Pferdebeurteilung ES - Verband Schweizerischer
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Pferdebeurteilung ES - Verband Schweizerischer
Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Pferdebeurteilung aus Sicht neuer Erkenntnisse aus funktioneller Anatomie und Biomechanik Hanspeter Meier Foto: Debora Vogt, 2010 Dieses Bild möge bitte nicht illustrieren, dass hier jemand ein Brett vor der Stirn hat, sondern vielmehr versinnbildlichen, dass wir uns von der sehr komplexen Materie der Pferdebeurteilung nur gerade erst einen ganz bescheidenen Überblick verschaffen können. Wir blinzeln erst gerade über den Zaun hinweg. La connaissance du naturel d‟un cheval est un des premiers fondements de l‟art de monter et tout homme de cheval doit en faire sa principale étude De la Guérinière 0 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Inhaltsverzeichnis Pferdebeurteilung und funktionelle Anatomie 2 Einleitung 2 Literatur 4 - Traditionelle Literatur 4 - Heutige Literatur 6 Grundsätzliches Langlebigkeit und Abgangsursachen 7 Exterieurbeurteilung des Reitpferdes aus genetischer und reiterlicher Sicht 7 Funktionelle Anatomie am Beispiel der Schulter 9 Rennpferd Die Rolle des Exterieurs bei muskuloskelettalen Problemen des Rennpferdes Prävalenz und Bedeutung von muskuloskelettalen ExterieurMerkmalen bei Vollblut-Jährlingen 10 10 Renn- und Reitpferd Zusammenhang von Sport-Disziplin und -Niveau mit anatomischer Lokalisation von orthopädischen Verletzungen Züchterische Bedeutung von Gliedmassenerkrankungen beim 16 16 15 20 Reitpferd Heritabilität der Form der Gliedmassenspitze, sportliche Leistung und Nutzungsdauer bei Warmblutpferden 22 Pferdebeurteilung und Biomechanik 27 Einleitung 27 Geschichtliches 28 Bewegungsapparat 30 Biomechanik Bewegungsstudien und -analysen Ursachen für Verletzungen Verletzungen wegen Reiterfehlern Bemühungen um Verbesserungen vor Verletzungen 35 35 37 40 41 Biomechanische Messungen 44 Handel und Zucht 48 Oekologie 52 Literaturverzeichnis 58 1 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Pferdebeurteilung und funktionelle Anatomie Einleitung Die Materie der funktionellen Anatomie und ihre Beziehung zur Pferdebeurteilung ist anspruchsvoll und auch schwierig zu vermitteln, insbesondere weil letztere zu einem grossen Teil Ermessenssache ist und man in vielen Dingen in guten Treuen unterschiedlicher Meinung sein kann. Dies ist bedingt dadurch, dass viele wichtige Parameter nicht gemessen werden können und somit die primitivsten Anforderungen an ein wissenschaftliches Vorgehen nicht erfüllt werden können. „When you can measure what you are speaking about, and express it in numbers, you know something about it; but when you cannot measure it, when you cannot express it in numbers, your knowledge of it is of a meager and unsatisfactory kind; it may be the beginning of knowledge, but you have scarcely, in your thoughts, advanced it to the stage of science.” (Lord Kelvin 1824 - 1907) (Love et al. 2005) In diese gleiche Kerbe hieb auch der Berner Duerst, der sich 1922 ebenfalls mit der Frage der Wissenschaftlichkeit der Exterieurbeurteilung befasste: „Wir wollen festhalten, dass die gesamte Beurteilungslehre der alten Zeiten bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auf teils abergläubisch gedeuteten, teils völlig missverstandenen Erfahrungsregeln fusste und eine verhältnismässig wissenschaftliche Betrachtungsweise erst dann beginnen konnte, als die Erkenntnis der anatomischphysiologischen Funktionen des Pferdekörpers einige Verbreitung erfuhr (Anatomia del cavallo von Senator Carlo Ruini, Bologna 1598). Erst Claude Bourgelat schien diese Erfahrungsregeln in eine „Wissenschaft“ umzugestalten, hatte er doch schon im Jahre 1744 in Lausanne-Genf ein Lehrbuch der Beurteilungslehre, „Le nouveau Newcastle“, anonym erscheinen lassen. Dass Bourgelat, im Bestreben wissenschaftlich zu werden, über das Ziel hinausschoss und doktrinär wurde, ist bekannt.“ Wir haben es bei der Pferdebeurteilung also mit einer inexakten Wissenschaft zu tun - wenn überhaupt. Nach meinem Dafürhalten beginnen wir erst langsam, diese Bemühungen auf einem wissenschaftlichen Niveau auszuüben. Was in keiner Art und Weise als Vorwurf an unsere Vorgänger verstanden werden darf. Aussagekräftige Studien mit grossen Zahlen wurden ja erst dank der grossartigen Fortschritte der Informationstechnologie in unserer Zeit möglich. Grosse Aufmerksamkeit verdient aber der Umstand, dass Exterieur-Merkmale häufig auch für die Zuchtwertschätzung herangezogen werden. Dies ist – cum grano salis – bei Zuchtzielen für Exterieurmerkmale bis zu einem gewissen Masse verständlich, darf aber nie und nimmer die Bedeutung erlangen wie die Selektion auf Leistung und Gesundheit. Es fällt ja in erschreckendem Masse auf, wie relativ hoch die Frequenz von Erbfehlern bei jenen Zuchten ist, die vornehmlich nach Exterieur selektionieren – was u.a. auch ein grosses ethisches Problem ist. Dieser Tatbestand ist wohl am besten beschrieben worden durch den überaus erfolgreichen Vollblut-Züchter Federico Tesio: „The Thoroughbred exists because its selection has depended not on experts, technicians or zoologists, but one piece of wood: the winning post of the Epsom Derby”. Die im Spitzensport erbrachte Leistung ist unvergleichlich viel wertvoller als ein paar noch so “schöne” Exterieurmerkmale beim stehenden Pferd. Schliesslich müssen wir uns immer vor Augen halten, dass viele Käufer Wert legen auf ein „korrektes“ Aussehen von Pferden – und darum bei vielen (zu vielen) Fohlen 2 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Stellungsanomalien operativ „korrigiert“ werden. Hiermit ist die Gefahr nicht unbeträchtlich, bei einer späteren Beurteilung „Katzen im Sack“ zu kaufen. „Die Makelfreiheit ist der Güter höchstes nicht, der Übel grösstes aber Ungesundheit !“ Graf Georg von Lehndorff (1887-1912, preussischer Oberlandstallmeister) Abb. 1 Mandarin unter seinem Jockey Fred Winter – ein Pferd, dessen Interieur noch bemerkenswerter ist als sein funktionell erwiesenermassen gutes Exterieur und das als eines der grössten Rennpferde aller Zeiten gilt. Er gewann u.a. die Grand Steeple Chase de Paris 1962 in Auteuil, ein Jagdrennen von 4800 m Distanz über einen Kurs in Form einer Acht. Der Boden war tief, Mandarin übernahm nach dem Start die Spitze und beim dritten Hindernis (von 24) brach die Gummitrense im Maul des 11-jährigen Wallachs. Am Wassergraben machte Mandarin einen Fehler und verlor Boden. Beim drittletzten Sprung etwa 800 m vor dem Ziel verletzte er sich, übernahm am zweitletzten Hindernis aber wieder die Spitze und gewann das Rennen in einem Photofinish mit kurzem Kopf. 3 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Literatur The ideal Horse Round-hoofed, short-jointed, fetlocks shag and long, Broad breast, full eye, small head, and nostril wide, High crest, short ears, straight legs and passing strong, Thin mane, thick tail, broad buttock, tender hide. Look what a horse should have he did not lack, Save a proud rider on so proud a back. W.Shakespeare (1564-1616 , Venus and Adonis) - Traditionelle Literatur Die Beurteilung des Pferdes (Duerst 1922) Im deutschsprachigen Raum gilt das Buch “Die Beurteilung des Pferdes“ von J.Ulrich Duerst als das Standardwerk für dieses Fach (Duerst 1922). Professor Duerst war Ordinarius an der Universität Bern, früher Gutsbesitzer sowie praktischer Züchter und an diesem Buch mit 148 Abbildungen und einer farbigen Tafel arbeitete er jahrelang. Im Vorwort spricht er von 20 Jahren Literaturstudium und 14jährigem Messen und Forschen. Ursprünglich plante er bei 10„000 Pferden je 40 Messungen vorzunehmen, musste sich wegen des ersten Weltkrieges jedoch schliesslich mit etwas mehr als 2„000 Pferden begnügen. Solch eine Leistung, die zu jener Zeit selbstverständlich ohne die elektronische Datenverarbeitung erbracht werden musste, verdient grösste Bewunderung und Hochachtung. Er selber bedauert aber sein mangelhaftes Zahlenmaterial - womit man sich gleich wundern muss, was er wohl zu modernen „wissenschaftlichen“ Arbeiten sagen würde, wo bspw. weniger als 50 Tiere untersucht und trotzdem kalten Herzens Prozentzahlen präsentiert werden. Einleitend geht Duerst auch auf die Beurteilungslehre in den klassischen Zeiten der Griechen und Römer ein (von Kimon und Xenophon über Varro, Columella und Palladius zu Vegetius) und bietet auch hiermit sehr wertvolle Informationen. Nachher folgt eine unvorstellbare Menge von äusserst interessanten Daten und Angaben zu allen möglichen Gebieten der Pferdekunde. Sein Werk ist eine Fundgrube sondergleichen - aber Nachttisch-Lektüre ist dieses Buch in keiner Art und Weise. Es bietet sehr anspruchsvolle Informationen, und offensichtlich hat sich bei uns jahrzehntelang niemand an dessen Studium gewagt. Beim Zügeln unserer Bibliothek (2008) war nämlich festzustellen, dass das Buch noch gar nicht aufgeschnitten war (also für 86 Jahre !). Den grössten Dank für die Entstehung seines Werkes spricht Duerst seine Schülern aus, die ihm ihr stetes Interesse und ihre begeisterte Mitarbeit entgegenbrachten und ihn dadurch für alle Mühe reich belohnten und anspornten. Auch mit der Wertschätzung seiner Schüler beweist Duerst aussergewöhnliche Grösse. Fortschritt kann es ja nur geben, wenn die Schüler besser werden als die Lehrer. Diesen Zweck soll auch diese Übersicht verfolgen. 4 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Das Äussere des Pferdes (Originaltext von Graf Wrangel 1928) Folianten sind bereits über die äussere Form des Pferdes geschrieben worden. Wie unvollständig und unpraktisch ein hippologisches Handbuch auch sein möge – die Lehre vom „Exterieur“ ist sicher in demselben mit grösster Ausführlichkeit behandelt worden. Das Äussere ist aber auch das Steckenpferd aller Kathederhippologen und zahlreich sind diejenigen, die da glauben, mit Beihilfe des Messbandes aus den äusseren Formen zuverlässige Schlusssätze bezüglich des Gebrauchs- und Zuchtwertes eines Pferdes ziehen zu können Ist aber das Äussere von den Theoretikern bedeutend überschätzt worden, so hat auch mancher sogenannte Praktikus demselben eine viel zu geringe Bedeutung beigelegt. Dies gilt ganz besonders von den Engländern. „Handsome is who handsome does“ (Schönheit liegt in den Leistungen): „Horses go in all shapes“ (Die Form ist nichts, der Gang alles) und „an ounce of blood is worth a pound of bone“ (eine Unze Blut ist ebenso viel wert als ein Pfund Knochen) sind z.B. in England häufig angewendete Redensarten, die, obwohl ihr tiefer Sinn die grösste Beachtung verdient, mehr als einen Anfänger auf sehr bedenkliche Irrwege geführt haben. Dass fehlerhaft gebaute Pferde mitunter eine viel grössere Leistungsfähigkeit, als den Idealen der Theoretiker entsprechende Tiere, an den Tag gelegt haben, ist allerdings auch ausser Englands Grenzen kein Geheimnis für den Fachmann, nur lehrt die Praxis, dass solche Widersprüche mehr scheinbar als wirklich sind. Die Überlegenheit des fehlerhaft gebauten Pferdes hat nämlich in den meisten Fällen ihre natürliche Erklärung darin, dass dieses von der Natur mit ganz ausserordentlichen inneren und äusseren Eigenschaften ausgerüstet worden ist, welche die Mängel in seinem Körperbau mehr wie aufwiegen. Und was mustergültig gebaute, aber schlaffe Pferde betrifft, fehlt denselben aller Wahrscheinlichkeit nach das nötige Quantum „Dampf“, ohne welchen der ausgezeichnete Mechanismus nicht auf eine höheren Anforderungen entsprechende Art im Gang erhalten werden kann. Abb. 2 Vollblut, 1983, Zeichnung von Prof.Dr.H.Gerber (“Hene”) 5 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 - Heutige Literatur Ich hoffe sehr, mit den einleitenden Worten deutlich genug auf die grossartigen Arbeiten unserer Vorväter hingewiesen zu haben. Es ist unabdingbar, sich mit diesen Grundlagen zu befassen, wenn man auf diesem Gebiet als ernst zu nehmend und kompetent gelten möchte. Wer das nicht tut läuft überdies Gefahr, Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen. In den letzten Jahren wurden nun erfreulich viele neue Untersuchungen angestellt, mit denen wir uns hier schwergewichtig beschäftigen möchten. Einerseits werden in unseren Zeiten andere Ansprüche an die Pferde gestellt als früher und anderseits erlauben uns die Computer heutzutage die Auswertung riesiger Datenmengen. Somit können aussagekräftigere Ergebnisse erarbeitet werden, die zeitgemässen Anforderungen zu genügen vermögen. Des weitern ist klar, dass die Überprüfung der hypothetischen Beurteilung des stehenden Pferdes bei der Nutzung bzw. in der Bewegung erst vor relativ kurzer Zeit technisch möglich wurde (z.B. Hochgeschwindigkeits-Videos und Untersuchungen auf dem Laufband). Hier wird nun grosser Wert darauf gelegt, die Pferdebeurteilung nicht ihrer selbst vorzunehmen („l‟art pour l‟art“ höflich ausgedrückt). Vielmehr wurden nahezu ausnahmslos nur Arbeiten beigezogen, welche die Resultate der Beurteilungen in der Folge auch überprüft und in Beziehung zur späteren Nutzung gesetzt haben. Gleichzeitig möge bitte klar werden, dass es eine Kunst ist, ein gutes Pferd zu erkennen, bzw. es positiv beurteilen zu können. Viel einfacher ist hingegen, „Fehlergucker“ zu sein und jedes zweite Pferde zu verurteilen. Obwohl man natürlich nur schon gemäss Wahrscheinlichkeitsrechnung damit nicht selten recht bekommt. Oder weil das betreffende Pferd leider in unerfahrene oder sogar schlechte Hände kommt. Die moderne Pferdebeurteilung nimmt in verschiedenen Bereichen Bezug zu medizinischen Sachverhalten, bspw. Erkenntnisse aus der heutigen Nutzung, die sowohl per se wie auch für den Handel und für den Einsatz in der Zucht von Bedeutung sind. Dafür werden hier diverse Beispiele sowohl aus der Warmblut- wie der Vollblutzucht beigezogen. Dadurch besteht eine unvermeidbare Durchmischung, die aber nicht als Nachteil empfunden werden darf. Schliesslich bildet sowohl bei Renn- wie bei Reitpferden die Gesundheit die Grundlage der Leistungsfähigkeit und man kann auch von einander lernen. Aufgeschlossenheit ist bekanntlich ja die wichtigste Voraussetzung für Fortschritt. Man muss sich einfach bewusst sein, dass die Beurteilung von Renn- und Reitpferden neben Gemeinsamkeiten auch markante Unterschiede kennt. In allen Bereichen wurde versucht, den aktuellsten Stand des Irrtums zu präsentieren. 6 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Grundsätzliches Die Pferdebeurteilung hat in erster Linie den Zweck, eine möglichst gute und lange Nutzung des Pferdes und anderer Equiden zu ermöglichen. Aus diesem Grunde interessiert zu Beginn, was überhaupt zu deren frühem Ausscheiden und Abgang führt. Zwei aktuelle Arbeiten liefern dazu Hinweise und zeigen, dass vor allem das muskuloskelettale System bzw. der Bewegungsapparat bei der Beurteilung Beachtung verdient. Schätzungen der Langlebigkeit und Ursachen für Abgänge und Todesfälle bei schwedischen Warm- und Kaltblutpferden. Estimates of longevity and causes of culling and death in Swedish warmblood and coldblood horses (Wallin et al. 2000) Dieser schwedischen Arbeit liegt der Tatbestand zugrunde, dass Leiden des muskuloskelettalen Systems zu 55% verantwortlich sind für den Tod von Warm- und Kaltblutpferden; dabei wurden 45% der Ursachen degenerativen Gelenkserkrankungen zugeordnet, inkl. 10% wegen Strahlbeinlahmheit. Diese Zahlen betrafen vor allem Pferde im Alter von 7 bis 10 Jahren. Daneben wurde ein positiver Trend erkannt zwischen Alter des ersten Einsatzes und der Lebensdauer der Pferde. Auf dieses Thema wird andernorts eingehender eingegangen. Unfreiwillige Abgangsursachen bei Pferden in der Schweiz: Erste Ergebnisse aus Versicherungsdaten (Kappeler und Rieder 2010) Die Auswertung von 168 Schadenfällen von einer regionalen Schweizer Pferdeversicherungsanstalt aus den Jahren 2000 bis 2007 ergab, dass das mittlere Abgangsalter bei 14,5 Jahren lag. Der häufigste Grund für das Ausscheiden waren mit 48.8% Leiden des Bewegungsapparates, mit 13.7% Störungen des Verdauungs-, 4.8% Erkrankungen des Herzkreislaufapparates und 4.2% Krankheiten der Atemwege. Die überaus grosse Bedeutung des muskuloskelettalen Systems bezüglich Nutzungsdauer und verfrühtem Ausscheiden begründet das riesige Interesse an den Möglichkeiten einer Beurteilung des Bewegungstieres Pferd und selbstverständlich auch der Frage der Beeinflussung durch züchterische Massnahmen. Exterieurbeurteilung des Reitpferdes Exterieurbeurteilung des Reitpferdes - von der Genetik für die Praxis (Christmann 2002) Bei einer Tagung des Vereins zur Förderung der Forschung im Pferdesport (FFP, 2002) gab Christmann (Verband hannoverscher Warmblutzüchter), bekannt, dass man sich in der Vergangenheit in der hannoverschen Zuchtarbeit sehr stark auf die typischen Exterieur- und Leistungsmerkmale konzentriert habe und die Gesundheit 7 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 keine grosse Rolle spielte. Die Ehrlichkeit dieser unvorteilhaften Aussage verdient Anerkennung, weil solch eine Einstellung ja sowohl vielen empirischen wie wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht, bspw. dem Erfolg der KWPN-Zucht. Heutzutage gilt generell, dass in der Pferdezucht eine Leistungssteigerung in erster Linie dank einer Verbesserung der Gesundheit vorstellbar ist. Bezüglich der Erblichkeitsgrade von Exterieurmerkmalen für die Stutbuchaufnahme in Hannover wurden 1996 folgende Prozentzahlen erhoben: - Die typ-prägenden Merkmale wie Kopf, Hals, Sattellage und Rahmen hatten Werte zwischen 23% (Rahmen) und 41% (Kopf), lagen also im mittleren und hohen Bereich. - Die Erblichkeitsgrade für sämtlich Fundamentsmerkmale und Korrektheit liegen aber merklich niedriger ! Vordergliedmassen 16%, Hintergliedmassen 18%, Korrektheit 14% In Anbetracht obiger Arbeiten über die Bedeutung des Bewegungsapparates für die Gesundheiterhaltung der Pferde sind diese Ergebnisse natürlich wenig ermutigend. Christmann (2002) beschwichtigt jedoch mit der Ansicht, dass hier die Aufzucht eine grosse Rolle spiele. Diese Aussage ist zwar sicher nicht falsch, aber leider doch auch nicht besonders