Schriftliche Dokumentation der künstlerischen Diplomarbeit
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Schriftliche Dokumentation der künstlerischen Diplomarbeit
Schriftliche Dokumentation der künstlerischen Diplomarbeit Strich 8 von Vincent Bauer Klasse Malerei und Film Prof. Judith Eisler Sommersemester 2013 Institut für bildende und mediale Kunst Universität für Angewandte Kunst Wien 1 „Teenage kicks, so hard to beat“ 1 (1) Zitat auf dem Grabstein der Musiklegende John Peel. http://de.wikipedia.org/wiki/John_Peel (Aufruf am 5. Mai 2013) 3 Diese Arbeit gibt Einblick in die Entstehungsgeschichte des Films “Strich 8” und zeigt den Prozess der Rekonstruktion und Relativierung der eigenen Erinnerung. Thema des Films ist eine Bar in Niederbayern, in der 2007 die letzten Abende auf Video festgehalten wurden. gebracht. Es wird aufgeführt, mit welchen Überlegungen und Entscheidungen das Material bearbeitet wurde, um eine persönliche Erinnerung einem weiteren Kontext zu zwischen der Wahrnehmung der eigenen Vergangenheit, der Erkenntnisse, die diese im Laufe der Jahre relativierten, sowie dem vorhandenen Videomaterial aus jener Zeit. Der primäre Inhalt des Films, die Geschichte der „verbotslosen“, publikumsnahen Bar dient lediglich als Verstärker für die euphorischen Jugendlichen in der Heterotopie Diskothek. So ist die Tatsache, dass es in der Bar wirklich 50 Liter Freibier gab weit weniger wichtig, als das Funkeln in den Augen des Jungen, der das in die Kamera erzählt. 5 Einleitung Automobilkonzerns BMW, der den 20 0000 Einwoh- Villen auf den Hügeln über der Stadt. Die Einwohner bleiben Abends meistens zu Hause vor dem Fernseher. Es gibt keine Theater, keine Galerien, wir hatten nicht einmal Kunstunterricht am Gymnasium. Das zahlreichen Casinos und geheimen Bordellen. Das kulturelle Angebot der Stadt beschränkt sich sowie eine Nobel-Diskothek, in der es eine strenge Kleiderordnung gibt und keine Ausländer zugelassen zur öden Kleinstadt-Existenz. Es war ein Ort, an Kleinstadt in einer exzessiven Subkultur umkehrten. 7 tionellen Unternehmensführung der Veranstalter Das damalige Videomaterial aus dem Club “Strich 8” hat die Ausgelassenheit dieser Subkultur konserviert für den Stammgäste auch mehrstündige Autofahrten von Kamera erzählt aus der Sicht eines Gastes, begibt sich 2007 stand dann fest, dass die Stadt das Gelände aufkaufen wird, um es an einen Industriekonzern weiter zu verkaufen. 2007 hielt ich die letzten Tage dieser Bar auf Film fest, Nichols bezeichnet diese Art und Weise der Erzählung als “Performative Mode” (2). Der Erzähler ist hierbei teil der Narration und die dokumentarische Wahrheit wird ern zu arbeiten. Kurz darauf zog ich nach Wien und ging an die Universität für Angewandte Kunst in die Klasse beziehungsweise worin der eigentliche Wahrheitsgehalt nostalgisch und kitschig, und meine Faszination für den “Strich 8” begann sich angesichts der neuen Erfahrungen und Eindrücke zu relativieren. Am Ende meines Studiums will ich nun wissen, inwiefern die letzten Jahre meinen Blick auf das Ausgangsmaterial des Betrachters und seine Anteilnahme am gezeigten emotionalen Geschehen an, was in den Tanzsequenzen am deutlichsten zu Tage tritt. (2) Nichols, Bob. Introduction to Documentary. Indiana University Press / Bloomington & Indianapolis, für mich, sondern auch für ein neues Publikum von Bedeutung sind. 2001, S. 34 9 Die Kamera dokumentiert keine klaren Inhalte oder Wahrheiten, sondern vermittelt das Gefühl und die lässt und dem Betrachter einen Zugang zur Stimmung und Atmosphäre der Bar zu ermöglichen. Platzhalter für einen Ort in der eigenen Erinnerung gesehen werden kann, der beim Betrachter vielleicht einst ähnliche Euphorien wie bei den gezeigten Jugendlichen auslöste. 