Melanie Barth - Thilo Plaesser
Transcription
Melanie Barth - Thilo Plaesser
Melanie Barth Die THEATERakkordeonistin 18_24_szene_barth.indd 18 21.03.2016 13:28:59 Porträt TEXT: THILO PLAESSER FOTOS: MICHAEL LÜDER, OLIVER AUTUMN Melanie Barth lernte ich bei einem meiner Workshops kennen. Sie hatte sich ganz einfach angemeldet und wie immer „googelte“ ich, ob ich etwas über die Interessenten finde. Und wie ich fündig wurde! Eine professionelle Musikerin, kreativ, natürlich, offen und musikalisch vielseitig unterwegs, so lernte ich sie kennen. Auch wenn das Theater eine besondere Rolle in ihrer musikalischen Laufbahn spielt, ist ihre Tätigkeit keineswegs auf diesen Bereich zu reduzieren! Außerdem gehört sie zu der seltenen „Gattung“ von Musikern, bei denen künstlerisches und pädagogisches Feingefühl und Interesse gleichermaßen ausgeprägt sind! Melanie Barth begann im Alter von acht Jahren das Akkordeonspiel zu erlernen. Während sie die strenge Ausbildung in der damaligen DDR durchlief, spielte sie vor allem osteuropäische Folklore und Volksmusik. Bereits als Kind und Jugendliche nahm sie an etlichen Wettbewerben und Konzertreisen in der damaligen DDR, Polen und dem heutigen Weißrussland teil. Vor allem die Konzertreisen in die östlichsten Regionen Europas sind eine der intensivsten musikalischen Erfahrungen, die sie bis dahin erlebte. Sie wurde Preisträgerin verschiedenster regionaler, nationaler und internationaler Wettbewerbe, unter anderem gewann sie den 1. Preis um den deutschen Akkordeonmusikpreis 1991 in Baden-Baden und den 3. Preis beim internationalen Akkordeonwettbewerb in Klingenthal 1989. An der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin studierte sie bei Prof. Gudrun Wall Akkordeon und nahm außerdem bei den weltweit bedeutendsten Akkordeonisten aus dem „klassischen“ Bereich an Meisterkursen teil. Sie begegnete dabei Joseph Macerollo (Kanada), Mie Miki (Japan), Elsbeth Moser (Schweiz), Ivano Battiston (Italien) und Mogens Ellegaard (Dänemark). 1993 gewann sie ein Stipendium des DAAD, dem ein Aufbaustudium bei Mogens Ellegaard in Dänemark folgen sollte, der leider völlig unerwartet kurz vor Antritt des Studiums verstarb. Geprägt von der unaufhörlichen Suche nach einer individuellen Ausdrucksform auf dem Akkordeon folgte ein zweijähriges Meisterstudium in Berlin. In dieser Zeit setzte sie sich sehr intensiv mit ihrem Instrument und der Musik ganz allgemein auseinander. Sie arbeitete mit Komponisten zusammen und betä- ihre volle Aufmerksamkeit schenken konnte. Besonders nachhaltig wirkte in dieser Zeit der zweijährige Unterricht an der Orgel bei Matthias Sauer an der Hedwigskathedrale in Berlin. Sie beschloss, keine Orgelwerke mehr auf dem Akkordeon zu spielen. Neben dem Studium war sie Akkordeonistin in dem damals sehr erfolgreichen „KAMA Theater“, einem Kreuzberger Off-Theater, in welchem sie in mehre- „Ich mag es, mit vielen Menschen zusammenzuarbeiten. Die Energie ist eine andere. “ Melanie Barth tigte sich intensiv im kammermusikalischen Bereich, vorzugsweise in der zeitgenössischen Musik und im Barock. Igor Strawinski, Sofia Gubaidulina und vor allem Johann Sebastian Bach haben Melanie Barth stark inspiriert. Sie erlernte neben dem Studium kurzzeitig das Cellospiel, nahm bei Klaus Gutjahr Bandoneonunterricht, mit