hilfreich. Es muss heutzutage ja als inakzeptabel oder zumindest unprofessionell gelten, wenn ein Züchter seinem Nachwuchs nicht in jedem Fall optimale Aufzuchtbedingungen bietet (Haltung, Fütterung, Hufpflege). Für uns Profis ist hier von Bedeutung, dass züchterisch nur ein bescheidener Beitrag geleistet werden kann, wenn Verbesserungen als nötig erachtet werden. Die Beurteilung bzw. Selektion von Zuchtpferden bezüglich Fundament verdient also besonders grosse Beachtung. Exterieurbeurteilung des Reitpferdes - vom Reiter für die Praxis (Plewa 2002) Anlässlich der gleichen Tagung des Vereins zur Förderung der Forschung im Pferdesport (FFP, 2002), erlaubte sich Martin Plewa (ehemaliger, erfolgreicher Vielseitigkeitsreiter), auch über die Bedeutung des Interieurs zu sprechen (Originaltext). Dieser Beitrag ist insofern besonders wertvoll, als sich hier – geradezu ausnahmsweise – ein kompetenter Praktiker äussert, jemand der in der Lage ist, die Erfüllung des angestrebten Ziels selber beurteilen zu können. Dabei ist vollkommen klar, dass Spitzenleistungen nur möglich sind, wenn unsere Partner auch mitmachen wollen. Mit Zwang kommt man nicht so weit; die Leistungsbereitschaft, das Interieur, muss vorhanden sein. Die Berücksichtigung von Sensibilität, Reaktionsvermögen oder Intelligenz ist im Zusammenhang mit dem Veredlungsprozess durch die Einkreuzung von Vollblutgenen wesentlich beeinflusst worden. Es ist auf Grund der sportlichen Anforderungen nicht verwunderlich, dass der Anteil von Pferden mit Edelblut im Pedigree vor allem im Spitzensport besonders hoch ist, und zwar überproportional im Vergleich zum durchschnittlichen Anteil an Vollblut in der gesamten Reitpferdepopulation. Vereinfacht kann man daraus schliessen, dass die Wahrscheinlichkeit zur Fähigkeit zu Höchstleistungen bei einem veredelten Warmblüter höher wird. Dennoch ist insbesondere in Deutschland der Einsatz von Vollblütern in der Reitpferdezucht eher unpopulär. Die Bereitschaft und Fähigkeit zu Sensibilität und Reaktionsvermögen stelle ich als ein Qualitätsmerkmal deshalb besonders heraus, weil heute die Tendenz besteht, Abge8 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 stumpftheit, Teilnahmslosigkeit, Duldungsbereitschaft, ja gar Leidensfähigkeit bei der Unterordnung als besonders positive Temperamentsmerkmale einzustufen. Derzeit laufen sogenannte „Gelassenheitstests“, in denen mehr oder weniger überprüft wird, inwieweit die natürlichen Reaktionen, die das Pferd als Fluchttier zum sicheren Aufenthalt in der Natur benötigt, bereits weggezüchtet oder möglicherweise sogar wegdressiert sind. Meines Erachtens ist dies fast ein Ansatz, die Natur des Pferdes in Richtung Umzüchtung zu einer gefügigen „Sportmaschine“ zu pervetieren. Es sei mir hier erlaubt anzumerken, dass ich es für reiterlicher halte, sich mit den natürlichen Verhaltensweisen von Pferden zu beschäftigen, Pferde verstehen und sie reiten lernen, um mit ihnen art- und wesensgerecht umgehen zu können, statt ihre Natur auf menschliche Unfähigkeiten umzumodeln. Körperliche Konstitution Auch Härte und Trockenheit werden ganz wesentlich durch den genetischen Input des Vollblutes bestimmt. Bedauerlicherweise wird in den derzeitigen Selektionsstufen bei Zuchtpferden auf Härte und Belastbarkeit kaum noch selektiert, z.T. werden Tierschutzüberlegungen vorgeschoben mit der möglichen Konsequenz, in Zukunft gesundheitlich anfälligere Pferde als Endprodukte vorzufinden, die vielleicht häufiger in der Tierklinik als im Heimatstall stehen. Funktionelle Anatomie am Beispiel der Schulter Katapult-Wirkung für eine rasche Vorführphase A catapult action for rapid limb protraction (Wilson et al. 2003) Weitaus der grösste Teil aller Schriften und Bilder für die Exterieur-Beurteilung beziehen sich auf das Pferd im Stehen, von allen Seiten und mit allen möglichen Erläuterungen und Messungen, aber bis anhin nahezu ausnahmslos ohne logische Begründung für deren Bedeutung im Bewegungsablauf und ohne nachvollziehbare Messungen. Zu all den diversen Exterieurmerkmalen gehört natürlich auch die Schulter, und für den Galopprennsport und die Vielseitigkeit wünscht man für gewöhnlich eine flache Schulter. Es ist anzunehmen, dass dieser Wunsch auch auf Erfahrungswerten beruht und hier eine flache bzw. lange Schulter als „gute Schulter“ gilt (Abb. 3). Für dieses Merkmal gibt es zur Abwechslung mittlerweilen glaubwürdige Erklärungen, die auf sehr interessanten Resultaten von biomechanischen Untersuchungen beim Pferd beruhen und überdies auch das Verständnis für das Auftreten von Verletzungen an der Vordergliedmasse erleichtern. Schnell rennende Tiere müssen in der Lage sein, ihre Gliedmasse rasch genug vorführen zu können um für die nächste Belastungsphase bereit zu sein. Diese Anforderung ist aber vor allem für grosse Tiere schwer zu erfüllen, einerseits wegen ihrer langen Gliedmassen und anderseits wegen ihrer langsam und relativ schwach kontrahierenden Muskulatur. In den Vorderbeinen muss in der Zeitdauer des Vorführens eine belastbare Festigkeit aufgebaut werden, aber die dafür nötige Fähigkeit ist bei den Beugesehnen limitiert. Jedenfalls blieb das Ausmass der Federung beim Auffussen auf Messplatten immer gleich, weshalb es bei Überbelastung zu Schädigungen der Sehnen kommen kann – es sei denn die Unterlage (Geläuf) wirke dieser entgegen (bekanntlich ein sehr grosses und weit verbreitetes Problem bei Sportpferden). 9 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Abb. 3 Ein sehr schöner Beleg für die Bedeutung der Schulter als biomechanisch und funktionell wichtiges Exterieurmerkmal ist dieser Kupferstich von Lawrence (1801). Die flache Schulter (links) ermöglicht nach Ansicht von Lawrence (1801) im Bereich des Gelenks eine grössere Exkursion. A-B extent of motion C center of motion E point of elevation of the lower part of the shoulder when it is advanced Es wurde nun erkannt, dass beim Pferd die Bizeps-Muskulatur als Elastizitäts-Reserve dient, die in der vorhergehenden Stützphase aufgebaut wird. Diese Erkenntnis bestätigt die empirische Erkenntnis, dass für galoppierende Pferde (Renn- und Vielseitigkeitspferde) das Exterieurmerkmal Schulter dann als „gut“ gilt, wenn sie „flach“ oder „lang“ ist. Diese Konfiguration dürfte biomechanisch, d.h. dank des grösseren Winkels und des längeren Hebels für den Aufbau der Elastizitäts-Reserve, vorteilhaft sein. Man beachte bitte auch die folgende Arbeit von Anderson und Mitarbeitern (2004), wo Pferde mit einer langen Schulter ein geringeres Risiko (0.50) für Frakturen der Vordergliedmasse haben (dank besserer Stabilität bei Übernahme des Gewichts). Rennpferd Die Rolle des Exterieurs bei muskuloskelettalen Problemen beim Rennpferd The role of conformation in musculoskeletal problems in the racing Thoroughbred (Anderson et al. 2004) Einleitung In dieser Studie zu muskuloskelettalen Problemen beim Vollblut-Rennpferd führen Anderson und seine Mitarbeiter (2004) einen weiteren sehr wichtigen Grund für die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Pferdebeurteilung in der heutigen Zeit an. Verletzungen bei diesen Hochleistungspferden haben ja nicht nur direkte und indirekte wirtschaftliche Verluste zur Folge, sondern führen auch zu einer sehr unvorteilhaften Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, was dem Renn- bzw. Pferdesport sehr grossen Schaden zufügen kann (bspw. keine Interesse seitens potenzieller Sponsoren). Auch diese Autoren führen an, dass Ursachen für Verletzungen beim Rennpferd multifaktoriell und die Biomechanik (Exterieur) sowie Traumen mögliche aetiologische Faktoren sind. Ein Zusammenhang zwischen Exterieur und potenziellen Ver10 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 letzungen wird in der Praxis der Pferdebeurteilung angenommen, die Ansichten basierten bis anhin aber nur auf subjektiven Beobachtungen (Anderson et al. 2004). In dieser Studie wurden 115 Dreijährige aus der gleichen Zucht (!) beurteilt und verfolgt, die im gleichen Trainingsstall standen und auf der gleichen Anlage (Chantilly) gearbeitet wurden; die meisten Pferde liefen in der Folge auch Rennen. Die Messung von Exterieurmerkmalen bei dreijährigen Vollblütern und die objektive Überprüfung im Zusammenhang mit dem Auftreten von muskuloskelettalen Problemen war das ehrgeizige Ziel dieser Arbeit. Die Exterieur-Messungen erfolgten anhand von Fotografien, wo spezifische Referenzpunkte markiert wurden, und die Auswertung geschah mit Hilfe eines Computers. Die Pferde wurden von links, von vorne und von hinten fotografiert, dann wurden die Bilder gescannt und spezifische Messungen wurden vorgenommen. Fotografien wurden bei allen Probanden im Alter von 3 Jahren gemacht (bei 4 Gruppen, die von 1992 bis 1995 geboren wurden). Klinische Beobachtungen wurden für jedes Pferd in regelmässigen Abständen registriert. Von einem Autor mindestens einmal pro Woche, von einem andern alle zwei Monate. Nur Befunde mit einer Frequenz von > 5% wurden statistisch ausgewertet. Erhobene klinische und radiologische Befunde Die erhobenen Befunde waren: Tendinitis der Beugesehnen, Desmitis des Fesselträgers, Gelenksergüsse, Sesamoiditis, Hasenhacke, Tendosynovitis, Frakturen, chirurgische Eingriffe, Osteochondrose (OCD), Osteoarthritis, Schwellungen in Zusammenhang mit Überbeinen (im Moment der Untersuchung nicht unbedingt aktiv oder mit Lahmheit verbunden), Weichteilschwellungen und die subjektive Evaluation einer Rotation der Gliedmassen. Es ist gut vorstellbar, dass die Abgrenzung der Krankheitsbilder sehr schwierig ist. Man hat darum Verständnis dafür, dass als „Fesselprobleme„ folgende Befunde in diesem Bereich zusammengefasst wurden: OCD, Ergüsse/Anfüllungen, Epiphysitis (distale Epiphyse des Metakarpus oder proximale Epiphyse des Fesselbeins), Frakturen des Fesselbeins, Sesamoiditis und Desmitis eines Interosseusschenkels. Methoden Wahrscheinlichkeiten (odds ratios OR) wurden berechnet mit einem Vertrauens-Intervall von 95% für eine Verlängerung von 10 cm bei Längen-, 1° bei Winkelmessungen und 10% bei Zunahme eines Quotienten. Resultate Übersicht Klinische Befunde mit einer Frequenz von mehr als 5% waren: Tendinitis der Beugesehnen, Anfüllung des Fesselgelenks, Anfüllung des Karpalgelenks, Anfüllung des Tarsus, Inzidenz von Frakturen in jeder Gliedmasse, Fesselbeinfrakturen, Karpalfrakturen, chirurgische Eingriffe, Epiphysitis, Überbeine und Fessel-Indices. Im Detail - Jede Verlängerung der unteren Halslinie um 10 cm erhöhte die Wahrscheinlichkeit eines Ergusses im vorderen Fesselgelenk um den Faktor 5,1. 11 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 - Bei jeder (rechnerischen) Zunahme von 10 cm bei der Länge der Skapula (Schulterblatt) fiel die Wahrscheinlichkeit einer Fraktur im Karpus um den Faktor 0.53 (s. p. 9f). - Die Zunahme von 10 cm Skapulalänge verminderte auch die Chance einer Fraktur an der Vordergliedmasse um 1.97 (konstante Fessellänge vorne vorausgesetzt). - Für 10 cm Zunahme der vorderen Fessellänge (statistisch ausgedrückt) stieg das Risiko einer Fraktur 17.9-mal (konstante Schulterlänge vorausgesetzt). - Winkelung des Karpus von vorne: Für jede Zunahme von 1° bei der Winkelung des Karpus wurde die Wahrscheinlichkeit eines Ergusses um den Faktor 0.68 kleiner, jene für eine Fraktur um 0.24, das Risiko einer Epiphysitis im Fesselbereich um 0.57 (bei gleichem Alter) und jenes für eine Fraktur in der Vordergliedmasse um 0.71 (bei Hufen im Normalbereich). - Die Winkelung des rechten Karpus (von vorne) bei zwei Pferden mit einer Fraktur des Karpus betrug 182.38 ± 1.24°, jene der Pferde ohne Bruch (n = 112) mass 186.72 ± 1.81°. - Bei der radiometakarpalen Winkelung von der Seite stieg das Risiko einer Fraktur im vorderen Fesselbein mit jedem Grad um den Faktor 1.36, jenes einer Epiphysitis im Fesselbereich mit einer Wahrscheinlichkeit von 1.52 (bei vergleichbarem Alter). - Beim Karpus mit einer Achsabweichung um 10% stieg das Risiko einer Anfüllung des vorderen Fesselgelenks um 1.18 und die Gefahr eines Problems des vorderen Fessels mit einer OR von 1.26. - Wenn der Quotient der Winkelung des Hufs im dorsalen und palmaren Bereich um 10% stieg, hatte das 1.45 mal häufiger eine Anfüllung des Karpus zur Folge. - Diese gleiche Zunahme bewirkte aber auch eine Verminderung von einer Fraktur vorne um 0.52 (bei gleicher Winkelung des Karpus) und verminderte auch die Wahrscheinlichkeit eines chirurgischen Eingriffs um 0.62 - keine Fraktur in einer Vorderoder Hintergliedmasse vorausgesetzt. - Für jedes Grad der Vergrösserung des hinteren dorsalen Hufwinkels stieg das Risiko einer Anfüllung des hinteren Fesselgelenks um den Faktor 1.19, und jenes für ein Fesselproblem um den Faktor 1.14. - Zu den Exterieurmerkmalen, die keinen Einfluss hatten auf den klinischen Verlauf (P < 0.05), gehörten die Höhe von Widerrist und Kruppe, die Länge der Oberlinie des Halses, des Humerus, des Radius, des Metakarpus III, des Femur, der Tibia, des Metatarsus III und des Fessels, sowie die Winkelungen von Skapula, Schulter, Fessel, Huf und Tarsus. - Der häufigste klinische Befund war die Anfüllung des Fesselgelenks vorne (28% rechts, 31% links). Diskussion Es ist anzunehmen, dass die Lektüre obiger Ergebnisse als nicht besonders unterhaltsam und auf Anhieb auch nicht als leicht verständlich empfunden wird. Etwas anderes würde mich beunruhigen und die Präsentation dieser Arbeit soll in erster Linie dazu dienen, einen überzeugenden Zugang zur Materie der Pferdebeurteilung aufzuzeigen: Das Sammeln von Daten unter vergleichbaren Bedingungen und in zufriedenstellender Menge, sowie deren Überprüfung im spitzensportlichen Einsatz. Das Beurteilen von Pferden ohne nachfolgende objektive Kontrolle kann ja nur gera12 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 de als „l‟art pour l‟art“ eingestuft werden. Solche Bemühungen können sachlich nicht befriedigen. All die trockenen aber dafür überzeugenden obigen Daten können auch als Referenzwerte dienen für andere Studien oder als Grundlage für weiterführende Untersuchungen. Die erhobenen Befunde werden von den Autoren folgendermassen diskutiert und interpretiert: - Die Auswirkung der Länge der Unterlinie des Halses auf Fesselprobleme dürfte bedingt sein durch die Zunahme des Gewichts auf die Vorhand. - Die Zunahme des dorsalen Winkels am Hinterhuf wird dahingehend interpretiert, dass damit Druckkräfte im Fesselgelenk grösser werden und somit die Anfüllung bewirken. Eine gleiche Erklärung besteht für den desaxierten Karpus, wodurch Zug und Druck distal zunehmen und die ungleiche Verteilung eine verstärkte Anfüllung zur Folge hat. - Die Zunahme des Winkels im Karpus von vorne um 1° reduzierte dessen Anfüllung (mit dem Faktor 0.68) und einer Fraktur (mit dem Faktor 0.24). Diese Befunde verdienen grosses Interesse, weil Käufer für gewöhnlich ein „gerades Bein“ wollen und Valgus-Stellungen (beim Fohlen) sogar chirurgisch angegangen („korrigiert“ !) werden. - Ergüsse im Karpalgelenk nahmen zu mit einer Vergrösserung des Quotienten von dorsalem und palmarem Hufwinkel um 10% (d.h. mit untergeschobenen Trachten). Dies weist auf die Bedeutung einer korrekten Balance im Huf hin, wobei zu beachten ist, dass dieser Quotient alleine muskuloskelettale Leiden nicht zur Folge hatte, eine Änderung des Gleichgewichts aber schon. - Die Wahrscheinlichkeit von Frakturen im Karpus fiel mit der Zunahme der Länge der Schulter und dem Winkel des radiometakarpalen Gelenks von der Seite. In der Vergangenheit wurde die karpale Hyperextension (Rückbiegigkeit) als Ursache für Chip-Frakturen vermutet. Eine spätere radiologische Studie hingegen konnte diesbezüglich keinen signifikanten Unterschied aufzeigen. Auch seitens der Trainer hört man ganz unterschiedliche Ansichten. Hindernistrainern wird nachgesagt, dass sie den Kauf von rückbiegigen Pferden unbedingt zu vermeiden versuchen, während Mark Johnston, einer der zur Zeit erfolgreichsten englischen Flachtrainer (und Tierarzt), der Meinung sein soll, dass rückbiegige Pferde schneller seien als vorbiegige (Tate 2008). Für beide Vermutungen gibt es aber noch keine objektive und erwiesene Fakten. - Pferde mit einer langen Schulter hatten ein geringeres Risiko (0.50) für Frakturen der Vordergliedmasse, solche mit langen Fesseln ein erhöhtes (4.55). - Sowohl die Länge der Schulter wie jene der Fessel war korreliert mit dem Stockmass. Die Länge der Fesseln dürfte somit eine wichtigere Rolle spielen (höhere odds), und auch anderweitig wurde die Fessellänge schon in Verbindung gebracht mit der höheren Inzidenz von Chipfrakturen im Karpus. - Bei der Exterieurbeurteilung spielt auch eine allfällige Rotation der Gliedmassen eine grosse Rolle. Es versteht sich von selbst, dass die Evaluation dieses Parameters mit dem zweidimensionalen System der Fotographie subjektiv sein muss. Die einzige Bestimmung einer Rotation die statistisch mit objektiv bestimmten Messungen der Fesselwinkelung in Zusammenhang steht, war die Rotation nach innen (zehenenge Stellung). 13 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Die zehenweite Stellung wurde andernorts (bei schwedischen Warmblutpferden) als ein normales Exterieurmerkmal befunden. Der Autor dieses Skriptleins erachtet diese Ansicht als zutreffend und macht darauf aufmerksam, dass in der Bewegung die Vordergliedmassen normalerweise unter den Schwerpunkt gebracht werden, wofür eine Rotation nach innen erfolgt (Abb. 9). Es gibt viele weitere Exterieurmerkmale, die als prädisponierende Faktoren für Lahmheiten und muskuloskelettale Probleme vermutet werden, hier aber nicht rapportiert wurden. Dazu gehören bspw. Überbeine, die als Folge von Fehlstellungen erachtet werden, bspw. die Desaxierung im Karpus und eine bodenenge, zehenweite Stellung (Stashak 1995). Diesbezüglich existieren anderweitig jedoch auch gegenteilige Ansichten (z.B. beim Autor), indem vor allem zehenenge Stellungen für die Entstehung von Überbeinen verantwortlich gemacht werden (Abb. 19). Stashak (1995) begründet seine Meinung damit, dass es bei bodenenger und zehenweiter Stellung in der Bewegung eher zum Anschlagen kommen kann. Prinzipiell ist diese Vermutung nicht falsch, aber dieses Anschlagen oder Streifen passiert für gewöhnlich eher auf Höhe des Fessels und überdies mit sichtbaren Verletzungen bzw. Narben. Bei Überbeinen (im proximalen Drittel des Metakarpus) ist die Haut in der Regel aber unbeschadet. Das Anschlagen kann jedoch zu Griffelbeinfrakturen führen, aber dann ist die Umfangsvermehrung ein Kallus und nicht ein Überbein sensu stricto. Überbeine entstehen normalerweise durch Reizungen des Periosts wegen des übermässigen Zugs der Fasern zwischen Griffelbein und Metakarpus, wenn ersteres wegen einer Fehlstellung (z.B. zehenenge Stellung) oder Longieren auf dem Zirkel überbelastet wird. Andernorts (Thompson et al. 1993) wurde auch berichtet, dass die Zunahme der Zehenwinkelung eine geringere Belastung der tiefen Beugesehne und eine stärkere Belastung des Fesselträgers zur Folge hatte. – Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass Mittelwerte das Optimum sind – nicht Extremwerte. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass viele der berechneten Quotienten nahe bei 1 sind – und somit eine geringe Bedeutung haben. Wichtiger dürften jene Ergebnisse sein, die keine Zusammenhänge zwischen Exterieurmerkmalen und Problemen zeigen: Höhe von Widerrist und Kruppe, Länge der Oberlinie des Halses, des Humerus, des Radius, des Metakarpus, des Femur, der Tibia, des Metatarsus und der Fessel sowie die Winkelung der Skapula, der Schulter, des Tarsus und der Fessel. Klinische Befunde, die in signifikanter Beziehung zu Exterieur-Variablen standen, waren Anfüllungen der vorderen Fesselgelenke, Ergüsse im rechten Karpalgelenk, Ergüsse im Karpus, Anfüllungen der hintern Fesselgelenke, Frakturen des linken oder rechten Karpus, Probleme des rechten vorderen Fessels und der hinteren Fesseln. Schlussfolgerungen: - Desaxierte Karpalgelenke trugen zu Fesselproblemen bei. - Lange Fesseln vergrösserten die Wahrscheinlichkeit einer Fraktur bei der Vordergliedmasse. - Die Zunahme einer Valgusstellung im Karpus schien ein protektiver Faktor zu sein, indem die Wahrscheinlichkeit von Karpusfrakturen und von Ergüssen im Karpus mit Zunahme dieser Winkelung abnahm. 14 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Diese Studie demonstriert meines Wissens zum ersten Mal in wissenschaftlich zufriedenstellender Weise den Zusammenhang zwischen Exterieur und muskuloskelettalen Erkrankungen beim Rennpferd. . Sie ist eine bewundernswert grosse Arbeit, hat aber eine relativ geringe Aussagekraft. Dieser Umstand darf jedoch nicht zu resignierender Frustration führen sondern kann auch positiv gewertet werden, indem also nicht jede Abweichung von unseren Vorstellungen von Bedeutung sein muss. Die wenig aussagekräftigen Ergebnisse sind auch ein Hinweis auf die grosse Komplexität dieses Gebiets. Insbesondere ist hier zu beachten, dass bei der Beurteilung des Pferdes im Stehen daran gedacht werden muss, was für eine Bedeutung die beobachteten Merkmale für den Bewegungsablauf haben können ! Weitere Studien in Bewegung sind überaus wichtig – wichtiger als alle andere Bemühungen um die Pferdebeurteilung. Prävalenz und Signifikanz von muskuloskelettalen Exterieur-Merkmalen bei Vollblut-Jährlingen Prevalence And Significance Of Musculoskeletal Conformational Traits In Thoroughbred Yearlings (Love et al. 2005) Eine grossartige aktuelle Arbeit zur Pferdebeurteilung im Zusammenhang mit der funktionellen Anatomie beim Vollblut stammt aus Glasgow, die unter anderem darum meine grosse Sympathie geniesst, weil dieses Projekt vom Kollegen Calver ins Leben gerufen wurde. Peter Calver war sowohl Tierarzt wie Vollblutagent und er erstand für mich mein allererstes Pferd, eine kleinere Fuchsstute (Hindernispferd) mit dem Namen Shotely Jane Eyre. Es war eine Auktion in Ascot, die ich mit Toby Balding besuchte, in dessen Stall ich in den Semesterferien in den frühen 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts ausritt. Shotely sprang sicher und äusserst zuverlässig. Gemäss dieser Kollegen ist die Beurteilung des Exterieurs, und die Annahme, dass dieses mit der Leistungsfähigkeit und der Lebensdauer assoziiert ist, für viele Jahrhunderte ein fundamentales hippologisches Konzept gewesen. Erstaunlicherweise wurde diese Hypothese bis anhin jedoch kaum mit quantitativer Evidenz gestützt. In früheren Studien wurde das Exterieur des Pferdes beurteilt durch i) subjektive Einschätzung durch erfahrene Pferdeleute, ii) verglichen mit definierten graphischen Idealen oder iii) es erfolgte eine lineare Vermessung von anatomischen Landmarken. All diese Methoden sind grundsätzlich fehlerhaft, einerseits weil subjektive Einschätzungen zwischen Beobachtern nicht vergleichbar sind und anderseits weil lineare Messungen der dreidimensionalen Gestalt des Exterieurs nicht gerecht werden können. Es gibt nach Ansicht der Kollegen aus Glasgow keine optimale Methode für die Beurteilung des Exterieurs, womit quantitative Forschung auf diesem Gebiet problematisch ist. Das Ziel dieser Studie war, die Prävalenz und Heritabilität von 9 qualitativ erfassten Merkmalen bei 3„916 Vollblut-Jährlingen zu erheben und deren Bedeutung für die spätere Leistung auf der Flachen und die Lebensdauer zu untersuchen. Die meisten Pferde (72%) liefen im Vereinigten Königreich auf Gras und nur 7% kamen nicht auf die Bahn. 15 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 - Bezüglich der Prävalenz von Fehlstellungen wird berichtet, dass mit 27% die zehenweite Stellung am häufigsten war - was andernorts jedoch nicht als „Fehler“ befunden wird. Diese Ansicht wird meines Erachtens durch dieses Ergebnis bestätigt. Solch ein hoher Prozentsatz würde in einer Hochleistungszucht ja sicher nicht toleriert, wenn der Befund einen negativen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit hätte. - Es bestand eine Tendenz, dass bei den nicht-gelaufenen Pferden der Anteil von Exterieurfehlern grösser war als bei den gelaufenen Tieren, aber der Unterschied war nicht signifikant. - Zwischen Rennleistung und einzelnen Exterieur-Fehlern konnte ein signifikanter Zusammenhang erkannt werden, aber letztere konnten nahezu ausnahmslos durch den züchterischen Einfluss des Vaters erklärt werden. - Insgesamt konnten nur schwache Zusammenhänge zwischen Leistung und Exterieur festgestellt werden, die nicht auch durch die grosse Bedeutung vom Pedigree fürs Exterieur erklärt werden können. Die Ergebnisse zeigen, dass Mängel des Exterieurs stark vererbt werden, dieser Umstand es aber schwierig macht, den Einfluss des Exterieurs per se auf die Leistung zu etablieren. Die in dieser Studie beobachtete starke Heritabilität des Exterieurs wurde zuvor beim Vollblut quantitativ genetisch nicht beschrieben und ist nun der Fokus für weiterführende Untersuchungen. Auch diese Arbeit – absolut nichts Aussergewöhnliches in der Wissenschaft – hat mehr Fragen als Antworten gebracht. Deren Beantwortung dürfte eine noble und sinnvolle Aufgabe für züchterische Institutionen sein. Renn- und Reitpferd Zusammenhang von Sportdisziplin und Leistungsstufe mit anatomischer Lokalisation von orthopädischen Verletzungen Association of type of sport and performance level with anatomical site of orthopedic injury diagnosis (Murray et al. 2006) Einleitung Sportpferde werden häufig für eine bestimmte sportliche Disziplin trainiert (bspw. Springen, Dressur, Vielseitigkeit, Endurance und Rennen), wobei jede verschiedene orthopädische Ansprüche stellt. Darüber hinaus können innerhalb einzelner Sparten auch unterschiedliche athletische Anforderungen bestehen zwischen bescheidenem Niveau (Nonelite) und Elite-Sport. Im Training für verschiedene Sportarten und Leistungsniveaus können Pferde sowohl andere anatomische Strukturen wie diese auch auf unterschiedliche Weise belasten. Es kann darum erwartet werden, dass bei Pferden in bestimmten Disziplinen Prädispositionen bestehen für Verletzungen von spezifischen anatomischen Strukturen und von einem besonderen Typ. Während Verletzungen bei Rennpferden gut dokumentiert sind, so gibt es in anderen Disziplinen nur anekdotische Berichte von klinischen Eindrücken in Bezug auf Verletzungsrisiken in diesen Sparten. Es wurde vermutet, dass Pferde in einzelnen Disziplinen ein höheres Risiko für spezifische Verletzungen haben als Freizeitpferde (general purpose) und dass der Typ der Läsion mit den Ansprüchen variiert (Kategorie, Niveau). 16 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Material und Methoden Krankengeschichten von lahmen Pferden wurden bezüglich der anatomischen Lokalisation von gesundheitlichen Problemen studiert, sowohl bezüglich diverser sportlicher Disziplinen wie auch deren Niveaus (Nonelite und Elite). Folgende Sparten wurden unterschieden: - Freizeit (general purpose, als Kontrollgruppe): Freie Prüfungen in Springen, Crosscountry, Dressur, Schau, Freizeit oder Jagd. - Offizieller Sport (Nonelite und Elite): Springen, Dressur, Vielseitigkeit, Endurance, Flachrennen, Hindernisrennen, Polo, Ponysport, Fahren. Eine weitere Gruppe betraf Pferde und Ponies, die noch nicht angeritten waren. Resultate - Insgesamt wurden 1069 Dossiers ausgewertet und mit Ausnahme von Polo und Fahren waren in jeder Disziplin mehr männliche als weibliche Tiere vertreten. - Vollblutkreuzungen fanden sich v.a. bei Freizeitpferden, in der Vielseitigkeit und bei den noch nicht angerittenen Tieren. - Warmblüter waren häufiger im Spring- und Dressursport anzutreffen. - Araber und ihre Kreuzungen dominierten die Disziplin Endurance. - Ponies waren beim Fahren am häufigsten vertreten. - Im Rennsport waren nur Vollblüter aktiv. Alter - Rennpferde und nicht-angerittene Tiere waren signifikant jünger als alle anderen. - Elite-Spring- und Dressurpferde waren signifikant älter als Nonelite-Pferde. Gewicht Elite-Dressurpferde waren signifikant schwerer als alle anderen Gruppen, und Nonelite Spring- und Vielseitigkeitspferde waren schwerer als ihre Elite-Kollegen. Grösse Bezüglich der Grösse bestanden keine Unterschiede zwischen Elite-Dressur-, Freizeit-, Spring-, Vielseitigkeit- und Rennpferden Verletzungen - Bei den Freizeitpferden betrafen Läsionen am häufigsten den Fesselträger, das Strahlbein, Bänder im distalen Bereich der Gliedmassen und den Tarsus. - Elite-Springpferde hatten vor allem Verletzungen des Fesselträgers und der tiefen Beugesehne, Nonelite-Springpferde häufiger am Strahlbein und seinen Bändern. - Dressurpferde hatten in beiden Kategorien am meisten Läsionen am Fesselträger, vorwiegend hinten, gefolgt vom Tarsus für Elite-Pferde und vom Strahlbein für Nonelite-Tiere. - Vielseitigkeits-Pferde litten in beiden Kategorien in erster Linie am Fesselträger und Strahlbein. Es bestand aber ein merklicher Unterschied bezüglich Verletzungen an der oberflächlichen Beugesehne (OBS): Bei den Elite-Pferden war die OBS sechsmal häufiger betroffen als bei den andern. - Bei Flachrennpferden waren am meisten verletzt: Karpus, Bereich Tibia/Fibula, Becken (v.a. Frakturen) und thorakolumbare Region (Dornfortsätze). - Hindernispferde zeigten vor allem Veränderungen am Fesselträger, thorakolumbarer Region und Hufgelenk. - Ponies hatten vor allem Hufprobleme, v.a. Freizeit-Ponies. - Distanzpferde hatten am meisten Probleme im Tarsus. 17 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Anatomische Lokalisationen Der Fesselträger war am häufigsten verletzt - Bei den Dressurpferden (28.1% Elite, 29.5% Nonelite) - Bei den Freizeit-, Spring-, Dressur-, Vielseitigkeit- und Rennpferden war der Ursprung des Interosseus (proximal suspensory desmitis) häufiger betroffen als sein Körper oder seine Schenkel. Das Sprunggelenk war am häufigsten verletzt im distalen Gelenk - bei den Elite-Dressurpferden (16.9%) und den Distanz-Pferden (15%). - Am wenigsten Tarsusprobleme hatten die Elite-Vielseitigkeits-, Hindernis- und PoloPferde. Die oberflächliche Beugesehne vorne war weitaus am häufigsten verletzt - bei den Elite-Vielseitigkeitspferden (12.2%) - gefolgt von den Elite-Spring- und Hindernispferden. Verletzungen an der tiefen Beugesehne fanden sich - sowohl proximal wie distal vom Fesselgelenk an den Vordergliedmassen und in den meisten Disziplinen. - Elite-Springpferde hatten den grössten Teil dieser Läsionen distal. - Bei den anderen Sparten fand sich Veränderungen am häufigsten im proximalen Bereich der Fesselbeugesehnenscheide. Läsionen am Strahlbein(knochen) selber waren häufiger als an den benachbarten Weichteilen (Bursa, Strahlbeinbänder und tiefe Beugesehne). Allerdings muss hier beachtet werden, dass sich die Diagnostik vor Einführung der MagnetresonanzTomographie (MRT) für gewöhnlich aufs Röntgen beschränkte. Seit der Anwendung der MRT (2001) findet man in 40% der Fälle eine Mitbeteiligung der Weichteile. - Nonelite-Dressurpferde hatten am meisten Strahlbeinveränderungen (15.9%), - gefolgt von Elite-Vielseitigkeitpferden (15.7%). - Am tiefsten war der Prozentsatz (0.95%) bei den Flachrennpferden. - Weichteilveränderungen an der Hufrolle waren am häufigsten bei den Freizeitpferden (2.73%). Vergleich verschiedener Disziplinen Bezüglich der anatomischen Lokalisation von Verletzungen bestanden zwischen den verschiedenen Sportarten signifikante Unterschiede. Bei den einzelnen Disziplinen waren auch signifikant unterschiedliche anatomische Lokalisationen zwischen der Gruppe der Freizeitpferde und allen Elite-Populationen sowie den Freizeit-Ponies zu beobachten. Zwischen den Nonelite-Tieren in den einzelnen Sparten bestanden signifikante Unterschiede bezüglich der betroffenen Strukturen. Bei den Elite-Gruppen hingegen waren die Unterschiede weniger klar. Nur bei den Vielseitigkeit-Pferden unterschieden sich die Lokalisationen signifikant unterschiedlich von Athleten in anderen Disziplinen. Der Effekt der Sportart auf das Verletzungsrisiko Für die Beurteilung dieses Effekts wurden odds ratios (OR) errechnet. - Elite-Springpferde hatten ein hohes Risiko von Verletzungen an der OBS vorne (OR 4.3) und der TBS vorne (OR 3.8) - Elite- und Nonelite-Dressurpferde hatten ein hohes Verletzungsrisiko am Fesselträger hinten (OR 2.5 und 2.6.) - Bei Elite-Vielseitigkeitspferden war die Gefahr von Schäden an der OBS sehr hoch (OR 13.2.) - Flachrennpferde litten in sehr hohem Masse an Verletzungen am Karpus (OR 20.2.), Hindernisrennpferde in hohem Grade an Läsionen der OBS vorne (OR 7.0) 18 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Diskussion Die Ergebnisse dieser Studie unterstützen die Hypothesen, - dass Sportpferde eine höhere Frequenz von spezifischen Verletzungen erleiden als Freizeitpferde, - und dass die Art von Läsionen nach Disziplin variiert. Sie bestätigen somit auch Resultate von vergleichbaren früheren Untersuchungen. Das erhöhte Risiko von Verletzungen der OBS und TBS vorne bei den Elite-Springpferden mag in Zusammenhang stehen mit der hohen Belastung und altersbedingten degenerativen Veränderungen. Die OBS wird beim Springen repetitiv (d.h. ständig wiederholt) belastet, vor allem beim Landen nach hohen Sprüngen. Dabei wird angenommen, dass die Grösse der Sprünge ein entscheidender Faktor ist (bitte beachten beim Aufbau und Training). Dieser Befund steht aber auch in Einklang mit der Beobachtung, dass bei springenden Pferden die TBS bei der Landung nicht nur stark belastet wird. Überdies hat sie die Aufgabe, das Hufgelenk zu stabilisieren, welches bei der Landung übermässig gestreckt wird. Die grössere odds ratio von Veränderungen an der Hufrolle bei den Nonelite-Springpferden wird dahingehend interpretiert, dass Pferde mit solchen Problemen keine Elite-Athleten werden können. Es ist aber auch möglich, dass der weniger gute Ausbildungsstand bei diesen Pferden eine stärkere Belastung des Strahlbeins und seiner Adnexen zur Folge hat (z.B. unnötige bzw. unphysiologische Belastung). Die relativ häufigen Läsionen am Tarsus werden vermutlich bewirkt durch dessen Kompression beim Abspringen. Beide Kategorien von Dressurpferden hatten, verglichen mit Freizeitpferden, ein signifikant höheres Risiko von Verletzungen des Fesselträgers hinten. Dies dürfte verursacht sein durch repetitive Anstrengung, möglicherweise bedingt durch die Arbeit auf synthetischen Unterlagen auf kleinem Raum. Dieser Erklärungsversuch verdient Aufmerksamkeit, wenn man daran denkt, wie unsere ehemals sehr erfolgreichen Dressurreiter aus der EMPFA (Chammartin, Trachsel, Fischer, Thomi etc.) ihre Pferde gerne auf der kleinen Allmend arbeiteten (nachgebender Grasboden und viel Platz). Das ständige Abwenden auf kleinem Raum, die hohe Versammlung, der versammelte Trab und die Lektionen der hohen Schule (Pirouetten, Passage) bedingen ja, dass ein grösserer Teil des Körpergewichts längere Zeit auf den Tarsus einwirkt. Elite-Dressurpferde erleiden einen erhöhten Druck auf das Tarsalgelenk mit gleichzeitiger Hyperextension des Fesselgelenks – was den Ursprung des Interosseus stark beansprucht. Diese Überlegungen erinnern auch an die überlieferten Empfehlungen, dass die Ausbildung von Pferden von möglichst guten Reitern vorgenommen werden soll. Wenn der Reiter selber noch Grundlegendes lernen muss, dann können die Pferde überfordert und gesundheitlich geschädigt werden. Junge Reiter gehören auf erfahrene Pferde und auch solche hatte man in der Vergangenheit (in den Jahren der grossen Erfolge) in der EMPFA. Meines Erachtens nicht nur eine medizinische und oekonomische Problematik, sondern auch eine der Ethik (von der so viel gesprochen und so wenig gemacht wird). Die häufigere Diagnose von Leiden am Strahlbein und an der Hufrolle bei den Nonelite-Dressurpferden wird dahingehend interpretiert, dass diese möglicherweise 19 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 verstärkt auf der Vorhand laufen. - Bitte wieder mal Bilder anschauen, wo Dilettanten ihren Pferden den Kopf vor die Brust ziehen (Abb. 4). Abb. 4 Rollkur auf dem Abreitplatz an den World Equestrian Games 2010 (Ky.) Foto: Selma Latif Für die hohe Frequenz von Verletzungen der oberflächlichen Beugesehne vorne bei den Vielseitigkeitspferden werden das häufige Landen nach dem Überwinden von Hindernissen und das Galoppieren bei hoher Geschwindigkeit verantwortlich gemacht. Gleiches gilt für die Hindernispferde, während bei den Flachrennpferden die Läsionen an Carpus und Becken als übliche Rennsportverletzungen eingestuft werden. Conclusio Die Ergebnisse dieser Studie bekräftigen die Annahme, dass Sportpferde bezüglich spezifischer Verletzungen stärker gefährdet sind als Freizeitpferde. Bezüglich der Befunde bestehen signifikante Effekte sowohl hinsichtlich Sportart wie deren Niveau. Züchterische Bedeutung von Gliedmassenerkrankungen beim Reitpferd (Willms F. et al.1996) Institut für Tierzucht und Tierhaltung, Christian-Albrechts-Universität, Kiel) Die Beziehungen zwischen röntgenologischen Befunden an den Gliedmassen und Leistungs- bzw. Exterieurmerkmalen wurden von Willms und Mitarbeitern (1996) an 402 dreijährigen Warmblutstuten analysiert. Die erhobenen Befunde wurden in drei, für die Pferdezucht bedeutende Gliedmassenerkrankungen (Osteochondrose, Podotrochlose und Spat) zusammengefasst und je nach dem Grad der Erkrankung in drei Klassen eingeteilt. In einer varianzanalytischen Untersuchung zeigte das Ausbildungsniveau der Stuten zum Zeitpunkt der Untersuchung einen signifikanten Einfluss auf die Osteochondrose. Der fixe Umwelteffekt des Leistungsprüfungsdurchganges beeinflusste signifikant die Podotrochlose. 