PDF - Globetrotter
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Auf dem Velosattel durch die USA Text und Bilder: Johannes Bösel Die Naturlandschaften im Westen der USA sind spektakulär. Millionen besuchen sie Jahr für Jahr. Doch nur die wenigsten sind dort mit dem Fahrrad unterwegs, gilt doch Amerika und speziell der dünn besiedelte Westen nicht unbedingt als Radlerparadies. Dabei bietet gerade eine Reise auf dem Velo die Möglichkeit, den Wilden Westen einmal anders und intensiver zu erleben. 44 GLOBETROTTER-MAGAZIN Frühling 2013 NORDAMERIKA £ Im Zion-Nationalpark. Ruhepause auf dem «Landeplatz der Engel» mit Aussicht in den Zion-Canyon. 45 I ch traf ihn im Lazy Lizard Hostel in Moab – etwa zwanzig Jahre sind es her: Rupert – bärtig, langhaarig und braungebrannt – sass an einem Tisch und schrieb Tagebuch. Wie die Mehrheit der Reisenden war ich mit dem Auto unterwegs. Nicht aber Rupert. Er reiste mit dem Fahrrad. Was, fragte ich mich damals, treibt einen dazu, sich freiwillig mit dem Velo stundenlang auf schnurgeraden Highways abzumühen, bei diesem Wind, dieser Hitze, dieser Einsamkeit und Monotonie? Das ist doch anstrengend, eintönig und gefährlich zugleich! Aber warum eigentlich nicht? Keine Frage, die Natur im Westen der USA – so grossartig sie auch ist – kann extrem sein. Die Entfernungen sind riesig, oft gibt es lange und schweisstreibende Anstiege. Doch wer sich darauf einstellt und sich die nötige Zeit nimmt, für den kann eine Radreise durch den Wilden Westen zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Und so tue ich es nun Rupert gleich. Meine Velotour soll acht Wochen dauern, nahe der mexikanischen Grenze im heissen Arizona beginnen und etwa 3000 Kilometer weiter nördlich im kalten Montana enden. Anfang mit Schrecken. April in der Sonorawüste ist wie Hochsommer in Europa: Der Himmel leuchtet im schönsten Blau, die Sonne blendet, ein Backofenwind bläst übers Land. Ich kneife die Augen zusammen und schaue mich um. Alles ist trocken und staubig, denn seit Anfang Jahr hat es bisher nur einmal geregnet. Am Morgen bin ich von Tucson zum Gilbert Ray Campground beim Saguaro-Nationalpark geradelt, und heute soll meine erste Nacht im Freien sein. Seit Wochen freue ich mich darauf. Doch schon beim Zeltaufbau komme ich ins Schwitzen. Die Heringe lassen sich einfach nicht in den pickelharten Boden schlagen. Schliesslich schleppe ich grosse Steine herbei und fixiere damit die Leinen. Endlich, das Zelt steht, flattert aber im Wind. Jetzt will ich noch meine neue Schlafmatte aufblasen. Doch plötzlich, es passiert blitzschnell, wird die Matte von einer Böe gepackt und schon landet das sündhaft teure Stück direkt im nächsten Kaktus. Es ist wie ein böser Traum – ich kann es gar nicht fassen. Noch viele harte Zeltnächte auf der lecken Matte erinnern mich an diesen ersten Tag draussen. Erst Wochen später finde ich das kleine Loch. Kakteen wachsen hier in allen Varianten und Grössen. Da gibt es die kleinen Exemplare, die man auch auf dem heimatlichen Fensterbrett hegt und pflegt. Mannshoch tritt einem dann schon der Organ Pipe Cactus entgegen. Doch am eindrücklichsten sind die bis zu 15 Meter hohen Saguaros mit ihren typischen Armverzweigungen – wie 46 man sie aus Wildwestfilmen kennt. In lichten Wäldern stehen sie überall auf den Hügeln. Wie können diese Pflanzen hier nur die ständige Dürre und Hitze überstehen? Ein Ranger im Nationalpark erklärt es mir: Wenn es regnet, saugen