11 Analyse des Ausgangsmaterials Das Video thematisiert die Erinnerung an einen Ort zu einer bestimmten Zeit. Im Sinne der räumlich-zeitlichen Einheit wird deshalb ausschließlich das Video-Material verwendet, das an den letzten sechs Abenden der Diskothek entstanden ist3. Die Sichtung des Materials bringt bereits ein Erinnern in Gang und wirft die Frage auf, welche Themen und Inhalte heute noch die Relevanz oder Tiefe besitzen, dass mit ihnen weitergearbeitet werden soll. Des Weiteren ist darauf einzugehen, welche kulturell-soziologischen Aspekte relevant sind, damit an dem Geschehen in der Bar Anteil genommen werden kann, beziehungsweise wieviel von ihnen irrelevant sind. Und zu guter Letzt, welche Rolle den Interviews zugesprochen werden soll, da sie enormen des Filmes nehmen können. Mir der Beschreibung des Prozesses der Rekonstruktion einer Erinnerung an das “Strich 8” mittels des vorhanlung der Geschichte des Clubs selbst verwendet werden. Ihnen wird als Erinnerung in der Erinnerung eine beson- zwischen der persönlichen Erinnerung und den Erkenntnissen der letzten Jahre. 13 Es war mir ein Anliegen, ausschließlich mit den Aufnahmen aus der Diskothek zu arbeiten und dem vorhandenen Post-Interviews oder Ähnlichem hinzuzufügen. Das Geschehen sollte sich rein auf den Club konzentrieren. Diese Inszenierung. Sie zeigen ein Gegenbild zu den geltenden Einkaufszentren, Franchiseketten und dem menschenleeren nächtlichen Stadtzentrum. Die Einheit der Zeit und Handlung im Club sollen dem Betrachter die Möglichkeit geben, sich durch die gezeigten Aufnahmen auch an eine andere Bar oder einen ähnlichen Ort in seiner eignen Vergangenheit zu erinnern. 15 (5) In diesem Zusammenhang sei die Serie „Irgendwie Fischer, Elmar Wepper, Robert Giggenbach, Bruno Jonas Irgendwie und Sowieso. Fernsehserie 12 Folgen, 55 Minuten. Deutschland Die Clips zeigen Jugendliche, die mit Enthusiasmus eine Bar besuchen. Hier können sie eine Subkultur zelebrieren die auf einem antiautoritären Miteinander beruht und an der jeder teilhaben kann der “einfach seinen Spaß hat und niemanden belästigt”. Diese Gegenorte haben in Bayern Tradition und sind auf die 68er Bewegung zurückzuführen. Damals boten sogenannte Alternativkneipen ihren Besuchern einen Freiraum, der ihnen von der konservativen Nachkriegspolitik der CSU unter Franz Josef Strauss verwehrt wurde. Mitunter die amerikanischen Besatzungsmächte brachten damals die Hippie- und Rock’n Roll Bewegung nach Bayern und damit auch ein neues Format von Bar. Im Gegensatz zum klassischen Wirtshaus wurde hier im Hintergrund Musik aufgelegt, es gab ein kulturelles Gegenprogramm wie Livebands oder Filmvorführungen abseits des Mainstreams und der im Wirtshaus übliche Tresen wurde durch eine lange Theke ersetzt5. Der Club Strich 8 ist ein Relikt dieser Zeit und bei all der politischen Freiheit die die Jugendlichne heute gegenbüber ihren Eltern in den 70er Jahren genossen, ist das Bedürfniss nach einen anderen Kultur als ihnen Dieses Problem wird in den Videos mit dem Satz “Stirbt die Jugendkultur, … stirbt jede Kultur” erwähnt. Der Wirt Peiss erzählt, dass er selbst den “Spirit” aus dem Lokal, wo er früher gearbeitet hat an den Strich 8 weitergegeben hat 17 und verweist somit ebenfalls auf diese Geschichte4. Die Mechanismen des Hypes hinaus bekannt und es rankten sich diverse Mythen und Geschichten um seine Herkunft, dem Treiben hinter den Türen und dem von Anfang an drohenden Untergang. So wollte ich mich im Material zunächst auf die Suche nach jenen Mechanismen machen, die einem Club diese Aura verleihen können. Von dem Betreiber und den Gästen werden in den vorhandenen Clips vier Elemente propagiert, die für sie den Ort speziell machten. Dies ist zum einen die scheinbar Nicht-Gewinn-orientierte Strategie der Betreiber5, welche die Freude am Feiern (5) Die Metalbremse: Der Wirt sagt, man habe mit der Musik „komische Leute“ anderen werden einige Do-it-yourself-Elemente wie die “Tigerente” auf dem Klo oder die “Pinke Bar mit Leopardenplüsch” erwähnt, die teilweise in Zusammenarbeit mit den Gästen gestaltet werden. Sie geben