Die Jagd nach dem dicksten fisch - Welt

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Die Jagd nach dem dicksten fisch - Welt
4,80 € | 7,80 sFr
www.welt-sichten.org
8-2011 august
Hunger in Ostafrika: Aus Fehlern nichts gelernt
Hebron: Leben in der Geisterstadt
Gen-Baumwolle: Nur für manche ein Gewinn
Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit
Die Jagd nach
dem dicksten Fisch
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Fairen Handel
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editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
Gesine Kauffmann
Redakteurin
Millionen Menschen leben von Fisch. Sie fangen, verkaufen oder verarbeiten ihn. Und ob
frisch, tiefgekühlt oder getrocknet – reich an Eiweiß und gesunden Fettsäuren, hat er
einen festen Platz auf unserem Speiseplan, in armen wie in reichen Ländern. Doch seine
Beliebtheit ist ihm längst zum Verhängnis geworden. Laut der Welternährungsorganisation FAO werden schon 53 Prozent der Fischgründe bis an ihre Grenzen genutzt, 32 Prozent
sind bereits überfischt. Die Bestände sind nicht mehr in der Lage, sich zu erholen.
Brian O’Riordan macht dafür eine verfehlte Politik verantwortlich, die ausschließlich den
Interessen der großindustriellen Fischerei dient. Riesige Fangflotten aus Industrie- und
Schwellenländern plündern die Meere und nehmen
Seine Beliebtheit ist dem Fisch zur Verhängnis
geworden. Laut FAO sind bereits 32 Prozent
der Fanggebiete überfischt.
Kleinfischern in Afrika und Asien ihre Lebensgrundlage, schreibt er. O’Riordan plädiert dafür, die Fischereiwirtschaft künftig an ökologischen und sozialen
Kriterien auszurichten und die Belange von Kleinfischern stärker in den Blick zu nehmen.
Doch davon ist zumindest die Europäische Union weit entfernt. Ihr Entwurf für eine
erneuerte Gemeinsame Fischereipolitik lässt jedenfalls kein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit erkennen, wie Heimo Claasen erläutert. Auch alle Anstrengungen, die illegale
Fischerei zu unterbinden, waren bislang wenig erfolgreich, berichtet Yann Yvergniaux.
Noch immer wird fast ein Drittel des Fischs, der jedes Jahr aus dem Meer geholt wird,
außerhalb der Regeln gefangen – mit großen Schäden für Wirtschaft und Umwelt.
Kann Fischzucht in Aquakulturen die Meere entlasten und den steigenden Bedarf nach
Fisch decken? Jonathan Gorvett zeichnet von den Fischfarmen im malaysischen Teil
Borneos ein sehr gemischtes Bild. Das tut auch Gisela Felkl in ihrem Beitrag über GenBaumwolle in Indien. Während sie manchen Bauern zum Wohlstand verholfen hat, haben
sich andere für den Kauf von teurem Saatgut, Dünger und Pestiziden überschuldet.
Bettina von Clausewitz hat bei einer alternativen Stadtführung durch Hebron im West­
jordanland ein Stück des bedrückenden Alltags in den besetzten Palästinensergebieten
erlebt. Und zugleich erfahren, wie Israelis und Araber friedlich zusammenarbeiten können.
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre,
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3
inhalt
Fische sind ein unverzichtbares
Nahrungsmittel und eine wichtige
Einkommensquelle – Millionen
Menschen vor allem im globalen
Süden leben von der Fischerei.
Edelfische wie Thunfisch – das
Titelbild zeigt Fischer auf Bali nach
einem erfolgreichen Fang – sind in
Industrieländern besonders
beliebt: Japaner verarbeiten ihn zu
Sushi, in Deutschland geht er
meist in Dosen über den Ladentisch. Die große Nachfrage und
zerstörerische Fangmethoden
haben dazu geführt, dass große
Teile der Weltmeere überfischt
sind. Daran haben auch zahlreiche
Abkommen zur Fischereipolitik
nichts geändert.
Jeff Hunter
4
12
Die Meere und ihre Bewohner sind vielen Bedrohungen ausgesetzt.
Standpunkte
fischerei
6 Die Seite Sechs
12 Die Kleinfischer bevorzugen
Die Fischereiwirtschaft muss sozial gerecht organisiert werden
23
Titelbild: AFP/Getty Images
7 Leitartikel: Heiße Zeiten. Die
Weltklimakonferenz in Durban
steht unter schlechten Vorzeichen
Bernd Ludermann
18 Garnelen mit bitterem Beigeschmack
Malaysias Regierung treibt auf Borneo die Industrialisierung von
Aquakulturen voran
8 Kommentar: Trauer, Mitleid –
und Wut. Wieder einmal hat
die Welt tatenlos zugeschaut,
wie in Afrika eine Hungersnot
entsteht
23 Gift, Müll und das Meer
Die Ausbeutung und Verschmutzung der Ozeane hat schlimmere
Folgen als bislang angenommen
27 Trawler, die im Trüben fischen
Arme Länder können ihre Fischgründe nur schwer vor illegaler
Ausplünderung schützen
Gesine Kauffmann
11 Herausgeberkolumne: Barrieren einreißen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO
definiert „Behinderung“ neu
Yann Yvergniaux
30 „Vor Mauretanien gibt es kaum mehr Fische“
Gespräch mit dem Fischer Ismael Lebaye
32 Nach neuen Regeln plündern
Die Europäische Union will ihre Fischereipolitik reformieren
Ein Teil der Auflage enthält das
Dossier „Globale Gesundheit“ und
.
eine Bestellkarte von
Iris Menn
Tillmann Elliesen
10 Kommentar: Die Gates-Stiftung investiert in neue Klos für
die Armen
Jonathan Gorvett
Simon Levine
10 Kommentar: Entwicklungsminister Niebel verteidigt
deutsche Rüstungsexporte
Brian O’Riordan
Heimo Claasen
34 Vom Fisch zur Bank
Wie sich die Dorfgemeinschaften am Niger durch die Dürrezeit retten
Kirsten Wörnle
Rainer Brockhaus
8-2011 |
Bloomberg via Getty Images
Bettina von Clausewitz
inhalt
Seit fast zehn Jahren wird in Indien gentechnisch veränderte
Baumwolle angebaut. Manchen Bauern bringt das höhere
Gewinne, manchen aber auch nur neue Schulden.
Vergitterte Wohnungen in Hebron: Angst und Repression beherrschen das Leben in der Stadt im Westjordanland. Israelische Menschenrechtsaktivisten wollen darüber aufklären.
36
41
welt-blicke
Journal
36 Gen-Baumwolle: Ein Gewinn, doch nur für manche
In Indien bringt gentechnisch veränderte Baumwolle einen begrenzten Nutzen, aber auch viele Probleme
48 Mikrokredite: „Subventio­
nierte Kreditprogramme sind
ein Problem“
55 Österreich: Kein MasterStudiengang Internationale
Entwicklung
49 Studie: Evaluierung der ParisErklärung
56 Kirche und Ökumene: Kirchen
legen Verhaltenskodex für
Mission vor
Gisela Felkl
41 Westjordanland: Geisterstadt Hebron
Pufferzonen sollen Israelis und Palästinenser voreinander schützen
Bettina von Clausewitz
44 Liberia: Auf dem Holzweg?
Die Geschäfte des Energieversorgers Vattenfall mit Biomasse sind
umstritten
50 B
erlin: BMZ erhält enttäuschenden Rekordhaushalt
52 Brüssel: Mehr Geld für die
EU-Außenpolitik
Johannes Schradi
54 Schweiz: Dialog zwischen
Alliance Sud und Nestlé
SÜD-SICHTEN
service
46 Botschafter der Tuareg
Die Band Tamikrest tourt durch Europa und setzt sich für die Rechte
der Nomaden ein
60 Rezensionen
58 Global Lokal: Viele Bundesländer tun zu wenig für die
UN-Millenniumsziele
59 Personalia
66 Impressum
64 Termine
Felix Ehring
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im Internet:
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5
standpunkte die seite sechs
Reife Leistung
zapiro
6
Es gibt Leute, die ernsthaft fordern, der Mensch solle weniger
Fleisch essen und weniger Auto
fahren. Dann müsste nicht so viel
Soja und anderes Tierfutter sowie
Biotreibstoff angebaut werden.
Auf den frei werdenden Flächen
könnten stattdessen Lebensmittel gepflanzt werden – zum essen.
Und alle würden satt.
Eine rührende Vorstellung, aber
hoffnungslos altmodisch. Noch
nie etwas von „Vertical Farming“
gehört? Von Landwirtschaft
in Städten und Hochhäusern?
Damit ist nicht Ihr Basilikum oder
Zupfsalat auf dem Balkon gemeint. Nein, es geht um Wolkenkratzer als Treibhäuser, voll mit
Tomaten, Gurken, Reis und Mais,
Bananen und Melonen. Vom
Erdgeschoss bis zum 110. Stock. In
Südkorea probiert das ein Agrarwissenschaftler gerade aus.
Wer war’s?
„Ich habe mich noch nie
so geliebt gefühlt.“
Syriens Präsident Bashar al-Assad im
Juni nach Gesprächen mit Bürgern über
die Zukunft des Landes.
Auf Lanzarote wurde er 1897
geboren. Noch in seiner Kindheit zogen seine Eltern mit ihm
auf die andere Seite des Atlantiks. Von da an lebte er bis zu
seinem Tod in einem idyllischen Küstenort. Wie viele
Männer aus dem Dorf bestritt
er seinen Lebensunterhalt mit
dem Fischfang. 1928 lernte er
einen Amerikaner kennen, um
dessen Boot er sich in den folgenden Jahren gegen ein Entgelt kümmerte. Schnell wurden
sie zu Freunden. Mehr als 30
Jahre arbeitete er als Kapitän
auf der kleinen Yacht. Den Amerikaner beeindruckten sein gutes Gespür für den Fischfang
und seine Seemannskünste –
Legenden nach hat er vier Hurrikane überlebt. Einmal soll er
sogar trotz Haien ins Wasser
gesprungen sein, um einen
Mann vor dem Ertrinken zu retten. Jahre später erbte er von
seinem Freund das Boot, das
auf einen spanischen Frauennamen getauft war. Doch er
wollte nie wieder damit auf das
Meer hinausfahren, zu groß
war die Trauer um seinen einstigen Gefährten. Er vermachte
das Boot dem Staat, blieb an
Land, lebte zurückgezogen und
arbeitete in einer Werft. In den
späten 1980er Jahren allerdings
bescherte ihm seine Freundschaft mit dem Amerikaner
große Aufmerksamkeit und sogar einen gewissen Ruhm. Der
passionierte Zigarrenraucher
wurde ein großer Geschichtenerzähler, der manche Legende
spann und Stoff für Spekulationen lieferte. Dichtung und
Wahrheit ließen sich dabei nie
so ganz voneinander trennen.
Wer war’s?
Auflösung aus Heft 7: Gesucht war
der frühere französische Außenminister und Mitgründer von Ärzte
ohne Grenzen, Bernard Kouchner.
Ein Professor in New York hat
ausgerechnet, dass 160 vertikale Treibhäuser mit jeweils
30 Stockwerken seine gesamte
Heimatstadt ernähren könnten.
In genug Hochhäusern könnte man also Essen für einen
Großteil der Weltbevölkerung
pflanzen, vor allem für die drei
Milliarden Menschen, die bis
2050 zu den heute schon sechs
Milliarden noch dazu kommen.
Die Bewohner der Häuser müssten natürlich ausziehen. Aber
wohin? Freie Flächen würden für
Energiepflanzen benötigt, denn
die Indoor-Treibhäuser müssen
beheizt und künstlich beleuchtet
werden. Damit die Tomaten auch
rot werden. Um den Weizenertrag eines Jahres der USA vertikal
anzubauen, bräuchte man allein
für die Beleuchtung achtmal so
viel Strom, wie alle Kraftwerke
des Landes zusammen produzieren.
Der Mensch müsste also dahin
zurück, woher er gekommen ist:
in Höhlen. Oder fremde Planeten
besiedeln. Weniger Fleisch essen
und weniger Auto fahren? Pah!
Warum einfach, wenn’s auch
umständlich geht.
8-2011 |
leitartikel standpunkte
Heiße Zeiten
Die Weltklimakonferenz in Durban steht unter schlechten Vorzeichen
Von Bernd Ludermann
Z
wischen Worten und Taten im Klimaschutz
herrscht eine deprimierende Kluft. Die Staaten
sind sich einig, dass die Erderwärmung auf
höchstens 2 Grad Celsius begrenzt werden muss – auf
der jüngsten Weltklimakonferenz Ende 2010 in Cancún haben sie das so beschlossen. Dazu müssen die
globalen Treibhausgas-Emissionen schnell und stark
gesenkt werden. Ziele für die einzelnen Länder sollte
die Klimakonferenz Ende diesen Jahres in Durban
Die USA, eins der Länder mit den höchsten ProKopf-Emissionen, werden in absehbarer Zeit keine
internationalen Minderungspflichten akzeptieren
festlegen. Das wird sie aber nicht. Die Verhandlungen
im Vorfeld – zuletzt im Juni in Bonn – kommen nur
bei Fragen wie Technologie-Transfer und Finanzhilfe
für arme Staaten voran. Umstritten ist schon, ob neue
Minderungsziele unter dem Kioto-Protokoll oder in
einem neuen Abkommen bestimmt werden sollen.
Im Kioto-Protokoll haben sich die Industrieländer außer den USA auf nationale Emissionseinsparungen
bis 2012 verpflichtet. Da es den Großteil der Emissionen – die der USA und der Schwellenländer – nicht
mehr erfasst, hält etwa die Europäische Union (EU)
ein neues, umfassendes Abkommen für besser. Das
aber ist in Kopenhagen Ende 2009 gescheitert und
weiter außer Reichweite. Zwar hat in manchen
Schwellenländern, die 2009 verbindliche Emissionsziele für Entwicklungsländer abgelehnt hatten,
ein Umdenken eingesetzt – etwa in China.
Doch die USA, eins der Länder mit den höchsten ProKopf-Emissionen, werden in absehbarer Zeit keine
internationalen Minderungspflichten akzeptieren.
Der von den Republikanern beherrschte Kongress
und der Feldzug der Rechten gegen Präsident Obama
machen jede vernünftige US-Klimapolitik vorerst unmöglich. Das einzige Instrument für international
verbindliche Emissionsgrenzen entfällt also, wenn
nicht wenigstens die Verpflichtungen unter dem Kioto-Protokoll erneuert werden. Doch das lehnen Japan,
Kanada und Russland ab.
Bernd Ludermann
.
ist Chefredakteur von
| 8-2011
Bleibt der in Kopenhagen beschlossene Ansatz „von
unten“: Staaten melden geplante Emissionsminderungen, die international überprüft werden. Das
reicht aber nicht. Über 70 Staaten haben solche frei-
willigen Zusagen gemacht. Da manche an Bedingungen geknüpft oder auf das Wirtschaftswachstum bezogen sind, ist das Ausmaß nicht ganz klar. Doch im
günstigsten Fall ergeben sich globale Emissionen, die
eine Erwärmung von mindestens 2,5 Grad Celsius erwarten lassen, im weniger günstigen bis 5 Grad.
Die Entwicklungsländer versprechen dabei – wie das
Stockholm Environment Institute (SEI) anhand von
vier verschiedenen Vergleichsmethoden gezeigt hat
– erheblich mehr Emissionsminderungen gegenüber
der Fortschreibung des Trends (Business as Usual)
als die Industrieländer. Wird da mit zweierlei Maß
gemessen, weil für Industrieländer der Trend bereits
ein Ergebnis von mehr Effizienz und Klimaschutz ist,
der Maßstab also strenger? Nein, sagt das SEI: Einige,
etwa die USA und Russland, treiben kaum Klimaschutz. Und alle profitieren davon, dass im Zuge der
Globalisierung schmutzige Industrien in Entwicklungsländer abgewandert sind, besonders nach China. Importe der Industrieländer verursachen heute
viel mehr Emissionen in Entwicklungsländern als
1990. Rechnet man die den Industrieländern zu, dann
sind deren gesamte Emissionen nicht leicht gesunken, sondern deutlich gestiegen.
Das gilt selbst für die EU. Will sie wirklich eine Vorreiterrolle spielen, dann wird es höchste Zeit für die
Zusage, bis 2020 in jedem Fall 30 Prozent Emissionen
einzusparen. Die wird sie so bald aber nicht geben.
Denn mit Polen hat der schärfste Gegner dieses
Schrittes und ein besonders von Kohle abhängiges
Land nun die EU-Präsidentschaft inne. Zudem ist die
EU von der Staatsschuldenkrise gelähmt. Ein wichtiger Fürsprecher des Klimaschutzes unter den Industrieländern dürfte in Durban ausfallen.
Auch in Deutschland, wo die Emissionen bis 2040 um
40 Prozent senken sollen, klaffen hehre Ziele und
praktische Politik zu oft auseinander. So ist kein Moratorium für den Bau neuer Kohlekraftwerke Sicht.
Und die Bundesregierung hat gerade eine absurde
Kennzeichnung eingeführt, wonach die Effizienz von
PKW nach Verbrauch pro Gewicht ermittelt, also
schwere Autos grün gerechnet werden. Für solche
Schildbürgerstreiche ist die Lage zu ernst: Die globalen Emissionen aus dem Energiesektor haben laut der
Internationalen Energie-Agentur nach der Weltwirtschaftskrise einen neuen Höchststand erreicht – und
vier Fünftel kommen aus Kraftwerken, die auch 2020
noch laufen werden. Nach Jahrzehnten des Zögerns
scheint das 2-Grad-Ziel kaum noch erreichbar.
7
8
standpunkte kommentar
Trauer, Mitleid – und Wut
Wieder einmal hat die Welt tatenlos zugeschaut, wie in Afrika eine Hungersnot entsteht
Von Simon Levine
Am Horn von Afrika drohen tausende Menschen zu verhungern. In
der Grenzregion von Somalia, Kenia und Äthiopien hat es seit zwei
Jahren nicht mehr geregnet. Aber
das ist nicht die Hauptursache der
Krise. Neben dem Krieg in Somalia
sind die Regierungen der drei Länder verantwortlich, die die betroffene Bevölkerung seit je vernachlässigen, sowie die internationale
Hilfsmaschinerie, die viel zu spät
anläuft.
Im Juli haben die Vereinten Nationen die Lage in Somalia zur Hungersnot erklärt. Der Begriff wird
offiziell selten gebraucht – ernste
Umstände wie derzeit sind die
Ausnahme. Und Regierungen
scheuen dieses gefühlsgeladene
Wort. Aber in Somalia haben die
UN-Technokraten nun den Notstand ausgerufen, nicht aus einem
Gefühl heraus, sondern auf der
Grundlage profaner Daten über
Sterbende und Hungernde.
Im ganzen Land sowie in Teilen
Äthiopiens und Kenias stirbt das
Vieh in großer Zahl, weil es kein
Wasser und kein Weideland mehr
gibt. Bis September wird es nicht
regnen. Selbst wenn der nächste
Regen gut ausfällt, wird sich die
Lage bis Oktober auf jeden Fall
noch verschlimmern. Zehntausende Kinder könnten sterben,
während hunderttausende geschwächte Menschen in Flüchtlingslager strömen – auf der Suche
Regierungen und Hilfsorganisationen haben
wieder gewartet, bis sie Millionen
unterernährter Kinder gesehen haben.
nach Essen und medizinischer
Hilfe. Tiere im Wert von hunderten Millionen Dollar werden verenden. Den Besitzern wird nichts
bleiben, das ihnen helfen könnte,
mit der nächsten Krise fertig zu
werden, die unweigerlich kommen wird. Hilfsorganisationen bereiten sich vor, auf die Krise zu reagieren. Aber es ist viel zu spät,
um mehr als die schlimmsten
Symptome zu bekämpfen. Kühe
und Kamele am Leben zu erhalten
– und damit für Milch sowie Geld
für Lebensmittel zu sorgen –, wäre
viel billiger gewesen als jetzt unterernährte Kinder zu füttern.
Aber als dafür noch Zeit war, wurde nur wenig unternommen.
Mitgefühl ist die erste Antwort
auf die Situation in Somalia und
seinen Nachbarländern. Aber es
darf nicht bei Trauer und Mitleid
bleiben. Ein gewisses Maß an Wut
ist ebenso angebracht – und ein
stures Festhalten daran, dass solche Notlagen nicht zugelassen
werden dürfen. Berichte in den
Medien sind einerseits hilfreich,
weil sie zu der dringend erforderlichen Hilfe animieren. Sie können
andererseits aber auch die Wut
dämpfen, denn zu oft wird der
Hunger mit einer Dürre erklärt.
Und wem, außer vielleicht Gott,
sollte man die Schuld für einen
Mangel an Regen oder andere Naturkatastrophen geben? Natürlich
spielt es eine Rolle, dass es nicht
regnet. Aber die Menschen sterben nicht allein deshalb, ja nicht
einmal ihre Tiere verenden, nur
weil es nicht regnet. Die Viehhirten in den Trockengebieten am
Horn von Afrika können mit den
wiederkehrenden Dürren an sich
gut umgehen, indem sie mit ihren
Tieren über das Land ziehen, auf
der Suche nach neuen Wasserquellen und frischen Weiden.
Hungersnöte gibt es bei den Pastoralisten nur dann, wenn sie
noch andere Probleme haben.
Das größte Problem in Somalia ist
der seit zwanzig Jahren dauernde
Bürgerkrieg, der die Wirtschaft
zerstört hat und die Überlebensstrategien der Bevölkerung untergräbt. Bei der Hungersnot 1984 in
Äthiopien wird heute ebenfalls
häufig an eine Dürre gedacht. Aber
auch sie war in Wahrheit die Folge
eines langen Bürgerkriegs, der die
Fähigkeit der Leute zerstört hatte,
mit einer weiteren Trockenperiode fertig zu werden. Der Konflikt
in Somalia hat außerdem die
Wanderwege der Viehhirten zerschnitten, so dass sie die verbleibenden Weiden und Wasserquellen nicht erreichen.
Weitere Ursachen reichen noch
tiefer. Pastoralisten geraten in die
Krise, wenn Regierungen ihnen
verbieten, über das Land zu wandern, das sie speziell in Trockenzeiten benötigen – zum Beispiel
weil auf ihren Weidegründen
Pflanzen angebaut und bewässert
werden oder das Land an Investoren verpachtet wurde. Dabei ist
längst entschieden: Die nomadische Viehwirtschaft ist viel besser
geeignet für das trockene Weideland und produktiver als bewässerte Landwirtschaft.
Krisen entstehen aber auch dadurch, dass in Gegenden, die während Dürren als Weideland dienen,
unkontrolliert Wasserquellen angelegt werden, die zu viele Hirten
und ihr Vieh anlocken. Oder dadurch, dass Regierungen die Grenzen schließen, den Handel unterbinden und als Folge die Lebensmittelpreise in die Höhe schießen.
Oder dadurch, dass Nahrungsmittelhilfe – die in Notsituationen
dringend gebraucht wird – aus politischen Gründen jahrein, jahraus
weiter gegeben wird, die Selbsthilfekräfte der Empfänger schwächt
und dazu führt, dass sich Leute in
Gegenden ansiedeln, in denen sie
sich nicht selbst ernähren können.
Krisen entstehen, weil Regierungen die Wirtschaft der Pastoralisten nicht fördern und den Handel
8-2011 |
wolfgang Ammer
kommentar standpunkte
mit Vieh behindern, weil sie fürchten, ihnen könnten Steuereinnahmen durch die Lappen gehen. Krisen treffen Bürger, die von ihren
Regierungen missachtet werden.
Simon Levine
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Overseas Development Institute (ODI)
in London. Zuvor war er mehrere Jahre
für Hilfsorganisationen in Afrika tätig.
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Wut ist auch deshalb angebracht,
weil Hungersnöte entstehen,
wenn Hilfe nicht rechtzeitig ankommt. In Teile Somalias und
dem Süden Äthiopiens haben
Hilfsorganisationen wegen der
Konflikte dort keinen Zugang.
Aber das ist nur die halbe
Wahrheit. Dürren und Krisen am
Horn von Afrika gab es bereits
1999/2000, 2002/2003, 2005/2006
sowie 2008/2009 – und jedes Mal
war die Reaktion gleich: spät und
unangemessen. Jedes Mal gab es
etliche Warnsignale – auf die gegenwärtige Krise bereits vor einem Jahr. Doch Regierungen und
Hilfsorganisationen haben auch
dieses Mal wieder gewartet, bis
sie Millionen unterernährter Kinder gesehen haben – und erst
dann auf die unausweichliche Logik der sich zuspitzenden Krise
reagiert. Das System der humanitären Hilfe springt auf die falschen Signale an: Wir reagieren
auf Unterernährung, die erst dann
auftritt, wenn die Leute nichts
mehr zu essen haben. Es muss
aber schon dann etwas getan
werden, wenn sich abzeichnet,
dass die Nahrung knapp wird.
Doch für derart rechtzeitige Hilfe
müssen viele Kräfte zusammenwirken, und wir wissen längst,
dass die Regierungen der betroffenen Länder, die Geber, die Vereinten Nationen und andere Organisationen unfähig dazu sind. Wir
wissen genau, warum, und wir
wissen, was eigentlich nötig wäre:
langfristige Strategien, die auf flexiblen Hilfsprogrammen ruhen,
die es erlauben, den Kurs zu ändern, wenn sich die Lage ändert,
sowie Nothilfe mit dem Ziel, die
Viehwirtschaft der Pastoralisten
am Leben zu erhalten, so dass die
Hirtenfamilien sich selbst ernähren können. Diese Strategien müssen auf der Bewegungsfreiheit
aufbauen, die die Viehhirten brauchen, statt sie zu behindern.
Die Hungersnot am Horn von Afrika wird in den nächsten Monaten noch schlimmer werden. Das
lässt sich nicht ändern, aber das
macht sie noch lange nicht zur
„Naturkatastrophe“. Der Regenmangel hat Mensch und Tier in
der Region den Rest gegeben –
aber nur weil beide schon vorher
von der Politik und der internationalen Hilfe sträflich vernachlässigt und als Folge unerträglich belastet wurden. Als Mitglieder der
Entwicklungshilfe-Gemeinschaft
haben wir nur wenig Einfluss auf
die Politik. Wir können und sollten aber versuchen, die Hilfe zu
verbessern. Ist die Wut groß genug,
dass wir es dieses Mal wirklich
versuchen?
9
10
standpunkte kommentar
Den falschen Job
Entwicklungsminister Niebel verteidigt deutsche Rüstungsexporte
Bundeskanzlerin Angela Merkel
reist um die Welt und bietet deutsche und europäische Waffen feil.
Anstatt für Zurückhaltung bei Rüstungsexporten zu plädieren, wie es
einem Entwicklungsminister gut
anstünde, pflichtet Dirk Niebel der
Kanzlerin bei und rechtfertigt die
geplanten Deals – mit absurden
Argumenten.
Das Bild hat etwas makaberes:
Während sich am Horn von Afrika eine dramatische Hungersnot
zusammenbraut, versucht Bundeskanzlerin Angela Merkel am
anderen Ende des Kontinents der
Regierung von Angola Kriegsschiffe aus deutscher Produktion
anzudrehen. So geschehen Mitte
Juli auf Merkels Afrikareise – und
noch während einer hitzigen Debatte in Berlin über die Lieferung
von Leopard-Panzern an SaudiArabien. Im Mai wiederum hatte
die Kanzlerin in Indien die Werbetrommel für Kampfflugzeuge
„made in Europe“ gerührt.
Patrouillenboote, Kampfpanzer
und Düsenjäger: Beim Verkaufen
von Kriegsgerät ist Merkel nicht
weniger zimperlich als ihre Vorgänger – mag der Kunde auch
noch so korrupt sein (Angola), im
gefährlichen Dauerkonflikt mit
seinem Nachbarn liegen (Indien)
oder eben erst Demonstranten
für mehr Demokratie niedergeschossen haben (Saudi-Arabien).
Über derlei Geschäfte entscheidet
der Bundessicherheitsrat, dem
mehrere Ministerien angehören.
Als die rot-grüne Bundesregierung 1998 das Entwicklungsministerium neu in das Gremium
aufnahm, kam die Hoffnung auf,
das werde Rüstungsexporte erschweren. Die Hoffnung trog, die
damalige Ministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul wurde regelmäßig überstimmt.
Immerhin wollte sie die Ausfuhren beschränken – anders als
offenbar ihr Nachfolger Dirk Niebel. Der hat unlängst in einem
Zeitungsinterview die Angebote
an Saudi-Arabien und Angola verteidigt. Sein Hinweis, Patrouillenboote seien schwer gegen Demonstranten einzusetzen, lässt
sich noch als für ihn typische
Frotzelei abtun. Aber sein Argument, auch während des OstWest-Konflikts habe die militärische Abschreckung doch dazu
beigetragen, den Krieg zu verhindern, ist haarsträubend. Niebel
ignoriert, dass diese Abschreckung – sprich: eine irrsinnige Bewaffnung, mit der sich beide Supermächte mehrmals hätten vernichten können – den Konflikt
zusätzlich angeheizt und nicht
etwa entschärft hat. Und von den
vielen heißen Stellvertreterkriegen in Afrika, Asien und Lateinamerika, die anstelle des großen
kalten Krieges geführt wurden,
hat der Minister offenbar auch
noch nichts gehört.
Dirk Niebel als Apologet von Rüstungswettläufen und als Stichwortgeber der Waffenindustrie –
der FDP-Mann hat einmal mehr
bewiesen, dass er den falschen
Job hat. (ell)
Neue Klos für die Armen
Die Gates-Stiftung investiert in sanitäre Einrichtungen in Entwicklungsländern
Die Fortschritte bei der sanitären
Versorgung von armen Menschen
in Entwicklungsländern sind dürftig - das hat Anfang Juli der diesjährige Bericht zu den Millenniumszielen der UN gezeigt. Die Bill
& Melinda Gates-Stiftung hat nun
angekündigt, das heikle und unbeliebte Thema zu einem ihrer zentralen Anliegen zu machen. Die prominente Hilfe könnte ein wichtiges
Zeichen setzen.
Toiletten und Abwassersysteme
für Arme in Entwicklungsländern
sind nichts, mit dem sich Prominente gerne schmücken – sieht
man einmal von der Aktion
„WASH united“ ab, bei der männliche und weibliche Fußballstars
für bessere Hygiene, einen Zugang zu sauberem Trinkwasser
und sanitären Einrichtungen
werben. Das könnte sich jetzt ändern: Der US-amerikanische Multimilliardär Bill Gates will mit einer zusätzlichen Finanzspritze in
Höhe von 42 Millionen US-Dollar
eine hygienische, sichere und erschwingliche sanitäre Versorgung
in armen Ländern fördern. Künftig wolle man der „wichtigste Förderer von Innovationen in diesem
Sektor“ werden, kündigte der zuständige Direktor Frank Rijsberman großspurig an. Aber viel-
leicht hilft nicht nur Gates’ Geld,
sondern auch sein prominenter
Name, um das heikle und vernachlässigte Thema populärer zu
machen. Das wäre ein guter Nebeneffekt. Seit Jahren beklagen
Hilfsorganisationen, dass Projekte zur Verbesserung von Hygiene
und sanitärer Versorgung zu wenig attraktiv sind, um dafür Spenden einzuwerben. Auch bei den
Millenniumszielen (MDG) der
Vereinten Nationen bleibt der Anspruch, bis 2015 den Anteil derer
zu halbieren, die keinen Zugang
zur sanitären Versorgung haben,
weit hinter der Realität zurück.
2,6 Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang zu Toiletten oder Sanitäranlagen – mit
verheerenden Folgen für die Gesundheit. Durchfall, verursacht
durch schlechte Hygiene, ist für
die meisten Todesfälle bei Kindern in Afrika verantwortlich. Die
Gates-Stiftung will unter anderem „die Toilette neu erfinden“,
wie eine Vertreterin das nennt.
Und zwar angepasst an lokale Gegebenheiten, also ohne Wasserspülung und ohne einen Anschluss an Abwasserkanäle. Erfolgreich sind solche Ansätze nur,
wenn sie die Bevölkerung vor Ort
einbinden. Das hat die Stiftung
angekündigt und daran wird sie
sich messen lassen müssen.
Schnellere Fortschritte sind in jedem Fall nötig. Denn wenn es in
demselben Tempo weitergeht
wie bisher, werden laut UN erst
im Jahr 2049 rund 77 Prozent der
Weltbevölkerung mit Toiletten
und sanitären Einrichtungen versorgt sein. (gka)
8-2011 |
herausgeberKolumne standpunkte
Barrieren einreißen
Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert „Behinderung“ neu
Behindert ist man nicht, behindert wird man – diesem Verständnis hat sich die WHO in ihrem
ersten Weltbehindertenbericht angeschlossen. Eine Vielzahl von sozialen und baulichen
Barrieren erschweren behinderten Menschen den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung
und gesellschaftlicher Teilhabe. Bei der Bestandsaufnahme darf es aber nicht bleiben. Es gilt,
diese Hindernisse zu überwinden.
Von Rainer Brockhaus
Die Weltgesundheitsorganisation
WHO und die Weltbank haben
erstmals einen Bericht vorgelegt,
der die Situation behinderter
Menschen weltweit dokumentiert. Die Christoffel-Blindenmission (CBM) hat den Report inhaltlich und finanziell unterstützt.
Das rund 300 Seiten starke Dokument birgt vor allem zwei neue
Das gelähmte Schulkind in Ruanda hat wenig von
einem gespendeten Rollstuhl, wenn es den holprigen Weg zur Schule damit nicht befahren kann.
Erkenntnisse. Erstens: Die Zahl
der Menschen mit Behinderungen ist weitaus höher als bisher
angenommen – mehr als eine
Milliarde Menschen weltweit
müssen mit einer Behinderung
zurecht kommen, nicht 650 Millionen, wie seit den 1970er Jahren
angenommen.
Dr. Rainer Brockhaus
ist Direktor der
Christoffel-Blindenmission
Deutschland (CBM).
| 8-2011
Und zweitens wird Behinderung
von der WHO endlich so definiert,
wie Selbsthilfegruppen und Entwicklungsorganisationen es schon
lange fordern: Als Zustand, der einen Menschen von seinem sozialen Umfeld isoliert, von gesellschaftlichen Aktivitäten trennt
und an der Teilhabe an Bildung
und medizinischer Versorgung
hindert. Behinderung ist damit
nicht mehr ein rein medizinisches
Phänomen, das isoliert unter dem
Aspekt betrachtet wird, inwieweit
Fehlfunktionen des Körpers den
Menschen „krank“ oder „behindert“ machen.
Dieser längst überfällige Ansatz
ist für Menschen mit Behinderungen in Deutschland ebenso relevant wie in Entwicklungsländern.
Nach der neuen Definition sind
sie nicht deshalb behindert, weil
sie etwa im Rollstuhl sitzen, sondern weil ihnen das Umfeld Barrieren in den Weg stellt. Was nützt
dem Rollstuhlfahrer in Deutschland die Straßenbahn mit Niederflureinstieg, wenn der Zugang
zum Theater über eine Treppe
führt? Es würde kaum einen Unterschied machen, wenn die Theatergäste in Abendrobe – die weiblichen ohnehin oft in Stöckelschuhen – über eine sanft ansteigende
Rampe defilieren müssten statt
über eine steile Treppe. Das gelähmte Schulkind in Ruanda hat
wenig von einem gespendeten
Rollstuhl, wenn der Weg zur Schule so voller Schlaglöcher ist, dass
es ihn nicht befahren kann. Was
hindert das Kind, sein Recht auf
Bildung wahrzunehmen: Die körperliche Einschränkung oder der
schlechte Weg?
Auch in der medizinischen Grundversorgung sind Menschen mit
Behinderungen
benachteiligt:
Mehr als die Hälfte dieser Menschen in Entwicklungsländern
kann sich laut WHO nicht einmal
den Transport zu Gesundheitszentren leisten. Das mag in
der industrialisierten Welt weniger das Problem sein. Doch dafür
trifft die Rollstuhlfahrerin, die die
Anreise zur Arztpraxis noch mühelos bewältigt hat, dort auf
Mammografiegeräte zur Brustkrebs-Früherkennung, die sie nur
benutzen kann, wenn sie aufrecht
steht. Und während ein Kind mit
intellektueller Einschränkung in
Afrika oft gar keine Schule besucht, hätte es bei uns sogar das
Anrecht auf den Besuch einer Regelschule. Doch seine Eltern stoßen in der Regel bereits im Vorfeld auf so viele Vorbehalte, dass
sie oft beschließen, es doch lieber
auf eine „Sonderschule“ zu schicken.
Der Bericht der WHO zeigt deutlich: Noch immer stehen zu viele
Barrieren zwischen Menschen mit
Behinderungen und ihrer vollen
Teilhabe an der Gesellschaft. Dabei sind sie die größte Minderheit
der Welt und machen in Entwicklungsländern bis zu einem Fünftel
der Bevölkerung aus. Die Weltgemeinschaft kann es sich kaum
leisten, auf die Potenziale behinderter Menschen zu verzichten, es
sei denn, sie will erhebliche volkswirtschaftliche Schäden in Kauf
nehmen.
Wir alle sind gefordert, die Hindernisse im Gesundheitsbereich,
Bildungswesen oder Berufsleben
zu beseitigen, die es behinderten
Menschen schwer machen, ihre
Fähigkeiten ein­zubringen und als
gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft wahrgenommen zu
werden. Das kontext- und umfeldbezogene Denken, das in der
Entwicklungszusammenarbeit
schon lange selbstverständlich ist,
sollte im Norden wie im Süden
angewendet werden, wenn es darum geht, soziale oder bauliche
Barrieren zu überwinden.
Bei einer reinen Bestandsauf­
nahme darf es jedenfalls nicht
bleiben. Wir alle haben etwas davon, wenn wir die Hindernisse beseitigen, die Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen
erst zu „behinderten Menschen“
machen – seien sie in öffentlichen
Gebäuden, Arztpraxen oder in unseren Köpfen.
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schwerpunkt fischerei
Die Kleinfischer
bevorzugen
Die Fischerei­
wirtschaft muss
sozial gerecht
organisiert werden
Millionen Menschen leben von der Fischerei. Sie dient ihnen als Einkommen und Nahrungsquelle. Doch zunehmend drängen riesige Fangflotten aus Industrie- und Schwellenländern
die afrikanischen und asiatischen Kleinfischer an den Rand ihrer Existenz. Die Steigerung der
Produktion geht auch zu Lasten der Umwelt: Große Teile der Weltmeere sind bereits überfischt.
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, sollten Fangrechte künftig auf der Basis der
Menschenrechte vergeben werden.
Von Brian O’Riordan
Die Bedeutung der Fischerei als Quelle von Nahrung,
Einkommen und Wohlstand kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Umso erstaunlicher ist es,
dass in diesem Bereich so wenig Klarheit herrscht, so
vieles falsch dargestellt und deshalb auch falsch geregelt wird. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich
das Fischereiwesen stark verändert. Die Fangtechniken sind kapitalintensiver und weniger umweltverträglich geworden. Die zunehmende internationale
Nachfrage ließ das Handelsvolumen und die Fangmengen wachsen und hat damit auch den Druck auf
die Fischbestände verstärkt. Mehr und mehr müssen
Gemeinschaften, die traditionell vom Fischfang leben, mit anderen Interessenten um die Nutzung der
Küsten und ihrer Naturschätze konkurrieren. Vielfach wenden sie deshalb intensivere Fangmethoden
an, die weniger nachhaltig und fair sind.