die Saguaros Unmengen – bis 5000 Liter – Wasser auf und speichern dieses im Stamm. Das reicht dann für Monate. Viele Jahre sind Saguaros eher unscheinbar. Erst nach etwa 75 Jahren wächst langsam ein erster Ast. Die ältesten Saguaros bringen es auf 200 Jahre. Als die ersten hier aus der Erde sprossen, überlege ich mir, war Arizona noch ein Niemandsland im spanischen «Imperio Colonial». Eine Woche später ist das Einradeln endgültig vorbei: Vor mir erhebt sich der Mogollon Rim, eine mehrere Hundert Kilometer lange Abbruchkante zwischen dem Tiefland im südlichen Arizona und dem Colorado-Plateau. Steil schraubt sich die Strasse hinauf. Schon hadere ich mit dem Schicksal und vor allem mit meinem Gepäck. 40 Kilogramm wiegt es einschliesslich Proviant. Dazu kommen 17 Kilogramm Fahrrad. Doch bald bin ich wieder versöhnt, dank dem Berggang am Rad – der bringt mich überall hinauf. Zwar langsam, aber stetig. Oben angelangt, auf 2100 Metern, tut sich mir eine völlig andere Welt auf: Überall Kiefern statt Kakteen, Faserpelz statt T-Shirt ist angesagt. Verfolgt. Der Grand Canyon ist nicht mehr weit weg, die Schlucht der Superlative ist Pflichtprogramm auf fast jeder Amerikareise. Bis 1800 Meter tief ist der Canyon. Beim Campground nimmt das einsame Radlerdasein dank Max ein vorläufiges Ende. «Hi, I’m riding the Arizona Trail.» So stellt sich mir der junge Amerikaner vor, der direkt neben meinem Zelt seinen Biwaksack ausrollt. Max hat ein Mountainbike. Sein ganzes Gepäck ist in einem Rucksäcklein verstaut, denn er hat etwas Besonderes vor. Der Arizona Trail, eigentlich ein Wanderweg, sei auch mit dem Bike machbar, erklärt er mir. Die Route führt von Mexiko bis nach Utah und quert den Grand Canyon. Vom South zum North Rim sind es fast 34 Kilometer. Zuerst geht es 1500 Höhenmeter hinab und nach der Überquerung des Colorado auf einer Hängebrücke wieder 1800 Meter hinauf. Im Sommer ist es höllisch heiss und Wasser kann man nur an wenigen Stellen nachfüllen. Aber das ist noch nicht alles: Auf den Trails im Nationalpark darf man nicht radfahren – das Bike muss getragen werden! Das klingt nicht nur verrückt, sondern ist es auch – selbst bei den moderaten Temperaturen jetzt im April. Die Nacht vor Max’ Canyonbezwingung ist mit minus 8 °C sogar ungewöhnlich kalt. Ich jedenfalls mache kaum ein Auge zu. Auch ich will hinunter zum Fluss und breche bald nach Sonnenaufgang auf, allerdings ohne Fahrrad auf dem Rücken. Das Wanderziel ist für einmal nicht ein Gipfel, hier kommt der Abstieg zuerst. So durchwandere ich vier Klimazonen und nach 14 Gesteinsschichten bin ich fast unten und im Präkambrium angekommen: Die Felsen hier gibt es schon seit zwei Milliarden Jahren, ein halbes Erdenalter! Endlich habe ich es geschafft. Da wirbelt und rauscht das Wasser durch Katarakte und über Schwellen, zwängt sich in scharfe Kurven – wie klein und zahm wirkte der Colorado doch noch von oben. Ich bin begeistert. Vergessen ist die kalte Nacht, hier unten ist wieder Hochsommer. Der Fluss zwinkert verführerisch und lädt zum Bade. Ich tauche die Hand ins Wasser und schrecke zurück: Eiskalt ist er, fast wie ein Gebirgsbach. So verzichte ich aufs Bad und mache mich auf den Rückweg. Da stolpert mir Max entgegen, schwitzend und schnaufend, mit dem Bike auf dem Buckel. Wir reden nur kurz, er entschuldigt sich und will schnell weiter. Wie ich später erfahre, hat er die Canyondurchquerung wirklich geschafft und den Arizona Trail in neuer Rekordzeit zurückgelegt. Der Grand Canyon mit seinen Kiefernwäldern liegt in meinem Rücken. Vor mir wieder trockenstes Nichts, die Painted Desert. In einem Rutsch möchte ich da durch. 