dem Ort einen speziellen Charakter, der von den Gästen laut dem Wirt mit den Worten “Ihr seids doch total irre” kommentiert wird. 19 Der dritte Punkt ist das Miteinander zwischen Gästen und Betreibern. So sind viele Gäste auch “unter der Woche mal da”, oder die Freundinnen der Betreiber werden hinter die Bar gesetzt wenn “Not am Mann ist”. In diesen Mechanismus fällt auch der Türsteher, welcher, nachdem er als Gast randalierte, kurzerhand als Türsteher eingestellt Hinzu kommen noch Rituale wie zum Beispiel die immer gleiche Abschlussnummer “New York”, das gemeinsame Schnapstrinken mit dem Barpersonal, sowie auch die Tanzszenen, wie zum Beispiel die “Sirtaki” Szene. Hier wird durch den Tanz die Illusion der Einheit der Gäste verbildlicht. In der “Metal”- und in der “Smells Like Teen Spirit”- Sequenz wird diese Einheit noch zusätzlich durch die Wildheit des Rituals verstärkt, was wiederum das kulturelle Negativ, das der Club zum Kleinstadtleben bildete, verdeutlicht. ein Gefühl von Individualität vermitteln, sie aber im im Alter von 16 Jahren beim ersten Ausgehen beobachtet und man glaubt durch sie etwas Ausgefallenes gefunden die Austauschbarkeit ihrer äußeren Erscheinungsformen, wodurch sich ihre Originalität zwar nicht mindern mag, wohl aber die Mystik um die Ausstrahlung, die manche Diskotheken besitzen. 21 Freund oder „Social Actor“ tenden Charaktere zu machen. Hier war von Anfang an vorher. Zudem hatten sich viele der Statements bereits unmittelbar nach der Schließung des Clubs als leere idealistisch auf der Couch diskutieren, zerstritten sich 8“ nun für kommerzielle Zwecke weiter nutzen dürfe. Zwei der Couchsitzer ließen sich von der Kommerzdisko drei Häuser weiter aufkaufen. Das “Strich 8” Publikum, das so sehr um den Ort trauerte, war nach zwei Wochen bereits über alle Berge und folgte den Djs einfach in die Kommerzdisko. Zurück blieb der Wirt, der fortan Säle und Wirtshäuser mietete, um dort Partyreihen im Gein keinster Weise in meinen Aufzeichnungen wieder und mir widerstrebte der Gedanke, nun eine eigene Deutung oder Narration zu konstruieren. Ich suchte deshalb nach den Hintergrund zu stellen. 23 Im Material werden auch die Performances der Personen selbst thematisiert. Dies geschieht in Momenten, in denen sie aus ihrer Rollen rausfallen, wie zum Beispiel der Wirt im Telefonat am Anfang. Hier erfährt man, wie gerne er darüber berichtet, dass er gerade ein Interview gibt6. Die Unglaubwürdigkeit des Inhalts wirft den Betrachter auf das zurück, was zwischen den Wahrheiten und Gegenwahrheiten liegt, die ihm präsentiert werden und rückt die Personen, die diese Halbwahrheiten erzählen mehr in den Vordergrund. Die Leute sagen mehr durch die Art wie sie etwas sagen, als durch das, was sie sagen. Es geht nicht darum, dass das Mädchen mit ihrem Bruder unter dem Spieleautomaten eingeschlafen ist. Interessant ist lediglich, mit welcher Euphorie sie davon berichtet. Dies gibt dem Film Raum, mehr über die Stimmung und die Atmosphäre in der Bar zu erzählen als über die eigentlichen Inhalte der Interviews. (7) Als er im Interview angerufen wird, geht er davon aus, dass der Teil rausgeschnitten wird, wie es auch der - - 25 Aufbau des Films Ausgangsmaterial immer im Zentrum der Arbeit. Der Erinnerungen, die ich an den Ort hatte und die Atmomöglichst direkt übertragen. Hierbei war eine Grundidee, die Erinnerung an die Bar und die sich wiederholenden Abläufe in ihr (wenn man sie oft besucht) zur Form des Films werden zu lassen. So hat der Erzählbogen die Dynamik eines Abends in einem Club. Zuerst geschehen ausgetauscht werden und Small-Talk-Anliegen, wie: wie ist der Club entstanden, wie sieht er aus, wer arbeitet hier, geklärt werden. Im Anschluss folgen die Tanz-Sequenzen, bis schließlich nach dem Exzess und den York” den letzten Abend im „Strich 8“ beendet. Bei den ersten Schnittversionen tauchte das Problem auf, dass die Charakter einiger Personen im Film, mit ihrem wahren Wesen nichts mehr gemeinsam hatten. 