Guter Fang: Fischer im südindischen
Trivandrum begutachten die Fische,
die ihnen ins Netz gegangen sind.
Getty Images
Urbanisierung, Industrialisierung und Zuwanderung konzentrieren sich vor allem auf die Küstengebiete. Dadurch verändert sich der Lebensraum der
Menschen, die in kleinem Umfang Fischfang betreiben. Ihr Zugang zu den Küstengewässern wird zum
Teil erheblich beeinträchtigt. Weltweit bedroht der
gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel traditionelle soziale Arrangements. Außerdem muss sich
die Bevölkerung niedrig gelegener Gebiete auf den
Anstieg der Meeresspiegel und auf häufigere Naturkatastrophen einstellen. Es ist zu befürchten, dass
der Klimawandel und extreme Unwetter die Fischerei stark gefährden, auf die diese Menschen angewiesen sind.
Nach den Daten der Welternährungsorganisation
FAO lieferte das Fischereiwesen (Fischfang und
Aquakultur) 2008 insgesamt 142 Millionen Tonnen
Fisch, von denen 115 Millionen Tonnen der menschlichen Ernährung dienten. Im Jahr 2007 machte Fisch
knapp 16 Prozent des auf der Welt verzehrten tierischen Proteins und rund 6 Prozent der gesamten verzehrten Proteinmenge aus. Über 1,5 Milliarden Menschen deckten fast 20 Prozent ihres durchschnittli-
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fischerei schwerpunkt
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schwerpunkt fischerei
die Erträge aus etwa 70 Prozent aller kommerziell genutzten Fischbestände informiert. Aus Afrika bekommt sie nur Daten von zwei Fünftel der Länder.
Eine Anfang dieses Jahres veröffentlichte Untersuchung der Universität von British Columbia stellt
fest, dass die Erträge aus der Arktis viel zu gering angegeben werden und möglicherweise bis zu 75 Mal
höher sind als bisher angenommen. Die meisten
Länder der Welt unterschätzen auch die Fischmengen, die von Kleinfischern geliefert werden. Außerdem werden solche Daten in vielen Ländern gar nicht
erhoben.
Die Fischerei bietet Millionen Menschen eine wichtige Nahrungs- und Einkommensquelle. Laut FAO hat
Die Fischer von Trivandrum ziehen
ihre Netze aus dem Wasser.
Getty Images
chen Pro-Kopf-Verzehrs an tierischem Eiweiß mit
Fisch, 3 Milliarden Menschen mindestens 15 Prozent.
Laut FAO produzierte der Fischfang (ohne Aquakultur) 2008 insgesamt einen Ertrag von etwa 90 Millionen Tonnen, dessen geschätzter Erstverkaufswert
sich auf knapp 94 Milliarden US-Dollar belief. Davon
stammten etwa 80 Millionen Tonnen aus dem Meer,
während Erträge aus Binnengewässern das Rekordniveau von 10 Millionen Tonnen erreichten.
Doch sind all diese Zahlen Schätzungen, die wohl
viel zu niedrig angesetzt sind. Die FAO wird nur über
die Beschäftigung im Fischfang und in den Aquakulturen in den vergangenen drei Jahrzehnten stark zugenommen. Für 2008 wird angenommen, dass knapp
45 Millionen Menschen ganztägig oder, häufiger,
stundenweise direkt in diesen beiden Bereichen tätig waren, darunter mindestens 12 Prozent Frauen.
Auch dies ist wahrscheinlich eine zu niedrige Schätzung, denn die Arbeit der Frauen wird oft weder bezahlt noch anerkannt und dokumentiert. Viele für
Statistik zuständige Regierungsbehörden erheben
dazu überhaupt keine Zahlen.
Ein zentraler Fehler in der Einschätzung des Fischfangs besteht darin, ihn als isolierte Nischenbeschäftigung zu betrachten. Darauf stützen sich ungeeignete Strategien und verfehlte Konzepte für
das Fischereimanagement und den Erhalt der Bestände. So wird im Bereich Fischerei die Steigerung
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fischerei schwerpunkt
Sorgfältig wird der Fisch aus dem
Netz geborgen, in Kisten verpackt
und zum Verkauf transportiert.
Getty Images
der Produktion und die Maximierung des Gewinns
politisch gefördert – auf Kosten der sozialen und ökologischen Aspekte. Deshalb werden Ökosysteme in
Meeren, Flüssen und Seen überall auf der Welt von
Überfischung und rücksichtslosen Fangmethoden
gefährdet. Die Menschen, die vom Fischen abhängig
sind, leben weiterhin unter schlechten sozialen und
wirtschaftlichen Bedingungen. Die Fixierung auf die
Produktionssteigerung, nach der sich der Wert jeder
Modernisierung im Wesentlichen an einer erhöhten
Rentabilität bemisst, trägt nicht zur Nachhaltigkeit
und sozialen Gerechtigkeit bei.
Grob gesagt lässt sich die Fischerei drei Kategorien zuordnen: der Kleinfischerei, der halbindustriellen Fi-
scherei und der großindustriellen Fischereiwirtschaft.
Jede dieser Produktionsweisen hat ihre Vor- und
Nachteile. Die handwerklich betriebene Kleinfischerei
beschränkt sich meist auf die unmittelbare Umge-
Gemeinschaften, die vom Fischfang leben, müssen
mit anderen Interessenten um die Nutzung der
Küsten und der Naturschätze konkurrieren.
bung; sie ist arbeitsintensiv, energieeffizient und hat
wenig schädliche Folgen für die Umwelt. Sie arbeitet
hauptsächlich mit Stellnetzen, Angelleinen und Reusen, die nur für den Fang bestimmter Fischarten geeignet sind. Das bringt einen eher geringen Ertrag, der
aber eine hohe Qualität haben kann.
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Der Fisch wird als Lebensmittel auf lokalen, regionalen und internationalen Märkten angeboten und
dient dem Lebensunterhalt der einheimischen Bevölkerung. Oft werden die Fänge in den Fischergemeinden von und an Frauen verkauft. Auch an der
Vorbereitung des Fangs wie dem Herrichten der Geräte und der Boote sind Frauen beteiligt. Außerdem
spielen sie eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung
der Fische – wie dem Filettieren und Räuchern – sowie im Handel auf lokaler und regionaler Ebene,
ganz besonders in Westafrika und in Asien.
Die klein- oder halbindustrielle Fischerei ist meist
von geringer Betriebsgröße, setzt aber weniger schonende Fanggeräte ein und ist weniger umweltver-
träglich. Sie arbeitet unter anderem mit Schleppnetzen und ähnlichen Geräten, die viel Energie und
Treibstoff verbrauchen. Meist bedient sie Märkte, auf
denen Fisch in großen Mengen und auch hochwertige Exportware wie Krabben gehandelt werden. Es
wird relativ viel Kapital investiert, was auf Kosten
der Arbeitsplätze geht. Je stärker die Fangmethoden
mechanisiert werden, desto weniger wirtschaftlich
und umweltverträglich sind sie. Steigende Energiepreise und knapper werdende Ressourcen lassen
ihre Nachhaltigkeit fragwürdig werden.
Die industrielle Großfischerei hängt nicht von einem Standort ab. Sie setzt destruktive Fanggeräte
wie Schleppnetze und Ringwadennetze ein und hat
eine schlechte CO2-Bilanz. Sie produziert den meisten Beifang (er beträgt etwa 40 Prozent und mehr
der gesamten weltweiten Fangmenge), weil ihre
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schwerpunkt fischerei
Am Strand von Varkala in der Nähe
von Trivandrum wird der
frische Fisch auf traditionelle
indische Art zubereitet.
Getty images
Ausrüstung nicht auf bestimmte Fische spezialisiert
ist und weil Fische mit geringerem Marktwert aus
wirtschaftlichen Gründen aussortiert werden. Sie
beliefert internationale Märkte und produziert Fisch
als Lebensmittel und Tierfutter für den Massenkonsum. Sie ist in die globalen Systeme der Lebensmittelindustrie und der Finanzwelt integriert und deshalb auch Gegenstand der Finanzspekulation.
Immer häufiger beschäftigen diese großindustriellen Unternehmen unqualifizierte Arbeitskräfte aus
armen Ländern, die unter schlechten Bedingungen
und gegen geringe Bezahlung arbeiten müssen. Das
gilt besonders für die Europäische Union, denn dort
finden die jungen Leute die Arbeit in der Fischerei
wegen der niedrigen Löhne, der schlechten Arbeitsbedingungen und des geringen Ansehens unattraktiv. Zwischen 20 und 30 Prozent der gesamten Fänge
aus der Großfischerei werden zu Fischmehl und
Fischöl verarbeitet. Dafür werden große Mengen
nicht ausgewachsener Fische gefangen, die in erwachsenem Zustand auch als Lebensmittel hätten
dienen können.
Vor allem in Europa werden Fischprodukte zunehmend unter einem Zertifikat wie dem Marine Stewardship Council (MSC) als umweltverträglich vermarktet. Doch arbeiten die MSC-zertifizierten Fischereibetriebe überwiegend mit Schleppnetzen, einer
der am wenigsten nachhaltigen Fangtechniken, die je
entwickelt wurden. Allein mehr als drei Millionen
Tonnen Fisch mit MSC-Label – etwa die Hälfte dieser
Fänge – werden auf hoher See mit Schleppnetzen in
mittlerer Tiefe oder mit Grundschleppnetzen gefangen.
Wer Fisch fängt und wer ihn isst
Am wichtigsten ist Fisch in Asien. Asiatische Länder stehen weltweit an der Spitze
beim Fangen, Züchten, Verarbeiten – und Essen. China ist die Nummer eins: laut der
Welternährungsorganisation FAO hat die Volksrepublik 2008 rund 47,5 Millionen Tonnen Fisch „produziert“, das meiste (32,7 Millionen Tonnen) in Aquakulturen. Das ist
etwa ein Drittel der weltweiten Produktion. Auf den nächsten Plätzen folgen Peru, Indonesien, die USA und Japan. Die wichtigsten Fanggründe für Meeresfisch liegen im
Nordwestpazifik. Allerdings werden dort inzwischen nur noch rund 50.000 Tonnen Kabeljau jährlich aus dem Meer gezogen, 1987 waren es noch 14 Millionen Tonnen.
International gehandelt wurde 2008 laut der FAO Fisch für 102 Milliarden US-Dollar.
Die größten Exportnationen sind China, Norwegen und Thailand. Japan, die USA und
Spanien importieren die größten Mengen. 70 Prozent des weltweiten Fangs, der in den
internationalen Handel kommt, landen in der Europäischen Union, den USA und Japan. Die größten Fischesser sind die Japaner: Sie verspeisen jährlich etwa 7,5 Milliarden Tonnen, rund zehn Prozent der weltweiten Fangmenge.
Japan und die EU werden immer abhängiger von Importen, um den Appetit ihrer Bevölkerung auf Fisch zu stillen. Denn ihre eigenen Hoheitsgewässer sind zunehmend überfischt. Die EU-Flotten sind deshalb auch in immer weiter entfernten Meeresgebieten
unterwegs. Und während sich die Japaner 1964 noch komplett selbst mit Fisch versorgen
konnten, mussten sie 2006 schon 41 Prozent des Bedarfs einführen. (gka/br)
Die Fischerei ist ein Teil komplexer Produktionssysteme vom Fang über die Vermarktung bis zum Verzehr. Zur Produktion gehören vorgeschaltete Tätigkeiten wie die Bereitstellung der Schiffe, des Treibstoffs und der Fanggeräte, das Fangen der Fische
selbst sowie nachgelagerte Arbeiten wie das Anlanden, der Erstverkauf und die Wartung der Schiffe
und der Ausrüstung. Die Vermarktung beinhaltet
die Aufbereitung der Fische nach dem Erstverkauf,
den Verkauf an Zwischenhändler, die Weiterverarbeitung und Verpackung, den Transport und den
Endverkauf. Beim Konsum schließlich kann man
unterscheiden zwischen dem direkten Verzehr vor
Ort, dem Luxuskonsum auf lokaler und globaler Ebene sowie dem globalen Massenkonsum. Zu den
Fischprodukten für den menschlichen Verbrauch
zählen auch immer mehr Nahrungsergänzungsmittel und Erzeugnisse der pharmazeutischen und kosmetischen Industrie.
In der handwerklichen Fischerei sind die Produktionsketten lang und die verschiedenen Tätigkeiten
auf viele Schultern verteilt. Dagegen sind sie in der
industriellen Fischproduktion zunehmend im selben
Unternehmen integriert. Bei der Kleinfischerei wird
deshalb der Nutzen viel eher breit verteilt und soziale Gleichheit begünstigt als in der industriellen Fischerei.
Es besteht weitgehend Übereinstimmung, dass die
Überfischung und die Überkapazitäten der Fangflotten zu den größten Problemen gehören. Die Fischbestände und die Lebensräume im Meer können sich
nicht mehr regenerieren und die Fischereiflotten
sind um ein Vielfaches größer, als es für den Fang der
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fischerei schwerpunkt
Wie Fisch auf den Markt kommt
Angaben in Millionen Tonnen (Lebendgewicht)
Frisch
Tiefgekühlt
Industrieländer
Als Konserve
Entwicklungsländer
Getrocknet oder geräuchert
Als Fischmehl,
Fischöl etc.
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60
Quelle: FAO, The State of World Fisheries and Aquaculture 2010, Angaben für 2008
verfügbaren Fische nötig wäre. Daraus wird jedoch
fälschlich geschlossen, der Kern des Problems sei,
dass zu viele Schiffe zu wenig Fischen nachjagen,
man müsse also in erster Linie die Zahl der Schiffe
verringern. Doch die Fankapazität und die Überfischung hängen nicht nur von der Anzahl der Schiffe
ab. Es kommt auch darauf an, wo, wann und wie ge-
Die industrialisierte Großfischerei bietet schlechte
Voraussetzungen dafür, Arbeitsplätze, die
Nahrungsversorgung oder die Umwelt zu schützen.
fischt wird. Entscheidend ist das Zusammenwirken
von Größe, Macht, Fangtechnik, Fanggebieten, Fangzeiten und vielen anderen Faktoren. Dazu gehört
auch der Einsatz von nicht selektiven und umweltschädigenden Geräten und von verschwenderischen
Geschäftspraktiken wie der, weniger hochwertige
Fische und solche, deren Fangquote bereits ausgeschöpft ist, wegzuwerfen.
Wenn nur die Zahl der Schiffe in den Mittelpunkt gestellt wird, versäumt man, die Flotten zu benennen,
die am meisten fangen und den größten Schaden
anrichten. Es wird dann auch nicht zwischen traditioneller Kleinfischerei und industrieller und halbindustrieller Fischerei unterschieden. Nachhaltige Entwicklung setzt aber voraus, dass soziale, wirtschaftliche und ökologische Belange gleichermaßen berücksichtigt werden.
Brian O’Riordan
ist Vorsitzender der belgischen Sektion
des International Collective in Support
of Fishworkers (ICSF).
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Die industrialisierte Fischerei, die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen gegenüber sozialen und ökologischen Gesichtspunkten den Vorrang gibt, bietet
schlechte Voraussetzungen dafür, Arbeitsplätze, anständige Arbeitsbedingungen, die Nahrungsversorgung und eine gesunde Umwelt zu erhalten. Für das
International Collective in Support of Fishworkers
(ICSF), einen Interessenverband der asiatischen
Kleinfischer, beginnt die Lösung für das Problem der
Überfischung mit einem „SMART“-Ansatz (smallscale artisanal fishery activities, kleine handwerkliche Fischerei). Das bedeutet man soll viele Fischarten
in unterschiedlichen Jahreszeiten mit verschiedenen
Geräten fischen, und das energieeffizient, arbeitsintensiv und umweltschonend. Der Fischfang muss in
vor- und nachlagerte Tätigkeiten der einheimischen
Bevölkerung integriert bleiben und die Fischereiwirtschaft darauf ausgerichtet sein, für einen dauerhaften Verdienst zu sorgen und die Ressourcen zu
schonen. Diese Art der Fischerei respektiert die Menschenrechte. Sie ist für die Gesellschaft wertvoller als
großindustrielle Fischerei und kann, richtig unterstützt, einen bedeutenden Beitrag zur nachhaltigen
Entwicklung und zum Erreichen der MillenniumsEntwicklungsziele leisten.
Das Subsidiaritätsprinzip kann ein Schritt in die richtige Richtung sein. Nach diesem Prinzip sollen alle
Fischbestände, die von Kleinfischern gefangen werden können, auch diesen vorbehalten bleiben. Großfischerei dürfte nur außerhalb solcher Gebiete zum
Einsatz kommen. Dabei müssten die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit auf den Fangschiffen gebührend berücksichtigt werden.
Das würde einhergehen mit einem Menschenrechtsansatz in der Fischerei. Ihr Nutzen darf nicht auf Kosten der Gesellschaft privatisiert werden. Fischereirechte mit Menschenrechten zu verknüpfen ist ein
Ansatz, der den unterschiedlichen Lebensbedingungen der Kleinfischer und der Vielschichtigkeit der
Armut besser als bisher gerecht wird. Wenn man
Fangrechte unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte verteilt, bedeutet das auch, das Menschenrecht der Fischer auf angemessene Lebensbedingungen und faire Gewinnmöglichkeiten zu berücksichtigen. Sinnvolle Nutzungsrechte können für einen
Ausgleich von kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Zielen sorgen, zur Verringerung von Konflikten beitragen, die Ernährungssicherheit und die
Einkünfte der Kleinfischer und der Fischergemeinden verbessern und die Erhaltung der lokalen Ökosysteme erleichtern.
Von diesen Grundsätzen ausgehend arbeitet die FAO
derzeit an neuen Richtlinien für die Erhaltung der
nachhaltigen Kleinfischerei (Voluntary Guidelines
on Securing Sustainable Small Scale Fisheries). Damit vollzieht sie eine grundsätzliche Wende. Denn in
der Vergangenheit waren ausschließlich Staaten ihre
Ansprechpartner. Ein auf den Menschenrechten beruhendes Herangehen setzt jedoch die Beteiligung
aller Betroffenen voraus. Die Verknüpfung des Subsidiaritätsprinzips mit den Menschenrechten könnte
dazu beitragen, viele Fehlentwicklungen in der Fischerei rückgängig zu machen. Aus dem Englischen von Anna Latz.
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schwerpunkt fischerei
Garnelen mit bitterem Beigeschmack
Malaysias Regierung
treibt auf Borneo die
Industrialisierung von
Aquakulturen voran
Riesige Fischfarmen verdrängen im malaysischen Teil Borneos zunehmend die traditionellen
Fischteiche in den Dörfern. Die Regierung will mit der industriellen Fischzucht die Armut
bekämpfen und die Bevölkerung des Landes mit mehr tierischem Eiweiß versorgen. Geschäftsleute begrüßen den Wandel, doch die Dorfgemeinschaften fürchten um ihre Existenz.
Von Jonathan Gorvett
Tief im Urwald des malaysischen Teils von Borneo,
am Oberlauf des Rejang-Flusses, bleibt Gebril Atong
plötzlich stehen. Neben der von Bulldozern grob
durch den Wald geschlagenen Schneise liegt ein Stapel halb zerhackter Baumstämme. „Darunter sind
meine Fischteiche“, erklärt er. „Eines Tages kamen
die Leute von der Plantage einfach vorbei und haben
alles abgeholzt. Der Abfall wurde in die Teiche geworfen und die Fische sind gestorben. Sie waren
meine Existenzgrundlage.“
den Kürzeren gezogen haben. In vielen asiatischen
Ländern zerstören Industrialisierung und Wirtschaftswachstum traditionelle Lebensformen – oft
geschieht das brutal. Aquakulturen mit den traditionellen kleinen Fischteichen und Fischkäfigen werden verdrängt von tausend Hektar großen industriellen Fischfarmen mit der kompletten Infrastruktur
vom Forschungslabor bis zur Verpackungsanlage
und mit neuen Wohnsiedlungen, wo bezahlte Arbeit
an die Stelle des Jagens und Sammelns tritt.
Gebril Aton ist einer von vielen Einheimischen, die
bei der Industrialisierung im Bundesstaat Sarawak
Für manch einen bedeutet das Fortschritt und die
Chance auf Wohlstand. Andere sind der Ansicht, dass
8-2011 |
fischerei schwerpunkt
Mitten im Urwald liegt im
malaysischen Bundesstaat Sabah
eine riesige Shrimpsfarm.
Jason Isley-Scubazoo
damit für einen zweifelhaften ökonomischen Nutzen Dorfgemeinschaften zerstört und die Umwelt
geschädigt werden. In anderen Ländern Asiens hat
dieser Wandel mitunter auch Gewalt hervorgerufen
und Todesopfer gefordert. „Aquakulturen hatten für
uns nur Nachteile“, sagt Khushi Kabir, die Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation Nijera Khori
in Bangladesch, die gegen die Ausbreitung der industriellen Garnelenzucht kämpft. „Wir haben uns eingemischt, als einer von uns ums Leben gekommen
das unter anderem mit der Industrialisierung insbesondere der Aquakulturen. Das gilt gleichzeitig als
wichtiger Beitrag zur Ernährungssicherheit des Landes – das heißt die benötigte Nahrung so weit in Malaysia zu produzieren, dass man nicht den Preisschwankungen des internationalen Lebensmittelmarktes ausgesetzt ist. In diesem Jahr seien 821,4
Millionen malaysische Ringgit (knapp 200 Millionen
Euro) für elf Projekte bereitgestellt worden, darunter
großflächige Aquakulturen, berichtete Datuk Seri
Noh Omar, der Minister für Landwirtschaft und Agroindustrie, unlängst in Kuala Lumpur.
Nach Angaben des Ministeriums produzierten die
industriellen Aquakulturen in Malaysia im vergan-
Malaysia
CHINA
S Ü D O S TA S I E N
Bangkok
Thailand
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AUSTRALIEN
Georgetown
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Nationalpark Taman
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Kuala Lumpur
Johor Baharu
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Singapur
ra
Indonesien
Indigene Gemeinschaften –
hier in Sarawak – sehen die
Industrialisierung der
Fischzucht mit großer Sorge.
war. Die Industrie schreckt vor Gewalt nicht zurück
und die Unternehmen setzen zum Schutz der ShrimpFarmen bewaffnete Wächter ein.“
Andy Wong/AP
Auch viele internationale nichtstaatliche Organisationen (NGO) sind wegen der Ausbreitung industrieller Aquakulturen alarmiert. Einigen wenigen Menschen hätten sie „geradezu obszönen Reichtum gebracht“, sagt Amit Kumar Raj von Asia Solidarity
Against Industrial Aquaculture (ASIA). „Aber sie hat
auch Millionen zu Bettlern gemacht.“
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500 km
Brunei
Kota
Kinabalu
Sa
ba
h
Bintulu
Kuching
Saraw
ak
Born
eo
Indonesien
0313 ©
genen Jahr gut 478.000 Tonnen Fisch mit einem Wert
von rund 2,4 Milliarden Ringgit (etwa 560 Millionen
Euro). Laut dem stellvertretenden Landwirtschaftsminister Datuk Wira Mohd Johari Baharum wird das
Land die Produktion bis 2015 auf 727.300 Tonnen erhöhen, was einem Wert von rund 7 Milliarden Ringgit (1,66 Milliarden Euro) entsprechen würde. Auf
diese Weise entstünden „ungefähr 40.000 neue Jobs
für die Leute vor Ort“ und Malaysia werde es so auch
gelingen, „bei den Proteinen eine Selbstversorgung
durch Fisch“ zu erreichen, erklärte der stellvertretende Minister im Januar.
Die malaysische Regierung jedoch sieht die Sache
völlig anders. Sarawak, wo Gebril Aton lebt, und das
benachbarte Sabah sowie das Bundesterritorium Labuan bilden zusammen den malaysischen Teil Borneos. Die ländlichen Regionen hier sind die ärmsten
des ganzen Landes. Nach Statistiken der Weltbank
lebten 2009 ein Drittel aller armen Familien Malaysias in Sabah und Labuan, obwohl dort nur 3,6 Prozent aller Haushalte des Landes angesiedelt sind. Unter den Ärmsten sind vor allem indigene Gruppen
wie die Rungu oder die Punan, denen auch Gebril
Atong angehört.
Die Aquakulturen sind auch Teil des neuen nationalen Plans zur Entwicklung der Wirtschaft, des Economic Transformation Programme (ETP). Danach verfügt Malaysia über eine Küste von 4675 Kilometern
Länge, die dafür nutzbar ist. In Sabah hat die Regionalregierung im Rahmen des ETP 7500 Hektar Land an
der Küste für die Produktion von Seetang in speziellen
Zonen für Industrielle Aquakultur (Industrial Aquaculture Zones, IAZ) ausgewiesen, wobei geplant ist,
diese Zonen bis 2015 auf insgesamt 20.500 Hektar
auszudehnen.
Diesen Menschen aus der Armut zu helfen, ist das
erklärte Ziel beider Regionalregierungen und der
malaysischen Bundesregierung. Erreicht werden soll
Industrielle Aquakulturen sind mindestens 1000
Hektar groß und umfassen Aufzuchtstationen, Mastbecken, Verarbeitungsanlagen und Fabriken zur Fut-
19
20
schwerpunkt fischerei
terherstellung. Sie sollen in insgesamt zehn Zonen
entstehen, etwa in Sarawak, Kedah, Pahang und Terengganu. In den anderen Bundesstaaten wird der
Schwerpunkt auf „zertifizierten und rückverfolgbaren“ Meeresfrüchten liegen, vor allem Garnelen. In
Sarawak wurden außerdem 40.000 Hektar Land an
aus Kuching, der Hauptstadt des Bundesstaates Sarawak. „Bäume werden gefällt, ein Unternehmen bringt
sie in eine Fabrik in Ostmalaysia oder China. Dort
wird das Holz zu Möbeln verarbeitet, die einen viel
höheren Preis erzielen als ein Baumstamm. Das Gleiche passiert mit dem Fisch.“ Mit den Aquakulturen
könnten nun Garnelen gezüchtet und verarbeitet
werden. „So verdienen wir mehr am Export und können mehr Leute einstellen. Außerdem wird das verstärkt ausländische Investoren anziehen.“
Letzteres hat sich erst kürzlich bewahrheitet: Die
norwegische Firma BioProtein kündigte an, 600 Millionen Ringgit (rund 140 Millionen Euro) in eine Anlage für die Herstellung von proteinreichem Futter
für Aquakulturen in Malaysia zu investieren. Bintulu
in Sarawak wird als ein möglicher Standort gehandelt. Für die Futterherstellung wird Erdgas benötigt,
das vor der Küste Bintulus reichlich vorkommt. Europäische Unternehmen haben schon lange ein Interesse an der malaysischen Aquakultur-Industrie. Deren Betreiber müssen für den Handel mit der Europäischen Union (EU) zertifiziert sein und bei zugelassenen Zuchtbetrieben einkaufen. 2010 gab es im
ganzen Land 18 solcher Betriebe, und der jährliche
Handel mit der EU bezifferte sich laut Ministerium
für Landwirtschaft und Agroindustrie auf rund 600
Millionen Ringgit (etwa 140 Millionen Euro).
Aber nicht alle freuen sich über die weitere Ausdehnung der Aquakulturen. Manch einer bezweifelt, dass
die Industrie in der Lage ist, der Wirtschaft vor Ort
wirklich zu helfen. „Jede wirtschaftliche Entwicklung
hier läuft auf das Gleiche heraus“, sagt Okang Ban, der
aus demselben Langhaus in Punan Bah am Ufer des
Rejang stammt wie Gebril Atong. „Ein großes Unternehmen kommt daher, heuert billige Arbeitskräfte
aus Indonesien an, zäunt das ein, was früher unser
Land war, und exportiert dann alles, was hergestellt
wird, ins Ausland. Für uns gibt es keine Jobs und keine Vorteile, und wenn wir auf dem Grundstück jagen
oder fischen wollen, werden wir wegen widerrechtlichen Betretens des Geländes festgenommen.“
Auf dem Markt von Kuching findet
sich ein großes Angebot an
getrocknetem Fisch. Malaysias
Regierung will die Produktion
erhöhen, um das Land weniger
abhängig von Importen zu machen.
World Illustrated/Photoshot
der Küste für neuartige Aquakulturprojekte bereitgestellt, darunter solche, die auf den Halal-Markt
ausgerichtet sind, das heißt den islamischen Speisevorschriften genügen.
Die Riesenbetriebe werden bevorzugt in den ärmeren
Landesteilen errichtet. Manche Geschäftsleute vor
Ort begrüßen das und sehen große Beschäftigungsund Profitchancen. „Wir haben schon lange das Problem, dass unsere Rohstoffe vor der Verarbeitung weggeschafft werden“, sagt James Beng, ein Unternehmer
Für Natasha Ahmad von ASIA steht ebenfalls fest:
„Das Versprechen von mehr Jobs und höheren Einkommen ist ein Märchen. Studien in Bangladesch,
Indonesien und Thailand belegen eindeutig einen
Rückgang der Wirtschaft vor Ort, nachdem die industriellen Aquakulturen ihren Betrieb aufgenommen
haben.“ Die Fischfarmen beeinträchtigen die lokalen
Wirtschaftskreisläufe und führen zu Umweltschäden und einem Verlust an Artenvielfalt. „Für die Garnelenzucht braucht man Salzwasser“, sagt die Menschenrechtsaktivistin Kabir aus Bangladesch. „Wenn
man das Land mit Salzwasser überschwemmt, verbreitet sich das Salz und tötet Pflanzenarten ab. Es
lässt auch die Bäume absterben, die arme Bauern als
Feuerholz und Baumaterial nutzen.“ Wo es früher
Bauernhöfe, Felder und Bauern gegeben habe, finde
man am Ende nur noch Fabriken, Ödland und Sicherheitspersonal.
8-2011 |
UNSER PROGRAMM FÜR DIE ZUKUNFT:
Wir finanzieren Investitionen privater Unternehmen.
Um nachhaltige Entwicklung zu fördern.
Investitionen der Privatwirtschaft in Entwicklungsländern fördert die DEG seit fast 50 Jahren. Um Entwicklung zu gestalten, braucht es mehr als Kapital: Die DEG berät Unternehmen und setzt sich gezielt
für den Klimaschutz und für Umwelt- und Sozialstandards ein. Besuchen Sie uns: www.deginvest.de.
Oder rufen Sie uns an: 0221 4986-1803.
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Wir unternehmen
Entwicklung.
22
schwerpunkt fischerei
Jonathan Gorvett
ist freier Journalist mit Schwerpunkt
Südasien und Südostasien.
Malaysias Behörden betonen, dass ihre Pläne nachhaltige Aquakulturen zum Ziel hätten, die strengen
Umweltauflagen genügten. Im nationalen Entwicklungsplan wird mehrfach hervorgehoben, dass die
Fisch- und Shrimpsfarmen „vollständig zertifiziert
und rückverfolgbar“ sein müssen, damit die Verbraucher in Europa und andernorts wissen, was bei ihnen
auf den Tisch kommt. Der World Wildlife Fund (WWF)
entwickelt seit einiger Zeit ein Gütesiegel für Produkte aus nachhaltiger Aquakultur, das Aquaculture
Stewardship Council (ASC). Es soll das Marine Stewardship Council (MSC) ergänzen, das für nachhaltige Meeresfischerei vergeben wird. Fischzüchter, Umweltschützer, Vertreter von Regierungen und anderen Interessensgruppen legen dabei gemeinsam
Umwelt- und Sozialstandards für neun typische
Zuchtfische wie Lachs, Pangasius und Shrimps fest.
Im malaysischen Teil Borneos sind die traditionellen
Aquakulturen unterdessen genauso bedroht wie die
Lebensformen, die davon abhängen. „Natürlich kann
man über die Umweltstandards der einen oder anderen Fischfarm streiten“, sagt Okang Ban. „Aber für
viele unserer Leute ist es jetzt einfach so, dass die Industrialisierung sie aus ihren Langhäusern und Dorfgemeinschaften vertreibt und sie jede Art von Landwirtschaft aufgeben müssen.“
Das Siegel stößt aber auch auf Kritik. Die Standards
des WWF seien erneut ein unrealistischer Versuch,
die Profite einer zerstörerischen Industrie zu rechtfertigen und auszudehnen mit der Folge, dass weitere Mangrovenwälder verloren gehen und Dorfgemeinschaften vor Ort verdrängt werden, sagt Alfredo
Quarto vom Mangrove Action Project (MAP). Andere
sehen Probleme bei der Rückverfolgbarkeit. „Es ist
sehr schwierig, eine einzelne Garnele zurückzuverfolgen“, erläutert Kushi Kabir. „Auf der Dorfebene ist
die Zertifizierung in Wirklichkeit nicht mehr als ein
Blatt Papier.“
„Ich habe Angst“, sagt Gebril Atong auf dem Weg zurück zum Boot. „Vielleicht sind wir die letzte Generation, die hier lebt.“ Möglicherweise ist die traditionelle Aquakultur schon nicht mehr zu retten, während
noch darüber gestritten wird, was die geplanten
Großbetriebe aus Gegenden wie Sarawak und Sabah
machen werden. Für Amit Kumar Raj ist die Botschaft
an die Verbraucher dennoch klar: „Hört auf, importierte Garnelen aus tropischen Aquakulturen zu essen.“ Unternehmer James Beng sieht das ganz anders:
„Aquakulturen sind eine großartige Investition.“
Ban deutet auf den Fluss, der von Punan Bah aus flussaufwärts so flach ist, dass nur kleinste Boote darauf
fahren können. Das ist so, seit weiter oben der riesige
Bakun-Staudamm fertiggestellt wurde. „Am Anfang
war das toll“, erinnert sich Ban. „Das Wasser fiel so
stark ab, dass man die Fische mit den Händen fangen
konnte. Doch dann gab es gar keine Fische mehr.“
Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.
buch zum thema
Elizabeth R. DeSombre
und J. Samuel Barkin
Fish, Polity Press, Cambridge 2011,
192 Seiten, 15,60 Euro
proteinreichen Nahrungsmittel.
Denn für Millionen Menschen, vor
allem in Asien und Afrika, liefert
Fisch das tierische Eiweiß als
wichtigen Grundbestandteil ihrer
Ernährung. Die Überfischung der
Meere zerstört deren ökologisches
Gleichgewicht und die biologische
Vielfalt ihrer Bewohner. Internationale und nationale Bemühungen, die Fischerei zu regulieren,
hatten bislang wenig Erfolg. Kurz:
„Wir sind weit davon entfernt, die
weltweiten Fischgründe nachhaltig zu bewirtschaften“, stellen
Elizabeth DeSombre und Samuel
Barkin in ihrem Buch fest.
Um die weltweiten Fischbestände
ist es schlecht bestellt: zu viele
Fangflotten machen Jagd auf immer weiter schrumpfende Bestände. Zugleich wächst die Bevölkerung und damit ihr Appetit auf
Thunfisch, Lachs und Heilbutt –
oder einfach ihr Bedarf an dem
Das ist zunächst einmal nicht
neu. Trotzdem ist das verständlich geschriebene, übersichtlich
gegliederte Buch lesenswert.
Denn die beiden Fachleute geben
nicht nur einen detaillierten
Überblick über die gegenwärtige
Krise, sondern erläutern auch, wie
es dazu gekommen ist, und stel-
len Rettungsansätze vor, die zumindest teilweise erfolgreich
sind. Selbstverständlich sind
Meeresschutzgebiete wichtig, damit sich Fischbestände erholen
können – bislang machen die
rund 5000 bestehenden Schutzzonen allerdings weniger als ein
Prozent der Meeresoberfläche
aus. Noch besser geeignet erscheint DeSombre und Barkin die
Vergabe
von
individuellen
Fangquoten an einzelne Fischer
oder Fischereiunternehmen, die
gehandelt werden können. Damit
wird die Zahl der Fische begrenzt,
die pro Saison gefangen werden
dürfen. Bislang haben lediglich
einzelne Länder wie die USA und
Kanada solche Mechanismen eingeführt, aber durchaus mit Erfolg.
Fischzucht in Aquakulturen wird
schließlich als dritte Möglichkeit
diskutiert, den Fischfang auf
den Weltmeeren auf ein vernünfti­
ges Maß zu reduzieren. Sie habe
unter bestimmten Voraussetzungen eine entlastende Funktion,
dürfe aber nicht als „Allheilmittel“ betrachtet werden, meinen
DeSombre und Barkin. Denn mit
einer stetig steigenden Produktion werde die Illusion aufrecht erhalten, Fisch stünde unbegrenzt
zur Verfügung. An dieser Stelle
kommt der Verbraucher ins Spiel:
Er sollte seltener Fisch essen, aber
dafür darauf achten, dass dieser
unter Umständen gefangen oder
gezüchtet wurde, die Kriterien der
Nachhaltigkeit genügen. Mit Vorschlägen, wie die Staaten der
Überfischung künftig begegnen
sollten, sind die Autoren eher
sparsam – was angesichts der
komplexen Zusammenhänge und
widerstreitenden Interessen nicht
verwundert. Ihr Buch liefert dennoch einen kenntnisreichen Überblick für alle, die sich für die Zukunft der Fischerei und der Meere
interessieren. Gesine Kauffmann
8-2011 |
fischerei schwerpunkt
Gift, Müll und das Meer
Die Ausbeutung und Verschmutzung der Ozeane
hat schlimmere Folgen,
als bislang angenommen
Seit Jahrzehnten verschmutzen und überfischen wir unsere Ozeane. Im Atlantik und Pazifik
treiben inzwischen gigantische Inseln aus Plastikmüll. Erdöl tritt aus Förderplattformen aus,
Chemikalien aus Industrieabwässern und Düngemittel aus der Landwirtschaft werden in die
Ozeane gespült, der Fischfang hat ein Rekordhoch erreicht. So gerät das Ökosystem Meer aus
den Fugen und das Artensterben beschleunigt sich.
Von Iris Menn
Freiwillige versuchen, die Bucht
vor der philippinischen Hauptstadt
Manila von Abfall und Unrat
zu befreien.
Cheryl Ravelo/Reuters
| 8-2011
Wer liebt nicht die Weite bis zum Horizont, wo Himmel und Wasser verschmelzen? Das unendliche
Blau, Türkis oder Grün – mal wellig, mal spiegelglatt? Doch die Meere sind nicht nur ein ästhetisches
Erlebnis. Sie beherbergen 90 Prozent der Biomasse
der Erde, eine riesige Artenvielfalt und versorgen
über eine Milliarde Menschen mit lebenswichtigem
Eiweiß. Sie binden Kohlendioxid aus der Luft – dienen also als Kohlenstoffsenke –, produzieren Sauerstoff und spielen eine entscheidende Rolle im Kohlenstoff- und Wasserkreislauf der Erde. Die Meere
bedecken 70 Prozent der Erdoberfläche und prägen
unser Klimasystem. Wir brauchen gesunde Ozeane
im Gleichgewicht, ohne sie können wir nicht existieren. Doch wir behandeln sie nicht mit dem nötigen Respekt.