130 Kilometer über das weite Land der Navajo-Nation im Norden Arizonas. Die Strasse steigt leicht an. Links und rechts tauchen gelegentlich einzelne Häuser der hier wohnenden Indianer auf. Oft stehen drei oder vier grosse Autos davor. Alles scheint ruhig und friedlich, wären da nicht die Hunde, die bei den Häusern herumlungern. Kommt da nämlich alle paar Wochen ein Radler NORDAMERIKA vorbei, beginnen sie sich zu ereifern, zerren wie wild an den Leinen und stimmen ein lautes Geheul an. Als wieder einmal wütendes Gekläffe ertönt, blicke ich zur Seite. Und jetzt wird es ernst: Da kommt eine ganze Hundemeute direkt auf mich zugestürmt, etwa 200 Meter trennt sie noch von der Strasse. «Die sehen doch alle wie Kampfhunde aus», schiesst es mir durch den Kopf. Mein Herz sackt in die Hose. Soll ich absteigen, warten und dann beruhigend auf die Tiere einreden? Bei einem Hund mag das gut gehen – aber bei fünf? Ich entschliesse mich zur Flucht, doch irgendwie komme ich nicht so recht in die Gänge – kein Wunder bei all dem Gewicht in den Gepäcktaschen. Bald rast mein Herz, ich schnappe nach Luft, lange halte ich das nicht mehr durch. Jetzt sind die Hunde für einen Moment hinter dem Damm neben der Strasse aus meinem Blickfeld verschwunden. Das ist meine Chance. Ich gebe nochmals alles, und die paar Sekunden genügen: Im Rückspiegel sehe ich den Schnellsten der Meute etwa 30 Meter hinter mir auf die Strasse stürmen. Sie haben mich verfehlt. Doch ein Hund gibt nicht auf und will mir hinterher. Da braust genau zur rechten Zeit ein Auto heran. Der Hund weicht aus und gibt schliesslich auf. Das war knapp. Langsam komme ich wieder zu mir, aber der Schreck sitzt mir noch lange in den Gliedern. ç í Unterwegs in Utah. Eine an Naturwundern reiche Traumgegend. Saguaro-Kaktus. Für viele der Inbegriff des Wilden Westens. Komfortabel. Nach einem Schneesturm wird das Zelt gegen ein Bett eingetauscht. Hexenkessel. Utah – ein an Naturwundern reiches Traumland mitten auf dem ColoradoPlateau. Schluchten, Klippen, bizarre Erosionen, Wüsten, Mondlandschaften – alles meist in feinem Rostrot. Meine erste Station ist der Zion-Canyon. Schon der Name verheisst «Himmlisches». Fast jeder Felsen und jede Klippe hat einen Namen mit religiösem Bezug: Angels Landing, Temple of Sinawava, East Temple. Vor 150 Jahren kamen mormonische Pioniere hierher und fanden fruchtbares Ackerland am Fluss. Sie waren es, die diese Namen vergaben, empfanden sie das Tal doch als eine Art Paradies. Auch ich bin begeistert. Das rauschende Wasser, die grünen Weiden und Pappeln am Ufer, die schroffen roten Klippen. Ich erklimme den «Landeplatz der Engel». Wer nicht schwindelfrei ist, der sollte hier wirklich Flügel haben. Frühling 2013 GLOBETROTTER-MAGAZIN 47 INFOS&TIPPS Allgemeines | Die beschriebene, etwa 3000 Kilometer lange Route führt von Tucson (Arizona) nach Bozeman (Montana). Die Reise ist in acht bis zehn Wochen zu bewältigen. Hat man weniger Zeit, kann man die Tour auch in Moab beenden. Nach Möglichkeit wählt man die kleineren State Routes, der Verkehr ist aber auch auf den US Routes recht schwach. Oft kann man auf dem Seitenstreifen fahren. Der Strassenbelag reicht von ausgezeichnet bis ziemlich holprig. Klima | Zeitweise muss man selbst bei sonnigem Wetter mit