Nr. 7/2012 Andre Williams - Wasser

Transcription

Nr. 7/2012 Andre Williams - Wasser
Magazin
Wasser Prawda
Nr. 7/2012
Andre Williams
•Lonnie Johnson & Eddie Lang
•Blues ladylike: Marion James Liz Mandeville - Cee Cee James
•Two Man Gentlemen Band
•Deutschlands bester Blues?
•Texte von Trakl, London, Wallace, Münnich
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G ü t z kowe r S t r a ß e 8 3 1 7 4 8 9 G r e i f s wa l d
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Die Redaktion Empfiehlt:
Liz Mandeville - Claksdale
(Blue Kitty)
„Come Out Swinging“ ruft sie gemeinsam
mit Willie „Big Eyes Smith“ und Bassist Darryl
Wright. Das Motto stimmt.
Marion James Northside Soul
(EllerSoul)
Hier braucht es allein diese Sängerin und ihre
Geschichten. Sofort fühlt man sich um Jahrzehnte zurück versetzt in eine Zeit, wo Blues
und Soul zusammengehörten, wo Rhythm &
Blues noch die musikalische Alltagssprache war
und nicht eine Musik für Spezialisten. Hier ist
des Blues noch so lebendig wie 1966. Eben weil
es die Sprache und die Seele von Marion James
ist.
Tobias Kirmayer presents: The
Pinetop Perkins - Heaven
(Blind Pig/Fenn)
Die Aufnahmen von „Heaven“ gehen noch auf
eine Zeit vor dem Solodebüt „After Hours“ zurück. Perkins - wenn auch mit 75 Jahren schon
weit übers Rentenalter hinaus - spielt hier im
Wesentlichen allein mit einem nur jugendlich
zu nennenden Schwung Klassiker wie den „44
Blues“, „Sweet Home Chicago“ oder auch „Sitting On Top of the World“ neben seinem eigenen „Pinetop‘s Blues“.
The Two Man Gentlemen
Band - Two At A Time
Analoger geht‘s wirklich nicht mehr. Auch witziger ist schwer möglich. The Two Man Gentlemen
Band liefern das Partyalbum für Swingparties am
Pool mt jeder Menge Cocktails.
Editorial
tin Mollnitz veröffentlichte die „Wasser-Prawda“
eine Polemik und vier Gedichte. Dass der Autor ein Pseudonym nutzte, war anfangs nicht
bekannt, wurde aber in der Debatte für einige
schnell zu einem entscheidenden Kritikpunkt.
Darf man ein Pseudonym einfach offenlegen?
Oder muss man den Wunsch des Autors, sich
hinter einem angenommenen Namen zu verstecken, respektieren?
Als in Greifswald Anfang der 90er Jahre die heute als „Moritz Magazin“ bekannte Studentenzeitung entstand, da suchten die Redakteure nach
einer Möglichkeit, Kneipentests und ähnliche
Aktionen zu machen, ohne sofort in der Szene
bekannt zu sein. Das war die Geburt von Nathan
Nörgel. Dieser Mensch mit dem sprechenden
Namen war ein kollektives Pseudonym. Jeder
Redakteur, der entsprechende Artikel schrieb,
konnte ihn benutzen.
In den Zeiten des Internet mit seinen vielfältigen
Decknamen, Nicknamen etc. haben wir bei der
ollnitz in der Priegnitz ist ein kleines Wasser-Prawda Nathan Nörgel wieder von den
Gutsdorf. Seit 1946 ist es in Bresch Toten erweckt. Noch immer ist es ein Pseudoeingemeindet, was wiederum zur Ge- nym, auch wenn heutzutage eigentlich nur noch
meinde Pirow gehört. Unter dem Namen Mar- eine Person unter dem Namen schreibt. Und
zwar genau dann, wenn er seine Kritiken etwas
M
Inhalt
Impressum
Die Wasser-Prawda ist ein Projekt des Computerservice Kaufeldt Greifswald. Das pdf-Magazin wird in Zusammenarbeit mit dem freiraum-verlag
Greifswald veröffentlicht und erscheint monatlich. Es wird kostenlos
an die registrierten Leser des Online-Magazins www.wasser-prawda.de
verschickt.
Musik
German Blues Award & Challenge 2012
Kommentar: Deutschlands bester Blues?
Wasser-Prawda Nr. 5/2011
Redaktionsschluss: 1. Juli 2012
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Redaktion:
Chefredakteur: Raimund Nitzsche (V.i.S.d.P.)
Leiter Feuilleton: Erik Münnich
Marion James - Von der Ehrlichkeit des
Bluessongs 8
Liz Mandeville - Von Chicago nach Clarksdale 10
Die Anfänge des Blues-Gitarren-Solos
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Andre Williams zwischen Tag und Nacht
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Album des Monats: The Two Man Gentlemen Band
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Mitarbeiter dieser Ausgabe: Ole Schwabe, Kristin Gora, Lüder Kriete,
Gary Burnett
Adresse:
Redaktion Wasser-Prawda
c/o wirkstatt
Gützkower Str. 83
17489 Greifswald
Tel.: 03834/535664
www.wasser-prawda.de
mail: redaktion@wasser-prawda.de
Rezensionen
A-Z18
Literatur
Erik Münnich: Flash Fiction
Georg Trakl - Psalm (Karl Kraus zugeeignet)
Edgar Wallace - A.S. Der Unsichtbare (1)
Jack London - Auf der Rast
heftiger gestalten will. Allerdings hat sich Nathan
Nörgel inzwischen eine quasi eigene Existenz erworben. Selbst Post kommt inzwischen an ihn an.
Und das liegt einfach daran, dass viele Künstler
und Plattenfirmen nicht wissen, dass es ein Pseudonym ist. Aber auf Nachfrage stellen wir als Redaktion gerne klar. Nathan Nörgel hat nicht die
Chance, unter dem Schutz seines Pseudonyms
irgendwelche Verstöße gegen das Presserecht zu
begehen. Dieses Pseudonym ist daher inzwischen
so löcherig wie Schweizer Käse. Aber aus alter
Gewohnheit wird Nörgel weiter hier schreiben.
Einmal in meiner Karriere als Journalist bestand
ich darauf, einen Artikel nur unter Pseudonym zu
veröffentlichen. Denn ich hatte Angst davor, dass
mein realer Name in Kreisen der rechten Szene
noch bekannter werden könnte. Ich war bei den
Recherchen einigen Leuten zu nahe gerückt. Also
teilte ich das meiner Redaktion mit. Und damit
war klar: der Artikel würde nicht sofort mit mir
in Verbindung gebracht werden können. Aber
ich stand weiter für die Korrektheit desselben der
Redaktion gegenüber gerade.
Martin Mollnitz ging leider einen anderen Weg
und trat von Anfang an unter Pseudonym uns
gegenüber auf. Als er es dann uns gegenüber
Anzeigenabteilung:
marketing@wasser-prawda.de
Gerne schicken wir Ihnen unsere aktuelle Anzeigenpreisliste und die Mediadaten für das Online-Magazin und die pdf-Ausgabe der Wasser-Prawda
zu. Anzeigenschluss für das pdf-Magazin ist jeweils der 1. Werktag des
Erscheinungs-Monats.
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Die nächste Ausgabe erscheint am 24. August 2012.
Bücher:
Anna Katharina Hahn - Am schwarzen Berg
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Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster
stieg und verschwand33
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© wasser-prawda
Editorial
lüftete, ging unsere Begeisterung schlagartig zurück. Aber wir hielten uns zurück und wahrten
den Decknamen. Zwei Gründe führten zum
Verschwinden der Begeisterung: Einerseits die
Tatsache, dass der Autor seit Jahren nicht nur
in der Jungen Freiheit sondern auch zeitweise in
anderen im rechtskonservativen Spektrum angesiedelten Blättern schreibt. Dabe bediente er sich
genau der Sprache, dort üblich ist. Aber dann ist
da noch das andere, für mich als Redakteur noch
wichtigere: Es fehlt den Beiträgen von Herrn
Mollnitz (oder da die Lyrikzeitung inzwischen
das Pseudonym offen gelegt hat, können wir
auch sagen: Bosselmann) die wirkliche Tiefe. Immer wieder werden in den Beiträgen gar witzig zu
lesende Zustandsbeschreibungen der Gegenwart
geliefert. Aber niemals wird darin wirklich nach
Ursachen gefragt. Niemals werden wirklich gangbare Veränderungen angeregt. Es ist in den Texten ein einziges Stammtischgerede auf sprachlich
hohem Niveau. Aber es sind keine Polemiken
etwa in der Tradition eines Karl Kraus, die er verfasst.
Das war auch der Grund dafür, dass wir die
„Neue Lyrik“ mit ein paar Gedichten ergänzten.
Die vier von uns gewählten Beiträge wählten
wir aus einer größeren Anzahl aus. Dabei kann
man uns sicher Fehler vorwerfen. Doch unserer
Meinung nach waren und sind das Gedichte, die
ziemlich genau für den Stil und die inhaltlichen
Schwerpunkte des Autors stehen.
Jetzt ist das Pseudonym geplatzt und nun steht
die Frage: Ist das richtig gewesen? Kann man einem Autoren, der unter seinem realen Namen so
in eine bestimmte Ecke gehört, die Chance auf
eine neue literarische Karriere verbauen? Eigentlich hätte ich ja gesagt: Das kann man nicht tun.
Doch als dann klar wurde, dass Mollnitz selbst ob direkt oder über enge Freunde - die Leserbriefe zum Beitrag selbst verfasste, war ich echt - man
verzeihe mir die Sprache - stinksauer. Es ist gegen
jede journalistische oder sonstige Ethik! Wer so
handelt, macht sich unglaubwürdig. Und so hält
sich mein Ärger über den Bruch des Pseudonyms
in engen Grenzen.
Entspannter Reggae im
Greifswalder Hafen
Die „Fete de la musique“ gibt es in Greifswald jetzt seit fünf Jahren. 2012 bildete die kostenlose
Open Air Veranstaltung gleichzeitig den musikalischen Abschluss des Greifswald International
Students Festival. Und so war auch das Programm ein wesentlich bunteres und internationaleres als in den letzten Jahren. Besonders erfreulich, dass die Veranstalter es geschafft hatten,
mit den Stimulators aus München eine der besten deutschen Live-Bands in die Stadt zu holen.
Leider stand der Band um Gitarrist Peter Schneider nur eine knappe Stunde Zeit zur Verfügung.
Diese nutzten die sieben Herren allerdings äußerst anregend mit einer sehr entspannten Reggae-Session mit Songs von den letzten beiden Alben. (Fotos: Raimund Nitzsche)
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© wasser-prawda
Musik
Nominierungen für den
German Blues Award
und die German Blues
Challenge 2012
Der Baltic Blues e.V. hat die Nominierungen für den German Blues Award bekannt gegeben.
Jeweils zehn Kandidaten in den einzelnen Kategorien sind nach einer Befragung von Experten
nominiert worden. Bis zum 31. Juli kann man über die Webseite http://bluesfest-eutin.de abstimmen. Auch über die Teilnehmer an der diesjährigen German Blues Challenge kann man bis
31. Juli dort voten. Die Verleihung der German Blues Awards 2012 findet am 29. September im
Brauhaus Eutin statt. Hierbei treten auch die fünf höchstplatzierten Bands des Votings in der
German Blues Challenge an. Der in Eutin ansässige Verein organisiert den nationalen Blueswettbewerb in Kooperation mit der Blues Foundation in Memphis, der European Blues Union und
dem German Blues Network. Hier die Liste der Nominierten:
Kategorie: Band
(In alphabetischer Reihenfolge)
• Abi Wallenstein & Blues Culture
• B.B. & The Blues Shacks
• Henrik Freischlader
• Jan Hirte & Blue Ribbon
• Jenny Boneja & The Ballroomshakers
• Jessy Martens + Band
• Johnny Rieger Band
• Michael van Merwyk & Bluesoul
• Richie Arndt & The Bluenatics
• Timo Gross Band
Kategorie: Solo/Duo
•
•
•
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•
•
•
•
•
Abi Wallenstein
Bargel-Heuser
Biber Herrmann
„Crazy“ Chris Kramer
Georg Schroeter & Marc Breitfelder
Lausitz Blues
Peter Crow C
Playin For Tips
Schorsch H. & Dr. Will
Thomas Stelzer
Kategorie: Gesang männlich
•
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•
•
•
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•
•
Abi Wallenstein
Dieter Kropp
Dr. Will
Georg Schroeter
Michael Arlt
Richard Bargel
Richie Arndt
Rudi Madsius
Sepp Maciuszcyk
Timo Gross
Kategorie: Gesang weiblich
•
•
•
•
•
•
•
•
Alegra Weng
Astrid Barth
Christiane Ufholz
Inga Rumpf
Jenny Boneja
Jessy Martens
Joy Flemming
Nayeli
• Nina T Davis
• Tanja Telschow
•
Kategorie: Gitarre
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Andreas Arlt
Henrik Freischlader
Jan Hirte
Jan Mohr
Jimmy Reiter
Kai Strauss
Peter Crow C
Richie Arndt
Timo Gross
Todor „Toscho“ Todorovic
Kategorie: Harp
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Adam Sikora
Bernd Kleinow
„Crazy“ Chris Kramer
Dieter Kropp
Geza Tenyi
„Josa“ Holger Sauerbrey
Klaus „Mojo“ Kilian
Marc Breitfelder
Marko Jovanovic
Michael Arlt
Kategorie: Instrument, sonstige
•
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•
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•
•
•
•
•
Dirk Vollbrecht (Bass)
Erkan Özdemir (Bass)
Frowin Ickler (Bass)
Jens Ulrich Handreka (Bass)
Michael van Merwyk (Lap Steel)
Moritz “Mo” Fuhrhop Hammond)
Stefan Scholz (Saxophon)
Thomas Feldmann (Saxophon)
Thomas Schneller (Saxophon)
Uli „Lohmann“ Drewes (Trompete)
Kategorie: Tonträger
(In alphabetischer Reihenfolge der Interpreten)
• „All Time Favourites“ (Andreas Arlt)
• “Crossing Borders” (Arndt/Gross/Conti)
• “Men In Blues” (Bargel-Heuser)
• “One More Turn” (Blues Blend)
• “Live At BluesBaltica” (Georg Schroeter &
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•
•
•
Marc Breitfelder)
“Through The Storm” (German Blues Project)
“Singin´ The Blues“ (Jan Hirte & Blue Ribbon feat. Nayeli)
“Brand New Ride” (Jessy Martens + Band)
“New Road” (Michael van Merwyk &
Bluesoul)
„Heymkehr” (Schwarzbrenner)
Kategorie: Festival
•
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•
•
•
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•
•
•
•
B&W Rhythm´n´Blues Festival, Halle
Blue Wave, Rügen
Blues im Hof, Frei-Laubersheim
Blues in Lehrte, Lehrte
Blues Schmuus Apfelmus, Laubach
Bluesfest Gaildorf, Gaildorf
Grolsch Blues Festival, Schöppingen
Lahnsteiner Bluesfestival, Lahnstein
Rother Bluestage, Roth
Schmölzer Bluestage, Küps/OT Schmölz
Kategorie: Club
•
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Barnaby´s Blues Bar, Braunschweig
Blue Note Club & Bar, Dresden
Blues Garage, Isernhagen
Café Hahn, Koblenz
Der Hirsch, Nürnberg
Harmonie, Bonn
Heimathaus Twist, Twist
Merlin, Stuttgart
Musiktheater Piano, Dortmund
Savoy, Bordesholm
GERMAN BLUES CHALLENGE 2012
•
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•
•
Cologne Blues Club
Jan Hirte‘s Blue Ribbon
Jenny Boneja & The Ballroomshakers
Jessy Martens + Band
Johnny Rieger Band
Lausitz Blues
Lösekes Blues Gang
Pass Over Blues Quartett
Timo Gross Band
Tommy Schneller Band
Die fünf Erstplatzierten sind qualiiziert.
© wasser-prawda
Musik
Deutschlands bester Blues?
In den letzten Jahren waren die Reaktionen
schon fast reflexartig: Die in Eutin ansässigen
Vereine Baltic Blues e.V. und German Blues
Network geben die Modalitäten für die German
Blues Challenge und die Nominierungen für die
German Blues Awards bekannt und beim Magazin „Bluesnews“ häufen sich die kritischen Kommentare und Aufrufe, solche Veranstaltungen
zu meiden. Der Grund dafür sind die ziemlich
undurchschaubaren Nominierungen und Fragen
dazu, wer eigentlich für welchen internationalen
Blueswettbewerb qualifiziert ist. Ein Vorwurf der
letzten Jahre ist 2012 allerdings haltlos: Die Bevorzugung der norddeutschen Bluesszene. Das
zeigen die Nominierungen für die diesjährigen
German Blues Awards.