dem sie auch einige Konzerte im Duo absolvierte und gemeinsam eine Bandoneonschule schrieb. Hier begegnete sie erstmalig dem Tango Argentino, dem sie aber noch nicht ren Musicals mitwirkte („Edith Piaf – Ich bereue nichts“, „Hexen“). Dabei begegnete sie einigen bedeutenden Schauspielern und Musikern der Berliner Jazzszene, unter anderem Paul Kleber und Prof. Wolfgang Köhler. Erfolgreiche Gastspiele am Theater des Westens und der Deutschen Staatsoper folgten. In der Zusammenarbeit mit den Musikern entdeckte sie den Reiz des Improvisierens, der zu einer Vorliebe werden sollte und dessen Grundstein in Kinderzeiten ihr Lehrer Eberhard Mayer gelegt hat. akkordeon magazin #49 18_24_szene_barth.indd 19 19 21.03.2016 13:29:02 entstanden. Weiterhin arbeitet Melanie Barth mit Komponisten zusammen, die für Yira Yira komponieren, unter anderem mit dem Saxofonisten und Komponisten Jonas Schön. Die Lesung „Märchen von Hans Christian Andersen“ gestaltete Melanie Barth mit Angela und Nele Winkler. Melanie Barth faszinierten schon immer alle Rhythmik in der Musik und melancholische Melodien. „Melanie Barth verfügt über ein unnachahmliches Rhythmusgefühl“ hieß es schon in den ersten Pressekritiken. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis sie die Welt des Tango Argentino und das Werk von Astor Piazzolla für sich entdeckte. Anfang der 90er Jahre wurde ein Feuer für diese Musik entfacht, eine Leidenschaft, die bis heute anhält. Anstoß dafür war im Rahmen eines Meisterkurses die Begegnung mit dem bedeutenden Jazzakkordeonisten Richard Galliano, dem sie im Jahre 2007 in Italien erneut begegnete, und dem bedeutenden Bandoneonisten Juan José Mosalini. 1995 gründete Melanie Barth gemeinsam mit Marie-Elsa Drelon das Tangoensemble Yira Yira, das sich „innerhalb kürzester Zeit zu einem der gefragtesten Tangoensembles in ganz Deutschland emporspielte“. Das Ensemble vereint hervorragende Jazz- und Tangomusiker „von bemerkenswerter Ambition und Reputation“. Oli Bott, Marc Muellbauer, Genadi Desiatnyk und Frank Schulte stehen ihr bis heute zur Seite. Für dieses Ensemble übernahm sie die musikalische Leitung und schrieb etliche Arrangements. Zahlreiche Konzerte, Tangobälle, aber vor allem Shows („Midnight Tango“ mit dem Tanzduo Stravaganza, „Tango Ballett“ mit der Almavo Dance Company mit Maud Toledano) führten das Ensemble in Berlin, in ganz Deutschland und den angrenzenden Nachbarländern in bedeutende große Konzertsäle. Das ICC in Berlin, die Berliner Philharmonie, die Konzerthalle Frankfurt/Oder, Opernhäuser in Kiel und Kassel sind nur einige bedeutende Orte, an denen das Ensemble seit dieser Zeit gastierte. Etliche Lobeshymnen der Presse berichten von dem „hochkarätigen Ensemble“ und seinen Konzerten. Zwei CD-Produktionen, „Midnight Tango“ und „live in Berlin“, sind Melanie Barth ist eine offene Musikern. Seit 2006 entdeckte sie wieder den Reiz kleinerer Formationen des solistischen Spiels. In der Zusammenarbeit mit Horst Nonnenmacher am Bass und Harald Kündgen am Vibrafon verarbeitet sie moderne Einflüsse und führt neueste Tangokompositionen auf. Sie ist eine gefragte Akkordeonistin für Lesungen und Theaterproduktionen, unter anderem neben Cathrin Pfeifer am Berliner Ensemble, dem Brandenburger Theater, dem „Hans Otto Theater“ in Potsdam. Sie spielt immer wieder für Funk und Fernsehen, für DVD-Produktionen („Oblivion“, 2006, „Kleine Freiheit“, 1998, „Baby“, 2002). 