PDF Islamisches Alltagsleben in Deutschland
Transcription
PDF Islamisches Alltagsleben in Deutschland
Islamisches Alltagsleben in Deutschland Thomas Lemmen und Melanie Miehl Bonn, 2001 - 110 S. Gesprächskreis Migration und Integration ISBN 3-86077-886-2 © Friedrich-Ebert-Stiftung 2 Vorbemerkung Abkürzungen Zusammenfassung Thomas Lemmen Islamische Religionsausübung in Deutschland 1. Einführung: Themenbeschreibung 1.1 Aufgabenstellung 1.2 Inhalt und Aufbau 1.3 Quellen und Literatur 2. Muslime in Deutschland – ein aktueller Überblick 3. Problemfelder islamischer Religionsausübung in Deutschland 3.1 Religionsfreiheit und ihre Grenzen 3.2 Moscheebau 3.3 Beten und Fasten an der Ausbildungs- oder Arbeitsstätte 3.4 Islamische Feste als gesetzlich anerkannte Feiertage? 3.5 Namensgebung und Namensänderung beim Übertritt zum Islam 3.6 Fragen der Beschneidung von Kindern 3.7 Islamisches im Konflikt mit zivilem Eherecht 3.8 Islamische Bestattungen in Deutschland 3.9 Probleme hinsichtlich der Speisevorschriften 3.10 Bekleidungsvorschriften in ihren Auswirkungen für Frauen 4. „Seelsorge" an Muslimen in öffentlichen Institutionen 4.1 Voraussetzungen des Grundgesetzes 4.2 Selbstverständnis der Muslime 4.3 Schlußfolgerungen 5. Lösung der Probleme durch Verleihung der Körperschaftsrechte? 3 Melanie Miehl Hauptbereiche muslimischer Religionsausübung 1. Einleitung 2. Grundsatzfragen 3. Die fünf religiösen Grundpflichten 3.1 Das Glaubensbekenntnis 3.2 Das Gebet 3.3 Das Fasten 3.4 Das Almosen 3.5 Die Wallfahrt 4. Islamische Feste 4.1 Der Kalender 4.2 Die Vielfalt der Feste 4.3 Einzelne Feste 5. Individuelle Übergangsriten 5.1 Geburt in die oder Konversion zur islamischen Gemeinde 5.2 Beschneidung 5.3 Hochzeit und Ehe 5.4 Tod und Bestattung 6. Speisevorschriften 7. Bekleidungsvorschriften Literaturverzeichnis Gerichtsentscheide Zum Autor/zur Autorin 4 Vorbemerkung Im Einwanderungsland Deutschland hat sich als Folge der Anwerbung von ausländischen Arbeitnehmern und dem Nachzug ihrer Familienangehörigen eine zahlenmäßig bedeutsame muslimische Minderheit gebildet. In der Vergangenheit hatten sie überwiegend den rechtlichen Status des „Ausländers", der u.a. bewirkte, daß ihre Interessen und Bedürfnisse nicht in angemessener Weise im öffentlichen Raum berücksichtigt wurden. Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes zeichnet sich jetzt aber die Entwicklung ab, daß sich eine muslimische Minderheit etabliert, deren Mitglieder zunehmend die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Dies wird erhebliche Auswirkungen auf ihre politische und gesellschaftliche Partizipation haben. Unabhängig von ihrem rechtlichen Status ist es eine wichtige Frage, wie sich das Selbstverständnis der Muslime in westeuropäischen Einwanderungsgesellschaften entwickeln wird. Wie gelingt es ihnen, islamische Normen und Wertvorstellungen in Einklang zu bringen mit einer westlichen, sehr stark säkularisierten, modernen Gesellschaftsordnung? Die Annäherung von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft, der Abbau von Vorurteilen und die Förderung gegenseitiger Akzeptanz sind vordringliche Aufgaben. Konflikte können nicht durch Ignoranz und Verschweigen gelöst werden. Sie erfordern vielmehr einen Dialog, ausgehend von der Darlegung der eigenen Positionen und Überlegungen. Mit der hier vorgelegten Expertise wollen wir zum einen einen Einblick in die Grundzüge des Islam, seinen rituellen Besonderheiten und den unterschiedlichen Formen der praktizierten Religionsausübung geben. Vor diesem Hintergrund sind die vielfältigen Konflikte erklärbar, die sich im Alltagsleben von Muslimen in unsere Gesellschaft ergeben. Unterschiedliche Grundwerte und moralische Anschauungen stehen sich gegenüber. Letztendlich sind dann Gerichte gefordert abzuwägen zwischen der Verwirklichung der im Grundgesetz garantierten Religionsfreiheit des einzelnen und anderen in unserer Verfassung garantierten Normen. Diese Expertise greift die unterschiedlichen Konflikte auf und analysiert sie hinsichtlich ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung. Wir hoffen, daß sie mit dazu beitragen kann, das gegenseitige Verständnis zu fördern, und Grundlagen liefert für den für unsere Gesellschaft wichtigen Dialog mit der muslimischen Minderheit. Dr. Ursula Mehrländer Leiterin des Gesprächskreises Migration und Integration Abkürzungen AsylVfG Asylverfahrensgesetz BauGB Baugesetzbuch BGB Bürgerliches Gesetzbuch BImSchG Bundesimmissionsschutzgesetz BRRG Beamtenrechtsrahmengesetz Günther Schultze Referent für Migrationspolitik 5 BSHG Bundessozialhilfegesetz BVerwG Bundesverwaltungsgericht CIBEDO Christlich-Islamische Begegnung – Dokumentationsstelle CIS-Verlag Verlag für Christlich-Islamisches Schrifttum DÖV Die Öffentliche Verwaltung DVBl. Deutsche Verwaltungsblätter FG Finanzgericht GG Grundgesetz GjS Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften HK Herder Korrespondenz InfAuslR Informationsbrief Ausländerrecht i.V.m. in Verbindung mit KirchE Entscheidungen in Kirchensachen KNA Katholische Nachrichtenagentur LAG Landesarbeitsgericht LImSchG Landesimmissionsschutzgesetz MR Moslemische Revue MSV Militärseelsorgevertrag NÄG Namensänderungsgesetz NJW Neue Juristische Wochenschrift NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NWVBl. Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht RdJB Recht der Jugend und des Bildungswesens SchulG Schulgesetz SGB Sozialgesetzbuch StVO Straßenverkehrsordnung TierSchG Tierschutzgesetz VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof WRV Weimarer Reichsverfassung ZAR Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik ZDMG Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft ZRP Zeitschrift für Religionspädagogik 6 Zusammenfassung Mit dem Anwerbestopp im Jahre 1973 verbindet sich ein entscheidender Impuls zur Veränderung der religiösen Landkarte Deutschlands. Muslimische Arbeitskräfte, die sich entscheiden, in Deutschland zu bleiben, holen ihre Ehepartner und Kinder nach. Aus Individuen werden Familien, und in den Familien drängt sich die Frage auf, wie religiöses Selbstverständnis an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden kann. Die Tatsache, daß Muslime hierzulande Wege und Mittel fanden, ihren Lebensweg in Einklang mit religiöser Weltsicht zu bringen, stellt Nichtmuslime vor die Aufgabe, diesen deutschen islamischen Alltag zu verstehen, wenn aus dem Nebeneinander ein konstruktives Miteinander der Religionen und Weltanschauungen werden soll. Dazu gilt es zunächst, die aktuelle muslimische Präsenz in Deutschland in den Blick zu nehmen. Gegenwärtig leben hier etwa drei Millionen Muslime, worunter diejenigen mit etwas mehr als zwei Millionen den größten Anteil ausmachen, die entweder selbst aus der Türkei stammen oder deren Eltern von dort hierher gekommen sind. Da aber auch arabische und andere Herkunftsländer das Spektrum bestimmen, reicht der Fokus allein auf die Türkei nicht aus. Vielmehr ist in einer grundsätzlichen Fragestellung nach den Charakteristika muslimischer Religionsausübung zu fragen. Diese konstituieren sich zunächst in Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Almosen und Wallfahrt, die jedoch nur bedingt mit dem vergleichbar sind, was die jüdisch-christliche Tradition darunter subsumiert. Des weiteren lassen sich die islamischen Feste, hier besonders Opferfest und Fest des Fastenbrechens, als Wegmarken im islamischen Jahreslauf begreifen. Das individuelle Leben wird an seinen Grenzmarken Geburt und Tod aber auch in Riten anläßlich der Beschneidung und Hochzeit vom Islam geprägt. Besonderheiten der Speisevorschriften und islamische Gebote der Bekleidung sind sichtbare Begleiter durch den islamischen Alltag. Übertragen auf die Situation in Deutschland ergeben sich fast hinsichtlich jedes der genannten Felder Probleme der kollektiven, teils auch individuellen Religionsausübung. Nahezu in allen Bereichen, angefangen beim Bau und Betrieb von Moscheen, über Beten und Fasten am Arbeitsplatz, dem Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Dienst, dem Schlachten nach islamischem Ritus, bis hin zur Frage, ob und wie muslimische Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen aussehen kann und soll, ergeben sich Konflikte. Mit dem Verweis auf das in Deutschland für alle Menschen geltende Grundrecht der Religionsfreiheit ist zu deren Lösung oft noch nichts gewonnen. Dieses Grundrecht stellt zwar ein hohes Verfassungsgut dar, muß sich aber stets am Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes messen lassen. Die Artikulation von Lebensfragen muslimischerseits läuft oft geltendem Recht zuwider, und mehr als genug Gerichte sind damit befaßt, diese Fragen zu behandeln, die eigentlich nicht im Sinne juristischer Auseinandersetzungen, sondern im Rahmen einer breiten gesellschaftlichen Debatte zu klären wären. Letztlich kann es nicht die Aufgabe von Juristen sein, zu bestimmen, was islamisch ist und wie der Islam in dieser Gesellschaft lebbar und für diese Gesellschaft 7 bereichernd und fruchtbar werden kann. Um den Anspruch der Religionsfreiheit im Konflikt mit anderen Interessen abwägen zu können, sind Muslime ihrerseits gefragt, die Sinnzusammenhänge einer religiösen Handlung darzulegen. Um so vertrackter wird die Lage dadurch, daß in Details islamischer Religionsausübung keine allgemein verbindliche Verfügung seitens einer islamischen Lehrautorität getroffen werden kann. Im Einzelfall können Muslime sich so oder so verhalten, ohne daß dies eine Rückwirkung auf die islamische community in ihrer Gänze besäße. Gleichzeitig versuchen aber immer mehr Gruppierungen, einen solchen allgemeinen Einfluß zu erlangen. Von nicht wenigen Seiten wird die Erlangung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes angestrebt und geradezu als Allheilmittel gepriesen. Aber dieser Status scheint zum gegebenen Zeitpunkt in weiter Ferne zu sein. Keine Organisation erfüllt bis dato die notwendigen Voraussetzungen, und nicht wenige Muslime halten sogar die Bemühung um solche Rechte für unislamisch und letztlich kontraproduktiv. Selbst wenn in vielen Fragen islamischer Religionsausübung die Körperschaftsrechte nicht zwingend notwendig sind, steht häufig in Frage, ob die betreffenden islamischen Organisationen den Charakter einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes tragen. In dieser Pattsituation scheint eine allgemeine Paralysierung eingetreten zu sein, die die Handlungsfähigkeit in Fragen der Religionsausübung nachhaltig hemmt. Solange diese Lähmung andauert, sind jedoch weiter die Gerichte beschäftigt, und Muslime befinden sich in der kaum akzeptablen Lage, ihre Religionsfreiheit ebendort mit jeweils ungewissem Ausgang durch die Instanzen klagen zu müssen. Solange keine grundsätzliche Entscheidung über den gesellschaftlichen Status islamischer Organisationen vorliegt, bleibt deshalb nur, die bestehende Rechtsordnung auf ihre Möglichkeiten hin zu prüfen, um vor Ort für die Menschen tätig zu werden. Wo etwa keine reguläre Anstaltsseelsorge möglich ist, müssen sonstige Wege gesucht werden, die Bedürfnisse von Muslimen in Anstalten zu berücksichtigen. Wo etwa der Widerstand der lokalen Bevölkerung gegen den lautsprecherverstärkten Gebetsruf zu stark ist, müssen muslimische Gemeinden sich fragen, ob sie im Sinne des öffentlichen Friedens nicht lieber zunächst darauf verzichten können oder zumindest eine verträgliche Lösung aushandeln können. Die Fragestellungen unterliegen jeweils den besonderen Bedingungen vor Ort, und im allgemeinen Interesse sollte es Priorität haben, sie vor Ort zu lösen. Es kann nicht darum gehen, generell alles zu verbieten oder alles zu erlauben, sondern indem vor Ort Lösungen ausgearbeitet werden, die alle gesellschaftlichen Gruppen in Kompromissbereitschaft mittragen, wird sich langfristig das soziale Klima dahingehend verbessern, daß Offenheit und Vertrauen stark und gegenseitig genug werden, um islamische Religionsausübung zu etwas ebenso Selbstverständlichem werden zu lassen wie christliche. 8 Thomas Lemmen Islamische Religionsausübung in Deutschland 1. Einführung: Themenbeschreibung 1.1 Aufgabenstellung Die Migration muslimischer Arbeitnehmer und ihrer Familien hat zu Veränderungen der religiösen Landschaft Deutschlands geführt. Der Islam ist zur drittgrößten Glaubensgemeinschaft und damit zu einem erfahrbaren Phänomen im gesellschaftlichen Leben geworden. Die Zeichen dieser veränderten Situation sind augenfällig: Über vielen Städten erheben sich Minarette, auf kommunalen Friedhöfen werden islamische Grabfelder eingerichtet, kopftuchtragende Frauen und Mädchen prägen das Bild mancher Stadtviertel - und mancher Hörsäle. Daß Musliminnen und Muslime in Deutschland leben, ist keine neue Erscheinung. Neu ist hingegen, daß ihre Anwesenheit gesellschaftspolitische Relevanz gewonnen hat und sie nicht mehr nur als Arbeiter, Exilanten oder Flüchtlinge wahrgenommen werden, sondern als Angehörige der zweitgrößten Weltreligion. Zwar reflektieren die Muslime nahezu alle Strömungen der islamischen Welt, vom Reform-Islam bis zum Islamismus, von mystischer Frömmigkeit bis zu religiöser Indifferenz, von Orthopraxie bis Häresie, eines verbindet sie jedoch: In einem nichtislamischen Umfeld versuchen sie ihren religiösen Pflichten nachzukommen. Damit setzen sie sich selbst, wie auch ihr Umfeld, einer hohen Belastungsprobe aus. Wo die Glaubenspraxis sich öffentlich artikuliert, wie beim Moscheebau oder dem öffentlichen Gebetsruf, schlägt der Protest einer verunsicherten Allgemeinheit hohe Wellen. Diffuse Ängste in der Bevölkerung - auf beiden Seiten - erschweren die sachliche Auseinandersetzung. Während die erste Glaubenswahrheit des Islams, daß es „keinen Gott außer Gott" gibt, der deutschen Mehrheitsgesellschaft aus dem jüdisch-christlichen Repertoire zumindest geläufig ist, muß sie ihre Haltung zu zahlreichen Punkten muslimischer Glaubenspraxis erst noch finden. Im Ringen darum wird sich entscheiden, ob es zu Integration oder Separation kommt. Ziel dieser Expertise soll die Bereitstellung grundsätzlicher Informationen sowie einer Situationsanalyse, die Eingrenzung der Problemfelder und die Beschreibung gangbarer Lösungswege im Hinblick auf die wesentlichen Fragen islamischen Alltagslebens in Deutschland sein. 1.2 Inhalt und Aufbau Die Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in fünf Abschnitte. Der einleitenden Themenbeschreibung folgt ein Überblick darüber, wie sich die islamische Präsenz im Einzelnen darstellt. Unter Berücksichtigung der dieser Studie nachfolgenden Darlegung der Hauptbereiche muslimischer Religionsausübung widmet sich das dritte Kapitel den konkreten Fragen muslimischen Lebens im deutschen Alltag. Auf der Grundlage der Religionsfreiheit versuchen Muslime in der „Diaspora", ihre Pflichten umzusetzen. Verschiedene religiöse Praktiken ziehen Konflikte nach sich, die in letzter Konsequenz vor Gericht ausgetragen werden, weil die 9 Betroffenen vor Ort überfordert sind. So wird die Frage nach der öffentlichen Ausrufung der Gebetszeiten zu einer Frage der Abwägung der Religionsfreiheit gegen den Lärmschutz, die des betäubungslosen Schächtens setzt die Religionsfreiheit gegen das Tierschutzgesetz. Konfliktfelder, die in erster Linie Frauen betreffen, entziehen sich tendenziell der öffentlichen Diskussion. Daß beispielsweise Musliminnen mit Repressalien rechnen müssen, wenn sie Nichtmuslime ehelichen, ist ein rechtlich schwer greifbares Phänomen. Erschwerend steht über allem, daß eine oberste Lehr- und Entscheidungsinstanz dem Islam per se fremd ist, die hiesigen Muslime aber auch über die Anerkennung lokaler Religionsgelehrter uneins sind. Die Hinwendung zu diversen Autoritäten in der islamischen Welt kann langfristig jedoch keine angemessene Konfliktbewältigung leisten. Die verschiedenen Problemfelder verdienen eine ausführliche Würdigung, um die einzelnen Fragen angemessen erörtern zu können. Das vierte Kapitel hat die Frage der „Seelsorge" an Muslimen in öffentlichen Einrichtungen als einen Sonderfall der Religionsausübung zum Gegenstand. Das letzte Kapitel soll schließlich Lösungsansätze im hiesigen Kontext darstellen. Im Vordergrund steht dabei die - nicht nur unter Muslimen - kontrovers diskutierte Frage, ob die Verleihung der Körperschaftsrechte wegweisend sein könnte. Aus der Sicht deutscher Behörden würde dies vieles vereinfachen, etwa die Erteilung islamischen Religionsunterrichtes. Die kirchenähnlichen Strukturen jedoch, die eine Körperschaft öffentlichen Rechts kennzeichnen, werden von nicht wenigen Muslimen abgelehnt. 1.3 Quellen und Literatur Die Literatur zu allgemeinen Fragen islamischer Religionsausübung ist sehr umfassend. Keine Einführung in den Islam kommt ohne eine Darstellung der religiösen Grundvollzüge islamischen Lebens aus. [Als eine von vielen grundlegenden Einführungen in den Islam sei lediglich das bis heute unübertroffen gebliebene Standardwerk von W. Montgomery Watt und Alford T. Welch genannt (Watt / Welch 1980).] In der gängigen islam- und religionswissenschaftlichen Literatur hat eine Behandlung dieser Themen im Zusammenhang der Migration von Muslimen nach Westeuropa jedoch lange Zeit keine Aufmerksamkeit gefunden. Beide Fachwissenschaften haben sich vielmehr primär mit den historischen Kerngebieten islamischer Zivilisation sowie deren Ausbreitung nach Afrika und Asien befasst. Im Mittelpunkt ihres Interesses konnten zunächst nicht die demgegenüber vergleichsweise neuen und zahlenmäßig eher unbedeutenden Erscheinungsformen islamischen Lebens in Deutschland stehen. Eine erste Auseinandersetzung damit im Zusammenhang der Migration ausländischer Arbeitnehmer ging von den beiden christlichen Kirchen aus. Die Motivation dazu ist zum einen aus der veränderten gesellschaftlichen Situation und zum anderen aus innerkirchlichen Prozessen hervorgegangen. Im katholischen Bereich markierte das Zweite Vatikanische Konzil (19621965) einen Neubeginn im Verhältnis der Kirche zu den Muslimen. Die Konzilserklärung Nostra aetate beschränkt sich nicht nur auf die Feststellung theologischer Gemeinsamkeiten und Unterschiede, sondern ruft Christen und Muslime zu einer gemeinsamen gesellschaftlichen Verantwortung für die Gestaltung der Welt auf. [Vgl. Zirker 1989, S. 38-54; Zehner 1992, S. 21-64.] Nicht weniger bedeutsam sind auf evangelischer Seite die Stellungnahmen des Ökumenischen Rates der Kirchen in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ausgehend von einem Projekt zum Dialog mit Menschen anderen Glaubens aus dem Jahre 1967 führten die auf verschiedenen Ebenen geführten Beratungen 1979 zu den Leitlinien zum Dialog mit Menschen 10 verschiedener Religionen und Ideologien. Wie das genannte Konzilsdokument auf katholischer Seite, so bezeichnen diese Leitlinien auf evangelischer Seite einen Wandel im Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen. [Vgl. ebd. S. 65-106.] Diese theologischen Grundsatzentscheidungen sind nicht ohne Auswirkungen auf die Haltung der Kirchen gegenüber den Angehörigen anderer Religionen in Deutschland geblieben. Als im Zuge der Arbeitsmigration in den sechziger und siebziger Jahren zunehmend Arbeitnehmer muslimischen Glaubens in die Bundesrepublik gelangten, begann in kirchlichen Kreisen das Bemühen um die Begegnung und Verständigung mit ihnen. Damit verbunden war auch die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Fragen islamischer Religionsausübung im deutschen Umfeld. Auf katholischer Seite entstand mit der 1978 in Köln gegründeten CIBEDO eine wichtige Informations- und Dokumentationsstelle zu Fragen des Islams in Deutschland. Die seit 1981 in Frankfurt am Main beheimatete Institution gab bis 1986 die CIBEDO Dokumentationen und CIBEDO Texte heraus, in denen erstmals grundsätzliche Informationen über die islamische Präsenz in Deutschland und über Einzelfragen der Religionsausübung zur Verfügung standen. Beide Reihen wurden von 1987 bis 1999 unter der Bezeichnung CIBEDO Beiträge zum Gespräch zwischen Christen und Muslimen fortgeführt. Mit diesen drei Reihen stellten die Herausgeber dem am Thema interessierten Personenkreis eine Fülle an Informa-tionen, Dokumentationen und wissenschaftlichen Reflexionen zur Verfügung. [Eine Übersicht der einzelnen Themen der Dokumentationen und Texte ist auf der inneren und äußeren Umschlagrückseite der letzten Ausgabe der Texte vom November 1986 zu finden. Die Abkürzung CIBEDO steht für Christlich-Islamische Begegnung Dokumentationsstelle.] Diesem Anliegen fühlt sich auch der in Altenberge bei Münster ansässige Verlag für ChristlichIslamisches Schrifttum (CIS-Verlag) verpflichtet. Der Verlag gab von 1981 bis 1989 die Zeitschrift Aktuelle Fragen heraus, die viele der damals erstmalig auftretenden Probleme islamischer Religionsausübung thematisierte. [Die damalige Diskussion um die Einführung islamischen Religionsunterrichts ist zum Beispiel in den Beiträgen von 1982 bis 1984 teilweise wiedergegeben.] Erwähnenswert sind ferner die seit 1980 in Abständen herausgegebenen Handreichungen. Sie behandeln die Fragen, die sich in verschiedenen Bereichen wie Schule, Strafvollzug, Krankenhaus und Bestattungswesen im Hinblick auf Muslime ergeben können. [Vgl. Richter 1980; Khoury / Irskens / Wanzura 1981; Wanzura 1982; Ders. 1990; Lemmen 1999a.] Auch auf evangelischer Seite war man bemüht, den veränderten gesellschaftlichen und religiösen Verhältnissen Rechnung zu tragen und durch die Herausgabe entsprechender Publikationen über die Muslime und ihr Leben zu informieren, um damit die Verständigung mit ihnen zu fördern. Das Kirchliche Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland gab 1974 eine Handreichung Moslems in der Bundesrepublik heraus, die neben grundlegenden Informationen über den Islam eine Reihe praktischer Anregungen für die Begegnung mit Muslimen in verschiedenen Lebensbereichen enthielt. Dieser ersten Schrift folgten bald weitere, die der Verlag Otto Lembeck in der Reihe Beiträge zur Ausländerarbeit (später: Interkulturelle Beiträge) veröffentlichte. Neben allgemeinen Fragen der Begegnung und des Miteinanders mit Muslimen hatten sie auch besondere Themen, wie etwa Ehen mit Muslimen, christliche und islamische Feste oder türkische Volksfrömmigkeit, zum Inhalt. [Vgl. Fingerlin / Mildenberger 1983; Micksch 1983; Mildenberger / Vöcking 1984; Haas 1986; Micksch / Mildenberger 1988; Ders. 1990.] Unter dem Titel Information Islam gaben die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands und das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland gemeinsam eine Faltblattserie aus 24 Teilen heraus, die kurz und prägnant über die unterschiedlichsten Fragen islamischen Glaubens und Lebens informierte. Die Faltblattserie lieferte die Textgrundlage für 11 das von diesen beiden Kirchen herausgegebene Taschenbuch mit dem Namen Was jeder vom Islam wissen muß, das mittlerweile in der fünften Auflage erschienen ist. [Vgl. Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands / Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1996.] Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich schließlich mit Fragen des Zusammenlebens mit Muslimen im Rahmen einer Handreichung befasst, die neben theologischen Grundsätzen die rechtlichen Rahmenbedingungen muslimischer Religionsausübung und verschiedene Einzelfragen behandelt. [Vgl. Kirchenamt der EKD 2000.] Trotz dieser beachtenswerten Fülle von Schriften zum Islam und zum Leben der Muslime in Deutschland bleibt festzuhalten, daß damit gesamtgesellschaftlich gesehen nur ein bescheidener Beitrag zum Verständnis der religiösen Grundvollzüge der Muslime geleistet werden konnte. Die Kirchen haben sich aus interreligiösen Beweggründen zu einem Zeitpunkt mit Fragen islamischen Lebens in Deutschland zu beschäftigen begonnen, als die Thematik in der breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit nicht die Rolle spielte, die sie heute hat. Die von ihnen herausgegebenen Schriften blieben trotz ihrer bisweilen beachtlichen Inhalte aufgrund der geringen Auflagen zumeist einem kleinen Leserkreis vorbehalten und fanden – bis auf das Werk Was jeder vom Islam wissen muß – keine weite Verbreitung. Daher wundert es nicht, daß die Herausgeber die meisten Reihen mittlerweile wieder eingestellt haben. Bemerkenswert bleiben jedoch die vergleichsweise vielen Beiträge muslimischer Autoren in den genannten Publikationen, denen damit zum ersten Mal die Gelegenheit geboten wurde, sich zu den entsprechenden Fragen zu äußern. [Sowohl die Publikationen von CIBEDO als auch die des CIS-Verlages enthalten zahlreiche Beiträge muslimischer Autoren.] Das Interesse an der Religionsausübung der Muslime nahm mit dem Augenblick zu, als man ihre Gemeinden und Institutionen im kommunalen Umfeld wahrzunehmen begann. Die schon seit Jahren bestehenden größeren und kleineren Moscheen fanden die Aufmerksamkeit der Stadtverwaltungen, als sie zunehmend mit ihren Anliegen an die Öffentlichkeit traten. Eine Reihe von Stadtverwaltungen gab daher Studien und Gutachten über die islamischen Gemeinden und Vereine in ihrem Zuständigkeitsbereich in Auftrag, die bisweilen sehr detailreich über die verschiedenen Facetten muslimischen Lebens Auskunft erteilen. Bisher liegen Untersuchungen aus folgenden Städten vor: Hamburg (1990), Köln (1992), Berlin (1993 / 1999), Essen (1995), Bremen (1995), München (1996), Frankfurt am Main (1996), Mannheim (1996) und Duisburg (ohne Jahr). [Vgl. Mihçiyazgan 1990; Lier 1992; Yonan 1993; Jonker / Kapphan 1999; Zentrum für Türkeistudien 1995b; Frese / Hannemann 1995; Anderson 1996; Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt am Main 1996; Beauftragter für ausländische Einwohner 1996; Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Duisburg / Stadt Duisburg o.J.] Der Wert dieser Arbeiten liegt in dem Versuch einer Darstellung der verschiedenen islamischen Organisationen und der von ihnen entfalteten religiösen Aktivitäten im jeweiligen kommunalen Zusammenhang. Sie finden in mancherlei Hinsicht eine Ergänzung durch die von Landesbehörden beim Zentrum für Türkeistudien in Auftrag gegebenen Untersuchungen für die Bundesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen. [Vgl. Zentrum für Türkeistudien 1995a; Dass. 1997. Während das zuständige Ministerium die für Hessen bestimmte Studie bald nach Erscheinen zurückgezogen hat, erlebte die Studie für Nordrhein-Westfalen mittlerweile eine dritte überarbeitete Auflage.] So kenntnisreich die Arbeiten über muslimische Gemeinschaften in bestimmten Städten oder Bundesländern auch im einzelnen sein mögen, so bleiben sie doch im wesentlichen der Beschreibung und Analyse der vorgefundenen Lebensverhältnisse verhaftet, wobei zudem 12 Fragen der kollektiven Religionsausübung im Vordergrund stehen. Demgegenüber bleiben Aspekte individueller Religiosität und die hinter den einzelnen Erscheinungen der Glaubenspraxis stehenden theologischen Zusammenhänge weitgehend unberücksichtigt. Gerade dem widmen sich jedoch eine Reihe religions- und islamwissenschaftlicher Studien der letzten Jahre. Bereits 1985 hatte der katholische Religionswissenschaftler Adel Theodor Khoury in seinem Werk Islamische Minderheiten in der Diaspora Lösungsvorschläge dargelegt, die das klassische Rechtssystem für Muslime außerhalb der islamischen Welt entwickelt hatte. Dabei stellt der Autor zunächst die Voraussetzungen des islamischen Rechts dar und überträgt sie anschließend auf verschiedene Lebensbereiche. Gemeinsam mit Ludwig Hagemann greift Khoury die Thematik in dem 1997 erschienenen Buch Dürfen Muslime auf Dauer in einem nicht-islamischen Land leben? erneut auf. Neben historischen Stellungnahmen islamischer Gelehrter zu Grundsatzund Einzelfragen enthält das Werk auch solche zeitgenössischer Gelehrter der islamischen Welt. Die Übertragung der Ergebnisse auf die hiesigen Verhältnisse bleibt der theoretischen Fragestellung der Studie verhaftet. Der Islamwissenschaftler Peter Heine legte hingegen mit seinem 1994 veröffentlichten Kulturknigge für Nichtmuslime einen konkreten Ratgeber für verschiedene Bereiche muslimischen Alltagslebens vor. Darüber hinaus geht er diesen Fragen in seinem Buch Halbmond über deutschen Dächern von 1997 mit Blick auf die besonderen Lebensverhältnisse in Deutschland nach. Eine ebenso umfangreiche Beschreibung und Bewertung islamischen Lebens in einer Fülle unterschiedlicher Aspekte unternimmt die Religionswissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann in ihrem Buch Muslime in Deutschland von 1998. Mit Recht gilt ihr Werk als die gegenwärtig umfassendste und bedeutendste Darstellung des Themas. Neben diesen neueren islam- und religionswissenschaftlichen Arbeiten dürfen nicht die mittlerweile vorliegenden Werke muslimischer Autoren übergangen werden, kann man doch von ihnen einen authentischen Zugang zu Fragen der islamischen Religionsausübung erwarten. Abgesehen von einer Vielzahl von Beiträgen in verschiedenen islamischen Zeitungen und Zeitschriften, die anlässlich aktueller Auseinandersetzungen erschienen, seien zwei nennenswerte Schriften der letzten Jahre erwähnt. 1996 legte der spätere Vorsitzende der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen e.V., Amir Zaidan, seine Einführung in die islamischen gottesdienstlichen Handlungen vor. 1998 gab der Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. das von Hasan Arikan verfasste Buch Der kurzgefaßte Ilmihal heraus, wobei es sich um ein Lehrbuch für die verschiedenen religiösen Praktiken der Muslime handelt. Die seit Anfang der neunziger Jahre in zeitlichen Abständen verstärkt auftretenden Diskussionen um einzelne Aspekte islamischer Religionsausübung zeigen jedoch die Notwendigkeit weitergehender Klärungsprozesse. Die bisweilen sehr emotional geführten Auseinandersetzungen haben auf der einen Seite eine Flut von Artikeln und Leserbriefen in der jeweiligen lokalen Presse zum Ergebnis gehabt. Andererseits sind eine Reihe von grundsätzlichen Beiträgen zu einzelnen Themen zu verzeichnen gewesen, die jedoch nicht mehr ohne eine Berücksichtigung der juristischen Dimensionen des Geschehens auskommen. [Auf die Beiträge wird im einzelnen im jeweiligen Zusammenhang eingegangen.] Der Rückgriff auf die Religionsfreiheit im Zusammenhang mit Einzelfragen der islamischen Religionsausübung führt unweigerlich dazu, die Geltung und Reichweite dieses Anspruchs zu überprüfen. Wo es zum Konflikt mit anderen Grundrechten oder dem einfachen Recht kommt, 13 ist im Sinne der praktischen Konkordanz nach einem Ausgleich der Interessen zu suchen. Gelingt diese Verständigung nicht, bleibt es den Verwaltungsgerichten überlassen, in Angelegenheiten islamischer Religionsausübung Recht zu sprechen. Allein im vergangenen Jahrzehnt ist dies in nahezu 30 Fällen in verschiedenen Instanzen der Fall gewesen. Die Gerichtsurteile sind – sofern sie zugänglich sind – eine unerlässliche Quelle für die juristische Bewertung der Zusammenhänge. [Die einzelnen Urteile kommen an den betreffenden Stellen im dritten Kapitel vor. Eine Zusammenstellung aller dem Verfasser bekannten Entscheidungen findet sich im Anhang.] Auch wenn sie die gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht ersetzen können, sind sie doch Ausdruck des Bemühens um eine Einordnung der Fragen islamischer Religionsausübung in die religionsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik. Dementsprechend finden sich auch in der juristischen Literatur zunehmend Beiträge zur in Frage stehenden Problematik. [Vgl. Loschelder 1986; Stempel 1988; Walter 1989; Schnapp / Dudda 1992; Brandhuber 1994; Muckel 1995; Ders. 1997; Otting 1997; Völpel 1997; Oebbecke 1998; Muckel 1999; Tillmanns 1999; Rohe 2000.] Nicht außer Acht bleiben dürfen schließlich die mittlerweile zahlreichen Stellungnahmen einzelner Muslime oder deren Organisationen zu den jeweiligen Fragen ihrer Religionsausübung. Sie enthalten die für die inhaltliche Auseinandersetzung unersetzlichen Begründungs- und Argumentationszusammenhänge aus muslimischer Seite. [Die für die Diskussion maßgeblichen Dokumente finden sich an den entsprechenden Stellen im Textverlauf zitiert.] Abschließend sei noch erwähnt, daß das Thema Islam in Deutschland - nach einer Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 15. Juni 1999 - Gegenstand einer großen Anfrage geworden ist, mit deren Beantwortung durch die Bundesregierung Ende des Jahres 2000 zu rechnen ist. [Vgl. CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag 1999.] 2. Muslime in Deutschland – ein aktueller Überblick Die gegenwärtige muslimische Präsenz in Deutschland ist untrennbar mit der Geschichte der Arbeitsmigration seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts verbunden. Bei den meisten der heute schätzungsweise drei Millionen Muslime handelt es sich um die einstigen Gastarbeiter oder deren Nachkommen aus der Türkei, Marokko, Tunesien und dem früheren Jugoslawien. Dennoch darf man nicht übersehen, daß die ersten Spuren muslimischen Lebens bis weit vor die Zeit der Arbeitsmigration zurückreichen. [Zu den Grundzügen islamischer Geschichte in Deutschland bis zur Arbeitsmigration: Lemmen 1999c, S. 10-32.] Die ersten dauerhaft in Deutschland lebenden Muslime waren Kriegsgefangene aus der Zeit der Türkenkriege. Grabsteine in Brake bei Lemgo von 1689 und in Hannover von 1691 sind neben Eintragungen in Kirchenbüchern und kurzen Vermerken in Chroniken die einzigen Zeugnisse dieser Epoche. Die bis heute an verschiedenen Orten erhaltenen orientalisierenden Bauwerke der beiden folgenden Jahrhunderte lassen jedoch nicht unbedingt auf die Anwesenheit von Muslimen schließen, sondern sind vielmehr Ausdruck der kulturellen Beziehungen zwischen Orient und Okzident zu jener Zeit. Auch die in der Literatur immer wieder auftauchende Behauptung einer muslimischen Gemeindegründung in Potsdam im Jahre 1731 hat sich als historisch nicht haltbar erwiesen. Demgegenüber lassen sich allerdings muslimische Soldaten in verschiedenen Truppenteilen der preußischen Armee seit dem 18. Jahrhundert nachweisen. Im Jahre 1763 wurde in Berlin eine Gesandtschaft des osmanischen Reiches eingerichtet. Aus Anlaß des Todes des dritten Gesandten, Ali Aziz Efendi, am 29. Oktober 1798 stellte der preußische König zu dessen Bestattung ein Gelände auf der Tempelhofer Feldmark zur Verfügung. [Vgl. Höpp 1996.] Die zeitgenössischen Berichte beschreiben den genauen Ablauf der Bestattung nach den 14 entsprechenden Vorschriften des islamischen Rechts. [Vgl. ebd., S. 20f.] Nach vier weiteren Bestattungen musste das Gelände 1866 einem Kasernenbau weichen. Man überführte die sterblichen Überreste der fünf osmanischen Diplomaten an eine andere Begräbnisstätte, die zum bis heute erhaltenen türkischen Friedhof am Columbiadamm wurde. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges entstanden in Wünsdorf und Zossen bei Berlin zwei Lager für muslimische Kriegsgefangene aus den alliierten Streitkräften. [Vgl. Höpp 1997.] Die 1915 im sogenannten Halbmondlager in Wünsdorf errichtete Holzmoschee war die erste muslimische Gebetsstätte auf deutschem Boden. Sowohl die Zeitungsberichte als auch die Fotoaufnahmen aus der Zeit geben einen Einblick vom religiösen Leben der kriegsgefangenen Muslime in beiden Lagern. [Vgl. Kahleyys 1998.] Während die Moschee wegen Baufälligkeit in den zwanziger Jahren abgerissen wurde – an sie erinnert heute nur noch die Moscheestraße – sind einige Grabsteine von Kriegsgefangenen auf dem früheren Soldatenfriedhof von Zehrensdorf erhalten geblieben. Das muslimische Leben in Deutschland fand eine gewisse Entfaltung in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen durch muslimische Studenten und Exilanten in Berlin und Umgebung. Die damals insgesamt knapp zweitausend Muslime organisierten sich in einer Handvoll islamischer Vereine, die sie zur Wahrnehmung ihrer religiösen Interessen gründeten. [Zu den islamischen Vereinen jener Jahre im einzelnen: Lemmen 1999c, S. 14-25] Mittelpunkt des muslimischen Lebens in Berlin wurde die 1924 von den Lahore-Ahmadis gegründete Moschee in Wilmersdorf. Sie ist trotz schwerer Beschädigung bei Kriegsende bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben. Der Begründer und langjährige Leiter der Moschee, Maulana Sadr-ud-Din, gab 1939 die erste von einem Muslim vorgenommene deutsche Koranübersetzung heraus. Streitigkeiten innerhalb der islamischen Vereine sowie deren Instrumentalisierung für politische Zwecke im Aus- und Inland beeinträchtigten das religiöse Leben der Muslime nachhaltig. Daher wundert es nicht, daß keine der von ihnen gegründeten Organisationen über den Krieg hinaus Bestand hatte. Vielmehr haben die Vereine sich selbst aufgelöst oder wurden von Amts wegen als nicht mehr bestehend gelöscht. Nach Kriegsende ging eine Wiederbelebung muslimischer Aktivitäten von der Wilmersdorfer Moschee aus, [Vgl. Hobohm 1994.] deren Bedeutung jedoch mit der Entstehung anderer Organisationen zunehmend verloren ging. Die aus Großbritannien kommenden QadianiAhmadis ließen sich in Hamburg nieder und gründeten 1955 die Ahmadiyya Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland e.V., die in verschiedenen Städten ihre Niederlassungen errichtete. In München entstand 1958 die Geistliche Verwaltung der Muslimflüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland e.V. als ein Betreuungsverein für die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen muslimischen Glaubens. Auf die Initiative iranischer Kaufleute in Hamburg und arabischer Studenten in Aachen und München ging in den sechziger Jahren die Errichtung der Islamischen Zentren in den drei Städten zurück. Damit waren eine Reihe muslimischer Institutionen entstanden, die den religiösen Zwecken der vergleichsweise wenigen Muslime in Deutschland genügten. Diese Situation änderte sich grundlegend mit der Arbeitsmigration. Durch den Abschluß von Anwerbevereinbarungen mit der Türkei (1961), Marokko (1963), Tunesien (1965) und dem früheren Jugoslawien (1968) gelangten zahlreiche muslimische Arbeitsmigranten in die Bundesrepublik. Hatten die meisten von ihnen zunächst einen vorübergehenden Aufenthalt im 15 Sinn, so entschieden sich doch viele nach der Verhängung des Anwerbestopps von 1973 für den dauerhaften Verbleib und den Nachzug der Ehepartner und Familienangehörigen. Dieses Phänomen hatte freilich nichts mit der Religionszugehörigkeit zu tun, sondern ist vielmehr bei allen Migrantengruppen jener Zeit festzustellen gewesen. Auf die Muslime bezogen zeigte sich aber, daß dieses Geschehen auch einen Wandel im Verständnis der eigenen Religion und deren Ausübung zur Folge hatte. Mit der Verfestigung des Aufenthalts ging eine Verlagerung der Erfüllung der religiösen Bedürfnisse von der Heimat ins Gastland einher. Jørgen Nielsen beschreibt diesen Prozeß zutreffend mit den folgenden Worten: „Während der ersten Phasen der Muslimimmigration waren die Zuwanderer hauptsächlich Männer, die allein und für eine begrenzte Zeit kamen. Die Tatsache, daß sie allein kamen, bedeutete, daß religiöse Erfordernisse bei der Aussiedlung minimal waren: es genügte meist, daß man beten konnte. Die Einschränkung der Religionsausübung wurde durch die Aussicht auf eine baldige Rückkehr nach Hause noch weiter an den Rand verwiesen. Die Situation veränderte sich grundlegend, als aus der Migration muslimischer Arbeiter eine Immigration muslimischer Familien wurde. Zuerst schwand das Gefühl, der Aufenthalt sei zeitlich begrenzt. Nun rechnete man mit Dauer. Dann führte die Anwesenheit von Frauen und Kindern zu intensiven Kontakten zu der Gesellschaft, in der sie lebten … . Als Folge wurden große Bereiche der traditionellen Kulturen in Frage gestellt. So ergab sich die Notwendigkeit, Institutionen einzurichten, entweder zur Unterstützung der alten Traditionen oder um Spannungen zu mildern." [Nielsen 1995, S. 153.] Nicht von ungefähr setzte daher zeitgleich mit dem Anwerbestopp die Bildung islamischer Vereine und Verbände in größerem Umfang ein. [Zu den islamischen Organisationen: Lemmen 2000a.] Als älteste Organisationen, die zahlreiche Moscheen im Bundesgebiet betreiben, entstand 1973 der heutige Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ) und 1976 die Vorgängerin der späteren Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG). Die größte islamische Organisation im Bundesgebiet wurde die 1984 gegründete Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DÝTÝB). Das Erscheinungsbild des organisierten Islams in Deutschland prägen seit jenen Jahren die großen türkisch-islamischen Verbände, die allesamt europaweit verbreitet sind und sich unterschiedlichen religiös-politischen Kräften in der Türkei zuordnen lassen. Hinzu kommen die zahlenmäßig weitaus kleineren Organisationen anderer ethnischer Gruppen, die als Arbeitnehmer, Studenten oder Flüchtlinge in Deutschland leben. Außer den iranischen Kaufleuten, den arabischen Studenten und den türkischen Arbeitsmigranten gelangten seit Mitte der siebziger Jahre zahlreiche muslimische Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge nach Deutschland, von denen viele ebenfalls auf Dauer geblieben sind. [Hauptherkunftsländer sind der Libanon (seit 1975), der Iran (seit 1979), Afghanistan (seit 1979), BosnienHerzegowina (seit 1992) und der Kosovo (seit 1999).] Die Vielfalt muslimischen Lebens in ethnischer, religiöser, sozialer und politischer Hinsicht spiegelt sich in der Vielfalt verschiedener Vereine und Verbände wider. Da die Zugehörigkeit zum Islam in den meisten Fällen nicht deckungsgleich mit der Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation ist, läßt sich der Organisationsgrad aller Muslime in Deutschland oder jener einzelner Verbände nur schwer feststellen. Sowohl Eigenangaben als auch Schätzungen sind daher genau nach den Kriterien zu befragen, die dem Begriff der Mitgliedschaft zugrunde liegen. [Es ist zu unterscheiden, ob mit „Mitgliedern" die eingetragenen Mitglieder eines Vereins oder die regelmäßigen Besucher einer Moschee ohne oder mit ihren Familienangehörigen oder lediglich die Personen im weiteren Umfeld einer religiösen Einrichtung gemeint sind (Lemmen 2000a, S. 28).] Diese Fragen sind von Relevanz, soll darüber befunden werden, wer in Fragen muslimischer Religionsausübung auf Seiten der Muslime repräsentativer Ansprechpartner sein kann. So wenig 16 wie ein Verband für sich in Anspruch nehmen kann, alle Muslime vertreten zu können, so wenig darf man ihn als Ansprechpartner außer Acht lassen, nur weil dies nicht der Fall ist. Vielmehr ist darauf abzuheben, die verschiedenen Verbände als Vertretungsorgane der in ihnen organisierten Personen zu betrachten. Dies erfordert allerdings wahrzunehmen, daß Muslime in Deutschland ein weitaus differenzierteres Bild von sich abgeben, als man dies landläufig zu beobachten glaubt. Dazu gehört auch die Erkenntnis, daß derzeit keine exakten statistischen Daten über die Gesamtzahl der Muslime in Deutschland bekannt sind. Die Ursachen dafür liegen zum einen in der äußeren Wahrnehmung und zum anderen im Selbstverständnis der Muslime. So erfassen die Einwohnermeldeämter die Muslime bisher unter der Kategorie Verschiedene. Sofern sie Ausländer sind, werden sie unter ihrer Staats-, jedoch nicht unter ihrer Religionszugehörigkeit geführt. Demnach lassen sich keine genauen Zahlen der in Deutschland lebenden Muslime ermitteln. Zusätzlich ist die Frage der Zugehörigkeit zum Islam aus der Sicht der Muslime nicht in jedem Fall zweifelsfrei geklärt. So halten viele Muslime die aus Pakistan stammenden Ahmadis und die hauptsächlich in der Türkei verbreiteten Aleviten als nicht mehr zur islamischen Gemeinschaft zugehörend, obwohl diese sich selbst als Muslime betrachten. [Diese Auffassung vertritt beispielsweise die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V. in einer Stellungnahme zu Aleviten und Ahmadis (Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V., o.J., S. 5).] Diese unterschiedliche Einschätzung des Muslimseins führt unweigerlich dazu, daß sich die Angaben über die Zugehörigkeit zur islamischen Gemeinschaft je nach Standpunkt voneinander unterscheiden. Da die Trennungslinien von außen schwer zu erkennen sind und einem Nichtmuslim ein solches Urteil wohl auch nicht zukommen kann, läßt sich nur schwer feststellen, wer noch zum Islam gehört und wer nicht mehr. Ein wichtiges statistisches Ergebnis lieferte die Volkszählung vom 25. Mai 1987, die bei der Religionszugehörigkeit der Bevölkerung bisher einmalig auch die Muslime berücksichtigte. Auf der Grundlage eigener Angaben erbrachte sie die Gesamtzahl von 1.650.952 Muslimen in den alten Bundesländern, was damals einem Bevölkerungsanteil von 2,70% entsprach. Der überwiegende Teil von ihnen (1.602.986 = 97,09%) besaß eine ausländische Staatsangehörigkeit, während nur eine kleine Minderheit (47.966 = 2,91%) deutsche Staatsbürger waren. [Zu den Ergebnissen der Volkszählung: Statistisches Bundesamt 1990, S. 20-43.] Diese Zahlen sind die bislang einzigen sicheren statistischen Angaben, die jedoch mittlerweile weit überholt sind. Angesichts der bereits genannten Hindernisse, lassen sich neuere Angaben nur im Rückgriff auf die Zahlen der Hauptherkunftsländer der ausländischen Muslime gewinnen. Diese Methode kann jedoch nur annähernd genaue Ergebnisse erzielen, da sie weder die nichtmuslimischen Minderheiten der Länder mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit noch die muslimischen Minderheiten anderer Länder, noch die eingebürgerten deutschen Muslime berücksichtigt. [Gegenwärtig ist in Deutschland mit insgesamt 65.000 orientalischen Christen aus der Türkei und anderen Staaten zu rechnen (Rothe 1995). Über die Zahl der Juden, Hindus, Sikhs und Bahá’ís aus diesen Ländern sind dem Verfasser keine Angaben bekannt. Unter die zweite Kategorie fallen die Muslime aus Indien, der Russischen Föderation und verschiedenen afrikanischen Staaten, über die ebenfalls keine genauen Zahlen vorliegen. Lag die Zahl der deutschen Muslime 1987 bei insgesamt 47.966 Personen, so hat sie seither durch Einbürgerungen stark zugenommen. Allein 1998 erwarben 53.696 Türken, 4.971 Marokkaner, 3.469 Bosnier, 1.822 Tunesier, 1.692 Libanesen und 1.186 Pakistanis die deutsche Staatsbürgerschaft (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2000, S. 34).] 