Rund 145 Millionen Tonnen Fisch wurden weltweit
2009 aus den Meeren geholt – 118 Millionen davon
für den menschlichen Verzehr, der Rest wurde zu
Fischmehl verarbeitet. Nach aktuellen Berichten der
Welternährungsorganisation (FAO) ist die Überfischung 2010 auf ein Rekordhoch geklettert: 53 Prozent der Speisefischbestände werden bis an die Grenze genutzt, noch höhere Fangmengen würden die
Bestände gefährden. 32 Prozent sind überfischt oder
23
24
schwerpunkt fischerei
sein kann, hat zuletzt im April 2010 der Unfall auf
der Ölplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von
Mexiko gezeigt. Innerhalb von 87 Tagen liefen geschätzte 780 Millionen Liter Öl aus. Unzählige Fische,
Schildkröten, Robben, Wale, Muscheln, Krebse, Seevögel und andere Meerestiere kostete dies das Leben.
Auch wir Menschen sind gefährdet, denn das Öl reichert sich in der Nahrungskette an und landet am
Ende auf unseren Tellern.
Intaktes Ökosystem:
Meeresschildkröte vor einem
Korallenriff im Indischen Ozean.
Jeff Hunter
zusammengebrochen. Bei lediglich drei Prozent der
Bestände könnten mehr Fische gefangen werden,
ohne dass der Bestand gefährdet wäre. In europäischen Gewässern ist die Lage noch dramatischer: 88
Prozent aller Speisefischbestände, etwa Kabeljau in
der Nordsee, sind überfischt. 30 Prozent sind so stark
ausgebeutet, dass diese Bestände sich vermutlich
nicht mehr regenerieren können.
Obwohl die langfristigen Folgen der Katastrophe im
Golf von Mexiko noch unklar sind, wurde bereits weniger als ein Jahr danach erneut in demselben Gebiet
nach Öl gebohrt. Nicht nur Unfälle tragen im Übrigen zur Ölverschmutzung der Meere bei. Fast noch
schlimmer ist der Ölverlust während des normalen
Betriebs der Plattformen. Weltweit gibt es rund 6000
Ölplattformen, allein 400 davon in der Nordsee. Auch
die Arktis steht im Fokus der Ölindustrie. Unter dem
Eis des arktischen Ozeans, das infolge des Klimawandels immer mehr schwindet, werden große Öl- und
Gasvorkommen vermutet. Noch lässt die Eisdecke
keine Förderung zu, aber die fünf Anrainerstaaten Norwegen, Kanada, USA, Russland, Dänemark (Grönland) – lassen keine Zweifel an ihrem Interesse daran. Dabei ist die Arktis ein ungleich sensiblerer Lebensraum. Aufgrund der Kälte sind Wachstum, Vermehrung und damit auch eine mögliche
Regeneration nach einer Katastrophe deutlich verlangsamt. Und das Risiko für eine solche ist durch
Stürme und treibende Eisberge wesentlich höher.
Neben Öl und Gas werden auch Sand und Kies in den
Meeren abgebaut. Aber vor allem Rohstoffe in der
Tiefsee wie Mangan, Gold, Silber, Platin und andere
Buntmetalle wecken das Interesse von Industrie und
Doch es wird nicht nur zuviel Fisch aus den Meeren
geholt. Auch die Methoden dafür sind zerstörerisch.
Eine der Schlimmsten ist die Grundschleppnetz-Fischerei. Dabei wird ein riesiges Netz über den Meeresboden gezogen, das wie ein Pflug auf dem Acker
den Meeresboden umwälzt. So werden Lebensräume
wie Unterwasserseeberge oder Korallenriffe völlig
zerstört – auch solche, die man noch gar nicht kennt,
denn mittlerweile fischen Grundschleppnetze in einer Tiefe von 1500 Metern. Diese Form der Fischerei
richtet nicht nur enormen Schaden an, sie erzeugt
auch viel Beifang: Alles, was sich dem Netz in den
Weg stellt, landet darin. So kann ein Fang auf Scholle,
Seezunge oder Krabben in der Nordsee bis zu 80 Prozent Beifang haben. Dies sind andere Tiere wie Seesterne, Krabben oder Jungfische, die meist tot wieder
über Bord gekippt werden. Weltweit werden so jedes
Jahr bis zu 30 Millionen Tonnen Lebewesen unnötig
getötet.
Neben den Fischbeständen bergen die Meere noch
weitere Schätze: Öl, Gas, Mineralien, Sand und Kies
rufen in einigen Meeresregionen eine Goldgräberstimmung hervor. Wie gefährlich ihre Ausbeutung
8-2011 |
fischerei schwerpunkt
Staaten. All diese Abbauprozesse schädigen die Ökosysteme sehr stark. Beim Abbau von Sand und Kies
tragen Saugbaggerschiffe den Boden oft metertief ab
und „entnehmen“ dadurch Sandbänke und Kiesflächen mit allen dort vorkommenden Lebewesen. Dabei sind Sandbänke auf der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen in der Nordsee als gefährdet oder
stark gefährdet eingestuft. Die früheren Bewohner
können nach dem Abbau die betroffenen Flächen
meist nicht mehr besiedeln.
Neben dem direkten Eingriff durch das Baggern treten häufig zusätzliche Schäden auf, die wesentlich
weiträumiger sind: Die aufgewirbelten feinen Sedimente verteilen sich großräumig mit der Strömung.
Die Folgen sind eine Trübung des Wassers, überlagerte und erstickte Riffe und eine Erhöhung des Anteils
an Feinsedimenten in der Umgebung. Das schädigt
vor allem Tiere, die zum Leben auf gröbere Sedimente
angewiesen sind, wie Sandaale in der Nordsee.
Sand- und Kiesabbau eine Trübungswolke, die am
Boden lebende Organismen wie zum Beispiel
Schwämme zudeckt.
Auch unser Handeln an Land bleibt nicht ohne Folgen für die Ozeane. Denn die Flüsse münden in die
Meere und tragen alles in sie hinein, was sie auf ihrem langen Weg durch das Land angesammelt haben: Müll, Chemikalien, Giftsstoffe und Düngemittel. In einigen Meeresregionen konzentriert sich der
Müll aufgrund der Meeresströmungen – zum Beispiel im Nordost-Pazifik, etwa tausend Kilometer
nördlich von Hawaii. Dort schwimmt ein Strudel
aus Plastikteilen mit einer Ausdehnung, die der Gesamtfläche von Deutschland, Frankreich, Spanien,
Polen, Belgien, Luxemburg und den Niederlande
entspricht. Gerade Plastikmüll stellt für viele Meerestiere eine elementare Bedrohung dar. Meeressäuger verstricken sich in abgerissenen Fischernetzen
oder Seevögel ersticken in den Plastikringen, mit de-
Die Explosion der Bohrplattform
„Deepwater Horizon“ im April 2010
und das ausgetretene Öl haben
unzählige Tiere getötet. Diese
Pelikane sind davongekommen.
Nachdem ihr Gefieder
gereinigt wurde, werden sie
wieder freigelassen.
Bloomberg via Getty Images;
Getty Images
Die Ausbeutung der Meeresschätze in der Tiefsee
steckt im Vergleich dazu noch in den Anfängen und
es sind noch viele technische Probleme zu lösen.
Aber auch hier deutet sich bereits an, dass die Umweltfolgen vernachlässigt werden. Der Abbau führt
zur lokalen Zerstörung der Lebensgemeinschaften
und des Lebensraums. Zudem entsteht wie beim
| 8-2011
nen Getränkedosen zu Sechserpacks zusammengehalten werden.
Mit den Jahren zerfällt der Plastikmüll in immer kleinere Bestandteile, schwimmt aber bis zu 16 Jahre im
Strudel des Pazifiks. Die kleinen Teile sind besonders
gefährlich für Fische und Wasservögel, die sie mit
25
26
schwerpunkt fischerei
Essbarem verwechseln. Da die Plastikteile ihre Mägen verstopfen und keinen Platz mehr für Flüssigkeit
und echte Nahrung lassen, verhungern und verdursten die Tiere.
Neben Müll landen auch Chemikalien und Giftstoffe
in den Meeren. Tanker und Handelsschiffe reinigen
noch immer auf dem offenen Meer ihre Tanks – so
landet Öl und Treibstoff im Meer. Die Schwermetalle
im Meer – zum Beispiel Quecksilber, Nickel und Blei
– stammen hauptsächlich aus Industrieabwässern.
Diese Metalle sind so gefährlich, weil sie sich – einmal über die Nahrung aufgenommen – im Körper
anreichern. Dort können sie die Funktion wichtiger
Enzyme stören, krebserregend wirken oder Gewebe
Die Hälfte der Speisefischbestände wird bis an die
Grenze genutzt, und ein Drittel ist überfischt oder
bereits zusammengebrochen.
schädigen. Erfreulicherweise hat sich diese Belastung durch den Einsatz neuer Filter und Abwassertechniken in den vergangenen Jahren erheblich reduziert. Heute sind die Altlasten von Schwermetallen das größte Problem. Gerade in den Sedimenten
der Mündungsbereiche großer Flüsse finden sich
hochkonzentrierte giftige Schwermetall-Cocktails.
Die Flussmündungen werden regelmäßig ausgebaggert, um für die Schifffahrt die Wassertiefe künstlich
zu vergrößern. Das Baggergut müsste eigentlich als
Sondermüll entsorgt werden. Dennoch wird es häufig im Meer verklappt, wobei ein Teil der Schwermetalle erneut mobilisiert wird und in die Nahrungskette gelangt.
Nicht zuletzt beeinträchtigt die Landwirtschaft das
Meer. Dabei ist die Überdüngung (Eutrophierung)
das Hauptproblem. Nach dem massenhaften Einsatz
von Kunst- und Naturdünger gelangen die darin enthaltenen Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor
über die Flüsse ins Meer. Auch dort fördern sie –
ebenso wie an Land – das Pflanzenwachstum: Viele
Algen vermehren sich explosionsartig, überwuchern
andere Wasserpflanzen und sinken am Ende abgestorben auf den Grund, wo sie von Mikroorganismen
abgebaut werden. Dieser Prozess verzehrt viel Sauerstoff. Zurück bleiben große, dunkle, übel riechende
Meeresflächen ohne Leben, so genannte anoxische
(sauerstofffreie) Zonen.
Iris Menn
ist promovierte Meeresbiologin und
arbeitet bei Greenpeace in Hamburg.
Die Meere werden auch durch die Auswirkungen des
Klimawandel besonders belastet. Schon eine geringfügige Veränderung der Wassertemperatur kann direkte Auswirkungen auf Meerestiere haben, denn
viele fühlen sich nur innerhalb einer kleinen Temperatur-Spannbreite wohl. Wird das Wasser wärmer,
wandern Kälte liebende Arten weiter in den Norden
und Wärme liebende Arten aus dem Süden rücken
nach. In der Nordsee wurden bereits die ersten Sardi-
nen gesichtet, während der Kabeljau in den kälteren
Norden abwan rekt. So fallen in der Nordsee wegen
der veränderten Temperaturen die Eiablage des Kabeljau und das Planktonwachstum zeitlich nicht
mehr zusammen. Dadurch entsteht eine Lücke in der
Nahrungskette und den Jungfischen fehlt das Futter.
Räuber und Beute harmonieren nicht mehr, eine Veränderung von Nahrungsnetzen und Artenzusammensetzungen folgt – das Gleichgewicht ist stark
gestört.
Wegen der erhöhten Konzentrationen von Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre wird auch mehr Kohlendioxid im Meer aufgenommen. Das salzige Meerwasser wird saurer und das macht besonders Kalk
bildenden Organismen das Leben schwer. Betroffen
sind zum Beispiel Kieselalgen – winzige Algen, die
am Beginn der Nahrungskette im Meer stehen und
damit die Ernährungsgrundlage für alle Meeresorganismen darstellen – sowie Muscheln, Schnecken und
Korallen. Die Folge: Auch hier werden Nahrungsketten umstrukturiert und das sensible Gleichgewicht
im Ökosystem Meer gerät aus den Fugen.
Seit Jahrzehnten werden die Meere überfischt, verschmutzt und vermüllt. Längst sind sie nicht mehr
unberührt und in den seltensten Fällen wirklich gesund. Mit ihrer geringen Widerstandsfähigkeit können die Meere den Auswirkungen des Klimawandels
nicht trotzen. Doch diese werden dramatischer ausfallen als bisher erwartet: Eine vollständige Veränderung der Ökosysteme und ein nicht vorhersagbarer
Artenverlust stehen bevor.
Zahlreiche staatliche Beschlüsse und internationale
Vereinbarungen – zum Beispiel die Konvention zur
Biologischen Vielfalt (CBD), das Seerechstübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS), regionale Meeresschutzkonventionen und die Gemeinsame Fischereipolitik der Europäischen Union – sollen
die Artenvielfalt im Meer erhalten, Schutzgebiete
einrichten oder eine nachhaltige Fischerei gewährleisten. In den meisten Fällen sind jedoch die vereinbarten Fristen verpasst und die Ziele nicht erreicht
worden.
Eine intakte Meeresumwelt ist jedoch für den Menschen unentbehrlich – für die wirtschaftliche Entwicklung, für soziales Wohlergehen, für die Lebensqualität und die Ernährung. Um die Widerstandsfähigkeit der Meere zu stärken, sind Schutzgebiete –
also Gebiete, in denen weder Fische gefangen noch
Rohstoffe gefördert werden – ein wichtiges Werkzeug. Arten und Lebensräume werden geschützt und
das gesamte Ökosystem kann sich erholen, Fischbestände eingeschlossen. Greenpeace fordert ein Netzwerk von großflächigen Schutzgebieten, das 40 Prozent der Meere abdeckt. Daneben ist eine ökologisch
nachhaltige und sozial verträgliche Nutzung der
Meere notwendig, denn nur so können wir die langfristige Nutzung ihrer Ressourcen auch für die folgenden Generationen gewährleisten.
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fischerei schwerpunkt
Trawler, die im Trüben fischen
Arme Länder können
ihre Fischgründe nur
schwer vor illegaler Ausplünderung schützen
Fast ein Drittel des Fischs, der jedes Jahr aus dem Meer geholt wird, wird außerhalb der Regeln
gefangen – und das nicht nur auf hoher See. Ein Brennpunkt illegaler Ausbeutung sind fischreiche Küstengewässer vor Entwicklungsländern, die ihr Meeresgebiet nicht wirksam kontrollieren können. Der Schaden für die Fischbestände, die Wirtschaft und die Bevölkerung der betroffenen Länder ist immens.
Von Yann Yvergniaux
Ein Hochseetrawler auf der Jagd
nach Sardinen vor der Küste
Westafrikas. Die Region ist ein
Brennpunkt der illegalen Fischerei.
Christian Aslund/Greenpeace
| 8-2011
Schätzungsweise dreißig Prozent des Fischs wird
weltweit illegal gefangen, nicht gemeldet oder
stammt aus Fischfang, der keiner Regulierung unterliegt. Der Sektor wird als IUU-Fischerei (illegal, unreported, unregulated) bezeichnet. Darunter fallen
Fangmethoden, die geltendes Fischereirecht verletzen wie der Einsatz von Netzen mit zu engen Maschen oder Fischen in einem Gebiet, in dem das verboten ist. Man zählt ferner dazu, wenn legal gefange-
ner Fisch falsch oder gar nicht deklariert, ohne Lizenz
gefischt oder küstenferne Meeresgebiete ausgebeutet werden, die von keiner Regionalen Fischmanagement-Organisation (RFMO) erfasst sind.
IUU-Fischerei gibt es in unterschiedlichem Ausmaß
in sämtlichen Fischgründen. Sie verursacht Kosten
von schätzungsweise 10 bis 23 Milliarden US-Dollar
pro Jahr, vor allem aber große ökologische und soziale
27
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schwerpunkt fischerei
Schäden. Die Konsequenzen sind umso katastrophaler, als sich der illegale Fischfang – wie auch der legale – internationalisiert hat: Industrielle Fangflotten
unter den Flaggen von China, Japan, Korea, Russland
und der Europäischen Union – erweitern ihre Reichweite auf Kosten der Länder des Südens, vor deren
Küsten die reichsten Fanggründe der Erde liegen.
Dort nimmt die IUU-Fischerei, an der Reeder, kommerzielle Händler und Mitarbeiter von Behörden beteiligt sind, eine transnationale Dimension an, wenn
Korruption und Mangel an Transparenz das ermöglichen. Alle großen Fischereinationen, die fern der eigenen Gewässer operieren, haben in unterschiedlichem Ausmaß IUU-Fischer in ihren Flotten.
IUU-Fischerei entsteht, wo staatliche Verwaltungen
besonders schwach sind – mit bestimmten Brennpunkten, darunter Westafrika. Viele Staaten sind
nicht in der Lage, die Fischerei in ihren Ausschließlichen Wirtschaftszonen zu kontrollieren und zu überwachen, und werden Opfer einer wahren Plünderung ihrer Ressourcen. Auch in internationalen Gewässern wird illegal gefischt – Regionale Fischmanagement-Organisationen (RFMO) haben große
Mühe, das zu bekämpfen.
Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen der IUU-Fischerei sind aus zwei Gründen
schwierig in Zahlen zu fassen. Zum einen sind die direkten Auswirkungen auf die Bestände wenig bekannt, weil die IUU-Fischerei sich im Verborgenen
abspielt und die Behörden und Wissenschaftler mancher Länder gar keine zuverlässigen Zahlen über den
Fischbestand und das Ausmaß seiner Ausbeutung
besitzen. Zum anderen hat die IUU-Fischerei indirekte Wirkungen, die ihre Folgen vervielfältigen können
– sowohl mit Blick auf langfristige Schäden an den
Ökosystemen als auch sozial für die gesamte Fische-
rei-Produktionskette und für die Küstengemeinden,
die davon abhängig sind.
Die Folgen hängen stark von der Art der IUU-Fischerei
und vom Umfeld ab. Gleichwohl kann man generell
festhalten: Die IUU-Fischerei trägt zur Überfischung
Wer kontrolliert die Fischerei?
Die Fischerei unterliegt Regeln, die auf dem Seerecht beruhen. Welche Rechte Staaten an verschiedenen Teilen der Ozeane haben, legt
die UN-Seerechtskonvention, die 1994 in Kraft getreten ist, grundsätzlich fest. Danach gehört ein 12 Seemeilen breiter Streifen direkt
vor der Küste zum Hoheitsgebiet angrenzender Staaten. Darüber hinaus können sie eine Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) für
sich beanspruchen, die bis 200 Seemeilen (rund 370 Kilometer) von
der Küste ins Meer reicht. Hier können sie – anders als in der 12-Meilen-Zone – nicht die Schifffahrt und die Überflugrechte beschränken. Sie haben aber die alleinige Kontrolle über die Ausbeutung der
Naturressourcen, darunter der Fischbestände. Jenseits der AWZ beginnt die Hohe See, dort haben alle Staaten das Recht zu Schifffahrt
und Fischfang. Die Seerechtskonvention verpflichtet die Staaten
grundsätzlich, nachhaltige Fischerei zu fördern und für den Erhalt
der Naturschätze zu kooperieren.
An der Fischerei auf der Hohen See beteiligen sich Entwicklungsländer
(außer Schwellenländer wie China und Brasilien) praktisch nicht. Für
sie sind die Fischbestände ihrer AWZ entscheidend. Die können sie sou-
verän schützen – etwa mit Fangquoten –, sofern sie die Mittel haben,
das durchzusetzen. Indirekt leiden aber auch arme Entwicklungsländer
unter der Überfischung auf der Hohen See oder in fremden AWZ. Denn
viele Fischarten bewegen sich zwischen den Küstenzonen und dem offenen Meer oder wandern weite Strecken durch die Ozeane.
Verfahren für den Schutz solcher Fischarten auf Hoher See sieht eine
2001 in Kraft getretene UN-Konvention zur Durchführung des Seerechts vor. Auf dieser Grundlage wurden Regionale Fischmanagement-Organisationen (RFMO) gegründet, zum Beispiel eine für den
Indischen Ozean, je eine für vier Teile des Atlantik sowie mehrere für
den Schutz spezieller Fischarten (vor allem Thunfisch) in bestimmten
Meeren. Die Staaten, die ihnen angehören, legen gemeinsam Verhaltenskodizes für den Fischfang fest – besonders für Thunfisch auch
Fangquoten, was bei wandernden Arten schwierig ist. Sie dürfen
Schiffe auf Hoher See inspizieren, dies geschieht aber selten. Auch
Schiffe aus Staaten, die nicht Mitglied einer RFMO sind, dürfen in deren Gebiet fischen – und die Regeln sind ihnen gegenüber kaum
durchzusetzen.
(bl)
8-2011 |
fischerei schwerpunkt
der Schwäche ihrer Verwaltungen diese Vorgaben
nicht erfüllen. Die Bedeutung dieses Problems wird
deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass 2008
die Hälfte aller Fischerei-Exporte weltweit aus Entwicklungsländern (inklusive China) stammten und
drei Viertel dieser Exporte für Industrieländer bestimmt waren.
Nehmen wir das Beispiel der seit Januar 2010 gültigen EU-Vorschriften. Die Fischereiminister der EUStaaten wollten damit den Vorgaben des FAO-Aktionsplans gegen IUU-Fischerei von 2001 nachkommen und rechtlich bindende Maßnahmen für den
Import von Fisch schaffen. Sie sollten es erlauben, die
Herkunft von Meeresprodukten dadurch festzustellen, dass jede Lieferung für den europäischen Markt
ein Fangzertifikat erhielt. Doch die Gefahr bestand,
damit eine Barriere für den Handel mit legal gefangenem Fisch aus Entwicklungsländern zu errichten, insbesondere für den mit Produkten von Kleinfischern.
Deshalb sieht die endgültige Fassung des EU-Regelwerks ein vereinfachtes Zertifikat vor.
Große Mengen Thunfisch werden
in dieser Fabrik im thailändischen
Mahachai verarbeitet. Ob der Fisch
legal gefangen wurde, lässt sich in
vielen Fällen nicht nachverfolgen.
Bloomberg via Getty images
kommerziell nutzbarer Bestände bei, erzeugt eine große Menge Beifang unter Arten, die nicht das Ziel der
Fischer sind, und beschädigt mit zerstörerischen Fanggeräten den Meeresboden. Sie bringt Ökosysteme aus
dem Gleichgewicht und verringert ihre Produktivität.
Die Folge ist, dass weniger Fisch legal gefangen werden kann – mit schweren Folgen für Beschäftigung
und Einkommen in diesem Wirtschaftssektor.
Auf der Ebene der Volkswirtschaft trägt der Fischereisektor weniger zum Bruttoinlandsprodukt bei und
die Steuereinnahmen sinken. In vielen Entwicklungsländern bedroht die IUU-Fischerei zudem die Existenzgrundlagen der Küstenbewohner und die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung, die in vielen
Fällen auf tierische Proteine aus dem Meer angewiesen ist. Dazu kommt, dass Besatzungen der IUU-Schiffe oft in den Häfen von Entwicklungsländern angeworben werden. Sie arbeiten ohne die geringste soziale Absicherung und unter jämmerlichen Arbeitsund Hygieneumständen.
Seit neuestem belastet die IUU-Fischerei die Wirtschaft in den Entwicklungsländern sogar doppelt.
Denn die zahlreichen Handelsregeln und Vorgaben,
die verhindern sollen, dass illegal gefangene Fische
auf die internationalen Märkte gelangen – wie der
Aktionsplan der FAO oder die Regeln der Europäischen Union –, können zu Barrieren für die Exporte
armer Staaten werden. Die meisten können wegen
| 8-2011
Dennoch müssen angesichts der zahlreichen Fischer,
die kleine Mengen anlanden, und den Verflechtungen zwischen den Wegen für die Sammlung und Lagerung beträchtliche Kosten und Mühen aufgewendet werden, um die Zertifikate zu erhalten und zu
prüfen. Seit das Regelwerk 2007 erstmals vorgeschlagen wurde hat die Europäische Kommission betont,
man müsse den Entwicklungsländern beim Kampf
gegen IUU-Fischerei helfen. Dennoch hat sie keinerlei
begleitende Maßnahmen vorgeschlagen, die ihnen
helfen würden, die neuen Vorgaben zu erfüllen.
Mehrere westafrikanische Staaten stehen vor diesen
Problemen. Im Senegal beispielsweise mussten die
Kleinfischer bei der Umsetzung der EU-Vorgaben eine
Reihe von Hindernissen überwinden. Zunächst musste die Branche selbst ab 2009 einen Dialog mit den
zuständigen Behörden auf den Weg bringen, um die
Regeln der EU und ihre Folgen zu verstehen. Dann
musste bestimmt werden, welche Behörde für die
Vergabe und Kontrolle der Fangzertifikate verantwortlich ist. Das war schwierig, weil die lokale Fischerei-Verwaltung wenig mit dem Exportsektor zu tun
hat. Deshalb mussten zwischen dieser dezentralisierten Verwaltung und den für den Export zuständigen
Hafen- und Flughafenbehörden neue Formen der Zusammenarbeit gefunden werden, um eine zuverlässige, durchgängige Kontrolle zu gewährleisten. Gemeinsam wurde ein Verwaltungsverfahren eingeführt mit dem Ziel, Fangzertifikate so zu vergeben,
wie es die EU verlangt. Dabei profitierten die senegalesischen Fischereibehörden davon, dass im Fischereisektor bereits ein System zur Registrierung von
Pirogen sowie ein System zur Zertifizierung des Erstverkaufs von Fisch existierten.
Die verbesserte Datenerhebung und das System der
Zertifizierung und Rückverfolgung haben beträchtliche Ausgaben verursacht, für die kein Budget vor-
29
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schwerpunkt fischerei
„Vor Mauretanien gibt es kaum mehr Fische“
Sie leben seit mehr als zwanzig
Jahren von der Fischerei. Nun sind
Europas Fischereiflotten zunehmend auch vor den Küsten Ihres
Landes unterwegs. Was bedeutet
das für Sie und Ihre Kollegen?
Wir wissen nicht, wie wir künftig unsere Familien ernähren
sollen. Riesige Fangschiffe der
Europäischen Union ziehen direkt vor unserer Küste täglich bis
zu 300 Tonnen Fisch aus dem
Wasser. In Mauretanien fangen
wir traditionell Fisch mit Hilfe
von Delphinen. Wir rufen sie
und sie treiben uns die Fische zu.
Wir warten dann am Strand mit
den Netzen. Boote brauchten wir
keine. Heute funktioniert diese
Technik nicht mehr.
von 7 bis 15 Uhr. Heute sind wir
manchmal 14 Tagen draußen.
Wir fahren in Gruppen von mindestens zehn Pirogen. Eine fährt
dann jeden Tag mit dem Fang an
die Küste und bringt neuen Treibstoff, damit wir draußen bleiben
können.
Hat mit der europäischen Fischerei auch die Verschmutzung zugenommen?
Wie stellen Sie sich darauf ein?
Wir müssen mit unseren kleinen
Fischerbooten fast zwei Wochen
auf dem offenen Meer unterwegs sein. Oft bringen wir weniger als 60 Kilo Ausbeute mit.
Jetzt müssen wir Fische aus tieferen Schichten suchen. Deswegen fahren wir mit den Pirogen
mit Außenbordmotor hinaus.
Das sind jetzt andere Fische als
früher: Seehechte, Goldbrassen.
Reicht das zum Leben?
Kaum. Die Nahrungssicherheit
von Fischern in ganz Westafrika
ist gefährdet. Wir leben mit dem
und vom Meer und haben keine
Alternativen. Früher sind wir
acht Stunden hinausgefahren,
Die elf Millionen wurden nicht
in die traditionelle Fischerei investiert, sondern in die Fischerei
insgesamt. Dazu zählen Projekte,
die auch uns traditionellen Fischern nützen. Es wurden Häfen
ausgebaut, Kühlhäuser errichtet,
Straßen verbessert.
Wie viele Familien leben in Mauretanien von der traditionellen
Fischerei?
Wir haben etwa 6000 Pirogen,
auf denen rund 80.000 Personen
arbeiten. Auf meiner beschäftige
ich sieben Leute.
Und wie groß ist Ihre Familie?
Weil die Delphine nicht mehr
kommen oder weil sie zu wenig
Fisch mitbringen?
Wenn man die Delphine ruft,
kommen sie noch immer. Aber
sie bringen keine Fische mehr.
Das heißt, dass in den seichten
Gewässern kaum mehr Fische zu
finden sind. Wenn es so weitergeht, gibt es in zwei Jahren keinen Fisch mehr vor Mauretanien.
Infrastruktur für Fischer?
Ismael Lebaye ist Fischer und leitet
die lokale Sektion der Nationalen
Fischervereinigung in seinem Heimatort Nouadhibou im Norden von
Mauretanien. Landesweit hat die
Vereinigung 30.000 Mitglieder.
Ja. Die Auswirkungen auf die
Umwelt sind sichtbar. Ich bin
kein Experte für Wasserqualität,
aber am Strand kann man die
Folgen beobachten. Das geht bis
zu Schiffswracks, die da liegen.
Die EU zahlt der Regierung von
Mauretanien viel Geld für diese
Fischereirechte.
Wir wissen von diesen Abkommen. 86 Millionen wurden im
ersten Jahr bezahlt, im zweiten
76 Millionen, dann 73 Millionen
und zuletzt nur 70 Millionen
Euro. Es war geplant, dass 11 Millionen von den anfänglichen 86
Millionen in die traditionelle Fischerei gesteckt werden. Aber
die Regierung hat das Geld in andere Projekte und in die Infrastruktur investiert.
Wir sind sieben: meine Frau,
meine Schwiegermutter, meine
Tochter und drei Enkelkinder.
Meine Arbeit bringt mir zehn
Euro am Tag ein. Damit muss ich
die Familie durchbringen.
Was erwarten Sie von der EU?
Sie soll auf die Fischer hören und
die Zahl der Schiffe, vor allem solcher, die Tiefseefischerei betreiben, reduzieren. Außerdem sollten nachhaltige Fischereimethoden eingesetzt werden, um die
Überfischung der Küstengewässer zu verhindern. Wir fordern
außerdem stärkere Kontrollen in
den Häfen und auf hoher See.
Das Abkommen an sich wird nicht
grundsätzlich in Frage gestellt.
Wir sind dafür, aber es muss
auch für uns etwas übrig bleiben. Unser Überleben und unsere Art zu fischen dürfen nicht
darunter leiden. Mit ihren
Schleppnetzen fischen die europäischen Schiffe jeden Tag so
viel wie hundert afrikanische
Boote in einem Monat.
Wie haben die Vertreter der EU in
Brüssel auf Ihr Anliegen reagiert?
Wir haben Maria Damanaki, die
EU-Kommissarin für Fischerei,
getroffen. Sie hat versprochen,
bei künftigen Fischereiabkommen auf unsere Anliegen Rücksicht zu nehmen. Auf unsere Forderung, die Zahl europäischer
Fischerboote vor Afrikas Küsten
zu reduzieren, ist Damanaki
nicht eingegangen. Deswegen
wollen wir uns auf die Politik allein nicht verlassen. Wir setzen
auch darauf, dass die europäische Bevölkerung Verständnis
zeigen und auf die Politiker Einfluss nehmen wird.
Es heißt, die Piraterie in Ostafrika
habe viel damit zu tun, dass Fischer
nicht mehr überleben können. Gibt
es das in Westafrika auch?
Einige von uns haben Rachegelüste. Es wurden schon Schiffe
von Fischern geentert. Da kam es
zu Konfrontationen mit der
Mannschaft.
Auch bei Ihrer Organisation?
Ja, im vergangenen März wurde
ein portugiesisches Schiff geentert, das Netze unserer Fischer
zerstört hatte. Das Schiff wurde
gezwungen, anzulegen, bis der
Schaden bezahlt wäre.
War das erfolgreich?
Nein, unsere Fischer wurden ins
Gefängnis geworfen, weil sie das
europäische Schiff betreten hatten. Das ist per Gesetz verboten.
Sie wurden erst nach einer Woche wieder freigelassen. In Zukunft werden wir Verluste in
Kauf nehmen. Aber wenn sich so
etwas wiederholt, werden wir
wieder versuchen, Schadenersatz
zu bekommen. Schließlich geht
es um unsere Lebensgrundlage.
Ich fürchte, das nächste Mal
könnte auch Waffengewalt eingesetzt werden. Wir befürworten
das nicht. Aber es ist nicht mehr
als legitime Selbstverteidigung.
Das Gespräch führte Ralf Leonhard.
8-2011 |
fischerei schwerpunkt
Mit Schnellbooten versuchen die
Behörden von Mauretanien, die
illegale Fischerei vor der Küste des
Landes zu stoppen.
picture Alliance/Dpa
handen war. Daher waren die Beiträge des Privatsektors entscheidend. Noch heute ist an einigen Stellen,
vor allem beim Personal und der IT-Ausstattung, der
Bedarf nicht gedeckt. Für die lokale Fischereiverwaltung bedeutet die Kontrolle und Bestätigung der Zertifikate an den verschiedenen Schiffsanlegestellen
zusätzlichen Arbeitsaufwand. Zudem bleibt die Sen-
ist. In vielen Fällen ist es also zu spät, wenn der Fisch
im Hafen gelöscht wird. Selbst wenn der Staat, vor
dessen Küste gefischt wird, und der Staat, unter dessen Fahne die Schiffe laufen, besser kooperieren
würden – in Westafrika ist das bis jetzt nicht in Sicht
–, wäre es schwierig, die Vergehen aufzudecken und
zu ahnden.
Einige neuartige Wege der Überwachung lassen
aber insbesondere in Westafrika auf wirksamere Interventionen auf dem Meer hoffen. Ein Beispiel ist
die „partizipative Überwachung“, die von mehreren
nichtstaatlichen Organisationen angeregt wurde,
darunter der Koalition für gerechte Fischereiabkommen (CAPE). Ein Pilotprojekt in Guinea soll verhindern, dass Trawler illegal in die Zehn-Meilen-Zone
vor der Küste eindringen. Mehrere Kleinfischer wurden darin geschult, mittels GPS-Geräten direkt Kontakt zum Nationalen Überwachungszentrum aufzunehmen, so dass dieses die Trawler in der verbotenen Zone schneller überprüfen kann. Die Lebensbedingungen der Fischer haben sich stark verbessert:
Die illegale Fischerei ging um 60 Prozent zurück. Insbesondere dringen weniger Trawler in die Küstenzone ein; die dadurch verursachten Unfälle hatten
zahlreichen Kleinfischern das Leben gekostet.
sibilisierung der Fischer eine wesentliche Aufgabe,
damit die grundlegenden Daten für die ganze Prozedur verlässlich sind.
Zusätzlich zur Rückverfolgung der Produkte, die in
den Wirtschaftskreislauf kommen, sind stärkere
Kontrolle auf dem Meer nötig. Sie ermöglichen es,
das Problem an der Quelle zu bekämpfen. Leider
sind in den Gebieten, wo die Überwachung des Meeres und des Luftraums sowie die Kommunikation
dafür mangelhaft sind, auch die Kontrollen nur sporadisch und Durchsuchungen selten. Dabei wird gerade auf dem Meer mit verschiedenen illegalen
Praktiken schwarz gefangener Fisch „weiß gewaschen“. An Land bekommt er dann ohne Probleme
ein gültiges Zertifikat für den Export Richtung Europa.
Wie in den Hoheitsgewässern Guineas eine Flotte
von Trawlern aus Korea und China illegal zwischen
Schiffen mit Fangerlaubnis fischte, hat Greenpeace
2006 dokumentiert. Die illegalen Trawler konnten
monatelang auf dem Meer bleiben, vielleicht sogar
Jahre, ohne je in einem Hafen festzumachen: Tanker, die von Reedern bereitgestellt wurden, versorgten sie mit Treibstoff. Und der Fang wurde abgepackt
und tiefgekühlt auf Kühlschiffe umgeladen, die
dann Umschlagplätze anliefen wie Las Palmas auf
Gran Canaria.
Yann Yvergniaux
arbeitet für das Brüsseler Büro der
nichtstaatlichen Organisation International Collective in Support of Fishworkers (ICSF) sowie für die Coalition for
Fair Fisheries Arrangements (CAPE).
| 8-2011
Im Verlauf solcher Operationen werden die Fischkisten mit dem Namen von einem oder mehreren
Schiffen etikettiert, die eine europäische Genehmigung besitzen. Das macht es schwierig, den Betrug
aufzudecken, wenn das Kühlschiff einmal beladen
Im Senegal steht die partizipative Überwachung im
Rahmen des gemeinsamen Fischerei-Managements,
speziell von geschützten Meeresgebieten. Lokale Komitees mit Vertretern aller gesellschaftlichen Gruppen wurden gegründet und Pirogen zur Verfügung
gestellt, die mit der Küstenwache kooperieren. Diese
ist gehalten, auf Anfrage der Kleinfischer tätig zu
werden.
Derzeit kommen Projekte der partizipativen Überwachung nicht recht voran, vor allem weil es an
Ausstattung und Ausbildung fehlt. Doch das ist auch
eine Frage des politischen Willens – bei den Küstenstaaten im Süden ebenso wie bei Geldgebern, etwa
der EU. Eine echte Partnerschaft, die auf gute Regierungsführung im Bereich der Fischerei-Verwaltung
zielt – einschließlich Kontrolle und Überwachung –,
würde es den Staaten im Süden erlauben, volle Souveränität über ihre Gewässer auszuüben und illegale und zerstörerische Praktiken vor ihren Küsten zu
beenden.
Doch das ist nur möglich, wenn ähnliche Projekte
wie die in Guinea und im Senegal auf regionaler
Ebene gefördert werden, wenn die Fischer daran beteiligt, die Küstenbewohner sensibilisiert und besonders die Jugend geschult werden. Außerdem
müssen Fischerei-Nationen, die einer RFMO angehören, auf hoher See die Kontrollen verstärken. Nur
so kann sichergestellt werden, dass Fischbestände,
die zwischen internationalen Gewässern und den
Meereszonen einzelner Staaten hin und her wandern, dauerhaft geschützt und genutzt werden. Denn
der illegale Fischfang kennt keine Grenzen.
Aus dem Französischen von Felix Ehring.
31
32
schwerpunkt fischerei
Nach neuen Regeln plündern
Die Europäische Union
will ihre Fischereipolitik
reformieren
Die EU-Staaten jagen mit immer leistungsfähigeren Schiffen nach immer weniger Fisch. Denn
die Europäische Kommission kann weder angemessen niedrige Fangquoten durchsetzen noch
die Fischerei-Flotte verkleinern. Um rentabel zu bleiben, beuten die Schiffe Fischbestände in eigenen wie in fremden Gewässern übermäßig aus. Die EU-Kommission kennt das Problem, doch
ihr jüngster Vorschlag zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik ist unzureichend.
Von Heimo Claasen
wie ökologischen Desaster der GFP der „Frankenstein-Bericht“. Diese Analyse vom Oktober 2010, die
bis heute nicht von der Kommission zugänglich gemacht wurde, aber im Parlament bekannt ist, bestätigt die Kritik von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, dass die bisherigen Regeln zur Überfischung der Meere beitragen haben – innerhalb wie
außerhalb der Wirtschaftszonen vor den Küsten der
EU-Länder.
