Machbarkeitsstudie am Beispiel Wetteraukreis

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Machbarkeitsstudie am Beispiel Wetteraukreis
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt am Beispiel des Gastgewerbes
im Wetteraukreis
Stefan Kuse
Kathrin Ramsauer
unter Mitarbeit von Heiko Müller und
Simon Schiefer
Report Nr. 870
Wiesbaden 2014
Eine Veröffentlichung der
HA Hessen Agentur GmbH
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Dr. Rainer Waldschmidt
Tarek Al-Wazir,
Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung
Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit Quellenangabe gestattet.
Belegexemplar erbeten.
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt am Beispiel des Gastgewerbes
im Wetteraukreis
Inhalt
Seite
1
Einleitung
1
2
Grundlagen und Konzeption der Untersuchung
4
3
Kurzprofil des Wetteraukreises
6
3.1
Raumstruktur und demografische Entwicklung
6
3.2
Situation auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Ausbildungsmarkt
9
3.3
Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen zur Teilhabe am
Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
4
5
Menschen mit Behinderungen im Wetteraukreis
25
4.1
Strukturelle Merkmale
26
4.2
Situation auf dem Arbeitsmarkt und dem Ausbildungsmarkt
34
Beschäftigungspotenziale für Menschen mit Behinderungen im Hotel- und
Gaststätten-Bereich im Wetteraukreis
42
5.1
Arbeitgeber, Stellenangebot und -nachfrage
42
5.2
5.2.1
5.2.2
5.2.3
Spezifische Chancen und Hemmnisse für die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt
Barrierefreiheit
Bewusstsein, Wissen, Interesse und Bereitschaft
Unterstützungsbedarfe bezüglich der Vermittlung in den allgemeinen
Arbeitsmarkt
48
48
50
Eignung der Tätigkeitsfelder des Gastgewerbes
54
5.3
6
7
14
52
Schlussfolgerungen zum geplanten Modellprojekt im Wetteraukreis
57
6.1
„Café Inklusiv“
57
6.2
Netzwerkstelle
59
Zusammenfassung und Fazit
62
Verzeichnis der Expertinnen und Experten
70
Leitfäden der Interviews
71
Literaturverzeichnis
75
Tabellenverzeichnis
78
Abbildungsverzeichnis
79
I
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
1
Einleitung
Spätestens seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland im Jahr 2009 ist das Thema Inklusion von Menschen mit Behinderungen auch
in Hessen verstärkt in den Vordergrund gerückt. Die UN-Konvention gilt als Startschuss für eine Vielzahl von Maßnahmen, die Menschen mit Behinderungen eine
verstärkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen sollen bzw. letztlich
dafür Sorge tragen sollen, dass „Menschen mit und ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam in allen Lebensbereichen selbstbestimmt leben und zusammenleben“.1 Gemäß der UN-Konvention zählen dabei alle Personen zu den Menschen
mit Behinderungen, „die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren
an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können“.2
Die Hessische Landesregierung hat einen differenzierten Aktionsplan entwickelt, der
die „Leitlinie und die Orientierung der hessischen Politik von und für Menschen mit
Behinderungen für die nächsten Jahre sein [soll]“3 und der die Ziele und konkreten
Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Hessen benennt.4 Ein Baustein ist u. a. die Durchführung von Projekten in hessischen Modellregionen, in denen jeweils – orientiert an den Schwerpunkten des Aktionsplanes –
konkrete Maßnahmen zum Abbau noch bestehender Barrieren erprobt und ergriffen
werden.5 Zur Koordination und Umsetzung der Maßnahmen im Bereich der Inklusion wurde eine Stabsstelle implementiert.6
Ein maßgeblicher Aspekt der Inklusion bzw. ein Handlungsfeld hinsichtlich der Umsetzung der UN-Konvention gemäß Hessischem Aktionsplan ist der Zugang der
Menschen mit Behinderungen zum Arbeitsmarkt bzw. zur regulären Beschäftigung.
Menschen mit Behinderungen sollen möglichst dauerhaft in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden, auf dem sie Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse
ohne Zuschüsse oder sonstige Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ausüben. Von Fortschritten im Bereich der beruflichen Ausbildung und Beschäftigung
1
2
3
4
5
6
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013), S. 1.
Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (2010), S. 12.
Hessisches Sozialministerium (2012a), S. 5.
Vgl. zum Aktionsplan des Landes Hessen Hessisches Sozialministerium (2012a). Es wird dafür geworben, dass auch bei
Kommunen Aktionspläne erstellt und Anlaufstellen zur Vernetzung (so genannte „Focal Points“) eingerichtet werden. Vgl.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013a), S. 12ff.
Die sechs Modellregionen sind die Landkreise Werra-Meißner-Kreis, Groß-Gerau, Gießen, Lahn-Dill und die Städte
Wiesbaden und Hochheim. Vgl. ebenda (Zugriff: 28. November 2013).
Vgl. www.brk.hessen.de (Zugriff: 26. September 2013). Initiiert wurde die Stabsstelle zu Beginn des Jahres 2011.
1
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
von Menschen mit Behinderungen wird nicht nur eine Förderung der Chancengleichheit unter sozialen Gesichtspunkten erhofft. Die Fachkräftekommission Hessen erwartet zugleich u. a. einen Beitrag zur Deckung des bestehenden und erwarteten Fachkräftebedarfs infolge der demografischen Entwicklung.7
Die vorliegende Studie dient dazu, am Beispiel des Wetteraukreises und des Hotelund Gaststättengewerbes Beschäftigungspotenziale für Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzuzeigen. Zudem soll die Studie einen
Beitrag dazu leisten, die Informations- und Planungsgrundlage für etwaige politische
Aktivitäten zu verbessern. Im Wetteraukreis wird aktuell ein Modellprojekt geplant,
das darauf abzielt, Menschen mit Behinderungen hinsichtlich der Beschäftigung auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu unterstützen. Teil des Projekts sind eine Verkaufsstelle für Backwaren mit angeschlossenem Café und eine Netzwerkstelle. In
der Verkaufsstelle bzw. dem Café (im Folgenden „Café Inklusiv“) sollen Menschen
mit Behinderungen beschäftigt und insbesondere für Helfertätigkeiten (wieder) angelernt werden, um sie auf eine Beschäftigung im allgemeinen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Die Netzwerkstelle zielt darauf ab, Kooperationen mit Betrieben u. a. aus
dem Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes aufzubauen, um diese für Qualifizierungsmaßnahmen zu gewinnen und um die im Café qualifizierten und andere
Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln.8 Die
Mitarbeiter der Netzwerkstelle sollen zudem durch die Begleitung und ein Jobcoaching der kooperierenden Betriebe dafür Sorge tragen, dass die Integration reibungslos erfolgt und etwaige Ängste gegenüber der Beschäftigung von Menschen
mit Behinderungen nachhaltig abgebaut werden.9 Gegenstand der vorliegenden
Studie ist in dem Zusammenhang auch eine Betrachtung der Rahmenbedingungen
für ein derartiges Modellprojekt.
Kapitel 2 zeigt wesentliche studienleitende Fragestellungen sowie die methodische
Vorgehensweise der Untersuchung zur Beantwortung der Fragen auf. Anschließend
wird in Kapitel 3 ein Kurzprofil des Wetteraukreises z. B. hinsichtlich der Wirt-
7
8
9
2
Vgl. Fachkräftekommission (2012), S. 31ff.
Die Begriffe „Betrieb“ und „Unternehmen“ werden in der vorliegenden Studie trotz inhaltlicher Unterschiede synonym
verwendet.
Geplant wird das Modellprojekt vom 2011 gegründeten gemeinnützigen Verein „your place“, der mit einer Geschäftsstelle
in Ortenberg aktuell vorrangig in der Östlichen Wetterau aktiv ist und Menschen mit Behinderungen in den Bereichen Bildung, Arbeit, Wohnen und Freizeit unterstützt. Zu den Tätigkeiten des Vereins zählen u. a. die Beratung von Eltern, Angehörigen und Betroffenen sowie die Information und Netzwerkbildung der lokalen Wirtschaft und kommunalen Einrichtungen. Kooperationen bestehen z. B. zum Projekt „Familienstadt mit Zukunft“ in Büdingen, das seit 2007 auch Projekte
zur gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen fördert und in dessen Rahmen ein Café namens „La
Porta“ von Menschen mit und ohne Behinderung betrieben wird. Vgl. www.yourplace-wetterau.de (Zugriff: 15. Oktober
2013) und www.familienstadt-buedingen.de (Zugriff: 28. November 2013).
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
schaftsstruktur, der Arbeitsmarktlage und der demografischen Entwicklung im hessischen Vergleich dargestellt. Zudem gibt das Kapitel einen Überblick über die Institutionen bzw. das regionale Beratungs- und Unterstützungsangebot für Menschen
mit Behinderungen in Bezug auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt. Gegenstand von
Kapitel 4 ist eine Definition und Quantifizierung der Menschen mit Behinderungen im
Wetteraukreis sowie die Darstellung ihrer derzeitigen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsituation. Kapitel 5 behandelt die Beschäftigungspotenziale der Menschen mit
Behinderungen am Beispiel des Hotel- und Gaststättengewerbes im Wetteraukreis.
Dargestellt werden z. B. Anzahl und strukturelle Merkmale potenzieller Arbeitgeber,
Stellenangebot und -nachfrage, das aktuelle Wissen über die Fähigkeiten und Potenziale von Menschen mit Behinderungen sowie Hemmnisse hinsichtlich einer
(verstärkten) Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Auch der Frage
nach der Eignung der Tätigkeitsfelder des Gastgewerbes für Menschen mit Behinderungen wird nachgegangen. Kapitel 6 fasst die für das Modellprojekt spezifischen
Ergebnisse zusammen, Kapitel 7 die Ergebnisse der Gesamtstudie.
3
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
2
Grundlagen und Konzeption der Untersuchung
In der vorliegenden Studie werden am Beispiel des Wetteraukreises Beschäftigungspotenziale für Menschen mit Behinderungen im Gastgewerbe betrachtet. Auf
die Beschäftigungspotenziale haben Faktoren wie die beruflichen Qualifikationen,
die Anzahl potenzieller Arbeitgeber sowie deren Stellenangebot einen Einfluss. Zudem sind statistisch meist nicht erfasste quantitative und qualitative Faktoren wie
beispielsweise ein regionales und branchenspezifisches Bewusstsein für die Menschen mit Behinderungen oder das Wissen der Betriebe über deren arbeitsmarktbezogene Fähigkeiten von Bedeutung. Neben der Auswertung der verfügbaren amtlichen Statistiken stützt sich die vorliegende Studie daher auf leitfadengestützte Interviews. Die Interviews wurden geführt mit dem Berufsbildungswerk Südhessen, dem
Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e. V., Kammervertretern, dem Hotel- und
Gaststättenverband DEHOGA Hessen e. V., dem Landeswohlfahrtsverband Hessen, der Bundesagentur für Arbeit im Agenturbezirk Gießen – dieser umfasst den
Wetteraukreis –, dem Bürgermeister der Stadt Friedberg und dem Verein your place
e. V. Hinzu kamen Gespräche mit vier Betrieben aus der Branche des Hotel- und
Gaststättengewerbes, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände e. V. stellte schriftliche Informationen
zur Verfügung. Ein Verzeichnis der Experten befindet sich im Anhang. Die Auswahl
der Gesprächspartner erfolgte in Abstimmung mit dem Auftraggeber.10
Die Expertengespräche behandelten vor allem folgende übergeordnete Kernfragen:

Welche Chancen und Hemmnisse gibt es für eine verstärkte Beschäftigung von
Menschen mit Behinderungen im Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes?

Wie stark ist das Wissen über die Fähigkeiten und Potenziale von Menschen
mit Behinderungen ausgeprägt?

Sind die Tätigkeitsfelder in der Branche besonders gut oder schlecht für die
Kompetenzen von Menschen mit Behinderungen geeignet?

Welcher Unterstützungsangebote bedarf es (eventuell), damit Unternehmen
verstärkt Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigung anbieten?
10 Im Folgenden wird grundsätzlich die männliche Form etwa bei Berufsbezeichnungen verwendet, um das Lesen des
Textes zu erleichtern – es sind beide Geschlechter gemeint.
4
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Den Interviews lag jeweils ein Leitfaden zugrunde, der je nach Interviewpartner bzw.
bekleideter Funktion und damit nach Perspektive des Gesprächspartners (Kammer/Verband, Unternehmen, Bildungseinrichtung) unterschiedliche Schwerpunkte
setzte und die verschiedenen forschungsleitenden Fragen beleuchtete (vgl. Anhang). Die konkreten Fragestellungen unterschieden sich aufgrund der Heterogenität der Interviewpartner, auch weil auf Basis der Aussagen bereits interviewter Experten die vorhandenen Fragestellungen weiterentwickelt wurden. Den Experten
sicherte die Hessen Agentur Vertraulichkeit der erhaltenen Informationen dahingehend zu, dass die Auswertungen der Gespräche keinen Rückschluss auf einen bestimmten Experten zulassen. Angesichts der geringen Anzahl der Experten, die sich
zu einem bestimmten Themenschwerpunkt äußern konnten, schränkt dies die Möglichkeiten der Auswertung von Fragen ein. Aus den genannten Gründen können die
Aussagen der Experten zu einer bestimmten Frage nicht nach Einzelpersonen differenziert dargestellt werden. Somit ist auch eine direkte Gegenüberstellung der Ansichten der Experten meist nicht möglich. Angesichts der begrenzten Anzahl an Expertengesprächen waren zudem a priori keine repräsentativen Ergebnisse etwa für
die Gruppe der Unternehmen, der politischen oder im Bereich der Arbeitsvermittlung
tätigen Akteure ermittelbar. Für die Zielsetzung des Projekts erscheinen die genannten Einschränkungen jedoch nicht bedeutsam. Die Gespräche wurden dazu genutzt,
einen Überblick über die wesentlichen regionalen und branchenspezifischen Aspekte sowie über mögliche Stellschrauben zu gewinnen, Argumente aufzunehmen und
zu hinterfragen sowie darauf aufbauend ein konsistentes Gesamtbild abzuleiten.
Die Erkenntnisse aus den Expertengesprächen fließen nachfolgend zunächst ergänzend in die Darstellungen ein. Im Vordergrund stehen die Informationen in Kapitel 5, das allgemeine und spezifische Chancen und Hemmnisse für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im
Gastgewerbe des Wetteraukreises aufzeigt. Auch Kapitel 6, das zusammenfassend
die Schlussfolgerungen zum geplanten Modellprojekt zieht, basiert vor allem auf den
Ergebnissen der Expertengespräche.
5
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
3
Kurzprofil des Wetteraukreises
3.1
Raumstruktur und demografische Entwicklung
Der Wetteraukreis liegt im geografischen Zentrum Hessens in unmittelbarer Nähe
des Ballungsgebiets Rhein-Main und stellt für Hessen eine wichtige Verkehrsverbindung von Nord nach Süd dar (vgl. Abbildung 1). Durch das Kreisgebiet führen die
Autobahnen A5 (Frankfurt-Kassel) und A45 (Dortmund-Aschaffenburg). Wichtigster
Bahnknotenpunkt ist die Kreisstadt Friedberg. Die Zahl der Auspendler aus dem
Wetteraukreis (57.600 Personen) liegt etwa doppelt so hoch wie die der Einpendler
(27.400 Personen). Allerdings ist das Pendelverhalten innerhalb der Wetterau sehr
unterschiedlich ausgeprägt. In Friedberg beispielsweise übersteigt die Zahl der Einpendler die der Auspendler um das 1,3-fache.11
Abbildung 1 Gemeinden und Städte des Wetteraukreises
Kartengrundlage: GfK Geomarketing. Darstellung der Hessen Agentur.
11 Datengrundlage für die Auswertungen zur Raumstruktur und zur demografischen Entwicklung ist vor allem das Gemeindedatenblatt der Hessen Agentur, das verschiedene Statistiken (z. B. des Hessischen Statistischen Landesamts und der
Bundesagentur für Arbeit) heranzieht und in das auch von der Hessen Agentur erstellte Prognosen zur regionalen Bevölkerungsentwicklung einfließen.
6
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Der Kreis zeichnet sich durch eine hohe landwirtschaftliche Nutzung aus. Der Anteil
der Landwirtschaftsfläche an der Gesamtfläche beträgt 53 % und übertrifft den des
Regierungsbezirks Darmstadt 38 % und den Hessens insgesamt (42 %) deutlich.
Die Bevölkerungsdichte liegt bei geringen 267 Einwohnern/m2 (RB Darmstadt: 509
Einwohner/qm, Hessen: 285 Einwohner/qm).
Im Westen des Kreisgebiets befinden sich Mineral- und Thermalquellen. Trotzdem
ist die Wetterau insgesamt – gemessen an der Zahl der Übernachtungen je 1.000
Einwohner – keine vom Tourismus geprägte Region: Im Jahr 2012 wurden hier
3.871 Übernachtungen gezählt, im Regierungsbezirk Darmstadt 4.843 und in Hessen insgesamt 4.980 Übernachtungen je 1.000 Einwohner.
Die Bevölkerungszahl des Wetteraukreises liegt nach Ergebnissen des Zensus
2011 bei ca. 294.000 Personen. Damit leben rund 5 % der Einwohner Hessens im
Wetteraukreis. Im langjährigen Vergleich haben sich die Bevölkerungszahlen positiv
entwickelt, was auch auf Zuwanderungen aus dem Ballungsraum Rhein-MainGebiet zurückzuführen ist.
Abbildung 2 Bevölkerungsentwicklung von 2000 bis 2012 im Regionalvergleich
(Jahr 2000=100)
104
102
100
98
96
2000
2001
2002
2003
Wetteraukreis
2004
2005
2006
2007
RB Darmstadt
2008
2009
2010
2011
2012
Hessen
Quelle: Gemeindedatenblatt der Hessen Agentur. Die gestrichelten Linien verdeutlichen die Korrektur des Niveaus der
Bevölkerungsanzahl durch den Zensus 2011.
Gemessen an der Zahl der Einwohner sind Bad Vilbel, Bad Nauheim und (mit leichtem Abstand) die Kreisstadt Friedberg die größten Städte des Wetteraukreises:
7
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Tabelle 1
Städte und Gemeinden im Wetteraukreis nach Einwohnerzahlen
Stadt / Gemeinde
Einwohner zum 31.12.2012
absolut
in %
Stadt / Gemeinde
Einwohner zum 31.12.2012
absolut
in %
1.
Bad Vilbel
31.700
10,8
16.
Wöllstadt
6.100
2,1
2.
Bad Nauheim
30.300
10,3
17.
Ober-Mörlen
5.700
1,9
3.
Friedberg
27.400
9,4
18.
Echzell
5.600
1,9
4.
Butzbach
23.900
8,2
19.
Münzenberg
5.600
1,9
5.
Karben
21.300
7,3
20.
Limeshain
5.200
1,8
6.
Büdingen
20.900
7,1
21.
Ranstadt
4.900
1,7
7.
Nidda
16.800
5,7
22.
Rockenberg
4.200
1,4
8.
Rosbach v. d. Höhe
11.900
4,1
23.
Glauburg
3.100
1,1
9.
Altenstadt
11.800
4,0
24.
Hirzenhain
2.900
1,0
10.
Wölfersheim
9.700
3,3
25.
Kefenrod
2.800
1,0
11.
Niddatal
9.300
3,2
12.
Ortenberg
8.900
3,0
13.
Florstadt
8.800
3,0
14.
Gedern
7.500
2,6
15.
Reichelsheim
6.700
2,3
Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, Gemeindedatenblatt der Hessen Agentur.
Das Durchschnittsalter der Einwohner im Wetteraukreis liegt aktuell bei 44 Jahren
(Hessen insgesamt: 43 Jahre). Bis 2030 prognostiziert die Hessen Agentur weitgehend stabile bzw. sogar leicht ansteigende Bevölkerungszahlen, so dass sich der
Wetteraukreis diesbezüglich besser als der hessische Durchschnitt entwickelt.
Abbildung 3 Bevölkerungsentwicklung von 2012 bis 2030 im Regionalvergleich
(Jahresendstand im Jahr 2012=100)
104
102
100
98
96
2012
2015
Wetteraukreis
Quelle: Gemeindedatenblatt der Hessen Agentur.
8
2020
2025
RB Darmstadt
2030
Hessen
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Dabei ist allerdings die Alterung der Bevölkerung zu berücksichtigen. Sind aktuell
rund 20 % der Bevölkerung im Wetteraukreis älter als 64 Jahre, werden es 2030
gemäß der Prognose der Hessen Agentur rund 28 % sein. Auch im Wetteraukreis
steigt daher infolge der demografischen Entwicklung die Bedeutung der Fachkräftesicherung.
3.2
Situation auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Ausbildungsmarkt
Arbeitsmarkt
Die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt in Bezug auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eine in absoluten Zahlen hohe Bedeutung
des Bereichs „Handel, Gastgewerbe und Verkehr” im Wetteraukreis auf. Etwa jeder
vierte Beschäftigte ist im Jahr 2012 in diesem Bereich tätig:
Tabelle 2
Verteilung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Wirtschaftszweigen
im Regionalvergleich im Jahr 2012
Wirtschaftszweig
Wetteraukreis
absolut
RB Darmstadt
Hessen
in %
absolut
in %
absolut
in %
Produzierendes Gewerbe
20.281
27,1
316.874
20,9
574.748
25,3
Handel, Gastgewerbe und
Verkehr
19.169
25,6
387.763
25,6
554.949
24,4
Unternehmensdienstleistungen
14.226
19,0
469.465
30,9
576.519
25,4
Öffentliche und private
Dienstleistungen
20.192
27,0
338.456
22,3
557.038
24,5
920
1,2
4.853
0,3
9.005
0,4
Sonstiges, keine Zuordnung
möglich oder anonymisiert
Quelle: Gemeindedatenblatt der Hessen Agentur.
Zum hessischen Vergleichswert werden allerdings keine wesentlichen Unterschiede
in der Beschäftigungsstruktur deutlich. Ein leicht überdurchschnittlich hoher Anteil
der Beschäftigten im Wetteraukreis arbeitet im Produzierenden Gewerbe (einschließlich Baugewerbe). Leicht unterdurchschnittlich ist der Anteil hingegen im Bereich „Unternehmensdienstleistungen”, wobei der Vergleichswert für Hessen stark
vom Rhein-Main-Gebiet beeinflusst werden dürfte.12 Vom gesamten Regierungsbezirk Darmstadt unterscheidet sich der Wetteraukreis in Bezug auf die Bedeutung
des Bereichs „Handel, Gastgewerbe und Verkehr” kaum, hinsichtlich anderer Berei-
12 Aus der Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder geht zudem hervor, dass ein überdurchschnittlich hoher
Anteil der Erwerbstätigen in den Bereichen "Land- und Forstwirtschaft, Fischerei" arbeitet.
9
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
che (z. B. Unternehmensdienstleistungen) kann er jedoch nicht als typischer Kreis
des Regierungsbezirks gelten.
Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
bezogen auf den hessischen Durchschnitt leicht unterdurchschnittlich, aber positiv
entwickelt.
Abbildung 4 Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 2000 bis 2012 im
Regionalvergleich (Jahr 2000=100)
110
100
90
2000
2001
2002
2003
Wetteraukreis
2004
2005
2006
2007
RB Darmstadt
2008
2009
2010
2011
2012
Hessen
Quelle: Gemeindedatenblatt der Hessen Agentur, Daten zum 30.06.
Dies ging (wie in Hessen insgesamt) einher mit einem Wachstum vor allem geringfügig entlohnter bzw. kurzfristiger Beschäftigungsverhältnisse, die im Wetteraukreis
eine überdurchschnittlich hohe Bedeutung haben (vgl. Tabelle 3).13
13 Das Gemeindedatenblatt der Hessen Agentur zeigt z. B. für die Kreisstadt Friedberg ein Wachstum der ausschließlich
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse von 2000 bis 2012 um 42 %.
10
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Tabelle 3
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und ausschließlich geringfügig
Beschäftigte im Regionalvergleich
Merkmal
Wetteraukreis
RB Darmstadt
Hessen
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (30.06.2012)
Veränderung gegenüber dem Jahr 2000 (in %)
74.788
1,9
1.517.411
3,7
2.272.259
4,5
Ausschließlich geringfügig Beschäftigte (30.06.2012)
in % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
Veränderung gegenüber dem Jahr 2000 (in %)
16.594
22,2
11,0
220.874
14,6
18,0
367.983
16,2
16,8
Quelle: Gemeindedatenblatt der Hessen Agentur.
Arbeitslosigkeit
Im Juni 2013 waren rund 8.200 Personen im Wetteraukreis arbeitslos gemeldet. Die
Arbeitslosenquote (bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen) lag bei 5,3 % und
damit unter dem hessischen Durchschnitt von 5,7 %. Männer (5,3 %) und Frauen
(5,4 %) waren dabei in etwa gleich häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Tiefer regional gegliederte Arbeitslosenquoten liegen nicht vor. In Tabelle 4 sind behelfsweise
die Zahl der Einwohner im erwerbsfähigen Alter und die Arbeitslosenzahlen für Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern gegenübergestellt, um Hinweise auf die
regionalen Arbeitsmarktlagen und Beschäftigungschancen zu erhalten.
Tabelle 4
Städte und Gemeinden im Wetteraukreis nach Einwohner- und Arbeitslosenzahlen
Stadt / Gemeinde
Einwohner der Altersklasse 15 bis unter 65 Jahre
zum Zensusstichtag 09.05.2011
Anzahl
1.
Bad Vilbel
20.160
in %
10,4
Arbeitslose zum 30.06.2013
Anzahl
651
in %
8,0
2.
Bad Nauheim
18.790
9,7
934
11,4
3.
Friedberg
18.450
9,5
1.116
13,6
15.980
8,3
858
10,5
473
5,8
4.
Butzbach
5.
Karben
14.010
7,3
6.
Büdingen
13.970
7,2
722
8,8
10.930
5,7
485
5,9
7.820
4,0
237
2,9
314
3,8
7.
Nidda
8.
Rosbach v. d. Höhe
9.
Altenstadt
8.150
4,2
10.
Wölfersheim
6.500
3,4
266
3,3
11.
Niddatal
6.190
3,2
192
2,3
12.
Ortenberg
5.800
3,0
240
2,9
5.910
3,1
240
2,9
13.
Florstadt
Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, Darstellung der Hessen Agentur.
11
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Danach fällt beispielsweise in der hinsichtlich der Einwohneranzahl größten Stadt
des Wetteraukreises, Bad Vilbel, die Arbeitslosigkeit eher gering aus, während in
Bad Nauheim und Friedberg vergleichsweise viele Arbeitslose registriert sind.
Im Vergleich zum Jahr 2000 haben sich die Arbeitslosenzahlen im Wetteraukreis,
spiegelbildlich zur Zunahme der Beschäftigung, positiv entwickelt:
Abbildung 5 Entwicklung der Arbeitslosenzahlen von 2000 bis 2013 im Regionalvergleich
(Jahr 2000=100)
180
160
140
120
100
80
60
2000
2001
2002
2003
Wetteraukreis
2004
2005
2006
2007
2008
RB Darmstadt
2009
2010
2011
2012
2013
Hessen
Quelle: Gemeindedatenblatt der Hessen Agentur. Daten zum 30.06.
Ausbildungsmarkt
Die Berufsberatungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit verdeutlicht das bei den
Arbeitsagenturen und Jobcentern registrierte Angebot an und die Nachfrage nach
Berufsausbildungsstellen gemäß Berufsbildungsgesetz (BBiG) bzw. Handwerksordnung (HwO). Im Wetteraukreis gab es 2012 neben Frankfurt am Main sowie den
Kreisen Main-Kinzig und Lahn-Dill die größte Zahl noch unvermittelter Bewerber.
Gemessen am Saldo zwischen unbesetzten Stellen und unvermittelten Bewerbern
weist der Wetteraukreis mit 330 fehlenden Stellen die zweitschlechteste Ausbildungsmarktlage für Jugendliche in Hessen auf (vgl. die folgende Abbildung).14
14 Zu den unvermittelten Bewerbern zählen die zum Stichtag 30.09.2012 bisher gänzlich „unversorgten Bewerber“ gemäß
der Definition der Bundesagentur für Arbeit und Bewerber, die bereits Alternativen in Aussicht haben wie z. B. einen weiteren Schulbesuch, eine Einstiegsqualifizierung oder die Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Maßnahme. Für die
letztgenannten „Bewerber mit Alternative zum 30.09.“ suchen die zuständigen Stellen der Arbeitsverwaltung ebenfalls
noch weiter nach einem Ausbildungsplatz.
12
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Abbildung 6 Unbesetzte Stellen und noch unvermittelte Bewerber in Hessen 2012
Vogelsbergkreis
-65
Hochtaunuskreis
-71
Fulda
-73
Main-Taunus-Kreis
-77
Landkreis Offenbach
-82
Werra-Meißner-Kreis
-83
Wiesbaden, Landeshauptstadt
-90
Hersfeld-Rotenburg
-94
Odenwaldkreis
-105
Rheingau-Taunus-Kreis
-108
Offenbach am Main, Stadt
-109
Darmstadt, Wissenschaftsstadt
-135
Limburg-Weilburg
-147
Bergstraße
-154
Waldeck-Frankenberg
-159
Frankfurt am Main, Stadt
-159
Schwalm-Eder-Kreis
-181
Darmstadt-Dieburg
-225
Marburg-Biedenkopf
-264
Groß-Gerau
-275
Lahn-Dill-Kreis
-277
Gießen
-283
Kassel
-291
Kassel, documenta-Stadt
-310
WETTERAUKREIS
1.248
-330
Main-Kinzig-Kreis
-352
-800
-400
Stellendefizit
0
unvermittelte Bewerber
400
800
unbesetzte Stellen
Quelle: Hessen Agentur (2013), S. 11.
Zusammenfassend verfügt der Wetteraukreis somit über eine gute Arbeitsmarktlage
mit der Einschränkung allerdings, dass geringfügig entlohnte bzw. kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse eine im Vergleich zum hessischen Gesamtwert überdurchschnittlich hohe Bedeutung haben. Für junge Menschen erscheint es aktuell relativ
schwer zu sein, einen dualen Ausbildungsplatz zu erhalten, was als Indiz für eine
Zurückhaltung der Betriebe im Hinblick auf die Fachkräftesicherung gewertet werden kann.
13
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
3.3
Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen zur Teilhabe
am Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen erhalten
nach der Sozialgesetzgebung Leistungen, u. a. um Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und speziell am Arbeitsleben zu
fördern. Zuständig für die Leistungen sind z. B. die Bundesagentur für Arbeit (BA),
die Träger von Gesetzlicher Rentenversicherung und Unfallversicherung, die Träger
der Sozialhilfe sowie die örtliche Jugendhilfe als so genannte Rehabilitationsträger
jeweils in Abhängigkeit z. B. von der Dauer der Erwerbstätigkeit bis zum Eintritt der
Beeinträchtigung. Für Menschen mit festgestellten Schwerbehinderungen gemäß
Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX, vgl. hierzu auch Kapitel 4) gibt es besondere Unterstützung. Zu nennen sind beispielsweise die Beschäftigungspflicht der
Arbeitgeber,15 der besondere Kündigungsschutz, die unentgeltliche Beförderung im
öffentlichen Personenverkehr, Integrationsprojekte und Werkstätten für Menschen
mit Behinderungen sowie institutionell Integrationsämter und Integrationsfachdienste. Darüber hinaus unterstützen Bund und Land die Teilhabe speziell am Arbeitsleben im Rahmen von (arbeitsmarktpolitischen) Förderprogrammen. Das Spektrum
der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ist breit und betrifft die Bereiche