1995 war sie musikalische Beraterin in dem international preisgekrönten Film „Weltmeister“. Sie arbeitet als Studiomusikerin im Rock- und Popbereich (unter anderem für Warner, „Habibi“ von Milk & Honey, A&R Records, Wasi – London). Aber auch für Konzerte mit dem Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin und Wenzel wurde sie eingeladen, mit welchem sie im Berliner Schauspielhaus gastierte. Melanie Barth begleitete in ihrer bisherigen Laufbahn zahlreiche Sängerinnen und Sänger, unter anderem Anna Saeki. 2009 arbeitete Melanie Barth mit der italienischen und international bekannten Sängerin Etta Scollo zusammen. 2009 begegnete sie Erich Schachtner (Gitarre) und Evert van der Wal (Percussion). Mit beiden war sie im Tico Tico auf der Bühne zu hören. Der Strom erfolgreicher Konzerte riss nicht ab, denn die drei spielten in ausverkauften Häusern, wo sich das Publikum mit Standing Ovations bedankte. Melanie Barth war Dozentin an der Universität in Potsdam, gab Workshops und wurde immer wieder als Beraterin bei Publikationen von Akkordeonmusik herangezogen. Seit 2015 schreibt sie Artikel für die Zeitschrift „Musik in der Grundschule“, die vom Schott-Verlag herausgegeben wird. 20 akkordeon magazin #49 18_24_szene_barth.indd 20 21.03.2016 13:29:07 Porträt — Was ist für dich das Besondere, am Theater zu spielen? Es ist nicht etwas Einzelnes, was ich besonders finde, sondern Theater an sich ist besonders. Was ich am Theater genieße, ist das EingebettetSein in ein System, zusammen mit den vielen unterschiedlichen Menschen und ihren verschiedenen Aufgaben. Ich mag es, mit vielen Menschen zusammenzuarbeiten. Die Energie ist eine andere. Dadurch erhält man neue Denkanstöße, lernt andere Sichtweisen kennen, andere Bedeutungen und auch andere Schwierigkeiten, wodurch sich wiederum eigene relativieren. Die Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen künstlerischen Gebieten finde ich generell bereichernd. Die Musik wird aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet und bekommt eine andere Bedeutung. Mit dem Akkordeon war ich am Theater oft ein „Exot“. Durch die generelle Unkenntnis über das Instrument hat man als Akkordeonist viel Gestaltungsspielraum, kann viele Ideen einbringen. Meine erste Erfahrung am Theater machte ich Anfang der 90er Jahre in Berlin im KAMATheater (heute „Nottke’s Kieztheater“) mit der Produktion „Edith Piaf – ich bereue nichts“. Abend für Abend erlebten wir über 18 Monate einen „Dauererfolg“. Ich glaube, das Stück wird heute noch gespielt. Es war ein anhaltender, nicht enden wollender Rausch. Wenn ich an Theater denke, dann denke ich sofort an die herrlichen großen und kleinen Bühnen INTERVIEW und die vielen Bravorufe nach jeder Vorstellung. Ich kann nicht genau beschreiben, wieso sich für mich hier auch der Applaus anders anfühlt als im Konzert. DOCH! Es gibt etwas, was für mich am Theater besonders ist: Das Licht und die Bedeutung des Lichtes und der Umgang damit. Diese Erfahrung habe ich als „Nur“-Musikerin nie gemacht: Es ist faszinierend, wie das Licht eingesetzt werden kann und auf Gefühle verstärkend wirkt. Das war eine der schönsten Erfahrungen, die ich am Theater und