17 Unter Berücksichtigung dieser Ungenauigkeiten lassen sich folgende Zahlen für die wichtigsten Herkunftsländer nennen (Stand: 31. Dezember 1999) [Vgl. ebd., S. 23.]: Türkei 2.053.564 Bosnien-Herzegowina 167.690 Iran 116.446 Marokko 81.450 Afghanistan 71.955 Libanon 54.063 Darüber hinaus lassen sich für eine Reihe weiterer Länder folgende Zahlen ermitteln (Stand: 31. Dezember 1995) [Die Zahlenangaben sind den jeweiligen Länderartikeln entnommen aus: Schmalz-Jacobsen / Hansen 1997.]: Ägypten 13.455 Kirgisien 1.662 Albanien 10.528 Libyen 1.898 Algerien 17.705 Malaysia 3.084 Aserbaidschan 1.399 Pakistan 36.924 Bangladesch 7.156 Senegal 2.509 Gambia 2.371 Somalia 8.248 Guinea 1.287 Sudan 4.615 Indonesien 9.470 Syrien 19.055 Irak 16.745 Tunesien 26.396 Jemen 1.083 Usbekistan 1.249 Jordanien 12.249 Über die Gesamtzahl der deutschen Muslime herrscht weitgehend Unklarheit. Abgesehen von den 47.966 Personen bei der Volkszählung von 1987 wird die Zahl der Einbürgerungen von Ausländern aus Staaten mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit seither mit etwa 344.000 Personen beziffert. [Mitteilung des Bundesministeriums des Inneren vom 28. Juni 2000.] Dabei ist jedoch davon auszugehen, daß ein Teil von ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, wodurch es zu Doppelzählungen kommen kann. Keine überprüfbaren Zahlen liegen hingegen über die zum Islam konvertierten deutschen Staatsbürger vor. [Das Zentralinstitut IslamArchiv-Deutschland e.V. gibt die Zahl der deutschstämmigen Muslime Anfang des Jahres 2000 mit insgesamt 10.900 Personen an (Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland e.V. 2000, S. 115).] Alles in allem betrachtet läßt sich die Gesamtzahl der Muslime auf derzeit 3 Millionen schätzen. 18 Aufgrund der unterschiedlich verlaufenen Migrationsprozesse in alten und neuen Bundesländern ist davon auszugehen, daß sich der überwiegende Teil von ihnen im Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik aufhält. Die Zahl der Muslime in den neuen Bundesländern bezifferte Peter Schütt Anfang des Jahres 2000 mit insgesamt 60.000. [Vgl. Schütt 2000.] Wie die absoluten Angaben über die Muslime weitgehend auf Schätzungen beruhen, so müssen auch alle weitergehenden Differenzierungen mit diesem Dilemma auskommen. Weltweit betrachtet sind rund 90% aller Muslime Sunniten, etwa 9% Schiiten und der Rest Angehörige anderer Gruppen. [Auf eine Darstellung der verschiedenen Richtungen innerhalb des Islams muß verzichtet werden. Einige Verweise auf weiterführende Literatur mögen genügen: Halm 1988; Ahmed 1990; Kehl-Bodrogi 1993; Elsas 1994; Radtke 1996; Ende 1996; Schmucker 1996; Steinbach 1996, S. 373-386.] Diese grobe Aufteilung paßt jedoch nicht auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Da vergleichsweise viele Türken der alevitischen Ausprägung des Islams zuzurechnen sind, liegt der Anteil der Sunniten in Deutschland bei nur etwa 80%. Der weitaus größte Teil von ihnen gehört der in der Türkei, Bosnien-Herzegowina, Afghanistan und Pakistan verbreiteten hanafitischen Rechtsschule an. Daneben finden sich jedoch auch Minderheiten der drei anderen Rechtsschulen. Unter den Schiiten dominiert auch in Deutschland die weltweit vorherrschende Richtung der Zwölferschiiten. Ihre Zahl liegt bei insgesamt 125.000 Personen, die hauptsächlich aus dem Iran stammen. [Vgl. Spuler-Stegemann 1998, S. 42.] Daneben sind der Libanon, die Türkei und Afghanistan ihre Heimatländer. Da Sunniten und Schiiten in Fragen ihrer Religionsausübung nur geringfügig voneinander abweichen, braucht im Folgenden nicht zwischen beiden Hauptrichtungen des Islams unterschieden zu werden. Mit insgesamt 400.000 Anhängern stellen die aus der Türkei stammenden Aleviten eindeutig die zweitgrößte islamische Gruppierung in Deutschland dar. [Vgl. ebd., S. 51.] Bei ihnen handelt es sich um eine Sondergruppe, die sich in Fragen der Religionsausübung in erheblichem Umfang von Sunniten und Schiiten unterscheidet. Da sie sich weder an die fünf religiösen Grundpflichten der Muslime noch an die Verpflichtungen des islamischen Rechts gebunden fühlen, sondern statt dessen ihre eigenen religiösen Vorschriften und Rituale entwickelt haben, treffen viele der im Folgenden behandelten Fragen muslimischer Religionsausübung nicht auf sie zu. Es ist daher geraten, ihre besonderen religiösen Verpflichtungen und Praktiken eigens zu betrachten, was in diesem Zusammenhang jedoch nur andeutungsweise der Fall sein kann. Als letzte religiöse Gruppierung sind noch die Ahmadis zu nennen, die die Zahl ihrer Anhänger in Deutschland mit 60.000 Personen angeben. [Vgl. Becker 1996.] Aufgrund der herausragenden Bedeutung ihres Stifters, Mirza Ghulam Ahmad (1835-1908), den die Mehrheit der Ahmadis als Propheten (Qadianis), die Minderheit hingegen als Erneuerer des Islams (Lahoris) betrachtet, stellen sie sich aus der Sicht vieler Muslime in Widerspruch mit der im Koran verbürgten Vorstellung von der Finalität der Sendung Muhammads (Sure 33:40). In Fragen ihrer Religionsausübung unterscheiden sie sich jedoch nicht wesentlich von Sunniten und Schiiten. Auf die ihnen gegenüber vorgenommenen Ausgrenzungen haben sie ihrerseits mit entsprechenden Maßnahmen reagiert. [Durch Beschluß des pakistanischen Parlaments von 1974 gelten Ahmadis als nichtislamische Minderheit. Demzufolge dürfen sie sich dort nicht als Muslime bezeichnen, ihre Gebetsstätten nicht Moscheen nennen, den Gebetsruf nicht ausrufen und vieles mehr. Umgekehrt erlauben Ahmadis 19 ihren Mitglieder nicht, an Gebeten teilzunehmen, denen Nichtahmadis vorstehen, und ihren Frauen gestatten sie nicht, einen Nichtahmadi zu heiraten (Ahmed 1975; Ders. 1980).] 3. Problemfelder islamischer Religionsausübung in Deutschland 3.1 Religionsfreiheit und ihre Grenzen Das Grundgesetz bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen sich alle in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen religiös zu betätigen vermögen. Dieser Rahmen ist allen Menschen unabhängig vom Geschlecht oder Alter, von Herkunft oder Staatsangehörigkeit und von der konkreten Religionszugehörigkeit als Grund- und Menschenrecht gemeinsam. Dabei schützt das Grundgesetz nicht nur die Freiheit des religiösen Bekenntnisses (Art. 4 Abs. 1), sondern auch der Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2). [Wörtlich lauten die beiden Artikel: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet."] Somit erstreckt sich sein Schutz sowohl auf die Zugehörigkeit zu einer Religion, als auch auf deren Ausübung. Die Religionsfreiheit ist demnach als ein Grundrecht mit umfassender Bedeutung zu verstehen. Nach Stefan Muckel herrscht weithin Einigkeit darüber, in den beiden Artikeln „ein einheitliches Grundrecht der ‚Glaubens- und Gewissensfreiheit’ zu sehen, welches ein weitreichendes Recht auf ein glaubensgeleitetes Leben gewährleisten soll. Dem Selbstverständnis des einzelnen oder einer Gemeinschaft wird entscheidende Bedeutung für die Frage beigemessen, ob ein bestimmtes Verhalten als Ausübung von Religion oder Weltanschauung dem Schutzbereich der Religionsfreiheit unterfällt." [Muckel 1999, S. 241f.] Dennoch ist die Religionsfreiheit kein Recht von grenzenloser Reichweite und absolutem Rang. Ihre Grenzen vermag man vielmehr in zweierlei Hinsicht abzustecken. Unumstritten ist die Auffassung, daß ihre Schranken dort gesetzt sind, wo sie auf „mit Verfassungsrang ausgestattete Gemeinschaftsinteressen oder Grundrechte Dritter" [Zitiert nach: Ebd.] trifft. Die durch das Grundgesetz ebenfalls geschützten Rechte anderer Personen oder die Interessen der Gemeinschaft von gleichem Rang begrenzen somit die Religionsfreiheit. In Rechtsprechung und Literatur ist hingegen umstritten, ob darüber hinaus die allgemeinen Gesetze eine Einschränkung der Religionsfreiheit rechtfertigen. [Die Diskussion hierüber kann in diesem Zusammenhang nicht geführt werden. Darum wissend hat der Verfasser entschieden, sich der Auffassung von Stefan Muckel zu dieser Frage anzuschließen (Ebd., S. 253-256).] Diese Auffassung erschließt sich aus der Anwendung von Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV, wonach die „bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten … durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt" werden. Da zu den staatsbürgerlichen Pflichten auch die Befolgung von Gesetzen gehört, hat die Religionsausübung demnach in deren Rahmen zu geschehen. Folgt man dieser Position, ergibt sich daraus eine Begrenzung der Religionsfreiheit durch die allgemeinen Gesetze. Mit den allgemeinen Gesetzen sind dabei diejenigen staatlichen Normen gemeint, „die sich nicht gegen Glauben, Bekenntnis und Religionsausübung als solche wenden, die also kein ‚Sonderrecht’ gegen die Religionsfreiheit enthalten und deshalb ‚allgemein’ sind." [Ebd., S. 254.] Der aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommene Artikel begründet damit einen Vorbehalt zugunsten der allgemeinen Gesetze. Die in ihnen geschützten Belange hebt dieser 20 Gesetzesvorbehalt auf die verfassungsrechtliche Ebene des Grundrechtes, was folgerichtig eine Einschränkung der Religionsfreiheit zur Konsequenz haben kann. Demnach liegen Konflikte zwischen dem Anspruch auf Religionsfreiheit und der Geltung der durch einfaches Recht geschützten Belange auf einer vergleichbaren Ebene. Sie sind dabei nicht durch den Vorrang des Grundrechts gegenüber dem allgemeinen Recht zu lösen. Vielmehr ist auf der Grundlage der sogenannten „praktischen Konkordanz" [„Die Maxime der praktischen Konkordanz verlangt nach einer Lösung, die beiden Belangen, dem Grundrecht und dem gegenläufigen, im einschränkenden Gesetz zum Ausdruck kommenden Interesse, in größtmöglichem Umfang Rechnung trägt. Beide Belange sollen sich möglichst weitgehend durchsetzen, beide müssen aber auch Einschränkungen hinnehmen" (Ebd., S. 255f.).] nach einem Ausgleich zwischen den miteinander streitenden Ansprüchen zu suchen. Dieser Ansatz beruht im wesentlichen darauf, dem Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Vorrang gegenüber Art. 136 Abs. 1 WRV einzuräumen, sondern beide Regelungen in einem sich ergänzenden Zusammenhang zu verstehen. Für dieses Verständnis spricht die Tatsache, daß die inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung zusammen mit dem Grundgesetz eine Einheit bilden. Der Gesetzesvorbehalt aus Art. 136 Abs. 1 WRV ist daher als korrespondierende Regelung zum Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu betrachten. Die Religionsausübung findet daher im Rahmen der öffentlichen Ordnung ihre Verwirklichung. [Stefan Muckel zitiert in diesem Zusammenhang Joseph Listl, der darüber einen Konsens sieht, „daß die beiden staatskirchenrechtlich relevanten Normen des Art. 4 und des Art. 140 GG ungeachtet ihrer räumlichen Trennung so zu lesen sind, als ob sie auch äußerlich, und zwar im Rahmen des 1. Abschnitts, ineinandergefügt wären" (Ebd., S. 254 Anm. 78).] Die bisherigen Überlegungen sind abschließend auf die grundsätzlichen Fragen im Zusammenhang islamischer Religionsausübung zu übertragen. Außerhalb jeder Diskussion steht zunächst die Tatsache, daß es sich beim Islam um eine Religion im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG handelt. Die aus seinem Selbstverständnis hervorgehenden Ausdrucksformen der Religionsausübung stehen daher prinzipiell unter dem Schutz des Grundgesetzes. Dabei ist unerheblich, ob die sich darauf berufenden Muslime ausländischer oder deutscher Staatsangehörigkeit sind. Die Geltung der Religionsfreiheit als Grundrecht ist unabhängig vom Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. Nicht zulässig ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit der rechtlichen Situation christlicher Minderheiten in islamischen Ländern. Man kann die Gewährung der Religionsfreiheit nicht von einer gegenseitigen Anerkennung dieses Rechts abhängig machen. Die Grundlage islamischer Religionsausübung in Deutschland kann allein das Grundgesetz und nicht die als ungerecht empfundene Rechtsordnung eines anderen Staates sein. [Über die Situation christlicher Minderheiten u.a. in islamischen Ländern informiert eine entsprechende Bundestagsdrucksache (Deutscher Bundestag 1999).] Dieser Grundsatz hat umgekehrt zur Konsequenz, daß Muslime sich in Fragen ihrer Religionsausübung nicht auf das Recht eines anderen Staates, sondern allein auf das Grundgesetz berufen können. Für sie kann daher nicht rechtlich maßgeblich sein, was im Heimatland erlaubt und möglich, sondern allein, was im Rahmen des Grundgesetzes zulässig ist. Eine erste Einschränkung der prinzipiell weitreichenden Religionsfreiheit kann sich durch Gemeinschaftsinteressen oder Grundrechte Dritter ergeben. Dabei ist sowohl an die im Grundgesetz vorgegebene Trennung von Religion und Staat als auch an die anderen ausdrücklich genannten Grundrechte zu denken. Eine Berufung auf religiöse Motive vermag eine Veränderung der bestehenden Grundordnung der Bundesrepublik nicht zu rechtfertigen. Neben 21 dieser grundsätzlichen Frage spielen vor allem Einzelfragen der Religionsausübung eine Rolle: Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), die negative Religionsfreiheit [Zur Religionsfreiheit gehört auch die Freiheit von der Religion und deren Ausübung.] (Art. 4 Abs. 1 GG) oder der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) können die Religionsfreiheit grundsätzlich einschränken. In den in Frage kommenden Angelegenheiten, wie beispielsweise der Beschneidung von Kindern, dem Tragen des Kopftuchs im Unterricht oder der Befreiung vom Sportunterricht, sind daher die Grundrechte der einen gegen die der anderen sorgfältig abzuwägen, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Die Anwendung des genannten Gesetzesvorbehalts kann schließlich eine zusätzliche und weiterreichende Einschränkung der Religionsfreiheit bewirken. Der Verweis auf den Vorrang des Grundrechts gegenüber den allgemeinen Gesetzen führt unweigerlich dazu, daß die durch einfaches Recht geschützten Belange regelmäßig hinter dem Anspruch auf Religionsfreiheit zurückstehen müssen. Dadurch werden in Fragen der Religionsausübung regelmäßig Ausnahmezustände geschaffen, die auf Dauer schwerlich eine gesellschaftliche Akzeptanz finden können. [Stefan Muckel macht mit Recht darauf aufmerksam, daß Bemühungen um eine Integration der bisweilen mehrheitlich ausländischen Muslime beeinträchtigt werden können, wenn der Eindruck eines „Sonderrechts" in ihren religiösen Anliegen entsteht (Ders. 1999, S. 256f.).] Eine Berücksichtigung der durch allgemeine Gesetze geregelten Belange erlaubt hingegen eine umfassende Betrachtung der in Frage stehenden religiösen Angelegenheiten. Um die Religionsfreiheit jedoch nicht von vornherein zu begrenzen, ist allerdings in jedem Fall sehr sorgfältig danach zu fragen, ob und in welchem Umfang das einfache Recht eine Begrenzung des religiösen Handelns erlaubt. Im Sinne der „praktischen Konkordanz" ist dabei nach einem Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Interessen zu suchen. Auf Angelegenheiten islamischer Religionsausübung angewandt bedeutet dies, daß beispielsweise in der Frage des Gebetsrufes die Immissionsschutzgesetze und in der des Schächtens das Tierschutzgesetz eine einschränkende Wirkung zeigen können. Auf dem Hintergrund ihres Schutzanspruchs ist zu fragen, ob eine Einschränkung der Religionsfreiheit zulässig und in welcher Weise eine Lösung des Interessenkonflikts möglich ist. 3.2 Moscheebau 3.2.1 Trägerschaft Die Gesamtzahl der gegenwärtig in Deutschland bestehenden islamischen Gebetsstätten liegt schätzungsweise bei 2.200. [Vgl. Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland e.V. 2000, S. 116. Zur Bedeutung und zur Funktion einer Moschee: Lemmen 2000a, S. 21-25.] Die meisten von ihnen sind nach wie vor der Kategorie der sogenannten „Hinterhofmoscheen" zuzuordnen. Damit sind die unscheinbaren Gebetsstätten gemeint, die ihre Benutzer in gemieteten und umgebauten Häusern oder Hallen eingerichtet haben und die oftmals von außen nicht als religiöse Einrichtungen zu erkennen sind. Sie befinden sich in Hinterhöfen oder Gewerbegebieten und fallen nur durch die zahlreichen Besucher am Freitagmittag oder an den Abenden der Fastenzeit auf. Moscheen im klassisch orientalischen Stil gab es in Deutschland lange Zeit nur sehr wenige. Zu ihnen gehören die Wilmersdorfer Moschee (1924), die Imam Ali Moschee in Hamburg (1961), die Bilal Moschee in Aachen (1964) und das Islamische Zentrum 22 in München (1967). Dieses Bild hat sich jedoch in den letzten Jahren erheblich verändert, seitdem Muslime mit dem Bau repräsentativer Moscheen in Deutschland begonnen haben. Seit etwa Ende der achtziger Jahre werden zunehmend neue Moscheen mit Kuppeln und Minaretten gebaut. Derzeit soll es insgesamt 66 solcher Bauwerke geben. [Vgl. Zentralinstitut Islam-ArchivDeutschland e.V. 2000, S. 116. Dem Verfasser sind Neubauten in den folgenden Städten bekannt: Augsburg, Baesweiler, Bergheim, Berlin, Böbingen, Dillenburg, Dortmund, Duisburg, Frankfurt am Main, Hamburg, Hamm, Hilden, Iserlohn, Karlstadt, Köln, Lauingen, Mannheim, Marl, Mosbach, Neuss, Pforzheim, Siegen, Werl, Wesseling. Diese Aufzählung erhebt jedoch in keiner Weise den Anspruch auf Vollständigkeit.] Gleichzeitig sind schon bestehende Gebetsstätten umgebaut worden, indem man auf das Dach eine Kuppel gesetzt oder dem Gebäude ein Minarett hinzugefügt hat. [In Alsdorf befindet sich seit einigen Jahren eine Moschee in einem ehemaligen Bahnhofsgebäude, dessen Dach man nunmehr um eine kleine Kuppel erweitert. Die Moschee in Grevenbroich ist in einer ehemaligen Werkshalle eingerichtet, vor die ein kleines Minarett gebaut wurde. Kuppel und Minarett der Moschee in Troisdorf sind schon von weitem zu erkennen. Bei näherem Hinsehen kann man feststellen, daß beide lediglich auf ein relativ kleines Haus aufgesetzt sind.] Diese fortschreitende Bautätigkeit macht einen Wandel im Bewußtsein der Muslime deutlich. Hatten ihre Gebetsstätten bislang einen provisorischen Charakter, so versinnbildlichen die Neuund Umbauten den Willen, in dieser Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes heimisch zu werden. Die Bauherrn oder Träger der Moscheen sind in der Regel islamische Gemeinden in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Seit Anfang der siebziger Jahre haben die nach Deutschland eingewanderten Muslime begonnen, sich zur Erfüllung ihrer religiösen Verpflichtungen zusammenzuschließen. [Zum islamischen Organisationswesen insgesamt: Lemmen 2000a.] Die meisten der mittlerweile entstandenen islamischen Vereine existieren jedoch nicht für sich alleine, sondern gehören zu in ganz Deutschland und Europa verbreiteten Verbänden. Die Verbände selbst lassen sich auf entsprechende Organisationen in den Heimatländern zurückführen, zu denen nach wie vor Verbindungen bestehen. Der Bau einer Moschee ist daher über die einzelne islamische Gemeinde hinaus im Zusammenhang mit dem Verband zu betrachten, dem sie angehört. Dabei sind allerdings signifikante Unterschiede in den Organisationsstrukturen der Verbände zu berücksichtigen. Der Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ) ist beispielsweise zentralistisch strukturiert. Seine mehr als 300 Niederlassungen im Bundesgebiet sind allesamt Zweigstellen des Verbandes, der nur an seinem Hauptsitz in Köln als eingetragener Verein existiert. Bei Bauvorhaben des VIKZ tritt daher rechtlich gesehen der Verband als Bauherr in Erscheinung und nicht die Ortsgemeinde. Demgegenüber ist die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) dezentralistisch aufgebaut. Ihre mehr als 770 Ortsvereine sind alle rechtlich selbständig und haben eine Mitgliedschaft im Verband mit Sitz in Köln erworben. Demnach sind auch die jeweiligen DITIB-Vereine stets Träger ihrer örtlichen Bauvorhaben. Das Verhältnis des Ortsvereins zum Verband, wie es in den Satzungen zum Ausdruck kommt, ermöglicht der DITIB jedoch die Mitwirkung bei Bauvorhaben. Ihre Aufgabe besteht nämlich unter anderem darin, ihre Mitgliedsvereine bei der Schaffung religiöser Einrichtungen zu unterstützen. [Vgl. § 2 Abs. 1+2 der Vereinssatzung.] Umgekehrt können die Mitgliedsvereine ihre Grundstücke dem Verband überschreiben, dem außerdem im Auflösungsfall das Vereinsvermögen zufällt. [Vgl. §§ 5+18 der Mustersatzung der DITIBVereine.] 23 Ungeachtet der Eigenständigkeit der Ortsvereine hat der Verband - und damit der türkische Staat - weitreichende Kompetenzen in ihren Angelegenheiten. Schwieriger sind die Verhältnisse hingegen beim zweitgrößten islamischen Verband in Deutschland, der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG), zu beschreiben. Die Struktur der IGMG läßt sich als eine Kombination zentralistischer, dezentralistischer und föderativer Elemente beschreiben. Neben abhängigen Ortsvereinen gehören eigenständige Vereine und Föderationen auf Landesebene zur IGMG mit offiziellem Sitz in Bonn. Seit der Neuorganisation des Verbandes in den Jahren 1994/95 ist zudem die Europäische Moscheebau und -unterstützungs Gemeinschaft e.V. (EMUG) mit Sitz in Köln für die Verwaltung seiner zahlreichen Immobilien zuständig. Der insgesamt gesehen sehr komplizierte Aufbau der IGMG erlaubt daher keine grundsätzlichen Aussagen über die Zuständigkeit bei bestimmten Bauprojekten. Feststellen läßt sich allerdings eine direkte Zuständigkeit der Zentrale in Köln/Bonn bei allen Vereinen, die in ihrem Namen die Bezeichnung AMGT/IGMG-Ortsverein führen. [Die IGMG trug bis zur Neuorganisation von 1994/95 den Namen Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V. (AMGT). Die AMGT/IGMG-Ortsvereine sind in ihrer Eigenständigkeit erheblich eingeschränkt. So können ihre vom Vorstand des Verbands berufenen Vorstände bestimmte Rechtsgeschäfte nur mit dessen Zustimmung vornehmen. Vgl. § 11 der Mustersatzung der Ortsvereine.] Mittlerweile gibt es mancherorts Vereine, die keinem der großen islamischen Verbände angehören, sondern mit dem Anspruch auftreten, unabhängig zu sein. Dabei handelt es sich um Vereine, die sich entweder aus Angehörigen verschiedener Nationalitäten zusammensetzen oder die sich zur Verwirklichung ihrer Aufgaben bewußt außerhalb der Verbände stellen, um sich dadurch der Einflußnahme von Organisationen aus den Heimatländern zu entziehen. [Ein Beispiel dafür ist der 1997 gegründete Multinationale Bildungs- und Kulturverein e.V. (MBK), der sich um die Schaffung einer Moschee für die Muslime in Köln-Chorweiler bemüht. Der MBK ist durch eine eigene Website im Internet vertreten (http://members.aol.com/MBKeV/welcome.html).] Diese Versuche haben nur dann Bestand, wenn es den Verantwortlichen gelingt, die religiösen Interessen der Mitglieder gegen die Konkurrenz der Verbände zu verwirklichen. 3.2.2 Standort und Genehmigungsverfahren Das Bekanntwerden des Vorhabens, eine Moschee zu bauen, löst regelmäßig in der deutschen Öffentlichkeit einen Sturm des Protestes aus. Kaum eines der großen oder kleinen Moscheebauprojekte der letzten Jahre konnte ohne Auseinandersetzungen mit den unmittelbaren Nachbarn oder den zuständigen Stadtverwaltungen verwirklicht werden. [Dies zeigt sich sowohl bei den bereits verwirklichten Projekten in Pforzheim, Mannheim und Neuss als auch bei den Planungen in KölnChorweiler und Pulheim. Zu diesen Diskussionen: Huber-Rudolf 1996, S. 111-114.] Das Hauptproblem ist dabei stets die Frage nach dem Standort des Projektes. Da bisher keine der islamischen Gemeinschaften in Deutschland den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erwerben konnte, besteht rechtlich kein Anspruch auf Errichtung von „heiligen Stätten". [„Rechtlich ist die Errichtung der ,heiligen Stätten’ Teil der Ausübung der Hoheitsgewalt der als Körperschaften anerkannten Religionsgemeinschaften" (Ebd., S. 111).] Umgekehrt hat dies zur Folge, daß in den Bauleitplänen der Kommunen keine Flächen für die religiösen Bedürfnisse der Muslime ausgewiesen sind. [Nach § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 6 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Erfordernisse der Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsrechten für Gottesdienst und Seelsorge zu berücksichtigen.] 24 Ungeachtet ihres Anteils an der Bevölkerung können die Bauleitpläne daher keine Standorte für Moscheen vorsehen. Dies hat unweigerlich zur Folge, daß sie meistens dort entstehen, wo sie eigentlich nicht vorgesehen sind, in Gewerbe- oder in Mischgebieten. Als Argumente gegen den Moscheebau dienen neben den baurechtlichen Bestimmungen vor allem befürchtete Verkehrsbehinderungen und Lärmimmissionen. [In Neuss-Derikum hatte sich die Auseinandersetzung um die dortige DITIB-Moschee an der Höhe des Minaretts zugespitzt. Anstelle der beantragten 24 Meter hatte das Bauamt der Stadt Neuss nur 16 Meter genehmigt, da ansonsten die Eintragung einer Baulast auf das Nachbargrundstück erforderlich gewesen wäre. Der Nachbar - Eigentümer eines Baumarkts - hatte dem jedoch nicht zugestimmt. Nachdem das Minarett dann doch in einer Höhe von 24 Metern ausgeführt worden war, mußte es auf Drängen der Stadtverwaltung abgebaut und an einer anderen Seite der Moschee wieder aufgebaut werden. Verkehrsbehinderungen können sich vor allem durch den Besucherstrom an Freitagen und während der Fastenzeit ergeben, für den oftmals nicht ausreichend Parkplätze zur Verfügung stehen. Bei den Lärmimmissionen ist nicht allein an die Störungen zu denken, die von der Moschee ausgehen, sondern auch an die, die sie von außen erreichen. So befürchten Betreiber von Handwerksbetrieben eine Einschränkung ihrer Tätigkeit im Hinblick auf die Störungen, die von ihren Betrieben für die Betenden ausgehen können.] Diese Argumente treffen jedoch auch auf den Bau von Moscheen in reinen Wohngebieten zu, wo sich die Frage der Verkehrsbehinderungen und der Lärmimmissionen in noch viel größerem Umfang stellt. Der Rückgriff auf das Grundrecht der freien Religionsausübung kann sich jedoch im Einzelfall begründet gegen diese Interessen durchsetzen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit einem Urteil vom 27. Februar 1992 eine Klage gegen den Bau einer Moschee in einem Wohngebiet beziehungsweise Mischgebiet abgewiesen. [Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1992 - 4 C 50/89.] Gegen die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Moschee mit einer Koranschule hatte der Eigentümer eines gegenüberliegenden Wohnhauses geklagt und sich dabei auf für ihn unzumutbare Belästigungen und Störungen berufen. In seiner Bewertung des Sachverhalts kam das Gericht zunächst zu dem Schluß, daß die zur Diskussion stehende religiöse Einrichtung in dem betreffenden Gebiet grundsätzlich zulässig ist. Hinsichtlich der befürchteten Beeinträchtigungen stellte es fest: „Nach der gesetzlichen Wertung haben die Nachbarn der in dem Baugebiet allgemein zulässigen kirchlichen Anlage die mit deren Benutzung üblicherweise verbundenen Beeinträchtigungen grundsätzlich hinzunehmen." [Ebd., S. 2171.] Die tatsächlich zu erwartenden Beeinträchtigungen - eine Störung der morgendlichen Ruhezeit vor 6.00 Uhr durch anfahrende Teilnehmer am islamischen Morgengebet - sind nach Auffassung des Gerichtes so geringfügig, daß eine Beschränkung der Religionsausübung durch das Versagen der Baugenehmigung demgegenüber unverhältnismäßig ist. Die Gewährleistung der Religionsfreiheit überwog demnach die geltend gemachten Interessen des Grundstücksnachbarn. 3.2.3 Minarett und öffentlicher Gebetsruf Innerhalb des Problemfeldes des Moscheebaus stellt der vom Minarett öffentlich zu verkündende Gebetsruf eine besondere Frage dar, die in den letzten Jahren in verschiedenen Städten zu lebhaften Auseinandersetzungen geführt hat. Die Frage stellt sich immer wieder dann, wenn das zum Erscheinungsbild einer klassischen Moschee gehörende Minarett seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt werden soll. [In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß zwar die meisten Moscheeneubauten mit einem Minarett ausgeführt werden, dieses aber in sehr vielen Fällen nicht genutzt wird, weil entweder keine Muslime in der Umgebung der Moschee wohnen oder man aus Rücksicht auf die Nachbarn auf den Gebetsruf verzichtet. Manche Träger erklären dies ausdrücklich bei Baubeginn oder bei der Inbetriebnahme der Moschee.] 25 Im Laufe des Jahres 1995 beantragten zwei islamische Gemeinden bei der Duisburger Stadtverwaltung die Genehmigung, den Gebetsruf verstärkt mit einer Lautsprecheranlage zu verkünden. Nachdem die Stadtverwaltung zunächst die Entscheidung hinausgezögert hatte und der Ausländerbeirat ein Jahr später das Begehren der Muslime unterstützte, kam es darüber zu einer heftigen öffentlichen Auseinandersetzung. Den Höhepunkt bildete eine Stellungnahme der Evangelischen Kirchengemeinde Duisburg-Laar vom 28. Oktober 1996, in der sie unter dem Titel Kein islamischer Gebetsruf über Lautsprecher! in einer hauptsächlich theologisch geführten Argumentation die Ablehnung des öffentlichen Gebetsrufes forderte. [Die Stellungnahme ist am 15. November 1996 als ganzseitige Anzeige in den lokalen Tageszeitungen erschienen.] Auch wenn die Synode des zuständigen Kirchenkreises und einige Zeit später die beiden Landeskirchen im Rheinland und von Westfalen sich in aller Deutlichkeit von dieser Aktion distanzierten, [Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland / Evangelische Kirche von Westfalen 1997.] so war die Auseinandersetzung darüber längst über Duisburg hinaus gegangen und der islamische Gebetsruf zum Gegenstand einer landesweiten Diskussion geworden. Selbst der Landtag von NordrheinWestfalen befaßte sich im Rahmen einer Kleinen Anfrage am 13. März 1997 mit der Angelegenheit. [Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen 1997.] So bedauerlich die Auseinandersetzung als solche im einzelnen gewesen sein mag, hat sie doch letztlich wichtige Beiträge zur Diskussion und teilweisen Klärung des Sachverhalts liefern können. [Abgesehen von zahllosen Artikeln in der lokalen und überregionalen Presse seien allein die folgenden grundlegenden Beiträge genannt: Muckel 1997; Otting 1997; Völpel 1997; Kayser 1997. CIBEDO 4/1997 ist dem Thema gewidmet und enthält eine wertvolle Sammlung von Stellungnahmen und Materialien dazu.] Vertreter der islamischen Spitzenverbände in Deutschland, Islamrat und Zen-tralrat, machten beispielsweise in ihren Stellungnahmen deutlich, daß der Gebetsruf wesentlich zum Ablauf des Gebetes dazu gehört. [In den Stellungnahmen heißt es wörtlich: „Für uns Muslime ist es selbstverständlich, daß der Gebetsruf des Muezzins unverzichtbarer Bestandteil unseres täglichen religiösen Lebens ist. ... Der Gebetsruf ist eine religiös verbindliche Aufforderung, an dem unmittelbar folgenden Gebet für Männer in der Moschee, für Frauen in ihren Häusern, teilzunehmen oder es selbst zu verrichten. Der Gebetsruf ist unverzichtbarer Bestandteil des Gebetes im Islam. Der Gebetsruf wird von einem Teil der religiösen Gelehrten als ,Sunna’ eingestuft" (Özdogan 1997). „Der Gebetsruf ist ein wichtiger Bestandteil der islamischen Gottesdienstlehre. ... In den islamischen Rechtsschulen gilt der Gebetsruf als ,obligatorische Pflicht’ oder zumindest als ,Bestandteil der prophetischen Tradition’" (Elyas 1998).] Aufschlußreich ist auch eine Feststellung Amir Zaidans, wonach der Gebetsruf „eine ‚Sunna muakkada’, sowohl für den einzelnen Betenden, als auch beim Gebet in der Gemeinschaft" ist. Damit „wird eine Handlung bezeichnet, die der Gesandte Muhammad … meistens praktizierte, obwohl sie nicht vorgeschrieben ist. Wer sie nicht befolgt, sündigt nicht, wer sie aber praktiziert, wird dafür von Allah … belohnt." [Zaidan 1996, S. 54.] Die Beantwortung der Kleinen Anfrage im Düsseldorfer Landtag offenbarte schließlich, daß bereits in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens öffentlich zum Gebet gerufen werden kann. [Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen 1997, S. 3-5.] Die jeweils mit den Stadtverwaltungen vereinbarten Regelungen wie auch die Reaktionen der Anwohner sind dabei sehr unterschiedlich. In Düren darf der Gebetsruf fünfmal täglich erschallen, in Bochum einmal täglich und in Bergkamen einmal wöchentlich. Während in Düren 26 keine Proteste bekannt waren, lag der Stadtverwaltung von Bergkamen bereits eine Beschwerde vor. Für eine einvernehmliche Regelung in der Angelegenheit sind die konkreten Verhältnisse im Umfeld der betreffenden Moschee maßgeblich. Der Standort der Moschee, die Häufigkeit des Gebetsrufes, seine Lautstärke und seine Akzeptanz durch die Anwohner sind Faktoren, die von Fall zu Fall zu bedenken sind und die an unterschiedlichen Orten zu verschiedenen Lösungen führen können. In der rechtlichen Analyse der Frage spielt vor allem die Vergleichbarkeit des Gebetsrufes mit dem Glockenläuten eine wichtige Rolle. Martin Völpel fordert in seinem Gutachten für die Ausländerbeauftragte des Bundes, beides rechtlich gleich zu behandeln. [„Insgesamt ist eine weitgehende Gleichbehandlung des Gebetsrufes mit sakralem Glockengeläut angesagt" (Völpel 1997, S. 30).] Stefan Muckel macht demgegenüber auf Unterschiede aufmerksam, die zu einer differenzierten Bewertung des Sachverhalts führen. [Vgl. Muckel 1997, S. 132-134.] Anders als Kirchenglocken fallen die Lautsprecheranlagen nicht unter die Kategorie der „res sacrae", sondern haben als technische Geräte einen anderen Charakter. [Diese Auffassung findet sich in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth bestätigt, das die Nutzung einer Lautsprecheranlage an einem Kirchturm zur Verkündigung religiöser Anlässe grundsätzlich anders bewertete als das Glockenläuten. Die in Frage stehende Lautsprecheranlage, die von der zuständigen Verwaltungsbehörde nicht genehmigt worden war, sei nur dann genehmigungsfähig, „wenn ihre Benutzung im konkreten Fall zur freien Religionsausübung unerläßlich ist" (VG Bayreuth, Urteil vom 20. Juli 1982 - B 3 K 81 A/467, S. 90).] Während das Läuten selbst keinen Informationsgehalt besitzt, besteht der Gebetsruf in der Verkündigung des islamischen Glaubensbekenntnisses. Wesentlich ist jedoch, daß der Gebetsruf gegenüber dem Läuten immer und ausschließlich als Bestandteil des islamischen Pflichtgebetes eine religiöse Bedeutung hat, was für das Läuten nicht in dieser Ausschließlichkeit gilt. [„Das Glockenläuten ist also im Gegensatz zum Ruf des Muezzin ein an sich neutrales Geräusch, das verschiedene Funktionen haben kann. Wenn ihm auch meist religiöse Bedeutung zukommt, so darf doch nicht übersehen werden, daß es im Einzelfall eine andere, rein weltliche Bedeutung haben kann. Der muslimische Gebetsruf mag neben seiner religiösen Funktion zugleich anderen Zwecken dienen, etwa der Erhaltung einer muslimischen Identität, der Vermittlung eines Heimatgefühls für die Muslime. Der Gebetsruf kann aber ... nicht völlig von seiner spezifisch religiösen Funktion gelöst werden" (Muckel 1997, S. 133).] Demnach sind beide Handlungen nur zu einem bestimmten Teil miteinander zu vergleichen. Die festgestellten Unterschiede lassen nach Muckel nur den folgenden Schluß zu: „Der muslimische Gebetsruf muß einer eigenständigen, vom kirchlichen Glockenläuten losgelösten rechtlichen Prüfung unterzogen werden." [Ebd., S. 134.] Diese Prüfung hat dabei zunächst davon auszugehen, daß der islamische Gebetsruf als religiöse Handlung vom Schutz der Religionsfreiheit umfaßt ist. Seine Einschränkung läßt sich nur damit rechtfertigen, daß durch ihn andere Personen in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden. Als konkurrierende Grundrechte kommen in diesem Fall die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG), das Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) und die negative Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) in Frage. Darüber hinaus sind die möglichen Einschränkungen in Betracht zu ziehen, die sich aufgrund des Gesetzesvorbehalts aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV im Hinblick auf das einfache Recht ergeben 27 können. Da die Betreiber der Moscheen den Gebetsruf mittels einer Lautsprecheranlage verstärkt wiedergeben wollen, ist dabei an das Immissionsschutzrecht zu denken. Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind Behörden ermächtigt, den Betrieb von Anlagen zu regeln oder zu untersagen, „die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen". Die Richtwerte dafür unterscheiden sich nach der Art des betreffenden Gebietes, der Tageszeit und der Art des Geräusches. Ergänzend sind hierbei die landesrechtlichen Gesetze zum Immissionsschutz zu beachten. In Nordrhein-Westfalen sind beispielsweise in der Zeit von 22.00 bis 6.00 Uhr Störungen der Nachtruhe nach § 9 Abs. 1 LImSchG ver-boten. Geräte zur Schallerzeugung oder -wiedergabe dürfen außerdem nach § 10 Abs. 1 LImSchG in ihrer Lautstärke andere Personen nicht erheblich belästigen. Aber auch das Straßenverkehrsrecht ist geeignet, die Art und Weise des Gebetsrufes einzuschränken. So sieht § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StVO ein Verbot von Lautsprecheranlagen vor, wenn sie zu einer Gefährdung oder Ablenkung von Verkehrsteilnehmern führen können. Dies könnte bei Moscheen der Fall sein, die in unmittelbarer Nähe einer dicht befahrenen Straße liegen. [In Dillenburg hatte das zuständige Landratsamt den Gebetsruf unter Berufung auf diese Regelung nicht gestattet.] Die sich aus dem einfachen Recht ergebenden Behinderungen des Gebetsrufes sind auf ihre Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf das Grundrecht der Religionsfreiheit zu überprüfen. Im Einzelfall wird immer zu fragen sein, ob die konkreten Belange des Immissionsschutzes und des Straßenverkehrs so schwerwiegend sind, daß sie eine Beschränkung der Religionsfreiheit rechtfertigen. Diese Prüfung wird zu dem Ergebnis gelangen, daß es weder ein grundsätzliches Verbot noch eine prinzipielle Erlaubnis des Gebetsrufes geben kann. Über den Gebetsruf kann vielmehr nur im Einzelfall und unter Berücksichtigung aller Umstände und Voraussetzungen entschieden werden. Stefan Muckel kommt in seiner Bewertung der Frage zu folgendem Ergebnis: „Wenn der Gebetsruf niemanden in einem Maße stört, das immissionsschutzrechtlich relevant ist, und wenn zugleich der Straßenverkehr nicht gefährdet wird, haben die Behörden keine Handhabe, um gegen den Ruf vorzugehen. Das gleiche gilt, wenn der Gebetsruf zu bestimmten Tageszeiten, etwa vor dem Mittagsgebet, keinen einfach-rechtlichen Beschränkungen unterliegt. Allein seine fremdländische Herkunft und das damit verbundene Unbehagen mancher Zeitgenossen bieten keine zureichenden Gründe, um die Grundrechte der Muslime aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einzuschränken." [Muckel 1997, S. 141.] 3.3 Beten und Fasten an der Ausbildungs- oder Arbeitsstätte Weit weniger spektakulär lassen sich Angelegenheiten individueller Religionsausübung gestalten, wozu vor allem das Pflichtgebet und das Fasten gehören. Das islamische Recht setzt zwar für den Vollzug dieser beiden religiösen Grundpflichten präzise Bedingungen voraus, läßt aber gleichzeitig eine gewisse Flexibilität zu und erlaubt bestimmte Ausnahmen. Das tägliche Pflichtgebet hat innerhalb bestimmter Zeitabschnitte stattzufinden, was dem einzelnen Muslim einen flexiblen Umgang erlaubt. Wenn man sich auf Reisen befindet, darf man die Gebete verkürzen, und wenn man keine Gelegenheit hat, kann man zwei Pflichtgebete zusammenlegen. [Amir Zaidan sieht die Möglichkeit des Zusammenlegens von Pflichtgebeten (Dscham’) besonders für Muslime im Ausland gegeben: „In nichtislamischen Ländern kann Dscham’ erlaubt werden, wenn keine Möglichkeit zum rechtzeitigen Verrichten des Gebets am Arbeitsplatz, Studienplatz usw. besteht. Voraussetzung ist jedoch, daß man sich ernsthaft bemüht hat, eine Möglichkeit zum Beten zu finden" (Ders. 1996, S. 93).] 28 Schließlich darf man versäumte Gebete nachholen. Wie beim Beten gibt es auch beim Fasten eine Reihe von Erleichterungen oder die Möglichkeit, versäumtes Fasten nachzuholen. Diese Regelungen des islamischen Rechts gestatten dem einzelnen Muslim, sich in diesen wichtigen Aspekten seiner Religionsausübung in erheblichem Umfang auch in Deutschland zurecht zu finden. Hinzu kommt, daß man Muslimen in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen auch Erleichterungen eingeräumt hat, damit sie ihren religiösen Verpflichtungen besser nachkommen können. Wie die Bundesbahndirektion Hannover bereits in den sechziger Jahren sogenannte „rollende Moscheen" für türkische Bahnarbeiter in Eisenbahnwagen einrichtete, [Vgl. Abdullah 1981, S. 74.] so haben einige große Industriebetriebe für ihre türkischen Arbeitnehmer Gebetsräume auf dem Werksgelände zur Verfügung gestellt. Die Muslime haben ihrerseits viele Anstrengungen unternommen, um die Bedingungen ihrer Religionsausübung zu verbessern. An vielen Hochschulen und Universitäten beispielsweise setzten sich islamische Studentengruppen erfolgreich für die Schaffung von Gebetsstätten ein. Trotz der gut gemeinten Bemühungen von beiden Seiten lassen sich nicht immer alle Fragen individueller Religionsausübung einvernehmlich lösen. Der Ernstfall tritt immer dann ein, wenn die Regelungen des islamischen Rechts nicht ausreichen, um die Erfüllung der religiösen Verpflichtungen an der Arbeits- oder Ausbildungsstätte zu gewährleisten. Dies kann dann sein, wenn der einzelne Muslim die Anwendung der Erleichterungen des islamischen Rechts in seiner Situation für nicht gegeben sieht oder wenn die Arbeitsbedingungen ihm trotz allem keine Möglichkeit zum Beten oder Fasten lassen. Dies führt entweder zum Gewissenskonflikt oder zur Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber. Aus der Rechtsprechung ist bisher ein einziger Fall bekannt geworden, in dem das Landesarbeitsgericht Düsseldorf sich mit der Frage zu befassen hatte. [Vgl. LAG Düsseldorf, Urteil vom 9. August 1985 – 4 Sa 654/85.] Ein Arbeitgeber hatte seinem Mitarbeiter gekündigt, weil dieser trotz mehrmaliger Abmahnung während der Arbeitszeit seinen Arbeitsplatz zum Beten verlassen hatte. Als Grund hatte er die entstehenden Arbeitsausfälle geltend gemacht und ferner erklärt, daß eine individuelle Ausnahmeregelung eine Signalwirkung auf die anderen muslimischen Arbeitskräfte ausüben werde. Der muslimische Arbeitnehmer hatte demgegenüber an seiner Verpflichtung zum Beten während der vorgeschriebenen Zeiten festgehalten. Durch Urteil vom 9. August 1985 gab das Gericht der Klage des Muslims statt und verpflichtete den Beklagten zu dessen Weiterbeschäftigung. [„Der Kläger ist berechtigt, während der allgemeinen Arbeitszeit die ihm nach seinem Glauben obliegenden Gebete zu verrichten" (Ebd., S. 7 des Urteilsumdrucks).] In seiner Bewertung des Zusammenhangs gelangte es zu der Auffassung, daß durch die Vereinbarung besonderer Arbeitszeiten eine innerbetriebliche Regelung zur Lösung des Gewissenskonflikts gefunden werden könne. Da das Verhalten des klagenden Muslims keine Nachahmung durch andere muslimische Arbeitnehmer gefunden hatte, seien zudem keine erheblichen Arbeitsausfälle zu erwarten. Somit rechtfertige das Grundrecht der Religionsfreiheit in diesem Fall eine Einschränkung der Arbeitspflicht. Eine noch weitergehende Einschränkung ihrer religiösen Verpflichtungen droht den Muslimen, die zur Bundeswehr eingezogen werden, sofern diese nicht besondere Vorkehrungen ergreift. Die Tatsache, daß es immer mehr Muslime mit deutscher Staatsangehörigkeit gibt, wird eine 29 Zunahme muslimischer Wehrpflichtiger in der Bundeswehr zur Folge haben. Da ihre Zahl bisher noch zu gering ist, liegen weder auswertbare Daten noch Konzepte zur Verbesserung ihrer religiösen Situation vor. [Nach Angaben des Bundesinnenministeriums hatte die Bundeswehr 1999 ungefähr 1.100 Soldaten muslimischen Glaubens.] Die Forderung nach einer regulären Militärseelsorge läßt sich aus diesen wie aus formellen Gründen derzeit nicht realisieren. [Vgl. Wagner 1994; Der Spiegel 27/1998.] Mit einem Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 26. Januar 1994, das sich mit dem Antrag eines muslimischen Wehrpflichtigen auf Zurückstellung vom Wehrdienst wegen islamischer Glaubenszugehörigkeit zu befassen hatte, liegt ein wichtiger Beitrag zur Klärung des Sachverhalts vor. [Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 26. Januar 1994 – 3 W 2411/93.] Der Muslim hatte seine Klage unter anderem mit der drohenden Nichterfüllung seiner religiösen Verpflichtungen durch den Wehrdienst begründet. Das Gericht sah diese Gefahr nur dann gegeben, wenn er gezwungen wäre, „aufgrund der Struktur des Wehrdienstes seinen religiösen Verpflichtungen notwendigerweise zuwiderzuhandeln" [Ebd., S. 817.]