Berufsvorbereitung,

berufliche Ausbildung, berufliche Anpassung und Weiterbildung,

Erlangung und Erhaltung des Arbeitsplatzes (einschließlich Arbeitsvermittlung,
Trainingsmaßnahmen, Eignungsabklärung bzw. Arbeitserprobung, Probebeschäftigung, bedarfsgerechte Gestaltung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, Eingliederungszuschüsse, Beratung, begleitende Hilfen, Mobilitätshilfen).
Zielgruppen der Förderung sind Menschen mit Behinderungen und auch Arbeitgeber z. B. bei Eingliederungszuschüssen. Die Leistungen werden in der Regel bewilligt, das heißt, es besteht kein Rechtsanspruch. Im Folgenden werden die mit Blick
15 Nach § 71 Abs. 1 SGB IX sind Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen im Sinne
des § 73 SGB IX dazu verpflichtet, auf mindestens 5 % dieser Arbeitsplätze Menschen mit Schwerbehinderung bzw.
ihnen Gleichgestellte zu beschäftigen. Arbeitgeber, die der Vorgabe nicht nachkommen, müssen eine Ausgleichsabgabe
zahlen, deren Höhe bis zu 290 Euro pro Monat erreichen kann. Auszubildende mit Schwerbehinderung werden auf zwei
bis drei Pflichtarbeitsplätze für Menschen mit Schwerbehinderung angerechnet. Eine Reduzierung der Ausgleichsabgabe
ist möglich, wenn Aufträge an Werkstätten für Menschen mit Behinderungen erteilt werden.
14
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
auf die Zielsetzung der Studie wesentlichen regionalen Unterstützungsangebote für
Menschen mit Behinderungen zur Teilhabe am Arbeitsmarkt dargestellt.16
Bundesagentur für Arbeit
Die Bundesagentur für Arbeit ist nach § 6a SGB IX der (regionale) Rehabilitationsträger für die Teilhabe am Arbeitsleben, stellt den Rehabilitationsbedarf fest und
macht einen Eingliederungsvorschlag. Die Förderstatistik der Bundesagentur für
Arbeit gibt Aufschluss über die von den Arbeitsagenturen und Jobcentern durchgeführten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für arbeitsuchende Menschen mit
Schwerbehinderungen (bzw. Gleichgestellte). Hessenweit zählte die Förderstatistik
im Jahresdurchschnitt 2012 rund 5.000 Teilnahmen an arbeitsmarktpolitischen
Maßnahmen durch die Personengruppe (vgl. Tabelle 5).17 Die meisten Teilnahmen
entfielen auf „Besondere Maßnahmen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben“ mit 1.442 Teilnahmen (z. B. rehaspezifische Maßnahmen). An zweiter
Stelle rangierten Fördermaßnahmen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (z. B.
Eingliederungszuschüsse). Insgesamt sind die Teilnahmen an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen seit 2010 im Zuge der konjunkturellen Erholung deutlich gesunken. Eine vergleichbare Entwicklung zeigt sich auf Bundesebene.
Tabelle 5
Bestand an Teilnehmern mit Schwerbehinderungen in arbeitsmarktpolitischen
Maßnahmen gemäß der Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit in Hessen
Maßnahmeart
2010
2011
Aktivierung und berufliche Eingliederung
1.038
752
842
Berufswahl und Berufsausbildung
471
448
460
Berufliche Weiterbildung
345
263
229
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
1.922
1.754
1.285
Besondere Maßnahmen zur Teilhabe behinderter Menschen
1.464
1.472
1.442
786
622
477
30
28
33
231
193
219
6.287
5.532
4.986
Beschäftigung schaffende Maßnahmen
Freie Förderung
Sonstige Förderung
Insgesamt
2012
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2013), Darstellung der Hessen Agentur.
16 Detaillierte Informationen zu den vielfältigen Leistungen für Menschen mit (Schwer)Behinderung und für Arbeitgeber
bietet z. B. die Broschüre „Leistungen im Überblick: Behinderte Menschen im Beruf“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen aus dem Jahr 2012.
17 Nicht enthalten sind Leistungen an Personen im Eingangsverfahren bzw. Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für
Menschen mit Behinderungen. Die Förderstatistik zählt Teilnahmen, nicht Personen. Da Personen auch mehrere Leistungen erhalten können, fällt die Zahl der Personen niedriger aus. Vgl. zum Begriff der Gleichstellung auch Abschnitt 4.1.
15
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Die Eingliederungsquoten der Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit geben
an, welcher Anteil der Teilnehmer an den Maßnahmen sechs Monate nach deren
Abschluss in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht.
Die niedrigsten Eingliederungsquoten weisen die Maßnahmenarten „Beschäftigung
schaffende Maßnahmen“ und „sonstige Förderung“ auf (vgl. Tabelle 6). Am häufigsten gelang die Eingliederung bei Teilnehmern von Maßnahmen zur Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit (z. B. Eingliederungszuschüsse), deren Inanspruchnahme seit
2010 deutlich rückläufig ist.18 Hier waren 64 % der Teilnehmer, die die Maßnahme
zwischen September 2011 und August 2012 beendet hatten, sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Tabelle 6
Eingliederungsquoten von Teilnehmern mit Schwerbehinderungen an Maßnahmen
der Bundesagentur für Arbeit sechs Monate nach Abschluss der Maßnahmen in
Hessen
Maßnahmeart
kumulierte
Austritte
von Sept. 2009
bis Aug. 2010
kumulierte
Austritte
von Sept. 2010
bis Aug. 2011
kumulierte
Austritte
von Sept. 2011
bis Aug. 2012
Aktivierung und berufliche Eingliederung
32%
35%
34%
Berufswahl und Berufsausbildung
44%
45%
47%
Berufliche Weiterbildung
40%
41%
37%
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
60%
61%
64%
Besondere Maßnahmen zur Teilhabe behinderter Menschen
25%
26%
25%
Beschäftigung schaffende Maßnahmen
13%
12%
11%
Freie Förderung
22%
21%
20%
Sonstige Förderung
13%
11%
10%
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2013), Darstellung der Hessen Agentur.
Integrationsämter und Integrationsfachdienste
Integrationsämter (Amt für die Sicherung der Integration schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben) nehmen Aufgaben nach dem Recht für Menschen mit
Schwerbehinderungen wahr. Dazu zählen neben der Erhebung und Verwendung
der Ausgleichsabgabe für die Verletzung der Beschäftigungspflicht vor allem die
Durchsetzung des besonderen Kündigungsschutzes für beschäftigte Menschen mit
Schwerbehinderungen und ihnen Gleichgestellte. Nach § 85 SGB IX sind Kündigungen bei diesen Arbeitnehmern unwirksam, wenn sie ohne vorherige Zustimmung
des Integrationsamtes erfolgen. Aufgaben der Integrationsämter bestehen zudem in
18 Der Rückgang hatte keine nennenswerten Folgen, insofern dass die Arbeitslosenzahlen der Menschen mit Schwerbehinderungen in Hessen seit 2010 um rund 2 % gesunken sind (vgl. auch Abschnitt 4.2).
16
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
der Beratung und Förderung von Menschen mit Schwerbehinderungen und Arbeitgebern (z. B. auch hinsichtlich einer ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung) sowie
z. B. in Schulungs- und Bildungsmaßnahmen für betriebliche Integrationsteams in
Betriebsräten, Personalräten sowie Vertretungen der Menschen mit Schwerbehinderungen.19 Die Ämter können auch Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz übernehmen in Abhängigkeit von den Mitteln, die aus der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehen.20
Die Integrationsämter sind in Hessen beim Landeswohlfahrtsverband Hessen angesiedelt, der die Aufgaben der Sozial- und Behindertenhilfe wahrnimmt. Aus dem
Jahresbericht 2012 des Landeswohlfahrtsverbands Hessen gehen die in Tabelle 7
dargestellten Leistungen der Integrationsämter an Arbeitgeber zur Teilhabe von
Menschen mit Schwerbehinderungen am Arbeitsmarkt in Hessen hervor.21
Tabelle 7
Leistungen der Integrationsämter an Arbeitgeber zur Teilhabe von Menschen mit
Schwerbehinderungen am Arbeitsmarkt in Hessen 2010 bis 2012
Leistungen
Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen
Behinderungsgerechte Einrichtung von Arbeits- und
Ausbildungsplätzen
Leistungen bei außergewöhnlichen Belastungen
(einschließlich Integrationsprojekte)
Prämien und Zuschüsse für Berufsausbildung
Insgesamt
Geförderte Arbeitsverhältnisse
2010
2011
2012
75
90
66
522
650
697
2.316
2.218
3.114
22
40
33
2.935
2.998
3.910
Quelle: Landeswohlfahrtsverband Hessen (2013), Darstellung der Hessen Agentur.
Die größte Zahl geförderter Arbeitsverhältnisse wird dem Bereich „Leistungen bei
außergewöhnlichen Belastungen (einschließlich Integrationsprojekte)“ zugeordnet,
der Zuschüsse als Minderleistungsausgleich oder für personelle Unterstützung beinhaltet, aber auch die Zahl der in Integrationsprojekten geförderten Arbeitsverhältnisse.22 Die Anzahl der geförderten Arbeitsverhältnisse in diesem Bereich hat von
2010 bis 2012 um rund ein Drittel zugenommen. Die behindertengerechte Einrichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen wurde 2012 in 697 Fällen gefördert. Das
bedeutet ebenfalls ein Plus von 34 % gegenüber dem Jahr 2010, was als Indiz für
19 Bis 2007 war die Vermittlung in Beschäftigung ebenfalls Aufgabe der Integrationsämter. Derzeit können sie mit diesen
Aufgaben noch z. B. von der Bundesagentur für Arbeit bzw. den Jobcentern beauftragt werden.
20 Vgl. §§ 102 Absatz 4 SGB IX und 17 Absatz 1a Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung.
21 Vgl. Landeswohlfahrtsverband Hessen (2013), S. 32.
22 Zur Definition von Integrationsprojekten vgl. den folgenden Abschnitt.
17
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
die wachsende Bedeutung des Themas Inklusion auf dem Arbeitsmarkt gewertet
werden kann.
Die Integrationsfachdienste (IFD) gemäß §§ 109ff. und § 33 Abs. 6 SGB IX sollen
übergreifend für die Bundesagentur für Arbeit (im Bereich der Vermittlung), einen
anderen Rehabilitationsträger (z. B. Eingliederung nach einem Unfall) oder für das
Integrationsamt (Begleitung, Sicherung eines Arbeitsplatzes für besondere Zielgruppen) tätig sein. Sie befinden sich in der Regel in der Trägerschaft freier, gemeinnütziger Träger. Auch im Wetteraukreis werden die IFD im Einzelfall z. B. von
der Bundesagentur für Arbeit mit der Vermittlung beauftragt. Im Jahresbericht 2012
des Landeswohlfahrtsverbands Hessen wird allerdings auf eine in Hessen im längerfristigen Vergleich stark sinkende Zahl an Beauftragungen hingewiesen.23
Standorte der Integrationsfachdienste in der Wetterau sind Büdingen und Friedberg.24
Integrationsprojekte
Integrationsprojekte bzw. Integrationsfirmen gemäß §§ 132 und 133 SGB IX ermöglichen eine Beschäftigung für Menschen mit Schwerbehinderungen, die nur unter
großen Schwierigkeiten eine reguläre Arbeit annehmen können, für die aber zugleich eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen (siehe unten) keine adäquate Beschäftigungsmöglichkeit bietet. Damit bilden sie eine Art Zwischenform zwischen Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und allgemeinem Arbeitsmarkt.
Der Anteil Beschäftigter mit Schwerbehinderungen liegt in den Firmen zwischen
25 % und 50 %. Integrationsprojekte werden durch Mittel der Ausgleichsabgabe von
den Integrationsämtern gefördert. Je nach Einzelfall haben die Integrationsfirmen
Anspruch auf finanzielle Hilfen wie Förderpauschalen und Nachteilsausgleiche.25
Zielgruppe sind vor allem Menschen mit einer geistigen oder seelischen Behinderung, die eine individuelle arbeitsbegleitende Betreuung benötigen, sowie Menschen
mit einer schweren Sinnes-, Körper- oder Mehrfachbehinderung. Auch für Beschäftigte einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln wollen, oder für Abgänger von Förderschulen können Integrationsprojekte Beschäftigungschancen bieten. Erforderlich für die Gründung ist ein
Eigenanteil des Antragsstellers von mindestens 30 % der gesamten Aufwendungen.
Integrationsämter bzw. Integrationsfachdienste bieten auf Basis eines konkreten
23 Vgl. Landeswohlfahrtsverband Hessen (2013), S. 22.
24 Vgl. www.integrationsamt-hessen.de (Zugriff: 30. Oktober 2013).
25 Aufgaben und finanzielle Förderung von Integrationsfirmen bzw. Integrationsprojekten sind im SGB IX geregelt. Integrationsfirmen können rechtlich selbstständige Unternehmen sein oder unselbständige Betriebe und Abteilungen von Unternehmen und öffentlichen Arbeitgebern.
18
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Businessplans – dieser muss inhaltliche Anforderungen des Integrationsamtes erfüllen – eine betriebswirtschaftliche Gründungsberatung an, die die Umsetzbarkeit und
Marktchancen des Projekts prüft.
Das Verzeichnis „Integrationsfirmen in Deutschland“, das vom Institut der deutschen
Wirtschaft Köln unter www.rehadat.de zur Verfügung gestellt wird, enthält Angaben
zu über rund 800 Integrationsfirmen bzw. Integrationsprojekten.26 In Hessen werden
danach aktuell rund 60 Integrationsfirmen bzw. Integrationsprojekte gezählt. Zum
Teil wurden die Projekte von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen initiiert,
so dass eine enge Zusammenarbeit besteht. Das Produkt- und Dienstleistungsportfolio ist breit und reicht vom Café- und Hotelbetrieb bis zur digitalen Archivierung
und Aktenvernichtung. Aus dem Jahresbericht 2012 des Landeswohlfahrtsverbands
Hessen geht hervor, dass 2012 mehr als 800 Arbeitsverhältnisse in Integrationsprojekten gefördert wurden.27 Im Wetteraukreis findet sich kein Integrationsprojekt, was
einige der interviewten Experten auf ein eventuell fehlendes lokales Engagement
zurückführen. Des Weiteren bestehen jedoch offenbar Vorbehalte gegenüber Integrationsprojekten u. a. dahingehend, dass bei ihnen ein Vorrang der Bedeutung von
Wettbewerbsfähigkeit gegenüber sozialem Engagement vermutet wird.
Das Klostercafé und das Hotel Elysee in Seligenstadt, die beide vom Verein Lichtblick (bzw. einer eigens gegründeten Beschäftigungsgesellschaft) betrieben werden,
sind Beispiele für offenbar erfolgreich agierende Integrationsfirmen in Hessen.28 Die
Initiative geht hier vor allem auf die Eltern der Menschen mit Behinderungen zurück.
Auch die so genannten „CAP-Märkte“ können als Beispiel dienen. Sie werden über
Franchising als Integrationsfirma, Abteilung einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen oder als Kombination aus beidem betrieben. Die Marktleitungen erhalten dabei durch ein deutschlandweites Netz von Fachberatern z. B. Unterstützung
bei der Marktanalyse und im Betrieb.29
Integrationsprojekte müssen den überwiegenden Teil ihrer laufenden Kosten selbst
erwirtschaften, weswegen sie dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugerechnet werden.
Wettbewerbsverzerrungen werden insofern vermieden, dass die Förderungen – mit
26 Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen veröffentlicht in ihrem Jahresbericht die Zahl der geförderten Integrationsprojekte.
27 Vgl. Landeswohlfahrtsverband Hessen (2013), S. 26. Dies bezieht sich allerdings auf eine Zahl der Integrationsprojekte
von nur 43 Firmen. Damit dürfte die Gesamtzahl der Arbeitsverhältnisse tatsächlich noch höher ausfallen.
28 Vgl. hierzu www.klostercafe-seligenstadt.de (Zugriff: 9. Dezember 2013).
29 Vgl. hierzu www.cap-markt.de (Zugriff: 9. Dezember 2013).
19
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Ausnahme des so genannten Ausgleichs für den besonderen Aufwand – auch allen
anderen Arbeitgebern zustehen.30
Werkstätten für Menschen mit Behinderungen
Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) sind teilstationäre Einrichtungen der Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen am Arbeitsleben.31 Zielgruppe der WfbM sind Personen, die wegen Art oder Schwere ihrer Beeinträchtigungen (noch) nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können.
Dies wird in einem gutachterlichen Verfahren festgestellt. Die Mehrheit (bundesweit
etwa 80 %) der Beschäftigten in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen
hat geistige Beeinträchtigungen, 20 % psychische Beeinträchtigungen.32
Gemäß dem Verzeichnis der anerkannten Werkstätten für Menschen mit Behinderungen der Bundesagentur für Arbeit gibt es aktuell 51 Werkstätten für Menschen
mit Behinderungen mit Hauptadresse in Hessen. Diese verfügen zum Teil über jeweils bis zu 10 weitere Betriebsstätten, so dass sich die Gesamtzahl auf rund 170
Werkstätten in Hessen summiert.33 Im Wetteraukreis befinden sich vier Werkstätten
mit Hauptsitz an den Standorten Friedberg, Echzell, Ortenberg und Nidda. Diese
Werkstätten betreiben weitere Betriebsstätten in Friedberg, Hirzenhain, Glauburg
und Reichelsheim. Darüber hinaus unterhält eine Werkstatt mit Hauptsitz im Vogelsbergkreis eine Betriebsstätte in Büdingen. Gemäß den Internetauftritten der
einzelnen Träger bieten diese Werkstätten aktuell rund 650 Menschen einen Arbeitsplatz.34 Diese Personen stellen eine mögliche Zielgruppe des Modellprojekts
dar.
Mit dem so genannten „Fachkonzept Werkstätten für Menschen mit Behinderungen“
strebt die Bundesagentur für Arbeit an, die berufliche Bildung in Werkstätten für
Menschen mit Behinderungen stärker einerseits an den Fähigkeiten und Kompetenzen der Menschen mit Behinderungen, andererseits an den Anforderungen des all-
30 Vgl. Landeswohlfahrtsverband Hessen (2013), S. 26.
31 Im SGB IX werden diese Einrichtungen als Werkstätten für behinderte Menschen bezeichnet, worauf sich die Abkürzung
bezieht.
32 Vgl. die Statistik „Belegte Plätze nach Bundesländern 2012 in den Mitgliedseinrichtungen der BAG WfbM“ unter
www.bagwfbm.de (Zugriff: 16. Oktober 2013).
33 Vgl. Bundesagentur für Arbeit (2013), S. 129ff. Aus dem Jahresbericht 2012 des Landeswohlfahrtsverbands Hessen geht
hervor, dass im Dezember 2012 in den WfbM im Zuständigkeitsbereich des Verbands rund 17.000 Personen beschäftigt
waren, davon nur rund 500 Personen auf betriebsintegrierten Beschäftigungsplätzen. Etwa 1.300 Mitarbeiter in den
Werkstätten bedurften einer besonderen Betreuung, Förderung und Pflege. Vgl. Landeswohlfahrtsverband Hessen
(2013), S. 35.
34 Vgl. www.diakonie-wetterau.de, www.bhw-wetteraukreis.de, www.lg-bingenheim.de, www.rauher-berg.de (Zugriff: 9. Dezember 2013).
20
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
gemeinen Arbeitsmarktes zu orientieren. Teil des Fachkonzepts ist auch eine intensivere Erprobung in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes.35
Unterstützte Beschäftigung
Ziel des 2009 im SGB IX eingeführten Instruments „Unterstützte Beschäftigung“ ist
es, Menschen mit Behinderungen und besonderem Unterstützungsbedarf dauerhaft
in ein geeignetes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Es erfolgt auf Basis eines individuell erstellten Fähigkeitsprofils und einer individuellen Arbeitsplatzakquisition eine individuelle und betriebliche Qualifizierung – statt der normalerweise erfolgenden Qualifizierung in Gruppen und nachgelagerten Vermittlung.36 Bei Bedarf ist im Anschluss
eine Berufsbegleitung mit einem zeitlich begrenzten Jobcoaching förderfähig. Für
die erste Phase der Unterstützten Beschäftigung sind die Rehabilitationsträger zuständig (vor allem BA), für die zweite Phase in der Regel die Integrationsämter bzw.
die Integrationsfachdienste. Voraussetzung für letzteres ist das Vorliegen eines
Schwerbehindertenausweis bzw. einer Gleichstellung.
Die Dauer der Maßnahme beträgt in der Regel bis zu 2 Jahre. Möglich sind u. a.
Übergänge (zurück) in die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und die
Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt, wobei Integrationsprojekte nach einer
Umfrage der „Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung“ bundesweit eine untergeordnete Rolle spielen.37 In Hessen haben bis zum Jahresende
2011 insgesamt 344 Personen die Maßnahme begonnen. Damit wird das Instrument – verglichen mit dem Bund – überdurchschnittlich genutzt.38 In Anspruch nehmen können das Instrument „Unterstützte Beschäftigung“ vor allem Schüler mit
sonderpädagogischem Förderbedarf, aber auch Werkstattbeschäftigte.39
Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke
In Berufsbildungs- und Berufsförderungswerken können Menschen mit Behinderungen Ausbildungen in anerkannten Ausbildungsberufen absolvieren. Die Ausbildungen verfahren zwar mehrheitlich nicht nach dem dualen System, jedoch werden
auch Ausbildungen verzahnt mit (Kooperations)Betrieben angeboten. In Hessen gibt
es ein Berufsförderungswerk in Frankfurt am Main und drei Berufsbildungswerke an
den Standorten Kassel, Bad Arolsen und Karben (Wetteraukreis). Das Berufsbil35
36
37
38
39
Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013b), S. 302.
Diese Vorgehensweise des Platzierens und Qualifizierens ist auch im Modellprojekt vorgesehen.
Vgl. www.bag-ub.de (Zugriff: 28. November 2013).
Vgl. Hessisches Sozialministerium (2012a), S. 111f.
Vgl. Landeswohlfahrtsverband Hessen (2013), S. 29.
21
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
dungswerk Südhessen betreibt im Rahmen der Berufsausbildung von Menschen mit
Behinderungen in Karben das „Café an der Nidda“ als Ausbildungs- bzw. Praxisbetrieb, das einem Altenzentrum angegliedert ist.40
Fördermaßnahmen von Bund und Land Hessen
Der Bund und das Land Hessen unterstützen darüber hinaus die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen am Arbeitsleben im Rahmen von zeitlich befristeten
Arbeitsmarktprogrammen.41 Finanziert werden die Programme und Modellvorhaben
für besonders betroffene Menschen mit Schwerbehinderungen durch die genannte
Ausgleichsabgabe. Für Hessen relevant sind vor allem die Programme:

