erfüllen hat, keine Rolle: nämlich, durch ihren „Kreuzzug“ alle Frauen zu rächen, die Opfer männlicher Gewalt waren und noch sind. Dafür nimmt sie die Rolle des Täters an, indem sie sich dessen Gewohnheiten zu eigen macht (Wodkatrinken), sich über seine Interessen informiert (Waffenzeitschrift, Tattoos, Kraftsport, schnelle Autos) und sogar straffällig wird (Kurzschließen des Camaro). Auch der Blick im Clip scheint männlich: Die muscle cars stehen im Mittelpunkt, zum Ausdruck gebracht durch die vielen Details wie Tacho, Schaltknüppel, Motor oder durchdrehende Reifen. Ganz besonders deutlich wird der männliche Blick bei der Inszenierung des Firebirds: Die höchste Steigerungsmöglichkeit männlicher Automobilträume wird präsentiert wie ein Sportler kurz vor dem Wettkampf. Die Kamerafahrt, die den filmischen Effekt des Verliebens zitiert, erzeugt einen Moment lang den Eindruck, als handele es sich bei dem Wagen um ein libidinöses Subjekt, in dessen Gegenwart dem Betrachter der Atem stocken müsste. Auch die Art und Weise, in der die Protagonistin Auto fährt, ist männlich: Der Gestus des linken Arms, der lässig aus dem Fenster hängt, das Aufheulenlassen des Motors, die quietschenden Reifen beim Anfahren, die Vollbremsung vor dem Mülleimer. Sie eignet sich alle Dinge an, denen Männer besondere Wertschätzung entgegenbringen: Macht, Kontrolle, Besitz, dargestellt durch Geld und getunte Autos. Konfrontiert mit der Absurdität des eigenen Verhaltens sind sie ratlos. Dabei macht sich die Protagonistin den Überraschungseffekt zunutze: Nur solange niemand von ihr ein solches Verhalten erwartet, kann sie mit ihrem Handeln Erfolg haben. Das zeigt sich bereits in der ersten „Gewalt“-Szene, in der die Protagonistin an der Ampel wartend den jungen Männern im Auto neben sich begegnet. Obwohl sie diejenige ist, die den Kontakt sucht, und obwohl die an ihrem Rückspiegel baumelnden Würfel in der Sprache der Straße ihre Bereitschaft zu einem Straßenrennen signalisieren, scheint die Möglichkeit, dass die Protagonistin etwas anderes als einen Flirt im Sinn haben könnte, völlig außerhalb des Vorstellungsbereichs der jungen Männer zu liegen. Sie wird von den Männern auf ihre weibliche Rolle der „Pussycat“ reduziert, was schließlich der Auslöser für ihre ausbrechende Aggressivität zu sein scheint. Dabei ist aufgrund der akribischen Vorbereitungen der Protagonistin im Motel davon auszugehen, dass sie das 91 Missverständnis bewusst provoziert, um den Überraschungseffekt für sich zu nutzen und ihr Gegenüber im wahrsten Sinne des Wortes „vor den Kopf“ zu stoßen. Madonna beschränkt sich allerdings nicht auf die Imitation der Männerwelt, sondern zerstört sie gleichermaßen, wörtlich wie im übertragenden Sinn: Um dem Betrachter die destruktive Kraft männlicher Gewalt vor Augen zu führen, richtet sie diese gegen ihre Urheber selbst. Die Opfer, die sie sich dabei aussucht, wählt sie scheinbar willkürlich aus ― so zufällig wie die verschiedenen Identitäten, derer sie sich selbst bedient. Daher ist auch nicht davon auszugehen, dass es sich um einen persönlichen „Rachefeldzug“ handelt, sondern es ihr vielmehr darum geht, ein Exempel zu statuieren, im Namen aller Frauen, die Opfer männlicher Gewalt geworden sind. Somit liefert der Videoclip zu „What It Feels Like For A Girl“ die abschreckende Antwort auf die bereits im Titel aufgeworfene Frage, wie sich ein Mädchen in einer Gesellschaft fühlt, in der Frauen eine unterprivilegierte Stellung einnehmen und in der in bestimmten Kreisen die Bezeichnung „Mädchen“ die größtmögliche Form der Beleidigung darstellt. Sie lässt die Männer, an die der Clip adressiert ist, und die sich mit den Opfern identifizieren sollen, spüren, wie es sich anfühlt, ein Opfer körperlicher Gewalt zu sein, bedroht, vorgeführt und erniedrigt zu werden, zumal von einer vermeintlich schwächeren Person. Darüber hinaus kann er auch als Anklage gegen eine Gesellschaft verstanden werden, in der Opfer erst zu Tätern werden müssen, um mit ihren Interessen wahrgenommen zu werden. Madonna inszeniert ein Gewaltszenario um einem gewalttätigen System den Spiegel vorzuhalten. Gleichzeitig streicht sie aber ― vorgeführt durch das drastische Ende der Protagonistin ― auch heraus, dass es aus dieser Spirale der Gewalt an einem bestimmten Punkt keinen Ausweg mehr gibt, nämlich dann, wenn sich die Aggression des Täters gegen sich selbst richtet. Die Rolle Protagonistin der gehören alten Dame scheint unterschiedlichen