starken Winden rechnen (vorwiegend aus West oder Nordwest), die das Vorankommen erheblich behindern. Im Sommer kann es sehr heiss sein, wobei die Temperaturen auf dem Colorado-Plateau erträglicher sind. Das Klima ist generell trocken, doch im Juli/ August gibt es oft Gewitter. Im Frühjahr und Herbst kann man in den Höhenlagen durchaus Schnee und unbeständigeres Wetter erwischen. Topografie | Die Route ist anspruchsvoll, insgesamt kommt man auf über 20 000 Höhenmeter. Von den Niederungen der Sonora-Wüste geht es hinauf auf das Colorado-Plateau. Dort wechseln Strecken in weiten Ebenen mit zum Teil steilen Anstiegen und Abfahrten. Der höchste Punkt der Route liegt mit fast 3000 Metern über Meer beim Boulder Mountain im südlichen Utah. Velotransporte | Velos werden bei den meisten Fluglinien zu unterschiedlichen Tarifen in Kartonverpackungen mitgenommen. Innerhalb des Landes transportieren Greyhound-Busse und Amtrak-Züge Velos in einer Kartonverpackung. Für Teilstrecken findet man problemlos eine Mitfahrgelegenheit bei Einheimischen. Kost und Logis | Selbst in kleineren Ortschaften gibt es Lebensmittelläden, zumindest bei Tankstellen. Übernachten kann man meist im Zelt auf den zahlreichen öffentlichen und privaten Campingplätzen. Etwas dünner ist die Infrastruktur im Navajo-Land in Arizona und in Wyoming. Wildzelten auf Public Land ist erlaubt. Motelzimmer ab 40 Dollar findet man überall. Ausrüstung | Veloläden gibt es in den grösseren Ortschaften, aber auch in der Nähe einiger Nationalparks. Man sollte solide und einfache Fahrradtechnik bevorzugen und bei Werkzeug und Ersatzteilen (Faltpneu) nicht Gewicht sparen. Bei einer Panne unterwegs findet man immer Hilfe. Reiseführer | Die Bike-Bücher von Reise Know-How enthalten eine Fülle von wertvollen Tipps für den Tourenradler «USA/Canada, BikeBuch», ISBN 978-3-89662-389-8 «Fahrrad Weltführer», ISBN 978-3-89662-527-4. Im Weiteren «USA – Der ganze Westen», Reise Know-How, ISBN 978-3-89662-232-7 «USA – Südwest, Natur und Wandern», Reise Know-How, ISBN 978-3-89662-249-5. Karten | Für die allgemeine Planung genügt der Rand McNally Road Atlas. Sehr gut und für die Tour im Südwesten völlig ausreichend ist die AAA Indian Country Guide Map (vor Ort kaufen). Auch die gratis erhältlichen Highway Maps der einzelnen Staaten sind meist ausführlich genug. Wer es jedoch ganz genau haben will, kauft die Ausgaben der State Atlas & Gazetteer von Delorme. Denn nur ein schmaler, mit Ketten gesicherter Grat führt hinauf auf ein spektakuläres Aussichtsplateau. Der Zion-Nationalpark ist ein Paradies für Fahrradfahrer. Im unteren Talabschnitt gibt es einen Radweg direkt am Fluss und weiter oben gilt für Privatautos zur Hauptsaison ein Fahrverbot. Und bei meinem Aufenthalt spielt auch das Wetter meistens mit. Wahrlich himmlische Verhältnisse. Ich bleibe vier Tage und bin glücklich. Nach vier Wochen Veloreise ist es aber vorbei mit dem Traumwetter. Es nähert sich eine Kaltfront vom Pazifik und im Vorfeld der StöSchneeschauer. Winterlich beginnt der Aufstieg zum Boulder Mountain. èè Wohlverdiente Pause. Nach einem langen Radlertag. è 48 GLOBETROTTER-MAGAZIN Frühling 2013 KANADA RO C KY M O UN TA I N S rung frischt der Wind kräftig auf. Nach einer kühlen Nacht am Calf Creek breche ich früh auf. Schon bald muss ich mich mächtig ins Zeug legen: mit bis zu 14 % Steigung geht es hinauf – ein neuer Rekord auf meiner Tour. In Boulder, mehr eine Ansammlung von Häusern MONTANA