Programm Job4000

Hessisches Perspektivprogramm zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen
schwerbehinderter Menschen (HePAS)

Bundesprogramm „Initiative Inklusion“.
Einen Überblick über die Leistungen bietet der Hessische Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Zielbereiche sind in der Regel die Ausbildung, Eingliederung und Sicherung der Beschäftigung bestimmter Zielgruppen
z. B. durch finanzielle Anreize bei der Schaffung neuer Ausbildungs- und Arbeitsplätze oder durch eine verstärkte Beratung und Begleitung der Betriebe. Zielgrößen
sind z. B. die Zahl der neu geschaffenen Ausbildungs- und Beschäftigungsverhältnisse.42 Die Förderung erfolgt auch hier in der Regel in Bezug zu den entstehenden
Kosten (z. B. Lohnkosten von Mitarbeitern mit Schwerbehinderungen). Bei Ausbildungserfolg sowie Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis können die Programme Prämien vorsehen. Seit 2006 wurden beispielsweise mit Mitteln des Vierten
Hessischen Schwerbehinderten-Programms – dieses wird 2014 vom Hessischen
Perspektivprogramm zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen schwerbehinderter
Menschen (HEPAS) abgelöst – rund 1.200 Menschen mit Schwerbehinderungen in
dauerhafte Arbeitsverhältnisse vermittelt.43
Im Rahmen der Initiative Inklusion soll zukünftig u. a. die Inklusionskompetenz der
Kammern (Handwerkskammer, Industrie- und Handelskammer etc.) gestärkt werden. Teil ist die Konstitution von Kooperationsgremien bzw. Netzwerken in den Re40 Vgl. hierzu cafe-an-der-nidda.bbw-suedhessen.de (Zugriff: 9. Dezember 2013).
41 Programme wie die „Initiative für Ausbildung und Beschäftigung“ haben darüber hinaus zwar keine spezielle Ausrichtung
auf die Inklusion von Menschen mit Behinderungen, können aber auch dafür genutzt werden.
42 Vgl. zum Beispiel zum Programm Job4000 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013c), S. 8ff.
43 Vgl. Hessisches Sozialministerium (2012a), S. 111f.
22
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
gionen Hessens durch die Integrationsfachdienste und Berufsförderungswerke. In
den Kooperationsgremien sollen neben der Agentur für Arbeit u. a. Fachkräfte für
berufliche Integration, Vertreter von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen
und Vertreter der Wirtschaft vertreten sein.44 Im Rahmen der Initiative wurden zudem das Berufsbildungswerk Südhessen mit Sitz in Karben und das Berufsbildungswerk Nordhessen mit Sitz in Bad Arolsen mit der Akquise und Besetzung von
Ausbildungsplätzen beauftragt. Das Ziel von insgesamt 110 zusätzlichen betrieblichen Ausbildungsplätzen für junge Menschen mit Behinderungen bis Ende 2013
wurde bereits im Sommer 2013 erreicht.45
Mittelbar resultieren auch aus mit europäischen Strukturfondsmitteln kofinanzierten
Programmen Möglichkeiten einer finanziellen Unterstützung von (Modell)Projekten,
die darauf abzielen, die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen am
Arbeitsmarkt zu verbessern. Aus Programmen wie der Förderung der regionalen
Entwicklung (u. a. Dorferneuerung bzw. -entwicklung, Landtourismus, Regionale
Wertschöpfung und Lebensqualität) und der Städtebauförderung ergeben sich zudem Fördermöglichkeiten für (Um)Bau und Einrichtung von Gebäuden in definierten
Fördergebieten.46 Im Innenstadtbereich von Bad Nauheim beispielsweise könnten
grundsätzlich Fördermittel für den (Um)Bau eines Gebäudes aus dem Städtebauförderprogramm mit Fördermitteln für die Einrichtung aus dem Programm Förderung der lokalen Ökonomie kombiniert werden.47 Für Vorhaben in Orts- bzw. Stadtteilen in ländlichen Regionen stehen grundsätzlich Mittel der Förderung der regionalen Entwicklung zur Verfügung.48 Ansprechpartner sind die Vertreter der Kommunen, der Kreisverwaltung in Friedberg sowie z. B. (im Fall einer Förderung im ländlichen Raum) Vertreter des Vereins Oberhessen.
44 Vgl. www.lwv-hessen.de (Zugriff: 10. Dezember 2013).
45 Vgl. www.bbw-suedhessen.de (Zugriff: 4. Dezember 2013).
46 Vgl. Richtlinien des Landes Hessen zur Förderung der regionalen Entwicklung (2013). Staatsanzeiger für das Land
Hessen Nr. 16 vom 15. April 2013, S. 515f.
47 Einziger weiterer Standort des Städtebauförderprogramms ist Büdingen.
48 Fördergebiete sind Orts- bzw. Stadtteile von Büdingen, Butzbach, Florstadt, Karben, Nidda, Niddatal, Ortenberg, Reichelsheim, Wölfersheim und Ranstadt.
23
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Weitere Akteure, Interessensvertretungen und Unterstützungsangebote für
Menschen mit Behinderungen im Wetteraukreis
Die folgende Tabelle zeigt auf Basis von Internetrecherchen und ergänzenden Experteninformationen das breite Spektrum der im Handlungsfeld tätigen Akteure und
regionalen Interessenvertretern sowie deren Standort bzw. Sitz auf. Die meisten
Einrichtungen befinden sich in der Kreisstadt Friedberg.
Tabelle 8
Weitere Akteure im Handlungsfeld im Wetteraukreis
Akteur
Standort
Behindertenbeirat
Büdingen
Behindertenhilfe Wetteraukreis gGmbH
Nidda
Bundesverband für Rehabilitation und Interessenvertretung Behinderter
Nidda
Bundesverband Körperbehinderter (BSK)
Diakonisches Werk Wetterau (Integrationsfachdienst für schwerbehinderte Menschen im
Berufsleben)
Diakonisches Werk Wetterau (Integrationsfachdienst – Arbeitsvermittlung und
berufsbegleitende Beratung für schwerbehinderte Menschen)
FAB gGmbH
Internationaler Bund Behindertenhilfe Wetteraukreis
Bad Nauheim
Karben
Friedberg
Friedberg
Bad Nauheim
Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
Friedberg
Sozialverband VdK – Kreisverband Friedberg
Friedberg
Wetterauer Werkstätten
Friedberg
Quelle: www.wetteraukreis.de (Zugriff: 10. Dezember 2013), Experteninformationen.
Eine der in Tabelle 8 aufgeführten Interessensvertretungen, die Behindertenhilfe
Wetteraukreis gGmbH, betreibt aktuell an verschiedenen Standorten in der Wetterau „Dorfläden“ bzw. Märkte, in denen u. a. Menschen mit geistiger und körperlicher
Behinderung beschäftigt sind. Diese Märkte sind wegen Finanzierungsproblemen
der Behindertenhilfe von Schließung bedroht, so dass die Mitarbeiter zum Teil wieder in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen zurückkehren.49 Einige interviewte Experten sehen dies als starken Rückschlag für die Inklusionsbemühungen
in der Wetterau.
49 Vgl. z. B. www.giessener-anzeiger.de (Zugriff: 28. November 2013).
24
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
4
Menschen mit Behinderungen im Wetteraukreis
Zur Beschreibung der Größe, der strukturellen Merkmale und der Arbeitsmarktsituation der Gruppe der Menschen mit Behinderungen in Hessen und im Wetteraukreis
werden im weiteren Verlauf die folgenden Statistiken herangezogen:

Mikrozensus des Hessischen Statistischen Landesamtes aus dem Jahr 2009,50

Daten des Regierungspräsidiums Gießen, Landesversorgungsamt Hessen,
Dezernat 61, zu Menschen mit einem Grad der Behinderung von 20 bis 40,51

Statistik der Menschen mit Schwerbehinderungen des Hessischen Statistischen
Landesamtes (Grad der Behinderung ≥ 50),

Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zu Beschäftigung und Arbeitslosigkeit
von Menschen mit Schwerbehinderungen.
Diese Statistiken beinhalten eine Vielfalt an Informationen vor allem für die Personengruppe der Menschen mit anerkannten Schwerbehinderungen. Zu Menschen mit
Behinderungen, aber ohne Anerkennung der Behinderung – diese sind grundsätzlich ebenfalls Zielgruppe des Modellprojekts im Wetteraukreis – liegen (noch) keine
Informationen auf Hessenebene vor. Eine Datenquelle, die auf Bundesebene Auskunft über Menschen mit Behinderungen, aber ohne Anerkennung der Behinderung
gibt, ist das Sozio-ökonomische Panel (SOEP).52 Diese Datenquelle wird zur Beschreibung der Zielgruppe gemäß der Definition der Bundesregierung im Teilhabebericht über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen herangezogen.
Im Teilhabebericht wird zwischen Beeinträchtigung und Behinderung unterschieden:
Besteht aufgrund von Besonderheiten von Körperfunktionen (auch geistige und psychische) oder Körperstrukturen eine Einschränkung, z. B. beim Sehen, Hören oder
Gehen, so wird dies als Beeinträchtigung bezeichnet. Erst wenn im Zusammenhang
mit der Beeinträchtigung Teilhabe und Aktivitäten durch ungünstige Umweltfaktoren
50 Der Mikrozensus als 1 %-Stichprobenbefragung der Haushalte wird jährlich durchgeführt. Bisher wurden im Abstand von
vier Jahren zwei Fragenkomplexe aus dem Bereich „Fragen zur Gesundheit“ zu Behinderungen erhoben. Die Beantwortung dieser Fragen ist freiwillig. Mit dem Mikrozensus werden die Bereiche Ausbildung, Einkommensstruktur sowie Gesundheit und die Partizipation am Erwerbsleben untersucht. Erfasst sind Menschen mit einer anerkannten Behinderung
(Grad der Behinderung zwischen 20 und 100). Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013a), S. 33. Für Hessen stehen frühestens Mitte 2014 neue Daten zur Verfügung, da 2013 eine Erhebung erfolgte.
51 Mit dem Grad der Behinderung (GdB) sollen die Auswirkungen einer oder mehrerer Behinderungen auf die Teilhabe am
Leben in der Gesellschaft abgebildet werden. Die GdB sind in Zehnerschritten zwischen 20 und 100 abgestuft.
52 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013a), S. 33f. Zu den Menschen mit Beeinträchtigungen zählen im
SOEP alle Menschen, die eine amtlich festgestellte Erwerbsminderung oder eine Schwerbehinderung aufweisen. Hinzu
kommen Menschen mit einer chronischen Erkrankung oder mit chronischen Beschwerden, wenn bei ihnen zusätzlich
mindestens eine von drei Teilhabeeinschränkungen „immer“ oder „oft“ vorkommt oder sie beim Treppensteigen oder anderen anstrengenden Tätigkeiten im Alltag stark beeinträchtigt sind. Damit ist das SOEP hinsichtlich der Abbildung der
Personengruppe „Menschen mit Beeinträchtigung“ die umfassendste Datenquelle.
25
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
dauerhaft eingeschränkt werden, liegt eine Behinderung vor.53 Nach aktuellen Daten
des SOEP haben in Deutschland von insgesamt ca. 8,9 Mio. Personen mit Beeinträchtigungen im Alter von 18 bis 64 Jahren rund 5,2 Mio. Personen bzw. 58 % eine
festgestellte bzw. anerkannte Behinderung.54 Entsprechend werden 3,7 Mio. Menschen mit Behinderungen bzw. 42 % statistisch nicht erfasst. Aufgrund der geringen
Stichprobengröße liefert das SOEP für Hessen und auf Landkreisebene keine repräsentativen Daten. Jedoch wird deutlich, dass die Gruppe der Menschen mit Behinderungen regional deutlich größer sein dürfte, als andere Statistiken es aussagen. Es wird angestrebt, den Mikrozensus um eine Zusatzfrage zu ergänzen, die
jährlich auch das Merkmal „Beeinträchtigungen“ abfragt.55 Aufgrund des geringen
Stichprobenumfangs werden aber auf Ebene eines vergleichsweise dünn besiedelten Landkreises wie der Wetterau auch dann keine Ergebnisse darstellbar sein.
Die nachfolgend zur Auswertung herangezogenen Statistiken geben zum Teil nur
Informationen für die Landesebene, nicht den Wetteraukreis. In den Expertengesprächen wurde eine etwaige Ausnahmestellung des Wetteraukreises verneint.
Demnach können Anteile, die nur auf Landesebene ausgewiesen werden, für
Schätzungen auf Kreisebene durchaus herangezogen werden.
4.1
Strukturelle Merkmale
Ende September 2013 leben in Hessen rund 429.000 Menschen mit einem Grad der
Behinderung von bis zu 40. Mehr als 50 % der Personen weisen dabei eine Einbuße
der körperlichen Beweglichkeit auf:
Tabelle 9
Menschen mit einer Behinderung mit GdB 20 – 40 in Hessen und im HAVS Gießen
Anzahl Hessen
Anzahl HAVS Gießen
GdB 20
GdB 30
GdB 40
133.026
201.242
94.207
25.227
40.768
14.004
Insgesamt
Davon mit einer Einbuße der körperlichen
Beweglichkeit
428.475
79.999
241.883
45.293
Menschen mit Behinderungen (GdB 20-40)
Quelle: Regierungspräsidium Gießen, Landesversorgungsamt Hessen, Dezernat 61 (Stand 30.09.2013), Darstellung
der Hessen Agentur.
53 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013b), S. 7.
54 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013b), S. 44. Daten der Befragungswelle im Jahr 2010. Das sind 10 %
der Bevölkerung.
55 Zu berücksichtigen sind bei Befragungen grundsätzlich mögliche Probleme der Untererfassung von Menschen mit Behinderungen (z. B. Bewohner stationärer Einrichtungen). Zum Teil bestehen Verständnis- und Kommunikationsbarrieren.
Dies stellt eine wichtige Herausforderung auch für die Weiterentwicklung der Datengrundlagen dar.
26
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Personen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30 können Menschen
mit Schwerbehinderungen gleichgestellt werden, wenn sie infolge der Behinderung
ohne die Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen oder behalten können.56 Personen mit einem Grad der Behinderung von 20 sind von den Unterstützungsangeboten des SGB IX hingegen ausgeschlossen.
Daten über die Anzahl der Menschen mit diesem Grad der Behinderung liegen für
den Wetteraukreis nicht vor. Um eine Vorstellung der Größenordnung zu erhalten,
kann der Amtsbezirk Gießen der Hessischen Ämter für Versorgung und Soziales
(HAVS) herangezogen werden, in dessen Zuständigkeitsbereich der Wetteraukreis
liegt. Hier leben rund 80.000 Menschen mit einem Grad der Behinderung zwischen
20 und 40, und damit rund ein Fünftel der hessischen Bevölkerung mit diesem Grad
der Behinderung.57 Den Gesamtbevölkerungsanteil des Wetteraukreises an Hessen
von rund 5 % berücksichtigend weisen geschätzt rund 21.000 Personen im Wetteraukreis einen Grad der Behinderung von bis zu 40 auf.
Die Statistik der Menschen mit Schwerbehinderungen des Hessischen Statistischen
Landesamtes liefert Informationen zu Arten von Behinderungen bei Menschen mit
amtlich anerkannten Schwerbehinderungen, die einen gültigen Schwerbehindertenausweis besitzen.58
Insgesamt leben in Hessen rund 600.000 Personen bzw. rund 10 % der Bevölkerung mit Schwerbehinderungen. Mehr als 50 % der Menschen mit Schwerbehinderungen sind älter als 64 Jahre, nur 11 % jünger als 45 Jahre. Zu einem starken Anstieg des Bevölkerungsanteils der Menschen mit Schwerbehinderungen kommt es
ab dem 44. Lebensjahr. Die folgende Übersicht zeigt die absoluten Zahlen auf:
56 Die Gleichstellung erfolgt auf Antrag.
57 Die HAVS Gießen ist für die Landkreise Gießen, Lahn-Dill-Kreis, Marburg-Biedenkopf, Vogelsbergkreis und Wetteraukreis zuständig.
58 Die Statistik der Menschen mit Schwerbehinderung ist eine Totalerhebung, aber keine Vollerhebung, da nicht alle in
Betracht kommenden Personen einen Schwerbehindertenausweis beantragen.
27
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Tabelle 10 Menschen mit Schwerbehinderungen nach Altersklassen und Geschlecht im Jahr
2012 in Hessen
davon
Insgesamt
Altersklassen
absolut
Männer
in %
absolut
Frauen
in %
absolut
in %
bis 14 Jahre
15 bis 24 Jahre
25 bis 34 Jahre
35 bis 44 Jahre
45 bis 54 Jahre
55 bis 64 Jahre
65 oder mehr Jahre
9.151
11.424
15.891
30.153
78.647
145.622
312.044
1,5
1,9
2,6
5,0
13,0
24,2
51,8
5.375
6.555
8.797
15.341
40.052
77.335
159.954
58,7
57,4
55,4
50,9
50,9
53,1
51,3
3.776
4.869
7.094
14.812
38.595
68.287
152.090
41,3
42,6
44,6
49,1
49,1
46,9
48,7
Insgesamt
602.932
100,0
313.409
52,0
289.523
48,0
Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, Darstellung der Hessen Agentur.
Insgesamt sind 48 % der Menschen mit Schwerbehinderungen weiblich. In jüngeren
Altersklassen fällt der Anteil der Frauen dabei geringer aus.
Am häufigsten verfügen die Personen mit Schwerbehinderungen über einen Grad
von 50 sowie von 100. Dabei liegt der Fokus des Grades der Behinderung nicht auf
möglichen arbeitsmarktrelevanten Funktionseinschränkungen, denn „Umfang und
Grad beschäftigungsrelevanter Leistungsbeeinträchtigungen korrelieren weder direkt noch zwangsläufig mit einem Grad der Behinderung“.59
Der Grad der Behinderung unterscheidet sich stark nach dem Alter der Personen
(vgl. Abbildung 7). Bei den vergleichsweise wenigen jungen Menschen mit Schwerbehinderungen fällt der Grad der Behinderung hoch aus. Je älter und damit je häufiger die Personen Schwerbehinderungen aufweisen, desto seltener wird ein hoher
Grad der Behinderung registriert. Erst in Altersklassen ab 64 Jahren kommt es wieder vergleichsweise oft zu hohen Graden der Behinderung.
59 Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2013), S. 18.
28
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Abbildung 7 Menschen mit Schwerbehinderungen in Hessen nach Altersklassen und Grad
der Behinderung im Jahr 2012 in %
Grad der Behinderung
50
insgesamt
70
35
65 oder mehr
Altersklasse
60
80
90
11
11
16
28
15
12
100
5
12
22
7
26
62 bis unter 65
48
18
10
8
4
12
60 bis unter 62
48
18
10
9
3
12
55 bis unter 60
46
45 bis unter 55
42
35 bis unter 45
15 bis unter 18
unter 15
10
15
34
27
8
24
22
10
17
40
25 bis unter 35
18 bis unter 25
18
6
7
8
9
9
12
9
12
8
14
3
9
10
11
4
14
4
17
3
23
3
31
40
17
3
41
19
2
42
Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, Darstellung der Hessen Agentur.
Die Arten der schwersten Behinderung werden in der Statistik in neun Oberkategorien und rund 60 Unterkategorien unterschieden. Die Einteilung in die Kategorien
orientiert sich dabei nicht primär an der ursächlichen Krankheit (z. B. Multiple Sklerose), sondern an der Erscheinungsform der Behinderung und der durch sie bestimmten Funktionseinschränkung (z. B. funktionelle Veränderung an Gliedmaßen).60 Der Blick richtet sich auch hier nicht auf mögliche arbeitsmarktrelevante
Funktionseinschränkungen. Tabelle 11 gibt für die Oberkategorien einen Überblick
über die Art der schwersten Behinderung und welcher Anteil von Menschen mit
Schwerbehinderungen davon betroffen ist. Zudem zeigt die Tabelle, welchen Grad
der Behinderung die betroffenen Menschen in den Oberkategorien aufweisen.
60 Vgl. Statistisches Bundesamt (2013). S. 7.
29
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Tabelle 11 Menschen mit Schwerbehinderungen nach Art der schwersten Behinderung und
Grad der Behinderung in Hessen im Jahr 2012 in %
Art der schwersten Behinderung
Anteil an
allen
Behinderungen
Verteilung nach dem Grad der Behinderung
50
60
70
80
90
100
in %
in %
in %
in %
in %
in %
in %
Beeinträchtigung der Funktion von
inneren Organen bzw. Organsystemen
25,0
31,5
16,3
10,5
13,4
5,8
22,5
Sonstige und ungenügend bezeichnete
Behinderungen
21,9
35,2
15,3
11,1
11,3
5,1
22,0
Querschnittlähmung, zerebrale
Störungen, geistig-seelische Behinderungen, Suchtkrankheiten
18,3
33,4
12,6
9,1
11,5
4,1
29,3
Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und des Rumpfes, Deformierung
des Brustkorbes
13,2
51,0
18,8
10,7
7,7
3,4
8,4
Funktionseinschränkung von Gliedmaßen
10,6
35,5
20,0
14,1
11,1
5,3
13,9
Sprach- oder Sprechstörungen, Taubheit, Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen
4,5
31,4
17,0
13,3
11,2
6,0
21,1
Blindheit und Sehbehinderung
4,2
15,8
8,1
7,5
7,7
6,5
54,6
Verlust oder Teilverlust von
Gliedmaßen
1,7
22,4
14,1
13,0
11,2
7,0
32,3
Kleinwuchs, Entstellungen u. a.
0,6
45,3
22,3
12,5
9,1
3,1
7,7
Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, Darstellung der Hessen Agentur.
Mit 25 % entfällt der größte Anteil auf die Beeinträchtigung der Funktion von inneren
Organen bzw. Organsystemen. Wesentlich ist zudem die Kategorie „Querschnittlähmung, zerebrale Störungen, geistig-seelische Behinderungen, Suchtkrankheiten“
(18 %), in der vor allem Menschen mit „geistig-seelischen Behinderungen“ geführt
werden.61 In Bezug auf die Grade der Behinderung unterscheiden sich die Behinderungsarten nicht wesentlich, auch differenziert nach den einzelnen Oberkategorien
verfügen die Personen mit Schwerbehinderungen am häufigsten über einen Grad
von 50 sowie von 100. Ein vergleichsweise hoher Anteil an Personen mit einem
Grad der Behinderung von 100 wird in der Kategorie „Blindheit und Sehbehinderung“ ausgewiesen.
61 In dieser Oberkategorie der Statistik der Menschen mit Schwerbehinderungen werden geistige und seelische Behinderungen zusammengefasst, obwohl sich Menschen mit geistigen und seelischen Behinderungen sowie ihre Bedarfe deutlich unterscheiden können.
30
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Im Wetteraukreis leben im Jahr 2012 rund 29.200 Personen bzw. rund 10 % der
Bevölkerung mit Schwerbehinderungen. Auch hier verfügen die Personen mit
Schwerbehinderungen am häufigsten über einen Grad von 50 sowie von 100. Es
sind keine wesentlichen Unterschiede zur Gesamtsituation in Hessen festzustellen
– auch nicht bei der Verteilung nach Altersklassen (vgl. Tabelle 12). In die „jüngere“
Altersklasse der 15-bis 44-Jährigen – diese soll vorrangig im Modellprojekt Berücksichtigung finden – fallen rund 3.000 Personen:
Tabelle 12 Menschen mit Schwerbehinderungen nach Altersklassen in Hessen und im
Wetteraukreis im Jahr 2012
Schwerbehinderte Menschen
Wetteraukreis
Hessen
insgesamt
29.241
602.932
darunter weiblich in %
47,5
48,0
insgesamt
448
9.151
in %
1,5
1,5
insgesamt
623
11.424
davon Altersklasse:
bis 14 Jahre
15 bis 24 Jahre
25 bis 34 Jahre
35 bis 44 Jahre
45 bis 54 Jahre
55 bis 64 Jahre
65 Jahre oder älter
in %
2,1
1,9
insgesamt
786
15.891
in %
2,7
2,6
insgesamt
1.513
30.153
in %
5,2
5,0
insgesamt
3.934
78.647
in %
13,5
13,0
insgesamt
7.234
145.622
in %
24,7
24,2
insgesamt
14.703
312.044
in %
50,3
51,8
Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, Darstellung der Hessen Agentur.
Auch bei der Art der schwersten Behinderung zeigt sich ein für Hessen und den
Wetteraukreis vergleichbares Bild (vgl. Tabelle 13). Mit 25 % und 18 % entfallen
auch im Wetteraukreis große Anteile auf die Kategorien „Beeinträchtigung der Funktion von inneren Organen bzw. Organsystemen“ und „Querschnittlähmung, zerebrale Störungen, geistig-seelische Behinderungen, Suchtkrankheiten“.
In der jüngeren Altersklasse von 15 bis 44 Jahren haben die „geistig-seelischen
Behinderungen“ eine hohe Bedeutung. In die Kategorie fallen ca. 900 Personen. Im
Vergleich dazu zählt die über alle Altersklassen bedeutendste Kategorie „Beein-
31
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
trächtigung der Funktion von inneren Organen bzw. Organsystemen“ hier nur rund
500 Personen. Mehr als 100 Personen werden zudem den drei Kategorien „Funktionseinschränkung von Gliedmaßen“, „Blindheit und Sehbehinderung“ sowie
„Sprach- oder Sprechstörungen, Taubheit, Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen“ zugeordnet.
Tabelle 13 Menschen mit Schwerbehinderungen nach der Art der schwersten Behinderung im
Wetteraukreis im Jahr 2012
Art der schwersten Behinderung
Menschen mit
Schwerbehinderung
Anzahl
in %
darunter in Altersklasse:
15 bis 44 Jahre
Anzahl
in %
45 bis 65 Jahre
Anzahl
in %
Beeinträchtigung der Funktion von
inneren Organen bzw. Organsystemen
7.428
25,4
516
6,9
2.813
37,9
Sonstige und ungenügend bezeichnete
Behinderungen
6.563
22,4
956
14,6
2.515
38,3
Querschnittlähmung, zerebrale Störungen, geistig-seelische Behinderungen,
Suchtkrankheiten
5.332
18,2
929
17,4
2.471
46,3
Funktionseinschränkung der Wirbelsäule
und des Rumpfes, Deformierung des
Brustkorbes
3.837
13,1
94
2,4
1.417
36,9
Funktionseinschränkung von Gliedmaßen
2.820
9,6
152
5,4
975
34,6
Sprach- oder Sprechstörungen, Taubheit, Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen
1.243
4,3
131
10,5
473
38,1
Blindheit und Sehbehinderung
1.274
4,4
105
8,2
320
25,1
Verlust oder Teilverlust von Gliedmaßen
565
1,9
35
6,2
143
25,3
Verlust einer Brust oder beider Brüste,
Entstellungen u.a.
179
0,6
4
2,2
41
22,9
100,0
2.922
10,0
11.168
38,2
Insgesamt
29.241
Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, Darstellung der Hessen Agentur.
32
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Qualifikationen in schulischer und beruflicher Hinsicht
Wesentliche Faktoren für die Eignung eines Menschen für den Arbeitsmarkt sind
schulische und berufliche Qualifikationen. Über das Bildungsniveau der Menschen
mit Behinderungen liegen auf regionaler Ebene keine umfassenden Informationen
vor. Aus den Ergebnissen des Mikrozensus 2009 für Hessen zum höchsten Schulund Berufsabschluss von 15-jährigen und älteren Personen geht hervor, dass das
schulische Bildungsniveau von Menschen mit Behinderungen hinter dem der Menschen ohne Behinderung zurückblieb.62 Während nur 10 % der Menschen mit Behinderungen ihr Abitur absolvierten, bestanden rund 25 % der Menschen ohne Behinderungen die Abiturprüfung. Vergleicht man die Anteile der Personen ohne
Schulabschluss, ist dieser Anteil bei Menschen mit Behinderungen (5,3 %) allerdings nur um 1,6 Prozentpunkte höher als der bei Menschen ohne Behinderung
(3,7 %). Beim Berufsabschluss zeigt sich, dass 59 % der Menschen mit Behinderungen, aber nur 50 % der Menschen ohne Behinderung über eine abgeschlossene
Berufsausbildung verfügen. Einen Hochschulabschluss weisen Menschen ohne
Behinderung allerdings mit einem Anteil von 10 % etwa doppelt so häufig auf wie
Menschen mit Behinderungen.63
Das Gesamtbild der Qualifikationen in schulischer und beruflicher Hinsicht von Menschen mit Behinderungen ist allerdings zu differenzieren. Das Qualifikationsniveau
dürfte mit dem Alter variieren und ist auch von der Art der Behinderung beeinflusst.
So ist beispielsweise bei Menschen mit ausschließlich körperlicher Behinderung
kein schlechteres Bildungsniveau zu erwarten, zumal die Beeinträchtigung häufig
erst in späterem Alter eintritt. Meist geringer sind hingegen die Bildungschancen von
Menschen mit geistiger Behinderung einzuschätzen. Neben der Art der Behinderung
korreliert auch der Grad der Behinderung (negativ) mit dem Qualifikationsniveau.64
Es wird deutlich, dass sich aus den verfügbaren Statistiken, insbesondere auf regionaler Ebene, nur bedingt Aussagen zu Erwerbspotenzialen der Personengruppe
Menschen mit Behinderungen ableiten lassen. Die Statistiken sind in der Regel defizitorientiert, richten den Blick nicht auf die Eignung der Personen für den Arbeitsmarkt sowie Bedarfe hinsichtlich der Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses.
62 Vgl. Hessisches Sozialministerium (2012b), S. 438ff. Zu den Menschen mit Behinderungen zählen im Mikrozensus
Personen mit einem Grad der Behinderung von 20 bis 100.
63 Die IWAK-Betriebsbefragung aus dem Herbst 2012, die sich mit der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung befasst, kommt für die Rhein-Main-Region (einschließlich Wetterau) zu vergleichbaren Ergebnissen. Der Großteil
der Beschäftigten mit Schwerbehinderung kann danach einen Berufsabschluss vorweisen. Zudem gleicht der Akademikeranteil unter den Beschäftigten mit Schwerbehinderung dem Akademikeranteil von allen Beschäftigten. Vgl. Nüchter,
O. / Schmid, A. (2013), S. 1ff.
64 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013b). S. 120.
33
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
4.2
Situation auf dem Arbeitsmarkt und dem Ausbildungsmarkt
In Hessen lag die Erwerbsquote von Menschen mit Behinderungen gemäß dem
Mikrozensus im Jahr 2009 bei rund 30 % und damit deutlich unter der Erwerbsquote
von Menschen ohne Behinderung (62 %). Somit steht ein Großteil der Menschen
mit Behinderungen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Den geringsten Unterschied zur Erwerbsquote von Menschen ohne Behinderung gibt es in der Altersklasse 15 bis 24 Jahre, in der rund die Hälfte der Menschen mit anerkannter Behinderung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht.65 Da entsprechende Informationen im
Mikrozensus für den Wetteraukreis nicht vorliegen, werden nachfolgend Ergebnisse
der Beschäftigungs- und Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit präsentiert.
Beschäftigungssituation
Die Beschäftigungsstatistik zu Menschen mit Schwerbehinderungen basiert auf Daten, die von der Bundesagentur für Arbeit u. a. zur Berechnung des Umfangs der
Beschäftigungspflicht und zur Berechnung einer eventuell fälligen Ausgleichsabgabe erhoben werden. Sie liefert Informationen über die Anzahl der Arbeitgeber mit 20
und mehr Arbeitsplätzen, ihren Pflichtarbeitsplätzen (besetzt, unbesetzt), Beschäftigungsquoten (Ist-Quote) sowie über ausgewählte Merkmale wie z. B. Betriebsgrößenklasse, Wirtschaftszweig, Altersgruppe und Region.
In Hessen waren im Jahr 2011 insgesamt 92.338 Menschen mit anerkannten
Schwerbehinderungen in Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen beschäftigt, 2.865 Personen bzw. 3 % davon im Wetteraukreis (vgl. Tabelle 14). Der überwiegende Teil der Beschäftigten (82 %) war den Altersklassen ab 45 Jahre zugeordnet. Dies ist auf die Verteilung der Bevölkerung mit Schwerbehinderungen nach
Altersklassen zurückzuführen (vgl. Abschnitt 4.1).
65 Vgl. Hessisches Sozialministerium (2012b), S. 442ff.
34
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Tabelle 14 Beschäftigte Menschen mit Schwerbehinderungen nach Geschlecht und Alter im
Jahr 2011 im Wetteraukreis und in Hessen
Wetteraukreis
Hessen
Alter
Insgesamt
Männer
Frauen
Insgesamt
Männer
Frauen
unter 15 Jahre
-
-
-
-
-
-
15 bis unter 20 Jahre
2
2
-
133
77
55
20 bis unter 25 Jahre
19
9
10
746
402
343
25 bis unter 30 Jahre
46
22
24
1.610
868
742
30 bis unter 35 Jahre
87
36
51
2.755
1.415
1.340
35 bis unter 40 Jahre
134
77
57
4.417
2.416
2.001
40 bis unter 45 Jahre
242
110
132
8.914
4.815
4.099
45 bis unter 50 Jahre
412
212
200
14.806
8.267
6.539
50 bis unter 55 Jahre
602
313
289
19.311
10.804
8.507
55 bis unter 60 Jahre
808
435
373
24.325
13.797
10.529
60 Jahre und älter
513
299
214
15.309
9.439
5.870
2.865
1.514
1.351
92.338
52.311
40.028
Insgesamt
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung der Hessen Agentur.
Bei nahezu allen im Wetteraukreis Beschäftigten mit Schwerbehinderungen liegt ein
Grad der Behinderung von mindestens 50 vor. Gleichstellungen sind hingegen selten. Der Anteil liegt im Wetteraukreis bei rund 6 %, in Hessen bei 12 %:
Tabelle 15 Beschäftigte Menschen mit Schwerbehinderungen nach Geschlecht und
Personengruppe im Jahr 2011 im Wetteraukreis und in Hessen
Wetteraukreis
Hessen
Personengruppe
Insgesamt
Männer
Frauen
12
8
3
Schwerbehind. Menschen
2.674
1.397
Gleichgestellte Menschen
178
Sonstige Personen
Angabe fehlt
Auszubildende
Insgesamt
Insgesamt
Männer
Frauen
476
272
204
1.277
80.542
45.158
35.384
109
69
11.301
6.864
4.437
-
-
-
3
2
1
1
-
1
15
13
2
2.865
1.514
1.351
92.338
52.311
40.028
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung der Hessen Agentur.
35
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Hessenweit gibt es laut BA-Statistik 317 Arbeitgeber im Gastgewerbe, die 20 und
mehr Arbeitsplätze aufweisen. Diese Arbeitgeber stellen insgesamt 51.247 Arbeitsplätze zur Verfügung.66 Die Ist-Quote, die den Anteil der durch Menschen mit
Schwerbehinderungen besetzten Arbeitsplätze an allen hierfür zu zählenden Arbeitsplätzen angibt, beträgt im Gastgewerbe 4,5 % und ist damit geringer als über
alle Wirtschaftszweige hinweg (5,2 %). Im Wetteraukreis gibt es im Gastgewerbe 10
Arbeitgeber mit 20 und mehr Arbeitsplätzen – 736 Arbeitsplätze insgesamt. Hier
liegt die Ist-Quote mit 1,9 % deutlich unter dem hessischen Durchschnitt des Gastgewerbes. Dies deutet regionale Nachhol- bzw. Beschäftigungspotenziale an:
Tabelle 16 Beschäftigte Menschen mit Schwerbehinderungen in ausgewählten Wirtschaftszweigen im Jahr 2011 im Wetteraukreis
Arbeitgeber
Wirtschaftsabschnitte
(WZ 2008)
Arbeitsplätze
mit 20 und
mehr Arbeits-
Insgesamt
plätzen
zu zählende
Arbeitsplätze
Pflichtarbeitsplätze
Ist-Quote
besetzt
unbesetzt
Verarbeitendes Gewerbe
87
10.868
10.062
610
50
6,1
Baugewerbe
23
1.224
1.060
40
15
3,7
Handel; Instandhaltung u.
Reparatur von Kraftfahrzeugen
83
7.935
6.372
213
118
3,3
Verkehr und Lagerei
16
773
629
16
13
2,6
Gastgewerbe
10
736
478
9
15
1,9
11
861
827
18
21
2,2
29
5.590
5.237
230
55
4,5
30
3.226
2.498
107
40
4,3
Öffentl. Verwaltung,
Verteidigung;
Sozialversicherung
26
5.148
4.538
422
1
9,3
Gesundheits- und
Sozialwesen
48
6.654
5.721
367
11
6,4
9
635
567
35
7
6,1
396
47.580
41.097
2.286
353
5,6
Information und
Kommunikation
Erbringung von freiberufl.,
wissensch. u. techn.
Dienstleistungen
Erbringung von sonst.
wirtschaftl. Dienstleistungen
Erbringung von sonst.
Dienstleistungen
Insgesamt
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung der Hessen Agentur.
66 Arbeitsplätze im Sinne des Zweiten Teils des SGB IX sind gem. § 73 Abs. 1 SGB IX „alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden.” Die Absätze 2 und 3 dieses Paragrafen regeln, was nicht als Arbeitsplatz in diesem Sinne gilt.
36
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Um einen Überblick über die Gesamtzahl der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
beschäftigten Menschen mit Schwerbehinderungen und ihnen Gleichgestellten zu
erhalten, werden von der Bundesagentur für Arbeit bei Arbeitgebern mit weniger als
20 Beschäftigten im fünfjährigen Abstand in Form einer repräsentativen Teilerhebung ebenfalls Informationen erhoben, zuletzt im Jahr 2010.67 Regionale Ergebnisse liegen für Hessen, aber nicht den Wetteraukreis vor.68 2010 waren bei nicht anzeigepflichtigen Arbeitgebern in Hessen weitere rund 11.000 Arbeitsplätze durch