zunächst ungewiß. Generationen an Sie und und die leben in unterschiedlichen Welten: Während sich die junge Frau als Straftäterin permanent auf der Flucht befindet, lebt die alte Frau in einem Pflegeheim und ist auf die Hilfe Anderer angewiesen. Wie eine in der Erzählchronologie weiter hinter angeordnete Einstellung zeigt, scheint die alte Dame allerdings großes Interesse an schnellen Autos zu haben: Während sie vor dem Fernseher sitzt und sich ein Autorennen, ein Roadmovie oder etwas ähnliches ansieht, wird sie vom Geschehen derart ergriffen, dass sich ihre innere Anteilnahme in körperlichen Reaktionen äußert: Sie krallt sich 92 ― wie in der Beschreibung des Clips bereits erwähnt ― mit den Fingern in der Armlehne des Sessels fest. Diese Reaktion ist um so auffälliger, da die alte Dame sich in ihrem sonstigen Verhalten eher lethargisch, geistig abwesend zeigt. So könnte man zu dem Schluss kommen, dass die beiden Frauen die Freude an schnellen Autos und das damit verbundene männliche Verhalten zu verbinden scheint. Die Protagonistin lebt es aus, und gibt der alten Dame die Möglichkeit, daran teilhaben zu können. Diese ist als Stellvertreterin einer Generation anzusehen, in der die Rollenzuweisung der Geschlechter eine noch viel restriktivere war als in der gegenwärtigen Zeit. Auch die alte Dame ist ein „girl in this world“, und hat sich ihr Leben lang vermutlich männlichen Wünschen und Vorstellungen unterordnen müssen. Die Tatsache, dass die beiden Frauen sich für die Autofahrt präparieren, in dem sie sich Schutzkleidung anlegen, lässt auf eine gewisse Routine der Vorgehensweise schließen. Offensichtlich unternimmt das ungleiche Paar des öfteren diese Art von Ausflügen. Madonnas Hämatom unter der Brust unterstützt diese Vermutung zusätzlich. Der Selbstmord gilt als das typische Ende eines Roadmovies und ist Ausdruck von Nicht-Passivität. Die Protagonistin bestimmt selbst über das eigene Leben und darüber, wann sie es beenden will. Andererseits hat sie aus moralischethischer Perspektive keine andere Möglichkeit, als sich das Leben zu nehmen, denn als Täterin hat sie sich der gleichen Verbrechen schuldig gemacht, die sie ihren Opfern zum Vorwurf gemacht hat, als diese noch Täter und sie selbst das Opfer war. Darüber hinaus müssen starke Frauen am Ende von Hollywoodfilmen immer sterben, denn für sie gibt es ― das vermittelt auch der Videoclip zu „What It Feels Like For A Girl“ ― keinen Platz in der Gesellschaft. Das Thema des weiblichen outlaw, auf das dieser Clip referiert, kann im Mainstream als vorausgesetzt angenommen werden. Hollywoodfilme wie der 1991 produzierte „weibliche“ Roadmovie „Thelma & Louise“ 203 zeigen in systemkritischer Weise auf, wie eine von Männern dominierte Gesellschaft auf weibliche „Ausbruchs“-Versuche reagiert. Auch hier bleibt dem Frauenpaar am Ende nur noch die Flucht in den Selbstmord, denn als outlaws gibt es für sie keinen Platz mehr in der Gesellschaft. 204 203 Regie: Ridley Scott, mit Susan Surandon und Geena Davis in den Hauptrollen. Zwei Freundinnen, eine Hausfrau und ein Serviererin, wollen ein Wochenende ohne Männer verbringen. Bei diesem Versuch, ihre Freiheit zu finden, geraten sie in unvorhergesehene Probleme: Eine der beiden Frauen wird von einem rüden Kneipengänger sexuell belästigt, woraufhin ihre Freundin den 204 93 Heinz Geuen und Michael Rappe verweisen außerdem auf den spirituellen Zusammenhang, der zwischen dem Madonna-Clip und den Arbeiten von Virginie Despentes und Coralie Trinth Thi besteht, die in ihrem Film „Baise Moi“ aus dem Jahre 2000 „die Ausweglosigkeit weiblichen Aufbegehrens zutiefst verstörend darstellen.“ 205 Auch die Protagonistin in „What It Feels Like For A Girl“ „verspielt“ durch ihr Verhalten ihren Anspruch auf einen Platz in der Gesellschaft, in die eine Rückkehr nicht mehr möglich ist, auch weil er einen persönlichen Rückschritt bedeuten würde. Neben den beiden oben angeführten filmischen Referenzen legt die Thematik des Clips einen Vergleich mit der zu Tode verurteilten, als erster weiblicher amerikanischer „serial killer“ bekannt gewordenen Aileen Wuornos nahe. Der „Fall“ Wuornos erregte in den 1990er Jahren in der amerikanischen Öffentlichkeit nicht nur deshalb so viel Aufsehen, weil sie eine mordende Frau war, sondern weil sie ihre Opfer scheinbar willkürlich auswählte und dabei mit äußerster Brutalität vorging. Die ehemalige Prostituierte, die von frühester Kindheit an den Umgang mit Männern als gewalttätig, sexualisiert, verletzend und demütigend erfahren hatte, und in den 1980er und 1990er Jahren sieben ihrer Freier tötete, wurde 1992 zum Tode verurteilt und zehn Jahre später hingerichtet. Der Prozess avancierte zu einem regelrechten Medienspektakel und verhalf nicht nur der Hauptverdächtigen, sondern auch ihrem Anwalt zu zweifelhafter Popularität, wie der Dokumentarfilmer Nick Broomfield in seinen beiden Portraits über Wuornos darlegte. 