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über Europa 1939 – 1945 Die Angst im Nacken Dr. Manuel Wolf Über den Autor Dr. Manuel Wolf (Jahrgang 1957) hat zwölf Jahre lang weltweit intensiv recherchiert, akribisch Augenzeugenberichte ausgewertet, Zugang zu Privatarchiven erhalten, überlebende Piloten und Zeitzeugen befragt, ein umfassendes Literaturstudium betrieben und sich mit Luftkriegsexperten aus ganz Europa ausgetauscht. Das Buch „Luftkrieg über Europa 1939 – 1945: Die Angst im Nacken“ ist seinem Vater gewidmet, der als junger Jagdflieger die letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges mit viel Glück überlebte. Dr. Manuel Wolf Luftkrieg über Europa 1939 – 1945: Die Angst im Nacken Noch nie gab es ein so umfassendes, detailreiches und zugleich fesselnd geschriebenes Werk über den Luftkrieg über Europa. Nun legt der Autor seine gründlich überarbeitete Neuauflage vor. Das Buch beschreibt den Luftkrieg über allen wichtigen Kriegsschauplätzen Europas. Objektiv und fundiert, gleichzeitig aber spannend und lebendig werden die historischen Abläufe anhand von Fakten, Einblicken in die Lebensläufe von Piloten sowie zeitgeschichtlich orientierten Kapiteln geschildert. Mit einer Fülle von detaillierten Informationen wird der militärische Gesamtkontext und Verlauf der Kampfhandlungen am Boden und in der Luft verständlich und exakt beschrieben. Sämtliche wichtigen Flugzeugtypen werden dargestellt und ihre Unterschiede im Hinblick auf ihre Leistungsdaten in einer bisher weltweit in dieser umfassenden Form unveröffentlichten und einzigartigen tabellarischen Auflistung – untereinander vergleichbar – in 1.000-Meter-Höhenschritten dargelegt. Die Datensammlung umfasst die Kennungen der an den Geschehnissen beteiligten Flugzeuge, es werden aber auch die Abschussmeldungen und Verluste an einzelnen Kampftagen übersichtlich aufgeführt. Das Buch beschreibt wegbereitende technische Entwicklungen sehr verständlich und schildert Luftkämpfe packend und präzise. Äußerst realistische Farbdarstellungen über die Luftkämpfe vermitteln eindrucksvoll deren Dramatik. Selbst jahrelang kontrovers diskutierte Fragen, wie die Plausibilität von nach Augenzeugenberichten durchgeführten, von US-Stellen aber vehement bestrittenen amerikanischen Tieffliegerangriffen in der südlichen Umgebung Dresdens nach dem verheerenden Luftangriff im Februar 1945, werden einer verblüffend logischen Erklärung zugeführt. Dieses Buch mit mehr als 700 Fotos, farbigen Flugzeugprofilen, Karten und detailgetreuen Szenarien ist ein hervorragendes Zeitdokument und zugleich fesselnde Lektüre – ein neues Standardwerk und ein Muss für jeden zeit- und militärhistorisch interessierten Leser! Auszüge aus Kundenrezensionen bei amazon.de: „Klare Kaufempfehlung! Zuerst einmal muss ich sagen: Wow! Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass ein neues Standardwerk zum Thema‚ Luftkrieg über dem Europa des Zweiten Weltkriegs‘ geschrieben wurde. […] Dieses Buch bekommt einen würdigen Platz in meiner Bibliothek und wird mir noch lange als geschichtliches und technisches Nachschlagewerk wie auch als spannende Lektüre dienen. Ganz klar 5*****!“ Leseexemplar „Dieses Buch ist jeden Cent wert! Dieses Buch ist wirklich jeden Cent wert. Es ist mit einer unglaublichen Detailfülle versehen, welche ihresgleichen sucht. Dabei ist das Werk auch noch spannend geschrieben und – was mich besonders berührt – außergewöhnlich einfühlsam. […] Etwas Besseres über diese Materie habe ich noch nie gelesen.“ „Ein Standardwerk der besonderen Art. Ich wurde über Bekannte auf dieses Buch aufmerksam und bin begeistert. […] Fazit: Wer eine trockene und distanzierte Abhandlung sucht ohne jegliches Gefühl, der ist hier falsch am Platze. Wer aber ein tolles Buch mit einer faszinierenden Mischung aus unglaublich viel Fachwissen kombiniert mit lebendigen Schilderungen von Schicksalen lesen möchte, der wird es nicht mehr aus der Hand legen. Ich habe den Kauf keine Sekunde bereut!“ „Absolute Kaufempfehlung. Ich habe selten so ein Buch gesehen, das derart detaillierte Informationen in solcher Klarheit und Übersicht darstellt. Wer an diesem Thema interessiert ist, kommt da nicht vorbei! Dem Verfasser gebührt größtes Kompliment!!!“ Leseprobe: www.dr-wolf-verlag.de inhalt Inhalt Vorwort8 1. Der Geist aus der Flasche 17 Operation „Torch“ – die alliierte Landung in Französisch-Nordafrika 284 Operation „Husky“ – die Invasion Siziliens 293 Vom Versailler Vertrag über die Entstehung der Luftwaffe, die Grundzüge des damals modernen Luftkrieges, den spanischen Bürgerkrieg, die Feldzüge gegen Polen, Norwegen und Frankreich bis zur Luftschlacht um England. Der Angriff auf Ploeşti 303 Die Invasion des italienischen Festlandes – der Golf von Salerno 318 Der Polenfeldzug 32 Verbesserte und neue deutsche Bomber 326 Sowjetisch-finnischer Winterkrieg 43 Angriffe auf alliierte Konvois 332 „Drôle de guerre“ – der ulkige Krieg 44 Die Giftgas-Tragödie von Bari 333 Der Kampf um Norwegen 52 Der mühsame Vorstoß nach Norden 334 Der „Fall Gelb“ 62 Von Berg zu Berg im Fegefeuer bis zur Hölle 337 „Battle of Britain“ – die Luftschlacht um England 80 Monte Cassino – der Berg des Todes 346 Die bronzene Göttin – des Rätsels Lösung 352 Operation „Shingle“ – die Landung bei Ánzio und Nettuno 353 Die Moral 360 2. Der „Stern von Afrika“ 136 Hans-Joachim Marseille und der Afrikafeldzug. 3. Das verhinderte Jagdflieger-Ass 184 Der erstaunliche Weg des Hans-Ulrich Rudel an allen Brennpunkten der „Ostfront“ über die Versenkung der „Marat“ vor Leningrad, den Winterkampf vor Moskau, die Schlacht um Stalingrad, die Operation „Zitadelle“ bei Kursk, die sowjetische Rückeroberung der Ukraine, den Kessel von Tscherkassy, den Kampf um Ungarn, die Oderbrücken. Schließlich die letzte Schlacht vor Berlin gegen die Rote Armee an den Seelower Höhen. 4. „Big Brother is helping you“ 224 Die immensen Hilfslieferungen der USA an Waffen und Material für die Sowjetunion (Leih- und Pacht-Abkommen/„lend-leaseagreement“). Die Eismeer-Konvois nach Murmansk, der KubanBrückenkopf, sowjetische Jäger und ihre Einsatzmethoden. 5. Der Flirt mit dem Jenseits 246 Lidiya Litvyak. Der tödliche Einsatz junger Frauen im Cockpit. Wunderwaffen314 Straßen, Matsch und Schiffsgranaten 365 15 Tonnen Sprengstoff für jeden Deutschen 366 Operation „Strangle” 370 Operation „Diadem“ 373 Ruhm und Rom 377 Aeronautica Nazionale Repubblicana (ANR) 380 Ugo Drago 385 Torpedobomber389 8. Schlachtflieger Die sowjetische Rückeroberung der Krim. Der Einsatz von Jagdbombern im Luftkampf. 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... 264 Die dornenreiche Geschichte der „Fliegenden Festungen“. Die „Flying Fortress”-Story 264 Der Einsatz am 17. April 1943 gegen Bremen 270 Ye Olde Pub 280 7. „Ich hoffe, bis an mein Lebensende niemals wieder einen Berg zu sehen!“ 284 Von der Landung der Alliierten in Französisch-Nordafrika über Sizilien quer durch Italien. Der verhinderte Giftgaseinsatz. Ferngelenkte Bomben als Vorläufer der „cruise missiles“. 404 Die Invasion. „Das also ist der größte Augenblick in der Geschichte der Luftwaffe“ (Pips Priller). Die deutsche Luftwaffe Leseexemplar 6. „Da fiel Feuer vom Himmel und fraß“ 394 10.Sturmjäger – die Curassiere der Luft 411 436 Der Einsatz stark gepanzerter Jagdflugzeuge in geschlossener Formation gegen Bomberpulks. 11.Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch 458 Der Luftkrieg bei Nacht – das aussichtslose Aufbäumen der Nachtjägerbesatzungen gegen die Zerstörung. Der technische Wettlauf beider Seiten im Dunkeln – und der Untergang der deutschen Städte im Bombenhagel des britischen Bomber Command. Die Tragödien von Coventry, Hamburg, Dresden - und danach! Ein Mann namens Harris und ein anderer namens „Meier“ ... 3 Inhalt 12.Die „russische Dampfwalze“ 502 Operation „Bagration“: die sowjetische Sommeroffensive 1944 – ein Tsunami auf Ketten. 13.Benzin – das Blut in den Adern der Luftwaffe 520 Die Luftoffensive der amerikanischen Bomber gegen die deutsche Treibstoffindustrie, exemplarisch dargelegt am Beispiel des 2. November 1944. 14.Schnellkurs zum Sterben – in den Tod gejagt 538 Der Aderlass an unverantwortlich hastig ausgebildeten Nachwuchsjagdfliegern gegen eine vielfache Übermacht, exemplarisch dargelegt anhand des 21. November 1944. 15.Die fliegenden Scheunentore 550 Die Entwicklungsgrenzen der deutschen Jagdflugzeugkonstruktionen durch den Druck der erforderlichen Massenproduktion („Jägernotprogramm“) und die Entwicklung alliierter Langstreckenjäger (beispielsweise der Lockheed P-38 „Lightning“) mit Reichweitentabelle je nach Kriegsverlauf. Abwehreinsatz der deutschen Luftwaffe am 18. Dezember 1944. 16.„So sicher wie in England.“ Der Angriff aus dem Nichts 562 Die Brücke von Eller 580 586 Das Wetter klart auf, die alliierten Luftstreitkräfte schlagen mit Macht zurück. 23. Dezember 1944. 18.Stille Nacht, Über-Macht – ein Strom von 300 Kilometern Metall Das Desaster über Asch 633 Der Triumph über Evère 644 21.Die tödliche Stechmücke aus Holz Die Angriffe der schnellen de Havilland „Mosquito“-Bomber gegen deutsche Schiffe vor Norwegen. Leirvik, 15. Januar 1945: die Versenkung eines gesunkenen Frachters. 22.„Reichsverteidigung“ – mit dem Rücken an der Wand 670 23. Januar 1945. Die Alliierten können nun am Himmel über Deutschland tun und lassen, was sie wollen – und vom Himmel aus am Boden. 678 Der Glaube versetzt Berge, doch Kriege gewinnt er nicht. Vom „Volkssturm“, der ersten Drohnenbombe „V1“ über die erste Fernrakete „V2“ zum ersten Strahlbomber Arado Ar 234 im Kampfeinsatz – ab dem 9. März 1945 über der Brücke von Remagen. „Selbstopfer“-Aufruf Görings. Vergeltungswaffe „V1“ 680 Vergeltungswaffe „V2“ 684 Die letzte Hoffnung im Westen – der Schicksalsfluss Rhein 686 Die Brücke von Remagen 689 Düsenflieger 692 Mit Blindheit geschlagen 697 596 Leseexemplar Für „Führer, Volk und Vaterland“ 620 703 Materialermüdung711 Dammbruch711 24.Düsenjäger – Deutschlands letzter Triumph am Himmel Der schwarze Tag der „Langnasen“ des Jagdgeschwaders 54. 4 658 Düsenbomber699 24. Dezember 1944. Der heftigste Ansturm aus der Luft gegen die sich verzweifelt behauptende deutsche Luftwaffe in der Geschichte der Reichsverteidigung. 19.Feindliche Tiefflieger im Planquadrat Friedrich-Quelle 630 Der Überraschungsschlag der deutschen Jagdwaffe am Neujahrsmorgen des 1. Januar 1945 gegen alliierte Flugplätze in Holland und Belgien ist der letzte Großeinsatz deutscher Jäger. Selbst die eigenen Flugabwehrkanoniere (Flak) sind durch überzogene Geheimhaltung uninformiert und daher überrascht – ein erheblicher Teil der deutschen Verluste ist ihnen zuzuschreiben. Nach diesem tragischen Einsatz ist das Schicksal der deutschen Luftwaffe endgültig besiegelt. 23.Wunderwaffen Der Vorstoß der Alliierten aus dem Brückenkopf in der Normandie, der Kessel von Falaise. Die Landung in Südfrankreich bis zur Ardennenoffensive der deutschen Wehrmacht. Der Luftkampf um die Moselbrücken am 23. Dezember 1944. 17.Der Himmel voller Geigen 20.Unternehmen „Bodenplatte“ – der Pyrrhus-Sieg am Morgen danach 716 Die legendäre Messerschmitt Me 262 – der erste einsatzfähige und eingesetzte Düsenjäger der Welt. Sie sind zu wenige, und sie kommen viel zu spät, um das Blatt noch wenden zu können. Doch ein letztes Mal verschafft sich die deutsche Luftwaffe gehörig Respekt im eigenen Luftraum – ab 18. März 1945 zudem mit den ersten erfolgreich angewandten und als solche entwickelten ungelenkten LuftLuft-Raketen der Kriegsgeschichte (Flugkörper vom Typ „R4M“). inhalt 25.„Schwarz bleibt schwarz und Blödsinn bleibt Blödsinn!“ 736 Autoritär und Autorität sind nicht dasselbe! „Verluste, durch Dusseligkeit hervorgerufen, können und wollen wir uns unter gar keinen Umständen mehr leisten!“ (Oberleutnant Dortenmann). 26.Ausgekurvt umfasst die britischen und mit ihnen verbündeten Commonwealth-Piloten, die französischen, US-amerikanischen und sowjetischen Piloten) ist der Russe Ivan Kozhedub mit 62 Abschüssen. 28.„Jawohl, Genosse Kommandeur!“ 756 Das tödliche Vergleichsfliegen der modernsten alliierten und deutschen Kolbenmotorjägerkonstruktion. Die Focke-Wulf Ta 152 und die Hawker „Tempest“, jeweils als Neukonstruktion und nicht als Weiterentwicklung betrachtet, sind die letzten propellergetriebenen Höchstleistungen der Konstrukteure im Kampfeinsatz Jäger gegen Jäger. Am 14. April 1945 kommt es zum Duell. 27.Das Ass der Asse 766 Erich Hartmann ist mit 352 Abschüssen – gemessen an der Zahl der Luftsiege – der mit Abstand erfolgreichste Jagdflieger aller Zeiten. Der in dieser Hinsicht erfolgreichste alliierte Jägerpilot (dies 778 Am Abend des 8. Mai 1945. Das tragische Ende des möglicherweise letzten durch deutsche Jäger abgeschossenen Piloten im Zweiten Weltkrieg. Anhang784 Flugleistungen der wichtigsten Flugzeuge 784 Quellenverzeichnis822 Bildquellenverzeichnis825 Register827 Leseexemplar Berlin: Die Sowjetmacht paradiert um den zertrümmerten Reichstag. Es ist vorbei. 5 Sehr geehrter Herr Dr. Wolf, meine Überraschung war infolge des unerwarteten Umfanges Ihres Buches sehr groß, und ich denke, niemand wird so richtig ermessen können, wie viel Mühen und Arbeit Sie in Ihre Recherchen investieren mussten, um eine so umfassende Darstellung des Luftkrieges bei uns zu Papier zu bringen. Wie Sie dies alles neben Ihren beruflichen Verpflichtungen „auf die Reihe“ bekommen haben, ist mir ein Rätsel und nötigt mir Respekt und Hochachtung ab. Eine kursorische Durchsicht hat mich davon überzeugt, dass Sie sehr sorgfältig mit den historischen Fakten umgegangen sind. Dies gilt vor allem für die Ereignisse des 24.12.1944, denen ich verständlicherweise besondere Aufmerksamkeit gewidmet habe. Ich kann Ihnen aufrichtig zu der objektiven Berichterstattung der Ereignisse dieses Tages gratulieren, Leseexemplar Inhaltreferenz Inhalt weil sie sehr nachhaltig in meinem Gedächtnis wach sind. Ich wünsche Ihnen und hoffe mit Ihnen, dass das Buch eine weite Verbreitung findet, um nicht nur Ihre Arbeit zu würdigen, sondern insbesondere Ihrer Zielsetzung zu dienen, dass sich ein Krieg – gleich welcher Art und gleich welchen Ausmaßes – nie mehr wiederholen möge. Ob die Menschen an verantwortlicher Stelle dies indessen bedenken werden, muss nach aller Erfahrung leider bezweifelt werden. Mit allen guten Wünschen für Sie und Ihre Familie und freundlichen Grüßen bin ich Ihr Victor Heimann Oberfähnrich Victor Heimann, 8. Staffel des JG 300, in Löbnitz im Oktober 1944 Leseexemplar Vorwort Vorwort Dieses Buch ist meinem Vater gewidmet, Gottfried Wolf. Mein Vater wurde im Zweiten Weltkrieg zum Jagdflieger ausgebildet und flog die Messerschmitt Bf 109 G-6. Als er die Flugzeugführerschule verließ, wollte er wie alle jungen Piloten der damaligen Zeit fliegen und kämpfen. Er wollte sich „ehrenhaft, aufrecht und tapfer“ für sein Vaterland bewähren ... Mein Vater beendete seine Ausbildung zum Jagdflieger am 31. Januar 1945 in einer Zeit, als der Ausgang des Krieges bereits unabwendbar war. Ein Tieffliegerangriff amerikanischer P-51 „Mustang“Jagdflugzeuge auf den Ausbildungsflugplatz des Schulungs-Jagdgeschwaders 104 – eine Graspiste bei Buchschwabach in der Nähe von Fürth – hatte es den Flugschülern im Januar 1945 bereits anschaulich vor Augen geführt. Es gab keinen Ort in Deutschland mehr, an dem man oberhalb des Erdbodens noch sicher war. Zu dieser Zeit wurden in den Jagdschulen Aufrufe verlesen, mit denen die jungen, immer noch begeisterten Piloten zu letzten Verzweiflungseinsätzen gegen die alliierte Übermacht bewegt werden sollten. Dazu gehörten Rammeinsätze gegen feindliche Bomber oder „Selbstopfer“-(Selbstmord-) Einsätze gegen die Oderbrücken. Die jungen Männer wollten fliegen – buchstäblich um jeden Preis! Kaum einer, der sich nicht bereit erklärt hätte. Doch viele der hochmotivierten Piloten wurden schlichtweg verschaukelt. Nur ein Teil von ihnen wurde tatsächlich mit Flugzeugen ausgerüstet und in den chancenlosen Luftkampf geschickt. Der Rest wurde im Erdkampfeinsatz bei Nürnberg und gegen die Rote Armee ganz einfach „verheizt“. Sinnloses „Draufgehen“ war das eine wie das andere, doch als Landser (Infanteriesoldat) waren die Männer nicht ausgebildet. Im Erdkampf hatten sie keine Erfahrung, noch weniger eine Chance – und dazu hatten sie sich nicht gemeldet. So drohte auch meinem Vater zusammen mit zwei anderen Flugzeugführern der Erdeinsatz gegen sowjetische Panzer. Mein Vater wusste, dass ein solcher Einsatz mit Sicherheit den Tod bedeutet hätte. Doch nun waren sie in der Nähe von Berlin angekommen, wohin man sie zum „Einsatz“ gebracht hatte. Die russische Front war nicht weit. Was jetzt? Also führte er seine zwei Kameraden auf abenteuerlichen Umwegen zu einem Flugplatz, von dessen Platzkommandanten er sich Hilfe versprach. Ohne gültigen Marschbefehl konnte dies in jenen Tagen sofortige Aburteilung bedeuten. Prompt liefen sie in einem Ort an einem vergitterten Kellerfenster vorbei, aus welchem traurig ein junger Soldat blickte und auf entsprechende Fragen hin den drei Luftwaffenpiloten erklärte, dass er ohne Papiere aufgegriffen worden sei und auf seine Hinrichtung warte. Das war klar und deutlich! Mit knapper Not entgingen sie einer Militärkontrolle – als sie um eine Biegung kamen, lag ein Dorf vor ihnen, voll mit Waffen-SSSoldaten. Am Ortseingang standen Feldjäger – Militärpolizei! Es wäre aufgefallen, wenn sie nun umgedreht hätten. Im letzten Moment hörten die drei das charakteristische Pfeifen hochgezüchteter Flugzeugmotoren in der Luft. Das Dorf wurde von Tieffliegern angegriffen, sodass jedermann in Deckung sprang. Dies ermöglichte den drei Piloten ein Entkommen in den angrenzenden Wald. Nach einiger Zeit liefen die drei an der Biegung eines Waldweges zwei Offizieren in die Arme. Sie identifizierten sich als Jagdflieger auf dem Weg zu einem Flugplatz – wahrheitsgemäß. Die Frage nach dem Marschbefehl musste mein Vater verneinen. Doch einer der beiden Offiziere hatte ein Einsehen. Mit wissendem Blick stellte er die Papiere aus! Auf dem Flugplatz angekommen, wurden die drei Piloten stürmisch empfangen. „Sie schickt der Himmel, ich habe hier einige Maschinen mit kriegswichtigem Material, das darf den Russen nicht in die Hände fallen! Aber keine Piloten!“ So startete mein Vater mit einer zweimotorigen Maschine nach Hof in Bayern. Eine Zwischenlandung zum Auftanken Leseexemplar Buchschwabach bei Nürnberg. 8 Erklärung des Verfassers musste unterbleiben – der Flugplatz war soeben von Jagdbombern angegriffen worden, das Rollfeld unbrauchbar. Wäre der Angriff nur fünf Minuten später erfolgt – die unbewaffneten, schwerfälligen und voll beladenen Transportflugzeuge wären ein einfaches Opfer feindlicher Jäger geworden. Als mein Vater schließlich in Hof landete, wurde er aufgeregt angewiesen, sofort in Deckung zu rollen. Es seien Tieff lieger gemeldet. Doch es war nicht möglich, die Maschine vom Rollfeld zu bringen. Die Landung war mit dem letzten Tropfen Sprit erfolgt, im Ausrollen setzten die Motoren aus. Wenig später erfolgte der Tief angriff, und die Maschine ging in Flammen auf. Doch mein Vater, der nie wirklich zum Jagdeinsatz gekommen war, lebte. Erklärung des Verfassers Es gibt in keinem Krieg der Welt einen Sieger. Es gibt nur Verlierer. Der erste, größte und unwiderruflich endgültige Verlust ist der Verlust der Unschuld. Ich war nicht dabei – Gott oder wem auch immer sei Dank. Doch meine Vorstellungskraft genügt, um wenigstens den Teil des Horrors nachempfinden zu können, der „vom grünen Tisch“ aus nachempfindbar ist. Nichts liegt mir ferner, als irgendetwas an den geschilderten Schicksalen, Ereignissen und Sachverhalten zu beschönigen, zu heroisieren oder zu pathetisieren. Dies bezieht die dargestellten Symbole auf den Seitenleitwerken der Flugzeuge ausdrücklich mit ein. Der Verfasser hat leider keinen Einfluss darauf, dass diese Symbole damals nun einmal an den entsprechenden Stellen der Rümpfe aufgemalt waren. Wer auch immer sich berufen fühlen möchte, von „Schuld“ zu reden – Schuld welcher Seite auch immer – der möge sich vor Augen halten, welche seelischen Schutz– und Verdrängungsmechanismen in einem Menschen ablaufen müssen, der tagtäglich mit dem größtenteils grausamen Tod seiner Nächsten, Kameraden wie Gegner, konfrontiert wird. Der dies irgendwie in sich verarbeiten – oder abspalten muss. Und der selbst demselben gewaltsamen Tod Tag für Tag ins Auge sieht. Der zweite Verlust ist der Verlust der Achtung vor dem Leben und dem Recht auf Unversehrtheit des Anderen. Wenn in den Texten Gefühle des Lesers angesprochen werden, so dient dies der Dramaturgie und dem Bemühen, eine Zeit lebendig werden zu lassen, die sich – Gott gebe es – nie wiederholen werde! Oberst Lützow inspiziert Flugschüler. Zum Zeitpunkt des Aufrufes zum „Sonderkommando Elbe“ hat Lützow nicht mehr den Einfluss, derartige Opfer verhindern zu können. Die in Relation zu den hohen Flugzeugverlusten geringe Zahl an sowjetischen Toten erklärt sich unter anderem durch den hohen Anteil an einsitzigen, maximal zweisitzigen Flugzeugen, während ein einziger viermotoriger B-17-Bomber der Amerikaner bis zu 10 (durchschnittlich 9) Besatzungsmitglieder in den Tod reißen kann. Verluste alleine der deutschen Jagdflieger hierbei: Deutsche Luftwaffe: ~11.200 Abschüsse deutscher Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg: Alliierte Flugzeuge (RAF/USAAF): Sowjetische Flugzeuge (VVS): (Unter dem Begriff „Verlust“ ist zu verstehen: gefallen, vermisst oder in Gefangenschaft geraten) 80.588 Mann Deutsche Luftwaffe: 79.281 Mann Britische Royal Air Force (RAF): 79.625 Mann US Army Air Force (USAAF): ~39.000 Mann Sowjetische Luftstreitkräfte (VVS): ~25.000 Abschüsse ~45.000Abschüsse erzielt durch die Jägerpiloten der deutschen Luftwaffe. Davon geben die Nachtjägerbesatzungen 5.729 Abschüsse an, von denen ~5.000 der Realität entsprechen dürften, welchen überwiegend britische Bomber zum Opfer fielen. Die übrigen Abschüsse wurden von Tagjagdpiloten erzielt. Die nachstehenden Gesamtverluste an Flugzeugen enthalten unter anderem auch die Abschüsse durch Flugabwehrkanonen (Flak). Alleine die deutschen Kanoniere melden während des Krieges ~20.000 Abschüsse. Leseexemplar Verluste an Piloten und Besatzungen im Zweiten Weltkrieg: Mann Verluste an Flugzeugen der Luftwaffe, RAF, USAAF, VVS: Deutsche Luftwaffe: Britische Royal Air Force (RAF): US Army Air Force (USAAF): Sowjetische Flugzeuge (VVS): ~16.400 Flugzeuge ~22.000Flugzeuge ~18.000 Flugzeuge ~46.100 Flugzeuge Quellen: Fliegerblatt, Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte e.V. / Ausgabe Nr. 4/2006 mittelbar (hier zitiert): „Zeitgeschichte: Der Zweite Weltkrieg“ mittelbar (hier zitiert): „ Clash of Wings“ / Walter Boyne „Deutsche Jagdflugzeuge 1939-1945 in Farbprofilen“ / Bernard & Graefe Verlag 1999 / Claes Sundin und Christer Bergström. mittelbar (hier zitiert): „Die Ritterkreuzträger der Luftwaffe Band 1 – Jagdflieger 1939 – 1945“ / Ernst Obermeier 9 Im Gedenken an Walter Oesau Im Gedenken an Walter Oesau 11. Mai 1944. Oberst Walter Oesau ist ein geachteter Mann. Ein Jagdfliegerpilot mit immerhin 127 Abschüssen. Er ist Kommodore des Jagdgeschwaders 1. Walter Oesau ist bekannt für seinen Mut und Kampfgeist. Adolf Galland nennt ihn anerkennend einen „zähen und glänzenden Kämpfer in der Luft“. Walter Oesau gilt in jenen Zeiten als ein „Held“. Im Mai 1944 ist Walter Oesau nach jahrelangem Kampf seelisch und körperlich angeschlagen. Doch er kämpft weiter. Traurig und desillusioniert. Als er eines Tages aus einer Besprechung zurückkommt, vertraut er einem Kameraden an, dass er den Krieg nicht überleben wolle. Er habe von einigen „Sachen“ erfahren, die er nicht weitergeben dürfe und wolle, sonst würde sein gesamtes Geschwader den Kampfeswillen verlieren! Wir wissen heute, was er meinte, was damals allerdings die meisten noch nicht wussten. Oesau kämpft. An jenem 11. Mai 1944 aber hat er hohes Fieber. Eine Grippe fesselt ihn ans Bett. Sein Geschwader startet, als – wieder einmal – etwa 1.000 schwere amerikanische Bomber und ebenso viele US-Begleitjäger Eisenbahnanlagen in Frankreich angreifen, um die geplante alliierte Invasion vorzubereiten. Die deutschen Jagdmaschinen sind im Anflug auf den weit übermächtigen feindlichen Verband, als auf dem Fliegerhorst das Telefon läutet. Reichsmarschall Hermann Göring, Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, ist am Apparat und fragt, wie der Stand der Dinge sei. „Ist der Kommodore in der Luft?“ „Nein, er liegt mit Fieber im Bett!“, erhält Göring zur Antwort. „Ja, das kenne ich schon!“, kommt es verächtlich zurück, „er ist also auch müde und feige ...!“ Als Oesau dies erfährt, hält ihn nichts mehr im Bett. Trotz hohen Fiebers steigt der junge Oberstleutnant in sein Messerschmitt Bf 109 G-6/AS-Jagdflugzeug (13 , Werknummer 20601) und fliegt seinem Geschwader hinterher. Er, müde und feige? Das kann Oesau nicht auf sich sitzen lassen! In der Nähe des belgischen Städtchens St. Vith trifft der Kommodore auf den feindlichen Verband. Er versucht, die amerikanischen Begleitjäger des Bomberverbandes anzugreifen. Zwei P-51 „Mustangs“ und mindestens vier P-38 „Lightnings“ nehmen das deutsche Jagdflieger-Ass in die Zange. Oesau greift zu allen Tricks, wehrt sich gekonnt und verbissen mit der Erfahrung aus über 300 Kampfeinsätzen. Das Duell gegen eine vielfache Übermacht dauert immerhin 20 Minuten, in denen sich der Kommodore noch behaupten kann. Der Kampf, der in etwa 8.500 Meter Höhe begonnen hatte, endet knapp über den Gipfeln der Bäume in den bewaldeten idyllischen Hügeln der Ardennen. Dann ist es vorbei. Offenbar versucht Oesau noch eine Notlandung, als ein letzter Feuerstoß das Cockpit seiner Messerschmitt trifft. Man findet seinen Körper in einigem Abstand zum zerschmetterten Wrack des Jagdflugzeuges. Walter Oesau ist tot. Er hat bewiesen, dass er weder müde noch feige war. Zum Dank dafür wird sein Geschwader später seinen Namen tragen. Walter Oesau ist ein Held. Ein tragischer Held. Wozu? Danksagung Mein besonderer Dank gilt: Wilhelm Göbel Eddie Creek Matti Salonen meiner Frau Annette (für ihre Geduld) ferner danke ich ebenso herzlich: Andrew Arthy Christer Bergström Peter Cohausz Ferdinando d’Amico Klaus Deumling, KG 100 Axel Dortenmann, Sohn von Hans Dortenmann, JG 54/JG 26 Karl-Heinz Eichhorn Wolfgang Fleischer Karl-Georg Genth, JG 26 Manfred Griehl Victor Heimann, JG 300 Jean-Yves Lorant Frank Olynyk Leseexemplar 10 Karl-Heinz Ossenkopp, JG 26 Dr. Jochen Prien Peter Rodeike Willi Reschke, JG 301 Ernst Scheufele, JG 4 Dr. Helmut Schnatz Ernst Schröder, JG 300 Claes Sundin Dr. Christian Zentner Erläuterungen Erläuterungen Schreibweisen: Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges werden die deutschen Messerschmitt-Jäger nicht nach ihrem Konstrukteur benannt (Willi Messerschmitt), sondern nach der Produktionsfirma – den Bayerischen Flugzeugwerken. Somit „Bf 109“ oder „Bf 110“ etc.! Dies ändert sich erst mit den „Me 210“, „Me 410“, „Me 262“ und „Me 163“, nachdem die Bayerischen Flugzeugwerke zur „Messerschmitt AG“ geworden waren. Doch selbst dann wurde in offiziellen deutschen Unterlagen die Bezeichnung „Bf“ weitergeführt. Da der Begriff „Me“, also „Me 109“, unter den Piloten damals schon und im verbreiteten Sprachgebrauch heute viel gebräuchlicher ist als „Bf“, wird vom Verfasser folgende Definition angewandt: •Me 109 (im Text in dieser Form als übliche Abkürzung verwendet). • aber: Messerschmitt Bf 109 (dies ist der vollständig ausgeschriebene korrekte Begriff), ab der Me 210: Messerschmitt Me 210. • in Tabellen: Bf 109 Ferner werden die britischen und amerikanischen Flugzeugtypen mit Typennamen bezeichnet, beispielsweise „Spitfire“, „Hurricane“, „Mustang“ oder „Thunderbolt“. Auch hier wird folgende Schreibwei- se im Text verwendet: • Mustang (hier ist der Flugzeugtyp durch den abkürzenden Begriff >Mustang< definiert). • aber: P-51 „Mustang“ (hier ist der Flugzeugtyp durch das Kürzel >P-51< definiert, „Mustang“ ist somit als Name zu verstehen, nicht als Bezeichnung (die korrekte Bezeichnung erfolgt in dem Fall durch >P-51<), und deshalb in Anführungsstrichen „Mustang“ geschrieben). • Spitfire Mk. IX • aber: Supermarine „Spitfire“ Mk. IX In Bezug auf die Bezeichnung amerikanischer und britischer Einheiten (Ausnahme: RAF-Squadrons: siehe unten!) wird die englische Zahlenschreibweise verwendet, also „3rd “ statt 3. und „5th “ statt 5. Diese Systematik wird bei ähnlich begrifflich typisch englischen Inhalten beibehalten, so z.B. Dienstgrade, die in dieser Form im deutschen Sprachbegriff nicht vorkommen, also beispielsweise „1st Lieutenant“. Generell wird bei der Nennung von Dienstgraden die landestypische Definition vorgezogen, z.B. „Kapitan“ (sowjetisch) oder „Captain“ (amerikanisch) statt „Hauptmann“ (deutsches Äquivalent). Deutsche, britische, amerikanische und sowjetische Dienstgrade im Vergleich: Luftwaffe Royal Air Force USAAF Flieger Aircraftman 2nd Class Private VVS (sowjetisch) Ryadovoi Gefreiter Aircraftman 1 Class Private 1 Class Yefreitor Obergefreiter Leading Aircraftman - - Hauptgefreiter - - - Unteroffizier Corporal Corporal Mladshii Serzhant Unterfeldwebel Sergeant Sergeant - Feldwebel Sergeant Sergeant Serzhant Fahnenjunker-Oberfeldwebel (Officer-Candidate) Technical Sergeant - Fähnrich (Officer-Candidate) - - Oberfeldwebel Flight Sergeant Staff (Master) Sergeant Starshii Serzhant Oberfähnrich (Senior Officer Candidate) - - Stabsfeldwebel Warrant Officer Master Sergeant Starshina - - Flight Officer Mladshii Leitenant Pilot Officer 2nd Lieutenant Leitenant Leutnant Oberleutnant Hauptmann Major st st Leseexemplar Flying Officer 1 Lieutenant Starshii Leitenant Flight Lieutenant Captain Kapitan st Squadron Leader Major Mayor Oberstleutnant Wing Commander Lieutenant Colonel Podpolkovnik Oberst Group Captain Colonel Polkovnik Generalmajor Air Commodore Brigadier General General Mayor Generalleutnant Air Vice Marshal Major General General Leitenant General der Flieger Air Marshal Lieutenant General General Podpolkovnik Generaloberst Air Chief Marshal General (4 Star) General Armii Generalfeldmarschall Marshal of the RAF General (5 Star) / Field M. Marshal Reichsmarschall - - - 11 Deutsche Luftwaffe Deutsche Luftwaffe Die Deutsche Luftwaffe war in Staffeln gegliedert, Jede Staffel hatte üblicherweise als Sollstärke zwölf Flugzeuge. Zu Beginn des Krieges bestand eine Gruppe aus drei Staffeln, später (etwa ab 1943 beginnend) oft auf vier Staffeln erweitert. Eine Gruppe bestand somit aus 36–48 Flugzeugen (bei optimalen Bedingungen, also Friedensstärke!). Wiederum 3–4 Gruppen bildeten ein Geschwader, welches somit über 108 (drei Gruppen zu je drei Staffeln) bis 192 (vier Gruppen zu je vier Staffeln) Flugzeuge verfügte – zuzüglich der Stabsstaffel (meist vier Maschinen) einer Gruppe und des Geschwaders selbst. Diese Zahlenangaben wurden freilich in der Praxis nur selten auch nur annähernd erreicht, Ende 1944 brachte so manches Jagdgeschwader (abgekürzt = JG) gerade mal noch 60 Flugzeuge in die Luft. Die Flugzeuge jeder Staffel waren bei Jägereinheiten mit Zahlen, bei Bombereinheiten mit Buchstaben codiert. Diese Zahlen oder Buchstaben hatten unterschiedliche Farben – welche die Staffel innerhalb einer Gruppe kennzeichneten. Die Staffeln wurden durchnummeriert: 5. /JG = 2. der II./ JG (bis Mitte 1944 siehe unten). Bei den Bombereinheiten – dies sei nur kurz erwähnt – gilt: B3 HL und B3 KL: „B3“ codiert das Kampfgeschwader (KG) 54, „L“ die 3. Staffel der I. Gruppe, „H“ bzw. „K“ definieren das individuelle Flugzeug. Die individuelle Kennung ist bei einer 1. (4., 7., usw.) Staffel weiß, 2. (5., 8. usw.) Staffel rot und 3. (6., 9. usw.) Staffel gelb. GR ist entsprechend ein Bomber der 7. *1/ KG 54, wobei B3 „R“ für 7. Staffel steht, die individuelle Kennung in einer 7. Staffel hat die Farbe weiß. Jagdeinheiten (Tagjagd – Nachtjäger führten eine den Bombern ähnliche Systematik): Die Farbe der Zahlen bezeichnete die erste, zweite, dritte, vierte oder Stabsstaffel innerhalb einer Gruppe. Diese Farben wiederholten sich dann in der nächsten Gruppe desselben Geschwaders. Um die Gruppen auseinander halten zu können, wurden hinter dem Hoheitsabzeichen Zeichen aufgemalt, welche die entsprechende Gruppe kennzeichneten. Das Fehlen dieses Zeichens definierte die erste Gruppe, ein horizontaler Balken die zweite, ein vertikaler Balken (anfangs alternativ eine Wellenlinie, was später aufgegeben wurde, als vierte Gruppen eingeführt wurden) die dritte und eine Welle die vierte Gruppe. Eine Staffel wurde mit einer arabischen Ziffer benannt, eine Gruppe mit einer römischen Zahl. Also: 3./JG 27 = 3. Staffel des Jagdgeschwaders 27 Aber: III./JG 27 = III. (= 3.) Gruppe des Jagdgeschwaders 27 Stabsstaffeln trugen meist besondere Zeichen, wie Winkel oder Doppelwinkel. Hierbei war es üblich, einen Gruppenkommandeur mit einem Doppelwinkel zu definieren, den Gruppenadjutanten mit einem einfachen Winkel, während ein einfacher Winkel gefolgt von einem senkrechten bzw. horizontalen Balken die Führung des Geschwaderstabes codierten. Die Beispiele erfolgen willkürlich mit der Nr. 5: 1. Staffel / I. Gruppe: 5 2. Staffel / I. Gruppe: 5 3. Staffel / I. Gruppe: 5 Stabsstaffel I. Gruppe: 5 oder 5 oder 5 bzw. 4. Staffel / II. Gruppe: 5 5. Staffel / II. Gruppe: 5 6. Staffel / II. Gruppe: 5 Stabsstaffel II. Gruppe: 5 - oder 5 - oder 5 - bzw. 7. Staffel / III. Gruppe: 5 8. Staffel / III. Gruppe: 5 9. Staffel / III. Gruppe: 5 Stabsstaffel III. Gruppe: 5 | 10. Staffel / IV. Gruppe: 5 11. Staffel / IV. Gruppe: 5 12. Staffel / IV. Gruppe: 5 Stabsstaffel IV. Gruppe: 5 ~ ~oder 5 ~oder 5 ~bzw. Geschwaderstab: oder 5 oder 5 | bzw. | | | Unabhängig davon wird ein Verlust mit dem Code B3 8./ KG 54 gelistet. 