Bozeman Yellowstone N.P. Grand Teton N.P. Jackson Big Piney USA WYOMING Green River Vernal UTAH Reiseroute des Autors Douglas Pass Boulder Arches N.P. Mountain COLORADO Zion Bryce N.P. Canyon Grand Canyon Flagstaff Mogollan Rim Payson ARIZONA Tucson MEXIKO als ein richtiger Ort, mache ich Pause. Es schneit – obschon bereits Mai – kurz und heftig. Noch fehlen mir aber über 900 Höhenmeter bis auf den fast 3000 Meter hohen Boulder Mountain. Von Kurve zu Kurve wird es kälter und ungemütlicher. Immer mehr Schnee liegt am Strassenrand. Endlich, nach zwei anstrengenden Stunden, stehe ich auf der Passhöhe, wo eine fast liebliche Winterlandschaft auf mich wartet. Espen beidseits der Strasse, ein kleiner Bach, der fröhlich plätschert. Ich friere. Ein Auto besetzt von Asiaten nähert sich. Freundlich lächelnd staunen sie. Ich scheine ein Exot zu sein hier oben, fast ein Ausserirdischer. Es beginnt wieder zu schneien, und ich stürze mich dickvermummt in die Abfahrt. Doch die habe ich mir anders vorgestellt – Abfahrt ist das falsche Wort. Mal geht es steil hinab, dann aber wieder hinauf – fast wie auf einer Achterbahn. Dazu noch schwarze Wolken und dumpfes Donnergrollen. Ich werde nervös. Es beginnt zu hageln, die Strasse wird zur Rutschbahn, und ich muss anhalten. Soll ich das Zelt aufbauen und das Unwetter aussitzen? Autos schleichen vorbei, und hinter beschlagenen Scheiben wird der unter einem Baum kauernde Radfahrer begafft. Keiner hält an. Schliesslich taste ich mich in den Spurrillen der Autos weiter. Bald ist die Strasse zwar wieder eisfrei, doch ich bin am Ende meiner Kräfte und kurble nur noch apathisch durch die Land- NORDAMERIKA schaft. Irgendwie schaffe ich es bis Torrey, den nächsten Ort, und checke triefend nass in einer Lodge ein. Bereits an der Rezeption wird mir ein Handtuch gereicht. Ich solle die Heizung im Zimmer doch voll aufdrehen und Essen gäbe es jederzeit im Deli vorne. Jetzt ist meine Welt wieder in Ordnung. Vom Winde verweht. Von nun an begleitet mich unbeständiges Wetter – «the coldest and wettest spring for years», höre ich immer wieder. Es gibt wenige Tage mit klarem Himmel, dafür aber immer wieder viel Wolken, Wind, ê î Im Grand Canyon. Das Wasser des Colorado-Rivers ist im April eiskalt. Double-O-Arch. Einer der vielen Bögen im Arches-Nationalpark. Bullennatter. Ganz harmlos, wird aber oft mit der Klapperschlange verwechselt. Regenschauer und sogar Schnee. Utah ist trotzdem wunderschön! Im Goblin Valley, dem Tal der Kobolde, klettere ich zwischen bizarren Steinsformationen wie ein Kind auf Entdeckungstour. Fast hätte ich am Parkeingang umkehren müssen. Der Campground sei voll – das nach 130 Tageskilometern im Sattel und der 30 Kilometer langen Stichstrasse zum Park. Ich frage spontan zwei Frauen, ob ich mein kleines Zelt neben ihr grosses Wohnmobil stellen darf. «No problem, you are more than welcome.» Donna ist begeistert von meiner Tour: «Ich beneide dich», betont sie mehrmals. Meine nächste Station ist der Arches-Nationalpark, berühmt für seine mehr als 2000 Steinbögen. Die Strasse vom Parkeingang bis hinauf zum Devils Garden ist etwa 30 Kilometer lang. Für den Autofahrer eine gemütliche Dreiviertelstunde, für mich eine anstrengende Halbtagestour bei Hitze und Wind. Am Ende der Strasse mache ich mich mit vielen anderen zu Fuss auf den Weg zum Double-O-Arch. Plötzlich eine Aufruhr, Wanderer weichen zurück. Eine Schlange überquert seelenruhig den Wanderweg. «Is it a