206 Zuletzt erinnerte der von Patty Jenkins im Jahre 2003 gedrehte Film „Monster“ mit Charlize Theron in der Hauptrolle an das Leben und die Hinrichtung von „Amerikas erster weiblicher Serienkillerin.“ Auch der Fall Wuornos’ beschreibt das Schicksal einer Frau, die sich mit ihrer Opferrolle nicht länger abfinden wollte. Aus Wuornos’ Lebensbeschreibungen und dem Film „Monster“ geht hervor, wie sich ein Mädchen fühlt, das am untersten Ende der sozialen Hierarchie steht: verletzt, mißbraucht, ausgenutzt, gedemütigt, verlassen und um die eigenen Lebensträume betrogen. Wie in Madonnas Video-Clip sieht Wuornos ihre einzige Möglichkeit, sich Mann erschießt. Für den Rest des Films werden sie vom FBI gejagt. Auf ihrer Flucht streben sie kompromisslos ihre Freiheit an und emanzipieren sich so von der Männerwelt. Am Ende ihres Rachefeldzugs, von männlichen Polizisten umstellt, entscheiden sie sich für den Selbstmord. 205 Geuen/Rappe 2003, S. 47. – Nach einer Vergewaltigung ermordet Nadine ihren Peiniger. Auf der Flucht trifft sie Manu, die ebenfalls Schlimmes erlebt hat. Die beiden Frauen begeben sich zusammen auf die Flucht durch die französische Provinz, wobei sie ein Leben jenseits aller Konventionen und Wertvorstellungen führen, aus dem es schließlich kein Zurück gibt. Auch hier steht am Ende der Tod, die Kapitulation. 206 „Aileen Wuornos: The Selling of a Serial Killer“ (1992) und „Aileen: Life ans Death of a Serial Killer“ (2003), Regie: Nick Broomfield. – Ebenfalls 1992 entstand unter der Regie von Jean Smart der Fernsehfilm „Overkill: The Aileen Wuornos Story“. 94 in dieser als gewalttätig und rücksichtslos erfahrenen Welt zu behaupten, darin, männliches Verhalten anzunehmen: Sie verhält sich im Alltag wie ein Mann, kleidet sich wie ein Mann, geht wie Mann, lacht wie Mann, umgibt sich nur mit Männern, besucht Männer-Kneipen, trinkt Bier und Schnaps und erzählt Männer-Witze. Einzig ihr „Beruf“ und nicht zuletzt die Beziehung zu einer anderen Frau, von der sie zum ersten Mal in ihrem Leben Liebe erfährt, bringen sie immer wieder mit ihrer eigenen Weiblichkeit und ihrer emotionalen Seite in Konflikt. Wie bereits in der Einleitung dieses Kapitels dargestellt, wurde die Verweigerung einer Ausstrahlung von „What It Feels Like A Girl“ von den Musiksendern mit dem Argument der darin zur Schau gestellten Gewalt begründet. Tatsächlich werden, wie die Clipbeschreibung darstellt, die entscheidenden Szenen jedoch gar nicht gezeigt. Doch gerade darin, dass die Auswirkungen der Gewalt für den Betrachter nicht sichtbar sind, sehen Medienwissenschaftler die eigentliche Gefahr, da auf diese Weise das Ausmaß und die Tragweite der Handlungen verharmlost bzw. heruntergespielt werde. Betroffen seien vor allem junge Rezipienten, deren soziale Kompetenz und ethisches Verantwortungsbewusstsein noch nicht voll ausgereift und bei denen das Gesehene daher zu Handlungsmodifikationen führen könnte. Im Bezug auf den oben besprochenen Clip könnte das zum Beispiel bedeuten, dass sich jugendliche Zuschauer, die sehen, wie eine Tankstelle „in die Luft“ geht und sich von der Darstellung ästhetisch angesprochen fühlen, dadurch zur Nachahmung animiert werden könnten. Es stellt sich allerdings die Frage, zu welchen Konsequenzen es in der Gesellschaft führen würde, wenn die Masse der täglich in Filmen und Fernsehsendungen konsumierten Gewaltdarstellungen in Taten umgesetzt würde. So scheint es eher plausibel hinsichtlich der Wirkungen von Videoclips von dem Verständnis eines eindimensionalen Ursache-Wirkung-Modells abzurücken. Darüber hinaus kann es nicht ausreichen, einzelne Bildelemente ― ähnlich wie Freud ― aus dem Gesamtzusammenhang zu isolieren und auf ihre einseitige Funktion als Symbole für gefährliche Triebwünsche zu reduzieren, etwa ein zertrümmertes Auto als Propagierung von Gewalt, oder hautenge Kleidung, rote Lippen und nackte Haut als Aufforderung zu Promiskuität. So scheint letztlich die Tatsache, dass eine Frau, die einen Rachfeldzug gegen die Männerwelt führt, die