in Zusammenarbeit mit Regisseuren und Meistern im Umgang mit Licht gemacht habe. Ähnlich einem guten Tontechniker oder einer tollen Raumakustik ist der kunstvolle und wissende Umgang mit dem Licht für mich ein echtes Erlebnis. „Mit einem Minimum das Maximum aussagen“ von Nino Cerutti. Diesen Satz liebe ich sehr und er hilft mir beim „Entrümpeln“ von vielen Bereichen. Das Horten von Dingen und Gedanken und Tönen nervt mich und es erleichtert mich, wenn ich loslassen kann und tatsächlich den wesentlichen Gedanken finde. Ich kann in einer Melodie eine ganze Welt entdecken. Dazu musste ich aber erst einmal lernen, mich zu disziplinieren. Schön finde ich dazu folgenden Gedanken: „Die Mäßigung steht im Kontext der Leistungsgesellschaft… Askese kann auch ein starkes Statement für Ehrgeiz sein.“ (Zitat Focus Nr. 17/15, S. 87/88) Das melodische Spiel gibt mir die Möglichkeit, mich auf einen wesentlichen Teil in der Musik zu konzentrieren. Die Bedeutung der Melodie und deren Gestaltung mit allen subtilen Facetten wie der Artikulation und dem unerschöpflichen Bereich der Verzierungen, der auch den improvisatorischen Bereich der Musik berührt, kann man aus meiner Sicht gar nicht genug betonen. Wo beginnt ein Spannungsbogen, wo endet er, wo ist die Atempause? Wie korrespondiert die Melodie mit den anderen Elementen der Musik, mit anderen Stimmen, dynamisch, charakteristisch? Und dann kommen die ganzen Entwicklungsmöglichkeiten einer Melodie dazu. Hier geht’s ab ins Universum. Es ist ein unendlicher Raum. Ha, und schon ist der Bereich der Disziplin wieder verlassen. — Was ist anders als im Konzert? Ich diene mehr einer Sache. Der Kontext ist ein anderer. Man hat ja deutlich weniger zu spielen als im Konzert. Meist ist man auch technisch nicht so gefordert. Umso stärker wirkt die Musik dann, ganz nach dem Motto: weniger ist mehr. So erlebe ich es. — Hast du ein musikalisches Motto? Nein, nicht wirklich, aber es gibt verschiedene Sprüche, die ich sehr liebe und die möglicherweise das ausdrücken, was ich umsetzen möchte: akkordeon magazin #49 18_24_szene_barth.indd 21 21 21.03.2016 13:29:13 Karsten Intrau, Melanie Barth, Ralf Benschu (Hund unbekannt) Ein anderer Satz, den ich liebe: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“ von Albert Schweitzer. Auf die Musik übertragen impliziert dieser Gedanke sehr viel Lebendigkeit im Bezug zur Umgebung und Situation. Es geht natürlich um Toleranz und Liebe. Es ist die Beziehung zur Umwelt und dann die Einbettung des Akkordeonspiels darin – der Kontext. Überspitzt heißt das: Auf einer Beerdigung spiele ich andere Musik als auf einer Hochzeit. Ich setze dabei meinen Geschmack um und versuche ebenso den Wünschen der „Auftraggeber“ zu begegnen. Oder ich bin Teil einer Produktion und lasse mich auf die Vorstellungen der Produzenten ein. Da ist man gefordert, sich in das Gedankengut und die oft nicht zu erfassende Gefühlswelt des anderen hineinzuversetzen und aus sich selbst herauszukommen, eine mitunter sehr schwierige Angelegenheit, wie in jedem zwischenmenschlichen Dasein. — Nenne mir bitte zwei oder drei Akkordeonisten, die dich beeinflusst haben. Ich denke da spontan an einen Bandoneonisten und dann erst an Akkordeonisten, die mich über viele Jahre begleiteten und immer wieder inspirierten und mit denen