Ferner wird darin belegt, in welchem Maße sich die
EU-Fischerei selbst ruiniert. Sie erzielt mit zunehmendem technischen Aufwand aus weit entfernten
Fischgründen immer weniger Ertrag. In der Folge
sinken die Bestände und die erlaubten Fangquoten
(total allowed catches, TAC), die jährlich im EU-Ministerrat oder zum Beispiel für den Nord- und Ostatlantik in regionalen Fischereiabkommen ausgehandelt werden, gehen zurück. Umso größer wird danach der Druck, mehr als erlaubt zu fischen, um die
Boote noch mit Gewinn betreiben zu können – ein
Teufelskreis.
Ein belgisches Fischerboot
in der Nordsee.
Die EU-Fangflotte
fischt aber auch in weit
entfernten Gewässern.
Philip Reynaers/Greenpeace
Die Gemeinsame Fischerei-Politik (GFP) der Europäischen Union hat ökonomisch und ökologisch versagt
– das räumt die EU-Kommission selbst ein und will
ab dem kommenden Jahr neue Regelungen durchsetzen. Fischereikommissarin Maria Damanaki hat
dazu noch für Juli einen Entwurf angekündigt. Doch
der enthält wenig Ansätze, Probleme wie Fangquoten und wirksamere Kontrollen anzupacken, damit
sich die stark dezimierten Fischbestände erholen
können.
Mit der Fischereipolitik sind aufgrund widerstreitender Interessen gravierende Probleme verbunden.
Keineswegs scherzhaft hieß die eigene interne Einschätzung der EU-Kommission zum wirtschaftlichen
Das Kernproblem, dass die Kapazität der EU-Fischereiflotte zu groß ist, haben frühere Reformen nicht in
den Griff bekommen. Im Gegenteil: Die Subventionen für die Modernisierung der Schiffe und die Abwrackprämien haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren auf fast eine Milliarde Euro 2009 verdoppelt. Die Zahl der Boote ist dadurch nur geringfügig
zurückgegangen, aber die Fangkapazität beträchtlich
gestiegen. Zudem liegen die TACs regelmäßig weit
über den von den Wissenschaftlern empfohlenen
Obergrenzen.
Ein Beispiel: 2008 schlugen Meeresforscher für Thunfisch ein Limit von 15 Millionen Tonnen vor, um ein
völliges Einbrechen der Bestände zu vermeiden. Sie
empfahlen sogar nur 10 Millionen Tonnen, damit
sich die Bestände erholen könnten. Der damalige EUFischereikommissar Joe Borg handelte hingegen im
Thunfisch-Ausschuss unter dem internationalen Fischerei-Abkommen, dem alle Thunfisch fangenden
Länder angehören, einen „Kompromiss“ über 25,5
Millionen Tonnen aus. Tatsächlich gefangen wurden
fast 61 Millionen Tonnen, worauf die EU immerhin
8-2011 |
fischerei schwerpunkt
die Thunfischerei ihrer Anrainer im Mittelmeer zeitweilig sperrte.
Der Vorgang wirft auch ein Schlaglicht auf die Qualität der staatlichen Kontrollen in den Fischereihäfen
der EU-Länder. Der „Frankenstein-Bericht“ beklagt
sich bitter über die Unzuverlässigkeit der von den
nationalen Behörden gelieferten Daten zur Menge
der in den Häfen angelandeten Fische, auf deren Basis auch die TACs des folgenden Jahres berechnet
werden. Recherchen von nichtstaatlichen Organisationen wie Greenpeace oder der Pew-Umweltstiftung belegen das Ausmaß der Misere: Etwa ein Drittel der Anlandungen in großen spanischen Häfen
„Ein Desaster für die Entwicklungsländer“
Die Pläne für eine erneuerte „Gemeinsame Fischereipolitik“ der Europäischen Union
(EU) sind bei Entwicklungsexperten auf scharfe Kritik gestoßen. Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) sprach von einem „Desaster für die Entwicklungsländer“. In dem
Gesetzentwurf fehlten Zusagen für mehr Transparenz und die Beteiligung der Zivilgesellschaften Afrikas und Asiens bei Vertragsverhandlungen mit den Europäern, beklagte EED-Fischereiexperte Francisco Mari. Die EU scheitere an ihrem Anspruch, Fischereiverträge unter den „Leitgedanken der Nachhaltigkeit und Entwicklung“ zu stellen.
Fischerei sei jedoch ein zentraler Punkt bei der Verknüpfung von Außenhandel und Entwicklungspolitik, unterstrich Mari. Die Hälfte der EU-Importe stamme aus Gewässern
der Entwicklungsländer. Auf der Jagd nach Edelfischen vernichteten die EU-Fangflotten
dort durch große Beifangmengen die Bestände. Die Fischer an den Küsten verarmten.
Auch der Grünen-Politiker Thilo Hoppe betonte, Kleinfischerverbände aus Entwicklungsländern müssten in die Verhandlungen über EU-Fischereiabkommen einbezogen
werden. Die EU dürfe den Fischfang als Einkommensquelle für Millionen von Küstenbewohnern nicht gefährden, erklärte der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Rund 800 Schiffe sind derzeit unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaates auf den Weltmeeren unterwegs. Die meisten jagen vor der westafrikanischen Küste nach Thunfisch,
Seehecht, Kabeljau oder Tintenfisch. Die Grundlage dafür bieten Fischereipartnerschaftsabkommen (FPA) zwischen der EU und den jeweiligen Ländern. Gegenwärtig
sind 16 solcher Abkommen in zwei Kategorien in Kraft. In die erste fallen elf bilaterale
Thunfischabkommen. Zur zweiten Kategorie gehören Abkommen über mehrere Arten
mit Grönland, Mauretanien, Guinea-Bissau, Guinea-Conakry und Marokko. Die Fangquoten werden von den Regionalen Fischereiorganisationen (RFO) festgelegt. (saw)
wie Vigo wird nicht erfasst. Der spanische Verbraucherverband fand bei einer landesweiten Erhebung
im Einzelhandel fast 40 Prozent falsche oder regelrecht gefälschte Etikettierungen von Fischen und
Fischprodukten.
Heimo Claasen
ist freier Journalist in Brüssel
und ständiger Mitarbeiter von
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Nach einem Abgleich von „sehr widersprüchlichen“
globalen Daten kommt auch der „Frankenstein“-Bericht zu dem Schluss, dass „erhebliche“ Mengen von
illegal gefangenen Fischen auf dem EU-Markt landen.
Die Pew-Stiftung schätzte sie im vergangenen September auf ein Fünftel des gesamten EU-Verbrauchs.
Ganze 24 Fischerei-Inspektoren hat die EU-Kommission in Dienst, die solchen Dingen nachgehen könn-
ten – wenn die EU-Staaten ihr Einverständnis geben,
dass sie auf Schiffen unter ihrer Flagge oder in ihren
Häfen tätig werden. Dies ist schon gar nicht vorgesehen für die EU-Fischflotten, die vor Afrikas Küsten
abräumen. Prinzipiell müssen nur die Länder, unter
deren Flagge die Boote fischen, sowie die Staaten, in
deren Gewässern gefischt wird, für die Einhaltung
der Regeln sorgen – auch dort, wo EU-Fischereiabkommen geschlossen worden sind. Das sind zurzeit
zehn in Afrika und drei im östlichen Pazifik.
Der Entwurf für eine neue GFP-Regelung lässt wenig
Ansätze erkennen, all diese Probleme anzugehen.
Zwar sollen die EU-Staaten verpflichtet werden, der
Kommission statistisch reinen Wein einzuschenken,
was auf ihren Flotten und in ihren Häfen vor sich
geht. Es ist aber keine Rede davon, mehr und wirksamere Kontrollen einzusetzen, obwohl der Filz zwischen lokalen Behörden und Reedern einen erheblichen Teil illegaler Fischanlandungen deckt. Verbindliche Ziele für Fangmengen sind zwar vorgesehen,
doch sie sollen nicht ausschließlich an den wissenschaftlichen Gutachten ausgerichtet werden. Der
Spielraum für widersinnige Beschlüsse von Kommission und Ministerrat wird nicht eingeengt.
Ferner sollen die Fischer verpflichtet werden, allen
Beifang regulär an Land zu bringen, statt ihn wie bisher über Bord zu werfen oder an den Kontrollen vorbeizuschmuggeln. Wenn der Beifang dann auf die
erlaubten Quoten angerechnet wird, bedeutet das
aber eine Quotenminderung. Zugleich bietet die
neue Regelung Anreize für ökologischen Unfug:
Jungfische einer Quoten-Sorte müssen zwar angelandet, dürfen aber nicht für den menschlichen Verzehr verkauft werden. Sie werden für die Herstellung
von Fischmehl oder für Haustier-Futter verwendet –
zusätzlich zu dem Fisch, der ohnehin schon für die
Fischmast aus dem Meer geholt wird, das sind weltweit rund 40 Prozent der Fisch-Biomasse (ohne Garnelen, Muscheln und ähnliches).
Und schließlich soll die Konzession fürs Fischen, die
zusammen mit der Quote bisher jeweils an ein einzelnes Schiff gebunden war, innerhalb der EU frei
handelbar werden. Ähnlich wie beim Handel mit
CO2-Zertifikaten würde damit ein Markt geschaffen,
auf dem sich die finanzstärksten Einkäufer mit den
meisten „Rechten“ für die Ausbeutung der Umwelt
eindecken können. Nach Auffassung der Kommission werden so im Wettbewerb um die Konzessionen
und Quoten die effizientesten Boote besser ausgelastet und somit rentabler. Keine Rede ist aber davon,
was mit den anderen Booten geschieht, die dann ungenutzt im Hafen dümpeln. Die Kommission
schweigt ebenfalls zu der Forderung von Umweltund Entwicklungsorganisationen, verheerende Fischereiwerkzeuge wie Grundschleppnetze mit vorlaufenden Balken und Ketten zu verbieten und hinreichend große fischereifreie Gebiete auch in europäischen Gewässern einzurichten, damit sich die
Fischbestände erholen können. 33
34
schwerpunkt fischerei
Vom Fisch zur Bank
Wie sich Dorfgemeinschaften am Niger durch
die Dürrezeit retten
Der nigrische Fischerverband ADA hat am Niger die Fischzucht wieder angekurbelt. Mit einer
einfachen Idee: In den Wassermulden, die sich in der Regenzeit bilden, werden Jungfische
ausgesetzt. Während das Wasser verdunstet, wachsen sie heran. Das ist der Beginn einer Nahrungs- und Handelskette, die zahlreichen Dörfern entlang des Flusses das Überleben sichert.
zappelnden Tieren und werfen
sie in blaue Plastikeimer.
Text: Kirsten Wörnle, Fotos: Christoph Püschner (Brot für die Welt)
Früher hielten sie es für ihr Schicksal. Wenn die Sonne so stark
brannte, dass die Erde aufriss und
den Äckern nichts mehr abzutrotzen war. Wenn ihre Vorräte zur
Neige gingen und sie hungerten,
obwohl sie nur einen Steinwurf
vom Niger entfernt leben. Gegen
die Hitze kamen sie auch mit
Flusswasser nicht mehr an. Heute
haben die Bewohner von Goungo
bon einen Rettungsanker: Die Fläche mit den vielen Mulden gleich
vor ihrem Dorf. Jedes Jahr in der
Regenzeit füllt sich das Areal mit
Wasser. Es dauert Monate, bis es
komplett verdunstet ist. Zeit ge-
nug, damit aus kleinen Fischen
große werden.
„Der nigrische Fischerverband
ADA hat uns auf die Idee gebracht“, sagt Ortsvorsteher Djibo
Ganda. Er steht am Rande des
Tümpels, in dem sie mehrere Monate lang Karpfen gezüchtet haben. Jetzt ist der Teich fast ausgetrocknet. Das ganze Dorf hat sich
versammelt, um die ausgewachsenen Fische zu fangen. Während
die Männer das restliche Wasser
abpumpen, waten Frauen und
Kinder durch den Matsch. Sie greifen mit den Händen nach den
„Vor vier Monaten haben wir die
Fische ausgesetzt“, erzählt Diama
Hassumi, die das Projekt im Dorf
leitet. Damals, etwa eine Woche
nach der Regenzeit, war sie mit
zwei anderen Frauen zu einer fünf
Kilometer entfernten Zuchtstation
gefahren, um tausend silberglänzende Mini-Karpfen zu kaufen.
Dafür hatten sich zuvor 23 Männer und Frauen aus Goungo bon
zusammengeschlossen und einen
Mikrokredit von 30.000 CFA-Francs
(45 Euro) aufgenommen. In Plastiktüten voll Wasser, mit zusätzlichem Sauerstoff versetzt, hatten
die Frauen die Fische auf einem
Ochsenkarren zurück transportiert. Die Jungfische kamen in den
Dorfteich und wuchsen langsam
heran. Während der Tümpel in der
Hitze auf wenige Quadratmeter
8-2011 |
fischerei schwerpunkt
zusammenschrumpfte, wurden
aus Zwei-Gramm-Setzlingen ansehnliche 200-Gramm-Karpfen.
Jetzt kippen die Dorfbewohner Eimer für Eimer ihres Fangs auf eine
Plane. Diama Hassumi hat eine
Waage in den Baum gehängt, sie
wiegt die Fische portionsweise ab.
Eine Händlerin aus dem benach-
chem Zusammenhalt. „Solange
die Menschen ihr Schicksal nicht
selbst in die Hand nehmen, können Millionen Hilfsgelder fließen,
es wird keine dauerhafte Entwicklung geben“, ist er sich sicher. Ali
war einst Direktor für Fischerei im
nigrischen Umweltministerium,
bevor er beschloss, den Fischerverband zu gründen, um Menschen
riegelte der Staat die Nebenarme
des Nigerstroms ab und legte Reisfelder an. Doch die Rechnung wurde ohne den Fisch gemacht: „Jungtiere wachsen normalerweise in
den bewachsenen Nebenarmen
des Niger auf“, erklärt Idrissa Ali.
Im Gras im Wasser finden kleine
Fische ihr Versteck. Nun war die
Kinderstation plötzlich mit Dämmen vom Hauptstrom abgeschnitten. Der Fischbestand des mächtigen Flusses sei seither von 10.000
Tonnen auf weniger als 2000 Tonnen geschrumpft.
Die Idee, mit der der Verband die
Fischzucht wieder angekurbelt
hat, ist denkbar einfach: Wassermulden nutzen, die sich in der
Regenzeit ohnehin bilden. Auf
seiner zentralen Zuchtstation in
Sona, 80 Kilometer nördlich der
Hauptstadt Niamey, produziert
ADA heute an die drei Millionen
Minikarpfen und -welse pro Jahr.
Es ist der Beginn einer Nahrungsund Handelskette, die zahlreichen Dörfern entlang des gesamten Niger das Überleben sichert.
Das ganze Dorf jagt im Schlamm
nach den Karpfen. Dann werden sie
portionsweise abgewogen.
Rund 200 Gramm bringt ein
ausgewachsener Fisch
auf die Waage.
Kirsten Wörnle
ist freie Journalistin in Berlin und
schreibt unter anderem über Gesundheit und Bildung.
| 8-2011
barten Kokomani ist gekommen,
sie wird ihr eine große Menge abnehmen, um sie zu frittieren und
auf dem Markt zu verkaufen.
Zwanzig Prozent des Fangs behalten die Dorfbewohner selbst, der
Rest geht in den Verkauf. „Vom Erlös finanzieren wir Reis für unsere
Getreidebank“, erläutert Hassumi.
In dem Lagerhaus wird das Korn
für die härteste Zeit des Jahres
aufbewahrt. In der Dürrezeit können sich bedürftige Familien hier
einen halben oder ganzen Sack
Reis leihen, den sie während der
nächsten Erntezeit zurückzahlen.
Der Zins: Eine Tasse Reis pro Sack.
Im Hauptquartier des nigrischen
Fischerverbands ADA (Association
des Aquaculteurs) sieht man solche Beispiele gern. „Vom Fisch zur
Bank“ ist für den Vorsitzenden Idrissa Ali ein gelungenes Beispiel
von Eigeninitiative und dörfli-
entlang des Nigerstroms zu helfen. Mit Unterstützung von Brot
für die Welt, dem Deutschen Entwicklungsdienst und französischen Fischern hat er seine Hilfsorganisation aufgebaut.
„Ich verdanke dem Fisch alles“,
sagt Idrissa Ali. „Meine Schulhefte. Meinen ersten Pullover.“ Als
Kind finanzierte er mit dem Erlös
seiner Fänge die Familie mit. Als
junger Wasserbauingenieur wanderte er den ganzen Niger ab, um
die Nöte der Dorfbewohner entlang des mächtigen Stroms zu
verstehen. Im Rucksack hatte er
Versuchsfische. „Es tat mir so weh,
zu sehen, dass die Menschen nicht
wussten, was sie tun sollen, um
Essen zu finden.“
Jede zweite Ernte falle schlecht
aus, berichtet Ali. Als in den
1980ern eine Hungersnot drohte,
„Jahrzehntelang haben wir diesen
Teich nicht genutzt“, sagt Djibo
Ganda, der Ortsvorsteher von
Goungo bon. „Wir sind einfach
nicht drauf gekommen.“ Wie viele
Fische in einem Teich ausgesetzt
werden dürfen und wie er vor Versandung geschützt wird, haben
sie von ADA gelernt. Mit den Einnahmen aus der Fischzucht – an
diesem Tag werden es fast 50.000
CFA-Francs sein, umgerechnet 75
Euro – haben sie inzwischen auch
Gemeinschaftsfelder für Reis und
Gemüse angelegt. Ihre Überschüsse verkaufen sie, um die Erträge in
die Getreidebank zu investieren:
Lagen dort anfangs nur zwei Säcke, so sind es nach sechs Jahren
bereits zwanzig.
„Ich spüre einen riesigen Motivationsschub im Dorf“, sagt Djibo
Ganda, „die Menschen sind wie
ausgewechselt.“ Wenn die Temperatur in der Trockenzeit wieder
auf 45 Grad klettert und für Wochen kein Regen fällt, ist das nicht
länger ein furchtbarer Schicksalsschlag. Die Dürrezeit ist jetzt einigermaßen berechenbar.
35
Ein Gewinn, doch nur für manche
In Indien bringt
Gen-Baumwolle einen
begrenzten Nutzen, aber
auch viele Folgeprobleme
Seit fast zehn Jahren wird in Indien gentechnisch veränderte Baumwolle angebaut. Das ist auf
den ersten Blick ein Erfolg: Auf über 90 Prozent der Baumwoll-Äcker bauen Kleinbauern heute
Gen-Sorten an, die fast alle Hochertragssorten sind; ihr Gewinn ist im Durchschnitt gestiegen.
Ob das auch schwächeren Bauern nutzt, gerade in Regionen ohne Bewässerung, ist aber fraglich. Zudem lässt die Abwehrkraft der Gen-Sorten gegen den Hauptschädling bereits nach.
Von Gisela Felkl
Indien hat in den letzten zehn Jahren ein beachtliches Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 8
Prozent pro Jahr erreicht – vor allem im Industrieund Dienstleistungssektor. Trotzdem sind Armut
und Hunger immer noch weit verbreitet. Die indische Regierung ist sich des Problems bewusst und
hat als eine der ersten Regierungen das Menschenrecht auf Nahrung anerkannt. Und sie fördert das
landwirtschaftliche Wachstum als Mittel zur Verminderung des Hungers. Hier setzen die meisten indischen Politiker auf den Einsatz von Biotechnologie
und von gentechnisch veränderten (GV) Organismen. Sie versprechen sich von diesen Technologien
einen großen Beitrag zum Wachstum in der Landwirtschaft. Diese hohen Erwartungen werden teilweise genährt durch die Erfahrungen mit gentechnisch veränderter Baumwolle, die in Indien seit 2002
angebaut wird. Die Einführung von GV-Baumwollsorten hat tatsächlich zu einer durchschnittlichen Ertragssteigerung beigetragen. Der Nutzen für
arme Kleinbauern und die Nachhaltigkeit der Technologie sind jedoch zweifelhaft.
8-2011 |
gen-baumwolle welt-blicke
Links: Arbeiter in einer Fabrik zur
Entkernung von Baumwolle.
Die Samen werden mechanisch
ausgelesen. Rechts: In der Region
Vidarbha ernten Frauen gentechnisch verändertes Rohmaterial.
Bloomberg Via Getty Images;
Jörg Böthling
| 8-2011
Indiens Ökonomie hängt stark von der Landwirtschaft ab: 17 Prozent des Bruttonationalproduktes
stammen aus der Land- und Forstwirtschaft sowie
Fischerei, und der Agrarsektor beschäftigt mehr als
die Hälfte der Bevölkerung. Die durchschnittliche
Farmgröße beträgt 1,05 Hektar, 88 Prozent aller Far-
ein Protein, das für bestimmte Insekten äußerst giftig ist, darunter auch für den Hauptschädling der
Baumwolle, den Baumwollkapselwurm. Als Spritzmittel wird das Bt-Toxin im Pflanzenschutz bereits
seit Jahrzehnten verwendet. Mit Hilfe der Gentechnik ist es heute möglich, die Bt-Gene in Baumwolle
men sind kleiner als 2 Hektar. Damit sind indische
Bauern typischerweise Kleinbauern mit wenig Ressourcen, die meist kaum genug verdienen, um ihre
Grundbedürfnisse zu decken. Die Weltbank schätzt,
dass ungefähr ein Drittel der 1,2 Milliarden zählenden Bevölkerung Indiens von Ernährungsunsicherheit betroffen ist. Der Großteil dieser Hungrigen und
Armen lebt in ländlichen Gebieten und verdient seinen Lebensunterhalt mit Landwirtschaft.
oder andere Pflanzen zu übertragen. Die Gene veranlassen dann die Pflanzen dazu, selbst das Bt-Toxin zu
produzieren, das sie gegen den Baumwollkapselwurm schützt. Im konventionellen Baumwollanbau
wenden Bauern regelmäßig verschiedene Insektengifte gegen den Baumwollkapselwurm an.
Die wichtigsten Feldfrüchte – gemessen an der Anbaufläche – sind Getreide (vor allem Reis und Weizen), Hülsenfrüchte und Ölsamen. Baumwolle nimmt
nur etwa 5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche
ein. Betrachtet man allerdings die pflanzliche Produktion gemessen am Wert, dann gehört Baumwolle
nach Reis, Weizen, Zuckerrohr und Gemüse zu den
Top Fünf. Sie spielt daher eine wichtige Rolle in der
Agrarökonomie.
Seit der Einführung der ersten Bt-Baumwollsorten
hat sich in Indien nicht nur die Anzahl der zugelassenen Bt-Sorten, sondern auch die Fläche, auf der sie
angebaut werden, explosionsartig vergrößert. Offenbar waren die Bauern von der Wirkung der Bt-Sorten
gegen den Kapselwurm und den guten agronomischen Eigenschaften der neuen Sorten beeindruckt.
Ihre Verbreitung wurde außerdem durch eine sehr
aktive Vermarktungsstrategie der indischen Saatguthändler beschleunigt. Es wird geschätzt, dass seit
2009 ungefähr 90 Prozent der gesamten Baumwollfläche mit Bt-Baumwolle bepflanzt sind.
2002 wurden erstmals drei gentechnisch veränderte
Baumwoll-Hybridsorten in Indien für die kommerzielle Nutzung zugelassen. Alle drei enthielten Bt-Gene
von Monsanto und waren in Zusammenarbeit mit
der indischen Saatgutfirma MAYHCO entwickelt
worden. Bt ist die Abkürzung für Bacillus thuringiensis, ein im Boden lebendes Bakterium. Es produziert
Die inzwischen mehr als 600 zugelassenen Bt-Baumwollsorten in Indien sind mit einer Ausnahme alle
hochertragreiche Hybridsorten. Die erhält man,
wenn man von zwei verschiedenen Pflanzenlinien
durch Inzucht möglichst reinerbige Pflanzen erzeugt
und die dann miteinander kreuzt. Die Nachkommen
bilden in der ersten Generation besondere Eigen-
37
38
welt-blicke gen-baumwolle
schaften aus wie hohes Ertragspotential. Die gehen
in den folgenden Generationen verloren, so dass
Bauern Hybrid-Saatgut immer neu kaufen müssen.
Die gute Leistung der Bt-Baumwolle in Indien resultiert aus der Kombination zweier Eigenschaften. Die
erste ist dieses durch konventionelle Hybridzüchtung hervorgebrachte hohe Ertragspotential. Zweitens versieht der gentechnische Transfer der Bt-Gene
diese Baumwollsorten mit einer Art eingebautem
Schutz gegen den Kapselwurm. Um das hohe Ertragspotential tatsächlich zu nutzen, müssen die Bauern
allerdings verstärkt in Düngung, in Insektizide gegen
andere Schädlinge, in Saatgut und normalerweise in
Bewässerung investieren.
Wenn es eine Feldfrucht gibt, die in den letzten sieben bis acht Jahren in Indien ein phänomenales
Wachstum erlebt hat, dann ist es Baumwolle. Die
Produktion hat sich von rund 15 Millionen Ballen in
2002 auf etwa 29 Millionen Ballen in 2009 beinahe
verdoppelt (ein Ballen sind rund 170 Kilogramm).
Der Zuwachs kam vor allem zustande durch eine
Steigerung des Baumwollertrags von etwa 300 auf
mehr als 500 Kilo pro Hektar. Das kann auf die Einführung der ertragreichen Bt-Hybridsorten und die
damit einhergehende Intensivierung des Anbaus zurückgeführt werden. Die Zunahme der Baumwollproduktion hat Indien seit 2006 zu einem Baumwollexporteur und zum nach China zweitgrößten Baumwollproduzenten der Welt gemacht.
Trotz der schnellen Verbreitung von Bt-Baumwollle
in Indien diskutieren Wissenschaftler heftig und
kontrovers über den ökonomischen Nutzen für verschiedene Gruppen von Bauern. Im Vergleich zahlreicher Studien zeigt sich, dass Bauern, die die neuen
Bt-Sorten verwenden, durchschnittlich weniger Pestizide eingesetzt und höhere Erträge und Nettoeinkommen erzielt haben als andere Baumwollbauern.
Aber es wird auch deutlich, dass es viele Bauern gibt,
die aus verschiedenen Gründen die erwarteten wirtschaftlichen Vorteile nicht erzielen.
Oben: Verkauf von Schädlingsbekämpfungsmitteln.
Die Abwehrkraft der Gen-Sorten
gegen den Hauptschädling lässt bereits nach.
Unten: Auf dem Markt von Kasrawad bieten die Bauern
ihre Baumwolle an. Nur für die wohlhabenden unter
ihnen ist der Anbau von Gen-Sorten profitabel.
Der Anbau von Bt-Baumwolle mit den derzeit erhältlichen Sorten erfordert hohe Ausgaben für AgrarVorleistungen wie Saatgut, Dünger und Bewässerung. Während er in bewässerten Gebieten und für
sachkundige Bauern mit ausreichend Mitteln sehr
profitabel sein kann, ist er in Regenfeldbaugebieten
äußerst riskant. Zwei Drittel der Baumwoll-Anbaugebiete in Indien sind aber abhängig vom Regen. Für
Bauern dort und für Bauern, die wenig Mittel oder
nicht genug Sachverstand über den richtigen Anbau
der Bt-Sorten besitzen, kann Bt-Baumwolle katastrophale Folgen haben. Wertvolle Alternativen könnten
für sie Sorten sein, die an ihre speziellen Bedürfnisse
angepasst sind – zum Beispiel trockenresistente, offen blühende Sorten. Eine andere Alternative ist der
Integrierte Pflanzenschutz (IPM).
Wie nachhaltig der Schutz der Pflanze mittels Bt-Genen ist, ist ebenfalls fraglich. Da in Indien heute bei-
8-2011 |
gen-baumwolle welt-blicke
Nach der Entkernung wird die
Baumwolle zu Ballen gepresst.
alle Fotos der Doppelseite:
Jörg Böthling
nahe die gesamte Baumwolle mit Bt-Sorten erzeugt
wird, ist der Baumwollkapselwurm einem enormen
Selektionsdruck ausgesetzt. Es wurde inzwischen bestätigt, dass er in Indien gegen das ursprüngliche,
von einem einzigen Gen bestimmte Bt-Toxin Resistenz entwickelt hat. Bauern haben deshalb wieder
begonnen, gegen den Schädling Insektizide zu spritzen oder sind zu neueren Doppel-Bt-Sorten übergegangen, die zwei verschiedene Bt-Gene besitzen.
Dass die Bt-Sorten speziell auf Abwehr des Kapselwurms als Hauptschädling der Baumwolle zielen,
scheint außerdem eine Nische geöffnet zu haben, in
der sich Sekundärschädlinge vermehren können.
Man geht davon aus, dass beides – das Aufkommen
von resistenten Kapselwürmern und die Vermehrung
von Sekundärschädlingen – den wirtschaftlichen und
ökologischen Nutzen des Pflanzenschutzes mittels
Bt-Gentransfer verringern wird. Nachhaltiger wäre
die Anwendung von Integriertem Pflanzenschutz, einer Strategie, die auf langfristige Schadensvermeidung abzielt. Beim Integrierten Pflanzenschutz werden eine Reihe von Anbautechniken angewandt, um
das Schädlingsaufkommen nachhaltig zu verringern
und den Ertrag zu sichern. Dazu gehören die Verwendung resistenter Sorten, biologischer Pflanzenschutz
und der angemessene Einsatz von Pestiziden.
Wie sieht es mit dem Effekt von Bt-Baumwolle auf
die Agrobiodiversität aus? Die Grüne Revolution,
während der mit starker Unterstützung des öffentlichen Sektors einige wenige populäre Reissorten verteilt wurden, hat im Ergebnis zu großer genetischen
Einförmigkeit geführt. Das ist bei Baumwolle heute
anders – die Bt-Baumwollsorten sind genetisch außerordentlich vielfältig. Manche Wissenschaftler
vermuten sogar, dass hier die genetische Vielfalt gewachsen ist, weil die Nachfrage nach Bt-Sorten extrem hoch ist und die Saatgutfirmen ihr gesamtes
genetisches Zuchtmaterial ausschöpfen, um immer
wieder neue Sorten zu entwickeln.
Die triumphale Verbreitung der Bt-Baumwollsorten
hat jedoch zu einer drastischen Verschiebung weg
von der Nutzung traditioneller, offen bestäubter, so
Begrenzter Nutzen: Gen-Baumwolle in Burkina Faso
Erfahrungen mit genveränderter Baumwolle liegen jetzt auch aus Burkina Faso vor, das sie als zweites Land in Afrika südlich der Sahara eingeführt hat. Eine vorläufige Bilanz zieht Roger Peltzer im Newsletter
der Initiative „Cotton Made in Africa“ (diese will nachhaltig erzeugte
und bisher von Gentechnik freie Baumwolle afrikanischer Kleinbauern
auf den Weltmarkt bringen und deren Produktivität verbessern). Danach kann Gen-Baumwolle für Kleinbauern eine sinnvolle Option sein
– aber nur unter bestimmten Umständen. Wie in Indien seien Bauern
in Burkina Faso rasch zu Gen-Saatgut übergegangen, schreibt Peltzer:
Es wurde in der Saison 2009-2010 auf gut einem Drittel der Baumwollfelder angebaut, 2010-2011 auf gut zwei Dritteln. Eine Ertragssteigerung um 30 Prozent wurde erwartet, weil der in Gen-Sorten eingebaute
Schutz vor dem Hauptschädling die Verluste vermindert. Die Erwartung hat sich laut Peltzer nur teilweise erfüllt: 2009-10 betrug der
Mehrertrag pro Hektar im Durchschnitt 16 Prozent und sank 2010-11
auf rund 10 Prozent.
Weil der deutlich höhere Preis des Gen-Saatguts von Einsparungen bei
den Pestiziden fast aufgehoben wurde – es musste nur zwei statt sechs
Mal gespritzt werden –, haben Peltzer zufolge die Bauer etwas mehr
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verdient. Allerdings muss man wie empfohlen düngen und zwei Mal
spritzen, um den vollen Mehrertrag zu erzielen. Viele Kleinbauern, gerade solche mit weniger Mitteln, neigen aber laut Peltzer dazu, Dünger
und Pestizide für andere ihrer Feldfrüchte abzuzweigen. Entsprechend
erzielen sie aus Gen-Baumwolle weniger Mehrertrag als leistungsfähige Bauern mit besserer Beratung.
Peltzer warnt vor zu hohen Erwartungen. Zum einen sei der theoretische Vorteil in der Praxis nicht vollständig eingetreten und könne mit
der Zeit noch abnehmen – etwa wenn mehr arme Bauern Gen-Sorten
anbauten oder wenn diese Sorten nach einigen Jahren wegen Resistenzbildungen häufiger gespritzt werden müssten. Ferner könne man
die Ergebnisse aus Burkina Faso nicht verallgemeinern. Ob Gen-Sorten
für einen Kleinbauern wirtschaftlich sind, hängt laut Peltzer wesentlich von dessen Flächenerträgen ab: Wer weniger als 800 Kilogramm
Baumwolle pro Hektar ernte, mache mit teurerem Gen-Saatgut einen
Verlust – es sei denn die Baumwollpreise auf dem Weltmarkt stiegen
deutlich. Den Baumwollbauern im östlichen und südlichen Afrika mit
Hektar-Erträgen von 500 bis 600 Kilo pro Hektar seien Gen-Sorten deshalb unter den gegenwärtigen Umständen nicht zu empfehlen. (bl)
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welt-blicke gen-baumwolle
genannter Desi-Sorten (die Bauern selbst vermehren
können) und hin zu Bt-Hybridsorten geführt. Diese
Tendenz zeichnete sich zwar schon vor den Bt-Sorten
ab, wurde aber durch sie um einiges beschleunigt.
Einige indische Forscher bezeichnen diesen Trend als
alarmierend und warnen vor dem Risiko, dass traditionelle Desi-Sorten ausgelöscht werden – wegen der
Verbreitung der Hybridsorten einerseits, fortschreitender Habitatverschlechterung andrerseits.
Eine weitere Frage betrifft die Koexistenz zwischen
Bt-Baumwolle und Bt-freier Baumwolle. Der indische
Baumwollmarkt unterscheidet nicht zwischen beiden. Ebensowenig tun dies Indiens Hauptexportmärkte China und Pakistan. Da die überwiegende
Ob Gen-Baumwolle die Armut vermindert und den
Zugang zu Nahrung verbessert hat, ist fraglich –
besonders für Gebiete mit Regenfeldbau.
Mehrheit der Baumwollfarmer sowieso Bt-Sorten
anbaut, ist Koexistenz für sie kein Thema. Es gibt daher in Indien keine Regelung für Koexistenz und
folglich auch keine Haftungsregeln für den Fall, dass
Bt-freie Produkte verunreinigt werden. Das Bewusstsein, dass solche Regeln wichtig sind, wächst jedoch,
weil Indien der größte Lieferant für den wachsenden
globalen Markt für Biobaumwolle in Europa, den
USA und Japan ist – dort erzielt Biobaumwolle hohe
Preise. Dass Biobaumwolle Bt-frei ist, wird in Indien
üblicherweise dadurch garantiert, dass alle Baumwollbauern einer Region in einem Bt-freien Baumwollprojekt organisiert werden, ihnen Bt-freies Saatgut zur Verfügung gestellt wird und es eine Rückkaufvereinbarung und ein eigenes Vermarktungssystem für die Bauwolle gibt.
Gisela Felkl
ist promovierte Agraringenieurin und
freie Beraterin. Sie hat zur Risikoeinschätzung von genveränderten
Pflanzen und zu biologischem
Pflanzenschutz geforscht und war
auch in der Entwicklungshilfe tätig,
vor allem in Asien.
Ähnliche Bedenken herrschen in Bezug auf Nahrungsmittelsicherheit und die Wahlfreiheit der Verbraucher. Der Anstieg der Baumwollproduktion hat dazu
geführt, dass anstelle von traditionellen Kochölen wie
Erdnussöl zunehmend das billigere BaumwollsamenÖl genutzt wird, das heute natürlich aus Bt-Sorten gewonnen wird. Dieses Öl aus Bt-Samen hat in Indien
keine Zulassung als Nahrungsmittel und wurde keiner Biosicherheitsprüfung unterzogen. Auch Bt-Linter
(kurze, für das Spinnen ungeeignete Baumwollfasern)
werden in der Nahrungsmittelindustrie ohne Zulassung und Sicherheitsprüfung zum Beispiel als Verdickungsmittel oder Stabilisatoren verwendet. Es gibt in
Indien keine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für
genveränderte Nahrungsmittel. Verbraucher haben
daher keine Wahl, ob sie Bt-Baumwollsamenöl oder
Bt-Linter konsumieren möchten oder nicht.
Hat Bt-Baumwolle die Ernährungssicherheit in Indien verbessert? Einige Gegebenheiten, die in Indien
die Ernährungssicherheit gefährden, sind die geringe
Produktivität in der Landwirtschaft und die Armut
großer Teile der Bevölkerung. Die Einführung von BtHybridsorten hat den durchschnittlichen Baumwollertrag erhöht. Ob dies jedoch die Armut vermindert
und den Zugang zu Nahrung verbessert hat, ist fraglich – besonders im Fall der Gebiete mit Regenfeldbau. Die Einkommen aus dem Bt-Baumwollanbau
variieren sehr stark. Sachkundige Bauern in Gebieten
mit Bewässerung werden vom Anbau der ertragreichen Bt-Hybridsorten typischerweise einen wirtschaftlichen Nutzen haben. In den ärmeren Regenfeldbaugebieten, wo zwei Drittel der Baumwollbauern leben, ist der Anbau der Bt-Sorten jedoch wirtschaftlich äußerst riskant. Zudem wurden als Folge
der intensiven Bt-Baumwollproduktion Verschlechterungen des Bodenzustandes beobachtet. Das lässt
starke Bedenken aufkommen, wie nachhaltig die intensivere Produktion und ihre Auswirkungen auf die
langfristige Ernährungssicherheit sind.
Die Bt-Technologie ist in bestimmten landwirtschaftlichen Situationen sicherlich sehr nützlich. Sie ist jedoch nur ein Mittel, um Pflanzen gegen einige bestimmte Insekten zu schützen. Sie schützt sie nicht
gegen alle Schädlinge und – was besonders wichtig
ist – vermindert nicht die Abhängigkeit der zwei
Drittel aller indischen Baumwollbauern vom Regen.
Als langfristige Perspektive für einen nachhaltigen
Baumwollanbau, besonders für ärmere Bauern und
Regenfeldbaugebiete, wäre ein eher ganzheitlicher
Ansatz wünschenswert.
Er sollte Maßnahmen wie die folgenden einschließen: Trockenresistente, angepasste nicht hybride
Sorten – mit oder ohne Bt – sollten entwickelt werden, die den ärmeren Bauern helfen, einen stabileren
Ertrag und ein zuverlässigeres Einkommen zu erzielen. Um den Schädlingsdruck zu vermindern und
Probleme mit Resistenzentwicklung und Sekundärschädlingen zu vermeiden, sollte (mit oder ohne BtSorten) Integrierter Pflanzenschutz angewandt werden. Alternativen zur Bt-Baumwolle sollten vermehrt
untersucht werden, zum Beispiel Biobaumwolle oder
die Diversifizierung des Anbaus.