Musiksender dazu bewegt zu haben, den Clip nicht auszustrahlen. Obgleich Madonna einer von MTVs „Darlings“ ist, verbietet es ihr 95 allein die simple Tatsache, dass sie eine Frau ist, ihre Meinung zu äußern ― ganz im Gegensatz zu den zahlreichen rappenden Männern, die den Betrachter nicht selten selbstverliebt an ihren intimsten Phantasien teilhaben lassen und dafür anerkennenden Beifall ernten. Auch das zeigt auf augenfällige Weise, „what it feels like for a girl“! Der Madonna Clip spiegelt den Zorn der Künstlerin über das nicht vorhandene Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern wieder. Andrew Morton erkennt in ihr eine „zeitgemäße Popversion von Puccinis Opernheldin Turandot“ 207 , die sich an der Männerwelt rächt. Dabei stehen, so Morton, das Video „wie die ganze Bilderwelt ihres Drowned World-Konzertes völlig im Kontext der Themen, mit denen sie sich während der letzten vergangenen 20 Jahre beschäftigt hat.“ 208 Denn auch hier verhandelt geschlechtlichen sie Zwiespalt die und Beziehung zwischen den ungelösten den Geschlechtern, den Konflikt der Frau in der patriarchalen Gesellschaft, die durch und durch weiblich und sich ihrer Sexualität bewusst sein, doch zugleich die Kontrolle über ihr Leben haben will. War sie in ihrem „Drowned World / Substitute for Love“-Clip (1998, Clip 08) noch Opfer von der von Männern dominierten Massenmedien, so sei sie in „What It Feels Like For A Girl“ zur Rächerin geworden. Rache ist ein Thema, was sie in ihrer „Drowned World“-Tour 2001 noch weiter ausgebaut hat: In einer Szene erschießt Madonna ihren männlichen Peiniger, in einer anderen erhebt sie als rachsüchtige Geisha gekleidet das Schwert gegen ihren Angreifer. Bilder geschlagener Frauen [drängen] von Videoschirmen auf die Zuschauer ein. 209 Die von Madonna kultivierte „Mrs. Ritchie“-Gestalt ist demnach genauso kalkuliert wie alle anderen Madonna-Gestalten auch. 3. MADONNAS MACHT ÜBER DIE BILDER Diesmal fühlt es sich seltsam an, anders als sonst. Der Bedeutungs- und Zeichenkomplex „Madonna“ ist dabei, aktualisiert zu werden, aber das Wichtigste scheint irgendwie zu fehlen. Die Single „American Life“ steht in den Läden und läuft im Radio, ab Dienstag wird auch das gleichnamige Album zu haben sein ― aber dort, wo man das Zentrum vermutet, klafft eine riesige Lücke. [...] Madonna hat das Video, das ihr Image auf den Stand der Gegenwart gebracht hätte, praktisch 207 208 209 Morton 2002, S. 410. Ebd., S. 409. Ebd., S. 410. 96 während der Veröffentlichung schon wieder zurückgezogen. [...] Ein Madonna-Album ohne neue Madonna-Bilder hinterlässt eine frappierende Leere, die auch vom Rest des Popbetriebs nicht gefüllt werden kann. Da, wo sie noch vor kurzem war, klafft nun praktisch ein Krater, gefüllt mit nichts. 210 Obgleich diese Veröffentlichung Zeilen, von mit denen Madonnas Tobias neuntem Kniebe Album seinen „American Artikel über Life“ 211 in die der Süddeutschen Zeitung vom 17. April 2003 einleitet, theatralisch anmuten, lassen sie dennoch erkennen, wie sehr der Madonna-Diskurs vom Visuellen bestimmt wird. „Hören statt sehen“, schreibt Der Spiegel, „das ist eine neue Dimension der Madonna-Rezeption, so erscheint es beinahe logisch, dass ‚American Life’ in vielen Kritiken schlechter abschneidet als die beiden vorherigen Alben ‚Ray Of Light’ und ‚Music’“. 212 Das Cover (Anhang I, Abb. 09) zeigt ein schwarz-weißes, im Siebdruck-Stil gehaltenes Portrait der Künstlerin, das durch Kappe, Haltung und Mimik an das berühmte Konterfei des kubanischen Guerillakämpfers und Revolutionärs Ernesto „Che“ Guevara erinnert ― seit den 1960er Jahren, vor allem bei der politisch Linken, ein Symbol für Widerstand ―, wodurch offensichtlich die Stoßrichtung vorgegeben werden soll: Zwei blutrote Streifen ziehen sich auf Höhe des linken Auges und der Stirn als einzige farbliche Elemente über das Portrait, während im Hintergrund eine zerrissene, stilisierte amerikanische Flagge zu erkennen ist. Das dazugehörige Video wurde allerdings nach nur einem Tag Ausstrahlung „[o]ut of respect for armed forces“ von Madonna wieder zurückgezogen 213 , denn der Clip zeigt die Künstlerin, wie sie als „paramilitärische Kämpferin über den Laufsteg flaniert und mit drastischen Bildern die Kriegstreiberei George W. Bushs anprangert [...]