Menschen mit Schwerbehinderungen und ihnen Gleichgestellte besetzt. Darunter
befanden sich rund 8.000 Menschen mit Schwerbehinderungen und 3.000 Gleichgestellte, so dass Gleichstellungen bei kleineren Unternehmen offenbar vergleichsweise häufig auftreten. Gegenüber dem Jahr 2005 sank die Gesamtzahl der besetzten Arbeitsplätze um rund 1.700 Plätze bzw. 13 %. Zu Rückgängen kam es allein
bei den durch Menschen mit Schwerbehinderungen besetzten Plätzen (- 3.250 Plätze bzw. - 29 %). Die Gesamtzahl der besetzten Arbeitsplätze für Gleichgestellte
verdoppelte sich hingegen.
Neben der Beschäftigungsstatistik kann die IWAK-Betriebsbefragung aus dem
Herbst 2012 einen Eindruck davon geben, inwieweit Unternehmen aus dem Gastgewerbe bereits Menschen mit Behinderungen beschäftigen.69 Die Befragung erfolgte in der Rhein-Main Region, zu der der Wetteraukreis in der Studie gezählt
wird.70 Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 15 % aller Betriebe mindestens
einen Menschen mit Schwerbehinderungen beschäftigen. Dieser Anteil liegt im
Gastgewerbe nur bei rund 7 %. Auch bei der Betrachtung des Anteils der Menschen
mit Schwerbehinderungen an allen Beschäftigten schneidet das Gastgewerbe mit
1,1 % unterdurchschnittlich ab (alle Betriebe: 3,6 %) und liegt auf dem letzten Platz
der betrachteten Bereiche.
67
68
69
70
Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013b), S. 132.
Vgl. Bundesagentur für Arbeit (2012).
Vgl. Nüchter, O. / Schmid, A. (2013). S. 3f.
Die Abgrenzung der Region Rhein-Main umfasst in dieser Studie die IHK-Bezirke Rheinhessen, Wiesbaden, Frankfurt,
Limburg, Gießen-Friedberg, Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern, Offenbach, Darmstadt sowie Aschaffenburg. Vgl. Nüchter, O. / Schmid, A. (2013), S. 1.
37
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit gibt Aufschluss über die Arbeitslosigkeit von Menschen mit anerkannten Schwerbehinderungen.71 Es können
allerdings nur Bestände, keine Arbeitslosenquoten, ausgewiesen werden.72 2012
waren 692 Personen mit Schwerbehinderungen und Wohnsitz im Wetteraukreis
arbeitslos (vgl. Tabelle 17). Damit wohnen ca. 5,3 % der arbeitslosen Menschen mit
Schwerbehinderungen Hessens im Wetteraukreis. An den Arbeitslosen insgesamt
hat der Wetteraukreis einen Anteil von nur 4,2 %. Demnach gibt es im Wetteraukreis
vergleichsweise viele arbeitslose Menschen mit Schwerbehinderungen.
Tabelle 17 Bestand an arbeitslosen Menschen mit Schwerbehinderungen im Jahr 2012 in
Hessen
Bestand an arbeitslosen Menschen mit
Schwerbehinderungen
Wetteraukreis
Insgesamt
Hessen
Männer
Frauen
Insgesamt
Männer
Frauen
15 - 24 Jahre
18
11
8
393
236
158
25 - 34 Jahre
72
40
32
1.273
756
517
35 - 44 Jahre
99
60
39
2.044
1.207
837
45 - 54 Jahre
219
133
86
4.128
2.409
1.719
55 - 64 Jahre
284
182
102
5.187
3.126
2.061
0
0
0
11
7
4
692
425
267
13.036
7.741
5.295
65 Jahre und älter
Insgesamt
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung der Hessen Agentur.
Im Vergleich zum Jahr 2010 hat sich die Zahl der arbeitslosen Menschen mit
Schwerbehinderungen im Wetteraukreis um 17 % erhöht, wovon vor allem Personen ab 45 Jahren betroffen waren. Dieser Anstieg steht im Gegensatz zur hessenweiten Entwicklung. Hier sind die Arbeitslosenzahlen der Menschen mit Schwerbehinderungen insgesamt um rund 2 % gesunken.
71 Gemäß § 16 SGB III sind alle Personen arbeitslos, die vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen,
eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen, dabei den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben und nicht Teilnehmer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind (§ 16 Abs. 2 SGB III). Zu den Erwerbslosen zählen alle Personen, die nicht erwerbstätig sind
und die in den letzten vier Wochen aktiv nach einer Stelle gesucht haben. Die Unterschiede zwischen Erwerbslosigkeit
und Arbeitslosigkeit folgen aus den verschiedenen Erhebungsmethoden (Stichprobenbefragung versus Registrierung)
und unterschiedlichen Konkretisierungen von Begriffsmerkmalen. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(2013b), S. 142.
72 Es fehlt die Bezugsgröße in der Bevölkerung.
38
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Deutschlandweite Daten der Bundesagentur für Arbeit belegen, dass die Dynamik in
der Entwicklung der Arbeitslosigkeit – auch in der mittleren Altersgruppe der 25- bis
unter 55-Jährigen – bei Arbeitslosen mit Schwerbehinderungen deutlich geringer als
bei anderen Arbeitslosen ist. Dies hat zur Folge, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit
und der Anteil der Langzeitarbeitslosen deutlich höher sind. Das Ergebnis, dass es
Menschen mit Schwerbehinderungen trotz einer vergleichbaren Qualifikation in geringerem Maße als nicht schwerbehinderten Menschen gelingt, die Arbeitslosigkeit
zu beenden, kann auch als Indiz für einen Handlungsbedarf im Bereich der Inklusion
auf dem Arbeitsmarkt gewertet werden.73
Bei der Beurteilung der Arbeitsmarktlage – und zudem bei der Abschätzung der
Größe der potenziellen Zielgruppe des Modellprojekts – ist die sogenannte „Stille
Reserve“ zu berücksichtigen, also eine unbekannte Zahl von Menschen, die sich
nicht arbeitslos meldet, auch weil sie ihre Chance auf Ausbildung oder Beschäftigung ohnehin gering einschätzt. Dies dürfte für Menschen mit und ohne Behinderungen gleichermaßen gelten. In diesem Zusammenhang sei zudem auf eine Dunkelziffer an Personen verwiesen, die vorzeitig verrentet würden, um eine Anpassung
des Arbeitsplatzes oder die Schaffung eines alternativen Arbeitsplatzes zu vermeiden. Ein weiterer Aspekt ist die Feststellung im Teilhabebericht der Bundesregierung, dass Menschen mit Beeinträchtigungen häufiger in einem Beruf arbeiten, der
ein geringeres als das vorhandene Ausbildungsniveau erfordert und der nicht den
Interessen entspricht.74
Situation auf dem beruflichen Ausbildungsmarkt
Aktuell gibt es rund 350 anerkannte Ausbildungsberufe nach Berufsbildungsgesetz
bzw. Handwerksordnung mit den Lernorten Berufsschule und Betrieb. Menschen mit
Behinderungen haben zusätzlich die Möglichkeit, eine spezielle sogenannte Fachpraktiker-Ausbildung nach § 66 Berufsbildungsgesetz (BBiG) und § 42m Handwerksordnung (HwO) zu absolvieren. Diese Ausbildungen haben ihren Schwerpunkt
in der Praxis und richten sich an junge Menschen, die aufgrund der Art und Schwere
der Behinderungen (noch) keine anerkannte Ausbildung absolvieren können.75 Da-
73 Vgl. Bundesagentur für Arbeit (2013a). S. 9ff.
74 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013b), S. 135.
75 Vgl. Faltblatt „Betriebliche Ausbildung von jungen Menschen mit Behinderung“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Berufsbildungswerke e. V. (2013). Ausbildungsberufe für Menschen mit Behinderungen durchlaufen derzeit einen Prozess zur Vereinheitlichung und Qualitätsverbesserung. Sie werden hier unter dem Begriff „Fachpraktiker-Ausbildung“ gebündelt. Teilweise finden sich diese Neuerungen noch nicht in den Bezeichnungen der amtlichen Statistik.
39
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
zu erfolgt eine entsprechende Begutachtung.76 Ziel ist langfristig die Eingliederung
in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Die Berufsbildungsstatistik des Hessischen Statistischen Landesamtes gibt auch
Auskunft über Menschen, die eine Ausbildung als Fachpraktiker absolvieren. Menschen mit Behinderungen, die einen anerkannten Ausbildungsberuf erlernen, sind
jedoch statistisch nicht identifizierbar. 2012 begannen in Hessen 426 Personen,
davon 78 im Wetteraukreis, eine Fachpraktiker-Ausbildung. An der Gesamtzahl der
Vertragsabschlüsse in Berufen nach § 66 BBiG bzw. § 42m HwO hat der Wetteraukreis damit einen Anteil von 18 %, während er über alle Berufe betrachtet nur 4 %
erreicht. Dies dürfte auf die Arbeit des Berufsbildungswerkes am Standort Karben
zurückzuführen sein. Gegenüber dem Jahr 2008 werden, entgegen dem Gesamttrend in Hessen und im Wetteraukreis, mehr Neuverträge in der Ausbildung zum
Fachpraktiker gezählt, wofür vor allem der Handwerksbereich verantwortlich ist. Im
Bereich Industrie und Handel waren die Neuvertragszahlen hingegen rückläufig.
Hinsichtlich der Zahl der Neuverträge nach Zuständigkeitsbereichen zeigt sich das
folgende Bild:
Abbildung 8 Verteilung der Neuverträge nach Zuständigkeitsbereichen im Wetteraukreis 2012
Fachpraktiker-Ausbildung
anerkannte Ausbildungsberufe
Landwirtschaft
3%
Landwirtschaft
21%
Öffentlicher
Dienst
1%
Industrie und
Handel
46%
Handwerk
33%
Handwerk
33%
N = 78
Freie Berufe
8%
Industrie und
Handel
55%
N = 1.556
Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, Darstellung der Hessen Agentur.
76 „Die Feststellung, dass Art und Schwere/Art oder Schwere der Behinderung eine Ausbildung nach einer Ausbildungsregelung für behinderte Menschen erfordert, soll auf der Grundlage einer differenzierten Eignungsuntersuchung erfolgen.
Sie wird derzeit durch die Bundesagentur für Arbeit – unter Berücksichtigung der Gutachten ihrer Fachdienste und von
Stellungnahmen der abgebenden Schule, gegebenenfalls unter Beteiligung von dafür geeigneten Fachleuten (u.a. Ärzte,
Psychologen, Pädagogen, Behindertenberater) aus der Rehabilitation bzw. unter Vorschaltung einer Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung – durchgeführt.“ (Rahmenregelung für Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen gemäß § 66 BBiG / § 42m HwO, S. 4).
40
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Der Bereich Landwirtschaft spielt in der Ausbildung zum Fachpraktiker eine größere
Rolle als in den anerkannten Ausbildungsberufen, der Zuständigkeitsbereich Industrie und Handel hingegen eine geringere Rolle.77 In den Bereichen „Öffentlicher
Dienst“ und „Freie Berufe“ gibt es keine Ausbildungsberufe für Menschen mit Behinderungen gemäß § 66 BBiG bzw. § 42m HwO.
Insgesamt wurden 2012 in Hessen 102.505 Auszubildende gezählt, 1.352 Personen
bzw. 1 % davon in der Fachpraktiker-Ausbildung. Bezogen auf die Gesamtzahl der
Auszubildenden stellen Menschen in der Fachpraktiker-Ausbildung in der Landwirtschaft mit rund 10 % den größten Anteil der Auszubildenden. In Industrie- und Handel (rund 800 Auszubildende) und im Handwerk (rund 300 Auszubildende) haben
Menschen in der Fachpraktiker-Ausbildung lediglich einen Anteil von etwa 1 % der
Auszubildenden.
Die Struktur im Wetteraukreis unterscheidet sich von der Gesamtsituation Hessens:
Insgesamt wurden 4.183 Auszubildende gezählt – die Zahl der Auszubildenden in
der Fachpraktiker-Ausbildung lag bei 217 Personen bzw. im Vergleich zu Hessen
überdurchschnittlichen 4 %. Dabei ist der Anteil der Auszubildenden in der Fachpraktiker-Ausbildung auch in allen Zuständigkeitsbereichen überdurchschnittlich: Er
beträgt rund 5 % in Industrie- und Handel sowie im Handwerk (Hessen: 1 %), in der
Landwirtschaft sogar 28 % (Hessen: 10 %). Berufe des Hotel- und Gaststättenbereichs erlernten 2012 im Wetteraukreis 67 Personen mit Behinderungen. Der Anteil
dieser Berufe an allen Fachpraktiker-Ausbildungen liegt bei 31 %, was auf eine vergleichsweise hohe Bedeutung der Berufe hinweist. Der meistgewählte Beruf fällt mit
„Werker im Gartenbau / Gartenbauhelfer“ jedoch in den Zuständigkeitsbereich der
Landwirtschaft. In Industrie und Handel sowie Handwerk werden im Einzelnen die
Berufe „Bau- und Metallmaler“, „Beikoch“, „Hauswirtschaftshelfer“, „Metallbearbeiter“
mit jeweils mehr als 30 Auszubildenden sowie „Holzbearbeiter“ mit 22 Auszubildenden am häufigsten gewählt. In ihnen sind insgesamt 94 % der Auszubildenden zum
Fachpraktiker tätig.
Die Wiedereinführung der Ausbildereignungsverordnung im Jahr 2009 hat sich nach
Angaben interviewter Experten der Unternehmensseite grundsätzlich und speziell
im Bereich der Fachpraktiker-Ausbildung – diese stellt besondere Anforderungen –
negativ auf die Ausbildungsbereitschaft einiger, vor allem kleinerer Unternehmen
ausgewirkt. Darauf reagieren die Kammern und auch Bildungsträger, indem sie Unterstützung beim Nachweis der Ausbildereignung anbieten.
77 Berufe des Hauswirtschaftsbereichs (z. B. Köche, Beiköche) werden in Hessen im Zuständigkeitsbereich von Industrieund Handel erfasst.
41
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
5
Beschäftigungspotenziale für Menschen mit Behinderungen
im Hotel- und Gaststätten-Bereich im Wetteraukreis
Dieses Kapitel fokussiert auf die in Kapitel 2 dargestellten Kernfragen zu Beschäftigungspotenzialen von Menschen mit Behinderungen im Hotel- und GaststättenBereich im Wetteraukreis. Die folgenden Ausführungen basieren vorrangig auf den
Ergebnissen der leitfadengestützten Experteninterviews.
Die Beschäftigungspotenziale von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hängen von ihnen selbst bzw. von ihren beruflichen Qualifikationen und Interessen ab, zudem von der Nachfrage der Betriebe. Wesentlich ist
ebenso, dass Arbeitsanbieter und -nachfrager regional und qualifikatorisch zueinander passen und zueinander finden bzw. vermittelt werden. Aus den geführten Expertengesprächen geht hervor, dass es für die Beschäftigung im Hotel- und Gaststätten-Bereich im Wetteraukreis auf allen Seiten (Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Vermittlung) derzeit Chancen und Hemmnisse gibt. Betont wird die Bedeutung des aktuellen Angebots an offenen Stellen bzw. des Fachkräftebedarfs seitens der Betriebe
(Abschnitt 5.1). Im Vordergrund stehen damit allgemeine bzw. vom etwaigen Vorliegen einer Behinderung unabhängige Faktoren. Darüber hinaus wurden in den Interviews weitere für Menschen mit Behinderungen spezifische Chancen und Hemmnisse ermittelt. Diese lassen sich in physische und mentale Barrieren sowie in Probleme im Hinblick auf die Vermittlung unterscheiden (Abschnitt 5.2). Die Auswirkungen einer Behinderung können in Kombination mit den Barrieren bzw. ungünstigen
Umweltfaktoren auch dazu führen, dass bestimmte Tätigkeitsfelder im Gastgewerbe
für Menschen mit einer bestimmten Behinderungsform besser oder auch weniger
gut geeignet sind als andere (Abschnitt 5.3).
5.1
Arbeitgeber, Stellenangebot und -nachfrage
Im Vordergrund bei der Einschätzung der Beschäftigungspotenziale steht das regional vorhandene Angebot an Arbeitgebern und offenen Stellen im Hotel- und Gaststätten-Bereich. Daher werden zunächst die potentiellen Arbeitgeber und das Stellenangebot des Gastgewerbes im Wetteraukreis anhand von Daten des Statistischen Landesamtes und der Bundesagentur für Arbeit dargestellt.
42
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Struktur potenzieller Arbeitgeber
Im Wetteraukreis gab es im Jahr 2011 gemäß Unternehmensregister 814 im Hotelund Gaststättenbereich tätige Unternehmen. Davon entfielen 16 % der Unternehmen auf den Bereich der Beherbergung, 84 % auf den Bereich Gastronomie.
Tabelle 18 Unternehmen der Wirtschaftsbereiche Beherbung und Gastronomie nach Betriebsgrößen im Wetteraukreis im Jahr 2011
Anzahl der Unternehmen
Wirtschaftsbereich
Insgesamt
0-9
davon mit einer Anzahl an Beschäftigten von
10-49
50-249
250 oder mehr
Beherbergung
133
122
10
1
0
Gastronomie
681
672
7
2
0
Insgesamt
814
794
17
3
0
Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, Darstellung der Hessen Agentur.
In den Unternehmen des Hotel- und Gaststättenbereichs in der Wetterau waren
rund 1.500 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, davon ca. 400 in der
Beherbergung, 1.100 in der Gastronomie. Somit verfügen die vergleichsweise wenigen in der Beherbergung tätigen Unternehmen durchschnittlich über eine höhere
Zahl an Beschäftigten (3 Personen) als die in der Gastronomie (1,6 Personen).
Die deutliche Mehrzahl aller Unternehmen hat zwischen null und neun sozialversicherungspflichtige Beschäftigte (vgl. Tabelle 18). Nur 8 % der Unternehmen in der
Beherbergung und lediglich 1 % in der Gastronomie verfügen über mehr als neun
Beschäftigte, keines hingegen über 250 und mehr Beschäftigte. Somit ist das Gastgewerbe im Wetteraukreis durch viele, hinsichtlich der Beschäftigtenzahl kleine Unternehmen geprägt, bei denen es meist keinen Beauftragten für die Belange von
Menschen mit Behinderungen gibt und deren Möglichkeiten insbesondere zur Neueinstellung von Menschen mit Behinderungen aufgrund begrenzter Betriebskapazitäten eingeschränkt sein können. Vor dem Hintergrund des sprichwörtlichen Verantwortungsbewusstseins kleinerer, häufig eigentümergeführter Betriebe kann dies
jedoch auch als Vorteil interpretiert werden. Grundsätzlich werden zum hessischen
Durchschnitt der branchenspezifischen Betriebsgrößenstruktur allerdings keine
nennenswerten Unterschiede deutlich.78
78 Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass sich die Angaben nur auf Unternehmen beziehen. Die Anzahl der Unternehmen und der Betriebe unterscheidet sich jedoch nur unwesentlich. Im Jahr
2011 wurden im Wetteraukreis im Gastgewerbe 858 Betriebe gezählt.
43
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Stellenangebot und Stellennachfrage im Gastgewerbe
Das Gastgewerbe (gemäß Wirtschaftszweigklassifikation von 2008) meldete im
September 2013 in Hessen insgesamt ca. 2.100 freie Stellen, die Mehrzahl davon –
wie nach dem Unternehmensregister zu erwarten – in der Gastronomie:
Tabelle 19 Stellenangebot im Gastgewerbe im September 2013 in Hessen
Wirtschaftsabteilung / Wirtschaftsgruppe
Bestand gemeldeter Arbeitsstellen
absolut
in %
559
100,0
544
98,5
10
1,0
Campingplätze
4
0,5
Sonstige Beherbergungsstätten
*
*
1.494
100,0
1.162
75,1
241
18,7
91
6,3
2.053
100,0
Beherbergung
davon:
Hotels, Gasthöfe und Pensionen
Ferienunterkünfte und ähnliche Beherbergungsstätten
Gastronomie
davon:
Restaurants, Gaststätten, Imbissstuben, Cafés, Eissalons u. ä.
Caterer und Erbringung sonstiger Verpflegungsdienstleistungen
Ausschank von Getränken
Insgesamt
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung der Hessen Agentur.
Im Agenturbezirk Gießen, der seit dem 1.1.2013 die Landkreise Wetteraukreis, Gießen und Vogelsbergkreis umfasst, wurden insgesamt 250 Stellen im Gastgewerbe
gemeldet. Tiefer regional gegliederte Informationen liegen in der Differenzierung
nicht vor.
Stellenangebot und Stellennachfrage in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen
Differenziert nach Berufen gemäß der Klassifikation der Berufe 2010 (KldB 2010)
zeigt sich bei der Gegenüberstellung von Arbeitslosen und offenen Stellen nach
Berufsbereichen für Hessen das folgende Bild:
44
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Abbildung 9 Arbeitslose je gemeldeter Arbeitsstelle nach Berufsbereichen in Hessen im
September 2013
Land-, Forst-, Tierwirtschaft, Gartenbau
10,6
Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit
7,7
Unternehmensorga,Buchhalt,Recht,Verwalt.
7,3
Kaufm.Dienstl.,Handel,Vertrieb,Tourismus
5,6
Insgesamt
5,4
Geisteswissenschaften, Kultur,Gestaltung
5,1
Naturwissenschaft, Geografie, Informatik
3,4
Bau,Architektur,Vermessung,Gebäudetechn.
3,4
Rohstoffgewinnung, Produktion, Fertigung
3,1
Gesundheit, Soziales, Lehre u. Erziehung
2,9
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung der Hessen Agentur.
Auf eine Stelle bewerben sich demnach im Berufsbereich „Kaufmännische Dienstleistungen, Handel, Vertrieb, Tourismus“ knapp sechs Arbeitslose. Danach ist das
Stellenangebot bzw. sind die Beschäftigungschancen für die Arbeitslosen in diesem
Berufsbereich durchschnittlich.
Betrachtet man die zugehörige Teilgruppe „Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufe“, so haben in Hessen im September 2013 insgesamt 3,8 % aller Arbeitslosen
Interesse an diesen Berufen. Es handelt sich um 6.833 Personen (vgl. Tabelle 21).
Tabelle 20 Stellenangebot und -nachfrage in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen im
Wetteraukreis und in Hessen im September 2013
Region
Hessen
Wetteraukreis
Bestand gemeldeter
Bestand gemeldeter
Anzahl Arbeitslose /
Arbeitsstellen
Arbeitsloser
Anzahl Arbeitsstellen
1.674
6.833
4,1
263
1.352
5,1
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung der Hessen Agentur.
Das Angebot an offenen Stellen in diesem Bereich beläuft sich auf 1.674 Stellen.79
Im Wetteraukreis entfielen auf den Bereich insgesamt 263 Stellen und 1.352 Arbeitslose. Damit stehen rechnerisch fünf Arbeitslose einer Stelle gegenüber, was
79 Das sind rund 5 % aller offenen Arbeitsstellen.
45
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
gegenüber der hessischen Gesamtsituation schlechtere Beschäftigungschancen für
Arbeitslose impliziert.80
Bei der Einschätzung von Beschäftigungspotenzialen sind zudem das Anforderungsniveau von Stellenangebot und -nachfrage zu berücksichtigen. Die folgende
Übersicht verdeutlicht, dass in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen das Gros
des Stellenangebots für Tätigkeiten als Fachkraft gemeldet wird, wobei Fachkräfte
nach der KldB 2010 bereits deutlich komplexere bzw. stärker fachlich ausgerichtete
Tätigkeiten verrichten als Helfer. Das Niveau wird in der Regel durch zwei- oder
dreijährige Berufsausbildungen bzw. durch berufsqualifizierende Abschlüsse an
Berufsfach- oder Kollegschulen erreicht.81
Tabelle 21 Stellenangebot und -nachfrage in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen im
September 2013 in Hessen nach Anforderungsniveau
Anforderungsniveau
Bestand gemeldeter Arbeitsstellen
absolut
in %
Bestand gemeldeter Arbeitsloser
absolut
in %
176
10,5
1.847
27,0
Fachkraft
1.419
84,8
4.457
65,2
Spezialist
42
2,5
211
3,1
Experte
37
2,2
318
4,7
1.674
100,0
6.833
100,0
Helfer
Insgesamt
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung der Hessen Agentur.
Analoge Informationen, wie viele Menschen mit Behinderungen Stellen mit welchem
Anforderungsniveau in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen suchen, liegen
nicht vor.82 Grundsätzlich verdeutlicht das Profil von Stellenangebot und -nachfrage
aktuell begrenzte Chancen für eine Arbeitsaufnahme insbesondere für Arbeitslose,
die nicht das Fachkräfteniveau erreichen.83 Vor diesem Hintergrund dürfen auch die
80 Grundsätzlich ist bei der Einschätzung der Beschäftigungschancen auch die Konkurrenz durch nicht arbeitslose Arbeitsuchende zu berücksichtigen, deren Zahl nahezu gleich hoch ausfällt wie die der Arbeitslosen. Die Zahl der Arbeitssuchenden lag im September 2013 bei 12.024 Personen – davon waren 6.833 Personen arbeitslos. Vgl. Bundesagentur für
Arbeit (2013b). Auf der anderen Seite dürfte bei der Bundesagentur für Arbeit gemäß diverser Studien grundsätzlich nur
rund ein Drittel der tatsächlichen offenen Stellen gemeldet sein.
81 Entsprechende Berufserfahrung/informelle berufliche Ausbildung wird als gleichwertig angesehen. Vgl. Bundesagentur
für Arbeit (2013b).
82 Auch Informationen über die beruflichen Qualifikationen der arbeitslosen Menschen mit Behinderungen sind auf regionaler Ebene nicht verfügbar.
83 Dies gilt auch über alle Berufe betrachtet: Im September 2013 haben nur ca. 16 % der offenen Stellen in Hessen die
Anforderung „Helfertätigkeit“, 84 % erforderten weitergehende Kenntnisse. Es suchen rund 72.000 Arbeitslose eine Stelle
mit dem niedrigsten Anforderungsniveau, während dafür nur rund 5.300 Stellen gemeldet sind.
46
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Vermittlungschancen der im Modell-Café qualifizierten Mitarbeiter – diese sollen für
Helfertätigkeiten (z. B. Beikoch) angelernt werden – nicht zu hoch eingeschätzt werden.
Ein Blick in das online-Stellenangebot der Bundesagentur für Arbeit zeigt neben den
schulischen und beruflichen Kompetenzen weitere Anforderungen der Betriebe an
Stellenbewerber auf. Dazu zählen u. a. Mobilität und das Vorhandensein eines eigenen PKWs, Flexibilität, Belastbarkeit, Stressresistenz sowie eigenverantwortliches
Handeln. Derartige Anforderungen verengen das Spektrum der Stellenangebote für
Interessenten grundsätzlich – Menschen mit Behinderungen können gerade aufgrund einer Behinderung überdurchschnittlich häufig betroffen sein. Angesichts der
Heterogenität der Personengruppe der Menschen mit Behinderungen kann jedoch
nicht verallgemeinert oder gar beziffert werden, wie viele Menschen mit welchen
Behinderungen diese Anforderungen der Betriebe erfüllen.
Einer Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im Gastgewerbe können
nicht zuletzt auch die beruflichen Interessen der potenziellen Arbeitnehmer Grenzen
setzen. Über diese Interessen liegen insbesondere auf regionaler Ebene nur unzureichend Informationen vor. Die präsentierten Statistiken der Bundesagentur für
Arbeit beispielsweise geben über den Wunschberuf eines arbeits- bzw. stellensuchenden Menschen mit Behinderungen im Wetteraukreis keine Auskunft. Im Rahmen der Expertengespräche konnten Informationen über die Interessen der Menschen mit Behinderungen, Erfahrungen, gewünschte Einsatzgebiete etc. im Bereich
des Gastgewerbes (vgl. Abschnitt 5.3) ebenfalls nur in Ansätzen und mittelbar, beispielsweise über Interessensvertreter, eingeholt werden. Zu berücksichtigen bei der
Einschätzung der Beschäftigungspotenziale ist jedoch u. a. die Attraktivität des Bereichs für die potenziellen Beschäftigten in finanzieller Hinsicht. Eine aktuelle Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der HansBöckler-Stiftung zeigt auf Basis von Daten des Mikrozensus gerade für das Gastgewerbe auf, dass 35,8 % der Hauptverdiener von Armut bedroht seien.84 Diese
finanziellen Perspektiven dürften sich eher negativ auf das Interesse potenzieller
Arbeitnehmer auswirken, eine Beschäftigung im Gastgewerbe anzustreben. Dies gilt
gerade auch für Eltern, deren Kind in einer WfbM arbeitet, zumal die Rückkehr in die
Werkstatt nach Expertenangaben problematisch ist. Einschränkend auf die Attraktivität der Arbeitsplätze im Gastgewerbe für potenzielle Arbeitnehmer können sich
84 Zahl der abhängig erwerbstätigen Haupteinkommensbezieher mit einem bedarfsgewichteten Einkommen unter 60 % des
mittleren Einkommens der entsprechenden Bevölkerungsgruppe. Vgl. Unger, B. / Bispinck, R. / Pusch, T. / Seils, E. /