In den Vereinigten Staaten sind die jährlichen
Blues Awards inzwischen für die Szene wichtiger
als die Grammies. Wer einen der Preise bekommt,
kann damit seiner Karriere einen gehörigen
Schub verpassen. Und selbst eine Nominierung
ist schon pures Geld wert. Und als Nachwuchswettbewerb ist die International Blues Challenge
in Memphis für die zahllosen Bluesgesellschaften
einer der Höhepunkte des Jahres. Wer sich in den
regionalen Wettbewerben durchgesetzt hat und
das nötige Geld für die Fahrt nach Memphis zusammen bekommt, der hat so etwas wie die Qualifikation zu den Olympischen Spielen geschafft.
In Deutschland existiert bislang keine nationale
Vereinigung von Bluesmusikern, Veranstaltern,
Fans und Journalisten. Zwei Vereine aus dem
ganzen Land sind Mitglied bei der Blues Foundation in Memphis und dürfen daher Vorschläge zur International Blues Challenge einreichen.
Beide sitzen in Eutin. Vor allem die Arbeit des
Baltic Blues e.V. kann man gar nicht hoch genug loben. Nicht nur ist das Blues Baltica in der
Kleinstadt eines der besten Festivals hierzulande.
Auch bei Projekten wie „Blues @ School“ engagiert sich der Verein. Und daher war der Auftrag, dass der Verein für die Organisation eines
deutschen Blueswettbewerbs zuständig sein solle,
folgerichtig. Es gibt einfach niemanden anderes,
den die European Blues Union fragen konnte.
Doch wie kommt der Verein zu seinen Vorschlägen, wer zur German Blues Challenge antreten darf? Eine Vorauswahl werde von Fachleuten (Journalisten, Musikern, Veranstaltern,...)
getroffen, heißt es auf der Homepage des Vereins. Irgendwann einmal wurde dann die öffentliche Abstimmung in Zusammenarbeit mit den
„Bluesnews“ gemacht. Das war aber nur eine
Episode. Seither gibt es ein öffentliches OnlineVoting über die Vereinsseite. 2012 sind zehn
Bands auf der Liste. Die fünf mit den meisten
Stimmen werden im September in Eutin um die
deutsche Bluesmeisterschaft kämpfen. Der Sieger
- soviel steht jetzt schon fest - wird Deutschland
dann 2013 bei der European Blues Challenge vertreten. Ob er auch nach Memphis fahren
darf, ist nicht so klar. Denn der Baltic Blues e.V.
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hat schon 2011 angekündigt, dass Michael van
Merwyk als Sieger der damaligen German Blues
Challenge 2013 nach Memphis fahren solle.
Schließlich war 2011 Big Daddy Wilson als Vorjahressieger gemeldet worden. An diesem Hin
und Her hat sich ein großer Teil der Kritik entzündet. Von Vereinsmeierei ist in Kommentaren
die Rede, von undurchschaubaren Regeln. Und
das ist bei aller Sympathie nicht völlig von der
Hand zu weisen. Wenn es auch juristisch korrekt
ist: Vorschlagsberechtigt ist nun mal der Verein.
Ähnliche Kritik gab es in den letzten Jahren
© wasser-prawda
Musik
auch an den German Blues Awards. Diese hat der
Baltic Blues e.V. gemeinsam mit dem German
Blues Network ins Leben gerufen. Auch hier gab
es die nämliche Kritik der Undurchschaubarkeit.
Und des gab den Vorwurf, dass diese Awards
niemals repräsentativ für den Deutschen Blues
insgesamt sein würden, weil eigentlich bloß Musiker aus dem Norden nominiert worden seien.
Dies ist 2012 so nicht mehr haltbar, wenn man
sich die Liste der Vorgeschlagenen anschaut: Klar
sind da auch wieder norddeutsche Musiker nominiert. Aber bei nüchterner Lektüre kann man
die Liste durchaus als ziemlich repräsentativ für rien zu sehen, wo besonders angenehm auffällt,
das sehen, was in diesem und im letzten Jahr im dass da auch die ostdeutschen Musiker wie Bernd
Blues hierzulande bemerkenswert war. Das kann Kleinow oder Thomas Stelzer genannt werden.
man etwa an der Liste für das Album des Jahres
Nathan Nörgel
sehen: Von Andreas Arlt über das Duo BargelHeuser und Jan Hirte‘s Blue Ribbon bis hin zu
Schwarzbrenner geht diese. Das deutet darauf
hin, dass die für die Vorauswahl gefragten Experten inzwischen nicht mehr nur aus dem direkten
Umland von Eutin kommen...
Fotos: Timo Gross, Bernd Kleinow, Jessy MarUnd es das ist auch bei den sonstigen Katego- tens, Henrik Freischlader, Thomas Stelzer
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© wasser-prawda
Musik
Marion James - Northside Soul oder: Die Ehrlichkeit des Bluessongs
In den 60er Jahren hatte Marion James mit ihrer Debütsingle „That‘s My Man“ einen Top-TenHit. Kurz vorher gehörten Jimi Hendrix und Billy Cox zu ihrer Band. Heute nennt sie sich „Blues
Queen of Nashville“. Mit „Northside Soul“ veröffentlicht James jetzt ein Album zwischen Soulblues, New-Orleans-R&B und Jazz. Von Raimund Nitzsche.
Aus europäischer Perspektive kann man die Lebendigkeit des Soulblues und Southern Soul über
die Jahrzehnte in den Südstaaten der USA kaum
verstehen. Abseits der Medienaufmerksamkeit
und der Hitparaden-Zahlen wird der Blues der
späten 50er Jahre von Musikern live dargeboten
und findet noch immer ein begeistertes Publikum. Wobei - und hier kommt der Musikologe durch - dieser Blues auch als Soul bezeichnet
werden könnte. Aber wenn man anfängt zu hören, dann ist das völlig gleichgültig. Es geht um
Musik, die aus vollem Herzen dargeboten wird
und auf dein Herz und deine Füße zielt.
Eines der Zentren dieser Musik liegt spätestens
seit den 50er Jahren im Umfeld der Jefferson
Street der Country-Metropole Nashville. Heute
ist das leider nur noch wenigen bekannt. Nashville ist für viele zum Synonym für Country-Musik geworden. Und selbst in den offiziellen Seiten
der Stadt spielen Blues und Soul im Bereich der
Kultur in der Stadt neben Country und christlicher Popmusik keine wirkliche Rolle. Doch in
den 60ern war die Gegend in der Nähe der zwei
schwarzen Universitäten Tennessee State und
Fisk mit ihren vielen Clubs der Platz, wo Ray Printer‘s Alley ist seit den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts der Nachtclub-District von Nashville. Im
Charles, James Brown, Little Richart, Otis Red- Norden der Stadt gab es in der Nähe der Jefferson Street ein ähnliches Viertel für Blues & Soul.
ding und Etta James regelmäßig auftraten. Und
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© wasser-prawda
Musik
als Jimi Hendrix von der Armee entlassen wurde,
war genau hier der Ort, an dem er seine Karriere
als Musiker starten wollte. Eine der vielen BandStationen seiner Karrierefrühzeit war bei Marion James, die zu den Pionieren des Rhythm &
Blues in der Stadt gehörte mit Zeitgenossen wie
Joe Tex, Earl Gaines oder Roscoe Shelton. - Wie
lange Hendrix und Cox bei ihr blieben, weiß ich
nicht. Sie selbst verweist nur knapp darauf, das
Jimi wohl zu keinem der Auftritte pünktlich erschien. Und so wird das Kapitel Marion James/
Jimi Hendrix ähnlich kurz gewesen sein wie bei
sämtlichen anderen seiner damaligen Engagements. Auf jeden Fall dürfte diese Episode vor
dem großen Hitparaden-Erfolg von James gelegen haben. 1966 war es, als bei Excello ihre Debütsingle „That‘s My Man“ erschien und bis in
die Top Ten bei Billboard kletterte. Spätere Hitparadenerfolge blieben für sie zwar aus. Doch als
Blues- und Soulsängerin war sie seither (bis auf
eine lange Pause in den 80ern) aktiv. Vor allem
seit sie Anfang der 90er Jahre „Marion James &
The Hypnotics“ veröffentlichte, ist sie eigentlich ständig auf Tournee nicht nur in den USA
sondern auch im Rest der Welt. Allerdings kam
erst 2011 mit „Essence“ ein Nachfolgealbum in
die Läden. Weltweit wurde es von Ellersoul vertrieben und in der Szene bekannt gemacht. Und
jetzt folgt beim gleichen Label mit „Northside
Soul“ quasi die Fortsetzung dazu.
Heute habe der Blues eine Menge von seinem
ursprünglichen Feeling verloren, meint Marion James. In den 60er Jahren seien die Stücke
„sweeter“ gewesen und tiefergehende Geschichten erzählt. Wenn man sich die Alben zahlreicher
aktueller Bluesrocker heute anhört, dann kann
man diese Meinung sofort unterschreiben. Jedenfalls dann, wenn man selbst auch Wert auf
diese niemals wirklich mit Worten zu beschreibende Ehrlichkeit legt, die einen guten Blues
ausmacht. Und das ist genau der Punkt, der der
altgedienten Sängerin auch heute noch wichtig
ist: Geschichten in Liedern zu erzählen, die man
im Kern selbst erlebt hat, mit denen man seine
Zuhörer innerlich und äußerlich bewegen will.
Vielleicht ist es genau auch das, was die Faszination eines Albums wie „Northside Soul“
ausmacht, das Marion James mit Bassist/Produzent Tod Ellsworth auf der „Northside“ von
Richmond eingespielt hat: Hier sind Lieder, die
einen in ihrer Direktheit und Persönlichkeit sofort ergreifen. Hier braucht es keine ausgefeilten
Produktionen, keine instrumentalen Höchstleistungen. Hier braucht es allein diese Sängerin
und ihre Geschichten. Sofort fühlt man sich um
Jahrzehnte zurück versetzt in eine Zeit, wo Blues
und Soul zusammengehörten, wo Rhythm &
Blues noch die musikalische Alltagssprache war
und nicht eine Musik für Spezialisten und Fans.
Da ist kein gewolltes „Retro“-Feeling produziert
worden, um einen altertümlichen Sound neu zu
erschaffen. Hier ist diese Musik noch so lebendig
wie 1966. Eben weil es die Sprache und die Seele
von Marion James ist.
Ob sie predigt mit der Inbrunst der Südstaatenkirchen in „Corrupted World“ oder einfach
davon erzählt, wie ihr schon wieder mal das Herz
bricht („Crushing My Heart“): Es sind ihre Geschichten. Und sie sind nicht von gestern, sondern wenn sie sie singt, dann passieren sie genau hier und jetzt. Und auch wenn sie ein paar
Klassiker zwischen „I Just Want To Make Love
To You“ und „Next Time You See Me“ zwischen
ihre eigenen Lieder schiebt, dann ist das mehr als
Crowdpleasing. Denn auch diese Lieder macht
sie sich mit der Ehrlichkeit ihres Gesanges ganz
zu eigen. Da verschwindet der Macho-Ton von
Muddy Waters und das Lied wird in einer Art interpretiert, die eher an Etta James erinnert. (Man
kann gut verstehen, warum Marion Etta neben
Ella Fitzgerald und Big Maybelle zu ihren größten Vorbildern zählt. Gerade von ihnen hätte sie
gelernt, dieses „Blues-Feeling“ zu begreifen und
mit der Stimme auszudrücken.) Hinzu kommt
dann noch ein lässiger Funk-Groove und Zitate
aus Songs von James Brown, den man bei diesem
Song sonst eher nicht erwartet hätte.
Wobei es solche Details sind, die Marion
James und ihre Studioband auszeichnen und die
„Northside Soul“ auch für Anhänger der aktuellen Classic-/Retro-Soul-Szene empfehlenswert
machen. Je nach Lied wird ein ganz eigener musikalischer Kosmos erschaffen. Das kann der traditionelle Bluessound mit Gitarre und Bluesharp
sein, eine New-Orleans-Jazz-Atmosphäre oder
der Gospelsound in der Kirche um die Ecke.
Begleitet wird Marion James auf „Northside
Soul“ von einer Band, die (bis auf Bassist Ellsworth) aus der Region stammen. Und all die soll-
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ten - so das Mantra des Produzenten - das Feeling
des Blues transportieren und nicht eine technische Perfektion, die niemals wirklich in einer lebendigen Produktion zu erreichen ist. Wenn es ab
und zu in der Begleitung ein paar kleinere Ecken
und Kanten gibt - genau die machen klar, dass es
nicht um ein weiteres stromlinienförmiges Produkt für den Massenmarkt geht sondern um ein
Blues-Album im Sinne der Künstlerin. Ein Album mit jeder Menge Gefühl, mit Geschichten
aus dem Leben. Und mit der Kraft, einen Hörer
aus dem Stuhl zu reißen.
© wasser-prawda
Musik
Zwischen Wisconsin,
Chicago und Clarksdale
Normaler Alltag eines Bluesjournalisten: Es kommt ein Album rein, das einen sofort packt. Man
hört einmal, zweimal und dann fängt die Überlegung an: Reicht eine Rezension oder sollte man
über den Musiker einen längeren Beitrag schreiben? Vor allem wenn die Künstlerin derartig
vielseitig und faszinierend ist wie Sängerin/Gitarristin/Songwriterin/Journalistin/Malerin Liz
Mandeville reicht eine Spalte nicht aus. Eine Annäherung von Nathan Nörgel.
Wallfahrten sind nicht erst seit Hape Kerkeling
wieder vollkommen en vogue. Für den Bluesfan
sind die Fahrten „in den Süden“, nach Mississippi schon seit den ersten field-recording-Trips
der Plattenfirmen in den 20er Jahren bekannt.
Beliebt wurden sie dann so richtig in den 50er
und 60er Jahren, als weiße Folkies sich auf die
Suche nach den Musikern machten, die damals
auf Platten aufgenommen wurden. Und auch
wenn heute von denen niemand mehr am Leben
ist - der Geist des Blues scheint im Delta stärker
zu wehen als meinethalben in der Greifswalder
Altstadt oder den Getreidefeldern in Kansas.
Eigentlich hätte Liz Mandeville eine solche
Reise zu den Bluesquellen kaum nötig. Schließlich ist sie doch schon seit Jahrzehnten konstant
in Chicago in den Bluesclubs zu Hause, schreibt
ihre Blueskollumnen für ein Online-Magazin
und macht ihre Bluessendung im Radio. Für
Bluessongs, die sich nicht sehnsuchtsvoll in eine
imaginierte Vergangenheit richten, scheint mir
das die richtige Umgebung zu sein. Aber klar
doch: Claksdale, Mississippi, kann natürlich
ein Ort sein, wo man von all den Einflüssen der
Großstadt auch mal Abstand gewinnen kann
und wieder den Blick auf das Wesentliche richtet. Und nachdem Songwriterin/Gitarristin Liz
Mandeville 2009 durch eine Krankheit aus der
Bahn geworfen wurde, reiste sie 2010 dorthin,
um Inspiration zu suchen. Unterkunft fand sie
im „Muddy Waters Room“ des Riverside Hotels.
Und dort erstanden dann die Lieder für ihr 2012
veröffentlichtes Album „Claksdale“: Lieder die
ganz klar vom ominösen Geist des Südens beein-
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flusst sind aber ebenso auch davon zeugen, wie
eine Musikerin ihr Leben neu in Musik abbildet.
Die Anfänge liegen allerdings weder in Mississippi noch in Chicago sondern in Wisconsin, was
für die gefallenen Engel im Film „Dogma“ fast
so schlimm war wie die Hölle. Für Mandeville
war es wohl ein besserer Platz zum Aufwachsen.
Denn sie lebte in einer kunstbegeisterten Familie. Ihr Vater spielte Folksongs und besuchte
Kunstkurse am Chicago Art Institute, die er sich
von der Army nach seinem Dienst im Koreakrieg
bezahlen ließ. Von ihm lernte sie schon früh das
Singen und auch die Malerei. Ihre Mutter war
Schauspielerin und unterrichtete andere darin.
Sie nahm Liz mit in Konzerte, Musicals und natürlich ins Theater. Und sie bestand darauf, dass
Liz auch Musikunterricht und Tanzkurse bekam.