“ 214 ― offensichtlich eine zu große Zumutung für den amerikanischen Durchschnittskonsumenten. Durch das Zurückziehen des Videos verzichtete sie auf einen wesentlichen Teil ihrer Performance, der dazu hätte beitragen können, die „neue“ Madonna zu verorten ― eine Tatsache, die bei Kniebe zu einer „irrationalen Sehnsucht nach Madonna-Bildern“ führt. Seiner Meinung nach hätte ein Videoclip „vielleicht alles 210 Kniebe, Tobias: „Madonnas Neue“, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.04.2003. Produziert von Madonna und Mirwais Ahmadzai, mit dem sie schon bei ihrem letzten Album „Music“ zusammengearbeitet hat. 212 Borcholte, Andreas: „Madonnas ‚American Life’. Adieu Jugendwahn“, in: Spiegel online vom 23.04.2003, http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,245642,00.html, Zugang: 29.06.2005. 213 Vgl. Mertin, Andreas: „Abgesang einer Madonna“, in: Magazin für Theologie und Ästhetik 23/2003, http://theomag.de/23/am92.htm; Zugang: 14.06.2005. 214 Borcholte 2003. 211 97 geklärt [was durch Musik und Text des neuen Albums allein eben unklar geblieben ist; Anmerkung d.V.], genial auf den Punkt gebracht und eine gültige Madonna für die nächsten Monate geschaffen“ 215 ; denn dass die Bilder dem jeweiligen Song oftmals erst die eigentliche Bedeutung verleihen, konnte an allen im Zentrum dieser Arbeit stehenden Videoclips aufgezeigt werden. Die Madonna-Rezeption ist ― wie in den obigen Zitaten stellvertretend für den Madonna-Diskurs zum Ausdruck gebracht wurde ― in erster Linie eine visuelle, wobei die materiale Beschaffenheit ihrer Musik und ihre Qualitäten als Sängerin von nur sekundärem Interesse waren und sind. So vertritt Laurenz Volkmann auch die Meinung, dass Madonna [...] wohl mit ihrer dünnen Trällerstimme und den zweideutigen Texten eines der damaligen One-Hit-Wonders geblieben [wäre], eine Pop-Saisongröße wie die Go-Go’s, Bananarama, die Bangles, Cyndi Lauper [...], hätte sie nicht passend zum neuen Medium MTV ein visuelles Image kreiert, das von Pop-Journalisten als Auftritt eines grellen Nightlife-Girls beschrieben wurde, wie bei „dem Mädchen von der Straße, mit dem freien Bauchnabel und den ausgefallenen Oberteilen, mit den Netzröcken, den dicken Socken, den Kruzifix-Ohrringen und den unzähligen GummiArmreifen.“ 216 Das Medium Videoclip wurde von Anfang an von Madonna genutzt, um ihre Popularität aufzubauen, ihr jeweiliges Image zu kreieren und umzuwandeln. Die Wandelbarkeit der Kunstfigur Madonna ist ihre zentrale Eigenschaft und wahrscheinlich auch der wichtigste kommerzielle Aspekt des bis heute fast lückenlos erfolgreichen wesentlichstes, Stars. So verkaufsförderndes Wandlungsfähigkeit“ hervor 217 hebt Claudia Merkmal ihre Bullerjahn als Madonnas „chamäleonartige visuelle , während Boris Penth und Natalia Wörner in ihr „die wandelbarste Projektionsfläche in Form eines menschlichen Stars“ 218 erkennen, die dieses Jahrhundert geschaffen hat. Mit ihrer unerschöpflichen Verwandlungsfähigkeit fordert sie den Betrachter jedes Mal wieder heraus, sie als Künstlerin neu zu begreifen. 219 Bullerjahn erkennt in diesen fortwährenden Imagewechseln eine Möglichkeit, das „Produkt Madonna“ 215 Kniebe 2003. Voller, Debbi: Madonna. Eine illustrierte Biographie von Debbi Voller, Rastatt: Moewig 1990 [engl. Original 1988], S. 48; zit.n. Volkmann. 217 Bullerjahn 2001, S. 217. 218 Penth, Boris/Wörner, Natalia: „Das elfte Gebot: Madonna Ciccone“, in: Diederichsen, Diedrich/Dormagen, Christel/Penth, Boris/Wörner, Natalia: Das Madonna Phänomen, Hamburg 1993, S. 28. 219 Vgl. Bronfen, Elisabeth: „Von der Diva zum Megastar ― Cindy Sherman und Madonna“, in: Bronfen, Elisabeth/Strautmann, Barbara: Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München: Schirmer/Mosel 2002, S. 204. – Wie der Titel dieses Aufsatzes schon andeutet, wird Madonnas Aneignung von Images populärer Stars (Monroe, Dietrich, Minelli, Hayworth, ...), die die Einzigartigkeit eines Stars damit als eine Täuschung enttarnt, oftmals mit den Fotoaufnahmen Cindy Shermans verglichen, in denen sie verkleidet Posen verschiedener Hollywoodstars der fünfziger Jahre einnimmt. 216 98 immer wieder neu beim Konsumenten anpreisen zu können, und mit jeder neuen Single, jedem dazugehörigen Clip und jedem Album die Erwartungshaltung bei Fans und Kritikern zu erhöhen. Sie vergleicht dieses Marketing-Konzept mit der Vermarktung von Alltagsgegenständen, bei denen ebenfalls von Zeit zu Zeit das Design verändert werden müsste, um es für den Verbraucher erneut interessant wirken zu lassen und ihn zum kaufen zu bewegen. 220 Durch ihre Musikvideos hat Madonna von Anfang an „Einblick in die Herstellung ihres Starkörpers geboten.