12 GR am 6.6.1944 nicht regelkonform unter o - 1 - o 1 | ~ 1 ~ o | - o | ~ ~ ~ Ab Mitte/Ende 1944 bestanden die meisten Gruppen der Jagdgeschwader aus vier Staffeln: 5 1. Staffel / I. Gruppe: 2. Staffel / I. Gruppe: 5 3. Staffel / I. Gruppe: 5 4. Staffel / I. Gruppe: 5 Stabsstaffel I. Gruppe: 5 oder 5 oder 5 (soweit vorhanden) bzw. 1 o 5. Staffel / II. Gruppe: 5 6. Staffel / II. Gruppe: 5 7. Staffel / II. Gruppe: 5 8. Staffel / II. Gruppe: 5 Stabsstaffel II. Gruppe: 5 - oder 5 - - oder 5 - (soweit vorhanden) - bzw. - 1 - o 9. Staffel / III. Gruppe: 5 10.Staffel / III. Gruppe: 5 11.Staffel / III. Gruppe: 5 12.Staffel / III. Gruppe: 5 Stabsstaffel III. Gruppe: 5 | o 13. Staffel / IV. Gruppe: 5 14. Staffel / IV. Gruppe: 5 15. Staffel / IV. Gruppe: 5 16. Staffel / IV. Gruppe: 5 Stabsstaffel IV. Gruppe: 5 ~ ~oder 5 ~ ~oder 5 ~ ~ (soweit vorhanden) ~bzw. ~ 1 Geschwaderstab: *1 - oder 5 | | oder 5 | | (soweit vorhanden) | bzw. | 1 - | Leseexemplar Bis Mitte/Ende 1944 bestanden die meisten Gruppen der Jagdgeschwader aus drei Staffeln: 1 - | - - | ~ o | ~ - Die Zahlen waren in den Anfangsjahren meist schwarz oder weiß umrandet, ab Mitte 1944 selten. Deutsche Luftwaffe Diese mit deutscher Gründlichkeit eingeführte Systematik wurde freilich im „Felde“ beileibe nicht immer so konsequent eingehalten. Mit zunehmendem Verlauf des immer chaotischere Verhältnisse produzierenden Krieges wurde mehr und mehr improvisiert. So zeigt nachstehendes Foto vom 23. Dezember 1944, dass Unteroffizier der 5./ JG 4, also der II. Gruppe keinen horiErich Kellers 20 zontalen Balken über dem Rumpfband trug, wie es der Systematik für ein zweite Gruppe entsprochen hätte (20 - , beziehungsweise auf der hier sichtbaren Steuerbordseite des Rumpfes - 20) . Die Form des Balkenkreuzes änderte sich im Laufe des Zweiten Weltkrieges beträchtlich, Zum Vergleich sind folgende Profile geeignet: „Kennung“: 5 (schwarz ist regelkonform, 5./JG 11) - Form April 1943 (weißer Rand schwarz liniert) „Kennung“: 13 ~ (schwarz ist regelkonform, 14./JG 4) - Form November 1944 (weißer Rand nicht liniert) Leseexemplar „Kennung“: 3 (schwarz ist regelkonform, 2./JG 1) - Form Neujahr 1945 (nur als Linie angedeutet) 13 Royal Air Force (RAF) Zu Beginn des Krieges bis ins Jahr 1944 wurden die Geschwader untereinander durch teilweise fantasievolle Geschwaderwappen gekennzeichnet, welche seitlich am Rumpf entweder unter dem Cockpit oder auf der Motorhaube angebracht waren. Zwei der berühmtesten sind das grüne Herz des JG 54 und das Afrika-Emblem des JG 27 (was übrigens zunächst nichts mit dem Afrikaeinsatz des Geschwaders zu tun hatte, sondern seit Oktober 1939 – also vorher bereits – existierte). Beispielhaft sind hier für die Jagdgeschwader das „Eismeerwappen“ des lange in Norwegen kämpfenden JG 5 (links) oder das „Blitz emblem“ der II./ KG 3 (rechts) für die Bomber-Kampfgeschwader: Rumpfbänder: (zu beachten ist, dass Gelb längere Zeit für Ostfront stand und Weiß für den Mittelmeerraum) JG 1 JG 7 JG 53 JG 2 JG 11 JG 54 JG 3 JG 26 JG 77 JG 4 JG 27 JG 5 JG 51 JG 301 JG 6 JG 52 JG 5 II./ KG 3 Ab Ende 1943 wurden diese Wappen in den Geschwadern der Reichsverteidigung und dann im Laufe des Jahres 1944 in allen Jagdgeschwadern der Luftwaffe durch Rumpfbänder verschiedener Farben ersetzt. Die Bänder entstanden zunächst in Eigeninitiative der Geschwader, um nach einem Angriff das Erkennen und Sammeln zu erleichtern – sie wurden erst am 24.12.1944 offiziell. Dagegen wurde das Führen der Wappen untersagt, was den Sinn haben sollte, die Identifikation einer notgelandeten Maschine dem Gegner zu erschweren. Viele Geschwader wollten aber auf ihre Traditionswappen nicht verzichten, sodass die Anweisung nicht immer konsequent befolgt wurde und teilweise beide Kennzeichen nebeneinander geführt wurden. Erst Ende 1944 verschwanden die Wappen weitgehend. JG 300 rot bis 12/1944 Flugrichtung des Jägers, d.h. das Rumpfband ist definiert aus der Sicht auf die linke (Backbord-) Seite. Royal Air Force (RAF) Fighter Squadron = „FS“, Fighter Group = „FG“. Die britische Royal Air Force war gegliedert in Squadrons. Eine Squadron war die kleinste eigene Organisationseinheit. Eine voll ausgerüstete Squadron des Fighter Command (der Jagdwaffe) verfügte über durchschnittlich je 20 (12–24) Flugzeuge mit Mannschaft und Wartung. Zu Beginn des Krieges bestand eine Squadron überwiegend aus 20 Maschinen, im Laufe der Auseinandersetzungen reduzierte sich SA = 486 Squadron U = W.O. O.J. Mitchell SA U Leseexemplar FN = 331 Squadron B = Captain J. Ræder FN B Anders als in der USAAF ist die Bezeichnung in RAF-Squadrons nicht 331st, sondern 331 Squadron. 14 US Army Air Force (USAAF) deren Zahl Mitte 1940 auf 12. Ab August 1940 wurde als Sollstärke wieder die Anzahl von 20 Jagdflugzeugen etabliert, aber erst später erreicht. Dies bedeutete allerdings in der Royal Air Force nicht zwangsläufig, dass auch 20 Piloten zur Verfügung standen, der Sollstand bezog sich auf die vorhandenen Maschinen inklusive Reserve. Mehrere Squadrons formierten einen Wing, mehrere Wings eine Group. Die Markierungen bestanden aus zwei Buchstaben oder einem Buchstaben und einer Zahl vor der britischen Kokarde. Diese Kombination kennzeichnete die Squadron. Ein weiterer Buchstabe hinter der Kokarde definierte das individuelle Flugzeug innerhalb der Squadron. US Army Air Force (USAAF) Fighter Squadron = „FS“, Fighter Group = „FG“. Das System ähnelt dem der Royal Air Force. Eine Squadron bestand jedoch aus etwa 18 Jagdflugzeugen (18–24). Drei Squadrons formierten eine Group, die somit bis zu 72 Jagdmaschinen enthalten konnte, was unter Einsatzbedingungen allerdings selten erreicht wurde. So umfasst beispielsweise am 19. März 1945 ein Einsatzflug der 78th Fighter Group die Anzahl von 47 beteiligten P-51 „Mustangs“ (vgl. Kapitel 25). HO = 487th Squadron M = Col. J.C. Meyer HOM Die drei Squadrons innerhalb einer Group unterschieden sich oft durch die Farbe des Seitenruders. Blau und HO codiert hier innerhalb der 352nd Fighter Group die 487th Fighter Squadron. PE = 328th Squadron B = Capt. Don Bryan PE B Rot und PE codiert hier innerhalb der 352nd Fighter Group die 328th Fighter Squadron. G4 = 362nd Squadron C = Capt. ’Kit’ Carson G4C (Die Motorhaube trägt hier ein rot-gelbes Schachbrettmuster im Gegensatz zu den „Blaunasen“ oben). Wogegen eine andere Fighter Group immer ein deutlich anderes Farbmuster trug – hier 357th Group. Eine Group war die kleinste eigene Organisationseinheit. Mehrere Groups ergaben einen Wing, sodass das System „Group – Wing“ nicht mit der Royal Air Force identisch war. Leseexemplar VVS (Voenno-Vozdushnye Sily – sowjetische Luftkräfte) Die sowjetische Kennzeichnung beschränkte sich meistens auf eine Nummer, manchmal ergänzt durch individuelle Widmungen, wie sie auf den Maschinen aller Nationen zu finden waren. I4 I4 (linke Seite) (rechte Seite) 15 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... 5. Juni 1944 Die deutsche Abwehr schläft nicht. Auch nicht die Funkaufklä rung. Sie hört Radio. Und BBC London sendet Gedichte ... des violons de l‘automne » « Les sanglots lourdes Die ersten drei Zeilen des Sechszeilers von Verlaine waren bereits am 1. Juni 1944 über den Äther gegangen und hatten die Kämpfer der französischen Widerstandsbewegung, der „Résistance“, in Bereit schaft versetzt. Denn das ist der Sinn, die verschlüsselte Botschaft der Radiosendung. Eigentlich hätte es korrekt ausgesprochen heißen müssen: « Les sanglots longues des violons de l‘automne », solche Feinheiten der französischen Sprache sind in diesen Zeiten allerdings eher nebensächlich! Doch nun, am 5. Juni 1944 gegen 18.00 Uhr *1, folgt der zweite Teil. Der deutsche Funkoffizier ist schlagartig hell wach, als die drei letzten Zeilen der Strophe des Gedichtes in seinen Ohren klingen: « Bercent mon cœur d‘une langueur monotone. » Denn das bedeutet nichts anderes, als dass die schon lange er wartete Invasion der alliierten Truppen in Frankreich unmittelbar bevorsteht. Innerhalb von 24 Stunden! Das hatte der deutsche Ge heimdienst herausgefunden. Auch wenn es richtigerweise « Blessent mon cœur ... » lauten müsste. Somit nun morgen, am 6. Juni 1944! Jetzt ist es also soweit. Jetzt? Bei dem Sauwetter? Kaum zu glau ben! Aber die Botschaft ist eindeutig. Es ist für die Résistance der Befehl zum Losschlagen. Danach gibt es kein Zurück mehr! Also: ALARM ! Ab etwa 22.00 Uhr *2 sind die Soldaten der 15. deutschen Armee in Gefechtsbereitschaft. Die 15. Armee verteidigt die Stelle, an der das deutsche Oberkommando die Invasion erwartet. Die engste Stelle des Ärmelkanals, die Straße von Calais. Hier sind die Befestigungen, Bunker, Abwehrstände und Verhaue am besten ausgebaut. Das Hauptquartier der 15. Armee liegt in Tourcoing bei Lille. Man ist bereit, die Amerika ner und Engländer gebührend zu empfangen. Die Zuständigkeit der 15. Armee reicht nach Westen bis zur Mündung des Flusses Orne. Die Orne erreicht den Ärmelkanal bei Ouistreham 35 Kilometer südwestlich von Le Havre. Weiter westlich schließt sich die 7. deutsche Armee an. Doch die 7. Armee verharrt ahnungslos. Die im Bereich der 15. Armee aufgefangene Alarmmeldung wird nicht an sie weitergege ben. Zur 7. Armee gehört das LXXXIV. (84.) Armeekorps. Dessen kommandierender General sitzt um Mitternacht noch an seinem Schreibtisch in Saint-Lô, als drei Offiziere mit einer Flasche Chablis hereinkommen, um den 53. Geburtstag ihres Chefs, General Erich Marcks, zu begießen. Die Feier ist kurz. Am nächsten Morgen ist eine Übung geplant – im Hinterland in Rennes. Da heißt es, früh aufzubrechen. Das Thema der Übung: Abwehr feindlicher Luftlan detruppen. Die Warnung erreicht General Marcks nicht. Auch nicht General oberst Friedrich Dollmann, den Befehlshaber der 7. Armee. Auch er hat vor, nach Rennes zu fahren. Die 7. Armee verteidigt die Küsten streifen von Ouistreham an bis St. Nazaire. Es ist ein Gebiet, das als eher weniger bedeutend angesehen wird. Entsprechend lückenhaft sind hier die Befestigungen des so genannten „Atlantikwalles“. Unmittelbar südwestlich von Ouistreham liegt Caën. Und zwi schen Caën und Cherbourg beginnt die Nacht wie immer. Wacht posten verrichten ihren Dienst. Im Westen nichts Neues. Im Westen von Ouistreham. In der Normandie. Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B in Frankreich, Feld marschall Erwin Rommel, bricht bereits am 4. Juni 1944 mit seinem Wagen auf und verlässt sein Hauptquartier in La Roche-Guyon. Er will am Abend in seiner Heimat Herrlingen bei Ulm sein, um den 50. Geburtstag seiner Frau zu feiern. Am 6. Juni 1944 ist eine Besprechung mit Hitler auf dem Obersalzberg vorgesehen. Rommel will Hitler auf die Schwäche seiner Streitkräfte hinweisen und mindestens zwei neue Panzerdivisionen verlangen, zudem ein Fliegerabwehrkorps und eine Brigade Raketenwerfer. Doch woher sollte das an allen Fronten hart bedrängte Deutschland diese Kräfte nehmen? Das ist Rommel klar – und doch: er benötigt diese Truppen! Mindestens! Seine Streitmacht ist zusammengewürfelt aus aller Herren Länder. Zwangsverpflichtete, übergelaufene oder freiwillig in die deutsche Wehrmacht eingetretene Kroaten, Ungarn, Polen, Letten, Litauer, Russen, Ukrainer, Georgier, Tataren und viele andere Nationalitäten machen einen spürbaren Teil der Verteidigungsstreitmacht in Frankreich aus. Wie zuverlässig die se unter Feindbeschuss kämpfen würden, ist nicht vorhersehbar. Und die deutschen Truppen? Die Panzerdivisionen, teilweise Verbände der Waffen-SS, sind gut ausgerüstet und hochmotiviert. Doch unter den anderen Divisionen sind viele, die als Leichtverletzte aus den mörderi schen Kämpfen in Russland nach Frankreich abgezogen worden waren. Eine ganze Division, die 70. Infanteriedivision, besteht aus Magenkran ken, die eine spezielle Diät erhalten. Die deutsche Wehrmacht hatte bis zum Ende des Kriegsjahres 1943 an Gefangenen, Versehrten und Gefallenen insgesamt 2.086.000 Mann verloren. Das wirkt sich aus. Und die Luftwaffe? Selbst die größten Optimisten unter den Gene rälen wissen inzwischen, dass die wenigen deutschen Geschwader ge gen die alliierte Übermacht nur noch Schadensbegrenzung betreiben Leseexemplar Die Zeitangabe entspricht deutscher Zeit. Auf Grund der doppelten britischen Sommerzeit entspricht 22.00 Uhr in Frankreich 23.00 Uhr in England. Oberstleutnant Meyer, Abwehrchef der 15. deutschen Armee, alarmiert Generaloberst Hans von Salmuth, den Oberbefehlshaber der 15. Armee, um 21.15 Uhr deutscher Zeit (somit 22.15 Uhr britischer Zeit). *1 *2 404 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... können. Die Frage ist allenfalls noch, in welchem Maße das gelingen kann. Eine Luftüberlegenheit der deutschen Jagdflugzeuge, gar die Luftherrschaft über den Invasionsstränden ist völlig illusorisch. Der Himmel wird den Briten und Amerikanern gehören, damit wird man sich abfinden müssen – es ist bereits jetzt der Stand der Dinge. Die Übermacht der Amerikaner und Engländer beträgt 50 : 1 gegenüber der deutschen Luftwaffe in Frankreich, die am 31. Mai 1944 auf fran zösischem Boden gerade mal 891 Maschinen aller Typen aufbieten kann. Davon sind nur 496 einsatzbereit ... Am 4. Juni 1944 stehen den kampfstarken und zahlenmäßig üp pig ausgerüsteten britischen und amerikanischen Luftflotten in ganz Frankreich 173 deutsche Jagdflugzeuge gegenüber. 119 davon sind flugfähig. 71 gehören zum Jagdgeschwader (JG) 26, die übrigen 48 sind Maschinen des JG 2. Die alliierte Luftherrschaft hat schwere Konsequenzen. Der „Wüs tenfuchs“ Rommel, früher in Nordafrika glühender Verfechter und Meister des Bewegungskrieges mit schnellen Verbänden, hatte gegen Ende des Feldzuges erleben müssen, wie seine Verbände gnadenlos aus der Luft zusammengebombt und in Fetzen geschossen worden waren. Er weiß, dass er den Feind in Frankreich unmittelbar an der Küste vernichten muss. Gelingt diesem der Durchbruch ins Hinter land, so ist er kaum noch aufzuhalten. Denn die Luftüberlegenheit der Gegenseite erlaubt deutsche Truppenbewegungen nur bei Nacht. Panzer-Gegenangriffe am Tage sind extrem durch die Bomben und Raketen der angloamerikanischen Jagdbomber gefährdet. Der ge wiefte Wüstenfuchs sollte Recht behalten! Rommel benötigt Verstärkungen – dringend. Sollte es den Alli ierten gelingen, in Frankreich Fuß zu fassen, so ist der Krieg für Deutschland endgültig verloren. Das ist Rommel klar. Doch im Moment dürfte man vor einer Invasion einige Tage lang sicher sein. Das Sturmtief peitscht die See auf, für eine geordnete Anlandung an den Stränden ist ein derartiger Seegang ein großes und doch wohl völlig unnötiges Risiko. Und die tiefe Wolkendecke erschwert den für den Erfolg des Landungsunternehmens so wichti gen Einsatz der britischen und amerikanischen Bomber, Tiefflieger, Transportmaschinen, Aufklärer usw.! Außerdem herrscht Ebbe. Man wird ja wohl nicht gerade bei Ebbe landen – wenn die Soldaten nach dem Aussteigen aus den Landungsbooten über mehrere hundert Me ter offenes, ungeschütztes Watt-Gelände laufen müssen, bis sie an der Ufer-Böschung ein Minimum an natürlicher Gelände-Deckung erreichen. Das wäre glatter Selbstmord! Die alliierten Befehlshaber werden ihre Leute kaum ins offene Messer rennen lassen, direkt hinein ins deutsche Maschinengewehr- und Granatfeuer. Bei Flut können die Landungsboote direkt ans Ufer fahren. Die vor MG-Feuer geschützt hinter den Stahl-Rampen der Landungsboote kauernden Sturmtruppen in den Booten können so die Entfernung, die die Sol daten bei Ebbe völlig ungeschützt im Sturmlauf bewältigen müssten, viel sicherer überwinden. Bis sich die Rampen nun mal irgendwann dann doch öffnen müssen! Ja, sie werden bei Flut kommen und ruhigem Wetter, so wie bei allen ihren (sorgfältig analysierten) Landungen bisher, beispielsweise in Italien – alles andere ist gegen jede militärische Logik. Also wird man jetzt, bei Ebbe und diesem regnerischen Mistwetter, einige Tage Ruhe haben, kann gefahrlos momentan erforderliche Umgruppie rungen vornehmen – denn eine Einheit in der Verleg ungsphase ist nicht kampfbereit. Für eine Verlegung benötigt man Straßen, und die Straßen sind derzeit einigermaßen sicher vor den verfluchten allgegenwärtigen britischen und amerikanischen Jagdbombern und Mittelstreckenbombern. Also wenn, dann jetzt! Auch kann man nun Übungen durchführen wie die in Rennes, zur Abwehr einer Luftlan deaktion der Alliierten. Eine solche wird der Invasion vorangehen, das ist klar. Aber nicht heute Nacht. Somit kann man im Moment ohne Risiko die Kommandeure für jene Übung von ihren Einheiten abziehen. Und man kann nach Deutschland fahren zur Geburtstagsfeier beziehungsweise – wichtiger – zur Besprechung mit Adolf Hitler, der sich bis heute die letzte Entscheidung zum Einsatz der Panzer reserven vorbehält, ja sogar Verschiebungen innerhalb von Armee gruppen von seiner Zustimmung abhängig macht. Ohne ihn geht in der von Hitler bewusst kompliziert gehaltenen Entscheidungshie rarchie der deutschen Streitkräfte in Frankreich nichts, dafür hat Hitler gesorgt. Nicht einmal Rommel, der sich als Befehlshaber der Heeresgruppe B mit dem „Oberbefehlshaber West“, Generalfeldmar schall Gerd von Rundstedt, abstimmen muss, kann über seine Kräfte uneingeschränkt verfügen. Rommel hatte in der Vergangenheit ver sucht, wenigstens den Oberbefehl über die Küstenanlagen und den strandnahen Aufmarsch zu erhalten. Vergebens. Vielleicht ergibt sich jetzt im Gespräch mit Hitler eine Chance? Schließlich hatte ihm Hitler Ende 1943 den Befehl erteilt, die Verteidigungsanlagen an der Atlantikküste zu inspizieren und zu einem unüberwindlichen Hindernis auszubauen. Rommel war flei ßig, überlegt und gezielt an die Arbeit gegangen. Doch wie sichert man eine Küste von Dänemark bis zur Biskaya? Es wird fieberhaft gearbeitet, die deutsche „Organisation Todt“ errichtet mit Hilfe vieler Fremd- und Zwangsarbeiter Bunker und Verteidigungsstellungen. Die französische Résistance-Widerstandsbewegung sabotiert dies, wo es geht – bis hin zu minderwertigem Beton, der bei weitem nicht so beschussfest ist, wie er sein sollte. Rommel isst nicht, vergisst zu schlafen. Vielleicht raubt ihm auch die Sorge den Schlaf. Er improvi siert, wo er kann. Doch in Anbetracht der gigantischen Aufgabe hat er keine andere Wahl, als Prioritäten zu setzen. Wann werden sie kommen? Sicher bei Flut, das ist nahe liegend. Also lässt Rommel Tausende Stangen und Verhaue unter Wasser er richten, „spanische Reiter“ – knapp unter der Wasserlinie, bezogen auf den Wasserstand bei Flut. Diese werden mit Minen versehen und Metallteilen, die die Landungsboote in die Luft sprengen oder ihnen den Rumpfboden aufschlitzen sollen. Denn die Rudergänger der Boote können diese Unterwasserhindernisse nicht sehen. Bei Flut sind sie unsichtbar! Bei Ebbe sind sie sichtbar. Für die Kämpfer der Résistance genauso wie für die alliierten Aufklärer. Diese Verteidigungsanlagen werden auf der anderen Kanalseite ernst genommen. Vielleicht sollte man doch besser bei Ebbe landen? Gut, aber was ist mit den deutschen Geschützen, Granatwerfern und Maschinengewehrnestern? Die Opfer unter den Sturmtruppen müssen doch bei Ebbe verheerend werden! Ja – sofern noch jemand da ist, der auf deutscher Seite schießt. Das aber – da ist man zuversichtlich – wird man weitgehend ver Leseexemplar 405 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... hindern können! Denn das Trommelfeuer aus Abertausenden von Schiffsgeschütz en, schiffsgestützten Raketenwerferbatterien samt dem Ausmaß an Bombenhagel, das man den deutschen Küstenver teidigungen zugedacht hatte, überlebt dort garantiert keiner! Da ist man sich doch weitgehend sicher in den alliierten Planungs stäben. Es dürfte kaum etwas von den Bunkern und MG-Nestern übrig bleiben, was noch auf die anstürmenden Amerikaner, Briten und Kanadier feuern könnte. Dafür würde man schon sorgen! Also: es wird bei Ebbe gelandet. Rommels spanische Reiter werden so komplett unwirksam gemacht. Damit rechnet Rommel nicht. Und doch – er setzt nicht nur auf eine Karte. Panzersperren am Strand und im Hinterland stehen bereit. Allerdings: die eigenen Panzer hatten diese Sperren vier Jahr zuvor auch nicht aufhalten können. Seine „Spargel“ sind versteck te Hindernisse in den Wiesen im Küsten-Hinterland, arm iert mit alten französischen Granaten, auch Minen. Sie sollen Lastensegler bei der Landung zerstören. Ganze Landstriche werden unter Wasser gesetzt – tödliche Fallen für die schwer bepackten Fallschirmjäger, die sich in der Regel nicht schnell genug ihrer in die Tiefe ziehenden Lasten entledigen können. Zwei bis drei Millionen Minen werden verlegt – viel zu wenig, Rommel verlangt 100-200 Millionen. Doch die kann Deutschlands Kriegsindustrie nicht schnell genug her stellen. Dann die Bunker. Am 1. Mai 1944 befinden sich erst 299 der 547 Küstengeschütze in betonierten Verteidig ungsanlagen. Und dies vor allem dort, wo man am ehesten einen Angriff erwartet, an der Engstelle des Kanals bei Calais. Noch wesentlich weniger vollständig sind die Befestigungen in der Normandie und Bretagne. Die Zeit drängt! Wo werden sie kommen? Rommel überlegt fieberhaft – wie auch der übrige Generalstab. Indizien gab es bereits genug – doch wider sprüchlicher Natur. Im deutschen Generalstab versucht man, aus den pausenlosen alliierten Luftangriffen auf die Absichten des Gegners zu schließen. Doch die Amerikaner und Briten zerstören systematisch sämtliche Verkehrswege in Nordfrankreich, Straßen, Brücken, Bahn höfe und Eisenbahnnetze. Am 24. Mai 1944 beispielsweise bombar dieren B-26 „Marauder“-Mittelstreckenbomber alle Brücken über die Seine oberhalb von Mantes. Immer neue Angriffe verhindern deren Instandsetzung. Auch die französische Widerstandsbewegung macht sich effektiv durch Sabotageakte bemerkbar. Wo ist die Invasion zu erwarten, wenn der Feind es sich leisten kann, seine Absichten hinter einem flächendeckenden Bombenhagel und Anschlägen allüberall zu verbergen? Für eine Landung in der Normandie oder Bretagne spricht die Anzahl größerer Häfen dort. Nur ein eroberter Hafen verspricht raschen Nachschub für die anfangs nach der Landung sehr gefähr deten Truppen. Doch andererseits verdichten sich Indizien für eine bevorstehende Landung am Pas de Calais, der Wasserstraße zwi schen Calais und dem britischen Dover. Gegenüber, auf der anderen Seite des Kanals, beobachten deutsche Aufklärungsflugzeuge die Errichtung neuer Flugplätze voll mit Flugz eugen und die Konzen trierung ganzer Panzeransammlungen sowie von Landungsbooten und ähnlichem Kriegsmaterial in den Häfen. Dass die Aufklärer nur sehr dilettantisch von britischen Jägern angegriffen werden, fällt nicht auf. Aus der Luft ist auch nicht zu erkennen, dass diese Flugzeuge, Panzer wie Landungsboote aus Pappmaschee beste hen! Zumal einige deutsche Agenten in England dem deutschen Geheimdienst die alliierten Landungsabsichten bei Calais bestä tigen, so „Garbo“, „Snow“ und „Brutus“. Die Deutschen wissen nicht, dass alle drei britische Doppelagenten sind, die den deut schen Geheimdienst gezielt mit nachprüfbar echten und dann an schließend mit nicht nachprüfbar falschen Informationen versor gen. Deren Effekt wiederum ist durch die Briten erkennbar, da sie den deutschen Funk-Code entschlüsseln konnten, seit ihnen eine unbeschädigte „Enigma“-Verschlüsselungsmaschine in die Hände gefallen war. Diese Maschine ist derartig raffiniert aufgebaut, dass die Deutschen selbst in einem solchen Fall eine Entschlüsselung ihrer Funktionsweise für ausgeschlossen halten. Doch so schwierig es war – es glückte! Die Briten können also kont rollieren, ob ihnen die Gegenseite auf den Leim geht. Am 8. Juni 1944 meldet Garbo den Deutschen, die Landung der Alliierten in der Normandie sei ein Ablenkungsmanöver, die eigentliche Landung stehe am Pas de Calais noch bevor. Die Deutschen fallen darauf herein. Ein folgen schwerer Fehler. Die alliierten Befehlshaber, der amerikanische Oberkommandie rende General Dwight D. „Ike“ Eisenhower und sein britischer Kollege Feldmarschall (Field Marshal) Bernard Montgomery, Rommels alter Gegenspieler aus Nordafrika, müssen entscheiden. Der Landungsort war längst festgelegt worden – in einer umfangreichen Generalstabs studie. Hollands Küsten sind zu leicht unter Wasser zu setzen, vor Belgien ist die Meeresströmung zu stark. Die Bretagne hat günstige Bedingungen an der Küste, ist jedoch etwas zu weit von England ent fernt und liefert nur mäßige Vormarschstraßen ins Landesinnere. Der Pas de Calais bietet Vorteile, hat aber steile Strände – und: hier er warten die Deutschen den Angriff. Also ergibt sich als einzig sinnvoll verbleibendes Ziel die Normandie. Deren Küste ist meistens flach, die Straßenverbindungen sind (nach Instandsetzung der Bombenschäden) gut und – vor allem – es gibt große Häfen. In der Normandie wird man angreifen! Und die Deutschen wird man in ihrem Glauben bestärken, dass man am Pas de Calais landen werde. Bleibt der Zeitpunkt. Zunächst wird ein Termin im Mai 1944 anvisiert. Doch dann sind noch nicht genug Landungsboote und Landungsschiffe bereitgestellt. Daraufhin wird der 5. Juni ins Auge gefasst. Nun ist alles vorbereitet – es kann losgehen. Die Bedingun gen stimmen, es ist Ebbe – und ein spät, also erst zur Absprungzeit aufgehender Vollmond, unabdingbare Voraussetzung für die Durch führbarkeit der Luftlandeoperationen. Doch das Wetter spielt nicht mit. Noch ist die Geheimhaltung gewahrt. Die Truppen sind an Bord ihrer Schiffe. Die Hälfte der Männer ist bereits seekrank. Am 4. Juni um 04.30 Uhr wird der Angriff abgeblasen. Was nun? Die nächste Konstellation von Ebbe und Vollmond wird am 19. Juni 1944 bestehen. So lange kann man die Soldaten nicht an Bord lassen. Ihre Ausschiffung würde aber kaum geheim bleiben können – das Risiko wäre enorm, dass die Deutschen im letzten Moment doch noch herausfinden, wo die Invasion stattfinden soll. Außer dem wird von den Meteorologen für den 19. Juni wahrschein lich noch miserableres Wetter prophezeit. Aber übermorgen, am 6. Juni 1944, soll es ein Zwischenhoch geben – eine kurze Wetter Leseexemplar 406 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... besserung. Auch die Wolkendecke soll zeitweise aufreißen. Es ist 21.30 Uhr in England. Ob er dies garantieren könne, wird der Chefmeteorologe der Alliierten, Group Captain J. M. Stagg von der Royal Air Force, ge fragt. Er sei Meteorologe, kein Wahrsager, ist die Antwort. Keine Garantie! Die letzte Entscheidung liegt bei „Ike“ Eisenhower. Seine Uhr zeigt kurz vor 22.00 Uhr am 4. Juni 1944. Montgomery war schon heute früh gegen eine Verschiebung gewesen. Er drängt! Let’s go! Eisenhower fällt diese Entscheidung sehr schwer. Das Leben Tausender seiner Männer hängt von ihr ab. Alles in allem sind es 3.500.000 Mann und 20 Millionen Tonnen Material, die zur Ver fügung stehen! 22.00 Uhr ist die letztmögliche Uhrzeit für Ja oder Nein. Die Entscheidung muss getroffen werden – jetzt. Okay – Go! Auf deutscher Seite rechnen die Meteorologen nicht mit einer Wet terbesserung. Die Messstationen der Amerikaner um den Atlantik herum und deren Daten hat man nicht zur Verfügung! Außerdem – wie wertvoll ein einziger Tag kurzer Wetterbesserung sein kann, kann man diesseits des Kanals nicht überblicken. Doch dieser eine Tag ist wichtig. Und ein ganzer Tag ist lang. Es wird der „längste Tag“. 6. Juni 1944 – „D-Day” 01.00 Uhr – 01.45 Uhr nachts: (britischer Sommerzeit, für die deutsche Seite ist es 00.00 Uhr – 00.45 Uhr, denn in Frankreich gilt Mitteleuropäische Zeit (CET), somit weder die englische noch deutsche Sommerzeit. Die Zeitsysteme werden in Kapitel 15 erörtert, hier sei vorweggenommen, dass die Briten im Sommer ihre Uhren ausgehend von „Greenwich mean time“ (GMT) um zwei Stunden vorstellen ( GMT + 2h). In Frankreich gilt CET = GMT + 1h, in Deutschland deutsche Sommerzeit = CET + 1h GMT + 2 h). In Deutschland und England ticken die Uhren somit gleich, jedoch nicht in Frankreich, das im Sommer eine Stunde „nachhinkt“. Das LXXXIV. deutsche Armeekorps in Saint-Lô erhält Meldung über gegnerische Fallschirmjägerlandungen in der Normandie. Ge neral Marcks schmeckt der Chablis nicht mehr, er bricht unverzüg lich seine Vorbereitungen zur Reise nach Rennes ab. Offenbar kann man auf das Kriegsspiel verzichten – es wird grausame Realität, wie es scheint! Um 02.00 Uhr kommen weitere Meldungen. Dollmann, Salmuth und von Rundstedt – die deutschen Kommandeure – werden geweckt. Irgendetwas ist da im Gange! Die 13.200 britischen und amerikanischen Fallschirmjäger sind in alle Richtungen verstreut, die tiefe Wolkendecke hatte das Auffinden Leseexemplar 407 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... der Absprungzonen erschwert. Die Lastensegler waren zwar niederge gangen, doch die Verluste sind beträchtlich. Die deutsche Flak hatte ihnen zudem zugesetzt. Nun also sind sie unten. Sümpfe und Wasser hatten Opfer gefordert, viele der Männer waren unter der Last ihrer Ausrüstung in den überfluteten Gebieten versunken, hatten sich in den Fallschirmseilen verheddert und waren ertrunken. Auch Lasten segler schliddern ins Wasser, so an der „Pegasus“-Brücke. Nicht alle Insassen können sich befreien. Gruppen und Grüppchen sammeln sich, werden zu Stoßtrupps. Die Deutschen sind teilweise auf der Hut, andere völlig überrascht. Die Brücken über die Dives werden von den amerikanischen Fallschirmjägern gesprengt. Britische Fallschirmjä ger erobern die deutsche Artillerie-Batterie Merville im Handstreich, nachdem britische Lancaster-Bomber die Befestigungen mitten in der Nacht wenige Stunden zuvor hatten sturmreif bomben sollen. Doch die Bomben hatten ihr Ziel komplett verfehlt. Die Deutschen treten zum Gegenangriff an, erobern die Batterie zurück. Allerdings finden sie die Geschütze nun zerstört vor. Gegen 05.00 Uhr ist die Befestigung nach Feuerunterstützung durch das britische Kriegsschiff HMS „Arethusa“ wieder in britischer Hand. 65 britische Fallschirmjäger sterben, 190 sind bis heute vermisst. 30 werden verwundet und 22 geraten in Gefangenschaft. Es stellt sich heraus, dass die nun gesprengten deutschen Geschütze ein kleineres Kaliber gehabt hatten als erwartet. Für den nahe gelegenen britischen Landeabschnitt wären sie kaum eine Gefahr gewesen! Andere britische Fallschirmjägereinheiten erobern strategisch wichtige Brücken, so die später so genannte „Horsa“-Brücke über die Orne und die „Pegasus“-Brücke“ über den Caën-Kanal. Die deutschen Einheiten im Hinterland der Normandie werden teil weise überrumpelt und durcheinander gebracht. Doch auch die Fallschirmjägertruppen der Alliierten sind noch keine geordnete Kampfeinheit. Es formieren sich Gegenmaßnahmen. Zwar wird Generalleutnant Wilhelm Falley, Kommandeur der 91. Infanteriedivision, kurz vor Erreichen seines Gefechtsstandes erschossen. Eine MP-Salve erfasst seinen Wagen. Er springt heraus, die Pistole in der Hand. Eine zweite Geschossgarbe trifft ihn tödlich. Doch in Saint-Lô befiehlt General Marcks nun seinem einzigen Reserveregiment, nach Carentan vorzurücken und die Lage dort zu klären. Generaloberst Dollmann setzt weitere Truppenteile ein. Die 21. Panzerdivision, Reserve der Heeresgruppe B, wird in Marsch ge setzt. Der Befehl kommt von Generalleutnant Hans Speidel, Chef des Generalstabes der Heeresgruppe B und Stellvertreter Rommels. Kurz vor 06.00 Uhr ruft Blumentritt, Chef des Generalstabes des Oberbefehlshabers West, in Berchtesgaden an, um Hitler vom Beginn der Invasion zu unterrichten. Dort wird Generaloberst Jodl aus dem Schlaf gerissen. Er ist skeptisch. Er hält das Ganze für ein Ablen kungsmanöver. Der Führer war bis spät in der Nacht wach gewesen und erst vor kurzem eingeschlafen. Jodl wagt nicht, den für seine cholerischen Wutausbrüche berüchtigten Hitler zu wecken. Nicht wegen eines Ablenkungsmanövers. Generalfeldmarschall von Rundstedt, Oberbefehlshaber West, lässt es geschehen. Von tiefer Verachtung durchdrungen gegen Hit ler, den „böhmischen Gefreiten“ aus dem Ersten Weltkrieg, der sich anmaßt, seine Armeen zu befehligen und ihn zu bevormunden, resi gniert er. Der böhmische Gefreite will kommandieren, dann soll er es tun! Von Rundstedt hat die innere Kündigung längst eingereicht! 