venomous snake?» Gar eine Klapperschlange? Keiner weiss so recht Be- 49 gut aus, wieder einmal ist Schnee angekündigt. Die Bibliothekarin, selber immer mit dem Fahrrad unterwegs, kam vor fast 50 Jahren aus Holland hierher und liebt das einsame, weite Land. Aber die langen Winter machen auch ihr zunehmend zu schaffen. «Good luck», ruft sie mir noch hinterher. Tatsächlich, am nächsten Morgen erschrecke ich, als ich aus dem Motel-Fenster blicke: Schnee fast wie zur Weihnachtszeit. Trotzdem breche ich auf und bin dank dem Rückenwind sogar sehr schnell. Schon am frühen Nachmittag erreiche ich das Jackson Hole, ein weites Tal vor der Teton Range. Wieder einmal Berge wie daheim. Die Tetons erheben sich tief verschneit abrupt und schroff von 2000 auf fast è ê î Bisons. Die typischen Bewohner im Yellowstone-Nationalpark. Gigantisches Reef. Der Waterpocket Fold. Wiedersehen. Nach fast 30 Jahren trifft Johannes seinen früheren Gastbruder Mike in Montana. Im Juni. Die Schneewände im Yellowstone sind immer noch meterhoch. scheid. Eine Schwanzrassel hat sie zwar nicht, doch selbst die Schlangenexperten raten zur Vorsicht. Viel später finde ich heraus: Es war eine harmlose Würgenatter, die bloss Echsen und Kleinsäuger fängt. Von Moab folge ich einem alten Bekannten, dem Colorado River, durch eine eindrückliche Schlucht. Wiederum entlädt sich ein Unwetter über mir. Diesmal kein Hagel, doch rote Bäche ergiessen sich über die Strasse – und wieder werde ich bis auf die Knochen nass. Nach einem kurzen Abstechen nach Colorado bin ich zurück in Utah und fahre weiter in Richtung Norden. Dann, hinter dem Flaming Gorge Reservoir, passiere ich die Grenze zu Wyoming. Hier schlägt das Wetter nochmals unbarmherzig zu. Die Formel «Wyoming = Wind» liesse sich in die Physikbücher aufnehmen. Drei Tage in Folge bläst es ununterbrochen in der unendlichen, baumlosen Ebene Süd-Wyomings – und natürlich meist direkt von vorne! Noch nie habe ich so qualvolle Stunden auf dem Fahrrad erlebt. Ich mache mich klein, beisse auf die Zähne, verdränge die Schmerzen in den Knien und zähle jeden einzelnen Kilometer. Richtig dankbar bin ich, 50 GLOBETROTTER-MAGAZIN Frühling 2013 wenn ein Truck vorbeirauscht und ich in seinem Sog für einen Moment mitgerissen werde. Schliesslich erreiche ich völlig erschöpft die Fontanelle Recreation Area oberhalb des Green River. Dort hat jeder Campsite – wen wunderts – einen eigenen Windschutz. «Welcome to the Icebox of the Nation» steht am Ortseingang von Big Piney. Da kann ich mich ja auf etwas gefasst machen. In der Ortschaft vorher hatte ich kurz in der Ortsbibliothek haltgemacht, um im Internet den Wetterbericht anzuschauen. Es sieht wirklich nicht 4200 Meter. Und auch der benachbarte Yellowstone-Park, ältester Nationalpark der Welt, ist noch nicht aus dem Winterschlaf erwacht. Wie in einer Gasse aus Schnee rolle ich durch unendliche Wälder, vorbei an gefrorenen Seen. Es ist bitterkalt, vereinzelte Schneeflocken fallen auf die Strasse und den einsamen Radler – und das im Juni. Ach, wie schön war es doch in Arizona, nur mit T-Shirt und Shorts bekleidet, so richtig ins Schwitzen zu kommen. Noch einmal muss ich weit hinauf, bis auf über 2600 Meter, und zweimal überquere ich die kontinentale Wasserscheide. Eine lange Abfahrt bringt mich schliesslich zum Upper Geysir Basin, wo – ich glaube es kaum – der Schnee komplett verschwunden ist. Liegt das vielleicht an der riesigen Magmakammer, die in acht