Spannagel, D. (2013), S. 49.
47
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
darüber hinaus Spezifika wie ein hoher Zeitdruck, eine hohe Dienstleistungsorientierung und ein zum Teil rauer Umgangston auswirken.
5.2
Spezifische Chancen und Hemmnisse für die Inklusion auf dem
Arbeitsmarkt
Für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen bzw. ihre Teilhabe am
Arbeitsleben zeigen sich Barrieren, die grundsätzlich ausgeräumt werden können,
so dass sie nicht „natürlich“ im Sinne von unveränderlich sind. Die Barrieren sind
unterschiedlicher Art und in der Regel in Bezug zur Art der Behinderung des potenziellen Beschäftigten zu setzen. Sie bestehen z. B. in baulicher Hinsicht. Identifiziert
wurden in den Expertengesprächen jedoch auch Barrieren, die sich mehr auf das
Bewusstsein und die Bereitschaft der Betriebe, der Belegschaft, der Kundschaft
beziehen und die insofern eher in den „Köpfen“ bestehen.
5.2.1
Barrierefreiheit
Die Barrierefreiheit des Arbeitsplatzes (und des Weges dorthin) – dies sowohl im
Bereich des Service (z. B. im Verkaufsraum eines Cafés) als auch im internen Bereich (z. B. in der Küche) – ist eine Grundvoraussetzung zur Beschäftigung von
Menschen mit Behinderungen.85 Barrierefreiheit meint, dass z. B. Gebäude, deren
Ausstattung und auch Arbeitsmittel so gestaltet werden, dass sie von jedem Menschen ohne Einschränkungen, also universell, nutzbar sind.
Über die Barrierefreiheit der Betriebe im Hotel- und Gaststättenbereich in Hessen
und speziell im Wetteraukreis liegen bislang keine umfassenden Informationen vor.
Die präsentierten Statistiken der Bundesagentur für Arbeit beispielsweise geben
über eine mögliche Barrierefreiheit einer offenen Stelle für bestimmte Personengruppen standardisiert keine Auskunft, was für Stellensuchende mit Behinderungen
ein Erschwernis darstellen dürfte. Als Ergebnis der Expertengespräche lässt sich
festhalten, dass eine Barrierefreiheit der Betriebe im Hotel- und Gaststättenbereich
nur in Ausnahmefällen zu vermuten ist. Die befragten Unternehmensvertreter verwiesen auf vorhandene Barrieren sowohl in Restaurants als auch in Hotels, die Nutzungseinschränkungen für die Menschen mit Behinderungen unabhängig von der
Beeinträchtigungsart (schwere Körperbehinderungen, Sinnesbehinderungen, geistige, psychische Behinderungen) mit sich bringen. Die Barrieren zeigen sich im Hin85 Für barrierefreies Bauen gibt es in Deutschland DIN-Normen, die rechtlich Empfehlungen darstellen, so dass keine
Anwendungspflicht besteht. Je nach Bundesland bestehen unterschiedliche Regelungen und Festlegungen, was die Einhaltung von Normen der Barrierefreiheit für bestimmte Bauten oder Anlagen betrifft. Unter www.rehadat.de findet sich Literatur zum Thema Barrierefreies Bauen (Zugriff: 22. November 2013).
48
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
blick auf den Zugang zu und der Bewegung in den Gebäuden, aber auch im Hinblick
auf die im Gastgewerbe verwendeten Arbeitsmittel. Häufig wurden für langjährige
Mitarbeiter, die gleichsam in eine Beeinträchtigung bzw. Behinderung „hineingealtert“ sind, Arbeitsplätze speziell an die Bedürfnisse angepasst bzw. neue Arbeitsplätze im Betrieb gefunden.86 Die Bereitschaft der Betriebe insbesondere zur Einrichtung neuer barrierefreier Arbeitsplätze erscheint aktuell noch wenig ausgeprägt,
selbst wenn die barrierefreie Umgestaltung eines Arbeitsplatzes gerade für Menschen mit Schwerbehinderungen durch den Rehaträger oder das Integrationsamt
finanziell unterstützt werden kann.87 Offenbar haben die Betriebe bisher selten Anlass gehabt zu Veränderungen, die im Umbau grundsätzlich Kapazitäten binden und
u. a. den Betriebsablauf stören. Die kleinbetriebliche Struktur im Gastgewerbe kann
in dem Zusammenhang ein (zusätzliches) Hemmnis für die Realisierung von Anpassungs- und Umbaumaßnahmen darstellen. Zudem ist die Spezifität etwaiger
Investitionen zu berücksichtigen. Bei der Anpassung eines Arbeitsplatzes an die
individuellen Bedürfnisse eines Mitarbeiters mit einer bestimmten Behinderung können Kosten entstehen, die bei einem Wechsel des Mitarbeiters zum Großteil verloren zu gehen drohen („sunk costs“).
Auch die Ergebnisse der IWAK-Betriebsbefragung aus dem Herbst 2012 weisen
darauf hin, dass die Beschäftigungschancen von Menschen mit Schwerbehinderungen im Gastgewerbe aktuell (noch) unterdurchschnittlich sind. Hier wurden Betriebe
auch nach zusätzlichen Beschäftigungspotenzialen für Menschen mit Schwerbehinderungen befragt.88 Insgesamt gaben 14 % der Betriebe an, dass sie über (weitere)
Arbeitsplätze verfügen, die grundsätzlich mit Menschen mit (Schwer)Behinderung
besetzt werden könnten. Im Gastgewerbe ist dieser Anteil geringer und liegt bei
6 %.
2014 soll in Hessen das bundeseinheitliche Kennzeichnungssystem der Nationalen
Koordinationsstelle Tourismus für Alle e.V. – NatKo für barrierefreie Angebote im
touristischen Bereich eingeführt werden, was die Bedeutung dieses Themas bei
touristischen Anbietern weiter steigern dürfte. Barrierefreie Angebote werden von
Experten festgestellt und mit verschiedenen Logos und Piktogrammen gekenn-
86 Vgl. zur Problematik, dass eine Weiterbeschäftigung aus einer innerbetrieblichen Situation heraus wahrscheinlicher ist
als eine Neueinstellung, auch Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2013), S. 23.
87 Als Rechtsgrundlage dienen hierfür § 33 SGB IX, § 102 Absatz 3 SGB IX in Verbindung mit § 26 SchwerbehindertenAusgleichsabgabeverordnung. Ein Arbeitgeber kann seinen Antrag auf die behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes eines Beschäftigten mit Schwerbehinderung bei dem Integrationsamt beim Landeswohlfahrtsverband Hessen stellen. Sollte sich ergeben, dass ein anderer Leistungsträger zuständig ist, wird der Antrag entsprechend weitergeleitet. Vgl. Landeswohlfahrtsverband Hessen (2012) S. 56ff.
88 Vgl. Nüchter, O. / Schmid, A. (2013). S. 3ff.
49
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
zeichnet, die die Eignung für bestimmte Nutzergruppen signalisieren. In einer Online-Datenbank sollen die Angebote abrufbar sein.89
5.2.2
Bewusstsein, Wissen, Interesse und Bereitschaft
Barrierefreiheit bezieht sich nicht nur auf die physische Barrierefreiheit, sondern
auch auf ein grundsätzliches Bewusstsein für die Rechte und Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen. Sowohl die UN-Konvention als auch der hessische Aktionsplan messen der Bewusstseinsbildung eine zentrale Bedeutung bei.90
Aus den geführten Interviews geht hervor, dass bei vielen Arbeitgebern noch Nachholbedarf bezüglich des Wissens- und Informationsstands über die Fähigkeiten und
Potenziale von Menschen mit Behinderungen besteht. Dies bestätigten sowohl Gesprächspartner auf Unternehmensseite und der Bundesagentur für Arbeit als auch
Gesprächspartner des Landeswohlfahrtsverbands und der Bildungseinrichtungen.
Wie die Interviews zeigen, kommen Unternehmen mit der Thematik häufig erst in
Berührung, wenn bei langjährig Beschäftigten Behinderungen während ihres Berufslebens auftreten. Zudem sei eher die Auslagerung von Tätigkeiten an Werkstätten
für Menschen mit Behinderungen verbreitet. Das Interesse, sich ohne direkte Veranlassung und darüber hinaus intensiv über die Fähigkeiten und Potenziale der Menschen von Behinderungen zu informieren, sei insgesamt noch wenig ausgeprägt.
Nur in Ausnahmefällen habe die Thematik Eingang in die Unternehmensphilosophien gefunden. Vielmehr weisen die befragten Experten übereinstimmend darauf
hin, dass bei vielen Unternehmen noch Vorbehalte und Befürchtungen gegenüber
Neueinstellungen bestehen. Diese beziehen sich z. B. auf hohe Ausfallzeiten bzw.
beschränkte Einsatzmöglichkeiten der Menschen mit Behinderungen und auch den
besonderen Kündigungsschutz. Zudem werden der Beratungsdschungel und der
bürokratische Aufwand im Vorfeld und im Verlauf des Beschäftigungsverhältnisses
von Unternehmensseite als große Hürde bei der Einstellung von Menschen mit Behinderungen genannt. Auch der Landeswohlfahrtsverband und die Bildungseinrichtungen bestätigten dieses Problem.91 Viele Befürchtungen gründen jedoch offenbar
auch auf Unwissenheit und könnten bei näherer Auseinandersetzung mit diesem
Thema zum Großteil ausgeräumt werden. Als Beispiel kann der Kündigungsschutz
von Menschen mit Behinderungen herangezogen werden. Aus dem Jahresbericht
2012 des Landeswohlfahrtsverbands Hessen geht hervor, dass 2012 bei den Integrationsämtern rund 3.000 Anträge auf Zustimmung zur Kündigung eines Menschen
89 Vgl. www.hessen-tourismus.de (Zugriff: 25. Oktober 2013) und auch www.natko.de.
90 Vgl. Hessisches Sozialministerium (2012a). S. 21ff.
91 Auch aus den Ergebnissen der IWAK-Betriebsbefragung geht hervor, dass viele Betriebe höhere Kosten und verstärkte
Schutzvorschriften (z. B. Kündigungsschutz) befürchten. Vgl. Nüchter, O. / Schmid, A. (2013). S. 9.
50
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
mit Schwerbehinderungen bearbeitet und entschieden wurden. Rund 500 Arbeitsverhältnisse bzw. 17 % blieben erhalten – entsprechend haben die Integrationsämter in der Mehrzahl der Fälle (83 %) einer Kündigung zugestimmt.92 Auch Vorbehalten in Bezug auf die Fähigkeiten der Menschen mit Behinderungen kann entgegnet
werden, dass sich die Arbeitgeber z. B. durch die finanziell unterstützte Probebeschäftigung selbst ein Bild von den Fähigkeiten eines Menschen mit Behinderungen
machen können.
Bezogen auf die Hindernisse, die auf Unwissenheit seitens der Betriebe aufbauen,
besteht nach Ansicht sowohl der Unternehmensseite als auch auf Seiten des Landeswohlfahrtsverbands und der Bildungseinrichtungen weiterer Sensibilisierungsund Aufklärungsbedarf durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit. Eventuell trägt auch
der wachsende Druck zur Fachkräftesicherung dazu bei, dass sich Arbeitgeber stärker mit der Thematik befassen. Vor allem die Interviewpartner aus der Wirtschaft
gehen davon aus, dass Menschen mit Behinderungen im Hinblick auf die Deckung
der Fachkräftebedarfe zunehmend in den Fokus der Unternehmen rücken werden.
Einschränkend auf die Beschäftigungschancen wirken sich auch Befürchtungen der
Belegschaft aus, z. B. hinsichtlich eventuell höherer Ausfallzeiten, die von ihr kompensiert werden müssten, sowie weiterer Auswirkungen auf die eigenen Tätigkeiten.
Auf Seiten der Belegschaft ist ebenfalls die Bereitschaft erforderlich, die spezifischen Bedürfnisse der Beschäftigten mit Behinderungen bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen und -inhalte zu berücksichtigen. Ein Interviewpartner berichtete
von einem Unternehmen, dessen Geschäftsführung die Einstellung von Menschen
mit Behinderungen zwar forcierte. Die Einstellung wurde jedoch von den Mitarbeitern nicht mitgetragen, was letztendlich zum Scheitern der Anstellung führte. Möglicherweise wurde die Belegschaft mit Blick auf einen etwaigen Zusatzaufwand nicht
genügend unterstützt. Hier können zudem ebenfalls weitere Sensibilisierung und
Aufklärung über die Fähigkeiten der Menschen mit Behinderungen angezeigt sein.
In Einzelfällen werden Beschäftigungsbarrieren auch auf eine mangelnde Akzeptanz
seitens der Kunden zurückgeführt. Ihrem Anspruch z. B. auf Schnelligkeit des Service können einige Beschäftigte mit Behinderungen – zumindest im „normalen“ Tagesgeschäft – möglicherweise nicht gerecht werden. Hier sei ebenfalls ein grundlegender Bewusstseinswandel erforderlich, der das Arbeiten im Gastgewerbe grundsätzlich – für Menschen mit und ohne Behinderungen – attraktiver machen könne.
Auf der anderen Seite wird etwa der Betrieb eines Cafés, bei dem die Kunden auf
eventuell veränderte Abläufe eingestellt sind, von der Mehrheit der Experten als
92 Vgl. Landeswohlfahrtsverband Hessen (2013), S. 39ff.
51
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
erfolgsversprechend angesehen. Viele Kunden könnten ein derartiges Konzept aktiv
unterstützen.
5.2.3
Unterstützungsbedarfe bezüglich der Vermittlung in den allgemeinen
Arbeitsmarkt
Die Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinderungen hängen auch davon
ab, dass sie und passende Betriebe zueinanderfinden. Externe Vermittlungsarbeit
kann den Prozess vereinfachen. Dies ist Aufgabe vor allem der Arbeitsagenturen
und Jobcenter sowie regional für Menschen mit Schwerbehinderungen der Integrationsfachdienste – letzteres auch in der Wetterau.
Nach Ansicht der überwiegenden Mehrheit der interviewten Experten bestehen bei
der Vermittlung mit Blick auf soziale Gesichtspunkte, aber auch auf die Fachkräftesicherung noch Potenziale. Es zeige sich zusätzlicher Unterstützungsbedarf bei den
Akteuren (Betriebe, Menschen mit Behinderungen bzw. Angehörige und Betreuungspersonen), von der Anbahnung bis zur Verstetigung eines neuen Beschäftigungsverhältnisses. Ein Gesprächspartner erklärte, dass diesbezüglich noch zu viel
dem Zufall oder beispielsweise dem ehrenamtlichen Engagement überlassen werde.
Grundsätzlich wurde das Unterstützungsangebot von allen interviewten Experten
positiv beurteilt, vor allem was die Anwendungsbereiche und die finanziellen Aspekte anbelangt. Eher zeigt sich, dass das Wissen darüber bei den Arbeitgebern offenbar noch gering ausgeprägt ist. Die Hilfestellungen sind in vielen Betrieben offenbar
kaum bekannt.93 Als Grund führen die Experten an, dass es nicht immer einfach sei,
die Betriebe – vor allem kleine Betriebe ohne Beauftragten für die Menschen mit
Schwerbehinderungen – z. B. mittels Informationsveranstaltungen oder Broschüren
zu erreichen. Zwar sei eine leichte Öffnung für die Thematik u. a. aufgrund des sich
abzeichnenden Fachkräftemangels zu erkennen, jedoch vollziehe sich der Prozess
eher langsam. Entsprechend zeigt sich hier weiterer Sensibilisierungs- bzw. Informationsbedarf. Eventuell ergibt dabei der Aufbau der regionalen Kooperationsgremien im Rahmen der für Menschen mit Schwerbehinderungen bzw. Gleichgestellte
ergriffenen „Initiative Inklusion“ oder etwa die Einrichtung einer Inklusionsberatungsstelle durch die Handwerkskammer Wiesbaden weitere Impulse für die Stärkung
93 Zu diesem Ergebnis kommt auch die IWAK-Betriebsbefragung, die einen geringen Bekanntheitsgrad der neueren Programme zur Inklusion (u. a. ehemaliges 4. Hessische Schwerbehindertenprogramm, „Initiative Inklusion“) dokumentiert.
Vgl. Nüchter, O. / Schmid, A. (2013). S. 6.
52
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
des Bewusstseins für die Themen Fachkräftesicherung und Inklusion auf dem Arbeitsmarkt.94
Als Hemmnis für die Vermittlung wird darüber hinaus von interviewten Experten der
Unternehmerseite und der Bildungseinrichtungen genannt, dass aktuell vielfach ein
„Kümmerer“ fehle, der den Vermittlungsprozess zwischen Unternehmen und Menschen mit Behinderungen bzw. ihren Angehörigen und Betreuungspersonen vor Ort
anstößt und begleitet. Betriebe werden in einem geringeren Maße als nötig aktiv
akquiriert und individuell beraten, selten direkte Kontakte zu Menschen mit Behinderungen bzw. ihren Angehörigen hergestellt.95 Für die Betriebe sei es zudem oftmals
schwer, die informellen beruflichen Kompetenzen der Menschen mit Behinderungen
einzuschätzen. Zwar besteht die Möglichkeit, beispielsweise durch Praktika oder
finanziell unterstützte Probebeschäftigungen einander kennenzulernen. Allerdings
wäre auch bereits im Vorfeld eine Information über Zertifizierungen der Kammern
und/oder eine aussagekräftige individuelle Zeugnisformulierung bezogen auf die in
einem Beruf geforderten Kompetenzen hilfreich. Einige Betriebe fühlen sich nach
Angaben eines Wirtschaftsvertreters zudem mit einem „Förderdschungel“ konfrontiert und mit der Antragstellung überfordert. Hinzu komme auf Unternehmensseite
letztlich auch eine Unsicherheit bezüglich der Bewältigung von Problemen nach der
Vermittlung.
Auch die Interessen der Angehörigen können einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Wege stehen. So bestehen z. B. offenbar teils große Bedenken hinsichtlich des Verlassens der „geschützten Welt“ der Werkstätten. Werde
einmal der Sprung aus einer Werkstatt in den allgemeinen Arbeitsmarkt gewagt, ist
eine Wiedereingliederung in eine Werkstatt nicht selbstverständlich. Insofern zeigen
sich Potenziale dahingehend, den Angehörigen Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Werkstätten aufzuzeigen und ihnen Ängste zu nehmen.
Letztlich besteht nach Ansicht der Experten noch ein Mangel an zuständigen regional verankerten Vertrauenspersonen, die über detaillierte Kenntnisse hinsichtlich der
unterschiedlichen Arten von Beeinträchtigungen verfügen und die deren Auswirkungen im Beschäftigungssystem einschätzen können. Hilfreich wären bei diesen Vertrauenspersonen zudem fundierte Kenntnisse der relevanten Arbeitsmärkte. Dabei
94 In der Inklusionsberatungsstelle soll am Standort Wetzlar ein Mitarbeiter die Inklusionskompetenz der Handwerkskammer
insgesamt und der Aus- und Weiterbildungsberater im Speziellen verbessern.
95 Vgl. hierzu auch IAB (2013) S. 56ff. Hier wird ein zu hoher Betreuungsschlüssel für eine adäquate Betreuung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen beschrieben. Zugleich bleibe auch keine Zeit, um potenzielle Arbeitgeber oder
potenzielle Arbeitsplätze aufzusuchen.
53
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
sehen die Experten Handlungsbedarf hinsichtlich einer stärkeren Koordination der
Leistungen und zuständigen Träger („Leistungen aus einer Hand“).
5.3
Eignung der Tätigkeitsfelder des Gastgewerbes
Das Spektrum der Tätigkeiten im Gastgewerbe reicht von der Beschäftigung in
(Groß)Küchen über Service-, Rezeptions- und Reinigungsarbeiten bis hin etwa zur
Pflege der Außenanlagen. Ein Ziel der Expertengespräche war zu eruieren, welche
dieser Tätigkeitsfelder für Menschen mit einer bestimmten Behinderungsform besser oder auch weniger gut geeignet sind. Bei den Gesprächspartnern konnten diesbezüglich vor allem Beispiele bzw. Erfahrungen zur Beschäftigung von Menschen
mit geistigen, seelischen sowie (schweren) körperlichen Beeinträchtigungen eingeholt werden. Zu anderen Behinderungsformen (z. B. Seh-, Hörbehinderung) lagen
keine Erfahrungen vor.96
Ein Gesprächspartner verwies zunächst darauf, dass für viele Menschen mit bestimmten Behinderungsformen, beispielsweise Diabetiker, Epileptiker, Organgeschädigte, bei Nutzung der normalen Hilfsmittel zur Alltagsbewältigung zumeist keinerlei Einschränkungen im Beruf vorliegen. Dies trifft beispielsweise auch auf Personen mit einem Teilverlust von Gliedmaßen zu, die die Beeinträchtigung durch
entsprechende Prothesen vollständig kompensieren können. Damit wäre ein großer
Teil der statistisch erfassten Personen mit Schwerbehinderungen (vgl. Kapitel 4.1)
bezogen auf die Beeinträchtigung für die Tätigkeiten im Gastgewerbe geeignet.
Für andere Menschen mit anderen Formen der Behinderung erscheinen hingegen
manche Tätigkeitsfelder im breiten Aufgabenspektrum des Hotel- und Gaststättengewerbes besser geeignet als andere. So wird sowohl von Unternehmensseite als
auch von Seiten der Bildungseinrichtungen für Menschen mit einer geistigen Behinderung ein großes Potenzial für eine Anstellung z. B. in Großküchen und Kantinen
gesehen. Dieser Bereich eigne sich aufgrund der strukturierten und standardisierten
Arbeitsabläufe. Die angebotenen Speisekarten der Großküchen bzw. Kantinen werden über einen längeren Zeitraum im Voraus geplant, wodurch sich die Tätigkeiten
der Menschen mit Behinderungen organisatorisch gut einbinden lassen. In diesem
Bereich besteht auch für einfachere oder zuarbeitende Tätigkeiten Bedarf (z. B.
Waschen und Schneiden von Gemüse und Obst). Auch die mechanische Bedienung einiger (Küchen)Maschinen, beispielsweise von Spülmaschinen, kommt in
Frage. Für einen reibungslosen Ablauf ist eventuell eine spezielle Einrichtung des
96 Oder diese wurden von den Interviewten nicht thematisiert, z. B. weil die Behinderung bzw. Beeinträchtigung nicht bekannt ist oder gar nicht als solche wahrgenommen wird.
54
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Arbeitsplatzes sicherzustellen. Ein Interviewpartner verwies exemplarisch darauf,
dass Autisten das Arbeiten mit Blick zur Wand dem Blick in den Küchenraum vorziehen. Insgesamt attestiert ein Gesprächspartner auch für Menschen mit schweren
seelischen Beeinträchtigungen ein Potenzial zur Beschäftigung in Großküchen und
Kantinen.
Weniger geeignet für Menschen mit geistigen, seelischen oder auch schweren körperlichen Behinderungen scheinen nach Meinung mehrerer Experten hingegen Küchenarbeiten in Restaurants mit à la Carte-Gerichten oder das Event-Catering –
Bereiche, die eine hohe Flexibilität und Schnelligkeit aller Akteure erfordern und die
durch einen eher rauen Umgangston gekennzeichnet seien können. Hier liegt zudem eine größere Unsicherheit bei der Planung der Essen vor – es müssen mehr
Zutaten verarbeitet werden und Gerichte müssen pünktlich serviert werden. Der
hohe Zeitdruck, die geforderte Flexibilität und der damit verbundene hohe Leistungsdruck seien für viele von derartigen Beeinträchtigungen Betroffene schwer zu
erfüllen und potenziell überfordernd, wie sowohl Vertreter der Bildungseinrichtungen
als auch der Arbeitgeber festhielten.
Als weiterer geeigneter Bereich für Menschen mit einer geistigen oder seelischen
Behinderung wurden Reinigungsarbeiten im Hotel identifiziert. Dabei sei jedoch
auf eine Assistenz bzw. ein Arbeiten mindestens in Zweierteams zu achten. Mehrere Experten waren der Ansicht, dass die sich wiederholenden Tätigkeiten dazu beitragen, dass die Personen in ihren Aufgaben an Sicherheit und Schnelligkeit gewinnen. Trotzdem könnten Ausfallzeiten nicht ausgeschlossen werden. Hier sei es
sinnvoll, Lösungsstrategien parat zu haben. Als weiteren geeigneten Bereich identifizierte ein Unternehmensvertreter die Pflege der Außenanlagen von Hotels oder
Restaurants, die bei ihm von Mitarbeitern einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen durchgeführt wird.
Eine Beschäftigung von Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen sei in
diesen genannten Bereichen u. a. aufgrund der aktuell häufig noch fehlenden baulichen Barrierefreiheit schwieriger. Diese fehle nicht nur in den Küchen, sondern auch
für den Zugang z. B. zu Hotelzimmern, Lagerräumen und Sanitäreinrichtungen, wie
Arbeitgeber bestätigten. Ein größeres Potenzial zeige sich im Empfangsbereich
von Hotels.
In Bezug auf den Bereich Service differenzierten Interviewpartner nach Klientel und
nach Ausrichtung des Unternehmens. Als geeignet wurde beispielsweise die Essensausgabe in Kantinen angesehen. Hier gebe es in der Regel auch keine Akzeptanzprobleme auf Seiten der Kunden, wie ein Unternehmensvertreter erläuterte.
55
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Unterstützend könne die aktive Kommunikation der Beschäftigung von Menschen
mit Behinderungen wirken, so dass sich die Kundschaft auf etwaige Veränderungen
im Ablauf einstellen kann. Eine Vermarktung und Werbung mit der Beschäftigung
von Menschen mit Schwerbehinderungen, die Stigmatisierungseffekte befürchten
lässt, sei dabei allerdings zu vermeiden. Problematischer wurde die Situation sowohl von Unternehmerseite als auch von Seiten der Bildungseinrichtungen beispielsweise in Restaurants mit à la Carte-Gerichten angesehen. Zum einen sei hier
im Service ein hohes Leistungsniveau und Flexibilität von Nöten und zum anderen
sei die Kundenakzeptanz auch in Bezug auf die Schnelligkeit der Bedienung vermutlich nicht immer gegeben.
Ein spezieller Bereich, der sich für die Beschäftigung von Menschen gerade mit einer geistigen Behinderung eignen könnte, ist nach Ansicht eines Gesprächspartners
die Systemgastronomie, die standardisierte Konzepte in allen Bereichen des Restaurants umsetzt. Die Standardisierung von Arbeitsabläufen und ein begrenztes
Sortiment kommen den Fähigkeiten vieler Menschen mit geistigen Behinderungen
entgegen. Aufgrund der großen Verbreitung der Systemgastronomie könnte ein
Gewinnen dieser Anbieter für die Inklusionsbemühungen grundsätzlich sehr hilfreich
sein.
Von Seiten der Bildungseinrichtungen wurde betont, dass in Bezug auf allgemeine
Hemmnisse wie Schnelligkeit und Ausdauer manchmal ein Vertrauensvorschuss
von Seiten der Unternehmen an die Menschen mit Behinderungen nötig sei. Die
Beschäftigungspotenziale insbesondere von Menschen mit geistigen Behinderungen seien sehr individuell und müssten häufig durch intensive Begleitung und Unterstützung in längeren Prozessen erschlossen werden. Durch Übung seien Verbesserungen im Hinblick auf die Schnelligkeit möglich.
56
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
6
Schlussfolgerungen zum geplanten Modellprojekt im
Wetteraukreis
6.1
„Café Inklusiv“
Ziel der Einrichtung der Verkaufsstelle bzw. des Cafés Inklusiv, in dem Menschen
vor allem mit geistiger Behinderung qualifiziert und beschäftigt werden sollen, ist es,
ein Bewusstsein für Inklusion und die Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Daran mangelt es aktuell offenbar noch immer, wenn man
wesentliche Literaturquellen und die Ergebnisse der in dieser Studie durchgeführten
Experteninterviews zur Beurteilung heranzieht. Die Bewusstseinsbildung vollzieht
sich langsam und könnte von entsprechenden Projekten beschleunigt werden. Zwar
hat das Projekt in gewisser Hinsicht den Charakter einer Insel, was dem Inklusionsgedanken zuwiderläuft. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass auch viele Menschen
mit geistiger Behinderung gerade zu Beginn der Tätigkeit auf ein ungestörtes Arbeiten in einem eher entspannten Arbeits- und Kundenumfeld angewiesen sind.
Für die Umsetzung des „Café Inklusiv“ gibt es verschiedene offenbar erfolgreiche
Beispiele, etwa das „Klostercafé Seligenstadt“ oder das „Café LesBar“ in der Stuttgarter Stadtbibliothek. Bei der Umsetzung des Cafés gilt es, eine Vielzahl von Anforderungen zu beachten:

Eine zentrale Rolle spielt die Wahl des Standorts. Friedberg beispielsweise erscheint hier aufgrund einer guten infrastrukturellen Anbindung in dieser Hinsicht
grundsätzlich geeignet. Bei der Standortwahl ist zudem auf eine hohe Kundenfrequenz zu achten, wozu beispielsweise eine touristisch wertvolle Lage, lange
Öffnungszeiten etc. beitragen können.

Sichergestellt sein sollte eine optimale Balance des Anteils an Mitarbeitern mit
und ohne Behinderung. Eine Orientierung diesbezüglich können Integrationsprojekte bieten, in denen der Anteil Beschäftigter mit Schwerbehinderungen
zwischen 25 % und 50 % liegt.

Bei Einrichtung und Betrieb des Cafés ist grundsätzliche Barrierefreiheit sowohl
in der Küche, an der Verkaufstheke (vorwiegend für die Mitarbeiter) als auch im
Sitzbereich des Cafés anzustreben. Denn weder potenzielle Mitarbeiter noch
Kunden sollten hinsichtlich der Nutzung eingeschränkt sein. Für einen barrierefreien Zugang zum Gebäude und zur barrierefreien Bewegung im Gebäude wird
u. a. ausreichend Platz benötigt, Stellflächen müssen ausreichend lang, Bewegungsflächen eben sein. Griffe, Arbeits- bzw. Küchengeräte u. ä. sollten in einer
Höhe angebracht werden, dass sie von allen Menschen gut zu erreichen sind.
57
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Förderlich sind zudem übersichtliche Raumanordnungen, Tastkanten und/oder
Bodenindikatoren, akustische und optische Signale. Auch die Schaffung einer
Rückzugsmöglichkeit für Mitarbeiter wird als sinnvoll erachtet.
Barrieren beziehen sich dabei nicht nur auf das Gebäude und dessen Ausstattung, sondern auch auf die Verwendung von (technischen) Arbeitsgeräten. Bei
der Ausgestaltung des Service könnten innovative Ansätze, beispielsweise
durch den Einsatz von neuen Medien, erprobt werden, aber auch klassische
wie z. B. das Ausfüllen eines Bestellformulars genutzt werden. Eher gegen den
Inklusionsgedanken spräche die Form der Selbstbedienung, wenn die Interaktion der Menschen im Vordergrund stehen soll.

Ein weiterer wesentlicher Faktor für den Erfolg des Projekts ist die aktive Vermarktung bei Vermeidung von Stigmatisierungseffekten. Die Unternehmensphilosophie der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen sollte offensiv
nach außen getragen werden, auch damit Akzeptanz und Zuspruch bzw. (finanzielle) Unterstützung zum Café sichergestellt werden können. Das rechtzeitige Einbinden der Menschen mit Behinderungen selbst (z. B. über Internetauftritte), ihrer Betreuung (z. B. Angehörige) und Interessenvertreter, der Arbeitsverwaltung, von Integrationsamt und Integrationsfachdienst, Kommune, Kammern und Verbandsvertretern erscheint zur Herstellung und Sicherstellung breiter Akzeptanz und Zuspruch zum Projekt, aber auch im Hinblick auf die Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit (z. B. ein Internetlink zum Projekt auf einer
Homepage) ein Erfolgsfaktor. Eventuell kann damit auch die (langfristige) finanzielle Unterstützung z. B. hinsichtlich einer reduzierten Miete bzw. Pacht des
Gebäudes sichergestellt werden.
Grundsätzlich ist – bei Berücksichtigung von Art und insbesondere Grad der Behinderung der potenziellen Beschäftigten – in finanzieller Hinsicht die Einrichtung des
Cafés als Integrationsprojekt bzw. als Integrationsfirma zu überdenken. In diesen
arbeitet ein Mindestanteil an Menschen mit anerkannten Schwerbehinderungen und
besonderen Einschränkungen (25 %). Der Antragsteller muss dabei einen Eigenanteil von 30 % der gesamten definierten Aufwendungen tragen. Bei der Personalgewinnung helfen die Arbeitsverwaltung und auch die Integrationsämter bzw. Integrationsfachdienste, die zudem eine betriebswirtschaftliche Beratung zu Investitionsentscheidungen und Kapazitätsberechnungen anbieten.
58
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
6.2
Netzwerkstelle
An das „Café Inklusiv“ soll der Projektidee nach eine Netzwerkstelle angegliedert
werden. Die Netzwerkstelle hat das Ziel, Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Dabei soll aktiv auf Menschen mit Behinderungen, auf deren Angehörige und Unternehmen zugegangen werden. Eine Vermittlung sowohl in einen Qualifizierungs- als auch in einen Arbeitsplatz kann in unterschiedliche Bereiche wie beispielsweise Altenbetreuung, Produktion oder auch
Gastgewerbe erfolgen. Die Netzwerkstelle zielt z. B. durch die Begleitung und ein
Jobcoaching der kooperierenden Betriebe darauf ab, dass Ängste gegenüber der
Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen abgebaut werden.
Für die aufgeführten Tätigkeiten der Netzwerkstelle wird von den in dieser Studie
befragten Interviewpartnern Bedarf gesehen. Angesichts der häufig unterdurchschnittlichen Erwerbsbeteiligung und einer schlechteren Arbeitsmarktlage der Personengruppe könne die Ausrichtung auf aktive Netzwerkarbeit sowie auf die verstärkte Akquise und Sensibilisierung von Unternehmen, Eltern und Schülern nach
Ansicht der hier interviewten Experten einen wesentlichen Beitrag zur Inklusion auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt leisten. Ein Gesprächspartner betonte dabei, dass
gerade an regional verankerten Vertrauenspersonen, die über ein möglichst breites
Wissen über die Fähigkeiten und Potenziale der Menschen mit Behinderungen verfügen, ein Bedarf besteht. Idealerweise werden Menschen mit geistigen Behinderungen im Lebenslauf auf neuen Bildungsstufen bzw. in neuen Lebenslagen durchgängig begleitet. Auch hier kann die Netzwerkstelle offenbar eine (Zuständigkeits)Lücke schließen. Hinweise darauf, dass die Netzwerkarbeit Potenziale birgt,
geben auch die Planungen zur Einrichtung regionaler Kooperationsgremien im
Rahmen der Bund-Länder-Initiative Inklusion. In den Kooperationsgremien sollen
u. a. die Agentur für Arbeit, Fachkräfte für berufliche Integration, Vertreter von
Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Vertreter der Wirtschaft vertreten
sein. Die Initiative Inklusion bezieht sich auf Menschen mit anerkannten Schwerbehinderungen bzw. Gleichgestellte.
Die Größe und die strukturellen Merkmale der Zielgruppe der Netzwerkstelle im
Wetteraukreis lassen sich anhand der amtlichen Statistik nicht umfassend abbilden.
Detaillierte Daten liegen nur zu Menschen mit Schwerbehinderungen vor, obwohl
die Zielgruppe des Modellprojekts weiter gefasst ist. Darüber hinaus gilt es u. a. zu
berücksichtigen, dass sich nur ein gewisser Teil der Menschen mit Behinderungen
die Behinderung amtlich anerkennen lässt und damit statistisch identifizierbar wird
59
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
(auf Bundesebene 42 %).97 Bezüglich der Beteiligung am Erwerbsleben bzw. der
Arbeitslosigkeit kommt hinzu, dass eine entsprechende Meldung der Arbeitslosigkeit
nicht immer erfolgt („Stille Reserve“). Festzuhalten ist, dass die Netzwerkstelle über
eine potenziell große Zielgruppe und ein breites Aufgabenspektrum verfügt. Ihre
Arbeit kann auch darin bestehen, die diversen nicht registrierten Personengruppen
für eine Anerkennung der Behinderung und eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu sensibilisieren.
Bei der Einrichtung und Umsetzung sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:

Grundsätzlich ist etwa über die Einbindung der verschiedenen Akteure die
Vermeidung von Doppelstrukturen zum Beispiel zu den Aufgaben der Integrationsämter oder der Netzwerkarbeit im Rahmen der Initiative Inklusion – diese
beziehen sich auf Menschen mit anerkannten Schwerbehinderungen bzw.
Gleichgestellte – zu beachten (vgl. Kapitel 4).

Die Netzwerkstelle könnte (unabhängig vom Café oder) zur Eröffnung des Cafés zeitlich vorgelagert ihre Arbeit aufnehmen, damit die Zielgruppe des Projekts, eventuelle Qualifizierungsunterstützer und qualifizierende sowie aufnehmende Betriebe akquiriert werden können.

Die Nachhaltigkeit der Netzwerkstelle wird über Erlöse des Cafés angestrebt.
Dabei kann die Netzwerkstelle eventuell mit einem erheblichen Arbeitsumfang
und entsprechendem Personalbedarf konfrontiert sein, was dieses Konzept in
Frage stellen könnte. Auch wenn dazu befragte Experten grundsätzlich Bereitschaft zur Unterstützung der Netzwerkstelle signalisierten, haben sich unmittelbare Finanzierungsquellen im Rahmen der Gespräche nicht erschlossen. Ein
potenzielles Interesse haben z. B. die Kommunen – die allerdings häufig mit
knappen Kassen konfrontiert sind – und Arbeitgeber(vertreter).

Neben der Finanzierung der Netzwerkstelle durch die Erlöse des Cafés besteht
eine Verknüpfung darin, dass die Netzwerkstelle auch die im Café qualifizierten
Mitarbeiter langfristig in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren versucht.
Bis auf eine mögliche räumliche Verknüpfung von Café und Netzwerkstelle sind
weitere Synergien nicht erkennbar.
97 Dabei könnte es sich bei den Personen, die sich die Behinderung nicht anerkennen lassen, häufig um Menschen mit
seelischen Behinderungen handeln (u. a. Schizophrenie, Depression, Angstzustände, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen).
60
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung

Nicht (repräsentativ) zu beantworten ist die Frage, welche Möglichkeiten und
welche Bereitschaft auf Seiten der Betriebe zur Kooperation mit einer Netzwerkstelle bestehen. Vielfach wird der Wunsch nach Dienstleistungen aus einer
Hand geäußert – ein weiterer Akteur könnte auf Vorbehalte stoßen.
Die Qualifizierung im Modellprojekt „Café Inklusiv“ bzw. das Anlernen der Mitarbeiter
im Café und in Betrieben ist offenbar auf Helfertätigkeiten ausgerichtet. Zu berücksichtigen ist in Bezug auf die angestrebte Vermittlung in den Arbeitsmarkt bzw. auf
die Beschäftigungschancen, dass gerade für Helfertätigkeiten eine hohe Konkurrenz
für die Anzulernenden besteht. Selbst für höher Qualifizierte scheinen die Beschäftigungschancen in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen gemessen am Verhältnis von Arbeitssuchenden und offenen Stellen derzeit eher begrenzt.
Auf der anderen Seite können physische und mentale Barrieren Menschen mit Behinderungen die Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erschweren. Gerade im Hotel- und Gaststättenbereich ist Barrierefreiheit zu und in den Gebäuden
(z. B. in Küchen, beim Zugang zu Sanitäreinrichtungen und Lagerräumen etc.) gemäß den in dieser Studie befragten Experten eher selten gegeben. Zudem können
die häufig begrenzten Betriebskapazitäten die Möglichkeiten einschränken, diese
Barrieren abzubauen. Auch wenn die Tätigkeiten der Netzwerkstelle somit sicherlich
eine wesentliche Unterstützung für eine (dauerhafte) Integration in den Arbeitsmarkt
darstellen, dürfen die Beschäftigungspotenziale für Menschen mit Behinderungen,
selbst für hochqualifizierte, in quantitativer Hinsicht im Gastgewerbe nicht zu hoch
eingeschätzt werden. Die Potenziale in anderen Branchen – die Arbeit der Netzwerkstelle soll sich nicht nur auf das Gastgewerbe beziehen – gilt es zu eruieren.
61
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
7
Zusammenfassung und Fazit
Ein Aspekt der Inklusion von Menschen mit Behinderungen ist ihr Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt. Von diesbezüglichen Fortschritten wird nicht nur eine Förderung der Chancengleichheit unter sozialen Gesichtspunkten erhofft. Die Fachkräftekommission Hessens erwartet zugleich u. a. einen Beitrag zur Deckung des bestehenden und prognostizierten Fachkräftebedarfs infolge der demografischen Entwicklung.
Die vorliegende Studie stützte sich einerseits auf Auswertungen der amtlichen Statistik, andererseits auf leitfadengestützte Interviews. Sie dient dazu, am Beispiel des
Hotel- und Gaststättengewerbes im Wetteraukreis Beschäftigungspotenziale bzw.
Chancen und Hemmnisse für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzuzeigen. Gegenstand sind auch diesbezügliche Eignungen sowie Bedarfe von Menschen mit Behinderungen. Die Studie zielt
letztlich darauf ab, die Informations- und Planungsgrundlage für etwaige politische
Aktivitäten zu verbessern.
Der Wetteraukreis liegt mit einer insgesamt guten infrastrukturellen Anbindung im
geografischen Zentrum Hessens in unmittelbarer Nähe des Ballungsgebiets RheinMain. Wichtigster Bahnknotenpunkt ist die Kreisstadt Friedberg. Gemessen an den
Erwerbstätigenzahlen ist der Kreis im hessischen Vergleich von einer leicht überdurchschnittlich hohen Bedeutung der Landwirtschaft, des Produzierenden Gewerbes und des Baugewerbes gekennzeichnet. Der Tourismus spielt – mit Ausnahme
des Westens des Kreisgebiets, der über Mineral- und Thermalquellen verfügt – insgesamt eine eher untergeordnete Rolle. Aktuell leben rund 5 % der Einwohner Hessens im Wetteraukreis. Im langjährigen Vergleich haben sich die Bevölkerungszahlen auch aufgrund von Zuwanderung aus dem Rhein-Main-Gebiet positiv entwickelt.
Bis 2030 prognostiziert die Hessen Agentur weitgehend stabile bzw. sogar leicht
ansteigende Bevölkerungszahlen. Aufgrund der Alterung der Bevölkerung wird jedoch das Erwerbspersonenpotenzial sinken, sich der Druck zur Fachkräftesicherung
auch im Wetteraukreis erhöhen. Aktuell liegt die Arbeitslosenquote mit 5,3 % leicht
unter dem hessischen Durchschnitt von 5,7 %.
Im Wetteraukreis leben im Jahr 2012 geschätzt rund 21.000 Personen mit einem
Grad der Behinderung von bis zu 40 und nochmals rund 29.000 Personen bzw.
10 % der Bevölkerung (wie in Hessen insgesamt) mit festgestellten Schwerbehinderungen. Weitere, differenzierte Informationen z. B. zur Arbeitsmarktsituation oder zu
Strukturmerkmalen der Menschen mit Behinderungen gibt es dabei – mit Einschränkungen auf regionaler Ebene – in öffentlichen Statistiken meist nur für die letztge-
62
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
nannte Gruppe, die Menschen mit Schwerbehinderungen. Von den Menschen mit
Schwerbehinderungen ist im Wetteraukreis rund die Hälfte 65 Jahre oder älter, „nur“
rund 3.000 Personen fallen beispielsweise in die Altersklasse 15 bis 44 Jahre. Bei
den wenigen jungen Menschen mit Schwerbehinderungen fällt der Grad der Behinderung relativ häufig hoch aus. In der Altersklasse spielt die in der Statistik ausgewiesene Beeinträchtigungsart „Querschnittlähmung, zerebrale Störungen, geistigseelische Behinderungen, Suchtkrankheiten“ eine bedeutende Rolle. Diese wird von
Menschen mit „geistig-seelischen“ Behinderungen dominiert. Über die beschäftigungsrelevanten Strukturmerkmale der Gruppe der Menschen mit Behinderungen –
z. B. schulische und berufliche Qualifikationen – liegen insbesondere auf regionaler
Ebene nur unzureichende Informationen vor. Grundsätzlich liegt der Fokus in öffentlichen Statistiken nicht auf der Eignung der Personen für den Arbeitsmarkt oder sogar auf den Bedarfen hinsichtlich der Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses.
Die in der Statistik der Menschen mit Schwerbehinderungen ausgewiesenen Grade
und Arten der Behinderungen etwa geben diesbezüglich nur grobe Anhaltspunkte –
die Eignung für die Teilhabe am Arbeitsmarkt kann sich von Person zu Person deutlich unterscheiden. Angesichts dieser Heterogenität ist das Betrachten einer vermeintlich homogenen Personengruppe „Menschen mit Behinderungen“ und die Analyse ihrer Potenziale für den Arbeitsmarkt grundsätzlich mit Problemen behaftet.
In Hessen lag die Erwerbsquote der Menschen mit Behinderungen im Jahr 2009 –
aktuellere Zahlen liegen derzeit nicht vor – bei rund 30 % und damit deutlich unter
der Erwerbsquote von Menschen ohne Behinderung (62 %).98 Somit steht ein Großteil der Menschen mit Behinderungen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Den
geringsten Unterschied zur Erwerbsquote von Menschen ohne Behinderung gibt es
in der Altersklasse 15 bis 24 Jahre, in der rund die Hälfte der Menschen mit anerkannten Behinderungen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Entsprechende Informationen für den Wetteraukreis liegen nicht vor.
In der Wetterau wohnen 2013 rund 700 arbeitslose Menschen mit Schwerbehinderungen bzw. 5,3 % der arbeitslosen Menschen mit Schwerbehinderungen Hessens.99 Damit hat sich die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Schwerbehinderungen im Kreis seit 2010 deutlich um 17 % erhöht, während sie hessenweit um rund
2 % zurückging. Bei der Bewertung der absoluten Zahl der Arbeitslosen ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass sich einige Personen nicht arbeitslos melden, weil
98 Ergebnisse des Mikrozensus. Zu den Menschen mit Behinderungen zählen im Mikrozensus Personen mit einem Grad
der Behinderung von 20 bis 100.
99 Für Menschen mit Behinderungen können in Hessen und im Wetteraukreis keine Arbeitslosenquoten ausgewiesen
werden.
63
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
sie die Hoffnung auf Beschäftigung bereits aufgegeben haben. Menschen mit
(Schwer)Behinderungen könnten nach Meinung von im Rahmen der Studie befragten Experten überdurchschnittlich häufig zu dieser Personengruppe zählen.
Das Unterstützungsangebot für Menschen mit Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen in Bezug auf die Teilhabe am Arbeitsleben ist grundsätzlich breit, vor allem
was den Personenkreis der Menschen mit anerkannten Schwerbehinderungen und
ihnen Gleichgestellte anbelangt. Die Unterstützungen werden zwar von unterschiedlichen Trägern, aber doch in allen arbeitsmarktrelevanten Bereichen (Berufsvorbereitung, berufliche Aus- und Weiterbildung, Erlangung und Erhaltung des Arbeitsplatzes) sowohl an Arbeitnehmer als auch an Arbeitgeber – häufig als Ermessensleistung – gewährt. Sie bestehen in finanzieller Form – z. B. als Zuschuss zu den
Lohnkosten (meist zeitlich begrenzt), zu einer befristeten Probebeschäftigung oder
zu einer barrierefreien (Um)Gestaltung des Arbeitsplatzes –, aber auch z. B. in Beratung von Menschen mit Behinderungen und Arbeitgebern. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Integrationsprojekte bzw. Integrationsfirmen bieten
für Personen, die wegen Art oder Schwere der Beeinträchtigung (noch) nicht auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, besondere Unterstützung. In den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind Ende 2013 im Wetteraukreis rund 650 Personen beschäftigt. Ein in seiner Größe unbekannter Anteil
der Beschäftigten dürfte ebenfalls für die Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Frage kommen, wenn die Alternative finanziell ausreichend attraktiv ist
bzw. vergleichbare Sicherheiten bietet. Nach Ansicht eines interviewten Experten ist
dabei zu berücksichtigen, dass nach der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Rückkehr in die Werkstätten mit Problemen behaftet ist, weil erneut
eine hinreichende Beeinträchtigung nachgewiesen werden muss. Zielgruppe von
Integrationsprojekten bzw. Integrationsfirmen – diese werden zwar finanziell unterstützt, agieren aber insofern auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, dass sie den überwiegenden Teil ihrer laufenden Kosten selbst erwirtschaften müssen – sind vor allem Menschen mit einer geistigen oder seelischen Behinderung sowie Menschen
mit einer schweren Sinnes-, Körper- oder Mehrfachbehinderung. Der Anteil Beschäftigter mit Schwerbehinderungen liegt in den Integrationsfirmen zwischen 25 %
und 50 %. Die Firmen wurden zum Teil von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen initiiert, so dass eine enge Zusammenarbeit besteht. Relevante Beispiele für
offenbar erfolgreiche Integrationsprojekte sind – im Hinblick auf die Zielsetzung der
Studie – das Klostercafé und das Hotel Elysee in Seligenstadt. 2012 wurden in rund
60 Integrationsprojekten in Hessen mehr als 800 Arbeitsverhältnisse gefördert. Im
Wetteraukreis findet sich kein Integrationsprojekt, was einige der im Rahmen der
Studie interviewten Experten auf ein eventuell fehlendes lokales Engagement zurückführen. Zugleich zeigten sich in einem Gespräch jedoch Vorbehalte gegenüber
64
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Integrationsprojekten dahingehend, dass bei ihnen ein Vorrang der Bedeutung von
Wettbewerbsfähigkeit gegenüber sozialem Engagement vermutet wird.
Aus den geführten Expertengesprächen geht hervor, dass es für die Beschäftigung
im Hotel- und Gaststätten-Bereich im Wetteraukreis derzeit auf allen Seiten (Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Vermittlung) Chancen und Hemmnisse gibt. Betont wird die
Bedeutung des aktuellen Angebots an offenen Stellen bzw. des Fachkräftebedarfs
der Betriebe. Im Vordergrund stehen damit allgemeine bzw. vom etwaigen Vorliegen
einer Behinderung weitgehend unabhängige Restriktionen. Im Jahr 2011 gibt es im
Wetteraukreis 814 im Gastgewerbe tätige Unternehmen, die eine für die Branche in
Hessen typische Betriebsgrößenstruktur aufweisen. Das Gewerbe ist durch viele
kleine Unternehmen geprägt, was mit Blick auf begrenzte Betriebskapazitäten z. B.
bei Arbeitsplatzumbau und -anpassung ein Nachteil für die Neueinstellung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen sein kann, aber aufgrund des
sprichwörtlichen Verantwortungsbewusstseins kleinerer, häufig eigentümergeführter
und lokal verhafteter Betriebe auch ein Vorteil sein kann. Bei der Erfüllung der gesetzlichen Beschäftigungspflicht von Menschen mit Behinderungen zeigt sich aktuell, dass das Gastgewerbe im Wetteraukreis die Pflichtquote von 5 % unterschreitet
und zudem deutlich unter dem hessischen Vergleichswert liegt. Dieser Befund kann
ebenfalls als Hemmnis oder als Chance für eine verstärkte Beschäftigung in dem
Wirtschaftsbereich der Region interpretiert werden. Die Knappheit an Arbeitskräften
scheint insgesamt (noch) nicht stark ausgeprägt zu sein, wenn man das bei den
Arbeitsagenturen und Jobcentern gemeldete Stellenangebot in Tourismus-, Hotelund Gaststättenberufen zur Nachfrage in das Verhältnis setzt: Im Wetteraukreis
standen im September 2013 rechnerisch fünf Arbeitslose einer Stelle gegenüber.
Das Gros des Stellenangebots in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen wurde
dabei für Tätigkeiten als Fachkraft gemeldet – ein Niveau, das vermutlich (genaue
Angaben liegen nicht vor) nicht alle Menschen mit Behinderungen erfüllen können.
Weitere Anforderungen der Betriebe an Stellenbewerber wie z. B. die Mobilität oder
das Vorhandensein eines eigenen PKWs verengen das Spektrum geeigneter Stellen für Menschen mit bestimmten Behinderungsformen zusätzlich.
Spezifische Hemmnisse für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt können in physischen Barrieren sowie mentalen
Barrieren („Barrieren in Köpfen“) bestehen. Zur physischen Barrierefreiheit der Betriebe und des Stellenangebots im Hotel- und Gaststättenbereich in Hessen und
speziell im Wetteraukreis – Barrierefreiheit zeigt sich jeweils in Bezug zur Art der
Beeinträchtigung eines potenziellen Beschäftigten – liegen bislang nur unzureichende Informationen vor. U. a. geben die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit über
eine mögliche Barrierefreiheit einer offenen Stelle für bestimmte Personengruppen
65
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
keine Auskunft. Die Expertengespräche lassen physische Barrierefreiheit der Betriebe im Hotel- und Gaststättenbereich nur in Ausnahmefällen vermuten. Es zeigen
sich Nutzungseinschränkungen für die Menschen mit Behinderungen beim Zugang
zu und der Bewegung in den Gebäuden (z. B. in Küchen, beim Zugang zu Lagerräumen und Sanitäreinrichtungen), aber auch im Hinblick auf die im Gastgewerbe
verwendeten Arbeitsmittel. Wenn, dann wurden Arbeitsplätze meist speziell für Beschäftigte, die im Betrieb in eine Behinderung „hineingealtert“ sind, neu eingerichtet
oder an die Bedürfnisse angepasst. Aus den Interviews geht zudem hervor, dass bei
Arbeitgebern, bei Belegschaft und Kundschaft mitunter noch Barrieren „in den Köpfen“ bestehen. Die Arbeitgeber beispielsweise haben nach Ansicht der Experten
zum Teil noch wenig Interesse an der Thematik, woraus u. a. Nachholbedarfe im
Hinblick auf den Wissens- und Informationsstand über die Fähigkeiten der Menschen mit Behinderungen resultieren. Vielmehr bestehen nach Ansicht der befragten Experten noch Vorbehalte und Befürchtungen gegenüber Neueinstellungen, die
bei näherer Auseinandersetzung mit der Thematik zum Großteil ausgeräumt werden
können. Die Vorbehalte beziehen sich u. a. auf höhere Ausfallzeiten und den besonderen Kündigungsschutz.
Nach Ansicht der überwiegenden Mehrheit der interviewten Experten bestehen auch
bei der Vermittlung potenzieller Arbeitnehmer und Arbeitgeber – grundsätzlich und
im Wetteraukreis – noch Potenziale. Zwar werden z. B. die finanziellen Unterstützungsleistungen für die Zielgruppen in ihrer Höhe und Ausgestaltung von den befragten Experten überwiegend positiv beurteilt. Es zeige sich jedoch zusätzlicher
Unterstützungsbedarf bei den im Handlungsfeld tätigen Akteuren. Ein zentraler Ansatzpunkt zur Erschließung von Beschäftigungspotenzialen der Menschen mit Behinderungen sei eine aktivere Netzwerkarbeit, verstärkte Akquise und Sensibilisierung von Betrieben (und ihrer Belegschaft), von Menschen mit Behinderungen, Eltern und Betreuungspersonen sowie Schulen. Betont wird, dass gerade an regional
verankerten Vertrauenspersonen mit einem möglichst breiten Wissen über Fähigkeiten und Potenziale der Menschen mit Behinderungen ein Bedarf besteht.
Das Gastgewerbe verfügt in den Bereichen Gastronomie und Beherbergung über
ein sehr breites Aufgabenspektrum von Helfer- bis Fachkrafttätigkeiten. Die Tätigkeitsfelder reichen von der Beschäftigung in (Groß)Küchen über Service-, Rezeptions- und Reinigungsarbeiten bis hin etwa zur Pflege von Außenanlagen. Im Rahmen der Expertengespräche konnten Beispiele bzw. Erfahrungen zur Eignung der
Tätigkeitsfelder vor allem für Menschen mit (schweren) geistigen, seelischen sowie
körperlichen Beeinträchtigungen eingeholt werden. Zu anderen Behinderungsformen (z. B. Seh- oder Hörbehinderungen) lagen bei den Experten keine Erfahrungen
vor oder diese wurden von den Interviewten nicht thematisiert, z. B. weil die Behin66
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
derung bzw. Beeinträchtigung nicht bekannt ist oder gar nicht als solche wahrgenommen wird. Ein Gesprächspartner verwies zunächst darauf, dass für viele Menschen mit bestimmten Behinderungsformen, z. B. Diabetiker, Epileptiker, Organgeschädigte etc., bei Nutzung der normalen Hilfsmittel zur Alltagsbewältigung zumeist
keinerlei Einschränkungen im Beruf vorliegen. Dies trifft beispielsweise auch auf
Personen mit einem Teilverlust von Gliedmaßen zu, die die Beeinträchtigung durch
entsprechende Prothesen vollständig kompensieren können. Damit wäre ein großer
Teil der statistisch erfassten Menschen mit Schwerbehinderungen bezogen auf die
Beeinträchtigung für die Tätigkeiten im Gastgewerbe geeignet. Bei Menschen mit
anderer, stärkerer Beeinträchtigung verengt sich hingegen das Spektrum der Tätigkeitsfelder. Für Menschen mit geistigen und seelischen Behinderungen wurde in
den geführten Interviews beispielsweise die Arbeit in Großküchen und Kantinen als
geeignet angesehen, da hier in der Regel strukturierte und standardisierte Arbeitsabläufe vorliegen. Weniger geeignet für die Personengruppe erscheinen nach Ansicht von Unternehmensvertretern und Bildungseinrichtungen hingegen Küchenarbeiten in Restaurants mit à la Carte-Gerichten oder das Event-Catering – Bereiche,
die hohe Anforderungen an Flexibilität und Schnelligkeit aller Akteure stellen. Als ein
weiterer geeigneter Bereich für Menschen mit geistigen oder seelischen Behinderungen wurden Reinigungsarbeiten im Hotel identifiziert. Dabei könne jedoch eine
Durchführung der Tätigkeiten in Zweierteams erforderlich sein. Aufgrund der häufig
fehlenden physischen Barrierefreiheit sei eine Beschäftigung von Menschen mit
schweren körperlichen Behinderungen in diesen Tätigkeitsfeldern aktuell oftmals
eher schwierig. Bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im Service-Bereich der Gastronomie differenzierten die Gesprächspartner nach Klientel
und Ausrichtung des Betriebs. Als geeignet wurde beispielsweise die Essensausgabe in Kantinen gesehen. Dort jedoch, wo im Service ein hohes Leistungsniveau und
Flexibilität vorausgesetzt werden, kann es Einschränkungen geben. Die Kundenakzeptanz sei hier vermutlich nicht immer gegeben. Ein Bereich, der sich für die Beschäftigung von Menschen gerade mit einer geistigen Behinderung eignen könnte,
ist nach Ansicht eines interviewten Experten die Systemgastronomie, die standardisierte Konzepte in allen Bereichen eines Restaurants umsetzt. Aufgrund der großen
Verbreitung der Systemgastronomie könnte ein Gewinnen dieser Anbieter für die
Inklusionsbemühungen grundsätzlich sehr hilfreich sein.
Im Wetteraukreis wird aktuell ein Modellprojekt geplant, das darauf abzielt, Menschen mit Behinderungen im Hinblick auf die Beschäftigung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt zu unterstützen. Teil des Projekts sind eine Verkaufsstelle für Backwaren mit angeschlossenem Café und eine Netzwerkstelle. In der Verkaufsstelle bzw.
im Café sollen Menschen mit Behinderungen beschäftigt und insbesondere für Helfertätigkeiten (wieder) angelernt werden, um sie auf eine Beschäftigung im allge67
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
meinen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Die Netzwerkstelle zielt darauf ab, Kooperationen mit Betrieben aufzubauen, um diese für Qualifizierungsmaßnahmen zu gewinnen und um die im Café qualifizierten sowie andere Menschen mit Behinderungen in
den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln. Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige sollen Wege zur Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
aufgezeigt werden – diesbezüglich wird eine Zusammenarbeit mit Schulen angestrebt. Zu beachten ist im Hinblick auf die Einrichtung der Netzwerkstelle eine Vermeidung von Doppelstrukturen beispielsweise mit den Aufgaben der Integrationsämter und Integrationsfachdienste sowie aufgrund aktueller Entwicklungen im Rahmen der Initiative Inklusion. Vor dem Hintergrund der dargestellten Ergebnisse
könnte das Modellprojekt einen Beitrag vor allem zum Abbau der identifizierten Barrieren „in den Köpfen“ und im Bereich der Vermittlung leisten. Trotzdem dürfen die
Beschäftigungspotenziale speziell im Gastgewerbe in quantitativer Hinsicht aktuell
nicht überschätzt werden. Grund sind die derzeit gemäß Statistik eher gering ausgeprägten Arbeitskräftebedarfe und darüber hinaus die vorhandenen physischen
Barrieren. Die Potenziale in anderen Branchen – die Arbeit der Netzwerkstelle soll
sich nicht nur auf das Gastgewerbe beziehen – gilt es zu eruieren.
Die Methodik der vorliegenden Untersuchung und die damit erzielten Ergebnisse
lassen sich auf andere Branchen und die Ermittlung dortiger Beschäftigungspotenziale für Menschen mit Behinderungen übertragen. Eine Auswertung der amtlichen
Statistiken erscheint erforderlich, um u. a. eine Vorstellung von der Größe und den
strukturellen Merkmalen der Gruppe der Menschen mit Behinderungen in einer Region zu erhalten. Einschränkungen ergeben sich dadurch, dass in öffentlichen Statistiken detaillierte Angaben zu Anzahl, Art der Behinderung, Arbeitslosigkeit und
Beschäftigung nur zu (registrierten und anerkannten) Menschen mit Schwerbehinderungen vorliegen.100 Zudem ist die Aussagekraft in Bezug auf die beschäftigungsrelevanten Strukturmerkmale der Menschen mit Behinderungen begrenzt. Auf kleinräumiger Ebene zeigen sich zusätzliche Einschränkungen der Datenverfügbarkeit,
so dass zusammenfassend für die Seite der Menschen mit Behinderungen nur grobe Schätzungen der Beschäftigungspotenziale möglich sind. Auch um dieser Problematik Rechnung zu tragen, wurden im Rahmen der Studie zusätzlich Experteninterviews geführt. Mit Hilfe der Interviews konnten wichtige Informationen zu den geeigneten Tätigkeitsfeldern für Menschen mit Behinderungen im Gastgewerbe gewonnen und auch die spezifischen Chancen und Hemmnisse für eine verstärkte
Beschäftigung im Gastgewerbe beleuchtet werden. Vor dem Hintergrund der be-
100 Nach aktuellen Daten des Sozio-ökonomischen Panels haben in Deutschland von den Menschen mit Beeinträchtigungen
im Alter von 18 bis 64 Jahren nur rund 58 % eine festgestellte bzw. anerkannte Behinderung. Entsprechend werden 42 %
(3,7 Mio. Menschen) statistisch nicht erfasst.
68
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
grenzten Anzahl an Experteninterviews waren zwar keine differenzierten und repräsentativen Ergebnisse ermittelbar. Für die Zielsetzung der Studie erscheint dies
jedoch weniger bedeutsam. Die Gespräche wurden dazu genutzt, einen Überblick
über die wesentlichen regionalen und branchenspezifischen Aspekte sowie über
mögliche Stellschrauben zu gewinnen, Argumente aufzunehmen und zu hinterfragen sowie darauf aufbauend ein konsistentes Gesamtbild abzuleiten. Einen differenzierteren, repräsentativen Überblick über die Beschäftigungspotenziale und möglichen Tätigkeitsfelder der Menschen mit Behinderungen, über das Vorhandensein
physischer und mentaler Barrierefreiheit und über die besonderen Ausgestaltungen
der Arbeitsplätze, über die Erfahrungen der Betriebe mit der Einstellung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen etc. kann eine breiter angelegte,
branchenspezifische Unternehmensbefragung geben. Wesentliche Befragungsinhalte und -strukturen lassen sich aus der vorliegenden Studie ableiten.
Zur Sicherung und Förderung des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zum
Arbeitsmarkt können nach den im Rahmen der Studie gewonnenen Erkenntnissen
weitere Maßnahmen beitragen. Ein Beispiel ist die Veröffentlichung von Fallbeispielen bzw. „Best-practice“-Beispielen, die den Unternehmen praxisnahe Hilfestellung
im Umgang mit dem Themenkomplex bieten und einen weiteren Beitrag zur Sensibilisierung leisten. Ein mögliches Thema wäre beispielsweise die Darstellung konkreter Einrichtungs- und/oder Anpassungsmaßnahmen von Arbeitsplätzen für Menschen mit einer spezifischen Behinderung in unterschiedlichen Branchen bzw. Tätigkeitsfeldern. Im Rahmen der vorliegenden Studie konnten nur in Ansätzen Erfahrungen der Menschen mit Behinderungen, Informationen zu ihren beruflichen Interessen und favorisierten Einsatzgebieten eingeholt werden. Eventuell liefert der um
Fragen zur Beeinträchtigung erweiterte Mikrozensus in dieser Hinsicht zukünftig
neue Erkenntnisse. Es erscheint allerdings lohnenswert, darüber hinaus über Expertengespräche mit Menschen mit Behinderungen selbst, mit ihren Angehörigen, Betreuungspersonen und Interessenvertretern weitere Informationen zu gewinnen.
69
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Verzeichnis der Expertinnen und Experten
Name
Institution
Ralf Heiß
Berufsbildungswerk Südhessen am Standort
Karben
Anne Hoffmann
Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft
e. V. am Standort Darmstadt
Rolf Klatta
Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft
e. V. am Standort Darmstadt
Michael Keller
Bürgermeister der Stadt Friedberg
Stefan Leyrer
Bundesagentur für Arbeit im Agenturbezirk
Gießen
Tobias Schmitt
Gourmet-Werkstatt Rhein-Main-Wetterau
GmbH in Bad Nauheim
Dr. Martin Pott
Handwerkskammer Wiesbaden
Julius Wagner
Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA
Hessen e. V.
Sandra Kraft
Industrie- und Handelskammer GießenFriedberg
Detlef Schneider
Kerckhoff-Klinik GmbH
Rosita Schlembach
Landeswohlfahrtsverband Hessen am
Standort Kassel
Maria Stillger
Landeswohlfahrtsverband Hessen am
Standort Wiesbaden
Doris Lotze-Wessel
Landeswohlfahrtsverband Hessen am
Standort Wiesbaden
Klaus Gütlich
Landhotel Naunheimer Mühle in Wetzlar;
Mitglied des Landesvorstands des DEHOGA
Hessen e. V.
Thomas Wolf
„Thomas Wolf Catering Service“ in Butzbach
Dr. Werner Scherer
Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände e. V.
Daniela Wüstenbecker Russel
yourplace e. V.
Rainer Gimbel
yourplace e. V.
70
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Leitfäden der Interviews
A: Vertreter von Verbänden, Kammern und Landeswohlfahrtsverband
1.
Welche (regionalen) Chancen und Hemmnisse bestehen für eine verstärkte Beschäftigung von
Menschen mit Behinderungen im Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes?
Bestehen aus Ihrer Sicht Probleme im Hinblick auf die Integration von Menschen mit Behinderungen in den
allgemeinen Arbeitsmarkt?
Wenn ja, was sind die Hauptprobleme (z. B.: Anpassung des Arbeitsplatzes bzw. der Produktionsabläufe,
Akzeptanz, Fehlzeiten, Vorbehalte bei Kunden und Kollegen, Kosten, regionale Aspekte)?
Wie hoch schätzen Sie die Beschäftigungspotenziale für Menschen mit Behinderungen grundsätzlich und
insbesondere im Hotel- und Gaststättenbereich der Wetterau ein?
Sind manche Tätigkeitsfelder möglicherweise besser oder schlechter geeignet und warum (z. B.: Kantine
vs. à la Carte)?
2.
Wie stark ist Ihrer Einschätzung nach das Wissen über die Fähigkeiten und Potenziale von
Menschen mit Behinderungen bei Unternehmen ausgeprägt?
Kennen Sie Beispiele für gelungene Integration von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen
Arbeitsmarkt?
Können Unternehmer Ihrer Erfahrung nach die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen
einschätzen?
Haben Sie den Eindruck, dass sich die Unternehmen dieser Personengruppe zunehmend öffnen
(Fachkräftesicherung, Unternehmensphilosophie, soziales Engagement)?
3.
Welcher Unterstützungsangebote bedarf es Ihrer Ansicht nach, damit Unternehmen verstärkt
Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigung anbieten?
Ergreift Ihre Institution Maßnahmen, um die Unternehmen stärker für Menschen mit Behinderungen zu
sensibilisieren? Wenn ja, welche Maßnahmen?
Wie muss das Auswahl- und Unterstützungssystem Ihrer Ansicht nach konkret gestaltet sein, um die
Chancen auf nachhaltige Beschäftigung zu erhöhen oder zu sichern (z. B.: Praktika, Probebeschäftigung,
finanzielle Unterstützung)?
Wie beurteilen Sie das geplante Modellprojekt? Können Sie Erfolgsfaktoren nennen? Welche
Unterstützung zum Modellprojekt könnte wer (in der Region) leisten?
71
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
B: Unternehmensvertreter
1.
Allgemeine Fragen zum Unternehmen
Bitte erläutern Sie uns kurz die Struktur Ihres Unternehmens (Bereich des Gastgewerbes, Anzahl der
Mitarbeiter etc.).
2.
Fragen zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen und deren Tätigkeitsfeldern im
Unternehmen
Beschäftigen Sie Menschen mit Behinderungen?
Falls ja, welche Behinderungsform liegt bei Ihren Mitarbeitern vor?
Falls ja, in welchen Tätigkeitsfeldern Ihres Unternehmens sind sie tätig (Großküchen, Küchen, Reinigungsarbeiten, Service, Rezeptionsarbeiten, Pflege der Außenanlagen)?
Wann traten die Beeinträchtigungen auf? Erst während der Beschäftigung im Unternehmen?
(Für wen) ist Ihr Betrieb in baulicher Hinsicht barrierefrei?
Erhalten Sie für die Beschäftigung Unterstützungsleistungen? Falls ja, um welche handelt es sich dabei?
Wie schätzen Sie die Leistungen ein?
Haben Sie einen Bedarf an weiteren Arbeitskräften? Kommen Menschen mit Behinderungen für die
Tätigkeiten in Frage?
3.
Spezielle Fragen zur Ausbildung von Menschen mit Behinderungen
(Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen ausbilden)
Wenn Sie an Ihren ersten Auszubildenden mit Behinderungen zurück denken: Wissen Sie noch, ob damit
Schwierigkeiten (z. B.: Akzeptanz bei Kunden und Kollegen, Anpassung des Arbeitsplatzes bzw. der Produktionsabläufe etc.) verbunden waren?
Warum haben Sie sich für die Ausbildung von Menschen mit Behinderungen entschieden?
Wie sind die Chancen Ihrer Auszubildenden nach der Beendigung der Ausbildung auf einen Arbeitsplatz im
allgemeinen Arbeitsmarkt?
4.
Welche regionalen Chancen und Hemmnisse bestehen für eine verstärkte Beschäftigung von
Menschen mit Behinderungen im Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes?
Wie ist die Resonanz/Akzeptanz im Kollegenkreis hinsichtlich der Beschäftigung von Menschen mit
Behinderungen?
Wie ist die Resonanz/Akzeptanz bei den Kunden hinsichtlich der Beschäftigung von Menschen mit
Behinderungen?
Kennen Sie andere Unternehmen der Region, die sich – nach Beschäftigung mit dem Thema – gegen eine
Einstellung von Menschen mit Behinderungen entschieden haben? Welche Gründe hatten diese
Unternehmen?
72
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
5.
Welcher Unterstützungsangebote bedarf es Ihrer Ansicht nach, damit Unternehmen verstärkt
Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigung anbieten?
Wie muss das Auswahl- und Unterstützungssystem Ihrer Ansicht nach konkret gestaltet sein, um die
Chancen auf nachhaltige Beschäftigung zu erhöhen oder zu sichern (z. B.: Praktika, Probebeschäftigung,
finanzielle Unterstützung)?
Welche Anpassungen der Infrastruktur sind aus Ihrer Sicht in Ihrem Betrieb und für Menschen mit welcher
Behinderungsform erforderlich und möglich/finanzierbar?
Ergreifen Sie Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen als Mitarbeiter zu gewinnen? Wenn ja,
welche Maßnahmen?
C: Vertreter von Bildungseinrichtungen und Bundesagentur für Arbeit
1.
Allgemeine Fragen zur Bildungseinrichtung
Bitte erläutern Sie uns den Schwerpunkt Ihrer Arbeit, die Aufgaben sowie Zielgruppen Ihrer Institution.
Wird die Vermittlung der Absolventen nachverfolgt? Wenn ja, welche Bereiche sind in Bezug auf die
Vermittlungsquote erfolgreich und weniger erfolgreich?
2.
Welche regionalen Chancen und Hemmnisse bestehen für eine verstärkte Beschäftigung von
Menschen mit Behinderungen im Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes?
Was sind Ihrer Erfahrung nach die Hauptprobleme bei der Beschäftigung von Menschen mit
Behinderungen im Gastgewerbe (z. B.: Anpassung des Arbeitsplatzes bzw. der Produktionsabläufe,
Akzeptanz, Fehlzeiten, Vorbehalte bei Kunden und Kollegen, Kosten, regionale Aspekte)?
3.
Wie stark ist Ihrer Einschätzung nach bei Unternehmen das Wissen über die Fähigkeiten und die
Potenziale von Menschen mit Behinderungen ausgeprägt?
(Wie) können Unternehmer Ihrer Erfahrung nach die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen einschätzen?
Haben Sie den Eindruck, dass sich die Unternehmen (in der Wetterau) dieser Personengruppe zunehmend
öffnen (Fachkräftesicherung, Unternehmensphilosophie, soziales Engagement)?
4.
Sind die Tätigkeitsfelder des Gastgewerbes Ihrer Einschätzung nach besonders gut oder schlecht
für die Kompetenzen von Menschen mit Behinderungen geeignet?
Welche Tätigkeiten im Gastgewerbe (Großküchen, Küchen, Reinigungsarbeiten, Service, Rezeptionsarbeiten, Pflege der Außenanlagen) eignen sich Ihrer Ansicht nach für welche Behinderungsformen?
73
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
5.
Welcher Unterstützungsangebote bedarf es Ihrer Ansicht nach (auch in der Wetterau), damit
Unternehmen verstärkt Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigung anbieten?
Wie muss das Auswahl- und Unterstützungssystem Ihrer Ansicht nach konkret gestaltet sein, um die
Chancen auf nachhaltige Beschäftigung zu erhöhen oder zu sichern (z. B.: Praktika, Probebeschäftigung,
finanzielle Unterstützung, Einbeziehung des Umfelds)?
Welche Anpassungen der Infrastruktur sind aus Ihrer Sicht in Ihrem Betrieb und für Menschen mit welcher
Behinderungsform erforderlich und möglich/finanzierbar?
Wie beurteilen Sie das geplante Modellprojekt? Können Sie Erfolgsfaktoren nennen? Welche
Unterstützung zum Modellprojekt könnte/sollte wer leisten?
D: Vertreter der Politik
1.
Wie stark ist Ihrer Einschätzung nach bei Unternehmen bzw. anderen kommunalen Akteuren das
Wissen über die Fähigkeiten und die Potenziale von Menschen mit Behinderungen ausgeprägt?
Kennen Sie aus Ihrer Arbeit Beispiele für gelungene Integration von Menschen mit Behinderungen in den
allgemeinen Arbeitsmarkt?
Wie groß ist die Bedeutung der Thematik „Inklusion“ auf kommunaler Ebene?
Wie stehen die privaten und öffentlichen Unternehmen der Thematik gegenüber (Fachkräftesicherung,
Unternehmensphilosophie, soziales Engagement)?
Welche Akteure haben Ihrer Erfahrung nach vor allem ein Interesse an diesem Thema? Welche
Maßnahmen werden ergriffen?
2.
Welcher Unterstützungsangebote bedarf es Ihrer Ansicht nach, damit Unternehmen verstärkt
Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigung anbieten?
Wie beurteilen Sie das regionale Umfeld und die Akzeptanz hinsichtlich der Umsetzung eines
Modellprojektes?
Welche Unterstützung zum Modellprojekt könnte/sollte wer leisten?
Worauf ist bei der Umsetzung des Inklusionsprojektes besonders zu achten?
74
HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Literaturverzeichnis
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Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans Böckler Stiftung (Hrsg.),
Düsseldorf.
77
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Wetteraukreis
Tabellenverzeichnis
Tabelle
1
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Seite
Städte und Gemeinden im Wetteraukreis nach Einwohnerzahlen
Verteilung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Wirtschaftszweigen
im Regionalvergleich im Jahr 2012
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und ausschließlich geringfügig
Beschäftigte im Regionalvergleich
Städte und Gemeinden im Wetteraukreis nach Einwohner- und Arbeitslosenzahlen
Bestand an Teilnehmern mit Schwerbehinderungen in arbeitsmarktpolitischen
Maßnahmen gemäß der Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit in Hessen
Eingliederungsquoten von Teilnehmern mit Schwerbehinderungen an
Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit sechs Monate nach Abschluss der
Maßnahmen in Hessen
Leistungen der Integrationsämter an Arbeitgeber zur Teilhabe von Menschen mit
Schwerbehinderungen am Arbeitsmarkt in Hessen 2010 bis 2012
Weitere Akteure im Handlungsfeld im Wetteraukreis
Menschen mit einer Behinderung mit GdB 20 – 40 in Hessen und im
HAVS Gießen
Menschen mit Schwerbehinderungen nach Altersklassen und Geschlecht
im Jahr 2012 in Hessen
Menschen mit Schwerbehinderungen nach Art der schwersten Behinderung
und Grad der Behinderung in Hessen im Jahr 2012 in %
Menschen mit Schwerbehinderungen nach Altersklassen in Hessen und im
Wetteraukreis im Jahr 2012
Menschen mit Schwerbehinderungen nach der Art der schwersten Behinderung im
Wetteraukreis im Jahr 2012
Beschäftigte Menschen mit Schwerbehinderungen nach Geschlecht und
Alter im Jahr 2011 im Wetteraukreis und in Hessen
Beschäftigte Menschen mit Schwerbehinderungen nach Geschlecht und
Personengruppe im Jahr 2011 im Wetteraukreis und in Hessen
Beschäftigte Menschen mit Schwerbehinderungen in ausgewählten
Wirtschaftszweigen im Jahr 2011 im Wetteraukreis
Bestand an arbeitslosen Menschen mit Schwerbehinderungen im Jahr
2012 in Hessen
Unternehmen der Wirtschaftsbereiche Beherbung und Gastronomie nach
Betriebsgrößen im Wetteraukreis im Jahr 2011
Stellenangebot im Gastgewerbe im September 2013 in Hessen
Stellenangebot und -nachfrage in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen
im Wetteraukreis und in Hessen im September 2013
Stellenangebot und -nachfrage in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen
im September 2013 in Hessen nach Anforderungsniveau
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HA Hessen Agentur GmbH – Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung
Abbildungsverzeichnis
Abbildung
1
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Gemeinden und Städte des Wetteraukreises
Bevölkerungsentwicklung von 2000 bis 2012 im Regionalvergleich
(Jahr 2000=100)
Bevölkerungsentwicklung von 2012 bis 2030 im Regionalvergleich
(Jahresendstand im Jahr 2012=100)
Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 2000 bis 2012 im
Regionalvergleich (Jahr 2000=100)
Entwicklung der Arbeitslosenzahlen von 2000 bis 2013 im Regionalvergleich
(Jahr 2000=100)
Unbesetzte Stellen und noch unvermittelte Bewerber in Hessen 2012
Menschen mit Schwerbehinderungen in Hessen nach Altersklassen und
Grad der Behinderung im Jahr 2012
Verteilung der Neuverträge nach Zuständigkeitsbereichen im Wetteraukreis 2012
Arbeitslose je gemeldeter Arbeitsstelle nach Berufsbereichen in Hessen
im September 2013
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