20 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Befunde, die auf Osteochondrose hinwiesen, zeigten zu Merkmalen aus der Exterieurbeurteilung, der Oberlinie und Brusttiefe, einen signifikanten Zusammenhang, während Podotrochlose und Spat unbeeinflusst von diesen Parametern waren. Sowohl die Strahlbeinlahmheit als auch der Spat wurden von der Exterieurbeurteilung nicht signifikant beeinflusst. Zwischen den Gliedmassenerkrankungen und den Merkmalen aus der Stutenleistungsprüfung bestanden keine Beziehungen. In der modernen Reitpferdezucht werden Pferde hoher Qualität hinsichtlich Rittigkeit, Grundgangarten, Springanlage und Charakter/Temperament verlangt. Da die Belastung der Pferde und damit die Anforderung an deren Konstitution in den vergangenen Jahren sowohl im Freizeit- als auch im Leistungssport erheblich zugenommen hat, nimmt das funktionale Selektionskriterium Gesundheit in der Pferdezucht gemäss der Ansicht dieser Autoren einen massgeblichen Stellenwert ein. Diese Ansicht deckt sich mit den Ergebnissen der einleitend aufgeführten Arbeiten (Wallin et al. 2000, Kappeler und Rieder 2010) und auch hier wird erwähnt, dass Untersuchungen über Schadensmeldungen bei deutschen Sachversicherern ergaben, dass die Erkrankungen der Bewegungsorgane mit einem Anteil bis zu 60% eine dominierende Stellung unter den Krankheitsursachen einnehmen. Heutzutage ist sicherlich jeder fortschrittliche Züchter, der nachhaltig denkt, ebenfalls dieser Meinung. Damit steht er aber leider etwas im Regen, weil ihm auch gemäss dieser Arbeit die Exterieurbeurteilung keine grosse Hilfe ist. Des weitern ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass gewisse Leiden (z.B. die erwähnte Strahlbeinlahmheit) einen Einfluss aufs Exterieur haben können. Enge Hufe sind bei der Podotrochlose für gewöhnlich ja nicht die Ursache, sondern die Auswirkung, die Folge des chronischen Schmerzens im kaudalen Hufbereich. Nach einer Neurektomie kann der Huf dann wieder breiter werden. Daraus ist zu schliessen, dass sich die Zuchtselektion und hier v.a. die Zuchtwertschätzung viel besser auf Leistungsprüfungen stützt als auf die Exterieurbeurteilung. Nur dieser praktische Test gibt umfassend Auskunft über die funktionelle Richtigkeit von Exterieur-Merkmalen und der Gesundheit der Tiere. Erhebung der Prävalenz von Erbkrankheiten bei dreijährigen Schweizer Warmblutpferden (Studer S. et al. 2007) Ähnliche Untersuchungen wie jene von Willms und Mitarbeitern (1996) wurden vor wenigen Jahren auch in der Schweiz vorgenommen. Studer und Mitarbeiter (2007) strengten eine Studie an um Hinweise auf die Prävalenz von gesicherten oder vermuteten erblich bedingten Erkrankungen wie dem Equinen Sarkoid, der Osteochondrose und der Hemiplegia laryngis bei Schweizer Warmblutpferden zu gewinnen sowie allfällige Zusammenhänge mit der Haltung, Fütterung und Konformation (Exterieurbeurteilung) nachzuweisen. Als Datengrundlage dienten die Ergebnisse der Untersuchung von 403 Hengsten an den Körungen seit 1994 sowie von 493 dreijährigen Schweizer Warmblutpferden, die an den Feldtests 2005 vorgestellt wurden. Mit Hilfe der linearen Beschreibung wurden die Pferde gleichzeitig von Richtern des Zuchtverbandes CH-Sportpferde bezüglich ihres Exterieurs (Typ, Bau und Gang) beurteilt und benotet. Hier konnte zwischen Exterieur und dem allgemeinen Gesundheitszustand keine Korrelation festgestellt werden. Allerdings muss sowohl bei der Studie von Willms (1996) sowie Studer (2007) und ihren Mitarbeitern beachtet werden, dass nur eine 21 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 bescheidene Zahl von Pferden untersucht wurde, etwa hundertmal weniger als in den folgenden Arbeiten aus Holland. Die Exterieurbeurteilung muss deswegen nicht prinzipiell in Frage gestellt werden, insbesondere weil sie üblicherweise ohnehin viel eher der Begutachtung des Bewegungsapparates dient. Heritabilität der Form der Gliedmassenspitze und ihr Zusammenhang mit der sportlichen Leistung in einer holländischen Warmblutpferde-Population Heritability of foot conformation and its relationship to sports performance in a Dutch Warmblood horse population (Ducro et al. 2009a) Holländische Warmblut-Zuchtorganisationen wollen Pferde mit einem Exterieur züchten, welches Spitzenleistungen ermöglicht und gleichzeitig die Gefahr von Verletzungen und Lahmheiten reduziert. Ich erlaube mir anzunehmen, dass diese Zielsetzung auch unseren Ambitionen entspricht und somit die Resultate dieser Studie auch in der Schweiz brennend interessieren. Der hauptsächliche Grund für herabgesetzte Leistungsfähigkeit und verfrühtes Ausscheiden aus dem Sport sind auch hier Verletzungen an der distalen Gliedmasse und es wird auch seitens der Holländer akzeptiert, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem Bau der Gliedmassen und der Prädisposition für Lahmheiten. Das Auftreten von ungleichen Gliedmassenspitzen („uneven feet“) wird sowohl bei der Exterieur-Beurteilung wie bei der tierärztlichen Untersuchung für gewöhnlich vermerkt. Solch ein Unterschied scheint bei lahmen Pferden häufiger zu beobachten zu sein als bei gesunden (Ross and Dyson 2003), aber die klinische Bedeutung ist weiterhin unklar. Es ist auch noch nicht klar, ob die Form von Hufen genetisch vorbestimmt ist oder nicht. Ungleiche Hufe können sich entwickeln als Folge eines dauernden, einseitigen Verhaltens und vermutlich auch dank einer hohen Wachstumsrate und einer relativ kurzen Halslänge (Kroekenstoel et al. 2006; van Heel et al. 2006). Mit dieser Studie mit Daten aus Zucht und Sport in Holland von 1990 bis 2002 wurde die Prävalenz und die Heritabilität von ungleichen Vorderhufen und ihre genetische Verwandtschaft mit anderen Exterieur-Merkmalen sowie der späteren sportlichen Leistung untersucht. Sie umfasste 44„840 Pferde (!) aus dem königlichen holländischen Warmblut-Gestütsbuch (KWPN). Die Prävalenz ungleicher Gliedmassenspitzen bei Dressur- und Springpferden war durchschnittlich 5.3 % und stieg von 4.5 % während den ersten 3 Jahren der Untersuchung auf über 8 % ab dem Jahr 2000. Bezüglich dieser Zahlen ist zu beachten, dass von den etwa 12„000 jährlichen Fohlen für den Eintrag ins Gestütsbuch jeweils nur ungefähr 3„500 vorgestellt werden. Somit unterschätzt dieses Ergebnis wahrscheinlich die tatsächliche Frequenz, weil Pferde mit höhergradig ungleichen Hufen gar nicht präsentiert werden. Zusätzlich können leichtere Fälle für die Vorführung maskiert worden sein durch die Bearbeitung der Hufe und den Beschlag. Die Unterschätzung ist jedoch wahrscheinlich limitiert, weil ungleiche Hufe kein Grund für die Verweigerung der Aufnahme ins Gestütsbuch sind. Die Zunahme der Zahl von Pferden mit ungleichen Hufen könnte die Folge einer strengeren Beurteilung im Lauf der Jahre sein oder in Zusammenhang stehen mit der Zunahme des Stockmasses (van Heel et al. 2006). 22 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Vererbung Von den Pferden mit ungleichen Hufen wurden ca. 25% in der Dressur und etwa 18% im Springsport eingesetzt. Die Heritabilitäts-Schätzungen für einzelne Merkmale waren bescheiden und betrugen 0.12 für die Neigung zu ungleichen Hufen, 0.16 für die Höhe der Trachten und 0.27 für die Form des Hufs. Die genetische Korrelation zwischen den Merkmalen „ungleiche Hufe und sportliche Leistung“ war schwach negativ, -0.09 für den Dressur- und -0.12 für den Springsport. Die Prävalenz von ungleichen Hufen variierte unter den Nachkommen der diversen Hengste von 0 bis 35%. Von den 576 Beschälern hatten 60 keine Nachkommen mit ungleichen Hufen und deren 6 hatten bei ihren Produkten Prävalenzen von 25% und mehr. Ergebnisse im Detail Im allgemeinen waren die Merkmale des Exterieurs leicht miteinander korreliert. Die Höhe der Trachten hatte eine negative Korrelation mit der Winkelung des Fessels und der Form des Hufs, was bedeutet, dass hohe Trachten mit engen Hufen und steiler Fesselung einhergehen (was auch der empirischen Ansicht entspricht). Eine steilere Fesselung war auch mit Rückbiegigkeit im Karpus assoziiert. Grössere Pferde mit höheren Trachten, trockenen, leichten und weniger rückbiegigen Gliedmassen und kürzerem Hals wurden als besser aussehende Sportpferde befunden (bezüglich Hals s. auch nachfolgende Studie von Ducro et al. 2009b). Ungleiche Hufe waren in bescheidenem Masse negativ korreliert mit der Winkelung des Fessels und natürlich auch mit der Hufform (-0.49), sowie positiv mit der Höhe der Trachten. Schlussfolgerung Die Prädisposition von ungleichen Hufen kann durch Selektion prinzipiell reduziert werden. Wegen der schwachen genetischen Korrelation ist die Prävalenz aber nicht direkt assoziiert mit der Selektion für bessere sportliche Leistungen oder ein besseres Exterieur. Bei dieser Arbeit konnte im Lauf der Jahre ja sogar die Zunahme der Prävalenz beobachtet werden, obwohl zugunsten des Sports (Dressur und Springen) selektioniert wurde. Die genetischen Korrelationen sind derart schwach, dass auf diese Merkmale nicht allzu grosser Wert gelegt werden darf, und ganz sicher nicht auf Kosten von wertvolleren Kriterien. Meines Erachtens muss bei der Beurteilung von ungleichen Hufen unbedingt daran gedacht werden, dass die Asymmetrie nicht nur Ursache sondern auch Folge von Problemen sein kann. Ein Huf atrophiert bspw. wegen chronischen Schmerzen im kaudalen Bereich, weil er dort weniger stark belastet wird und dadurch enger werden kann (z.B. bei der Strahlbeinlahmheit, dort allerdings für gewöhnlich vorne beidseits, s. auch weiter vorne). Unser früherer Chirurgie Leuthold pflegte zu sagen: „Bei ungleichen Hufen ist der kleinere krank“. Tops will come, but bottoms never (mit “bottoms” sind die Hufe bzw. das Fundament ist damit gemeint) 23 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Einfluss der Form der Gliedmassenspitze auf die Dauer des sportlichen Einsatzes in einer holländischen Warmblutpferde-Population Influence of foot conformation on duration of competitive life in a Dutch Warmblood horse population (Ducro et al. 2009b) Wallin und Mitarbeiten (2001) zeigten auf, dass die Konformation der Gliedmassen einen signifikanten Einfluss hat auf die Lebensdauer von Schwedischen Warmblutpferden, und Ross und Dyson (2003) berichteten, dass asymmetrische, ungleiche Gliedmassen bei lahmen Pferden häufiger aufzutreten scheinen als bei gesunden. Die klinische Bedeutung von solchen Exterieurmängeln ist trotzdem nicht klar und mit dieser Untersuchung von Ducro und Mitarbeitern (2009b) wird die Vermutung überprüft, ob Mängel wie asymmetrische, ungleiche Vordergliedmassen die Karriere eines Sportpferdes möglicherweise frühzeitig beenden können. In Sportpferde wird ja viel Zeit und Geld investiert, bevor sie später ihr Leistungspotenzial erreichen können. Das frühe Ausscheiden wegen Verletzungen hat darum substanzielle wirtschaftliche Konsequenzen und sollte vermieden werden. Material und Methoden Die Studie wertete Leistungen von 13„622 Dressur- und 9494 Springpferden aus, aufgeteilt in je zwei Klassen (Grundausbildung, Anfänger und Freizeit bzw. Elite, Fortgeschrittene und professioneller Sport). Diese vier Klassen wurde separat ausgewertet. Beurteilt wurden: Vor- und Rückbiegigkeit im Karpus Fesselung (steil, weich) Hufform (eng, breit) Trachten (tief, hoch) Gewebequalität (fleischig, trocken) Schienbeinumfang (leicht, schwer) Exterieur-Grad (schlecht, gut) Ungleiche Hufe Stockmass Halslänge Als Dauer der sportlichen Karriere galt der Zeitraum vom ersten bis zum letzten Start. Resultate Allgemeines Die Prävalenz von ungleichen Hufen war in den vier Gruppen nicht signifikant verschieden. Pferde in den Eliteklassen hatten grundsätzlich weniger negative Beurteilungen ihres Exterieurs (bspw. höhere Trachten, trockenere Gliedmassen und längere Hälse – s. Resultate der vorhergehenden Untersuchung ! Ducro et al. 2009a). Die Form des Hufs war wichtig für den Spring-, nicht aber für den Dressursport. 24 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Grundausbildung Bei den Dressurpferden in der Grundausbildung bestand zwischen den Gruppen symmetrischer oder asymmetrischer Huf kein signifikanter Unterschied bezüglich der Dauer der Karriere. Sie betrug in beiden Populationen je 3.4 Jahre. Im Springsport betrug die kompetitive Lebensdauer in der Grundausbildung bei Pferden mit symmetrischen Hufen 2.1, bei den Tieren mit ungleichen Füssen 2.4 Jahre - aber dieser Unterschied war nicht signifikant. Die Dauer des kompetitiven Lebens (für Pferde der Rasse Holländisches Warmblut KWPN) war für Springpferde also kürzer als für Dressurpferde Elite-Klassen Bei den Elite-Dressurpferden war es umgekehrt als bei den Springpferden in der Grundausbildung. Bei den Pferden mit symmetrischen Hufen dauerte die sportliche Laufbahn 2.3 Jahre, bei jenen mit ungleichen 1.9 Jahre; der Unterschied war jedoch auch hier nicht signifikant. Bei den Springpferden auf Elite-Niveau war die Wahrscheinlichkeit des Überlebens bei Pferden mit ungleichen Hufen dramatisch reduziert. Keines blieb länger als 3 Jahre im Sport. Die mittlere Überlebensdauer war hier bei den Pferden mit ungleichen Füssen mit 1.1 Jahr signifikant kürzer als bei den korrekten Tieren mit 1.4 Jahren. Bei den Elite-Springpferden hatten ungleiche Hufe ein doppeltes Risiko für ein verfrühtes Ausscheiden aus dem Sport. Es frägt sich hier, ob Schäden vorbestanden hatten. Fesselung Bezüglich der Winkelung des Fessels schien bei den Elitepferden in Dressur und Springen eine steile Winkelung ein geringeres Risiko für verfrühtes Ausschieden zu bedeuten. Stockmass Bei den Basis-Dressurpferden hatten die kleineren Pferd ein signifikant tieferes Risiko für ein verfrühtes Ausscheiden als die grösseren. Die grössten Pferde zeigen sowohl im Dressur- und Springsport bei den Basisgruppen eine Tendenz zu verfrühtem Ausscheiden, in der Dressur stärker als im Springen. Es wird vermutet, dass die hohe Wachstumsrate mit einer tieferen Qualität der distalen Gliedmasse zu tun hat (z.B. Osteochondrose). Das Stockmass korrelierte auch tatsächlich mit schwereren Knochen und breiteren Hufen. Die Ergebnisse der Messungen der Widerristhöhe stehen im Gegensatz zu den Resultaten aus der vorhergehenden Arbeit von Ducro und Mitarbeitern (2009a), wonach für die Dressur grössere Pferde gewünscht werden. Disziplin und Niveau Die Dauer der Sportskarriere unterschied sich bei den Disziplinen und Niveaus. Das Risiko für ein verfrühtes Ausscheiden war im Springsport grösser als in der Dressur und auch höher im Elitesport als bei der Basis. 25 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Aufnahme der Arbeit Wenn Pferde zu einem späteren Zeitpunkt im Sport eingesetzt wurden, dann war die Gefahr für ein verfrühtes Ausscheiden grösser. Schlussfolgerung Exterieurmängel im distalen Gliedmassenbereich sind bedeutend für die sportliche Betätigung. Sie sind eine unerwünschte Erscheinung, v.a. bei Elite-Springpferden und haben einen ungünstigen Einfluss auf die Dauer des sportlichen Einsatzes. Wir sind uns sicher einig, dass auch hinter dieser Studie sehr sehr viel Arbeit steckt, obwohl nur gerade Besonderheiten am distalen Teil der Vordergliedmasse untersucht wurden. Bezüglich Beurteilung des Pferdes bzw. von Aspekten der funktionelle Anatomie resultiert für uns aber leider nur wenig Brauchbares. Zusammenfassung Die einzelnen hier vorgestellten Studien befassen sich nur mit einzelnen Dingen des Exterieurs, bspw. „nur“ mit dem Huf, und somit zwar mit wichtigen Details, aber doch nur mit einem kleinen Teil des Pferdes. Dies muss als Hinweis auf die Komplexität der Materie verstanden werden. Dieses Verständnis beinhaltet, dass wir uns nicht auf Details versteifen dürfen, sondern dass wir uns immer bemühen müssen, auf die grossen Zusammenhänge zu achten. Wir müssen uns sehr davor hüten, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen. - Oder mit anderen Worten ausgedrückt: Wir dürfen nicht Fehlergucker sein, sondern müssen in einem Pferd die Qualitäten erkennen können. Man kann sich somit sogar fragen, ob man sich nicht manchmal besser auf sein „Gschpüri“ verlassen soll. Was einem auch in den Sinn kommen kann, wenn man an Federico Tesio denkt, den vermutlich erfolgreichsten Vollblutzüchter des letzten Jahrhunderts. Einige von ihm geschriebenen Erklärungen für seine züchterischen Bemühungen lassen aus wissenschaftlicher Sicht nämlich schon einen durchschnittlich begabten Gymnasiasten die Stirne runzeln. - Aber gefühlt hat er es zweifelsohne richtig ! Auf Fehler hinzuweisen, die ohnehin die meisten sehen, das ist keine Kunst. Ebensowenig wie von einem Pferd schlecht zu reden. Spitzenpferde sind ja – wie es der Begriff impliziert – selten. Die Wahrscheinlichkeit, dass man nicht unrecht hat mit Zweifeln an einem Pferd, ist somit relativ gross. Somit „können“ das die meisten Betrachter. Gut ist man aber, wenn man die Qualitäten eines Pferdes erkennt; auch bei einem Braunen. - Solche Leute gibt es. Es sind für gewöhnlich solche, die ihr Auge jahrelang an einer grossen Zahl von Pferden geschult haben. Diese Möglichkeit steht glücklicherweise jedermann offen, zumindest jedermann der sehen will. Es empfiehlt sich hier, nicht nur die Schulbank zu drücken sondern so oft wie möglich sportliche Prüfungen und Auktionen von möglichst hohem Niveau zu besuchen. Besonders empfehlenswert sind in diesem Zusammenhang „breeze-up“-Auktionen, wo einem zweijährige Pferde vorgaloppiert werden und man seine Fähigkeiten als PferdekennerIn sehr gut unter Beweis stellen kann – indem man sich Notizen macht und dann die sportliche Laufbahn seiner Spitzenkandidaten schon im gleichen oder im nächsten Jahr verfolgt. Dadurch erwirbt man sich das oben erwähnte Gefühl, das für gewöhnlich die unbemerkt gesammelte Erfahrung seines Lebens ist. - Im Zusammenhang mit Pferden für gewöhnlich ein erfülltes und befriedigendes. 