Da die gründliche Information der Bauern über neue
Technologien ausschlaggebend für ihren Erfolg ist,
sollte der landwirtschaftliche Beratungsdienst gestärkt werden; diese Informationen sollten nicht von
den Agrarhändlern kommen. Ein funktionierender
Beratungsdienst ist auch wichtig für Integrierten
Pflanzenschutz, da diese langfristige Strategie auf
Wissen und Ausbildung beruht. Schließlich sollte
auch der Zugang zu niedrig verzinslichen Darlehen
verbessert werden, um die Abhängigkeit der Kleinbauern von Agrarhändlern zu lösen
Literatur:
Gisela Felkl
Potentials of agricultural genetic engineering for food
security in India. Experiences with transgenic cotton. Studie
im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), September–Dezember 2010, 59 Seiten
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Westjordanland welt-blicke
Geisterstadt Hebron
Pufferzonen sollen
Palästinenser und
Israelis voreinander
schützen
In Hebron im Westjordanland leben 800 orthodoxe Juden inmitten von 180.000 Palästinensern.
Sie werden von israelischen Soldaten geschützt. Schikanen und Gewalt gegen Palästinenser
sind an der Tagesordnung. Die israelische Organisation „Breaking the Silence“ will über das
bedrückende Leben in den besetzten Gebieten aufklären und bietet unter anderem alternative
Stadtführungen durch Hebron an.
Von Bettina von Clausewitz
Yehuda Shaul hat sich selbst das
Reden verordnet. Er will öffentlich
machen, was er und seine Leute
im Namen der Sicherheit getan
haben, in Hebron und anderswo
im Westjordanland, das seit dem
Sechs-Tage-Krieg 1967 offiziell
von Israel besetztes Gebiet ist, in
dem besondere Gesetze gelten.
Und Menschenrechte oft wenig
zählen. Er ist nach Hebron zurückgekehrt, weil die Stadt einen Wendepunkt in seinem Leben markiert: den Zusammenbruch seines
Glaubens an Recht und Gerechtigkeit im Staat Israel.
Der verlassene Eindruck
täuscht: die vergitterten
Wohnungen in der
Shuhada-Straße sind zum
Teil noch bewohnt.
Bettina von Clausewitz
| 8-2011
Der Befehlston ist Yehuda Shaul
geblieben – dem massigen 28-jährigen Armeeveteranen, der früher
als Sergeant 120 Soldaten anführte und heute für mehr Menschlichkeit kämpft. In kurzen Sätzen
erzählt er von seiner Zeit als Elitesoldat der israelischen Armee in
Hebron. Sie lassen ahnen, wie sein
Leben damals war, auf dem Höhepunkt der zweiten Intifada (Palästinenseraufstand) von 2000 bis
2005. Als er hier seinen Wehrdienst ableistete und Granaten in
dicht besiedelte Stadtteile feuerte,
im Kampf gegen die Angriffe der
Palästinenser, die die israelischen
Besatzer mit aller Härte gegen die
Zivilbevölkerung beantworteten.
Gekämpft wird bis heute. Denn
nur ein starkes Armeeaufgebot
kann die rund 800 ultraorthodoxen jüdischen Siedler schützen,
die sich seit 1967 in der historischen Altstadt niedergelassen haben, umgeben von insgesamt
180.000 Palästinensern. Eine Atmosphäre aus Angst, Hass und
Repression hat das einst lebendige Hebron zur Geisterstadt werden lassen, mit versiegelten
Wohnhäusern,
verrostenden
Scharnieren an den Basartüren
und herabhängenden Kabeln. Seit
2000 wurden etwa 1800 Geschäfte geschlossen, mehr als tausend
Familien sind aus der Innenstadt
geflohen.
Gemeinsam mit anderen jungen
Soldatinnen und Soldaten hat Yehuda Shaul kurz nach seinem
Wehrdienst 2004 die Organisation
„Breaking the Silence“ (Das
Schweigen brechen) gegründet.
Sie wollten ihre traumatischen Erlebnisse verarbeiten und zugleich
die israelische Öffentlichkeit über
die Realität in den besetzten Gebieten aufklären; über alltägliche
Gewalt, Schikanen und Militäraktionen gegen die palästinensische
Bevölkerung. Sie sammeln Berichte, organisieren Aufsehen erregende Ausstellungen und Führungen vor Ort wie die im antiken
Hebron, das mit seinen Gräbern
der Erzväter Abraham, Isaak und
Jakob bei Juden, Muslimen und
Christen als heilig gilt.
Die Stimme von Yehuda Shaul ist
Respekt gebietend, sein Blick hält
auf Distanz, wenn da nicht diese
langen Pausen wären, die ihn in
seine eigenen inneren Abgründe
zu ziehen scheinen. Dann erzählt
er weiter wie aus der Pistole ge-
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welt-blicke Westjordanland
Hebron töteten. Die gesamte jüdische Gemeinde floh daraufhin
nach Jerusalem. 1994 wiederum
erschoss der extremistische Siedler Baruch Goldstein mit einem
Sturmgewehr 29 betende Muslime in einer Moschee.
Yehuda Shaul (links) führt durch den
israelischen Teil von Hebron.
Im palästinensischen Teil der
Altstadt spielen Kinder auf der
Straße – von oben schützt sie ein
dichtes Gitter. Hier übernimmt Issar
Amar (rechts) die Führung.
Judith Kubitschek; Bettina von
Clausewitz
schossen: „Ich habe alles gemacht,
was man als Soldat so macht.
Nacht für Nacht – Patrouille! Donner gegen ihre Tür, weck die Leute, mitten in der Nacht, rein ins
Haus, Männer auf die eine Seite,
Frauen auf die andere! Durchwühl alles, mach viel Krach,
schieß herum. Lass sie deine Präsenz spüren, dann werden sie
nicht angreifen. 24 Stunden, 7
Tage die Woche, schüchtere sie
ein, wo immer es geht. Das hat
sich nicht geändert!“
Auf der knapp einstündigen Fahrt
von Jerusalem nach Hebron hat
Yehuda bereits vom „Austrocknenlassen“ erzählt, einer beliebte Methode bei der Truppe, aufmüpfige
Palästinenser ein wenig zu schikanieren: Hände fesseln, Augen verbinden, ab in die pralle Sonne, zwei
Stunden, vier Stunden, sechs Stunden – je nachdem. Für Folter hielten er und seine Männer das damals nicht. Diese Erkenntnis kam
vielen erst später, als sie sich die
selbst geschossenen Fotos von den
Opfern anschauten.
Wenn Yehuda Shaul heute durch
Hebron geht, wird er gegrüßt und
auf einen Tee eingeladen. Zum
Beispiel bei einem der wenigen
verbliebenen palästinensischen
Händler direkt am Eingang zur
Grabstätte der Erzväter. Auch
wenn beiden Seiten bewusst ist,
wie sehr die Vergangenheit der
Stadt die Gegenwart belastet.
Etwa das Massaker von 1929, bei
dem militante Araber 67 Juden in
„Ich habe keinen Zweifel daran,
dass das, was heute in Hebron geschieht, eine Schande für meine
israelische Flagge und für meinen
Gott ist“, meint Yehuda Shaul.
Nach wie vor bezeichnet er sich
als orthodoxen Juden und als Zionisten, seine Schwester lebt in einer Siedlung nahe Bethlehem.
„Wenn es einen Ort in Israel gibt,
an dem wir das Recht haben zu
leben, dann ist es hier in Hebron“,
fügt er hinzu. Yehuda Shaul fragt
aber auch, was es eigentlich heißt,
ein orthodoxer Jude in einer modernen säkularen demokratischen Gesellschaft im Jahr 2011
zu sein – ohne daran politische
Forderungen zu knüpfen. Das ist
nicht sein Ding. Aber die alternativen Stadtführungen zu Fuß
durch die Altstadt sind es – ein
gut zweistündiges politisches
Statement. „Hier in Hebron
kannst du sehen, wie unmenschlich die Besatzung ist, hier tritt alles ganz offen zu Tage“, meint er
mit einem Blick in die verödeten
Gassen der Innenstadt.
Aus Scham über die Siedler hat er
während der Militärzeit die Kippah der orthodoxen Juden abgelegt. Mittlerweile trägt er sie wieder mit Stolz, auch wenn sie an
diesem heißen Sommertag zeitweise von seinem Strohhut verdeckt wird. Dann ist sie unsichtbar für diejenigen, die jetzt in grüner Uniform mit Maschinengewehr im Anschlag an den vielen
Checkpoints entlang der Straße
stehen – so wie er selbst früher.
Unsichtbar auch für die Siedler in
ihren akkurat renovierten Häusern an der ehemals wichtigsten
Einkaufsstraße Shuhada-Straße,
die heute verlassen da liegt. Aber
sowohl Siedler als auch Soldaten
kennen den bärtigen, entschlossenen Mann, der seit Jahren mit
Besuchern unterwegs ist. Siedler
haben schon Steine und Eier auf
ihn geworfen, Soldaten haben
versucht, die Touren zu unterbinden. Aber er kommt wieder, ebenso wie die andere Touristenführer
von „Breaking the Silence“.
Nur in wenigen Häusern der Altstadt wohnen noch Palästinenser.
Die Fenster und Balkone, hinter
denen trocknende Wäsche und
neugierige Kinderaugen zu sehen
sind, gleichen Käfigen. Es sind
selbst gebaute Gefängnisse, zum
Schutz vor Steine werfenden Siedlern und ihren Kindern. Die Soldaten sind für die Siedler da, nicht für
die palästinensischen Familien.
Übergriffe sind an der Tagesordnung. Deshalb begleiten internationale Freiwillige des Ökumenischen Friedensdienstes in Palästina und Israel (ÖFPI) palästinensische Kinder auf ihrem Schulweg
vorbei an den Siedlerhäusern und
Checkpoints der Shuhada-Straße.
Nach schweren Auseinandersetzungen mit mehr als 30 Verletzten,
brennenden Moscheen und Häusern im Dezember 2008 sprach sogar der damalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert von
einem „Pogrom“. Er schäme sich
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Westjordanland welt-blicke
dafür, dass jüdische Siedler in Hebron „auf unschuldige Araber“ geschossen hätten. Damit meinte er
nicht nur die 800, die in der Altstadt leben, sondern auch die beteiligten Hardliner aus der angrenzenden Siedlung Kiryat Arba.
Seitdem hat sich wenig verändert
in Hebron, auch wenn die militärische Strategie, Araber und Israelis voneinander zu trennen, das
Leben in der ehemals quirligen
Altstadt mit ihren Märkten und
Kaffeehäusern ausgelöscht hat.
Der Grund dafür sind „sterile Pufferzonen“ und viele Gassen und
Nebenstraßen, die mit meterhohen Betonpfeilern blockiert wurden, obenauf Stacheldraht, beliebte Flächen für Graffitimalerei, die
wie Farbtupfer ein wenig Leben
in die Tristesse bringt. Die Shuhada-Straße etwa ist laut Armeejargon zur „sterilen Straße“ geworden, auf der mehr Soldaten als Zivilisten unterwegs sind.
Palästinenser dürfen sie bis auf
einige kurze Abschnitte auf extra
markierten schmalen Pfaden
nicht betreten. Die Haustüren sind
versiegelt. Nur wenige Familien
sind geblieben, die ihre Häuser
wie Diebe über Leitern und Dächer von der Rückseite aus erklettern müssen. Auch der große Platz
vor den historischen Gräbern der
Propheten Abraham, Isaak und Jakob, an dem die Touristenbusse
ankommen, ist Israelis vorbehalten. „Free Palestine“ steht dort an
der himmelblauen Tür der Damentoilette – die Putzfrauen müssen es übersehen haben.
Bettina von Clausewitz
ist freie Journalistin und lebt in Essen.
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Am anderen Ende der ShuhadaStraße treffen wir den palästinensischen Menschenrechtsaktivisten Issar Amar, der verschiedene
Jugendprojekte gegründet hat,
unter anderem ein Video-Projekt,
bei dem mit WebCams Übergriffe
dokumentiert werden. „Ich habe
beim Bürgermeister den Antrag
gestellt, dass die Shuhada-Straße
in Apartheid-Straße umbenannt
wird. Demnächst werden hier
Schilder aufgehängt in Arabisch,
Hebräisch und Englisch: Welcome
to Apartheid Street!“ erzählt der
31-jährige Elektroingenieur.
In diesem Teil der Stadt, jenseits
eines schwer bewachten Checkpoints mit Metalldetektor und
Drehkreuzen, sind nur Palästinenser erlaubt, aus Sicherheitsgründen werden die beiden Bevölkerungsgruppen getrennt. Yehuda,
der Israeli, muss draußen bleiben.
Deshalb hat er die Stadtführung
an seinen Freund Issar übergeben.
Hier endlich ist ein wenig vom
arabischen Basarleben zu spüren:
Schaufensterpuppen stehen neben kunstvoll drapierten Gemüsebergen, der Friseur arbeitet neben
einem duftenden Gewürzladen
und gegenüber dröhnt laute Musik aus dem Videoshop. Sogar ein
Internetcafé ist da, in dem Jugendliche ihre Kampfspiele machen, so
wie überall auf der Welt, obwohl
Gewehre für sie bedrohlicher Alltag sind.
Erst ein Blick nach oben zeigt, dass
auch hier kein Frieden herrscht.
Die schmale Geschäftsstraße ist
komplett mit einem dichten
Drahtgestell geschützt, ähnlich
wie die Balkone und Fenster der
Palästinenserhäuser auf der anderen Seite. Es liegt voll mit dicken
Pflastersteinen, Flaschen und Bergen von Müll. „Alles Wurfgeschosse der Siedler, die oben die Häuser
besetzt haben. Sogar Säure haben
sie schon runter geschüttet“, berichtet Issar Amar. Immer mehr
verlassene palästinensische Häuser würden von den Siedlern besetzt, das sei illegal, auch nach israelischem Recht. „Aber keiner tut
was dagegen, obwohl sie einfach
konfisziert werden.“ Issar ist wütend und trotzdem versucht er, mit
friedlichen Mitteln etwas zu verändern. Etwa indem er einen Teil
der Tour für „Breaking the Silence“
übernimmt, nur ein Israeli und ein
Araber zusammen können beide
Seiten der Stadt erklären.
„Israels extreme Separationspolitik übersteigt bei weitem das, was
für die Sicherheit wirklich notwendig wäre“, heißt es bei der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem in Jerusalem,
für die Issar Amar früher gearbeitet hat. Über Jahre hat er Freundschaften mit Israelis aufgebaut.
Mit Yehuda Shaul verbindet ihn
die Liebe zur Religion, zum Islam
und zum Judentum, aus der beide
ihre Motivation beziehen. „Ich
habe nichts gegen jüdische Nachbarn, sie können in einem palästinensischen Staat leben, aber Hebron ist Palästina und nicht Israel“, meint Issar selbstbewusst und
hat dabei vermutlich Nachbarn
wie Yehuda im Blick. Ein orthodoxer Jude, der auf dem Rückweg
nach Jerusalem Sätze sagt wie
diesen: „Ich bin nicht länger bereit
ein Konzept zu akzeptieren, das
mir sagt: Ich kann nur frei sein,
wenn die Palästinenser unfrei
sind. Das ist Sünde. Das ist zutiefst
unmoralisch.“ Und so geht er immer wieder zurück in die Geisterstadt Hebron. In der Hoffnung,
dass sie eines Tages wieder zum
Leben erwacht. www.breakingthesilence.org.il
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welt-blicke liberia
Auf dem Holzweg?
Die Geschäfte mit
Biomasse aus Liberia
sind umstritten
Der Energieversorger Vattenfall will Wohnungen in Berlin künftig auch mit Holz von ausgelaugten Kautschukbäumen aus Liberia heizen. Das Unternehmen preist das als zukunftsweisenden
Schritt von der Kohle zur Biomasse. Vertreter von NGO hingegen befürchten, dass von diesem
Geschäft nur die Besitzer von Großplantagen profitieren; die armen Kleinbauern hätten das
Nachsehen. Doch so ganz einig sind sie sich in ihrer Kritik nicht.
Von Johannes Schradi
den Regenwald“. Auf den Gummibaumpflanzungen
Liberias, von denen das Holz stammt, herrschten katastrophale Bedingungen. Selbst die Vereinten Nationen, schreibt er, beklagten sklavenartige Arbeitsverhältnisse, Kinderarbeit, allgemeiner Gesetzlosigkeit und schwere Umweltverschmutzungen. Weil
der Preis für das Holz steige, könnten es sich immer
weniger Familien als Feuermaterial leisten.
Andere Kritiker machten darauf aufmerksam, dass
Holzexporte aus fernen Ländern oft mit ökologisch
wie sozial verheerendem Raubbau einhergehen. Die
nicht-staatliche Organisation (NGO) PowerShift wertete in einem Bericht zum Vattenfall-Deal solche Geschäfte als Ausdruck neuer „imperialer Lebensweise“. Die Klagen über skrupellosen Landraub ausländischer Investoren, Spekulation, Knebelpachtverträge,
miserable Arbeitsbedingungen und umweltzerstörenden Rohstoffabbau in Entwicklungsländern sind
zahlreich – und sie sind sehr oft berechtigt. Doch im
Fall Liberia und Vattenfall liegen die Dinge offenbar
komplizierter. In der kritischen NGO-Szene gehen die
Meinungen auseinander: Ist es gut oder schlecht,
was dort passiert?
Kautschukplantage in Liberia 2007.
Ausgediente Bäume sollen nach
den Plänen von Vattenfall künftig in
Europa verheizt werden.
WpN/Photoshot
Die Nachricht ließ aufhorchen: Eine Million Tonnen
Holzschnitzel aus dem westafrikanischen Liberia
wolle Vattenfall künftig in europäischen Kraftwerken
verfeuern – einen Teil davon in Berlin. In der Bundeshauptstadt ist der schwedische Energieriese Hauptversorger und hier entstehen gerade mehrere neue
und nachgerüstete Kraftwerke zum Verbrennen von
Biomasse. Vattenfall setze auf erneuerbare Energien
und Nachhaltigkeit, hieß es dazu im April vergangenen Jahres beim Betreiber stolz – der Umstieg auf das
Schredderholz sei ein vorbildlicher, zukunftsweisender Schritt weg von der Kohleverbrennung mit ihren
schädlichen Treibhausgas-Emissionen.
Es ist das größte Geschäft in diesem Bereich, das Vattenfall nach eigenen Angaben bislang eingefädelt
hat. Die Kritik daran ließ nicht lange auf sich warten.
Das Unternehmen sei „auf dem Holzweg“, wetterte
etwa ein Vertreter der Umweltorganisation „Rettet
Unbestritten ist: Das von 14 Jahren Bürgerkrieg
(1989-2003) schwer gezeichnete Land, dessen Wirtschaft völlig zusammengebrochen ist, braucht dringend Investitionen. Ohne tief greifenden Aufschwung und ohne staatliche Einnahmen kann es
nicht wieder auf die Beine kommen. Beides – inklusive der Aussicht auf eine ordentliche soziale Umverteilung – verspricht sich die Reformregierung von
Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf gerade auch von
der Vergabe von Konzessionen und Lizenzen für den
Rohstoffabbau an große Konzerne. Es geht nicht nur
um Holz und Gummi, sondern auch um Eisenerz,
Palmöl, Gold, Diamanten. Die Regierung hält sich zugute, ausländischen Investoren beim Abbau, der ökologischen Verträglichkeit und dem sozialen Nutzen
strenge Auflagen zu machen. Ungezügelter Raubbau,
heißt es bei der Nationalen Investitionskommission,
war gestern (siehe welt-sichten, 12/2010-1/2011)
Im Fall des Energie-Holz-Deals ist zudem nicht Vattenfall direkter Verhandlungspartner der Regierung
8-2011 |
liberia welt-blicke
gewesen, sondern das Unternehmen Buchanan Renewables (BR), es gehört zu 70 Prozent einem kanadischen Milliardär. Drei Firmenzweige betreiben
arbeitsteilig das Geschäft mit den Kautschukbäumen – von der Rodung bis zur Verfeuerung. Vattenfall ist an einem davon (BR Fuels) mit 20 Prozent
beteiligt, zehn Prozent hält das staatliche schwedische Entwicklungshilfeunternehmen Swedfund.
Das Geschäftsziel von BR ist nicht der Kautschukgewinn. Verwertet werden sollen alte, ausgelaugte
Kautschukbäume, die nur noch zum Verheizen gut
sind.
Liberia braucht Energie, um den Wiederaufbau
voranzubringen. Aber das versprochene Biomassekraftwerk existiert bislang nur auf dem Papier.
Dass der Energieversorger Vattenfall Hunderttausende Tonnen solchen Holzes nach Europa schaffen
will, stört Abraham Kollie vom liberianischen NGODachverband New African Research and Development Agency (NARDA) denn auch wenig. Erstens
gebe es im Land Unmengen alter Kautschukbäume,
und zweitens wirtschafte BR mit der strikten Auflage, gerodete Altbestände wieder aufzuforsten – woran sich das Unternehmen auch halte, sagt Kollie. Auf
Einladung des Evangelischen Entwicklungsdienstes
(EED) und von „Brot für die Welt“ zu Besuch in Berlin,
ärgert er sich über etwas ganz anderes: Dass nämlich
das Biomassekraftwerk in Liberia, das zu bauen sich
BR ebenfalls verpflichtet habe, noch immer nicht stehe – geschweige denn Strom liefere. Den aber brauche das Land dringend: Um den Wiederaufbau voranzubringen und die Bevölkerung unabhängiger von
der umwelt- und gesundheitsschädlichen Holzverfeuerung zu machen.
Johannes Schradi
ist entwicklungspolitischer
Fachjournalist und
Berlin-Korrespondent
.
von
| 8-2011
Abraham Kollies Einschätzung deckt sich weithin mit
dem, was ein Team der Universität von Liberia in einer Studie zu den Geschäftspraktiken von BR zusammengetragen hat. „Ein grundsätzlicher Nutzungskonflikt zwischen dem Holzschnitzelexport und der
Binnenmarktverwertung konnte nicht festgestellt
werden“, heißt es dort kurz und bündig. Die Wissenschaftler hatten Bauern, Vertreter der Gemeinden
und Landkreise sowie der Regierung befragt und regionale zivilgesellschaftliche Gruppen in die Recherchen einbezogen. Sie kommen zu dem Schluss, das
BR-Modell sei eine „echte Innovation“. Das Unternehmen habe „Impulse gesetzt, die sich vorteilhaft auf
die Lage der Kautschukbauern wie auf die Rehabilitation der maroden Kautschukwirtschaft auswirken“.
Endlich ein Beispiel, dass es über Landinvestment
nicht nur Negatives zu berichten gebe, freut man sich
beim EED, der das liberianische Studienteam mit einem eigenen Experten unterstützt hat.
So viel Sympathie steht in krassem Gegensatz zum
Urteil des Powershift-Reports „Holz aus Afrika für
warme Stuben in Berlin“. Die Herstellung und Verwertung von Holzchips möge zwar „auf dem Papier“
den Anforderungen an eine nachhaltige Plantagenwirtschaft genügen, heißt es dort. In der Praxis gebe
es indessen gravierende Defizite. So beziehe BR das
Altholz bevorzugt aus Großplantagen, Kleinbauern
hätten das Nachsehen. Wo sie einbezogen seien, verlören sie oft auf Jahre ihren Verdienst. Denn nach der
Rodung liefern neu gepflanzte Gummibaum-Setzlinge erst nach sieben Jahren wieder Kautschuk, mit
dem sich Geld verdienen lässt. Der empfohlene zwischenzeitliche Anbau von Bohnen, Pfeffer oder Erdnüssen funktioniere nicht.
Zwar zahle BR für das Altholz besser als manches
andere Unternehmen, aber existenzsichernd sei das
nicht. Viele Kleinbauern, die während des Bürgerkriegs die Bewirtschaftung verlassener Plantagen
übernommen hätten, sähen sich wegen unklarer
Landrechte regelrechten Kämpfen mit angeblichen
oder tatsächlichen Alteigentümern konfrontiert; in
den Dörfern profitierten von den Deals mit BR regelmäßig nur die Reichsten und Mächtigsten. Das
Exportinteresse von BR und Vattenfall laufe darauf
hinaus, dass Liberia seine Holzvorräte langfristig
womöglich verliere, mahnt Peter Fuchs von PowerShift. „Klima- und Energiegerechtigkeit“ sehe anders aus.
Auch die liberianische Universitäts-Studie sieht Verbesserungsbedarf. Teils deckt sie sich mit der PowerShift-Darstellung – etwa dass Kleineigner von
Plantagen derzeit noch zu kurz kommen. Doch sie
setzt auf Empfehlungen statt auf Fundamentalkritik:
Die örtlichen Gemeinschaften müssten besser in die
Planung einbezogen werden; die Bauern brauchten
Rechtsberatung, bevor sie Kontrakte mit BR unterzeichneten; ihre Selbstorganisation müsse unterstützt werden. Insgesamt müsse das im Ansatz gute
BR-Geschäftsmodell stärker auf Armutsbekämpfung
und Ernährungssicherung ausgerichtet werden. Einen Rückfall in simple Plantagenausbeutung dürfe
es nicht geben.
Und Vattenfall? Ein Unternehmenssprecher erinnert
an das Abkommen mit dem Berliner Senat, in dem
man sich bei der Beschaffung von Biomasse zu strikter Nachhaltigkeit verpflichtet habe. Anhand eines
Kriterienkataloges, den das Heidelberger Ifeu-Institut im Auftrag von Vattenfall und der Berliner Senatsverwaltung entwickelt hat, soll in Liberia regelmäßig überprüft werden, wie ökologisch und sozial
verträglich die Holzverwertung dort ist – und wo
nachgebessert werden sollte. Ifeu sieht noch erhebliche Mängel in der Praxis, schätzt aber – wie die UniStudie – das Engagement von BR und Vattenfall im
Ansatz als positiv ein. Noch komme in Berlin gar kein
Holz aus Liberia an, fügt der Sprecher hinzu; es gehe
derzeit nach Dänemark und Schweden. Aber das soll
sich ändern, sobald Kraftwerke in ausreichender
Zahl und Größe bereitstehen. Der Um- und Neubau
läuft.
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süd-Sichten tuareg
Botschafter der Tuareg
Die Band Tamikrest tourt durch Europa und setzt sich für die Rechte der Nomaden ein
Die jungen Musiker aus Mali haben mit ihrem neuesten Album den Sprung in die internationalen Hitlisten geschafft. In ihren Liedern singen sie von ihrer Heimat, in der das Leben für die
Tuareg in den vergangenen Jahren immer härter geworden ist. Ihr Appell gilt der internationalen
Gemeinschaft, die dem Verschwinden eines Volkes nicht schweigend zuschauen soll, aber auch
ihren Altersgenossen: Sie sollen ihre Kultur bewahren und beim Aufbau ihrer Länder helfen.
Von Felix Ehring
Mitte der 1990er Jahre in Mali:
Der zehnjährige Ousmane Ag
Mossa bekommt eine Kassette in
die Hand. Er legt den Tonträger in
seinen alten Spieler und hört die
Gitarre von Mark Knopfler, dem
Sänger der britischen Rockband
Dire Straits. 16 Jahre später tourt
Ag Mossa als Frontmann der Band
Tamikrest quer durch Europa: Paris, London, Brüssel – rund zwanzig Konzerte hat die Band im Juni
und Juli absolviert. Ab November
gehen Tamikrest erneut auf Tour-
Tamikrest: „Als Künstler sehen wir es als
unsere Pflicht, der Welt von den
Schwierigkeiten der Tuareg zu berichten.“
nee und wer Ag Mossa Gitarre
spielen hört, hört auch den Einfluss von Knopfler.
„Mit den Dire Straits wurde mir
klar, dass es noch andere Musik
gibt als die traditionelle Musik
der Tuareg“, erzählt Ag Mossa am
Rande eines kleinen Festivals im
nordrhein-westfälischen Landkreis Höxter. Kurz zuvor hat die
Band eine gute Stunde gespielt.
Das Konzert begann wie das neue
Album von Tamikrest. Ein langgezogenes Raunen, erste Töne von
Ag Mossas gezupfter E-Gitarre,
dann setzen Djembé und Calabash ein, die westafrikanische
Handtrommeln. Rhythmusgitarre
und E-Bass fließen dazu und im
Publikum wippen die ersten Köpfe und Beine mit. Die gut gelaunte
Sängerin Wonou Walet Sidati
klatscht in die Hände, tanzt von
einem Musiker zum anderen und
stimmt ihren Gesang in hoher
Stimmlage an. Wie Wellen strömt
der Sound über das Publikum hinweg. Der Gesang in der Sprache
Tamaschek ist fremd, gleichmäßig und wirkt ein wenig meditativ.
Die Texte der Band schreibt Ousmane ag Mossa. Er singt von der
Liebe zu einer Frau und zu seiner
Heimat, in der „Wind und Durst
regieren“. Und doch ist es die geliebte Heimat der Tuareg, denn
dort gebe es die große Freiheit,
singt Ag Mossa. Das ist zumindest
die Sehnsucht der Tuareg. Doch
ihr Leben in den Staaten Mali, Algerien, Libyen, Niger und Burkina
Faso wird immer schwieriger. Vor
allem mit den Regierungen von
Mali und Niger lieferten sie sich
in den 1990er Jahren gewaltsame
Auseinandersetzungen. Die Tuareg werfen den Staaten vor, politisch an den Rand gedrängt zu
werden. Aktueller Streitpunkt:
Die Pläne des französischen Konzerns Areva, im Niger Uran abzu-
bauen. Die Tuareg sind darüber
empört, weil die Profite an ihnen
vorbei fließen. Schlimmer noch,
eine hohe Konzentration freigesetzter radioaktiver Partikel gefährdet nach Überzeugung von
Greenpeace die Gesundheit der
Menschen. Radioaktiver Schlamm
sei zudem in großer Menge aus
Tanks ausgelaufen und verseuche
die Umwelt.
Ousmane Ag Mossa singt von
dem Leid, „das ich erfahren habe
und das mein Volk durchlebt“. Pathos schwingt da nicht mit, wenn
man sich die Geschichte seiner
Familie anhört. Gern spricht er
nicht von den Sorgen zu Hause.
Seine Stimme wird ganz leise. Fast
resigniert berichtet er von seinen
Eltern, die das Leben als Nomaden
in den 1980er Jahren aufgaben
und als Gemüsebauern in einem
Dorf im Nordosten Malis an der
Grenze nach Algerien siedelten.
Als die Tuareg Anfang der 1990er
Jahre rebellierten, geriet auch das
Leben der Ag Mossas aus den Fugen. Mit fünf, sechs Jahren musste sich Ousmane mit anderen
Kindern und Frauen in den Bergen verstecken. Schließlich zog
die Familie in die Regionalstadt
Kidal im Osten Malis, wo der Junge Gitarrenunterricht erhielt.
Auch dort blieb es nicht lange ruhig. 2006 griffen Tuaregrebellen
einen Militärstützpunkt in Kidal
an. Es war das Jahr, in dem sich
Tamikrest gründete.
„Als ich eines Morgens aufwachte, war die Stadt ein einziger Albtraum“, erinnert sich Ag Mossa.
„Viele hatten sich bereits den Rebellen angeschlossen. Aber wir
8-2011 |
Felix Ehring
tuareg süd-sichten
Tamikrest bei ihrem Konzert im
nordrhein-westfälischen Höxter.
für Entführungen sowie der Drogen- und Waffenschmuggel von
Westafrika Richtung Norden verantwortlich, an dem Tuareg beteiligt sein sollen.
wollten das nicht. Wir waren Musiker, keine Krieger.“ Die Ag Mossas flohen nach Libyen, Ousmane
blieb wegen der Band in Mali. Die
Eltern kehrten vor zwei Jahren zurück, Geschwister von Ousmane
leben noch immer in Gaddafis
zerrissenem Land. Der Sänger
macht sich Sorgen um sie. Er ist
inzwischen in der südalgerischen
Stadt Tamanrasset zu Hause, verbringt allerdings einen Großteil
des Jahres in Kidal, um dort mit
den anderen Bandmitgliedern
Musik zu machen. Die beiden
Städte liegen zwei Tagesreisen
auseinander.
Felix Ehring
ist freier Journalist
in Frankfurt am Main.
| 8-2011
Wenn die Band nicht durch Europa tourt, spielt sie in Mali auf
Hochzeiten, Festen oder Festivals.
Sie spielen die Stücke ihrer Alben
und traditionelle regionale Lieder.
Viel Geld bringt das nicht ein, aber
für ein bescheidenes Leben reicht
es in der Regel. Ab und zu nehmen
die Musiker Jobs an, um über die
Runden zu kommen. Der Percussionist Aghaly Ag Mohamedine
und der Bassist Cheigk Ag Tiglia
arbeiten gelegentlich für ihre Familien im Stoffhandel, Ag Mossa
belädt Lastwagen. Manchmal
schuften die Männer auch in einer nahegelegenen Goldmine.
Insgesamt hat sich die Lage auf
dem Arbeitsmarkt verschlechtert,
weil sich immer weniger Touristen in die Region wagen. Neben
den Tuareg-Aufständen sind da-
Das alles macht die Region noch
unruhiger. 2006 gab es einen
Hoffnungsschimmer. Malis Präsident Amadou Toumani Touré gelang es, mit Vertretern der Tuareg
das Abkommen von Algier zu
schließen und die Rebellion im
Norden zu beenden. Doch nur
zwei Jahre später flammten die
Kämpfe wieder auf. Erneut setzte
Touré auf Verhandlungen und
schloss mit einem Tuaregführer
einen Waffenstillstand. Trotzdem
griffen die Tuareg malische
Staatsbedienstete an. Es bleibt
also unruhig im Norden. Die Sicherheitslage sei in den vergangenen zwei Jahren schlechter geworden, sagt David Robert von
der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), der längere Zeit in der Region gearbeitet
hat.
Im Booklet des aktuellen Albums
wenden sich Tamikrest an ihre
Altersgenossen. Abgesehen von
der 35-jährigen Sängerin Walet
Sidati sind die Musiker zwischen
22 und 27 Jahre alt. Sie fordern
von ihrer jungen Generation der
Tuareg, sich für die eigenen Rechte einzusetzen, die Kultur zu bewahren und ihre Heimat zu entwickeln. Der Ausverkauf von
Siedlungsgebieten an Konzerne
dürfe nicht hingenommen werden. Tamikrest verlangen von der
internationalen
Gemeinschaft,
„dem Verschwinden eines Volks“
nicht schweigend zuzusehen.
Ousmane Ag Mossa sagt: „Wir
sind Künstler und es ist unsere
Pflicht, der Welt von den Problemen der Tuareg zu berichten.“
Auf Tournee ist die Gruppe zu
sechst – eine Sängerin und ein
Musiker sind blieben aus logistischen Gründen zu Hause geblieben. Zwei Personen mehr bedeuten mehr Kosten, und es passen
nicht alle in den Tourbus von Manager Peter Weber. Der Saarländer hat die Gruppe 2008 bei einem
Musikfestival nahe Timbuktu
„kennen und lieben gelernt“. Weber war als Manager einer anderen Band dort. Tamikrest waren
im Nachbarzelt. „Sie hatten keinen Manager, kein Label oder
Kontakt zu westlichen Musikleuten“, erzählt Weber, der die Band
gemeinsam mit dem Label Glitterhouse nach Europa geholt hat.
„Dadurch haben sich meine musikalischen Kenntnisse enorm erweitert“, sagt ag Mossa. „Ich habe
gelernt, variantenreicher Gitarre
zu spielen, habe neue Griffe und
Techniken gelernt.“
Neben den westlichen „Gitarrenhelden“ zählt Ousmane Ag Mossa
auch die etablierte Tuaregband
Tinariwen zu seinen Vorbildern.
Doch mit dem aktuellen Album
ist Tamikrest aus ihrem Schatten
getreten. Im Mai ist es auf Platz
acht in die europäischen World
Music Charts eingestiegen. Es war
der höchste Neueinsteiger des
Monats. Trotz ihrer traditionellen
Gewänder und Turbane sind Tamikrest also längst keine Exoten
mehr.
www.tamikrest.net
47
48
journal
mikrokredite
„Subventionierte Kreditprogramme sind ein Problem“
Im Kaukasus wächst der Markt für Mikrofinanz
Die ökumenische Kreditgenossenschaft Oikocredit arbeitet seit 2005
in Kaukasusländern wie Armenien,
Aserbaidschan und Georgien. Seitdem ist die Nachfrage nach Mikrokrediten dort deutlich gewachsen,
der Wettbewerb zwischen den Mikrofinanzinstitutionen verschärft
sich. Laut Amber O’Connell, die bei
Oikocredit den Kaukasus betreut,
ist der Sektor in der Region insgesamt gut reguliert. Die Kreditvergabe muss aber weiter kontrolliert
werden, um eine Überschuldung
von Kreditnehmern zu verhindern.
Mikrokredite sind in die Diskussion
geraten, seit sich im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh immer
mehr Kreditnehmer überschuldet
haben. Kann das im Kaukasus auch
passieren?
Überschuldung ist ein Risiko, das
in jedem Land überwacht werden
muss. Aber die Situation im Kaukasus ist ganz anders als in Indien,
etwa bei der Regulierung von Mikrofinanzinstitutionen (MFI). Im
Kaukasus wird das Wachstum des
Sektors stärker kontrolliert und
die Systeme sind besser institutionalisiert. Armenien hat etwa ein
sehr gutes System von Kreditbüros, das von der Regierung gefördert wird. Alle MFI müssen den
Büros die Kredite melden, die sie
gewähren. Umgekehrt können sie
sich dort über Kunden informie-
Unseren ersten Kredit haben wir
2005 vergeben. Inzwischen arbeiten wir mit 14 Partnern in Armenien, Aserbeidschan und Georgien
und erreichen ungefähr 420.000
Menschen. Ich habe mein Büro in
Amersfoort, reise aber mindestens
einmal jährlich in jedes der Länder. Außerdem haben wir noch
ein Länderbüro in Russland.
Amber O’Connell ist seit 2010
bei Oikocredit für Programme im
Kaukasus zuständig.
ren, denen sie einen Kredit geben
wollen. Sie erfahren so auch, ob
ein Kunde bereits bei einer anderen Institution Geld geliehen hat.
Im Kaukasus besteht noch ein
großer Bedarf an Mikrofinanz.
Wer drängt auf diesen Markt?
Es gibt viele Mikrofinanzinvestoren, Entwicklungsbanken und andere Investoren, von denen einige
große Geldbeträge platzieren wollen. Es gibt ein großes Interesse an
diesen Ländern und einen wachsenden Wettbewerb, so dass dorthin noch viel Geld fließen wird.
Die MFI müssen aber in der Lage
sein, ihr Wachstum zu steuern
und sich genau überlegen, wie sie
ihr Geld vergeben. Wir beobachten die Situation sehr sorgfältig.
Seit wann arbeitet Oikocredit im
Kaukasus?
Werden die Kredite wie in Indien
bevorzugt an Frauen vergeben?
Nein, die Programme richten sich
an Frauen und Männer gleichermaßen. Sie werden meist an Familien vergeben. Die Mehrzahl der
Kunden lebt auf dem Land. Die
Kredite verwenden sie für Landwirtschaft und Handel.
Manche Experten sagen, dass die
ärmsten Menschen mit Mikrokrediten gar nicht erreicht werden.
Stimmen Sie dem zu?
Ja, ich glaube, die Ärmsten haben
andere Bedürfnisse. Aber zweifellos gehen die Kredite an arme
Menschen und sie tun damit großartige Dinge. In der vergangenen
Woche habe ich in Armenien eine
Bauernfamilie mit drei Kindern
besucht. Bevor sie den Kredit bekamen, haben sie ausschließlich Gemüse angebaut. Jetzt stellen sie
zusätzlich Honig her, backen Brot
und ziehen Tiere auf. Solche Beispiele finde ich überzeugend.