. Wenn die Bundeswehr ihm jedoch durch organisatorische Maßnahmen hilft, seinen religiösen Verpflichtungen nachzukommen, und er diese umgekehrt den Bedingungen des Wehrdienstes im Rahmen des Möglichen anpassen kann, läßt sich der drohende Konflikt lösen, ohne daß eine Zurückstellung vom Wehrdienst in Frage kommt. Das Gericht hat sich nicht mit dieser allgemeinen Bewertung begnügt, sondern vielmehr seinen Ansatz auf verschiedene Fragen islamischer Religionsausübung übertragen und kam zu dem Ergebnis, daß seiner Auffassung nach die Einhaltung der Speise- und Reinheitsvorschriften sowie der Verpflichtung zum Beten und Fasten in der Bundeswehr möglich sei. Wichtig war dabei die Feststellung, daß die Bundeswehr ihrerseits verpflichtet ist, dem muslimischen Soldaten durch organisatorische Maßnahmen die ungestörte Religionsausübung zu ermöglichen. Im Zusammenhang des Fastens taucht alljährlich die Frage nach Beginn und Ende der Fastenzeit auf. Das Problem entsteht durch unterschiedliche Verfahren zur genauen Feststellung des entsprechenden Mondmonats, was zu voneinander abweichenden Terminen führt. [Vgl. Say 1993.] Zur Klärung dieser Frage hat der Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD) vor einigen Jahren den Deutschen Islamwissenschaftlichen Ausschuß der Neumonde (DIWAN) ins Leben gerufen. Hierbei handelt es sich um ein Gremium islamischer Gelehrter verschiedener Organisationen, die alljährlich die Daten der islamische Feiertage ermitteln und bekannt machen. Die Veröffentlichung dieser Angaben dient einerseits der Vereinheitlichung der religiösen Praxis unter den Muslimen und andererseits der Information der nichtislamischen Öffentlichkeit darüber, womit ein wichtiger Beitrag zum Verständnis dieser Frage islamischer Religionsausübung geleistet werden kann. 3.4 Islamische Feste als gesetzlich anerkannte Feiertage? In den Zusammenhang der Religionsausübung gehören auch die beiden großen islamischen Feste – das Fest des Fastenbrechens (Id-ul-Fitr) und das Opferfest (Id-ul-Adha) – sowie die sonstigen festlichen Anläße im Verlauf des Jahres. Während die beiden bedeutenden islamischen Feste beispielsweise in Spanien gesetzlich anerkannt sind, [Die Grundlage dafür bietet ein Kooperationsabkommen zwischen dem spanischen Staat und der Islamischen Kommission Spaniens vom 28. April 30 1992.] ist dies in Deutschland nicht der Fall. Wenn Muslime diese Tage durch die Teilnahme an den Festtagsgebeten – wozu sie verpflichtet sind – oder den Besuch von Verwandten und Freunden feierlich begehen möchten, müssen sie sich in ihrem Arbeitsalltag entsprechend einrichten. Das hat zur Folge, daß viele von ihnen sich zum Fest des Fastenbrechens und zum Opferfest einen oder mehrere Urlaubstage nehmen oder durch das Abfeiern von Überstunden Freizeit zum Feiern gewinnen. Probleme können dort entstehen, wo die Arbeitsbedingungen dies nicht zulassen oder wo eine Befreiung nur schwer möglich ist. Nach § 616 BGB hat ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeit, wenn ihm nicht zuzumuten ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen, weil er seine religiösen Pflichten nur während der Arbeitszeit erfüllen kann. Dabei sind jedoch auch die Belange des Arbeitgebers zu berücksichtigen, der die Störung des Betriebsablaufs zu seinen Gunsten geltend machen kann. Diese Abwägung kann zu dem Ergebnis gelangen, daß kein Anspruch auf Freistellung besteht, wenn dies eine unzumutbare Beeinträchtigung des Betriebsablaufs mit sich bringt. In diesem Fall kann jedoch eine unbezahlte Freistellung von der Arbeit zur Wahrnehmung der religiösen Verpflichtung in Betracht kommen. Daneben ist auch an eine innerbetriebliche Regelung der Frage zu denken. Damit sind einem islamischen Arbeitnehmer oder Angestellten Möglichkeiten zur Teilnahme an den für ihn verpflichtenden Festtagsgebeten gegeben. [Nach Amir Zaidan bestehen folgende Regelungen hinsichtlich der Gebetszeiten: „Am Id-ul-Fitr beginnt die Zeit des Festgebets … wenn die Sonne sechs Meter über dem Horizont steht und dauert bis zum Mittag. Am Id-ul-Adha beginnt die Zeit des Festgebets, wenn die Sonne drei Meter über dem Horizont steht und dauert bis zum Mittag" (Ders. 1996, S. 85).] Im Bereich der öffentlichen Schulen sind in den alten Bundesländern Regelungen getroffen, die islamischen Schülern grundsätzlich oder auf Antrag der Eltern eine Befreiung vom Unterricht für einen oder zwei Tage bei beiden Festen gewähren. [Laut Mitteilung des Bundesministeriums des Innern haben die Kultusministerien aller alten Bundesländer entsprechende Regelungen erlassen. Die Daten der islamischen Festtage werden mitunter in den Amtsblättern veröffentlicht.] Wenn gegenwärtig auch keine gesetzliche Anerkennung der islamischen Feste in Sicht ist, so läßt sich doch durch eine Reihe von Maßnahmen deren gesellschaftliche Akzeptanz erreichen. Hierzu gehören unter anderem die Grußworte politischer, gesellschaftlicher oder kirchlicher Spitzenvertreter an Muslime und ihre Gemeinschaften anläßlich der Feste. So wendet sich beispielsweise der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog in Rom seit 1968 jährlich mit einer Botschaft zum Ramadanende an die Muslime. [Vgl. Michel 1994.] Dieses Beispiel hat nicht nur Nachahmung durch die Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland gefunden, sondern seit 1997 auch durch den Bundespräsidenten. Während der Fastenzeit sprechen zudem zahlreiche Moscheen Einladungen zum gemeinsamen Fastenbrechen aus, die üblicherweise auch an die politischen und kirchlichen Vertreter im Umfeld der Moschee ergehen. Jedoch auch die Medien können durch eine positive Berichterstattung einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des religiösen Lebens der Muslime leisten. Als Beispiel sei nur erwähnt, daß der amerikanische Fernsehsender CNN während des Pilgermonats live von den verschiedenen Stationen der Pilgerfahrt berichtet und dadurch einen authentischen Eindruck des Geschehens vermittelt. 3.5 Namensgebung und Namensänderung beim Übertritt zum Islam Der Name einer Person ist in der islamischen Welt von großer Bedeutung, wie sich aus dem folgenden Ausspruch des Propheten Muhammad erschließen läßt: „Am Tag des Jüngsten 31 Gerichts werdet ihr bei euren Namen gerufen werden und bei denen eurer Väter. Wählt daher schöne Namen aus." [Zum Thema: Heine 1994, S. 67-81; Schimmel 1993.] Viele der Namen, die Muslime ihren Kindern geben, haben einen direkten religiösen Bezug, indem sie sich auf Personen aus der Frühzeit des Islams beziehen oder in Verbindung mit dem Gottesnamen stehen. Die Namensgebung eines Kindes erfolgt in der Regel sechs oder sieben Tage nach der Geburt. Dabei ergeben sich in Deutschland kaum Probleme bei der Eintragung der Vornamen ins Stammbuch. [Peter Heine berichtet hingegen vom Fall eines Muslims, der seinen beiden Töchtern zusätzlich zu ihren Vornamen – entsprechend einer verbreiteten Praxis – seinen eigenen Vornamen geben wollte. Das zuständige Standesamt lehnte dieses Ansinnen damit ab, daß sich der Vorname eindeutig auf das Geschlecht des Kindes beziehen muß (Ders. 1994, S. 80f).] Die Frage des Namens wird dann zu einem Problem, wenn es sich um eine Namensänderung beim Übertritt zum Islam handelt. Viele zum Islam konvertierte Deutsche möchten ihre neue religiöse Identität durch einen islamischen Namen unterstreichen, den sie zusätzlich zu ihrem bürgerlichen Vornamen oder an dessen Stelle führen möchten. Eine Namensänderung ist nach § 3 Abs. 1 NÄG dann gerechtfertigt, wenn die Belange, einen Namen zu ändern, schwerer wiegen als diejenigen, die für seine Beibehaltung sprechen. In der Bewertung liegt jedoch ein erheblicher Unterschied zwischen der Frage des Vor- und des Nachnamens, insofern das öffentliche Interesse an der Beibehaltung eines Nachnamens zum Zwecke der Identifikation höher ist als beim Vornamen. Bei Namensänderungen ist ferner zu unterscheiden, ob man dem bisherigen Namen einen weiteren hinzufügen möchte oder ob man ihn durch einen anderen zu ersetzen gedenkt. Diese gesetzlichen Voraussetzungen sind im Falle der Namensänderung einer Person nach dem erfolgten Übertritt zum Islam zu berücksichtigen. Das Interesse des Konvertiten an einem religiös begründeten Namen muß sich daher mit dem öffentlichen Interesse an der Beibehaltung des Namens messen. In der Frage sind mittlerweile zwei richterliche Entscheidungen bekannt geworden. Das Verwaltungsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 27. Oktober 1992 die Klage eines deutschen Muslims abgewiesen, seinen bisherigen Vornamen „Dirk Olaf" durch „Abdul-Faruk Cetin" zu ersetzen. [Vgl. VG Koblenz, Urteil vom 27. Oktober 1992 – 2 K 2499/91 Ko.] Im Hinblick auf die Identifizierung des Klägers, gelangte es zu der Überzeugung, daß das öffentliche Interesse an der Beibehaltung seines Vornamens mehr Gewicht hat als der religiös motivierte Wunsch der Namensänderung. Da der Kläger durch den Fortbestand seines alten Namens nicht erkennbar in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt sei, sah das Gericht keinen Anspruch auf Namensänderung gegeben. Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof München durch Urteil vom 3. Juni 1992 der Klage eines deutschen Muslims auf Hinzufügung des Vornamens „Abdulhamid" zum bisherigen Vornamen „Andreas" stattgegeben. [Vgl. VGH München, Urteil vom 3. Juni 1992 – 5 B 92/162.] In diesem Fall überwog das persönliche Interesse an der Namensänderung das öffentliche Interesse, weil infolge der Hinzufügung eines Vornamens die Identifizierung des Klägers nicht in Frage stand. Neben dem Übertritt zum Islam war für das Gericht ferner ausschlaggebend, daß der Kläger sein Begehren mit einer entsprechenden Lebensführung zusätzlich glaubhaft gemacht 32 hatte. Der Rückgriff auf das Grundrecht der Religionsfreiheit rechtfertige daher eine Namensänderung. Die Frage der Namensänderung ist vollkommen anders zu bewerten, wenn es darum geht, die bisherigen Namen formell zu behalten und islamische Namensbestandteile im Umgang mit Muslimen oder lediglich im privaten Bereich zu verwenden. Viele deutsche Muslime machen von dieser Möglichkeit Gebrauch, indem sie im religiösen Leben unter ihrem islamischen Namen bekannt sind und offiziell weiter ihren bürgerlichen Namen führen. In Dokumenten, die einen amtlichen Charakter haben, schreiben sie ihren Zweitnamen unter Hinzufügung des Kürzels „gen." zusätzlich zu ihrem eigentlichen Namen. [Der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Mohammed Aman Hobohm, heißt mit bürgerlichem Namen Herbert Hobohm. Der Name des Leiters des Zentralinstituts Islam-Archiv-Deutschland e.V., Muhammad Salim Abdullah, soll Herbert Krahwinkel lauten.] 3.6 Fragen der Beschneidung von Kindern Die Beschneidung männlicher Kinder ist ein in der gesamten islamischen Welt verbreiteter Brauch, den auch die in Deutschland lebenden Muslime an ihren Söhnen vornehmen lassen. [Zum Thema: Clotter 1983; Aldeeb Abu-Sahlieh 1994.] Gerade bei türkischen Muslimen kommt es häufig vor, daß sie zu diesem Zweck zu ihren Familienangehörigen in die Türkei reisen, um dort die Beschneidung des Sohnes im Kreis der Familie feierlich zu begehen. Aber auch in Deutschland lassen Muslime zunehmend Beschneidungen durchführen. Hierbei wenden sie sich weniger an entsprechende Spezialisten aus dem Umfeld der Landsleute, als mittlerweile vielmehr an fachkundige Chirurgen. Mancher türkische Arzt hat sich in Kenntnis dieser Praxis auf die Beschneidung von Jungen in Deutschland spezialisiert. In der Kostenfrage ist festzustellen, daß manche Krankenkassen dazu übergegangen sind, die Kosten für diesen medizinischen Eingriff auf Antrag zu übernehmen. Die Beschneidung ist auch im Fall der Konversion eines erwachsenen Mannes nach seinem Übertritt zum Islam vorzunehmen. Unter Berufung auf fragwürdige Überlieferungen ist die Beschneidung von Mädchen in bestimmten Regionen der islamischen Welt als ein Relikt vorislamischer Zeit erhalten geblieben. [Vgl. Aldeeb Abu-Sahlieh 1994, Spuler-Stegemann 1997.] Sowohl in der Methode der Beschneidung als auch in ihrer Bewertung durch die Rechtsschulen lassen sich erhebliche Unterschiede feststellen. Mit der Migration der Muslime nach Europa ist diese Praxis auch dorthin gelangt. Aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen zu dieser Frage läßt sich kein genaues Bild von ihrer Verbreitung machen. Allem Anschein nach kommen Fälle von Frauenbeschneidungen in Europa bei Einwanderern aus bestimmten Regionen (Ägypten, Sudan, Äthiopien, Somalia, Westafrika) häufig vor, während andere Muslime (Türkei, Bosnien-Herzegowina, Iran, Afghanistan) diesen Brauch weder kennen noch praktizieren. Das Phänomen ist ernst zu nehmen, nachdem immer wieder gravierende Fälle bekannt geworden sind. Ein französisches Gericht verurteilte Anfang 1999 eine Beschneiderin aus Mali zu acht Jahren Haftstrafe, weil sie 45 junge Mädchen in Frankreich beschnitten hatte. Aber auch die Eltern der Mädchen hatten sich vor Gericht wegen Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung zu verantworten. [Vgl. Wiegel 1999.] Es soll ferner vorkommen, daß saudische Familien die Beschneidung ihrer Töchter in westlichen Privatkliniken vornehmen lassen. [Vgl. Jamila-Zahra 1997, S. 22 Anm. 3.] Beim Landratsamt Marburg- 33 Biedenkopf haben ausländische Sozialhilfeempfänger die Übernahme der Kosten für die Beschneidungen von Mädchen beantragt, was man dort grundsätzlich abgelehnt hat. [Vgl. SpulerStegemann 1997, S. 208.] Diese Beispiele verdeutlichen die Problematik und lassen vermuten, daß die Dunkelziffer erheblich höher liegt. Verschiedene Staaten, wie Großbritannien, Schweden und die Schweiz, haben die Mädchenbeschneidung durch entsprechende Gesetze unter Strafe gestellt. In Deutschland stellt sie als gefährliche oder schwere Körperverletzung eindeutig einen Straftatbestand dar, der Gefängnisstrafen zur Folge hat. Hierzulande ist es bisher nicht zu einer nennenswerten öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Problem gekommen. Allerdings haben verschiedene Muslime dazu Stellung bezogen. In einem Rundbrief der Deutschen Muslim-Liga e.V. in Hamburg aus dem Jahre 1993 findet sich unter der Überschrift Beschneidung von Mädchen – eine Unsitte und im Islam verboten eine deutliche Distanzierung. [Vgl. Borek 1997, S. 105.] Der Verfasser des Beitrages weist darauf hin, daß es sich bei der Mädchenbeschneidung um einen Brauch aus vorislamischer Zeit handele, der weder auf den Koran noch auf die prophetische Überlieferung zurückzuführen sei. Dies zeige sich daran, daß sie in vielen Teilen der arabischen Welt unbekannt sei, während man sie in afrikanischen Ländern an Muslimen und Nichtmuslimen vollziehe. Die Beschneidung sei daher weder empfehlens- noch wünschenswert. Während sie in der einfachen Form lediglich einen geringfügigen Eingriff darstelle, fällt das Urteil über die sogenannte pharaonische Beschneidung vernichtend aus: „Sie ist eine schwere Verstümmelung und stellt somit eine körperliche Veränderung dar, die schwerste gesundheitliche Folgen haben kann. … Die pharaonische Art der Beschneidung verändert Gottes Schöpfung und ist deshalb absolut verboten." [Ebd.] Diese Auffassung vertritt auch der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland e.V., Nadeem Elyas, in einem Interview vom 20. September 1995. [Vgl. Elyas 1995a.] Auch er bewertet die Frauenbeschneidung als vorislamische Tradition, die keine ausreichende Begründung im Koran und der prophetischen Überlieferung finde. Sie sei daher keine Pflicht und nach der Auffassung vieler Gelehrter nicht wünschenswert. [„Sie wird von diesen als einen Angriff gegen den Körper angesehen und als eine Körperverletzung ohne Nutzen kritisiert" (Ebd.).] Die Abschaffung des Brauchs in vielen Teilen der islamischen Welt sei darauf zurückzuführen, daß der Prophet seine vier Töchter nicht beschneiden ließ. Diesen Aussagen zufolge läßt sich der Brauch der Mädchenbeschneidung eindeutig nicht religiös begründen. Auf dem Hintergrund des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) bietet die deutsche Rechtsordnung keinen Spielraum, derartige Praktiken zu dulden. 3.7 Islamisches im Konflikt mit zivilem Eherecht Gerade im Bereich des islamischen Eherechts können verschiedene Konfliktfelder in Auseinandersetzung mit der deutschen Rechtsordnung hervortreten. [Zum islamischen Ehe- und Familienrecht: Dilger 1990, S. 66-76; Walther 1990, S. 392-399.] Hierbei ist in erster Linie an die dem muslimischen Mann grundsätzlich mögliche Ehe mit bis zu vier Frauen gleichzeitig zu denken. In Deutschland steht allein die Ehe eines Mannes mit einer Frau unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes (Art. 6 Abs. 1), während die Mehrehe demgegenüber verboten ist und nach § 171 StGB eine Straftat darstellt. Dennoch kommt es vor, daß Muslime entsprechend den Bestimmungen des islamischen Rechts und des zivilen Rechts 34 ihres Heimatlandes gleichzeitig mit mehr als einer Frau verheiratet sind. [In der islamischen Welt ist die Mehrehe allein in der Türkei und Tunesien verboten.] Wenngleich sie damit noch keinen Straftatbestand erfüllen, da die Ehe nach ausländischem Recht geschlossen wurde, bleibt die ihnen erlaubte Mehrehe ohne Auswirkungen im deutschen Recht. Diese Auffassung findet ihre Bestätigung in zwei Gerichtsurteilen zu unterschiedlichen Angelegenheiten. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg lehnte die Klage eines Ägypters auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für seine Zweitfrau unter anderem damit ab, daß sich dafür kein Anspruch in Folge einer Familienzusammenführung ergebe. [Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 7. Juli 1992 – 7 L 3634/91.] Das Finanzgericht Münster wies die Klage eines Marokkaners zurück, der in seiner Steuererklärung eine zweite Ehefrau steuerlich geltend machen wollte. [Vgl. FG Münster, Urteil vom 29. Dezember 1986 – III 6440/84.] Diese Beispiele machen deutlich, daß eine nach islamischem Recht gültige Mehrehe in Deutschland nur in den Beziehungen der Muslime untereinander von Bedeutung sein kann. Diese Situation hat jedoch eine weitgehende Schutz- und Recht-losigkeit der zweiten, dritten oder vierten Ehefrau vor dem deutschen Recht zur Folge. Wenn die Ehe allein nach den Regeln des islamischen Rechts geschlossen wird, dann finden auch dessen Bestimmungen im Falle einer Scheidung Anwendung. Die Ehefrau ist damit zwar dem Mann nicht schutzlos ausgeliefert, sie genießt aber keinen Schutz nach dem deutschen Scheidungsrecht, was Konsequenzen in Unterhalts- und Sorgerechtsfragen zur Folge haben kann. Daraus ergibt sich folgerichtig, daß die von Muslimen mitunter geforderte Rechtsautonomie in ihren Ehe- und Familienangelegenheiten nicht denkbar ist, insofern sie damit den Schutz des deutschen Rechts außer Kraft setzen würde. Eine vergleichbare Problematik entsteht auch bei den Ehen, die zwischen einem deutschen und einem ausländischen Partner nach ausländischem Recht geschlossen werden, weil dieses auch im Falle einer Trennung oder Scheidung zur Anwendung kommt. Das Eherecht vieler Länder der islamischen Welt basiert in seinen wesentlichen Teilen auf den Regelungen des islamischen Rechts, die in den entsprechenden Bestimmungen des zivilen Rechts eine Konkretisierung gefunden haben. Somit entsprechen viele Aspekte des ausländischen Eherechts, wie die Voraussetzungen zur Eheschließung, die Auswirkungen einer Ehe oder die Bedingungen der Scheidung, mehr oder weniger den Maßgaben des islamischen Rechts und sind bei der Eheschließung zu berücksichtigen. Die Ehe kommt nach islamischem Verständnis durch den Abschluß eines Ehevertrages zwischen den Ehepartnern zustande, dessen Ausführung sich nach dem jeweiligen zivilen Recht richtet. [Vgl. Rieck 1991, der eine Übersicht der notwendigen Inhalte eines islamischen Ehevertrages in den verschiedenen Staaten bietet. Weitergehende Informationen finden sich in den Merkblättern des Bundesverwaltungsamtes für Auslandtätige und Auswanderer zu einzelnen Ländern.] Gegenstand des Vertrages können auch vorher vereinbarte Regelungen hinsichtlich einer weiteren Eheschließung oder einer eventuellen Scheidung sein, sofern sie nicht im Widerspruch zum geltenden Recht stehen. Wenn es nicht zu einer Eheschließung nach deutschem Recht kommt, bieten die Regelungen des Ehevertrages dem deutschen Ehepartner eine begrenzte Möglichkeit, auf die Gestaltung einer nach ausländischem Recht geschlossenen Ehe Einfluß zu 35 nehmen. Gegenüber solchen Unwägbarkeiten ist demnach der Abschluß einer Ehe nach deutschem Recht vorzuziehen. Die Türkei ist das einzige Land der islamischen Welt, das dem islamischen Ehe- und Familienrecht ausdrücklich keine Geltung zuspricht. Seit der Reform des Familienrechts von 1926 gilt dort ausschließlich ziviles Eherecht. Daher sind die allein nach islamischem Recht geschlossenen Ehen – sogenannte Imamehen – in der Türkei ungültig. Für türkische Muslime entsteht damit die widersprüchliche Situation, nach islamischem Recht gültig verheiratet zu sein, während die Ehe hingegen nach türkischem Recht ungültig ist. [Der türkische Staat ermöglicht den betroffenen Personen allerdings immer wieder eine Legalisierung der Verhältnisse, indem sie die Ehe und die daraus hervorgegangenen Kinder bis zu einem bestimmten Stichtag nachträglich beim zuständigen Standesamt registrieren lassen.] Dieses Problem kann sich auch bei türkischen Muslimen in Deutschland auswirken. Das Oberverwaltungsgericht Koblenz entschied beispielsweise durch Urteil vom 5. Juli 1993, daß eine solche Imamehe nicht die Voraussetzungen zur Gewährung von Familienasyl nach § 26 Abs. 1 AsylVfG bietet. [Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 5. Juli 1993 – 13 A 10564/92.] Weil sich das Personalstatut eines Flüchtlings nach Art. 12 Abs. 1 der Genfer Konvention nach dem Recht des Heimatlandes richtet und eine Imamehe nach türkischem Recht nicht gültig ist, mußte das Gericht zu diesem Urteil gelangen. [Daß es dennoch zur Gewährung des Asylrechts kam, hatte die betreffende Asylbewerberin dem Rechtsschutz aus dem früheren Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG zu verdanken, wonach sie bei drohender Verfolgung im Heimatland nicht abgeschoben werden dürfe. Diese Gefahr sah das Gericht auch im Falle ihrer gesetzlich nicht anerkannten Ehe als gegeben an.] 3.8 Islamische Bestattungen in Deutschland Die Notwendigkeit, verstorbene Muslime in Deutschland beizusetzen, hat in den vergangenen Jahren zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema geführt. [Dies zeigt sich an den vergleichsweise zahlreichen Beiträgen zum Thema: Höpp / Jonker 1996; Blach 1996; Kayser 1996; Beauftragter für Islam- und Ausländerfragen im Amt für Gemeindedienst der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers (AfG) 1997; Lemmen 1999a; Ders. 2000b.] Als ein Ergebnis dieser Diskussion haben zahlreiche deutsche Kommunen auf ihren Friedhöfen mittlerweile islamische Grabfelder eingerichtet und entsprechende Vereinbarungen mit Vertretern der Muslime zur Durchführung islamischer Bestattungen getroffen. [Dem Verfasser sind islamische Grabfelder auf den Friedhöfen folgender Städte bekannt: Aachen; Ahlen; Alsdorf; Aldenhoven; Augsburg; Baunatal; Berlin; Bielefeld; Bochum; Bonn; Braunschweig; Bremen; Darmstadt; Delmenhorst; Dormagen; Dortmund; Düsseldorf; Duisburg; Eschborn; Essen; Esslingen am Neckar; Forchheim in Oberfranken; Frankfurt am Main; Freiburg im Breisgau; Gelsenkirchen; Gießen; Gladbeck; Hamburg; Hamm; Hannover; Heidelberg; Herzogenrath; Ibbenbüren; Kamp-Lintfort; Karlsruhe; Kassel; Kiel; Köln; Krefeld; Leipzig; Lübeck; Marburg; Mönchengladbach; Mülheim an der Ruhr; München; Münster; Neuss; Neu-Ulm; Neuwied; Nürnberg; Oldenburg; Osnabrück; Paderborn; Reutlingen; Rüsselsheim; Saarbrücken; Sankt Augustin; Schwerte; Sindelfingen; Solingen; Soltau; Stuttgart; Velbert; Wiesbaden; Witten; Würselen; Wuppertal.] Die Erfüllung der islamischen Bestattungsvorschriften setzt zum einen die Ausweisung eines eigenen Grabfeldes und zum anderen die Absprache ergänzender Regelungen der Friedhofssatzung voraus. Für die Anlage des Grabfeldes ist die Ausrichtung nach Mekka erforderlich. Die Gräber müssen so ausgerichtet sein, daß der Tote auf seiner rechten Körperseite 36 liegend nach Mekka blickt. Eine Unterteilung des Grabfeldes nach verschiedenen islamischen Richtungen und Nationalitäten oder nach Geschlechtern ist nicht erforderlich. Aus Platzgründen ist es hingegen sinnvoll, getrennte Grabstätten für Kinder und Erwachsene auszuweisen. Die rituellen Waschungen können die Muslime entweder in einem Waschraum auf dem Friedhof oder an einem anderen Ort vornehmen. [Manche Moscheen haben bereits zu diesem Zweck eigene Waschräume eingerichtet. Ansonsten ist an Waschräume im Krankenhaus oder beim Bestattungsunternehmen zu denken.] Das Totengebet kann auf einem freien Platz auf dem Gelände des Fried-hofes oder der Moschee stattfinden. [Auf dem Bonner Nordfriedhof gibt es dazu einen Steintisch zur Aufbahrung des Toten.] Entsprechend ihren Vorschriften nehmen die anwesenden Muslime danach die Beisetzung vor. Vorzugsweise tragen sie den Sarg auf ihren Schultern und lassen ihn mit Seilen in das Grab hinab. Auch das anschließende Verfüllen des Grabes gehört zu den Aufgaben der Trauergemeinde. Wie die Bestattung selbst, soll man auch das Grab ohne großen Aufwand und Schmuck gestalten. Die meisten Muslime begnügen sich daher mit der Aufstellung einer Holzstele oder eines Grabsteines am Grab ihrer Angehörigen. Der bisweilen verwahrloste Zustand vieler islamischer Grabstätten ist denn auch nicht als Zeichen der Vernachlässigung der Toten, sondern vielmehr als Ausdruck des Respekts vor ihrer Ruhe zu verstehen. Diese Besonderheiten des islamischen Bestattungsrituals lassen sich weitgehend in Absprachen zwischen der Friedhofsverwaltung und Vertretern der Muslime einvernehmlich regeln und sollten Gegenstand einer gemeinsamen Vereinbarung werden. [Beispielhaft ist in dieser Hinsicht die Vereinbarung zwischen der Stadt Aachen und dem Islamischen Zentrum Aachen (Bilal-Moschee) e.V. vom 22. November 1979. In Alsdorf sind die abgesprochenen Richtlinien sogar Bestandteil der Friedhofssatzung geworden.] Schwierigkeiten treten jedoch regelmäßig in zwei entscheidenden Einzelfragen auf. Nach islamischer Vorstellung bestattet man einen verstorbenen Muslim nicht im Sarg, sondern in Leinentücher gewickelt. Die Stellungnahmen islamischer Gelehrter zur Frage lassen die Verwendung eines Sarges nur ausnahmsweise zu. [Vgl. Özcan 1994, S. 220; Elyas 1995b. In der Literatur taucht immer wieder die Behauptung auf, die Bestattung im Sarg sei durch eine Fatwa der Akademie für Islamisches Recht in Mekka sanktioniert worden (Jennerich 2000, S. 21). Diese Auffassung basiert im wesentlichen auf entsprechenden Angaben in verschiedenen Gutachten zum Thema (Abdullah 1992, S. 4; Ders. 1995, S. 3). Nach Aussage des Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime in Deutschland e.V., Nadeem Elyas, besagt der arabische Originaltext der betreffenden Fatwa allerdings das genaue Gegenteil.] Da die gesetzlichen Bestimmungen der Länder und die Friedhofssatzungen der Kommunen jedoch die Bestattung im Sarg vorschreiben, ist die Ausnahme in Deutschland zur Regel geworden. Nur einige wenige Städte sehen von dieser Vorschrift ab und lassen eine Bestattung ohne Sarg zu. [Dies ist gegenwärtig in Aachen, Aldenhoven, Bochum, Essen, Hamburg, Herzogenrath, Krefeld, Paderborn und Soltau der Fall.] Noch schwieriger gestaltet sich die Lösung des Problems der Ruhefristen von Grabstätten. Während Muslime in der Regel von einer unbefristeten Grabruhe ausgehen, sind die Ruhezeiten in Deutschland grundsätzlich begrenzt. Nach Ablauf der Ruhefrist kann eine Grabstätte eingeebnet und wiederbelegt werden. Die 1995 angekündigte Einebnung von 277 Reihengräbern auf dem islamischen Grabfeld des Kölner Westfriedhofs machte die bislang nicht zur Kenntnis genommene Problematik offenkundig. Verschiedene Angehörige erreichten durch ihren Protest 37 und die anschließende Klage beim Verwaltungsgericht Köln einen einstweiligen Verzicht der Stadt auf Durchführung der Maßnahme. [Vgl. Lemmen 1999a, S. 35f.] Das mit Spannung erwartete Urteil des Verwaltungsgerichts wird in der Bewertung der Angelegenheit auch für andere Kommunen richtungsweisend sein. Die bisherigen Stellungnahmen islamischer Gelehrter lassen eine wichtige Differenzierung in der Frage erkennen. [Vgl. Abdullah 1992, S. 4; Özcan 1994, S. 220; Abdullah 1995, S. 3; Elyas 1995b. Auch in dieser Frage begegnet uns unter Berufung auf die Gutachten Abdullahs in der Literatur die Auffassung, daß der „konservative islamische Anspruch auf ewiges Ruherecht … 1991 ebenfalls durch eine Fatwa liberalisiert" worden sei. „Sie besagt, daß Gräber nach einer Ruhefrist von 20 Jahren für eine Neubelegung eingeebnet werden dürfen" (Jennerich 2000, S. 21). Zu diesem Urteil kann man nur gelangen, wenn man verkennt, daß eine Fatwa eben kein reli giöses Dekret von allgemeiner Gültigkeit darstellt, sondern lediglich eine „Meinung zu einer Rechtsfrage" (Heine 1991a, S. 246). Sie gewinnt ihre Verbindlichkeit erst dadurch, daß der Fragesteller sie für sich akzeptiert. Wenn er jedoch nicht damit einverstanden ist, kann er sich mit der Frage an einen anderen Gelehrten (Mufti) seiner Wahl wenden. Nicht unerheblich sind in dem Zusammenhang die Gelehrsamkeit und Lebensführung des Muftis. Im Falle der besagten Fatwa aus Soest handelte es sich um den damaligen Shaikh ul-Islam des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland, Ali Yüksel, der von seinem Amt zurücktrat, um bei den türkischen Parlamentswahlen vom Dezember 1995 für die Wohlfahrtspartei zu kandidieren (Lemmen 1999b, S. 18 Anm. 36).] Sie gehen davon aus, daß eine Einebnung und Wiederbelegung eines Grabes erfolgen darf, wenn sich keine sterblichen Überreste mehr darin befinden und die Notwendigkeit der Maßnahme gegeben ist. Die noch vorgefundenen Überreste sind tiefer oder an anderer Stelle zu bestatten, und das Grab darf nur der erneuten Bestattung eines Muslims dienen. Damit sind Voraussetzungen zur Lösung der Problematik im Rahmen des islamischen Rechts formuliert, die bei der Anlage islamischer Grabfelder Berücksichtigung finden können. Sowohl die Ausweisung von Wahlgräbern mit einer individuell verlängerbaren Ruhefrist, als auch die grundsätzliche Verlängerung der Ruhefrist von Reihengräbern kann diesen Erfordernissen genügen. [Vgl. Lemmen 2000b, S. 9.] Da die vorgestellten Lösungen in der Frage der Bestattungsart und der Ruhefrist anscheinend jedoch nicht den religiösen Vorstellungen vieler Muslime entsprechen, verwundert es nicht, daß nach wie vor die meisten Verstorbenen ins Ausland überführt werden. Zu diesem Zweck haben die türkisch-islamischen Verbände in Deutschland Bestattungsfonds gegründet, die ihren Mitgliedern eine sowohl religiös ordnungsgemäße als auch kostengünstige Abwicklung der Angelegenheit anbieten. [Für die DITIB übernimmt die DITIB–Beerdigungs-Hilfe Köln e.V. diese Aufgabe und für die IGMG der Muslimische Sozialbund e.V. in Bonn. Über die Arbeitsweise der Bestattungsfonds informiert Karakasoglu 1996, S. 97-101.] Im Zusammenhang islamischer Bestattungen in Deutschland liegen bereits einige Gerichtsurteile vor, die Rückschlüsse auf die Klärung anderer strittiger Punkte zulassen. So entschied das Verwaltungsgericht Berlin durch Urteil vom 3. November 1992, daß die Kosten der rituellen Waschung eines verstorbenen Sozialhilfeempfängers vom zuständigen Träger der Sozialhilfe zu übernehmen seien. [Vgl. VG Berlin, Urteil vom 3. November 1992 – 8 A 286/89.] Nach Auffassung des Gerichts handele es sich dabei „um für die Bestattung gläubiger Muslime erforderliche Kosten" [Ebd. S. 617.], die das Sozialamt zu übernehmen habe, weil es auch entsprechende Gebühren bei christlichen Trauerfeiern bezahle. Die Erstattung von Überführungskosten verstorbener Muslime ist hingegen in zwei Fällen vor Gericht gescheitert. Das Oberverwaltungsgericht Münster lehnte eine darauf abzielende Klage mit Urteil vom 20. März 1991 ab, weil es im Fall einer Bestattung im Ausland keine örtliche Zuständigkeit des 38 inländischen Trägers der Sozialhilfe anerkannte. [Vgl. OVG Münster, Urteil vom 20. März 1991 – 8 A 287/89.] Dieser Auffassung hat sich das Oberverwaltungsgericht Hamburg nicht angeschlossen, indem es in seinem Urteil vom 21. Februar 1992 den Anspruch auf Erstattung von Überführungskosten eines verstorbenen Muslims nicht prinzipiell ablehnte. In dem betreffenden Fall sah es den Anspruch jedoch nicht gegeben, weil eine islamische Bestattung am Sterbeort möglich und auch nicht unüblich sei. [Vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 21. Februar 1992 – Bf IV 44/90.] 3.9 Probleme hinsichtlich der Speisevorschriften 3.9.1 Schlachten nach islamischem Ritus Die Erfüllung der islamischen Schlachtvorschriften stellt in Deutschland regelmäßig ein Problem dar. Nach Auffassung aller Rechtsschulen hat das Schlachten durch Schächten zu erfolgen, wobei man dem Tier mit einem scharfen Gegenstand unter Anrufung des Namens Gottes die Kehle durchschneidet und das Blut auslaufen läßt. [Eine ausführliche Beschreibung des Vorgangs findet sich bei Karaman 1990, S. 38-42.] Das Verfahren an sich ist zwar nicht verboten, doch verlangt § 4a Abs. 1 TierSchG eine vorherige Betäubung des Schlachttieres. Dies ist nach weit verbreiteter Meinung von Muslimen nicht zulässig, weil dabei ein vollständiges Ausbluten verhindert werde. Ferner befürchtet man, daß dadurch der Tod des Tieres bereits vor dem Schlachten eintrete. Beides – der Verzehr von Blut und von totem Fleisch – ist Muslimen jedoch strengstens untersagt. Die gesetzlichen Auflagen zum Schlachten stellen aus der Sicht vieler Muslime ein unüberwindbares Hindernis zur Erfüllung ihres Schlachtrituals dar, wie umgekehrt deren ständige Mißachtung ein beinahe öffentliches Ärgernis – nicht nur für Tierschützer – bedeutet. Seit langem sind daher vielfältige Anstrengungen zur Lösung des Problems festzustellen. Bereits 1985 widmete Adel Thedor Khoury der Frage des Schlachtens in seinem Buch Islamische Minderheiten in der Diaspora eine ausführliche Darstellung. [Vgl. Khoury 1985, S. 9098.] Neben Stellungnahmen früherer Rechtsgelehrter, die sich mit den zu ihrer Zeit relevanten Einzelfragen auseinandersetzen, führt er auch Stellungnahmen zeitgenössischer Gelehrter auf, die moderne Methoden des Schlachtens und deren gesetzliche Grundlagen zum Gegenstand haben. Auch wenn sich keine vollkommen einhellige Meinung abzeichnet, so lassen einige Gutachten dennoch den Schluß zu, daß eine Betäubung vor dem Schlachten zulässig sei, wenn sie nicht zum Tod des Tieres führe. [Die vier Gutachten (Ebd., S. 96-98) sind hinsichtlich der Betäubung folgenden Inhalts: 1. Yusuf al-Qaradawi, dessen Werk über Erlaubtes und Verbotenes im Islam 1977 in der elften Auflage in Kairo erschienen ist, schreibt dazu: „Im Lichte dessen, was wir erwähnt haben, wissen wir, was wir vom Fleisch zu halten haben, das wir aus den Ländern der Schriftbesitzer importieren, wie die Geflügel und das Rindfleisch in Konserven. Es geht dabei um Tiere, die durch elektrischen Schock oder ähnliches geschlachtet werden. Solange sie dies als erlaubte Schlachtung ansehen, ist es uns, nach der allgemeinen 39 2. 3. 4. Bestimmung des Koranverses (5,5) und nach der Meinung des Ibn al-`Arabi und der Rechtsgelehrten, die seine Meinung teilen, erlaubt" (S. 96). Differenzierter urteilt der Rektor der Al-Azhar in Kairo in einer Stellungnahme vom 25. Februar 1982. Demnach ist zu unterscheiden, ob das Schlachttier durch den Stromstoß getötet oder betäubt wird. Im erstem Fall sei der Verzehr des Fleisches verboten, da das Tier nach dem Eintritt des Todes geschlachtet wurde. Im zweiten Fall hingegen sei das Fleisch zum Verzehr erlaubt, wenn das Tier nach der Betäubung entsprechend geschlachtet wird (S. 97). Einem Artikel der in Islambad/Pakistan erscheinenden Zeitschrift Islamic Studies 21/Nr. 1 von 1982 zufolge, sei die Betäubung vor dem Schlachten nur in äußersten Notfällen erlaubt. Als Gründe dagegen führt der Verfasser an, daß die Elektrobetäubung die Verwesung beschleunige, den Geschmack beeinträchtige, Bluttropfen im Fleisch verursache und dem Tier zu großes Leiden zufüge. Die islamische Schlachtung hingegen sei der einzig wirksame Weg, daß das Blut dem Tier vollständig entzogen wird; und das ist wesentlich die Voraussetzung dafür, daß das Fleisch zum Essen verwendet werden kann (S. 97f.). Die Türkische Botschaft in Bonn hingegen hat einer Stellungnahme vom 29. Juli 1982 zufolge keine Bedenken gegen die Betäubung, wenn das Tier vor Eintritt des Todes geschlachtet wird. Zur Begründung heißt es: „Es ist auch eine Islamische Vorschrift, daß das Tier in schnellster und praktischer Art, ohne gequält zu werden, geschlachtet wird. Deswegen bestehen auch in religiöser Sicht keine Bedenken gegen Betäubung der Opfertiere durch Elektroschock" (S. 98). Erschwerend kommt in der Diskussion hinzu, daß die Rechtsgelehrten zum Teil fälschlicherweise annehmen, die Schlachtungen der Christen entsprächen den eigenen rituellen Vorschriften.] Ganz in diesem Sinne fand am 7. Mai 1993 auf einem Frankfurter Schlachthof die Vorführung eines Verfahrens zur Elektrokurzzeitbetäubung von Schlachttieren statt. In Anwesenheit von Vertretern islamischer Verbände wurden drei Versuchstiere betäubt, von denen sich zwei nach wenigen Minuten wieder aufrappelten, während man das dritte in betäubtem Zustand schächtete. [Vgl. Huber 1993.] Weder die Gutachten aus der islamischen Welt noch die Demonstration des Betäubungsverfahrens haben jedoch die Muslime in Deutschland gänzlich zu überzeugen vermocht. Vielmehr haben sie ihre abweichende Auffassung in der Angelegenheit um so deutlicher vorgetragen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD), als einer der beiden islamischen Spitzenorganisationen, ist 1994 aus einem Arbeitskreis hervorgegangen, zu dem sich 1988 Vertreter der wichtigsten islamischen Organisationen zusammengefunden hatten, um unter anderem in der Frage des Schlachtens nach islamischem Ritus eine gemeinsame Position gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten. [Vgl. Köhler 1996.] Dem Islamischen Arbeitskreis in Deutschland (IAK) gehörten neben den großen türkisch-islamischen Verbänden die Islamischen Zentren in Hamburg, Aachen und München sowie eine Reihe weiterer Organisationen an. In dieser Zusammensetzung konnte er mit Recht den Anspruch erheben, sowohl einen erheblichen Teil der in Deutschland lebenden Muslime als auch die Vielfalt der islamischen Gemeinschaften zu vertreten. Als Ergebnis der gemeinsamen Beratungen stellte er fest, „daß es die feste Glaubensüberzeugung der Muslime in Deutschland ist, daß das betäubungslose islamische Schlachten im Islam zwingend vorgeschrieben ist." [Ebd., S. 145.] Eine der Voraussetzungen sei es, die Schlachtung ohne vorherige Betäubung vorzunehmen. Im Hinblick auf anderslautende Rechtsgutachten heißt es, daß „die Muslime in Deutschland sich nicht an Gutachten oder Aussagen ausländischer Organisationen oder Institutionen gebunden fühlen" [Ebd., S. 146.]. Sofern andere islamische Organisationen sich ausdrücklich zur Frage geäußert haben, stimmen ihre Stellungnahmen weitgehend damit überein. [Die Darstellung der Grundlagen des Islam der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (IRH) beispielsweise zählt „Fleisch, das nicht auf die rituell vorgeschriebene Art geschlachtet wurde", ausdrücklich zu den verbotenen Nahrungsmitteln (S. 23).] 40 Um nicht ständig gegen das Betäubungsgebot verstoßen zu müssen, haben die Muslime wiederholt eine Ausnahmegenehmigung beantragt und deren Erteilung gerichtlich einzuklagen versucht. [§ 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG sieht die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vor, um „den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich des Tierschutzgesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen."] Diese Bemühungen sind bisher jedoch weitgehend erfolglos geblieben. [Dem Verfasser sind folgende Entscheide bekannt: OLG Hamm, Beschluß vom 27. Februar 1992 - 1 Ss OWi 652/91; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 25. Mai 1992 - 7 K 5738/91; VG Koblenz, Urteil vom 16. März 1993 - 2 K 1874/92; VG Darmstadt, Urteil vom 9. September 1999 - 3 E 952/99; OVG Hamburg, Urteil vom 14. September 1992 - Bf III 42/90; OVG Münster, Urteil vom 21. Oktober 1993 - 20 A 3287/92; BVerwG, Urteil vom 15. Juni 1995 - 3 C 31/93.] Selbst das Bundesverwaltungsgericht hat durch Urteil vom 15. Juni 1995 das Begehren eines klagenden Muslims abgewiesen. Wie auch andere Gerichte vor ihm, war es dabei der Auffassung, daß eine Ausnahme vom Betäubungsgebot nur dann statthaft sei, „wenn objektiv festgestellt wird, daß zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere verbieten" [Ebd. S. 73.]. Eine zwingende Vorschrift dieser Art sah das Gericht in seiner Bewertung des Sachverhalts jedoch nicht gegeben. Die individuelle Überzeugung des Muslims selbst wiederum reiche dafür nicht aus. Ferner stellte das Gericht fest, daß das Betäubungsgebot den Kläger nicht in seiner Religionsfreiheit beeinträchtige, weil der Verzehr von Fleisch nicht geschächteter Tiere keinen Akt der Religionsausübung darstelle. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht - wie auch an anderer Stelle - hatte sich der Kläger in seiner Begründung jeweils auf die zweite Alternative von § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG berufen, wonach der Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere verboten sei. In einem Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt stützte sich ein Kläger hingegen auf die erste Alternative zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Betäubungsgebot. Er machte mit Erfolg geltend, daß seine Religion ihm das Schächten im Hinblick auf das bevorstehende Opferfest zwingend vorschreibe. [Vgl. VG Darmstadt, Urteil vom 9. September 1999 - 3 E 952/99. Diese Begründung war auch vor dem Bundesverwaltungsgericht nachträglich geltend gemacht worden. Während die ursprüngliche Begründung auf eine generelle Ausnahmegenehmigung gerichtet war, hatte das zusätzliche Argument eine Ausnahme für bestimmte Anlässe zum Ziel. Das Gericht sah darin eine Klageänderung und wies das Begehren auf Berücksichtigung der ersten Alternative für eine Ausnahmegenehmigung als unzulässig zurück.] Durch Urteil vom 9. September 1999 stellte das Gericht fest, daß es sich bei der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (IRH) um eine Religionsgemeinschaft im Sinne von § 4a TierSchG handele. Der Gutachterrat der IRH hatte in einem Gutachten vom Mai 1999 das Schächten eines Opfertieres anläßlich des Opferfestes für religiös vorgeschrieben erklärt. Da der Kläger sich als Mitglied der IRH diese Auffassung zu eigen machte, sah das Gericht die Voraussetzung zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Betäubungsgebot für gegeben. Die Freude über diesen einmaligen Erfolg vor Gericht währte allerdings nicht lange. Nachdem das Verwaltungsgericht Darmstadt im folgenden Jahr zunächst der Klage eines Muslims erneut stattgegeben hatte, widerrief der Verwaltungsgerichtshof Kassel diese Entscheidung. Zwar ging auch er davon aus, daß es sich bei der IRH um eine Religionsgemeinschaft handele, hatte jedoch Zweifel daran, daß das Schächten eine religiöse Pflicht sei. Gegen dieses Urteil hat die IRH mittlerweile Beschwerde eingelegt. [Vgl. Freitagsblatt 4/2000. Wie nach Abschluß des Manuskripts bekannt wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 23. November 2000 die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Darmstadt vom 9. September 1999 aufgehoben. Es befand, daß die Mitgliedschaft in der IRH 41 nicht die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung in besagtem Fall rechtfertige (BVerwG, Urteil vom 23. November 2000 – 3 C 40/99).] Bis zur endgültigen Entscheidung werden daher weiterhin unter teilweise bizarren Bedingungen Schlachtungen nach islamischem Ritus illegal durchgeführt werden. 3.9.2 Sonstige Fragen Die islamischen Speisevorschriften lassen sich jedoch nicht auf das Verfahren zur Fleischgewinnung beschränken, sondern beinhalten eine Reihe weiterer Regelungen. Als wichtigste sind das koranische Verbot von Schweinefleisch, Blut und Alkohol zu nennen, wobei diese Verbote in einem extensiven Sinne zu verstehen sind. Sie umfassen sowohl alle Nahrungsmittel, zu deren Herstellung vom Schwein stammende Bestandteile dienen, als auch alle alkoholhaltigen Getränke und Speisen. Darunter fallen auch Nahrungsmittel mit sehr geringen Alkoholzusätzen oder Zusatzstoffen, die vom Schwein gewonnen wurden. Unter manchen Muslimen sind daher Listen verbreitet, die genaue Auskunft darüber vermitteln, welche dieser unzulässigen Substanzen in welchen Nahrungsmitteln enthalten sind. In der Bewertung dieser Fragen sind jedoch durchaus unterschiedliche Standpunkte auszumachen. Während einige Muslime den Verzehr von mit Gelatine hergestellten Nahrungsmitteln prinzipiell ablehnen, halten andere sie für erlaubt, weil der ursprünglich verbotene Ausgangsstoff durch eine chemische Umwandlung zu einer neuen Substanz wurde. Ebenfalls halten sie Alkoholzusätze in Nahrungsmitteln dann für erlaubt, wenn diese nicht zu einer berauschenden Wirkung führen, sondern einen grundsätzlich anderen Zweck erfüllen. [Vgl. Borek 1997, S. 148-151.] 3.10 Bekleidungsvorschriften in ihren Auswirkungen für Frauen 3.10.1. Befreiung muslimischer Mädchen vom koedukativ erteilten Sportunterricht Das Verhältnis der Angehörigen beider Geschlechter zueinander hat sehr weitreichende Bekleidungsvorschriften im Islam hervorgebracht. Im Umgang untereinander oder im persönlichen Bereich können Muslime weitgehend diese Verhaltensvorschriften einhalten. Außerhalb von Familie und Moschee sind Probleme in den Bereichen vorprogrammiert, wo eine Begegnung von Männern und Frauen unvermeidbar ist. Für muslimische Mädchen und Frauen können dabei aufgrund ihrer spezifischen Bekleidungsvorschriften mehr Konfliktfelder entstehen, als das bei muslimischen Jungen und Männern der Fall ist. Ein besonderes Konfliktpotential besitzt dabei die Teilnahme am koedukativ erteilten Sportunterricht. Das Tragen des Kopftuchs verdeutlicht, daß ein Mädchen oder eine Frau die islamischen Maßgaben im Umgang der Geschlechter für verbindlich hält. Über das Kopftuch hinaus gehören dazu eine weitgeschnittene Bekleidung sowie das Vermeiden direkter körperlicher Kontakte mit Angehörigen des anderen Geschlechts. Während diese Vorschriften in der Schule weitestgehend Beachtung finden können, treten die Probleme im Sportunterricht besonders deutlich zum Vorschein. Wie die Teilnahme an diesem Fach eine besondere Sportkleidung und damit das Ablegen des Kopftuchs verlangt, so sind genauso körperliche Kontakte mit Jungen unvermeidbar. Beides aber kann für ein muslimisches Mädchen eine unzumutbare Belastung darstellen, weil es sie unweigerlich in Konflikt mit ihren religiös begründeten Verhaltensvorstellungen bringt. [Da die Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften für Angehörige beider 42 Geschlechter gelten, kann ein muslimischer Junge aus denselben Gründen durch seine Teilnahme am Sportunterricht in einen Konflikt geraten. Das Bestehen eines derartigen Problems wird aber faktisch nur bei muslimischen Schülerinnen geltend gemacht und nur vergleichsweise selten auch bei Schülern. Darin zeigt sich, daß die religiös begründeten Verhaltensvorschriften zum Teil von kulturellen Vorstellungen überlagert werden und das dargestellte Problem im Fall weiblicher Familienangehöriger deutlicher empfunden wird.] In der Vergangenheit haben daher muslimische Schülerinnen oder deren Erziehungsberechtigte immer wieder eine Befreiung vom koedukativ erteilten Sportunterricht beantragt und vor Gericht eingeklagt. Ein solcher Anspruch ist beim Schwimmunterricht im Hinblick auf die Bekleidung offenkundiger gegeben als beim Sportunterricht. [Vgl. VG Köln, Urteil vom 26. Juni 1990 - 10 K 2307/89.] Die Gerichte haben das Begehren auf Befreiung vom Sportunterricht in der Vergangenheit daher sehr unterschiedlich bewertet, bis das Bundesverwaltungsgericht in der Sache eine Entscheidung fällte. [Vgl. VG Freiburg, Urteil vom 10. November 1993 - 2 K 1739/92; OVG Münster, Urteil vom 15. November 1991 - 19 A 2198/91; OVG Bremen, Urteil vom 24. März 1992 - 1 BA 17/91; BVerwG, Urteil vom 25. August 1993 - 6 C 8/91; BVerwG, Urteil vom 25. August 1993 - 6 C 30/92.] Durch Urteil vom 25. August 1993 erkannte das Gericht den Anspruch auf vollständige Befreiung vom Sportunterricht an, wenn er nicht getrennt nach Geschlechtern angeboten werden kann. Nach Auffassung des Gerichts kann die Teilnahme am gemeinsamen Sportunterricht zu einem Gewissenskonflikt führen, der allein durch einen nach Mädchen und Jungen getrennten Unterricht gelöst werden kann. Sollte diese Maßnahme in der Schule aus organisatorischen Gründen nicht durchgeführt werden können, bestehe ein Rechtsanspruch auf Befreiung. Ein solcher Anspruch ergebe sich durch Berufung auf die Religions- und Gewissensfreiheit. Um ihn geltend zu machen, könne sich die betreffende Schülerin jedoch nicht allgemein auf die islamischen Bekleidungsvorschriften beziehen, sondern sie habe vielmehr darzulegen, daß deren Nichtbeachtung sie unweigerlich in einen Gewissenskonflikt führt. [Die Urteilsbegründung führt dazu aus, daß „erst die konkrete, substantiierte und objektiv nachvollziehbare Darlegung eines Gewissenskonfliktes als Konsequenz aus dem Zwang, der eigenen Glaubensüberzeugung zuwiderzuhandeln, geeignet ist, einen möglichen Anspruch auf Befreiung von einer konkret entgegenstehenden, grundsätzlich für alle geltenden Pflicht unter der Voraussetzung zu begründen, daß der Zwang zur Befolgung dieser Pflicht die Glaubensfreiheit verletzen würde" (Ebd., S. 61).] Während sie sich dem in anderen Situationen ihres Lebens durch ein entsprechendes Verhalten entziehen kann, sei dies im Fall des Sportunterrichts im Hinblick sowohl auf die Bekleidung als auch auf Kontakte mit Jungen nicht möglich. Andere Lösungen, wie eine Befreiung von einzelnen Übungen, das Tragen einer weit geschnittenen Sportkleidung oder einen Schulwechsel, hält das Gericht zur Vermeidung des Konfliktes für unangemessen. Da der schulische Erziehungsauftrag nicht grundsätzlich in Frage gestellt und eine Ausweitung auf andere Schulfächer nicht anzunehmen ist, sei allein eine Befreiung vom koedukativ erteilten Sportunterricht zur Lösung des Problems angemessen. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht eine wichtige Entscheidung getroffen, die unter Klärung der entsprechenden Voraussetzungen die Möglichkeit zur Befreiung muslimischer Mädchen vom Sportunterricht bietet. Dabei ist festzuhalten, daß es sich nicht um einen grundsätzlichen Anspruch handelt, sondern die Betroffenheit vielmehr im Einzelfall darzulegen ist. [Nach Wissen des Verfassers verfahren Schulen in der Klärung der Angelegenheit nach der Maßgabe des Bundesverwaltungsgerichts.] 43 3.10.2 Tragen des Kopftuchs in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz Anders als in der Türkei ist in Deutschland das Tragen eines Kopftuchs in der Öffentlichkeit keinen Beschränkungen unterworfen. [Aufgrund der laizistischen Gesetzgebung der türkischen Republik ist das Kopftuch zumindest offiziell aus dem öffentlichen Leben verbannt. An Schulen, Hochschulen, Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen ist es nicht erlaubt. Eine Abgeordnete der islamistischen Tugendpartei ist am 2. Mai 1999 wegen ihres Kopftuches aus dem Plenarsaal des türkischen Parlaments verwiesen worden (Der Spiegel 22/1999).] Vielmehr gehören die Kopftücher muslimischer Mädchen und Frauen längst zum Erscheinungsbild vieler Klassenräume, Hörsäle, Supermärkte oder öffentlicher Verkehrsmittel. Dennoch kann es in verschiedenen Bereichen des privaten oder öffentlichen Lebens zu Schwierigkeiten mit dem Kopftuch kommen. Islamische Organisationen wissen regelmäßig davon zu berichten, daß viele muslimische Mädchen wegen ihres Kopftuches Beeinträchtigungen an der Ausbildungs- oder Arbeitsstätte zu erdulden haben. [Im Freitagsblatt 8/1999 sind verschiedene Beispiele unter Nennung der Arbeitsstätte aufgelistet. Die Redaktion des Freitagsblattes hat auf diese Fälle mit einem Aufruf zum Boykott reagiert und die betreffenden Supermarktketten ausdrücklich genannt.] Abgesehen von Fällen persönlicher Benachteiligung im Berufsleben, kann das Tragen des Kopftuches auch zu einem öffentlichen Streitfall werden. Ein sensibler Bereich sind in diesem Zusammenhang die Bestimmungen des Paßrechtes. Sie besagen dazu, „daß das Lichtbild die abgebildete Person ohne Kopfbedeckung und im Halbprofil zu zeigen hat, so daß ein Ohr zu sehen ist" [Zitiert nach: VG Wiesbaden, Urteil vom 10. Juli 1984 - VI/I E 596/82, S. 136.]. Als Ausnahmen von der Regel sind Kranken- und Ordensschwestern ausdrücklich genannt, aber eben nicht Musliminnen. Aus diesem Grund kommt es immer wieder vor, daß Behörden die Ausstellung eines Ausweises verweigern, weil das vorgelegte Lichtbild die betreffende Person mit einem Kopftuch zeigt. Durch Urteil vom 10. Juli 1984 hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden jedoch befunden, daß diese Verweigerung nicht rechtens sei, sondern unter Berufung auf die Religionsfreiheit vielmehr ein Rechtsanspruch auf die Ausstellung der Dokumente besteht, selbst wenn das dafür vorgesehene Lichtbild die betreffende Person mit Kopftuch zeige. [Vgl. ebd.] Das Gericht bewertete das Tragen des Kopftuches als Bestandteil der vom Grundgesetz geschützten Religionsfreiheit. Da die gesetzlichen Bestimmungen gewisse Ausnahmen hinsichtlich der Kopfbedeckung zulassen und die Identifikation der betreffenden Person dennoch möglich ist, wurde dem Anspruch der Muslimin stattgegeben. [Nach Auffassung des Gerichts kann die Verwendung eines Lichtbildes, das die betreffende Person ohne Kopfbedeckung zeigt, zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Gewissenskonflikt führen: „In eine solche Situation könnte die Klägerin, z.B. bei einer Personenkontrolle, geraten, sofern ihr Äußeres nicht mit den in ihren Ausweisen befindlichen Lichtbildern übereinstimmen würde. Sie wäre damit im Falle einer Identitätsfeststellung der ohne weiteres vermeidbaren Gefahr eines Handelns gegen ihre Glaubensüberzeugung ausgesetzt" (Ebd., S. 137).] Dasselbe Problem ist jedoch wiederholt bei der Ausstellung von Führerscheinen aufgetreten. Unter Berufung auf eine dem Paßrecht vergleichbare Regelung der Fahrerlaubnisverordnung haben Behörden beim Vorliegen des Lichtbildes einer Muslimin mit Kopftuch die Erteilung der Fahrerlaubnis verweigert. Nachdem dieser Fall besonders häufig im Stadt- und Landkreis Ludwigshafen vorgekommen ist, hat das zuständige Ministerium des Landes Rheinland-Pfalz 44 eine diesbezügliche Regelung erlassen. [Vgl. Ceylan 1999.] Darin wird festgestellt, daß entsprechende Lichtbilder für die Ausstellung des Führerscheins anzuerkennen sind, wenn die betreffenden Musliminnen das Tragen des Kopftuchs für sich als verbindlich erklären. Wie differenziert die Frage des Kopftuchs jedoch zu beurteilen ist, zeigt sich in einer anderen Entscheidung. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat durch Beschluß vom 23. März 2000 die Beschwerde zweier Iranerinnen (Mutter und Tochter) gegen die Verpflichtung zum Tragen des Kopftuchs bei der Anfertigung von Lichtbildern abgewiesen. [Vgl. VGH München, Beschluß vom 23. März 2000 – 24 CS 00.12.] Als rechtskräftig abgelehnte Asylbewerberinnen waren die beiden zur Ausreise in den Iran verpflichtet. Zu diesem Zweck sollten sie auf Anordnung der Ausländerbehörde bei der iranischen Botschaft die Ausstellung von Ausweisen beantragen und dafür Lichtbilder vorlegen, die sie mit Kopftuch zeigen. Für den Fall, daß sie diese Anordnung nicht befolgen würden, drohte die Ausländerbehörde „die zwangsweise Vorführung bei einem Fotografen" [Zitiert nach: Ebd., S. 3 des Beschlußumdrucks.] an. Dagegen legten die Betroffenen Klage ein, weil eine „Durchsetzung der ‚Kopftuchpflicht’ mittels unmittelbaren Zwangs einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG darstelle" [Zitiert nach: Ebd., S. 4 des Beschlußumdrucks.]. Nachdem das Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Ausländerbehörde wiederherzustellen, abgelehnt hatte, legten sie beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Beschwerde ein. Diese blieb jedoch ohne Erfolg, da das Gericht eine Beeinträchtigung der Beschwerdeführerinnen in ihrer Religionsfreiheit nicht gegeben sah. Es war vielmehr der Auffassung, daß „das Tragen eines Kopftuchs … weder in Deutschland noch im Iran ausschließlich religiöse Bedeutung" habe, „sondern ein auf der im iranischen Staat herrschenden sittlichen Betrachtungsweise beruhendes ordnungsrechtliches Regelwerk" [Ebd., S. 10 des Beschlußumdrucks.] darstelle, das unabhängig von Nationalität und Religionszugehörigkeit verpflichtet. Indem die Anordnung der Ausländerbehörde ausdrücklich keinen religiösen Inhalt habe und das Kopftuch nicht ausschließlich als religiöses Symbol zu verstehen sei, konnte das Gericht keine Verletzung des Grundrechts der Religionsfreiheit erkennen, zumal die Beschwerdeführerinnen dafür keine ausreichenden Gründe vorzutragen vermochten. [„Der Regelungsgehalt der angegriffenen Anordnung erschöpft sich darin, daß die Antragstellerinnen für den kurzen Moment der Anfertigung eines Passfotos das Kopftuch anlegen. Dagegen wird von ihnen nicht verlangt, daß sie ein Kopftuch in der Öffentlichkeit und als religiöses Symbol des islamischen Glaubens ‚tragen’ sollen. Die Anordnung ist nicht auf gewisse Dauer angelegt. Sie stellt daher – im Gegensatz zu der im Iran geltenden Vorschrift – überhaupt keine Bekleidungsvorschrift für das Leben in Deutschland dar" (Ebd., S. 13 des Be schluß umdrucks).] Anders zu bewerten als in diesem Fall ist hingegen die Frage des Kopftuchs im Zusammenhang mit der Einstellung einer Muslimin in den öffentlichen Dienst. Das bekannteste Beispiel ist zweifellos der Fall der muslimischen Lehramtsanwärterin Fereshta Ludin, die sich nach erfolgreichem Abschluß von Studium und Referendariat um Einstellung in den Schuldienst des Landes Baden-Württemberg beworben hatte. Nachdem sie im Einstellungsgespräch bekundet hatte, aus religiösen Gründen nicht auf das Tragen des Kopftuchs im Unterricht verzichten zu können, lehnte das zuständige Oberschulamt ihre Bewerbung am 10. Juli 1998 ab. Da das Tragen des Kopftuchs nicht mit dem Neutralitätsgebot des Staates zu vereinbaren ist, sei Frau Ludin nicht für den öffentlichen Schuldienst geeignet. Die Kultusministerin des Landes BadenWürttemberg, Annette Schavan, bestätigte diese Entscheidung am 13. Juli 1998. [Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 1998.] 45 Während für Frau Ludin das Tragen des Kopftuchs als Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung zu ihrer Identität gehört, sah die Ministerin darin auch ein politisches Symbol mit einer hohen öffentlichen Signalwirkung, die der Staat sich nicht zu eigen machen dürfe. [Zur Abwägung des Sachverhalts „gehört auch die innerislamische Diskussion um die Bedeutung des Kopftuchs jenseits der persönlichen Motive von Frau Ludin. Das Tragen des Kopftuchs gehört nicht zu den religiösen Pflichten einer Muslimin. … Das Kopftuch wird vielmehr in der innerislamischen Diskussion auch als Symbol für kulturelle Abgrenzung und damit als politisches Symbol gewertet" (Ebd., S. 2).] Nachdem das Oberschulamt einen Widerspruch gegen seine Entscheidung abgelehnt hatte, erhob Frau Ludin Klage mit der Absicht, ihre Einstellung in den Schuldienst gerichtlich zu erstreiten. Durch Urteil vom 24. März 2000 lehnte das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage jedoch ab. [Vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 24. März 2000 – 15 K 532/99.] Es stellte fest, daß die Entscheidung zur Einstellung in den Schuldienst ohne Rücksicht auf unter anderem das religiöse Bekenntnis der Bewerberin zu treffen sei. Ungeachtet der fachlichen Qualifikation, erfülle Frau Ludin „jedoch nicht die persönlichen Voraussetzungen, weil sie im Dienst ein religiös motiviertes Kopftuch tragen möchte und dadurch gegen ihre Dienstpflichten verstoßen würde." [Ebd., S. 4 des Urteilsumdrucks.] Die Ablehnung, sie in den Schuldienst einzustellen, sei daher rechtens gewesen. Zwar anerkannte das Gericht den Anspruch der Klägerin auf ungestörte Religionsausübung, doch sei eine Einschränkung im Hinblick auf ihre Neutralitätspflicht als Lehrerin gerechtfertigt. Zu diesem Ergebnis gelangte das Gericht angesichts einer extensiven Auslegung des Symbolgehalts des in Frage stehenden Kopftuchs: „Ein Kopftuch, wie es die Klägerin trägt, demonstriert auffallend und eindrucksvoll das religiöse islamische Bekenntnis" [Ebd., S. 6 des Urteilsumdrucks.]. Dem aber würden die betreffenden Schüler schutzlos ausgeliefert sein, die dadurch in ihrer Religionsfreiheit beeinträchtigt sein könnten. Die dem Staat aufgetragene Neutralitätspflicht lasse dies jedoch nicht zu. In der Sache anders hat das Verwaltungsgericht Lüneburg durch Urteil vom 16. Oktober 2000 entschieden und die Bezirksregierung Lüneburg zur Übernahme einer muslimischen Lehramtsanwärterin mit Kopftuch verpflichtet. Das Kopftuch allein sei kein Grund, eine mangelnde Eignung für den Schuldienst anzunehmen, hierzu bedürfe es vielmehr weiterer substanzieller Anhaltspunkte. [Vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 16. Oktober 2000 – 1 A 98/00. Da das Urteil zum Zeitpunkt der Abfassung der Studie noch nicht schriftlich mitgeteilt worden war, sind keine weiteren Ausführungen dazu möglich gewesen.] 4. „Seelsorge" an Muslimen in öffentlichen Institutionen Die Anwesenheit von Muslimen in öffentlichen Institutionen stellt differenzierte Anforderungen an die Betreiber oder Träger dieser Einrichtungen. Unweigerlich taucht die Frage nach ihrer Betreuung oder „Seelsorge" auf. Während die Diskussion im Zusammenhang mit dem Begehren nach Einführung islamischen Religionsunterrichts im schulischen Bereich seit geraumer Zeit geführt wird und entsprechend weit gediehen ist - sofern die Anforderungen gegenseitig bekannt sind [Vgl. Rohe 2000.] - ist die Problematik in anderen Lebensbereichen vergleichsweise neu. Das hat damit zu tun, daß sich Institutionen wie Bundeswehr oder Altenheim erst sukzessive dem Zugang von Muslimen öffnen und damit verbunden deren Zahl in ihnen (noch) gering ist. Da sie aller Voraussicht nach in der Zukunft zunehmen wird, darf die Reichweite der in Frage stehenden Problematik nicht unterschätzt werden. 46 Im einzelnen handelt es sich um folgende Institutionen: Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, Polizei, Strafanstalten, Krankenhäuser, Behindertenheime, Altenpflegeheime usw. Auf der Basis des Grundgesetzes und entsprechender Vereinbarungen mit Bund oder Ländern sind Strukturen der beiden großen christlichen Kirchen zur Seelsorge ihrer Gläubigen in den jeweiligen Einrichtungen entstanden. [Vgl. Campenhausen 1991; Ders. 1996; Eick-Wildgans 1995; Seiler 1995; Heintzen 1995.] Im Zusammenhang dieses Beitrags kann es nicht darum gehen, die Frage kirchlicher Seelsorge in den genannten Einrichtungen zu diskutieren. Vielmehr ist nach den Bedingungen und Möglichkeiten zur Schaffung eines vergleichbaren Angebots für muslimische Gläubige angesichts der dargestellten Situation zu fragen. Hierbei sind zum einen die Voraussetzungen des Grundgesetzes zur Religionsausübung und zum anderen das Selbstverständnis der Muslime von der Ausübung ihres Glaubens in Betracht zu ziehen, bevor Schlußfolgerungen für einzelne Einrichtungen zu ziehen sind. 4.1 Voraussetzungen des Grundgesetzes Ansatzpunkt allen seelsorglichen Wirkens in öffentlichen Einrichtungen ist die Tatsache, daß die sich in ihnen aufhaltenden Menschen zur Ausübung ihres Grundrechts auf Religionsfreiheit fremder Hilfe bedürfen. Der Charakter des Aufenthalts in einer der genannten Einrichtungen bringt zwangsläufig eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit mit sich. Ob es sich um einen Wehrpflichtigen, einen Strafgefangenen oder einen Krankenhausinsassen handelt, sie alle können ihren Glauben nur unter den Lebensbedingungen der jeweiligen Institution ausüben und normalerweise nicht am religiösen Leben ihrer Gemeinden teilnehmen. Dennoch garantiert ihnen das Grundgesetz auch für die Dauer des Aufenthalts in den jeweiligen Einrichtungen Religionsfreiheit, wozu auch die ungestörte Religionsausübung gehört. Die Schutzwirkungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gelten daher auch für den betreffenden Personenkreis. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit als Individualrecht bleibt in den genannten Lebenszusammenhängen grundsätzlich unangetastet, wenn auch seine Ausübung durch die Erfordernisse der Anstalt eingeschränkt sein kann. Darüber hinaus garantiert das Grundgesetz den Religionsgesellschaften bei Bedarf die Zulassung zur Vornahme religiöser Handlungen. Die entsprechende Regelung in Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV lautet: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist." Den Bereich individueller Religionsausübung überschreitend werden damit den Religionsgesellschaften Möglichkeiten ihres Wirkens eröffnet, sofern das Bedürfnis danach besteht. Dabei genügt die bloße Anwesenheit von Gläubigen einer entsprechenden Glaubensrichtung, um das Vorliegen eines solchen Bedürfnisses zu konstatieren. Axel Freiherr von Campenhausen spricht dieser Regelung folgende Bedeutung zu: „Unter der Geltung des GG hat Art. 141 WRV jetzt die Funktion einer Verdeutlichung der Wirkung des Art. 4 in einem speziellen, besonders sensiblen Bereich staatlichen Handelns. Es geht mit anderen Worten bei der Anstaltsseelsorge um Grundrechtsermöglichung unter den besonderen Bedingungen des Anstaltsverhältnisses." [Campenhausen 1996, S. 223.] 47 Als in Betracht kommende religiöse Handlungen nennt der Artikel zusammenfassend „Gottesdienst und Seelsorge". Während der Begriff des Gottesdienstes die wesentlichen liturgischen Handlungen der christlichen Glaubensgemeinschaften meint, bezeichnet das Wort Seelsorge den umfassenden Auftrag kirchlichen Handelns am ganzen Menschen. Neben spezifisch religiösen Handlungen können daher auch Formen karitativen und sozialen Wirkens dazu gehören. Der Begriff der Seelsorge bedarf daher im Hinblick auf die sogenannte Anstaltsseelsorge einer entsprechenden Differenzierung, wie dies denn auch in den jeweiligen Vereinbarungen für bestimmte Arten der Anstaltsseelsorge der Fall gewesen ist. [Zur Begrifflichkeit schreibt Campenhausen: „Der Begriff der religiösen Handlung ist – auch auf dem Hintergrund der Rspr. des BVerfG zu Art. 4 GG – weit auszulegen. Vor allem ist das Selbstverständnis und die Auffassung der jeweiligen Religionsgemeinschaft zu beachten. … Zu den religiösen Handlungen i.S.d. Art. 141 WRV gehören deshalb alle Handlungen, die als korporative Grundrechtsausübung in Betracht kommen. … Hieraus wird man freilich nicht den Schluß ziehen dürfen, daß es überhaupt keine Grenzen für die Definition von religiösen Handlungen gäbe. Auch wenn Art. 4 GG einer dynamischen Auslegung zugänglich ist, Kirchen und Religionsgemeinschaften auch bisher ungewohnte Handlungsweisen als Seelsorge deklarieren oder der Seelsorge zurechnen können, muß die Grundrechtsausübung für den heutigen Betrachter verstehbar, objektivierbar und voraussehbar sein. Staatliche Gerichte müssen in der Lage sein, eine selbständige rechtliche Bewertung zu treffen. Ein uneingeschränktes subjektives Erfindungsrecht für das, was Religionsbetätigung oder Seelsorge oder religiöse Handlung sei, ist den Grundrechtsträgern also nicht eingeräumt. Die Grenzen der vom Tatbestand erfaßten Verhaltensweisen ergeben sich aus dem Umstand, daß das Grundrecht ein Element der Rechtsordnung ist, also anwendbar und deshalb objektiv beurteilungsfähig sein muß" (Ebd., S. 226f.).] Als berechtigt zur Vornahme von religiösen Handlungen betrachtet der Artikel allein die Religionsgesellschaften, wobei infolge der Gleichstellung nach Art. 137 Abs. 7 WRV auch die Weltanschauungsgemeinschaften hinzuzuziehen sind. Das Grundgesetz formuliert somit auf individueller wie auf korporativer Ebene einen Anspruch auf Religionsfreiheit in den betreffenden Einrichtungen. Da in diesen Fällen die Wirkungskreise von Staat und Religionsgesellschaften ineinander fallen und dennoch nicht austauschbar sind, handelt es sich bei der Anstaltsseelsorge - vergleichbar dem Religionsunterricht - um sogenannte gemeinsame Angelegenheiten. [„Eine gemeinsame Angelegenheit ist die Anstaltsseelsorge deshalb, weil die Kommandogewalt, Leitung und Verantwortung in den Anstalten dem Staat bzw. dem öffentlichen Anstaltsträger zustehen, die Seelsorge und die Abhaltung von Gottesdiensten aber auch in den Anstalten eine kirchliche Angelegenheit bleiben" (Ebd., S. 224).] Die im Grundgesetz zugrunde gelegte Beziehung zwischen Staat und Religionsgesellschaften gebietet ein Zusammenwirken beider in diesen Fragen. Das religiöse Wirken der Religionsgesellschaften vollzieht sich innerhalb des Auftrags der jeweiligen Institution. Somit bedarf es genauer Absprachen zur Regelung von Organisation und Ablauf der Anstaltsseelsorge. Dabei steht im Hintergrund dieses Zusammenhangs - das haben die bisherigen Ausführungen erkennen lassen - das Modell kirchlicher Organisationsformen und -strukturen. Inwieweit dieses sich auf Fragen muslimischer Religionsausübung übertragen läßt, ist Gegenstand der weiteren Überlegungen. Ohne jeden Zweifel hat der einzelne Muslim einen Anspruch auf das Grundrecht der Religionsfreiheit, die nicht vor Kasernentoren oder Gefängnistüren Halt macht. Dementsprechend ist festzustellen, daß die betreffenden Einrichtungen oftmals bemüht sind, den religiösen Verpflichtungen ihrer muslimischen Insassen im Rahmen ihrer Möglichkeiten nachzukommen. Hierbei ist etwa an schweinefleischfreie oder vegetarische Kost in 48 Krankenhäusern oder Gefängnissen sowie an die Bereitstellung von Gebetsräumen in Krankenhäusern oder Altenheimen zu denken. [Ein Beispiel aus dem Bereich der Altenpflege bietet das Multikulturelle Seniorenzentrum Haus am Sandberg in Duisburg-Homberg, das bislang jedoch nicht die angestrebte Akzeptanz der türkischen Muslime des Stadtteils gefunden hat (Helmstaedter / Michels 1997).] Die Reichweite der individuellen Religionsausübung mag allerdings im einzelnen ein Streitfall sein. Grundlegende Informationen über Einzelfragen sowie klärende Absprachen zwischen Muslimen und der Anstaltsleitung können dabei der Vermeidung von Konflikten dienen. Wo dies im Einzelfall oder grundsätzlich nicht gelingt, kann die Frage Gegenstand einer richterlichen Urteilsfindung werden. Wie bereits erwähnt, wies das Verwaltungsgericht Hamburg durch Urteil vom 26. Januar 1994 die Klage eines Muslims auf Zurückstellung vom Wehrdienst wegen islamischer Glaubenszugehörigkeit ab. [Vgl. S. 32.] Die Möglichkeiten und Grenzen individueller Religionsausübung sollten daher in den verschiedenen Einrichtungen geklärt werden. Dabei ist eine Differenzierung nach unterschiedlichen religiösen Gruppierungen zu berücksichtigen. Nicht alle in Deutschland lebenden Türken gehören dem sunnitischen Islam an, neben kleinen schiitischen und christlichen Minderheiten, sind sehr viele von ihnen Aleviten. Bei den Aleviten handelt es sich um eine religiöse Sondergruppe, die sich in ihrem Selbstverständnis erheblich von der Sunna und der Schia unterscheidet. Kennzeichnend ist vor allem, daß Aleviten die fünf religiösen Grundpflichten des Islams nicht befolgen und statt dessen eine Reihe eigener Rituale entwickelt haben. [Einen Überblick bietet Spuler-Stegemann 1998, S. 51-56.] Die für Muslime typischen Formen der Religionsausübung, wie das rituelle Gebet und das Fasten im Monat Ramadan, finden daher bei ihnen keine Anwendung (sie fasten statt dessen zehn oder zwölf Tage im Monat Muharram). Dies kann kein Argument gegen die verbindliche religiöse Praxis anderer sein, sondern verdeutlicht vielmehr die Notwendigkeit der Differenzierung. Hinsichtlich der Garantie des Grundgesetzes auf Zulassung zur Vornahme von religiösen Handlungen ergeben sich im Blick auf muslimische Gemeinschaften Bedenken. Im Wortlaut der WRV ist von „Religionsgesellschaften" als Trägern von Gottesdienst und Seelsorge die Rede. Damit ist ein organisatorischer Zusammenschluß von Angehörigen einer Religion gemeint, „der die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses - oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse - zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfaßt." [Zitiert nach: Tillmanns 1999, S. 476. Diese gängige Definition des Begriffs der Religionsgemeinschaft geht auf Gerhard Anschütz in seinem Kommentar zur WRV zurück.] Daraus ergibt sich, daß nicht jeder beliebige Gläubige zur Anstaltsseelsorge berechtigt ist, sondern vielmehr die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft vorausgesetzt ist, deren Vertreter religiöse Handlungen vornehmen dürfen. Ob nun muslimische Gemeinschaften in Deutschland den Charakter einer Religionsgemeinschaft im Sinne von Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV besitzen, ist weithin strittig. Zwar bezeichnen sich einige von ihnen, wie der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland / Islamischer Weltkongreß Deutschland (altpreußischer Tradition) e.V. und der Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ), ausdrücklich als Religionsgemeinschaften, [Die entsprechenden Passagen der Vereinsatzungen lauten: „Der Verein ist eine autonome islamische Religionsgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der Verfassung (Grundgesetz) und der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland" (Satzung des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland / Islamischen Weltkongresses Deutschland [altpreußischer Tradition] e.V. vom 29. November 1997 § 2 Abs. 3). 49 „Bei dem Verband der Islamischen Kulturzentren handelt es sich um eine Religionsgemeinschaft, die im Rahmen des Artikels 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit den fortgeltenden Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 gegründet worden ist. Dies wurde vom Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 12. August 1994 unter dem Aktenzeichen: IV A 3 - 224 - offiziell anerkannt" (Satzung des Verbandes der Islamischen Kulturzentren e.V. vom 21. August 1994 § 1 Abs. 4).] doch steht ihre rechtliche Anerkennung als solche derzeit noch aus. Die Diskussion um den Rechtsstreit der Islamischen Föderation Berlin e.V. (IFB) mit der Senatsverwaltung des Landes Berlin um die Erlaubnis zur Erteilung islamischen Religionsunterrichts macht die Problematik deutlich. [Vgl. Tillmanns 1999.] Während das Verwaltungsgericht Berlin die Voraussetzung dafür, nämlich den Charakter der IFB als Religionsgemeinschaft im Sinne von § 23 Abs. 1 SchulG Berlin, für nicht gegeben sah, [Vgl. VG Berlin, Urteil vom 19. Dezember 1997 – 3 A 2196/93.] kam das Oberverwaltungsgericht Berlin am 4. November 1998 zu folgendem Urteil: „Der Kläger erfüllt alle Merkmale einer Religionsgemeinschaft." [OVG Berlin, Urteil vom 4. November 1998 – 7 B 4/98, S. 555.] Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Urteil am 23. Februar 2000 zwar im Prinzip bestätigt, aber dennoch darauf hingewiesen, daß die Auslegung des Begriffs der Religionsgemeinschaft in diesem Fall nicht durch die entsprechenden Bestimmungen des Grundgesetzes vorgegeben sei. [Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2000 – 6 C 5/99. In der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom gleichen Tage heißt es: „Der dort [d.h. in Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG, Th.L.] verwandte Begriff der Religionsgemeinschaft enthält daher keine für das Land Berlin verbindliche Vorgabe. Hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des gleichlautenden Begriffs im Berliner Schulgesetz muß es daher bei der Entscheidung des OVG verbleiben, welchem für die Auslegung und Anwendung von Landesrecht die letztinstanzliche Kompetenz zukommt."] Da Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG durch die sogenannte „Bremer Klausel" in Art. 141 GG in Berlin ausdrücklich keine Anwendung findet, kann es sich bei der IFB demnach lediglich um eine Religionsgemeinschaft im Sinne von § 23 Abs. 1 SchulG Berlin handeln. Auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 9. September 1999 zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verbot des betäubungslosen Schächtens hatte den Charakter der IRH als Religionsgemeinschaft im Sinne von § 4a TierSchG zum Gegenstand. [Vgl. S. 43.] Eine Prüfung im Hinblick auf Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV steht derzeit generell noch aus. Aus diesen Feststellungen ergibt sich, daß die verschiedenen muslimischen Gemeinschaften in Deutschland derzeit (noch) nicht als Träger einer ordentlichen Anstaltsseelsorge betrachtet werden können. 4.2 Selbstverständnis der Muslime Umgekehrt ist mit vollem Recht zu fragen, ob Muslime von ihrem religiösen Selbstverständnis her überhaupt in diesem Sinne „Seelsorge" betreiben wollen und können. Dazu schrieb der Islamwissenschaftler Richard Hartmann: „Der Islam hat eine sehr umfassende offizielle Gottesdienstordnung. Individuelle Seelsorge aber ist in dem vom Gesetz geregelten Kult nicht vorgesehen. Und doch erwies sie sich als nötig. … Durch die Zulassung breiter Laienschichten in die Derwischbruderschaften und damit wenigstens in den Vorhof der eigentlichen Mystik haben die Derwischorden weitgehend die Aufgabe der Seelsorger im Islam übernommen." [Hartmann 50 1992, S. 153] Hinter dieser Aussage steht ein theologisches Selbstverständnis, das den Islam grundlegend vom Christentum unterscheidet. Demnach steht der Mensch in einer unmittelbaren Beziehung zu seinem Schöpfer, die keiner Vermittler bedarf. Aufgrund einer schöpfungsgemäßen Veranlagung ist jeder Mensch seinem Wesen nach auf Gott ausgerichtet und kommt seiner Bestimmung in gläubiger Hingabe an Gott nach. Diese Hingabe macht bereits das Wesen des Wortes Islam aus, und indem der Mensch diese Hingabe vollzieht, wird er zum Muslim. [Vgl. Lemmen 2000c, S. 33f.] Es bedarf daher keiner besonderen Riten der Initiation, da der Islam bereits die schöpfungsgemäße Religion der Menschen darstellt. Die Aufgabe der Propheten und besonders des Propheten besteht darin, die Menschen durch die Verkündigung göttlicher Willensmitteilungen zum Glauben zu rufen. Hinzu kommt, daß der Islam die theologische Lehre von der Erbsünde nicht teilt und ihm daher die damit verbundene Erlösungslehre durch ein stellvertretendes Leiden ebenso fremd ist. [Allein der schiitische Islam kennt die Vorstellung eines stellvertretenden Leidens seiner Imame: „Die ‚Sünd losen’ nehmen freiwillig einen Teil der Strafe auf sich, die eigentlich den sündigen Menschen gebührt; ihr stellvertretendes Leiden erspart es der Menschheit, von der vollen Gerechtigkeit Gottes getroffen zu werden. Das Selbstopfer befähigt die Märtyrer zudem, eine Mittlerrolle … bei Gott einzunehmen und mit ihrer Fürsprache … für die Gläubigen einzutreten. Dieser Glaube an das stellvertretende Leiden kommt christlichen Vorstellungen sehr nahe, so daß man die schiitische Imamologie geradezu als ‚islamische Christologie’ hat bezeichnen können. Allerdings dürfen die Unterschiede nicht verwischt werden: Die Vorstellung von einer existentiellen Sündhaftigkeit, einer ‚Erbsünde’, von der die Menschheit erlöst werden müsse, ist der Schia – wie dem Islam überhaupt – fremd; die Passion der Imame gilt lediglich die Strafe ab, die der Gläubige durch individuelles Verschulden verwirkt hat" (Halm 1988, S. 177f.).] Diese andere theologische Konzeption hat zur Folge, daß der Islam seinem Selbstverständnis nach keine Kirche ist, sondern vielmehr eine umma, eine Gemeinschaft von Gläubigen. Seinem Wesen nach bedarf er daher keiner Vermittler und keiner Amtsträger zum Vollzug bestimmter Rituale. Vielmehr ist jeder erwachsene und vernünftige Muslim, der um seine Religion weiß, zur Vornahme der entsprechenden rituellen Handlungen berechtigt. Mit anderen Worten gesagt ist jeder Muslim/jede Muslima sein/ihr eigener „Priester" und „Seelsorger". Demnach läßt sich der Begriff der Seelsorge in seinem spezifisch christlichen Bedeutungsgehalt nicht unmittelbar auf das religiöse Leben der Muslime übertragen. Hinsichtlich der Anstaltsseelsorge ist daher zu fragen und zu klären, was damit aus muslimischem Verständnis überhaupt gemeint sein kann. So warnen beispielsweise Muslime in Deutschland um der eigenen Identität willen vor der Übernahme von Organisationsformen und -strukturen, die dem Islam fremd sind. Im Bemühen um den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts sehen sie die Gefahr einer Verkirchlichung, die durch eine „strukturelle Assimilation des Islams in Deutschland" [So lautet der Titel eines Beitrages von Ayyub Axel Köhler, in dem er sich kritisch mit der Frage der Körperschaftsrechte für muslimische Organisationen in Deutschland auseinandersetzt (Köhler 1999). In einem früheren Beitrag zum Thema zog er folgende Konsequenz: „Wer aber diese Körperschaft mit Kirchenstruktur anstrebt, muß den Islam reformieren, d.h. säkularistisch deformieren. Naturgemäß setzen sie sich der großen Gefahr aus, aufgrund ihres nun ambivalenten Verhältnisses zu Staat und Welt sich politisch-ideologisch anzupassen und dabei ihren religiösen Gehalt zu opfern. Die endgültige Spaltung der Muslime und schwere innerislamische Auseinandersetzungen werden ein böses Erwachen auslösen. Über die weitreichenden Konsequenzen dieser Bestrebungen … müßten sich die Verantwortlichen, wenn sie den Islam verstanden haben, eigentlich im Klaren sein" (Ders. 1997, S. 6f.).] drohe. Tatsächlich erwecken Formen muslimischer Selbstorganisation, wie sie in der sogenannten Geistlichen Verwaltung des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Hauptabteilung Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen und den entsprechenden Referaten für Seelsorge in Bundeswehr, Polizei, Krankenhaus und Justizvollzugsanstalten begegnen, einen 51 derartigen Eindruck. [Diese Struktur geht auf eine Änderung der Verfassung des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland vom 4. September 1993 zurück (Lemmen 1999b, S. 18f.).] Dabei geben die Bezeichnungen an sich noch keine Auskunft darüber, was damit gemeint sein soll. Die Struktur des Islamrates insgesamt soll dabei dem „Modell der Reformierten Kirche" [Mit diesen Worten zitiert Köhler den früheren Vorsitzenden und heutigen Ehrenvorsitzenden des Islamrates, Muhammad Salim Abdullah (Köhler 1999, S. 16 Anm. 3).] nachempfunden sein. Grundsätzlich geht es in der Frage der Anstaltsseelsorge um die Vornahme religiöser Handlungen. Als solche nennt Art. 141 WRV ausdrücklich die Bereiche „Gottesdienst und Seelsorge". Diese Formulierung erfordert jedoch hinsichtlich der Muslime eine weitere Konkretisierung. Unter den Begriff des Gottesdienstes fällt zweifelsfrei das den Muslimen vorgeschriebene fünfmal täglich stattfindende Ritualgebet. Für den Vollzug des Gebetes sind ein Zustand ritueller Reinheit, die Einhaltung bestimmter Zeiträume und die Ausrichtung nach Mekka erforderlich. Grundsätzlich kann jeder Muslim alleine beten, vorzugsweise tut er es aber zusammen mit anderen, woraus sich die Notwendigkeit eines Raumes für das gemeinsame Gebet ergibt. Es kann prinzipiell an jedem Ort stattfinden, sofern es sich um eine für das Gebet würdige Stätte handelt. Der Platz, an dem es geschieht, wird dadurch zur Moschee, zum Ort der Niederwerfung. Anders als eine Kirche ist eine Moschee daher kein sakraler oder geweihter Raum. [Vgl. Lemmen 2000a, S. 21-25.] Somit stellt sich die Frage nach „Krankenhausmoscheen" oder „Gefängnismoscheen" anders als die Frage nach Krankenhauskapellen oder Gefängniskapellen. Damit soll nicht einer Verdrängung von betenden Muslimen in Abstellräume Vorschub geleistet, sondern lediglich der andere Charakter ihrer Gebetsstätte hervorgehoben werden. Charakteristisch anders ist ferner, daß es für das gemeinsame Beten eigentlich keiner Assistenz von außen bedarf. Vielmehr kann jeder erwachsene, vernünftige und in seiner Religion bewanderte Muslim dem gemeinsamen Gebet von mehreren Muslimen als Imam vorstehen. Für das gemeinsame Gebet in Anstalten ist deshalb theoretisch kein Imam von außerhalb notwendig. Erforderlich ist er allenfalls für das Freitagsgebet und die Festtagsgebete, zu deren verbindlichen Bestandteilen die Abhaltung einer Predigt gehört. Diese Predigt halten zu können, setzt gewisse religiöse Kenntnisse voraus, die nicht bei jedem muslimischen Patienten oder Strafgefangenen angenommen werden können. [Erol Pürlü vom VIKZ, der aufgrund einer besonderen Vereinbarung in der Justizvollzugsanstalt Siegburg muslimische Jugendliche betreut, berichtete bei einer Tagung der Friedrich-EbertStiftung am 4. Mai 2000 in Berlin, daß sich die ordnungsgemäße Durchführung des gemeinsamen Gebetes schon deshalb schwierig gestaltet, weil anfänglich keiner der beteiligten Jugendlichen den Gebetsruf ausrufen konnte.] Somit tut in diesen Fällen die Hilfe eines kundigen Muslims von außen not. Dabei gilt jedoch zu beachten, daß die Verpflichtung zum Freitagsgebet und zu den Festtagsgebeten dem islamischen Recht zufolge nicht für Reisende, Kranke und Gefangene besteht. [Vgl. Arikan 1998, S. 133-135.] Wenn Seelsorge hingegen in einem weiten Sinn gefaßt wird und das umfassende religiöse Handeln für und an Gläubigen meint, dann kann und muß der Begriff auch für Muslime Anwendung finden. Die Tatsache, daß menschliche Extremsituationen wie Krankheit oder Gefängnisaufenthalt, zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn menschlichen Daseins führen, ist auch im Hinblick auf Muslime in diesen Einrichtungen ernst zu nehmen. Die Konfrontation mit solchen Situationen kann eine verstärkte Hinwendung zum Glauben und seiner Ausübung zur Folge haben. Bedingt durch den Aufenthalt in einer 52 öffentlichen Einrichtung können sich dann auch Fragen im Hinblick auf die Religionsausübung unter den besonderen Verhältnissen ergeben. Über den Kreis der unmittelbar zur Verfügung stehenden Personen hinaus, können daher Rat und Hilfe eines kundigen Muslims erforderlich werden. Somit tut ein muslimischer Ansprechpartner in öffentlichen Einrichtungen not. Zu dessen Tätigkeiten können die Unterweisung im Glauben und seiner Ausübung gehören. Die Ausübung der religiösen Grundpflichten des Islams setzt nämlich die Kenntnis der jeweiligen Vorschriften des islamischen Rechts voraus. Aufgabe eines solchen „Seelsorgers" kann daher sein, für die Anliegen von Muslimen hinsichtlich der Inhalte ihres Glaubens und seiner Ausübung unter den besonderen Lebensverhältnissen zur Verfügung zu stehen. Diese Hilfe ist besonders notwendig bei der Begleitung Sterbender, denen bestimmte Korantexte und Gebete vorzusprechen sind, und im Umgang mit Toten, die auf bestimmte Weise für die Bestattung vorzubereiten sind. [Vgl. Lemmen 1999a, S. 14-22.] Doch auch in diesen Fällen gilt: Jeder Muslim/jede Muslima, der/die um die entsprechenden Vorschriften weiß, ist berechtigt, die Handlungen vorzunehmen. Auch in diesen Fragen ist die bereits erwähnte Differenzierung nach Sunniten/Schiten und Aleviten zu berücksichtigen. Dabei sei angemerkt, daß die bei Aleviten verbreitete religiöse Funktion der dede, womit die „traditionellen religiösen Amtsträger" [Kehl-Bodrogi 1993, S. 273.] gemeint sind, noch am ehesten Wesen und Aufgabe eines „Seelsorgers" nahe kommt. 