26 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Pferdebeurteilung und Biomechanik Einleitung Das Pferd wird bei uns in erster Linie für irgendwelche Arten der Fortbewegung genutzt, womit sich dessen Beurteilung vor allem auf seinen Bewegungsapparat und mögliche Ursachen für dessen Störungen konzentriert. Gemäss des amerikanischen Kollegen Mackay-Smith (1977) hätten wir aber keine oder viel weniger Probleme mit Lahmheiten bei unseren Pferden, wenn sie fliegen würden. – Recht hat er ! Zumindest aus medizinischer Sicht ist es nämlich ebenso wichtig, sich mit den Interaktionen der Gliedmassen des Pferdes mit der Unterlage zu befassen. Diese Zusammenfassung befasst sich darum zu Beginn mit Fragen zum Bewegungsablauf und dem Geläuf, auf welchem wir unsere Pferde arbeiten. Die von uns gezüchteten Pferde sollen ja gesund aufwachsen, ihre Ausbildung unbeschadet überstehen und möglichst lange gesund bleiben - zum Wohl und Nutzen aller Beteiligten. Diese Materie ist zugegebenermassen recht trocken, aber die Kenntnis der physikalischen Gegebenheiten (der Biomechanik) ist die beste Grundlage für das Verständnis unserer Bedürfnisse ans Exterieur des Pferdes (die funktionelle Anatomie). Wobei wir uns gleich auch bewusst sind, dass die Leistungsfähigkeit eines Pferdes zu einem sehr hohen Masse auch von dessen Interieur bestimmt wird, und dieses einerseits körperliche Mängel wett machen, anderseits aber auch zu Verletzungen führen kann (Brunt 2010). Das von uns gewählte Thema ist also sehr komplex, aber in Anbetracht seiner grossen Bedeutung wollen wir uns trotzdem damit befassen. Letztere hat ja auch dazu geführt, dass in den letzten Jahren auf diesem Gebiet fleissig geforscht und nützliche Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Die Biomechanik ist selbstverständlich in jeder Disziplin des Pferdesports von Bedeutung, aber gleich wie in andern hippologischen und medizinischen Belangen wurde auf diesem Gebiet zuerst im Rennsport ernsthaft geforscht. Arbeiten von Cheney et al. (1973), Fredricson et al. (1975a & b) und Pratt (1980) gehörten zu den wichtigsten ersten Studien auf diesem Gebiet. Wobei zu jener Zeit statt von Biomechanik manchmal auch von Biotechnik gesprochen wurde. Zur Zeit geniessen im Rennsport Forschungsarbeiten zu modernen Geläufen, welche unter dem Begriff „synthetische Geläufe“ (synthetic racing surfaces SRS) zusammengefasst werden, grösstes Interesse. An der Jahreskonferenz der Amerikanischen Pferdetierärzte (American Association of Equine Practitioners AAEP) im Dezember 2009 fand dieses Wissensgebiet grösste Beachtung. Dabei wurde diskutiert, dass auf synthetischen Geläufen in der Regel weniger, aber auch andere Verletzungen angetroffen werden als auf Sandbahnen, bspw. mehr Läsionen an der Hintergliedmasse und bei Weichteilstrukturen, dafür weniger Chip-Frakturen. Vergleichbare Untersuchungen aus dem Reitsport sind erst gerade in Erarbeitung, aber die grundsätzlichen Erkenntnisse aus dem Rennsport dürfen als Wegleitung dienen. Dies gilt vor allem für Vielseitigkeitsreiter, die für gewöhnlich ja die gleichen Trainingspisten nutzen wie die Galopper. Beim Bau von Anlagen für den Pferdesport gilt heutzutage, dass oekologische Aspekte auch beachtet werden müssen, wenn er nachhaltig sein soll. Im Lauf der Zeit hat sich gezeigt, dass die Nachkommen von gewissen Hengsten auf den verschiedenen Geläufen unterschiedlich erfolgreich laufen. Das ist für uns Züchter natürlich besonders wichtig. 27 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Geschichtliches Bekanntlich erfolgte die erste photographische Dokumentation der Bewegung des Pferdes durch Muybridge (Abb. 5). Es dürfte sicher interessieren, wie es damals zu dieser historisch bedeutungsvollen Arbeit kam (Originaltext von Sharpe 2008): The Governor of California, Leland Stanford was fascinated by racehorses – and by one of the burning issues of the day, whether when horses raced, at certain times, they had all four feet off the ground. In 1872, irked that no-one had yet proved the point one way or the other, he staked a massive $ 25’000 bet that HE would come up with the proof. Stanford’s plan was to hire a photographer to produce the evidence. He selected 45year-old Englishman Eadweard Muybridge, who was based in San Francisco. Given the slow shutter speeds of the day, Muybridge’s early efforts proved ineffective. His concentration on the task was somewhat interrupted when he was accused of murdering his wifes’s lover. A sensational trial in February 1875 somehow resulted in his acquittal (Freispruch). After Muybridge had time to recover from his ordeal, Stanford, whose opponents in the bet were claiming they had won the wager, urged Muybridge to get back to his equine investigations. Abb. 5 Photos von Muybridge vom galoppierenden Pferd By 1880 technology had advanced to the point where Muybridge devised a system involving a battery of cameras catching the image of a moving horse. 28 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Twenty-four cameras were used, each set off by a series of electrical connections as the horse passed by. When the images were produced, there it was – photographic evidence of a horse with all four legs off the ground while galloping. Stanford had won his $ 25’000 bet – which helped towards the $ 40’000 costs of finding the proof ! Diese Art und Weise der Finanzierung von Forschungsprojekten (Wetten) ist heutzutage leider nicht mehr üblich. Sie hätte aber auch heute noch ihren Reiz, weil dadurch vermutlich wirklich interessante und bedeutungsvolle Fragen überprüft würden. Abb. 6 Dass Pferde im Galopp tatsächlich eine Schwebephase haben, hätte man auch anlässlich eines Skikjörings in St.Moritz photographisch festhalten können. Allerdings wäre es bei den Preisen in diesem Ferienort fraglich gewesen, ob die Resultate für nur $ 25„000 hätten erhoben werden können (Foto Heidi Wettstein). Nebenbei: Zur Biomechanik in der klassischen Literatur Die Biomechanik kann übrigens nicht nur mit dem Auge, sondern auch mit dem Gehör erfasst werden. Zu den bekanntesten Zitaten in der Literatur auf diesem Gebiet gehören Verse von Homer und Vergil: Polla d‟ananta katanta paranta te dochmia t„elthon Ilias, 23. Gesang (Homer, 8. Jahrhundert v.Chr.) Mit diesem Vers wird der Hufschlag der Maultiere wiedergegeben, die für den Transport von Holz für die Bestattung von Patroklus nach der Ermordung durch Hektor eingesetzt wurden. Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum (Der vierfüssige Klang mit dem der Huf das weite Feld schlägt) Hexameter von Vergil (70 – 19 v.Chr.) 29 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Bewegungsapparat Interview mit David Elsworth (Trainer in Whitsbury) What is the single most important factor in a successful racehorse ? It has got to be sound. If it isn’t, everything else goes down the drain. It can have all the courage and ability in the world but if it keeps getting beat with bad legs or a bad back, it can’t be trained properly. You can have the best horse in the world but it’s no bloody good if it’s standing in its box. (Thoroughbred Owner and Breeder, November 2005, 28) Grasbahnen (turf) Die ideale Unterlage für Pferde ist nach wie vor Gras (Abb. 7, 8 & 9) - aber jedermann ist klar, dass solcher Boden stark Schaden nimmt und deshalb sowohl die Arbeit im Training auf Gras wie die Zahl der Meetings limitiert ist. Sowohl dieser Um- Abb. 7 Auf Grasboden kann der Huf in den Boden rotieren, das Auffussen wird gedämpft durch Gras wie Wurzeln und die Energie wird in hohem Masse zurückgegeben Abb. 8 Beim Auffussen erfolgt eine dreidmensionale Rotation, Der Huf muss sowohl (in vertikaler Richtung) ins Geläuf hinein, aber auch (in horizontaler Richtung) unter den Schwerpunkt rotieren können. 30 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 stand aber auch viele diverse Gründe haben dazu geführt, dass in den letzten 30 Jahren fleissig daran gearbeitet wurde, andere Geläufe zu schaffen. Abb. 9 Das Vorführen der Gliedmasse vor dem Auffussen (Innenrotation unter den Schwerpunkt) wird hier sowohl von Galileo (links) wie Fantastic Light (Sieger mit einem Kopf) im Einlauf der Irish Champion Stakes 2001 (Gr. 1) gezeigt. Auf dem Curragh (in Irland) wurden die Pferde zu meiner Zeit als Amateur (70erJahre) noch ausschliesslich auf Gras trainiert, und um den Boden zu schonen wurde jeweils (mit Zweigen) nur ein Streifen markiert, auf welchem gearbeitet werden durfte. Ein mir gut bekannter Trainer hielt sich für gewöhnlich jedoch nicht daran und zahlte gerne eine Busse, um seine Schützlinge auf jungfräulichem Boden galoppieren zu können. oOo „It isn‟t the „unting as „urts the horse„s „oofs, it‟s the „ammer, „ammer, „ammer on the „ard „igh road” old English adage 31 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 (Foto: Debora Vogt, 2010) Abb. 10 Gras-Renn- und Trainingsbahn (turf) in Newmarket Für die Aufrechterhaltung des Rennsports und die Effizienzsteigerung des Wettbetriebs, der heutzutage in Konkurrenz zu vielen andern Lotterien und Glückspielen steht, wurden dann Alternativen gesucht und vor allem in den Vereinigten Staaten wurden Sandbahnen in grosser Zahl gebaut. Für die Steigerung der Attraktivität für die Wetter wurden überdies relativ kleine Bahnen konstruiert, damit die Pferde mehr als einmal an der Tribüne vorbei galoppieren müssen. Damit wurden gleich zwei grosse Probleme geschaffen, weil auch letzteres nicht der Natur des Pferdes entspricht, das nicht dazu geschaffen ist, enge Kurven zu galoppieren (einer der Gründe für die hohe Zahl von Frakturen im amerikanischen Rennsport). Naturgewachsene Bahnen, wie bspw. der bereits erwähnte Curragh, kommen den Pferden auch hier entgegen. Die 2400 m für das Derby werden in Irland in einer Hufeisenform gelaufen und die Pferde kommen nur für den Einlauf vor den Tribünen vorbei. Für echte Pferdeleute war oder ist dieser Umstand kein Problem - und heutzutage wäre es wegen den grossartigen technischen Möglichkeiten der Verfilmung ohnehin keines mehr. Die Trainerin Criquette Head-Maarek in Chantilly arbeitet ihre Pferde auch heute noch nur auf gerader Bahn schnell. Wofür auch dort (offiziell) ein zusätzlicher Obulus entrichtet werden muss für die Arbeit auf Gras. Sandbahnen (dirt) In Amerika musste dann aber festgestellt werden, dass sich die Pferde auf Sandbahnen sehr viel häufiger verletzen als auf Gras, was für alle Beteiligten sehr ungünstig ist (z.B. auch bezüglich der Verletzungsgefahr von Jockeys) und anderseits heutzutage von der Öffentlichkeit nicht mehr akzeptiert wird. Diesbezüglich kann an die Verletzungen von Eight Belles im Kentucky Derby erinnert werden, die 2008 beim 32 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Ausgaloppieren ihre beiden vorderen Fesselgelenke brach, nachdem sie als Zweitplatzierte zu Big Brown einlief. Dieser tragische Zwischenfall wurde per Television weltweit bekannt und die Erinnerung an die Fraktur von Barbaro in den PreaknessStakes von 2006 wurde wieder schmerzhaft wach. Selbst das amerikanische Publikum hat langsam genug von derartigen Unfällen, und eine Umfrage durch Gallup ergab, dass 38% der Amerikaner finden, dass Sportveranstaltungen mit Wettbewerben zwischen Tieren aufgegeben werden sollten. Besonders bemerkenswert war dabei, dass die 18- bis 29-jährigen Befragten eher ein Verbot forderten als ältere Personen - also ausgerechnet jene Leute, die den zukünftigen Pferdesport tragen müssten. Abb. 11 Auf Sandbahnen wird die Gliedmasse abrupt gestoppt (je nasser der Sand desto stärker), die Rotation wird stark behindert, und wegen der fehlenden Elastizität des Bodens geht die Energie verloren. Vergleichbare Verhältnisse bestehen auch auf Spring- und Dressurplätzen (s. Arbeit Murray et al. 2006, p. 16) Synthetische Geläufe (Synthetic Racing Surfaces) Vor etwa 30 Jahren wurden die ersten Versuche unternommen, bessere Bahnen zu konstruieren als Sandbahnen (Richards 2007). Zu Beginn wurden diese für gewöhnlich als All-Wetter-Bahnen benannt, aus dem einfachen Grunde, weil damit ein Rennbetrieb ermöglicht wurde, der weniger abhängig ist vom Wetter. Heutzutage bezeichnet man sie in der Regel „Synthetische Geläufe“ (Synthetic Racing Surfaces SRS). Man hat den Eindruck, dass dafür heutzutage wirklich gute Möglichkeiten angeboten werden. Es ist für professionelle Pferdeleute unabdingbar, sich mit dieser Materie 33 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 vertraut zu machen. Sie ist aber anspruchsvoll und ein halbherziger Zugang genügt nicht. Auch für den Bau von Anlagen für den Reitsport müssen all diese Erkenntnisse genutzt werden und Forschung auf diesem Gebiet ist überaus wünschenswert, nicht nur für die bereits genannten Vielseitigkeitsreiter sondern auch für den Spring- und Dressursport. Abb. 12 Synthetische Trainingsbahn (SRS) in Newmarket (Foto: Debora Vogt, 2010) Diese moderne Piste zeigt überdies den biomechanisch vorteilhaften Anstieg, der einerseits das Durchtreten im Fesselgelenk fördert und somit Sehnen und Bändern trainiert - ohne dass zu viel Gewicht auf die Vorhand wirkt, und anderseits hilft, die Muskulatur der Hinterhand zu stärken. Der Autor bittet um Verständnis dafür, dass hier nur Beispiele aus dem Rennsport erwähnt werden. Vergleichbare Untersuchungen aus dem Reitsport gibt es zur Zeit aber leider noch nicht. Es ist sehr zu hoffen, dass solche in nächster Zunft in Angriff genommen werden. 34 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Biomechanik Bewegungsstudien und -analysen Die Gültigkeit irgendwelcher Hypothesen zum Exterieur eines Pferdes und seinem Leistungsvermögen überprüft man natürlich am besten bei der Nutzung des Pferdes, beim Rennpferd bspw. anhand des Bewegungsablaufs im Galopp. Eines dieser Beispiele betrifft Deep Impact (Sunday Silence – Wind in Her Hair v. Alzao), den japanischen Triple Crown Sieger von 2005 (Takahasi et al. 2006). Dieser Hengst soll gemäss Aussage seines Jockeys im Galopp geradezu in der Luft geflogen sein (wobei wir uns bewusst sind, dass Kommentare von Jockeys immer mit einer Prise Salz genommen werden müssen). Rein sachlich konnte jedoch auch festgestellt werden, dass die Hintereisen von Deep Impact weniger abgeschliffen wurden als bei anderen guten Pferden. Deep Impact wurde 2005 im Galopp gefilmt (mittels high speed video) und zwar anlässlich seines Einsatzes im Japanischen St.Leger (Kikuka Sho race, Gr. 1) über 3000 m auf Gras in Kyoto. 100 m vor dem Ziel wurde das Video System installiert, mit einem Blickfeld von 16 m und einer Frequenz von 250 Aufnahmen pro Sekunde. - Die Geschwindigkeit von Deep Impact bei den Aufnahmen betrug 17.8 m/s (die schnellste im Feld, dessen Durchschnitt 16.1 m/s war). - Die Fussfolge (Anzahl Galoppsprünge) betrug 2.36 pro Sekunde (nur drittbeste Frequenz, Durchschnitt 2.28/s) - Die Länge des Galoppsprungs betrug 7.54 m (die längste Distanz, Durchschnitt 7.08 m), aufgeteilt in 1.27 m für die Distanz zwischen den Hintergliedmassen, 1.48 m für jene der Vordergliedmassen, 2.16 m für die diagonale Distanz (zwischen führender Hinter- und nichtführender Vordergliedmasse) und 2.63 m für die Schwebephase (Abb. 13). Abb. 13 Ausmessung des Galoppsprungs von Deep Impact im Finish des japanischen St.Leger (3000 m) 2005 (Kikuka Sho) (Takahasi et al. 2006). Ein weiterer Parameter für solche Studien ist die sogenannte overlap time, jene Dauer, zu welcher zwei Gliedmassen gleichzeitig Bodenkontakt haben. Diese Zeit war bei Deep Impact kürzer als der Durchschnittswert. Das Verhältnis von dieser 35 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Zeitdauer zur Dauer des Galoppsprungs betrug bei Deep Impact nur 8.5%, der Durchschnitt bei den anderen Pferden war 17,1%, also doppelt so lang. Eine kurze overlap time war damals auch bei Secretariat zu konstatieren und bestätigt übrigens auch den empirisch geschaffenen englischen Ausdruck „good turn of foot“ als Eigenschaft eines schnellen Pferdes (Abb. 14). Abb. 14 Berechnung der overlap time von Deep Impact (0.036 sec.) und seinen Gegnern (0.075 sec.) (Takahasi et al. 2006). Die diagonale Sprungdauer, der Zeit des Bodenkontakts von führender Hinter- und nicht-führender Vordergliedmasse und die Zeit mit allen vier Gliedmassen in der Luft (Schwebephase) war bei Deep Impact kürzer, ebenfalls gleich wie damals bei Secretariat. Diese gemeinsamen Eigenheiten scheinen also die essentiellen Besonderheiten der besten Pferde zu sein. Abb. 15 Vergleich der Länge des Galoppsprungs von Deep Impact (weiss) und dem Durchschnitt seiner Gegner (grau) (Takahasi et al. 2006) Distanzmässig entsprechen die Werte von Deep Impact obigen Aussagen des Jockeys (er hatte also doch auch etwas recht), nicht aber den erzielten Zeiten in der Schwebephase. 