Wie viel Geld bekam die Familie?
Ihr vierter Kredit lag bei etwa
5000 US-Dollar. Im Durchschnitt
betragen die Kredite im Kaukasus
zwischen 1000 und 3000 US-Dollar. Die Leute haben ein bis zwei
Jahre Zeit, sie zurückzuzahlen.
Der Schuh-Händler Aleksandr
Iakubian aus Georgien finanziert
sein Geschäft mit einem Kleinkredit.
Oikokredit
Wie zuverlässig bezahlen die Kunden ihre Kredite zurück?
In Armenien gab es eine schwierige Phase nach der globalen Wirtschaftskrise. Das Land ist von der
Weltwirtschaft abhängig, weil
viele Armenier im Ausland leben
und arbeiten und ihre Familien
mit Überweisungen unterstützen.
Deshalb stieg die Zahl derer, die
ihre Kredite bei Fälligkeit nicht
zahlen konnten. Aber seitdem hat
sich die Lage verbessert.
Laut Experten brauchen arme Menschen außer Mikrokrediten auch
Mikroversicherungen und Möglichkeiten, Geld zu sparen, damit sich
ihre Lage verbessert. Wird das von
Oikokredit unterstützt?
Ja, aber wir müssen einen Weg
finden, wie wir die Entwicklung
dieser Produkte unterstützen
können. Unsere Partner sind in
der Mehrzahl keine Banken, sie
dürfen keine Spareinlagen annehmen und keine Versicherungen anbieten. Wir haben regionale Netzwerke gefördert, die sich
dafür einsetzen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Das
Mikrofinanz-Netzwerk in Aserbaidschan will Möglichkeiten
schaffen, Kredite in der Landwirtschaft abzusichern. Das ist sehr
wichtig, denn viele Menschen
hängen von der Landwirtschaft
ab und wenn es eine schlechte
Ernte gibt, bringt das das ganze
Land in Schwierigkeiten.
Mit welchen Schwierigkeiten sind
Mikrofinanzinstitutionen im Kaukasus konfrontiert?
Das sind vor allem der zunehmende Wettbewerb, das Problem, Fördermittel in lokaler Währung zu
bekommen, die zu ihrem Portfolio
passen, sowie subventionierte
Kreditprogramme. Letztere können zwar temporär unterstützend
wirken, unterminieren aber auch
8-2011 |
studien journal
nachhaltige Aktivitäten der MFIs.
Viele Kunden wollen niedrigere
Zinsen und höhere Kreditbeträge.
In Armenien wird das verschärft
durch Regierungsprogramme, die
Kredite zu sehr niedrigen Zinsen
vergeben. Damit können MFIs
nicht konkurrieren. Für den Erhalt
des Sektors ist es wichtig, dass sie
ihre eigenen Kosten decken können und effizient arbeiten. Unsere
Partnerorganisationen gehen mit
den Kunden deren Wirtschaftspläne durch – was dazu führen
kann, dass diese weniger Geld bekommen als gewünscht. Für uns
ist es sehr wichtig, dass die Partner ein gutes Verständnis dafür
haben, was die Kunden wirklich
stemmen können, welches Produkt am ehesten ihren Bedürfnissen entspricht und was sie brauchen, um ihren Geschäftsplan zu
verwirklichen.
Musste einer Ihrer Partner in der Finanzkrise aufgeben?
Nein, zum Glück nicht. Sie hatten
eine schwierige Zeit, aber sie haben sie alles in allem gut durchgestanden. Im vergangenen Jahr ist
die Zahl der ausfallgefährdeten
Kredite in der Region sogar gesunken.
Das Gespräch führte
Gesine Kauffmann.
studien
Bernard Wood u.a.
The Evaluation of the Paris Declaration
Phase 2. Final Report
Copenhagen, May 2011, 88 Seiten
www.evaluation.dk
Die Studie geht der Frage nach, inwieweit die Paris-Erklärung über
eine wirksamere Entwicklungshilfe von 2005 die Bemühungen der
Geber und ihrer Partnerländer tatsächlich verbessert hat. Ein Ergebnis der Gutachter ist, dass es eine
Kluft gibt zwischen dem internationalen Aid-Effectiveness-Zirkus
im Entwicklungsausschuss der
OECD, den Chefetagen der Geberagenturen und den entwicklungspolitischen Denkfabriken sowie
der Praxis in den Entwicklungsländern. Auf internationaler Ebene werden am laufenden Band
Studien, Analysen und Konzepte
produziert. Dazu kann man auch
die vorliegende Evaluation zählen,
die ein Team von Gutachtern aus
aller Welt für die OECD erstellt hat.
Die Autoren fordern indes, dass
die Bemühungen für eine wirksamere Hilfe viel stärker auf die Arbeit in den armen Ländern konzentriert werden muss. Die internationale „Superstruktur“ der
Standardisierung, Analyse und
Kontrolle der Wirksamkeit von
Entwicklungshilfe müsse „weniger
| 8-2011
behindernd und mehr nutzbringend“ sein. Diesen Anspruch erfüllt die Evaluation immerhin. Sie
benennt die Fortschritte seit 2005,
weist aber auch ziemlich klar auf
die Mängel bei der Umsetzung der
Paris-Erklärung hin. In den vergangenen zwanzig Jahren sei die
internationale Entwicklungshilfe
deutlich transparenter geworden.
Sie werde heute weniger einseitig
von den Gebern bestimmt als früher, und dazu habe in jüngerer
Vergangenheit auch die Paris-Erklärung beigetragen. Aber vor allem den Regierungen und Hilfsagenturen der Geberländer werfen die Gutachter Reformmüdigkeit vor. Von Abstimmung
untereinander sowie Anpassung
an Strukturen der Partnerländer,
wie von der Paris-Erklärung gefordert, sei vielerorts wenig zu spüren. Ebenso wenig von der Bereitschaft der Geber, Risiken einzugehen und gemeinsam mit ihren
Partnern Verantwortung für ein
mögliches Scheitern innovativer
Ansätze zu übernehmen.
Den Regierungen der Entwicklungsländer raten die Gutachter,
nicht auf die Geber zu warten,
sondern das Heft selbst in die
Hand zu nehmen und auf Reformen zu drängen. Das setzt natürlich voraus, dass sie selbst ein Interesse an einer wirksameren Hilfe haben, was häufig leider nicht
der Fall ist. Damit sich keiner aus
der Verantwortung stiehlt oder
Geber und Empfänger sich gegenseitig gute Zeugnisse ausstellen,
empfiehlt die Studie den Einsatz
unabhängiger Gutachter. Sie sollen kontrollieren, inwieweit die
Paris-Erklärung in der Praxis beachtet wird. (ell)
gungsprobleme und ein Mangel
an Vertrauen in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern.
Auch sei es in manchen Fällen
schwierig, die Eigentümer von
Bankkonten ausfindig zu machen, weil es kein nationales
Bankenregister gibt.
Kevin M. Stephenson u.a.
Barriers to Asset Recovery
Weltbank, UNODC
Juni 2011, 196 Seiten, www1.worldbank.org/publicsector/star_site/
Entwicklungsländer
verlieren
laut Schätzungen jedes Jahr zwischen 20 und 40 Milliarden USDollar durch Korruption und veruntreute Staatsgelder. Im Gegenzug sind in den vergangenen 15
Jahren lediglich fünf Milliarden
US-Dollar solcher Gelder rückerstattet worden. Die Weltbank und
das UN-Büro zur Bekämpfung
von Drogenhandel und Kriminalität (UNODC) analysieren in einem gemeinsamen Bericht die
Ursachen für diese Kluft und vor
allem, was dagegen getan werden sollte.
Die Autoren identifizieren zahlreiche Barrieren, die der Rückgabe von Geld im Weg stehen, das
korrupte Machthaber oder Beamte beiseite geschafft haben. In
vielen Ländern fehle eine klare
politische Strategie im Umgang
mit veruntreuten Mitteln, der juristische Prozess sei kompliziert
und verzögere sich häufig. Erschwerend hinzu kämen strikte
Bankgeheimnisse und andere juristische Hindernisse, Verständi-
Die Experten von Weltbank und
UNODC empfehlen unter anderem Reformen bei der Gesetzgebung in den Zielländern, um das
Einfrieren und Konfiszieren veruntreuter Gelder zu erleichtern.
Darüber hinaus sollten bestehende Maßnahmen gegen Geldwäsche effektiver eingesetzt werden, um Korruption möglichst
von vorneherein zu verhindern.
Sie appellieren an Finanzinstitutionen, im Umgang mit „politisch
exponierten Personen“ besonders vorsichtig zu sein. Mit ihrem
Bericht wollen die Autoren die
Missstände bei der Rückgabe gestohlener Gelder beseitigen helfen und richten sich dabei vornehmlich an politische Entscheidungsträger. Die Zivilgesellschaft
ihrerseits könne aus der Studie
eine Checkliste ableiten, anhand
derer sie die Fortschritte bei der
Beseitigung von Hindernissen
im Umgang mit der Rückerstattung gestohlenen Staatsvermögens überprüfen kann.
Besonders zuversichtlich klingen
die Autoren allerdings nicht,
wenn sie darauf hinweisen, dass
bei der Rückgabe gestohlenen
Staatsvermögens eine intensive
internationale Zusammenarbeit
gefragt ist. Dies mache es noch
schwieriger, die nötige Kraft zu
mobilisieren, die Hindernisse zu
beseitigen. (gka)
49
50
journal berlin
Berlin
Enttäuschender Rekordhaushalt
Das Entwicklungsministerium erhält 2012 nur wenig mehr Geld
Als dritten Rekordhaushalt unter
Minister Niebel feiert das Entwicklungsministerium den Etatentwurf
für 2012. Doch der Zuwachs ist
eher kläglich. Das erklärte Ziel, die
staatlichen Entwicklungsleistungen bis 2015 auf 0,7 Prozent des
Bruttoinlandprodukts zu erhöhen,
rückt in immer weitere Ferne. Entwicklungspolitiker im Parlament
und Hilfsorganisationen sind enttäuscht.
Um exakt 113,8 Millionen Euro
auf dann 6,33 Milliarden Euro soll
der Etat des Entwicklungsministeriums (BMZ) im kommenden
Jahr steigen – vorausgesetzt, das
Parlament stimmt im Herbst dem
Regierungsentwurf aus dem Bundesfinanzministerium zu. „Ein
tolles Ergebnis“, findet man im
BMZ. Tatsächlich mussten manche anderen Ressorts angesichts
der angespannten Finanzlage des
Bundes Federn lassen oder sich
mit geringeren Zuwächsen als
das BMZ (plus 1,8 Prozent) bescheiden.
Das Bundesfinanzministerium
rech­net gar vor: Würden die in
anderen Ressorts erbrachten Entwicklungsleistungen einbezogen,
ergebe sich ein Zuwachs von 750
Millionen Euro. Doch auch im
Haus von Finanzminister Wolfgang Schäuble bestreitet man
nicht: 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts bis 2015 sind auf
diese Weise nicht zu erreichen.
Bei 0,38 Prozent lag die so genannte ODA-Quote Deutschlands
laut Statistik der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) im vergangenen Jahr. Die erforderliche
Verdoppelung der Quote sei „mit
allgemeinen Haushaltsmitteln“
nicht zu erreichen, so die obersten Kassenwarte. Das könne nur
gelingen, wenn künftig neue Finanzierungsinstrumente einen
„wesentlichen Beitrag“ leisteten
– etwa Erlöse aus dem Handel
Entwicklungsminister Dirk Niebel
muss ab 2013 mit weniger
Geld auskommen.
Tim Brakemeier/Picture Alliance/DpA
0,7-Ziel nicht abzulassen. Nötig
wäre demnach ein jährlicher Zuwachs um mindestens 1,2 Milliarden Euro. Entsprechend groß sei
jetzt die Enttäuschung, erklärte
Thilo Hoppe von den Grünen, der
den Aufruf initiiert hat. Minister
Niebel hat sich der Initiative bislang nicht angeschlossen.
mit CO2-Zertifikaten. Besonders
stark wirkt sich die neue gesetzliche Schuldenbremse aus: Von
2016 an muss die Neuverschuldung zügig auf Null heruntergefahren werden. In der mittelfristigen Finanzplanung sind die Folgen für den BMZ-Etat deutlich
sichtbar. Von 2013 an schrumpfen
die zur Verfügung stehenden Mittel jedes Jahr um zweistellige Prozentwerte. Auch der Klima-Sonderfonds kann diese Lücke nicht
schließen: Er wird auch von der
inländischen Energiepolitik angezapft, um einen Teil der Kosten
des deutschen Atomausstieges zu
finanzieren.
Im Parlament grummelt es
derweil gewaltig
Während sich Entwicklungsminister Dirk Niebel dessen ungeachtet zufrieden zeigt, grummelt
es im Parlament. Weit mehr als
die Hälfte der Abgeordneten, darunter Dutzende Mitglieder der
Regierungsfraktionen, haben den
in diesem Frühjahr von Entwicklungspolitikern aller Fraktionen
gemeinsam auf den Weg gebrachten Aufruf unterschrieben, vom
„Wer Steuern senken will, kann
auch seine entwicklungspolitischen Versprechen halten“, finden
derweil die Hilfsorganisationen
Welthungerhilfe und terre des
hommes. Der Dachverband Venro
spricht von politischer „Mutlosigkeit“. Die Lobbyorganisation ONE
hofft auf Nachbesserung des
Haushalts im weiteren parlamentarischen Verfahren. Doch das ist
eine vage Hoffnung: Die rund 70
Parlamentarier der Regierungsfraktionen, die den Aufruf für das
0,7-Prozent-Ziel unterzeichnet haben, haben zur Bedingung ihrer
Unterschrift gemacht, dass es
nicht zur Abstimmung über die
Initiative kommt.
Johannes Schradi / Roland Bunzenthal
Gesundheitsfonds in der Warteschleife
Minister Niebel gibt nur 100 Millionen Euro für dieses Jahr frei
Erst wurden die Hilfsgelder geblockt, dann teilweise gewährt. Ob
das
Entwicklungsministerium
(BMZ) den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose
und Malaria (GFATM) künftig noch
fördern wird, hält Minister Niebel
offen. Für 2012 sind bislang keine
Mittel vorgesehen.
Quasi über Nacht hatte Entwicklungsminister Dirk Niebel Ende
Januar sämtliche Zahlungen an
den bei der Weltbank angesiedelten Globalen Gesundheitsfonds
gestoppt. Der Grund: Korruptionsvorwürfe waren laut geworden
(siehe welt-sichten 3/2011, S.51).
Sie betrafen zwar nur einige wenige Länder. Aber das genügte
dem Minister, den ganzen, weltweit hoch angesehenen Hilfstopf
unter Generalverdacht zu stellen.
Bis zu einer gründlichen Prüfung
sollte der Fonds auf weitere deutsche Zahlungen verzichten – fest
zugesagt waren jährlich 200 Millionen Euro bis 2013.
Nun liegt ein Zwischenbericht
der unabhängigen Prüfkommission vor, die Niebel gefordert hatte, verfasst auch mit deutscher
Beteiligung. Sein Ergebnis fällt so
aus, dass sich der Minister Anfang Juli immerhin bereit fand,
8-2011 |
berlin journal
die Hälfte der für 2011 vorgesehenen Mittel, 100 Millionen Euro,
freizugeben. Allerdings unter besonderen Bedingungen: Das Geld
dürfe nur in Länder fließen, in denen der GFATM in erster Linie international tätige Organisationen
beauftragt wie etwa das Entwicklungsprogramm der Vereinten
Nationen (UNDP) – oder noch
besser die deutsche Gesellschaft
für internationale Zusammenarbeit (GIZ), deren Hauptauftraggeber das BMZ ist. Letzteres käme
einer bilateralen Vergabe von
Fördermitteln gleich. Die bevorzugt Niebel ohnehin vor jeder Art
multilateraler Töpfe; schon vor
den Korruptionsvorwürfen war
er dem Globalen Fonds nicht gewogen.
Niebel will dem Fonds kein Geld
mehr geben, vermutet die SPD
Erst wenn der Abschlussbericht
der Prüfer vorliege, werde über
die Freigabe der restlichen 100
Millionen Euro für 2011 und der
Mittel für das kommende Jahr
entschieden, erklärt Niebel. Das
soll Mitte September sein. Allerdings sind im BMZ-Haushaltsentwurf für 2012 gar keine Gelder
mehr für den Fonds eingestellt. Es
finde sich – ärgert sich die SPDBundestagabgeordnete
Karin
Roth – lediglich ein Vermerk in
den „Allgemeinen Erläuterungen“, dass die Mittel freigegeben
werden könnten, wenn sich die
Korruptionsvorwürfe als nicht
stichhaltig erweisen. Sie müssten
dann aus einem anderen Etatposten übertragen werden. Wäre Minister Niebel an einer Vergabe
wirklich interessiert, sagt Roth,
hätte er das Geld – und sei es unter Vorbehalt – genauso gut gleich
in den Etat einstellen können.
Derweil fordert das Aktionsbündnis gegen Aids nicht nur eine ver-
bindliche Zusage, sondern eine
„deutliche Ausweitung“ der deutschen Beiträge.
schäfts, also mit anderen Auftraggebern als der Bundesregierung, inklusive der privaten Wirtschaft.
berlin – Kurz notiert
Auf jeden Fall müssten die Abgeordneten des Bundestages die
„falsche Planung des Regierungsentwurfs korrigieren“. Sollten die
200 Millionen Euro im kommenden Jahr nicht ausgezahlt werden,
fehlten dem Fonds die Mittel zur
Rettung von 43.000 Menschenleben, hatte der Vorsitzende des Unterausschusses Gesundheit in
Entwicklungsländern, Uwe Kekeritz (Grüne), schon im Frühjahr
vorgerechnet.
Johannes Schradi
Hochfliegende Pläne
Die GIZ will ihr Geschäft stärker internationalisieren
Die Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit (GIZ) ist gerade
ein halbes Jahr alt und formuliert
hochfliegende Ziele: Vorstandssprecher Eisenblätter strebt die Position des „Weltmarktführers“ bei
der Entwicklungszusammenarbeit
an. Doch zunächst müssen die Unternehmenskulturen der drei Vorgängerorganisationen zusammengeführt werden.
Die aus den drei staatlichen Entwicklungsorganisationen Deutsche Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ), Inwent
und Deutscher Entwicklungsdienst (DED) hervorgegangene
GIZ sei schon heute „mehr als nur
eine Zusammenlegung“, betonte
Bernd Eisenblätter bei der Jahrespressekonferenz Anfang Juli.
Kerngeschäft bleibe die internationale technische Zusammenarbeit und die Bildungsarbeit. Doch
solle ein „erweitertes Mandat“
künftig für mehr Kooperationen
mit der Wirtschaft sowie mit Industrie- und Schwellenländern
sorgen, sagte Eisenblätter, der
schon der größten der Vorläuferorganisationen, der GTZ, vorstand.
Wieweit diese Pläne tatsächlich
umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Noch hat man in der GIZ
alle Hände voll damit zu tun, die
| 8-2011
unterschiedlichen Unternehmenskulturen der drei Vorgängerorganisationen zusammenzuführen.
„Es rumpelt hier und da“, räumt Eisenblätter ein. Dabei geht es keineswegs nur um die Angleichung
unterschiedlicher Tarifsysteme.
Be­sonders ehemalige DEDler, die
sich vor allem als Entwicklungshelfer sähen, fürchteten, am Ende
nur noch Teil einer gut geölten und
auf Effizienz getrimmten Durchführungsmaschinerie zu sein, sagt
ein Insider. Ein „gemeinsames Unternehmensleitbild“ müsse noch
erarbeitet werden, heißt es denn
auch in einem internen GIZ-Papier.
Ein Personalbbau droht laut
dem GIZ-Vorstand nicht
„Synergieeffekte“ der Fusion, die
sich besonders das Entwicklungsministerium erhofft, seien bereits
zu spüren, betont Eisenblätter.
Die Abstimmungsprozesse seien
„schlanker“ geworden, intern und
mit dem BMZ. Ein Personalabbau
drohe nicht – vorausgesetzt, das
Geschäftsergebnis lässt sich
durch eine stärkere Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Schwellenländern sowie erweiterte Bildungsangebote steigern. Eisenblätter verspricht sich ein Plus
von 230 Millionen Euro bis 2014.
Zu erzielen wäre es vor allem
über die Ausweitung des Drittge-
Dass damit die höhere politische
Steuerungsfähigkeit leiden könnte, die sich das BMZ gegenüber
der GIZ dringend wünscht, befürchtet Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz nicht: Auch Drittgeschäfte müssten schließlich mit
dem BMZ abgestimmt werden.
„Der Schwanz wedelt mit dem
Hund“, hieß es bislang zum Verhältnis zwischen dem Ministerium und der früheren GTZ. Das
soll nun endgültig vorbei sein. In
der Absicht, Wirtschaft und Entwicklung stärker zu verzahnen,
demonstrieren BMZ- und GIZFührung große Einigkeit.
Der Gesamtumsatz der drei GIZVorgängerorganisationen betrug
im vergangenen Jahr 1,85 Milliarden Euro. Hauptauftraggeber war
mit knapp 1,3 Milliarden Euro (68
Prozent) das BMZ, etwa zehn Prozent steuerten andere Bundesministerien bei, rund 15 Prozent
machten Geschäfte mit anderen
Regierungen, internationalen Organisationen und der Privatwirtschaft aus. Der Rest sind Kofinanzierungen anderer Geber an laufenden GIZ-Projekten. Johannes Schradi
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat ihre Leitsätze für
multinationale Unternehmen erweitert. Im Vergleich zur vorhergehenden Fassung aus dem Jahr
2000 werden insbesondere dem
Schutz der Menschenrechte und
der unternehmerischen Sorgfaltspflicht in der gesamten Lieferkette
mehr Gewicht beigemessen. Von
einer verantwortungsvollen Unternehmensführung wird zudem
gefordert, Arbeit angemessen zu
entlohnen, Klima und Ressourcen
zu schonen und Korruption zu bekämpfen. Die Leitlinien wurden
von Regierungen sowie Vertretern
aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam überarbeitet.
Sie zu befolgen bleibt allerdings
freiwillig. Cornelia Heydenreich
von OECD-Watch forderte denn
auch Sanktionen, wenn sich Unternehmen nicht an die Leitlinien
halten, etwa den Ausschluss von
staatlichen Exportbürgschaften
oder öffentlichen Aufträgen.
Christoph Hahn vom Deutschen
Gewerkschaftsbund (DGB) vermisst eine Verpflichtung der Unternehmen auf „Existenz sichernde Löhne“ auch in den Entwicklungsländern. Joachim Steffens,
im Bundeswirtschaftsministeri-
51
52
journal berlin | brüssel
um unter anderem für die Außenwirtschaftsförderung zuständig,
riet, die Leitsätze in ihrer aktualisierten Form erst einmal zum allgemeinen Richtmaß in den multi-
nationalen Unternehmen zu machen. Dazu erstelle das Ministerium derzeit ein Handbuch. Im
Wirtschaftsministerium ist die
deutsche Nationale Kontaktstelle
eingerichtet, bei der Verstöße gegen die Leitsätze gemeldet werden
können – eine Tatsache, die etwa
von OECD-Watch angesichts möglicher Interessenskonflikte kriti-
siert wird. Neben den OECD-Mitgliedern haben Ägypten, Argentinien, Brasilien, Lettland, Litauen,
Marokko, Rumänien und Peru die
Leitsätze unterzeichnet.
(di)
Brüssel
Mehr Geld für die Außenpolitik
Pläne für den EU-Haushalt und die Entwicklungspolitik der nächsten sieben Jahre
Ende Juni hat die EU-Kommission
den Haushaltsplan der Europäischen Union für die Jahre 2014 bis
2020 vorgelegt. Die Mittel für Außenpolitik sollen zwar deutlich
steigen, doch die Entwicklungszusammenarbeit bekommt davon
nur wenig. Die europäische Landwirtschaft wird gefördert wie eh
und je. Weil die Agrarhilfen aber
unter anderen Bedingungen vergeben werden, dürfte es Entwicklungsländern und Hilfsorganisationen zunehmend schwer fallen, sie
politisch anzugreifen.
Bislang gibt es nur einen ersten
Entwurf für die Ausrichtung der
Entwicklungspolitik nach 2013,
doch der kann sich bis zur Vorlage im Herbst noch deutlich ändern. Danach sollen die Demokratisierung, die Parlamente und
die Zivilgesellschaft in den Partnerländern stärker gefördert sowie in laufenden Programmen
und Projekten mehr Druck in
Richtung „guter Regierungsführung“ gemacht werden. Die Brüsseler Entwicklungshilfe soll zudem auf die ärmeren Entwicklungsländer fokussiert, die Mittel
für Schwellenländer wie Brasilien, Indien oder Südafrika hingegen sollten kritisch überdacht
werden.
Dies käme zwar den Auffassungen einiger EU-Länder wie
Schweden und Großbritannien
entgegen. Doch Leidtragende dieser Ausrichtung könnten die Armen in jenen Ländern sein, die
zwar wirtschaftlich wachsen, in
denen aber zugleich die wirtschaftliche Ungleichheit größer
wird. Darauf haben Entwick-
lungsorganisationen bereits im
Frühjahr hingewiesen, nachdem
die EU-Kommission ihr entwicklungspolitisches „Grünbuch“ zur
Vorbereitung der zukünftigen
EU-Strategie vorgelegt hatte.
Der Entwurf nennt noch keine
Zahlen zur Höhe der EU-Entwicklungshilfe ab 2013. Hinweise dazu
enthält aber der Vorschlag zur mittelfristigen Finanzplanung für die
Jahre 2014 bis 2020, den die Kommission Ende Juni vorgelegt hat.
Der sieht zwar vor, die Ausgaben
für „auswärtiges Handeln“ von 56
Milliarden Euro im laufenden Finanzplan (2007 bis 2013) um ein
Viertel auf 70 Milliarden Euro anzuheben. Aber der Löwenanteil davon entfällt auf die „Nachbarschaftspolitik“ in Südosteuropa
und rund ums Mittelmeer.
Mehr Geld für Südosteuropa
und die Mittelmeerländer
Auch die „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitk“
der Europäischen Union erhält
27 Prozent mehr. Die Förderung
von Demokratie und Menschenrechten in Drittländern wird
zwar ebenfalls um ein Viertel gesteigert, allerdings auf einem viel
niedrigeren Niveau, das gerade
mal bei der Hälfte der Ausgaben
für Sicherheit und Verteidigung
liegt. Der Dachverband der europäischen Entwicklungsorganisationen CONCORD freute sich
denn auch etwas vorschnell über
die Zunahme des Budgets für Außenpolitik, denn die Mittel für
Entwicklungszusammenarbeit
(Development Cooperation Instrument, DCI) steigen über die Gesamtlaufzeit von sieben Jahren
bis 2020 nur um bescheidene 15
Prozent. Im besten Fall reicht das
für den Inflationsausgleich.
lich die gleiche Sockelfinanzierung wie früher durch die direkten Agrarpreisgarantien der EU.
Indes soll der Europäische Entwicklungsfonds (EEF) für die Zusammenarbeit mit den mit der
EU assoziierten Ländern in Afrika, der Karibik und der PazifikRegion (AKP) laut dem Finanzplan der Kommission um die
Hälfte von 20 Milliarden Euro auf
30 Milliarden aufgestockt werden. Das ist erstaunlich, weil in
den Hauptstädten bisher nichts
davon zu hören war, für den EEF,
der nicht Teil des EU-Haushalts
ist, mehr Geld bereitzustellen.
Die laufende Reform der EU-Agrarpolitik treibt diesen Wandel voran; nach 2013 sollen ExportpreisGarantien ganz verschwinden.
Das EU-Parlament und die meisten EU-Regierungen unterstützen
das – ebenso wie den bleibend hohen Anteil der Agrarpolitik im
Rahmenhaushalt bis 2020. Gestritten wird allenfalls über das Tempo, in dem „historische Unterschiede“ abgebaut werden sollen – beispielsweise, dass Großgrundbesitzer wie das britische Könighaus
pro Hektar wesentlich höhere EUBeihilfen erhalten als polnische
oder slowenische Kleinbauern.
Mit nur knapp 7 Prozent ist das
Budget für Außenpolitik weiterhin nur ein kleiner Posten im EUHaushalt – zumal im Vergleich
zu den Ausgaben für die Agrarpolitik, die im Plan 2014 bis 2020
nur um knapp 2 Prozent sinken
sollen und dann immer noch einen Anteil von knapp 38 Prozent
haben. Direkte Exportsubventionen für einzelne Agrarprodukte
hat Brüssel in den vergangenen
Jahren –im Einklang mit Vorgaben der Welthandelsorganisation
– systematisch abgebaut, so dass
manche Anklagen von zivilgesellschaftlichen Organisationen
und Entwicklungsländern nunmehr ins Leere laufen. Die EUAgrarhilfen wurden auf Direktzahlungen je nach Größe der
landwirtschaftlichen
Betriebe
(der erste Pfeiler der EU-Agrarpolitik) sowie auf Belohnungen für
Umwelterhaltung und die Entwicklung des ländlichen Raums
(der zweite Pfeiler) umgeschichtet. In der Summe ergibt das frei-
Die EU-Agrarpolitik anzugreifen,
wird schwieriger
Entwicklungsländer – und entwicklungspolitische Organisationen – befinden sich damit in der
unbequemen Lage, dass die EUAgrarproduktion (und damit indirekt auch die Lebensmittelindustrie) von Brüssel weiterhin gepäppelt und mit Wettbewerbsvorteilen ausgestattet wird, dies aber
politisch und wirtschaftlich viel
schwieriger anzugreifen ist als die
so offensichtlich unsinnigen EUSubventionen für Weinseen und
Butterberge vergangener Zeiten.
Immerhin einen Lichtblick bietet
der EU-Haushaltsplan: Die Kommission hat sich trotz intensivster
Lobbyarbeit der Finanzbanker da­
zu durchgerungen, die leichte Zunahme des Haushalts um 5 Prozent vor allem aus den Einnahmen
einer Finanztransaktionssteuer zu
finanzieren.
Heimo Claasen
8-2011 |
brüssel | schweiz journal
brüssel – Kurz notiert
Die EU-Kommission hat eine Strategie für den Übergang zu einer
„umweltverträglichen Wirtschaft in
Verbindung mit nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung“
vorgelegt. Das Ende Juni veröffentlichte Papier soll in Vorbereitung der Konferenz „Rio plus 20“
im kommenden Jahr die Leitlinie
für eine gemeinsame Position der
27 Mitgliedsstaaten bilden. Angestrebt wird eine „grüne Wirtschaft“
mit Partnerschaften zwischen öffentlichem und privatem Sektor.
Umwelt- und Entwicklungsorganisationen bezeichneten die Vorlage als „schwammig und wenig
konkret“. Die vor allem auf eine
„grüne Wirtschaft“ gerichteten
Ziele ließen soziale Gesichtspunk-
te außer Acht, ebenso wie Grundfragen des Zugangs zu Wasser, zu
Land- und Forstnutzung. Die
Kommission betone zwar den
Stellenwert „grüner Technologien“, sage aber nichts dazu, wie
dies mit der von Brüssel etwa in
bilateralen Handelsverträgen forcierten Verschärfung von Patentund Lizenzrechten zu vereinba-
ren sei, die die Anwendung solcher Technologien verteuern und
den Technologietransfer behindern. Zuvor war die Kommission
bereits mit ihrer „Strategie 2020“
zum Erhalt der Artenvielfalt in
der EU im Parlament und im Ministerrat durchgefallen, vor allem
wegen der zu vagen Angaben zu
den Folgekosten.
(hc)
Schweiz
Lehrer und Ingenieure dringend gesucht
Der internationalen Zusammenarbeit in der Schweiz fehlen Fachleute
Cinfo, das Schweizer Zentrum für
Berufe in der internationalen Zusammenarbeit, hat erstmals einen
Arbeitsmarktbericht für diesen Bereich vorgelegt. Die Befragung von
91 Organisationen dient der Stellensuche sowie der Personalplanung und will die Arbeitsvermittlung und Weiterbildung verbessern.
Der internationalen Zusammenarbeit (IZA) in der Schweiz fehlen
Ingenieure, Lehrpersonen und vor
allem medizinische Fachkräfte.
Zwar steht vergleichsweise vielen
Stellensuchenden ein geringes
Arbeitgeberangebot gegenüber,
die Vermittlung erreicht jedoch
die Bedürfnisse beider sehr gut.
Zu diesen Ergebnissen kommt der
erste „Bericht zum Schweizer Arbeitsmarkt der IZA 2010“, den das
Zentrum für Information, Beratung und Bildung für Berufe in
der internationalen Zusammenarbeit (cinfo) im Juni vorgelegt
hat. Sie sollen Interessierten und
Beschäftigten sowie den Hilfsorganisationen eine bessere Weiterbildung und Personalplanung ermöglichen.
Ingesamt waren auf dem Schweizer IZA-Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr rund 4300 Frauen und
Männer in 3681 Vollzeitstellen
beschäftigt, 62 Prozent davon in
der humanitären Hilfe. Ein Grund
dafür ist das Erdbeben in Haiti,
| 8-2011
Haiti zählt bei Schweizer Helfern
nicht zu den begehrten Einsatzorten.
Ramon Espinosa/AP
rund 35 Prozent der Stellen-Ausschreibungen betrafen den Karibikstaat. Allerdings suchen nur
zwei Prozent der Bewerber ausschließlich Stellen in der humanitären Hilfe. Die meisten sind an
längerfristigen Einsätzen der Entwicklungszusammenarbeit interessiert (57 Prozent) oder an beiden Bereichen (41 Prozent).
Nach Pakistan, Sudan oder Haiti
wollen nur wenige
Dem Bericht zufolge ist es nicht
leicht, Personal für schwierige
Einsatzorte zu finden, die als familienuntauglich und oft gefährlich gelten. Neben Haiti und dem
Sudan zählen dazu etwa Pakistan
und Afghanistan. Weil das Angebot an Stellen in den „schwierigen
Ländern“ größer ist als das Ange-
bot an geeignetem Personal, rekrutiert etwa das Schweizerische
Rote Kreuz (SRK) auch im Ausland.
Das SRK ist eine der befragten 91
IZA-Organisationen, die ihren
Hauptsitz oder eine Niederlassung in der Schweiz haben.
Der größte Teil der Arbeitgeber (88
Prozent) sind Non-Profit-Organisationen wie die Stiftung Terre des
Hommes oder Ärzte ohne Grenzen.
Nur fünf Prozent sind Organisationen, die zu mehr als 80 Prozent
staatlich finanziert sind, etwa das
Internationale Komitee vom Roten
Kreuz (IKRK) oder die Direktion für
Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Sieben Prozent der
IZA-Arbeitgeber sind privatwirtschaftliche Unternehmen. Die
Umfragen sollen künftig alle zwei
Jahre stattfinden. Die Ergebnisse
fließen in die Beratungen der Stellensuchenden ein sowie in die Planung von Weiterbildungsangeboten.
Viera Malach, InfoSüd
www.cinfo.ch
Schweiz – Kurz notiert
Schweizer Medien vernachlässigen
Berichte über den globalen Süden.
Darauf hat der Zürcher Mediensoziologe Kurt Imhof bei der Jubiläumsveranstaltung zu 40 Jahren
Alliance Sud Ende Juni hingewiesen. Während sich zwischen 1960
und 1990 fast die Hälfte der außenpolitischen Berichterstattung
mit Afrika, Asien und Lateiname-
rika befasste, waren es in den vergangenen 20 Jahren nur noch 15
Prozent. Imhofs Fazit: „Der globale Süden schrumpft im schweizerischen Erfahrungshorizont.“ Seinen Befund stützt er auf die Auswertung von Artikeln der „Neuen
Zürcher Zeitung“ sowie von „Tages-Anzeiger“ und „Blick“. Mehr
als die Hälfte der Berichte aus
53
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journal schweiz
dem Ausland handelte von Kriegen, Terrorismus und Konflikten.
Diplomatie, Zivilgesellschaft und
die Debatte über Armut verschwänden immer mehr aus dem
Blickfeld, erklärte Imhof. Als
Gründe hierfür nannte der Wissenschaftler den Abbau von Stellen und damit den Verlust von
Spezialwissen. Alliance Sud, die
entwicklungspolitische Lobbyorganisation der sechs großen
Schweizer Hilfswerke, wurde
1971 mit dem Ziel gegründet, die
Bevölkerung über die Länder des
Südens zu informieren. Sie rief
den „Informationsdienst Dritte
Welt i3w“ ins Leben und betreibt
noch heute zwei öffentliche Dokumentationsstellen in Bern und
Lausanne. (IS)
Der Klimafonds von Brot für alle
und Fastenopfer fördert mehr Projekte. In diesem Jahr würden elf
Vorhaben zur Anpassung an den
Klimawandel und zur Stärkung
der lokalen Zivilgesellschaft unterstützt, teilte Evelyn Kamber
von Brot für alle Mitte Juni mit.
Die vier Projekte aus dem Anfangsjahr 2009 seien inzwischen
abgeschlossen. Dazu zählten etwa
der Bau von energieeffizienten
Verbrennungsöfen in Kamerun,
Mangrovenpflanzungen in Bangladesch und Klimaworkshops in
Burkina Faso. Im vergangenen
Jahr sind laut Jahresbericht für
den Klimafonds rund 93.400
Franken (rund 80.000 Euro) Spenden von Kirchengemeinden und
Privatpersonen
eingegangen,
knapp 30.000 Franken (knapp
26.000 Euro) mehr als 2009. Kirchengemeinden beteiligten sich
bislang jedoch nur zögerlich, so
Kamber. Hier müsse noch mehr
für den Fonds geworben werden.
Im Laufe dieses Jahres solle zudem geklärt werden, ob es möglich ist, das durch die Projekte eingesparte Kohlendioxid zu berech-
nen und als Kompensation für
den CO2-Ausstoß anzubieten. Erste Ergebnisse würden Ende des
Jahres erwartet.
(gka)
www.brotfueralle.ch/klimafonds
Der Schweizer Rohstoffkonzern
Glencore steigt in die Ölförderung
in Südsudan ein. Wenige Tage
nach der Unabhängigkeit des
neuen Staates unterzeichneten
die südsudanesische Ölgesellschaft Nilepet und Glencore ein
Abkommen in Südsudans Hauptstadt Juba. Glencore soll sich vor
allem um die internationale Vermarktung des Öls kümmern. (ell)
Kein Kuschelkurs mit den Multis
Alliance Sud erkennt aber Veränderungsbereitschaft bei Nestlé in Kolumbien
Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé steht bei Organisationen der Zivilgesellschaft immer
wieder am Pranger. Überraschend
positiv fällt die Bilanz von Alliance
Sud zu einem Dialog mit dem Unternehmen über seine Produktion
in Kolumbien aus. Ein Gewerkschaftskonflikt bleibt allerdings
ungelöst.