Hinzu kam noch die Musik aus der Stereoanlage,
die eigentlich ständig lief. Dort konnte man in
einem Moment Strawinsky hören und kurze Zeit
später Mahailia Jackson, Leadbelly oder Hank
Williams. Und wenn Künstler zu Besuch waren,
wurde Liz ermutigt, mit ihren eigenen künstlerischen Arbeiten zur Unterhaltung beizutragen, ob
das nun kleine Stücke oder eigene Songs waren.
© wasser-prawda
Musik
Und auch der Süden spielte damals schon eine
Rolle. Denn während seiner Grundausbildung
für die Armee hatte sich der Vater in die Stadt
New Orleans verliebt. Und so endeten die Urlaubsreisen der Familie mit schöner Regelmäßigkeit dort. Auf dem Wege dorthin lernte Liz
gleich noch die ganze Bandbreite der amerikansichen Musik kennen, von den Folksongs in den
Appalachen über Gospel und Jazz bis hin zum
Rhythm & Blues von New Orleans. Und als Liz
mit 16 Jahren ihre erste eigene Gitarre erhielt,
war klar, dass sie bald darauf in der Lage war,
professionell als Musikerin zu arbeiten. Wobei
eine solch behütete und reizvolle Kindheit, wie
sie Liz auf ihrer Homepage schildert, eigentlich
nicht der Stoff ist, aus dem eine Bluesmusikerin
geboren wird. Jedenfalls dann nicht, wenn man
unbedingt die Klischees vom harten Leben, das
den Blues hervorbringt, als Maßstab setzen will.
Die Musik jedenfalls brachte Liz Mandeville
dann nach Chicago, wo sie sich schnell einen Namen machte als Gitarristin und als Songwriterin.
Ihr Spiel auf der Gitarre vergleichen sie mit Chet
Atkins. Auf jeden Fall gehört sie nicht zu den
harten Riff- und Tempofanatikern sondern hat
einen Stil gefunden, der jazzig und swingend ist.
Und als Songwriterin: Hier ist eine Frau, die einerseits persönliche ergreifende andererseits auch
äußerst humorvolle Stücke schreibt. Ganz im Stile der 20er Jahre werden da die Freuden zu Hause
gekochter Mahlzeiten mit sexuellen Unterönen
aufgeladen. Oder das Gegenüber wird direkt aufgefordert: „Rub My Belly“. Und dann gibts es
auch noch die Lieder als Kommentare zur Gegenwart, ob über das Leben armen Männern, die
einfach um einen Job zu haben, in die Nationalgarde eintreten und sich plötzlich im Irakkrieg
wiederfinden, oder das Hochwasser in Memphis.
Vier Platten erscheinen im Laufe der Zeit. Und
mit dem 2008 erschienenen „Red Top“ kommt
sie bis auf Platz 3 der Radio Charts des Roots
Music Report. Mehr als 20 Wochen bleibt das
Album drin. Und „Scratch The Kitty“, einer der
Songs der Scheibe ging bis auf den ersten Platz
der Cashbox Charts und dürfte heute einer der
am meisten (kostenpflichtig) heruntergeladenen
Bluessongs überhaupt sein.
Jetzt also „Clarksdale“, das Album zur Südreise. „Come Out Swinging“ ruft sie gemeinsam
mit Willie „Big Eyes Smith“ und Bassist Darryl
Wright. Das Motto stimmt. Von Anfang an packen die Songs. Es gibt die ganz persönlichen
Lieder wie „Walking & Talking With You“ oder
das a capella gesungene „No Fear/Everything“,
bei dem auch dem letzten Ignoranten klar werden dürfte, wass hier für eine großartige Sängerin am Mikrophon ist. Es gibt natürlich das Lied
zur Reise und die Geister der Bluesgeschichte
- „Clarksdale/Riverside Hotel Blues“. Und Die
Band harmoniert. Eigentlich hatte Liz das ganze
Album mit Smith einspielen wollen. Doch leider starb er vor der angesetzten zweiten Session.
Aber immerhin spielt er bei der Hälfte der Lieder das Schlagzeug und bei zweien auch nochmal
die Bluesharp. Waren das die letzten Aufnahmen
der Legende? Beim Rest des Albums wird die Besetzung variabler. Da ist die wundervolle SlideGitarre von Donna Herula (mit der Mandeville
ein äußerst erfolgreiches Duo in Chicago hat),
die die swingenden Saiten rockig aufrauht. Bei
„Sweet Potatoe Pie“ (noch so eine zum Grinsen
lustige Geschichte über Essen und Sex wie auch
Liz Mandeville - That‘s Miss Brown To You (Acryl auf Leinwand)
schon der Opener „Roadside Produce Stand“)
spielt Eddie Shaw sein legendäres Saxophon.
„Claksdale“ ist die erste Veröffentlichung auf
Mandeville‘s eigenem Label Blue Kitty. Auf die
Idee hatte sie Willie „Big Eyes Smith“ gebracht.
Wenn Du wirklich was erreichen willst, dann
mach dich von den Labels unabhängig, nimm
die Sache selbst in die Hand. Man kann gespannt
sein, was sie in den nächsten Jahren außer den
eigenen Platten noch veröffentlichen wird. Denn
nicht nur beim aktuellen Chicago-Blues hat sie
den kompletten Durchblick. Auch was außerhalb
der Stadt passiert, nimmt sie wahrscheinlich mehr
als nur am Rande wahr. Schließlich muss ihre regelmäßige Rubrik „Inside The Blues“ beim „Chicago Blues Guide“ gefüllt werden. Ob sie dort
über Konzerte in den Clubs der Stadt schreibt
oder auch Platten von Kollegen rezensiert: Sie
schreibt über den Blues, so wie sie ihn selbst auch
singt und spielt: Voller Liebe und Offenheit und
Begeisterung. Auch wenn sie nicht wirklich der
große Fan von Hightspeed-Bluesrockgitarren ist
- auch solche Musiker werden von ihr mit so viel
Spaß besprochen, dass man wirklich eigentlich
sofort in den Plattenladen rennen könnte. Hinzu kommt dann auch noch eine Radiosendung
bei WNUR-FM mit ihr. Und wenn das noch
nicht genug wäre - wahrscheinlich ist es das, was
11
Kollegen dazu bringt, sie als echte RenaissanceFrau zu bezeichnen - zwischendurch findet sie
immer noch Zeit für die Malerei. Wobei gerade
die Gemälde aus den Bluesclubs in ihrer farbigen
Direktheit und nur scheinbaren Naivität ihre eigene Musik auf eine ganz eigene Weise ergänzen:
Nichts ist nur „gewollt“. Überall ist da die Künstlerin in jeder Nuance zu spüren. Und das ist es,
was den Blues heute und überhaupt so wichtig
macht.
© wasser-prawda
Musik
Lonnie Johnson mit seinem Trio im Jahre 1944.
Lonnie Johnson, Eddie
Lang und Die Anfänge
des Blues-Gitarren-Solos
Auf der Gitarre (und schon vor ihr auf dem Banjo und anderen Vorläufern) gibt es zwei Möglichkeiten des Spiels: Musiker wie Blind Lemon Jefferson oder Son House gehören mehr oder weniger zu den rhythmusbetonten Spielern, die den Gesang mit Akkordfolgen begleiten. Daneben
gibt es die so genannten „single-note“-Spieler, die die Gitarre mehr als Melodieinstrument betrachten. Die ersten Gitarristen dieser Schule, die mit Blues und Jazz auf Platten aufgenommen
wurden, waren Lonnie Johnson und Eddie Lang. Von Raimund Nitzsche und Gary Burnett.
E
in paar Worte vorweg: Einer der für mich
spannendsten Blogs in der Blueswelt stammt
von dem irischen Theologen Gary Burnett. In
den letzten Monaten haben wir schon ein paar
seiner Texte in deutscher Übersetzung hier veröffentlicht. Als er vor wenigen Wochen „The Beginning of the Blues Guitar Solo“ online stellte,
wollte ich ihn eigentlich wieder komplett übernehmen. Doch dann entschied ich mich doch
dafür, den Text um die Fakten zu erweitern, die
ich in den letzten Jahren zu Lonnie Johnson gesammelt habe und auch die Biografie von Eddie
Lang etwas ausführlicher zu schildern. Denn
- und hier hat Burnett eindeutig recht: Die gemeinsamen Sessions von Lonnie Johnson, dem
farbigen Bluesman aus New Orleans und Eddie
Lang, dem italienischstämmigen Jazz-Gitarristen aus dem Norden haben nicht nur Musikgeschichte geschrieben sondern sind gleichzeitig
ein frühes dokumentiertes Beispiel für die Überwindung des Rassismus in und durch die Musik.
Was ich aus Platzgründen leider streichen musste, sind Burnetts theologische Schlussfolgerungen, die immer einen Reiz seiner Blogbeiträge
ausmachen. Raimund Nitzsche
onnie Johnson gilt als direktes Vorbild für
solche Schlüsselgestalten der Blues-Historie
wie Robert Johnson und B. B. King. Dabei ist er
nicht einmal in der Tradition des Country Blues
aufgewachsen, sondern hat diesen Stil nur über-
L
12
nommen. Geboren wird er als Alonzo Johnson
am 8. Februar 1889 (oder 1894 oder 1899 - die
Angaben dazu differieren) in New Orleans als eines von 11 Kindern einer armen Familie (1915
starben außer ihm und einem älteren Bruder alle
an der „Spanischen Grippe“). Ausgebildet an
Gitarre und Violine arbeitet er während des 1.
Weltkrieges in seiner Heimatstadt zusammen mit
seinem Bruder als Musiker; der Jazzbassist Pops
Foster nennt ihn den „einzigen Burschen in ganz
New Orleans, der Jazzgitarre spielen konnte“.
1917 bis 1919 gehört er zum Ensemble eines
Repertoiretheaters, das zur Truppenbetreuung
in London musikalische Revuen aufführt. Wieder in den USA, wird er in St.Louis Mitglied der
© wasser-prawda
Musik
Band „Jazz-O-Maniacs“ des Kornettisten Charlie
Creath, mit der er auf dem Mississippidampfer
„St. Paul“ zu hören ist; in dieser Zeit wird er ein
guter Orchestermusiker. 1922 verlässt er Creath
im Streit, geht nach Galesburg, Illinois, und arbeitet in einer Reifenfabrik. 1925 findet er in St.
Louis einen Job in einer Stahlfabrik.
Im Herbst 1925 gewinnt er einen Blues-Wettbewerb im Booker T. Washington Theatre und
erhält so einen Schallplattenkontrakt bei der
Firma Okeh, für die er bis 1932 zahlreiche Titel
aufnimmt. Seine Platten haben Erfolg; als Sänger und Gitarrist wird er sehr begehrt. Auch Jazz
Bands nehmen seine Dienste in Anspruch: Im
Dezember 1927 nimmt er mit Louis Armstrongs
„Hot Five“ 4 Titel auf, im Herbst 1928 kommt
es zu Einspielungen mit dem Duke Ellington
Orchestra und der Sängerin Baby Cox (die Platte erschien sogar unter dem Namen „Lonnie
Johnson and his Harlem Feetwarmers“), und
1929 ist er bei Aufnahmen des Louis Armstrong
Orchestra wieder dabei. Reisen, Tourneen und
eigene Aufnahmen jagen einander. Sein 1926
aufgenommenes „To Do This You Gotta Know
How“ veränderte den Blues für immer und ist
noch heute ein außerordentliches Stück Gitarrenzauberei zwischen Blues und Jazz. Johnson
führte eine völlig neue Art des Gitarrenspiels ein
und war somit „unbestreitbar der Schöpfer eines
Note für Note gespielten Gitarrensolos, welches
der Standard in Jazz, Blues, Country und Rock
wurde“, wie der Blueshistoriker Gérard Herzhaft
schreibt. Johnson‘s Stil ist die Grundlage dessen,
was wir heute als das moderne Spiel auf der elektrischen Blues-Gitarre kennen .
1929 geht Johnson als Begleiter von Bessie
Smith auf Tournee, mit der er gut befreundet
ist. Während der Weltwirtschaftskrise kann er
zwischen 1932 und 1937 keine Platten mehr ganz oben: Lonnie Johnson nach seiner Wiederentdeckung 1960. oben: Eddie Lang mit dem
aufnehmen. Johnson arbeitet in Kohleminen, Sänger Bing Cosby. nächste Seite: Autogrammkarte von Eddie Lang.
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© wasser-prawda
Musik
bei der Eisenbahn und in der Stahlindustrie.
1945/46 wechselt Johnson von der akustischen
zur elektrischen Gitarre; viele Kenner bedauern
das, weil sie sagen, damit habe er seinen unverwechselbaren Ton verloren. Von dieser Zeit an
bis 1952 arbeitet er für das Plattenlabel King.
Konzerte 1952 in England bringen keinen nennenswerten Publikumserfolg. Johnson kann mal
wieder keine Aufnahmen mehr machen und arbeitet in Philadelphia als Liftboy und Pförtner in
einem Hotel. Dann verliert sich zeitweise seine
Spur; 1958 soll er in Chicago als „ein kranker,
schäbig gekleideter Mann“ gesehen worden sein.
Aber ab 1960 ist er wieder im Studio, nachdem er
von der Folkszene in New York „wiederentdeckt“
worden und zu Privatkonzerten eingeladen worden war. 1963 bereist er sogar noch als Mitglied
des Programms „American Folk Blues Festival“
Europa und nimmt in Kopenhagen ein Album
auf. Am 16. Juni 1970 stirbt Lonnie Johnson in
Toronto (Kanada).
Von Lonnie Johnson ist eigentlich jeder Bluesgitarrist seither beeinflusst. Es ist bekannt, dass
etwa Robert Johnson ihn verehrt hat. Und seit
T-Bone-Walker die E-Gitarre im Blues etabliert
hat, sind die Möglichkeiten des Melodiespiels auf
der Bluesgitarre schier unerschöpflich geworden.
Ob nun die markanten Linien von B.B. Kings
Lucille oder die Feedbackkaskaden von Jimy
Hendrix oder Buddy Guy - letztlich beziehen sie
sich alle auf Johnson.
m 17. November 1928 ging Johnson in
ein Aufnahmestudio in New York, um
einige Blues-Instrumentalnummern mit einem
anderen außergewöhnlichen jungen Gitarristen
aufzunehmen, der unter dem Namen Eddie Lang
bekannt war. Und diese erste Session veränderte
wirklich die Geschichte des Blues bis heute.
Was würde man nicht dafür geben, diese beiden außergewöhlichen Gitarristen dabei beobachten zu können, wie sie sich Licks und Riffs in
A
„Two Tone Stomp“ oder „How To Change Keys
to Play These Blues“ zuspielten? Wie Denny Illet
letztens schrieb, hat sich „die Entwicklung der
Gitarre von dem Punkt an daran orientiert, was
Johnson und Lang an diesem Tag und über den
Zeitraum des nächsten Jahres gespielt haben“.
Dabei ist schon der Fakt, dass Lonnie Johnson
und Eddie Lang gemeinsam im Studio standen
bedeutsam. Schwarze und Weiße taten das damals einfach noch nicht gemeinsam. In den
1920er Jahren befinden wir uns noch mitten drin
in der schlimmsten Zeit der Rassentrennung, des
Rassismus und der Diskriminierung gegenüber
Amerikanern afrikanischer Abstammung. Als die
Platten von ihnen veröffentlicht wurden, waren
sie für den Markt der Farbigen bestimmt. Und so
wurde Lang auf den Covern Blind Willie Dunn
genannt, um vorzutäuschen, er wäre schwarz.
Die beiden Musiker scheinen allerdings die gesellschaftlichen Sitten der Zeit völlig ignoriert
zu haben und haben immer wieder gemeinsam
gespielt. Und auch wenn sie das unter Decknamen machten - hier zeigte sich, dass Musik in der
Lage ist, Grenzen zu überwinden und Vorurteile
abzubauen. Zeitweise haben sie die Maskerade so
weit getrieben, dass einige Aufnahmen im April
und Mai 1929 gar als „Blind Willie Dunn and
his Gin Bottle Four“ veröffentlicht wurden. hier
waren neben Lang und Johnson auch noch Komponist/Orchesterleiter Hoagy Carmichael als
Scatsänger und Percussionist, Pianist J.C. Johnson und der legendäre King Oliver mit seinem
Kornett beteiligt.
te er in New Yorks sesshaft werden und spielte
hauptsächlich als Sideman.