ich mich phasenweise suchtartig selber bom- 22 DVD zum Kinofilm „Der große Irrtum” bardiert habe. Ich liebe Anibal Troilo. Seine Ruhe im Spiel und diese unglaubliche Wärme seines Tones berühren mich sehr. Er spielt sehr unaufgeregt. Dann bin ich ein großer Fan von Daniel Mille, einem französischen Jazzakkordeonisten. Auch er ist ein eher ruhiger Spieler. Seine Schlichtheit im Spiel und sein Geschmack gefallen mir. Und natürlich höre ich sehr gern, vor allem live, Richard Galliano. Er löste in mir oft dieses „suchtartige Verlangen“ aus. Vor den klassischen Akkordeonisten habe ich großen Respekt. Es sind Akkordeonisten mit bewundernswerten Fähigkeiten, die ich mir gelegentlich anhöre, um Ideen im Umgang mit den klanglichen und technischen Möglichkeiten des Akkordeons zu bekommen und um aus meiner „Denkschiene“ rauszukommen. und mit einem Umfang von fünf Oktaven. Kontrolle, Einfühlungsvermögen, Klang, Register, Geschmack – er hat alles. Auf der Bühne macht er nichts Unnötiges. Er singt einfach nur, steht so fest wie ein Baum und legt seine ganze Konzentration in den Gesang. Er verkörpert für mich die skandinavische Melancholie. Vielleicht gibt es dadurch auch eine Brücke zum Akkordeon, welches tendenziell ja auch sehr melancholisch ist. Ja und dann liebe ich die Musik von sämtlichen klassischen Komponisten, ohne mich auf einen festlegen zu können. Es ist sehr stimmungsabhängig, von wem ich mir Inspiration hole. Zurzeit übe ich Johann Sebastian Bach. Ich spiele seit einiger Zeit wieder aus dem Wohltemperierten Klavier ein, zwei Präludien (allerdings auf dem Klavier). — Nenne mir bitte zwei oder drei Musiker/Komponisten, die dir am Herzen liegen, aber kein Akkordeon spielen. Seit meiner Jugend bin ich ein Fan von Morten Harket. Ich habe ihn mehrmals live erlebt und er hat mich jedes Mal geflasht, vom ersten Ton an. Seine Bühnenpräsenz und Aura sind unglaublich. Seine Stimme wird als eine der beeindruckendsten Stimmen der neueren Popgeschichte beschrieben: kraftvoll, gefühlvoll, sehr fein — Wie würde ein Akkordeon aussehen, das du ganz nach DEINEN Wünschen bauen lassen könntest? Oh, ich habe ein Instrument, mit dem ich sehr glücklich bin. Ich habe aber fünf Jahre danach gesucht, hauptsächlich, weil ich nicht wusste, wonach ich eigentlich suche. Und ich konnte mich lange nicht entscheiden, auf was ich zukünftig verzichten möchte: auf das Casotto oder den kräftigen Bass oder gar doch den Melodiebass… Es ging in erster Linie akkordeon magazin #49 18_24_szene_barth.indd 22 21.03.2016 13:29:20 Porträt um die Reduzierung des Gewichts, da ich große Probleme mit dem Rücken hatte. Ich wollte auch nicht mehrere Instrumente haben: für diesen Zweck dies und für jenen das. Nein, ich wollte ein Instrument – mehr nicht. Erich Abels hat mir damals geholfen herauszufinden, welches Instrument zu mir passen könnte. Ich bin mit meinem Scandalli-Akkordeon sehr, sehr zufrieden. Es klingt kräftig, hat einen warmen, tiefen und kräftigen Bass (das war mir sehr wichtig), es klingt im Diskant klar, scharf, aber auch sehr warm. Die Ansprache ist wunderbar und die Größe fühlt sich an, als hätte ich ein Kind auf dem Schoß. Es passt alles für mich. Und diese Zufriedenheit überträgt sich natürlich auf das Publikum, weil ich keinerlei Bedenken in keine Richtung habe, was