„Es ist das erste Mal, dass Nestlé
einen so tiefgreifenden Dialog
mit einer NGO führt. Er hat in Kolumbien zu Verbesserungen geführt und Nestlés Verhalten verändert“, bilanziert Michel Egger,
Autor des Berichts „Der Fall Kolumbien“ und Regionalleiter von
Alliance Sud in der Westschweiz,
wo Nestlé ihren Hauptsitz hat. In
seiner Stellungnahme wertet der
Konzern den Dialog mit Alliance
Sud ebenfalls als „einmalig“. Erstmals habe ein mehrjähriger „Vertrauensdialog“ mit einem Bericht
seinen Abschluss gefunden. Nestlé erklärte sich mit der Veröffentlichung einverstanden und hat
laut Egger gut die Hälfte von 40
Empfehlungen angenommen. So
erleichterte Nestlé Gewerkschaften den Zugang zu den Betrieben,
führte Schulungen zu Menschenund Arbeitsrechten durch und erklärte die Sicherheit der Beschäf-
tigten zur Chefsache. Allerdings
bleibt der Grundkonflikt zwischen
Sinaltrainal, der wichtigsten Gewerkschaft bei Nestlé Kolumbien,
und der Firmenleitung ungelöst.
„Beide lehnten die vorgeschlagene Mediation zu politischen Themen ab, die nicht direkt Arbeitsbedingungen und Arbeitsrechte
betrafen“, erklärt Beat Dietschy,
Zentralsekretär von Brot für alle
und Mitglied der Delegation, die
die Aktivitäten von Nestlé in Kolumbien erstmals untersucht hat.
Der Konflikt mit Sinaltrainal wurzele vor allem in der von politischer Gewalt geprägten Geschichte des südamerikanischen Landes.
Viele Gewerkschafter, auch aus
dem Umfeld von Nestlé, waren
im Lauf des langjährigen Bürgerkrieges ermordet worden. Nestlé
hatte dazu lange geschwiegen. Infolge des Dialogs hat sich der Konzern jedoch öffentlich geäußert
und Drohungen verurteilt, wie
Dietschy betont.
Ausgangspunkt für den Dialog
war ein „Nestlé-Tribunal“ Ende
2005 in Bern, organisiert von der
Plattform Multiwatch, der unter
anderem Alliance Sud und einige
ihrer Trägerorganisationen angehörten. Dabei wurden Verstöße
des Konzerns gegen Menschenund Arbeitsrechte öffentlich gemacht. Nestlé versuchte die Veranstaltung zu behindern, doch
ausgerechnet ihre Interventionen
bei Caritas und Fastenopfer führten dann zu den vertraulichen
Gesprächen.
Mit vielen Konzernen kommt
kein Dialog in Gang
„Beim Weltkonzern Nestlé lässt
sich Misstrauen in einen offenen
und kritisch geführten Dialog verwandeln. Das ist für uns ein beachtliches und ermutigendes Ergebnis“, kommentiert Dietschy.
Brot für alle, Caritas, Fastenopfer,
Helvetas, Heks und Swissaid wollen unter dem Dach von Alliance
Sud die Entwicklung in Kolumbien im Auge behalten und mit
Blick auf andere Prozesse auswerten. „Der Fall Kolumbien“ gilt jedoch als abgeschlossen.
Laut Dietschy lässt sich der Vertrauensdialog mit Nestlé nicht
eins zu eins auf andere Weltkonzerne übertragen. Mit verschiedenen Unternehmen gebe es unterschiedliche Gesprächsansätze.
In einigen Fällen sei auch kein Dialog in Gang gekommen. Oft verhärteten sich große Firmen in
„Bunker-Haltung“ gegen die Kri-
tik von sozialen Bewegungen.
Doch auch NGO riskieren – bei zu
großer Dialogbereitschaft – an
Glaubwürdigkeit
einzubüßen.
„Wir waren nie auf Kuschelkurs“,
sagt Dietschy, „NGO sind selbstständige Diskussionspartner und
kein Frühwarnsystem, das Firmen nützt“.
Die Kritik an multinationalen Firmen geht für die Schweizer Entwicklungsorganisationen
weit
über den Nahrungsmittelkonzern
Nestlé hinaus. Mit ihrer jüngsten
Petition an Parlament und Regierung fordern Brot für alle und Fastenopfer, dass Schweizer Multis
gesetzlich verpflichtet werden
sollen, ihre Sorgfaltspflicht und
Verantwortung auch gegenüber
Tochterfirmen in Staaten mit
schwacher Gesetzgebung walten
zu lassen. Das gelte insbesondere,
wenn das Recht auf Nahrung
durch Bergbau und „Land Grabbing“ buchstäblich untergraben
werde. Für Dietschy steht fest:
„Die menschenrechtlichen Verpflichtungen entlang der gesamten Lieferkette gehören auf den
Prüfstand, wenn eine Firma mit
fair und nachhaltig produzierten
Produkten oder Dienstleitungen
überzeugen will.“
Viera Malach, InfoSüd
8-2011 |
österreich | kirche und ökumene journal
Österreich
Auf dem Abstellgleis
Das Studium Internationale Entwicklung in Wien ist Opfer von Kürzungen
Die Universität Wien hat ihre Pläne
für einen Master-Studiengang der
Internationalen Entwicklung aufgrund von knappen Finanzen gekippt. Als Folge steht zu befürchten, dass die Forschung im deutschsprachigen Raum in diesem Bereich
Schaden nimmt.
Für das Studium der Internationalen Entwicklung (IE) an der Universität Wien soll entgegen einer
Zusage des Rektorates kein Master-Studiengang angeboten werden. Stattdessen wurde Ende Juni
ein Bachelor-Studiengang genehmigt, der nach der neuen Studienordnung das bisherige Diplomstudium ersetzen soll. Den Bachelor können Studierende nach
sechs Semestern erwerben. Aller-
dings wird er von vielen Unternehmen und staatlichen Stellen
nicht als akademischer Grad anerkannt und somit schlechter bezahlt.
Elke Christiansen, Mitarbeiterin
der IE-Studienservicestelle, bedauert diesen Rückschlag. Damit
werde zugleich die Forschung ausgetrocknet, die nur im Rahmen
eines Master-Studiums stattfinden könne. Das Diplomstudium in
seiner ursprünglichen Form hatte
eine Reihe interessanter Forschungsarbeiten hervorgebracht.
Der Universitätssenat hatte den
Master-Studiengang im vergangenen Januar genehmigt. Dann
beschloss die österreichische Regierung ein Sparpaket, das auch
Kürzungen im Wissenschaftsbudget vorsieht, die sich auf die Universitäten auswirken.
Anfangs habe Rektor Georg
Winckler versucht, inhaltlich zu
argumentieren und Verbesserungen im Entwurf des Studienplans
angemahnt, so Christiansen. Auf
Nachfrage seien diese Vorwürfe
aber nie konkretisiert worden. Zuletzt sei die Entscheidung allein
mit dem Sparzwang begründet
worden. Die Studierenden hatten
zuvor vergeblich gegen den Beschluss der Universitätsleitung
protestiert.
Die Internationale Entwicklung
hat an der Universität Wien derzeit den Status einer Forschungs-
plattform, die bis 2013 befristet
eingerichtet und fünf verschiedenen Fakultäten zugeordnet ist.
Der große Zulauf, den die neue
Studienrichtung in den ersten
acht Jahren ihres Bestehens verzeichnete, gab Hoffnung, dass daraus ein dauerhaft verankertes
Regelstudium würde. Derzeit sind
noch 1100 Studierende eingeschrieben, die ihr Diplomstudium
nach der alten Studienordnung
bis 2014 beenden dürfen. Weitere
1400 streben den Bachelor nach
der neuen Regelung an. 19 Prozent der Studierenden kommen
aus Deutschland. Der Anteil ist
überdurchschnittlich hoch, da im
deutschsprachigen Raum kein
vergleichbares Studium angeboten wird. Ralf Leonhard
Kirche und Ökumene
Zwischen Exodus und Bleiben
Bischöfe im Irak wollen Perspektiven für Christen schaffen
Die Situation der Christen im Irak
bleibt schwierig. Junge Bischöfe
versuchen jetzt mit Bildungsangeboten die Auswanderungswelle zu
stoppen. Eine Delegation der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hat
sich kürzlich vor Ort ein Bild davon
gemacht.
Seit dem Einmarsch der alliierten
Truppen im Irak 2003 ist die Zahl
der Christen im Land auf weniger
als die Hälfte gesunken, von
800.000 auf unter 400.000. Wer
konnte, ist in ein westliches Land,
nach Jordanien, Syrien oder in
den Libanon geflohen. In Bagdad
oder im Süden Iraks hingegen leben Christen weiter in Unsicherheit. Erst im Oktober 2010 wurden mehr als fünfzig bei einem
Anschlag in Bagdad getötet. In
den vergangenen Jahren sind deshalb 100.000 Christen in den Nor-
| 8-2011
Vor dem Gottesdienst
in Bagdad müssen sich die
Besucher durchsuchen lassen.
Khalid Mohammed/AP
Aushängeschilder, mit denen die
kurdische Regierung im Ausland
gerne punktet. „Für die meisten
christlichen Flüchtlinge ist der
Nordirak aber keine dauerhafte
Alternative“, sagt Harald Suermann, Leiter des Missionswissenschaftlichen Instituts Missio, der
mit der Delegation der Bischofskonferenz im Irak war. „Viele von
ihnen sind auch nach mehreren
Jahren im Exil arbeitslos.“
den des Landes geflohen, in die
Autonome Republik Kurdistan.
Dort haben bislang bereits die
Hälfte der im Land verbliebenen
Christen gelebt. Unter den Kurden
sind sie in Sicherheit. Das mag daran liegen, dass die kurdische Regierung seit vielen Jahren einen
säkularen Kurs fährt. Toleranz
und Minderheitenschutz sind
Die Flüchtlinge kehren immer
wieder in den Süden zurück
Der Nordirak ist agrarisch geprägt.
Arbeitsplätze für die in der Regel
gut ausgebildeten Christen gibt es
55
56
journal kirche und ökumene
theoretisch in der Ölindustrie oder
beim Staat. Doch in beiden Bereichen werden nur selten Stellen
frei. „Viele Flüchtlinge warten auf
den Moment, in dem die Sicherheitslage es zulässt, um wieder
nach Bagdad oder in den Süden
zurückzukehren“, sagt Suermann.
Sie kehrten immer wieder in die
unsicheren Heimatstädte zurück,
um ihre Arbeit erneut aufzunehmen. „Sobald dort wieder ein Anschlag auf Christen verübt wird,
gehen sie für einige Monate zurück in den Norden. Viele versuchen außerdem ein Visum für ein
westliches Land zu bekommen.“
Unterdessen bluten die irakischen
Kirchen weiter aus.
werden. Zum anderen fällt es ihnen schwer, Perspektiven für die
Verbleibenden zu schaffen.“
Entsprechend scharf kritisieren
die irakischen Bischöfe die Länder,
die immer noch irakische Flüchtlinge aufnehmen, darunter auch
Deutschland. Doch überzeugende
Argumente für einen Verbleib im
Irak können sie den Mitgliedern
ihrer Kirche nicht bieten. „Vor allem die alten Bischöfe sind mit
der Situation überfordert“, sagt
Suermann. „Zum einen erleben
sie, wie ihre Kirchen immer leerer
Zu düster will Suermann das Bild
aber nicht zeichnen. In einigen
Diözesen, wie zum Beispiel in Erbil, Mossul oder Kirkuk gebe es
hoffnungsvolle Signale. „Die jungen Bischöfe wollen etwas bewegen“, sagt Suermann. So werde
beispielsweise in kirchliche Hochschulen investiert und die innerkirchliche Ausbildung von Laien
zu Katecheten gestärkt. Auch sollen Berufsschulen aufgebaut wer-
den, in denen Fachkräfte für den
Agrarsektor, den Tourismus, das
Hotel- oder Bauwesen ausgebildet
werden. „Das alles soll dazu führen, dass die Christen im Irak bleiben können“, sagt Suermann. Besonders erfreulich sei, dass sich
die mit Rom unierten Kirchen (die
chaldäische, die syrisch-katholische, die armenisch-katholische
und die lateinische), die im Irak
etwa 80 Prozent aller Christen repräsentieren,
zusammengetan
haben und ein gemeinsames Projektbüro schaffen wollen.
Katja Dorothea Buck
Wie weit Mission gehen darf
Kirchliche Institutionen legen Verhaltenskodex vor
Wie sollen sich Missionare in einem nicht-christlichen Kontext
verhalten? Fünf Jahre lang haben
der Ökumenische Rat der Kirchen,
der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog und die Weltweite
Evangelische Allianz eine Antwort
auf diese Frage gesucht. Ende Juni
haben sie in Genf einen gemeinsamen Verhaltenskodex vorgestellt.
Mission kann zum Problem werden. Nicht nur bei Nicht-Christen
stehen allzu offensive Missionare
in der Kritik. Auch in den Kirchen
wird seit langem diskutiert, wie
weit Mission gehen darf. Ein von
allen kirchlichen Strömungen akzeptierter Verhaltenskodex war
deswegen überfällig. Mit „Das
christliche Zeugnis in einer multi-
religiösen Welt“ rufen der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), der
Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog (PRID) und die Weltweite Evangelische Allianz (WEA)
all diejenigen, die das Evangelium
verkündigen, zu respektvollem
Umgang mit Menschen anderer
Glaubensrichtungen auf. Die drei
Organisationen
repräsentieren
rund zwei Milliarden Orthodoxe,
Katholiken, Anglikaner, Protestanten, Evangelikale, Pfingstler
und Mitglieder unabhängiger Kirchen. Das sind etwa 90 Prozent aller Christen weltweit.
In der Präambel des Papiers wird
Mission als „zutiefst zum Wesen
der Kirche“ gehörig definiert. Die
Verkündigung des Evangeliums
müsse allerdings im Einklang mit
den Prinzipien des Evangeliums
und in uneingeschränktem Respekt vor allen Menschen geschehen, heißt es. Zwangsmittel und
Täuschung seien keine Methoden,
mit denen Mission geschehen
dürfe. Christinnen und Christen
sollten ihr Verhalten von Mitgefühl und Demut und nicht von
Arroganz, Herablassung und Herabsetzung bestimmen lassen.
„Die Ausnutzung von Armut und
Not hat im christlichen Dienst
keinen Platz“, heißt es in dem Papier. Menschen sollten nicht mittels materieller Anreize und Belohnungen gewonnen werden.
Die Autoren empfehlen ausdrücklich den Aufbau von interreligiösen Beziehungen. Insgesamt ruft
das Dokument alle Kirchen und
Missionsgesellschaften dazu auf,
ihr Verhalten im jeweiligen kulturellen Kontext zu überdenken.
Kritiker bemängeln, der Verhaltenskodex enthalte nichts wirklich Neues zum Thema Mission.
Man habe sich lediglich auf dem
kleinsten gemeinsamen Nenner
geeinigt. Für die Ökumene an sich
sei das Dokument aber „ein histo-
Ein Mitglied einer evangelikalen
Gemeinde in Simbabwe wird
mit Milch getauft.
John Moore/Getty Images
rischer Moment im Streben nach
christlicher Einheit“, erklärte Geoff
Tunnicliffe, der Generalsekretär
der WEA. Es ist das erste Mal, dass
PRID und ÖRK zusammen mit den
Evangelikalen gemeinsame Empfehlungen erarbeitet haben – und
das bei einem so heiklen Thema
wie Mission. „Das Dokument zeigt,
dass unterschiedliche christliche
Einrichtungen in der Lage sind,
zusammenzuarbeiten und mit einer Stimme zu sprechen“, sagte
Tunnicliffe bei der Vorstellung des
Papiers.
Niek Tramper, der Generalsekretär der Europäischen Evangelischen Allianz, bezeichnete das
Dokument als eine Brücke zwischen den traditionellen und den
freien Kirchen. „Evangelikale
müssen anerkennen, dass etwas
von Gottes Gnade und Wahrheit
in den alten, institutionalisierten
Kirchen steckt und die etablierten
Kirchen müssen das Existenzrecht
der kleinen evangelikalen Kirchen
akzeptieren und sie als einen Teil
des Leibes Christi betrachten und
nicht als Sekten.“
Inwieweit der Verhaltenskodex
sich auf die praktische Missionsarbeit auswirkt, bleibt abzuwarten. Nicht alle, die von ihrem
Glauben überzeugt sind und ihn
weitergeben wollen, werden nach
dem handeln, was die kirchlichen
8-2011 |
kirche und ökumene journal
Institutionen vorgeben. „Wozu
brauche ich als wiedergeborene
Christin eine Gruppe von Männern verschiedener Konfessionen,
die Regeln für die Evangelisation
festlegen?“ fragt zum Beispiel Susan Ferguson in der Internetausgabe von Christianity Today, einer
evangelikalen Zeitschrift aus den
USA. Katja Dorothea Buck
kirche und ökumene – Kurz notiert
Das Evangelische Missionswerk in
Südwestdeutschland (EMS) will
sich ab 2012 Evangelische Mission
in Solidarität (Evangelical Mission
in Solidarity) nennen. Die 34 Delegierten des EMS-Missionsrats haben bei ihrer Sitzung Ende Juni
außerdem eine neue Satzung be-
schlossen, die die Partnerkirchen
aus Afrika, Asien und dem Nahen
Osten zu gleichberechtigten Mitgliedern macht. Künftig haben
alle 23 Kirchen und fünf Missionsgesellschaften gleiches Stimmrecht in sämtlichen strategischen
und finanziellen Fragen. Das 1972
gegründete Missionswerk will damit seinen vor 20 Jahren begonnenen Kurs der Internationalisierung fortsetzen. Ende November
muss die EMS-Synode noch über
den neuen Namen entscheiden
und die Satzung verabschieden. (kb)
Haiti und Pakistan prägen das Spendenjahr
Kirchliche Hilfswerke verzeichnen 2010 steigende Einnahmen
Das Erdbeben in Haiti und die
Überschwemmungen in Pakistan
haben im vergangenen Jahr tausende Tote gefordert, Millionen
Menschen verloren ihr Zuhause
und ihren Besitz. Ihr Leid rief in
Deutschland große Hilfsbereitschaft hervor, wie die großen kirchlichen Hilfswerke bei ihren Jahrespressekonferenzen Ende Juni berichtet haben. Das erhöhte Spendenaufkommen schreiben sie vor
allem den beiden Naturkatastrophen zu.
Das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor erhielt im vergangenen Jahr 77 Millionen Euro
Spenden, 25 Millionen mehr als
2009. Insgesamt beliefen sich die
Einnahmen auf 194,3 Millionen
Euro – auch bei den staatlichen
Zuwendungen verzeichnete Misereor einen Zuwachs. Ähnlich positiv ist das Ergebnis von „Brot für
die Welt“. Das evangelische Hilfswerk steigerte sein Spendenergebnis mit 62,1 Millionen Euro
gegenüber dem Vorjahr um 13,5
Prozent. Hier gaben ebenfalls
Spenden für Haiti und Pakistan
den Ausschlag, die „Brot für die
Welt“ über das Bündnis „Entwicklung hilft“ zuflossen.
Auch bei der Kindernothilfe erhöhten die beiden Katastrophen
die Gesamteinnahmen: Mit 76
Millionen Euro verzeichnete die
Organisation das höchste Ergebnis ihrer 52-jährigen Geschichte.
Die Christoffel-Blindenmission erhielt gleichfalls mehr Spenden als
je zuvor: 42,8 Millionen Euro und
| 8-2011
damit knapp drei Millionen Euro
mehr als 2009.
Folgen des Klimawandels
mildern
Der Hauptgeschäftsführer von
Misereor, Josef Sayer, betonte bei
der Vorstellung der Jahresbilanz,
die Flutkatastrophe in Pakistan
zeige, dass die Armen durch die
mit dem Klimawandel verbundenen Wetterkatastrophen am härtesten getroffen würden. Sayer
würdigte den kürzlich beschlossenen Atomausstieg der Bundesregierung, warnte jedoch davor, den
Ausbau neuer Kohlekraftwerke
voranzutreiben. „Wenn wir das
Ziel, die Erderwärmung auf unter
zwei Grad zu begrenzen, ernst
nehmen, dann muss jegliche fossile Energiegewinnung so schnell
wie möglich eingestellt werden“,
unterstrich er.
Die Direktorin von „Brot für die
Welt“, Cornelia Füllkrug-Weitzel,
erklärte, ein Schwerpunkt der Arbeit bleibe, die Folgen des Klimawandels in den Entwicklungsländern zu mildern. Der bereits vor
dem Atomausstieg beschlossene
Energie- und Klimafonds (EKF)
dürfe nicht zur Finanzierung der
Energiewende in Deutschland
umgewidmet werden. Er müsse
zu mindestens 30 Prozent auch
fortan für Klimaschutz und Klimaanpassung in den Ländern des
Südens zur Verfügung stehen, forderte sie. Das Gesamtvolumen
des EKF liegt für 2012 bei 780 Millionen und ab 2013 bei rund 3,3
Milliarden Euro. Der Entwurf des
Bundeshaushaltes für das kommende Jahr weist für den internationalen Klima- und Umweltschutz aus dem EKF lediglich 55
Millionen Euro aus. Von 2013 bis
2015 sind dann zwischen 492 und
628 Millionen Euro jährlich vorgesehen.
Frauenrechte durchsetzen
Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) kritisierte bei der
Vorstellung seines Arbeitsberichtes in Bonn, dass Frauen vor allem
in Entwicklungsländern noch
vielfach benachteiligt würden.
Die sei ein „ernsthaftes Entwicklungshemmnis“ für die Gesellschaften im globalen Süden, betonte EED-Vorstand Claudia Warning. Frauen spielten bei der Entwicklung eine wichtige Rolle, die
jedoch meist unterschätzt werde.
Der EED arbeite gemeinsam mit
seinen Partnern daran, dieses
Hemmnis zu beseitigen. Der
Haushalt des EED, der sich nahezu
Die Überschwemmungen in
Pakistan haben im Sommer 2010
acht Millionen Menschen obdachlos
gemacht.
Aaron Favila/AP
vollständig aus staatlichen Mitteln und Kirchensteuern finanziert, hatte 2010 einen Umfang
von 167,6 Millionen Euro und fiel
damit um etwa drei Millionen
Euro geringer aus als im Vorjahr.
Ursache war in erster Linie ein
Rückgang der staatlichen Zuwendungen. Für die kommenden zwei
Jahre rechne sie jedoch mit steigenden Einnahmen, sagte Warning. Der EED schließt sich im
kommenden Jahr mit „Brot für
die Welt“ und dem Bundesverband der Diakonie zum „Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung“ zusammen. Das neue
Werk soll am 1. Oktober 2012 seine Arbeit in Berlin aufnehmen. di/gka/kb/saw
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journal global lokal
Global lokal
Vorbildlich: Rheinland-Pfalz
Die meisten Bundesländer tun zu wenig für die UN-Millenniumsziele
Auch Bundesländer, Kommunen
und Gemeinden können dazu beitragen, dass die UN-Millenniumsziele zur Verringerung von Hunger
und Armut erreicht werden – etwa,
indem sie in ihren Verwaltungen
faire Produkte verwenden. Aber
nur wenige engagieren sich gezielt
für die Entwicklungsziele. Rheinland-Pfalz nimmt eine Vorreiterrolle ein.
Im Jahr 2000 haben sich die 189
Mitgliedsstaaten der Vereinten
Nationen darauf geeinigt, bis 2015
den Anteil der Menschen an der
Weltbevölkerung, die in extremer
Armut leben, zu halbieren. Die
Millenniums-Entwicklungsziele
(MDG) umfassen unter anderem
die Verbesserung der Müttergesundheit, den Kampf gegen Aids
und Malaria und die Verringerung der Kindersterblichkeit. Außerdem haben sich die Industrieländer verpflichtet, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts
anzuheben. Deutschland liegt mit weniger als 0,4 Prozent deutlich darunter.
Zurzeit ist es trotz beachtlicher
Fortschritte bei der Armutsbekämpfung zweifelhaft, ob die Ziele bis zum Jahr 2015 erreicht werden können. Für Markus Loewe
vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik spielt es eine
entscheidende Rolle, ob den Bürgern in den reichen Ländern die
Bedeutung der MDG vermittelt
werden kann. Die meisten Bundesländer haben jedoch keine klare Strategie, wie sie ihre Kommunen, Gemeinden und Landkreise
für eine Beteiligung gewinnen
und auf ihre globale Verantwortung ansprechen wollen.
Rheinland-Pfalz dagegen zeigt,
dass Erfolge möglich sind. Das
Bundesland hat einen Aktionskreis UN-Millenniumsziele eingerichtet, der im Innenministerium
koordiniert wird. Er wendet sich
an die rheinland-pfälzischen
Kommunen und fordert sie auf,
die Millenniumserklärung des
Deutschen Städte- und Gemeindebundes und des Deutschen
Städtetages zu unterzeichnen.
Damit verpflichten sie sich, aktive
Nord-Süd-Arbeit zu betreiben.
Dazu zählt, in der Verwaltung fair
gehandelte Produkte zu verwen-
Weltweit verbunden: Die rheinlandpfälzische Hauptstadt Mainz.
chromorange
den, bestehende Städtepartnerschaften mit EU-Kommunen zu
Dreieckspartnerschaften mit Kom­
munen aus Ländern des Südens zu
erweitern und den Einsatz von
Experten in den Städten und Gemeinden des Südens zu fördern.
Städte und Gemeinden könnten
mit ihrem Engagement „wachsender Armutswanderung nach
Europa entgegenwirken“, heißt es
in der Erklärung.
Seit Beginn der Kampagne in
Rheinland-Pfalz im vergangenen
Jahr ist die Zahl der MillenniumsKommunen in dem Bundesland
von fünf auf derzeit rund 70 gestiegen. Wieviele Kommunen
bundesweit die Entwicklungszie-
le der Vereinten Nationen unterstützen, lässt sich nicht eindeutig
feststellen. Nach Angaben des
Deutschen Städtetags hatten im
vergangenen Oktober 47 Städte
die Millenniums-Erklärung unterzeichnet, darunter Dortmund,
Erfurt, Hannover, Köln und München.
Im Städte-Netzwerk die
Bildungsarbeit stärken
Die Stadt Bonn macht deutlich,
wie sich Kommunen vernetzen
können, um die Entwicklungsziele bekannt zu machen. Seit Februar 2011 hat die frühere Bundeshauptstadt die Federführung in
einem europäischen Projekt zur
Beteiligung von Kommunen an
den MDGs. Das auf drei Jahre angelegte, von der Europäischen
Union geförderte Vorhaben, will
in einem Netzwerk aus Bonns
Partnerstädten Potsdam und Oxford, sowie Villach (Österreich)
und Sopron (Ungarn), die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit
zu den Millenniums-Entwicklungszielen intensivieren. Schwerpunkt der Zusammenarbeit ist
der Austausch zu Fragen des
nachhaltigen Konsums, zur Förderung des fairen Handels und
einer fairen öffentlichen Beschaffung.
„In der Veränderung des Konsumverhaltens durch eine stärkere Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien liegt ein
Schlüssel für die Erreichung der
MDGs“, sagt Projektleiter Stefan
Wagner. Außerdem habe man die
Entwicklung eines Indikatorensets für Kommunen in Auftrag
gegeben. Damit sollen sie überprüfen können, ob ihr Eine-WeltEngagement tatsächlich messbar
zum Erfolg der Millenniumsziele
beiträgt.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) hat im Juni
2011 nach sechs Jahren die finanzielle Unterstützung der UN-Millenniumskampagne in Deutschland eingestellt. Das BMZ sieht
den Schlüssel für das Erreichen
der MDGs in den Entwicklungsländern selbst. In Deutschland
seien die Ziele in der Gesellschaft
bereits gut verankert.
Claudia Mende
global lokal – Kurz notiert
Die brasilianische Stadt Recife hat
für ihren Bürgerhaushalt den diesjährigen Reinhard Mohn Preis der
Bertelsmann Stiftung erhalten.
Die Auszeichnung ist mit 150.000
Euro dotiert und stand in diesem
Jahr unter dem Motto „Demokratie und Partizipation“. Nach einer
Vorauswahl von sieben Projekten
haben 11.600 Bürger mit einer
Abstimmung im Internet den
Preisträger bestimmt. In Bürgerhaushalten können Einwohner
über die Verwendung öffentlicher
Gelder mitentscheiden. In der
1,6-Millionen-Einwohner-Stadt
Recife im Nordosten Brasiliens
beteiligen sich jährlich mehr als
100.000 Jugendliche und Erwachsene an Versammlungen und
über das Internet.
Mit einem Netzwerk von Ansprechpartnern unterstützt die
Stadt die Beteiligung der Bürger.
Über die Wahl von Delegierten für
den Bürgerhaushalt haben sie die
Möglichkeit, Verantwortung zu
übernehmen und politische Entscheidungen mitzubestimmen.
Seit seiner Einführung im Jahr
2001 haben Bürgerinnen und
Bürger rund 5000 Vorhaben beschlossen. Ein Großteil der Investitionen floss in die ärmeren Viertel der Stadt. Alle zwei Jahre können darüber hinaus Schülerinnen
und Schüler von Recife Verbesserungsvorschläge für ihre Schulen
einbringen und deren Verwirklichung begleiten. (cm)
8-2011 |
personalia journal
Personalia
Friedensdienst EIRENE
der Kontinentalabteilung Lateinamerika und seit 1999 in seiner
derzeitigen Position. Zuvor war er
unter anderem bei „Brot für die
Welt“ beschäftigt.
Deutscher Bundestag
menarbeit tätig sein. Peter FischerBollin, der zuletzt Auslandsmitarbeiter mit regionalen Aufgaben in
Rio de Janeiro war, wechselt nach
15 Jahren von der KAS zur CDU in
Nordrhein-Westfalen.
nung/Controlling übernommen.
Die Abteilung Unternehmensentwicklung/Kommunikation wird
seit Anfang Juli gemeinsam von
Christiane Rudolph (Kommunikation) und Katja Zurawka (Unternehmensentwicklung) geleitet.
KfW-Entwicklungsbank
Wilfried Steen ist neuer Vorstandsvorsitzender von EIRENE. Er ist
Nachfolger von Harry Schram, der
weiter im Vorstand mitwirkt.
Steen war bis zu seinem Ruhestand 2009 zehn Jahre lang im
Vorstand des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) für Inlandsarbeit, Entwicklungspolitik
und Fachkräfte zuständig. Danach
hat er zwei Jahre als Auslandspfarrer auf Malta gearbeitet. Zur
stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von EIRENE wurde Uta
Bracken gewählt. Sie löst Margret
Meerwein ab, die ebenfalls Vorstandsmitglied bleibt.
Misereor
Martin Bröckelmann-Simon ist für
weitere sechs Jahre in seinem
Amt als Misereor-Geschäftsführer
und Vorstand für die Internationale Zusammenarbeit bestätigt
worden. Er ist gleichzeitig ständiger Stellvertreter des Hauptgeschäftsführers. Der Soziologe arbeitet seit 1985 bei dem katholischen Hilfswerk, zunächst als
Länderreferent, dann als Leiter
Sibylle Pfeiffer ist neue entwicklungspolitische Sprecherin der
CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.
Sie folgt auf Holger Haibach, der
für die Konrad-Adenauer-Stiftung
nach Namibia geht. Pfeiffer ist
seit 2002 im Bundestag und seit
2005 stellvertretende Vorsitzende
des Entwicklungsausschusses.
Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)
Neuer Auslandsmitarbeiter im
KAS-Büro Windhuk mit Zuständigkeit für Namibia und Angola
ist Holger-Heinrich Haibach. Er war
von 2002 bis 2011 Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis
Hochtaunus-Oberlahn und Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Sein Vorgänger in
Namibia, Anton Bösl, wird die Stiftung Ende August verlassen, aber
weiter in der Entwicklungszusam-
Dekha Ibrahim Abdi tot
picture Alliance/dpa
Die kenianische Friedensaktivistin Dekha Ibrahim Abdi ist am 14. Juli den Folgen eines Autounfalls erlegen. Seit zwanzig Jahren hatte sich
die 48-Jährige um die friedliche Beilegung von
Konflikten etwa zwischen Viehhirten verschiedener Stämme oder zwischen Muslimen
und Christen im Grenzgebiet von Kenia und
Somalia bemüht, seit einigen Jahren im Auftrag der kenianischen
Regierung. 2007 erhielt Dekha Ibrahim Abdi für ihr Engagement
den „Alternativen Nobelpreis“ Right Livelihood Award, im vergangenen Jahr wurde sie mit dem Hessischen Friedenspreis ausgezeichnet. Bei dem Autounfall starben auch ihr Ehemann sowie der
Fahrer des Wagens. (Für ein ausführliches Portrait von Dekha Ibrahim Abdi siehe „welt-sichten“ 6/2011, S. 46) (ell)
| 8-2011
Die KfW-Bankengruppe hat einen
neuen Bereich „Strategie und
Volkswirtschaft“ eingerichtet, der
von Helmut Gauges geleitet wird.
Er war bislang Leiter des Bereichs
„Förderung der Entwicklungsländer, Umwelt und Klima, Lateinamerika und Karibik“. Sein Nachfolger ist Stephan Opitz, der zuvor
die Abteilung „Südasien, Afghanistan und Pakistan“ geleitet hat.
Deutsche Entwicklungs- und
Investitionsgesellschaft (DEG)
Sandra Scharfenstein hat Anfang
Juli die Leitung der Abteilung Pla-
Schweiz
Staatssekretariat für Wirtschaft
(SECO)
Didier Chambovey wird zum 1.
September Chef des Leistungsbereichs Welthandel im Staatssekretariat für Wirtschaft SECO und
damit Botschafter und Delegierter der Regierung für Handelsverträge. Der promovierte Volkswirtschaftler wird zugleich Mitglied
der Geschäftsleitung des SECO. Er
tritt die Nachfolge von Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch an, seit April SECO-Direktorin und Staatsekretärin.
Anzeige
J EJournal
JP
ournal für
Entwicklungspolitik
Das Journal für Entwicklungspolitik (JEP) bietet als wissenschaftliche Zeitschrift im deutschen Sprachraum ein Forum für die
kritische Diskussion von entwicklungspolitisch relevanten Themen.
Ausgaben 2011:
1-2011 Giovanni Arrighi
2-2011 Entwicklungsfinanzierung
3-2011 Gerechtigkeit nach
dem Krieg
4-2011 Internet und Demokratie
Ausgaben 2012:
1-2012 Periphere Wohlfahrtsstaaten
2-2012 Deep Integration
3-2012 Post-Development
4-2012 Transdisziplinarität
ENTWICKLUNGSFINANZIERUNG IM UMBRUCH
ENTWICKLUNGSSTAATEN IM AUFBRUCH?
Johannes Jäger, Karin Küblböck Entwicklungsfinanzierung im Umbruch – Entwicklungsstaaten im
Aufbruch? C.P. Chandrasekhar Financial Liberalisation
and Fragility in Developing Countries: The Indian
Experience Hansjörg Herr Das Finanzsystem als
Rückgrat der chinesischen Entwicklungsdynamik
Daniel Görgl, Karen Imhof, Johannes Jäger, Bernhard
Leubolt Transformation monetärer Restriktionen:
Nationale Strategien und regionale Kooperation in
Lateinamerika Karin Küblböck Politische Ökonomie
der Budgethilfe in Nicaragua Ivan Lesay The European
Investment Bank’s Concept of Development: Economic
Growth at any Cost
Mattersburger Kreis für Entwicklungspolitik an den Österreichischen Universitäten
Sensengasse 3, A-1090 Wien, office@mattersburgerkreis.at, www.mattersburgerkreis/jep
JEP-Einzelheft: Euro 9.80, Jahresabonnement: Euro 39.80
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service bildungsmaterial | rezensionen
bildungsmaterial
Lateinamerika anders erleben
Die Berichterstattung über Lateinamerika in den
Medien – von Schülern ohnehin wenig beachtet –
wird der sozialen und globalen Bedeutung des Kontinents wenig gerecht. Sie konzentriert sich vor allem
auf Drogen, Gewalt, Naturkatastrophen und bisweilen Sport. Dies spiegelt sich im Schulunterricht wider: Lateinamerika kommt nur noch wenig vor. Das
Informationsbüro Nicaragua, das bis in die 1990er
Jahre eng verknüpft war mit der Solidaritätsbewegung mit Mittelamerika und speziell Nicaragua und
heute in der Bildungsarbeit und der Förderung von
Basisinitiativen engagiert ist, will mit diesem Material einen Gegenakzent setzen.
Informationsbüro Nicaragua e.V. (Hg.)
Fokuscafé Lateinamerika. Geschichte
und Klischees, Ökomomie, Migration
und Eine Welt
Basisheft, vier Werkhefte und eine
DVD, 5,20 Euro, E-Mail: info@informationsbuero-nicaragua.org
Vier Module (je ein Werkheft) behandeln die Schwerpunktthemen Geschichte, Ökonomie, Migration und
Eine Welt. Sie greifen etwa die Kolonialgeschichte
auf, analysieren Umwelt- und Ressourcenkonflikte,
setzen sich mit den Hoffnungen auf ein besseres Leben auseinander und fragen: „Und was geht uns das
an?“ Thematisiert werden hier Entwicklungspolitik
und Abhängigkeiten, soziale und ökologische Auswirkungen des Konsumverhaltens und die Möglichkeiten, Alternativen zu schaffen. Im Mittelpunkt stehen handlungsorientierte Methoden wie Einstiegsübungen, Rollen- und Planspielen sowie Quizshows.
Die Hefte und die DVD gehören zu den ersten Materialien zu Lateinamerika, die sich deutlich auf die
Kompetenzvorgaben des „Orientierungsrahmens
Globale Entwicklung“ beziehen. Planung und Durchführung der Module werden in die Hand der Lehrerinnen und Lehrer gelegt, sie erhalten umfassende
Praxishilfen. Viele Lerngruppen werden hier mitentscheiden und sich nicht dem „Seminarstil“ fügen
wollen, aber auch sie werden das “Fokuscafé Lateinamerika” mit Gewinn nutzen können. Das Projekt ist
Teil des Programms „America Latina 200“ der Bundeszentrale für politische Bildung zu 200 Jahre Unabhängigkeit Lateinamerikas.
Martin Geisz
Rezensionen
Den Hunger pragmatisch bekämpfen
Worldwatch Institute in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und
Germanwatch (Hg.)
Zur Lage der Welt 2011. Hunger im
Überfluss – Neue Strategien gegen
Unterernährung und Armut
Oekom Verlag, München 2011, 288
Seiten, 19,95 Euro
Nicht noch ein Buch zum Thema Hunger – so meine
erste Reaktion. Doch das hier ist anders: Es ist eine
wahre Fundgrube praktischer Beispiele, die beweisen, dass es auf lokaler Ebene ermutigende Beispiele
zur Überwindung des Hungers gibt. Die Fallstudien
schildern, wie Bauern zusammen mit nichtstaatlichen Organisationen (NGO) erstaunliche Innovationen im Anbau von Nahrungsmitteln zur Selbstversorgung erreichen, und gleichzeitig die Umwelt erhalten und verbessern. „Öko wird Mainstream“ – so
der Titel eines Beitrages – ist in der Tat, so kann man
nach der Lektüre den Eindruck erhalten, inzwischen
Realität. Sind die Tage der harten Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der industriellen, Chemie gestützten Landwirtschaft und den Befürwortern der agrarökologischen Revolution vorbei?