05.00 Uhr nachts: (britischer Zeit) Die Erde der Normandie erbebt unter den Bombeneinschlägen. 1.056 schwere britische Lancaster-Bomber nehmen sich die zehn wichtigsten deutschen Geschützbatterien vor. Merville, Fontenay und Saint-Martin-de-Varreville waren schon vor dem Absprung der Fallschirmtruppen mit Bombenteppichen belegt worden. Nun sind die Geschütze von La Pernelle, Maisy, an der Spitze von Hoc, Lon ques, Mont-Fleury, Ouistreham und Houlgate an der Reihe. Es ist ein mörderisches Bombardement. Doch das ist nur der Auftakt! Schemenhaft taucht aus dem Dunst die Invasionsflotte auf – eine gigantische Armada. Inzwischen ist sie auch auf den Radarschir men einer der letzten noch intakten deutschen Radarstationen vor Port-en-Bassin zu erkennen. Ein gezielt gelegter Nebelschleier verbirgt die Schiffe am östlichen Ende der Invasionsflotte vor den Zieloptiken der schweren Geschütze in Le Havre. Plötzlich tauchen drei schnelle Schatten auf. Es sind die deutschen Torpedoboote „T-38“, „Jaguar“ und „Möwe“. Viel mehr hat die deutsche Kriegsmarine nicht gegen die riesi ge Flotte aufzubieten. Die Boote werden sofort nach ihrem Erkennen in konzentrisches Feuer genommen und drehen ab. Doch ihre Torpedos laufen bereits auf die alliierte Flotte zu. Der norwegische Zerstörer „Svenner“ wird getroffen und sinkt sofort. Von Land her feuern einige deutsche Geschütze. Sie richten nicht viel aus. 05.30 Uhr: (britischer Zeit) 1.630 amerikanische viermotorige „Fliegende Festungen“ der Typen B-24 „Liberator“ und B-17 „Flying Fortress“ lösen die briti schen Lancaster-Bomber ab. Ein unbeschreibliches Bombardement pflügt die Küstenstreifen der Landestrände um. Die Bomben las sen wenig übrig von den Befestigungen unter ihnen – sofern sie im Zielgebiet einschlagen. Die Schlechtwetterfront wirkt sich aus wie befürchtet – die Bodensicht tendiert an vielen Stellen gegen Null. Die Bombenschützen orientieren sich dort alleine an ihren Navigationsinstrumenten. In den britischen Landeabschnitten lie gen die Bombenteppiche einigermaßen gut im Ziel. Nicht so im amerikanischen Landeabschnitt „Omaha“. Aus Furcht, die Bomben könnten wirkungslos ins Wasser fallen, klinken die „Liberator“Bomber hier einige Sekunden zu spät aus. Sekunden, die Meilen bedeuten. Der größte Teil der Bombenlast geht vier Kilometer hin ter den deutschen Verteid igungsstellungen nieder. Anlagen, die hier besonders gut befestigt sind. Nun eröffnen die Schiffsgeschütze vor den britischen Landeab schnitten „Sword“, „Juno“ und „Gold“ das Feuer. Es ist ein giganti sches Inferno aus Rauch, Detonationen und Explosionsblitzen. Über 6.000 Schiffe stehen den Alliierten zur Verfüg ung, die mit Abstand größte Invasionsflotte aller Zeiten. U.a. gehören dazu: fünf Schlacht schiffe, 23 Kreuzer, 69 Zerstörer, 56 Fregatten und Korvetten, 247 Minensucher, fünf Monitore und Kanonenboote, 256 kleinere Schiffe und 4.126 größere Landungsschiffe. Die unzähligen Landungsboote sind nicht mitgezählt. Das Stahlgewitter, welches da über den deut schen Unterständen und Bunkern niedergeht, ist nicht zu beschrei ben. Es wird ergänzt durch einen Hagel an Raketengeschossen, de ren Salven mit einem infernalischen Heulen auf die Strände zujagen und sich in die Explosionen der schweren Schiffsgranaten einreihen. Leseexemplar 408 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Und doch – so unglaublich es erscheinen mag: nicht alle deutschen Geschütze werden vernichtet, und nicht alle Soldaten im Zielgebiet getötet. Obwohl jeder Quadratmeter statistisch gleich mehrfach in Fetzen gehackt sein müsste. 05.50 Uhr: (britischer Zeit) Nun eröffnen auch die Schiffe vor den amerikanischen Lande abschnitten „Omaha“ und „Utah“ das Feuer. 20 Minuten später als bei den Briten – und kürzer. Die Amerikaner ziehen das Überra schungsmoment einem konzentrierten Trommelfeuer vor. Doch das Feuer ist konzentriert genug. Genug? Nicht ganz. Nicht im Abschnitt „Omaha“. Ab 06.30 Uhr: (britischer Zeit) „Utah Beach“ Einer der ersten Amerikaner betritt französischen Boden, genau um 06.39 Uhr. Es ist im Strandabschnitt „Utah“. Und es ist Briga degeneral Theodore Roosevelt junior. Roosevelt sucht nach bekann ten Anhaltspunkten für das Gelände. Er findet keine. Offenbar war die gesamte Landungsflotte abgetrieben worden. Doch der deutsche Widerstand ist gering. Von denen lebt kaum einer mehr. Etwa 200 US-GI`s kommen in diesem Landeabschnitt ums Leben. Nur 200 ... „Omaha Beach“ Der Zeitplan ist eingehalten. Das Meer ist bewegt, Schaumkronen zieren die Wellenspitzen. 32 Schwimmpanzer („DD-Tanks“) werden in etwa fünf Kilometer Abstand von der Küste zu Wasser gelassen. Es sind „Sherman“-Panzer, welche eine faltbare Hülle haben, die aufge blasen wie ein gigantisches Schlauchboot wirkt. Sie trägt sogar das Gewicht eines Panzers – vorausgesetzt, das Wasser schwappt nicht über den oberen „Schlauchboot“-Rand. Doch genau das passiert in der aufgewühlten See. Alle bis auf zwei sinken mitsamt ihren Besat zungen auf den Grund des Meeres. Auf dem rechten Flügel sollen weitere 28 Amphibienpanzer ge wassert werden. Doch 1st Lieutenant Rockwell erkennt das Desaster. Er steuert seine Landungsboote an den Strand, lässt diese lieber auf „DD-Tank“: Sherman-Schwimmpanzer. Grund laufen, als die Panzerbesatzungen den Seemannstod sterben zu lassen. Einige Landungsboote laufen gegen Hindernisse und sin ken. Die anderen kommen durch. Die Sherman-„Tanks“ rollen an Land. Sie werden von Panzerabwehrgranaten empfangen. Deutsche 8.8-cm-Geschütze nehmen sich einen Panzer nach dem anderen vor. Als alle vernichtet sind, kommen Rockwells Boote an die Reihe ... Inzwischen sind die Landungsboote mit der ersten Welle Infan terie am Strand. Die Deutschen im Abschnitt „Omaha“ haben das Schiffsartilleriefeuer weitgehend unversehrt überstanden. Die Solda ten der schlagkräftigen 352. Infanteriedivision schiessen gut gezielt aus allen Rohren. Granatwerfer überschütten die Amerikaner mit einem Geschosshagel, der nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was die Deutschen erdulden mussten. Doch diese konnten in geschützten Unterständen das Schlimmste überstehen – meistens, Volltreffer aus genommen. Die Amerikaner dagegen sind dem deutschen Feuer hilf los in der deckungslosen Strandfläche ausgeliefert. Bei Ebbe! Es kracht überall. Es passiert genau das, was nie hätte passieren dürfen. Leseexemplar „Omaha Beach“: Seit Steven Spielbergs Film „Saving Private Ryan“ haben viele Kinobesucher eine vage Ahnung von dem, was hier vor sich ging. An die Wirklichkeit reicht es bei aller schonungsloser Realitätsnähe der im Film gezeigten Szenen dennoch nicht heran! Diese Fotos sind nachträglich coloriert, allerdings ausgesprochen professionell. 409 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Allmählich kommt die Flut. Maschinengewehrsalven peitschen über den Strand. Die ame rikanischen Verluste gehen in die Tausende. Die US-Boys sind am Strand festgenagelt. Die nächste Welle folgt. Auch ihr ergeht es nicht besser. Zerfetzte Leiber übersäen den Strand, blutüberströmte Lei chen bedecken den Sand. Die Horrorszenen sind eingehend filmisch aufbereitet. Doch im Film dauert die Hölle etwa eine entsetzliche halbe Stunde. Die Realität ist weitaus ausdauernder! Der Alptraum nimmt kein Ende! Allmählich kommt die Flut. Für Verwundete, die nicht mehr weg kriechen können, ist es vorbei. Nun versuchen amphibische Trucks, Schwimmfahrzeuge mit Rä dern, so genannte „DUKW“s mit Geschützen an Bord, an Land zu kommen. Sie werden ausnahmslos im deutschen Abwehrfeuer ver senkt. Erst als es Oberst Canham und Brigadegeneral Cota am späten Vormittag gelingt, mit einer geballten Ladung (gebündelte Handgra naten) eine Bresche in den Stacheldrahtverhau zu sprengen, der den Eingang in den Hohlweg nach Saint-Laurent versperrt, wendet sich das Blatt. Die Flut ermöglicht es den vor der Küste liegenden Zerstö rern, nun auf Sichtweite an das Gemetzel auf dem Strandabschnitt heranzukommen. Sie feuern gezielt auf die deutschen Widerstands nester. Eine dieser Salven können Canham, Cota und einige Männer ausnützen. Der Volltreffer eines Zerstörers zerreißt den Geschütz stand von Moulins. Danach sind die Amerikaner durch. An anderen Bereichen des Strandabschnittes dauern die Kämpfe bis zum Abend an. Die Amerikaner verlieren etwa 3.500 Mann, die deutschen Verluste betragen etwa 700 Soldaten. „Gold Beach“ Die Briten gehen um 07.25 Uhr an Land. Die Bomber und Schiffs geschütze hatten ganze Arbeit geleistet. Dennoch gibt es erbitterten Widerstand. Die britischen Soldaten benötigen den gesamten Tag, die deutschen Stellungen in Le Hamel niederzuringen. Doch sie sind mehr als üppig mit Material ausgestattet. Im Gegensatz zu den Deut schen, die dem nicht viel mehr als ihren Durchhaltewillen entge genzusetzen haben. Da die See sehr aufgewühlt ist, bringen die Landungsboote hier die Panzer direkt an Land. Einige der Kampffahrzeuge werden von den Deutschen sofort mit Panzerabwehrgeschossen vernichtet. Doch die anderen dringen vor. Sie erhalten schnell Unterstützung. Es ergießt sich eine derartige Flut an Material, Panzern, „Crab“Minenräumfahrzeugen und anderem schweren Gerät an den Strand, dass die deutschen Verteidiger hoffnungslos auf verlorenem Posten stehen. Am deutschen Widerstand vorbei dringen die britischen Ver bände gegen Arromanches und Ver-sur-Mer vor. „Juno Beach“ Der Landeabschnitt ist der 3. kanadischen Division zugeordnet. Die nächtlichen Luftangriffe der Alliierten hatten kaum Schäden hinterlassen. Auch das mörderische Schiffsfeuer hatte nur etwa 15 % der Bunker außer Gefecht setzen können. Da sich die Lan dung wetterbedingt etwa eine halbe Stunde verzögert, haben die Deutschen nach Ende des Artilleriebeschusses genug Zeit, sich zu formieren. Sie sind bereit, als die Kanadier kommen. Allerdings sind die Män ner der 716. Division nur bedingt kampffähig, viele sind RusslandVeteranen mit behindernden Verletzungen. Leseexemplar 410 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Das Wasser ist schwer vermint. Die hohe Dünung erschwert die Landung. Man hat Mühe, die Schwimmpanzer zu Wasser zu lassen und heil an Land zu bringen. Es gelingt nur einigen von ihnen, die Küste zu erreichen, und diese kommen erst nach den Sturmtruppen an Land. Die Infanteristen bleiben bis zu diesem Zeitpunkt ohne Panzerunterstützung und erleiden entsprechend heftige Verluste. Am Ostende des Landeabschnittes ist die See so rau, dass die Infanterie ganz ohne Panzer auskommen muss. Der deutsche Widerstand ist grimmig und entschlossen. Auch der westliche deutsche Stützpunkt Courseulles-sur-Mer hält sich tapfer. Heftige Gefechte entbrennen. Nach einer Stunde ist die Hälfte der an Land gegangenen Kanadier tot, im deutschen Feuer gefallen. Es ist weniger bekannt – doch das entspricht durchaus der Verlustrate der Amerikaner in Omaha Beach zu diesem Zeitpunkt! Nun allerdings wirken sich die noch kampffähigen Panzer der Kanadier aus. Es ge lingt ihnen, die deutschen Verteidigungsstellungen zu durchbrechen. Mit ihrer Hilfe überwinden die Kanadier den Strandwall und fallen den Deutschen nun in den Rücken. Dennoch wird verbissen weitergekämpft – buchstäblich bis zur letzten Patrone und Handgranate. Die Hauptstreitmacht der Kana dier umgeht allerdings fortan die Widerstandsnester und dringt ins Landesinnere vor. „Sword Beach“ Es ist der östlichste der fünf Landeabschnitte. Um 06.00 Uhr ver lassen die ersten Landungsboote ihre Mutterschiffe. Auch 34 „DDTanks“ – Schwimmpanzer – werden zu Wasser gelassen. Die See an diesem Strandabschnitt ist relativ ruhig, sodass das Anlanden der Panzer gelingt. Überwiegend gelingt. Denn zwei der Panzer versin ken in den Fluten. Die anderen erreichen das Ufer etwa zeitgleich mit der ersten Welle der Infanterie. Raketenwerfer der Briten belegen den Strand und seine Befestigun gen mit Dauerfeuer fast bis zum Landezeitpunkt der Landungsboote. Es ist 07.25 Uhr. Centaur IV-Panzer und Sexton-Selbstfahrlafetten sind so in den Landungsbooten positioniert, dass sie über den Rand der Rampe hinaus schon bei der Annäherung an den Strand auf er kannte gegnerische Stellungen feuern können. Bei La Breche empf ängt die Briten erbittertes und gut gezieltes Ab wehrfeuer. Einige Panzer werden abgeschossen. Doch schon naht die zweite Welle und landet. Als sich die Rampen senken, blicken die Sol daten direkt ins Mündungsfeuer der deutschen Geschütze und Ma schinengewehre. Der Kommandeur der 1st South Lancs fällt ebenso wie ein Kompanieführer und sein Stellvertreter. Der Kampf ist hart und mühsam. Es gelingt den Panzern aber, eine der deutschen Artil leriestellungen und Befestigungen nach der anderen zum Schweigen zu bringen. Erst gegen 10.00 Uhr ist es schließlich vollbracht. Westlich haben es die Briten mit weiteren deutschen Befestigungen zu tun. Der Hauptstützpunkt „Trout“ wird von den Royal Marines angegriffen. Drei „AVRE“-Panzer kommen ihnen zu Hilfe. Alle drei werden von einem deutschen Panzerabwehrgeschütz erledigt. Trotzdem ist der englische Durchbruch nicht aufzuhalten. Etwa 700 britische Soldaten sterben. Wie viele von ihnen den Geschossen aus den Maschinengewehren und Bordkanonen von Oberstleutnant Josef Priller und Unteroffizier Heinz Wodarczyk zum Opfer fallen, ist nicht bekannt. Die deutsche Luftwaffe Das erste deutsche Flugzeug, das über der Invasionsflotte er scheint, ist ein Jagdaufklärer der 3./NAGr 13. Leutnant Adalbert Bär wolf staunt nicht schlecht über das, was sich kurz nach Sonnenauf gang seinen Augen darbietet. Das Ausmaß der Todesmaschinerie unter ihm ist ungeheuerlich. Lille-Nord, 88 Kilometer südöstlich von Calais und knapp 250 Ki lometer östlich von Ouistreham. Stabszentrale des Jagdgeschwaders (JG) 26. Wenn man das so nennen kann. Denn das JG 26 wurde erst gestern, am 5. Juni 1944, gegen den erklärten und entschiede nen Einspruch seines Kommandeurs in alle Winde zerstreut, um die wertvollen Maschinen vor den immer gefährlicher werdenden angloamerikanischen Jagdbomberangriffen am Boden vorerst in Si cherheit zu bringen. Die I. Gruppe ist unterwegs in den Raum Reims, die III. Gruppe ist in Nancy, wobei die I. Gruppe bisher abends zu rückkehrt und sich frühmorgens aus der Schusslinie bringt. Nun ist beschlossen, sie dauerhaft in Reims zu stationieren. Die II. Gruppe befindet sich derzeit in Mont-de-Marsan, mit ten zwischen Bordeaux und der spanischen Grenze, und in Biar ritz. „J.w.d.“ würde der Berliner sagen – „janz weit draußen“. „En Hendrdubbfinga“ (In Hintertupfingen) sagt der Schwabe. Oder ganz einfach „am Arsch der Welt“! Jedenfalls 800 Kilometer weit südwestlich von Lille. Und 610 Ki lometer entfernt von Ouistreham ... Doch in Ouistreham ist plötzlich die Front. Sword Beach, genauer gesagt. Der Kommodore des Jagdgeschwaders 26 hatte diesen vermeint lichen Unsinn zu verhindern versucht. Oberstleutnant Priller ist ein reizbarer Mann, bekannt für seinen Jähzorn. Und auch dafür, selbst Generälen die Meinung zu sagen, wenn ihm der Kragen platzt. Es sei unverantwortlich, im Angesicht der drohenden Invasion sein kom plettes Geschwader in alle Himmelsrichtungen zu verteilen, statt es da zu lassen, wo es voraussichtlich bald gebraucht werde – an der Kanalküste! Priller hatte getobt gestern. Es war ein Wutausbruch der allerersten Sahne, echter Prillerscher Art! „Das ist doch Wahnsinn!“ hatte Priller ins Telefon geschrien, „Wenn wir mit einer Invasion rechnen, dann sollten die Staffeln vorgezogen werden, nicht zurück! Und was passiert, wenn der Angriff während der Verlegung anfängt? Mein Nachschub kann nicht vor morgen oder übermorgen in den neuen Stützpunkten sein! Ihr seid doch alle verrückt!“ Als popliger Geschwa derkommandeur überblicke er ja wohl nicht die Gesamtlage, wurde er brüsk zurechtgewiesen. Außerdem komme bei dem schlechten Wetter eine Invasion doch gar nicht infrage! Priller hatte den Hörer auf die Gabel geknallt und dann seinen Kameraden Wodarczyk angesehen, den einzigen Piloten, der ihm von seinem gesamten Geschwader noch geblieben war. Dann hatte er eine Flasche Kognak angesehen. „Was können wir d‘ran ändern? Wenn die Invasion kommt, verlangen die wahrscheinlich von uns, dass wir sie ganz alleine aufhalten! Da fangen wir besser jetzt schon an, uns zu besaufen!“ Gegen 01.00 Uhr nachts war die Flasche leer. Ob Priller das dann auch noch gesehen hat, ist nicht überliefert. Und nun, am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe, läutet das Telefon. Heute ist der 6. Juni 1944. Geschwaderkommodore Leseexemplar 411 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Oberstleutnant Priller meldet sich verschlafen. „Priller,“ hört er eine aufgeregte Stimme am anderen Ende „es sieht danach aus, als ob so etwas wie eine Invasion im Gange ist! Ich schlage vor, Sie machen Ihr Geschwader startklar!“ Am Telefon ist der Ia-Offizier des zuständigen Jagdkommandos II. Priller hat Mühe, wach zu werden. Wie bitte, hatte er da gerade richtig gehört? Die Invasion? Na, bestens! Genau so hatte er sich das vorgestellt! Priller sieht zuallererst mal die dringende Notwendigkeit, seinen Gegenüber in allen Einzelheiten darüber aufzuklären, was er, Priller, vom gesamten Oberkommando der deutschen Luftwaffe im Allgemeinen und vom Jagdkommando II in Frankreich im Speziellen so hält. Die farbenfrohen Formulierungen des Geschwaderkommo dore sind alles andere als druckreif, wie er später selber eingestehen muss. „Wen, verdammt noch mal, soll ich denn wohl startklar machen? Ich bin startklar! Wodarczyk ist startklar! Und Ihr Klotzköpfe wisst doch ganz genau, dass ich nur noch lumpige zwei Maschinen habe!“ Priller knallt den Hörer auf die Gabel. Doch das Telefon bleibt nicht lange stumm. Es ist derselbe Offi zier, der sich mühsam beherrscht, als Priller sofort wieder ausrastet. Er gibt Entwarnung. Es sei alles nur eine Falschmeldung gewesen. Priller bleibt die Spucke weg. Doch an Schlaf ist nun nicht mehr zu denken. Auch dabei sollte es nicht bleiben. Einige Zeit später klingelt der Hörer erneut. Und wieder ist das Jagdkommando II am anderen Ende der Leitung. Namentlich der Ia des Jagdkommandos – ein drittes Mal. „Priller,“ hört es der erstaunte Kommodore aus dem Hörer schallen, „die Invasion hat angefangen! Am besten steigen Sie gleich auf!“ Jetzt platzt dem Kommandeur des Jagdgeschwaders 26, der ges tern noch über 71 Jagdflugzeuge vor Ort verfügt hatte, endgültig der Kragen. „Da haben wir den Salat! Ihr verfluchten Blödmänner! *3 Was soll ich denn wohl mit zwei Maschinen ausrichten? Wo sind meine Staffeln? Könnt Ihr die zurückholen, he?“ Der Offizier des Jagdkommandos lässt sich nicht provozieren. „Priller,“ sagt er schließlich, als er zu Wort kommt, „wir wissen noch nicht genau, wo Ihre Staffeln gelandet sind, aber wir werden sie auf den Flugplatz von Poix zurückverlegen. Setzen Sie Ihr gesamtes Bodenpersonal sofort dorthin in Marsch! Inzwischen fliegen Sie selber am besten in den Invasionsraum. Machen Sie’s gut, Priller!“ Nun beherrscht sich auch Priller. So gefasst wie nur möglich er widert er: „Und hätten Sie wohl auch noch die Güte, mir zu sagen, wo diese Invasion stattfindet?“ „Normandie, Priller! In der Gegend von Caën!“ Es wird sofort veranlasst, dass alle drei Gruppen des JG 26 näher an die Invasionsfront heranzuführen und zum Einsatz zu bringen sind. Priller benötigt etwa eine Stunde, um die entsprechenden An weisungen zu geben. Die erste (I.) Gruppe und die dritte (III.) werden telefonisch alar miert, starten und werden auf die Flugplätze Creil und Cormeillesen-Vexin (20 Kilometer nordwestlich des Stadtrandes von Paris) dirigiert, um dort die Jäger des Jagdgeschwaders 2 zu verstärken. Die zweite (II.) Gruppe ist bereits seit 05.00 Uhr informiert und seit 07.00 Uhr unterwegs ins Kampfgebiet. Schwieriger ist das Umdiri gieren der ohnehin auf der Straße befindlichen Bodenmannschaften mit Tross und aller Ausrüstung. Die fahren nach Stand der Dinge nun in die falsche Richtung! Es gilt jetzt, alles in die Normandie zu schaffen. Doch die Straßen dorthin sind zerstört – und derzeit brand gefährlich! Der „Unsinn“ rächt sich nun. In Lille ist es 08.00 Uhr *4 morgens am 6. Juni 1944. Priller geht mit seinem Kameraden Wodarczyk zum Start. Über die Aussichten, diesen Einsatz zu überleben, macht sich keiner der beiden irgendwel che Illusionen! Die beiden Focke-Wulf 190 A-8 starten. Priller fliegt eine mo difizierte Maschine, deren äußere Tragflächenkanonen ausgebaut wurden, um den Jäger leichter und damit schneller und wendiger zu machen. Es ist davon auszugehen, dass auch sein Rottenflieger eine derartig gewichtsreduzierte „190“ benutzt. Priller fliegt voraus. Wo darczyk hält sich gemäß Instruktion knapp hinter ihm und folgt. Die beiden einsamen deutschen Jäger jagen im Tiefstflug über die französische Landschaft nach Westen. Doch die Einsamkeit ist eine sehr einseitige Angelegenheit. Sie bezieht sich derzeit nur auf Ma schinen mit einem Balkenkreuz auf Rumpf und Tragflächen. Über ihnen ist die Hölle los, Je näher die beiden deutschen Jagdflugzeuge den Invasionsstränden kommen, desto mehr alliierte Jäger tummeln sich weit über ihnen am Himmel. Ganze Pulks amerikanischer Mus tang-Jäger, auch Thunderbolts. Und britische Spitfire. Doch keiner der alliierten Piloten an jenem wolkenverhangenen Himmel bemerkt die zwei grau gefleckten deutschen Jäger wenige Meter über der Erd oberfläche. Kurz vor Le Havre türmt sich eine Wolkenfront vor Prillers Motor haube. Der Oberstleutnant zieht hoch und verschwindet in der grau en Wand. Wodarczyk folgt ihm. Als beide Maschinen auf der anderen Seite der Wolkenfront wieder aus der „Suppe“ herausfliegen, bietet sich den zwei deutschen Piloten ein unbeschreibliches Schauspiel. Vor ihnen liegt die gesamte kolossale alliierte Invasionsflotte. Und der Landungsabschnitt, den die Briten „Sword Beach“ nen nen. Doch das weiß weder Priller noch Wodarczyk. Auch nicht, dass sie beide in den folgenden Minuten in die geschichtliche Unsterb lichkeit eingehen würden. Sie rechnen eher mit profaner Sterblich keit, alle beide. Aber wenn schon, dann wenigstens mit Pauken und Trompeten. Unter ihnen am Landestrand wird hart gekämpft. Priller ruft sei nem Rottenflieger per Funk zu, er solle dicht an ihm dran bleiben. „Tolle Sache – ganz tolle Sache! Da unten ist alles zu haben, wo man nur hinsieht! Glaub` mir – das ist die Invasion!“ Priller holt staunend Luft. Dann gibt er den Befehl zum Angriff. „Wodarczyk, wir gehen ‘ran! Mach’s gut!“ Mit diesen Worten kippt der Oberstleutnant seine Focke-Wulf ab und rast mit 650 km/h auf den Strandabschnitt zu. In weniger als 50 Meter Höhe fängt er sein Jagdflugzeug ab und jagt aus allen Rohren feuernd über den Strand. Die britischen Soldaten hechten zu Boden, als die Geschosse rings um sie herum einschlagen. Nun wacht die Schiffs-Flak auf. Deren Geschütze decken die beiden deutschen Jagdflugzeuge mit einem Leseexemplar 412 *3 Anmerkung: es ist davon auszugehen, dass die in den Quellen dargelegten Formul ierungen wie das Wort „Blödmänner“ nachträglich – sagen wir – „geschönt“ wurden! Man kann davon ausgehen, dass die tatsächlichen Aussagen drastisch deftiger waren und einer gewissen anatomischen Region näher liegen. *4 Es handelt sich um deutsche Zeit, das heißt, für die Landungstruppen ist es 09.00 Uhr. 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Geschosshagel ohne Beispiel ein. Doch vergebens. Vorne weg fliegt Priller, hinter ihm rast Wodarczyk über den Sandstrand und schießt aus allen Waffen. Dann endlich zieht Priller hoch. Wie durch ein Wunder hat kein einziges Flak-Geschoss eine der beiden Focke-Wulf getroffen. Und – noch erstaunlicher – kein britisches oder ameri kanisches Jagdflugzeug ist zu sehen. Als diese endlich eintreffen, sind die zwei Focke-Wulf in eine ähn lich dichte Wolkenwand hinein verschwunden wie die, aus der sie so plötzlich aufgetaucht waren. „Das also ist der größte Augenblick in der Geschichte der Luftwaffe“. Prillers Sarkasmus geht ätzend über den Funkverkehr. Doch sie hatten überlebt. Der britische Oberheizer Robert Dowie auf der HMS „Dunbar“ soll angesichts der dreisten Showeinlage dieser beiden deutschen Jagdflugzeugpiloten ungläubig den Kopf geschüttelt und dann ge sagt haben: „Deutscher hin, Deutscher her, viel Glück wünsch` ich Euch – Ihr Kerle habt Schneid!“. Die beiden „Kerle“ landen heil und sicher. Aber schweißgebadet. Sie mögen nach Leutnant Bärwolf die ersten deutschen Piloten über dem Kampfgebiet gewesen sein. Die Einzigen heute sind sie nicht. Doch es ist der berühmteste Tiefangriff über den Landestränden. Nahe am Frontgebiet der Normandie ist das zweite in Frankreich vertretene deutsche Jagdgeschwader, Major Kurt Bühligens Jagdgeschwader 2, stationiert. Allerdings befindet sich auch eine seiner drei Gruppen, die III. Gruppe, gerade in der Phase der Verlegung. Sie ist nach Fontenay-Le-Comte nördlich von La Rochelle unterwegs, während die II. Gruppe gar in Gütersloh in Deutschland zur Auf frischung ist. Seit Jahresanfang hatte sie über 50 Piloten verloren – es ist dringend Ersatz notwendig. Die am schnellsten in die Nähe der Invasionsstrände gebrachte Gruppe des JG 2 ist die I. Gruppe unter Major Erich Hohagen. Zu mindest nach ihrer hastigen Verlegung in den ersten Morgenstunden vom Raum Nancy aus nach Creil. Auch die III. Gruppe, welche trotz Verlegung zum Einsatz kommt, greift ab Mittag in die Kämpfe ein. Ihr Gruppenkommandeur Hauptmann Herbert Huppertz wird heute sogar über sich hinauswachsen! Auch die I., II. und III. Gruppe des JG 26 starten am 6. Juni 1944 trotz der Rücknahme ins Hinterland ab der Mittagszeit doch noch gegen die alliierte Luftarmada. Am Boden gibt es zunächst Anlass zur Hoffnung. Die 21. deutsche Panzerdivision schafft es, die britischen Truppen bei Caën („SwordBeach“) in Bedrängnis zu bringen. Doch letztlich kann der deut sche Gegenangriff, auch unter Einsatz britischer Hawker „Typhoon“Jagdbomber, von den Briten zum Stehen gebracht werden. Allerdings entsteht eine für die Alliierten gefährliche Situation, als es dem deut schen Panzergrenadierbataillon 192 gelingt, einen Keil zwischen die kanadische 3. und britische 3. Division zu treiben und zwischen den Abschnitten „Juno“ und „Sword“ die Küste zu erreichen. Der Erfolg der Invasion steht auf des Messers Schneide. Ein weiteres Vordringen, das schnelle und zielgerichtete Ausnutzen dieses taktischen Vorteiles hätte jetzt nur durch die allerdings bei Tage sehr riskante Zuführung weiterer deutscher Panzerkräfte erfolgen können. Trotz allem Risiko eine militärisch zwingende Chance! Die Panzerdivisionen stehen von Rundstedt zur Verfüg ung. Theoretisch. Doch deren Einsatzbefehl hat sich der Führer persönlich vorbehalten. Und der Führer schläft. Als er aufwacht, glaubt er an ein Ablenkungsmanöver. Die Haupti nvasion stünde noch bevor – am Pas de Calais, wie erwartet. Daher verbietet er die Heranführung weiterer Truppenteile in die Normandie aus dem Bereich der 15. Armee. Und den Einsatz der Panzerreserve. Bis es hoffnungslos zu spät ist. Hitler zögert selbst noch am 8. Juni 1944! Die Finte der britischen Doppelagenten zahlt sich aus. Gegen Abend erscheint Erwin Rommel wieder in La RocheGuyon. Die Unterredung mit Hitler hat er abgesagt. Wozu auch jetzt noch? Der Feind war nicht am Strand vernichtet worden. Er hatte bereits 150.000 Mann an Land gebracht, nun Brückenköpfe installiert und war dabei, diese zu sichern. Rommel weiß, was dies bedeutet. Er war die ganze Zeit stumm zusammen mit seinem Fahrer und dem Ordonanzoffizier, Hauptmann Lang, im Wagen gesessen. Dann hatte er einen Satz gesagt: „Ich hab’ die ganze Zeit Recht gehabt – die ganze Zeit!“ An diesem Abend des ersten Invasionstages haben die alliierten Truppen etwa 9.000 Gefallene zu beklagen. Man hatte in England mit mehr gerechnet ... Ach ja – und die deutsche Luftwaffe? Sie hat am Ende des ersten Tages der Invasion stolze 170 Einsätze gegen die alliierten Luftstreit kräfte geflogen. Die Piloten der Gegenseite hatten es zum Vergleich auf gerade mal läppische 14.000 Einsatzflüge gebracht! Man könnte Prillers Sarkasmus verstehen! Leutnant Wolfgang Fischer von der 3. Staffel des JG 2 berichtet über seine Erlebnisse am Invasionstag. Bereits die Zeit kurz zuvor ist aufschlussreich – sein Bericht lautet, in die Erzählform Präsens transferiert (die Zeitangaben sind aus deutscher Sicht angegeben): „Freitag, 3.6.1944: An diesem Tag wird unsere I. Gruppe noch weiter ins Landesinnere zurückgenommen, nämlich nach Nancy/Lothringen und Umgebung. Die 1. und 3. Staffel landen auf dem Plateau über der Stadt. Dort bleiben wir das ganze Wochenende tatenlos liegen, was für mich recht angenehm ist, denn Nancy kenne ich von meiner Zeit 1943 auf der Jagdschule JG 107 sehr gut. Heute erkläre ich mir diese Rückverlegung so, dass man den Zeitpunkt und Ort der ‚Invasion’ gekannt hat und die Jagdgruppen vor dem erwarteten Luftschlag in Sicherheit bringen wollte. ‚Die deutsche militärische Abwehr’ unter Admiral Canaris hatte nämlich bei der Gegenseite unter Einsatz von einem Heer von ‚V-Leuten’ erfolgreich Spionage betrieben. Sein Mitarbeiter, Oberstleutnant Oskar Reile, damals ‚Kommandeur Frontaufklärung West’ schreibt in seinem authentischen Dokumentarbericht ‚Der deutsche Geheimdienst im II. Weltkrieg – Westfront’ Folgendes: Leseexemplar ‚Seite 351: ‚...Die zuständigen Offiziere im Stab des Oberbefehlshabers West (Feldmarschall Rommel, d. V.) und in den Frontaufklärungstruppen West waren zwar seit Beginn des Jahres 1944 auf Grund der Erkundungsergebnisse der festen Überzeugung, dass der Hauptstoß der Invasion in der Normandie zu erwarten sei, doch ließen sich Hitler und seine Berater von den diesen Offizieren vorliegenden Argumenten nicht überzeugen. Der ‚Führer’ vertraute lieber seinem ‚unfehlbaren Feldherrngenie’ und den Meldungen zahlreicher Dienststellen des RSHA (Reichssicherheitshauptamtes, d. V.) und der Nationalsozialistischen Partei. [...] Es wurde im Stab 413 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... 6. Juni 1944 Leseexemplar 414 Flugzeugtyp: Focke-Wulf 190 A-8 Nationalität: Luftwaffe Einheit: Stab/JG 26 und 4. Staffel/JG 26 Piloten: Oberstleutnant Josef „Pips“ Priller (vorne) und Unteroffizier Heinz Wodarczyk (hinten) Stationierung: Lille-Nord/Frankreich/6. Juni 1944 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Das von „Pips“ Priller am 6. Juni 1944 benutzte Flugzeug trägt seine traditionelle schwarze Nummer 13. Das Foto entstand in den Tagen um die Invasion herum. Doch die Nr. 13 ist nicht die offizielle Markierung für einen Geschwaderkommodore. Dass es früher ein regulär markiertes Flugzeug gab, beweist das Foto unten links. Leseexemplar Am 5. Februar des Jahres 1944 besucht der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, Erwin Rommel, das JG 26. Im Vordergrund ist Oberstleutnant Prillers Focke-Wulf 190 zu erkennen, damals noch vom Typ A-6 mit der Werknummer 530120. Diese Maschine trägt noch die reguläre Kommandeurskennung – – . Die Werknummer ist auf der rechten Leitwerkseite mit 0120 abgekürzt, links jedoch vollständig angebracht. Ebenso ist der stilisierte Adlerflügel (der schwarze Zacken unter der Motorhaube) asymmetrisch: Er ist rechts kürzer als links. 415 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Oberstleutnant Priller, Feldwebel Schmidtke, Unteroffizier Wodarczyk, Unteroffizier Grad. Man bemerke die gut getarnte Focke-Wulf 190 hinter den Männern. Prillers „schwarze 13“ „♥ Jutta“ 13 – Von diesen Männern ist bei Kriegsende nur noch einer am Leben. Es ist der eher kleinwüchsige Mann mit der Pfeife links außen und dem Spitznamen ‚Pips’! Die „Unterredung“ scheint eine Art Rapport zu sein – Priller sieht nicht gerade sehr zufrieden aus! – mit Zusatztank. Leseexemplar Josef Priller vor einem Einsatz in seiner früheren Focke-Wulf 190 A-6 mit der Werknummer 530120. Hier ist die rechte Heckseite zu sehen, welche nur die Zahlen 0120, diese dafür in größerer Schrift zeigt, während die Nummer auf der anderen Seite vollständig ist. 416 Zwei andere Jagdfliegerasse im Gespräch: Oberst Walter Oesau (links) und Maior Heinz Bär (rechts) im April des Jahres 1944 in Störmede. Walter Oesau ist Geschwaderkommodore des JG 1, Heinz Bär wird wenig später am 1. Juni 1944 zum Kommodore des JG 3 ernannt. 