mein Instrument betrifft. Ich musste mich damals von vielen Gedanken verabschieden, aus besagten gesundheitlichen Gründen. Ich habe keine Rückenprobleme mehr, seitdem ich dieses Instrument spiele. Natürlich hat ein konsequentes Üben eines Sportprogramms, welches auf die Defizite meines Körpers abgestimmt ist, meine Genesung positiv unterstützt und auch ausgelöst. Ich bilde mir aber dennoch ein, dass der warme Klang des Instruments meine gesamte Rückenmuskulatur entspannt, was bei den Instrumenten, die ich vorher gespielt habe, nie der Fall war. Der Verzicht auf den Melodiebass und die entsprechende Musik dazu ist mir schwer gefallen, aber bereut habe ich es nie. Das Gewicht passt nun zu meinen physischen Voraussetzungen. Das Publikum, welches die Details unseres Instruments nicht kennt, fragt nicht danach, warum ich denn keinen Melodiebass spiele. Eher bekomme ich immer wieder zu hören, warum ich denn nicht Flöte gelernt habe (ha, ha). — Hattest DU je mit Vorurteilen zu tun, die das Instrument betreffen? Früher gab es Bemerkungen, vor allem Fragen dazu, aber in den letzten Jahren war das überhaupt kein Thema mehr. Viel häufiger werde ich mit der Frage nach den Knöpfen konfrontiert. Wie sind die Knöpfe angeordnet? Ist das nicht unglaublich kompliziert? Diese Fingerfertigkeit, usw. Immer wieder erlebe ich ein großes Staunen der Menschen, als käme ich von einem anderen Stern. Wenn ich dann versuche, die Einfachheit und Logik des Systems zu erklären, dann amüsieren sich alle auf köstlichste Art und Weise, weil sie es unvorstellbar finden, dass es leicht zu spielen geht, wie ich aber aus tiefster Überzeugung finde. — Hat das Akkordeon bei jungen Menschen eine Chance? Warum nicht? Ich denke, dass das Akkordeon dennoch von Natur aus eher ein „Randinstrument“ ist, so wie beispielsweise der Kanurennsport unter den Sportarten auch eher eine „Randsportart“ ist. Dafür lieben die Sportler ihren Sport sehr. Das marktwirtschaftliche Interesse an dieser Sportart ist gering und so ergibt sich ein natürliches Bild. Das Akkordeon hat anscheinend auch nicht die natürliche Anziehungskraft wie ein Klavier oder die Streichinstrumente oder gar die Gitarre oder Flöte. Das sind DIE Instrumente, die aus sich selbst heraus wirken und natürlich deutlich älter sind. Vom Akkordeon fühlen sich hierzulande nicht so viele Menschen angesprochen. Es ist aus meiner Sicht der Ton vom Akkordeon, der schwierig ist. Dazu kommt das Gewicht, mit dem ein Spieler einen schönen Ton formen muss und fundierte Kenntnisse über die Atmung. Das brauchen die Klavier- oder Gitarrenspieler nicht unbedingt, da ihr Ton natürlich verklingt. Ein schlechter Ton am Akkordeon kann wirklich sehr schnell nerven. Die Kombination aus schlechtem Umgang mit dem Ton, dazu ein schlecht gestimmtes Instrument – das ist eine Folter für die Ohren (jedenfalls für meine). Interessant fände ich dazu wissenschaftliche Studien und Untersuchungen, die belegen könnten, wie bestimmte Töne und Frequenzen des Akkordeons das limbische System und das vegetative Nervensystem im Körper beeinflussen und somit auf unbewusste Zuneigung oder Ablehnung wirken. Aber wer hätte daran schon Interesse? Solch eine Studie müsste im Auftrag einer Akkordeondachgesellschaft oder von Instrumentenbauern oder beiden zusammen erstellt werden, mit dem Ziel, den spekulativen Raum um das „Warum ist dieses Instrument so…?