Die Autoren sind fast ausschließlich Amerikaner,
wenn man von den Berichten „aus dem Feld“ absieht, die jede grundsätzliche Erörterung mit einem
konkreten Beispiel aus einem Entwicklungsland ergänzen. Eine Ausnahme ist der offenbar obligatorische Einleitungsartikel der deutschen Herausgeber,
der in Inhalt und Duktus nicht so recht zu dem Rest
des Buches passt. Er befasst sich mit der Agrarpolitik
der Europäischen Union, während die anderen Beiträge sehr praxisbezogen aus Entwicklungsländern
berichten.
Es erstaunt der „amerikanische Pragmatismus“, denn
die Autoren haben trotz ihrer klaren Befürwortung
der agrarökologischen Ansätze keine Hemmungen,
die Zusammenarbeit mit Firmen der Agrarindustrie
zu würdigen. Monsanto, Nestlé und Mars werden
ebenso positiv erwähnt wie die Zusammenarbeit des
Worldwatch Institutes mit der Bill & Melinda GatesStiftung, die Alliance for a Green Revolution in Africa
und die Internationalen Agrarforschungszentren, die
eigentlichen Protagonisten der „Grünen Revolution“.
Die Beispiele verdeutlichen die vernachlässigten Potenziale einer anderen Art der Landwirtschaft, die
von armen Leuten betrieben wird. Im Vordergrund
stehen Vielfalt, Ertragssicherheit, kulturelles und
standortspezifisches Wissen, keine Mono- und Reinkulturen, Gewinnmaximierung und Versprechen der
Laborwissenschaften. Dabei ist der Geist aber keinesfalls wissenschaftskritisch; es geht nur um eine
andere Form der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und der „Arme-Leute-Landwirtschaft“: der
partizipativen Forschung und Beratung.
Nach dem bahnbrechenden Werk von Jules Pretty
und Colin Heines von 2001, die ähnliche Beispiele
aus 286 Projekten in 57 Ländern zusammengetragen
hatten, basiert dieser Band auf einer Spurensuche
8-2011 |
rezensionen service
von Danielle Nierenberg, einer Mitarbeiterin des
Worldwatch Institutes, die Projekte in 25 Ländern in
Afrika aufgespürt hat. Der Wert des Buches liegt im
Konkreten, es geht nicht um Theorie, sondern um erfolgreiche Initiativen. So wird etwa berichtet über
Dachgärten in Senegal, Tröpfchenbewässerung in
Burkina Faso, Agroforstsysteme im Sahel und die tra-
ditionelle Sortenvielfalt bei Gemüse in Tansania. Es
geht um übersehene Chancen einer städtischen Gartenkultur, um Agrarsysteme, die die Dürre bekämpfen helfen, um die gezielte Förderung von Kleinbäuerinnen, kurz: um das Leben der armen Menschen,
und nicht um angebliche Patentlösungen, die das
große Geld versprechen.
Rudolf Buntzel
Kein Erfolg ohne Beteiligung
Frank Bliss
Trinkwasser für Mayo Kebbi
Ein Projekt der deutschen Kooperation
mit dem Tschad
Horlemann, Bad Honnef 2011,
217 Seiten, 19,90 Euro
500 Meter – das ist Umfragen zufolge ungefähr die
Distanz, die Frauen im Südwesten des Tschad für
sauberes Wasser zusätzlich bereit sind zurückzulegen. Ist ein Brunnen weiter entfernt, nehmen sie das
Wasser eher von einer näher gelegenen Wasserstelle
und riskieren, dass ihre Familie krank wird. Eine Vielzahl solcher Informationen liefert der Entwicklungsberater Frank Bliss in seinem Buch über ein Trinkwasserprojekt in Mayo Kebbi, einer Region ohne
nennenswerte Infrastruktur. Bliss war in dem Projekt für die „sozialwissenschaftlichen Begleitmaßnahmen“ zuständig. Er suchte die Standorte der
Handpumpen aus, begleitete die Einheimischen bei
der Aufstellung von Nutzerkomitees und bemühte
sich um Gesundheitsaufklärung. Sein Buch stellt das
von der Kreditanstalt für Wiederaufbau geförderte
Projekt vor: von der ersten Studie bis hin zur abschließenden Bewertung – ein Prozess, der ein Jahrzehnt gedauert hat.
Nicht jeder Projektschritt, den Bliss beschreibt, ist
spannend zu lesen. Was ihm aber gut gelingt: Er erklärt mit einer Reihe von Fotos und Zeichnungen,
dass unheimlich viel bedacht werden muss, damit
ein Projekt nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Das Ergebnis liest sich vorsichtig optimistisch: Die Nutzung und Wartung der Brunnen scheint
überwiegend zu funktionieren. Ob die Menschen
nach einer Reihe von Aufklärungsmaßnahmen aber
hygienische Standards einhalten (Trennung von
Mensch und Tier, Latrinenbau), bezweifelt man nach
den Schilderungen eher.
Bliss plädiert dafür, dass Sozialwissenschaftler mehr
Einfluss bei derartigen Projekten bekommen. An
zahlreichen Stellen macht er klar, dass ohne intensives Arbeiten mit der Zielgruppe ein Erfolg gar nicht
möglich ist – egal wie viel Geld und Technik zur Verfügung stehen. Die Entwicklungszusammenarbeit
findet vor allem mit den Menschen vor Ort statt. Die
tschadische Regierung und die Verwaltung scheinen
sich so gut wie gar nicht dafür zu interessieren, ob
ihre Bürger sauberes Wasser haben oder nicht, kritisiert Bliss. Er begrüßt deshalb, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sich derzeit im Tschad
sehr zurückhält. Nach seinen Schilderungen der
staatlichen Untätigkeit ist das sehr gut nachzuvollziehen.
Felix Ehring
Heerführer und Altnazis: Deutsche in Argentinien
Bernd Wulffen
Deutsche Spuren in Argentinien
Christoph Links Verlag, Berlin 2010.
260 Seiten, 19,90 Euro
| 8-2011
Es ist schon verblüffend, wie viele und wie tiefe Spuren die Deutschen im Laufe der Jahrhunderte in Argentinien hinterlassen haben. Jeder weiß, dass das
Land nach dem Zweiten Weltkrieg ein Refugium für
die schlimmsten Nazi-Verbrecher war, allen voran
der KZ-Arzt Joseph Mengele und der Holocaust-Organisator Adolf Eichmann. Auch die Unterstützung
deutscher Industriebetriebe für das blutige Militärregime, das sich 1976 an die Macht putschte, ist weitgehend bekannt. Aber es gibt auch Positives über
Deutsche in Argentinien zu berichten. Bernd Wulffen, der lange als Diplomat in Buenos Aires lebte,
rollt die Geschichte deutscher Präsenz seit den Zeiten der Eroberung bis in unsere Tage auf. Er würdigt
seine Landsleute, die Großes für ihre Wahlheimat geleistet haben, macht aber auch keinen Bogen um die
schändlicheren Kapitel.
Auch Österreicher, wie Eduard Kailitz Freiherr von
Holmberg, die in der kollektiven Erinnerung Argentiniens oft als Deutsche haften blieben, haben sich
um ihre südamerikanische Wahlheimat verdient
gemacht. Holmberg, ein Veteran aus den Kriegen gegen Napoleon, führte 1812 ein siegreiches Heer von
Patrioten gegen die spanische Kolonialherrschaft in
die Schlacht von Tucumán. Der Bierbrauer Anton
Martin Thym erwarb sich zwar keine militärischen
Meriten, diente aber 1826 als Dolmetscher Argentiniens im Krieg gegen Brasilien. Deutsche Expertise
war auch in den Vernichtungsfeldzügen gegen die
als Fortschrittshindernis betrachtete indianische
Bevölkerung gefragt. Friedrich Rauch drillte Truppen
und triumphierte 1827 an der Spitze eines Regiments an der Salzlagune von Epecuén über die Mapuche.
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service rezensionen
Tiefere Spuren hinterließen aber die Industriellen.
Johann Christian Zimmermann, der in die Familie
Halbach einheiratete, wurde zu einem der größten
Gutsbesitzer und ab 1829 Honorarkonsul von Hamburg am Río de La Plata. Er förderte die deutsche Einwanderung, was durchaus im Interesse der argentinischen Regierung lag. Außenminister Celedonio
Gutiérrez schrieb damals: „Deutschland ist ein Land,
dessen Auswanderer infolge der Sittlichkeit und Arbeitstüchtigkeit, welche die deutschen Familien auszeichnen, für die Konföderation von Vorteil sind“.
Die deutsche Immigration aller Gesellschaftsschichten war immerhin so bedeutend, dass der sozialdemokratische Vorwärts Verlag Ende des 19. Jahrhunderts in Buenos Aires das Argentinische Wochenblatt
herausgab. Am 1. Mai 1890 erklang bei einer Feier
der deutschen Sozialdemokraten erstmals die Internationale auf amerikanischem Boden.
Auch Juan Domingo Perón, der sich 1940 an die
Macht putschte, wusste deutsche Zuverlässigkeit
und Präzision zu schätzen. Dem Druck der USA,
Deutschland den Krieg zu erklären und deutsches Eigentum zu konfiszieren, gab er erst nach, als Zusammenbruch und Kapitulation im Frühjahr 1945 unmittelbar bevorstanden. Perón fand auch wenig später nichts dabei, führenden Nazis, die sich als Ingenieure, Tierärzte oder andere Experten nützlich zu
machen verstanden, Unterschlupf zu gewähren.
Während der Militärdiktatur fanden sich Deutsche
auf Seiten der Täter und der Opfer, allerdings mehr
auf der Täterseite. Und deutsche Behörden zeigten
wenig Interesse, dem Schicksal von Verschwundenen mit deutschem Pass nachzugehen. Die deutschargentischen Beziehungen haben eine lichtvolle Geschichte mit vielen dunklen Flecken.
Ralf Leonhard
Rebellen gegen die Moderne – Indiens Naxaliten
Lutz Getzschmann
Indien und die Naxaliten
Agrarrevolten und kapitalistische
Modernisierung
416 Seiten, Neuer ISP-Verlag, Karlsruhe
2011, 32 Euro
Ein Gespenst geht um in Südasien – das Gespenst
des Kommunismus in seiner maoistischen Ausprägung. Den Wahlsieg der nepalesischen Maoisten
2008 haben viele Regierungen der Anrainerstaaten
mit Sorge verfolgt, darunter die Indiens. Denn dort
firmieren unter dem Label „Naxaliten“ ebenfalls
Maoisten. Geheimdienste schätzen die Zahl ihrer bewaffneten Kämpfer auf 20.000, plus ein Vielfaches
an Unterstützer – vor allem in einigen zentral- und
ostindischen Bundesstaaten. Der indische Premierminister Manmohan Singh betrachtet sie als „größte
Bedrohung der inneren Sicherheit“. Ziel ihrer bewaffneten Aktionen sind in der Regel paramilitärische
Einheiten und Polizeikasernen.
Lutz Getzschmann führt den neuerlichen Aufschwung dieser Rebellionen, die seit Ende der 1960er
Jahre schwelen, auch auf die Folgen der Marktöffnung Anfang der 1990er Jahre zurück. Er geht davon
aus, dass in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren
etwa 400 Millionen Menschen in Indien gezwungen
sein werden, die Landgebiete zu verlassen und in die
Städte überzusiedeln, und spricht von einer „Zerstörung der agrarischen Subsistenzwirtschaften und
bestehender Sozialstrukturen“. In der Übergangsphase, so seine These, wird der Einfluss der Naxaliten
weiter zunehmen. Denn sie rekrutieren sich aus den
Verlierern der ökonomischen Umwälzungen: Kleinbauern und Landlosen, Dalits – den so genannten
Kastenlosen – und Adivasi. Diese Ureinwohner leben
bis heute in den indischen Regenwäldern und sollen
jetzt weichen, weil Bergbauunternehmen Bodenschätze fördern wollen.
Anhand vieler Beispiele führt Getzschmann aus, wie
unter dem Vorwand der Naxalitenbekämpfung systematisch Menschenrechte verletzt werden. 1,4 Mil-
lionen Paramilitärs, die unter direktem Befehl des
Innenministeriums in Neu-Delhi stehen, terrorisieren die Bevölkerung. Besonders pikant ist der Fall des
britischen Bergbauunternehmens Vedanta, das im
Bundesstaat Orissa Bauxit in einer Region abbaut,
die von mehreren tausend Adivasi bewohnt wird.
Der indische Innenminister Palaniappan Chidambaram saß vor seiner Ministerkarriere im Aufsichtsrat
des Bergbaukonzerns.
Sprecher der Adivasi, die sich gegen den Abbau des
Bauxits wehren, weil er ihre Lebensgrundlage zerstört, sind von der Polizei tagelang gefoltert worden
unter dem Vorwurf, sie seien Naxaliten. Sogar der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy droht eine
Verurteilung wegen „Aufwiegelung“, weil sie die Gewaltexzesse der indischen Behörden kritisiert und
sich auf die Seite der Adivasi stellt. Lutz Getzschmann
zeichnet in seinem Buch ein düsteres Bild und spricht
sogar von Genozid.
Weil Getzschmann eine lineare Entwicklung zur Urbanisierung der indischen Gesellschaft unterstellt,
ist seiner Meinung nach die Suche der Naxaliten
nach Rückhalt in der Landbevölkerung zunehmend
überholt, deshalb werde ihr Einfluss zurückgehen.
Nicht im Blick hat der Autor dabei die vielen Kleinbauern- und Landlosenbewegungen, Entwicklungsund Umweltorganisationen, die nicht nur in Indien
und völlig unabhängig von den Naxaliten den Folgeproblemen des Klimawandels und der Nahrungsmittelkrise begegnen wollen – unter anderem mit
kleinteiliger, ökologischer Landwirtschaft. Sie stellen
sich der Urbanisierung entgegen. Seinem Anspruch,
eine erste deutschsprachige Gesamtdarstellung der
Naxaliten vorzulegen, wird der Sozialwissenschaftler dennoch voll und ganz gerecht.
Gerhard Klas
8-2011 |
rezensionen service
Zwei Brüder am „Tor der Tränen“
Mit der scharfzüngigen Satire auf die globalen NordSüd-Verhältnisse „In den Vereinigten Staaten von
Afrika“ hat der in Dschibuti geborene Abdourahman
A. Waberi zuletzt in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht. Nun liegt ein weiterer Roman des vielfach ausgezeichneten Schriftstellers auf Deutsch vor.
Er erzählt von den Zwillingsbrüdern Dschibril und
Dschamal, die 1977 am Tag der Unabhängigkeit ihres Landes Dschibuti von Frankreich geboren und
schon früh von ihrer Mutter, die sie gegeneinander
ausspielte, entzweit wurden.
Abdourahman A. Waberi
Tor der Tränen
Edition Nautilus, Hamburg 2011,
160 Seiten, 16 Euro
„Djib“ wird im kanadischen Exil ein „neuer Mensch“
und Repräsentant der globalen Elite im Dienste der
„großen militärisch-industriellen Konglomerate“.
Als Agent einer Sicherheitsfirma kehrt er in seine
Heimat zurück. Er soll sich vergewissern, dass „das
Land sicher, die Situation stabil und die Terroristen
unter Kontrolle sind“. Der arme Staat am Horn von
Afrika ist auf dem geopolitischen Schachbrett der
Großmächte ein neuralgischer Punkt. Internationale
Truppen überwachen das „Tor der Tränen“ zum Roten Meer, wo Piraten, Islamisten und Handelsschiffe
unterwegs sind.
Immer stärker wird Dschibril von Kindheitserinnerungen überwältigt. Er, der den Namen „Engel des
Propheten“ trägt, identifiziert sich mit dem „Engel
der Geschichte“, über den der von Dschibril verehrte
Walter Benjamin geschrieben hat: „Aber ein Sturm
weht vom Paradiese her (...) Dieser Sturm treibt ihn
unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken
kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum
Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“
Und diesen Sturm bekämpft sein Zwillingsbruder
Dschamal. Im Hochsicherheitsgefängnis wartet der
islamistische Terrorist auf die Vollstreckung seines
Todesurteils. Während er die Predigten seines „erhabenen Meisters“ notiert, richtet er seine Gedanken
an den Bruder, der ihn damals verlassen hat, als er
arbeitslos und verzweifelt war: „Vor Wut reihte ich
Diebstahl an Diebstahl, ich hatte keine Hoffnung
mehr, aber Allah, der Unparteiische, verfügt über unerschöpfliche Reserven, um uns zu trösten.“ In einer
radikalen, gewalttätigen Gruppe fand er „den Frieden des Herzens“. Aber auch der Islamist findet zu
Walter Benjamin. In einem Erdloch seiner Zelle entdeckt er eine Biografie des Geschichtsphilosophen.
Dschibril nähert sich dem Bruder an: „Inzwischen
machen mir das Heilige und Spirituelle keine Angst
mehr. “ Umgekehrt lässt sich der fanatische Bruder
von Benjamin einnehmen, entdeckt in seiner Philosophie sogar Parallelen zum eigenen Leben. Abdourahman Waberi gibt dem verfolgten Exilanten die
Rolle des Friedensstifters. In der Realität aber behält
der Krieg die Oberhand. Einst und heute. Am Ende
des Romans wird Dschibril erstochen. Abdourahman Waberi hat eine höchst intellektuelle, manchmal etwas konstruierte Geschichte am Puls der Zeit
geschrieben, die den Leser mit der einzigartigen
Sicht eines afrikanischen Denkers zwischen den
Welten konfrontiert.
Birgit Morgenrath
kurzrezensionen
Tahar Ben Jelloun
Arabischer Frühling. Vom Wieder­
erlangen der arabischen Würde
Berlin Verlag, Berlin 2011, 128 Seiten,
10 Euro
Erst Tunesien und Ägypten, dann
Libyen, Bahrein, der Jemen und
Syrien – Revolten erfassen ein arabisches Land nach dem anderen.
Das ist ein „Epochenbruch“, der
dem Fall der Berliner Mauer
gleichkommt, konstatiert Ben Jelloun, einer der bedeutendsten Vertreter der französischsprachigen
Literatur des Maghreb. Unaufhaltsam und nicht rückgängig zu machen, wie er in seinem Essayband
darlegt. Freiheit und die Wiederentdeckung der Würde sind für
Ben Jelloun auch der Garant dafür,
dass der Aufstand nicht in den Is-
| 8-2011
lamismus führt. Den Westen sieht
er aufgrund der langjährigen Unterstützung von Diktatoren in der
Verantwortung. Und er warnt davor, dass das Erwachen der arabischen Würde auch vor den prekären multikulturellen Vororten europäischer Großstädte nicht Halt
machen wird. Neben den essayistischen nutzt Ben Jelloun dichterische Mittel. So blickt er den entmachteten Despoten Mubarak
und Ben Ali in den Kopf und schildert das Geschehen aus der Perspektive ihres verbohrten Unverständnisses. Und er legt eine beeindruckende Novelle über die
Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed
Bouazizi vor, die zum Fanal für die
Wiedererlangung der arabischen
Würde wurde.
(dh)
Berend Hartnagel (Hg.)
Ich bin, weil wir sind. Wir sind, weil ich
bin. Ehrenamt und Freiwilligkeit in den
Kulturen der Welt
Hannover 2011, 112 Seiten, 8 Euro plus
Versandkosten, Bestellung unter www.
globalpartnership.de
Bestechend sind an diesem Buch
zunächst einmal die Fotos: großformatige Schwarz-Weiß-Abbildungen dokumentieren ehrenamtliches Engagement in Deutschland, Brasilien, Indien, Israel und
Südafrika. Da geht es um die Arbeit mit Obdachlosen, Hilfe für
Straßenkinder und ehrenamtliche
Katastrophenhelfer, die sich rund
um die Welt nach Anschlägen oder
Naturkatastrophen um die Opfer
kümmern, die lebenden und die
toten. Diese Fotos berühren, sie
ziehen hinein in die Geschichten
von Menschen, die mit ihrem unentgeltlichen Engagement das Leben von Schwächeren und Benachteiligten lebenswerter machen. Und sie regen dazu an, auch
die Texte zu lesen – die Analysen,
den Vergleich zwischen Europa
und Afrika, die Erfahrungen von
Prominenten und weniger Prominenten bei der Hilfe für andere. An
dieser Sammlung wird deutlich,
wie wichtig Ehrenamt und Gemeinsinn für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft sind –
über die Grenzen von Ländern und
Kontinenten hinweg. Und ganz
abgesehen davon kann soziales
Engagement auch zu einem Pluspunkt bei der Bewerbung werden,
wie der Personalleiter eines großen Konzerns meint.
(gka)
63
64
service termine
Kulturtipps
Wunder der Natur und Kultur
Der „Regenwaldbaum“ soll die
Schönheit und die Verletzlichkeit der
Natur symbolisieren.
Wolfgang Volz
Mehr als 900 Meisterwerke der
Baukunst und Monumente der
Kultur zählt die UNESCO zu den
Welterbestätten. Ihnen ist die
Ausstellung „Magische Orte“ im
Gasometer Oberhausen gewidmet. Die Schau nimmt ihre Besucher mit auf eine Weltreise zu beeindruckenden Stätten der Naturund Menschheitsentwicklung. Zu
sehen sind rund 180 Aufnahmen
von international renommierten
Natur- und Architekturfotografen,
deren großformatige Bilder durch
Wüsten, Gebirge und Urwälder, in
Tempel und Paläste führen: etwa
in die Inkastadt Machu Picchu, die
kambodschanische Tempelanlage
Angkor Wat, die Victoria-Fälle
oder das Wattenmeer.
Berlin
12. bis 28. August 2011
Tanz im August 2011 – Internationales Tanzfest
Im Mittelpunkt des Festes steht
in diesem Jahr der zeitgenössische Tanz aus afrikanischen
Ländern, unter anderem mit den
Choreografen Andréya Ouamba aus Senegal und Gregory
Maqoma aus Südafrika. Geboten
werden außerdem „Grenzgänge“
zwischen klassischem Ballett,
Urban Dance und zeitgenössischem Tanz. Das größte jährliche
Tanzfest in Deutschland zeigt
seit 1989 ein breites Spektrum
der wichtigsten Künstlerinnen,
Künstler und Gruppen sowie
Choreographien experimenteller
Newcomer der internationalen
Szene.
www.tanzimaugust.de
Berlin
17. bis 21. August 2011
Festival über Lebenskunst
Der Klimawandel fordert neue
Perspektiven auf die westliche
Lebensweise und das Verständnis
von globaler Politik. Kann eine
neue Kunst zu leben auch das
Überleben sichern? Und was
ist das „gute Leben“ angesichts
der ökologischen Krisen? Das
Programm des Festivals widmet
sich mit künstlerischen und
wissenschaftlichen Beiträgen
diesen Fragen. In Performances,
Workshops, Konferenzen und Lesungen kommen Aktivisten und
Interessierte zusammen, um mit
einem kulturellen Lebenswandel
zu experimentieren.
Haus der Kulturen der Welt
Kontakt: Tel. 030-397-87217
www.ueber-lebenskunst.org
aus dem Stamm eines Mammutbaumes sowie Kopien von berühmten Kunstwerken wie der
„Nofretete“. Den Mittelpunkt der
Ausstellung bildet der „Regenwaldbaum“: Eine 43 Meter hohe
Skulptur, die in den 100 Meter hohen Luftraum des Gasometers, der
höchsten Ausstellungshalle Europas, ragt.
Geschaffen wurde sie von dem
Düsseldorfer Künstler Wolfgang
Volz, der die Ausstellung mit kuratiert hat, in Zusammenarbeit
mit dem Lichtgestalter Herbert
Cybulska und dem Komponisten
Sebastian Studnitzky. Dieser
„Baum des Lebens“ steht symbolisch für die Schönheit und
Fruchtbarkeit, aber auch für die
Verletzbarkeit des ewigen Kreislaufes der Natur: Wechselnde
Farb- und Klangimpressionen
spiegeln die veränderten Stimmungen wider.
Unter den rund 230 Exponaten
befinden sich auch Objekte der
Erdgeschichte wie außergewöhnliche Gesteinsformationen, leuchtende Kristalle oder eine Scheibe
Oberhausen
Frankfurt
kritisch reflektiert.
Schirn Kunsthalle
Kontakt: Tel. 069-299882-0
www.schirn.de
bis 25. September 2011
Geheimgesellschaften
wissen wagen wollen schweigen
Geheimgesellschaften reichen
von akademischen Bruderschaften bis zu mächtigen Wirtschaftsorganisationen. Es sind
Gruppierungen mit unterschiedlichen politischen, ökonomischen
oder religiösen Interessen. Doch
eines haben sie gemeinsam: Sie
operieren im Verborgenen. Die
Ausstellung zeigt 100 Installationen, Skulpturen, Bilder und
Videos von 52 internationalen
Künstlern. Sie geht der Frage
nach, inwieweit Geheimgesellschaften Mechanismen der Kunst
widerspiegeln, und zeigt, wie ihre
Riten und Symbole von Künstlern
thematisiert werden. Auch politische Verschwörungen werden
bis 30. Dezember 2011
Gasometer Oberhausen
Kontakt: Tel. 0208-8503730
www.gasometer.de
Mainz
11. August 2011
Staff Benda Bilili beim
Rheingau Musik Festival
Selbstgebaute Rollstühle sind ihr
Fortbewegungsmittel – ihr Sound
ist eine Mischung aus Rumba,
Funk, Blues und Reggae. Staff
Benda Bilili ist eine Band aus
der kongolesischen Hauptstadt
Kinshasa, die aus einem Straßenmusikerprojekt hervorging. Die
sechs Musiker eint ihre PolioErkrankung und die Vergangenheit als Obdachlose – aber auch
ihre Leidenschaft für Musik und
Kreativität.
www.rheingau-musik-festival.de
8-2011 |
termine | marktplatz service
Schweiz
Luzern
bis 2. Oktober 2011
Shanshui
Poesie ohne Worte?
Der chinesische Künstler und
Oppositionelle Ai Weiwei hat
zusammen mit dem Schweizer
Kunstsammler Uli Sigg eine
Ausstellung zur Landschaft in der
chinesischen Gegenwartskunst
kuratiert. Shanshui bedeutet
wörtlich übersetzt „Berg-Wasser-
Malerei“ und steht für eine seit
1500 Jahren in China kultivierte
künstlerische Ausdrucksform.
Dahinter steht die Darstellung
von Landschaften mit Pinsel und
Tusche. Die Ausstellung zeigt
die Fortführung und die Ausei-
nandersetzung zeitgenössischer
chinesischer Künstler mit dieser
Tradition. Zu sehen sind 70 Werke aus den Jahren 1994 bis 2011.
Kunstmuseum Luzern
Kontakt: Tel. 0041-31-3280944
www.kunstmuseumluzern.ch
Kochel am See
Evangelische Akademie Thüringen
Kontakt: Tel. 036202-984-13
www.ev-akademie-thueringen.de
globale Herausforderung
Public Health Schweiz
Schweizerisches Tropen- und
Public-Health-Institut
Kontakt: 0041-61-836 98 78
www.conference.public-health.ch
Veranstaltungen
Bielefeld
16. bis 17. September 2011
PharmaTopia – die Welt in 30
Jahren
Fachtagung zum 30-jährigen
Bestehen der Pharma-Kampagne
Kontakt: Tel. 0521-60550
www.bukopharma.de
Dortmund
8. bis 10. September 2011
FA!R 2011
Die Messe zum Fairen Handel
Fachtagung „Faire Schmuckstücke
und gläserne LieferKetten“
Messe Westfalenhallen Dortmund
Kontakt: www.fair2011.de
Freiburg
11. September 2011
Palästina, Israel, Deutschland –
Grenzen der offenen Diskussion
Café Palestine Freiburg e.V.
Kontakt: cafepalestinefreiburg.
blogspot.com/
Hamburg
19. bis 20. August 2011
Meer oder weniger?
Über die „Benutzung“ eines
Gemeingutes: Blaue Träume und
graue Wirklichkeiten
Erlebnismuseum BallinStadt
27. August bis 4. September 2011
Bosnien – Ein europäisches Land
nach dem Krieg
Heinrich-Böll-Stiftung
Kontakt: Tel. 040-3895270
www.umdenken-boell.de
| 8-2011
5. bis 9. September 2011
Zwischen Ashram und Internet:
Das moderne Indien aus deutscher
Sicht
12. bis 16. September 2011
Brasilien, Russland, Indien, China
und Südafrika auf dem Vormarsch
– Weltordnung im Umbruch?
Georg-von-Vollmar-Akademie e.V.
Kontakt: Tel. 08851-78- 0
www.vollmar-akademie.de
Neudietendorf
Tutzing
23. bis 25. September 2011
Postfossile Revolution!
Abschied vom fossilen Kapitalismus
Evangelische Akademie Tutzing
Kontakt: Tel. 08158-251-0
www.ev-akademie-tutzing.de
Schweiz
7. bis 13. August 2011
Richte unsere Schritte auf den
Weg des Friedens
Friede im deutschen Kontext
Basel
25. bis 26. August 2011
Chronische Krankheiten - eine
TV-Tipp
Zürich
26. August 2011
Kulturelle Vielfalt für nachhaltige
Entwicklungen
Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt
Theaterhaus Gessnerallee
Kontakt: Tel. 0041-44-241-7267
www.coalitionsuisse.ch
marktplatz
Radio-Tipp
Samstag, 13. August
23:40-00:10, ZDFneo
Mord, Macht und Intrigen.
Geheimaktion Geronimo. Die
Rätsel um den Tod von Osama
bin Laden. Von Souad Mekhennet, Nicolai Piechota, Michael
Renz und Frédéric Ulferts.
Montag, 15. August
20:15-22:25, ARTE
Themenabend: HollywoodLatino. Bevor es Nacht wird.
arte
Bad Herrenalb
23. bis 24. September 2011
Nachhaltig Geld verdienen
Kapital für die ökologische
Wende
Evangelische Akademie Baden
Kontakt: Tel. 0721-9175-361
www.ev-akademie-baden.de
Der Spielfilm von Julian
Schnabel, USA 2000, erzählt die
Lebensgeschichte des kubanischen Schriftstellers und
Dissidenten Reinaldo Arenas
(1943-1990).
Sonntag, 14. August
9:30-10:00, DLF
Amerika, wohin? (1/3). Die
veränderte Rolle der USA in der
Welt.
Die Rolle der USA hat sich in
der globalisierten Welt verändert, neue Mitspieler im Kampf
um Märkte und Hegemonie
wie China und Indien sind auf
der Bühne erschienen, Amerika ist nach dem Irak-Krieg und
der Finanzkrise militärisch wie
ökonomisch geschwächt: ein
Fall von „Imperial overstretch“
und ein Ende des Modells
„Pumpkapitalismus“? Eine
Gesprächsserie von Jochen
Rack mit Susan Neiman, Hans
Ulrich Gumbrecht und Michael
Hochgeschwender. Der zweite
Teil der dreiteiligen Serie wird
am 21. August ausgestrahlt.
Weitere TV- und Hörfunk-Tipps unter
www.welt-sichten.org
Europa Asien Afrika
Der Spezialist für
besondere Reisen
Unsere Reiseprogramme sind nachhaltig, aktiv und voller authentischer Erlebnisse. Seit 2009 sind wir
als eines der ersten Unternehmen
CSR-zertifiziert. – Gern schicken wir
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Partner für
Nachhaltigkeit
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impressum
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18.07.2011
15:51 Uhr
Seite 1
Fachkräfte gesucht für die Arbeitsbereiche ...
... Kinderrechte für unsere Partnerorganisation Tambayan,
Center For Children’s Rights, in Davao, Philippinen.
Tambayan unterstützt Straßenkinder, insbesondere Mädchen, bei ihrem Bemühen um ein Leben
in Würde. Um Tambayans bisherige Erfolge öffentlichkeitswirksam aufzuarbeiten und zu dokumentieren,
damit sie anderen Kinderrechtsorganisationen als „Best Practice“ dienen können, suchen wir eine
Sozialpädagogin/einen Sozialpädagogen mit Erfahrung in Kinderrechten und exzellenten Englischkenntnissen.
Bitte senden Sie Ihre Bewerbung mit Angabe der „Bearbeitungsnr. 183082“ sowie
„welt-sichten 2011.8“ an bernd.augustin@eed.de.
Die personelle Förderung des EED
unterstützt unter anderem durch Vermittlung
von Fachkräften den Aufbau von Kapazität
und Kompetenz bei seinen Partnern.
... Maskulinität und innerfamiliäre Gewalt für unsere Partnerorganisation
IWEM, Instituto Costarricense de Masculinidad, Pareja y Sexualidad
in San Jose, Costa Rica.
Die gute inhaltliche Arbeit von IWEM im Bereich Gender und Maskulinität soll durch ein
PME-System optimiert werden. Im Vordergrund steht die Einführung eines Monitoringprogrammes
zur Wirkungsbeobachtung um Einflüsse der Projekte und Maßnahmen messbar zu machen. Es soll
gemeinsam ein strategischer Plan entwickelt und zum Thema PME und Wirkung fortgebildet
werden. Bitte senden Sie Ihre Bewerbung mit Angabe der „Bearbeitungsnr. 173622“ sowie
„welt-sichten 2011.8“ an nicole.podlinski@eed.de.
... nähere Informationen unter
www.eed.de/fachkraefte
Individuelle Vorbereitung und ein Dreijahresvertrag mit den Leistungen gemäß dem
Entwicklungshelfergesetz zählen zu den wichtigsten Leistungen, die Ihnen der EED anbietet.
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Chefredakteur: Bernd Ludermann (bl)
Redaktion: Tillmann Elliesen (ell), Gesine Kauffmann (gka),
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Korrespondent in Berlin: Dr. Johannes Schradi (di), Tel. 030-850 756 01,
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Ansprechpartner in der Schweiz: Brot für alle/Fastenopfer c/o Urs A. Jaeggi,
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Ansprechpartner in Österreich: Michael Obrovsky (ÖFSE), Tel. 0043-1-3174010,
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Die Rubrik „Global-lokal“ erscheint in Kooperation mit der Servicestelle Kommunen
in der Einen Welt/InWEnt gGmbH. Beate Horlemann liefert die TV- und Hörfunktipps, Doris Regina Gothe die Personalia. Dieter Hampel betreut die Rezensionen.
Evangelischer Entwicklungsdienst e.V.
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Mitglieder: Brot für alle (Bern), Brot für die Welt (Stuttgart),
Christoffel Blindenmission (Bensheim),
Evangelischer Entwicklungsdienst (Bonn),
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Geschäftsstelle: c/o „welt-sichten“
„welt-sichten“ erscheint monatlich.
Preis der Einzel-Nr.: 4,80 Euro / 7,80 sFr zuzügl. Versandkosten
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Der Herausgeberverein ist gemeinnützig (Vereinsregisternr. VR 14271;
Amtsgericht Frankfurt am Main).
Redaktionssekretariat: Ilse Odermatt, Bettina Dier
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Druck: Henrich Druck+Medien, Frankfurt am Main
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Publizistik gGmbH, Frankfurt am Main
Gedruckt auf FSC-Papier:
Min­­­des­­tens 70 Prozent des Roh‑
stoffs stammen aus FSC-zertifi‑
zierter Holz­wirtschaft.
ISSN 1865-7966 „welt-sichten“
ist die Nachfolgezeitschrift von „der überblick“ und
„eins Entwicklungspolitik“.
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das
wer hil
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sachlich
kritisch
gründlich
.
Sie machen mit einem
-Abonnement jemandem eine Freude – wir bedanken uns dafür mit einem Buch. Sie haben die
Wahl: Verfolgen Sie die Lebensgeschichte eines tamilischen Widerstandskämpfers („Mit
dem Wind fliehen“); oder lesen Sie, was der
afrikanische Entwicklungsökonom Ousmane
Sy von der internationalen Entwicklungshilfe hält („Vorwärts Afrika“).
Die Ja
dem dickst gd nach
en fisch
Im nächsten Heft
RÜSTUNG
Im vergangenen Jahr haben die
Staaten der Welt so viel Geld für
Rüstung ausgegeben wie nie
zuvor: 1,15 Billionen Euro. An der
Spitze stehen die USA, gefolgt von
China. Was treibt den internationalen und regionalen Rüstungswettlauf an? Und was wird getan,
ihn zu stoppen? Wie sind Politik
und Rüstungsindustrie miteinander verflochten? Künftige Kriege
werden von völlig neuen Waffensystemen geprägt sein.
TEURE
NAHRUNGSMITTEL
Sie schenken Denkanstöße:
analysiert, hinterfragt, erklärt
und macht neugierig. Die Zeitschrift bietet
Reportagen, Interviews und Berichte über
die Länder des Südens und globale Fragen.
Jeden Monat direkt ins Haus.
Ranjith Henayaka
Mit dem Wind fliehen
Horlemann-Verlag, 2010
320 Seiten
Ousmane Sy
Vorwärts Afrika
Horlemann-Verlag, 2010
168 Seiten
Die Preise für Nahrungsmittel
sind in diesem Jahr erneut stark
gestiegen. Tragen daran vor allem
Spekulanten Schuld oder liegt es
eher am Biotreibstoff-Boom? Unter den Folgen leiden vor allem die
Armen in Entwicklungsländern.

Ihre Bestellmöglichkeiten:
Telefon: Fax: E-Mail: Post: Ich bezahle das Geschenkabonnement.
069/58098-138
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Einfach den Coupon ausfüllen und abschicken an:
Redaktion „welt-sichten“
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60394 Frankfurt/Main
Ausgabe 10-2011
Bitte schicken Sie die Zeitschrift an:
„Mit dem Wind fliehen“ von Ranjith Henayaka
„Vorwärts Afrika“ von Ousmane Sy
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Ja, ich verschenke ein Jahresabonnement von
(12 Ausgaben). Es beginnt mit
Ausgabe 9-2011
Es kostet 42 Euro inklusive Porto in Deutschland, bei Versand in Europa (Landweg)
kommen 12 Euro hinzu. Das Geschenkabonnement läuft ein Jahr und verlängert sich
nicht automatisch. Als Dankeschön erhalte ich, sobald das Abonnement bezahlt ist:
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Ausgabe ___-2011
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Ich bezahle bequem per Bankeinzug.
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Datum, Unterschrift
Ich bezahle per Rechnung.
Postvertriebsstück Deutsche Post AG Entgelt bezahlt 77045
Verein zur Förderung der
entwicklungspolitischen Publizistik e.V.
Postfach 50 05 50
60394 Frankfurt/Main
Einmal
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Jahr
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vergibt
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Panter
Panter
Stiftung
Stiftung
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für
für
Heldinnen
Heldinnen
und
und
Helden
Helden
des
des
Alltags.
Alltags.
Wir
Wir
haben
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sechs
sechs
KandidatInnen
KandidatInnen
nominiert,
nominiert,
die
die
sich
sich
selbstlos,
selbstlos,
mutig
mutig
und
und
kreativ
kreativ
für
für
andere
andere
einsetzen,
einsetzen,
und
und
holen
holen
ihre
ihre
Helden
Helden
taten
taten
ins
ins
Licht
Licht
der
der
Öffentlichkeit.
Öffentlichkeit.
Ab
Ab
18.18.
Juni
Juni
stellen
stellen
wir
wir
unsere
unsere
Nominierten
Nominierten
vor,
vor,
und
und
Sie
Sie
haben
haben
die
die
Wahl:
Wahl:
Welche
Welche
Person
Person
und
und
Tat
Tat
beein
beein
drucken
drucken
Sie
Sie
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meisten?
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