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... des OB West nie beharrlich angenommen, dass der Hauptstoß der Invasion am Pas de Calais und nicht in der Normandie erfolgen werde, dagegen wurde diese Idee wiederholt vom OKW/Wehrmachtführungsstab vertreten. Begründung: schmalste Stelle des Kanals ...!’ ‚Seite 348: ‚Am 1. Juni 1944 gegen 18.00 Uhr stürzten die mit dem Abhören des BBC-Senders beauftragten Soldaten herbei und meldeten mir, dass soeben 26 der Sprüche durchgegeben worden seien, die für die in Betracht kommenden Einheiten der Résistance und der SOE-Gruppen bedeuten: Höchste Alarmbereitschaft! Die Invasion kann jeden Augenblick beginnen. Noch am gleichen Abend unterrichtete ich fernmündlich und per Fernschreiben den Oberbefehlshaber West ... [...] Schließlich empfanden wir es als eine Erlösung, als von BBC am 5. Juni gegen 18.00 Uhr die von uns erwarteten Sprüche durchgegeben wurden, die für die Empfänger in den Résistance- und Agentengruppen bedeuteten: Die Invasion beginnt, geht sofort an die Durchführung der Euch für den Tag X übertragenen Aufgaben! Sofort meldete ich den Sachverhalt fernmündlich an die in Betracht kommenden Führungsstäbe ...’ “ Leutnant Fischer schreibt weiter: „Montag, 6. Juni 1944: Morgens etwa um 05.00 Uhr fährt ein Kradmelder an meinem Hotel vor, brüllt meinen Namen und „Invasion!“ – und fährt mich zum Plateau hinauf, wo wir durch kniehohes Gras zum Platz Creil starten (circa 40 Kilometer nördlich von Paris) Dort werden unsere Maschinen mit Bordraketen „BR 21“ ausgerüstet [...]. Während der zwei Stunden Wartezeit für die Montage überlege ich, wie man wohl mit diesen Dingern etwas treffen könnte (‚gearbeitet’ hatte ich nämlich noch nie damit). Wir nennen sie ‚Dödls’ – das war ein Sammelbegriff für alles Mögliche (auch das Ritterkreuz z.B. ist so genannt worden). Die Zielanweisung lautet nämlich schlicht und ergreifend: ‚Auf 1.000 Meter Entfernung 80 Meter links vorhalten.’ Zur Stabilisierung der Flugbahn treten die Treibgase aus 24 schräg in den Raketenboden gebohrten Löchern aus, sodass sie einen Rechtsdrall bekommen und nach rechts abdriften. Gegen kleine, punktförmige Ziele sind sie daher ungeeignet. Gegen Schiffe allerdings mit ihrer großen Längenausdehnung, so kalkuliere ich, müsste man eine reelle Chance haben. Nun ist unsere [...] Zieleinrichtung (‚Revi’ = Reflexvisier) so konstruiert, dass sie ein Luftbild eines Kreises vor die Augen projiziert, dessen Durchmesser 1/10 der Entfernung zum jeweiligen Zielobjekt simuliert, d. h. wenn z. B. eine Jagdmaschine mit der üblichen Spannweite von 10 Metern den Kreis gerade ausfüllt, sitzt man 100 Meter hinter ihr. So könnte ich mit genügender Genauigkeit den Abstand zu einem Schiff und das notwendige Vorhaltemaß ermitteln, um beim Angriff von der Breitseite einen Treffer anbringen zu können – wenn man uns informieren würde, wie lang diese verdammten Kähne eigentlich sind. So nehme ich als unbedarfter Luftkutscher für die verschiedenen Typen bestimmte Längen an, z. B. für einen Truppentransporter 100 Meter. Um 09.30 Uhr starten wir dann mit zwölf Maschinen (Fw 190 AS) unseren 1. Einsatz an die Invasionsfront im Bereich des briti schen Abschnitts ‚Gold’ an der Küste des Dorfes Vers sur Mer. Hohagen Focke-Wulf 190 A-8 mit Werfer-Raketen „Bordrakete“ BR-21 (21 cm). fliegt diesen Einsatz noch nicht mit, an seiner Stelle führt Hauptmann Wurmheller den Verband. Der Himmel ist zu diesem Zeitpunkt mit dicken Kumuluswolken zu 7/10 bedeckt, dazwischen sichten wir immer wieder Schwärme von alliierten Jägern, mit denen wir uns aber nicht einlassen sollen, um erst mal unsere Raketen gegen Schiffsziele einzusetzen. Etwa um 10.00 Uhr überfliegen wir Bayeux, in dem ich bereits Brände feststellen kann, fliegen geschickterweise erst mal in circa 3.000 Meter ein Stück auf die Seinebucht hinaus und greifen dann von See her an, wodurch wir die Schiffsflak täuschen können, denn wir bleiben zunächst unbehelligt. Das entscheidende Handicap für uns ist, dass wir wegen des dichten Jagdschutzes über dem Landekopf nicht genügend Zeit haben, günstige Positionen einzunehmen, um Schiffe von der Breitseite anzufliegen. Aus unserer Flughöhe kann ich den ganzen Küstenstreifen von der Ornemündung bei Caën bis hinauf nach St. Maire-Eglise überblicken, vor dem eine tief gestaffelte Armada von Schlachtschiffen weit draußen, Transportschiffen näher zum Land und kleine Landungsboote, die mit Heckwellen zum Strand unterwegs sind. Über den küstennahen Einheiten hängen dicke, dunkle Sperrballons in der Luft. Da ich keinen Vergleichsmaßstab für ähnliche Operationen habe, nehme ich diese grandiose Szenerie zunächst ohne große Gefühlsregungen hin, wenn mich auch im Unterbewusstsein eine Ahnung befällt, dass dieses alles nicht mehr zu beherrschen ist. Ich habe aber als Einziger das Glück, einen größeren Kahn (sieht aus wie ein Truppentransporter der Victory- oder Liberty-Klasse – ca. 8.000 Tonnen – von denen ich schon mal ganz vage gehört hatte) direkt in meiner Anflugrichtung breitseitig anzutreffen. Ich drücke an und ziele eine halbe Schiffslänge vor den Bug, registriere aber nicht gleich, dass sich der Kahn langsam nach links und dann auch noch in einer leichten Linkskurve bewegt. Ich korrigiere also noch schnell bei reduzierter Fahrt (um nicht unter die 1.000-Meter-Grenze zu kommen) auf eine ganze Schiffslänge nach links auf vier Zentimeter mutmaßlichen Kurs des Schiffes, warte, bis es nach meiner Schät- Leseexemplar 417 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... zung den Durchmesser des Revis ausfüllt (damit bin ich circa 1.000 Meter entfernt), löse die Raketen aus und sehe mich für den Bruchteil einer Sekunde von einem mächtigen Feuerschein umgeben, begleitet von dem Geheul einer Horde von Teufeln. Gleichzeitig macht die Maschine wegen der plötzlichen Entlastung einen Sprung nach oben. Alles zusammen lässt mich zunächst vor Schreck erstarren, aber das ist schnell vorbei, als der Flieger ruhig und sicher weiterfliegt. Ich verfolge dann die beiden Lichtpunkte auf ihrem Flug nach unten und kann feststellen, dass der linke im Heck des Schiffes in einer Explosi onswolke verschwindet, während der rechte knapp hinter dem Schiff in einer Wasserfontäne verlischt. Anschließend werfe ich die beiden Kartuschen ab und steuere wegen des anschwellenden Flak-Feuers mit zunehmender Fahrt im Sinkflug auf die Küste zu, wobei ich mit allen Bordwaffen die Strandlinie unter Feuer nehme und Kurs auf den ‚Gartenzaun’ [Anmerkung: damit ist der Heimat-Flugplatz gemeint] nehme. Längeres Verweilen über dem Landekopf ist wegen des dichten alliierten Jagdschutzes nicht möglich. ‚Gartenzaun’ erfolgt dann ca. 10.45 Uhr, aber nicht in Creil, sondern auf der Pferderennbahn von Senlis, an der ein kleines Landschloss liegt, in dem wir untergebracht werden. Der Treffer wird mir von meinem Kameraden Leutnant Walterscheidt bestätigt. Der Kommandeur spricht mir seine Anerkennung aus. Seltsamerweise gibt es bis zum Abend für die ganze I. Gruppe keinen Einsatz mehr, lediglich der Kommodore fliegt mit seinem Stabsschwarm am Nachmittag einen Einsatz zum Landekopf und schießt dabei eine P-47 ‚Thunderbolt’ ab [Anmerkung: gemeint ist Major Hohagen, es handelt sich allerdings bei der ‚P-47’ um eine Typhoon] während alle Flugzeugführer sogar die Erlaubnis zum Verlassen des Platzes bekommen. Nachdem der Tag sehr warm geworden ist, nutze ich die Gelegenheit, mit einigen Kameraden das öffentliche Schwimmbad zu besuchen, wo wir unter der Bevölkerung im Wasser herumplan schen und uns von der Sonne bescheinen lassen, während eine einsame P-51 ‚Mustang’ in aller Ruhe in circa 2.000 Meter Höhe über der Stadt herumkurvt, aber unsere abgestellten Maschinen glücklicherweise nicht ortet, denn es erfolgt kein Luftangriff auf unsere ‚Rennbahn’, wie wir unseren Platz genannt hatten. Eine fürwahr groteske Situation! Erst am Abend tut sich wieder etwas, als um circa 19.30 Uhr der Kommandeur der III. Gruppe, Hauptmann Huppertz, mit fünf Focke-Wulf 190 A-8 bei uns landet und mich mit noch zwei Kameraden (Leutnant Eichhoff und Oberfähnrich Beer) zu einem Einsatz gegen Luftlandeeinheiten im Raum von Caën mitnimmt. Wir starten um circa 20.00 Uhr und fliegen in etwa 400 Meter über Grund ziemlich genau nach Westen. Auf Höhe von Evreux aber sichten wir zwölf P-51, die in Reihe eine Wehrmachtskolonne in Tiefangriffen bekämpfen. Damit ist das vorgesehene Einsatzziel nicht mehr erreichbar, denn wir müssen nun vordringlich die marschierende Kolonne schützen und die Zusatztanks abwerfen. Die ‚Mustangs’ sind so sehr in ihre ‚Arbeit’ vertieft, dass sie unsere acht Focke-Wulf 190 nicht bemerken, als wir in ihrem Rücken auf 1.200 Meter steigen und sie dann aus optimaler Position von hinten oben angreifen. Es kann sich buchstäblich jeder von uns während des Aufstiegs in aller Ruhe ‚Seinen’ aussuchen. ‚Meiner’ ist gerade dabei, eine Kolonne auf einer Brücke anzugreifen, als ich mich unbemerkt hinter ihn setze und in seiner hochgezogenen Kehrtkurve voll treffen kann. Wegen unserer Steilkurven muss ich extrem vor- halten und kann deshalb meine Treffer nicht unmittelbar beobachten und fliege deshalb dann auf nächste Nähe an ihn heran. Die Wirkung unserer ‚Munitionierungsmixtur’ ist verheerend! Die Geschosse hatten die Kabine und den Rumpfteil dahinter getroffen, aus dem quadratdezimetergroße Löcher herausgerissen sind, deren Ränder dunkelrot glühen. Der Flugzeugführer sitzt zusammengesunken in seinem Sitz, seine Maschine geht in einen leichten Sinkf lug über und zerschellt am Fuß eines Baumes unmittelbar am Flussufer, der sofort wie eine Kerze bis zum Wipfel in Flammen steht. Der Gesamterfolg ist für unsere derzeitigen Verhältnisse ausgesprochen spektakulär, denn wir haben ohne eigene Verluste acht *5 Abschüsse erzielt. Nach Rückkehr gegen 21.30 Uhr – mit archaischem Triumphgefühl im Bauch – erwartet uns ein Übertragungswagen des Reichsrundfunks zu einem Spontaninterview, von dem jeder von uns drei erfolgreichen Schützen [Anmerkung: gemeint sind vermutlich die drei Piloten der I. Gruppe] eine Schallplatte bekommt [...]. Dienstag, 7. Juni 1944: An diesem Morgen um 05.30 Uhr startet die I. Gruppe unter Führung des Kommandeurs erneut mit zwanzig Maschinen, um zunächst Schiffsziele wieder im britischen Abschnitt ‚Gold’ anzugreifen und dann das ‚Würzburg’-Funkmessgerät [Anmerkung: Radargerät] am Pointe du Hoc zu zerstören, das in die Hände der Alliierten gefallen war. Bei diesem Einsatz hatte mich der Kommandeur zu seinem Katschmarek [Anmerkung: Rottenflieger] bestellt. Um circa 06.00 Uhr überfliegen wir den Landekopf, können aber in der Kürze der uns zur ‚Verfügung’ stehenden ‚ungestörten’ Zeit keine günstigen Posi tionen einnehmen und schießen unsere Raketen zu ungenau ab, sodass keine Treffer erzielt werden können. Dann begehe ich eine disziplinlose Eigenmächtigkeit, für die ich – wenn ich zurückgekommen wäre – einen schweren Rüffel hätte einstecken müssen. Ich verlasse nämlich meine taktische Position als Katschmarek, um in relativ steilem Tiefangriff eines der großen 2.000-Tonnen-Landungsboote anzugreifen, das gerade so schön in meiner Flugrichtung liegt, aus dessen aufgeklapptem Heck Infanterie ausgebootet wird. Ich will freilich nach diesem Angriff wieder hochziehen und meine Position einnehmen, aber ich gerate in unheimlich dichtes Feuer der leichten Flak aller ringsum liegenden Schiffe (vom angegriffenen kommt allerdings während meines Anflugs keine Abwehr), sodass ich den Eindruck habe, in ein glühendes Spinnennetz zu tauchen. Für circa 6–8 Sekunden kann ich mit allen Bordwaffen den Kahn von vorne bis hinten bestreuen. Aber kurz vor dem Abfangen knapp über dem Boot höre ich Treffer hinten im Rumpf und dann vorne im Motor, der sofort Öl verliert und die Kabinenscheiben dicht macht. Damit ist es vorbei! Ich kann die Maschine noch auf 400 Meter hochziehen und springe dann – noch über See – mit dem Fallschirm ab. Dabei schlage ich glücklicherweise mit der linken Schulter gegen das Seitenleitwerk, sodass ich mit der rechten Hand noch den Fallschirm ziehen kann. Ich treibe sanft auf die Küste zu, wobei ich gegen die Regeln des Kriegsrechts von einer leichten Flak des von mir angegriffenen Landungsbootes be- Leseexemplar 418 *5 In mehreren anderen Quellen ist von fünf bzw. sechs P-51 Mustangs die Rede. Diese Differenz erklärt sich laut Quelle “2nd Tactical Air Force” Volume 1/Classic Publications/2005/Chris Shores und Chris Thomas, dadurch, dass einige der als „Typhoon“ angegebenen Abschüsse in Wahrheit P-51 der im Tiefangriff überraschten 4th FG USAAF sind. 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... schossen werde. Ich habe das Gefühl – wie wir zu sagen pflegen – wie ‚Weihnachten und Ostern zusammen’. Dummerweise lande ich dann auch noch in einem deutschen Minenfeld circa 200 Meter neben dem besetzten Strandabschnitt. Zwei mit ihren typischen flachen Stahlhelmen ‚behütete’ Tommies holen mich – mit Stöckchen vorsichtig den Schilfboden Schritt für Schritt abtastend – aus dem Minenfeld heraus und bringen mich zum Verbandsplatz, bestehend aus einem kleinen Zelt, wo man zunächst mein gebrochenes Schulterblatt, Schlüsselbein, Oberarm und drei Rippen provisorisch ärztlich versorgt. Ich muss sagen, dass ich ausgesprochen kameradschaftlich behandelt werde, so gibt man mir Zigaretten und heißen Kakao und eine warme Decke, auf der ich mich bis zum Abtransport ausstrecken kann. Übrigens war ich bis dahin Nichtraucher und bin ab da unter der nervlichen Anspannung zum ziemlich schweren Raucher geworden. Ich frage mich überhaupt heute, ob wir damals nicht Nerven ‚wie Drahtseile’ hatten, denn Schockzustände, die wie heute nach Unfällen psychologisch behandelt werden müssen, sind mir nicht in Erinnerung!“ *6 Am Mittag des „längsten Tages“ weiß Leutnant Fischer noch nicht, dass er morgen britische Gastfreundschaft in Anspruch neh men würde. Es ist ein Tag voller offener Fragen. Wird es gelingen? Werden unsere Kalkulationen aufgehen? Können wir die Deutschen schlagen, oder hat der ehemalige „Wüstenfuchs“ irgendwelche „Asse im Ärmel“, von denen wir nichts wissen? Die Briten und Amerikaner sind angespannt und argwöhnisch. Zuzutrauen wäre es ihm, diesem für seine Cleverness berüchtigten raffinierten Gegenspieler. Doch Rommel ist nicht da, wo man ihn dringend benötigt! Die Soldaten zu Wasser und am Boden beider Seiten beschäftigt mehr eine profanere Frage. Komme ich durch? Werde ich es überle ben? Und in diese Frage mischt sich zunehmend eine weitere – tief erstaunt auf britischer und amerikanischer Seite, enttäuscht und ver zweifelt auf Seiten der Deutschen. Wo um alles in der Welt bleibt die deutsche Luftwaffe? Es gibt sie nicht. Nicht in der Normandie! Von wenigen respekta blen Ausnahmen einmal abgesehen. Ein bitterer Spruch etabliert sich bei den deutschen Landsern, ver breitet sich allmählich. „Wenn das Flugzeug silbrig ist, dann ist es ein amerikanisches, trägt es Tarnfarben, dann ist es ein britisches, wenn es aber unsichtbar ist – dann ist es ein deutsches ...!“ 6. Juni 1944: morgens um 05.00 Uhr (britischer Zeit) befinden sich vier Focke-Wulf 190 G-8-Jagdbomber der 3. Staffel des Schnellkampfgeschwaders 10 (SKG 10) auf einem Aufklärungsflug. Sie klä ren prompt vier schwere britische Bomber des Typs Avro „Lancas ter“ über die Wirkung ihrer Bordkanonen auf. Drei davon schießt der Staffelkapitän der 3. Staffel vom nächtlichen Himmel, Haupt mann Helmut Eberspächer. Genau von 05.01 Uhr bis 05.04 Uhr. Im Morgen-„Grauen“, was nicht nur für die vier Lancaster-Besatzungen doppeldeutig ist. Die vierte Lancaster wird von Feldwebel Eisele he runtergeholt. Es handelt sich um Bomber der 76, 578 und 582 Squadron RAF. Der nächste deutsche Erfolg an jenem dramatischen Tag ereignet sich erst Stunden später. Genau drei Minuten vor Mittag – um 11.57 Eine Hawker „Typhoon“ IB der N° 198 Squadron Royal Air Force (es handelt sich um die Maschine von Flight Sergeant J.S. Fraser-Petherbridge). Die schweren Kanonen, Bomben und Raketen der Typhoons werden zur Geisel der motorisierten deutschen Truppen am Boden wie früher die deutschen Ju 87 „Stukas“ für die Einheiten des Gegners. Keine Bewegung am Tage ist mehr sicher. Uhr (britischer Zeit) – füllt die charakteristische Silhouette einer amerikanischen P-47 „Thunderbolt“ das Fadenkreuz in der Zielop tik einer Focke-Wulf 190 A-8. Das Augenpaar hinter dem deutschen Reflexvisier gehört zu keinem Geringeren als dem Kommodore des Jagdgeschwaders 2 „Richthofen“, Major Kurt Bühligen. Sein 99. „Luftsieg“ zerschellt nahe der Ornemündung. Kurz nach 12.00 Uhr (britischer Zeit) fallen drei Hawker „Typhoon“ den Bordwaffen angeblicher deutscher „Me 109“ zum Opfer. Tatsächlich handelt es sich um Focke-Wulf 190 der Stabsstaffeln der I. und III. Gruppe des Jagdgeschwaders 2, welche südöstlich von Caën auf Typhoon der 183 Squadron treffen, die gerade dabei sind, eine deutsche Pan zerkolonne anzugreifen. Die 183 Squadron wird von Squadron Lea der Scarlett geleitet, welcher es auf deutscher Seite mit Hauptmann Herbert Huppertz zu tun bekommt, dem Gruppenkommandeur der III. Gruppe. Huppertz holt nacheinander zwei der drei abgeschos senen Typhoon vom Himmel. Deren Piloten Flight Lieutenant R.W. Evans (Seriennummer: MN342), Flying Officer M. H. Gee (MN478) P, R8973) verlieren allesamt und Flying Officer A.R. Taylor (HF ihr Leben. Evans ist Flight Commander und ein erfahrener Pilot. Es nützt ihm nichts. Die Abschussmeldungen des deutschen Haupt manns datieren um 12.14 Uhr und 12.15 Uhr. Die dritte Typhoon, welche am 6. Juni 1944 gegen Mittag von der 183 Squadron als Verlust anerkannt ist, wird dem deutschen Gefreiten Fieseler (III./JG 2) zugeschrieben, welcher um 12.10 Uhr (britischer Zeit) bei Argentan (gute 50 Kilometer südsüdöstlich von Caën) die Vernichtung einer Typhoon angibt, oder aber Oberfeld webel Hartmann (I./JG 2), der einen gleichartigen Erfolg um 12.15 Uhr (britischer Zeit) 20 Kilometer südlich von Caën für sich in An spruch nimmt. Es werden somit vier der Hawker-Jagdbomber als abgeschossen gemeldet bei drei von der Royal Air Force um diese Uhrzeit tatsächlich eingeräumten Verlusten dieses Flugzeugtyps. Um 12.16 Uhr ergänzt Unteroffizier Nistler (I./JG 2) die Erfolgsbilanz des Geschwaders um eine amerikanische P-47 „Thunderbolt“ – ebenfalls Leseexemplar *6 Quelle: Fliegerblatt, Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte e.V./Ausgabe Nr. 5/2006. 419 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... bei Caën. Alle diese Abschüsse sind innerhalb der deutschen Aner kennungsverfahren bestätigt. Kein schlechter Auftakt für die Luftwaffe! Ganz so einseitig ist die Angelegenheit allerdings nicht! Nicht genug damit, dass Un teroffizier Franz Thiel aus der 3./JG 2 nach deutschen Angaben durch einen Flugunfall bei der Überführung ums Leben kommt (einige alliierte Quellen sehen feindliche Geschosse am Werk ...), Unteroffizier Bergmann (11./JG 2) kommt gar den Kanonieren der eigenen Flak-Einheiten südlich von Rouen zu nahe. Die deutsche Flak schießt routiniert, präzise, zielsicher, eine Spur zu schnell – und wieder einmal tödlich. Dummerweise hat sie den „Falschen“ erwischt. Wer rechnet auch hier mit einem eigenen Jagdflugzeug!? Seit Stunden, ja Tagen nur Amis und Tommies über uns, Mensch! Wo, zum Teufel, kommt ihr denn her? Wird auch Zeit, verflucht und zugenäht! Dagegen wird der Absturz einer weiteren Focke-Wulf 190 der III./ JG 2 schon eher „Feindeinwirkung“ zugeschrieben – genau bekannt ist es nicht. Unteroffizier Krieger entkommt unverletzt mit dem Fall schirm in der Nähe von Buc bei Versailles. Und ein „Feldwebel Müller“ der 12./JG 2 taucht in den Vermisstenlisten auf, ohne dass sich irgend ein näherer Anhalt über die genauen Umstände seines Verschwindens finden ließe. Vermutlich wird er ohne Zeugen abgeschossen. Auch das Jagdgeschwader 26 fasst allmählich Tritt. Die I./JG 26 trifft am späten Vormittag in Creil ein. Die Piloten starten von dort zu einigen Einsätzen in kleineren Gruppen, teilweise zusammen mit ihren Kameraden vom JG 2. Im Gegensatz zu den Flugzeugführern des „Richthofen“-Geschwaders JG 2 erringen die Männer des JG 26 „Schlageter“ jedoch keine Abschüsse – im Gegenteil. Unteroffizier Friedrich Schneider aus der 2./JG 26 macht unliebsame Bekannt schaft mit den Flugabwehrprojektilen der alliierten Schiffsgeschütze und muss in Beaumonte-le-Roger notlanden – er bleibt dabei zum Glück unverletzt. Ähnlich Fähnrich Gerhard Schulwitz, 3. Staffel des JG 26 (10 , Werknummer 170335) – er kommt leicht verletzt da von. Nicht so sein Staffelkamerad Unteroffizier Heinz Winter. Auch er macht Bekanntschaft mit Flugabwehrgeschossen. Nur schießen die Richtschützen derjenigen Kanonen, aus denen diese Granaten stammen, besser als ihre alliierten Kollegen zuvor. Es sind deutsche Kanoniere! Und Winter stirbt in seiner 3 (Werknummer 730466). Es ist zum Heulen! Die II. Gruppe des JG 26 hat einen weiten Weg ins Kampfgebiet. Die sechzehn einsatzfähigen Focke-Wulf starten in Südfrankreich in Mont-de-Marsan und an der Atlantikküste in Biarritz fast an der Grenze zu Spanien. Seit 05.00 Uhr informiert heben die Jägerpiloten schließlich gegen 07.00 Uhr ab. Dabei gerät Leutnant Hans Bleich in den Luftwirbel der Propeller des vor ihm startenden Oberleutnant Adolf „Addi“ Glunz und verliert die Kontrolle über sein startendes Fluggerät. Das Nächste, was ihn stoppt, sind Bäume. Nur das be herzte sofortige Eingreifen der Platzschutzmannschaften verhindert schwerere Verbrennungen! Bleich kommt – leicht verletzt – aus sei nem zerschundenen Jäger heraus. Somit verbleiben für den bevorstehenden Kampfeinsatz nur noch 15 Jagdflugzeuge. In „Vrox“ (Vraux?) erfolgt eine Zwischenlandung und das Abwarten weiterer Befehle. Dann geht es weiter an die Front. Der Verband teilt sich. Acht Focke-Wulf 190 A-8 fliegen unter der Leitung von Addi Glunz in Richtung Cormeilles im Nordwesten von Paris, landen dort nach einem angemessen herzlichen Empfang durch die 8th USAAF (328th Fighter Squadron der 352nd Fighter Group) über Rouen, tan ken wieder auf und fliegen erst am Abend weiter zum Zielflughafen Guyancourt (15 Kilometer südwestlich von Paris). Da waren’ s nur noch sieben. Dort kommen sie gegen 17.00 Uhr an. Die übrigen Maschinen der II./JG 26 fliegen direkt nach Guyancourt, können von dort aus aber zunächst keine Einsätze durchführen. Vermutlich liegt dies daran, dass niemand auf dem Flugplatz da ist, der die Maschinen warten und erneut startklar machen könnte! Die Piloten sitzen auf Kohlen! Doch andererseits – wer wird es denn mit dem Heldentod so eilig haben ...? Sie haben es alle eilig! Der Feind ist gelandet! Die III. Gruppe des JG 26 ist zum Zeitpunkt der Invasion völ lig zersplittert. Lupcourt sieben Kilometer südlich Nancy und Toul 20 Kilometer westlich der Stadt sind die Basen der Gruppe, die 10. und 12. Staffel ist gar nach Deutschland geschickt worden. Zu allem Überfluss sind die Bodenmannschaften verstreut überall und nir gends, wie eingangs bereits geschildert wurde. „Pips“ Prillers Tem perament lässt grüßen! Viel ist nicht bekannt über die Einsätze der schnittigen Messerschmitt-Jäger dieser Gruppe am Invasionstag. Nur so viel: gegen 09.30 Uhr ist der in Frankreich verfügbare einsatz fähige Teil der Gruppe in Cormeilles (nordwestlich Paris) eingetroffen. Mindestens ein Einsatz in Richtung Invasionsfront ist dokumentiert, bei welchem die Messerschmitt-Piloten an ihre britischen Erzrivalen geraten: Supermarine Spitfire! Beide Seiten fliegen schnittige, schnelle, faszinierende Jagdflugzeuge auf hohem technischen Niveau. Die Briten mit Mk.IX derzeit bessere! Man bleibt sich nichts schuldig. Weder die Briten noch die Deutschen bekommen einen ihrer Gegner zu fassen, beide Parteien trennen sich ohne Verluste. Die britischen Uhren der Spitfire-Piloten des 135th Wing RAF zei gen 15.30 Uhr. Es läuft ganz gut inzwischen, soweit man von oben erkennen kann. Die Piloten ziehen ihre Kreise über der gigantischen Schiffsarmada, die es vor der deutschen Luftwaffe zu beschützen gilt. Doch die ist weit und breit nicht zu sehen. Merkwürdig! Man hatte den „Hunnen“ („Huns“ oder „Bandits“ war der britische Jargon für Leseexemplar 420 Die Messerschmitt Bf 109 G-6 des Gruppenkommandeurs der III./JG 26, Major Klaus Mietusch, beim Start gegen die alliierte Übermacht. Bemerkenswert ist das Fehlen des Hakenkreuzes am Heckleitwerk! 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Junkers Ju 88 C-6 des Kampfgeschwaders 40 (Kennung F8), so genannte „Zerstörer“. Gut erkennbar ist die schwere Bewaffnung im Bug. Zusätzlich zu den drei MGs und der 20-mm-Kanone im Bugkonus befinden sich zwei weitere 20-mm-Kanonen vorne in der Bodenwanne. Bomben können ebenfalls mitgeführt werden. Ein Focke-Wulf 190 A-8-„Jabo-Rei“, wie er von der NSGr 20 geflogen wird. Die A-7-Variante der III./SG 4 unterscheidet sich vor allem durch ein weiter innen liegendes Staurohr an der rechten Tragfläche und eine 20 cm weiter hinten als bei der A-8 positionierte Aufhängung für die Bombe unter dem Rumpf. Die G-8 und F-8 haben andere Tragflächenhalter. deutsche Jäger) ziemlich heftig zugesetzt, das war wohl unüberseh bar. Aber bisher hatten die sich noch immer zu wehren gewusst. Wo sind sie denn heute? Was hat die Bande denn vor? Die „Bande“ hat gar nichts vor. Sie tut einfach, was sie kann, und das ist wenig genug. Doch dieses Wenige immerhin tut sie mit eini gem Mut. Der manchmal jenseits steht von jeglicher Vernunft. So im Falle der neun zweimotorigen Junkers Ju 88 C-6 der I./ ZG 1, welche plötzlich ins Blickfeld der Spitfire-Piloten geraten. Die C-6-Variante des deutschen Mittelstreckenbombers hat anstelle des verglasten Buges für den Bombenschützen einen vollverkleideten Bug, in den drei 7,9-mm-MG 17 und eine 20-mm-MG-FF-Kanone starr nach vorne feuernd eingebaut sind. Die Besatzung ist von vier auf drei Mann reduziert, da der Bombenschütze entbehrlich wird. Die Maschinen sind keine Bomber, sondern so genannte schwere „Zerstörer“ und sicher wehrhafter als die viersitzige Bombervarian te. Gegen Spitfire haben sie jedoch keine Chance! Das wissen auch die deutschen Besatzungen. Mit welchen Gefühlen mögen sie von ihrem Einsatzflughafen Lorient in der Bretagne am Golf von Bisca ya gestartet sein mit dem Auftrag, die Invasionsflotte anzugreifen? Was – und vor allem wer, nämlich Jäger – sie dort erwartet, das muss ihnen klar gewesen sein. Man hätte allenfalls würfeln können, ob die ersten feindlichen Jagdflugzeuge amerikanische Sterne oder britische Kokarden tragen würden. Die Ju 88 C-6 der 2. Staffel des ZG 1 fliegen ohne Jagdschutz! Die britischen Piloten können es kaum glauben! Sind die lebensmüde? Sicher nicht. Doch wo soll der Jagdschutz auch herkommen? Zu mal gegen diese Übermacht? Es gibt keine deutschen Verbände in der Gegend, deren Flugzeugführer diese Aufgabe übernehmen könnten. Außer vielleicht den Piloten der I. Gruppe des JG 2 bei Senlis in der Nähe von Chamant, die sich derweil im Schwimmbad tummeln. Was vermutlich erheblich gescheiter ist, als einen völlig aussichtslo sen Kampf am helllichten Tage zu fechten. Wenn die deutschen Jäger überhaupt heute etwas ausrichten können, dann aus der Position des Überraschungsangriffes – das wäre in der Begleitschutzrolle für die größeren und also gut sichtbaren Ju 88 kaum zu realisieren. Nicht um diese Uhrzeit! Es wäre besser, die Bomberpiloten – bzw. „Zerstörer“Besatzungen – ebenfalls baden gehen zu lassen – im Pool, nicht im Atlantik, wie es nun passiert – geradezu unvermeidlicherweise ein fach geschehen muss! Die 222 Squadron der Briten sichert nach oben – vielleicht taucht der Jagdschutz irgendwoher doch noch auf? Die 485 Squadron greift als Erste an. Flying Officer J.A. Houlton erledigt die erste Ju 88 – mit 45° Vorhaltewinkel! Das neue Gyro-Zielgerät in seiner Spitfire Mk. X IX mit der Produktionsnummer MK 950 und dem Code OU erweist sich als hervorragend effektiv. Zusammen mit dreien seiner Kameraden nimmt er sich dann die nächste vor. Auch sie ist machtlos gegen vier Spitfire auf einmal! Nach den Neuseeländern der 485 Squadron RNZAF sind nun die Belgier der 349 Squadron am Zuge. Weitere zwei Ju 88 stür zen brennend ab – allerdings auch eine Spitfire Mk. IX. Sie trägt U. Flight Sergeant die Seriennummer MK363 und den Code GE J.C.I van Molkot wird vom Bordschützen eines der sich verzweifelnd wehrenden zweimotorigen Kampfflugzeuge erwischt und gerät in deutsche Kriegsgefangenschaft. Es grenzt an ein Wunder und spricht sehr für die fliegerischen Fähigkeiten der deutschen Piloten, dass immerhin fünf Ju-88 C-6-„Zerstörer“ entkommen können – und sei es mit Beschuss-Schäden. Eine davon geht noch bei einer Notlandung im Maße 85 % zu Bruch, sodass sich die Abschüsse auf letztlich fünf Ju 88 summieren. Weitere Beschädigungen sind auf deutscher Seite nicht vermerkt, entgegen britischen Angaben. Sieben Besatzungsmit glieder sterben, drei werden verwundet. So warten die schwer bedrängten deutschen Bodentruppen an der Landungsfront weiter auf Unterstützung aus der Luft – vergeblich. Wenn sie Jagdbomber über sich sehen, sind es britische Typhoons und amerikanische Thunderbolts. Wo um Gottes Willen bleibt denn unsere Luftwaffe? Sie bemüht sich. Nur drei Erdkampfunterstützungseinheiten sind überhaupt in erreichbarer Nähe. Die eine ist eine Schulungs einheit – das SG 103. Die zweite ist die I./SKG 10. Die dritte Einheit ist die III. Gruppe des Schlachtgeschwaders 4 mit ihren potenten Leseexemplar 421 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Focke-Wulf 190 A-6/A-7-Jagdbombern. Diese Einheit ist eigentlich nach ihren schweren Einsätzen in Italien zur Auffrischung und zum Training von Nachwuchspiloten in Frankreich. Die 8. und 9. Staffel sind weit im Westen stationiert, nur etwa 30 Kilometer näher an der Invasionsfront bei Caën als Prillers Stabsduo des JG 26 „Schlageter“ in Lille. Nun werden sie überraschend gebraucht und zum Einsatz befohlen. Die beiden Jagdbomberstaffeln liegen in Clastres bei St. Quentin und in Frieres, etwa 60 Kilometer von Amiens entfernt, 120 Kilometer nordöstlich von Paris. Die 7. Staffel befindet sich gar in Le Luc, weit im Süden Frankreichs. Die Maschinen müssen schnellst möglich zum Einsatz! Major Gerhard Weyert befehligt die Gruppe als Gruppenkommandeur. Folgender handschriftlicher Bericht findet sich im Kriegstagebuch (wobei auffallenderweise die in den einigen Quellen in dieser Form vermerkten Namen Kolberg, Brauneis und Krusmann hier „Kollberg“, „Bräuneis“ und „Krüsmann“ geschrieben sind): Erste Seite des Berichtes von Major Weyert: Darstellung der Ereignisse Uhrzeit Ort und Art der Unterkunft 6.6.1944 Clastres (Dabei wichtig: Beurteilung der Lage (Feind- und eigene), Eingangs- und Abgangszeiten von Meldungen und Befehlen) Kommandeur wird um 0300 Uhr durch Dufflinger Ia, Major Fahrenberg, über erfolgte und laufende Luftlandungen nördlich Caen und Seel andungen in der Seinemündung verständigt. 0645 Uhr befiehlt der Kdr. aus eigenem Ermessen Alarmstufe I. 0745 trifft von Dufflinger Ia der Befehl zur Herstellung der Verl egebereitschaft der Gruppe ein, Verl egung in den Raum Le Mans. Auf die Frage, ob sofort verlegt werden soll, wird geantwortet, daß der fernschriftliche Befehl erst noch abgewartet werden soll. Eins der befohlenen Stichworte für den Fall der Feindanlandung wird nicht befohlen. Herstellung der Verlegebereitschaft wird durch den Kdr. an die Einheitsführer befohlen. Verlegt werden sämtliche einsatzklaren K.