Lang gilt als Vater der Jazzgitarre und spielte etwa auf der ersten Aufnahme des Jazz- und
Popstandards „Georgia On My Mind“, das Hoagy Carmichael mit seinem Orchester 1930 aufnahm. Schon 1924 hatte er in „Deep Second
Street Blues“ eines der ersten je aufgenommenen
Single-Note-Solos aufgenommen. Ja, manche
bezeichnen ihn gar als den eigentlichen Erfinder
der Jazz-Gitarre. Auf jeden Fall sorgte sein Spiel
mit dem Orchester von Frankie Trumbauer bei
„Singing‘ the Blues“ im Jahre 1927 dafür, dass
in den nächsten Monaten sämtliche Banjospieler
der New Yorker Szene die Gitarre zumindest als
Zweitinstrument lernten oder gleich ganz umstiegen.
Lang
übernahm
ein
festes
Engagement beim Sänger Bing Cosby, als dieser
das Orchester von Paul Whiteman verließ. Leider starb Lang bereits 1933 an den Folgen einder Mandeloperation. Lang hatte eine chronisch
heisere Stimme und man hoffte, dies durch die
Operation verändern zu können. Denn Bing
Cosby wollte, dass er in seinem nächsten Film
eine Sprechrolle übernehmen sollte. Was genau
bei dem Eingriff schief gelaufen ist, ist nicht völlig klar. Einige Chronisten sprechen von einer
Blutung, die nicht gestoppt werden konnte. Andere gehen davon aus, dass Lang in Narkose eine
Embolie erlitt und das Bewußtsein nicht wiedererlangte.
Langs Gitarre blieb lange Zeit der Maßstab für
u dem Zeitpunkt war Lang der begehrtes- die Jazzgitarre allgemein. Das änderte sich erst
te Session-Gitarrist in New York und trat mit Musikern wie Django Reinhardt (der sich
auch regelmäßig in Rundfunksendungen, The- in seinem Spiel ganz klar an Lang anlehnte) und
atern und Konzerthallen auf. Angefangen hatte Charlie Christian, der seine Anregungen auf die
er gemeinsam mit seinem Klassenkameraden Joe E-Gitarre übertrug und gleichzeitig den Weg
Venuti in einer Band. Doch nach einem längeren vom Swing zum Bebop mit bahnte.
Engagement, das bis nach London führte, woll-
Z
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© wasser-prawda
Musik
Andre Williams: You got to have
cash in America
Gleich zwei Alben wurden von der 1936 geborenen Blues- und Soullegende Andre Williams 2012 veröffentlicht. Doch ob
nun mit den alternativen Country-Rockern The Sadies oder mit einer Truppe rund um Bassist Don Was: Der seit rund zwei
Jahren nüchterne Sänger ist nicht nur Womanizer sondern auch Gesellschaftskritiker par excellence. Von Raimund Nitzsche
Schlimmer als in Amerika ist‘s eigentlich nur,
wenn man in Afrika lebt. Und auch wenn ihr
singt: A Change Is Gonna Come - wenn Du kein
Geld in Amerika hast, dann bist Du nicht mehr
als Trash. Dann biste geliefert. Eine Stimme gebrochen vom Alter, grantelnd und grummelnd.
Dazu Frauen im Hintergrund singend. Und eine
Orgel wie grad aus der Kirche um die Ecke geborgt. Andere der oft skizzenhaft kurzen Lieder
erzählen von Freunden aus dem Knast, vom Fehlen der Frau im Leben. Sie ist gegangen, weil sie
es nicht mehr ertragen hat. Und jetzt ist da niemand mehr, der ihn küsst und seinen Hund. Und
immer wieder von Amerika, dass einem „70jährigem Nigger“ keine Chace lässt. Vor allem Mississippi, davor kann er nur warnen. Schlimmer
ist eigentlich nur Joliet, der Knast von Chicago
- oder eigentlich die Schwester von Mississippi.
(Und nicht der lustige Laden, den wir aus Bkues
Brothers kennen.)
Man weiß beim eben veröffentlichten Album
„Night & Day“ von Andre Williams und The
Sadies nicht, welche Lieder er unter Rum und
Drogen und welche er nüchtern aufgenommen
hat. Denn die ersten Nummern des Albums gehen auf Sessions im Jahre 2008 zurück, als der
Sänger wegen der Drogen immer mal wieder im
Knast landete. Als Williams dann so ab 2010
seine Sucht endlich im Griff hatte, da wurde die
Arbeit mit der kanadischen Countryband wieder
aufgenommen, mit der er 1999 schon „Red Dirt“
veröffentlicht hatte. „Night & Day“ ist als Titel
also durchaus programmatisch gemeint; Hier ist
einer endlich der Nacht entkommen und auf seine alten Tage wieder im Tageslicht angekommen.
Aber viel mehr Hoffnung sieht er dadurch auch
nicht. Nur die Dankbarkeit bleibt, dass er es doch
noch geschafft hat. Denn nüchtern war er wohl
seit den späten 60er Jahren nicht mehr. Irgendwann damals war er mit Ike Turner in Kalifornien für Monate in einer Dauerparty abgestürzt.
Immer wieder liest man in dem Zusammenhang
von einem LKW voll Koks, den er seither durch
die Nase gezogen haben soll. Und von Unmengen Rum, der die Kehle hinunter floss.
Hier muss man wohl doch mal erläutern, wer
Andre Williams eigentlich ist. Denn trotz hunderter Lieder, die er für andere geschrieben hat,
trotz zahlloser Platten, die er seit den späten fünfziger Jahren produziert hat - Andre Williams ist
zumindest hierzulande immer ein Geheimtipp
If you go fuck three girls in
one week, you fuck all three
of them good! You know what
I mean? If you do a song, put
you heart in it! Don‘t come up
with no bullshit lyric!
15
© wasser-prawda
Musik
geblieben. Denn einer wirklichen Karriere stand
nicht nur sein exzessives Leben sondern auch sein
mehr als schwieriger Charakter immer wieder im
Wege.
Was eigentlich jeder kennt sind Lieder wie
„Shake Yer Tailfeather“ (das er ursprünglich für
The Five Dutones schrieb und produzierte und
das durch Filme wie „Blues Brothers“ oder auch
John Waters‘ Hairspray ewiges Leben erhielt.)
Oder seinen Hit „Jail Bait“, weil Keith Richards
ihn seit Jahrzehnten immer wieder als sein Lieblingslied bezeichnet, wenn er danach gefragt
wird. Und man kennt all die Firmen und Bands,
mit denen er arbeitete: erst etwa für Motown als
Songschreiber und Produzent wirkte, aber auf
Dauer mit Barry Gordy nicht auskam (oder besser: der nicht mit ihm). Später war er dann bei
Chess in Chicago, wo er Hits aufnahm und als
Entertainer (sein großes Vorbild war Cab Calloway) bekannt wurde.
A lot of people had a lot of negative things to say about Phil
and Leonard Chess but I have
lots of respect for them. Them
guys took care of their artists.
Now these people that was recording for Leonard & Phil was
accepting all the perks and
then when came royalty time,
it wasn‘t there. They thought
they was cheated! Hell, no,
they weren‘t. The men was gi-
ven Cadillacs, the men was put
on projects. Like the Browns,
the Chess Brothers were two
of the greatest Jew-boys that
were ever born in the world.
Die Shows müssen damals legendär gewesen
sein - Williams immer in lavendelfarbigen Anzügen. Und immer bereit, zu spontanen Textexkursionen - nicht umsonst wird er „Großvater des
Rap“ genannt. Produziert hat er so verschiedene Leute wie Parliament und die Red Hot Chili Peppers. Songs geschrieben hat er mit Stevie
Wonder, als der bei Motown noch ein Kinderstar
war.
Und dann war irgendwann Schluss. Seinem
Kumpel Ike Turner war er wohl nie wirklich böse
wegen all der Drogen. Aber sein Leben hatte der
paar Jahre eher wieder im Griff. Irgendwann war
Williams obdachlos und bettelte auf den Brücken von Chicago.. Wegen aller möglichen Delikte kam er immer wieder ins Gefängnis. Etwa
für den Verkauf raubkopierter CDs. Bis in den
90er Jahren Jon Spencer ihn wieder ins Studio
schleppte und ihn quasi per Dekret zum PunkBlueser machte. Oder auch zum „Black Godfather“, wie er sich ab sofort nannte. Jon Spencer
war für Williams ein Mann mit einem Herzen
„so groß wie der Arsch einer deutschen Frau“.
Endlich konnte Williams wieder Konzerte geben, auf Tour bis nach Europa gehen und dort
eine neue Generation von Fans gewinnen, die
seinen Geschichten lauschten. Und die damit
seinen enormen Bedarf an Alkohol und Drogen
finanzierten.
Auch mit anderen eher dem Garagengenre zugehörigen Bands ging er seither ins Studio. Seine
Lieder pendeln zwischen rockigem Soulblues,
16
Funkrock bis hin zum Country (mit den Sadies).
Doch eigentlich war das alles nur eine Verlängerung des Absturzes. Und eigentlich auch nicht
die Musik, die noch in ihm steckte.
Das wurde erst mit Alben wie dem 2007 veröffentlichten Aphrodisiac klar: Funkblues etwa
ganz im Stile der Blaxploitation-Filme der frühen
70er. Als 2010 dann Thats All I Need herauskam,
war das nicht nur (nach Angaben der Plattenfirma) das erste Album, das er nüchtern aufgenommen hatte. Nein, es ist auch der Beginn großartiger persönlicher und politischer Lieder jenseits
der sexuellen Protzereien früherer Jahre.
Eine großartige Session ergab sich für ihn im
Sommer 2010. Damals hatte ihn Produzentenlegende Don Was zum einem Konzert eingeladen,
wo auch Mavis Staples und andere große Musiker auftraten. Williams muss den Laden derartig
gerockt haben, dass etliche der Musiker (neben
Was als Bassist noch der „Funk Brother“ Dennis
Coffey an akustischen und elektrischen Gitarren,
Drummer Jim White von den Dirty Three und
einige mehr) in der entspannten Jamatmosphäre
einige Lieder einspielten. Das Ergebnis erschien
Anfang 2012 unter dem Titel „Hoods and Shades“ und ist eigentlich die noch entspanntere
Fortsetzung von „That‘s All I Need“. Dagegen ist
„Night & Day“ (veröffentlicht von Yep Roc) ein
Rückblick in eine eigentlich schon überwundene Zeit, eine viel wütendere und trostlosere Zeit
für Andre Williams. Aber gerade deswegen ist es
wahrscheinlich das bessere Album.
Denn diese Wut, mit der er über sich selbst und
über die Gesellschaft herzieht, die trifft man in
der populären Musik heute nicht mehr täglich.
Für Williams bleibt aber zu wünschen, dass er
die Ruhe und Ausgeglichenheit von „Hoods And
Shades“ bewahren kann. Hier ist mehr Hoffnung
auf eine bessere Zukunft zu hören. Und die verdient er.
© wasser-prawda
Platte Des Monats
Analog ist besser oder:
Das Leben ist eine swingende Poolparty
The Two Man Gentlemen Band verweigern sich musikalisch und technologisch der Neuzeit. Das
einzige Mal, dass ihr aktuelles Album „Two At A Time“ mit der Digitaltechnik in Berührung kam,
war bei der Überspielung auf CD. Selbst für das Pappcover wurden Bilder mit Offseund Texte
mit Bleisatz hergestellt. Ihre Musik: Swing und Jazz im Geiste der 20er bis 40er Jahre. Ihre Texte: Sommerhits für die Party am Pool eines Zwei-Sterne-Motels.
Klasse, Vater hatte grad eine Operation und
Mutter leidet noch an den Folgen der letzten
Schönheitsbehandlung. Es gibt jede Menge verschreibungsfähige Medikamente im Haus. Lasst
uns eine Party feiern! - In einer gerechten Welt
könnte „Prescription Drugs“ ein echter Sommerhit werden. Auch „Pork Chops“, wo der Sänger
begeistert darüber singt, dass seine Freundin wie
ein Schweinekotelett schmeckt treibt einem sofort das Lachen ins Gesicht und setzt die Füße in
Bewegung. Andere Lieder warnen davor, zuviel
Wasser in die Drinks zu mixen, die Kombination von Käse und Crackers oder preisen schäbige
Motels. He - das hier ist feinster Western Swing
gemixt mit der Hitze und dem teils bösen Humor des klassischen Jazzzeitalters. Und es ist ansteckend großartig. Diese Platte ist ein Hit! Diese Musik muss gehört werden. Dazu muss man
tanzen!
Aber Swing kommt hierzulande ja höchstens in
Person von Max Raabe oder von seltsamen Grand
Prix-Kandidaten ins Radio. Dabei sind die Lieder der Two Man Gentlemen Band derart witzig
und eingängig, dass sie einen akustischen Glanz-
punkt selbst im Mainstream-Dudelfunk setzen
würden. An Deutschland ist ja ansonsten die
Retroswing-Welle der 90er Jahre ziemlich vorbei
gegangen. Und selbst Max Raabe verlegt sich mit
seinen neuen Alben ja eher auf den Chansonbereich - wenn er nicht (eine seiner schlimmsten
Entscheidungen überhaupt) zeitgenössische Hits
halbwarm zu verswingen.
17
„Two At A Time“ ist bereits das siebente Album der ehemaligen Straßenmusiker. Doch
bislang haben sich Gitarrist/Sänger Andy Bean
und Bassist Fuller Condon eher den Ruf eines
Geheimtipps erspielen können. Denn nachdem
das Swingrevival der 90er abgeklungen ist, sind
die Parties eher wieder beim Ska angelangt oder
gleich beim Punk. Und das ist schade. Aber vielleicht kommen die entscheidenden Karriereanstöße für die Amerikaner ja aus Großbritannien,
wo sich „Blitz-Parties“ mit historischen Kostümen und entsprechender Musik noch immer
einen großen Besucheransturm verzeichnen können? Mit Bands wie Benoit Viellefon‘s Orchester, Top Shelf Jazz oder der Original Rabbit Foot
Spasm Band würden sie die beiden sicherlich
großartig verstehen. Letzlich hat mich „Two At A
Time“ in der Kombination aus Musik und Text
noch mehr überzeugt als etwa das letzte Album
von Pokey LaFarge. Und das will was heißen.
Ok, an Durchgeknalltheit ist C.W. Stoneking
warscheinlich noch heftiger. Aber das ist eine andere Geschichte.
Raimund Nitzsche
© wasser-prawda
Platten
Aber solange sie nicht so lang sind,
wie ein frischgezapftes Pils braucht,
geht das schon in Ordnung.
Nathan Nörgel
3 Dayz Whizkey - The Devil
And The Deep Blue Sea
Also die handschriftliche Notiz,
die die Plattenfirma dem Album
beigelegt hatte, war schon mal prima. Besonders das Kleingedruckte
darunter. Da findet sich nämlich
ein Zitat von Lemmy, dass ein Gitarrensolo nicht länger sein darf als
das Geräusch beim Öffnen einer
Bierflasche. An Motörhead fühlt
man sich nämlich erinnert, wenn
man das Albumcover von 3 Dayz
Whizkey betrachtet. Allerdings sind
die Songs der Band aus dem bayrischen Regensburg mit dem heftigen
Rock & Roll von Lemmy und Co.
weniger verwandt als mit ZZ Top,
Led Zeppelin oder auch mit CCR.
Damit sind allerdings nur grobe
Koordinaten angegeben. Was das
live inzwischen auf fünf Leute angewachsene Trio hier spielt sind also
stampfende Bluesrocknummern der
angenehmen Art mit hoher Partytauglichkeit.
Klar, die Metal-Klischees werden
in den Songs immer wieder zitiert.
Was soll man auch von einer Truppe
erwarten, die ihre Musik als „Blues
from Hell“ anpreist? Da werden also
die Folgen des Suffs ebenso thematisiert wie diverse düstere Geschichten über Auftragskiller. Lediglich
zwei der Lieder sind Coverversionen. Dabei fällt das trocken runtergerockte „Superstition“ von Stevie
Wonder besonders auf. Musikalisch
wird das Genre insgesamt nicht neu
erfunden. Dafür wird amtlich gerockt und die Lieder haben keinerlei
Ballast von überlangen Gitarrenexkursionen oder ähnlichem Spielkram. So macht die Musik Spaß
nicht nur beim abendlichen Bier
in der Lieblingskneipe. Selbst beim
Einsatz in einer frühmorgendlichen
Radio-Show wurden keine Proteste laut. Was kann man sich mehr
wünschen? Man darf gespannt sein,
wie 3 Dayz Whizkey sich in den
nächsten Jahren weiterentwickeln.
„The Devil And The Deep Blue
Sea“ erscheint am 17. August bei
Timezone in Osnabrück, kann aber
jetzt schon bei Amazon vorbestellt
werden. Ich hatte durchaus viel Vergnügen dabei. Auch wenn ich nicht
so lang brauche, eine Bierflasche zu
öffnen wie die Jungs für ihre Solos.