4.3 Schlußfolgerungen Als Ergebnis ist zunächst festzustellen, daß eine ordentliche muslimische Anstaltsseelsorge zwar notwendig, aber derzeit noch nicht möglich ist, weil einerseits muslimische Organisationen nicht über die formellen Voraussetzungen dazu verfügen und sie andererseits das Anforderungsprofil ihres Verständnisses der „Seelsorge" definieren müssen. Denkbar ist jedoch die Einführung bestimmter Formen einer außerordentlichen Anstaltsseelsorge in Absprache mit den zuständigen Anstaltsleitungen. Im Hinblick auf eine bessere Betreuung von Muslimen in den verschiedenen öffentlichen Einrichtungen lassen sich bereits jetzt eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten erkennen. Dazu gehört: 1. die Einhaltung der islamischen Speisevorschriften zu gewährleisten; 2. einen Raum für das gemeinsame Gebet zur Verfügung zu stellen; 3. die Teilnahme am Freitagsgebet zu ermöglichen, falls dies vom Arbeitsablauf der Einrichtung her denkbar ist; 4. die Teilnahme an den beiden Festtagsgebeten zu gestatten; 5. geeignete muslimische Gesprächspartner zur Beratung in religiösen Angelegenheiten in den Einrichtungen zuzulassen. In der Vergangenheit haben Mitarbeiter der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) in Justizvollzugsanstalten für die Betreuung türkischer Muslime zur Verfügung gestanden. So anerkennenswert dieses Bemühen in der berechtigten Sorge um das Wohl der türkischen Landsleute auch sein mag, so problematisch ist dieses Unterfangen auf der anderen Seite. Handelt es sich doch bei den Mitarbeitern der DITIB um Bedienstete des türkischen Staates, die der Dienstaufsicht durch die zuständigen Konsulate unterstehen und denen eine 53 Quasi-Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland eingeräumt wird. [Vgl. Lemmen 2000a, S. 36.] Die zuständigen Strafvollzugsämter müssen sich daher die Frage gefallen lassen, ob dieses Vorgehen in Einklang mit den Voraussetzungen des Grundgesetzes steht. Selbst wenn eine ordentliche Anstaltsseelsorge für muslimische Strafgefangene aus den genannten Gründen nicht möglich sein kann, ist es mehr als fraglich, ob Vertretern eines ausländischen Staates vergleichbare Befugnisse zustehen dürfen. Für die verschiedenen Bereiche der Anstaltsseelsorge lassen sich abschließend im Hinblick auf Muslime die folgenden Feststellungen treffen: 1. Bundeswehr [Vgl. Seiler 1995, S. 961-980.] Das Soldatengesetz begründet in § 36 einen Anspruch der Soldaten auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung. Die Seelsorge in der Bundeswehr beruht für evangelische Soldaten auf dem Militärseelsorgevertrag (MSV) vom 22. Februar 1957 und für katholische Soldaten auf dem Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Sie wird für beide durch das Militärseelsorgegesetz vom 26. Juli 1957 geregelt. [Die beamtenrechtlichen Bestimmungen des Militärseelsorgevertrages sind nach Art. 2 des Militärseelsorgegesetzes und nach Abstimmung mit dem Heiligen Stuhl sinngemäß auf die katholischen Militärgeistlichen anzuwenden.] Die Militärseelsorge ist ausdrücklich keine staatskirchliche Einrichtung, sondern wird „als Teil der kirchlichen Arbeit im Auftrag und unter Aufsicht der Kirche" [Art. 2 Abs. 1 MSV.] ausgeübt. Demzufolge sind die Militärgeistlichen zwar Bundesbeamte, unterstehen jedoch in ihrer Leitung und Dienstaufsicht dem zuständigen Militärbischof. Zu ihren Aufgaben gehören der „Dienst am Wort und Sakrament und die Seelsorge" [Art. 4 MSV.] sowie die Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts. Bei letzterem handelt es sich eigentlich um eine Aufgabe des Staates, die dieser an die Militärseelsorger delegiert hat. Die Militärseelsorge ist in personale Seelsorgebereiche eingeteilt, weshalb Soldaten für die Zeit ihres Dienstes nicht den Ortskirchengemeinden angehören. Ein dem Militärseelsorgevertrag vergleichbares Abkommen mit einem Vertragspartner auf muslimischer Seite ist derzeit noch nicht in Sicht, so daß es bislang keine Militärseelsorge für Muslime geben kann. Dennoch sollte die Bundeswehr entsprechende Maßnahmen ergreifen, um den muslimischen Soldaten die ungestörte Religionsausübung zu ermöglichen. Fraglich ist ferner, ob nicht eine Regelung hinsichtlich des Lebenskundlichen Unterrichts, der getrennt nach Konfessionen und auf freiwilliger Basis stattfindet, für muslimische Soldaten denkbar ist. 2. Bundesgrenzschutz [Vgl. Seiler 1995, S. 981-984.] Anders als in der Bundeswehr besteht beim Bundesgrenzschutz kein Anspruch auf Seelsorge. Dennoch ist sie durch entsprechende Vereinbarungen zwischen dem Staat und den beiden Kirchen ausdrücklich gewährleistet. Organisation und Aufbau der Bundesgrenzschutzseelsorge entsprechen der Militärseelsorge, wobei jedoch die Seelsorger keine Beamten, sondern Angestellte sind. Die Bundesgrenzschutzbeamten selbst gehören – anders als Soldaten – weiterhin ihren Ortskirchengemeinden an. Der Berufsethische Unterricht ist Teil ihrer Ausbildung, er wird nicht konfessionell getrennt und nicht ausschließlich von Seelsorgern erteilt. 54 Fragen der Religionsausübung muslimischer Bundesgrenzschutzbeamter sollten sich durch entsprechende organisatorische Maßnahmen klären lassen. Wie im Fall der Bundeswehr ist kein Vertragspartner für den Abschluß einer Vereinbarung für die Seelsorge an Muslimen erkennbar. 3. Polizei [Vgl. Heintzen 1995.] Die Anwendung des Begriffs der Anstaltsseelsorge auf die Polizei ist aufgrund der Einteilung in verschiedene Dienstzweige nur zum Teil berechtigt. Eine Mindestgarantie auf Seelsorge ergibt sich nur für kasernierte Polizeieinheiten (Polizeischulen und Bereitschaftspolizei), während Angehörigen des Einzeldienstes der Schutzpolizei oder der Kriminalpolizei die Teilnahme an der normalen Seelsorge ihrer Gemeinden möglich ist. Die Einrichtung einer regulären Polizeiseelsorge durch den Abschluß von Staatskirchenverträgen der einzelnen Bundesländer ist daher als ein Entgegenkommen des Staates zu verstehen, der mehr Möglichkeiten der Seelsorge gewährleisten kann, als ihm durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV aufgetragen ist. Die Polizeiseelsorge stellt keine eigenständige personale Seelsorge dar, sondern ist als Ergänzung der allgemeinen Seelsorge in die jeweiligen kirchlichen Organisationsstrukturen eingebunden. Die Polizeipfarrer bekleiden daher ausschließlich ein kirchliches Amt. Der Berufsethische Unterricht in Polizeischulen und Abteilungen der Bereitschaftspolizei ist Angelegenheit des Staates, der sich jedoch zu dessen Erteilung der Seelsorger bedienen kann. Wie in den beiden vorhergehenden Bereichen fehlen auch bei der Polizeiseelsorge die Voraussetzungen für entsprechende Regelungen im Hinblick auf muslimische Polizeibeamte. 4. Strafvollzug [Vgl. Eick-Wildgans 1995, S. 1010-1016.] Die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit wirkt sich in besonderem Maße auch auf den Strafvollzug aus. Sowohl das Strafvollzugsgesetz als auch andere gesetzliche Regelungen garantieren dem einzelnen Gefangenen das Recht auf Religionsausübung. Dazu gehört das „Recht auf Einzelseelsorge und Besuch des Gottesdienstes und anderer religiöser Veranstaltungen … sowie auf den Besitz grundlegender religiöser Schriften und religiöser Gegenstände in angemessenem Umfang." [Ebd., S. 1013.] Vom Grundrecht der Religionsfreiheit ist darüber hinaus abgedeckt, daß Gefangene sich außerdem an Seelsorger einer anderen Religionsgemeinschaft wenden und deren Gottesdienste – sofern die Seelsorger dies zulassen – aufsuchen dürfen. Die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen überhaupt läßt sich nur aus schwerwiegenden Gründen der Sicherheit und Ordnung versagen. Das Strafvollzugsgesetz garantiert ferner die Befolgung der Speisevorschriften, wobei die Strafvollzugsanstalten jedoch nicht verpflichtet sind, „entsprechend hergestellte Speisen zur Verfügung zu stellen, solange dem Gefangenen die Möglichkeit gelassen wird, die Speisevorschriften auf andere Weise einhalten zu können." [Ebd., S. 1015.] Die Organisation der Gefängnisseelsorge ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. [„Zu beobachten sind die Übernahme in das Beamtenverhältnis, die vertragliche Begründung eines Dienstverhältnisses und die Bindung im Wege eines Gestellungsvertrages, der zwischen Staat und Kirche geschlossen wird" (Ebd., S. 1011).] Unabhängig von der Art der Anstellung ist der Seelsorger „als im Vollzug Tätiger … zur Zusammenarbeit und zur Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels verpflichtet" [Ebd.] , woraus sich ein Rechtsverhältnis besonderer Art ergibt. Der Anstaltsseelsorger steht in der Verantwortung sowohl gegenüber der Anstaltsleitung als auch gegenüber der Kirchenleitung und hat darüber hinaus seelsorgliche Verpflichtungen gegenüber den Strafgefangenen. 55 Im Hinblick auf muslimische Strafgefangene ist festzustellen, daß sich auf der Grundlage der Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes viele Fragen der Religionsausübung durch entsprechende Maßnahmen in Absprache mit der Anstaltsleitung klären lassen. Die Gewährung einer ordentlichen Gefängnisseelsorge erscheint aufgrund der fehlenden Voraussetzungen hingegen unbegründet. Erwähnenswert ist allerdings, daß das Strafvollzugsgesetz den Seelsorgern die Hinzuziehung von freien Seelsorgehelfern vorbehaltlich der Zustimmung der Anstaltsleitung ermöglicht. Auf dieser Grundlage ist eine Mitwirkung muslimischer „Seelsorger" zur Betreuung muslimischer Gefangener in Abstimmung mit den Gefängnisseelsorgern und der Anstaltsleitung denkbar. [Im Rahmen von sogenannten „Kontaktgruppen" sind Mitarbeiter des VIKZ in den Justizvollzugsanstalten für Jugendliche in Siegburg und Heinsberg sowie in der für Frauen in Willich tätig.] 5. Krankenhäuser Zu den in Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV genannten Anstalten gehören ausdrücklich auch Krankenhäuser. Darüber hinaus hatte bereits das Reichskonkordat die Zulässigkeit der Krankenhausseelsorge festgeschrieben. Die Organisation erfolgt durch entsprechende Vereinbarungen zwischen den Kirchen und den einzelnen Bundesländern. Anders als in den vorher genannten Bereichen ist die Krankenhausseelsorge wesentlich eine Angelegenheit der Kirchen in den einzelnen Krankenhäusern. [Allein die Länder Bayern und Niedersachsen haben sich durch Vereinbarungen verpflichtet, in ihren Kranken-, Pflege- und Erziehungsanstalten die entsprechende Seelsorge auf eigene Kosten einzurichten.] Das Recht auf die Zulassung ergibt sich aus der Mindestgarantie des Grundgesetzes, während die Gestaltung der Seelsorge eine Angelegenheit der jeweiligen Vereinbarungen darstellt. Hinsichtlich Patienten und Personal islamischen Glaubens bleibt festzuhalten, daß der Anspruch auf ungestörte Religionsausübung auch im Krankenhaus unmittelbar aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit folgt. Für die Einrichtung einer ordentlichen Krankenhausseelsorge fehlen jedoch auch in diesem Bereich die Voraussetzungen. Dagegen spricht nichts gegen Formen einer außerordentlichen Seelsorge im Einvernehmen mit der Krankenhausleitung. Zu denken ist etwa an die Einrichtung von Gebetsräumen und die Heranziehung muslimischer „Seelsorger" in besonderen Situationen des Krankenhausalltages. [Verschiedene Krankenhäuser haben bereits Gebetsräume für Muslime eingerichtet, genauso wie sie Imame zur Begleitung Sterbender oder zur Vorbereitung Verstorbener auf die Bestattung heranziehen.] Zu wünschen ist abschließend, daß nicht nur in den verschiedenen Bereichen der Anstaltsseelsorge ein Umdenken im Hinblick auf die Ermöglichung besonderer Formen der außerordentlichen Seelsorge an Muslimen stattfindet, sondern die Verantwortlichen der islamischen Gemeinden ihrerseits diese Chance wahrnehmen, indem sie sich in die Verpflichtung nehmen lassen und die angestrebte Betreuung der Muslime tatsächlich übernehmen. 5. Lösung der Probleme durch Verleihung der Körperschaftsrechte? Kann die Anerkennung islamischer Organisationen als Körperschaften öffentlichen Rechts ein gelungener Beitrag zur Lösung der dargestellten Fragen und Probleme sein? Angesichts der aus diesem Status resultierenden Rechtsfolgen kann man tatsächlich geneigt sein, darin einen 56 magischen Schlüssel zur zufriedenstellenden Klärung aller Problemfelder zu sehen. Abgesehen davon, daß die Körperschaftsrechte tatsächlich in vielen Einzelfragen ein Vorteil für beide Seiten wären, [Im einzelnen lassen sich folgende Rechtsfolgen benennen (Muckel 1995, S. 311f.): 1. 2. 3. 4. 5. 6. Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV sind Körperschaften des öffentlichen Rechts berechtigt, „aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben." Demzufolge könnten die Finanzämter von den Mitgliedern der jeweiligen muslimischen Gemeinschaft Steuern erheben, die dann zur Verwendung für deren Aufgaben weitergeleitet werden. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind nach § 121 Nr. 2 BRRG dienstherrenfähig. Sie können Dienstverhältnisse öffentlich-rechtlicher Art begründen und Beamte einstellen, die nicht dem Arbeits- und Sozialversicherungsrecht unterliegen. Derartige Dienstverhältnisse sind daher dem öffentlichen Dienst gleichgestellt und werden analog behandelt. Durch diese Bestimmung kann die Einreise und Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für ausländische Imame möglicherweise erleichtert werden. Das Bundesministerium für Frauen und Jugend hat nach § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 GjS Beisitzer der Bundesprüfstelle aus den als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften zu berufen. Muslimische Gemeinschaften hätten demzufolge das Recht, aus ihren Kreisen Beisitzer für dieses Gremium zu benennen. Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus sind nach § 19 Abs. 1 BSHG als Träger der freien Wohlfahrtspflege und nach § 75 Abs. 3 SGB als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Diese Bestimmungen würden es den muslimischen Gemeinschaften ermöglichen, im Bereich der Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe zu wirken und mit staatlicher Unterstützung soziale Einrichtungen zu betreiben. Nach § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 6 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Erfordernisse der Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsrechten für Gottesdienst und Seelsorge zu berücksichtigen. Das hätte zur Folge, daß in den Bauleitplänen auch Plätze für den Bau von Moscheen mit dazu gehörenden Parkplätzen auszuweisen wären. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts genießen Religionsgemeinschaften schließlich zahlreiche steuerliche Vergünstigungen und Befreiungen im Steuer- sowie im Kosten- und Gebührenrecht.] ist zuallererst festzustellen, daß islamische Organisationen damit in einen Rechtsstatus eintreten könnten, der sie zu einem verbindlichen Gesprächs- und Vertragspartner für gesellschaftliche und staatliche Stellen werden ließe. Die daraus resultierenden Vorteile wären vielfältiger Art: In sämtlichen Bereichen der Anstaltsseelsorge könnten entsprechende Vereinbarungen getroffen werden, um eine ordentliche Seelsorge für Muslime zu gewährleisten. Islamische Gemeinschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts könnten ihre eigenen konfessionellen Friedhöfe betreiben und damit die Umsetzung der islamischen Bestattungsvorschriften ermöglichen. Gleichzeitig könnten sie ihre Ansprüche beim Bau ihrer religiösen Einrichtungen in Wohngebieten geltend machen. In der leidigen Frage des Schächtens könnte eine von ihnen berufene und bevollmächtigte Institution eine verbindliche Entscheidung zum Schlachtvorgang treffen. In allen Fragen, in denen es um verbindliche Lehrmeinungen und -aussagen einer Religionsgemeinschaft geht, wären endlich Lösungen in Sicht. Diese Beispiele mögen genügen, um anzudeuten, welche Konsequenzen die Verleihung der Körperschaftsrechte nicht nur für die muslimische, sondern auch für die nichtmuslimische Seite haben könnte. Doch ist zu fragen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, um eine solche Anerkennung aussprechen zu können. Die Voraussetzungen für den Erwerb der Körperschaftsrechte finden sich in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV: „Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten." Wie bereits im Zusammenhang der Anstaltsseelsorge deutlich geworden ist, stellt sich die berechtigte Frage, ob islamische Organisationen tatsächlich den Charakter einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes aufweisen oder nicht. 57 Die Antwort darauf ist nicht eindeutig zu geben. Stefan Muckel macht jedoch darauf aufmerksam, daß eine Religionsgemeinschaft im Anschluß an die Verwendung des Begriffs im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 als ein Zusammenschluß natürlicher Personen zu verstehen ist. Davon geht auch die Formulierung von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV aus, wenn von der Mitgliederzahl der betreffenden Gemeinschaft die Rede ist. [Vgl. ebd., S. 312.] Zusammenschlüsse von Vereinen und Verbänden zu einem größeren Verband – wie dies beim Islamrat und beim Zentralrat der Fall ist – sind dieser Argumentation zufolge nicht als Religionsgemeinschaften zu betrachten. [„Dachverbände, denen nur juristische Personen beitreten können, sind folglich keine Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV. Körperschaften öffentlichen Rechts können sie nach Art. 137 Abs. 5 S. 3 WRV nur dadurch werden, daß die in ihnen zusammengeschlossenen Gemeinschaften bereits über den Körperschaftsstatus verfügen" (Ebd.).] Neben diesen beiden Spitzenverbänden sind verschiedene andere islamische Organisationen nach diesem Modell strukturiert; sie alle würden daher nach Muckel als Religionsgemeinschaften nicht in Frage kommen. Erschwerend kommt hinzu, daß es in den einzelnen Bundesländern nicht jeweils eine islamische Organisation gibt, die in den Genuß entsprechender Rechte kommen würde, sondern gleich mehrere. Die eindeutig festzustellende Vielfalt derartiger Vereine und Verbände verkompliziert die Fragestellung zusätzlich. Sind sie alle als Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen oder kann die Vereinigung zu einer einzigen verlangt werden? Sicherlich kann der Staat letzteres den Muslimen nicht abverlangen, sondern er hat sie vielmehr als separate Gemeinschaften zu betrachten, sofern sie Eigentümlichkeiten aufweisen, die eine solche Differenzierung rechtfertigen. Andererseits führt die Anerkennung verschiedener islamischer Religionsgemeinschaften unweigerlich zu einer weiteren Konfessionalisierung der Muslime, die in diesem Sinne wohl nicht von ihnen gewünscht ist. Ferner kann nicht vom Staat verlangt werden, in bestimmten Fragen islamischer Religionsausübung mit verschiedenen separaten Religionsgemeinschaften gleichzeitig verhandeln zu müssen. Man denke etwa daran, die verschiedenen islamischen Verbände beantragen je für sich die Einführung islamischen Religionsunterrichts. Abgesehen von der Frage der Eigenschaften als Religionsgemeinschaften sind auch hinsichtlich der anderen genannten Voraussetzungen Bedenken angebracht. Wenn der betreffende Artikel des Grundgesetzes von einer Verfassung ausgeht, dann ist damit nicht allein das Vorliegen einer Satzung und die Eintragung beim zuständigen Vereinsregister verlangt. Gemeint ist damit vielmehr „der qualitative Gesamtzustand [der Religionsgemeinschaft, Th.L.], d.h. die Summe der Lebensbedingungen, denen sie unterworfen ist." [Müller-Volbehr 1993, S. 13.] Die Religionsgemeinschaft muß über entsprechende Organe und Strukturen verfügen, die ihr eine Zusammenarbeit mit dem Staat ermöglichen. Von dieser Bedingung ist nicht zu dispensieren, weil der Staat ihr gewisse Rechte und Kompetenzen verleiht, die eigentlich nur ihm zustehen. Dazu ist er jedoch nur in der Lage angesichts eines vertretungsberechtigten Gegenübers, das authentisch und verbindlich über die Glaubenslehre und das –leben der betreffenden Religion befinden kann. [„Die Verleihung der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts setzt ein partnerschaftliches, auf Kooperation angelegtes Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaft voraus. Daraus ergeben sich Anforderungen an die innere Struktur korporierter Religionsgemeinschaften und an ihre Beziehungen zu anderen religiösen Gruppierungen. … Die Religionsgemeinschaft muß daher über eine auf Dauer eingerichtete Instanz verfügen, die im Hinblick auf Lehre und Ordnung verbindliche Aussagen machen und Rechtshandlungen vornehmen kann" (Muckel 1995, S. 313f.).] 58 Wie in den verschiedenen Einzelfragen islamischer Religionsausübung immer wieder deutlich geworden ist, kennt der Islam derartige Institutionen, die mit einer solchen Verbindlichkeit für alle Muslime sprechen können, eben nicht. Seinem Selbstverständnis nach kann und will der Islam eben keine Kirche sein. Die Bemühungen um die Schaffung entsprechender Strukturen stoßen daher stets auf Skepsis unter Muslimen. [Vgl. Köhler 1997, S. 6f.] Kennzeichnend für die Lage – auch im Hinblick gerade auf die verschiedenen Rechtsschulen – ist das folgende Zitat Richard Hartmanns: „Das Gesetz ist nicht einmal völlig einheitlich; bestehen doch die vier Rechtsschulen zu Recht nebeneinander. Die Gemeinde hat diese – sachlich freilich geringfügigen – Unterschiede geradezu als eine Gnade Gottes gegenüber den Menschen angesehen. Man hat sie nicht etwa als Rechtsunsicherheit empfunden." [Hartmann 1992, S. 77.] Auch die Frage nach der Mitgliederzahl der Antragstellerin weist Schwierigkeiten auf. In formeller Hinsicht erfüllen bestimmte islamische Verbände diese Vorschrift, insofern sie die Mindestzahl von einem Tausendstel der Bevölkerung eines Bundeslandes tatsächlich aufweisen können. Demgegenüber sind in inhaltlicher Hinsicht jedoch erhebliche Zweifel angebracht, da die Frage der Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation nicht immer eindeutig geklärt ist. Grundsätzlich ist zwischen der Zugehörigkeit zum Islam – die durch Geburt oder Konversion entsteht – und der Mitgliedschaft in einem bestimmten Verein zu unterscheiden. Beide Größen sind nicht immer identisch, vielmehr ist davon auszugehen, daß nur eine Minderheit der Muslime in Deutschland sich vereinsrechtlich einer der bestehenden Organisationen angeschlossen hat, während ein viel größerer Teil deren Angebote wahrnimmt oder zum Kreis der Anhängerschaft zu rechnen ist. [Vgl. Lemmen 2000a, S. 28.] Hinsichtlich der Frage der Körperschaftsrechte sind jedoch klare Regelungen vorausgesetzt, um auszuschließen, „daß die Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts Hoheitsrechte gegenüber Nichtmitgliedern ausübt." [Muckel 1995, S. 315.] Diese Beobachtungen führen zu dem Ergebnis, daß eine Anerkennung islamischer Organisationen als Körperschaften des öffentlichen Rechts mangels Erfüllung der formellen Mindestvoraussetzungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gegeben zu sein scheint. Daher ist allen diesbezüglichen Versuchen in der Vergangenheit kein Erfolg beschieden gewesen. [Vgl. Abdullah 1981, S. 159-168.] Diese ernüchternde Bilanz sollte jedoch nicht zu der Annahme führen, daß dieser Weg islamischen Gemeinschaften auf Dauer verschlossen sein sollte. Vielmehr sind einige Organisationsbildungen der letzten Jahre festzustellen gewesen, die sich den Erfordernissen anzunähern versuchen. Erinnert sei lediglich an die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (IRH), die eine Mitgliedschaft natürlicher Personen im Lande Hessen voraussetzt und interne Strukturen zur Klärung religiöser Fragen geschaffen hat. Auch ähnliche Zusammenschlüsse islamischer Gruppierungen in anderen Bundesländern sowie die in verschiedenen Bundesländern entstandenen Landesverbände des Verbandes der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ) bereiten den Weg in diese Richtung. Bis es tatsächlich zu einer Anerkennung kommen wird, kann es unter Umständen jedoch noch Jahre dauern. Abgesehen davon bleibt festzuhalten, daß der Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts noch lange nicht in allen Fragen der Religionsausübung von Muslimen zwingend erforderlich ist. Das Grundgesetz spricht vielmehr in bestimmten Fragen von Religionsgesellschaften, die als Ansprechpartner des Staates für beispielsweise Religionsunterricht oder Anstaltsseelsorge in Frage kommen. Auch wenn es sich dabei nicht um ein formelles Anerkennungsverfahren handelt, haben die Diskussionen um den Islamischen Religionsunterricht in Berlin und um die 59 Ausnahmegenehmigung vom Betäubungsgebot beim Schächten in Hessen in aller Deutlichkeit gezeigt, daß der Charakter der betreffenden Organisationen als Religionsgesellschaften in diesem Sinne nicht zweifelsfrei feststeht, sondern erst gerichtlich erstritten werden muß. Nicht geklärt ist ferner, ob islamische Organisationen den Charakter einer Religionsgesellschaft im Sinne des Grundgesetzes besitzen oder nicht. Die vorgestellten Probleme islamischer Religionsausübung lassen sich jedoch nicht bis zu einer vollständigen Klärung der staatskirchenrechtlichen Grundsatzfragen ungelöst zurückstellen. Dies kann weder im Sinne der Muslime noch in dem der Nichtmuslime sein. In Kenntnis der grundlegenden Verpflichtungen ihres religiösen Lebens und auf der Grundlage des Grundgesetzes und der anderen gesetzlichen Bestimmungen ist vielmehr im Einzelfall nach konkreten Lösungen im Sinne einer praktischen Konkordanz der widerstreitenden Interessen und Ansprüche zu suchen. Einen Beitrag zu diesem Prozeß versuchen diese beiden Studien zu liefern. 60 Melanie Miehl Hauptbereiche muslimischer Religionsausübung Quelle: http://library.fes.de/fulltext/asfo/01003007.htm#LOCE9E8 1. Einleitung Die Beschäftigung mit Fragen islamischer Religionsausübung in Deutschland führt unter den gegenwärtigen Bedingungen rasch zu Fragen grundsätzlicher Natur. Was als Diskussion über den Moscheebau im Stadtviertel beginnt, endet nicht selten mit der Frage nach dem Wesen einer Moschee, ihrem Stellenwert im Glaubensleben der Muslime, nach „dem" Islam an sich. Im folgenden soll daher ein Blick auf die grundlegenden Inhalte und Formen muslimischer Religionsausübung geworfen werden. Diese Einführung möchte einem solchen Informationsbedürfnis entgegenkommen und die Grundlagen darstellen, die oft hinter den konkreten Fragestellungen stehen, ohne ausreichend zur Kenntnis zu kommen. Dabei muß es um eine Auswahl gehen, die versucht, einen virtuellen Extrakt aus der Vielfalt islamischer Glaubens- und Lebensweise zu ziehen, die kein „oberstes Lehramt" besitzt oder anstrebt und die über die Jahrhunderte und durch die Fülle der Kulturen, mit denen der Islam im Laufe seiner Ausbreitung in Kontakt kam, ganz verschiedene Ausprägungen gefunden hat. „Den" Islam gibt es sowenig wie „das" Christentum, und nicht immer läßt sich im Leben des Einzelnen oder auch islamischer Gemeinschaften genau trennen zwischen religiös motivierten Handlungen und solchen, die ihre Ursache in kulturellen Prägungen haben. In diesem Spannungsfeld einen Ausgleich zu finden, ist schwierig. Einerseits droht die Gefahr, einen homo islamicus zu konstruieren, andererseits mag man sich ins Unverbindliche verlieren. So liegt es in der Natur der Sache, daß sich zu fast jeder der darzustellenden Auffassungen auch eine Gegenauffassung finden läßt. Besonders in Fragen des islamischen Rechtes herrscht eine eher pragmatische Haltung, die eine Anpassung an verschiedenste Gegebenheiten ermöglicht. Ausgehend von den Grundgegebenheiten lassen sich vielfältige Spielräume ausloten und begründen. Dies zu tun erfordert muslimischerseits eine nicht zu unterschätzende religiöse und kulturelle Anstrengung. Vor diesem Hintergrund ist es nur recht und billig, daß auch Nichtmuslime sich der Mühe nicht entziehen, diese Prozesse nachzuvollziehen und zu würdigen, indem sie sich mit dem islamic way of life auseinandersetzen. Ohne ein Basiswissen um religiöse Zusammenhänge bleibt eine Verständigung letztlich zur Oberflächlichkeit verurteilt, der es nicht gelingen kann, dem Islam die Aura des Fremden zu nehmen. Die folgende Einführung soll einige solcher Basisbausteine liefern, im Wissen darum, daß sie das Thema selbstverständlich nicht erschöpfen kann - ein Umstand, der im Wesen des Islam selbst begründet liegt, der stets einen vernünftigen Ausgleich zwischen Strenge und Menschlichkeit anstrebt. 61 2. Grundsatzfragen Muslimischer Religionsausübung kommt eine Rolle im Gebäude des Glaubens zu, die sich nur sehr begrenzt mit derjenigen im Christentum vergleichen läßt. Auch wenn sich in den äußeren Formen nicht selten Parallelen ergeben, so ist der islamische Ansatz doch ein anderer als der christliche. Während sich das Christentum als Gewissensreligion darstellt, steht der Islam, in einer Linie mit dem Judentum, als Gesetzesreligion. Der Religionsausübung in all ihren rituellen Spezifika mißt der Islam ein großes Gewicht zu. Wo man für das Christentum von Orthodoxie, im Sinne der Rechtgläubigkeit, spricht, liegt für den Islam der Begriff der Orthopraxie viel näher. Zwar verpflichtet in beiden Religionen der rechte Glaube ganz unabdingbar auch auf das rechte Handeln, jedoch liegt im Islam eine besondere Betonung auf der inhaltlichen Bestimmung dieses rechten Handelns. Wesensmerkmal ist hier die Suche nach der göttlichen Rechtleitung, huda. Die Eröffnungssure des Korans, die fatiha, macht diese Bitte um Rechtleitung deutlich: „Im Namen Gottes, des allbarmherzigen Erbarmers. / Gelobt sei Gott, der Herr der Welten! / Der Allbarmherzige, der Erbarmer, / Der König des Gerichtstags. / Dir dienen wir, dich rufen wir um Hilf’ an. / Führ’ uns den Weg den graden! / Den Weg derjenigen, über die du gnadest, / Derer auf die nicht wird gezürnt, und derer, die nicht irrgehn." [In der Übersetzung von Friedrich Rückert.] Diesen graden und gnadenvollen Weg erschließt den Gläubigen zuallererst der Koran. Er gilt den Muslimen als letztverbindlich gültiges und unmittelbares Gotteswort, dem Propheten Muhammad [Vgl. Miehl 2000.] (geb. ca. 570 - gest. 632 n.Chr.) durch den Erzengel Gabriel überbracht, nach dem Tode Muhammads durch seine Gefährten aufgezeichnet und bis heute unverändert überliefert. Die Koranredaktion durch den Kalifen Uthman (644-56 n.Chr.) legte die Gestalt des Buches fest, das heute in 114 Kapiteln, Suren genannt, vorliegt. Deren Verse sind numeriert. Jede Sure, außer der neunten, beginnt mit der basmala, den Worten „im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes" [So die Übersetzung Rudi Parets. Rückert übersetzt: „Im Namen Gottes des allbarmherzigen Erbarmers".]. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Suren erheblich in ihrem Umfang. Nach der sieben Verse umfassenden fatiha, der Eröffnungssure, folgen die weiteren Suren in etwa in absteigender Länge, so daß die längste Sure des Korans gleich nach der fatiha zu finden ist, während die kürzesten Suren am Ende des Korans stehen. Das heißt auch, daß die Suren nicht chronologisch geordnet sind. Da aber die frühen Suren oft auch die kürzeren sind, kann es für eine erste Begegnung mit dem Koran hilfreich im Sinne der Chronologie sein, die Lektüre von hinten zu beginnen. Unter Muslimen werden die Suren meist mit ihren arabischen Namen genannt, ansonsten gibt man - etwas prosaischer - die Nummer und den Vers an. Einigen Versen, die im Glaubensleben eine herausgehobene Rolle spielen, sind ebenfalls Namen zugeschrieben worden. Hinter der Angabe 2:255 verbirgt sich der „Thronvers", der in Not, Bedrängnis und Versuchung gesprochen wird. Der arabische Begriff für einen Koranvers ist aya. Darunter versteht man zunächst ein Wunder(-zeichen) Gottes. Tatsächlich gilt der Koran als das Bestätigungswunder für die Prophetie Muhammads. Der Koran gilt als Gottes eigenes Wort [An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß Vergleiche des Korans mit der Bibel ebenso von einer falschen Voraussetzung ausgehen wie Vergleiche Muhammads mit Jesus. Im Unterschied zum Koran gilt die Bibel als „Gotteswort in Menschenwörtern" (Dohmen 1998, S. 30).]; an seinem Zustandekommen hat Muhammad nach islamischer Auffassung keinerlei kreative Beteiligung 62 gehabt. Die Tradition sieht ihn sogar als ummi, als Analphabeten. Die göttliche Herkunft sehen die Gläubigen in der Unnachahmlichkeit des Korans, in seiner sprachlichen und inhaltlichen Perfektion und nicht zuletzt seiner Schönheit bestätigt - das arabische Original ist in Reimprosa verfaßt. Nicht wenige Menschen beherrschen die kunstvolle Rezitation des gesamten Korans auswendig. Gegenwärtig ist das Arabische längst nicht mehr die Muttersprache aller Muslime, und zwischen dem modernen Arabisch und dem Arabisch des Korans haben die 14 Jahrhunderte, seit denen er gelesen wird, Divergenzen hinterlassen. Auch wenn der Koran als letztlich unübersetzbar gilt, stehen den Gläubigen vielfältige Kommentare und Übersetzungen zur Verfügung, die es ihnen ermöglichen, sich mit der Bedeutung und den gängigen Auslegungen vertraut zu machen. Die Herabsendung des Korans geschah abschnittweise und zu verschiedenen Anlässen im Leben Muhammads und der Gemeinde. Ein Hauptthema, das den Koran durchzieht, ist das Verhältnis Gottes zu den Menschen. In den frühen Suren finden sich Aufrufe zum Glauben und die Warnung vor dem Jüngsten Tag, die späteren Suren enthalten teils legalistische Erörterungen zur Konsolidierung der Gemeinde. Der besondere Status des Korans als Offenbarung göttlichen Willens und als Gotteswort bringt es mit sich, daß der Koranexegese nur der arabische Wortlaut zugrunde gelegt werden darf. Auch die Koranrezitation während des fünfmaligen täglichen Ritualgebetes erfolgt in arabischer Sprache. Allein der arabische Originaltext gilt als heilig und die Fülle göttlicher Herabsendung enthaltend. Diese Heiligkeit des Korans spiegelt sich auch im Umgang mit dem konkreten Buch wider, der den Zustand ritueller Reinheit erfordert. Aus Ehrfurcht wird der Koran nicht auf den Boden gelegt oder auf irgendeine Weise achtlos behandelt und nicht an unreine Orte mitgenommen. In den Wohnungen hat er oft einen erhöhten Platz. [Nichtmuslime sollten dies respektieren und weder in Moscheen noch Privathäusern ungefragt im Koran blättern. Besser ist es, bei Interesse darum zu bitten, sich das Buch zeigen zu lassen, seine Seiten aber nicht zu berühren.] Der Koran ist mithin auch die erste und wichtigste Quelle des islamischen Rechtes, der šari‘a. Das Ziel, das die šari‘a verfolgt, ist, die göttliche Rechtleitung in ihren konkreten Dimensionen menschlicher Lebenszusammenhänge zu erschließen. Um diese umfangreiche Orientierung in allen Lebensbereichen bieten zu können, wurde der Bezugsrahmen des islamischen Rechts bald über den Koran hinaus erweitert. Diese Öffnung ist bereits im Koran selbst angelegt, der dem Propheten Muhammad die umfassende Führung der islamischen Gemeinde, der umma, anvertraut: „Wenn einer dem Gesandten gehorcht, gehorcht er Gott". (4:80) Muhammads Taten, Gewohnheiten und Aussprüchen, der sunna, kommt daher in jeder Hinsicht Beispielcharakter zu. Berichte darüber wurden früh gesammelt, eingehend auf Glaubwürdigkeit und Lückenlosigkeit der Tradenten, Authentizität und Übereinstimmung mit koranischen Prinzipien geprüft und in sogenannten Hadith-Sammlungen kompiliert. Ein Hadith (Pl. Ahadith) bezeichnet dabei eine einzelne Überlieferung aus Muhammads Leben. Wo diese beiden ersten Quellen nicht genug Aufschluß bieten, wendet die islamische Rechtsfindung weitere Methoden an, die aber keinesfalls im Widerspruch zu Koran und sunna stehen dürfen. Auf dem Hintergrund, daß die Gesamtheit der Gemeinde nicht dem Irrtum verfallen könne, hat sich der igma‘ entwickelt, der Konsens der Gelehrten. Eine weitere Methode 63 stellt der qiyas, der Analogieschluß dar. Er erlaubt es, in Analogie zu den primären Quellen des Rechts zu entscheiden, also beispielsweise aus dem koranischen Weinverbot und der sunna des Propheten ein Verbot aller alkoholischen Getränke oder auch aller Rauschmittel abzuleiten. Der igtihad, die individuelle Rechtsfindung eines Gelehrten anhand der primären Quellen ist im sunnitischen Islam dort nicht mehr möglich, wo bereits ein igma‘ vorliegt. Bereits im frühen Mittelalter wurde das „Tor des igtihad" geschlossen. Der schiitische Islam vollzog diese Entwicklung allerdings nicht mit. Um in aktuellen Fragen flexibel zu bleiben, wurde das Amt des Muftis geschaffen, der in religiösen Angelegenheiten ein Gutachten, fatwa, erstellen kann. Der Antragsteller ist nicht an die fatwa gebunden - gegebenenfalls kann er sich an einen anderen Gelehrten wenden und eine weitere fatwa einholen. Dieses Rechtssystem hat Kategorien entwickelt, die es erlauben, sämtliches menschliche Handeln im Hinblick auf seinen ethischen und religiösen Gehalt hin zu beurteilen. Gegenstand der Beurteilung ist dabei sowohl das Handeln des Menschen in der Welt als auch dasjenige im Bezug auf Gott. Jedes Tun und Lassen findet seine Bewertung zwischen den Polen der Verpflichtung und des Verbotes. Dieses Spektrum ist in sich wiederum gegliedert und durch Fachtermini bestimmt: Fard oder wagib bezeichnet eine Pflicht. Sie zu erfüllen wird belohnt, und ihre Unterlassung zieht Strafe nach sich. Mandub bezeichnet eine Empfehlung. Während die Tat belohnt wird, bedeutet ihre Unterlassung jedoch keine Strafe. Mubah charakterisiert eine sittlich neutrale Handlung. Weder wird ihr Vollbringen belohnt, noch ihre Unterlassung bestraft. Makruh ist eine Tat dann, wenn ihre Unterlassung belohnt, ihr Vollzug aber nicht bestraft wird. Haram bezeichnet ein klares Verbot. Die Unterlassung wird belohnt, während der Vollzug bestraft wird. Lohn und Strafe beziehen sich dabei auf außerweltliche Kategorien. „Wird doch auch gar nicht alles, was haram ist, vom Richter mit Strafe belegt, nämlich unter Umständen dann nicht, wenn es nicht einen Verstoß gegen die Rechte der Menschen, sondern einen solchen gegen die Gottes bedeutet." [Hartmann 1992, S. 75.] Das souveräne Urteil über alles menschliche Handeln liegt mithin bei Gott. Die Übersetzung des Begriffs „Islam" bedeutet nichts anderes als Hingabe an und Unterwerfung unter Gott und seinen Willen. Dabei geht es nicht in erster Linie um ein abstraktes „Dein Wille geschehe!", sondern um eine möglichst konkrete Annäherung an den offenbarten göttlichen Willen. Die šari‘a verfolgt das Ziel, alle Bereiche des Lebens auf dieser Basis zu regeln. Auf diesem Hintergrund sind die religiösen Grundpflichten des Islams zu sehen. 64 3. Die fünf religiösen Grundpflichten Bereits zu Lebzeiten Muhammads haben sich die wesentlichen religiösen Pflichten im Leben des Einzelnen und der Gemeinde herausgebildet. Ein Ausspruch des Propheten faßt sie zusammen: „Ibn ‘Umar berichtet, der Gesandte Gottes (S) habe gesagt: Der Islam basiert auf fünf grundlegenden Pflichten: Dem Glaubensbekenntnis - ‘Es gibt keinen Gott außer Gott, und Muhammad ist der Gesandte Gottes’ -, dem Gebet, der gesetzlichen Abgabe, der Wallfahrt sowie dem Fasten im Ramadan." [Al-Buhari 1991, S. 33.] Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosen, Wallfahrt und Fasten bilden bis heute die Grundpfeiler muslimischer Religionsausübung, so daß sie auch als „Säulen des Islams" bezeichnet werden. 