“ zu verlassen und Daten und Fakten zu schaffen, die diesem Gedanken nachgehen. Da wäre es auch sicherlich interessant, die unterschiedlichen Altersgruppen nur auf die Wirkung des Klanges hin zu untersuchen. Das hat nichts mit Geschmack o. ä. zu tun. Damit könnte man diese Frage, ob das Akkordeon auch bei jungen Menschen eine Chance hat, ganz sachlich beantworten. Vielleicht könnten mit solchen Studien auch Instrumentenbauern und Pädagogen ganz neue Denkimpulse gegeben werden, zum Beispiel was den bewussteren Umgang mit Klangfarben, Lagen und Registern betrifft. Natürlich könnten dabei nur Tendenzen erfasst werden, da ja jedes Instrument ein anderes Frequenzspektrum hat. Interessant fände ich es dennoch. Ich beobachte in meiner pädagogischen Arbeit mit Kindern im Klassenmusizieren, dass ich stundenlang den Klang des Klaviers oder der Gitarre einsetzen kann und die Kinder dennoch ruhig bleiben (und auch ich). Ganz anders beim Akkordeon: Der Ton hat von Natur aus eine tendenziell eher aufputschende Wirkung, besonders die höheren Töne im Diskant. Selbst wenn ich leise und vorsichtig spiele, beobachte ich, dass die Kinder schneller unruhig werden und natürlich absolut begeistert vom Akkordeon sind. Es hat schon „Drogenpotenzial“. Die Wirkung ist sehr stark und Kinder reagieren bekanntlich direkt. Auch in meiner Tätigkeit als Musikerin bin ich jedes Mal aufs akkordeon magazin #49 18_24_szene_barth.indd 23 23 21.03.2016 13:29:26 der Misserfolg am Instrument eine Chance hat. Das gelingt mir nicht immer, da die Schüler sehr schnell sind und ungeduldig und das Instrument einen „hohen Aufforderungscharakter“ besitzt, der die Ungeduld befördert. Das vorherige koordinative Training nennt sich „Trockenübung“ und erfordert Disziplin und Vorstellungsvermögen. Es ist sehr effektiv. Oder: Kinder oder überhaupt Menschen, die vortragen, stehen unter extremem Stress. Die Akzeptanz von Fehlern und der „Nichtperfektionismus“ stehen dabei in der Vorbereitung auf psychologischer Ebene im Vordergrund, um die Angst zu relativieren. Das „Bewerten“ ist ein fataler Stressfaktor für alle Menschen und beginnt im Schulalter. Aber mit Vertrauen, viel Vertrauen und guter Vorbereitung kann man der Angst entgegenwirken. Und das ist schön. Neue überrascht, wenn ich sehe, wie stark die Menschen reagieren und das Akkordeon als etwas sehr besonderes beschreiben. Daher finde ich es nicht schlimm, wenn das Akkordeon nicht den Stand hat wie andere Instrumente, weil ich es nicht so erlebe und seine besondere Wirkung liebe. — Unterrichten und Musizieren gehören für dich ja zusammen. Kannst du das etwas näher ausführen? Ich erarbeite mir Wissen über Prozesse im menschlichen Körper. Zu diesem Thema mache ich gerade ein Fernstudium über das Bildungswerk für therapeutische Berufe (BTB). Weiterhin mache ich mir Gedanken über Wirkungen und über die Beeinflussbarkeit von Menschen mit Musik, aber auch genauso umgekehrt, wie mich Dinge beeinflussen. Das fließt dann alles zusammen. In meiner Grundhaltung findet sich kein Unterschied, ob ich eine Person oder eine Klasse von 20 Kindern unterrichte, denen ich Musik durch Praxis vermitteln möchte, oder ob ich vor einem großen Publikum spiele, welches „nur“ dem