Brooke Miller - Familiar
Auf Kanada und seine vortrefflichen
MusikerInnen wurde in der WasserPrawda ja schon deutlich hingewiesen. Hier kommt ein weiteres Beispiel für die Klasse dieser Gattung
von dort: Brooke Miller und ihr Album Familiar.
Aufgenommen im Northeimer
Stockfisch Studio gibt es hier auf‘s
Wesentliche reduzierte Singer/
Songwriter-Musik in 1A-Qualität.
Denn auf sechs der elf Titel ist Brooke solo, bei den übrigen wird sie nur
von Don Ross am Bass und einmal
Piano unterstützt. So kann sie ihre
ganze Stärke entfalten und mit Gesang und Gitarren überzeugen. 48
Minuten braucht dieser Prozess der
Annäherung, danach sollten alle
eine kanadische Künstlerin mehr
auf ihrer Liste haben.
Gut möglich, dass Brooke Miller
noch nicht dem breiten Publikum
bekannt ist, aber mit diesem Album bestehen gute Chancen, dass
sich das nachhaltig ändert. Brooke
wuchs an der Ostküste Kanadas,
auf Prince Edward Island, auf. Das
oft rauhe Klima des Atlantik, aber
auch die nordamerikanische Musik insgesamt haben sie geprägt.
Im Alter von 12 Jahren sang sie in
einer Punk-Band. Davon sind sicherlich die Erfahrungen geblieben,
der Sound hat sich deutlich gewandelt. Geblieben ist der ozeanische
Charme ihrer kanadischen Heimat,
ein frischer Folkwind und auch ein
würziger Schuss Country. Entwickelt hat sie diese Elemente zu einer
ganz persönlichen Marke in der sie
mit sanftem, aber energischem Vortrag, kraftvoller Stimme und einem
Gitarrenspiel, das Einflüsse von
Musikerkollegen wie Bruce Cockburn oder Joni Mitchell erkennen
lässt, gestaltet hat.
So sind im schön gestalteten
Booklet die Gitarrenstimmungen
zu den Titeln vermerkt und man erkennt, dass sich auch hierin ihre Individualität ausdrückt. Neben dem
Titelsong Familiar, den es in einer
Piano- und einer Gitarren-Version
Boyd Rivers - You Can‘t Make Me
Doubt
Eine stoische E-Gitarre, eine vor Energie zeitweise überschnappende
Stimme - Boyd Rivers war ein äußerst eindrücklicher Blues-GospelPrediger. Mit „You Can‘t Make Me Doubt“ erscheint jetzt erstmals ein
komplettes Album des 1993 verstorbenen Sängers.
Es gibt Musiker, die selbst in Zeiten des Internet kaum fassbare Legenden bleiben. Wenn man nach Informationen über Boyd Rivers sucht,
dann finden sich zwar einige Videos von Auftritten bei youtube. Doch
immer ist die Frage beigefügt: Wer ist dieser Typ eigentlich? Dann kommen Hinweise auf Samplerreihen wie „Living Country Blues Today“, wo
im Teil 11 acht Lieder veröffentlicht wurden. Und wenn jemand wirklich gut informiert ist, verweist er noch auf das Buch „Woke Me Up This
Morning: Black Gospel Singers And The Gospel Live“ von Alan Young,
der den Musiker ausführlich vorstellt.
Es ist eine heftige Welt des Glaubens, von der Rivers singt. Eine kompromisslose Härte pulst durch seine Lieder, ob er sie nun wie auf der
ersten Seite der LP auf der E-Gitarre oder aber (die zweite Hälfte des
Albums) auf der akustischen begleitet. Man fühlt sich an den Juke Joint
Blues im North Mississippi County erinnert. Oder an einen äußerst
schlecht gelaunten John Lee Hooker. Es gibt für ihn in Sachen Glauben
keine Kompromisse. Es sind die einfachen Wahrheiten eines Menschen,
der für sein Leben Halt im Glauben gefunden hat, nicht offene Diskussionsangebote. Rivers mag manchen als Fundamentalist erscheinen. Einer
der selbst Frauen auf Grund seines Glaubens das Recht zu predigen verweigert. Daran kann man sich reiben, sich stoßen oder sie gar ablehnen.
Musikalisch aber sind diese Lieder so eindrücklich wie großartig in aller
ihrer Ungeschliffenheit.
Wo Mississippi Records die zwölf Aufnahmen gefunden hat, die sie
auf „You Can‘t Make Me Doubt“ gepresst haben, ist mir nicht ganz
klar. Bis auf „That Fire Shed In My Bones“ waren sie sämtlich bislang
unveröffentlicht. Erschienen ist das Album bislang lediglich auf Vinyl.
(Mississippi)
Raimund Nitzsche
zu hören gibt (wunderbar zu vergleichen!) ist nur noch Quiet Night
in Standard-Stimmung. Alle weiteren Song haben eine ganz persönliche Stimmung. Da kommt es auch
ganz besonders zur Geltung, dass
Brooke Miller eine handgearbeitete
Greenfield Guitar spielt.
Mit What You Know beginnt
18
Brooke ihre Runde mit einem einzigartig groovenden Song. Stimme, Gitarre und Arrangement sind
authentisch, echt, straight! Dieses
Niveau bleibt, auch wenn sie ganz
ruhig und introvertiert wird wie beispielsweise in Quiet Night. (Stockfish/in-akustik)
Lüder Kriete
© wasser-prawda
Platten
Bullfrog - Second Wind
Noch so‘ne deutsche Mugge aus
der Krautrock-Ära. Bullfrog bringen uns den Second Wind. Das
war damals für die gesamte (deutsche Musik-Kultur-) Entwicklung
sicherlich sehr angesagt, heute in
der Retrospektive mit ein wenig
mehr Leben(serfahrung), auf‘m Buckel, verursacht es zuerst einmal ein
Schmunzeln. Es war klar auch ein
Bestandteil der Marke „Krautrock“,
heute würde man diesen zweiten
Wind wohl eher als den Anfängen
des Glam-Rock zugehörig empfinden.
Bullfrog taten damals das, was so
manch andere Band dieser Epoche
auch tat: sie lebten gemeinsam und
machten ihre Musik. Und auch sie
hatten ein großes Ziel: USA. Das
haben sie dann auch einfach mal gewagt, mit leider nicht dem erhofften
Erfolg.
Second Wind erschien 1980 und
gibt ziemlich gut wieder, dass diese Band live eine wirklich heiße
Nummer war, auch wenn es sich
beim vorliegenden Album um eine
Studio-Produktion handelt. Als Erweiterung der damaligen LP hat das
heutige Label Sireena Records noch
fünf Bonus-Tracks dazu spendiert.
Diese Titel waren lange verschollen
und wurden damals nur aufgenommen, um spontane Ideen festzuhalten, die die Band dann in den USA
ausarbeiten wollte.
Der Kern dieses Werks ist einfach
Rock. Ohne Schnickschnack, ohne
spektakuläre Überraschungen. Die
Texte sind aus heutiger Sicht witzig
und originell, damals sicherlich viel
mehr Ausdruck eines Lebensgefühls,
einer neuen Stärke und Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen.
Damals waren noch Begriffe wie
„das Establishment“ oder „Kriegsdienstverweigerer“ angesagt. Die
Haare waren nicht nur bei den
Mädels lang und persönliche Freiheit hatte immer was mit „Bewußtseinserweiterung“ zu tun. Und eben
auch mit Rockmusik.
Wer Lust hat kann sich ein Stück
aus dieser „guten alten Zeit“ mit
diesem Album zurückholen. Eine
knappe Stunde dauert die Rückbesinnung. Danach geht‘s dann aber
wieder schnurstracks an die Arbeit,
Leute! - Oder will hier etwa jemand
unseren guten Ruf auf‘s Spiel setz- ker „Sitting on Top of the World“ Und Cee Cee James ist unvergleichoder Willie Dixons „Howlin“ voller lich als Sängerin.
ten? (Sireena/Broken Silence)
Lüder Kriete Spaß zeigen. Aber eigentlich wollen
Nathan Nörgel
sie eher losrocken und tun das bei
einer sehr respektvollen Interpretation von Led Zeppelins „Rock And
Roll“ auch aufs heftigste. Und damit
ist auch klar, dass selbst der Rock
bei Cameo Blues niemals ohne den
Bluesbezug daherkommt. Und damit verdienen sie sich eindeutig eine
Empfehlung.
Nathan Nörgel
Charlie Parr – Keep Your
Hands On The Plow
Cameo Blues - 10.000 Hours
Die Cameo Blues Band gibt es in diversen Besetzungen schon seit Ende
der 70er Jahre. Beheimatet und benannt nach der Cameo Lounge im
Isabella Hotel von Toronto fanden
sich in ihr nacheinander die bekanntesten Bluessänger Kanadas
ein. Hinzu kamen auch noch andere Musiker, die sonst bei der legendären Downchild Blues Band aktiv
waren. Doch erschien erst 2002 mit
„All Play And No Work“ ein Studioalbum der Truppe um Keyboarder/
Pianist Ray Harrison heraus.
Und bis zum nächsten Album
10000 Hours hat es gleich wieder
zehn Jahre gedauert. Aber eigentlich
waren die Mitglieder der Band in
den letzten Jahren auch mit diversen eigenen Projekten beschäftigt
und kamen erst Ende 2009 für ein
Konzert zum 30jährigen Bestehen
wieder zusammen. 10.000 Hours
wurde von der gegenwärtigen
Quintettbesetzung der Band (Ray
Harrison - p, John Bride - g, John
Dickie - voc, Mike Sloski - dr, Tommy Griffith - bg) eingespielt.
„Ungewöhnlich“ war so ziemlich
die erste Reaktion, die ich von Mithörern bekam, als ich 10.000 Hours
auflegte. Ungewöhnlich - normalerweise ist man von mir im Büro
ja eine recht strikte Diät in Sachen
Blues & Soul gewohnt. Hier aber
wechseln sich „klassische“ Bluesriffs
und -rhythmen ab mit Rocksongs,
die die Genre-Grenzen mehr als
einmal ignorieren, dafür aber Themen haben, die wesentlich interessanter sind als die ewigen „Woke up
this morning“-Varianten. Bei den
elf Songs des Albums finden sich
sieben, die Sänger John Dickie gemeinsam mit seinen Bandkollegen
verfasst hat. Und die erzählen mit
manchmal schneidender Ironie aus
dem Leben von Karrieremusikern.
Oder sie regen sich über Radioprogramme auf, die nur noch aus
endlosen und banalen Talkshows
bestehen, während man eigentlich
auf der Suche nach der passenden
musikalischen Unterhaltung ist.
Klar doch, Cameo Blues kann und
hat den Blues, wie sie beim Klassi-
Cee Cee James - Blood Red
Blues
Mit ihrem dritten Studioalbum stellt
Cee Cee James klar, warum man sie
als „The Human Volcano“ bezeichnet: Kaum eine Sängerin in der heutigen Bluesrockszene singt mit einer
derartigen Intensität. „Blood Red
Blues“ bietet zwölf Songs zwischem
rauhem Boogierock und Blues a la
Janis Joplin zu ihren besten Zeiten.
Was ist das nur für ein Album?
Selbst beim dritten oder vierten
Hördurchlauf schaffe ich es nicht,
den trockenen analytischen Verstand einzuschalten sondern lasse mich einfach von den heftigen
Grooves mitreißen und nicke beseligt vor dem Rechner. Die Energie, mit der sich die Sängerin Cee
Cee James selbst im Studio in jeden
Song hineinkniet, kommt direkt
aus den Boxen wieder heraus. Und
das kommt heutzutage nicht mehr
so häufig vor. Wenn man James immer wieder mit der großen Joplin in
Verbindung bringt, dann liegt das
genau an dieser Hingabe und erst
an zweiter Stelle auch an der Ähnlichkeit, mit der sie manche Phrasierungen in ihrem Gesang setzt. Doch
wo Joplin die entrückte gequälte
Seele, ist, die ihre Verzweiflung und
ihre Unerfülltheit hinausschreit,
da ist James eher die Frau, die einen direkt und persönlich von der
Bühne aus ansingt und zu verführen
sucht. Etwa in „Feel My Love Come
Down“ mit seiner prägnanten Slidegitarre, einem absoluten Höhepunkt des Albums. Wenn sie wie
in „Wounds“ dann doch ihr ganzes
Herz voller Schmerzen offen zeigt,
dann ist auch das wesentlich intimer
als bei Joplin.
„Blood Red Blues“ ist ein heißes
und an keiner Stelle langweiliges
oder langwieriges Bluesrockalbum.
19
Normalerweise kennt man die Alben von Charlie Parr als reine Soloscheiben im Stile des PiedmontBlues. Auf „Keep Your Hands On
The Plow“ bezieht er neben akustischer Gitarre und Banjo auch Fiddle und E-Gitarre in den Sound mit
ein und schafft so Sounds, die an
eine Zeit erinnern, als Blues und
„Hillbilly“ lediglich unterschiedliche Label für eine verwandte Musik
waren, die aber an unterschiedliche
Märkte verkauft wurden.
Der Titelsong brachte mich für
einige Minuten ins Stutzen: Ist hier
Reverend Peyton‘s neues Album in
die falsche Hülle geraten? Genau
diese drängende Stimme und der erdige Sound war mir von dem BluesPunker mit seiner Big Damn Band
vertraut. Doch bei den nächsten
Liedern des Albums verzog sich diese Assoziation schnell wieder. Denn
was Charlie Parr unterstützt von
seiner Frau Emily und paar anderen
Musikern auf Platte gebannt hat, ist
eines der vielseitigsten Blues-Gospel-Alben, die ich seit langem gehört habe. Einerseits ist da natürlich
der ragtimlastige Blues der Ostküste. Doch dann klingen Lieder auch
wieder nach dem Folk aus den Appalachen oder gar nach zeitgenössischem Bluegrass etwa von den DuoAlben von Tim und Molly O‘Brien.
Die Lieder des Albums stammen
alle auch aus diesen Zeiten. Klar:
Parr ist ein begnadeter Songwriter.
Doch hier interpretiert er Lieder, die
aus dem Repertoire etwa von Blind
Willie Johnson stammen und später
von Dylan, den Byrds oder den Flying Burrito Brothers in den Kanon
des Folk Rock geholt wurden. Was
die Faszination des Albums allerdings in keiner Weise schmälert.
Raimund Nitzsche
Delta Moon - Black Cat Oil
Es sei eine gute Zeit für Blues, soll
Walter Trout letztens gesagt haben.
Auch Delta Moon blicken in den
Songs auf ihrem siebten Album
„Black Cat Oil“ genau auf die aktuellen Verhältnisse nicht nur im
© wasser-prawda
Platten
Es sind halt drei ältere Herren, die
noch was zu sagen haben. Und ich
finde, man sollte ihnen dabei zuhören.
cKi
Süden der USA. Musikalisch bleibt
bei dem Quartett alles beim Alten:
Blues, Rootsrock und dazu zwei einzigartige Gitarren.
Dexys - One Day I‘m Going
To Soar
„You ain‘t beat ‚til you say so“ singt
Tom Gray im Opener „Down and
Dirty“. Und das könnte als Thema
über dem ganzen Album stehen.
Denn die Protagonisten in den Liederrn von Delta Moon weigern sich
einfach aufzugeben. Klar die Zeiten
sind hart, der Job ist fort, aus der
miesen Kleinstadt kann man nur
abhauen und nicht zurückschauen hier wird man nie Liebe finden und
damit auch Heimat. Aber es gibt
die Straßen durch die Nacht, die
Kneipen wo man sich ohne falsche
Verstellung jeglichen Frust aus dem
Leib tanzen kann. Und als Hoffnungszeichnen leuchtet ab und zu
ein „Neon Jesus“ durch die Nacht
und erinnert einen daran, dass man
aus seinem Kinderglauben auch
Kraft schöpfen könnte.
Wenn man die Lieder auf der aktuellen Scheibe des Quartetts aus
Atlanta mit irgendwas vergleichen
soll, dann fallen mir zwei Orientierungspunkte ein: Musikalisch
geht‘s hier wieder um eine Mixtur
zwischen CCR und der Musik von
Sonny Landreth. Und noch immer
funktioniert die Magie zwischen
den beiden so unterschiedlichen Gitarrenstilen der Bandgründer.
Aber textlich sind sie mit „Black
Cat Oil“ in einer Liga mit The Band
und ähnlichen Gründervätern der
amerikanischen Rockmusik angelangt. Zu keinem Zeitpunkt wirken
die Stücke aufgesetzt oder gewollt.