3.1 Das Glaubensbekenntnis Das Glaubenszeugnis, die šahada, lautet: „Ich bezeuge, daß es keine Gottheit außer Gott gibt, und daß Muhammad der Gesandte Gottes ist." Der Glaube, iman, umfaßt des weiteren die Engel, die Offenbarungsschriften, den Jüngsten Tag sowie die göttliche Vorherbestimmung. Die šahada bietet gleichsam den Islam in seinem Wesenskern. Ihr erster Teil, das Bekenntnis zum Einen und Einzigen Gott, neben dem es keine anderen Gottheiten gibt, ist Ausfluß eines Gottesbildes, das wesentlich vom Gedanken der absoluten Transzendenz getragen wird. Wiewohl dieser Gott gnädig, barmherzig und vergebungsbereit gedacht wird, bleibt er für seine Geschöpfe doch letztlich unerreichbar in seiner unbedingten Einheit und Einzigkeit. Demzufolge wählt die Hinwendung Gottes zu den Menschen im Islam einen völlig anderen Weg als im Christentum. Der zweite Teil der šahada, das Bekenntnis zur Prophetie Muhammads, weist darauf hin, daß Gott im Islam seinen Willen durch Propheten verkündet, deren letzter und bedeutendster der Prophet Muhammad ist. Das Prinzip der Einheit Gottes, tauhid, verunmöglicht das Konzept einer göttlichen Inkarnation. In einem mehrheitlich polytheistischen Umfeld entstanden, weist der Islam alles von sich, was im Verdacht steht, göttliche und menschliche Sphären zu vermengen. Besonders deutlich kommt dies in der 112. Sure des Korans zum Ausdruck: „Sprich: Gott ist Einer, / ein ewig reiner. / Hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner, / und nicht ihm gleich ist einer." [In der Übersetzung von Friedrich Rückert.] Die Beigesellung, širk, die Gott ein oder mehrere weitere Wesen zugesellt, gilt dem Islam als schwerwiegendste Sünde überhaupt. Von daher ist es auch verständlich, daß die Propheten bei aller Verehrung und Wertschätzung, die ihnen seitens der Gläubigen entgegengebracht wird, stets Menschen bleiben. Auch im Islam ist, wie im Christentum, die Offenbarung Gottes in einen historischen Rahmen eingebettet. Geschichte ist auch Heilsgeschichte. Allerdings setzt der Islam dabei einen ganz eigenen Akzent. Die erste Verkündung göttlicher Rechtleitung wird nämlich gleichsam außerhalb von Zeit und Raum gelegt. So berichtet der Koran, Gott habe aus den Lenden der 65 Kinder Adams die unerschaffene Menschheit hervorgeholt und sie gefragt: „Bin ich nicht euer Herr?" (7:172) [Im Folgenden liegt, wo nicht anders gekennzeichnet, die Koranübersetzung Rudi Parets zugrunde.] Indem die Menschheit dies bejaht, ist der Weg unabänderlich vorgegeben. Die Reihe der Propheten, die der Islam anerkennt, beginnt mit Adam und endet, viele Gestalten des Alten Testaments [Allerdings ist die Terminologie nicht deckungsgleich. Von den Gestalten, die das AT als Propheten kennt, kommt im Koran nur Jona (=Yunus) vor, während dem Koran etwa Adam, Mose, David (=Daud) und Salomo (=Sulayman) als Propheten gelten.] sowie Jesus (=Isa) einschließend, mit Muhammad. Nach islamischem Verständnis ist kein Volk ohne Warner und Verkünder der frohen Botschaft geblieben. Die Vielzahl der Propheten ist allein dadurch zustande gekommen, daß die Menschheit, die ursprünglich geeint war im Bekenntnis zu Gott, sich in viele verschiedene Gruppen aufspaltete, die die im Kern stets gleiche Botschaft der Propheten nicht unverfälscht bewahrten. Wiederholte Sendung von Propheten dient somit mehr der Wiederherstellung der Rechtleitung als der Verkündung wesentlich neuer Botschaften. Der Koran sichert Muhammad zu: „Und wir haben vor dir keinen Gesandten auftreten lassen, dem wir nicht eingegeben hätten: Es gibt keinen Gott außer mir. Dienet mir!" (21:25) Das Besondere an der Offenbarung, die Muhammad zuteil wird, auch in Abgrenzung zu denen, die nach islamischer Auffassung auf Moses, David und Jesus herabgesandt wurden, besteht darin, daß der Koran die letzte und vollkommene Bekundung göttlichen Willens darstellt. Das Muster von Rechtleitung, Verfehlung der Menschen und erneuter Rechtleitung durch die Barmherzigkeit Gottes endet mit dem Koran. Muhammad nimmt somit die Rolle des Schlußsteins im Gebäude der islamischen Prophetie ein. [Vgl. Miehl 2000, S. 45.] Sure 33:40 bestätigt dies, indem sie ihn als „Siegel der Propheten" bezeichnet. [Vor diesem theologischen Hintergrund spielt sich die Ablehnung nachislamischer Religionen oder Sekten ab.] 3.2 Das Gebet Das Gebet nimmt in der islamischen Religionsausübung eine hervorgehobene Position ein. Gemeint sind dabei zunächst nicht die vielfältigen Formen und Traditionen des freien Gebets, die der Islam wie alle großen Religionen kennt und hervorgebracht hat, sondern das Ritualgebet, salat. Im Koran heißt es dazu: „Das Gebet ist für die Gläubigen eine festgelegte Vorschrift." (4:103) Frauen wie Männer sind verpflichtet, es fünfmal täglich zu verrichten. Diese Verpflichtung gilt mit dem Eintritt der Pubertät. Ab dem siebten Lebensjahr sollen die Kinder langsam an das Gebet herangeführt werden, und ab dem zehnten Lebensjahr sollen sie bestraft werden, wenn sie es nicht verrichten. Wer im Besitz seiner Verstandeskräfte ist, also z.B. nicht durch Ohnmacht oder Geisteskrankheit beeinträchtigt, muß das Gebet verrichten. Zur Verrichtung des Gebets bedarf es der Gewährleistung einiger ritueller Voraussetzungen. Zunächst obliegen die täglichen fünf Gebete nicht der individuellen oder kollektiven zeitlichen Festlegung. Ihre Verrichtung ist an Zeiten gebunden, die weder von der Gemeinde noch vom einzelnen Beter festgelegt werden, sondern die sich nach dem Stand der Sonne richten. Dabei handelt es sich um Zeiträume, innerhalb derer Gelegenheit zur Verrichtung des Gebetes gegeben ist. So erstreckt sich die Zeitspanne, innerhalb derer das Morgengebet zu verrichten ist, vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Aufgang der Sonne. Das Mittagsgebet beginnt, wenn die Sonne im Zenit steht und endet, wenn der Schatten, den ein Gegenstand wirft, so lang ist, wie der Gegenstand selbst. Unmittelbar daran anschließend und bis zum Sonnenuntergang dauernd, ist die Zeit für das Nachmittagsgebet. Vom Sonnenuntergang bis zum Ende der Dämmerung kann 66 das Abendgebet verrichtet werden. Danach, bis zum Beginn der Zeit des Morgengebetes liegt die Spanne, in der das Nachtgebet zu verrichten ist. Mithin gibt es einige Zeiten im Tageslauf, an denen die Verrichtung von rituellen Gebeten verpönt ist: Die Zeitspanne des unmittelbaren Auf- und Untergangs der Sonne sowie ihr Zenit. Ein weiterer Umstand, der zur Verrichtung des Gebetes vonnöten ist, besteht in der Beachtung diverser Reinheitsvorschriften. Ähnlich dem Judentum besteht der Islam auf der Einhaltung verschiedener ritueller Reinheitsvorschriften, u.a. eines Bluttabus, die eine breite Ausfaltung gefunden haben. So unterscheidet man zwischen dem Zustand ritueller Reinheit, tahara, und dem der Unreinheit, der sich wiederum in große und kleine Unreinheit gliedert. Das Gebet erfordert sowohl die Reinheit des Beters und seiner Kleidung als auch des Ortes, an dem gebetet wird. Das islamische Recht widmet den Reinheitsvorstellungen umfangreiche Überlegungen und Vorschriften. Die beiden Arten der Waschung, Ganz- und Teilwaschung des Körpers, gehen auf die Überlieferung zurück, der Engel Gabriel sei dem Propheten Muhammad erschienen und habe sie ihm vorgemacht. Gemäß diesem Vorbild vollziehen Muslime bis heute die Waschungen, wobei festgelegt ist, wie und in welcher Reihenfolge der Körperteile dabei vorzugehen ist. Allgemein gilt, daß die Reinheit verloren geht, wenn der Gläubige mit unreinen Dingen (Alkohol, Blut, Sperma, Exkrementen, Schweinefleischhaltigem und dergleichen) oder Tieren (insbesondere Schweinen und Hunden) oder mit Personen des anderen Geschlechtes in Kontakt kommt, sich sexuell betätigt, schläft oder in Ohnmacht fällt. Die Regelungen sind im Einzelnen sehr komplex und können daher hier keine umfassende Erwähnung finden. [Vgl. Zaidan 1996; Arikan 1998.] Das Gebet erfolgt, sofern der Beter die Möglichkeit hat, dies festzustellen, stets nach Mekka gewandt. Diese Gebetsrichtung, qibla, ist in den Moscheen durch eine meist kunstvoll gestaltete Nische, mihrab, ausgewiesen. Weiterhin gehört zum Gebet die Bedeckung des Körpers. Der zu bedeckende Bereich, aura, wird dabei für Männer und Frauen unterschiedlich definiert. Sind all diese Vorbedingungen erfüllt, bedarf es noch der Erklärung der Absicht zum Gebet, der niya. Eine solche Absichtserklärung geht allen wichtigen religiösen Handlungen notwendig voraus. Das Gebet selbst besteht aus Lob- und Bittgebeten und der Rezitation verschiedener Koranverse. Darunter befindet sich in jedem Falle die fatiha. Augenfälliger Ausdruck der gläubigen Unterwerfung unter Gottes Willen und der Hingabe sind die Körperhaltungen, die das Gebet begleiten, insbesondere die Niederwerfung, bei der die Stirn den Boden berührt. Die Sprache des rituellen Gebetes ist Arabisch, denn der Koran entzieht sich, indem er als Gotteswort aufgefaßt wird, der Übersetzung in andere Sprachen, die den gottesdienstlichen Zwecken gerecht würden. 67 Zum Gebet stellen sich die Teilnehmer in Reihen, Schulter an Schulter auf. Vor ihnen steht der Imam, dessen Platz leicht erhöht sein kann. Die körperliche Nähe beim Gebet und die Haltungen, die dabei eingenommen werden, liefern eine pragmatische Begründung dafür, daß Frauen und Männer nicht in einer Reihe beten. Wie im Judentum und verschiedenen christlichen Traditionen werden Frauen und Männer während des Gebetes separiert, und es kommen den Geschlechtern unterschiedliche gottesdienstliche Funktionen zu. Die Regelungen, die getroffen werden, um eine Ablenkung vom Gebet durch das andere Geschlecht zu verhindern, haben dabei verschiedene Ausprägungen gefunden. Frauen beten hinter den Reihen der Männer, auf Emporen, durch Vorhänge oder ähnliches abgetrennt oder gar in eigenen Frauenräumen bzw. Frauenmoscheen. Beten die Frauen hinter den Männern, wird ihnen oft eine größere Konzentration beim Gebet zugeschrieben, denn während sie sich durch den Anblick der vor ihnen stehenden Männer nicht irritieren ließen, würden in der umgekehrten Konstellation die Männer leicht abgelenkt. In der Praxis vermischen sich hier kulturelle und religiöse Vorstellungen so sehr, daß es wiederholt zu Klagen in Deutschland lebender Musliminnen gekommen ist, ihnen sei der Zutritt zur Moschee verwehrt worden. Der gleichförmige Wochenrhythmus wird durch ein Gebet unterbrochen, dessen gemeinsame Verrichtung in der Moschee für alle erwachsenen, freien, männlichen Muslime verpflichtend ist. Den Musliminnen ist die Teilnahme daran freigestellt. Zum Freitagsgebet, das zur Mittagszeit gehalten wird, gehört eine Predigt, chutba, die im Unterschied zum Gebet in der Sprache zu halten ist, die die Mehrheit der Anwesenden versteht. Daher steht zu erwarten, daß mittelfristig das Angebot deutschsprachiger Predigten zunehmen wird. Bislang bleiben deutsche Predigten eher die Ausnahme, wenn auch zuweilen zu besonderen Anlässen, etwa an Abenden des Ramadans, Ansprachen religiösen Inhalts in deutscher Sprache angeboten werden. Da, wo Muslime unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen, die keine gemeinsame Muttersprache haben, ist die deutschsprachige Predigt bereits zur Notwendigkeit geworden. Ganz allgemein gilt, daß das Gebet in Gemeinschaft verdienstvoller ist als dasjenige, das allein vollzogen wird. [Genauer: In Gemeinschaft mit den Engeln.] Neben den fünf täglichen Gebetszeiten und dem Freitagsgebet gibt es noch eine Reihe weiterer Gebete, die an bestimmte Anlässe geknüpft sind, wie etwa das Totengebet, Gebete bei Mondund Sonnenfinsternis oder auch das Gebet um Regen. Dabei sind nicht alle Gebete für alle Muslime verpflichtend. Beim Totengebet beispielsweise ist die Verpflichtung erfüllt, wenn einige Männer es verrichten. Verrichtet aber niemand dieses Gebet, so wird dies der gesamten Gemeinde zur Last gelegt. Im Ramadan ist es üblich, zusätzlich zu den gewöhnlichen Gebetszeiten abends die sogenannten tarawih-Gebete in den Moscheen gemeinschaftlich zu halten. Diese Ausführungen lassen bereits erahnen, daß die Moschee als Ort des muslimischen Gebetes eine ganz andere Rolle spielt als die Kirche im christlichen Verständnis. Die Moschee definiert sich aus der wichtigsten in ihr stattfindenden Handlung, der Niederwerfung beim Gebet, sugud. Die Moschee, masgid, ist der Ort dieser Niederwerfung. Umgekehrt ist jeder Ort, an dem das Gebet verrichtet wird, in diesem Sinne Moschee. Dem 68 Gebäude als solchem eignet kein sakraler Charakter. Heilig ist Gott allein, und nichts Geschaffenes hat daran Anteil. Das wichtigste im Gebetsraum einer Moschee ist die große Fläche, die sie den Betenden bietet, denn das eigentliche Gebet bedarf ja keines Mobiliars. Die erste Moschee in der Geschichte des Islams befand sich im Hof des Prophetenhauses und war somit im Wesentlichen ein umfriedeter Platz. Zur Predigt stieg Muhammad auf einen Palmstumpf. In heutigen Moscheen ist für den Prediger eine Kanzel, minbar, eingerichtet, zuweilen findet man eine Kanzel, die für die Freitagspredigt verwendet wird, und eine andere, die zu sonstigen religiösen Anlässen dient. Eine Nische, der mihrab, zeigt die Gebetsrichtung nach Mekka an. Vor ihr befindet sich der leicht hervorgehobene Platz des Imams, des Vorbeters. Mit dem Gebet verbunden ist der Gebetsruf, der adhan. Da die Zeiten für das Gebet sich nach dem Stand der Sonne richten, verschieben sie sich täglich um einige Minuten. Dies hat zur Folge, daß man sich nicht nach feststehenden Uhrzeiten richten kann, wie etwa beim christlichen Gottesdienst. Die islamische Überlieferung sieht die Einführung des Gebetsrufes im Traum eines Prophetengefährten begründet. Nach der higra, der Auswanderung der Muslime von Mekka nach Medina, war zum ersten Mal in der Geschichte des Islams die Religionsausübung ohne Repressalien durch die heidnischen Mekkaner möglich. In dieser Zeit festigte sich das religiöse Regelwerk, Fasten, Gebet und Almosen wurden verpflichtend. Die Prophetenbiographie des Ibn Ishaq berichtet: „Zuerst hatte der Prophet daran gedacht, wie die Juden mit einer Trompete zum Gebet aufrufen zu lassen, doch dann mißfiel ihm dieser Gedanke, und er ließ eine Klapper machen, durch deren Schlagen die Muslime zum Gebet ermahnt wurden. In dieser Zeit hatte Abdallah Ibn Zaid einmal einen Traum, ging am nächsten Morgen zum Propheten und erzählte ihm davon: ‘Letzte Nacht ging im Traum ein Mann an mir vorüber. Er war mit zwei grünen Gewändern bekleidet und trug eine Klapper in der Hand. Ich fragte ihn: ‘Du Diener Gottes, verkaufst du mir deine Klapper?’ - ‘Was willst du damit machen?’ - ‘Wir rufen zum Gebet damit.’ - ‘Soll ich dir dafür etwas Besseres sagen?’ - ‘Nämlich?’ - ‘Der Ruf: Allahu akbar, Allahu akbar, Allahu akbar! Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt außer Gott! Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt außer Gott! Ich bekenne, daß Muhammad der Prophet Gottes ist! Ich bekenne, daß Muhammad der Prophet Gottes ist! Auf zum Gebet! Auf zum Gebet! Auf zum Heil! Auf zum Heil! Allahu akbar, Allahu akbar! Es gibt keinen Gott außer Gott!’’ Als er dies dem Propheten erzählt hatte, rief dieser aus: ‘Wahrlich, ein wahrer Traum, insscha’allah! Gehe zu Bilal und trage es ihm vor. Er soll mit jenen Worten zum Gebet rufen, denn er hat eine wirkungsvollere Stimme als du!’" [Ibn Ishaq 1999, S. 114f.] Diese Worte bilden bis heute den islamischen Gebetsruf (allerdings wird der erste takbir, die Formel „Allahu akbar", viermal ausgerufen). Zum Morgengebet wird hinzugefügt: „Das Gebet ist besser als der Schlaf!" In der Moschee wird der Gebetsruf unmittelbar vor dem Gebet noch einmal wiederholt. Diese sogenannte iqama umfaßt den Gebetsruf, je nach Rechtsschule vollständig oder um einige der Wiederholungen verkürzt, sowie die Worte „Das Gebet beginnt". Die Männer, die adhan bzw. iqama hören, sollen sie leise nachsprechen, Frauen ist dies freigestellt. Die iqama fordert auf, sich zum Gebet aufzustellen. 69 Zu Zeiten des Propheten wurde der Gebetsruf vom Dach des höchsten Hauses am Ort ausgerufen. Heute dient das Minarett diesem Zweck. 3.3 Das Fasten Das Fasten als religiöse Praxis nimmt im Islam wichtigen Raum ein. Bereits in vorislamischer Zeit war es auf der arabischen Halbinsel bekannt. So hatte sich Muhammad auf den Berg Hira zu Gebet und Fasten zurückgezogen, als ihm der Engel Gabriel erschien und ihm seine Berufung zum Propheten übermittelte. Zu den wichtigsten Fastzeiten im islamischen Kalender gehört das Fasten im Monat Ramadan. Der Ramadan ist ein Monat der Vergebung und Versöhnung sowie der Solidarität mit den Armen. In ihm gedenken die Muslime der Herabsendung des Korans. So ist es üblich, den ganzen Koran in diesem Monat zu rezitieren. Das Fasten im Ramadan beginnt bei Tagesanbruch, wenn man - so die klassische Definition - einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden kann, und endet bei Sonnenuntergang. Die Vorschriften des Fastens sind dabei sehr streng. Der Fastende enthält sich jeglicher Speisen und Getränke sowie des ehelichen Verkehrs. Je nach Auslegung lassen das Rauchen, das Einatmen von Wohlgerüchen, wie etwa Weihrauch oder Blumenduft, sowie medizinische Injektionen und Infusionen, Medikamente, die über die Nase aufgenommen werden oder auch Ohrentropfen, jedoch nicht Augentropfen, das Fasten hinfällig werden. Dies gilt auch für Zahnfleischbluten in größerem Umfang sowie für das Schlucken von in den Mund geratenem Schnee oder Regenwasser. Für Menschen, denen das Fasten unmöglich ist oder schaden würde, gibt es verschiedene Regelungen, die es ihnen erlauben, das Fasten nachzuholen bzw. ersatzweise Arme zu speisen. Frauen, die während ihrer Menstruation nicht fasten dürfen, holen die versäumten Tage für gewöhnlich im Laufe des Jahres nach. Verheiratete Frauen bedürfen dazu der Erlaubnis ihres Gatten. Nach dem abendlichen Fastenbrechen sind alle Verbote bis zum kommenden Morgen aufgehoben. Traditionell bricht man das Fasten nach dem Vorbild des Propheten mit einer ungeraden Zahl von Datteln. Die Ramadanabende werden oft in Gesellschaft verbracht. Im Rahmen der Familie und Freunde oder auch der Moschee wird das Fastenbrechen, iftar, gemeinschaftlich begangen. Solche iftarEssen sind Gelegenheiten, zu denen oft auch nichtmuslimische Freunde eingeladen werden. Das gesellige Beisammensein in den Abend- und Nachtstunden und das Fasten bei Tag zuweilen ist es üblich, vor Tagesanbruch noch eine Mahlzeit einzunehmen - verändern den Lebensrhythmus im Ramadan völlig. Besonders im nichtislamischen Umfeld bringt es Schwierigkeiten mit sich, den religiösen Vorschriften zu folgen und trotzdem den Ansprüchen etwa in Schule und Beruf zu genügen. Auf nichtmuslimischer Seite ist oft nicht bekannt, wann denn eigentlich gefastet wird. Da der islamische Kalender dem Mondjahr folgt, wandern seine Monate durch das Sonnenjahr. Das Mondjahr ist elf Tage kürzer als das Sonnenjahr, und so rückt auch der Ramadan im Laufe der Jahre durch alle Jahreszeiten. Je weiter man vom Äquator 70 entfernt ist, desto weiter entfernt man sich auch von der Tag- und Nachtgleiche. Fasttage im Winter sind somit kürzer, während das Fasten im Sommer sehr strapaziös sein kann. Muslime in Polnähe orientieren sich an näher am Äquator gelegenen Ländern. 3.4 Das Almosen Der Begriff Almosen gibt nur bedingt wieder, was diese Säule des Islams meint, nämlich eine verpflichtende Abgabe zugunsten bestimmter Gruppen. Im Koran heißt es dazu: „Die Almosen sind nur für die Armen und Bedürftigen (?) (bestimmt), (ferner für) diejenigen, die damit zu tun haben, (für) diejenigen, die (für die Sache des Islam) gewonnen werden sollen (w. diejenigen, deren Herz vertraut gemacht wird), für (den Loskauf von) Sklaven, (für) die, die verschuldet sind, für den heiligen Krieg (w. den Weg Gottes) und (für) den, der unterwegs ist (oder: (für) den, der dem Weg (Gottes) gefolgt (und dadurch in Not gekommen) ist; w. den Sohn des Wegs). (Dies gilt) als Verpflichtung von seiten Gottes. Gott weiß Bescheid und ist weise." (9:60) Zur Höhe und Art der Abgabe gibt der Koran den Hinweis: „Und man fragt dich, was man spenden soll. Sag: Den Überschuß!" (2:219) Diese koranische Bestimmung wird durch das islamische Recht weiter konkretisiert, das festlegt, wer wem zur Abgabe verpflichtet ist und wer nicht, und wie die Abgabe zu berechnen ist. 3.5 Die Wallfahrt Die Wallfahrt, hagg, nach Mekka ist eine Besonderheit unter den islamischen Grundpflichten. Einmal im Leben soll jeder Gläubige die Riten der hagg vollziehen. Der Vollzug dieser Verpflichtung hängt von mehreren Faktoren ab. So hat die hagg ihren zeitlichen Rahmen in einem bestimmten Monat des islamischen Jahreslaufs, namentlich im Dhu’l-Higga. Die Wallfahrt beginnt am 8. und dauert bis zum 12. bzw. 13. dieses Monats, woran sich noch ein Besuch des Grabes des Propheten in Medina anschließen kann. Eine Wallfahrt, die zu anderen Zeiten angetreten wird und deren Umfang geringer ist, erhält die Bezeichnung ‘umra oder auch kleine Wallfahrt. Da mit der Reise nach Mekka schon in frühester Zeit Mühen, Gefahren und erhebliche finanzielle Auslagen einher gingen, sieht das islamische Recht verschiedene Erleichterungen vor. Zwar kann die hagg nur in dem ihr gewidmeten Monat begangen werden, jedoch steht es dem Gläubigen frei, die Reise im Jahr seiner Wahl anzutreten. Prinzipiell darf die hagg wiederholt vollzogen werden, mit einer Wallfahrt ist die Verpflichtung aber schon erfüllt. Auch darf die hagg nur angetreten werden, wenn eventuell bestehende Versorgungsansprüche Abhängiger dadurch nicht gefährdet werden und wenn der Pilger auch selbst nicht verschuldet ist. Zwar sind Frauen wie Männer zur Wallfahrt verpflichtet, bedürfen aber gemeinhin der Begleitung ihrer Ehemänner, bzw. männlicher Verwandter oder sollen sich wenigstens einer größeren Gruppe von Frauen anschließen. Gegenwärtig ist die Einreise alleinstehender Frauen nach Saudi Arabien zum Zweck der Wallfahrt so gut wie unmöglich. Es ist möglich, die hagg vertretungsweise für jemanden zu vollziehen, der ihre Mühen nicht auf sich nehmen kann. Nicht wenige Menschen 71 machen sich jedoch noch in vorgerücktem Alter nach Mekka auf, zumal es eine besondere Gnade ist, während der hagg den Tod zu finden. Die hagg und ihre Riten gehen im Wesentlichen auf vorislamische Kulte zurück. Zu Lebzeiten Muhammads war dessen Heimatstadt Mekka ein Zentrum nicht nur des Karawanenhandels, sondern auch des religiösen Lebens. Mekka war Mittelpunkt verschiedener polytheistischer Kulte. Mit der Verehrung verschiedener Götter, Göttinnen und Gottheiten verbanden sich Riten und Wallfahrten, die zu festgesetzten Zeiten stattfanden. An die Wallfahrtsmonate waren Zeiträume des Verbotes kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen den Beduinenstämmen gebunden. Dem Wirtschaftsleben der Stadt kam ebenfalls zugute, daß in diesen heiligen Monaten Raubüberfälle auf Handelskarawanen unterbleiben mußten, wie sie im übrigen Jahreslauf zu den festen Einkommensquellen der Beduinen gehörten. Der Ort, an dem sich das religiöse Leben Mekkas kristallisierte, war - und ist - der heilige Bezirk, in dem sich die Ka‘ba befindet. Dieser etwa elf Meter hohe würfelförmige Bau beherbergte in vorislamischer Zeit figürliche Darstellungen und Standbilder verschiedener Gottheiten. Da neben den Anhängern polytheistischer Kulte auf der arabischen Halbinsel auch jüdische Stämme sowie vereinzelte christliche Gruppierungen lebten, nimmt es nicht Wunder, wenn die Überlieferungen aus dem Leben Muhammads unter diesen Darstellungen auch ein Bildnis der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind erwähnen. Sinnfälliger Ausdruck des islamischen Monotheismus ist, daß die Ka‘ba heute leer ist. Mit der Einnahme seiner Heimatstadt Mekka im Januar des Jahres 630 durch die von Muhammad geführten Muslime gingen die nichtislamischen Kulte an diesem Ort unter. Bis heute ist der Aufenthalt in den heiligen Städten Mekka und Medina, den haramayn, nur Muslimen vorbehalten. Nichtmuslime gleich welchen Glaubens dürfen sich ihnen nicht einmal bis in Sichtweite nähern. Da Muhammads Botschaft sich in deutlichem Widerspruch zu den polytheistischen Kulten der arabischen Halbinsel artikulierte, konnten die Inhalte der althergebrachten Wallfahrtsrituale nicht in die religiöse Gedankenwelt des Islams integriert werden. Wohl aber blieben äußere Formen erhalten. Diesen Bedeutungswandel illustriert der Koran, wo er sich zu den Ritualen der Wallfahrt äußert: „Die Wallfahrt findet in (den) bekannten Monaten statt." (2:197) „Und wenn ihr eure Riten vollzogen habt, dann gedenket Gottes, wie ihr (bisher) eurer Väter gedachtet, oder noch inniger!" (2:200) Ein Hadith verdeutlicht den Vorgang: „‘Umar (R a) näherte sich dem schwarzen Stein [der in der Ka‘ba eingemauert ist, M.M.] und küßte ihn. Er sagte: ‘Ich weiß, daß du nur ein Stein bist, der nicht schaden und nicht nutzen kann. Ich hätte dich nicht geküßt, wenn ich nicht gesehen hätte, daß der Gesandte Gottes (S) dich geküßt hat!’" [Al-Buhari 1991, S. 211.] Inhaltlich suchte der Islam eine Assimilation des Kultes an Prämissen seines Offenbarungsverständnisses. In einem Rekurs auf die Anfänge der Menschheitsgeschichte postuliert er Adam, der ihm als der erste Prophet gilt, als den Erbauer der Ka‘ba. Auch Abraham wird mit der Ka‘ba in Verbindung gebracht, in deren unmittelbarer Nähe man die Gräber Ismaels und Hagars wähnt. „Das erste (Gottes)haus, das den Menschen aufgestellt worden ist, ist 72 dasjenige in Bakka (d.h. Mekka), (aufgestellt) zum Segen und zur Rechtleitung für die Menschen in aller Welt. In ihm liegen klare Zeichen vor. (Es ist) der (heilige) Platz Abrahams. Wer ihn betritt, ist in Sicherheit. Und die Menschen sind Gott gegenüber verpflichtet, die Wallfahrt nach dem Haus zu machen - soweit sie dazu eine Möglichkeit finden." (3:96f.) Gleiches gilt für die Riten der hagg. So heißt es etwa in 22:26: „Und (damals) als wir [d.h. Gott, M.M.] dem Abraham die Stätte des Hauses (der Ka‘ba) als Wohnung anwiesen (und ihm die Verpflichtung auferlegten): ’Geselle mir nichts (als Teilhaber an meiner Göttlichkeit) bei und reinige mein Haus für diejenigen, die die Umgangsprozession machen und (andächtig im Gebet) stehen, und die sich verneigen und niederwerfen!’" Die heute gültige Form der hagg nimmt die letzte Wallfahrt Muhammads zum Vorbild, die dieser im Jahre seines Todes vollzog. Ihre Riten sind so detailreich, daß schon in den ersten Jahrhunderten der islamischen Zeitrechnung regelrechte Wallfahrtsanleitungen geschrieben wurden. Auch heute noch bedarf es von Seiten der Pilger nicht nur der spirituellen Einstimmung auf die Wallfahrt, sondern auch intensiver Auseinandersetzung mit ihren Formalia. Nimmt man die bloße logistische Organisation der Reise und die besonderen Bestimmungen bei der Einreise nach Saudi Arabien hinzu, ergibt sich für professionelle Reiseveranstalter ein weites Betätigungsfeld. Die Pilger erhoffen sich vom Vollzug der hagg nicht zuletzt die Vergebung ihrer Sünden. Ein Hadith überliefert, Muhammad habe gesagt: „Wer die Wallfahrt für Gott vollzieht, während dieser Zeit keine anstößigen Reden führt und sich keines Vergehens schuldig macht, kehrt wie neugeboren nach Hause zurück." [Ebd., S. 202.] Diese Erfahrung führt oft dazu, daß für Menschen, die aus Mekka in ihre Heimat zurückkehren, die hagg ein regelrechtes Bekehrungserlebnis markiert. Die Pilger werden in aller Regel von ihren Angehörigen und Freunden ehrerbietig und freudig empfangen. Sie dürfen nun den Titel des haggi, bzw. der hagga führen. Die Pilgerreise hat aber nicht nur Auswirkungen auf die persönliche religiöse Lebensführung der Rückkehrer. Oft ist die hagg auch ein soziales Schlüsselerlebnis. Das islamische Ideal der Gleichheit und Solidarität aller Gläubigen ohne Ansehen von Herkunft und Besitz scheint unter den Umständen der Wallfahrt auf exemplarische Weise verwirklicht. Durch den Strom von Pilgern aus aller Welt wird der Gedanke der umma, der Gemeinschaft der Muslime sinnfällig mit Leben erfüllt. Wo dies in besonderem Gegensatz zur Lebenssituation der Pilger in ihren Heimatländern steht, wird die hagg zum Maßstab islamischer Glaubens- und Lebenspraxis mit beachtlichem Potential der Rückbesinnung auf gemeinsame islamische Grundwerte. [In einem vom Attaché für Islamische Angelegenheiten der Botschaft des Königreichs Saudi Arabien verbreiteten Faltblatt mit dem Titel „Der Islam auf einen Blick" wird dieser Aspekt der ha gg in ideologisierter Form betont. Unter der Überschrift „Der Islam - Die Lösung der Probleme unserer Zeit" heißt es: „Der Islam zeigte während der vergangenen 1400 Jahre in der Praxis, wie Rassismus abgeschafft werden kann. Jahr für Jahr kann man das islamische Wunder der Brüderlichkeit zwischen allen Rassen und Nationen während der Pilgerfahrt in der Realität sehen."] In der Vielfalt der Lebenswirklichkeiten und Kulturen, die sich im Islam entfaltet haben, ist die Wallfahrt eine der identitätsstiftenden und -wahrenden Klammern, die ein zu starkes Auseinanderdriften der verschiedenen Gruppierungen verhindern und an der sich innerislamische Reformbewegungen entzünden können. [So wurde z.B. im Jahre 1833 die Sanusiyya während der zweiten ha gg des Sidi Muhammad Ibn Ali As-Sanusi gegründet (Grunebaum 1991, S. 405).] 73 Die Einflußnahme auf die Wallfahrt, vor allem die Herrschaft über die heiligen Stätten, war und ist somit immer auch ein Politikum. [Vgl. Faroqhi 1990.] Ein Ritual der hagg bringt insbesondere die Verbundenheit auch der nichtwallfahrenden Muslime mit den Pilgern zum Ausdruck. Das Opferfest, ‘idu-l-adhha, wird nicht nur in Mekka begangen, sondern von Muslimen in aller Welt. 4. Islamische Feste 4.1 Der Kalender Der Islam verfügt über einen eigenen Kalender. Schon in vorislamischer Zeit orientierte man sich auf der arabischen Halbinsel - anders als etwa im Sassanidenreich - an einem Mondkalender. Allerdings wurde dieser Kalender von Zeit zu Zeit durch die Einlegung eines Schaltmonates an den solaren Jahreslauf angeglichen. Der Koran verbietet dieses Verfahren der Interkalation, dessen Handhabung Privileg vorherrschender Familien in Mekka gewesen war. Im Jahre 638 n.Chr. wurde die heute gültige Version des Kalenders verbindlich gemacht, in der sich zwölf Monate von 29 und 30 Tagen Dauer abwechseln. Auch in dieser Form bedarf der Kalender noch der Einfügung einzelner Schalttage, da die Länge eines Mondjahres 354,367 Tage beträgt. [Vgl. Endreß 1991, S. 185-189.] Wie im semitischen Kulturraum üblich, umfaßt der Kalendertag den Zeitraum von Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang. [Diese Regel findet sich noch in der Feiertagsordnung der katholischen Kirche wieder, wo Feste und Sonntage mit der Vesper des Vortages beginnen.] Doch nicht allein das Kalendarium an sich ist islamisch, sondern auch dessen Ausgangspunkt, so daß der Islam auch über eine eigene Zeitrechnung verfügt. Die Jahre werden ab dem Jahr der higra gezählt, also nach der Auswanderung Muhammads und vieler seiner Gefährten von Mekka ins nördlich gelegene Yathrib, dem späteren Medina. Der Beginn der islamischen Zeitrechnung fällt auf den 15. oder 16. Juli des Jahres 622 n. Chr. Die higra markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des frühen Islam, so daß es inhaltlich legitim erschien, sie zum Bezugspunkt einer eigenen islamischen Zeitrechnung zu machen. Zwar hat im internationalen Wirtschaftsverkehr der islamische Kalender dem gregorianischen weichen müssen, jedoch spielt er im religiösen Leben der Muslime noch stets eine bedeutsame Rolle, da sich nach ihm die Festtage richten. Da die Bestimmung des Datums einerseits durch Berechnung, andererseits aber auch durch tatsächliche Sichtung des Mondes geschehen kann, finden sich zuweilen unterschiedliche Auffassungen darüber, wann etwa die Fasten im Ramadan beginnen bzw. enden. 4.2 Die Vielfalt der Feste Der arabische Begriff für Fest, ‘id, läßt sich von der Grundbedeutung kommen, wiederkommen ableiten. 74 Die Feste, die der Islam feiert, bewegen sich hinsichtlich ihrer Anlässe, aber auch der Art und Weise, auf die sie begangen werden, zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite stehen die beiden Feste, die unangefochten allgemeine Verbindlichkeit besitzen: Das Fest des Fastenbrechens sowie das Opferfest, die Peter Heine als „zwei kanonische Feste" [Heine 1991b, S. 248. ] bezeichnet. Demgegenüber stehen Feste, die konfessionell, regional oder in bestimmten spirituellen Traditionen beheimatet sind. Auch existieren Feste, die auf vor- oder außerislamische Vorbilder zurückgehen. [Das iranische Neujahrsfest etwa fällt in diese Kategorie.] Es nimmt nicht Wunder, daß die Feste in ihrer Vielfalt den Spannungsbogen reflektieren, der sich über die verschiedenen Positionen islamischer Religiosität erstreckt. Aufgrund ihrer allgemeinen Verbindlichkeit kommt dem Opferfest und dem Fest des Fastenbrechens integrative und in gewisser Weise normierende Wirkung für die weltweite muslimische Gemeinschaft zu. Lokale Feste und Bräuche werden von konservativen muslimischen Gelehrten nicht selten kritisiert und als unislamisch abgelehnt. [Eine solche Position spiegelt sich etwa im Faltblatt „Feste im Islam" wider. Dort werden als Islamische Feste allein das Opferfest und das Fest des Fastenbrechens aufgeführt. Beschneidung, ‘Aqiqa und Hochzeit finden als „Besondere Anlässe im Leben eines Muslims" Erwähnung. Deutlich heißt es: „Andere, nichtislamische Feste, wie die anderer Religionen, begehen die Muslime nicht, weil der Islam (sic!) diese Feste nicht vorsieht und sie seinen Grundlagen widersprechen. Auch das Neujahr - sowohl das islamische als auch das christliche - und der Geburtstag - sowohl der des Propheten Muhammad als auch der irgendeiner anderen Person - werden im Islam nicht gefeiert, obgleich in einigen muslimischen Ländern heutzutage aus diesen Anlässen offizielle Feiertage stattfinden" (Islamisches Zentrum Aachen Bilal-Moschee e.V. 1994). Ähnlich geht der „Muslimkalender" vor: Als „Islamische Feiertage" gelten allein Ramadan- und Opferfest. Auf andere Feste, etwa die „Kadir Gecesi", wird zwar im Kalendarium hingewiesen, jedoch nicht ohne den Hinweis: „Kein islamischer Feiertag, lediglich ein Islam. Ereignis" (imex-zabar print & publishing 1999, S. 23). ] Die Reibungen, die es zwischen gesetzesfrommen und volkstümlichen und/oder mystischen Strömungen gegeben hat und gibt, werden am Beispiel der Festordnung noch einmal besonders sinnfällig. Je nach theologischem und kulturellem Standort kann der Rahmen der als legitim betrachteten Feste enger oder weiter gefaßt werden. Die gegenwärtige Spannung zwischen Einheit und Vielfalt charakterisiert Peter Heine: „Es liegt auf der Hand, daß so unterschiedliche Zivilisationen wie die auf der Insel Java und die in der westafrikanischen Sahelzone, auf den Bergen des Hindukush und in der philippinischen Inselwelt das Miteinander der Menschen durch zahlreiche und markante Unterschiede kennzeichnen. Alltag und Feste, Sprache und Kleidung zeigen klar voneinander unterscheidbare Formen, ebenso in weniger deutlicher Weise religiöse Vorstellungen und Rituale. ... Auch wenn man unter kulturgeschichtlichen Aspekten manche Verhaltensweisen von Muslimen als unislamisch betrachten mag, ist doch damit zu rechnen, daß diese selbst solche Sitten als genuin islamisch oder doch zumindest als mit dem Islam vereinbar ansehen. Muslime sind häufig darüber uneins, ob ein bestimmtes Verhalten als vom Islam geboten oder verboten zu betrachten ist. Eine der Ursachen dafür sind die kaum ausgebildeten autoritativen Strukturen dieses Glaubens. Religiöse Funktionsträger, die die Macht haben, bestimmte Handlungen als islamisch zu erklären und andere als unislamisch zu verdammen, gibt es kaum. ... Dem außenstehenden Beobachter bleibt in einer solchen Situation nichts anderes übrig, als die Meinung eines Muslims zu akzeptieren, daß diese Handlung oder jenes Verhalten islamisch ist, auch wenn er damit rechnen muß, daß ein anderer Muslim das Gegenteil behauptet". [Heine 1994, S. 11f.] Auch die Vorstellungen davon, in welcher Weise die Festlichkeiten angemessen begangen werden, variieren beträchtlich. Wo die Regelungen der Geschlechtertrennung beachtet werden, 75 feiern Frauen und Männer getrennt. Als haram geltende Speisen und Getränke werden nicht gereicht, Musik und Tanz werden von konservativen Muslimen abgelehnt. Vor den beiden wichtigsten Festen sollen daher einige der nicht allgemein verbindlichen Feiern zur Sprache kommen. Dies kann notwendigerweise nur in einer Auswahl geschehen, die versucht, die bedeutsameren Feste zu berücksichtigen. Dies bedeutet nicht, daß in lokalen Zusammenhängen andere Feste nicht ebenfalls von Belang wären. Besonders die sufischen Traditionen haben eigene Feste hervorgebracht bzw. den hergebrachten Festen ihren besonderen Akzent übertragen. Eine typisch sufische Festlichkeit ist die des ‘urs. Ursprünglich bezeichnet dies eine Hochzeit. Im sufischen Kontext ist damit aber der Todestag eines oder einer Heiligen gemeint, denn im Tod überwindet der Mystiker, was ihn vom göttlichen Geliebten noch trennte. Die jährlich wiederkehrende Feier des Gedenktages kann ganz verschiedene Gruppen von Gläubigen am Schrein des Heiligen oder an anderen Heiligtümern, etwa Wirkorten, versammeln und unterschiedlichste Dimensionen annehmen. [Einen Einblick ins gelebte Sufitum gibt Jürgen W. Frembgen: „Zu den ‘ urs berühmter Heiliger kommen - auf mehrere Tage verteilt oft Hunderttausende Besucher. Derwische nutzen dieses Fest zum Verkauf von Amuletten und Heilmitteln und machen sich nützlich, indem sie den Pilgern am Schrein mit großen Wedeln ( pankha ) Luft zufächeln. ... In IndoPakistan ziehen Derwische in Prozession sogar aus weit entfernt liegenden Gegenden zum Heiligtum, um den ‘ urs zu feiern. Dabei tragen sie oft modellartige Nachbildungen des Schreins und Grabtücher als Weihegaben mit sich; auf ihrem Weg machen sie an Orten Station, die mit der Lebensgeschichte des verehrten Heiligen in Verbindung stehen. Neben den Derwischen wandern häufig auch Bettler von einem ‘ urs zum andern, nutzen die Freiküchen ( langar ) und die Großzügigkeit der Pilger. ... Sowohl auf dem Subkontinent als auch in Nordafrika sind Heiligenfeste in vielen Fällen mit einem Jahrmarkt verbunden" (Frembgen 1993, S. 42f).] Die Verehrung von Heiligen sowie von Figuren aus der islamischen Geschichte ist darüber hinaus im schiitischen Islam verbreitet. Ein Fest spezifisch schiitischen Inhalts ist das ‘id ghadir chumm am 18. Dhu-l-Higga. „Bei der Rückkehr von der ‘Abschiedswallfahrt’, seiner letzten Pilgerfahrt nach Mekka, soll der Prophet am 16. März 632 ... am Teich von Humm auf halbem Wege zwischen Mekka und Medina im Angesicht der rastenden Pilgerschar ‘Ali bei der Hand gefaßt und gesagt haben: ‘Jeder, dessen Patron ich bin, der hat auch ‘Ali zum Patron’ ... Die Schiiten interpretieren diese Worte als Designation (nass) ‘Alis zum Nachfolger des Propheten ... Der Tag des Teiches von Humm ... ist von späteren schiitischen Dynastien zum Festtag erhoben worden und wird noch heute von den Schiiten gefeiert." [Halm 1988, S. 10f.] 4.3 Einzelne Feste 4.3.1 Der Aschuratag Zu den weiter verbreiteten Festtagen gehört zunächst der Aschuratag. Dieser Fast- und Bußtag geht darauf zurück, daß Muhammad in Medina auf jüdische Stämme traf, die diesen Tag als Fasttag beachteten. Zunächst soll Muhammad das Fasten an Aschura für seine Gemeinde verbindlich gemacht haben. Erst als der Koran das Fasten im Ramadan vorschrieb, änderten sich die Bestimmungen zum Aschurafasten, indem es dem Belieben der Gläubigen anheim gestellt wurde. [Zwei Überlieferungen zum Fasten an Aschura weisen auf vorislamische bzw. jüdische Vorbilder: „In der vorislamischen Zeit fasteten die Quraiš am ‘Ašura’-tag. Der Gesandte Gottes (S) wies die Muslime an, das Fasten an diesem Tag einzuhalten. Als später das Fasten im Ramadan vorgeschrieben wurde, sagte er: ‘Wer weiterhin am ‘Ašura’-tag fasten möchte, soll es tun. Und wer darauf verzichten möchte, mag es unterlassen’" (Al-Buhari 1991, S. 76 230). „Als der Prophet (S) nach Medina kam, sah er, daß die Juden am ‘Ašura’-tag fasteten. Er fragte sie: ‘Warum fastet ihr heute?’ Sie erwiderten: ‘Heute ist für uns ein wichtiger Gedenktag! Es ist der Tag, an dem Gott die Kinder Israels vor ihrem Feind errettete! Deshalb fastete Moses (Musa) an diesem Tag!’ Der Prophet sagte: ‘Ich habe ein größeres Anrecht auf Moses als ihr!’ Darauf fastete er am ‘Ašura’-tag und hielt auch die Muslime dazu an" (Ebd., S. 241).] Besondere Beobachtung findet dieser Fasttag im schiitischen Islam, wo sich mit ihm das Gedächtnis an den Tod Husayns, des Sohnes Alis, verbunden hat. Prozessionen, Passionsspiele und dergleichen erinnern an seinen Tod in Kerbela’ und sind Ausdruck schiitischer Frömmigkeit. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich Flagellantenumzüge und teilweise exzessive Trauerrituale entwickelt. [Einen persönlich gehaltenen Bericht aus nichtmuslimischer Sicht über die im südindischen Hyderabad erlebten Umzüge im Jahre 1991 bietet Schäfer 1992.] Die Grundbedeutung des Festes Aschura ist von schiitischer Märtyrerverehrung überlagert worden, die soweit geht, daß der gesamte Monat Muharram von der Trauer über deren Tod dominiert wird. „Seinen Höhepunkt erreicht das Klagen über die Imame im Muharram, dem Monat der Passion al-Husains. Während der ersten neun Tage wird der Leiden des Imams und seiner Gefährten im Lager bei Kerbela’, am 10. (‘Ašura’) seines Todes und am 13. seiner Bestattung gedacht; vierzig Tage nach seinem Tod (yaum al-arba‘in: Tag der Vierzig) folgt die im Islam übliche Gedächtnisfeier." [Halm 1988, S. 179.] 4.3.2 Feste, die sich auf das Leben Muhammads beziehen Bei der Verehrung, die der Prophet Muhammad genießt, überrascht es nicht, daß auch Ereignisse und Legenden, die mit seinem Leben verknüpft sind, Anlaß zu Festen gegeben haben. Dies sind vor allem die Himmelfahrt und der Geburtstag des Propheten. Muhammads Himmelsreise, die mi‘rag, ist der islamischen Volksfrömmigkeit sowie der islamischen Mystik zu einem wichtigen spirituellen Bezugspunkt geworden. Die Tradition hat vielfältige Ausschmückungen gefunden, ihre Grundbestandteile finden sich jedoch bereits in der Prophetenbiographie des Ibn Ishaq, der berühmtesten Vita Muhammads. [Vgl. Ibn Ishaq 1999, S. 8089.] Ibn Ishaq beschreibt, wie Muhammad eines Nachts in wunderbarer Weise von Mekka nach Jerusalem reiste. Der Buraq, das geflügelte und ein menschliches Gesicht besitzende Reittier der Propheten wurde ihm vom Engel Gabriel gebracht, der ihn auf seiner Fahrt begleitete. In Jerusalem verrichtete Muhammad das Gebet gemeinsam mit Mose, Abraham und Jesus am masgid al-aqsa, dem fernsten Anbetungsort. Al-Aqsa wiederum wurde zum Ausgangspunkt der Himmelsreise, die Muhammad durch die sieben Himmel hindurch in eine außergewöhnliche Gottesnähe gelangen ließ. Legendär ist hier der Ursprung der täglichen fünf rituellen Gebete der Muslime zu sehen. Der Erzählung nach trug Gott Muhammad zunächst 50 tägliche Gebete auf. Beim Abstieg durch die Himmel sei Muhammed Mose begegnet, der ihm geraten habe, noch einmal zurückzukehren und um Verringerung dieser Zahl zu bitten. Muhammad habe diesen Rat befolgt und ihm seien zehn Gebete erlassen worden. Wiederum habe Mose ihm geraten, um Nachlaß zu bitten, und so sei es weitergegangen, bis nur noch fünf Gebete übrig gewesen seien. Hier habe Muhammad sich geweigert, noch weiteren Nachlaß zu erbitten, da er schon so oft gegangen war und sich schämte. Seinen Zuhörern habe er versichert: „Jedem von euch, der diese fünf Gebete gläubig und ergeben 77 verrichtet, werden sie wie fünfzig Gebete vergolten werden." [Ebd., S. 89.] Eine kleine illustrierte Broschüre, die in leichtverständlicher Form in die Riten des Gebetes einführt, greift die mi‘rag auf und vergleicht den Aufstieg Muhammads zu Gott mit dem Hintreten vor Gott im Gebet: „Das Gebet ist der Miraj jeden Moslems." [Osmanoglu / Esenyel o.J., S. 25.] Dieser Vergleich wird oft und gerne gezogen. Ein weiterer Aspekt der mi‘rag, der gerne bedacht wird, ist die Fürsprecherrolle, die Muhammad hier für seine Gemeinde einnimmt. Nacht- und Himmelsreise ereigneten sich in einer einzigen Nacht. Der islamische Kalender erinnert in der Nacht vom 26. auf den 27. Ragab an dieses Ereignis. Mancherorts, „wie in Kaschmir feierte man das Ereignis eine ganze Woche lang mit Rezitationen und Illuminationen, wie auch in der Türkei die mi‘radsch-Nacht als kandil, mit Illumination zu feierndes Fest, bezeichnet wird. Die an diesem Tag geborenen Kinder können (wie mir zumindest aus IndoPakistan bekannt ist) Miradsch oder Miradsch Din o.ä. genannt werden." [Schimmel 1981, S. 140f.] Ein Fest aus Anlaß des Geburtstages des Propheten Muhammad, maulid, türk. auch veladet kandili, wird am 12. Rabi‘u-l-Awwal gefeiert. Derselbe Tag wird auch als Todestag Muhammads begangen. „Lange schon, bevor Geburtstagsfeiern für ihn im Nahen Osten populär geworden waren, feierten die indischen Muslime diese Nacht mit ernsten Predigten, Koranrezitation und Almosengeben als barah wafat, seinen Todestag." [Ebd., S. 124. ] Die Feier des maulid ist weit verbreitet. Zu Ehren des Propheten trägt man die entsprechenden Legenden vor, die sich um seine Geburt entfaltet haben sowie die vielfältigen Hymnen, die in den jeweiligen Volkssprachen die Vorzüge Muhammads besingen. Koranrezitationen, (mystische) Gebete, Illuminationen, volksfestähnliches Treiben können zu diesem Fest gehören, wie zuweilen eine besondere Süßspeise gereicht wird, wie man sie bei der Geburt eines Kindes zuzubereiten pflegt. Neun Monate vor dem maulid wird mancherorts die Nacht der Empfängnis des Propheten gefeiert. [„Die erste Nacht zum Freitag des Monats Redscheb, des ersten der drei heiligen Monate, d.h. die Nacht vom Donnerstag auf den Freitag, ist die Nacht des Reghaib" (Arikan 1998, S. 153).] Diese dem Propheten gewidmeten Festtage haben „im religiösen Volksleben oft eine kaum geringere Bedeutung gewonnen als die offiziellen Feste". [Hartmann 1992, S. 93.] 4.3.3 Heilige Nächte Zwei weitere verbreitete Feste sind die laylatu-l-qadr im Ramadan sowie die Nacht in der Mitte des Monates Ša‘ban. Diese Nacht bringen viele Muslime im Gebet zu, da in ihr das Schicksal bestimmt wird, das die Menschen im folgenden Jahr ereilen wird. Die laylatu-l-qadr ist das unter den nichtkanonischen Festen am wenigsten umstrittene. Dies mag daran liegen, daß die Nacht der (All-)Macht Gottes oder der Bestimmung im Koran Erwähnung findet. Die 97. Sure trägt den Namen „die Bestimmung". In ihr heißt es: „Wir haben ihn (d. h. den Koran) in der Nacht der Bestimmung herabgesandt. Aber wie kannst du wissen, was die Nacht der Bestimmung ist? Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate. Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn hinab, lauter Logos(wesen). [Eine andere Interpretation des vierten Verses lautet: „Die Engel und der Geist kommen in ihr 78 mit der Erlaubnis ihres Herrn herab mit jedem Anliegen." So übersetzt Adel Theodor Khoury.] Sie ist (voller) Heil (und Segen), bis die Morgenröte sichtbar wird." (97:1-5) Diese Sure wirft auf den ersten Blick mehr Fragen als Antworten auf, insbesondere nach dem Zeitpunkt dieser besonderen Nacht und nach der Herabsendung des Korans. Aus dem Leben Muhammads (und aus dem Koran selbst [Es ist eine Eigentümlichkeit des Korans, daß er sich zu sich selbst äußert und so auch auf die Umstände seiner Herabsendung rekurriert, etwa: „(Es ist) ein Koran, den wir abgeteilt haben, damit du ihn den Menschen in aller Ruhe vortragen kannst. Und wir haben ihn wirklich (als Offenbarung) auf dich herabgesandt." (17:106)]) ist bekannt, daß er, anders als andere Propheten, nicht das gesamte Buch der Offenbarung auf einmal empfing, sondern daß sich die Herabsendung des Korans von seinem vierzigsten Lebensjahr bis zu seinem Tode erstreckte. Die koranische Aussage, der Koran sei in einer Nacht, eben der Nacht der Bestimmung, herabgesandt worden, korrespondiert mit weiteren Versen, etwa: „Der Monat Ramadan ist es, in dem der Koran als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist, und (die einzelnen Koranverse) als klare Beweise der Rechtleitung und der Rettung (?)