36 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Ursachen für Verletzungen Die Gründe für Erkrankungen des Bewegungsapparates sind mannigfach, aber von besonders grosser Bedeutung sind Verletzungen im Zusammenhang mit der Nutzung der Pferde. Dort wirken Belastungen, die bspw. zu Frakturen von Knochen oder zu Rupturen von Sehnen und Bändern führen, und diese Kräfte treten bei der Interaktion der Gliedmassen mit dem Untergrund auf. Es sind dies also Ereignisse vorwiegend physikalischer bzw. mechanischer Natur Allerdings müssen wir uns bewusst sein, dass es selbst bei gewissenhaftester Arbeit für die Prävention von Verletzungen weiterhin ein gewisses Mass von Unfällen und Verletzungen geben wird. Die Prüfung der Pferde bis zur Grenze ihrer Belastbarkeit gehört zum Wesen und Zweck von Sport und Zucht und ist meines Erachtens ethisch legitimiert. Eine derart harte Selektion der Tiere wie im Pferderennsport kennt man sonst nirgends und es darf daran erinnert werden, dass dieses Vorgehen zur Vormachtstellung der Vollblutzucht geführt hat - u.a. auch für die Veredelung anderer Rassen. Die Knochenarbeit (im wahrsten Sinne des Wortes) für die Gesunderhaltung der Pferdezucht allgemein wird in erster Linie von den Vollblütern geleistet. Dafür verdienen sie in erster Linie Dank und grosse Anerkennung. medial Abb. 16 Typische Frakturen bei Verletzungen auf Sandbahnen (lateraler Kondylus und mediales Sesambein) bei 4-jährigem Pferd Die grosse Bedeutung der Biomechanik erkennt der geneigte Pferdebesitzer schon daran, dass unsere Pferde für gewöhnlich beschlagen werden müssen, die Eisen in der Regel bereits nach wenigen Wochen abgeschliffen sind, und die von uns benutzten Strassen und Wege deutliche Gebrauchsspuren zu zeigen pflegen. Beim Betrachten dieser Dinge müssen wir daran denken, dass diese Kräfte auch auf das Pferd selber, seine Knochen, Gelenke, Sehnen und Bänder wirken - diese Strukturen also sehr stark belastet werden. Spätestens jetzt muss einem einleuchten, welch grosse Bedeutung dem Geläuf beigemessen werden muss, auf dem wir die Pferde arbeiten. 37 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Den Rennbahnen kommt für gewöhnlich eine relativ gute Pflege zu, vielleicht darum, weil diese von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die grösste Zeit ihres Lebens verbringen die Pferde jedoch auf Trainingsbahnen und es lässt aufhorchen, dass bis zu 90% der Verletzungen im Training auftreten und nicht in den Rennen. Als Tierarzt kann man sich deshalb des tiefen Eindrucks nicht erwehren, dass sich zu viele Trainer und Besitzer nach wie vor viel zu wenig ernsthaft mit dieser Materie befassen. Es ist unsere Aufgabe und Pflicht, sich dem Pferd und dem Sport zuliebe hier mit allen Kräften vernehmen zu lassen und sich für Verbesserungen einzusetzen. Die grössten Fehler stehen auch hier im Zusammenhang mit der Arbeit auf herkömmlichen Sandbahnen, und die bekanntesten Probleme vor allem bei jungen Pferden sind hier Frakturen (Abb. 16), „Schienbeine“ (Abb. 17) und Läsionen im Bereich des Fesselgelenkes (Abb. 18), deren Entstehung in direktem Zusammenhang mit dem Geläuf steht. Ihre Frequenz ist in den USA unglaublich viel höher als in Europa und als wichtigste Ursache wird die Arbeit auf Sandbahnen erachtet. Dieser Tatbestand sollte eigentlich jedermann klar sein, der sich schon mal für ein paar Minuten gedanklich mit dem normalen Bewegungsablauf eines Pferdes befasst hat. Das Auffussen muss gleichzeitig stossdämpfend und energiesparend sein, was vor allem auf natürlicher Unterlage (Gras mit seinen Wurzeln) am besten möglich ist. Des weitern werden die Gliedmassen unter den Schwerpunkt geführt, was nur dann schadlos erfolgen kann, wenn das Bein dabei dreidimensional rotieren kann. Auf Sandbahnen ist dies nicht gut möglich, und umso weniger, je nasser sie sind. Abb. 17 3-jährige Vollblutstute mit Mikrofrakturen dorsal an der Röhre (Pfeil) als Folge der Arbeit auf einer Sandbahn 38 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Abb. 18 Gleiche Stute wie in Abbildung 17, zusätzlich mit massiv angefüllten Fesselgelenken vorne beidseits. Die Rotation der Gliedmassen ist uns selbstverständlich bestens vertraut. Wenn wir beispielsweise junge Pferde am langen Zügel arbeiten, hinter ihnen marschieren und den Bewegungsablauf beobachten, so können wir die Rotation der Hintergliedmassen bei jedem Schritt beobachten, zwar minim, aber trotzdem immer erkennbar. Bezüglich des Exterieurs gelten für die Arbeit auf Sandbahnen vor allem Merkmale wie Rückbiegigkeit im Karpus und die zehenenge Stellung als besonders unvorteilhaft. Bei rückbiegigen Pferden glaubt man eine höhere Frequenz von Stressfrakturen im Bereich des Karpus und von Mikrofrakturen in der dorsalen Kompakta des Röhrbeins („Schienbeine“ Abb. 17) zu sehen. Diverse Frakturen im Bereich des Fessels werden vermutlich begünstigt durch eine zehenenge Stellung, die beim Auffussen und damit der Übernahme des Gewichts bei der Innenrotation noch unvorteilhafter wird. Abb. 19 Zehenenge Stellung vorne beidseits bei einem Reitpferd – wo die übermässige Belastung der inneren Griffelbeine häufig zur Bildung von Überbeinen führt 39 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Verletzungen wegen Reiterfehlern Pinchbeck G.L. et al. (2004) Verletzungen und Schädigungen wegen Exterieurfehlern stehen natürlich auch Reiterfehler als Ursachen entgegen. Sowas ist sicherlich jedermann klar, wenn man bedenkt wie ungünstig 80 kg (und mehr) Reiter wirken können, wenn sie das Pferd aus Gleichgewicht und Rhythmus bringen. Damit müssen wir bis zu einem gewissen Masse und in manchen Fällen leben können, aber das Mass der Toleranz wird überschritten, wenn wohl bekannte Ursachen ignoriert werden. Schon in früheren Arbeiten wurden in diesem Zusammenhang Fatalitäten in Hindernis- und Flachrennen untersucht, wobei erkannt wurde, dass bei Hindernisrennen die Unglücksfälle immer mit Stürzen assoziiert waren (Vaughan and Mason 1975, McKee 1995 und Bourke 1995). In der Untersuchung von Vaughan and Mason (1975) waren es 55% der Unfälle auf der Flachen und über Sprünge. Der grösste Teil dieser Pferde starb unverzüglich oder hatte eine Quadriplegie. Solchen Zwischenfällen sollten wir zum Wohl des Tieres vorbeugen und daneben haben sie auch einen sehr negativen Einfluss auf die Wahrnehmung der Zuschauer. Gemäss Pinchbeck und Mitarbeitern (2004) sind Stürze in Rennen ein Risiko für Verletzungen und Todesfälle von Pferden und Jockeys. Für die Untersuchung der Umstände, die zu Stürzen von Pferden in Hürden- und Jagdrennen beitragen und für die Identifizierung und Quantifizierung von Risikofaktoren wurden zahlreiche Rennen ausgewertet. Die Studie betraf Aufzeichnungen von Rennen auf sechs verschiedenen Bahnen des vereinigten Königreichs und die Zwischenfälle und Kontrollen wurden abgestimmt sowohl bezüglich Typ der Rennen und Nummer des Hindernis, wo sich Stürze ereigneten (retrospective, matched, nested case-control study). Die statistische Auswertung erfolgte zum Zweck der Überprüfung von Zusammenhängen zwischen voraussagenden Variabeln und dem Risiko eines Sturzes (conditional logistic regression analysis to examine the univariable and multi-variable relationship). 119 Fälle und jeweils zwei Kontrollen pro Fall wurden studiert, was eine Zuverlässigkeit der Aussagen von 85% erlaubte. Das Risiko eines Sturzes war signifikant assoziiert mit Peitschengebrauch und dem Verlauf des Rennens. Pferde welche geschlagen wurden und ihren Platz verbesserten, hatten ein mehr als 7-fach grösseres Risiko eines Sturzes als ihre Konkurrenten. Es ist anzunehmen, dass wegen des unsachgemässen Peitschengebrauchs die Pferde im Rhythmus gestört werden und weniger sorgfältig springen. All die oben erwähnten Aspekte werden im Folgenden mit diversen Artikeln zu Verletzungen, zu Bemühungen um Prävention sowie Verbesserungen und weiteren Belangen etwas näher betrachtet (von den Anfängen bis heute). 40 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Bemühungen um Verbesserungen Rennbahn-Geläuf und Studien zur Gesundheit Racetrack Surface and Soundness Studies (Anon. 1981) Die Anfänge der Bemühungen um ernsthafte Verbesserungen der Geläufe auf den Rennbahnen, was vor allem in Nordamerika nötig war (und weiterhin ist), gehen auf eine Initiative der amerikanischen Pferdepraktiker (American Association of Equine Practitioners AAEP) zurück. Dieses Unterfangen startete 1976, als der damalige Programm-Verantwortliche Dr. Joe Solomon am jährlichen Meeting der AAEP in Dallas eine öffentliche „Roundtable Diskussion mit dem Zweck für eine umfassende Studie über den Zusammenhang von Rennbahn-Geläufen und Verletzungen beim Rennpferd“ lancierte. Dies führte zu Studien- und Planungs-Sessionen und schliesslich zur Gründung der AAEP-Stiftung für die Vermeidung von Lahmheiten in 1978. Die Tests und das Studium der Rennbahn-Geläufe unter der Direktion von George W.Pratt jr. weitete sich in der Folge aus in ein volles Programm. 1979 etablierte die American Association of Equine Practitioners zusätzlich eine “Lahmheits-Niederbruch-Überwachung“. Der Plan bestand darin, dass mehrere Praktiker die Leistungen von zahlreichen Pferden im Training für eine Saison verfolgen und die detaillierten Reporte mittels Computer analysiert werden. Abb. 20 Typische Präsentation eines niedergebrochenen Pferdes (David Hervelin 2007) 41 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Fatale Unfälle bestimmen die bedeutendsten Ereignisse des Sommers Fatalities mar top American summer events (MacDonald Michele 2006) Zu Beginn dieses Jahrhunderts wies MacDonald (2006) darauf hin, dass der Tod von Pferden die angesehenen Sommer-Meetings von Del Mar und Arlington Park überschattete und weit verbreitete Besorgnis bezüglich Sicherheit und Überwachung geweckt wurde. Am 3. August erlitt die vierjährige Stute Early Roman im Morgentraining Gleichbein-Frakturen und musste euthanasiert werden - als neuntes Pferd, das innert 15 Tagen entweder im Rennen oder im Training starb. – Einfach als ein Beispiel von vielen für die inakzeptabel hohe Frequenz von Todesfällen, die durch andere Gründe verursacht werden als nur Exterieurfehler. Obwohl der Staat Kalifornien verordnet hatte, dass grosse Rennbahnen synthetische Geläufe installieren, von denen angenommen wird, dass sie wegen der effizienteren Polsterung die Frequenz von Verletzungen reduzieren, hatte Del Mar noch keine Verbesserungen in Aussicht gestellt. Die staatliche Intervention erfolgte aufgrund von Statistiken, denen zu entnehmen ist, dass im Vorjahr (2005) 272 Rennpferde bei der Arbeit den Tod fanden, die höchste Zahl je. Für uns Schweizer muss das Einmischen des (kalifornischen) Staates eine ganz klare Warnung sein. Wenn wir in unserem Sport nicht selber für Ordnung schauen, dann müssen wir früher oder später ebenfalls mit staatlichen Interventionen rechnen. Das kann uns neben grossen Unannehmlichkeiten überdies grosse direkte Kosten verursachen und eine Unterstützung durch den Staat für unsere Aktivitäten wird dann bestimmt illusorisch. Wenn sich die Öffentlichkeit über einen Sport derart empört, dann sind die Steuerzahler sicher nicht bereit, irgendwelche Subventionen zu leisten. Auf einer anderen Bahn (Arlington Park, Illinois) mussten vom 5. Mai bis 30. Juli 2006 (also innert 3 Monaten) bei den Rennen 18 Pferde euthanasiert werden, verglichen mit deren 12 in der Zeitspanne von 4 Monaten am Meeting 2005. Mindestens 5 weitere Todesfälle wurden aus dem Trainingsbetrieb rapportiert. Übersicht: Das Verhältnis der schweren Unfälle auf der Bahn hat sich geändert Review: Racetrack Fatality Ratio Changes (LaMarra 2008) Anlässlich der Konferenz “Wohlbefinden und Sicherheit des Rennpferdes” (Welfare and Safety of the Racehorse Summit) Mitte März 2008 wurde berichtet, dass die Zahl der katastrophalen Verletzungen auf Sandbahnen zugenommen, die korrespondierende Zahl auf synthetischen Geläufen aber abgenommen hat. Eine Analyse durch den Jockey Club ergab, dass sich: - auf Sandbahnen 2.02 Todesfälle auf 1‟000 Starts ereigneten, und - auf synthetischen Geläufen deren 1.47 auf 1‟000 Starts Diese Zahlen können als wissenschaftlich schlüssig erachtet werden. 42 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Rennbahn-Gruppe führt Sicherheits-Initiativen ein Racetrack Group to Implement Safety Initiatives (The Blood-Horse Staff 2008) Die Initiative von Verantwortlichen von amerikanischen Rennbahnen für die Verbesserung der Sicherheit schloss insbesondere drei Dinge ein: - den Hufbeschlag (die Begrenzung der Höhe von Griffen im Zehenbereich („toe grabs“) der Vordereisen) (Abb. 21) - Bestimmungen für neue Peitschen - und die Empfehlung, den Gebrauch von anabolen Steroiden zu reglementieren. Abb. 21 Erläuterung der Wirkung von „toe grabs“ auf den Bewegungsablauf, deren Verwendung m.E. auf falschen Vorstellung des Bewegungsablaufs beruht. Die Kraft für die Fortbewegung kommt aus der Hinterhand – das Pferde zieht sich nicht mit der Vorhand nach vorne. Die Vordergliedmasse muss die Kraft auffangen, und dafür muss sie etwas gleiten und rotieren können. Mit „toe grabs“ erfolgt eine Überstreckung im Fesselgelenk und überdies wird das Auffussen zu abrupt gestoppt. Diese Gruppe war sich der öffentlichen Wahrnehmung und Kritik an der Renngemeinde akut bewusst und engagierte sich aktiv für neue Regelungen um Gesundheit und Sicherheit der equinen Athleten sicher zu stellen. Bitte zu beachten Der Autor ist sich sehr wohl bewusst, hier nur gerade Ergebnisse von Untersuchungen im Rennsport zu präsentiert zu haben. Diesem Umstand liegen aber nicht etwa einseitige Interessen zu Grunde, sondern vielmehr der Mangel von vergleichbaren Studien aus dem Reitsport. Obwohl dort gleiche Probleme bestehen, was eine aktuelle Arbeit aus Schweden dokumentiert. Dort haben Kollegin Egenvall und Mitarbeiter (2010) den Zusammenhang von Alter des Pferdes und Erfahrung des Reiters mit dem Auftreten von Verletzungen in Reitschulen untersucht. Einerseits bewahrheitete sich die Erkenntnis, dass Erfahrung der beste Lehrmeister ist und als Empfehlung für das Vermeiden von Verletzungen wurde u.a. angeführt, dass Pferde auf verschiedenen Unterlagen trainiert werden sollen. 43 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Biomechanische Messungen Die Messung der Beschleunigung des Hufs und die Kräfte von dessen Interaktion mit dem Geläuf bei Vollblut-Rennpferden auf Sand-, synthetischen und Gras-Geläufen. Hoof Accelerations and Ground Reaction Forces of Thoroughbred Racehorses Measured on Dirt, Synthetic, and Turf Track Surfaces (Setterbo et al. 2008) Einleitung Obwohl man annimmt, dass die Art eines Geläufs die Gefahr von Verletzungen beeinflusst, sind Resultate von epidemiologischen Untersuchungen wegen diversen Variabeln unbeständig. Das Ziel dieser Arbeit war es, Sand-, Gras- und synthetische Bahnen mithilfe der direkten Messung der Beschleunigung des Hufs und Boden-Reaktions-Kräften zu vergleichen. Material und Methoden Die Beschleunigungen des Hufs und die Boden-Reaktions-Kräfte wurden mittels eines Beschleunigungsmessgeräts am Huf und einem dynamometrischen Hufeisen bei 4 Pferden gemessen und analysiert, die im Trab und ruhigen Galopp auf den verschiedenen Geläufen bewegt wurden. Resultate Die synthetische Bahn ergab die tiefsten Werte für die Beschleunigung und die mittleren Vibrations-Variabeln. Die maximale Beschleunigung beim Auffussen des Hufs betrug 81% vom Maximum auf der Sandbahn und 66% von jenem auf Gras. Die synthetische Bahn hatte auch die tiefste Spitzen-Boden-Reaktions-Kraft Schlussfolgerungen und klinische Bedeutung Die relativ tiefen Beschleunigungen, Vibrationen, maximalen Boden-Reaktions-Kräfte und Belastungs-Raten auf synthetischem Geläuf weisen darauf hin, dass synthetische Bahnen die Verletzungsrate bei Vollblut-Rennpferden potenziell senken können. Die Auswirkung von Unterhaltsarbeiten auf mechanische Eigenschaften einer Sandbahn: Eine vorläufige Studie Effect of track maintenance on mechanical properties of a dirt racetrack: A preliminary study (Peterson and McIlwraith 2008) Wenn Vollblut-Rennpferde katastrophale Verletzungen erleiden, dann wird das Geläuf oft als beitragender Faktor diskutiert. Die sorgfältige Untersuchung von Bahnen verlangt quantitative Informationen, die das Geläuf beschreiben. Frühere Bahn-Messungen haben Apparaturen vom Typ des Penetrometers benutzt. Die vertikale Komponente wurde in diesen Untersuchungen als die primäre Kraft betrachtet, die beim Galoppieren eines Pferdes auftritt. Das zweite wesentliche Element der Belastung in der Bewegung eines Tieres ist horizontal, die abhängig ist von der Scherkraft des Geläufs. 44 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Peterson und Mitarbeiter (2004) entwickelten ein hufförmiges System, das die Geschwindigkeit des Hufs in vertikaler und horizontaler Richtung und die Kraft beim Auffussen misst. Dieses System wurde benutzt, um die mechanische Interaktion von Huf und Geläuf vor und nach dem Eggen objektiv messen zu können. Das Instrumentarium besteht darin, dass ein nachgebildeter Huf auf einem Paar Stahlschienen mit einer Neigung von 12° von 1,6 m Höhe fallen gelassen wird und mit 540 J auf den Boden trifft. Ein zweites Set von Schienen ist daran befestigt und wird von einer Gas-Feder in Position gehalten. Wenn der Huf auf den Boden auftrifft, dann wird die Feder komprimiert und der Huf ist gezwungen nach vorne zu gleiten. Diese Studie untersuchte die mechanischen Eigenheiten des Geläufs und fand signifikante Unterschiede während des Routine-Unterhalts. Fragen zur relativen Bedeutung der Bahn-Variabilität und Festigkeit verlangen jedoch weitere Studien. Bedingungen unter dem Huf Conditions Under Foot (Jurga 2009) Mit diesem Artikel unter mehrdeutigem Titel befasst sich Jurga recht kritisch mit dem Rennsport in Amerika, der seit dem öffentlichen Aufschrei nach den tragischen Todesfällen von Eight Belles, George Washington und anderen guten Pferden in der Defensive ist und nach Antworten sucht. Gemäss Jurga fühlt man sich im Rennsport wie ein Jahrmarktsbesucher in einem Spiegelsaal, der hier- und dorthin schaut, ein verzerrtes Bild von sich sieht, u.a. weil vieles, welches bisher als richtig galt, jetzt nicht mehr so sein mag. Als die Konferenz des amerikanischen Jockey Club‟s (Welfare and Safety Summit WSS) die Zehengriffe (toe grabs) als ein möglicherweise schädliches Problem aufgriff, begannen Taylor und sein Team die Unterschiede im Bewegungsablauf des Hufs mit verschiedenen Eisen zu studieren. Ein Komitee für Hufbeschlag und -pflege des WSS sorgte für eine rasche Änderung der Regelungen, um die Höhe der Zehengriffe auf 4 mm zu beschränken. Diverse Staaten übernahmen diese Neuerung – und gleichzeitig öffnete sich die Büchse von Pandora. Das 20. Jahrhundert war zwar eine gute Zeit für den Rennsport, aber eine harte Zeit für Verbesserungen über die Grundlagen unserer Kenntnisse über das Pferd. Im 19. Jahrhundert beschäftigte die Geschwindigkeit die Pferdeleute, die mit Hufeisen, Sätteln, dem Bau der Bahnen und allem Denkbaren Verbesserungen erzielen wollten. Ihr Ziel war ein schnelleres Pferd, ein besseres Pferd. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts fand die neue Wissenschaft der Biomechanik ihren Weg vom Human- in den Pferdesport. Führende Geister wie Doug Leach, Hilary Clayton, George Pratt und andere begannen, die Bewegung des Pferdes und die Bedeutung des Geläufs zu studieren. Sie wurden grösstenteils ignoriert, und ihre detaillierten Studien und Publikationen mit vielen Daten wurden mit einem Gemurmel wie „Wie interessant“ zur Kenntnis genommen. Die Pferdeleute wendeten sich aber gleich wieder ihrer täglichen Arbeit zu und taten, was sie schon immer taten. Sie liessen ihre Pferde laufen auf Geläufen, über Distanzen und zu Intervallen, die ihnen passten. Heutzutage aber, 25 Jahre später, fragen Publikum, Presse und sogar die Regierung: Warum erlitt jenes Pferd eine Verletzung ? 45 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Die weitherum beliebte Antwort “Das ist Rennsport”, ist nach dem ausgebliebenen Erfolg der Forderung von mehr Sicherheit und weniger Verletzungen auf synthetischen Bahnen nach Jurga (2009) jedoch schlicht und einfach nicht mehr gut genug. Über den ganzen Globus verteilt gibt es ein wachsendes Kader von Forschern, die bereit und willig sind, die Einflüsse vom Geläuf, den Hufeisen, der Form des Hufs, der Luftfeuchtigkeit, des Winkels der Sonneneinstrahlung zu studieren – was immer es ist, was Hinweise liefern kann. Die Länge und Frequenz des Galoppsprungs sind zwar die Schlüssel-Faktoren für den Speed, aber die neue Realität legt grösseren Wert auf Scherkräfte, die Reibung und die horizontale Bewegung des Hufs nach dem Auffussen. Das Ziel ist ein effizienter Sprung und ein sicherer Schritt. Gemäss des Ingenieurs Mick Peterson (University of Maine) sind weitere Variabeln von Bedeutung: 1) Wie rasch der Huf nach dem Auffussen gestoppt wird, 2) wie hart die Landung ist, 3) wie viel Widerstand das Geläuf dem abzustossenden Huf entgegensetzt, wenn das Gewicht aufgenommen wird. Die Aufgabe der relative Stossdämpfung übernimmt der Fessel, der je nach Härte der Unterlage mehr oder weniger stark durchgestreckt wird. Auf hartem Geläuf wird der Fessel stärker belastet, aber je stärker das Gelenk durchgedrückt wird, desto mehr Federkraft wird frei wenn sich das Pferd vorwärts bewegt. In der Sprache des Boxers wäre nach Peterson die Härte des Geläufs die „Direkte“ und die Scherkraft der „Haken“. Die Scherkraft bestimmt die Kraft, die beim Auffussen auf die Hufspitze wirkt; dieser Druck stoppt den Huf. Je grösser die Scherkraft, desto rascher wird der Huf gestoppt. Sie fördert oder hindert auch den Abstoss-Faktor. Eine Bahn mit tiefer Scherkraft erlaubt dem Huf vor dem Stoppen ein Gleiten für mehrere Zentimeter. Eine Unterlage mit grosser Scherkraft hingegen bewirkt ein schnelleres Stoppen. Das Gleiten dämpft die Landung, aber erschwert das Abstossen für den nächsten Sprung, weil der Huf weniger oder sogar keinen Halt bzw. Widerstand findet. Neue, ausgeklügelte Hochgeschwindigkeits-Kameras erlauben die relative horizontale Bewegung des Hufs darzustellen, wenn er im Geläuf verschwindet. Erst 1995 gelang es William Back (Utrecht), eine messbare Differenz in der horizontalen Bewegung des Vorder- und Hinterhufs beim Auffussen zu bestimmen. Normalerweise gleitet der hintere Huf weiter als der vordere. Gemäss der Forschung von George Pratt (1981, Massachusetts Institute of Technology) zieht sich das Pferd beim Galoppieren nicht nach vorne, und die Hufe bewegen sich schneller als das Pferd selber. Schon damals predigte er gegen die Verwendung von Zehengriffen (toe grabs), Stollen und Stiften, weil er fand, dass diese den idealen Kontakt des Hufs mit dem Geläuf und das Abstossen stören würden. Pratt schrieb (1981), es ist unerlässlich dass der Huf vorwärts gleiten kann – „aber auch nicht zu weit vorwärts“, würde er ergänzen. Peterson warnt, dass wir (jetzt) prinzipiell zwar synthetische Geläufe haben, sie aber (noch) weiter ausbaufähig sind. 46 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Gemäss Taylor zeigen die Geschwindigkeits-Videos, dass die Hufe bei synthetischen Geläufen nicht so tief einsinken wie bei traditionellen Sandbahnen. Er glaubt aus dieser Beobachtung schliessen zu können, dass die Zehe in der Belastungsphase die Unterlage weniger gut penetrieren kann und die Gliedmasse somit über die Zehe rotieren muss, statt dass diese ins Geläuf hinein rotiert wie bei Sandbahnen. Falls diese Annahme stimmt, dann müssen die stabilisierenden Muskeln die Funktion jener Muskeln übernehmen, die den Antrieb bewirken. Er glaubt diese Theorie durch die Beobachtung bestätigt zu sehen, weil auf synthetischen Bahnen weniger „kick back“ (nach hinten geschleuderter Dreck) zu sehen ist. Wegen der Struktur des Geläufs mit spannkräftigeren Charakteristika erfährt der Huf mehr Widerstand für das Eindringen in die Unterlage als beim Sand, der leicht weg schert. Taylor spricht auch immer wieder vom “Schneepflug“-Effekt („snowplough“ oder „snow-plow“), womit er das Sandwölkchen meint, das beim Abbremsen des Hufs aufgewirbelt wird. Je abrupter der Huf gestoppt wird, desto ausgeprägter ist der Schneepflug-Effekt (Abb. 22). Taylor zeichnete auch wiederholt die Behinderung der gleitenden Bewegung durch die Zehen-Griffe (toe grabs) beim Auffussen auf. Auch er ist der Meinung, dass diese Griffe eine stärkere Streckung des Fessels verlangen, um den Huf wieder vom Boden abstossen zu können. Abb. 22 Der „Snowplough“-Effekt, der Auskunft gibt über die Scherkraft eines Geläufs - und damit auch über die Belastung der Gliedmasse 47 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Handel und Zucht Exterieurbeurteilung im Handel Selbstverständlich spielt die Exterieurbeurteilung auch im Handel eine grosse Rolle. Sie ist aber nur ein Kriterium von vielen und für den Einsatz in der Zucht ist die eigene Leistung und jene der Familie viel wichtiger. In diesem Zusammenhang ist klar, dass gut aussehende Pferde (v.a. Jährlinge) an Auktionen bessere Preise erzielen – möglicherweise sogar Spitzenpreise. Diese Tatsache kann belegt werden mit zwei Beispielen: - Snaafi Dancer (Northern Dancer – My Bupers) wurde 1983 als Jährling an den Keeneland Select Sales für 10.2 Millionen $ versteigert. Er lief nie und war im Gestüt ebenso erfolglos. - Green Monkey wurde am 28. Februar 2006 als Zweijähriger an der Fasig-Tipton Calder Sale für 16 Millionen $ verkauft (Abb. 23). In der Folge lief er drei Rennen und gewann insgesamt 10„240 $. Sein Exterieur war grossartig, und Green Monkey lief beim breeze-up vor der Auktion auch die schnellste Zeit. Seine spätere Leistung auf der Bahn und im Gestüt war jedoch ungenügend. Abb. 23 Green Monkey USA (Forestry – Magical Masquerade) Green Monkey ist ein Beispiel von mehreren, die trotz bestechendem Exterieur leider die erwünschte Leistung nicht erbringen können. Selbst wenn sie mit grösserer Wahrscheinlichkeit zu einem guten Trainer kommen als andere Pferde. Dies ist ein eindrücklicher Hinweis darauf, dass die Beurteilung von Leistungsfähigkeit zumindest multifaktoriell ist. Hier kommt noch dazu, dass selbst eine gemessene Zeit unter optimalen Umständen kein zuverlässiger Parameter ist für die Leistung in einem echten Rennen. Dort sind die Anforderungen noch viel komplexer, Schnelligkeit alleine genügt bei weitem nicht. 48 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Biomechanik und Zucht Aus verschiedenen Gründen hat die Beurteilung der Pferde in der Zucht vermutlich die grösste Bedeutung. Ihre Selektion beruht zu einem hohen Masse auf den Ergebnissen der Einschätzung des Exterieurs – aber mit der Schaffung von verschiedenen Geläufen, neben den herkömmlichen Grasbahnen eben auch von Sand- und synthetischen Bahnen, hat sich herausgestellt, dass die Leistungsfähigkeit von Pferden auch in engem Zusammenhang stehen kann mit den diversen Unterlagen. Dabei erwuchs in den letzten Jahren der Eindruck, dass auf synthetischen Geläufen erfolgreiche Pferde auch auf Gras gut laufen – und umgekehrt. Diese Beobachtung ist vor allem für die nordamerikanische Zucht von Bedeutung, weil mit dem Ersatz von Sandbahnen durch synthetische Geläufe eine stärkere Konkurrenz durch Pferde aus Europa befürchtet werden muss. Über diese Belange geben die folgenden Artikel weitere Auskunft. Der Wechsel zu Polytrack® kann für die US eine Dummheit sein Switching to Polytrack may turn out to be folly for the US (Mordin 2006) Der Wechsel zu Polytrack® kann sich für die Vereinigten Staaten als Tollheit herausstellen (Polytrack® ist der Markenname für eines der synthetischen Geläufe). Ein Polytrack-Wahn geht durch Amerika und ist getrieben von der Art Verletzungen und von Unterhaltsproblemen, die 2006 am Breeders„ Cup auftraten. In diesem Jahr ging auf der Sandbahn in 4 von 5 Rennen der Sieg an Pferde aus der Startboxe 1. Polytrack® wird als eine viel sicherere Unterlage erachtet als Sand, und Studien auf beiden US-Bahnen, welche zu Polytrack® wechselten, zeigten eine deutliche Reduktion von Verletzungen und Todesfällen. Resultate sowohl aus Grossbritannien wie den USA zeigen, dass Polytrack® Turfpferde viel stärker begünstigt als jene, die ihre beste Form auf traditionellen Sandbahnen zeigten. Die Einführung von Polytrack® in Amerika könnte darum eines der grössten Eigengoals des Rennsports in den Staaten sein. Top-Hengste aus Europa wie Sadler’s Wells und Danehill waren schlicht und einfach nicht in der Lage, erfolgreichen „Sand“-Hengsten aus Amerika Paroli bieten zu können (Pferde, die auf traditionellen Sandbahnen wirklich Speed zeigen können), weil ihre Nachkommen sich auf solchen Bahnen nicht wohl fühlen. Eine Studie zeigte, dass die drei erfolgreichsten Deckhengste auf Gras (bezüglich Siegen) auch die besten waren auf Polytrack®, aber dass keiner von diesen unter den 20 besten Erzeugern von Siegern in England auf Unterlagen zu finden war, die den traditionellen Sand-Geläufen in den USA ähneln (wie bspw. Fibresand und Equitrack®). Dieser Umstand eliminiert auch weitgehend den Faktor der Startboxe, welcher normalerweise ein gutes Instrument ist für die Vorhersage des Rennverlaufs auf anderen Geläufen. Es steht ausser Frage, dass Polytrack® die Analyse der Rennen erschwert, weil deren Eigenheiten zu ausgeglicheneren Einläufen führen und Startboxen-Vorteile eliminieren, womit die Resultate eine grössere Zufälligkeit haben werden. Es wird befürchtet, dass dies das Abwenden von Wettern zu anderen Medien bewirken kann, die bessere Erfolgschancen bieten. Wie werden synthetische Geläufe den Sport und die Zucht von Vollblütern beeinflussen ? 49 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 How will artificial surfaces affect thoroughbred racing and breeding ? (Stabell 2006) An diesen Titel in Frageform schliesst sich die Frage an: Was haben Dubai Millenium, Arcangues, Singspiel, Swain, Sakhee, Giant’s Causeway and Electrocutionist gemeinsam ? Sie alle zeigten sowohl auf Gras wie auf Sand grosse Klasse. Doch der wichtigste Punkt ist: Sie alle hatten Erfolg auf weicher oder schwerer Grasbahn bevor sie auf Sand liefen. Bald werden wir in Nordamerika viele Rennen auf synthetischen Geläufen sehen, dort wo der grösste Markt für Vollblüter ist. Wobei von Bedeutung sein dürfte, dass eine Polytrack®-Bahn grosse Ähnlichkeit hat mit einer Grasbahn. Somit stellt sich die Frage, ob mit diesen neuen Entwicklungen die Züchter neue Hengstlinien suchen werden. Werden sie eine Mischung von traditionellen „Sandoder Gras-Linien“ wählen, oder werden traditionelle Linien verschwinden ? In England hat man schon seit 1989 Erfahrung mit Allwetter-Bahnen, und der Rennsport auf solchen Bahnen etablierte sich, um den britischen Sport an solchen Tagen zu gewährleisten, an denen wegen des Wetters sonst Absagen hätten gemacht werden müssen. Die Allwetter-Rennen spielen heutzutage eine wichtige Rolle und man frägt sich, ob dies auf die Zucht einen Einfluss ausüben kann ? Tony Morris beantwortet diese Frage ganz kurz: „Die grösste Sorge besteht darin, dass eine zunehmende Zahl von mittelmässigen Stuten irgend ein Rennen gewinnen und Zuchtstuten werden. Dies wird einen negativen Einfluss ausüben auf die Zucht, ähnlich wie Rennen bescheidener Qualität in England (banded racing), wo wirklich mittelmässige Pferde, die aus dem Rennsport hätten ausgeschieden werden müssen, zu Siegern werden.“ Nach Jimmy George (Tattersalls) ist “die Tendenz zu Polytrack®-Geläufen in Amerika das wichtigste Kriterium bezüglich Einfluss auf die Vollblutzucht, weil wir alle wissen, dass Polytrack® für die Pferde viel besser ist. Diese Unterlagen sind äusserst erfolgreich und die Tatsache, dass die bedeutendsten Bahnen in den Vereinigten Staaten sie übernehmen wollen, ist wunderbar aus der Sicht des Wohlbefindens der Pferde. Dies macht auch Pferde aus Europa noch attraktiver für Käufer aus Amerika. Wenn sich mehr Rennen in den US als legitime Ziele anbieten, mögen wir dort auch mehr Starter aus Europa sehen. Viele Pferde wechseln ohne weiteres von Gras auf Polytrack® und umgekehrt, weil sich die Geläufe viel mehr ähneln als Sand.“ Aus der Sicht des Wettbetriebs ist die Situation insofern günstiger, als Polytrack®Bahnen weniger wetterabhängig sind (s. auch Mordin (p. 49, 2006), wo bezüglich des Wettbetriebs negative Aussagen gemacht werden). Das ist ein sehr interessanter Punkt, weil synthetische Geläufe auch dazu beitragen können, das Runterstufen von Stakes-Rennen zu vermeiden, wenn sie wegen des Wetters auf Gras nicht gelaufen werden können oder die Qualität und die Grösse der Felder leiden. Byron Rogers erläutert, dass “keine grosse Korrelation zu bestehen scheint zwischen Rennen auf der Allwetter-Bahn in Lingfield (England) oder in Turfway (USA). Man muss beachten, dass die Meetings in Turfway keine Topevents sind, aber es ist eine gute Bahn und nach Rogers Beobachtungen können Pferde überall im Rennen eine Chance haben. Er meint auch, dass Pferde mit Speed einen leichten Vorteil haben, ähnlich wie auf Gras. Solche Pferde sind auf Sand manchmal benachteiligt, weil starke Pferde dort eine gute Pace anschlagen und diese aufrecht erhalten können. Wir wissen, dass Polytrack® den Pferden entgegen kommt, und Rogers ist sich 50 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 sicher, dass diese Unterlage deren Laufbahn verlängern wird und wir weniger Verletzungen und Niederbrüche sehen werden. Alles, was wir in der Zucht und im Sport tun können, um die Pferde länger gesund zu erhalten, kann nur gute Nachricht sein.“ Werden wir bei den Züchtern neue Trends sehen, als Folge dieser neuen Unterlagen ? “Langfristig werden wir eine stärkere Korrelation sehen zwischen Turf-Linien und Allwetter-Rennen”, sagt Rogers, “aber wir stehen erst am Anfang. Bevor wir nicht hochklassige Pferde auf synthetischen Bahnen sehen, werden Züchter ihre Gewohnheiten nicht stark ändern. Rogers vermutet dies, obwohl Änderungen erfolgen werden. Amerika hat sehr spezifische Zucht-Linien entwickelt, bspw. die Fappiano-Linie, die Seattle Slew-Linie – und auch die In Reality-Linie, mit Ausnahme von Known Fact. Diese Pferde waren dominierend, hatten aber Schwierigkeiten auf Grasbahnen. Vielleicht werden wir mehr traditionelle Turf-Linien sehen, einige von Europa, die in den US erfolgreicher sind ? “Es ist schwierig vorauszusagen, was geschehen wird. Es ist nicht zu lange her, dass die europäische Zucht den nordamerikanischen Rennsport dominierte, bspw. mit all den Nachkommen von Lyphard, Blushing Groom and Nureyev. Sie übten einen grossen Einfluss aus und es wäre nicht überraschend, wenn solche Tage zurück kommen würden. Falls dies zutrifft, dann werden wir einen sehr kompetitiven Hengstmarkt haben. Wenn sich heraus stellt, dass die Turf-Linien auf synthetischen Geläufen dominieren, dann werden die Europäischen Hengste sehr schnell sehr gefragt sein.” Von obigen Resultaten können nach Ansicht des Autors keine zuverlässigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Es kann Zufall sein, welche Hengste auf Allwetter-Bahnen am meisten Sieger stellen – aber Speed ist wichtiger als Stamina, und alle führenden Hengste waren Turf-Pferde. Höchstwahrscheinlich wird in Zukunft die Statistik von Hengsten mit Siegern auf synthetischen Geläufen immer mehr jener ähneln, welche alle Rennen umfasst. Wenn die Zahlen zunehmen, dann werden die Unterschiede immer kleiner. In den hier studierten Statistiken findet man 17 verschiedene Namen, darunter findet sich interessanterweise aber kein einziger Sohn von Sadler’s Wells. Seine Nachkommen haben auf Sandbahnen in Nordamerika wenig Erfolg, ebenso wenig wie auf Allwetterbahnen in England. Während der Europäische Rennsport den Gebrauch von synthetischen Bahnen noch voll akzeptieren muss, erfolgte in Nordamerika der Wechsel bis auf Gr.1-Niveau „über Nacht“. Es wird faszinierend zu beobachten sein, wie die Züchter, auf beiden Seiten des Atlantiks, sich den kommenden Änderungen anpassen werden. Langsames Reagieren wird sich gemäss Stabell (2006) vermutlich nicht auszahlen. 