Klang der Töne folgt. Es sind alles Individuen und Wechselbeziehungen. Ich versuche, ein „Angebot“ zu machen, von meiner Denkweise, von meiner Interpretation, von meinem Wissen, und wer sich etwas nehmen will, der nimmt sich, und wer sich nicht angesprochen fühlt, der holt sich woanders was er braucht, was extrem selten vorkommt. Beim Unterrichten ist es dann natürlich meine Aufgabe, den Bildungsinhalt vordergründig zu vermitteln. Das fällt im Konzert weg. Anders herum versuche ich offen zu sein und empfange ebenso Impulse, sowohl von den Kindern als auch vom Publikum. — Wie unterrichtest du? Ich gehe mit einem medizinischen Grunddenken an den Unterricht heran. Das ist mir vor noch nicht allzu langer Zeit bewusst geworden. Dadurch ist auch sicherlich der Wunsch nach dem Fernstudium entstanden. Musik soll wie eine gute Medizin wirken. Dabei kann sie auch bitter sein bei den Menschen, die das Bittere brauchen. Die Menschen, die ich un- 24 terrichte, sollen mit der Musik ein Wohlbefinden erlangen, welches ausgleichend wirkt und den Teil bedient, der bedient werden möchte. Oft verlangt ja ein Defizit danach. Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. In der Schulpädagogik nennt sich das Differenzierung. Die Musik sollte auf ihre physischen und psychischen Möglichkeiten und Bedürfnisse abgestimmt sein und sollte einen möglichst positiven Effekt haben, der Kraft gibt und nicht aussaugt. Sehr dosiert gibt es dann je nach Bedarf Forderungen oder Impulse meinerseits, die eine Weiterentwicklung bewirken. Meine gesamte Methodik und Didaktik ordnet sich diesem Grunddenken unter. Großen Wert lege ich auf stressfreies Lernen in jeder Hinsicht, weil das limbische System im Körper ein sehr anfälliges ist. Ein Beispiel: Schon allein die Koordination von rechter und linker Hand, dazwischen der Balg, kann unmittelbar Stress bei Schülern am Instrument auslösen und wir wissen alle, wie frustrierend schnell das schiefgeht und sich dann auch noch durch Unachtsamkeit und Gewohnheit verselbstständigt. Ich versuche daher möglichst die gesamte koordinative Abfolge am und im Körper bewusst zu machen, bevor — Du hast ja mit vielen, teils auch sehr bekannten Künstlern zusammengearbeitet. Welche Begegnung möchtest du herausheben? Die Begegnung mit Angela Winkler, eine der bedeutendsten deutschen Theaterschauspielerinnen, war für mich etwas ganz Besonderes. Ich war begleitende Akkordeonistin in ihrem Liederabend „Ich liebe dich, kann ich nicht sagen“ und in ihrer Lesung mit ihrer Tochter Nele „Andersen Märchen“. Ihre Art zu singen und zu sprechen ist zutiefst emotional und verlangt ein enorm sensibles begleitendes Spiel am Akkordeon. Die Zusammenarbeit auch mit Adam Benzwi und seinem Lebenspartner Wiegand Wittig war prägend und hat mir den Mut gegeben, mit nur wenigen Tönen genauso das Publikum erreichen zu können wie mit vielen. Der Unterschied dabei liegt in der Emotionalität. Mit vielen und auch schnellen Tönen wird das Temperament angesprochen, mit wenig Tönen gelangt man in die tieferliegenden Schichten. Ich kann gar nicht beschreiben, wie stark diese Wirkung war, unterstützt durch ein Licht wie im schönsten Sonnenuntergang! Liebe Melanie, vielen Dank und alles Gute für die Zukunft. akkordeon magazin #49 18_24_szene_barth.indd 24 21.03.2016 13:29:31