“ 221 Das Musikvideo versteht sie, wie sie selbst erklärt, „als filmischen Ausdruck ihrer Songs, als lyrische Kurzform des Spielfilms, die das visuell umsetzt, wovon der Song erzählt.“ 222 Das Musikvideo ist das Medium, in dem sie unter eigener Regie das Spiel zwischen Macht und Lust für die Definition weiblicher Subjektivität erproben, weibliche Stereotypen auf die Spitze treiben und fröhlich demontieren, und die Blickverhältnisse kritisch beleuchten, die in konventionellen Darstellungen weiblicher Stars wirksam sind. 223 In den Clips ist es ihr möglich, die geschlechtlichen Identitäten als Maskeraden durchzuspielen und die fließenden Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit („Express Yourself“ und „What It Feels Like For A Girl“) aufzuzeigen. Madonnas Maskerade der exzessiven Weiblichkeit, wie sie sie z.B. in den frivolen Dessous eines Jean-Paul Gautier inszeniert, bewirkt eine Kritik der „natürlichen“ Geschlechtsunterschiede; denn eine solche Darstellung verweist auf die soziale Konstruktion der Geschlechtsunterschiede, im Gegensatz zur natürlichen Determination. Sie trägt nicht nur „Weiblichkeit als Maskerade“ („Open Your Heart“), sondern auch „Männlichkeit als Maskerade“ („Justify My Love“), wie Corinna Herr in ihrem Aufsatz darstellt. 224 Dieser Austausch von Masken erfolgt entweder zwischen ihren Auftritten, oder aber innerhalb einer einzelnen Performance, wie etwa in „Express Yourself“. Madonna sucht in ihren Videobildern nach einer erotischen Sprache, die die Frau nicht zwangsläufig zum Sexualobjekt degradiert. Indem sie Körpergrenzen überreitet und durch immer wieder neue Inszenierungen die unerschöpfliche Vielfalt an Möglichkeiten der Imagekonstruktionen darstellt, zeigt sie auf, dass es keine essentiellen Kategorien von Geschlechtlichkeit gibt. So ist es kein Widerspruch, 220 221 222 223 224 Vgl. Bullerjahn 2001, S. 217. Bronfen 2002, S. 208. Ebd. Ebd. Vgl. Herr 2003, S. 343 ff. 99 wenn sich das „Girlie“ zur Domina, danach zur Mystikerin und zur Auftragskillerin entwickelt. Madonna hat viele Gesichter. 225 Sie erscheint in immer wieder neuen, dem Zeitgeist entsprechenden Erscheinungen, womit sie sich als Künstlerin nicht nur ― wie oben ausgeführt ― immer wieder neu „erfindet“, sondern auch auf die Schnelllebigkeit Veränderung, der der Medienkultur Madonna reagiert. ihre Die wechselnden Popbranche lebt von der Weiblichkeitsinszenierungen entgegensetzt. Denn durch die stete Wiederholung in Radio, Fernsehen und Internet, in der sie „on heavy rotation“ zu hören und sehen ist, nutzen sich die Bilder schnell ab und nicht nur ihre Attraktivität, sondern vor allem ihre Wirkkraft. Durch ihre permanenten kreativen Imagewechsel entgeht Madonna der nivellierenden Wirkung durch die postmodernen Medien. Heinz Geuen und Michael Rappe sprechen von einer „chromatischen Identität der Pop-Künstlerin Madonna.“ 226 Damit bezeichnen sie die Facetten einer permanenten musikalischen und visuellen Neu-Konstruktion, die soziokulturell geprägte Stile und Habitualisierungen ebenso umfasst wie Versatzstücke von Kunst und Mode und sich dabei genauso eindeutig wie in den Mainstream-Traditionen des Pop bewegt wie in deren Randbereichen. 227 Dabei spiele die ausschließliche. Visualisierung eine zentrale Rolle, wenn auch nicht die 228 Der Videoclip ist allerdings das ideale Medium für eine Künstlerin, die auf simultanen Ebenen musikalische, narrative und symbolische Strukturen aufspaltet und so eine permanente polysemantische Multidiskursivität erreicht, mit der sie ihr Thema ― Macht, Kontrolle und Unterwerfung ― stets aufs Neue inszeniert. 229 So konnte aufgezeigt werden, dass es in all ihren unterschiedlichen Visualisierungen dennoch immer um die Themen um Macht und Kontrolle geht, das dem jeweiligen Image entsprechend in einer anderen Variation erscheint. So ist es in „Burning Up“ die Kontrolle über den Look, in „Express Yourself“ die sexuelle Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit, die ihr die Macht verschafft. In „Frozen“ sind es Lebensweisheit und Naturverbundenheit, und in „What It Feels Like For A Girl“ die Dekonstruktion des männlichen Geschlechts durch einen ― wenn auch zynisch konnotierten ― Rollentausch. 225 „Alle Charaktere, die ich mir ausdenke, sind Teile von mir. Selbst wenn ich lüge ― die Lüge, die man sich aussucht, erzählt viel über einen selbst.“ Madonna in einem Interview mit Detlef Diederichsen, in: Diederichsen, Detlef: „Es gibt keine Grenzen“, in: Die Woche vom 21.10.1994. 