Und immer atmen sie eine derartige
Liebe zu den Menschen jenseits der
Glitzermeilen. Hier ist Bluesrock
zu hören, der zwar so alt klingt wie
seit Jahrzehnten gelagert, der aber in
seinen Texten eine zeitlose Aktualität hat, wie man sie viel zu selten zu
hören bekommt. Nach „Black Eye
Galaxy“ von Anders Osborne der
nächste große Höhepunkt für Menschen, denen Songs wichtiger sind
als technische Finessen und musikalische Härte. Großartig!
Raimund Nitzsche
Die Ärzte - auch
Für Musik zwischen Celtic Soul
und persönlicher Rückschau auf
Niederlagen und Drogensucht hat
Kevin Rowland seine alte Band Dexys wieder für ein Album zusammengeholt. „One Day I‘m Going
To Soar“ knüpft an das 1985 kommerziell gefloppte „Don‘t Stand Me
Down“ an.
Der Beginn führt gleich auf eine
falsche Fährte. Wenn „Now“ mit
Piano und Streichern losgeht, dann
erwartet man eigentlich eine getragene Soulballade. Doch nach einer
Minute kippt der Song in einen
heftigen Rhythmus und zerstört
jegliche Beschaulichkeit. Dafür ist
er wieder da, dieser ganz typische
Soulsound der Dexys.
Thematisch schlägt das Album einen großen Bogen zwischen persönlichen Niederlagen und der irischen
Geschichte. Und man kann sogar so
weit gehen, das Album in seiner Abfolge als ein Konzeptwerk zu begreifen, was von der Entwurzelung und
dem Zerplatzen sämtlicher Träume
handelt. Immer wieder sind es die
Brüche in den Songs und zwischen
ihnen, die einen mitreißen: Es ist
nicht einfach, seinen Ort in der
Welt zu finden, die Liebe zu verstehen und mit seiner eigenen Persönlichkeit auszukommen. Spannend
sind hier besonders die Duette mit
Gesangspartnerin Madeleine Hyland, die eigentlich als ShakespeareDarstellerin bekannt wurde. Immer
wieder kommt es so auch musikalisch zu Brüchen, kippen Lieder in
völlig neue Stilrichtungen vom Soul
a la Van Morrison oder Al Green
hin zu folkigen Exkursionen zum
80er Jahre Sound der Band, die
damals noch jugendlich als Dexys
Midnight Runners firmierten.
„One Day I‘m Gonna Soar“ ist ein
ambitioniertes Stück SongwriterSoul. Es steht zu keinem Zeitpunkt
in der Gefahr, die Hörer mit Liedern wie „Come On Eileen“ auf die
Party-Schiene zu locken. Doch wer
darauf verzichten kann, hat hier ein
absolut faszinierendes Soulalbum
mit keltischen Wurzeln.
Raimund Nitzsche
Die Ärtzte werden dreißig und
Claudia sitzt immer noch mit der
Freiwilligen Selbstkontrolle im Keller, und der Schwanz ist immer noch
nicht ab. Nur was aus dem Schäferhund wurde, ist nicht überliefert.
Sylt ist immer noch nicht im Meer
versunken. Aber die Themen sind
noch dieselben: der ewige Kampf
der Geschlechter, der noch nicht
entschieden ist. Nur vom Mädchen
in der lila Latzhose werden wir ein
bisschen verschont.
Ist das noch Punkrock oder hat
das den Coolnessfaktor eines Gartentraktors? Oder sind Gartentraktoren Kult? Oder gar beides? Gehören Götter ins Regal oder in den
Wald? Ist das Modern Talking für
Punkrockfans? Sicher, das ist ein
Riesenspaß, aber eben nur ein Spaß.
Die Ärzte werfen nach eigenen
Angaben Wattebällchen auf die bestehen Verhältnisse. Jeden Tag, jede
Stunde, langsam und effektiv lassen
sie das, was ihnen wichtig ist, auf
ihr Publikum einwirken. Hier wird
mit Spaß und Ironie eine Botschaft
transportiert: Hier darfst Du alles
sein und werden außer Faschist oder
jemand, der anderen schadet. Hier
darf jeder nach seiner Fasson selig
werden. Ja, Du darfst und musst
deinen individuellen Weg gehen,
egal was die Leute reden.
Das ist das, was die Ärzte von den
ganzen Betroffenheitslyrikern so
angenehm unterscheidet, dass sie
eine Meinung haben aber sie nicht
wie eine Standarte vor sich hertragen sondern einfach dafür „sorgen
..., dass ihr alle auf und ab springt,
und dabei auch genau das selbe Lied
singt, ungefähr.“.
Ob die die Ärzte am Ersten Mai
ihre Tante besuchen oder dabei
sind, wenn eine Wanne brennt, ließe sich wenn es wichtig wäre vielleicht im Internet klären. Sie saufen
auch sicher nicht mehr mit jedem
und sie sind Mainstream, eine der
erfolgreichsten deutschen Bands,
für den Punk erledigt. ... Und dann
ist da noch dieses wundervolle Lied
über einen „Waldspaziergang mit
Folgen“.
Auch wenn diese CD nicht ihre
beste ist: Man muss die Ärzte jetzt
nicht gleich vom Player löschen.
20
Eddie Martin - Looking Forward Looking Back
In Großbritannien gehört Eddie
Martin spätestens seit Mitte der
90er Jahre des letzten Jahrhunderts zu den wichtigsten Bluesmusikern. Ob als One-Man-Band
oder auch mit einer Bläserbesetzten
Big Band verknüpft der Gitarrist
und Bluesharpspieler Respekt vor
der Bluesgeschichte mit aktuellem
Songwriting. Sein neues Album
„Looking Forward Looking Back“
ist in dem Sinne eine Hommage
an so verschiedene Gitarristen wie
T-Bone Walker, Elmore James und
Johnny „Guitar“ Watson.
Bei Big Bands im Blues heute
denkt man zuerst immer an Gruppen wie Roomful of Blues mit ihrem swingenden Rhythm & Blues.
Aber eigentlich gehen die großen
Bands mit fettem Bläsersatz ja schon
zurück bis zu den frühen Tagen von
T-Bone Walker und dann auch weiter bis in den Funk oder auch in
bluesrockige Jazzgefilde bei CCS.
Und genau diese Spannbreite
deckt „Looking Forward Looking
Back“ ab. Da ist der stark nach den
frühen 50er Jahren klingende Opener „Frog In The Long Grass“ mit
seinen röhrenden Saxophonen und
einer Gitarrenschärfe, die nach einer
Kreuzung zwischen Freddie King
und T-Bone Walker klingt. Danach
folgt eine an Elmore James erinnerne Electro-Slide-Orgie in „Sorry
For The Rain“ und „Wannabe Me“,
was an den Texas Blues von Stevie
Ray Vaughan erinnert. Textlich ist
einer der Höhepunkte des Albums
„Supermodel“, wo sich Martin über
seine bluesrockenden Kollegen aufregt, die außer Geschwindigkeit
nichts mehr in ihren Songs zu bieten haben, die den Groove und das
Feeling dieser grundsätzlich eher
swingenden Musik völlig vergessen
haben. „You Can‘t Play The Blues If
You Don‘t Feel The Groove“ - besser
kann man das nicht zufammenfassen. Und seine Bluesharp, die hier
im Zentrum steht lässt Erinnerungen an die großen Solonummern
© wasser-prawda
Platten
Strom & Wasser
featuring The Refugees
Musik & Intention, wie wir sie (noch) nicht alle
Tage hören: Heinz Ratz mit seinem aktuellen
Projekt Strom & Wasser featuring The Refugees.
Nein, das ist kein spleeniger Band-Name; es geht
um Musik von Flüchtlingen und das bedeutet
ganz reale Schicksale von tatsächlich lebenden
Menschen. Und die leben auch nicht irgendwo
hinter den sieben Bergen, sondern gleich neben
uns. Und das tun sie, weil sie fliehen mussten
aus ihren Heimatländern, fliehen vor allen nur
vorstellbaren Repressalien einschließlich dem
eigenen Tod. Vieles haben diese Menschen verloren auf der Flucht, ihre Musik aber konnte
ihnen niemand nehmen. Und die kennt keine
Grenzen!
Heinz Ratz hat für dies Projekt im Rahmen
seiner 1000-Brücken-Tour viele Flüchtlingslager besucht. Die Situationen, in denen deutsche Behörden Menschen darin leben lassen ist
durchweg katastrophal. Um so beeindruckender
ist der Lebenswille der Menschen, die dort leben. Für die Produktion von The Refugees haben sich weit über 30 Musiker zusammen gefunden, um gemeinsam tolle Musik zu machen.
Herausgekommen sind 16 Titel zeitgenössischer Weltmusik. Traditionelle und moderne
Musiken der Völker werden mit alten und neuen
Rhythmen verwoben, Folklore trifft Moderne.
Über 70 Minuten sprüht es vor Lebensenergie,
Zuversicht und Freude in der Musik. Da reagiert Rock mit Rap, Roma erklingt neben Arabia. In den Texten werden die erlittenen Erniedrigungen, der tiefe Schmerz und die ungeahnten
Erfahrungen in der neuen Heimat thematisiert.
Oft sind die Musiker in ihren Heimatländern
schon Stars gewesen, bevor sie zu Flüchtlingen
wurden. Oft war ihre Musik der Grund dafür.
Es wäre schön, wenn diese Musik ganz tiefe
Wurzeln treiben würde in unsere Gesellschaft.
Die Möglichkeiten dadurch einen aktiven, kreativen Beitrag zu leisten diese, unsere Gemeinschaft, ein wenig lebenswerter zu gestalten, sind
ganz greifbar. Lasst uns also tun, wovon wir alle
träumen. Der Gewinn ist grenzenlos. (Traumton/Indigo)
Lüder Kriete
Wir wollen an dieser Stelle aber noch Heinz
Ratz das Wort geben, um uns ein wenig über
die Schwierigkeiten zu berichten, die in dieser
Produktion stecken.
Wir hatten mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen - nicht nur organisatorisch - viele Flüchtlinge
sind nur begrenzt telefonisch erreichbar, Internetzugang gibt es in vielen Lagern nicht oder nur sehr
eingeschränkt - und auch viele Behörden machten uns Schwierigkeiten. Für jede Reise mussten
wir eine Sondergenehmigung beantragen, die den
Flüchtlingen nur eine genau vorgeschriebene Reiseroute gestattet. Polizeikontrollen führten zu Verspätungen, manches bereits gekaufte Zugticket ging
verloren, weil Reisegenehmigungen dann in letzter
Sekunde doch nicht erteilt wurden. Fast alle Roma,
die ich im Frühjahr in den Lagren kennengelernt
hatte, waren mittlerweile abgeschoben worden. In
einem konkreten Fall versuchte ich mit allen Mit-
teln. die Familie zu schützen, mit dem Endergebnis, das mir zuletzt angeboten wurde, den betreffenden Musiker doch einzustellen, allerdings müsste
ich ihm ein Jahresgehalt von mind. 60.000.- Euro
garantieren! In anderen Fällen hatten wir mit
Ängsten und Depressionen der Musiker zu tun, leider auch mit viel biografisch bedingtem Misstrauen
- vor allem Flüchtlingsfrauen sagten ab, weil sie
nicht alleine nach Hamburg reisen wollten oder
dem ganzen Projekt nicht trauten. Und dann die
finanziellen Probleme: die Flüchtlinge haben selbst
nur 40 Euro Bargeld im Monat, keine Bahncard,
keine Autos - Reisekosten, Verpflegung, Hotelübernachtungen - ich war mehrfach am Verzweifeln und bin umso dankbarer für die finanzielle Unterstützung die ich dann doch gefunden habe und für
die ich danken möchte: in allererster Linie unseren
tollen Strom & Wasser-Fans und den gespendeten
Geldern bei Konzerten und via Banküberweisung!
Dann aber auch Pro Asyl für die Übernahme vieler
Fahrtkosten, der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin
für die Projektförderung, der Stiftung Interkultur
für die Unterstützung bei Fahrtkosten und Unterbringung der Flüchtlinge, der Firma Ambrosius
aus Potsdam für die großzügige Spende und dem
Verein Armut und Gesundheit e.V. aus Mainz.
Nun kann ich sagen, dieses einzigartige Projekt
wird gelingen, die fast vergessene Musik aus deutschen Flüchtlingslagern wird gehört werden - auf
dieser CD, im Radio, auf vielen Festivals und
Clubkonzerten.
Violá - Strom & Wasser feat. The Refugees - viel
Spaß!
21
© wasser-prawda
Platten
von Little Walter auftauchen. Wenn
dann nicht gleichzeitig noch eine
Orgel und die langsam aber gewaltig groovenden Bläser den Song vorwärts treiben würden. Und so geht
es munter weiter von Boogienummern über Rock & Roll bis hin zum
Funkblues von „Funky One Too“,
für das Pee Wee Ellis das Arrangement schrieb.
Was einen Großteil der Energie
des Albums ausmacht - und damit
des Spaßes, den es beim Hören und
Tanzen hervorruft - ist die Tatsache, dass die große Band die Stücke
komplett live im Studio eingespielt
hat. Hier sind wirkliche Könner
am Werke gewesen und haben ein
wundervolles Bluesalbum vorgelegt.
Eine Empfehlung für Freunde klassischer Bluessounds und aktueller
Songs. (Blueblood/rough trade)
Nathan Nörgel
Grace Potter & The Nocturnals - The Lion The Beast
The Beat
Die Vergleiche zur jungen Tina Turner braucht sich Grace Potter mit
ihrem aktuellen Album nicht mehr
anzuhören. Statt härteren Bluesoder Soulrocksongs zeigt „The Lion
The Beast The Beat“ musikalisch in
die 80er und hat den Drang zum
massenkompatiblen Stadionrock.
Und die Songs sind noch dazu langweilig.
Dass die Zusammenarbeit mit
Dan Auerbach von den Black Keys
zu überzeugenden Alben führen
kann, hat Dr. John deutlich gemacht. Und so war die Erwartung
hoch, dass das vierte Studioalbum
von Grace Potter & The Nocturnals
auch den rauhen und ungeschliffenen Rocksound der Vorgänge bestenfalls noch weiter kultivieren würde. Welch ein Irrtum!
Wer bombastische Rocksongs
mit 80er Jahre Feeling (a la Heart)
und 70er Glam mag, wird auf der
Scheibe nette Entdeckungen machen können. Und auch die rocklastigeren Radiosender werden Grace Potter sicherlich freudig in ihre
Programme aufnehmen. Denn sie
ist nun mal eine klasse Sängerin.
Und davon gibt es ja im Rock viel
zu wenige, die man sofort wiedererkennen kann.
Für mich aber ist „The Lion The
Beast The Beat“ eine einzige Enttäuschung, eine langweilige noch dazu.
Für mich hat hier eine Sängerin
genau diese Besonderheiten ihrer
Musik verraten, für die ich sie mag.
Schade!
Nathan Nörgel
Greyhound George & The
Blues Drivers - Driving The
Back Roads
Gibt es eine Straße, die vom Mississippi bis nach Bielefeld führt? Mit
der aktuellen CD „Driving The Back
Roads“ zeichnen Greyhound George & The Blues Drivers eine mögliche Reiseroute nach. Zwischen
akustischem Blues und frühem
Chicagoblues bewegt sich die Route, die aber auch vor Nebenstrecken
Umwegen nicht zurückschreckt, bevor sie an den Sümpfen entlang der
B 61 und den Baumwollfeldern des
örtlichen H&M ankommt.
„Baby What You Want Me To
Do“, fragt Greyhound George programmatisch zu Beginn des Albums.
Doch eigentlich lässt er einem kaum
eine Wahl, als ihn auf seiner Tour
durch die Bluesgeschichte aufmerksam zu begleiten. Von Jimmy Reed,
Big Walter und Muddy Waters zurück zu Robert Johnson und Mississippi Fred McDowell geht die
Tour, schwenkt kurz ab in die Gefilde von Amy Winehouse, um dann
doch in Deutschland anzukommen.
Und hier werden die Back Roads
für mich am interessantesten. Greyhound George (Jürgen Schildmann)
ist ein witziger und angenehmer Geschichtenerzähler. Seine Songs widmen sich den großen Bluesthemen
wie dem Unterwegssein, der Liebe
und dem Alkohol ebenso wie dem
Leben in der Kleinstadt, dem Umgang mit dem Geld oder den Gang
zum Psychologen. Und dass er die
Baumwollpflücker letztlich bei den
„Fashion Girls“ im H&M findet, ist
einfach nur großartig ...