-Flugzeuge mit Flugzeugführern und 1. Warten, dazu weiteres Spitzenpersonal und Stabsarzt in 2 Ju 52. Nachdem um 0935 Uhr der fernschriftliche Verlegebefehl nach Laval eingetroffen ist, starten die einzelnen Staffeln wie folgt: 1215 Uhr Stab und 9. Staffel von Clastres aus, Landung in Laval 1335 Uhr. 1345 Uhr 8. Staffel von Frières, Landung in Tours 1445 Uhr. 1200 Uhr 7. Staffel von Le Luc, Landung in Laval 1900 Uhr. Aus Sicherheitsgründen wurde bei der Verlegung für die von St. Quentin aus startenden Maschinen der Weg südlich Paris im Tiefflug befohlen. Trotzdem hatten sämtliche Einheiten Jagdberührung und Luftkampf mit amerikanischen Mustang- und Thunderbolt-Jägern. Die Verluste der Gruppe am 6.6.44: Flugzeugführer: Oblt. Pühringer gefallen. Obfw. Kollberg gefallen. Fw. Bräuneis gefallen. Uffz. Speer gefallen. Leseexemplar H 6659 Offenbar ist man im Jagdkorps der irrigen Auffassung, ein Flug weg im Tiefflug südlich von Paris sei sicher genug, um der Schnellig keit halber die 1. Warte in den Focke-Wulf 190-Jagdbombern mitflie gen zu lassen – Flugzeuge, die als eigentliche Jagdflugzeuge lediglich zur Aufnahme einer Person konstruiert wurden – dem Piloten. Doch verhängnisvollerweise hat man nicht mit der Überfülle an britischen Jagdflugzeugen und amerikanischen Langstreckenjägern gerechnet, 422 deren Führung es sich leisten kann, über dem halben Ärmelkanal, den Landungsstränden und dem Hinterland der Invasionsfront bis weit hinter Paris einen dichten Luftschirm aus patrouillierenden Jägergruppen aufzubauen. Es sind genug Jäger vorhanden, um alle diese Aufgaben zu erfüllen – gleichzeitig und umfassend. Ein unvor stellbarer Luxus für die deutschen Führungsstäbe! Die es dennoch besser wissen müssten ... 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... In Major Weyerts Bericht heißt es auf der Folgeseite weiter: Wetterlage*) Gesundheitszustand Ersatz Munitionsverbrauch **) Erfahrungen***) Zu- und Abgang unterstellter Truppen Flugzeugführer: 1. Warte: Bemerkungen (Auch Verluste an Waffen und Gerät; Hinweise auf Anlagen) Lt. Limberg verletzt. Fw. Eidam Uffz. Krüsmann Uffz. Ebert Obgfr. Ohlwein Obgfr. Klunker gefallen. gefallen. gefallen. gefallen. verletzt. Ab 1700 Uhr fliegt die 9. Staffel in Schwarmstärke gegen Anlandungen und Kfz.- Ansammlungen an der Ornemündung insgesamt 3 Einsätze mit 13 Maschinen. Einmal wird wegen zu starker Jagdabwehr das Ziel nicht erreicht. Erfahrungen aus der Verlegung: 1.) Die Gruppe hätte früher eingesetzt werden können , wenn der Verlegebefehl von seiten des Korps nicht zu spät gekommen wäre. 2.) Es ist abwegig im französischen R aum bei der herrschen den Luftüberlegenheit der R AF. und der USA AF . 1. War te in K.-Flugzeugen mitzunehmen . 3.) Der Flugplatz Laval war in keiner Weise von der Führung aus für einen einfallenden Schlachtverband vorbereitet. Es fehlten Tankwagen , Bombenhebewagen , Hilfspersonal und vor allem jeglicher Platzschutz. Der Horstkdt. war dahin gehend orientiert worden , daß der Verband abends eintreffen und ab nächsten Morgen Einsätze fliegen würde. Auftankungsmöglichkeiten sind ungenügend , Unterkünfte zu platznah vorbereitet. H 6660 Leseexemplar ) Temperatur, Niederschläge, Sichtverhältnisse (Erde und Luft). ) bis Regt. einschl. in Schusszahlen, von Kommando-Behörden in Ausstattungen. *** ) Erfahrungen dürfen auch nachträglich eingetragen werden. * ** 5c. Wilhelm Limpert-Verlag Berlin 1943 * [Anmerkung: „Horstkdt.“ = Horstkommandant = Flugplatzkommandant, „K-Flugzeuge“ sind Kampfflugzeuge] Sieben Focke-Wulf 190 starten um 12.15 Uhr (deutscher Zeit. Für die Gegenseite ist es 13.15 Uhr). 30 Kilometer südlich von Paris wird der Verband von etwa 15 Mustang-Jägern abgefangen. Es steht zwei gegen einen, wobei die deutschen Piloten durch das Mitführen ihrer 1. Warte ein zusätzliches schweres Handicap im Luftkampf haben. Vielleicht hat sich manch einer der Mechaniker gewünscht, einmal einen Luftkampf ihrer Flugzeugführer mitzuerleben. Doch so tödlich sicher nicht. Drei Focke-Wulf werden getroffen. Oberleutnant Johann Pühringer (Stab/SG 4, Fw 190 A-7, , Werknummer 430472) zer schellt mit Aufschlagsbrand zusammen mit seinem Wart Unteroffi zier Martin Krüsmann (Krusmann?), Leutnant Limberg entkommt dem Tode leicht verletzt, Unteroffizier Max Rahofer (Stab/SG 4, Fw 190 A-6, II , Werknummer 650502) bleibt unversehrt, während sein Wart, der Obergefreite Fritz Klunker, verletzt wird. Es gibt nur 423 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... einen amerikanischen Verband, der in der fraglichen Zeit Abschüsse meldet. Die 328th Fighter Squadron der 352nd Fighter Group rekla miert für sich zwei Focke-Wulf 190 als abgeschossen, eine dritte als beschädigt – um 14.20 Uhr britischer Zeit. Es sind P-51 B „Mustangs“, was ebenso übereinstimmend ist wie die Anzahl der „claims“ und der Typ der von den Amerikanern genannten gegnerischen Flugzeuge – deutsche Focke-Wulf 190. Nur liegt die amerikanische Ortsanga be „8 miles southeast of Rouen“ (etwa 13 Kilometer südöstlich von Rouen) über 100 Kilometer vom Ort Bretigny-sur-Orge entfernt, wo der Luftkampf der sieben Fw 190 des SG 4 mit Mustangs stattfindet. Zwar käme nach den US-„claims“ nur diese amerikanische Einheit infrage, da die nächstfrüheren Meldungen um 12.45 Uhr britischer Zeit vor dem deutschen Start datiert sind, und die nächstspäteren Meldungen um 16.20 Uhr britischer Zeit nach der deutschen Lan dung. Die Ankunft in Laval wird um 13.35 Uhr angegeben, somit 14.35 Uhr nach alliierter Zeitrechnung. Dennoch ist die Auseinandersetzung mit der 328th Fighter Squadron definitiv einem anderen Luftkampf mit zuzuordnen – mit acht Focke-Wulf 190 der II./JG 26, welche sich unter Leitung von Leut nant Glunz mit P-51 herumschlagen – bei Rouen! Addi Glunz hatte auf seinem Überführungsflug von Biarritz nach Cormeilles eine For mation von P-51 „Mustangs“ entdeckt, die nahe Rouen Tiefangriffe flogen. Glunz zögert nicht und leitet sofort den Angriff ein. Doch die Mustang-Piloten sind auf der Hut, bemerken ihre Gegner rechtzeitig und drehen ein. Das Überraschungsmoment ist dahin. Ein verbisse ner Kurvenkampf entwickelt sich. Zwei Mustangs nehmen Unterof fizier Lindner (10 , Werknummer 170383) in die Zange, Lindner wird hierbei getroffen und abgeschossen. Er steigt aus, bleibt aber mit dem Fallschirm an einem der Cockpit-Holme hängen. Gerade noch rechtzeitig gelingt es ihm, sich loszurütteln und freizukommen. Er erleidet nur leichte Verwundungen. Das hätte leicht ganz anders enden können! Glunz durchlöchert im Gegenzug die Tragfläche einer Mustang, kann sie aber nicht zum Absturz bringen. Die Ungereimtheit der genannten Orts- und Zeitangaben zeigt ex emplarisch, wie schwierig die Dokumentationen beider Seiten oft zu koordinieren sind. In vorliegendem Fall sind sich die Quellen einig. Im zweiten Verband der III./SG 4 fliegt Hauptmann Heinz Mih lan, ein ehemaliger Jagdflieger. Es sind acht Focke-Wulf, die angeblich um 15.57 Uhr (deutscher Zeit) starten und nahe Le Mans bei St. Jean d’Asse an feindliche Jäger geraten. In dem folgenden Luftkampf wird Feldwebel Franz Bräuneis (Brauneis?) in seiner Focke-Wulf A-6 B (8./SG 4, Werknummer 470582) abgeschossen – er stirbt gemeinsam mit seinem Wart, Unteroffizier Paul Ebert. Unteroffizier Wenzel wird bei Rouenvon zur Notlandung gezwungen, kommt aber unverletzt aus seiner Focke-Wulf heraus. Hauptmann Mihlan (8./SG 4, Fw 190 A-6, M , Werknummer 470601) schießt bei La Bazoge westlich von Mortain eine „P-51“ ab, wird dann aber selber abgeschossen. Er steigt mit dem Fallschirm aus und bleibt ebenfalls unverletzt. Dieses Glück hat sein Wart Feldwebel Eidam nicht. Er fällt in diesem Luftkampf, dem er als „blinder Passagier“ hilflos ausgesetzt ist. Eidam sitzt hinter der Klappe des Funkgerätes kauernd hinten im Rumpf von Mihlans brennend abstürzender Focke-Wulf. Ohne Fallschirm! Was soll Mih lan in dieser Situation machen? Aus Solidarität Selbstmord begehen? Eine fürchterliche Entscheidung! Eine Focke-Wulf 190 A-8 der II./JG 26. Es handelt sich zwar nicht um einen Jagdbomber der III./SG 4, dennoch ist der Zugang zum Heckabschnitt hinter dem Funkgerät, in welchem die 1. Warte mitflogen, hier gut zu erkennen. Auch hier ergeben sich offene Fragen, die sich teilweise erklären lassen, wenn der amerikanische Jagdverband aus mehreren Einheiten bestand. Denn Mihlan schießt eine P-51 „Mustang“ ab, deren elegan te Form nur schwer mit der einer P-47 „Thunderbolt“ zu verwechseln sein dürfte. Die erfolgreichen amerikanischen Schützen dagegen sind fast sicher Thunderbolt-Piloten, denn die Flugzeugführer Lieutenant Colonel Frederic C. Gray, Jr. und 1st Lieutenant Vincent J. Massa der 78th Fighter Group (Letzterer 83rd Fighter Squadron) teilen sich den Abschuss einer Focke-Wulf 190 bei Mayenne, während Massas Staffelkamerad 1st Lieutenant Peter A. Caulfield ohne Hilfe eines Kol legen eine Fw 190 bei Mayenne abschießt. Mayenne wiederum liegt genau zwischen St. Jean d’Asse und La Bazoge/Mortain. Auch spricht der deutsche Kampfbericht *7 im Gegensatz zum oben geschilderten Luftkampf nicht von „Mustang“, sondern von „fdl. Jägern“. Weyerts handschriftlicher Bericht redet von „Mustang- und Thunderbolt-Jä gern“, welche die Staffeln angegriffen hätten – ohne hierbei zwischen den einzelnen Staffeln zu differenzieren. Die erste gestartete Grup pierung des SG 4 war jedoch definitiv nur mit Mustangs aneinander geraten – entsprechend der Berichte. Somit verbleiben für die zweite Gruppierung (oder die 7. Staffel) auch P-47 „Thunderbolts“, wenn die Gesamtdarstellung Weyerts zutrifft. Allerdings geben die P-47Piloten den Zeitpunkt ihrer Abschüsse mit 16.30 Uhr an – britischer Zeit. Das entspräche 15.30 Uhr für Mihlan, was eigentlich vor dessen angeblichem Startzeitpunkt liegt, wogegen Mihlans P-51 Abschuss nach einer englischsprachigen Quelle auf 15.48 Uhr datiert wird Um 16.55 Uhr nach deutscher Zeitrechnung landen die restlichen Focke-Wulf. Noch eine Staffel der III./SG 4 ist auf dem Weg ins Kampfgebiet. Fast haben die Piloten der 7. Staffel ihr Ziel, den Flugplatz Laval, erreicht, als zwei von ihnen doch noch ihr Schicksal ereilt. Kein Flak-Geschütz des Flugplatzes kann ihnen offenbar helfen, denn laute Weyerts handschriftlichem Bericht „fehlt jeglicher Platzschutz“. Oberfeldwebel Martin Kollberg (Fw 190 A-6, A , Werknummer Leseexemplar 424 Quelle: Bundesarchiv - Miltärarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg, Rolle BA-MA RL 10/358 *7 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... 470503) fliegt zusammen mit seinem Wart, dem Obergefreiten Er win Ohlwein. Kollberg (Kolberg?) und Unteroffizier Speer (Fw 190 A-6, L , Werknummer 470585) werden noch über dem Fliegerhorst Laval abgeschossen und sterben im „Aufschlagsbrand“. Der Oberge freite Ohlwein überlebt diesen Überführungsflug ebenfalls nicht. Es ist 19.00 Uhr deutscher Zeit. Der Tag ist für das Schlachtgeschwader (SG) 4 noch nicht zu Ende. Ein langer Tag, für wahr! Um 17.19 Uhr (deutscher Zeit) starten vier Focke-Wulf 190 zum ersten Angriff einer Jagdbombereinheit auf den Brückenkopf der Alliierten in Frankreich. Es sind Oberleutnant Hesse, Feldwebel George, Unteroffizier Schneider und Obergefreiter Lienau aus der 9. Staffel. Bei St. Aubin kreuzen sie die Küste. Sie mel den als Aufklärungsergebnis: „Im Planquadrat 1065 Kriegsschiffe, anschließend zwei Kreuzer sowie Zerstörer auf Strand schießend. Starke Ausladungen bei St. Aubin“ und als Angriffsziel: „Landungsboote 400 BRT am Strande vor St. Aubin (Pl.Qu. 10672).“. Es handelt sich um St. Aubin sur Mer – dem westlichen Ende des britischen Landestrandes „Sword Beach“, zwölf Kilometer westlich von Ouistreham bei Caën. Offenbar haben es die Engländer selbst jetzt, am Abend des „längs ten Tages“, noch nicht geschafft, allen Widerstand niederzukämpfen. Doch es ist nur eine Frage der Zeit. Die vier deutschen Jagdbomber sind genauso hoffnungslos in der Minderheit wie wenige Stunden zuvor Pips Priller mit seinem Rottenflieger Wodarczyk. Deren Husarenstück ist zur Berühmtheit avanciert. Die Namen Hesse, George, Schneider und Lienau kennen dagegen nur wenige. Obwohl es diese vier Piloten fertig bringen, mit ihren SC-500- (500-kg-) Bomben zwei Landungsschiffe „durch Voll treffer“ zu „vernichten“. Jede der Focke-Wulf trägt eine dieser schwe ren Bomben unter dem Rumpf. Zwei der vier Piloten haben offenbar ins Schwarze getroffen! Die Angabe „400 BRT (Bruttoregistertonnen)“ in der Dokumenta tion dieses Einsatzes legt nahe, dass es sich bei den durch Volltreffer zerstörten Schiffen um Landungsschiffe des amerikanischen Typs „Landing craft infantry (Large) – LCI(L)“ (385 BRT) oder „Landing craft tank (LCT)“ (450 BRT) handelt, welche in großen Stückzahlen der britischen Marine zur Verfügung gestellt worden waren. Für die bildliche Darstellung dieses bemerkenswert couragierten Angriffs ist daher der Schiffstyp LCI gewählt. Die Piloten berichten von einer starken Abwehr des Angriffes durch leichte und mittlere Flugabwehrgeschütze des Gegners, ferner seien zwölf Typhoon und Spitfire in der Nähe gewesen, welchen man aber habe entgehen können. Der Schwarm von vier Jagdbombern landet wieder ohne Verluste. Inzwischen ist auch das Jagdgeschwader 2 wieder in der Luft – ge nau genommen vertreten durch ein paar wenige „Experten“ der Stä be, Jäger-Asse, die sich zutrauen, dieser unglaublichen Übermacht die Stirn bieten zu können mit der Chance, heil wieder aus dem Schla massel herauszukommen. Und mit dem Verantwortungsgefühl im Nacken, als Offiziere nicht einfach am Boden herumsitzen zu kön nen, während die Entscheidungsschlacht im Westen beginnt, in ihre gefährlichste Phase zu kommen. Die andererseits so viel Übersicht haben, dass sie ihre Piloten nicht sinnlos „verheizen“ wollen. Es reicht nicht nur dazu, sich einen Überblick über die Feindlage zu verschaffen und dann wieder heil zu landen. Major Erich Hohagen (Stab I./JG 2) erwischt um 17.25 Uhr bei Beaumont-le-Roger eine britische Typhoon, Hauptmann Huppertz schießt eine knappe Stun de später einen weiteren dieser britischen Jagdbomber vom Himmel, die mit ihren Bomben und Raketen so viel Unheil unter den deut schen motorisierten Kolonnen anrichten. Es ist die dritte Typhoon für Huppertz heute, sein 75. Abschuss insgesamt. Für ihn scheint sich einer der markigen Sprüche zu bewahrheiten, die in dieser verblendeten Zeit verbreitet werden. „Viel Feind, viel Ehr“! Zumindest im Moment! Wie lange noch? Um 19.25 Uhr (deutscher Zeit) folgt der nächste JagdbomberAngriff der 9./SG 4. Wieder sind vier Focke-Wulf 190 im Einsatz, dieses Mal fliegen Leutnant Klepke, Unteroffizier Plewka, Unteroffi zier Walter und Oberfeldwebel George. Ob es sich bei Letzterem um denselben Piloten handelt wie zwei Stunden zuvor ist (dem Verfasser) nicht bekannt – in diesem Falle ist wohl zur Beförderung zu gratu lieren. Jedenfalls nehmen sich die vier Jagdbomber im Sturzangriff Fahrzeugansammlungen an der Brücke von Ouistreham vor und beobachten nach dem Einschlag ihrer vier 500-kg-Bomben Brände. Neben der „starken leichten Flak“ als Abwehr vom Boden aus werden „82 Spitfire, Mustang, Thunderbolts bei An- und Abflug und über Ziel ohne Angriff “ registriert. Ein römischer Spruch lautet: „den Tapferen hilft das Glück“. Vielleicht ist es auch nur Dusel. Oder der Vorteil ei ner kleinen Formation, im Tiefflug schwer erkennbar zu sein – zumal bei schlechten Wetterverhältnissen am Abend. Eine der vier Focke-Wulf wird jedoch eher vom Pech verfolgt. Den feindlichen Kanonieren kann sie entgehen, der eigenen Flugabwehr nicht. Deutsche Flak-Geschütze beschädigen sie schwer. Zum Glück passiert dem Piloten nichts – er bleibt ungeschoren. Wie sollen die deutschen Richtschützen auch wissen, dass es sich um ein eigenes Flugzeug handelt? Schließlich war es ja nicht – wie war das noch in jenem bitteren Spruch? – „unsichtbar“. Die Maschinen landen auf Grund der starken feindlichen Jagd fliegerformationen in Rennes statt in Laval. 20.00 Uhr (deutscher Zeit). Hauptmann Huppertz startet erneut, dieses Mal von einer Pferderennbahn. Es ist Senlis, und in seinem Gefolge sind neben vier Focke-Wulf 190 A-8 seiner III. Gruppe auch zwei Piloten der 2. Staffel – namentlich Leutnant Eichhoff und Fähn rich Beer – und ein Pilot der 3. Staffel aus der I. Gruppe des JG 2. Dieser Pilot ist ein gewisser Leutnant Wolfgang Fischer. Letzterer hat diesen Einsatz der acht Focke-Wulf 190 A-8 bereits beschrieben. Bei Bernay überraschen die paar deutschen Jäger – zu wenige, zu gut getarnt und vielleicht auch zu erfahren und umsichtig geführt, um im fliegerisch höchst anspruchsvollen Tiefflug nur 40 Meter über dem Erdboden bei den wetterbedingt schlechten Sicht verhältnissen dem alliierten Überwachungs-Jagdschirm aufzufallen – jene P-51 „Mustangs“ der amerikanischen 4th Fighter Group bei ih rem Tiefangriff gegen eine deutsche Infanteriekolonne. Hauptmann Huppertz leitet den Abschussreigen ein – um 20.35 Uhr mit einer Mustang, die er drei Kilometer nordöstlich von Evreux vor sein Re flexvisier ausmanövriert. Sein 76. Abschuss – und Huppertz vierter „Luftsieg“ alleine heute. „Kill“ sagen die Amerikaner – weitaus unge schminkter. Denn genau das ist es letztlich. Kein kaltblütiger Mord, sondern ein „fairer“ Sieg, ein Erfolg im Kräftemessen – der Besse re oder Cleverere überlebt, mit ein bisschen Glück auf seiner Seite. Leseexemplar 425 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... 6. Juni 1944 Leseexemplar 426 Flugzeugtyp: Focke-Wulf 190 A-6- bzw. A-7-Jagdbomber Nationalität: Luftwaffe Einheit: 9. Staffel (III. Gruppe)/SG 4 Piloten: Oberleutnant Hesse, Feldwebel George, Unteroffizier Schneider und Obergefreiter Lienau Stationierung: Laval/Frankreich/6. Juni 1944 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Doch das Ergebnis bleibt dasselbe. Ein in irgendeiner Liste, und ein Vater, eine Mutter sowie meistens eine junge Frau, die nicht wissen, wie sie dieses Kreuz ertragen sollen. Ungezählte Tränen und bitteres Leid – auf der einen oder der anderen Seite, denn wie vielen ebenso jungen deutschen Soldaten auf jener Brücke des Flüsschens Risle hat die Handvoll Focke-Wulf das Leben gerettet? Vorerst ... 20.54 Uhr. In der Nähe von Bernay. Leutnant Eichhoff aus der 2. Staffel drückt auf die Waffenknöpfe – und trifft. 20.56 Uhr. Sein Staffelkamerad Fähnrich Beer zerschießt eine Mustang, gleichzei tig beobachtet Leutnant Fischer aus der 3. Staffel, wie „seine“ Mus tang am Flussufer zerschellt. Der brennende Baum lodert wie ein Fanal. 21.03 Uhr: Fähnrich Voormann aus der III. Gruppe ist in Schussposition – und feuert. 21.04 Uhr: Nun ist Unteroffizier Bie lohlawek „am Drücker“. Die sechste Mustang kracht zerberstend in den blutgetränkten Boden der Normandie. Unmittelbar darauf gefolgt von einem Waffenbruder der britischen Royal Air Force. Feldwebel Schuler, ebenfalls aus der III./JG 2, hat sich hinter eine Typhoon gekurvt. 21.04 Uhr: Schuler zielt, schießt und trifft. Neben den 7,9-mm-Geschossen der beiden Maschinengewehre bewirken die 20-mm-Projektile der Kanonen eine verheerende Trefferwirkung. Die Focke-Wulf 190 A-8 ist schon ein schwer bewaffnetes Jagdflugzeug. Wie sagen die Briten? „Butcher Bird“ – Schlächter-Vogel! 21.05 Uhr: Oberleutnant Siekmann aus der III./JG 2 vernichtet eine Typhoon. Gleichzeitig wie sein Kamerad Feldwebel A. Müller, ebenfalls aus der III. Gruppe. Ebenfalls um 21.05 Uhr. Und ebenfalls erwischt es wieder eine Hawker „Typhoon“. Und was ist mit Hauptmann Herbert Huppertz? Seit einer halben Stunde kein weiterer Abschuss mehr? Aber nein! Huppertz sieht nicht untätig zu, wie seine Männer den alliierten Luftstreitkräf ten Verluste zufügen. Oder sagen wir „Nadelstiche“, wenn man die Gesamtlage betrachtet. Immerhin sind sie schmerzhaft, diese Na delstiche. Für den Piloten einer bulligen P-47 „Thunderbolt“ der amerikanischen Army Air Force ist es kein Nadelstich, den ihm Huppertz um 20.59 Uhr zufügt. Der fünfte Abschuss des Deut schen heute! Sein 77. Sieg insgesamt. Noch einer sollte folgen – am 7. Juni 1944, dem Folgetag. Auch dieser Gegner fliegt eine „Thun derbolt“. Einen weiteren Tag später ist auch Huppertz tot. Ach ja, das Jagdgeschwader 26? Sollte es heute völlig leer ausgehen, wenn man von Prillers und Wodarczyks Husarenritt einmal absieht? Nicht ganz. Um 20.55 Uhr gerät eine amerikanische Mustang vor die Rohre des Staffelkapitäns der 2. Staffel des JG 26, Oberleutnant Kunz. Es ist der erste Luftsieg des Geschwaders an der neuen Invasi onsfront im Westen, die in der Luft allerdings so neu nicht ist. 21.00 Uhr (deutscher Zeit). Es ist immer noch nicht vorbei für heute! Oberleutnant Hesse, Unteroffizier Schneider, Feldwebel Krüger, Feldwebel Weiss und Oberfeldwebel Golles geben Vollgas. Die fünf Jagdbomber der 9. Staffel des SG 4 beschleunigen, werden schneller und heben von der Startbahn ab. Ihr Ziel sind Anlandun gen bei Lion. Doch dieses Mal kommen sie nicht durch. Um 21.30 Uhr muss sich der Verbandsführer entschließen, ein Notziel aufs Geratewohl anzugreifen – Feinde am Boden gibt es bereits genug. In der Luft auch! 50 Spitfire und Mustang stürzen sich auf die deut Hauptmann Herbert Huppertz. schen Focke-Wulf, denen es bei diesem Einsatz nicht gelingt, vom alliierten Jagdschutz unentdeckt zu bleiben. Die deutschen Piloten werfen im Sturzflug ihre Bomben auf den Gegner, können aber deren Wirkung nicht beobachten, da ihnen bereits die Leuchtspurgeschosse der Feindjäger um die Ohren fliegen. Einem der Piloten kommen die Geschosse gefährlich nahe an die Ohren, seine Focke-Wulf wird schwer beschädigt. Dennoch kommen alle fünf Maschinen wieder nach Hause, keinem der Piloten ist etwas passiert. Bei fünf gegen 50 ein erstaunlicher Abschluss dieses ereignisreichen Tages. Für das SG 4. Ein anderes Erdkampfgeschwader hat da erheblich weniger Glück. Das SG 103 ist in Metz-Frascaty stationiert und fliegt als Schulgeschwader alle möglichen Flugmuster. Auch Junkers Ju 87 „Stukas“, ein längst nicht mehr konkurrenzfähiger Sturzkampfbom ber, und selbst davon leicht vera ltete Typen. Für Schulungszwecke mögen die Flugzeuge geeignet sein – aber für einen Einsatz? In ei nem Gebiet, in dem der Gegner die völlige Luftherrschaft hat? Ein Schulungsgeschwader? Es kommt, wie es kommen muss. Vielleicht haben die Führungs stäbe nicht mehr damit gerechnet, dass um diese Uhrzeit noch geg nerische Jäger über dem Kampfgebiet Wache halten – und erst recht nicht tief im Hinterland. Es wird eine Einsatzstaffel gebildet, die nach Le Mans fliegen soll, um am nächsten Morgen in aller Frühe die geg Leseexemplar 427 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... Eine Focke-Wulf 190 G-3 (man vergleiche die Motorhaube, die Position des Staurohrs und die Form der Tragflächenhalter) rollt aus dem Waldversteck. Nur so haben deutsche Flugzeuge im Jahr 1944 in Frankreich noch eine Chance, der Zerstörung durch feindliche Tiefflieger zu entgehen. nerischen Schiffe anzugreifen – ein Selbstmordunternehmen. Doch soweit kommt es gar nicht erst. Um 20.45 Uhr nach amerikanischer Zeitrechnung bereiten die Stuka-Besatzungen den Mustang-Piloten der 505th Squadron (339th FG) und 354th/357th Squadron (355th FG) ein unfreiwilliges Gute-Nacht Geschenk! Die Stukas fliegen ohne Begleitschutz. Bei Voves, 21 Kilometer südöstlich von Chartres, hält man dies in den Stäben offenbar nicht für nötig. Man hätte es bes ser wissen können, ja müssen – spätestens seit dem verlustreichen Überführungsflug des SG 4, welches Stunden zuvor fast denselben Flugweg zugewiesen bekommen hatte! Südlich von Paris vorbei nach Laval, das nur 70 Kilometer weiter westlich liegt als das Ziel der Staf fel des SG 103, Le Mans. In zehn Minuten ist es vorbei. Fünf Ju 87 D-3 werden abgeschossen (Werknummern 2196, 2653, 131214, 131247 und 131289), weiteren vier Ju 87 D-1/D-3/H-6 gelingt noch eine Notlandung (Werknummern 2094, 2398 – laut einer anderen Angabe 7868 –, 131194, die vierte ist unbekannt). Die Besatzungen haben keinerlei Chance. Es grenzt an ein Wunder, dass nur drei Piloten und zwei Bordfunker ums Leben kommen, es sind Oberleutnant Skupin, Unteroffizier Rüchenschüt ze und Oberfeldwebel Genrich (Piloten) sowie Oberfeldwebel Micke und Oberfeldwebel Ochmanik (Bordfunker, gleichzeitig Heckschüt zen). Weitere elf Besatzungsmitglieder werden verwundet. Am nächsten Morgen werden die alliierten Matrosen regulär ge weckt (sofern sie schliefen), und nicht durch das charakteristische Heulen der Sturzflugsirenen *8 deutscher Stukas. Den Mustangs sei Dank. Als es endgültig Nacht wird über der Normandie nach diesem langen Tag, haben die alliierten Landungstruppen auf französischem Boden Fuß gefasst. Und der Himmel gehört sozusagen „mondför migen“ Kokarden und amerikanischen „Sternen“. Jedenfalls nicht dem Balkenkreuz! Dieses allerdings versucht, sich mit dem Mut der Verzweiflung Re spekt zu verschaffen. Doch ohne Erfolg. Im Schutze der Dämmerung und der Nacht greifen endlich deutsche Bomber die Invasionsf lotte an. Die 3./KG 54 verliert über der Seinebucht zwei Ju 88 A-4-Bomber (B3 HL und B3 KL, alle acht Besatzungsmitglieder fallen. Die 8./ KG 54 büßt eine Ju 88 A-4 am selben Ort ein (B3 GR) mit denselben tödlichen Konsequenzen für alle vier Besatzungsmitglieder. Und der 9./KG 54 ergeht es ebenfalls nicht besser. Zwei Ju 88 A-4 werden – eben falls über der Mündung der Seine – vom Nachthimmel geschossen. B3 GT und B3 BT sind die jeweiligen Kennungen. Nur einer der acht Männer kommt mit dem Leben davon, es ist der Bordfunker der „G“-Maschine, Feldwebel Walter Tauffenbach, der in Gefangenschaft gerät. Alle fünf Ju 88 A-4 werden vermutlich von der gegnerischen Flak heruntergeholt – obwohl auch alliierte Nachtjäger aktiv sind, sodass man sich nicht sicher sein kann. Denn zumindest eine zweimotorige schnelle Messerschmitt Me 410 A-1, ein Schnellbomber oder schwe rer Jäger ähnlich der Ju 88 C-6 (nur kleiner, schneller und wendiger), wird bei der Landung in St. Andre sur l’Eure von einem Nachtjäger überrascht und abgeschossen. Es ist eine Maschine der 4./KG 51. Der AM ist Oberfeldwebel Hermann Bolten, er überlebt Pilot der 9K verletzt. Feldwebel Wilhelm Lohe, sein Bordfunker und Heckschütze, der die hochmodernen ferngesteuerten Abwehrmaschinengewehre am hinteren Seitenrumpf bedient, überlebt den Abschuss nicht. Eine Leseexemplar 428 Hinweis: zu diesem Zeitpunkt sind die so genannten „Jericho-Trompeten“ allerdings nicht mehr regelmäßig in die Ju 87 eingebaut – viele „Stukas“ haben sie bereits nicht mehr. Doch auch die ausgefahrenen Sturzflugbremsen erzeugen ein charakteristisches Geräusch im Sturz – auch ohne die infernalisch klingenden Sirenen ... *8 9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ... noch größere Tragödie richtet ein weiterer alliierter Nachtjäger nahe Coulommiers an, 30 Kilometer östlich von Paris. Der Pilot und 15 Männer des Bodenpersonals der I. Gruppe des JG 1, welche ebenfalls in Richtung Front verlegt werden soll, sind an Bord eines unbewaff neten dreimotorigen Junkers Ju 52-Transportflugzeuges. Der britische Nachtjäger hat keine Gegenwehr zu befürchten. Es gibt nicht einen Überlebenden. Dagegen hat der Absturz eines zweimotorigen Bombers der 8./KG 2 nichts mit dem Gegner zu tun und muss als Unfall angese hen werden, wie er auch in Friedenszeiten vorkommen könnte. Die Dornier Do 217 K-1 mit dem Code U5 AS fällt mit Motorschaden vom Himmel, alle vier Besatzungsmitglieder überleben den Absturz verletzt. Schließlich geht noch eine Focke-Wulf 190 G-8 der I./SKG 10 auf Grund technischer Mängel verloren, ohne dass dies irgendetwas mit der Wirkung feindlicher Waffen zu tun hätte. Die deutsche Luftwaffe erhält in den ersten 36 Stunden nach der Invasion Verstärkung. Nach Ausgabe des Codes „Dr. Gustav West“ (für: „drohende Gefahr im Westen“, gleichbedeutend mit: „die Inva sion hat begonnen!“) werden etwa 200 Jäger der Typen Messerschmitt Bf 109 und Focke-Wulf 190 ins Krisengebiet geflogen. Bis Ende Juni 1944 sind es fast 1.000 geworden. Doch Flugzeuge kann man herfliegen – das zugehörige Boden personal samt Ausrüstung nicht. Es muss per Lastwagen und Schie ne folgen. Ein gefährliches und schwieriges Unterfangen, da die Bahnverbindungen durch alliierte Bombenangriffe und französische Sabotageakte zerstört sind und Beweg ungen mit Lastwagen praktisch nur noch in der Nacht möglich sind. Die deutschen Jäger werden nun selbst zu den Gejagten – in der Luft wie am Boden. Starts sind nur noch von sorgfältig versteckten Flugpisten aus möglich. Die Jagdflugzeuge verbirgt man zwischen den Bäumen und tarnt sie meisterhaft mit Buschwerk. Anders sind sie eine leichte Beute der allgegenwärtigen alliierten Mittelstrecken bomber und Tiefflieger, die unablässig Streife fliegen. Ende Juni 1944 sind 230 deutsche Piloten gegen die völlig hoff nungslose alliierte Übermacht gefallen, 88 wurden verwundet. 551 deutsche Jagdflugzeuge hatten die britischen und amerikanischen Jägerpiloten vom Himmel geschossen. Weitere 65 waren am Boden zerstört worden. Und doch hatten die Alliierten gemäß den bestätigten Abschuss meldungen der Luftwaffe in demselben Zeitraum ebenfalls 526 Flugzeuge durch deutsche Jäger verloren, alleine 203 davon sind USJagdflugzeuge des Typs P-47 „Thunderbolt“. Bei einer Übermacht der Alliierten von 50 : 1 – und sei das Kräfteverhältnis durch die deutschen Verstärkungen nun vielleicht „nur“ noch 40 : 1 – ist dies eine fast unglaubliche Leistung der deutschen Jagdflieger! Hinzu kommen die Abschüsse der deutschen Flak-Kanoniere. „Pips“ Priller schießt am 7. Juni 1944 je eine P-47 „Thunderbolt“ und P-51 „Mustang“ ab, gefolgt von einer P-38 „Lightning“ am 11. Juni 1944. Vier Tage später wird eine viermotorige B-24 „Liberator“ sein 100. Luftsieg im Westen, wofür er die Schwerter zum Ritterkreuz mit Eichenlaub erhält. Danach ist Priller zu wertvoll zum Fliegen. Er erhält striktes Flugverbot und soll sein Geschwader vom Boden aus führen. Man hätte Priller nicht gekannt, wäre man dem Irrtum aufgeses sen, dass der sich daran halten würde. Eine Hawker „Typhoon“ mit der typischen Ausstattung von acht RP-3Raketen. Diese Raketen tragen einen 60-Pfund- (27-kg-) Sprengkopf und können selbst einen stark gepanzerten Tiger-Panzer kampfunfähig schießen. Im Oktober des Jahres 1943 wird diese Waffe erstmals von Typhoons eingesetzt (von der 181 Squadron RAF). Leseexemplar Das ist das andere Ende der Flugbahn. Ob dieser deutsche Tiger I durch Raketen getroffen wurde oder nicht – die alliierten Jagdbomber werden zur Geisel dieser ansonsten ihren Widersachern am Boden weit überlegenen, gefürchteten Panzer. Oberst Josef Priller überlebt den Krieg mit 101 Abschüssen. 68 da von sind immerhin britische Supermarine „Spitfire“, was Priller zum erfolgreichsten Spitfire-Gegner in der deutschen Luftwaffe macht. Er stirbt im Mai 1961 an einem Herzinfarkt. Unteroffizier Heinz Wodarczyk wird am Neujahrstag des Jahres 1945 beim Unternehmen „Bodenplatte“ in einer Focke-Wulf 190 D-9 (Werknummer 210936) der 4./JG 26 bei Zwolle abgeschos sen – vermutlich von alliierten Flugabwehrgeschützen. Er fällt im Kampf. 