226 Geuen/Rappe 2003, S. 51. 227 Ebd. 228 So zeige das Album „Music“ „einen Grad musikalischer Autonomie Madonnas, der in früheren Veröffentlichungen kaum je erreicht worden war.“ Ebd. 229 Ebd. 100 Den Widerspruch zwischen dargestellter Person und Darstellerin setzt sie dabei selbstbewusst ein, indem sie ihren Inszenierungen immer die Person der disziplinierten Künstlerin gegenüberstellt. Dabei streicht sie deutlich heraus, dass sie alle Entscheidungen ― vom Entwurf über die Produktion bis zur Vermarktung ihres Starkimages ― selbst trifft. Sie hat die Kontrolle über alles, was sie tut.230 Im Hinblick auf diese höchst perfektionierte Form der Selbstbestimmung spricht Claudia Bullerjahn deshalb auch von der „Macht der Selbsterfindung“ 231 , der sich die Künstlerin bediene, um die Kontrolle über ihr Image zu wahren; und nach John Fiske beruht Madonnas Attraktivität für ihre Fans „weitgehend auf ihrer Kontrolle über ihr eigenes Image und ihrer Bekräftigung ihres Rechtes auf eine unabhängige feminine Sexualität.“ 232 Die Bilder des „Produktes Madonna“, die zwischen Macht und Unterwerfung, Sexualsubjekt und –objekt hin und herpendeln, entziehen sich einer eindeutigen Lesart. Die Entschlüsselung hängt von verschiedensten Faktoren wie der sozialen Herkunft, dem Bildungsniveau und persönlichen Erfahrungen des Rezipienten ab. Dies bedeutet, dass Madonna-Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahrgenommen werden können. Ein Beispiel für eine absolut konträre Wahrnehmung von Madonna-Bildern bietet die afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin Bell Hooks, die in einem Artikel mit der Überschrift „Sklavenhalterin oder Soul Sister?“ 233 „Madonnas vermeintlich feministisches Programm der sexuellen Befreiung als Adaption männlicher Sexualität [beschreibt], die diese für ihre mittelschichtorientierte Aufstiegsideologie funktionalisiere.“ 234 So ist nach Hooks „die künstlerische Adaption von Ausdrucksformen der schwulen Subkultur [...] von männlicher Sexualität dominiert“, so dass sie zu dem Schluss kommt, „dass von emanzipatorischem Denken bei Madonna nicht im Entferntesten die Rede sein könne.“ 235 230 Auf diese Weise unterlaufe sie den „Mythos des spontanen, authentischen Rock-’n’-Roll-Musikers.“ Bronfen 2002, S. 206. - Nach Lisa A. Lewis verkörpert sie deshalb das kulturelle Phänomen des „Pop“, denn die Popkultur erhebt nicht, im Gegensatz zum „Rock“, den Anspruch auf Authentizität des Rockmusikers, die Übereinstimmung von öffentlichem Image und persönlicher Subjektivität. Vgl. Lewis, Lisa A.: „Gender Politics And MTV: Voicing The Difference” (1990), in: Benson, Carol/Metz, Allan (Hrsg.): The Madonna Companion. Two Decades Of Commentary, New York 1999, S. 229. 231 Bullerjahn 2001, S. 223. 232 Fiske 2003, S. 133. 233 Vgl. Hooks, Bell: „Madonna. Sklavenhalterin oder Soul Sister?“, in: Dies. (Hrsg.): Black Looks. Popkultur ― Medien ― Rassismus, Berlin: Orlanda Frauenverlag 1994, S. 194-203. 234 Geuen/Rappe 2003, S. 50. 235 Ebd., S. 50 f. 101 Somit ist es gerade und vor allem die in Madonnas Songs und Musikvideos angelegte Mehrdeutigkeit, die ihr zum Erfolg verholfen hat, denn Ambivalenz eröffnet den größten Zuschauerkreis. So ist es möglich, dass sowohl Teenager, als auch junge Frauen, Männer, Feministinnen und Wissenschaftler Anknüpfungspunkte finden. So bezeichnet Claudia Bullerjahn die Videobilder Madonnas auch als „Vexierbilder“, die je nach Standpunkt des Betrachters in ihrer Bedeutung „umkippen“. Sie sind im Sinne Umberto Ecos (1977) „offene Kunstwerke“. Es macht die Popularität von Madonnas Videos aus, dass sie auch aus patriarchalem Blickwinkel rezipiert werden können. 236 Somit verfehlen ihre Videoclips jede klare Aussage und erlauben eine mehrdeutige Auslegung. Dabei ist die Mehrdeutigkeit postmoderner Texte nicht als ein Makel zu betrachten. Die Bedeutungen eines Clips liegen nicht im Clip selbst, sondern in der Praxis, d.h. in dessen Rezeption, denn die Wirkungen eines Clips werden im Diskurs um den jeweiligen Star festgelegt. Clips, die von MTV mit der Zensur belegt werden, sind besonders wirkungsvoll, weil sie dadurch zum Gegenstand lebhafter Diskussionen werden. Am Beispiel von „Justify My Love“ konnte darüber hinaus dargestellt werden, wie die Künstlerin jeden Skandal geschickt zu Selbstvermarktungszwecken nutzt; denn ihre umstrittensten Clips ― neben dem oben genannten außerdem die