George ist an Gitarren (akustisch
aber auf diesem Album hauptsächlich elektrisch), und Mandoline und
Bluesharp gleichermaßen versiert
wie er als einschmeichelnder Sänger Eindruck hinterlässt. Und seine
Driver (Heidi Schildmann - bg und
Andy Grünert - mharm) liefern das
Fundament für seine Geschichten.
und setzen eigene Akzente (sehr
schön, wie Grünert Big Walters fantastisches Instrumental „Easy“ zelebriert - da traut sich nun wirklich
nicht jeder ran. Und das völlig zu
Recht.)
Für „Back Roads“ wurde das Trio
zeitweise noch um den Hammondsound von Helmut Sprick und
Schlagzeuger/Percussionist Wolfgang Mientus erweitert. Herausgekommen ist ein unaufdringliches
und ruhiges aber faszinierendes
Album. Die Verbindung zwischen
dem Mississippi und Bielefeld haben sie gefunden. Sollte damit endgültig die Existenz von Bielefeld
bewiesen worden sein? (Rockwerk
Records)
Raimund Nitzsche
ben sich gegen Modern-Jazz-Bläser
durchsetzt, (die ab und zu sogar
an die impressionnistischen Klänge eines Debussy erinnern) und
diese zum Tanzen bringt. Ich kann
mich nicht erinnern, wann ich zuletzt einmal so eine faszinierende
und lebenssprühende „Erbeverwaltung“ gehört habe. Blues und Jazz,
Tradition und Moderne und all
das ohne akademische Zeigefinger
und in jedem Takt tanzbarer als die
Dance-Charts der letzten Monate
zuammengenommen! Und nebenbei bekommt man einen Überblick
über die ganze Bluesgeschichte von
den Worksongs und Fieldhollers
über Spirituals und Boogie Woogie
bis in die bluesrockige Gegenwart.
Hinter dem Heritage Blues Orchestra stehen vor allem die beiden
Sänger und Gitarristen Junior Mack
und Bill Sims Jr. und seine Tochter
Chaney Sims. Die drei teilen sich
die Gesangsparts in einem Orchesterklang, der vor allem durch die
Bläserarrangements von John Williams seine einzigartige Jazzqualität
erhält. Für die Rhythmen ist Kenny
‚Beedy Eyes‘ Smith zuständig.
„And Still I Rise“ ist ein von vorn
bis hinten gelungenes Experiment
und für den Schulunterricht besser
Heritage Blues Orchestra geeignet als langweilige Vorträge
And Still I Rise
über Musiktheorie und afrikanische
Blues und Orchester? Eine wirkWurzeln des Blues und ihre Veränliche Erbeverwaltung in Sachen
derungen im Laufe der Geschichte.
Blues und Black Music? Was der
Kaufen, anhören, weitersagen oder
Bandname verspricht hält das Heriverschenken!
tage Blues Orchestra auf seinem DeRaimund Nitzsche
bütalbum „And Still I Rise“ locker.
Denn das ist ohne Übertreibung
eine der faszinierendsten und ungewöhnlichsten Veröffentlichungen
des Jahres 2012.
Wenn die Gitarre bei „Clarksdale
Moan“ einsetzt, dann ist alles noch
völlig normal. Dann kommt eine
Bluesharp hinzu und das Schlagzeug setzt einen stoischen Groove.
Doch dann - ein Bläsersatz sorgt
dafür, dass der alte Song von Son
House sich aus dem gewohnten Joe Jackson - The Duke
Umfeld des Deltablues in ganz neue Eine Hommage an Duke Ellington
Sphären bewegt: Jazz trifft Blues zu ohne Swing und Bläser? Joe Jackeiner Zeit, als beide noch ganz eng sons Album „The Duke“ scheitert
beieinander wohnende Geschwister auf ganzer Linie.
waren. Und doch ist das keine OlEs gibt gute Alben, schlechte Aldie-Schaffe. Denn das Bläserarran- ben und außerdem noch Platten,
gement zeichnet auch die Zukunft die man nur als Frechheit oder Zuin den Klang mit ein, die über die mutung ansehen kann. „The Duke“
großen Kompositionen von Duke gehört für mich eindeutig zur dritEllington bis in die Gegenwart ten Kategorie. Aber fangen wir am
reicht. Und „Still I Rise“ geht genau Anfang an:
in dieser Richtung weiter: Ob nun
Joe Jackson hatte mit Alben wie
das von Nina Simone bekannte „C- „Night & Day“ oder „Jumpin Jive“
Line Woman“ vom Worksong hin schon früher seine Liebe zum Jazz
zu einem afrikanischen Tromme- und Swing zelebriert. Und das sind
lexkurs geführt wird oder Muddy Stücke, die noch immer faszinierend
Waters‘ „Catfish Blues“ zum New sind, weil sie eben von der Liebe zur
Orleans-R&B-Reißer mutiert, der Musik etwa von Cab Calloway, Cole
von einem Tubarhythmus angetrie- Porter oder Louis Jordan zeugten.
22
© wasser-prawda
Platten
Für seine Hommage an den großartigen Duke Ellington soll er seinen Kollaborateuren als Anweisung
gegeben haben, sich möglichst weit
von den Originalen zu entfernen.
Diese Anweisung wurde befolgt.
Und hier beginnt das Ärgernis.
Aus einer lyrischen Nummer wie
„Isfahan“ zum Beginn von „The
Duke“ wird dank synthetischer
Streicher und Steve Vai an der Gitarre eine klebrige Soundtapete,
die jeden Fahrstuhl in den Streik
treiben dürfte. „Caravan“ wird mit
Gesang auf Farsi zu einer New AgeSchmonzette. Und wer auf die Idee
gekommen ist, ausgerechnet Iggy
Pop „It Don‘t Mean a Thing“ singen
zu lassen, sollte seine Geschmacksnerven überprüfen lassen. Das für
mich Gemeinste an „The Duke“ ist
„I Ain‘t Got Nothin‘ But The Blues/
Do Nothin‘ ‚Til You Hear From
Me“. Denn als ich mich schon damit abgefunden hatte, keinen guten
Faden zu finden, tauchte plötzlich
die Stimme von Sharin Jones auf.
Und sie schafft es, sich gegen das
ganze gekünstelte Arrangement
durchzusetzen und wirklich Blues
mit jeder Menge Herz und Seele zu
singen. Welch trauriges Umfeld für
die großartige Sängerin.
Als Fazit kann ich nur einen Kollegen vom Boston Globe zitieren:
“The Duke” is an awful, awful record. It ain’t got any swing, and it
don’t mean a thing.“ Bis jetz das
schlechteste Album von 2012, gefolgt von den Beach Boys.
Nathan Nörgel
Johnny Neel - Evera Kinda‘
Blues ... but what you‘re
used to
Als Songwriter und Keyboarder
kennt man Johnny Neel vor allem
aus dem Umfeld der Allman Brothers und von Gov‘t Mule. Aber auch
John Mayall und zahllose andere
Musiker haben schon seine Dienste
in Anspruch genommen. Mit seinem aktuellen Soloalbum kommt
er noch bluesiger daher als bei den
Southern Rockern.
Irgendwann erinnerte mich diese
Stimme an einen in den Stimmbruch geratenen Joe Cocker: Das
gequälte Organ eines Mannes, dem
das Leben gewaltig mitgespielt hat.
Nur tiefer als beim Sänger aus Sheffield. Aber auf jeden Fall singt Neel
mit einem gewaltigen Soulfeeling.
Und das ist die angenehme Entdeckung bei einem Album, an das ich
nicht so große Erwartungen hatte,
weil ich einfach zu viele bemerkenswerte bis gute Neuveröffentlichungen nacheinander gehört hatte. Also
stellte ich die Aufnahmebereitschaft
so schnell wie möglich zurück und
ließ mich auf „Every Kinda Blues“
doch noch ein und wurde nicht enttäuscht.
Klar, es ist ganz deutlich zu hören,
dass hier ein ausgebuffter und mit
allen Wassern gewaschener Profi am
Werke war. Neel weiß, Stimmungen in seinen Liedern zu setzen und
wechselt vom Rock zum Soulblues
und dann wieder zu funkigen Klängen auf seinem Album. Die Band
ist fett und groovt, seine Hammond
wechselt sich im Sound mit heftigen
Gitarrenriffs ab, ab und zu kommt
noch - immerhin ist das ein Bluesalbum vom Namen her - eine Harp
dazu. Manche Songs erinnern von
der Stimmung her gar an die großen Zeiten von The Band. Und
Neel singt teilweise relaxt teilweise
brennend vor innerem Feuer seine
Lieder. So lange er entspannt zur
Sache geht, bleibt meine Reaktion
durchwachsen. Wenn da nur nicht
ab und zu (wie bei dem live-Titel
„Won‘t Let Me Down“ diese fast
magischen Momente wären, wo
man direkt in sein Herz zu blicken
scheint... Insgesamt der Eindruck
einer ziemlich runden Scheibe mit
ein paar wirklich großen Songs.
Man sollte ihm wirklich eine faire
Chance einräumen. Denn es gibt
hier viel zu entdecken nicht nur an
Blues, sondern auch an wundervoller amerikansicher Rockmusik ohne
weitere stilistische Eingrenzungen.
Nathan Nörgel
dukt eines kreativen Prozesses und
doch fühlt es sich an wie mittem
im Sturm. - Booklets sind oft nur
eine Ergänzung zum Hören und daher nicht immer gehaltvoll. Hier ist
das anders. Katja (be)schreibt sehr
offen und ehrlich (über) ein Stück
Lebensweg. Das passt besser als alle
kritischen Worte von anderen. Darum wollen wir ihren eigenen Worte
hier Raum geben. Denn diese Worte haben die Kraft, sich hinein zu
begeben in den Sturm, denn mitten
drin wartet die Ruhe und darin liegt
ja bekanntlich die Kraft.
mitten im sturm . . .
... ist ein sehr treffender titel für dies
album, denn er bezeichnet die stürme
des lebens, durch die ein jeder beizeiten hindurch muss. dann ist es gut,
eine richtschnur zu haben, ein lot,
eine ahnung, wo es hingeht, doch seien wir ehrlich: es gibt zeiten im leben,
da haben wir selbst das nicht. wir
wissen nicht, welche richtung unser
leben nehmen wird, kraftvolle wogen
rütteln an unserem kleinen boot, um
in uns die nötige bewegung zu bringen. wir wehren uns dagegen, wollen,
dass alles beim alten bleibt und spüren
doch, dass es eben diese kraft ist, die
uns näher zu uns selber bringt.
dann ist es gut, die sache loszulassen und daruf zu vertrauen, dass die
wogen sich glätten werden. dass die
unbekannten gebiete, in die unser
winzig kleines boot vordringt, neues
leben, neue einsichten und einen weiteren horizont bringen werden. wir
gehen als neuer mensch daraus hervor.
(Stockfisch/in-akustik)
Lüder Kriete
mühsam verkneifen muss. Ergänzt
wird das durch ein glückliches Lächeln und vielleicht auch noch mit
Fingerschnipsen im Takt. Und ich
gehe fast jede Wette ein, dass es sich
hierbei um einen Rock&Roll oder
um einen Swinggroove handelt.
Kaum eine andere Musik kann so
schnell gute Laune verbreiten.
Auch bei „Gotta Strange Feeling“
dauert es nicht lange, bis der Hörer fröhlich mitwippt und sich von
dem klassischen Blues der Band aus
Virgina mitreißen lässt. Songs wie
der Titelsong oder „Sweet Sue“ sind
Jump Blues vom Feinsten. Andere
Nummern wie der Titelsong oder
„Late Nite Blues“ erinnern mehr an
die frühen 50er Jahre in Chicago.
Und dann gibt es noch jede Menge
dezent swingenden Blues-Shuffle,
der auch aus Texas stammen könnte. In diesen Rahmen passen auch
die zwei Coverversionen des Albums - „C‘est la vie“ von Chuck
Berry (manche kennen es auch als
„You Never Can Tell“ aus dem Film
„Pulp Fiction) und Louis Jordans
„Buzz Me“ genau herein.
Natürlich steht Owens Bluesharp
klanglich im Mittelpunkt der Band.
Aber sie wäre nicht halb so viel wert
ohne die Unterstützung der Grand
Dukes. Vor allem die Gitarre von
Ivan Applerouth (der mit Owens
auch die meisten Songs gemeinsam geschrieben hat) setzt in ihrer
trockenen Klarheit immer wieder
spannende Akzente zu der meist
rauhen Harp.
„Gotta Strange Feeling“ sollte
den internationalen Erfolg, den Li‘l
Ronnie und seine Band mit dem
Vorgängeralbum „do watcha do“
hatten, fortsetzen können. Das ist
traditioneller und niemals verstaubter Blues der Sonderklasse. (EllerSoul)
Raimund Nitzsche
Li‘l Ronnie & The Grand
Dukes - Gotta Strange Feeling
Seit über 25 Jahren ist BluesharpAss Ronnie Owens schon mit seinen eigenen Bands unterwegs. Mit
Katja Maria Werker - mitten der aktuellen Truppe The Grand
Dukes hat er jetzt das vierte Album
im sturm
Eine deutsche Stimme mit einer veröffentlicht. Und das hat wieder
Menge
Überraschungspotenzial, die von seinen Fans geliebte Mixtur
das ist Katja Maria Werker auf ih- aus klassischem Blues der 50er Jahre
rem Album mitten im sturm. Diese mit jeder Menge Swing und etwas
Stimme berührt, schafft Nähe und Rock & Roll.
Es gibt diesen Beat, bei dem unIntimität und ist doch unnahbar
und rätselhaft. Dieses Album ist willkürlich jeder mit den Füßen
fraglos das Ziel, das gelungene Pro- wippt oder sich diese Bewegung
23
Lurrie Bell - The Devil Ain‘t
Got Music
Irgendwann einmal gehörte er zur
Young Blues Generation, zur Zukunft des Blues in Chicago. Damals
begleitete Gitarrist Lurrie Bell mit
seiner aufregend funkigen Band
noch seinen Vater Carey. Heute ist
er selbst einer der Alten. Was aber
nicht dazu führt, dass sein aktuelles
© wasser-prawda
Platten
Album „The Devil Ain‘t Got Music“ verstaubt klingen würde. Ganz
im Gegenteil.
Also nochmal für alle zum Mitschreiben: Der Blues ist nicht die
Musik des Teufels. Das ist eine Erfindung von Frömmlern, denen
seit Jahrhunderten alles suspekt ist,
was mit Spaß im Leben zu tun hat.
Musikalisch gesehen kann man den
frühen Blues und die Musik der
schwarzen Kirchen sowieso nicht
trennen. Musiker wie Rev. Gary
Davis oder Georgia Tom Dorsey
wussten das ganz genau. Auch wenn
Dorsey später dem Blues abgeschworen hatte bevor er zum Vater
der Gospelmusik wurde.
Was Lurrie Bell mit „The Devil
Ain‘t Got Music“ eingespielt hat,
dürfte eines der besten Gospelalben
des Jahres sein. Oder aber man hört
es als ein außergewöhnlich gutes
Bluesalbum mit jeder Menge Gott
drin. Und es ist eine persönliche
Rückkehr Bells zu der Musik seiner
Kindheit, die er bei seinen frommen
Großeltern und in der Kirche verbracht hat.
Es sind die bekannten Lieder von
„Swing Low“ bis hin zu „Peace In
The Valley“, die sich hier finden.
Und es sind ein paar Rocksongs, die
das Zeug dazu haben, in den nächsten Jahren zu Gospelklassikern zu
werden. Etwa Tom Waits‘ „Deep
Down In The Hole“ oder „Lo And
Behold“ von James Taylor.
Wer jetzt allerdings glaubt, zu wissen, wie die Scheibe klingt, dürfte
überrascht sein. Nicht umsonst hab
ich das Album als ein Zwitterwerk
bezeichnet. Hier ist ein Bluesman
am Singen und Predigen und er
nutzt diese Klänge für Gott, die er
auch für den Tanz im Juke Joint verwendet, seine rauhe und groovende
Gitarre, seine nur wenig vom Alter
gezeichnete Stimme. Begleitet wird
er dabei unter anderem von dem
Kenny „„Beedy Eyes“ Smith am
Schlagzeug. Und natürlich bei drei
Songs von Joe Louis Walker. Und
das sind die Höhepunkte. Denn hier
sind zwei Bluesprediger zusammen,
die noch jeden Sünder zum bereuhen bringen können. Einerseits ist
da das Tradition „It‘s A Blessing“,
das durch die Slide-Licks von Walker eine spirituelle Tiefe bekommt,
die unter die Haut geht. Bei „Peace
In The Valley“ kommt es zum Zusammenspiel von Walkers elektrischer Slide mit Bells Fingerpicking.