429 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Die Jäger werden nun ganzen Suchscheinwerferzonen zugewie sen, welche die britischen Bomber auf ihrem Weg nach Deutsch land überqueren müssen. Diese machen die Nacht zum Tage. Und Vollmond für RAF-Besatzungen immer gefährlicher. Kammhuber baut eine von den Briten nach ihm benannte Scheinwerferbarrie re auf. Die „Kammhuber-Linie“ reicht von Schleswig-Holstein bis in den Raum von Lüttich. Dieser Luftraum ist nachts für sämtliche deutschen Flugzeuge mit Ausnahme der Nachtjäger gesperrt. Die Jagdflugzeugbesatzungen kreisen im Falle erwarteter Feindeinflüge südöstlich dieses Gürtels in Warteräumen, sodass die Horchgeräte nordwestlich nur noch feindliche Motorengeräusche erfassen können – ohne die Gefahr einer Verwechslung. Die Jäger warten bis zu drei Stunden – bis die Scheinwerfer eine unglückliche britische Maschi ne im Schnittpunkt ihrer Leuchtkegel festhalten. Dann allerdings muss es schnell gehen! Der Nachtjägerbesatzung bleiben etwa drei Minuten, sich in Angriffsposition zu manövrieren und zu zielen, bevor ihr Opfer den Scheinwerfergürtel überwunden hat. Der erste Abschuss dieser Art wird Oberleutnant Streib (I./NJG 1) am 20. Juli 1940 zugeschrieben. Als die Engländer erkennen, wie das deutsche System funktioniert, versuchen sie, die Nachtjagdzonen zu umflie gen. Kammhuber reagiert mit einer Ausweitung des Gürtels. Doch gegen wolkenverhangene Witterungsbedingungen – in Nordeuropa nicht gerade eine Seltenheit – ist er machtlos. Auch die Technik formiert sich. Bereits im Jahr 1939 besitzen die Deutschen ein Gegenstück zum britischen Radar. Die eher zier lichen Frühwarngeräte des Typs „Freya“ mit einer Reichweite von 160 Kilometer sind den riesigen Mast-Anlagen der „Chain Home“ an Auflösung sogar klar überlegen. Für genaue Positionsangaben ist das Gerät zu ungenau, doch es liefert einen guten Überblick über die Ab läufe am nächtlichen oder entfernten Himmel. Was den Deutschen allerdings im Vergleich zur Royal Air Force entscheidend fehlt, ist eine ebenso effiziente Organisation der vorhandenen Radarstatio nen, deren Luftlagemeldungen in England systematisch gesammelt, zentral kartographisch ausgewertet und in Führungsbefehle für die Jägereinheiten umgesetzt werden. Zuvor passieren die Meldungen einen „filter room“, in welchem die erkannten Gruppierungen auf der Basis der Kenntnis aller eigenen Flugbewegungen in „Freund“ und „Feind“ eingeteilt und nachfolgend die Kartentisch-Symbole im Operationsraum entsprechend gekennzeichnet werden. Auf deut scher Seite erreichen die Einflugmeldungen dagegen nur die diver sen Luftflotten separat, manchmal lediglich die Luftgaukommandos, oder den in seiner Organisation und Zuständigkeit von der Luftwaffe abgekoppelten Marineflugmeldedienst. Und nun wird sogar noch ein eigener Funkmessflugmeldedienst für die Nachtjagd aufgebaut. Im Jahr 1940 wird in der Royal Air Force zudem das IFF („Iden tification Friend or Foe“) Mk. I-Freund-Feind-Erkennungssystem eingeführt. Dabei nimmt ein im Flugzeug eingebautes Gerät ein spezielles Radarsignal auf und sendet ein Antwortsignal zurück. Allerdings wird dieses System bei weitem nicht von allen Piloten angewandt, da der Flugzeugführer das Gerät aktivieren muss – was bisweilen unterbleibt und manchmal zu tragischen Verwechslungen führt. Für weitere Probleme sorgt ein ebenfalls per Schalter bedien barer Selbstzerstörungsmechanismus des Gerätes, der verhindern soll, dass der geheime Apparat bei Notlandungen in deutsche Hän de gerät. Nicht selten werden die beiden nebeneinander liegenden Schalter verwechselt! Schließlich verhindert ein Sicherungsdraht derartige ungewollte Selbst-Sabotageakte, die allerdings keine Ab stürze verursachen. Ferner produziert das System ein Durcheinander, wenn Anfrage-Radarsignale mehrerer unterschiedlicher Radarsta tionen zeitgleich eingehen. Daher wird das Verfahren später zum IFF Mark III weiterentwickelt, welches für das Anfragesignal und Antwortsignal ein eigenes Frequenzband verwendet. Es wird auch in der USAAF verwendet und sogar an die Sowjetunion geliefert. Noch besitzt die Luftwaffe nichts Vergleichbares. Die deutsche Firma Telefunken ist inzwischen in der Lage, ein eigens für genaue Positionsangaben entwickeltes Ortungs-Radargerät zu liefern, das „Würzburg A“-Gerät. Es ist ab April 1940 einsatzbe reit, wird im September 1940 erstmals erfolgreich zur Radar-Ziel steuerung der Flak eingesetzt und im Jahr 1941 in großem Umfang eingeführt. Es hat eine Reichweite von 65 Kilometer. Ab dem Herbst 1941 wird mit dem „Würzburg-Riesen“ die Reichweite auf 80 Ki lometer erhöht. Kammhuber positioniert die Geräte in einer Linie von Dänemark über Norddeutschland, Holland bis etwa Brügge. Ab Frühjahr 1942 steht die Organisation. Sie enthält eine Radar-Füh rung von Leitscheinwerfern durch Würzburg-Geräte („helle Nacht jagd“) und eine vorgelagerte „Jäger an den Feind“-Führung ohne Scheinwerferhilfe („AN-Verfahren, später mit ‚Seeburg-Tisch‘“). Der Abwehrgürtel besteht aus aneinander angrenzenden „Dunkelnacht jagdräumen“ an der Küste, die nach dem AN-Verfahren operieren, einem „hellen“ Gürtel dahinter, in welchem die Leitscheinwerfer dem Nachtjäger das Ziel beleuchten, und noch weiter landeinwärts „kom binierten“ Zentren über häufigen Zielgebieten, wo gegen die hier im Zielanflug an Höhe und Kurs völlig gebundenen Gegner sowohl Scheinwerfer und Flak als auch Nachtjäger operieren. Leseexemplar 464 AN-Verfahren: der obere Doppelzacken (Bomber) ist angepeilt, der untere (Jäger) fliegt etwas links versetzt und näher am Freya-Gerät, da dieser Doppelzacken größer ist. 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch „Himmelbett“-Boden-Station, ein Freya-Gerät (Mitte) und zwei Würzburg-Riesen (im Hintergrund beidseits). „Würzburg-Riese“-Funkmessgerät. Das AN-System besteht aus Bodenleitstationen, denen Freya-Ge räte und Würzburg-Riesen zur Verfügung stehen. Jede Leitstation führt einen einzelnen Nachtjäger. Nachdem das AN-Freya-Gerät ei nen Einflug erkannt hat und Menge sowie Flugrichtung der Eindring linge grob erfasst sind, sucht sich der Jägerleitoffizier einen Bomber heraus und behält ihn unter elektronischer Positionskontrolle. Dabei übernimmt das Freya-Gerät die Richtungs- und Seitenpeilung, das Würzburggerät liefert die Feinwerte, vor allem die Höhenwerte. Die AN-Freya-Peilung wird nun auf den Feindbomber ausgerichtet, der als ein nach rechts und links der senkrechten Mittellinie ausgelenk ter Doppelzacken erscheint. Sind beide Zacken gleich groß, so ist das Flugzeug exakt in Peilrichtung, andernfalls muss nachjustiert werden. Der Nachtjäger wird dann auf den Peilstrahl geführt und an den Doppelzacken des Bombers herandirigiert, wobei die Größe des Doppelzackens die Entfernung wiedergibt (je kleiner, desto weiter vom Funkmessgerät entfernt). Der Nachteil des AN-Verfahrens ist, dass das Freya-Gerät einen AN-Peilzusatz besitzen muss und der Jägerleitoffizier direkt am Radargerät führt, was an sein Können und die räumliche Abstraktionsfähigkeit sehr hohe Anforderungen stellt. Die Entwicklung des Seeburg-Kartentisches vereinfacht dies, kostet aber Übermittlungszeit, es heißt „Seeburg-Verfahren“. Hier werden via Projektionsgerät Lichtpunkte von unten auf eine trans parente Karte projiziert, die die Position des Jägers und des gejagten Bombers farbig anzeigen. Hierfür stehen dann pro Leitstation zwei Freya-Geräte (eines zur Übersicht, eines zur AN-Führung) und zwei Würzburg-Riesen (je einer für Jäger und Bomber) bereit. Die letzten vier bis fünf Kilometer zum Opfer muss der Jägerpilot sich jedoch immer noch auf seine Augen verlassen. Denn in dieser Nähe zum Ziel sind beide Zacken auf dem Schirm des Freya- und Würzburg-Bodengerätes nicht mehr zu unterscheiden. Was man also benötigt, ist ein Bordradargerät – klein und leicht genug, um es in die Nachtjäger einzubauen, zur Zielanflugkontrolle auf den letzten fünf Kilometern. Die Briten besitzen mit dem AI- (jetzt Mk. VII-) Bordradar eine derartige Ausrüstung in ihren Nachtjägern bereits! Die Ingenieure von Telefunken machen sich an die Arbeit. Inzwischen werden die englischen Besatzungen nicht nur über Deutschland bedroht. Deutsche Lang streckennachtjäger der I./ NJG 2 – meistens Junkers Ju 88 C-2 – schleusen sich in die noch sehr lose fliegenden Bomberformationen ein und warten, bis ihr Wild sich sicher fühlt. Wenn die Besatzungen in England zur Landung einschweben und sich schon gerettet wähnen, schlagen sie zu. Ein landender Bomber ist in seiner Flugbahn völlig kalkulierbar, Aus weichbewegungen sind unmöglich und die Besatzung konzentriert sich auf das Auffinden der Landebahn. Die psychologische Wirkung ist beträchtlich. Nicht einmal über eigenem Gebiet, nach stunden langem Feindflug mit angespannten Nerven kurz vor dem rettenden Boden unter den Füßen können sich die Besatzungen sicher fühlen. Im Gegenteil – gerade jetzt nicht. Die deutschen Fernnachtjäger mi schen sich teilweise unauffällig in den Bomberstrom, schalten gar im scheinbaren Landeanflug selber die Positionslichter an – und feuern dann aus nächster Nähe! Anschließend donnern sie – wie der verdunkelt – im Tiefflug über den Platz, dessen Bodenpersonal geschockt den Aufschlag des abgeschossenen Bombers beobachtet, und werfen über den Gebäuden beziehungsweise der Startbahn auch noch Bomben ab. Im Jahr 1940 verliert das RAF Bomber Command 492 Bomber, im Jahr 1941 schon 1.034 Kampfflugzeuge – bereits das Doppelte, aller dings bei ebenfalls gestiegener Zahl der Einsätze. Davon ist zwar nur ein kleiner Teil den Abschusserfolgen der deutschen „Fernnachtjagd“ zuzuschreiben, doch andererseits addieren sich die vielen Bruchlan dungen britischer Piloten dazu, die in der heiklen Landephase nervös werden. Zumal oft auch noch die Platzbefeuerung bei erkanntem Auftauchen deutscher Nachtjäger ausgeschaltet wird. Die frischen Bombentrichter tun beim Ausrollen dann noch ihr Übriges. Seit ihrem Bestehen melden die Fernnachtjäger 144 sichere Abschüsse, 30 wahrscheinliche Erfolge und mindestens 52 am Boden zerstörte Maschinen. Doch im Oktober 1941 verbietet Hitler diese Einflüge völlig überraschend – zum Entsetzen Kammhubers und seiner in zwischen erfahrenen Männer. Der Führer wünscht, dass abgeschos sene britische Bomber auf deutschem Boden zerschellen mögen, zur augenfälligen Demonstration der deutschen Abwehrkraft für die Bevölkerung und die Presse. Im Gegensatz zu den Junkers Ju 88 C-2 der I./NJG 2 (Fernnacht jagdgruppe) sind die übrigen Nachtjagdgeschwader zu diesem Zeit Leseexemplar 465 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch punkt mit Messerschmitt Bf 110 C-2, C-4 oder D-1 ausgerüstet. Ins gesamt sind es 195 Maschinen – theoretisch. Denn einsatzbereit sind längst nicht alle davon. Im Jahr 1942 wird das Bordkennungsgerät FuG 25 „Erstling“ in der Luftwaffe eingeführt, welches nun auch deutschen Radargerä ten eine Freund-Feind-Erkennung ermöglicht. Das Gerät empfängt die 125 MHz-/8 kW-Impulse des Freya-Gerätes, demoduliert sie und tastet damit einen 1,5 kW-Impulssender im Rhythmus von beliebig wählbaren Morsezeichen, die durch Steckschlüssel co diert sind. Diese werden in Nockenschalter eingebracht, wobei der Flugzeugführer aus zwei vorhandenen einen auswählt. Die Mor sesignale werden anschließend mit einer Frequenz von 156 MHz zurückgesandt und mit dem Kennungsempfänger „Gemse“ erfasst, dann sichtbar dargestellt, was eine einwandfreie Identifizierung sicherstellt. Auch organisatorisch verbessern die Deutschen ihre Struktur. Im Divisionsgefechtsstand des inzwischen zum Gene ral beförderten Josef Kammhuber in Zeist werden nun sämtliche Meldungen aller Stellungen und Verbände zusammengefasst, aus gewertet und auf einer riesigen Projektionstafel mit Lichtpunkten angezeigt. Kammhuber wiederum kann direkt die örtlichen Be fehlsstellen erreichen. Auch die Briten rüsten auf. Im Herbst 1941 geht das „Gee“-System in Produktion. Es legt ein unsichtbares Funkimpuls-Gitternetz über Europa, basierend auf Laufzeitunterschieden von Funksignalen je nach Entfernung vom Sender. Diese Unterschiede kann der Navigator eines Bombers mit Hilfe eines speziellen Empfängers messen und als Schnittpunkt seinen Standort auf einer Gee-Karte eintragen. Doch bereits in 650 Kilometer Entfernung von den in England stehenden Sendern beträgt die Abweichung zehn Kilometer, darüber hinaus ist es unbrauchbar. Trotz dieser Einschränkungen ist „Gee“ ein ge waltiger Fortschritt. Ab März 1942 steht es voll zur Verfügung. Die britischen Besatzungen lernen zudem, mit der deutschen Bedrohung besser umzugehen. Der Scheinwerfergürtel wird im Tiefflug relativ ungefährdet durchbrochen, die Desynchronisierung der Motoren mit der Folge eines an- und abschwellenden Geräusches behindert die deutsche Horch-Ortung, Kursänderungen alle sechs Sekunden bei Flak-Beschuss erschwert den feindlichen Richtschützen am Boden die Kalkulation der Flugbahn. Nun werden die veralteten Bombertypen ersetzt. Viermotori ge schwere Bomber werden ausgeliefert, zunächst die bereits bei Einführung technisch überholte Short „Stirling“, dann seit dem Jahr 1941 die Handley-Page Halifax und schließlich die aus der zweimotorigen, in dieser Form nicht zuverlässigen „Manchester“ entwickelte viermotorige Avro „Lancaster“. Dieser Bomber sollte zum Rückg rat des Bomber Command der RAF werden. Seit Anfang 1942 fliegt die erste britische (Bomb) Squadron (es ist N° 44) diesen Typ. Er hat eine schwere Abwehrbewaffnung von einem ZwillingsBugturm, einem Zwillingsturm auf dem Rumpf und einem Vier lingsturm im Heck. Alle Maschinengewehre sind elektrisch drehund schwenkbar. Die 0.303-inch- (7,7-mm-) Waffen haben zwar keine riesige Reichweite – doch bei den Sichtverhältnissen nachts genügt sie! Es ist für die Besatzung ohnehin besser, im Falle eines Angriffs „Korkenzieher“-Ausweichmanöver zu fliegen, als sich auf ein Waffenduell einzulassen! Im Februar 1942 wird das Bomber Command jedoch noch eine weitere Veränderung erhalten. Es ist eine entscheidende Neuerung, die Tausenden und Abertausenden Menschen den oft grausamen Tod bringen wird. Diese entscheidende Innovation hat einen Namen. Sie heißt Arthur Travers Harris. Harris war im Jahr 1919 in die Royal Air Force eingetreten und hatte unter anderem in Indien, im Irak und im Iran gedient. Ab dem Jahr 1930 war er im Luftstab für den Nahen Osten tätig und mitver antwortlich für die blutige Niederschlagung verschiedener Aufstände der Bevölkerung gegen die britische Kolonialherrschaft. Dabei setzte er Streubomben, Tretminen und sogar Giftgas gegen die Bevölkerung ein. Araber und Kurden verstünden nur eine Politik der harten Hand, so argumentierte er. Dieser Mann ist nun der neue Chef der briti schen Bomberstreitkräfte. Und er hat einen mächtigen Verbündeten: den vom bisherigen Effekt des Bombenkrieges der Royal Air Force reichlich enttäuschten britischen Premier Winston Churchill. Das Bomber Command stelle nicht mehr als eine „ernstlich wachsende Belästigung“ für die Deutschen dar, deren Auswirkung seit Kriegs beginn „stark übertrieben“ werde, stellt er fest. Churchill gibt dem Bomber Command eine letzte Chance: Arthur Travers Harris! Der ist entschlossen, ihn nicht zu enttäuschen. Diese eine Möglichkeit, eine entscheidende Rolle in der Geschichte seines Landes zu spielen, will er unter allen Umständen nutzen.*2 Harris ist überzeugt, dass Skrupel gegen die Zivilbevölkerung Deutschlands fehl am Platze sind. Um Deutschland in die Knie zu zwingen, müsse man so unendlich viel Leid verursachen, dass dieses unerträglich würde und der Widerstandswille des deutschen Volkes gebrochen werde. Punktziele – wie Industrieanlagen – in der Nacht zu treffen, ist schwierig und nur möglich, wenn man in Kauf nimmt, dass die gesamte bewohnte Umgebung der Fabriken mitgetroffen wird. Doch um die Produktionskapazität der Deutschen geht es Harris gar nicht – nicht primär. Während in höheren britischen Of fizierskreisen immer noch die redliche Hoffnung besteht, dass man mit verbesserten Zieleinrichtungen wieder effektiv zu militärischen Zielen zurückkehren könne, kommt Harris der technische Stand der Dinge nur zu gelegen. Sein erklärtes Ziel ist der Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung, ohne „wenn und aber“. Krieg und Sieg forderten nun einmal Opfer, zivil oder nicht, was spiele das für eine Rolle? Im Verlauf des Bombenkrieges wird Harris genötigt, mehr Brand- als Sprengbomben zu verwenden, um der Zivilbevölkerung eine Überlebenschance zu geben. Unabhängig davon, dass sich dies als ein völlig untaugliches Mittel erwiesen hätte, antwortet er: „Ich stimme dieser Politik nicht zu. Der moralische Effekt von Sprengbomben ist enorm. Menschen können Feuern entkommen, und die Opfer eines ausschließlich Brände verursachenden Luftangriffs wären minimal. Was wir wollen ist, dass zusätzlich zu den Grauen der Feuer die Mauern den Boche [französisches Schimpfwort für Deutsche, der Verfasser] auf den Schädel krachen, wir wollen sie töten und in Angst und Schrecken versetzen!“ Um dieses Ziel zu erreichen, ist Harris jedes Mittel recht. Die Stars seiner schweren Bomberflotte sind die beiden Konkurrenzmodelle Leseexemplar 466 *2 Quelle: „Das rote Leuchten – Dresden und der Bombenkrieg“/Edition Sächsische Zeitung 2005/ Oliver Reinhard und Mathias Neutzner und Wolfgang Hesse. 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Handley-Page „Halifax“ und Avro „Lancaster“. Beide tragen je sie ben Mann Besatzung. Gut, die Halifax hatte anfangs Probleme mit der Leistung ihrer Motoren, doch man arbeitet bereits erfolgreich an der Lösung. Aber mit 5.443 kg ist die Bombenlast der Lancaster höher als die der Halifax (3.175 kg). Nur das zählt für Harris, der zu einem beißenden Kritiker der Halifax wird. Was spielt es da für eine Rolle, dass etwa 29 % aller Halifax-Besatzungen nach Abschuss ihres Bombers noch mit dem Fallschirm herauskommen und überleben, während für nur 11 % der Lancaster-Besatzungen die wenig überle bensfreundliche Konstruktion des Bombers im Falle eines Treffers nicht zur Todesfalle wird? Welchen Wert haben für Harris britische Besatzungen, die in deutschen Gefangenenlagern herumlungern? Sie fliegen genauso wenig für England und für ihn wie tote Crews. Krieg und Sieg fordern nun einmal Opfer! Die Lancaster verbreitet mehr Zerstörung pro Einsatz, nur das zählt für ihn wirklich. Er ist fest davon überzeugt, dass Deutschland in die Kapitulation zu bomben ist, wenn man ihm nur genügend Zeit dafür lässt. Es kümmert Harris wenig, dass die Verluste unter seinen Be satzungen ansteigen. Einer der Gründe ist die ständig wachsende Zahl deutscher Nachtjäger, welche nun, seit Herbst 1941, mit einem Bordradar ausgerüstet werden können. Einigermaßen verfügbar ist diese Technik allerdings erst ab April 1942. Die Telefunken-Inge nieure haben ihre Hausaufgaben gemacht und das FuG 202 „Lichtenstein B/C“ entwickelt. Es hat eine Reichweite von drei bis vier Kilometern und eine Nahauflösung von 200 Metern – nähere Ziele verdeckt das Nullzeichen. Doch hat die Umrüstung erst begonnen. Außerdem feuern zunehmend Flugabwehrgeschütze radargesteuert und bestimmen Flughöhe, Geschwindigkeit und Richtung der an visierten Bomber auf elektronischem Wege. Der Schutz, den dichte Wolken bisher vor der Zielerkennung durch deutsche Richtschützen boten, ist für die Bomberbesatzungen verloren. Britische Luftangriffe auf Berlin führen nun zu Verlustquoten von bis zu 10 % der einge setzten Maschinen. Ein derartiger Aderlass ist nicht verantwortbar! Winston Churchill untersagt daher ab November 1941 Luftangriffe auf die deutsche Reichshauptstadt – zwei Jahre später wird er seine Meinung gründlich ändern. Anfang 1942 herrscht in Deutschland Optimismus. In Russland verläuft die Front vor den Toren Moskaus, die deutsche Wehrmacht hatte mehr als 2,5 Millionen Gefangene gemacht – wer kann noch daran zweifeln, dass man den Russen bald den Rest geben würde? Die deutschen U-Boote fügen den für England überlebenswichtigen Nachschub-Konvois im Atlantik schwerste Verluste zu. Gut, man steht jetzt auch im Krieg mit den USA, aber die Amerikaner sind ja wohl mit den Japanern vollauf beschäftigt. Bis zum Sommer wird der Krieg siegreich vorbei sein. England ist in Sorge. Und Air Mar shal Arthur Travers Harris benötigt dringend einen vorzeigbaren Achtungserfolg. Er findet ihn in einer Stadt, deren enge Gassen und mit viel Holz erbauten Fachwerkhäuser ein Maximum an Zerstörung erwarten lassen. Dieser Umstand alleine ist das Schicksal von Lübeck. 234 britische Bomber verwandeln am 28./29. März 1942 den größten Teil der Stadt in ein Flammenmeer. Erstmals finden 1,8 Tonnen schwere Luftminen Anwendung. Ganze Häuserblocks werden erfasst, die Dä cher abgedeckt – welche nun den Brandbomben gegenüber keinerlei Schutz mehr bieten. Zwölf britische Bomber gehen verloren. Danach steht Rostock auf dem britischen Einsatzplan ... Auch die Taktik der Anflüge wird überprüft. Bisher ist der Kurs zum Ziel und zurück im Wesentlichen jeder Besatzung individuell überlassen. Dies führt dazu, dass die britischen Bomber die verbes serte deutsche „Kammhuber-Linie“ mit ihren Abwehrsystemen ein zeln und im Verlaufe mehrerer Stunden überqueren. Genau hierauf sind die Deutschen vorbereitet. Jeder Nachtjäger – der ja konkret an einen bestimmten Bomber herangeführt werden muss – kann so im Laufe seiner Flugzeit auf mehrere Gegner nacheinander angesetzt werden. Im Durchschnitt benötigen die Jäger-Leitstelle und die Be satzung des Jägers zehn Minuten für Anflug, Sichten und Abschuss. Auch eine mit den „kleinen“ Würzburg-Geräten (jetzt vom Typ D) radargelenkte Flak-Batterie kann sich nur auf ein einziges Flugzeug gleichzeitig „einschießen“, was mindestens ebenso lange dauert. Jede dritte Flak-Batterie ist nun bereits mit dieser Technik ausgerüstet. Wie wäre es, wenn man alle Bomber im Verband gemeinsam den Abwehrriegel überqueren ließe? Gut, ein paar würden wohl „dran glauben“ müssen – doch der Rest käme zwangsläufig ungeschoren davon, da sich einfach nicht so viele Ziele gleichzeitig nebeneinander bekämpfen lassen würden. Harris fürchtet, man könne ihm seine Bomber wegnehmen und taktischen Zielen zuordnen, wenn er nicht beweist, dass der stra tegische Luftkrieg gegen Deutschlands Städte mehr bewirkt, als deutschen Bauern das Säen zu erschweren. General John Dill vom Kriegsministerium ist nicht der einzige, der diese Umorientierung weg von Harris‘ Strategie fordert, auch Sir Stafford Cripps und Ad miral Dudley Pound äußern sich so! Ein leicht aufzufindendes Prestigeobjekt muss her, verbunden mit einer Prestigezahl – 1.000. Das Objekt findet Harris in Köln, die Zahl der verfügbaren Maschinen muss er suchen. Selbst Flugzeugführer schulen müssen Bomber und Besatzungen stellen, fast 500. Harris setzt alles ein, was er hat. Am 30./31. Mai 1942 ist es soweit. Zum ersten Mal greifen über 1.000 Bomber eine deutsche Großstadt an – 1.047 genau (602 Wel lington, 131 Halifax, 88 Stirling, 79 Hampden, 73 Lancaster, 46 Manchester, 28 Whitley). Sie tun es erstmals in geschlossenem Ver band – über Lübeck waren es mehrere Wellen gewesen. 868 britische Kampfflugzeuge erreichen ihr Ziel, 1.323 Tonnen Bomben regnen aus ihren Bombenschächten auf die unglückliche deutsche Großstadt, zwei Drittel davon sind Brandbomben ... 474 Menschen werden getötet, 5.420 Gebäude werden stark demo liert oder ganz zerstört, weitere 7.420 leicht beschädigt. Über 45.000 Kölner sind obdachlos. Köln geht in Flammen auf – und 41 britische Bomber ebenso, zwölf kommen zusätzlich als Totalverlust schwerst getroffen gerade noch nach England zurück, 104 weitere sind repa rabel beschädigt. Doch der Bann ist gebrochen. Und Harris ist nun nicht mehr auf zuhalten ... Die Deutschen schalten schnell. Der Krieg der Techniker entbrennt. Auf die Dauer lässt es sich nicht vermeiden, dass durch Notlandun gen und verwertbare Flugzeugtrümmer technische Geheimnisse ge lüftet werden. Gegen „Gee“ wird ein Störsignal namens „Heinrich“ entwickelt, welches die britische Navigationshilfe ab August 1942 Leseexemplar 467 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Blick auf das flammende Inferno der Stadt Köln aus der Sicht eines britischen Bombenschützen im Bug einer Avro „Lancaster“. Im Bomber tut man seine Pflicht gemäß Befehl ... So sieht es am anderen Ende des Bombenhagels aus. Die Stadt Köln brennt lichterloh! unbrauchbar macht. Der Funkmess- und Leitstationen-Gürtel wird erweitert, in die Tiefe Deutschlands hinein gestaffelt. Weit reichende Funkmessgeräte des Typs „Wassermann“ und „Mammut“ erfassen die britischen Bomber nun bereits beim Sammeln über England. Die Briten wiederum setzen eine neue Maschine ein – die de Havil land „Mosquito“. Mit einem überwiegend aus Holz gebauten Rumpf ist der kleine zweimotorige Bomber leicht und daher enorm schnell. Ohne Bomben ist die raffinierte Neukonstruktion sogar schneller als die (erst ab April 1943 verfügbare) neueste Variante der Me 110 (Me 110 G-4: 550 km/h Mosquito B Mk. IV: 611 km/h). Und Bomben sollen die Mosquitos für ihre Missionen gar nicht tragen. Wenn der Bombenschütze eines jeden Bombers einzeln zielt, so ist es nicht zu vermeiden, dass ein nachweislich beträchtlicher Teil der Bomben ins „Leere“ fällt, zumal so manche Besatzung auf perfekt inszenierte, scheinbar unabsichtlich schlampig verdunkelte Schein anlagen in Zielnähe hereinfällt. Anders ist es, wenn speziell geschulte Crews den Auftrag haben, das Ziel mit Lichtzeichen zu markieren. Hierfür ist die Mosquito ideal geeignet. Die Masse der Bomber muss nun nur noch in das mark ierte Zielquadrat hineinbomben. So kommt es, dass von nun an selbst in Sommernächten „Christbäume“ über Deutschlands Städten aufleuchten. Es sind Zielmarkierungsbomben, vier pro Mosquito, die in etwa 1.000 Metern Höhe zerbersten und cir ca 60 Leuchtkerzen abgeben. Diese sind in codierten Farben gehalten (Rot und in den nachfolgenden Maschinen Grün). Die Leuchtmar kierungen verteilen sich im Fall und bilden einen weit sichtbaren, etwa drei Minuten lang brennenden Feuerkreis am Boden. Da die Markierungsträger in Intervallen anfliegen und termingerecht kurz vor dem Bomberstrom das Ziel erreichen, folgt ein Leuchtkreis alle zwei Minuten dem nächsten, bis die auflodernden Brände der Bom ben weitere Kennzeichnungen des Zielareals unnötig machen. Diese Elite-Markierungs-Verbände nennen die Briten „Pfadf inder“. Inzwischen schreibt man das Jahr 1943, und der Krieg ist immer noch nicht zu Ende. Ganz im Gegenteil. Auch die amerikanischen Bomberverbände sind nun in England eingetroffen und zu einer spürbaren Macht angewachsen. Harris versucht, die amerikanischen Verbände unter britische Kontrolle zu bringen und vom Selbstmord charakter von Präzisionsangriffen am Tage zu überzeugen. Indes geht es ihm mehr um den Zuwachs an Kampfkraft als um das Schick sal der amerikanischen Besatzungen. Doch die Amerikaner sind stur. Allmählich hatte sich die Ineffektivität der britischen Nacht bomberoffensive über geschäftliche Kanäle wie auch diplomatische Quellen bis in die US-Kommandostellen herumgesprochen. Die USStäbe sind selbstbewusst. Als weisungsgebundener kleiner Lehrling unter dem Kommando des Meisters Großbritannien in den Krieg zu ziehen, das könnte den Engländern so passen! Fakt ist, die Deut schen produzieren munter weiter Panzer, U-Boote, Flugzeuge und Geschütze und zeigen sich reichlich unbeeindruckt von Arthur Har ris` Eskapaden. Um Deutschland in die Knie zu zwingen, muss man seine Kriegsindustrie zerstören. Und das bedeutet Präzisionsangriffe auf Industrieziele – bei Tage, denn anders sind diese nicht zu treffen. Zum Beispiel die Kugellagerproduktion in Schweinfurt oder Stutt gart. Man würde mit den jeweils 13 12,7-mm-Maschinengewehren (MGs) eines jeden ihrer riesigen viermotorigen Boeing B-17 „Flying Fortress“ oder den zehn MGs ihrer Consolidated „Liberator“-Bomber den deutschen Abfangjägern schon genügend einheizen, auch ohne eigene Jagdeskorte und bei Tageslicht. Schließlich ist die Reichweite und Durchschlagskraft von 12,7-mm-MGs nicht mit jener der dage gen „niedlichen“ britischen 7,7-mm-Abwehrwaffen zu vergleichen! Nun, die Briten sind sich sicher, dass die Amerikaner noch an ihre Warnungen denken werden. Doch die amerikanischen Besatzungen, die diese Entscheidung später im Verlauf des Jahres 1943 am 17. August und 14. Oktober über Schweinfurt und am 6. September über Stuttgart ausbaden müssen, werden andere Sorgen haben, als darüber nachzudenken, ob ihre Kommandeure nicht besser auf die Briten gehört hätten. Die US-Angriffe enden in einem blutigen Fi asko. Die Amerikaner verlieren alleine in diesen drei Angriffen 165 Besatzungen mit ihren Bombern durch Abschuss und 21 Maschinen durch irreparable Beschuss-Schäden, somit 186 Bomber – und 1.493 Besatzungsmitglieder in den viermotorigen „Festungen“, die tot oder vermisst nicht wiederkommen. Fünf gefallene oder vermisste US- Leseexemplar 468 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Jägerpiloten, deren P-47 den erreichbaren Bereich bis Aachen decken, addieren sich hinzu. Vorerst werden die Amerikaner ihre Angriffe bis in das Herzland des Deutschen Reiches zähneknirschend einstellen müssen. Man hatte die Deutschen gründlich unterschätzt. Zu Beginn des Jahres 1943 sind nun fast alle schweren deutschen Flak-Geschütze funkmessgeführt (radargesteuert). Die Nachtjäger verfügen über rund 390 Jäger, überwiegend mit dem „Lichtenstein B/C“-Bordradar ausgerüstete zweimotorige Me 110 F-4. In diese wird zunehmend bis Jahresmitte ein drittes Besatzungsmitglied eingeführt, mit einem Augenpaar mehr. Die ursprünglich einzige deutsche Nachtjagddivision war Mitte 1942 nun in drei Jagddivisi onen aufgeteilt worden. Der Nachtjagd-Abwehrriegel ist inzwischen bis nach Ostfrankreich im Bogen in Richtung Schweizer Grenze verlängert, um ein Umfliegen unmöglich zu machen. Und es waren am 31. Juli 1942 auf Intervention der Gauleiter jener leidgeprüften Bombenzielgebiete bei Hitler – ganz und gar gegen Kammhubers Willen – die Scheinwerferdivisionen abgezogen und wieder den FlakBatterien der Städte zugeteilt worden. Offenbar können die Nachtjä ger seit der Einführung des Bordradars auch ohne Zielbeleuchtung operieren, während die Scheinwerfer den Flak-Stellungen nach wie vor wertvolle Dienste leisten. Die Nachtjäger werden nun mit Hilfe des „Himmelbett“-Verfahrens an die eindringenden Bomber herangeführt. Dabei verfügt die Bo denleitstelle je nach „Rang“ nach wie vor meistens über ein Freya mit AN-Peilzusatz und ein Freya-Gerät zur Luftraumüberwachung, ferner über zwei Würzburg-Riesen. Doch nun werden diese Funkmessgerä te ergänzt um zwei E-Messgestelle mit Peilsendern und zwei, später fünf Y-Peiler des Typs „Heinrich“. Diese E-Messgestelle strahlen in den Sprechfunkverkehr der Leitstelle einen E-Messton ab, der vom Jäger mit Hilfe des neuen FuG 16 ZY in einer genau 1,9 MHz tiefer liegenden Frequenz zurückgestrahlt wird. Die E-Messgestelle erfassen dabei die Entfernung durch den Laufzeitunterschied des Signals, die Y-Peiler die Richtung des Jagdflugzeuges von der Messanordnung aus. Dies genügt den „Y-Stationsführern“, um dessen Position dreidimen sional verfolgen und als Gradnetzkoordinate weitergeben zu können. Das System leitet sich aus dem Y-Verfahren der Tagjagd ab. Da der bisher für die Nachtjägerführung benötigte Würzburg-Riese jetzt für die Feindbomberverfolgung frei wird, lassen sich nun zwei Bomber gleichzeitig bekämpfen. Durch deren Verbandsflug ist inzwischen oft ein ganzer Bomberpulk das Ziel. Allerdings wird dennoch in der Praxis meistens ein Jäger per Würzburg-Riese dirigiert, zwei weitere via (ungenauerem) Y-Verfahren. Die Nachtjäger kreisen nun in un terschiedlicher Höhe um so genannte „Funkfeuer“ und werden von dort nacheinander „abgerufen“, wobei neuerdings zwei bis drei Jäger gleichzeitig führbar sind. Sowohl die Nachtjäger als auch die verfolgten Bomber sind im Überblick auf dem Freya-Gerät sichtbar. Eigentlich genügt nun ein einziges Freya-Gerät pro Leitstation, doch gehören zwei Leseexemplar „Himmelbett“-Verfahren schematisch. 