Kilometern Tiefe die zahlreichen Geysire, Schlammtöpfe und kochenden Quellen mit Wärme versorgt? Vor über 600 000 Jahren explodierte hier ein Supervulkan, und grosse Teile des Parks liegen in der damals entstandenen Caldera. Und irgendwann, sagen die Wissenschaftler, wird der Vulkan wieder ausbrechen. Schnurgerade Strasse. Typisches Bild auf dem Colorado-Plateau. Ein Kreis schliesst sich. Mir gehts nicht gut: Ich habe mir eine Magen-Darm-Grippe eingefangen. Was daheim nur ein Ärgernis ist, kann auf einer Veloreise fast zu einer Sinnkrise führen. Schon befürchte ich, die Tour vorzeitig beenden zu müssen. Doch bald fühle ich mich wieder besser. Beim Madison Campground, wo einige Campsites ausschliesslich für Wanderer und Velofahrer reserviert sind, treffe ich andere Tourenradler: Angela und Cody begannen ihre Tour in Kalifornien und wollen bis nach Massachu- setts – quer durch Amerika. Wir kommen schnell ins Gespräch und tauschen Tipps und Anekdoten aus. Auch sie haben unter der Kälte und dem starken Wind gelitten, sind aber guter Dinge und wollen ihr Land einmal richtig kennenlernen. Für die beiden ist das Fahrrad das geeignete Reisemittel – selbst im Autoland USA. Noch liegen Tausende von Kilometern vor ihnen. Ich erinnere mich auch an Michael, der für einen guten Zweck, in einem sogenannten Charity-Ride, das Land mit dem Velo durchquert. Ihn traf ich vor einigen Wochen an der Grenze zwischen Colorado und Utah. Wo wird er jetzt wohl sein? Meine letzte lange Etappe beginnt mit der Grenzüberquerung nach Montana. Für einmal kommt der Wind von hinten, und es geht ständig bergab, sodass ich dem Ende meiner Reise förmlich entgegenfliege. Nochmals muss ich mich konzentrieren, denn der Highway im Gallatin River Canyon hinab nach Bozeman ist gefährlich. Es gibt viele Kurven, die Strasse ist teilweise schmal und hat nicht immer einen Seitenstreifen. Doch dann, am frühen Abend, habe ich es geschafft: Nach 50 Tagen «on the road» und unzähligen Kilometern in den Beinen feiere ich ein besonderes Wiedersehen. Vor 29 Jahren lernten Mike und ich uns kennen. Damals waren wir beide Schüler, und ich lebte für einige Zeit in Mikes Familie. Wer hätte geahnt, dass ich fast 30 Jahre später auf dem Velosattel den Wilden Westen mit Bozeman als Ziel bereise? Für mich schliesst sich somit ein Kreis. Hier in den Rocky Mountains hatte meine Faszination für die Naturlandschaften des amerikanischen Westens ihren Ursprung, hier soll mein Veloabenteuer enden. Unvergesslich wird es mir bleiben. Nicht alles war leicht, doch nichts möchte ich missen. An Rupert, den bärtigen Radler von damals, habe ich oft gedacht. johannes.boesel@bluewin.ch © Globetrotter Club, Bern NORDAMERIKA «Ich war dort.» Ihre Traumreise-Erfüllerin Dunja Kiefer, 753 Tage Reiseerfahrung in Nordamerika. An 22 Standorten in der Schweiz H globetrotter.ch ZUHAUSE UNTERWEGS BLEIBEN Das Globetrotter-Magazin als Geschenküberraschung zu Weihnachten oder zum Geburtstag! Für 35 Franken pro Jahr liegt die Reisezeitschrift für Weltentdecker alle drei Monate im Briefkasten des Beschenkten. Authentische Reisereportagen, Interviews, Essays, News und Tipps sorgen für Inspiration und viel Lesevergnügen. Ein Geschenk, das vier Mal pro Jahr Freude bereitet. mein Reisemagazin Für 35 Franken pro Kalenderjahr liegt das Magazin mit exklusiven Reisereportagen, Interviews, Essays, News und Tipps alle 3 Monate im Briefkasten. 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