zu den Songs „Erotica” (1992) 237 und „What It Feels Like For A Girl“ ― verkauften sich aufgrund des Verbots noch besser, als sie es vermutlich ohne einen handfesten Skandal im Hintergrund getan hätten. Nach fast einem Vierteljahrhundert steht die Künstlerin Madonna noch immer an der Spitze des Musikgeschäfts, hat alle Medienskandale erfolgreich überlebt und es gleichzeitig geschafft, mit ihrer Musik aktuell zu bleiben. Auch für das Ende diesen Jahres hat sich wieder eine „neue“ Madonna angekündigt. So schrieb schon 1994 Thomas Groß in seiner Rezension in der taz zu Madonnas Album „Bedtime Stories“, dass es fast so scheine, als sei nicht Madonnas „offensives SexPosing ihr größter Tabubruch, sondern die pure Weigerung, von der Bildfläche zu verschwinden.“ 238 236 237 238 Bullerjahn 2001, S. 257 f. Regie: Fabien Baron, 1992, aus: „Erotica“. Groß, Thomas: „Kein böser Blick“, in: taz Nr. 4454 vom 28.10.1994. 102 4. AUSBLICK UND SCHLUSSWORT Seit einiger Zeit überschlagen sich die Nachrichten bezüglich des Mitte November diesen Jahres erwarteten neuen Album von Madonna. Ihre Homepage kündigt an, dass sie mit diesem Album mit dem sprechenden Titel „Confessions On A Dancefloor“ zu ihren musikalischen Wurzeln zurückkehre, wobei die Songs eine Giorgio-Moroder- 239 und Abba-Nostalgie mit „future-music“ verbänden. Das Cover zum Album, 240 das dort ebenfalls bereits abgebildet ist, 241 zeigt die Künstlerin mit orange-rot gelocktem, wallendem Haar, gekleidet in eine pinkfarbene Chiffonbluse mit Puffärmeln, ein pinkfarbenes Höschen und pinkfarbene Glitzerpumps und ― „very british“ ― sehr viel weiße Haut zeigend. Mit dem Rücken zur Kamera eine artistische Pose einnehmend ― das linke Bein und der linke Arm sind nach hinten geschwungen ―, scheint sie gleichsam durch den Diskohimmel zu schweben, den Kopf in einer exstatischen Geste in den Nacken geworfen, so dass ihr Gesicht nur andeutungsweise zu erkennen ist. Darunter steht in großen Lettern, die an die Schriftzüge ihrer Discojahre erinnern, der Name der Künstlerin, wobei der Buchstabe „O“ zu einer Diskokugel stilisiert ist. Somit scheint sich der Kreis zu schließen. Im 21. Jahrhundert, nach neun Alben und unzähligen Images, kehrt die Künstlerin Madonna dorthin zurück, wo ihre Karriere begann: In das New York der frühen 1980er Jahre, zurück zu den Vorläufern von House-Music, in die damalige Club-Community, wo sie als junge, toughe Frau mit großen Ambitionen und einfachen Pop-Tanzstücken entdeckt wurde. Neue Videobilder werden wieder eine neue Madonna hervorbringen, die „Altes“ und „Neues“ kunstvoll zu verbinden weiß, und zumindest für die nächsten Monate Gültigkeit hat; und es werden sich auch weiterhin Madonna-Biografien mit der Frage beschäftigen, welches Image denn nun der „echten“ Madonna Louise Veronica Ciccone entspricht, obgleich der Selbstentwurf der Künstlerin die Möglichkeit einer Biografie ausschließt. Denn die „echte“ Madonna hinter all ihren Inszenierungen zu finden scheint aussichtslos. Wie soll man sich auch einem Star nähern, der sich seine ganze Karriere lang mit der Veränderung seines künstlerischen Images beschäftigt hat und dessen Wandlungsfähigkeit zu seinem Markennamen wurde? Abgesehen davon scheinen all diese Biografen, die ― 239 Giorgio Moroder, Südtiroler Produzent, verschaffte der Disco Queen Donna Summer 1975 mit dem von ihm produzierten Song „Love to Love You, Baby“ einen Hit. 240 Coverartwork gestaltet von Steven Klein und Giovannin Bianco. 241 http://home.madonna.com/MADONNA_COVER_NEW_g_flat.jpg 103 „desperately seeking...“ ― auf der Spur einer ominösen „Wahrheit“ bleiben, die Tatsache zu übersehen, dass die unterschiedlichen Frauenfiguren, aus denen das Produkt „Madonna“ sich zusammensetzt, nur die Erfindung einer durchaus kreativen und kritischen Künstlerin, aber noch viel versierteren Geschäftsfrau und Marketingexpertin sind, die mit der Privatperson Mrs. Ritchie, geborene Madonna Louise Veronica Ciccone, nur den Namen teilt. 104 5. 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Express Yourself (1989, Regie: David Fincher, aus: Like A Prayer) 06. Justify My Love (1990, Regie: Jean-Baptiste Mondino, aus: The Immaculate Collection) 07. Frozen (1998, Regie: Chris Cunningham, aus: Ray Of Light) 08. Drowned World/Substitute For Love (1998, Regie: Walter Stern, aus: Ray Of Light) 09. Music (2000, Regie: Jonas Akerlund, aus: Music) 10. What It Feels Like For A Girl (2001, Regie: Guy Ritchie, aus: Music) 108