." (2:185) Auch 44:2-4 betont den außergewöhnlichen Charakter dieser Nacht: „Bei der deutlichen Schrift! Wir haben sie in einer gesegneten Nacht hinabgesandt. Und wir haben (die Menschen damit) gewarnt. In dieser Nacht wird jede weise Angelegenheit entschieden." Diese Spannung löst sich auf dem Hintergrund islamischen Offenbarungsverständnisses, das das Vorhandensein einer himmlischen Urschrift des Korans annimmt. Diese wurde zunächst aus dem siebten Himmel in den niedrigsten Himmel gesandt, wo sie in der Nacht der Bestimmung vollständig abgeschrieben wurde. Der Engel Gabriel begann dann, Muhammad die Schrift abschnittweise zukommen zu lassen. [Diese Sichtweise findet sich etwa bei Zamachšari (gest. 1144). Vgl. Peters 1994, S. 169f.] Die Nacht der Bestimmung darf also dem Koran zufolge im Ramadan vermutet werden. „Man weiß aber nicht genau, welche Nacht dies ist; nur daß es eine der fünf letzten ungeraden Nächte des Ramadan ist, gilt als sicher. So werden diese Nächte von Frommen in besonderer Weise gefeiert; auch bringt man u.U. das letzte Drittel des Monats in der Klausur in der Moschee zu." [Hartmann 1992, S. 87.] Ein solcher Rückzug, i‘tikaf, in die Moschee (für den Mann) oder in einen Teil des Hauses (für die Frau) wird nach dem Vorbild des Propheten für die zehn letzten Tage des Ramadan gehalten und in Andacht und sexueller Enthaltsamkeit verbracht. [Vgl. Zaidan 1996, S. 126.] Traditionell wird die laylatu-l-qadr in der Nacht vom 26. auf den 27. Ramadan begangen. Andächtiges Gebet in ihr hat sündenvergebenden Charakter. 4.3.4 Die beiden Hauptfeste Die beiden Hauptfeste des Islams, Opferfest und Fastenbrechen, verfügen eigentümlicherweise über nur wenige festgelegte Riten. Das Fest des Fastenbrechens, ‘idu-l-fitr, beginnt am ersten Tag des auf den Ramadan folgenden Monats Šawwal und wird bis zu drei Tage lang gefeiert. Die einzige gottesdienstliche Besonderheit besteht in einem morgendlichen Festgebet mit Predigt in der Moschee. Die zakatu- 79 l-fitr ist als besonderes Almosen zu entrichten und betont noch einmal den sozialen Aspekt des Ramadans. Wer allgemein der Pflicht zur zakat unterliegt, muß auch am Ende des Ramadans diese wohltätige Abgabe entrichten. Das ‘idu-l-fitr wird als Freudenfest begangen, an dem man zunächst Verwandte und dann Freunde besucht, sich festlich kleidet und vielerorts nicht nur die Kinder mit Süßigkeiten beschenkt. Von dieser Sitte hat das Fest im Türkischen den Beinamen seker bayrami, Zuckerfest, erhalten. Selbstverständlich tauscht man auch Glück- und Segenswünsche zum Fest aus, die meist mündlich oder durch Grußkarten vermittelt werden. Der ausgeprägt freudige Charakter des ‘idu-l-fitr täuscht etwas darüber hinweg, daß es theologisch weniger bedeutsam ist als das ‘idu-l-adhha. Letzteres ist das eigentliche „große Fest", ‘idu-lkabir, während das Fastenbrechen das „kleine Fest", ‘idu-s-saghir, genannt wird. Das ‘idu-l-adhha erinnert an das Opfer Abrahams. Der Islam teilt die alttestamentliche Vorstellung, Abraham sei bereit gewesen, seinen Sohn zu opfern: „Und wir verkündeten ihm einen braven Jungen. Als er nun so weit herangewachsen war, daß er mit ihm den Lauf machen konnte, sagte Abraham zu ihm: ‘Mein Sohn! Ich sah im Traum, daß ich dich schlachten werde. Überleg jetzt, (und sag), was du (dazu) meinst!’ Er sagte: ‘Vater! Tu, was dir befohlen wird! Du wirst, so Gott will, finden, daß ich (einer) von denen bin, die (viel) aushalten können.’ Als nun die beiden sich (in Gottes Willen) ergeben hatten und er ihn auf die Stirn niedergeworfen hatte, riefen wir ihn an: ‘Abraham! Du hast den Traum wahr gemacht.’ So vergelten wir denen, die fromm sind. Das ist die offensichtliche Prüfung. Und wir lösten ihn mit einem gewaltigen Schlachtopfer aus. Und wir hinterließen ihm unter den späteren (Generationen den Segenswunsch): ‘Heil sei über Abraham!’ So vergelten wir denen, die fromm sind." (37:101110) [Vgl. Gen 22, 1-19. ] Die islamische Tradition geht allerdings überwiegend davon aus, es habe sich nicht um Isaak, sondern um Ismael, den Sohn Hagars und Stammvater der Araber gehandelt. Abraham und Ismael werden im Koran mit der Wiedererrichtung der Ka‘ba und den Riten der hagg assoziiert. Das Fest wird am 10. des Wallfahrtsmonates Dhu-l-Higga gefeiert. Diejenigen Muslime, die sich zur hagg nach Mekka begeben haben, vollziehen innerhalb der Riten der Pilgerfahrt eine rituelle Schlachtung. Diese kann zwischen dem 10. und 13. des Monats erfolgen und soll „beim alt(ehrwürdig)en Haus" (22:33) stattfinden. Schlachtort bei der hagg ist Mina, bei der ‘umra AlMarwa. [Vgl. Zaidan 1996, S. 198.] Als kulttaugliche Opfertiere gelten Schafe, Ziegen, Rinder und Kamele. Es können Tiere beiderlei Geschlechtes gewählt werden. Die Tiere müssen gesund und makellos sein und ein (je nach Tierart verschiedenes) bestimmtes Alter erreicht haben. Das Mindestmaß der Opferung beträgt eine Ziege oder ein Schaf, bzw. den siebten Teil eines Kamels oder Rinds. Im Falle dieser größeren Tiere ist es mithin möglich, daß Opfernde sich zur Beschaffung eines Tieres zusammenschließen. Die Riten der Schlachtung sehen vor, daß das Tier zunächst in die Gebetsrichtung gedreht wird. Nach entsprechenden Gebeten und Anrufungen Gottes wird das Tier unter den Worten bismillahi allahu akbar, „im Namen Gottes, Gott ist größer" zu Tode gebracht, indem ihm mit einem scharfen Gegenstand rasch die Halsschlagadern, Luft- und Speiseröhre durchtrennt werden. Das Blut des so geschächteten Tieres gilt wie alles Blut als rituell unrein und muß aus dem Leib ausfließen. 80 Wer nicht in der Lage ist, sein Opfertier selber zu schlachten, darf diese Aufgabe delegieren, soll aber bei der Schlachtung nach Möglichkeit anwesend sein. In diesem Fall darf der Schlachter jedoch nichts von dem Fleisch oder der Haut als Lohn erhalten, sondern muß für seine Dienste anderweitig entschädigt werden. Das Fleisch der Opfertiere wird verzehrt, was eine implizite Absage an Brand- und Götzenopfer darstellt. Im Koran heißt es: „Weder ihr Fleisch noch ihr Blut gelangt zu Gott, wohl aber die Gottesfurcht (die ihr) eurerseits (empfindet und an den Tag legt)." (22:37) Dabei werden stets auch Anteile als Almosen gegeben. Andere Empfänger sind Verwandte und Freunde der Schlachtenden. Auch hierzu äußert sich der Koran in der 22. Sure. „Und die Opferkamele haben wir euch zu Kultzeichen Gottes gemacht. Ihr habt an ihnen etwas Gutes. Sprecht den Namen Gottes über ihnen aus, wenn sie (zum Schlachten) aufgereiht sind! Und wenn sie (tot) umgesunken sind, dann eßt (selber) davon und gebt (auch) dem, der (darum) bittet, und dem, der (ohne ausdrücklich zu bitten) beschenkt sein will (?), (davon) zu essen! So haben wir sie euch dienstbar gemacht. Vielleicht würdet ihr dankbar sein." (22:36) Das Fleisch darf auch konserviert werden, was früher eine Quelle der Wegzehrung für die Pilger darstellte. Die gegenwärtigen Verhältnisse in Mekka erfordern es jedoch, die rituellen Schlachtungen in Bahnen zu lenken. Die allgemein gestiegene Mobilität hat auch die Zahl der Pilger zunehmen lassen, was mittlerweile eine Kontingentierung nach Herkunftsländern erforderlich gemacht hat. „Da die Anzahl der Hadsch-Wallfahrer immer mehr zunimmt (1996 mehr als zwei Millionen) und damit zwangsläufig auch die Anzahl der geschlachteten Opfertiere, ist der Verzehr bzw. die Verwertung dieser riesigen Mengen Fleisch durch die Pilger, deren Angehörige und die Bewohner bzw. Besucher Mekkas mittlerweile unmöglich. Um dem Verderben des Fleisches und der Verschwendung von Lebensmitteln vorzubeugen, ist man heutzutage dazu übergegangen, die Schlachtung der Tiere und die Verteilung des Fleisches professionell zu organisieren. Anstelle des eigenhändigen Schlachtens der Opfertiere ist es heutzutage möglich, eine Spezialfirma damit zu beauftragen. Man zahlt die Kosten für das jeweilige Opfertier (z.B. für ein Schaf ca. 150,- DM) und die Firma übernimmt: das Schlachten des Opfertieres, die Verarbeitung, die Konservierung, den Transport und die Verteilung des Fleisches an Bedürftige in armen Ländern." [Ebd., S. 199.] Eine solche Regelung war dringend nötig, da vor der Errichtung der entsprechenden Kühl- und Verarbeitungseinrichtungen oft große Mengen Fleisch einfach durch Vergraben vernichtet werden mußten. Neben den ethischen Fragen hatte diese Praxis handfeste hygienische Probleme aufgeworfen. Im Rahmen des Opferfestes beteiligen sich Muslime weltweit an den Schlachtungen. Sie obliegen dem Familienoberhaupt und sind neben dem gemeinschaftlichen Festgebet Bestandteil der Festriten, die ansonsten denen des Festes des Fastenbrechens gleichen. 5. Individuelle Übergangsriten Im Leben der Gläubigen nehmen nicht nur die Feste des Jahreslaufs eine wichtige Rolle ein, sondern auch individuelle Ereignisse, die den persönlichen Lebenslauf gliedern, erhalten aus der Religion ihre besondere Prägung und Gültigkeit. Dazu gehören vor allem solche Wegmarken wie Geburt, Beschneidung, Hochzeit und Tod. Dort, wo Menschen in einem nichtislamischen Umfeld leben und sich für eine Annahme des islamischen Glaubens entscheiden, tritt zu diesen Ereignissen noch die Konversion hinzu. 81 Es versteht sich, daß in all diesen Bereichen regionales Brauchtum eine große Rolle spielt und sich mit den islamischen Vorgaben oft eng verwoben hat. 5.1 Geburt in die oder Konversion zur islamischen Gemeinde „Jedes Kind wird mit der schöpfungsgemäßen Anlage (zum rechten Glauben) geboren. Und seine Eltern machen aus ihm einen Juden oder einen Christen oder einen Magier. Auch das Vieh wird als unversehrtes, ganzes Tier geboren. Habt ihr denn unter ihnen ein verstümmeltes Tier gesehen?" [Khoury 1988, S. 98. ] Dieses Hadith spiegelt die islamische Grundannahme wider, daß im Islam nicht nur die vollkommene, sondern auch die ursprüngliche Religion der Menschheit verwirklicht ist. Diese Sichtweise nimmt jeden Menschen qua Geburt in die umma, diese „beste Gemeinschaft, die unter den Menschen entstanden ist" (3:110), auf. Das Nichtmuslim-Sein ist folglich eine Degeneration dieses Zustandes, wenngleich die Existenz verschiedener religiöser Gruppen durch den Koran als eine gottgewollte Prüfung charakterisiert wird: „Und wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber er (teilte euch in verschiedene Gemeinschaften auf und) wollte euch (so) in dem, was er euch (d.h. jeder Gruppe von euch) (von der Offenbarung) gegeben hat, auf die Probe stellen. Wetteifert nun nach den guten Dingen! Zu Gott werdet ihr (dereinst) alle zurückkehren. Und dann wird er euch Kunde geben über das, worüber ihr (im Diesseits) uneins waret." (5:48) Die Konversion zum Islam erscheint so als Reversion, als Rückwendung zur ursprünglichen und eigentlichen Religion des Einzelnen wie aller Menschen. Auf diesem Hintergrund ist es einsichtig, daß Initiationsriten zu einer Aufnahme in die islamische Gemeinschaft obsolet sind. Im Allgemeinen reicht es zur Glaubhaftmachung aus, die šahada vor zwei muslimischen Zeugen auszusprechen. Paradoxerweise ist mittlerweile jedoch zuweilen ein Formular nötig, um die Zugehörigkeit zum Islam zu bestätigen. Die Behörden Saudi Arabiens bedürfen nämlich einer Handhabe, um die Einreise nach Mekka und Medina zu regeln, deren Besuch Nichtmuslimen unmöglich ist. Konvertiten in traditionell nichtmuslimischen Ländern wenden sich daher in dieser Angelegenheit an muslimische Vereine, die entsprechende Bescheinigungen erstellen. Es tritt in diesem Bereich eine Bürokratisierung ein, die dem Wesen des Islams geradezu zuwiderläuft. Aber nicht nur die saudischen Behörden müssen feststellen, daß der überformelle Charakter der islamischen Religionszugehörigkeit zuweilen Probleme aufwirft. Auch deutsche Behörden können keine gesicherte Erkenntnis darüber erlangen, wie viele Muslime genau in diesem Land leben. Daß die Konversion als verdienstvoll gilt, geht aus einem Ausspruch des Propheten hervor: „Wenn jemand den Islam annimmt und sein Glaube ist aufrichtig, so wird Gott ihm die Verfehlungen, die er sich zuvor hat zuschulden kommen lassen, verzeihen. Und die gute Tat, die er anschließend verrichtet, wird ihm um ein zehn- bis siebenhundertfaches angerechnet, während die schlechte Tat nur als ein einziges Vergehen vermerkt wird, sofern Gott nicht gänzlich über 82 sie hinweggeht." [Al-Buhari 1991, S. 40f.] Mit der Konversion geht oft auch die Annahme eines islamischen Vornamens einher. Dem Neugeborenen, das in einer islamischen Familie zur Welt kommt, flüstert man die šahada ins rechte und den Gebetsruf ins linke Ohr. Dieser Ritus begründet aber keinesfalls die Zugehörigkeit zur islamischen Glaubensgemeinschaft, die ja als Geburtsrecht des Kindes gilt. Die šahada soll auch das letzte sein, was einem Sterbenden vor seinem Ende zugesprochen wird. Die Namensgebung eines Kindes geschieht meist am sechsten oder siebten Tag nach der Geburt. Dieser Tag, die ‘aqiqa, ist nach dem Vorbild des Propheten mit einem Opfer verbunden. Wenn es möglich ist, schlachtet der Kindsvater für eine Tochter ein bzw. für einen Sohn zwei Schafe. Deren Fleisch wird in der gleichen Weise verteilt, wie das der Opfertiere am ‘idu-l-adhha. Ein weiterer Brauch an diesem Tag ist es, dem Kind das Kopfhaar zu scheren. Man wiegt das Haar mit Silber auf und spendet dies als Almosen. Auch dieser Ritus folgt der sunna Muhammads. Wie es keine formelle Aufnahme in den Islam gibt, so ist auch für den Austritt kein Ritus vorgesehen, was jedoch darin begründet liegt, daß der Austritt an sich nicht vorgesehen ist. Traditionell gehört die Apostasie neben dem Ehebruch und dem Mord zu den Vergehen, auf die die Todesstrafe stehen können. Zwar liegt die Begründung dafür nicht direkt im Koran, jedoch läßt der Koran keinen Zweifel daran, daß der Unglaube bei Gott nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. „Denen, die ungläubig sind, und (ihre) Mitmenschen) vom Weg Gottes abhalten, und darauf als Ungläubige sterben, wird Gott nicht vergeben", heißt es in Sure 47:34. Diese und weitere Aussagen stellen jenseitige Strafen in Aussicht. Zusammengelesen mit 4:88f. läßt sich die Forderung nach dem Tod des Apostaten folgern. [Vgl. Khoury 1991, S. 21.] Dort heißt es: „Wie könnt ihr hinsichtlich der Heuchler unterschiedlicher Meinung (w. zwei Gruppen) sein, wo doch Gott sie wegen dessen, was sie (an Sünden) begangen haben, zu Fall gebracht hat (?)! Wollt ihr denn rechtleiten, wen Gott irregeführt hat? Wen Gott irreführt, für den gibt es keinen Weg. Sie möchten gern, ihr wäret (oder: würdet) ungläubig, so wie sie (selber) ungläubig sind, damit ihr (alle) gleich wäret. Nehmt euch daher niemand von ihnen zu Freunden, solange sie nicht (ihrerseits) um Gottes willen auswandern! Und wenn sie sich abwenden (und eurer Aufforderung zum Glauben kein Gehör schenken), dann greift sie und tötet sie, wo immer ihr sie findet, und nehmt euch niemand von ihnen zum Freund oder Helfer!" Diese kombinierte Lesart hat Tradition und wird durch Hadithe untermauert, die Muhammad Aussagen zuschreiben wie: „Wer seine Religion wechselt, den tötet!" [Zit. nach: Ebd., S. 22.] Tatsächlich ist die Todesstrafe bei Glaubensabfall im Zusammenhang mit politischer Loyalität und Auswirkungen auf die Gesellschaft zu sehen und entstanden. In diese Richtung deutet auch der Umstand, daß nach dem Verständnis der hanafitischen Rechtsschule die Bestrafung der Apostasie für Männer und Frauen unterschiedlich zu werten ist. Während die drei anderen Rechtsschulen die Todesstrafe für Mann und Frau vorsehen, beschränken sich die Hanafiten darauf, die vom Glauben abgefallene Frau durch Körperstrafen oder Haft zur Absage zu bewegen. In dieser Sichtweise wird der Apostasie der Frau eine weniger gesellschaftsschädigende Wirkung zugeschrieben als der des Mannes. Faktisch ist diese Strafe nur sehr selten verhängt worden. Im „osmanischen Reich fand die letzte Hinrichtung eines Apostaten, soweit bekannt, im Jahre 1843 statt. Als Straftatbestand ist die Apostasie in den Rechtsordnungen der islamischen Staaten formell heute nicht mehr vorgesehen." [Schwartländer / Bielefeldt 1992, S. 28.] Das bedeutet allerdings noch nicht, daß Apostaten vor Verfolgung sicher wären. Prominente Opfer waren im Sudan Mahmoud 83 Muhammad Taha, der am 18. Januar 1985 mit dem Tode bestraft wurde, sowie im Iran Reverend Hossein Soodmand, den man am 13. Dezember 1990 hinrichtete. [Vgl. ebd., S. 50.] Aber auch dort, wo man von der Kapitalstrafe absieht, ergeben sich für Apostaten zahlreiche Benachteiligungen, die zivilrechtlicher wie sozialer Natur sein können. Beispielsweise ist die Ehe zwischen einer muslimischen Frau und einem nichtmuslimischen Mann in jedem Falle ungültig. Im Falle also, daß der Ehemann sich vom Islam abwendet, ist die Ehe ipso facto geschieden, zumal in vielen Ländern das Familienrecht keine Zivilehe vorsieht. Je nachdem, wieweit im Rechtssystem des betreffenden Landes die familienrechtlichen Vorstellungen der šari‘a inkorporiert sind, können sich Härten im Bereich des Erbrechts und in Fragen des Sorgerechts für Kinder ergeben. Über die generelle Rechtsfähigkeit eines Apostaten gehen die Meinungen auseinander. Mancherorts ist der Glaubensabfall mit einer Geldstrafe belegt. Neben den „offiziellen" Benachteiligungen entstehen jedoch fast immer erhebliche Schwierigkeiten im sozialen Bereich, denn die meisten islamischen Gesellschaften tun sich schwer, einem Apostaten vorurteilsfrei zu begegnen. Die Brüche reichen in Familie, Freundeskreis und Arbeitsumfeld hinein. [Zur Frage der Religionsfreiheit vgl. auch: Bielefeldt 1999; Ders. 1994.] 5.2 Beschneidung Die Beschneidung von Jungen, chitan, gilt der šafi‘itischen Rechtsschule als Pflicht, den übrigen als sunna. Der türkische Terminus sünnet weist auf diesen Umstand hin. Im Koran findet sie zwar keine Erwähnung, sie wird aber durchgängig praktiziert. Der Zeitpunkt der Beschneidung soll vor der Geschlechtsreife liegen. Der ‘aqiqa-Tag gilt als empfehlenswerter Termin, aber auch das Alter zwischen fünf und sieben Jahren wird oft gewählt. Wird die Beschneidung erst in diesem Alter vorgenommen, hat sie auch Dimensionen des Übergangs in die Männerwelt. Männliche Konvertiten zum Islam lassen zumeist auch im Erwachsenenalter die Beschneidung vornehmen. Die Beschneidung eines Jungen ist ein festlicher Anlaß. Oft werden mehrere Kinder an einem Termin beschnitten. Festliche Kleidung, Geschenke und Süßigkeiten trösten über den erlittenen Schmerz. Türkische Jungen werden oft gekleidet wie kleine Prinzen. Ein verzierter Festanzug in kräftigen Farben, dazu ein gesäumter Umhang und eine mit Pailletten und Federn geschmückte Kopfbedeckung und über allem eine Schärpe mit der Aufschrift masallah, dem Ausruf der Freude über das, „was Gott gewollt hat". Der Volksglaube schreibt diesen Worten eine abwehrende Kraft gegen den „bösen Blick" zu, weshalb sie gerne im Zusammenhang mit Kindern gebraucht werden. Talismane mit dieser Aufschrift sind weitverbreitet. Die Beschneidung der Mädchen, chafd, geht wie die Jungenbeschneidung auf vorislamische Bräuche zurück. Im Gegensatz zur Jungenbeschneidung hat sie sich jedoch nicht in alle Gebiete ausgebreitet, die unter islamische Herrschaft kamen. Heute ist sie vor allem in Ägypten, dem Sudan, am Horn von Afrika und in verschiedenen westafrikanischen Ländern Brauch. Wo die Mädchenbeschneidung praktiziert wird, ist sie kein islamisches Spezifikum; auch unter Animisten, koptischen Christen und äthiopischen Juden ist sie üblich. 84 Ein Vergleich mit der Beschneidung von Jungen ist nur bedingt möglich, denn während die Entfernung der männlichen Vorhaut im Allgemeinen keine gesundheitliche Beeinträchtigung mit sich bringt, stellt die „Beschneidung" von Mädchen ein erhebliches gesundheitliches Risiko dar. Je nach Region reicht der Ritus vom Durchstechen oder Einritzen der Klitoris bis zur völligen Entfernung von Klitoris und Schamlippen verbunden mit anschließender Infibulation. Der Eingriff geschieht vor der Menarche. Meist wird er im privaten Rahmen im Kreis der Frauen vorgenommen und geschieht dann ohne Betäubung, ohne medizinische Kenntnisse und unter unhygienischen Bedingungen mit so ungeeigneten Instrumenten wie Rasierklingen. Diese sogenannte pharaonische Beschneidung ist vor allem im Sudan und in Ägypten verbreitet. Sie bringt es mit sich, daß vor dem Vollzug der Ehe und vor der Niederkunft ein erneutes Aufschneiden des infibulierten Gewebes vonnöten ist. Nach dem Abgang der Nachgeburt wird nicht selten reinfibuliert. Diese Riten bringen oft schwere Infektionen mit sich. Immer wieder kommt es vor, daß Mädchen verbluten oder daß Frauen unter der Geburt sterben. 1997 scheiterte in Ägypten der Versuch, die Beschneidung zu verbieten. Die regionale Verbreitung der Beschneidung spiegelt sich in den Urteilen der Rechtsschulen wider. Die Hanafiten, die in der Türkei, Südosteuropa, Zentralasien sowie auf dem Subkontinent verbreitet sind, praktizieren die Frauenbeschneidung nicht. Die im Nahen Osten, Ostafrika und Südostasien einflußreiche šafi‘itische Rechtsschule hält die Mädchenbeschneidung für verpflichtend. Malikiten in Nord- und Westafrika sowie Hanbaliten auf der arabischen Halbinsel nennen sie wenigstens „ehrenhaft". Dabei stützen sich alle Befürworter der Mädchenbeschneidung auf schwache Hadithe, d.h. Prophetenworte, deren Echtheit nicht zweifelsfrei feststeht. So soll Muhammad gesagt haben: „Die Beschneidung ist überlieferte Pflicht für die Männer und ‘ehrenvoll’ für die Frauen." Zum Prozedere wird folgende Überlieferung angeführt: „Wenn du beschneidest, dann nimm nur einen [kleinen] Teil [der Klitoris] und entferne sie nicht ganz. Die Frau wird dann fröhlich und glücklich aussehen, und auch den Gatten wird es erfreuen, wenn ihre Lust ungemindert ist." [Beide Hadithe zitiert nach: Aldeeb 1994, S. 64-94. ] Besonders dieses Hadith schränkt die Beschneidung eher ein, als daß es sie fördern würde, ebenso die Aussage, daß sie allein für Männer eine Pflicht darstellt. Zumindest die drastischen Formen der Beschneidung lassen sich auf diesem Hintergrund nur schwer islamisch legitimieren. Wo die Mädchenbeschneidung vollzogen wird, stellt sie in höherem Maße als die Beschneidung der Jungen einen Übergangsritus dar. Das beschnittene Mädchen gewinnt geringfügig an sozialem Status in der Familie und orientiert sein Verhalten nun mehr an dem der Frauen, auch wenn die Beschneidung nicht den Beginn des Erwachsenenalters markiert. In einer stark von magischen Vorstellungen beherrschten Lebenswelt legt sie den Grund für den Vollzug aller Riten, die mit Fruchtbarkeit und Familiengründung zu tun haben. Wie eng der Konnex ist, zeigt sich daran, daß das zu beschneidende Mädchen mancherorts wie eine Braut gekleidet und in der Phase der Erholung von diesem Eingriff auch so angeredet wird. Unbeschnittene Frauen haben in Gesellschaften, in denen der Brauch der Beschneidung noch stark verhaftet ist, kaum Aussichten, einen Ehemann zu finden. Die Feierlichkeiten anläßlich der Beschneidung fallen bei den Frauen geringer aus als bei der Jungenbeschneidung und sind auf den Radius der Frauen beschränkt. Wie wenig das Ritual 85 letztlich im Islam beheimatet ist, zeigt sich auch daran, daß im Gegensatz zur Jungenbeschneidung weder Darbringung eines Tieropfers noch Festmahl üblich sind. [Vgl. Boehringer-Abdallah 1987, S. 67-76.] In Deutschland stellt die Beschneidung von Mädchen und Frauen einen Straftatbestand dar. Dabei handelt es sich um gefährliche (StGB § 224) oder schwere Körperverletzung (StGB § 226) bzw. im Falle, daß das Opfer seinen Verletzungen erliegt, um Verstümmelung mit Todesfolge (StGB § 227). Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes e.V. beziffert die Zahl der Frauen, die weltweit beschnitten sind, mit 150 Millionen. Aufgrund der Migration sind auch Frauen und Mädchen in Deutschland betroffen. Beschneidungen werden entweder in Deutschland verübt, oder die Mädchen erleiden sie, wenn sie in den Ferien in die Herkunftsländer reisen. Terre des Femmes e.V. schätzt, daß 21.000 Frauen in Deutschland beschnitten sind, während weiteren 5.500 Mädchen der Eingriff droht. [Diese Zahlen sind am 27.10.2000 der Homepage des Vereins entnommen: http://www.terre-des-femmes.de/mailingfgm2000.html - Terre des Femmes e.V. hat darüber hinaus mit Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Gesundheit eine Broschüre herausgegeben: „Wir schützen unsere Töchter", die ins Französische, Englische, Arabische, Somali und Kiswahili übersetzt vorliegt und in der Präventionsarbeit eingesetzt werden soll. Terre des Femmes e.V. hat eine Fortbildung für Hebammen und Mediziner entwickelt, die als Pilotprojekt in den Städt. Kliniken Bielefeld durchgeführt werden soll.] 5.3 Hochzeit und Ehe Die Ehe gilt im Islam als einzige erstrebenswerte Lebensform und einziger Ort legitimer sexueller Beziehungen. Vor- und außereheliche Beziehungen, insbesondere solche gleichgeschlechtlicher Art, gelten als verboten und werden mit Körper- oder Kapitalstrafen geahndet. Zölibat und Mönchtum werden ebenfalls abgelehnt. [Zum Mönchtum der Christen äußert sich der Koran: „Wir haben es ihnen nicht vorgeschrieben. (Sie haben es) vielmehr (von sich aus) im Streben nach Gottes Wohlgefallen (auf sich genommen). Doch hielten sie es nicht richtig ein." (57:27)] Der Vorzug der Ehe ist koranisch begründet: „Und verheiratet diejenigen von euch, die (noch) ledig sind, und die rechtschaffenen von euren Sklaven und Sklavinnen! Wenn sie arm sind, wird Gott sie durch seine Huld reich machen." (24:32) Die Ehe gehört zu den guten Gaben Gottes, der „euch aus euch selbst Gattinnen gemacht" hat. (16:72) Sie gründet auf Liebe und Zuneigung der Partner und deren gemeinsamer Sorge für die nachfolgende Generation. Der Koran gebraucht für das Verhältnis der Ehepartner das Bild des Gewandes, das sie gleichsam füreinander darstellen. (2:187) Der Islam schreibt der Ehe eine in vielfältiger Weise stabilisierende Wirkung auf die Gesellschaft zu und geht dabei vom Modell der komplexen Großfamilie aus. Die Verantwortlichkeit der Generationen füreinander bringt der Koran zum Ausdruck: „Und dein Herr hat bestimmt, daß ihr ihm allein dienen sollt. Und zu den Eltern (sollst du) gut sein. Wenn eines von ihnen (Vater oder Mutter) oder (alle) beide bei dir (im Haus) hochbetagt geworden (und mit den Schwächen des Greisenalters behaftet) sind, dann sag nicht ‘Pfui!’ zu ihnen und fahr sie nicht an, sondern sprich ehrerbietig zu ihnen, und senke für sie in Barmherzigkeit den Flügel der (Selbst)erniedrigung und sag: ‘Herr! Erbarm dich ihrer, (ebenso mitleidig), wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein (und hilflos) war!’" (17:23f.) Auch die Verwandten werden in diese Verantwortlichkeit einbezogen, die sich letztlich in Abstufungen auf die ganze umma erstreckt: „Und gib dem Verwandten, was ihm (von Rechts wegen) zusteht, ebenso dem Armen 86 und dem, der unterwegs ist (oder: dem, der dem Weg (Gottes) gefolgt (und dadurch in Not gekommen) ist". (17:26) Die Fürsorge erstreckt sich ausdrücklich auch auf die schwächsten Glieder der Gemeinschaft. War es in vorislamischer Zeit gang und gäbe gewesen, sich unerwünschter - vor allem weiblicher - Kinder zu entledigen, indem man sie ums Leben brachte, weist der Koran eine solche Praxis entschieden zurück: „Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung! Wir bescheren ihnen und euch (den Lebensunterhalt). Sie zu töten ist eine schwere Verfehlung." (17:31) Die Ehe ist nach islamischem Recht ein Vertrag. Zwar ist sie auf Dauer angelegt, [Der sunnitische Islam erkennt die Ehe, die von vornherein auf eine bestimmte Zeitspanne befristet ist, nicht an. Im schiitischen Islam ist diese Institution als mut ‘ a bekannt. Vgl. Hartmann 1992, S. 197.] aber die Möglichkeit einer Ehescheidung besteht unter bestimmten Voraussetzungen. Darin ist die islamische Ehe dem protestantischen Eheverständnis eines „weltlich Dings" näher als dem römisch-katholischen Verständnis der Ehe als sakramental und unauflöslich außer im Tode. Partner in einer ehelichen Gemeinschaft können dabei grundsätzlich nicht alle Menschen sein, sondern es werden geschlechtsspezifisch Unterscheidungen vorgenommen, und es werden bestimmte Verwandtschaftsgrade von der Zulassung zur Ehe ausgenommen. Für eine muslimische Frau gilt, daß sie einen Ehegatten allein aus dem Kreis muslimischer Männer wählen kann. Sie kann gleichzeitig allein mit einem Mann verheiratet sein. Einem muslimischen Mann steht die Möglichkeit offen, unter der Bedingung der gerechten Behandlung, mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Diese Frauen können muslimischen, christlichen oder jüdischen Glaubens sein. Es besteht somit im Bereich der Ehe eine Teilgemeinschaft mit Juden und Christen, die sich direkt aus dem Koran herleitet: „Und (zum Heiraten sind euch erlaubt) die ehrbaren gläubigen Frauen und die ehrbaren Frauen (aus der Gemeinschaft) derer, die vor euch die Schrift erhalten haben". (5,5) Zeitweilig ist diese Erlaubnis auch auf Angehörige des zoroastrischen Glaubens ausgedehnt worden. Unter dem Mogulkaiser Akbar (1556-1605) begünstigte dessen synkretistische Religiosität vorübergehend die Öffnung zum Hinduismus hin. Solche Handhabungen sind Ausnahmen geblieben. Die grundsätzliche Regelung bedingt es, daß Ehen eines muslimischen Partners mit einem Angehörigen anderer als der vorislamischen monotheistischen Religionen oder auch mit Menschen ohne religiöses Bekenntnis ungültig sind bzw. im Falle der muslimischen Frauen jede Ehe mit einem Nichtmuslim ungültig ist. Diese Regelung findet ihre Begründung meist darin, daß Kinder muslimischer Eltern im islamischen Glauben erzogen werden sollen und daß der Glaubensabfall des muslimischen Ehepartners unter allen Umständen verhindert werden muß. Während die christliche oder jüdische Ehefrau eines Muslims in der Ausübung ihrer Religion durch ihren Ehemann nicht behindert werden darf - so darf er ihr etwa nicht verbieten, Gottesdienste ihrer Gemeinde zu besuchen oder sich nach den Speisevorschriften ihrer Religion zu ernähren - besteht im Falle der muslimischen Frau, die einen Nichtmuslim heiratet würde, die Befürchtung, dieser könne sie daran hindern, die Kinder im islamischen Glauben zu erziehen oder ihr selbst die Ausübung ihrer Religion unmöglich machen bzw. sie im schlimmsten Fall vom Islam abbringen. Mischehen stehen auch deshalb in keinem guten Ruf, weil eine christliche oder jüdische Ehefrau eben nicht verpflichtet ist, nach islamischen Vorstellungen ritueller 87 Reinheit zu leben und somit für ihre (islamische) Familie die Schwierigkeit erwachsen kann, im eigenen Haushalt etwa rituell unreine Speisen und Getränke oder auch mißliebige Andachtsgegenstände wie Kruzifixe oder Ikonen zu haben. Derartige Vorbehalte haben dazu geführt, daß die Möglichkeit zur Ehe mit einer Jüdin und/oder Christin im Laufe der Zeit als wenig erstrebenswert beurteilt wurde. Die šafi‘itische Rechtsschule lehnt sie sogar vollständig ab; die Erlaubnis erstrecke sich nämlich allein auf die Angehörigen der ursprünglichen Offenbarungsreligionen. Heutige Anhänger seien damit nicht gemeint, da Judentum und Christentum nur noch verfälscht existierten. [Vgl. ebd., S. 101.] Diese Bestimmungen der Partnerwahl implizieren auch, daß eine gültig geschlossene Ehe ipso facto als geschieden gilt, wenn einer der Partner den vorgegebenen religiösen Rahmen verläßt. Fällt der Ehemann vom Islam ab oder verläßt die Ehefrau ihre Religionsgemeinschaft zugunsten einer nichtmonotheistischen Religion oder des Atheismus, so gilt die Ehe als nicht mehr existent. Die Ehepartner sind unverzüglich voneinander zu trennen. Verwandtschaftsgrade, innerhalb derer die Ehe unzulässig ist, werden im Koran aufgeführt. „Verboten (zu heiraten) sind euch eure Mütter, eure Töchter, eure Tanten väterlicherseits oder mütterlicherseits, die Nichten, eure Nährmütter, eure Nährschwestern, die Mütter eurer Frauen, eure Stieftöchter, die sich im Schoß eurer Familien befinden (und) von (denen von) euren Frauen (stammen), zu denen ihr (bereits) eingegangen seid, - wenn ihr zu ihnen noch nicht eingegangen seid, ist es für euch keine Sünde (solche Stieftöchter zu heiraten) - und (verboten sind euch) die Ehefrauen eurer leiblichen Söhne. Auch (ist es verboten) zwei Schwestern (zusammen) zur Frau zu haben, abgesehen von dem, was (in dieser Hinsicht) bereits geschehen ist. Gott ist barmherzig und bereit, zu vergeben." (4:23) Nicht nur Blut, sondern auch Milch konstituiert hier Verwandtschaftsverhältnisse. Die Polygamie, die der Koran gestattet, beschränkt die Anzahl der Ehefrauen im Unterschied zum vorislamischen usus auf vier. Die vorislamische polytheistische Kultur der arabischen Halbinsel hatte sehr unterschiedliche Arten der Vergemeinschaftung von Männern und Frauen gekannt, die durch den Islam jedoch sämtlich aufgehoben wurden zugunsten der islamischen Ehe. Dies brachte verschiedene Neuerungen mit sich, wie etwa die - wenn auch eingeschränkte Rechtsfähigkeit der Frau und die Abschaffung des Brautkaufs. Beim Abschluß eines Ehevertrages darf die Frau nicht gegen ihren Willen verheiratet werden. Die Braut schließt den Vertrag mit dem Bräutigam indes nicht selbst, sondern bedarf eines männlichen Verwandten oder Vormunds, des wali. Wünscht eine geschiedene Frau oder eine Witwe erneut zu heiraten, bedarf sie zum Vertragsabschluß keiner Vertretung mehr, sondern kann selbst als Vertragspartnerin auftreten. Im Falle, daß minderjährige Brautleute verheiratet werden, vertritt auch den Bräutigam ein wali. Im Ehevertrag haben die Brautleute die Möglichkeit, bestimmte Bedingungen für die Ehe auszuhandeln. So kann die Braut beispielsweise für sich das Recht festschreiben, einzige Ehefrau ihres Mannes zu bleiben und somit die Erlaubnis zur Polygamie umgehen. Mit der Eheschließung verpflichtet sich der Bräutigam - es sei denn, die Braut erläßt ihm dies - zur Zahlung der mahr, der Morgengabe. Diese fließt dem privaten Vermögen der Braut zu und ist somit kein „Brautpreis" mehr, der an die Familie der Braut zu erstatten wäre. Vielmehr dient die Morgengabe als finanzielle Absicherung für den Fall einer Scheidung. Als Schutz gegen die Scheidung kann eine astronomisch hohe mahr vereinbart werden, die jedoch erst im Falle der Scheidung zahlbar würde. Ebenso kann aber nur ein symbolischer Betrag 88 entrichtet werden, so daß die Absicherung völlig wegfällt. Welche Bedingungen die Braut aushandeln kann, hängt jedoch davon ab, über welche Verhandlungsposition sie und ihre Berater gegenüber der Familie des Bräutigams verfügen. Soziale Stellung, persönliche Eigenschaften der Braut, ihr Ruf, die Kenntnis, die Braut und wali von ihren rechtlichen Möglichkeiten überhaupt haben, können so dafür verantwortlich sein, ob der rechtliche Rahmen, in dem die Frau ihr Eheleben fristen wird, mehr oder weniger zu ihren Gunsten ausfällt. Der Ehevertrag wird rechtskräftig, wenn er in Anwesenheit zweier unbescholtener Zeugen vom wali der Braut und dem Bräutigam geschlossen wird. Die Hinzuziehung eines Imams oder Kadis ist fakultativ. Sie ist jedoch ein geeignetes Mittel zur Vermeidung von Formfehlern beim Vertragsabschluß. Die Eheschließung ist ein festlicher Anlaß, und die Hadithe sind voller Hinweise darauf, daß sie auch als solcher begangen werden soll. Die Gabe an die Braut und ein Festmahl für Verwandte und Freunde sind obligatorisch. [Das Islamische Zentrum Aachen formuliert seine Vorstellungen von einer islamischen Hochzeitsfeier: „Bei der Feier dürfen die Teilnehmer fröhlich sein, ohne jedoch die vom Islam gesetzten Grenzen zu überschreiten. Als Musikinstrument ist nur eine Art Tambourin erlaubt, und Männer und Frauen müssen getrennt sitzen. Alkoholgenuß, gemischter Tanz oder der von Frauen vor den Augen der Männer sind verboten. Es ist nicht Brauch im Islam, sich gegenseitig Eheringe anzustecken, auch wenn einige Muslime dies in Nachahmung abendländischer Lebensart tun" (Islamisches Zentrum Aachen Bilal-Moschee e.V. 1994).] Im ehelichen Leben wirkt sich die Vorstellung aus, Mann und Frau seien zwar - vor allem in spiritueller Hinsicht - gleichwertig, aber in rechtlicher und sozialer Hinsicht nicht gleichberechtigt. Die Einflußsphären von Mann und Frau unterscheiden sich, indem der Frau Haus und Kindererziehung obliegen, während der Mann für die Versorgung der Familie allein und vollständig verantwortlich ist. Er ist verpflichtet, für den Unterhalt seiner Frau(en) und Kinder zu sorgen, während das private Vermögen einer Frau nur dann in das familiäre Budget einfließt, wenn sie sich freiwillig entscheidet, es zur Verfügung zu stellen. Der Koran begründet dieses Verhältnis: „Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie (von Natur vor diesen) ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen (als Morgengabe für die Frauen?) gemacht haben." (4:34) Es sei noch einmal betont, daß dieser Vers sich nicht auf die Wertigkeit der Geschlechter bezieht, die keinesfalls in einer solchen Abstufung gesehen wird: „Diejenigen aber, die handeln, wie es recht ist, männlich oder weiblich, und die dabei gläubig sind, werden (dereinst) in das Paradies eingehen, und ihnen wird (bei der Abrechnung) nicht ein Dattelkerngrübchen Unrecht getan." (4:124) Wo die Ehe noch keinen so paradiesischen Zustand herbeiführt, ist als letzte Möglichkeit nach Beratungen der Partner durch Dritte die Ehescheidung erlaubt. Dieses Recht ist dem Ehemann leichter zugänglich als der Frau. Das islamische Recht hat jedoch auch hier einige Hemmschwellen errichtet, die die Frau vor männlicher Willkür bewahren sollen. So ist es im Falle der Scheidung nötig, eine Frist von drei Monatsperioden der Frau abzuwarten, um eine eventuell vorhandene Schwangerschaft festzustellen. Trennt sich ein Mann definitiv von seiner Frau, kann er sie nicht mehr erneut ehelichen, es sei denn, sie wäre eine Interimsehe mit einem anderen Mann eingegangen, die darauf wieder geschieden worden wäre. Die soll davor schützen, die Scheidung unbedacht auszusprechen und als Druckmittel der Frau gegenüber zu mißbrauchen. 89 Sind im Falle einer Scheidung Kleinkinder zu versorgen, so bleiben diese zunächst im Haushalt der Frau, die in die Familie ihrer Eltern zurückkehrt. Vor Erreichen der Pubertät kehren die Kinder jedoch in den Haushalt des Vaters zurück, der stets für sie unterhaltspflichtig bleibt. Geht die Mutter zwischenzeitlich eine neue Ehe ein, kehren die Kinder schon früher zurück, damit sie kein Hindernis für die Frau darstellen, wieder zu heiraten. Nach islamischem Verständnis gehören die Kinder zum Vater, sobald sie ein entsprechendes Alter erreicht haben. Das islamische Recht kennt weder Adoption noch die Anerkennung eines nichtehelichen Kindes durch den Vater. 5.4 Tod und Bestattung Die Tragfähigkeit einer Religion erweist sich immer auch besonders darin, ob sie ihren Anhängern den Weg nicht nur durch das Leben, sondern auch aus dieser Welt hinaus weisen kann. So legt auch der Islam Wert auf einen „guten Tod", der von Riten umgeben ist, die der Seele des Verstorbenen den Eintritt ins Jenseits erleichtern sollen. Mit dem Christentum teilt der Islam die Vorstellung eines Jüngsten Gerichtes und der leiblichen Auferstehung der Toten. Aber die eschatologischen Vorstellungen sind im Einzelnen trotz aller Parallelen nicht deckungsgleich, und die Riten unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht. Der Tod tritt dadurch ein, daß die Seele, die zu Beginn des Lebens dem Körper durch Gott eingegeben wurde, ihm nun wieder genommen wird. Diese Einhauchung der Seele als göttlicher Akt wiederholt sich seit der Erschaffung des ersten Menschen, [In Sure 15:28f. findet sich die Schilderung göttlicher Absicht an die Engel: „Ich werde einen Menschen aus feuchter Tonmasse (?) schaffen. Wenn ich ihn dann geformt und ihm Geist von mir eingeblasen habe, dann fallt (voller Ehrfurcht) vor ihm nieder!" ] worin das Verständnis zum Ausdruck kommt, daß jeder Mensch jenseits der elterlichen Zeugung seine Geschöpflichkeit Gott verdankt. Ist absehbar, daß der Tod eines Muslims bevorsteht, so tragen die Umstehenden dafür Sorge, daß die letzen Worte, die der Sterbende auf Erden hört, dieselben sind wie die, die er als erste Worte unmittelbar nach seiner Geburt gehört hat: die šahada, das Glaubensbekenntnis, wird ihm ins Ohr gesprochen. Er soll sie nachsprechen, damit sie seine letzten Worte sind. Von den Anwesenden wird erwartet, daß sie für den Sterbenden beten und aus dem Koran rezitieren. Ein Hadith legt zu diesem Anlaß besonders die Sure Ya Sin, das ist die 36. Sure, nahe. Darin kommt mehrmals das jenseitige Leben mit himmlischem Lohn und nicht endenden Höllenstrafen zur Sprache. Den Gläubigen wird zugesichert: „Die Gesandten haben die Wahrheit gesagt. Es genügt (w. Es ist nur) ein einziger Schrei, und schon werden sie alle bei uns (zum Gericht) vorgeführt. Und (zu ihnen wird gesagt:) ‘Heute wird niemand (im mindesten) Unrecht getan. Und euch wird nur (für) das vergolten, was ihr (in eurem Erdenleben) getan habt. Die Insassen des Paradieses sind heute (auf ihre Weise) beschäftigt und lassen es sich dabei wohl sein: Sie und ihre Gattinnen liegen im Schatten (behaglich) auf Ruhebetten und haben (köstliche) Früchte (zu essen) und (alles) wonach sie verlangen. ‘Heil!’ (wird ihnen entboten) als (Gruß)wort von seiten eines barmherzigen Herrn. (Ihr) aber, ihr Sünder, müßt euch heute (von den Frommen) absondern. (Denn für euch steht die Hölle bereit.)" (36:52-59) 90 Ist der Tod eingetreten, gilt es, eine Reihe von Verpflichtungen zu erfüllen, die die muslimische Gemeinde ihren Toten schuldet. Waschung, Bekleidung, Totengebet und Bestattung nach islamischem Ritus obliegen als Pflicht der Gemeinde im Sinne einer Kollektivpflicht, fard kifaya. Im Falle, daß sich kein Muslim bereitfindet, der dem Toten diese letzten Dienste erweist, macht sich die ganze Gemeinde schuldig. Umgekehrt gilt die Pflicht aber als erfüllt, wenn nur einige Gemeindemitglieder die erforderlichen Handlungen und Gebete vollziehen. Die mit der Bestattung der Toten verbundenen Riten sind dabei kaum flexibel, was sie von den christlichen Bestattungsriten unterscheidet, die in der Gestaltung, dem Zeitpunkt, dem Ort und der Art der Bestattung und der damit verbundenen Feier verschiedene Möglichkeiten eröffnen, zu denen seit einiger Zeit auch die Einäscherung des Leichnams zählt, sofern sie nicht als Absage an den Wiederauferstehungsglauben gemeint ist. [Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1995.] Dieser Unterschied muß im Blick behalten werden, weil es sonst unverständlich ist, weshalb Muslime so sehr auf die Ermöglichung ihrer Riten drängen. Der Zeitraum, der zwischen dem Eintritt des Todes und der Bestattung, die unbedingt eine Erdbestattung sein muß, liegen kann, soll möglichst kurz sein. Wer am Vormittag stirbt, soll noch am Nachmittag desselben Tages beigesetzt werden. Wer am Nachmittag stirbt, soll am Morgen des folgenden Tages zu Grabe getragen werden. Diese Eile rührt daher, daß nach islamischer Auffassung die Seele des Menschen, wenn sie vom Leib geschieden ist, zunächst vom Todesengel Izrail zu einem Zwischengericht in den Himmel gebracht wird. Dort erfährt sie, ob Paradies oder Hölle sie erwarten und wird dann wieder in den Körper zurückgebracht. Im Grab treten zwei weitere Engel, Munkar und Nakir, zu ihr und fragen sie nach ihrem Gott, ihrem Propheten, ihrer Religion und ihrer Gebetsrichtung. Kennt die Seele die richtigen Antworten Gott, Muhammad, der Islam und Mekka - bestätigen die Engel ihr den künftigen Eingang ins Paradies; kennt die Seele die richtigen Antworten nicht, setzt noch im Grab eine Peinigung ein. Eine Verzögerung der Bestattung führt so auch zu einer Verzögerung der Befragung durch die Engel. Daher legt man Wert auf eine zügige Vornahme der notwendigen Handlungen. Dem Toten werden zunächst die Augen geschlossen und das Kinn mit einem Stoffstreifen festgebunden. Um ein Aufblähen des Leibes zu verhindern, kann dieser mit einem Gewicht belastet werden. Die Waschung des Toten entspricht einer Ganzkörperwaschung, wie sie auch von den Lebenden zu bestimmten Anlässen vorzunehmen ist. Da der Leichnam dazu entkleidet wird, nimmt stets ein Angehöriger des gleichen Geschlechtes, meist mit zwei Helfern, die Totenwaschung vor. Ehepartner dürfen jedoch den verstorbenen Partner waschen. Die hanafitische Rechtsschule sieht dies allerdings anders: Im Falle von Ehepartnern gilt für die Hanafiten, daß eine Witwe zwar ihren verstorbenen Mann waschen kann, im Falle einer verstorbenen Ehefrau die Waschung jedoch nur durch Frauen geschehen darf. [Vgl. Abu Dawud 1990, S. 894 Anm. 2614.] Die Waschung ist aufwendig: „Der Leichnam wird auf dem Rücken auf einen erhöhten Platz gelegt, von dem aus das Wasser gut abfließen kann, und wird vom Bauchnabel bis zu den Knien mit einem Tuch zugedeckt. Zunächst wird durch leichten Druck auf den Unterleib versucht, den Körper zu entleeren. Danach werden die Ausscheidungs- und Geschlechtsteile unter dem Tuch gewaschen, wozu der Wäscher seine Hand mit einem Stofftuch umwickelt. Dann erfolgt die eigentliche rituelle Waschung, die der vor dem Gebet entspricht. Zuerst werden Mund und 91 Nasenlöcher gereinigt sowie Hände, Gesicht, Kopf und Füße gewaschen und sodann der ganze Körper, wobei zuerst die rechte und dann die linke Körperhälfte gewaschen wird. Die einmalige Waschung des Leichnams ist verpflichtend, eine zweite und dritte gilt als empfehlenswert. Abschließend wird der Körper abgetrocknet und mit Kampfer eingerieben." [Lemmen 1999a, S. 18f.] Von dieser Waschung existiert eine Ausnahme; Märtyrer werden so bestattet, wie sie zu Tode gekommen sind. Der Leichnam wird nun in weiße Tücher gewickelt, in denen er auch bestattet wird. Für einen Mann werden drei Tücher benötigt, für eine Frau noch zwei zusätzliche Tücher für Kopf und Brust. Mit Stoffstreifen werden die Tücher zugebunden und der Tote auf einer Bahre zum Begräbnisort getragen, der sich traditionell außerhalb der Städte und Siedlungen befand. Für verstorbene Muslime muß ein rituelles Totengebet verrichtet werden. Ein Hadith legt nahe, daß dies auch für Kinder gilt: „Für jedes verstorbene Kind soll das Totengebet verrichtet werden, auch wenn seine Eltern eine unrechtmäßige Beziehung hatten, denn jedes Kind hat von Natur aus die Anlage, Muslim zu sein. Und wenn beide Elternteile Muslime sind oder sich der Vater zum Islam, die Mutter aber zu einer anderen Religion bekennt, so ist für das Kind im Todesfall das Gebet zu verrichten, sofern es nach der Geburt geschrien hat. Das Gebet wird nicht verrichtet, wenn es nach der Geburt nicht geschrien hat, denn dann handelt es sich um eine Fehlgeburt." [AlBuhari 1991, S. 180.] Eine Ausnahme bilden auch hier die Märtyrer, von denen man annimmt, daß sie unverzüglich ins Paradies eingehen. Die Frage, ob für sie ein Totengebet gehalten werden muß oder nicht, wird von den Hanafiten bejaht, von Šafi‘iten und Hanbaliten abschlägig beurteilt. [Vgl. Abu Dawud 1990, S. 893 Anm. 2609.] Gebete für Nichtmuslime werden nicht verrichtet. Über ein Totengebet für Menschen, die sich selbst das Leben genommen haben, bestehen unterschiedliche Ansichten. Aus dem Leben Muhammads wird überliefert, daß er ein solches Gebet verweigert habe, um ein Beispiel zu geben. [Vgl. ebd., S. 903f. Nr. 3179.] Für die Opfer von hadd-Strafen wird das Gebet mehrheitlich befürwortet. Der Ort des Totengebetes wird von den Rechtsschulen ebenfalls verschieden bevorzugt, zumal der Leichnam dabei präsent sein soll. Šafi‘iten nennen die Moschee als adäquaten Platz dafür. Hanbaliten lassen das Gebet in der Moschee zu, wohingegen Malikiten und Hanafiten das Gebet auf einer freien Fläche außerhalb der Stadt verrichtet wissen wollen. [Vgl. Lemmen 1999a, S. 20 Anm. 23.] Die Teilnahme am Totengebet ist für Männer verpflichtend. Die Teilnahme von Frauen wird überwiegend abgelehnt. Sollten sie anwesend sein, halten sie sich abseits der Männer. Dies gilt auch für den Trauerzug, in dem sie allenfalls in Abstand hinter den Männern mitgehen. Der Leichnam wird von den teilnehmenden Männern abwechselnd auf ihren Schultern getragen und zügig und unter Schweigen zum Begräbnisplatz gebracht. Dort wird er so ins Grab gelegt, daß er auf der rechten Körperseite liegend mit dem Gesicht nach Mekka ausgerichtet ist. Dazu wird am Fuß des Grabes eine entsprechende Nische vorbereitet, die nach der Grablegung mit Lehm oder einem Holz verschlossen wird. Die Teilnehmer an der Beerdigung werfen jeweils drei Handvoll Erde ins Grab unter den Worten: „Daraus haben wir euch erschaffen; dazu lassen wir euch zurückkehren, und daraus werden wir euch ein zweites Mal hervorbringen." [Zitiert nach: Ebd., S. 22.] Die Verfüllung des Grabes ist Aufgabe der 92 Trauergemeinschaft, die danach noch einige Bittgebete spricht und im Hinblick auf die Befragung im Grab den Verstorbenen belehrt. Grundsätzlich sind Muslime unter Muslimen zu bestatten. Die Totenruhe gilt als in aeternam zu wahren und wird so ernstgenommen, daß Grabpflege und -schmuck als Störung dieser Ruhe empfunden und abgelehnt wird. Jeglicher Totenkult ist dem orthodoxen Islam fremd, was einer der Gründe für die Spannungen ist, die im Hinblick auf sufische Gemeinschaften bestehen. Deren teilweise stark ausgeprägter Heiligenkult findet an den Gräbern heiliger Frauen und Männer seine Fortsetzung. Entgegen der gelehrten Forderung nach schlichten Gräbern finden sich überall in der islamischen Welt aufwendig gestaltete Grabstätten, deren bekannteste sicher der Taj Mahal sein dürfte. Die Trauer soll sich von vorislamischen Trauerriten dadurch absetzen, daß laute Klagen, Zerreißen der Kleider und ähnliche Ausbrüche unterbleiben. Nach prophetischem Vorbild ist das Weinen um den Verstorbenen gestattet, sofern die Trauer kein Hadern mit dem göttlichen Willen beinhaltet. In den drei Tagen nach Eintritt des Todes ist es angezeigt, die Hinterbliebenen zu Hause zu besuchen und zum Zeichen der Kondolenz eine Zeitlang bei ihnen zu bleiben. Beileidsbekundungen nach dieser Frist sind verpönt. Für Witwen besteht nach dem Tod des Ehemannes eine besondere Trauerzeit, idda. Für vier Monate und zehn Tage kleiden sie sich schmucklos, verlassen das Haus kaum oder gar nicht und dürfen keine Versprechen zu einer neuen Eheschließung machen. 6. Speisevorschriften Wie das Judentum kennt der Islam Speisevorschriften, deren Einhaltung die Kultfähigkeit seiner Gläubigen sichert. Der Koran fordert auf: „Eßt von dem, was Gott euch beschert hat, soweit es erlaubt und gut ist!" Was in diesen Rahmen des Erlaubten und Guten fällt, ist wichtig genug, um in Koran, Sunna und šari‘a ausgiebig thematisiert zu werden. Allgemein ist bekannt, daß der Genuß von Alkohol und Schweinefleisch verboten ist. Das Alkoholverbot ergibt sich im Analogieschluß aus dem koranischen Weinverbot: „Ihr Gläubigen! Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind (ein wahrer) Greuel und des Satans Werk. Meidet es!" (5:90) Die Ablehnung des Alkohols hat in der Praxis jedoch keine so strenge Entfaltung gefunden wie das Verbot vom Schwein stammender Produkte. Aber auch Blut und Aas fallen unter dieses Verbot, wobei als Aas, maita, „Fleisch von verendeten oder nicht rituell geschlachteten Tieren" [Heine 1991c, S. 680.] betrachtet wird. „Verboten ist euch (der Genuß von Fleisch) von verendeten Tieren, Blut, Schweinefleisch und (von) Fleisch, worüber (beim Schlachten) ein anderes Wesen als Gott angerufen worden ist, und was erstickt, (zu Tod) geschlagen, (zu Tod) gestürzt oder (von einem anderen Tier) gestoßen ist, und was ein wildes Tier (an)gefressen (oder: geschlagen) hat - es sei denn, ihr schächtet es (indem ihr es nachträglich ausbluten laßt) -, und was auf einem (heidnischen) Opferaltar 93 geschlachtet worden ist". (5:3) Diese Sure macht die beiden Haupthindernisse des Verzehrs deutlich: entweder ist das Tier nicht geschächtet oder es wurde in einer religiösen Bezugnahme zu Tode gebracht, die aus islamischer Sicht inakzeptabel ist. Da der Koran davon ausgeht, daß Juden, Christen und Muslime an einen Gott glauben, der „unser Herr und euer Herr" (42:15) ist, besteht mit ihnen eingeschränkte Tischgemeinschaft, insoweit die Speisen an sich halal, erlaubt sind. Im Koran heißt es lediglich: „Und was diejenigen essen, die (vor euch) die Schrift erhalten haben, ist für euch erlaubt, und (ebenso) was ihr eßt, für sie." (5:5) Dieser Befund hat jedoch eine Fülle von Deutungen seitens der Gelehrten nach sich gezogen. Das Spektrum reicht von der Annahme, was Juden und Christen geschlachtet haben, sei Muslimen erlaubt, bis zur entgegengesetzten Feststellung, es sei ihnen verboten. Wo die Schlachtungen durch Juden und Christen akzeptiert werden, geschieht dies unter der Prämisse, auch sie würden schächten und über dem Tier den Namen Gottes anrufen. (Die Schächtung geschieht, wie im Abschnitt über das Opferfest beschrieben.) Wo Ablehnung besteht, wird sie damit begründet, daß das Gottesverständnis von Juden, Christen und Muslimen unterschiedlich ist. Mithin existiert auch die Annahme, von Juden und Christen Geschlachtetes könne verzehrt werden, sogar wenn man sicher sei, daß Gott darüber nicht angerufen worden ist. Aber auch dieser Umstand hat Gelehrte gefunden, die einen Verzehr ablehnen. Wo über dem Tier Jesus Christus oder ein christlicher Heiliger angerufen wurde, gilt das Fleisch allerdings einhellig als verboten. [Vgl. Khoury 1985, S. 90-98.] Angesichts dieser Lage nimmt es nicht Wunder, daß in der Praxis Muslime alle möglichen Positionen im aufgezeigten Spektrum einnehmen und in christlichen oder jüdischen Haushalten entweder vegetarisch essen oder aber alles zu sich nehmen, außer Alkohol und Schweinefleisch. Probleme werfen jedoch vor allem die „versteckten" Anteile nicht näher bestimmbarer tierischer Fette und Bestandteile in Nahrungsmitteln auf, die industriell gefertigt sind. Einige Muslime nehmen mit dem Hinweis auf die meist ungeklärte Herkunft keine Gelatine-Produkte zu sich, worunter dann auch so unverfängliche Nahrungsmittel wie bestimmte Fruchtjoghurtzubereitungen fallen können. Eine große amerikanische Fast-Food-Kette wurde in Deutschland rege auch von Muslimen frequentiert, bis Schweinefleischprodukte auf die Speisekarte kamen. Grundsätzlich gilt im Hinblick auf die Speisevorschriften, daß Not Gebot bricht: „Und wenn einer (von euch) aus Hunger sich in einer Zwangslage befindet, (und aus diesem Grund gegen ein Speisegebot verstößt), ohne sich (bewußt) einer Sünde zuzuneigen, so ist Gott barmherzig und bereit, zu vergeben." (5:3; vgl. auch 2:173) Aber nicht nur was, sondern auch wie gespeist wird, ist von Belang. Nach prophetischem Vorbild dient der Nahrungsaufnahme die rechte Hand, während die linke zur Reinigung nach der Notdurft benutzt wird. Vor dem Essen wird die basmala gesprochen, und nach dem Essen Gott gedankt, indem wenigstens die hamdala [D.h. al-hamdulillah , „Dank sei Gott".], oft auch ein ausführlicheres Gebet gesprochen wird. Eßgeschirre aus Edelmetall sind verpönt, während die Speisung von Armen eine verdienstvolle Tat ist. Die Speisegewohnheiten Muhammads wirken bis heute in der islamischen Welt nach. So berichten Hadithe: „Niemals sah ich den Propheten (S) aus kostbarem Geschirr essen! Niemals aß er feines, in dünne Scheiben geschnittenes Brot, und niemals aß er an einem Tisch!" Statt dessen ließ Muhammad „Lederteppiche auf dem Boden 94 ausbreiten". Er hielt beim Essen Maß, kritisierte keine Speise und lehnte sich beim Essen nicht zurück. Einen Jungen in seiner Obhut wies er an: „O mein Junge! Sag zuerst: ‘Im Namen Gottes’, nimm dann beim Essen nur die rechte Hand und greif immer nur in die Schüssel, die dir am nächsten ist!" [Al-Buhari 1991, S. 376ff.] 7. Bekleidungsvorschriften Für die Speise wie auch für die Bekleidung der gläubigen Muslime ist ein Wort des Propheten wegweisend: „Eßt, trinkt, kleidet euch und gebt Almosen! Aber tut es ohne Übertreibung und ohne Hochmut!" [Ebd., S. 409. ] Diese Mahnung zur Bescheidenheit und Zurückhaltung tritt auch darin zutage, daß seidene Gewänder und Goldschmuck islamischen Männern zu tragen untersagt sind. Frauen ist dies gestattet, zumal der Schmuck eine regelrechte Kapitalanlage für sie darstellt, aber auch sie sollen damit kein Aufsehen erregen. Die Art und Weise der Bekleidung ist vom Wandel der Zeiten nicht unberührt geblieben. Jedoch herrscht übereinstimmend die Auffassung, ein Muslim habe die aura seines Körpers zu bedecken. Dies geschieht zweckmäßig mit weit geschnittener Kleidung. Dieser Bereich wird für Frauen und Männer unterschiedlich definiert. Beim Mann gilt, je nach Auffassung, der Bereich zwischen Bauchnabel und Knien als zu bedecken oder auch nur der Bereich der Geschlechtsteile und des Gesäßes. Bei der Frau gilt alles zu diesem Bereich gehörig, was nicht notwendigerweise sichtbar sein muß, wie Gesicht, Hände und Füße. Diese Bestimmungen gelten in jedem Fall für die Verrichtung des Ritualgebetes. Zwei Koranverse deuten auf ein generelles Gebot der Schamhaftigkeit und Bedeckung hin: „Sag den gläubigen Männern, sie sollen (statt jemanden anzustarren, lieber) ihre Augen niederschlagen, und sie sollen darauf achten, daß ihre Scham bedeckt ist (w. ihre Scham bewahren). So halten sie sich am ehesten sittlich (und rein) (w. das ist lauterer für sie). Gott ist wohl darüber unterrichtet, was sie tun. Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen (statt jemanden anzustarren, lieber) ihre Augen niederschlagen, und sie sollen darauf achten, daß ihre Scham bedeckt ist (w. ihre Scham bewahren), den Schmuck, den sie ( am Körper) tragen, nicht offen zeigen, soweit er nicht (normalerweise) sichtbar ist, ihren Schal sich über den (vom Halsausschnitt nach vorne heruntergehenden) Schlitz (des Kleides) ziehen und den Schmuck, den sie (am Körper) tragen niemand (w. nicht offen) zeigen, außer ihrem Mann, ihrem Vater, ihrem Schwiegervater, ihren Söhnen, ihren Stiefsöhnen, ihren Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder und ihrer Schwestern, ihren Frauen (d.h. den Frauen, mit denen sie Umgang pflegen?), ihren Sklavinnen (w. dem, was sie (an Sklavinnen) besitzen), den männlichen Bediensteten (w. den Gefolgsleuten), die keinen (Geschlechts)trieb (mehr) haben, und den Kindern, die noch nichts von weiblichen Geschlechtsteilen wissen. Und sie sollen nicht mit ihren Beinen (aneinander)schlagen und damit auf den Schmuck aufmerksam machen, den sie (durch Kleidung) verborgen (an ihnen) tragen (w. damit man merkt, was sie von ihrem Schmuck 95 geheimhalten). Und wendet euch allesamt (reumütig) wieder zu Gott, ihr Gläubigen! Vielleicht wird es euch (dann) wohlergehen." (24:30f.) „Prophet! Sag deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen (wenn sie austreten) sich etwas von ihrem Gewand (über den Kopf) herunterziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, daß sie (als ehrbare Frauen) erkannt und nicht belästigt werden. Gott aber ist barmherzig und bereit zu vergeben." (33:59) Konkrete Aussagen über die Art der Körperbedeckung sind damit nicht gemacht, in dem Sinne, daß die islamische Kleidung eine Art Uniform wäre. Die Praxis zeigt etwa im Bereich der weiblichen Mode durchaus eine Vielfalt, die von der vollständigen Verhüllung des Körpers mittels einer burqa, die allein durch ein gesticktes „Fenster" ihre Trägerin die Außenwelt wahrnehmen läßt, bis zum pro forma über die wohlfrisierten Haare drapierten Gazeschleier reicht und neuerdings auch zum Verzicht auf jegliche Kopfbedeckung außerhalb der Gebetszeiten. Jedoch läßt sich die Intensität der Verschleierung in Relation setzen zum Grad der Befürwortung einer öffentlichen Präsenz der Frau in der Gesellschaft. Die Bedeckung ist nämlich nicht bloßer Ausdruck der Zugehörigkeit zur umma oder der Unterwerfung unter göttliches Gebot, sondern sie impliziert die Zustimmung zu einem Verständnis der gesellschaftlichen Ordnung, die die Wirkenssphären der Geschlechter getrennt sehen möchte. 96 Literaturverzeichnis Abdullah, Muhammad Salim (1981): Geschichte des Islams in Deutschland, Islam und westliche Welt Bd. 5, Graz-Wien-Köln. Abdullah, Muhammad Salim (1992): Gutachten zur möglichen Anlage eines islamischen Teilfriedhofes in der Stadt Bielefeld, Soest, 25. März 1992. Abdullah, Muhammad Salim (1995): Gutachten zum islamischen Bestattungsritual auf kommunalen Friedhöfen, Auftraggeber: Freie Hansestadt Bremen, Senator für Kultur und Ausländerintegration, Soest, 22. Mai 1995. Abu Dawud, Sunan (1990): English Translation with explanatory notes by Ahmad Hasan, Bd. 2, New Delhi, Reprint. Ahmed, Munir D. (1975): Ausschluß der Ahmadiyya aus dem Islam. Eine umstrittene Entscheidung des pakistanischen Parlaments, in: Orient, 1, S. 112-143. Ahmed, Munir D. (1977): Die Stellung des Koran in der Ahmadiyya-Theologie, in: Wolfgang Voigt (Hrsg.): XIX. Deutscher Orientalistentag, ZDMG Supplement Bd. 3/1, Wiesbaden, S. 319330. Ahmed, Munir D. (1980): Die Soziologie der Ahmadiyya, in: Wolfgang Voigt (Hrsg.): XX. Deutscher Orientalistentag, ZDMG Supplement Bd. 4, Wiesbaden, S. 545-547. Ahmed, Munir D. (1990): Ahmadiyya: Geschichte und Lehre, in: Ders. u.a., S. 415-422. Ahmed, Munir D. u.a. (1990): Der Islam III, Die Religionen der Menschheit Bd. 25/3, StuttgartBerlin-Köln. Al-Buhari, Sahih (1991): Nachrichten von Taten und Aussprüchen des Propheten Muhammad. Ausgewählt, aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Dieter Ferchel, Stuttgart. Aldeeb Abu-Sahlieh, Sami A. (1994): Verstümmeln im Namen Yahwes oder Allahs. Die religiöse Legitimation der Beschneidung von Männern und Frauen, in: CIBEDO, 2, S. 64-94. Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt am Main (Hrsg.) (1996): Religionen der Welt. Gemeinden und Aktivitäten in der Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt am Main. Anderson, Philip (1996): Muslime in München, hrsg. von der AusländerInnenbeauftragten der Landeshauptstadt München, München. Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Duisburg / Stadt Duisburg (Hrsg.) (ohne Jahr): Islam in Duisburg, Duisburg. Arikan, Hasan (1998): Der kurzgefaßte Ilmihal. Illustriertes Gebetslehrbuch. Religionsunterricht für muslimische Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter, hrsg. vom Verband der Islamischen Kulturzentren e.V., Köln. Ausschuß der Evangelischen Kirche in Deutschland für den kirchlichen Dienst an ausländischen Arbeitnehmern (1974): Moslems in der Bundesrepublik. Eine Handreichung, hrsg. vom Kirchlichen Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Frankfurt am Main. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (2000): Daten und Fakten zur Ausländersituation, Berlin, 19. Auflage. 97 Beauftragter für ausländische Einwohner (Hrsg.) (1996): Islamische Vereinigungen in Mannheim, Mannheim, 2. Auflage. Beauftragter für Islam- und Ausländerfragen im Amt für Gemeindedienst der Evangelischlutherischen Landeskirche Hannovers (AFG) (Hrsg.) (1997): Nach Mekka gewandt. Zum Umgang türkischer Muslime mit ihren Verstorbenen in der Türkei und in Deutschland. Handreichung, Hannover. Becker, Hildegard (1996): Jesus ging nach Kaschmir, in: Publik-Forum, Nr. 17 vom 13. September 1996, S. 40. Bielefeldt, Heiner (1994): Die ‘Allgemeine islamische Menschenrechtserklärung’ von 1981. Eine christliche Stellungnahme, in: Concilium, 3, S. 255-259. Bielefeldt, Heiner (1999): Muslime im säkularen Rechtsstaat. Vom Recht zur Mitgestaltung der Gesellschaft, Der interkulturelle Dialog Bd. 2, hrsg. von der Ausländerbeauftragten des Landes Bremen, Bremen. Blach, Thorsten (1996): Nach Mekka gewandt. Zum Umgang türkischer Muslime mit ihren Verstorbenen in der Türkei und in Deutschland, hrsg. vom Zentralinstitut und Museum für Sepulkralkultur, Kassel. Boehringer-Abdallah, Gabriele (1987): Frauenkultur im Sudan, Frankfurt am Main. Borek, Abdullah Leonard (Hrsg.) (1997): Islam im Alltag. Eine Handreichung für deutschsprachige Muslime, Hamburg. Botschaft des Königreichs Saudi Arabien, Attaché für Islamische Angelegenheiten (o.J.): Der Islam auf einen Blick, Bonn. Brandhuber, Klaus (1994): Die Problematik des Schächtens im Lichte der aktuellen Rechtsprechung, in: NVwZ, 6, S. 561-564. Bundesverwaltungsgericht (2000): Pressemitteilung Nr. 6/2000 vom 23. Februar 2000, in: NJW, 11, S. XII. Campenhausen, Axel Freiherr von (1991): Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, Bd. 14: Artikel 136 bis 146, München, 3. Auflage. Campenhausen, Axel Freiherr von (1996): Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch, München, 3. Auflage. CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag (1999): Islam in Deutschland. Dokumentation einer Anhörung der CDU/CºSU Bundestagsfraktion, Berlin. Ceylan, Gülistan (1999): Salomonische Lösung im Ludwigshafener Kopftuchstreit, in: Freitagsblatt, 9, S. 10. Clotter, Paul (1983): Die Beschneidung im Islam, CIBEDO-Texte Nr. 23, Frankfurt am Main. Deutscher Bundestag (1999): Antwort der Bundesregierung: Verfolgung von Christen in aller Welt, Drucksache 14/2431 vom 22. Dezember 1999. Dilger, Konrad (1990): Die Entwicklung des islamischen Rechts, in: Munir D. Ahmed u.a., S. 60-99. Dohmen, Christoph (1998): Die Bibel und ihre Auslegung, München. 98 Eick-Wildgans, Susanne (1995): Anstaltsseelsorge, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson, S. 9951016. Elsas, Christoph (1994): Religionsfreiheit für die türkisch-manichäisch-(pseudo)muslimischen Aleviten, in: Holger Preißler / Hubert Seiwert (Hrsg.): Gnosisforschung und Religionsgeschichte. Festschrift für Kurt Rudolph zum 65. Geburtstag, Marburg, S. 79-93. Elyas, Nadeem (1995a): Zum Thema „Frauen-Beschneidung", Teil eines am 20. September 1995 mit dem Vorsitzenden des ZMD, Dr. Nadeem Elyas, geführten Interviews zum Thema „FrauenBeschneidung" in islamischen Ländern, Köln. Elyas, Nadeem (1995b): Zum Thema „Islamische Friedhöfe". Stellungnahme des Vorsitzenden des ZMD, Dr. Nadeem Elyas, anlässlich der Diskussion um eine geplante Einebnung von muslimischen Gräbern in Köln, Köln. Elyas, Nadeem (1998): Stellungnahme des ZMD-Vorsitzenden Dr. Nadeem Elyas, in: Zum Thema Gebetsruf, Presse-Information des ZMD vom 10. Februar 1998, Köln, S. 1. Ende, Werner / Steinbach, Udo (Hrsg.) (1996): Der Islam in der Gegenwart, München, 4. Auflage. Ende, Werner (1996): Der schiitische Islam, in: Ders. / Udo Steinbach, S. 70-89. Endreß, Gerhard (1991): Der Islam. Eine Einführung in seine Geschichte, München, 2. Auflage. Evangelische Kirche im Rheinland / Evangelische Kirche von Westfalen (1997): Zum öffentlichen Gebetsruf. Eine gemeinsame Stellungnahme der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Evangelischen Kirche von Westfalen, in: CIBEDO, 4, S. 147f. Faroqhi, Suraiya (1990): Herrscher über Mekka. Die Geschichte der Pilgerfahrt, München. Fingerlin, Erika / Mildenberger, Michael (Hrsg.) (1983): Ehen mit Muslimen. Am Beispiel deutsch-türkischer Ehen, Beiträge zur Ausländerarbeit 4, Frankfurt am Main. Freitagsblatt (8/1999): Kopftuchverbot am Arbeitsplatz, S. 14. Freitagsblatt (4/2000): Verfassungsbeschwerde der IRH, S. 10. Frembgen, Jürgen W. (1993): Derwische - Gelebter Sufismus. Wandernde Mystiker und Asketen im islamischen Orient, Köln. Frese, Hans-Ludwig / Hannemann, Tilman (1995): Wir sind ja keine Gäste mehr. Religiöse Einrichtungen Bremer Muslime, hrsg. von der Bremischen Evangelischen Kirche, Bremen. Grunebaum, G.E. von (Hrsg.) (1991): Der Islam II - Die islamischen Reiche nach dem Fall Konstantinopels, Fischer Weltgeschichte Bd. 15, Frankfurt am Main. Haas, Abdulkadir W. (1986): Türkische Volksfrömmigkeit, Beiträge zur Ausländerarbeit 9, Frankfurt am Main. Hagemann, Ludwig / Khoury, Adel Theodor (1997): Dürfen Muslime auf Dauer in einem nichtislamischen Land leben? Zu einer Dimension der Integration muslimischer Mitbürger in eine nicht-islamische Gesellschaftsordnung, Religionswissenschaftliche Studien Bd. 42, WürzburgAltenberge. Halm, Heinz (1988): Die Schia, Darmstadt. 99 Hartmann, Richard (1992): Die Religion des Islam, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1944, Darmstadt. Heine, Peter (1991a): Fatwa, in: Adel Theodor Khoury / Ludwig Hagemann / Peter Heine, S. 246-248. Heine, Peter (1991b): Fest/Festkalender, in: Adel Theodor Khoury / Ludwig Hagemann / Peter Heine, S. 248-250. Heine, Peter (1991c): Speisegesetze, in: Adel Theodor Khoury / Ludwig Hagemann / Peter Heine, S. 679f. Heine, Peter (1994): Kulturknigge für Nicht-Muslime. Ein Ratgeber für alle Bereiche des Alltags, Freiburg-Basel-Wien. Heine, Peter (1997): Halbmond über deutschen Dächern. Muslimisches Leben in unserem Land, München-Leipzig. Heintzen, Markus (1995): Polizeiseelsorge, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson, S. 985-994. Helmstaedter, Claudia / Michels, Beatrix (1997): Multikulturell ist bisher nur der Name, in: Pro Alter, 1, S. 17-19. Hobohm, Mohammad Aman (1994): Neuanfänge muslimischen Gemeindelebens in Berlin nach 1945 – Erinnerungen, in: MR, 1, S. 28-40. Höpp, Gerhard (1996): Tod und Geschichte oder Wie in Berlin prominente Muslime bestattet wurden, in: Ders. / Gerdien Jonker (Hrsg.), S. 19-43. Höpp, Gerhard / Jonker, Gerdien (Hrsg.) (1996): In fremder Erde. Zur Geschichte und Gegenwart der islamischen Bestattung in Deutschland, Zentrum Moderner Orient / Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V., Arbeitshefte Nr. 11, Berlin. Höpp, Gerhard (1997): Muslime in der Mark. Als Kriegsgefangene und Internierte in Wünsdorf und Zossen, 1914-1924, Zentrum Moderner Orient / Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V., Studien Nr. 6, Berlin. Huber, Barbara (1993): Halal-Fleisch aus deutschen Schlachthöfen. Elektrokurzzeitbetäubung legitimiert Muslimen die Schächtung, in: CIBEDO, 3, S. 84-86. Huber-Rudolf, Barbara (1996): Muslime in Europa, in: Udo Marquardt (Hrsg.): Miteinander leben. Christen und Muslime in der Bundesrepublik Deutschland, Schriftenreihe Gerechtigkeit und Frieden der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Arbeitspapier 77, Bonn, S. 106-120. Ibn Ishaq (1999): Das Leben des Propheten. Aus dem Arabischen übertragen und bearbeitet von Gernot Rotter, Kandern. imex-zabar print & publishing (1999): Muslimkalender 2000 / 1420-21 H., Dietzenbach. Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (o.J.): Stellungnahme zu den Religionsgemeinschaften der Aleviten und Ahmadiyya, Frankfurt am Main. Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (1999): Darstellung der Grundlagen des Islam. Satzung der IRH, IRH-Schriftenreihe Nr. 1, Frankfurt am Main. Islamisches Zentrum Aachen Bilal-Moschee e.V. (1994): Feste im Islam, Kenne den Islam Nr. 3, Aachen, 2. Auflage. 100 Jamila-Zahra (1997): Bemerkungen zur Frage der weiblichen Beschneidung, in: HUDA, 1, S. 11-22. Jennerich, Liebgard (2000): Islamische Grabfelder in Deutschland, in: Friedhofskultur, 6, S. 2023. Jonker, Gerdien / Kapphan, Andreas u.a. (1999): Moscheen und islamisches Leben in Berlin, hrsg. von der Ausländerbeauftragten des Senats, Berlin. Kahleyss, Margot (1998): Muslime in Brandenburg. Kriegsgefangene im 1. Weltkrieg. Ansichten und Absichten, Veröffentlichungen des Museums für Völkerkunde, Neue Folge Bd. 66, Berlin. Karakasoglu, Yasemin (1996): Die Bestattung von Muslimen in der Bundesrepublik aus der Sicht türkisch-islamischer Organisationen, in: Gerhard Höpp / Gerdien Jonker, S. 83-105. Karaman, Hayrettin (1990): Erlaubtes und Verwehrtes, Veröffentlichungen der türkischen Stiftung für religiöse Angelegenheiten, Ankara. Kayser, Erhard (1996): Muslimischer Friedhof für den Kreis Unna? Vorüberlegungen zu einer Stellungnahme Evangelischer Kirchengemeinden, ohne Ort. Kayser, Erhard (1997): Ezan – Heimatlicher Gebetsruf in der Fremde. Erläuterungen, Sachstandsbericht und Bemerkungen zu einem neuerlichen Problem in der multikulturellen Gesellschaft der BRD. Vorüberlegungen zu einer Stellungnahme Evangelischer Kirchengemeinden, ohne Ort. Kehl-Bodrogi, Krisztina (1993): Die „Wiederfindung" des Alevitums in der Türkei. Geschichtsmythos und kollektive Identität, in: Orient, 2, S. 267-282. Khoury, Adel Theodor / Irskens, Renate / Wanzura, Werner (1981): Muslimische Kinder in der deutschen Schule, Altenberge. Khoury, Adel Theodor (1985): Islamische Minderheiten in der Diaspora, Entwicklung und Frieden, Wissenschaftliche Reihe Bd. 40, Mainz-München. Khoury, Adel Theodor (1988): So sprach der Prophet. Worte aus der islamischen Überlieferung, Gütersloh. Khoury, Adel Theodor (1991): Abfall vom Glauben/Apostasie, in: Ders. / Ludwig Hagemann/ Peter Heine, S. 21-25. Khoury, Adel Theodor / Hagemann, Ludwig / Heine, Peter (1991): Islam-Lexikon. Geschichte– Ideen–Gestalten, Freiburg-Basel-Wien. Kirchenamt der EKD (Hrsg.) (2000): Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland. Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen. Eine Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh. Köhler, Ayyub Axel (1996): Schächten in Deutschland, in: CIBEDO, 4, S. 145f. Köhler, Ayyub Axel (1997): Denkschrift zur Körperschaft des öffentlichen Rechts für islamische Religionsgemeinschaften: Eine islamische Amtskirche?, in: Islam hier & heute, 1, S. 6-8. Köhler, Ayyub Axel (1999): Die strukturelle Assimilation des Islams in Deutschland. Zur Diskussion gestellt: Körperschaftsrechte und Islam in Deutschland, in: Al-Islam, 3, S. 16-19. Der Koran (1985): Übersetzung von Rudi Paret, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz, 4. Auflage. 101 Der Koran (1987): Übersetzung von Adel Theodor Khoury, Gütersloh. Der Koran (1996): In der Übersetzung von Friedrich Rückert, hrsg. von Hartmut Bobzin, Würzburg. Landtag Nordrhein-Westfalen (1997): Antwort der Landesregierung: Muezzin-Ruf, Drucksache 12/2051 vom 15. Mai 1997. Lemmen, Thomas (1998): Türkisch-islamische Organisationen in Deutschland. Eine Handreichung, Altenberge. Lemmen, Thomas (1999a): Islamische Bestattungen in Deutschland. Eine Handreichung, Altenberge, 2. Auflage. Lemmen, Thomas (1999b): Muslimische Spitzenorganisationen in Deutschland: Der Islamrat und der Zentralrat, Altenberge. Lemmen, Thomas (1999c): Muslime in Deutschland. Eine Herausforderung für Kirche und Gesellschaft. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorats an der PhilosophischTheologischen Hochschule SVD St. Augustin (unveröffentlichtes Manuskript). Lemmen, Thomas (2000a): Islamische Organisationen in Deutschland, hrsg. vom Wirtschaftsund sozialpolitischen Forschungs- und Beratungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Arbeit und Sozialpolitik, Bonn. Lemmen, Thomas (2000b): Islamische Bestattungen in Deutschland, in: Michael Klöcker / Udo Tworuschka (Hrsg.): Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland, München, 4. Ergänzungslieferung, IV – 3.2.1. Lemmen, Thomas (2000c): Basiswissen Islam, Gütersloh. Lier, Thomas (1992): Muslime und Moscheen in Köln. Bestandsaufnahme und Organisationsformen, Köln. Listl, Joseph / Pirson, Dietrich (Hrsg.) (1995): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Berlin, 2. Auflage. Loschelder, Wolfgang (1986): Der Islam und die religionsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 20, Münster, S. 149173. Michel, Thomas (1994): 25 Jahre Ramadanbotschaften des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog, in: CIBEDO, 1, S. 27f. Micksch, Jürgen (Hrsg.) (1983): Zusammenleben mit Muslimen. Eine Handreichung, Beiträge zur Ausländerarbeit 5, Frankfurt am Main, 6. Auflage. Micksch, Jürgen / Mildenberger, Michael (Hrsg.) (1988): Christen und Muslime im Gespräch. Eine Handreichung, Beiträge zur Ausländerarbeit 2, Frankfurt am Main, 2. Auflage. Mihçiyazgan, Ursula (1990): Moscheen türkischer Muslime in Hamburg. Dokumentation zur Herausbildung religiöser Institutionen türkischer Migranten, hrsg. von der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Hamburg. Miehl, Melanie (2000): Basiswissen Mohammed, Gütersloh. 102 Mildenberger, Michael / Vöcking, Hans (Hrsg.) (1984): Islamische und christliche Feste, Beiträge zur Ausländerarbeit 6, Frankfurt am Main. Mildenberger, Michael (Hrsg.) (1990): Kirchengemeinden und ihre muslimischen Nachbarn, Beiträge zur Ausländerarbeit 13, Frankfurt am Main. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (1998): Pressemitteilung Nr. 119/98 vom 13. Juli 1998. Muckel, Stefan (1995): Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: DÖV, 8, S. 311-317. Muckel, Stefan (1997): Streit um den muslimischen Gebetsruf. Der Ruf des Muezzin im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und einfachem Recht, in: CIBEDO, 4, S. 131-141. Muckel, Stefan (1999): Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, in: Josef Isensee / Wilhelm Rees / Wolfgang Rüfner (Hrsg.): Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, Berlin, S. 239-257. Müller-Volbehr, Jörg (1993): Gutachterliche Stellungnahme im Auftrag des Verbandes der Islamischen Kulturzentren e.V., Gröbenzell, 24. Juni 1993. Nielsen, Jørgen (1995): Islam in Westeuropa, Hamburg. Oebbecke, Janbernd (1998): Flexibler Rahmen. Der Islam in Deutschland und das Grundgesetz, in: HK, 8, S. 413-415. Özcan, Hayrullah (1994): Die Bestattung im Islam. Eine kurze Darstellung der islamischen Bestattungsrituale, in: Das Bestattungsgewerbe, 5, S. 219f. Özdogan, Hasan (1997): Schreiben an Pater Werner Wanzura vom 1. September 1997, Bonn (unveröffentlicht). Osmanoglu, Yasin / Esenyel, Büþra (o.J.): Abdest, namaz ve Ýslam bilgiler - Deutsche Version: Wudu, Gebet und islamische Lehre, o.O. Otting, Olaf (1997): Wenn der Muezzin ruft. Ein Beitrag zu den Grenzen des Rechts und den Grenzen der Toleranz, in: Städte- und Gemeinderat, 3, S. 65-69. Peters, F.E. (1994): A Reader on Classical Islam, Princeton N.J. Radtke, Bernd (1996): Der sunnitische Islam, in: Werner Ende / Udo Steinbach, S. 54-69. Richter, Klaus (Hrsg.) (1980): Muslime im Krankenhaus, Altenberge. Rieck, Jürgen (1991): Islamische Eheverträge, Merkblätter für Auslandtätige und Auswanderer Nr. 10, hrsg. vom Bundesverwaltungsamt, Köln, 9. Auflage. Rohe, Mathias (2000): Rechtliche Perspektiven eines islamischen Religionsunterrichts in Deutschland, in: ZRP, 5, S. 207-212. Rothe, Frida (1995): Orientalische Kirchen – Religion und Religionsausübung, in: Cornelia Schmalz-Jacobsen / Georg Hansen, S. 361-367. Say, Beshir (1993): Ru’yatui-Hilal oder: Wann beginnt der Ramadan und wann die Feiertage?, in: MR, 1, S. 3-5. Schäfer, Klaus (1992): Leiden mit Al-Husain in: Zeitschrift für Mission, 1, S. 30-42. 103 Schimmel, Annemarie (1981): Und Mohammed ist sein Prophet. Die Verehrung des Propheten in der islamischen Frömmigkeit, Düsseldorf-Köln. Schimmel, Annemarie (1993): Von Ali bis Zahra. Namen und Namengebung in der islamischen Welt, München. Schmalz-Jacobsen, Cornelia / Hansen, Georg (Hrsg.) (1995): Ethnische Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Lexikon, München. Schmalz-Jacobsen, Cornelia / Hansen, Georg (Hrsg.) (1997): Kleines Lexikon der ethnischen Minderheiten in Deutschland, München. Schmucker, Werner (1996): Sekten und Sondergruppen, in: Werner Ende / Udo Steinbach, S. 663-683. Schnapp, Friedrich E. / Dudda, Frank (1992): Tierschutz und Religionsfreiheit, in: NWVBl., 10, S. 375-379. Schütt, Peter (2000): Allahs Rufer in der Wüste, in: Rheinischer Merkur, Nr. 5 vom 4. Februar 2000, S. 22. Schwartländer, Johannes / Bielefeldt, Heiner (1992): Christen und Muslime vor der Herausforderung der Menschenrechte, hrsg. von der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn. Seiler, Rudolf (1995): Seelsorge in Bundeswehr und Bundesgrenzschutz, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson, S. 961-984. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.) (1995): Unsere Sorge um die Toten und die Hinterbliebenen. Bestattungskultur und Begleitung von Trauernden aus christlicher Sicht, Die Deutschen Bischöfe Nr. 53, Bonn, 3. Auflage. Der Spiegel (27/1998): Multikulti im Schützengraben, 29. Juni 1998, S. 60. Der Spiegel (22/1999): Merve Kavakçi, 31. Mai 1999, S. 265. Spuler-Stegemann, Ursula (1997): Mädchenbeschneidung, in: Gritt Maria Klinkhammer / Steffen Rink / Tobias Frick (Hrsg.): Kritik an Religionen. Religionswissenschaft und der kritische Umgang mit Religionen, Marburg, S. 207-219. Spuler-Stegemann, Ursula (1998): Muslime in Deutschland. Nebeneinander oder Miteinander?, Freiburg-Basel-Wien. Statistisches Bundesamt (1990): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Volkszählung vom 25. Mai 1987, Fachserie 1, Heft 6 (Religionszugehörigkeit der Bevölkerung), Stuttgart. Steinbach, Udo (1996): Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas, Bergisch Gladbach. Stempel, Martin (1988): Islamische Organisationen im deutschen Recht, in: ZAR, 3, S. 108-115. Tillmanns, Reiner (1999): Islamischer Religionsunterricht in Berlin. Anmerkungen zu einem langjährigen Rechtsstreit, in: RdJB, 4, S. 471-480. Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands / Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (1996): Was jeder vom Islam wissen muß, Gütersloh, 5. Auflage. 104 Völpel, Martin (1997): Streitpunkt Gebetsruf. Zu rechtlichen Aspekten im Zusammenhang mit dem lautsprecherunterstützten Ruf des Muezzins, Mitteilungen der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Ausländer, Bonn. Wagner, Wolfgang (1994): Gebetsteppich in olivgrün. Muslime in der Bundeswehr wollen eigene Militärseelsorge, KNA Korrespondentenbericht, Nr. 244 vom 16. Juli 1994. Walter, Helga (1989): Verfassungsrechtliche Probleme der muslimischen Glaubensgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland, in: Einar von Schuler (Hrsg.): XXIII. Deutscher Orientalistentag, Wiesbaden, S. 192-199. Walther, Wiebke (1990): Die Frau im Islam, in: Munir D. Ahmed u.a., S. 388-414. Wanzura, Werner (Hrsg.) (1982): Moslems im Strafvollzug, Altenberge. Wanzura, Werner (Hrsg.) (1990): Der moslemische Patient. Eine Handreichung, Altenberge. Watt, W. Montgomery / Welch, Alford T. (1980): Der Islam I, Die Religionen der Menschheit Bd. 25/1, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz. Wiegel, Michaela (1999): Urteil mit symbolischer Wirkung. Freiheitsstrafen wegen der Beschneidung von Mädchen, in: FAZ vom 18. Februar 1999, S. 13. Yonan, Gabriele (1993): Einheit in der Vielheit. Weltreligionen in Berlin, hrsg. von der Ausländerbeauftragten des Senats, Berlin, 2. Auflage. Zaidan, Amir M.A. (1996): Fiqh-ul-‘ibadat. Einführung in die islamischen gottesdienstlichen Handlungen, Frankfurt am Main. Zehner, Joachim (1992): Der notwendige Dialog. Die Weltreligionen in katholischer und evangelischer Sicht, Studien zum Verstehen fremder Religionen Bd. 3, Gütersloh. Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland e.V. (2000): Neue Daten und Fakten über die islamischen Großverbände in der Bundesrepublik Deutschland, in: MR, 2, S. 112-121. Zentrum für Türkeistudien (1995a): Studie über „Islamische Organisationen der türkischen, marokkanischen, tunesischen und bosnischen Minderheiten in Hessen", hrsg. vom Büro für Einwanderer und Flüchtlinge im Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit, Wiesbaden. Zentrum für Türkeistudien (1995b): Moscheevereine in Essen. Ein Kurzgutachten im Auftrag der Geschäftsstelle Ausländerbeirat der Stadt Essen, Essen. Zentrum für Türkeistudien (1997): Türkische Muslime in Nordrhein-Westfalen. Endbericht zur Studie „Dialog mit einer neu etablierten religiösen Minderheit in NRW, türkische Muslime und deutsche Christen im Gespräch unter besonderer Berücksichtigung einer Bestandsaufnahme des christlich-islamischen Dialogs und der türkisch-islamischen Dachorganisationen", hrsg. vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 3. Auflage. Zirker, Hans (1989): Christentum und Islam. Theologische Verwandtschaft und Konkurrenz, Düsseldorf. Gerichtsentscheide 105 BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1992 - 4 C 50/89, Beeinträchtigung durch Nutzung einer kirchlichen Anlage (islamischer Betsaal und Koranschule), in: NJW 34/1992, S. 2170f. BVerwG, Urteil vom 25. August 1993 - 6 C 8/91, Befreiung einer islamischen Schülerin vom koedukativen Sportunterricht, in: InfAuslR 2/1994, S. 59-65. BVerwG, Urteil vom 25. August 1993 - 6 C 30/92, Befreiung einer islamischen Schülerin vom koedukativen Sportunterricht. BVerwG, Urteil vom 15. Juni 1995 - 3 C 31/93, Keine Ausnahmeerlaubnis für Schlachtungen nach islamischem Ritus, in: InfAuslR 2/1996, S. 73-76. BVerwG, Urteil vom 15. Juni 1995 - 3 C 31/93, Tierschlachtungen ohne vorherige Betäubung des Tieres, in: NVwZ 1/1996, S. 61-63. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2000 - 6 C 5/99, Erlaubnis zur Erteilung islamischen Religionsunterrichts. BverwG, Urteil vom 23. November 2000 – 3 C 40/99, Ausnahmegenehmigung zum Schächten von Tieren. FG Münster, Urteil vom 29. Dezember 1986 – III 6440/84, Steuerersparnis bei Zweitfrau. LAG Düsseldorf, Urteil vom 9. August 1985 - 4 Sa 654/85, Beten am Arbeitsplatz. OLG Hamm, Beschluß vom 27. Februar 1992 - 1 Ss OWi 652/91, Unerlaubtes Schächten eines warmblütigen Tieres, in: NVwZ 6/1994, S. 623f. OVG Berlin, Urteil vom 4. November 1998 - 7 B 4/98, Erlaubnis zur Erteilung islamischen Religionsunterrichts, in: DVBl. 4/1999, S. 554-560. OVG Bremen, Urteil vom 24. März 1992 - 1 BA 17/91, Befreiung einer islamischen Schülerin vom Sportunterricht, in: InfAuslR 8/1992, S. 269-272. OVG Hamburg, Urteil vom 21. Februar 1992 - Bf IV 44/90, Sozialhilfe für Beerdigung im Ausland, in: NJW 48/1992, S. 3118f. OVG Hamburg, Urteil vom 14. September 1992 - Bf III 42/90, Tierschlachtungen ohne vorherige Betäubung des Tieres, in: NVwZ 6/1994, S. 592-596. OVG Koblenz, Urteil vom 22. Juni 1993 - 7 A 12338/92, Namensänderung. OVG Koblenz, Urteil vom 5. Juli 1993 - 13 A 10564/92, Kein Familienasyl bei Imamehe, in: NVwZ 5/1994, S. 514-517. OVG Lüneburg, Urteil vom 7. Juli 1992 – 7 L 3634/91, Aufenthaltsgenehmigung für Zweitfrau. OVG Münster, Urteil vom 20. März 1991 - 8 A 287/89, Übernahme von Bestattungskosten, in: NJW 35/1991, S. 2232. OVG Münster, Urteil vom 15. November 1991 - 19 A 2198/91, Befreiung einer islamischen Schülerin vom Sportunterricht, in: InfAuslR 2/1992, S. 47-51. OVG Münster, Urteil vom 21. Oktober 1993 - 20 A 3287/92, Ausnahmegenehmigung zum Schächten von Tieren. VG Bayreuth, Urteil vom 20. Juli 1982 - B 3 K 81 A/467, Lautsprecher im Kirchturm, in: KirchE 20/1982, S. 90-94. 106 VG Berlin, Urteil vom 3. November 1992 - 8 A 286/89, Übernahme der Kosten einer rituellen Totenwäsche, in: NVwZ 6/1994, S. 617f. VG Berlin, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 3 A 2196/93, Erlaubnis zur Erteilung islamischen Religionsunterrichts, in: CIBEDO 2+3/1997, S. 75-80. VG Darmstadt, Urteil vom 9. September 1999 - 3 E 952/99, Ausnahmegenehmigung zum Schächten von Tieren. VG Freiburg, Urteil vom 10. November 1993 - 2 K 1739/92, Völlige Befreiung vom Sportunterricht aus religiösen Gründen, in: InfAuslR 7+8/1994, S. 297-300. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 25. Mai 1992 - 7 K 5738/91, Schlachttiere - Schächten, in: NWVBl. 3/1993, S. 116-118. VG Hamburg, Urteil vom 26. Januar 1994 - 3 W 2411/93, Zurückstellung vom Wehrdienst wegen islamischer Glaubenszugehörigkeit, in: NVwZ 8/1994, S. 816-819. VG Koblenz, Urteil vom 27. Oktober 1992 - 2 K 2499/91 Ko, Namensänderung, in: KirchE 30/1992, S. 381-384. VG Koblenz, Urteil vom 16. März 1993 - 2 K 1874/92, Schlachtungen von Tieren ohne vorherige Betäubung, in: NVwZ 6/1994, S. 615-617. VG Köln, Urteil vom 26. Juni 1990 - 10 K 2307/89, Befreiung vom Schwimmunterricht. VG Lüneburg, Urteil vom 16. Oktober 2000 – 1 A 98/00, Tragen des Kopftuchs. VG Stuttgart, Urteil vom 24. März 2000 - 15 K 532/99, Tragen des Kopftuchs. VG Wiesbaden, Urteil vom 10. Juli 1984 - VI/I E 596/82, Paßrecht, in: KirchE 22/1984, S. 134137. VGH München, Urteil vom 3. Juni 1992 - 5 B 92/162, Übertritt zum Islam als wichtiger Grund für Vornamensänderung, in: NJW 5/1993, S. 346f. VGH München, Beschluß vom 23. März 2000 – 24 CS 00/12, Tragen des Kopftuchs. Zum Autor/zur Autorin Thomas Lemmen, geb. 1962, Dr. des. theol., ist Geschäftsführer der Christlich-Islamischen Gesellschaft e.V. (CIG) in Köln. Melanie Miehl, geb. 1972, seit 1992 Studium der Islamwissenschaft. Seit 1995 in der Erwachsenenbildung zum Thema Islam tätig.