51 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Oekologie Besonders in der Schweiz haben es viele Pferdehalter schwer, in der Landwirtschaft unterzukommen, wobei die Probleme in erster Linie politisch begründet zu sein scheinen. Dies ist natürlich in vielen Belangen unerfreulich, besonders störend aber aus Sicht der Oekologie, weil Pferdehaltung und -zucht diesbezüglich ja als relativ vorteilhaft gelten. Allerdings wird auch hier manchmal gesündigt, dummerweise nicht selten aus Unwissenheit. Zu den häufigeren Sünden und Dummheiten gehören beispielsweise Ausläufe und Trainingsanlagen, wo bedenkliche Materialien als Unterlage verwendet werden. Das Angebot an ungeeigneten solchen Produkten ist derart gross, dass hier nicht auf Einzelheiten eingegangen werden kann. Der Hinweis muss genügen, dass der Auswahl eines Bodens oder Belages auch in oekologischer Hinsicht allergrösste Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Eine gute Unterlage kann bezüglich der Herstellung nicht billig sein, nur günstig. Andernfalls besteht die Gefahr, dass einem Material geliefert wird, das sehr staubig ist oder bei der Entsorgung grosse Kosten verursacht, weil es dann als Sondermüll gilt. Bezüglich der Oekologie ist auch zu beachten, dass für den Unterhalt von Bahnen, v.a. Grasbahnen, viel Wasser nötig ist - für gewöhnlich selbstverständlich genau dann, wenn es ohnehin knapp ist. Die Wasserversorgung von Trainings- und Rennbahnen verdient darum grösste Beachtung. Die folgenden Artikel geben darüber etwas nähere Auskunft. Im 21. Jahrhundert gibt es keine Entschuldigung mehr für schlechte Bodenverhältnisse There is no excuse for poor ground conditions in the 21st century (Buckley 2006) Viel wurde kürzlich schon gesagt über den Zustand der Geläufe auf englischen Bahnen, und als Resultat fokussierte sich das Interesse nicht nur auf das Management der Bahnen sondern auch auf kontroverse Aspekte wie zu viele Rennen, die Zucht des modernen Vollblüters und Trainingsmethoden. Für den Bahnchef ist der Zustand des Geläufs von grösstem Interesse. Die drei wichtigsten Techniken des Unterhalts scheinen sehr simpel zu sein – Düngen, Wässern und Mähen. Es ist trotzdem unglaublich, wieviele Rennbahnen diese Forderungen nicht zur rechten Zeit erfüllen, wenn überhaupt. Es macht beispielsweise überhaupt keinen Sinn, harten Boden erst eine Woche vor einem Meeting zu wässern – das Resultat wäre ein unsicheres und inkonsistentes Geläuf. In Goodwood wird zu jeder Zeit Feuchtigkeit im Boden gewahrt, unabhängig ob Rennen stattfinden oder nicht. Das Wässern mag schon im April beginnen und wird fortgesetzt während der ganzen Saison. Im Süden Englands ist man zunehmend unter Druck, wegen fehlendem Regen, was den Zustand des Geläufs beeinträchtigt und in der Folge auch die Bewässerungspraxis. Für den Rennsport wäre es äusserst unvorteilhaft, wenn als Folge der Klima-Erwärmung und Wassermangel die Bewässerung der Bahnen verboten würde. In Goodwood hat es 20 Renntage, eine gute Zahl für alle Beteiligten, aber viele weitere wären nicht möglich. Es ist kein Zufall, dass vor dem fünftägigen SommerFestival ein fünfwöchiger Unterbruch besteht. Dies erlaubt genug Zeit um die Bahn wieder in Stand zu stellen und in genügendem Masse vorzubereiten für die Belastung von fünf aufeinanderfolgenden Renntagen. 52 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Es wird härter werden Going gets tough (Ryan 2006) Das Risiko von Einschränkungen für Wasser durch die Regierung hat in England bei den Bahn-Verantwortlichen im Sommer 2006 für Kopfweh gesorgt. Mit der Möglichkeit der Zunahme von Trockenzeiten in kommenden Jahren, wegen der globalen Erwärmung, müssen für die Bahnen Pläne für solche Fälle gemacht werden. Launen des Wetters sind dem Derby-Tag in Epsom zwar nicht fremd, indem 1830 ein Wolkenbruch 13 Fehlstarts zur Folge hatte, 1867 fiel Schnee und 1911 wurden wegen eines Gewittersturms mit Hagel und Blitz vier Pferde und drei Zuschauer getötet. Epsom muss sich jetzt einmal mehr mit den Elementen befassen, dieses Mal aber nicht wegen übermässigem Niederschlag sondern wegen dessen Ausbleiben. Im Sommer 2006 konnte die Bahn für das Derby noch adaequat vorbereitet werden, trotz der Drohung von Einschränkungen für den Wassergebrauch durch die Behörden. Allerdings hatte man 2006 aus zeitlichen Gründen Glück, aber in Zukunft kann das Derby-Meeting gefährdet sein. Diese Bedrohung betrifft natürlich nicht nur Epsom. Der ganze Rennsport muss sich mit potenzieller Wasserknappheit beschäftigen, und vor allem im Südosten Englands macht man sich Gedanken darüber wie die prognostizierten längeren Trockenzeiten bewältigt werden können. Im April schrieb die Vereinigung der Rennbahnen ans verantwortliche Ministerium mit der Erklärung „dass die Bewässerung der Bahnen notwendig ist und dass gegen Einschränkungen Einspruch erhoben wird“. Zu dieser Zeit war Thames Water im Begriff, den ersten Bewässerungs-Bann seit 15 Jahren auszusprechen, und Southern Water beantragte bei der Regierung bei Trockenheit eine Verfügung. Es wurde auf zwei Punkte hingewiesen, weshalb Epsom gezwungen sein würde Einspruch zu erheben. Der erste ist das Wohlbefinden des Pferdes, wegen des Einflusses auf die Pferde wegen hartem Boden. Des weiteren, wenn es ein besonders warmer Tag ist, weil man dann auch Wasser für die Pferde nach dem Rennen braucht. Weiter müsse der oekonomische Aspekt beachtet werden, wenn Rennen abgesagt werden, unter anderem wegen des Effekts auf das lokale Gewerbe und die Rennbahn selber. Seit November 2004 gab es im Einzugsgebiet der Thames nur während zwei Monaten überdurchschnittliche Niederschläge, und London hatte weniger Regen als Istanbul, Dallas and Rome. Wenn die Entwicklung des Klimas ihren Lauf nimmt, so wie ihn die Experten erwarten, dann wird sie jene Pferde begünstigen, denen der harte Boden behagt. Diese Situation bietet auch Probleme für jene Bahnen, die im Sommer Hindernisrennen durchführen wollen. Als Newton Abbot sich für Hindernisrennen im Sommer entschied, gab es Hunderttausende von Pfund aus für die Verbesserung des Bewässerungssystems. In Zukunft müssen Rennbahnen das Management der Bewässerung sehr sorgfältig vornehmen, die einer der Schlüsselfaktoren sind. Es müssen Reservoirs geschaffen werden, und beim Neubau der Bahn in Ascot wurde die Kapazität der WasserReservoirs verdreifacht (30‟000 m³). 53 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Fazit Wir haben einleitend festgestellt, dass der Zweck der Pferdebeurteilung darin besteht, Hinweise für eine möglichst lange und gute Nutzung der Tiere zu erkennen. Dieses Bestreben besteht schon seit Menschengedenken und ist nach wie vor derart wichtig, dass eine nicht mehr zu überschauende Menge an Literatur besteht. Schon vor fast 100 Jahren haben Duerst (1922) und Wrangel (1928) auf diesen Umstand hingewiesen, und heutzutage ist die Situation noch ausgeprägter. Die vorliegende Zusammenfassung kann darum unmöglich auf alle Aspekte eingehen und man möge sich bitte für Augen halten, dass für all die zu beachtenden Aspekte jeweils nur gerade zwei bis drei Artikel besprochen werden konnten. Diese Unterlagen erheben überhaupt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die ausgewählten Arbeiten dürfen nur als exemplarische Hinweise auf ein sehr weites und komplexes Gebiet verstanden werden. Es wurde vorausgesetzt, dass die Teilnehmer vertraut sind mit der traditionellen Exterieurbeurteilung, dass also klar ist was gemeint ist, wenn man bspw. von zeheneng und zehenweit spricht. Man kann nur miteinander sprechen, wenn man sich bezüglich der Definition von Begriffen einig ist. Man muss mit all diesen Bezeichnungen aber auch darum vertraut sein, wenn der Einfluss eines Exterieurmerkmals auf Verletzungen und andere Dinge beim späteren Einsatz beurteilt werden soll. Die traditionelle Pferdebeurteilung bildet also die Grundlage für das Verständnis dieser Ausführungen. Sie soll aber nicht Selbstzweck sein, sondern muss immer in Zusammenhang stehen mit der Nutzung der Pferde, die sich im Lauf der Zeit geändert hat und sehr vielfältig wurde. Gefahren für Verletzungen von Pferden - und damit die Verkürzung der Dauer ihres Einsatzes - bestehen auch seitens der Umwelt und selbst das korrekteste Pferd ist bezüglich seiner Gesundheit gefährdet, wenn es nicht sachgemäss ausgebildet, beschlagen, genutzt und eingesetzt wird. Die zeitgemässe Pferdebeurteilung muss all diese Aspekte miteinbeziehen, auch aus dem Grunde, weil deren Vernachlässigung die Resultate unserer Bemühungen verfälschen können. Wir müssen bezüglich der Umweltbedingungen auch an gesellschaftliche und oekologische Gegebenheiten denken und als Züchter natürlich vor allem an all die grossen Fortschritte in der Genetik in der heutigen Zeit. Diese Zusammenfassung befasst sich in erster Linie mit Dingen, die auf naturwissenschaftlichen und medizinischen Belangen basieren. Diese sind zwar eine eher trockene Materie mit geringem Unterhaltungswert – aber die Erfahrung hat gelehrt, dass nur dieser Zugang zu Verbesserungen auf dem Gebiet der Pferdebeurteilung führen kann. Die Förderung des Verständnis für all diese Belange ist der vornehmliche Zweck dieser Arbeit. . 54 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Zur Abwechslung was zu Ihrer Unterhaltung Wie gefällt Ihnen dieses Pferd ? Was meinen Sie zum Rücken dieses 8-jährigen Pferdes ? Und zu seinen geraden Sprunggelenken ? Antwort nächste Seite oOo Verwechsle niemals einen Züchter mit einem Manne, der lediglich das Exterieur eines Pferdes richtig beurteilen kann. Letzterer spielt sich häufig als ersterer auf. Übrigens wechselt die Ansicht des Züchters mit seinem Lebensalter. Im ersten Drittel des Lebens schwärmt er für das schöne Pferd, im zweiten Drittel für die Masse, im letzten Drittel für die Leistung. Oberlandstallmeister Groscurth Berlin (1924): Aphorismen über Pferdezucht 55 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Wie gefällt Ihnen dieses Pferd ? Bei dem auf vorhergehender Seite vorgestellten Pferd handelt es sich um Achill 1265 (8-jährig), von dem Graf von Thun-Hohenstein im Buch „Das Holsteiner Pferd“ folgendes zu schreiben weiss: Die Achill-Linie ist die letzte existierende der sechs alten Linien, zudem die einzige, die noch direkt auf einen der drei grossen Yorkshire-Stammväter zurückgeht. Diese Linie trägt das Holsteiner Springblut und wurde von der Entwicklung dazu bestimmt, innerhalb der Holsteiner Zucht das erhaltende Gerüst zu stellen. Ende des 19. Jahrhunderts sah es allerdings trübe um das Schicksal dieser Linie aus, und ihre Rettung liess sich geradezu abenteuerlich an. Begründer der Linie ist Achill 1265, der einerseits direkt auf Brillant 448 zurückgeht, anderseits einige bemerkenswerte Inzuchten aufweist. Zum Beispiel waren beide Eltern Halbgeschwister und stammten von Achill 582. Dessen eigene Mutter wiederum, Stern A 312, war ein Produkt von Vollgeschwistern. Die Anhäufung von Burlington Turk Blut innerhalb der ersten fünf Generationen ist infolgedessen beträchtlich. Da Brillant 448 über die beiden Vollblüter Harpham Turk xx 934 und 935 ebenfalls mit Burlington Turk recht nah verwandt ist, so verfügte Achill über ein selten geschlossenes und gefestigtes Blutbild. Die BrillantLinie hatte 96 Beschäler bestellt. Im Jahr 1894 war sie jedoch im verlöschen, Achill 1265 ihr letzter Vertreter. Er stand vergessen und vernachlässigt auf einer kleinen Station, nicht einmal im Kernzuchtgebiet. Es bleibt das unsterbliche Verdienst des grossen Hippologen Dr. A. de Chapeaurouge, Achill quasi aus dem Holsteiner Gestütbuch auszugraben und ihn wieder voll in das Zuchtgeschehen zu stellen. Bei der Bearbeitung der Gestütsbücher war Dr. de Chapeaurouge das bemerkenswerte Pedigree aufgefallen. In letzter Minute begann man dem bis ins hohe Alter sehr nervigen, im Temperament nicht ganz einfachen Hengst wieder bessere Stuten zuzuführen. Es war noch nicht zu spät. Mit 20 Jahren lieferte Achill „Meister“, mit 21 „Nerv“, mit 25 „Siegmund“ und schliesslich als 26-jähriger seinen besten Sohn „Tobias“. Erst mit 28 Jahren wurde Achill getötet. Er verkörperte das alte Holsteiner Blut in seiner höchsten Potenz. Bei seinem Blutaufbau nicht weiter verwunderlich, gab er die eigene hellbraune Turk-Farbe sämtlichen Nachkommen mit. Niemals fiel nach ihm ein Fuchs-, Rapp- oder dunkelbraunes Fohlen. Thormählen schildert Achill 1265 sehr treffend: „Hellbraun, geb. 1877, getötet 1905, etwa 174 cm gross, starkknochig, muskulös. Er hatte hoch aufgesetzten Hals, etwas weichen Rücken und etwas kurze Hinterrippe, eine kräftige, muskulöse Kruppe mit gut angesetztem Schweif. Sein Fundament war vorn etwas verstellt, hinten reichlich gerade im Sprunggelenk, sein Gang energisch, hoch und räumend, vorn seiner Stellung entsprechend etwas knieweit. Er war ein Hengst mit viel Nerv und robuster Gesundheit bis an sein Lebensende.“ Schub und Schwung müsse phänomenal gewesen sein. Heute blüht nur noch der Tobias-Favorit-Fanal-Zweig. Der Meister-Zweig der über Simson-Diktator-Dias-Diamant Meteors Vater „Diskus“ (1933-1947) hervorbrachte, war 1960, dem Zeitpunkt der Neuorientierung, bereits erloschen. Der erfolgreichste Vertreter des Tobias-Favorit-Zweiges ist zweifelsohne Fanal. Ein mächtiger, tiefer, starker, dabei leichtfuttriger Hengst. Über seinen wohl besten Sohn Fanatiker reicht sein Einfluss bis in die Gegenwart. Die charakteristischen Springanlagen die diese Linie auszeichnen, sind fest an die Erbmasse gekoppelt. Eine grosse Zahl von Springpferden internationaler Klasse ging vor und nach dem 2. Weltkrieg aus dieser Linie hervor. Die Namen von Egly, Friderikus, Fürstin, Winzige, Bianca, Nemo, Baden, Original Holsatia, Toni usw. mögen hier für viele stehen. 56 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Das Schicksal der Achill-Linie, das buchstäblich an einem Haar hing und praktisch in der Bibliothek eines genialen Hippologen entschieden wurde, ist einer der zahlreichen ans Wunderbare grenzenden Zufälle, an denen die Geschichte der Pferdezucht so reich ist. - Diese Geschichte findet jedoch nicht nur das Interesse von uns Schweizern, sondern darf uns sogar mit Stolz erfüllen – denn Dr. Axel de Chapeaurouge (20. Juni 1861 – 10. Dezember 1941) stammte aus einer Genfer Familie ! Gemäss Thun-Hohenstein gebührt Dr. de Chapeaurouge in der Zucht des Holsteiner Pferdes ein ganz besonderer Ehrenplatz. Diese gross angelegte Persönlichkeit, ein Humanist im wahrsten und schönsten Sinn des Wortes, war ursprünglich Humanmediziner. Aus einem alten Genfer Geschlecht, das nach Hamburg eingewandert war, verband er Kultur und Weitläufigkeit eines kultivierten Hauses mit der Gründlichkeit, Exaktheit und Konsequenz des leidenschaftlich engagierten Naturforschers. Letzteres sicherlich erleichtert durch die ererbte Clarté der frankoschweizerischen Vorfahren. Fasziniert von der Vollblutzucht und dem Werk des Grafen Georg Lehndorff begann er, sich mehr und mehr der Erforschung dieser Zucht zu widmen, die ihm als Tierzuchtzweig der Welt eine lückenlose Statistik über zwei Jahrhunderte bieten konnte. Der Gedanke der konsequenten Leistungszucht hatte ihn in seinen Bann geschlagen. Als im Jahre 1894 der Australier Bruce Lowe sein System veröffentlichte, das dann 1897 auf Veranlassung des Union-Club ins Deutsche übersetzt wurde, entschloss sich Dr. de Chapeaurouge, den zahlreichen in dem Werk auftretenden Fragen und Widersprüchen auf den Grund zu gehen. Von 1896 an führte er bis zu seinem Tode das Leben einen Privatgelehrten. Seine Mittel gestatteten ihm dies. Seine umfassende Bildung einschliesslich der Beherrschung der wichtigsten Fremdsprachen verschaffte ihm bald einen Überblick über die gesamte Vollblutzucht der Welt, wie er zu seiner Zeit nur wenigen vergönnt war. Sein Blankeneser Haus wurde bald zum Wallfahrtsort der gesamten Tierzuchtwissenschaft, da die Arbeit sehr bald den Rahmen der Vollblutzucht gesprengt hatte. Sie führte u.a. zu umfassenden Vergleichen mit den deutschen Halbblutzuchten. Die Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde hielt von 1909 bis 1914 in seinem Haus regelmässig Lehrgänge für Abstammungsforschung ab. Eine grosse Zahl von Doktoranden und bekannten Hippologen zählte sich zu seinen Schülern. Grundlegende Arbeiten wie: Gustav Rau – Blutströme der Hannoverschen Pferdezucht, Friedrich Wilhelm Ostorff – Westpreussisches Halbblut, Bruno Schmidt – Vererbungsstudien des Hauptgestüts Trakehnen, und Gustav Fehrs – das Holsteiner Marschpferd, wurden unter seiner Aufsicht hergestellt. Gustav Rau bekannte Zeit seines Lebens voll Stolz, ein Schüler Dr. de Chapeaurouges gewesen zu sein. Der Einfluss des grossen Gelehrten reichte weit. Die „Rettung“ von Achill 1265 und somit die Erhaltung der letzten heute noch existierenden alten Holsteiner Hengstlinien wurde bereits erwähnt. Sie ist allein Dr. de Chapeaurouge zu verdanken. Zahlreiche enge, persönliche Freundschaften verbanden ihn mit den führenden Hippologen seiner Zeit, darunter auch mit Georg Ahsbahs. Regelmässig nahm Dr. de Chapeaurouge an den züchterischen Veranstaltungen im Holsteiner Raum teil. Er fühlte sich mit dem Rennsport eng verwachsen, da ihm dieser unmittelbare, einwandfreie Massstäbe für züchterische Leistungen lieferte. Die Zeitmessung auf den Rennbahnen ist gleichfalls ihm zu verdanken. Unter den vielen Ehrungen seines reichen Lebens war ihm wohl die Würde eines Ehrendoktors der Phil. Fakultät Breslau, verliehen im Jahr 1923, die liebste. Selbst weder Landwirt noch Tierzüchter, verkörpert er das Schulbeispiel eines nimmermüden Geistes, der durch die Probleme der Genetik und die damit verbundenen Fragen der Leistungsvererbung in der Tierzucht unwiderstehlich angezogen wurde (Thun-Hohenstein). . 57 Verband Schweiz. Pferdezuchtorganisationen / 13.11.2010 Literaturverzeichnis Anderson T.M., McIlwraith C.W. and Douay P. (2004): The role of conformation in musculoskeletal problems in the racing Thoroughbred; Equine vet. J. 36 (7), 571-575 Anon. (1981): American Association of Equine Practitioners (AAEP) Newsletter, June, No. 2, 50-59 Back W. and Clayton H.M. (2001): Equine Locomotion; W.B.Saunders, London Brunt R. (2010): Why Champions Break Down; breeding.racing.com Buckley S. (2006): There is no excuse for poor ground conditions in the 21st century; Thoroughbred Owner & Breeder, March, p. 15 Cheney J.A., Shen C.K. and Wheat J.D. 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