469 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Geräte zur Standardausrüstung – bisweilen wird sogar immer noch das AN-Verfahren der Kartentisch-Führung vorgezogen. Der Jägerleitof fizier führt nun die angesetzten Nachtjäger an den Feindverband – so lange, bis die Jagdfliegerbesatzungen mit Hilfe des Bordradars ihre Op fer selbst erkennen können müssten. Zu diesem Zeitpunkt decken sich auf dem Projektionstisch des Jägerleitoffiziers, dem „Seeburg-Tisch“, der durch Einspeisung der Daten in das Projektionsgerät erzeugte rote und der grüne Lichtpunkt. Danach ruft der „Jlo“ die nächsten, beim Langwellen-Funkfeuer wartend kreisenden Jäger in den Kampf. Das britische Bomber Command hat rund 600 viermotorige schwere Stirling-, Halifax- und Lancaster-Bomber sowie 250 zwei motorige Wellington zur Verfügung, ergänzt durch 30 Mosquitos, die überwiegend als „Pfadfinder“ eingesetzt werden. Von Monat zu Monat werden es mehr. Diese Pfadfinder tragen nun eine neue Ent wicklung in sich: „Oboe“ und „H2S“. Oboe ist ein neu entwickeltes Leitsystem, welches je BodenstationPaar in England jeweils nur eine Maschine leiten kann und auf zwei Bodenstationen pro Flugzeug angewiesen ist (es steht ein ganzes Netz zur Verfügung, um alle in Reichweite befindlichen Ziele codieren zu können und um mehrere Maschinen gleichzeitig führen zu können). Diese werden „Katze“ und „Maus“ genannt und senden Signale aus, welche von einem Transponder im Flugzeug zurückgestrahlt werden. Die Laufzeit des Signals definiert die Entfernung des Flugzeuges. Hält man diese Entfernung konstant, so ergibt sich ein Kreisbogen um die Sendestation. Durch die Geographie und Erdkrümmung ist seine Reichweite auf 450 Kilometer begrenzt, das ist jedoch ausreichend für Anflüge in das Ruhrgebiet. Der geleitete Pilot hält sein Flugzeug nun auf dem Signalkreis der „Cat“-Station. Diese leitet ihn, indem (ähnlich dem deutschen X-Verfahren) die Signale in eine Art von Morsezeichen moduliert werden: kommt die Maschine zu weit vom Kurvenradius ab, so hört die Besatzung „Striche“, wird der Radius zu eng, dann sind es „Punkte“, liegt er auf Kurs, so wird dies durch einen Dauerton im Kopfhörer deutlich. Über dem Ziel kreuzt der zweite Signalkreis den ersten. Das zweite Signal stammt von der „Mouse“Station – fünf „Punkte“ und ein Strich! Das ist das Zeichen zum Abwurf! Es können zwar nur wenige Maschinen geführt werden - das genügt allerdings, nämlich dann, wenn diese die Zielmarkierungen für den Rest der Angriffsgruppe transportieren. Und das System ist klein genug, um in eine Mosquito zu passen. Es hat eine Genauigkeit von immerhin 350 Metern. H2S ist ein fortschrittliches Geländeerkennungsradar, welches ei nen Ortungskegel unter das Flugzeug legt und den Boden abtastet. Die Spitze des Kegels ist das Gerät, die Basis bildet die Landschaft unter dem Flugzeug. Das zurückgeworfene Echo kann zwischen be bauten Gebieten, offenem Gelände und Wasser unterscheiden und bildet beim Vergleich mit der Karte eine wertvolle Orientierungshil fe. Das Gerät ist aber so groß und schwer, dass es in einen viermotori gen Bomber eingebaut werden muss. Immerhin ist es in Bezug auf sein Einsatzgebiet nur auf die Eindringtiefe des Flugzeugs limitiert, denn es benötigt keine Führungsstation in England. Überall, wo der Bomber fliegt, kann er es nutzen! Zusätzlich werden die Bomber nun mit elektronischen Abwehr hilfen ausgestattet. Der Krieg der Funkmess-Spezialisten geht in die nächste Runde. „Monica“ ist eine Radarantenne, die in das Heck der Bomber eingebaut wird. Sie soll sich annähernde Jäger von hinten anzeigen und die Bordschützen alarmieren. Das Gerät kann aber nicht zwi schen Freund und Feind unterscheiden, sodass Fehlalarme, ausgelöst durch andere Bomber im Bomberstrom, vorprogrammiert sind. „Boozer“ ist ein einfacher Radar-Empf änger auf der Frequenz der deutschen „Würzburg“- und „Lichtenstein B/C“-Ortungs-Geräte. Wird das Signal des Ersteren empfangen, leuchtet eine orangefarbene Lampe, ein Signal des deutschen Lichtenstein-Bordradars aktiviert eine rote. Beides bedeutet, dass der Bomber vom Gegner erfasst ist, Letzteres, dass ein Nachtjäger in der Nähe sein muss. „Mandrel“ sendet Störgeräusche auf den Frequenzen der deut schen Überwachungsanlagen „Freya“, Mammut“ und „Wassermann“, während „Tinsel“-Radiogeräte den Funkverkehr zwischen den deut schen Nachtjägern und ihrem Leitoffizier stören. Mandrel und Tinsel erweisen sich zwar als effektiv und nützlich, bewirken jedoch nicht mehr als eine Verzögerung der deutschen Zielfindung. In Grenzsi tuationen kann diese für eine Bomberbesatzung jedoch lebensret tend sein, denn wenn der Bomber aus dem Erfassungsbereich des ihn beschattenden und damit für die Heranführung des Nachtjägers unverzichtbaren Würzburg-Riesen herausfliegt, muss der Nachtjäger die Verfolgung abbrechen – es sei denn, die Jägerbesatzung hat die britische Maschine bereits auf ihrem Bordradarschirm erkannt. So ausgerüstet nimmt sich die britische Bomberstreitmacht nun das Ruhrgebiet vor. Stadt für Stadt wird angeflogen, oft mehrfach. Am 29./30 Mai 1943 ist Wuppertal an der Reihe. 719 britische Maschinen steigen auf, 292 Lancaster, 185 Halifax, 118 Stirling, 113 Wellington und 11 Mosquito-Pfadfinder. 50 deutsche Nachtjäger halten dagegen. Auch Leutnant Heinz–Wolfgang Schnaufer ist dabei. Er startet um 23.51 Uhr. Um 00.48 Uhr schlägt sein erstes Opfer südlich von Bae len brennend auf. Es ist sein 10. Abschuss, eine viermotorige Short Stirling III der 218 Squadron (Werknummer BF565, Codebuchsta H). Um 01.43 Uhr vernichtet er eine viermotorige Ha ben HA C). lifax II der 35 Squadron (Werknummer DT804, Code TL Sie schlägt bei Budingen auf, gefolgt von einer weiteren Stirling III A). Diese der 218 Squadron (Werknummer BK688, Code HA wird geflogen von Flight Sergeant WAM Davis, er kommt mit seinem Flugzeug bis in die Gegend von Diest-Schaffen. Hier ist es vorbei. Der abstürzende Bomber nimmt sechs Besatzungsmitglieder in den Tod. Es ist inzwischen 02.22 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt kämpfen 150 Berufsfeuerwehrleute und etwa 1.000 freiwillige Helfer um jeden Keller der Stadt Wuppertal, wohl wissend, dass die Flammen nur zu schnell den dort vorhandenen Sauerstoff verbrauchen und die Men schen still, schmerzlos, doch todsicher an Kohlenmonox ydvergiftung ersticken, wenn sie nicht rechtzeitig befreit werden. Wuppertal ist ein Flammenmeer. 280 Hektar Stadtfläche sind komplett verwüstet und brennen lichterloh, mehr als London während des gesamten Krieges an zerstörter Fläche zu ertragen hat. Seit um 00.46 Uhr die ersten Zielmarkierungen der von Oboe-Leitstationen geführten Mosquitos über der Stadt aufglühten, haben die Spreng- und Brandbomben gan ze Arbeit geleistet. Es sollte acht Stunden dauern, bis die Flammen unter Kontrolle zu bringen sind. Für 3.350 Menschen kommt jede Hilfe zu spät. Ein beträchtliche Steigerung seit den 474 Opfern, die Köln vor genau einem Jahr zu beklagen hatte. Leseexemplar 470 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Hamburg von oben – die Silhouette eines britischen Bombers über dem Inferno, einer entfesselten Orgie des Massen-Tötens. Das Bomber Command verliert 33 Bomber, zwei weitere zerschel len bei der Landung. 62 kehren außerdem mit schweren Schäden zu rück (davon 60 durch Flak-Feuer, zwei durch Jäger-Geschosse). Von den zerstörten Maschinen gehen 22 auf das Konto der Nachtjäger, davon ist die Hälfte den drei Do 217 J-2 und 13 Me 110 E-2/F-4/G-4 der II./NJG 1 zuzuschreiben, der Schnaufer zugehört. Inzwischen arbeiten britische Wissenschaftler, Chemiker, Feuer wehrleute und Statiker gezielt daran, die apokalyptischen Vorstellun gen des Oberkommandierenden der englischen Bomberflotte best möglich zu realisieren. Es wird intensiv daran geforscht, die Wirkung der Bomben so zu optimieren, dass eine Stadt in die größtmögliche Hölle auf Erden verwandelt werden kann. Akribisch werden die Ef fekte von jeweils verwendeten Mengenverhältnissen an Spreng- und Brandbomben analysiert und verbessert. Am 24./25. Juli 1943 sollte die Saat zum ersten Mal grausame Ernte einbringen. Der Name des Unternehmens zeigt seine Intenti on: Operation „Gomorrha“. Es ist Sommer, es ist heiß. Und Hamburg ist für die 791 eingesetzten britischen Bomber ein leicht zu fin dendes Ziel (347 Lancaster, 246 Halifax, 125 Stirling, 73 Wellington). 74 Bomber sind mit dem H2S-Geländestruktur-Navigationsradar ausgerüstet. Für das Oboe-System ist die Distanz von etwa 650 Ki lometer von Südengland zu weit. 728 Bomber erreichen die Stadt, öffnen ihre Schächte und entledigen sich ihrer tödlichen Fracht. Die Orgie aus Sprengstoff und Brandbomben trifft Hamburg mit voller Wucht. Nur zwölf Bomber werden abgeschossen. Am nächsten Tag (25. Juli 1943) erscheinen die Amerikaner mit ihren schweren Boeing B-17-Bombern, um bewusst die Rettungsund Löscharbeiten zu behindern. 123 US-Bomber starten, 100 B-17 erreichen mit 195,9 Tonnen Bomben an Bord Hamburg. 15 von ihnen werden abgeschossen. In der Nacht vom 25. zum 26. Juli 1943 nehmen sich die Briten mit 705 Bombern die Stadt Essen vor, von denen 599 das Ziel erreichen. Fast 2.000 Tonnen Bomben töten über 500 ihrer Bürger, mehr als doppelt so viele werden teilweise schwer verletzt. 26 britische Bomber fehlen auf dem Rückflug. Am Tage dieses Montages, dem 26. Juli 1943, erscheinen die Ame rikaner wieder über Hamburg. Mit 54 „Fliegenden Festungen“ und 126,25 Tonnen Bomben. Die ihre Wirkung tun! Zwei B-17 gehen verloren. Weitere 23 B-17-Bomber werden bei anderen Einflügen zerstört, vornehmlich gegen Hannover. Hamburg brennt immer noch, als die britische Streitmacht in vol lem Umfang in der Nacht vom 27. zum 28. Juli 1943 wiederkommt. 739 der 787 gestarteten Bomber (353 Lancaster, 244 Halifax, 116 Stirling, 74 Wellington) erreichen das Zielgebiet. Mit 1.464 Ton nen Sprengbomben und 975 Tonnen Brandbomben – etwa 100.000 Stück – in den Bombenschächten! Damit hat niemand gerechnet, und viele Menschen, die die laue Sommernacht des ersten Angriffes am Wochenende vom Samstag, den 24. auf Sonntag, den 25. Juli bei Freunden oder in Sommerlauben verbracht hatten, sind nun in der Stadt, um zu retten, was noch zu retten ist. Der zweite Angriff trifft sie völlig unvorbereitet. Die Wirkung dieser spezifischen Mixtur aus Explosivstoffen und brennendem Phosphor ist kalkuliert, und die Rechnung geht auf. Die Explosionen der Sprengbomben decken die Dächer ab, reißen Schneisen ins Mauerwerk, legen Brennbares frei. Viele Breschen sind durch den ersten Angriff bereits geschlagen. Un glücklicherweise werden in Hamburg häufig die Kohlevorräte auf den Dachböden gelagert. Die folgenden Brandbomben erzeugen eine Feuerwalze, die die Luft erhitzt. Sie steigt auf. Von der Seite strömt kältere Luft nach, die sich wieder erhitzt. Das Ergebnis ist ein Feu ersturm, aus dem es kein Entrinnen gibt. Windgeschwindigkeiten bis zu 240 km/h – doppelt so schnell wie ein Hurrikan – führen zu horizontalen Stichflammen, welche brennende Trümmer und Balken mit sich reißend durch die Straßenzüge rasen. Der Asphalt glüht, es entstehen Temperaturen von über 1.000 °C. Laufende Menschen entzünden sich zu Fackeln, bleiben im Teer stecken, die Flammen rauben sämtlichen Sauerstoff. Das menschenverachtende Inferno hat einen Namen: „Gomorrha“. Es trägt noch einen zweiten ... Und das Bomber Command hat immer noch nicht genug. Auch die 17 abgeschossenen Maschinen in jenem entsetzlichen Einsatz mit dem erstmals herbeigeführten Feuersturm halten es nicht zurück. In der Nacht vom 29. zum 30. Juli 1943 kommen 777 Bomber wieder (340 Lancaster, 244 Halifax, 119 Stirling, 70 Wellington, 4 Mosqui tos). 28 werden abgeschossen. Der Rest lädt 2.277 Tonnen Bomben über einem Trümmerfeld ab. 16 Quadratkilometer Stadtgebiet stehen in hellen Flammen. In der Nacht vom 2. zum 3. August 1943 erscheinen Harris` Bom ber zum vierten Mal über der Stadt, nun noch 425 von 740 gestarteten (329 Lancaster, 235 Halifax, 105 Stirlings, 66 Wellingtons, fünf Mos quitos). Ein heftiger Gewittersturm erschwert den Einsatz und führt dazu, dass nur ein stark reduzierter Teil der eingesetzten Flugzeuge ihr „Ziel“ erreicht. Das Ziel ist Hamburg. Sie werfen erneut 936 Ton nen Bomben ab, 30 Bomber kehren nicht zurück. Alleine in einem Luftschutzbunker (dem Karstadt-Gebäude) sterben noch einmal 370 Menschen – überwiegend Alte, Frauen und Kinder. Leseexemplar 471 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Also sind Tiefangriffe expressis verbis erlaubt und angeordnet – allerdings ausdrücklich nur auf dem Rückflug und ausschließlich dann, wenn deutsche Jäger nicht in der Nähe sind. Das sind sie aber während des Bombenangriffes auf Dresden! Es ist zwar ein Himmelfahrtskommando, mit 146 Jagdflugzeugen gegen die den Luftraum in Mitteldeutschland völlig kontrollierenden 758 P-51 „Mustangs“ und 44 P-47 „Thunderbolts“ anzugehen, doch die deutschen Jagdflieger starten. Es sind zusammen 78 Messerschmitt Bf 109 G-10/G-14/K-4 und Focke-Wulf 190 A-8 der I./II./III. und IV./JG 300 sowie 68 FockeWulf 190 A-8/A-9 und D-9 der I. und II./JG 301, die sich den 802 US-Jägern der Jagdeskorte und zudem 1.220 schweren, viermotorigen Bombern entgegenwerfen. Bei den entstehenden harten Luftkämpfen sterben sieben Piloten des JG 300, ein weiterer wird verwundet. Neun Jagdflugzeuge des ehemaligen „Wilde Sau-Geschwaders“ gehen verloren, weitere vier werden beschädigt, sind aber noch reparabel. Drei Flugzeugführer des JG 301 fallen ebenfalls, ein Jagdflieger dieses Verbandes wird verwundet. Drei der vier Flugzeuge der Einheit gehen mitsamt ihren Piloten verloren. Auf der kümmerlichen „Haben“-Seite werden von den deutschen Fliegern zwei Mustang-Abschüsse (einer davon sogar nur als wahrscheinlich) eingereicht, beide erfolgreiche Jagdflieger sind Flugzeugführer des JG 300 (8. und 14. Staffel). Tatsächlich melden die Amerikaner sieben verlorene und zwei irreparabel beschädigte Jagdflugzeuge bei acht gefallenen oder vermissten Piloten. Die wenigsten dürften aber den hoffnungslos unterlegenen deutschen Jagdfliegern zuzuschreiben sein. Deren dürftige zwei Abschüsse veranschaulichen ihre Chancenlosigkeit. Auch sieben Bomber kehren nicht zurück, acht weitere sind völlig zerschossen. Das summiert sich auf sechs gefallene, 19 verwundete und 72 vermisste Crewmitglieder. Merkwürdigerweise ist von amerikanischer Seite dokumentiert, *19 dass gegen 12.33 Uhr zwei B-17 der etwas zurückhängenden 306th BG von drei Focke-Wulf 190 schwer beschädigt werden, wovon eine B-17 später notlanden muss. Diese Erfolge tauchen in den deutschen Meldungen nicht auf. Ein zweiter Anflug auf die Bomber ist den deutschen Jägern nicht mehr möglich, da nun deren Jagdschutz eingreift und eine Focke-Wulf abschießt. Die beiden anderen deutschen Piloten können entkommen. Dieser Luftkampf findet westlich von Dresden statt, die P-51 sind Maschinen der 356th Fighter Group. Soweit zu den Zahlen! Doch die Fragestellung bleibt, ob in Anbetracht der Luftkämpfe auch noch Tieffliegerattacken der Mustangs gegen die verzweifelten Überlebenden in und um Dresden plausibel sind (die Thunderbolts haben Magdeburg zum Ziel, kommen also nicht in Betracht). Die Luftkämpfe finden im Wesentlichen während der Bombenangriffe statt. Zu diesem Zeitpunkt verbieten sich Tiefangriffe alleine durch die wichtigere Aufgabe des Schutzes der Bomber vor den angreifenden deutschen Jägern – eine Notwendigkeit, die jedem US-Jägerpiloten in der Gegend durch den Funkverkehr präsent ist – , und dadurch, dass man zumindest im Zielgebiet (Dresden) bei Tiefflügen selber in den Bombenhagel geraten könnte. Danach aber müsste in Anbetracht der Tatsache, dass die in England startenden Mustangs über Dresden an der Grenze ihrer Reichweite operieren, der schnelle Rückflug im Interesse der amerikanischen Jagdflieger liegen. Denn die nominelle Eindringtiefe (im eher akademischen Idealfall ohne jede Kurve 1.360 Kilometer) ist durch die bei Begleitschutzmissionen nötigen andauernden Schleifen um die langsamen Bomber herum und speziell bei spritfressenden Luftkämpfen nicht als Maßstab anzusehen. Immerhin sind es nach England zurück noch stolze 975 Kilometer direkte Luftlinie. Nach Belgien, der „Heimat“ der 352nd FG, ist es allerdings näher. Doch die 352nd FG meldet in ihrem Einsatzbericht über Dresden absolut keine besonderen Vorkommnisse. Da bei jeder Auslösung der Schusswaffen die eingebaute Bordkamera in der Tragfläche automatisch mitläuft, müssten Tiefangriffe aber erwähnt sein. Und in der Tat – sie sind es auch. Allerdings erst um 13.30 Uhr, somit eine Stunde nach den Bombenwürfen. Normalerweise also weit weg von Dresden im Westen. Doch wo sind die P-51 der 352nd FG zu diesem Zeitpunkt tatsächlich? Da sie die taktische Nachhut bilden und nach versprengten Nachzüglern Ausschau zu halten haben, dürften sie sich etwas länger als die anderen Fighter Groups in der Gegend aufgehalten haben. Sicher aber nicht bis 13.30 Uhr – wenn diese Zeit stimmt! Da feststeht, dass sie sich um 14.15 Uhr bei Limburg an der Lahn befinden *20 , also 400 Kilometer westlich von Dresden, weil sie dort erst die Bomber verlassen, lässt sich die Abflugzeit von Dresden rekonstruieren. Maßstab für die Geschwindigkeit über Grund ist der Bomberstrom, dessen Reisegeschwindigkeit bestenfalls bei 300 km/h anzusetzen ist. Das sind also für 400 Kilometer 80 Minuten. Spätestens um 12.55 Uhr sollten somit die letzten P-51 der 352nd FG den Raum Dresden verlassen haben. Selbst dieser späte Zeitpunkt wäre nur für nicht vom deutschen Radar erfasste Tiefflieger denkbar (siehe unten). Es dokumentieren auch die anderen Fighter Groups, dass sie auf dem Rückflug Bodenziele angegriffen hätten. Dies plangemäß zu einem Zeitpunkt, als die zu schützenden Bomber bereits in dem durch die 9th USAAF und 2nd Tactical Air Force der RAF gut gedeckten, durch alliiertes Radar überwachten Nahbereich um die deutsche Westfront aus der Gefahrenzone herausgeflogen waren, beispielsweise bei Frankfurt am Main (356th FG). Aber auch schon ab Coburg (364th FG), was immerhin näher an Dresden liegt als an der westlichen Erdkampflinie. Da dies dennoch 200 Kilometer Distanz sind, spielt diese Tatsache für die erörterte Frage zwar keine Rolle. Es zeigt aber die Aggressivität der Amerikaner. Ausgedehnte Tiefangriffe, ja ganze Menschenjagden sind also auszuschließen, zumal die Entwarnung im Raume Dresden um 12.48 Uhr gegeben wird, die letzte Bombe aber erst um 12.31 Uhr fiel. Tiefangriffe könnten also – wie Dr. Helmut Schnatz akribisch und plausibel darlegt – nur in der kurzen Zeit dazwischen stattgefunden haben, wobei auch dann ein zeitlicher Abstand zur Entwarnung einkalkuliert werden müsste. Die deutschen Radargeräte sind, wie sich nachweisen lässt, dank fehlender „Windows“-Störung (ein geplanter Einsatz britischer Mosquitos kam nicht zustande) bestens „im Bilde“. Tiefflieger in Bodenähe erfassen diese aber nicht, das muss eingeräumt werden. Nur – es bleibt völlig unplausibel, warum USPiloten, von ihnen am ehesten einzelne der 352nd FG, ausgerechnet in das rauchgeschwängerte, möglicherweise doch mit Schnellfeuer- Leseexemplar 492 *19 Quelle: „Tiefflieger über Dresden?“/Böhlau Verlag 2000/Helmut Schnatz, Seite 107. 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Flak bestückte Dresdner Elbtal eingetaucht sein sollten, um völlig pflichtwidrig ihre Begleitschutzaufgabe zu missachten. Was aber irritiert, das sind die Meldungen der 20th Fighter Group. Diese Fighter Group befindet sich während des Luftangriffes gar nicht über Dresden, denn sie eskortiert die 91st BG, 381st BG und 398th BG irrtümlich nach Prag, wohin sich der Verband verfliegt. Prag wird bombardiert – versehentlich. Der Rückweg führt über Brüx (Most). Das ist nur 50 Kilometer von Dresden entfernt, also etwa sechs Flugminuten für ein Jagdflugzeug ohne das Handicap eines langsamen Bombers „im Schlepptau“. Und im US-Einsatzbericht der 20th Fighter Group heißt es: *21 „Shortly after leaving the target ‚A’ Group hit the deck to strafe enemy transportation but found few targets“ „Kurz nach Verlassen des Zieles ging die ‚A’-Group auf Bodennähe herunter für Tief angriffe auf feindliche Fahrzeuge, fand aber nur wenige Ziele.“ „Wenige Ziele“ – das ist leider im Sinne militärischer Ziele, also beispielsweise Fahrzeuge, zu interpretieren. Angriffe auf Fahrradfahrer oder einfach Menschenansammlungen fallen nicht darunter. Dass es diese in der Endphase des Zweiten Weltkrieges sowohl von britischen, kanadischen als auch amerikanischen Piloten grundsätzlich gegeben hat – unabhängig davon, ob dies auch in Dresden plausibel ist – das steht außer Frage. Und trotz auch in diesen Fällen mitlaufender „gun camera“ sind diese nicht als Erfolgsmeldungen dokumentiert. Die Tatsache, dass Tiefangriffe stattfanden, allerdings üblicherweise schon. Selbst um 14.00 Uhr werden noch Teile der 20th FG bei Coburg festgestellt, bei einer Reisegeschwindigkeit von 300 km/h sind das 40 Flugminuten von Brüx aus, ohne Eskortaufgabe bei Ø 400 km/h 30 Minuten. „Kurz nach Verlassen des Zieles“ – das wäre also im Großraum Dresden, denn um Prag oder Brüx herum sind keine Tieffliegeraktivitäten bekannt. Dresden selber ist als „Wirkungsstätte“ allerdings extrem unwahrscheinlich, denn es liegt klar seitlich (nördlich) zum Kurs Brüx Coburg. Die in der Umgebung von Dresden behaupteten Angriffe hier und da auf Krankenwagen beispielsweise könnten aber nun doch denkbar sein und den Tatsachen entsprechen. Was bleibt nun von den angeblichen Massakern amerikanischer Mustang-Piloten am Elbufer? Dr. Helmut Schnatz hat eine bestechend einfache Erklärung. *22 Er räumt ein, dass es Zeugenberichte gibt, die absolut glaubhaft Tiefflüge kleinerer Gruppen von (Jagd-) Flugzeugen im Elbtal durch Dresden unmittelbar nach den Bombenwürfen schildern. Manche erinnern sich an Bordwaffenfeuer, andere nicht. Nun fand – wie erwähnt – westlich von Dresden ein Abfangversuch deutscher Jäger statt, der mit der schweren Beschädigung zweier US-Bomber endete. Danach waren die Mustangs zur Stelle und verfolgten die Angreifer, schossen dabei eine Focke-Wulf ab. Die anderen könnten sehr wohl ihr Heil in der Flucht nach Osten gesucht haben, im Wissen, dass die Verfolger in diese Richtung immer näher an ihre Reichweitengrenzen stoßen. Dass diese Flucht geradezu absichtlich im Tiefflug in die schützenden Rauchwolken der Brände über Dresden geführt haben kann, erscheint plausibel. Ebenso das vielleicht nur auf Schatten gezielte Bordwaffenfeuer der nachsetzenden Amerikaner, deren Geschosse dann auch den Boden treffen. Im Eifer und Frust einer vergeblichen Hetzjagd vereinzelt womöglich sogar beabsichtigt. Zusammen mit möglichen gezielten Angriffen der 20th FG auf Rettungsfahrzeuge zwischen Brüx und Dresden ergibt sich genügend Nahrung für eine Legendenbildung. Die Ausmaße von Menschenjagden erscheinen dennoch absurd. Dabei ist allerdings die erwähnte Aggressivität der amerikanischen Piloten ins Kalkül zu ziehen. Noch einmal soll Dr. Helmut Schnatz zitiert werden. Er weist darauf hin, dass die amerikanischen Piloten „nicht in den chevaleresken Traditionen groß geworden sind, wie sie die europäischen Luftwaffen teilweise noch bis in den Zweiten Weltkrieg hinein geprägt haben, sondern in denen der Indianerkriege des 19. Jahrhunderts.“ Und damals galt nun einmal: „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.“ *23 Dies mag die weniger ausgeprägten Hemmungen der US-Piloten erklären, ihre deutschen Widersacher am Fallschirm „in die ewigen Jagdgründe zu schicken“. Mehr aber auch nicht, hier ist sich der Autor mit Dr. Schnatz einig. Schnatz warnt eindringlich davor, diese Sicht der Amerikaner zu verallgemeinern, und verweist auf die schlichte Professionalität der US-Piloten. Heißsporne gab und gibt es in jeder Armee, und Tiefangriffe auf Zivilisten – ob in Dresden oder nicht – wurden auch von den Piloten der Royal Air Force geflogen. Aber auch die deutsche Luftwaffe hat sich nicht immer „mit Ruhm bekleckert“. Die Katastrophe von Dresden allerdings kratzt nun doch empfindlich am Ruhm der Royal Air Force – und jenem Winston Churchills, als das Ausmaß der Tragödie im noch neutralen Ausland bekannt wird. Dresden ist so gründlich und in so wenigen Stunden vernichtet worden wie noch keine Stadt zuvor. Und weil selbst das noch nicht genügt, haben die Amerikaner am 15. Februar 1945 für 461,9 Tonnen Bomben an Bord von 210 Boeing B-17 Bombern keine bessere Verwendung als die Trümmer von Dres den! Und sie hören nicht auf! Am 17. April 1945 kommen sie wieder. 590 US-Bomber und 1.732,8 Tonnen! Die Sowjetsoldaten nähern sich bereits einer Stadt, die zum Fanal geworden war! Um der Seuchengefahr Herr zu werden, bleibt der Verwaltung der zerbombten Elbmetropole ab dem 2. März 1945 keine andere Wahl, als die Innenstadt abzusperren und dort Gitterroste aufzubauen. Das nun gnädige Feuer bannt die Ansteckungsgefahr, die von den verwesenden Körpern ausgeht ... Die Zahl der Opfer wird wohl nie ganz geklärt werden. Die Schwierigkeit besteht im Fall von Dresden darin, dass niemand genau weiß, wer der zigtausend Flüchtlinge sich zum Zeitpunkt der „Exekution“ dieser Stadt im Bereich des Feuersturmes aufgehalten hat. Wenn also eine Flüchtlingsfamilie vermisst wird – wo kam sie um? Durch den Rachedurst der von der deutschen Gewalt im eigenen Land gründlich selber heimgesuchten Russen oder durch die strategischen Planungen der Royal Air Force und USAAF? Nach dem Angriff äußert sich Arthur Harris so: „Dresden? Einen solchen Ort gibt es nicht!“ Wie kann man neben jenen Menschen, die erschlagen wurden, verbrannten, erstickten, zerfetzt wurden oder sich in das kochende Wasser der Löschbecken am Altmarkt „retteten“, jene Opfer zählen, die einer Temperatur von 1.000 °C ausgesetzt waren? Wie viel bleibt von jenen Unglücklichen übrig? Nun, so erstaunlich es ist – größtenteils kann man das. Zumindest in Deutschland. Die Leseexemplar Quelle: „Tiefflieger über Dresden?“/Böhlau Verlag 2000/Helmut Schnatz, Seite 121. Quelle: „Tiefflieger über Dresden?“/Böhlau Verlag 2000/Helmut Schnatz, Seite 98. Quelle: „Tiefflieger über Dresden?“/Böhlau Verlag 2000/Helmut Schnatz, Seite 138f. *23 Quelle: „Tiefflieger über Dresden?“/Böhlau Verlag 2000/Helmut Schnatz, Seite 75. *20 *21 *22 493 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Die Scheiterhaufen auf dem Dresdner Altmarkt. Verwaltung Dresdens gibt sich alle erdenkliche Mühe, selbst Leichen zu erfassen, die auf die Größe eines Kopfkissens zu Asche geschrumpft sind. Um ganz sicher zu gehen, zählt man die „Fundstücke“ dreifach. Am 16. März 1945 wird vom „höheren SS- und Polizeiführer Elbe in den Gauen Halle-Merseburg, Sachsen und im Wehrkreis IV“ vorläufig Bilanz gezogen. Das Dokument trägt das Diktatzeichen des Polizeibeamten Max Jurk und ist von Polizeioberst Wolfgang Thierig unterzeichnet. Hier heißt es: „Bis 10.3.1945 früh festgestellt: 18.375 Gefallene, 2.212 Schwerverwundete, 13.718 Leichtverwundete, 350.000 Obdachlose und langfristig Umquartierte ...“ Das Dresdner Bestattungsamt registriert bis zum 12. Juli 1945 21.271 Bombenopfer. Dies erhöht sich offiziell durch nachträgliche Funde in den vielen verschütteten Kellern bis zum 9. Dezember 1950 auf etwa 34.000 Menschen. Rechnet man eine Dunkelziffer dazu, so ergeben sich rund 35.000 Opfer, die aber auch diverse an ihren im Kampf erlittenen Wunden verstorbene deutsche Soldaten beinhalten. Gegen diese Zahlen wird wiederum eingewandt, dass es sich hierbei nur um die wenigen identifizierten Opfer gehandelt habe. Die vielen Flüchtlinge, die keinerlei Angehörigen hatten, welche vor Ort nach ihnen fragen konnten, komplett ausgelöschte Familien, unidentifizierbare Aschenklumpen – wer will sie zählen und wie? Das mag in Einzelfällen wirklich zutreffen. Wenn diese Differenzen aber in die Größenordnung von vielen Zehntausenden gemutmaßt werden, so müssten dem entsprechend hohe Zahlen an ungeklärten Flüchtlingsschicksalen gegenüberstehen. Eine Expertenkom- Leseexemplar Blick auf das, was blieb ... Dresden, ein Fanal. 494 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Wesel – pulverisiert am 16., 18., 19., und zweimal am 23. Februar 1945. mission unter Leitung von Dr. Horst Boog hat sich im Jahr 2008 mit dieser Frage befasst und die bekannten seriösen Zahlen bestätigt, die in Anbetracht so vieler Flüchtlinge überraschend „niedrig“ liegen. Aus der Sicht des Autors handelt es sich hierbei ohnehin um eine reichlich akademische Frage. Wer sich auch nur halbwegs mit menschlicher Anteilnahme den Horror vorzustellen versucht, den die Operation „Donnerschlag“ in Dresden ausgelöst hat, für den dürften Zahlen kaum noch eine Rolle spielen. „Ich glaube nicht, dass der gesamte Rest der deutschen Städte die heilen Knochen auch nur eines britischen Soldaten aufwiegt!“, soll Harris ungerührt nach dem Angriff auf Dresden gesagt haben, der ihm aber nicht wichtig gewesen war. Churchill und die alliierten Stabschefs hatten ihn durchgesetzt. Am 16. Februar 1945 findet eine denkwürdige Pressekonferenz statt. Dessen Ergebnis wird vom Korrespondenten der amerikanischen „Associated Press“ für alle Morgenzeitungen in die USA gekabelt. Er löst ein Umdenken der öffentlichen Meinung aus: „Alliierte Luftflottenchefs haben die seit langem erwartete Entscheidung getroffen, bewusst Terrorangriffe auf deutsche Wohnviertel durchzuführen, um mit diesem unbarmherzigen Vorgehen den Untergang Hitlers zu beschleunigen. [...] Ausdrückliches Ziel ist es, weitere Verwirrung im Straßen- und Schienenverkehr der Nazis zu stiften und den deutschen Kampfgeist zu brechen!“ Als Beispiele nennt der Journalist die Städte Berlin, Chemnitz, Cottbus – und Dresden. „Der totale Luftkrieg gegen Deutschland wurde offensichtlich bei dem beispiellosen Tagesangriff auf die mit Flüchtlingen überfüllte Hauptstadt vor zwei Wochen und weiteren Angriffen auf andere Städte - vollgestopft mit vor dem russischen Vormarsch aus dem Leseexemplar Pforzheim – zerstört nach Dresden! Osten fliehenden Zivilisten.“ Gemeint ist der schwere Angriff auf Berlin am 3. Februar 1945. Er brachte 22.000 bis 25.000 Menschen in den Ruinen der Reichshauptstadt den Tod. Die Reaktion der britischen Regierung am 17. Februar 1945 ist ein striktes Presseverbot. Auch das erfolgreichste Nachtjäger-Ass aller Zeiten, Heinz-Wolfgang Schnaufer, nun im Range des Majors, kann diese Katastrophen nicht verhindern. Immer noch fliegt er eine Messerschmitt des altbewährten Typs Me 110 G-4, wenn auch bereits eine neue Maschine. Inzwischen machen britische Elite-Nachtjägerpiloten gezielt Jagd 495 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch auf ihn und seine Besatzung, während ihm das britische Bomber Command zynisch und bewundernd zugleich am 16. Februar 1945 über den Soldatensender Calais zum 23. Geburtstag gratuliert. Die Mosquitos erwischen ihn nicht. Er dagegen erwischt immer noch so manch eine Halifax oder Lancaster. Am 21. Februar 1945 stellt er mit neun abgeschossenen Bombern an einem Datum seine persönliche Tages-Bestmarke auf. Zwei Bomber fallen ihm in den frühen Morgenstunden zum Opfer, sieben in der Folgenacht desselben Tages innerhalb von 19 Minuten. Arthur Travers Harris (am Stabsschreibtisch sitzend). Ob er wohl an die 121 Bomber denkt, die er in nur 164 Einsätzen abgeschossen hatte, als er sich am 8. Mai 1945 mit seinem Geschwader den Briten ergibt? Ob er sich noch an seinen 87. Abschuss am 29. Juli 1944 erinnert, den er über Pforzheim in Süddeutschland T, eine erzielt hatte, jene Lancaster mit den Kennz eichen PO von drei Viermotorigen in dieser Nacht? Ob er daran denkt, wie anders Pforzheim damals noch aussah als jetzt, nachdem 367 britische Bomber am 23. Februar 1945 innerhalb von 22 Minuten 1.825 Tonnen Bomben auf die Kleinstadt niederregnen ließen, dabei eine Fläche von 83 % der Stadt dem Erdboden gleichmachten und 17.600 Menschen töteten, ein Fünftel der Bevölkerung? Goldschmiede und Uhrmacher, was die „kriegsindustrielle“ Tradition der Stadt angeht! Ob irgendjemand an die 55.573 Besatzungsmitglieder denkt, die in den brennenden Särgen der britischen Bomber im Laufe des Krieges gefallen waren, 70 % der gesamten Verluste der Royal Air Force (79.281 Mann) in diesem Krieg? Weitere 4.200 waren verwundet worden. Oder daran, dass die Überlebenschance einer britischen Bomberbesatzung kaum höher war als eins zu zwei? Ob man an die 8.655 Flugzeuge (davon 3.836 Lancaster-Bomber alleine) denkt, die das Bomber Command der Royal Air Force bei dem vergeblichen und kostspieligen Versuch verlor, den deutschen Widerstandsw illen mit Bombenterror zu brechen? Arthur Harris wohl kaum. Die Deutschen haben kapituliert – bedingungslos. Sie sind am Ende, endlich. Doch Harris ist seit dem Angriff auf Dresden bei Winston Churchill in Ungnade gefallen – dem britischen Premierminister, welcher doch diese Demonstration der Macht der Royal Air Force wenige Kilometer vor den Spitzen der Roten Armee maßgeblich selber unterstützt, ja herbeigeführt hatte – und nun doch betroffen ist über das unvorstellbare Ausmaß an Leid, welches jener Angriff ausgelöst hat. Oder vielleicht nur so tut, weil ihm dieses Grauen politisch allmählich eher schadet als nützt? Jedenfalls protestieren die Stabsoffiziere des Bomber Command wütend und sehr überzeugend mit Beweisen, als Churchill in einem Memorandum versucht, dem Bomber Command die Verantwortung für die Entscheidung zuzuschieben, Dresden zu vernichten. Dabei war dieser Angriff nur einer von vielen gewesen, noch nicht einmal der letzte. Die mit Verwundeten voll belegte Lazarettstadt Würzburg war nur Wochen vor Kriegsende in einer schrecklichen Nacht am 16. März 1945 zerstört worden, obwohl die amerikanischen Truppen bereits in der Nähe standen. Die barocken Fassaden brannten wie Zunder, die Stadt mit ihren ebenso unersetzlichen Kulturdenkmälern wurde zu 82 % vernichtet. Auch der ‚betroffene’ Churchill hatte es nicht verhindert. 5.000 Opfer starben vier Wochen nach Dresden. Adolf Hitler, der Führer ins Verderben, begeht schließlich Selbstmord, um nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Der gewissenlose Mann, der die englischen Städte einmal „ausradieren“ wollte, nachdem Churchills Royal Air Force ihn unter anderem mit Luftangriffen auf Berliner Wohnviertel herausgefordert hatte, trägt durch das Ausmaß der Gegenreaktion eine Mitverantwortung für den folgenden Radiergummi der Engländer und Amerikaner. Man muss ihm – so schwer es diesem Mann gegenüber fallen mag – jedoch zugestehen, dass er auf diplomatischem Wege mehrfach eine Übereinkunft mit England zu erreichen versucht hat, dass Angriffe Leseexemplar Heinz-Wolfgang Schnaufer. 496 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch auf zivile Ziele unterbleiben mögen. Ohne Erfolg!