27 Zwar war es nie mein Ziel gewesen eine objektive verwendete Musik, die ich in sehr großem Umfang fand. mich an sie erinnerte. So wirkte der Wirt in den ersten Schnittversionen wie ein weltfremder Kulturdiktator, der mit dem Strich 8 sein chauvinistisches Weltbild umsetzten will. Der ältere Herr auf der Toilette wirkte stärksten die Emotionen und Gefühle aus, die an diesem Ort entladen wurden. Ich habe bewußt Aufnahmen verwendet, die sich von zeitgenössischen Darstellungen von Tanzenden in Werbung, Film oder auch im Film Bar 25 8 Kleinstadt umherzieht um jungen Mädchen beim Tanzen zu beobachten und einen Ort sucht, an dem er auch mal “Mist reden kann”. Auch wenn ich mit dem Film eine das Tanzen immer als etwas sehr cooles, indivduelles zu zeigen, was meist von einem oder zwei Model-ähnlichen Wesen in technischer Perfektion aufgeführt wird. Dem Pogotanzes oder den eher uncoolen Sirtaki-Geburtstags- geschenkt haben, nicht vorzuführen. Ich wollte keinesfalls eines starken Gemeinschaftsgefühls innerhalb des Clubs Menschen durch eine überzogene Darstellung als Freaks darstellt und beim Betrachter auf ein Gefühl des Fremdschämens abzielt7 Kanten haben, aber in Maßen, die meiner Erinnerung, haben. Saturday Night Fever - So feiert Österreichs Jugend (2012). Deutschland 29 arbeit meines Studiums, sondern auch eine Möglichkeit, Jahre habe ich das Projekt vor mir hergeschoben weil Themas umgehen sollte. Unsere Bar wurde einfach durch mit dem ich diese Tragik zeigen könnte. Die Frage war will in meinem Film diese Tragik thematisieren, ohne sie selbst zum eigentlichen Inhalt werden zu lassen. Es soll gezeigt werden, was verloren gegangen ist und nicht, wer genau nun daran schuld ist. Es könnte leicht sein, dass, wenn es den Club „Strich 8“ noch geben würde, wir heute darin sitzen wurden und trotzdem nur darüber reden würden, wieviel intensiver alles war, als wir noch Teenager waren. 31 Als ich den Wirt vor einigen Wochen zu Hause besuchte und wir seine Hühner fütterten, musste ich seinen Enthusiasmus bewundern, mit dem er mir erzählte, er habe vor ähnlichen Zügen wie jenen de Club „Strich 8“. Bei meinen lich in Nostalgie umgeschlagen. Zwar erinnert man sich gerne noch an damals, doch viele der ehemaligen Gäste gehen heute einfach in die Kommerzdisko. Die gibt es seit Ich kehre nach meinem Studium nun zurück und versuche das Gefühl wieder mitzubringen, das ich mir damals meinem Film ein Gefühl festhalten, das ich in der Stadt der bayrischer Industrie vertrieben wurde, denn diese drei Jahre umbenennen, warum weiss ich nicht. Sicher können sie dort genauso eine schöne Zeit verbringen wie damals im Club „Strich 8“. Trotzdem vergleiche ich diesen Trend mit all den anderen, seltsamen Erneue- Sibylle jedenfalls, die Barfrau im Film, antwortet auf das einführende melancholische Undertones Zitat „Teenage Bodenständigkeit: “Dann werd’ma (halt) erwachsen.” ist alles hellgrau. Daneben steht nun ein riesengroßer, sich zahlreiche amerikanische Ketten wie Burger King und Subways in der Stadt angesiedelt. Alt-eingesessene Film am Klo zu sehen ist, müssen heute um ihre Existenz versuchen’ wollen. 33 Bibliographie Filmographie Irgendwie und Sowieso. Fernsehserie 12 Folgen, 55 Minuten. Deutschland Bloomsbury, Berlin Blümner, Bettina. Wofür es sich zu leben lohnt. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main Saturday Night Fever So feiert Österreichs Jugend (2012). Untergrund im Unterland, Österreich Ferreri, Marco. Nichols, Bob (2001). Introduction to Documentary. DVD, 135 Minuten. Frankreich, Italien Mischer, Britta und Yuriko, Nana. Bar 25 (2012). 35 Irgendwie und Sowieso. Fernsehserie 12 Folgen, 55 Minuten. Deutschland Blümner, Bettina. Saturday Night Fever So feiert Österreichs Jugend (2012). Österreich Ferreri, Marco. DVD, 135 Minuten. Frankreich, Italien Mischer, Britta und Yuriko, Nana. Bar 25 (2012). Kerrigan, Justin .