*24 Hitler genehmigt Angriffe auf britische Städte zunächst nur als konkrete Gegenreaktion – Coventry für München, Birmingham für Hamburg! Erst spät wird undifferenzierte Rache daraus. Dies gipfelt schließlich im Jahr 1944 in Gegenangriffen mit unbemannten fliegenden Bomben des Typs „V1“ (mit Pulstriebwerk – den Vorläufern von „cruise missiles“) und Raketenangriffen mit revolutionären „V2“-Raketen, gegen die keine Abwehrchance besteht. Insgesamt fallen etwa 42.000 britische Zivilisten während des Zweiten Weltkrieges deutschen Bomben zum Opfer. Air Chief Marshal Arthur Travers Harris wird bei Kriegs ende nur auffallend oberflächlich geehrt. Verbittert zieht er sich im November 1945 nach Südafrika zurück. Er stirbt im Jahr 1984, inzwischen doch zum „Sir“ geadelt – und wird posthum rehabilitiert. Durch ein Denkmal, mit Sockel sechs Meter hoch in Bronze. Vor der St. Clement Danes Kirche in London, und in Anwesenheit der erlauchten Schirmherrin der Statue – Queen Mom. Das britische Königshaus bekennt sich damit zu „Bomber-Harris“, allen empörten Protesten vieler fassungsloser deutscher Bürgermeister zum Trotz! Reichsmarschall Hermann Göring, mit dessen Hochmut es begonnen hatte, stirbt am 15. Oktober 1946 im Nürnberger Gefängnis durch Zyankali. Er begeht Selbstmord, um der bevorstehenden unrühmlichen Hinrichtung als Kriegsverbrecher zu entgehen. Und Winston Churchill, seit 10. Mai 1940 Kriegs-Premier Großbritanniens? Siegreich und geehrt! Er hatte im Jahr 1932 in seinem Buch „Thoughts and adventures“ folgende Überlegungen in Bezug auf den vergangenen Ersten Weltkrieg angestellt: „Alles, was in den vier Jahren des [Ersten] Weltkrieges geschah, war nur ein Vorspiel zu dem, was sich für das fünfte Jahr vorbereitete. Die Schlacht des Jahres 1919 hätte ein riesiges Anwachsen der zerstörenden Kräfte gesehen. Hätten die Deutschen die Moral bewahrt, sich geordnet an den Rhein zurückzuziehen, sie wären im Sommer des Jahres 1919 mit Kräften und Methoden angegriffen worden, die unvergleichlich fürchterlicher gewesen wären als alle je eingesetzten. Tausende von Flugzeugen hätten ihre Städte in Trümmer gelegt. Abertausende Kanonen hätten ihre Front pulverisiert. [...] Die Schlacht von 1919 wurde nie geschlagen, aber ihre Ideen leben weiter. [...] Der Tod steht in Bereitschaft. [...] Er wartet nur auf das befehlende Wort. [...] Das nächste Mal mag man darum wetteifern, Frauen und Kinder oder die Zivilbevölkerung überhaupt zu töten, und die Siegesgöttin wird sich zuletzt jämmerlich mit demjenigen dienstbeflissenen Helden vermählen, der dies in gewaltigstem Ausmaß zu organisieren versteht.“ Im Jahr 1932 gesagt. Im Jahr 1945 getan. Mindestens 570.000, vielleicht bis zu 1.000.000 Wehrlose haben jene „Ideen“ mit dem Leben bezahlt. *24 Quelle: „Thoughts and adventures”, Winston Churchill, Seite 247 ff Tabelle über Verluste und Abschüsse der deutschen Nachtjäger in der Reichsverteidigung (Nacht vom 28. zum 29.7.1944) Einheit Flugzeugtyp gefallen vermisst verwundet Gesamt (Pilot/Flugzeug) I./NJG 1 Bf 110 G-4/ He 219 A-2 - - -/- - 4 II./NJG 1 Bf 110 G-4 - - -/- (4 Unfälle durch technischen Mangel) 9 III./NJG 1 Bf 110 G-4/ Ju 88 G-1/ die ersten 2 Ju 88 G-6 3 - 3/1 Absturz vor Norderney in die See nach Luftkampf (Bf 109 G-4) – Verlust 100% IV./NJG 1 Bf 110 G-4/ He 219 A-2 1 2 3/1 I./NJG 2 Ju 88 C-6/ Ju 88 G-1 - - II./NJG 2 Ju 88 C-6 - - Bemerkungen (FSA = Fallschirmabsprung) 4-mot. Typ? Lancaster Halifax 4 2 2 Absturz bei Biblis nach Luftkampf, 100% 4 3 -/- (1 Unfall durch technischen Mangel) 1 -/- - 4 8 Leseexemplar III./NJG 2 Ju 88 C-6/ Ju 88 G-6 Ju 88 G-1 3 1 4/2 Absturz bei Toul nach Luftkampf, 100%, und weiterer Absturz mit FSA der Besatzung. (+ ein Unfall durch Motorstörung auf dem Platz StuttgartEchterdingen und ein weiterer Unfall durch technischen Defekt) Stab/NJG 3 Ju 88 G-1 - - -/- - 4 I./NJG 3 Bf 110 G-4/ Ju 88 C-6 3 - 3/1 ? Absturz mit unbekannter Ursache, 100% 3 II./NJG 3 Ju 88 G-1 -/- (3 Unfälle durch technischen Mangel und ein Zusammenstoß in der Luft mit dem Gegner) 3 2 Mosquito 1 2 1 497 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch III./NJG 3 Bf 110 G-4/ Ju 88 G-1 - 1 1/1 ? Bruchlandung nahe Platz Stade mit unbekannter Ursache (im Zweifel Luftkampf?) 1 5 IV./NJG 3 Ju 88 C-6/ Ju 88 G-1 - - -/- (1 Absturz bei Hamburg nach Treffer durch eigene Flak, Besatzung springt ab, ein Fallschirm öffnet nicht Funker , ferner 2 Unfälle durch technischen Mangel) I./NJG 4 Bf 110/Ju 88/ Do 217 - - -/- - 2 II./NJG 4 Ju 88 G-1 - - -/- (1 Unfall durch technischen Mangel) 1 III./NJG 4 Bf 110 G-4 - - -/- (1 Unfall durch technischen Mangel) Stab/NJG 5 Bf 110 G-4 - - -/- - 1 I./NJG 5 Bf 110 G-4 - - -/- (1 Unfall durch technischen Mangel) 1 1 II./NJG 5 Bf 110 G-4 2 1 3/1 Absturz bei Calw nach Luftkampf, 100% 1 1 III./NJG 5 Bf 110 G-4 - - -/- - I./NJG 6 Bf 110 G-4/ Bf 109 G-1 - - -/- (3 Unfälle durch technischen Mangel) II./NJG 6 Bf 110 G-4 - - -/- - I./NJG 7 Ju 88 G-1 - - -/- - I./NJG 101 Ju 88 G-1 1 1 2/1 Absturz bei Nürtingen-Reudern nach Luftkampf 1 III./NJG 101 Bf 110/Do 217 - - -/- - 3 II./NJG 102 Bf 110 F-4/G-6 - - -/- (Schulgeschwader, 1 Unfall durch Höhenkrankheit, 1 weiterer durch Spritmangel, insgesamt 2 Männer und einer verletzt) II./NJGr 10 Bf 110 G-4 - - -/- (Landeunfall in Stade, 1 Verletzter, 60 %) Bilanz: 13 6 8 Flugzeuge (ab 60 %) Verlust 19/8 durch Feind-Beschuss. Unfälle, (ohne Unfälle) auch Zusammenstöße mit dem Gegner, werden nicht gewertet durch RAF anerkannt: 87 gemeldeten Abschüssen der deutschen Nachtjäger-Besatzungen stehen 61 tatsächlich vernichtete schwere viermotorige Bomber des Bomber Command der britischen Royal Air Force gegenüber. 1 1 1 2 5 1 1 59 21 5 2 43 18 Ø Ein weiterer Angriff richtet sich gegen Hamburg. 307 Flugzeuge der 1, 6 und 8 Bomb-Groups führen ihn aus. Es sind 187 Bomber des Typs Handley-Page „Halifax“, 106 Maschinen des Typs Avro „Lancaster“ und 14 Mosquitos. 18 Halifax und 4 Lancaster gehen verloren. 119 weitere Flugzeuge bombardieren die Abschussrampen für die unbemannten „fliegenden Bomben“ des Typs „V1“ im französischen Forêt de Nieppe ohne Verluste. 13 Mosquitos greifen Frankfurt an, fünf Halifax verminen die Elbe, diverse Patrouillenflüge und Übungsflüge finden ebenfalls statt. Keine Verluste hierbei. Leseexemplar Verlustmeldungen der britischen Luftwaffe im Detail: Royal Air Force Bomber Command: Avro „Lancaster“: 43 Handley-Page „Halifax“:18 de Havilland „Mosquito”: keine Das Bomber Command fliegt in dieser Nacht vier Missionen: Der Hauptanflug richtet sich als letzter Angriff einer Serie gegen die süddeutsche Großstadt Stuttgart. Der Angriff wird mit 494 Lancaster-Bombern und zwei Mosquitos der 1, 3, 5 und 8 Bomb-Groups geflogen. 39 Lancaster-Bomber werden abgeschossen. 498 Quelle: Royal Air Force Bomber Command 60th Anniversary - Campaign Diary, December 1944. Quelle: WASt – Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Berlin. Verluste der deutschen Luftwaffe via Recherche Salonen. 11. Sodom und Gomorrha – die Allmacht am Stabsschreibtisch Leseexemplar „Christbäume“. 499 Anhang Tabellarische Aufstellung der Kern-Leistungswerte diver ser Flugzeugtypen des Zweiten Weltkrieges in Europa – nach den Diplom-Ingenieuren Konstantin Iwanow und Wladimir Georgiew, Universität Sofia – mit Vergleich zur Literatur (u.a. William Green und Chris Chant). Es finden sich in der Literatur viele Angaben über die Leistungen von Kampf- und Jagdflugzeugen des Zweiten Weltkrieges. Auffallend ist, wie stark diese Zahlen oft voneinander abweichen. Einige Beispiele seien hier genannt: Höchstgeschwindigkeit der Messerschmitt Bf 109 G-6: : Wikipedia (Deutsch), Stand Juni 2012: „650 km/h in 6.600 m Höhe“, keine Angabe, ob mit oder ohne MW-50-Notleistung. : Wikipedia (Englisch), Stand Juni 2012: „640 km/h (398 mph) at 6,300 m (20,669 ft)“, keine Angabe, ob mit oder ohne MW50-Notleistung. & „Messerschmitt Bf 109 in action“ Part 2/Squadron/Signal Publications 1983/John R. Beaman Jr. ., Seite 33: „386 mph at 22.640 ft with MW 50“ „621 km/h in 6.900 m mit MW 50“ [das heißt: mit Wasser-Methanol-Notleistung, der Autor]. & „Berühmte Flugzeuge der Luftwaffe 1939–1945“, Berichte eines Testpiloten/Motorbuch Verlag, 1. Spezialausgabe 1999/ Eric Brown, Seite 222: „621 km/h in 6.900 m Flughöhe“, hier ist zu diesem Wert nicht von der leistungssteigernden MW50-Notleistung die Rede. & „The complete illustrated encyclopedia of the Spitfire“, Anness Publishing Ltd. 2011/Nigel Cawthorne, Seite 146: “Maximum speed: 640 km/h (398 mph) at 6.300 m (20.669 feet)”. Keine Angabe, ob mit oder ohne MW-50-Notleistung. & „Flugzeuge und Hubschrauber der Luftwaffe 1933-1945“/ Motorbuch-Verlag 2005/Hans-Jürgen Becker und Ralf Swoboda, Seite 381: „Höchstgeschwindigkeit: 630 km/h“ Keine Angabe, in welcher Höhe und, ob mit oder ohne MW-50-Notleistung. & „Die Me 109 – Gesamtentwicklung eines legendären Flugzeuges“/Motorbuch-Verlag 1986/Heinz J. Nowarra, Seite 305: „Höchstgeschwindigkeit km/h 630“. Keine Angabe, in welcher Höhe und, ob mit oder ohne MW-50-Notleistung. 4 Diplom-Ingenieur Konstantin Iwanow, Sofia, rechnerisch ermittelter Wert: 650 km/h in 6.000 m Höhe mit aktivierter MW-50-Notleistung. Höchstgeschwindigkeit der Hawker „Tempest“ Mk. V: : Wikipedia (Deutsch), Stand Juni 2012: „696 km/h in 5.200 m, 630 km/h in Bodennähe“. : Wikipedia (Englisch), Stand Juni 2012: „Maximum speed: 432 mph (695 km/h) Sabre IIA at 18,400 ft (5.608 m), Sabre IIB 435 mph at 19,000 ft (700 km/h at 5.791 m). & „Typhoon/Tempest in action“/Squadron/Signal Publications 1990/Jerry Scutts, Seite 30: „Maximum speed 466 mph” „Höchstgeschwindigkeit 750 km/h”. Keine Höhenangabe. & „Britische Luftwaffe”/Aerospace Publishing Ltd. London 1998 bzw. Tosa-Verlag/Daniel J. March, Seite 162: „Höchstgeschwindigkeit 686 km/h auf 5.640 m“. & „Kampfflugzeuge des II. Weltkrieges“/Gondrom-Verlag 1999/ Chris Chant, Seite 165: „Höchstgeschwindigkeit 700 km/h“. Keine Höhenangabe. & „Die Weltkrieg II-Flugzeuge“/Motorbuch-Verlag 1991/Kenneth Munson, Seite 136: „Höchstgeschwindigkeit 696 km/h in 5.180 m Höhe“. 4 Diplom-Ingenieur Konstantin Iwanow, Sofia, rechnerisch ermittelter Wert: 690 km/h in 5.700 m Höhe. Fazit: die Angaben schwanken zwischen 686 km/h und 750 km/h, die Differenz beträgt 64 km/h. Wollte man nun die Leistungen einer Messerschmitt Bf 109 G-6 mit denen einer Hawker „Tempest“ Mk. V vergleichen, so ergäbe sich somit eine Höchstgeschwindigkeitsdifferenz von minimal 36 km/h (686 km/h – 650 km/h), maximal jedoch stolzen 129 km/h (750 km/h – 621 km/h). Dieses erstaunliche Ergebnis zeigt, wie fast grotesk die Datenlage der Literatur ist. Die Definitionen sind in vielen Fällen unterschiedlich. So wird die Steigrate in m/sek bisweilen als „initial“ benannt, in anderen Fällen gar nicht weiter spezifiziert, oder als Maximalwert mit oder ohne zugehörige Höhe angegeben und in anderen Quellen statt in m/sek als Zeitspanne gekennzeichnet, die das Flugzeug bis zum Erreichen einer bestimmten Höhe benötigt. Diese Referenz-Höhe ist dann oft genug auch noch unterschiedlich. Es ist somit ein fast aussichtsloses Unterfangen, die in unterschiedlichen Publikationen veröffentlichten Leistungswerte einigermaßen zuverlässig miteinander vergleichen zu wollen. Diese Problematik wird zusätzlich deutlich verschärft durch den Umstand, dass die Leistungen eines Flugzeuges ganz erheblich von einer Vielzahl an Bedingungen abhängig sind. Diese Bedingungen sind in aller Regel nicht angegeben, was tendenziösen Manipulationen – bewusst oder unbeabsichtigt – Tür und Tor öffnet. Leseexemplar Fazit: die Angaben schwanken zwischen 621 km/h und 650 km/h, die Differenz beträgt 29 km/h. 784 Anhang Ein Beispiel, welches Iwanow besonders erwähnt, sei exemplarisch hier genannt. Während die Mehrzahl der Veröffentlichungen für die North American P-51 D „Mustang“ eine Höchstgeschwindigkeit um etwa 700 km/h nennt, findet sich in einem durchaus renommierten Werk über die amerikanische Luftwaffe*1 die Angabe: „Leistung: Höchstgeschwindigkeit (leer) 721 km/h; Anfangssteigrate 1.059 m/min; Operationsradius mit maximalem Treibstoff 2.092 km“. Zum einen ist der Zusatz „(leer)“ sehr leicht zu überlesen, zum anderen ist nicht klar, ob sich das auch auf die (offenbar initiale) Steigrate bezieht (umgerechnet 17,65 m/sek). Der Operationsradius wiederum ist absolut nicht „leer“, sondern mit „maximalem Treibstoff“ definiert, was einen unerklärten Bruch in der Systematik darstellt. Zudem bleibt die Frage offen: was heißt das? Mit oder ohne Zusatztanks? Eine realistische Kampfsituation zwischen einer P-51 D „Mustang“ und einem deutschen Jäger über dem ehemaligen Reichsgebiet würde in vielen Fällen bedeuten, dass der Pilot der P-51 D in dieser Luftkampflage nun seine Zusatztanks abwirft, welche sein Jagdflugzeug bisher auf dem Flug zum Ziel mit Treibstoff versorgt hatten. Somit ist der interne Tank oft noch voll, es sei denn, der Luftkampf findet erst auf dem Rückflug statt. Auch die Munition ist zu Beginn des Kampfes auf beiden Seiten noch unverbraucht. Das alles hat Einfluss auf das Gewicht des Flugzeuges – und somit auf seine Leistung. Dipl. Ing. Konstantin Iwanow konnte rechnerisch nachweisen, dass die oben genannten Flugdaten der P-51 D (Höchstgeschwindigkeit und initiale Steigrate) aus deren technischen Kenndaten heraus nur dann plausibel sind, wenn das Flugzeug mit fast leerem Tank und ohne Munition geflogen wird, zudem mit einer 15 % höheren Motorleistung als zulässig. Eine realistische Luftkampfsituation ist das nicht – und somit keine seriöse Grundlage für einen Leistungsvergleich im Kampfeinsatz. Mit einem mittleren Gewicht und normalzulässiger Motorleistung beträgt die Höchstgeschwindigkeit der P-51 D „Mustang“ dagegen von Iwanow hochgerechnet 695 km/h und die initiale Steigleistung 10,00 m/sek – ein frappierend deutlicher Unterschied. Ähnlich verhält es sich mit den propagandistisch eingefärbten sowjetischen Angaben zur Leistung der russischen Jagflugzeuge. Diese weit verbreiteten Zahlen beziehen sich in der Regel auf Versuchsmuster. Iwanow schreibt: „Bei den im Kriege seriengebauten sowjetischen Militärflugzeugen war die Summe der Koeffizienten für Profil und für schädlichen Widerstand um 6-12 %, im Durchschnitt um 9 %, größer als bei den Versuchsmustern dieser Flugzeuge – unter anderem auf Grund von Produktionsfehlern. Deshalb waren die Zahlenwerte der seriengebauten Flugzeuge wesentlich ungünstiger als die der Versuchsmuster. In der Regel sind aber in der Literatur die Zahlenwerte der Versuchsmuster und nicht die der Serienflugzeuge angegeben. In der Literatur wird z.B. fast immer behauptet, dass das Jagdflugzeug La-7 Vm [Höchstgeschwindigkeit – der Autor] = 680 km/h hat, was für ein sorgfältig gebautes Versuchsmuster reell ist. Die seriengebauten La-7 aber hatten im Durchschnitt Vm ≈ 660 km/h.“ weite der Yak-9D mit 1.330 km angegeben [dies ist beispielsweise in einem detaillierten Werk*2 der Fall. Hier wird die maximale Reichweite der Yak-9D mit 1.360 km definiert, bei einer üblichen Reisegeschwindigkeit sinke der Wert auf 905 km. Dies darf aber nicht mit der „echten“ Langstreckenversion Yak-9 DD mit in derselben Quelle genannten 1.320 km Reichweite verwechselt werden. Die Flugweite der Yak-9DD wurde im August 1944 bei einem von Mayor Ovcharenko geleiteten Flug ohne abwerfbare Zusatztanks von Bãlţi (Moldawien) nach Bari (Italien) unter Beweis gestellt, es handelt sich um eine Strecke von 1.145 km reine Luftlinie. Von Bari aus wurden durch die 12 ausgesuchten sowjetischen Jagdflieger in 155 Einsätzen quer über die Adria jugoslawische Partisanen aus der Luft unterstützt – und die in Bari anwesenden alliierten Jägerkollegen in Vergleichsflügen gegen Spitfires Mk. V und VIII, P-51 B, P-38, P-47 D und andere Typen beeindruckt, was sicher nicht unbeabsichtigt war – der Autor]. Die angebliche Reichweite der Yak-9D sei gemäß Iwanow jedoch auf eine Misinterpretation der Begriffe „Reichweite“ und „Eindringtiefe/Aktionsradius/Operationsradius“ zurückzuführen [zur Unterscheidung dieser Begriffe siehe Seite 264 – der Autor]. Bei einer Reichweite von 1.330 km wäre demnach der Aktionsradius einer Yak-9D hin und zurück ohne jegliche Kurven oder Luftkämpfe maximal die Hälfte, also 665 km. Nach einem Bericht des damaligen General Mayors Sawitzkij, Kommandeur des 3. IAK der VVS, sei im Sommer 1944 eine Staffel Yak-9D vom Flugplatz Smorgon (100 km nordwestlich von Minsk) zu einem Einsatz über Insterburg befohlen worden. Die Distanz Smorgon – Insterburg beträgt fast genau 300 km. Iwanow beschreibt, dass gemäß Sawitzkij (im Buch „ein halbes Jahrhundert mit dem Himmel“, russische Fassung, Seite 153) die Yak9D – ohne Luftkampf – mit dem letzten Tropfen Sprit zurückgekehrt seien. Angeblich schreibt Sawitzkij: „Von Smorgon bis Insterburg sind 300 km – bestätige ich. Deshalb Yak-9D. Es hat Aktionsradius 330 km.“ Die Eindringtiefe von 330 km ist fast genau die Hälfte der behaupteten 665 km, anders ausgedrückt ist die Reichweite einer Yak-9D 660 km, nicht – wie weit verbreitet – 1.330 km. Offenbar hat man die dem Flugzeug möglichen 660 km statt als Gesamtflugstrecke hin und zurück fehlinterpretiert als einfache Flugdistanz zum Ziel – und dann irrtümlich verdoppelt, um die „Reichweite“ zu erhalten. Was beeinflusst die Leistungswerte eines Flugzeuges bei gegebenen technischen Kenndaten? Leseexemplar Die Liste der Fehlinformationen ließe sich fortführen. So wird laut Konstantin Iwanow in der Literatur fast generell die Reichweite/Flug- Gewicht, somit Treibstoffmenge und Munitionsmenge sowie gegebenenfalls Bomben- und Raketenzuladung. Flughöhe. Wetterlage, Gegenwind, Rückenwind. Produktionstoleranzen. *1 Quelle & „Amerikanische Luftwaffe“/Aerospace Publishing Ltd. London 1995/David Donald, Seite 209. *2 Quelle & „Soviet Air Force Fighter Colours 1941-1945“/Classic Publications 2003/Eric Pilawskii. 785 Anhang Um die nachstehend mit standardisierten wissenschaftlichen Methoden von Diplom-Ingenieur Iwanow errechneten Daten vergleichbar zu halten, wurde in allen Fällen von gleichen Annahmen ausgegangen: vielen Situationen zu, allerdings behält der Wendekreisradius dann eine entscheidende Bedeutung, wenn ein Verfolger gegenüber dem Verfolgten eine Vorhalteposition herausfliegen muss oder will (vgl. hierzu die Seiten 30 und 138). eine mittlere Masse (mittleres Gewicht), somit ausgehend von einem vollen internen Tank halb verbrauchtes Benzin und halb verschossene Munition, wobei im Falle der Bomber und Erdkampfflugzeuge die volle Bombenzuladung vor Abwurf mit eingerechnet wurde. gegebenenfalls mitgeführte Zusatztanks sind bereits abgeworfen worden. die Flugzeugtriebwerke arbeiten mit größtmöglicher erlaubter Leistung, wobei im Falle von möglichem Zusatzschub (beispielsweise Wasser-Methanol-Einspritzung MW 50 oder N2O-Einspritzung GM-1) diese Notleistung aktiviert wurde. Dies gilt wiederum nur in den Höhen, in welchen diese Leistungsreserve zugelassen ist. Es muss hierbei deutlich darauf hingewiesen werden, dass es in diversen Fällen zu Abweichungen der errechneten Daten gegenüber tatsächlich durchaus seriös in der Luft gemessenen Werten kommen kann. Daher hat der Autor darauf verzichtet, im Textteil des Buches statt den als anerkannt geltenden, in ihrer Entstehung aber intransparenten Mess-Leistungszahlen die wissenschaftlichen Werte Diplom-Ingenieur Iwanows anzugeben, zumal nicht für alle Flugzeugtypen Hochrechnungen Iwanows verfügbar sind. Eine im Textteil des Buches selektive Verwendung der rechnerisch nach Standardbedingungen mit mittlerer Masse ermittelten Werte für die von Iwanow erfassten Flugzeugtypen und andererseits Referenz der übrigen Daten auf „optimale“ Ergebnisse aus der Literatur, ergäbe eine unerwünschte Verzerrung untereinander. Die komplizierten mathematischen Formeln liegen dem Verfasser vor. Einen eingeschränkten Vergleich mit Messerschmitt-Originaldatenblättern*3 erlaubt unten stehende Tabelle zur Messerschmitt Bf 109 G-1 mit Motor DB 605/A. Dem stehen zum Vergleich die errechneten Angaben Iwanows gegenüber, die sich allerdings auf die Messerschmitt Bf 109 G-2, nicht G-1 beziehen, die ferner definitionsgemäß bewaffnet und mit „mittlerer Masse“ (also mittlerem Tankfüllstand) betrachtet wurde. Die Angabe im Messerschmitt-Datenblatt zur (ähnlichen) Bf 109 G-1 lautet: „die angegebenen Leistungen beziehen sich auf Kampf- und Steigleistung, das heißt n = 2.600 U/min; PLade = 1,3 ata. Start- und Notleistung ist für DB 605/A zur Zeit noch nicht freigegeben.“ Die Unterschiede zwischen der Bf 109 G-1 und G-2 betreffen vor allem den Einbau einer Druckkabine in der G-1, die in der G-2 fehlt. Iwanow weist darauf hin, dass die Zeitspanne, die ein Jagdflugzeug für einen Vollkreis benötigt, aussagekräftiger sei als der oft als Kriterium genannte Wendekreis in Metern, da bei einer sehr eng geflogenen Kurve die Geschwindigkeit stark absinkt. Dieser Geschwindigkeitsverlust sei im Luftkampf als Nachteil gravierender als der im Vergleich zum Gegner engere Flugradius. Dies trifft zwar in Dennoch erscheinen derartige, aus unbestechlichen Kenndaten auf rechnerisch identische Art entwickelte Vergleichszahlen erheblich fundierter, als Messwerte, deren Zuverlässigkeit so wohl von der Eichgenauigkeit der Messeinrichtung als auch von keinesfalls standardisierten Bedingungen und möglicherweise sogar der tendenziösen Intention der Messinstitution abhängig ist. Ein einleuchtender Vergleich möge dies erläutern: wenn auf einer Schnellstraße zwei Autos mit der gleichen Geschwindigkeit hintereinander her fahren, so heißt das beileibe nicht, dass beide Tachometer den selben Wert anzeigen. Nun machen bei 100 km/h Abweichungen von 3 % „nur“ 3 km/h aus. Bei 700 km/h sind es bereits 21 km/h ... Zum Vergleich der Leistungsfähigkeit der genannten Flugzeugtypen sind die folgenden Angaben daher äußerst wertvoll. Die Zahlenwerte für die Höchstgeschwindigkeit im Textteil des Buches können im Falle von Bombern, Schlachtflugzeugen und Jagdbombern von den nachstehenden Listen abweichen, da in den im Text genannten Leistungswerten in der Regel die üblicherweise veröffentlichte Höchstgeschwindigkeit des Flugzeuges als solches, also ohne Bombenlast genannt ist, während die Beladung in den Tabellen Iwanows miteingerechnet wurde (siehe oben). Diejenige Traglast, für welche Leseexemplar *3 Quelle & „Messerschmitt Me 109“, Aviatic Verlag 1998/Willi Radinger und Wolfgang Otto, Seite 24. Messerschmitt Bf 109 G-1 (Werte nach Messerschmitt-Originalauszug) Werte bei einer Flughöhe (m): 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 Höchstgeschwindigkeit (km/h) 525 544 563 583 602 622 642 649 648 643 10.000 11.000 12.000 630 609 555 Steiggeschwindigkeit (m/sek) 21,0 21,0 21,0 19,8 18,6 17,4 15,8 13,3 10,9 8,3 6,0 3,5 1,0 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 Messerschmitt Bf 109 G-2 (errechnete Werte nach Diplom-Ingenieur Iwanow) Werte bei einer Flughöhe (m): 786 0 1.000 2.000 3.000 4.000 10.000 11.000 12.000 Höchstgeschwindigkeit (km/h) 546 564 586 599 617 637 659 650 636 615 586 528 – Steiggeschwindigkeit (m/sek) 18,1 18,1 18,1 17,3 16,8 16,3 16,0 12,8 9,65 6,7 3,96 1,17 – Anhang die gelisteten Werte gelten, ist in den folgenden Tabellen exakt angegeben. Für Jagdflugzeuge gilt dies in eingeschränktem Maß ebenfalls, da die anerkannten Zahlen eben nicht – wie dargelegt – aus standardisierten, sondern zumeist aus - wie auch immer gearteten - optimalen Bedingungen heraus ermittelt/gemessen wurden. Oft stammen die Angaben vom Hersteller – mit Verkaufsinteresse ... Um eine bestmögliche Vergleichbarkeit zu gewährleisten, werden im Textteil des Buches überwiegend die Daten der Autoren William Green oder Chris Chant verwendet, welche die meisten Flugzeugtypen des Zweiten Weltkrieges einschließlich ihrer messtechnischen Kenndaten beschrieben haben, sodass die Angaben (soweit möglich) aus einheitlichen Quellen stammen. Diese Daten sind zum Vergleich mit Iwanows Erkenntnissen ebenfalls in die nachstehenden Tabellen eingearbeitet. Im Fall der sowjetischen Jagdflugzeuge wird auf die detaillierte Quelle „Soviet Air Force Fighter Colours 1941-1945“ (Classic Publications) von Erik Pilawskii zurückgegriffen. Bei (seltenen) deutlichen Abweichungen zu Iwanows Daten, in besonderen Fällen oder bei Nichtvorliegen von Angaben in Greens Buchserie zur betreffenden Variante des Flugzeugtyps werden – falls sinnvoll und möglich – noch weitere Autoren oder nötigenfalls auch Wikipediaseiten herangezogen. Auffällige Differenzen sind mit [?] gekennzeichnet. Hinweis zur Steigrate: die höhenbezogenen Werte Iwanows definieren die Steigrate des Jagdflugzeugs in einer bestimmten Höhe im Dauersteigflug (dieser Wert ist allerdings in der Praxis stark von der Neigung des Flugzeugs abhängig). Dagegen kennzeichnet die „initial climb rate“ den ersten Wert ab dem Übergang vom Horizontalflug in den Steigflug unabhängig davon, dass diese Steigleistung schon nach kürzester Zeit stark abfallen kann! Die initiale Steigrate ist daher nur bedingt vergleichbar mit der höhenbezogenen! & Aircraft N° 155 „Il-2 Stormovik in action“/Squadron/Signal Publications 1995/Hans-Heiri Stapfer. & Aircraft N° 181 „Petlyakov Pe-2 in action“/Squadron/Signal Publications 2002/Hans-Heiri Stapfer. & Aircraft N° 184 „Heinkel He 111 in action“/Squadron/Signal Publications 2002/George Punka. & „Amerikanische Luftwaffe“/Aerospace Publishing Ltd. London 1995/David Donald. & „Berühmte Flugzeuge der Luftwaffe 1939–1945“ Berichte eines Testpiloten/Motorbuch Verlag 1. Spezialausgabe 1999/Eric Brown. & „Britische Luftwaffe“/Aerospace Publishing Ltd. London 1998/Daniel J. March. & „Deutsche Luftwaffe“/Aerospace Publishing Ltd. London 1994/David Donald. & „Famous Bombers of the Second World War” Second Edition revised/Macdonald & Co Ltd. London 1976/William Green. & „Flugzeuge und Hubschrauber der Luftwaffe 1933-1945”/ Motorbuch-Verlag 2005/Hans-Jürgen Becker und Ralf Swoboda. & „Focke-Wulf Fw 190 Volume one 1938-1943“/Ian Allan Publishing 2011/J. Richard Smith und Eddie J. Creek. & „Kampfflugzeuge des II. Weltkrieges“/Gondrom Verlag 1999/Chris Chant. & „Soviet Air Force Fighter Colors 1941-1945”/Classic Publications 2003/Erik Pilawskii. & „The complete illustrated Encyclopedia of the Spitfire“/ Anness Publishing Ltd. 2011/Nigel Cawthorne. & „War planes of the Third Reich”/Galahad Books New York 1970/William Green. & „War planes of the Second World War” Vol.1-4 und 8-10/ Macdonald & Co Ltd. London 1960-1968/William Green. Verwendete Quellen: 4Diplom-Ingenieure Konstantin Iwanow und Wladimir Georgiew, Universität Sofia. Iwanow hat Maschinenbau studiert. Er hat jahrelang sämtliche Vorlesungen und Übungen für Verbrennungsmotoren und Thermodynamik an der Universität gehalten und ist Autor diverser Publikationen mit neuen Formeln und Berechnungsmethoden. Gleichzeitig war er leitender Konstrukteur von etwa 35 neuartigen Maschinen einschließlich der größten, bis dahin in Bulgarien gebauten. Er widmete sich über zehn Jahre zusammen mit einem seiner Studenten, Wladimir Georgiew, der intensiven Recherche und anschließenden Berechnung nachstehender Daten. & Aircraft N° 57 „Messerschmitt Bf 109 in action“ Part 2/ Squadron/Signal Publications 1983/John R. Beaman Jr. . & Aircraft N° 73 „Ju 87 Stuka in action“/Squadron/Signal Publications 1986/Brian Filley. & Aircraft N° 85 und 113 „ Junkers Ju 88 in action“ Part 1 and 2/Squadron/Signal Publications 1988 und 1991/Brian Filley. & Aircraft N° 139 „Mosquito in action“ Part 2/Squadron/Signal Publications 1993/Jerry Scutts. Die Hersteller sind alphabetisch angegeben, innerhalb eines Flugzeugtyps wurde allerdings auf eine grobe zeitliche Zuordnung geachtet. Beispielsweise gehört eine Focke-Wulf Fw 190 G-3 inhaltlich zur Focke-Wulf Fw 190 A-5, aus der sie entwickelt wurde, auch wenn streng alphabetisch beispielsweise die Variante A-8 oder D-9 vor der G-3 gelistet werden müsste. Höhenwerte sind im Falle englischer und amerikanischer Flugzeuge exakt umgerechnet - z.B. 20.000 ft (6.096 m) – da davon auszugehen ist, dass der Messung tatsächlich die Zahl in feet zugrunde lag, während bei den kontinentalen Streitkräften die Messung aller Logik nach auf runden Meterzahlen basiert. Die Angaben sind in diesen Fällen bei englischsprachigen Quellen somit vermutlich auf „glatte Zahlen“ im englischen Mess-System gerundet worden und werden folgerichtig zurückgerundet: z.B. 20.000 ft (6.100 m), 1.102 lb/500 kg (statt 1.102 lb/499,86 kg). Leseexemplar In den Tabellen kennzeichnet eine gelbe Linie Jagdflugzeuge, eine grüne Linie Jagdbomber oder Schlachtflugzeuge, eine blaue Linie Nachtjäger und eine rot-braune Linie Bomber. 787 Anhang Jagdflugzeuge und Jagdbomber Amerikanische Jagdflugzeuge/Jagdbomber: Flugzeugtyp: Bell P-39 D „Airacobra“ (verbreitet in der sowjetischen VVS im Einsatz) Höchstgeschwindigkeit: 590 km/h in 4.200 m | maximal zulässige Sturzgeschwindigkeit 750 km/h | Gipfelhöhe: 9.620 m Werte bei einer Flughöhe (m): (0) 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 Höchstgeschwindigkeit (km/h): 474 500 527 554 585 583 571 552 528 485 10.000 11.000 12.000 – – – Steiggeschwindigkeit (m/sek): 10,2 10,8 11,5 12,1 12,9 10,9 8,34 5,87 3,57 1,32 – – – Zeit für einen Vollkreis (sek): 27,6 28,7 30,0 31,6 33,2 39,0 48,4 63,0 88,6 153 – – – Vergleich zur Literatur: Höchstgeschwindigkeit nach William Green: 360 mph at 15.000 ft (579 km/h in 4.572 m) Steigrate nach William Green: initial climb rate: nicht angegeben (k. A.), Zeit bis zum Erreichen von 20.000 ft (6.096 m): 9,1 min Flugzeugtyp: Bell P-39 Q „Airacobra“ (verbreitet in der sowjetischen VVS im Einsatz) Höchstgeschwindigkeit: 612 km/h in 4.200 m | maximal zulässige Sturzgeschwindigkeit 750 km/h | Gipfelhöhe: 9.970 m Werte bei einer Flughöhe (m): (0) 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 Höchstgeschwindigkeit (km/h): 492 517 542 575 607 605 594 577 556 523 10.000 11.000 12.000 – – – Steiggeschwindigkeit (m/sek): 11,5 12,2 12,9 13,6 14,4 12,4 9,6 7,03 4,57 2,24 – – – Zeit für einen Vollkreis (sek): 26,5 27,8 29,1 30,6 32,1 37,1 45,6 58,2 79,9 124 – – – Vergleich zur Literatur: Höchstgeschwindigkeit nach William Green: 376 mph at 15.000 ft (605 km/h in 4.572 m) Steigrate nach William Green: initial climb rate: nicht angegeben (k. A.), Zeit bis zum Erreichen von 20.000 ft (6.096 m): 8,5 min Flugzeugtyp: Bell P-63 A „Kingcobra“ (primär in der sowjetischen VVS im Einsatz) Höchstgeschwindigkeit: 658 km/h in 7.500 m | maximal zulässige Sturzgeschwindigkeit 775 km/h | Gipfelhöhe: 11.600 m Werte bei einer Flughöhe (m): (0) 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 Höchstgeschwindigkeit (km/h): 499 517 537 555 576 597 622 646 653 634 609 561 – Steiggeschwindigkeit (m/sek): 12,0 11,9 11,9 11,8 11,7 11,6 11,4 11,3 9,81 7,04 4,43 1,81 – Zeit für einen Vollkreis (sek): 24,9 26,6 28,7 31,0 33,6 36,4 39,8 43,5 50,9 65,6 92,0 160 – 10.000 11.000 12.000 Vergleich zur Literatur: Höchstgeschwindigkeit nach William Green: 410 mph at 25.000 ft (660 km/h in 7.620 m) Steigrate nach William Green: initial climb rate: nicht angegeben (k. A.), Zeit bis zum Erreichen von 25.000 ft (7.620 m): 7,3 min Flugzeugtyp: Curtiss P-36 D „Hawk“ (die französische Armée de l’Air erhielt P-36 A bis C als H-75-A-1 bis A-4 ) Höchstgeschwindigkeit: 520 km/h in 5.200 m | maximal zulässige Sturzgeschwindigkeit 775 km/h | Gipfelhöhe: 11.700 m Werte bei einer Flughöhe (m): (0) 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 10.000 11.000 12.000 Höchstgeschwindigkeit (km/h): 429 444 461 478 497 517 514 510 500 486 460 428 – Steiggeschwindigkeit (m/sek): 18,5 18,6 18,7 18,7 18,8 18,8 16,1 13,0 10,3 7,61 4,58 2,09 – Zeit für einen Vollkreis (sek): 15,9 16,9 18,1 19,4 20,8 22,4 25,6 30,0 35,9 44,8 63,6 104 – Leseexemplar Vergleich zur Literatur: Höchstgeschwindigkeit: Green, bei P-36 G: 323 mph at 15.000 ft (520 km/h in 4.572 m), bei P-36 C: 311 mph at 10.000 ft (500 km/h in 3.048 m) Steigrate nach William Green: initial climb rate: nicht angegeben, Zeit bis zum Erreichen von 15.000 ft (4.572 m): P-36 G und P-36 C: 4,9 min 788 Das Standardwerk jetzt auch erhältlich als Ebook und Tablet-Ausgabe Als Ebook für nur 29,95 Euro Dr. Manuel Wolf Luftkrieg über Europa – Die Angst im Nacken 832 Seiten mit farbigen Bildern und Illustrationen Gebunden mit UV-Lack Veredelung EUR-D 69,95 | EUR-A 69,95 | sFr. 89,95 ISBN: 978-3-000-39810-0 Als Magazin-Ausgabe mit vielen interaktiven Extras für Apple und Android Geräte im App Store. 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Er hat n und si n e e t b l Manuel W e a 810-0 i h r r t e 3-00-039 en ISBN 978dium be atarchiv v i r raturstu P n e rlassen gen Flug zu hinte s, farbi cht. o s t u o a n F t i e e 0 g k 0 s 7 u mt Europa a mehr als rien kom erk mit en Szena w u r e e r t t s e i g e l m M nd detai vorbei. -v e rl a g .d e An diese Karten u w.d r- w o lf er Leser w , t n w r e e l i fi s o s r e zeugp h inter istorisc militärh