Und man fragt sich, ob dieses Lied
wirklich schon 1937 entstanden ist
und nicht erst während der Sessions.
Und bei Bells eigenem Song „Get
To Heaven On My Own“ (nur Bells
Stimme und seine Gitarre) spielt
Walker die reagierende Gemeinde,
liefert mit seinem Händeklatschen
den Rhythmus.
Das ist Blues aus einem gläubigen
Herzen heraus. Und das ist Musik,
die auch Menschen berührt in ihrer Persönlichkeit und Direktheit,
denen Gott eigentlich ganz egal ist.
Hier singt einer, dem er nicht mehr
egal ist.
Raimund Nitzsche
an.
Empfehlenswert ist diese CD aber
nicht nur für notorische Party-Löwen, sondern auch für alle, die mal
hören wollen, was man zu Hause im
Kämmerlein so alles anstellen kann,
wenn man den ganzen Tag am PC
sitzt. Denn da kann man was anstellen, was sich später auch gut hören
lassen kann, man muss nur den Mut
haben. Sollte also mal gerade nicht
Montag sein und man alles andere
als den Blues in sich fühlen, dann
kann Naked in the City eine heiße
Abwechslung bringen. Interessenten erreichen Mr. SoulSell über:
soulsell@gmx.de (Eigenvertrieb)
Lüder Kriete
Mr. SoulSell - Naked in The
City
Hier gibt es feinen, elektrischen,
Energie geladenen Funk, wie er
ausgezeichnet auf jede heiße Sommernachts-Party passt. Egal ob am
Strand, im schwülen Keller oder
spontan in einer Arbeiterwohnküche.
Robert ‚Soul‘ Sell ist eigentlich
der Soundmaster im Kulturzentrum
Schlachthof in Kassel. Da hat er
schon so manchen Stars den Sound
so gut eingestellt, dass unvergessliche Momente enstanden. Und
Funker wie T.M. Stevens, Delmar
Brown oder Stevie Salas & Bernard
Fowler haben ihn dann auch gerne
mal mit auf ihre Touren genommen. Da wußten sie halt, was sie
haben. Wir wissen das auch und
darum wollen wir diesen Mann und
sein Baby hier mal vorstellen.
Hinter all dieser Musik steckt immer nur (s)ein Mastermind! Alle
Instrumente, Sounds, Rhythmen,
Effekte sind am PC ausgedacht,
zerlegt und wieder, in mühevoller
Kleinarbeit, zusammengesetzt. Klar,
so die eine oder andere Maschine
braucht es auch noch, um spezielle
Dinge umzusetzten, aber eine ‚echte‘ Band im Studio gab es für diese
Produktion nicht.
So beeindrucken nicht nur die
fetten Bläser-Arrangements, sondern auch die Bollywood-like Titel wie India Sunset. Hier schaffen
Tabla, Bass, Drums und die Sitar
einen verführerischen Tempeltanz.
Im klassisch gehaltenen Titeltrack
Naked in the City sind die Wechselspiele zwischen Gitarre und Flöte erstklassig gelungen. Wenn dann
das stampfende Drums dazukommt
geht‘s geradewegs downstown. Gute
53 Minuten geht‘s nackt durch die
Stadt. 12 Gigs sind angesagt und
wer dann noch Lust auf mehr hat,
der fängt einfach wieder von vorne
Nico Wayne Toussaint - Lonely Number
Sein Ideal auf der Bluesharp ist der
rauhe und zwingende Sound von
James Cotton. Sein eigentlicher Stil
ist der Chicago-Blues. Mit seinem
aktuellen Album „Lonely Number“
ist der Franzose Nico Wayne Toussaint beim kanadischen Label Iguane Records gelandet.
Seine Karriere geht schon länger
als zehn Jahre. Doch bekannt geworden ist Nico Wayne Toussaint
außerhalb von Frankreich und den
USA noch nicht wirklich mit seinen Alben. Ob sich das mit „Lonely
Number“ ändern wird?
Was macht man bloß mit so einem Album? Es ist Chicago-Blues
mit einer wirklich guten Bluesharp.
Doch die ersten beiden Songs rauschen bei jedem Hördurchgang
einfach an mir vorbei, bis endlich
bei „Time To Party“ (ok, kein Chicago-Blues, sondern Jump Blues)
eine Nummer kommt, wo Name
und Sound wirklich stimmen. Auch
„Time To Cut You Loose“ geht mit
seinem röhrenden Saxophon noch
gut ins Ohr und in die Füße. Dann
folgen wieder Songs, die ich besser
schon tausendmal gehört zu haben
glaube. „Waltering In Montreal“ ist
dann wieder ein Highlight als Instrumental, wo er seine Meisterschaft
an der Harp unter Beweis stellt.
Und dann ist da natürlich noch
„Moliendo Cafe“ - so eine schöne
Harpnummer hab ich wirklich seit
Jahren nicht gehört. Doch danach
wieder Stücke, die dahinplätschern.
Schade drum. Insgesamt bleibt
24
Dynamite Daze auf Sommertour
„Scarecrows On Rampage“ gehörte 2011 zu den bemerkenswertesten
Veröffentlichungen
der deutschen Bluesrockszene.
Dynamite Daze sind auch 2012
mit diesem Album und ihrem
psychedelischen Bluesrock unterwegs durch Deutschland. Hier
die nächsten Termine:
21.07. Tiengen Tienger Sommer*
29.07. Garbsen Blues Matinee
04.08. Parsberg Burgrock Festival
11.08. Prießnitz Open Air
18.08. Plaidt Pellenzer Open Air
19.09. Sömmerda Piano
20.09. Eisenach Schorschl
21.09. Bielefeld Jazzclub
22.09. Elsdorf Stachmos
28.09. Künzelsau Ratzfatz
Crossroad Cafe - Blues,
Soul und mehr auf radio
98eins
Crossroad Cafe ist die Sendung
für Blues, Soul, Swing und ähnliche Musik auf radio 98eins.
Die Show läuft alle zwei Wochen
dienstags von 20 bis 22 Uhr, In
Greifswald und Umgebung ist
sie zu empfangen auf UKW 98,1
MHz. Der Rest der Welt kann
den Livestream auf www.98eins.
de empfangen. Hier die nächsten
Sendetermine:
17. Juli
31. Juli
14. August
28. August
Playlisten werden veröffentlicht
auf der Facebookseite der Sendung: www.facebook.com/crossroadcaferadio
© wasser-prawda
Platten
das Gefühl zwiespältig. Aber für diese vier Stücke lohnte es sich doch, es
zu hören. (Iguane)
Nathan Nörgel
storben. Die zweite nachträgliche
Ergänzung der Aufnahmen findet
sich bei „Since I Fell For You“, wo
Otis Clay 2011 die Gesangsspur ergänzen durfte. Insgesamt ist es aber
gut und wichtig, dass man die restlichen Aufnahmen des Albums in ihrer Spontaneität und Energie nicht
weiter angefasst hat und so mit
„Heaven“ ein historisches Dokument eines des besten Pianisten des
Chicagoblues überhaupt veröffentlicht hat. (Blind Pig/Fenn Music)
Raimund Nitzsche
einfach weitertanzen. Denn bald
ist das Wochenende vorbei. Nein,
bei aller Liebe, diese langbeinige
Frau macht mich einfach irre. Sie
braucht wirklich nichts zu sagen.
Irgendjemand, dem das zu flach
und eventuell gar zu sexistisch vorkommt? Solche Texte (siehe oben)
gehören einfach zu einer Party. Die
Welt rette ich am Montag wieder.
Und vorher kommt noch der Sonntagsgottesdienst. (Iguane)
Nathan Nörgel
Soulstimme von Tad Robinson ist
bemerkenswert. Auch die anderen
Musiker wie Keyboardeer Ken Saydak, Gitarrist Mark Wydra, Bassist
Harlan Terson und Schlagzeuger
Marty Binder gehören zu den altgedienten Musikern in der Stadt.
„Lake City“ - hörenswert!
Nathan Nörgel
Pinetop Perkins - Heaven
Wenn etwas mehr als ein Jahr nach
dem Tode des Pianisten Pinetop
Perkins erscheint, dann ist das keine „Resteverwertung“ seiner letzten
Nummern. Blind Pig hat vielmehr
in seinen Archiven eine Studiosession aus dem Jahre 1986 ausgegraben.
Lediglich bei zwei Stücken wurden
im Nachhinein Gesangsspuren von
Willie „Big Eyes“ Smith und Otis
Clay hinzu gefügt.
Im Rückblick kann man es sich
kaum noch vorstellen, dass Pinetop
Perkins erst 1988 sein erstes Soloalbum veröffentlichte. Irgendwie
gehörte sein Piano eigentlich immer dazu, wenn man vom Chicagoblues nach dem Zweiten Weltkrieg
sprach. Und damit sind nicht nur
die zwölf Jahre ab 1969 gemeint,
in denen er zur Band von Muddy
Waters gehörte. Schon seit er 1953
erstmals „Pinetop‘s Boogie Woogie“
einspielte, hatte er nicht nur seinen
Spitznamen weg sondern sich auch
gleichzeitig als einer der wichtigsten
Pianisten der Gegend etabliert.
Die Aufnahmen von „Heaven“
gehen noch auf eine Zeit vor dem
Solodebüt „After Hours“ zurück.
Perkins - wenn auch mit 75 Jahren
schon weit übers Rentenalter hinaus - spielt hier im Wesentlichen
allein mit einem nur jugendlich zu
nennenden Schwung Klassiker wie
den „44 Blues“, „Sweet Home Chicago“ oder auch „Sitting On Top of
the World“ neben seinem eigenen
„Pinetop‘s Blues“ und „Just Keep
on Drinking“. Nur bei vier Stücken kommt eine Rhythmusgruppe
(Brad Vickers - b, Pete DeCoste - dr)
hinzu. Und bei „Ida B“ sind dann
auch noch der Gitarrist tony O und
Mike Markowitz an der Bluesharp
Gäste der Studiosession.
Blind Pig hat die Arbeiten an
„Heaven“ wahrscheinlich direkt
nach Perkins‘ Tod in Angriff genommen. Denn nur so war es möglich,
dass sein langjähriger Partner Willie
Big Eyes Smith noch die Gesangsstimme für „Sitting on Top of the
World“ beisteuern konnte. Denn
auch er ist ja leider 2011 noch ver-
Rick L. Blues - Good Luck On
My Side
Ron Sorin & The Blue Coast
Band - Lake City
Ok, schmeißt Euch in die Partyklamotten. Rick L. Blues lässt auf
seinem Album „Good Luck On My
Side“ den Swing los. Und er ist dafür nicht nur extra gut angezogen
sondern spielt auch eine gut aufgelegte Bluesharp.
Jump Blues, West Coast Swing,
Boogie oder was man auch immer
dazu sagen mag macht mir zumindest immer gleich gute Laune. Und
wahrscheinlich legen es Musiker wie
der Kanadier Rick L. Blues es auch
gerade darauf an und reklamieren
die Tanzböden damit zurück für
den Blues. Klar, dass die Themen
der Lieder sich dann eher nicht um
die Lösung der Wirtschaftskrise
drehen sondern eher von den paar
magischen Stunden am Wochenende, wo man mit der angebeteten
und bewundernswerten Frau an seiner Seite genau diese Krise vergessen will. Songs wie „Well Dressed
Man“, „Cool Cat Swing“ oder
„Lucky Boogie“ sind mitreißend,
tanzbar und äußerst unterhaltsam.
Und viel mehr wollen sie auch nicht
sein. Vielleicht - und auch das tun
sie auch ohne Probleme - sollen sie
auch noch nachweisen, dass Mr.
Blues seine Harp ganz hervorragend
zum Swingen bringen kann.
Und wenn er dann noch mal richtig den Blues hat zusammen mit
seiner ganzen Farm, dann ist auch
das eher unterhaltsam als tottraurig.
Und das ist auch gut so, denn sonst
würde man durch die ganzen Tränen seinen Drink verwässern. Aber
keine Angst - Santa Claus wird niemals sterben. Also kann alles nicht
so schlimm sein. Und jetzt lass mich
Mit seiner Bluesharp hat Ron Sorin
in den letzten Jahrzehnten schon
die verschiedensten Musiker begleitet. „Lake City“ ist nun sein Solodebüt, für das er mit der Blue Coast
Band eine hervorragende Gruppe
gefunden hat. Und für das er noch
dazu einen großen Teil der Lieder
geschrieben hat.
Es ist eine Blueshymne an Chicago. Oder sagen wir: eine musikalische Stadtbesichtigung der
Bluesmetropole. Klar, dass dabei in
manchen Liedern noch die Erinnerung an die Baumwollfelder zu hören ist. Ebenso sind in den Liedern
Ron Sorins Reminiszenzen an die
Kirchen zu hören, die Jazz-Clubs
oder auch die Musik, die in den Kinos läuft. Und man wird akustisch
dran erinnert, dass Chicago an einem See liegt.
Klar das Sorins Bluesharp oft an
den klassischen Chicagoblues der
60er Jahre erinnert. Schließlich
hat er im Laufe seiner Karriere mit
Musikern wie Huber Sumlin oder
anderen Altmeistern zusammengespielt. Doch ebenso spielt er bei
Bedarf auch eine Jazzharp, wie man
sie selten zu hören bekommt. Und
auch Rock & Roll gehört zu seinem
Repertoire. Und manchmal hört
man auch noch Musik, bei der man
an Shanties erinnert wird. Es war ja
gerade die Seeküste Chicagos, wo
Sorin aufwuchs (und wo er zuerst
den Blues gehört hat).
Die angenehmste Überraschung
ist, dass das hier zwar ein Solodebüt
ist, aber keine allein auf den Solisten abgestellte Performance. Die
Blue Coast Band an sich ist eine
bemerkenswerte Entdeckung. Besonders die wunderbare Blues- und
25
Rory Block - I Belong the
The Band. A Tribute To Rev.
Gary Davis
Nach Robert Johnson, Son Housee
und Mississippi Fred McDowell
widmet sich Rory Block auf ihrem
aktuellenTribut-Album „I Belong
To The Band“ der Musik von Reverend Gary Davis. Und sie bringt damit auch den Glauben einmal mehr
wieder zurück auf aktuelle Bluesalben.
Als Ella Fitzgerald damals mit
ihren Songbook-Alben die Musik verschiedenster Songwriter der
Geschichte des Jazz und der amerikanischen Popmusik aufnahm,
da war das in vielen Fällen mehr
als eine Referenz an große Namen
sondern auch eine eigene künstlerische Aneignung der großartigen
Musik. Wenn heute Sänger wie Rod
Steward und andere aus Mangel an
Ideen immer mehr Alben aus dem
Great American Songbook auf den
Markt werfen, da herrscht zumeist
nur gähnende Langeweile beim Hörer. Denn anstatt eigne Akzente zu
setzen, werden einfach große Songs
möglichst stromlinienförmig für das
Formatradio dudelfähig gemacht.
Was Rory Block seit Jahren immer
wieder macht, wenn sie sich auf
Tribute-Alben ihren musikalischen
Vorbildern widmet, hat mehr mit
Ella Fitzgerald zu tun. Und das ist
ein großes Glück.
Dass sie jetzt bei Reverend Gary
Davis angekommen ist, hat mit ihrer Biografie zu tun. Denn so wie
Mississippi Fred McDowell ist sie
dem Gospel-Blueser in ihrer Jugend
noch persönlich begegnet und hat
sein unvergleichliches Gitarrenspiel
quasi an der Quelle kennengelerrnt.
Und doch nimmt es niemanden
Wunder, dass sie erst nach so vielen Jahren wieder zu dieser Musik
zurück kehrt. Den eigentlich kennt
man die Gitarristin ja eher in den
© wasser-prawda
Platten
Traditionen des Delta-Blues als in
den Picking-Regionen der Ostküste. Und schon gar nicht hab ich sie
als Virtuosin auf der Zwölfsaiter in
Erinnerung gehabt.
„I Belong To The Band“ ist eines
jener akustischen Bluesalben, die
man eigentlich immer als Referenz
für das Genre weiterempfehlen
sollte. Voller Respekt interpretiert
Block hier Lieder wie „Twelfe Gates To The City“, „Samson and Delilah“ oder „Pure Religion“. Und
doch hat man in jedem Moment
die Gewissheit, dass sie sich diese
Songs ganz zu eigen gemacht hat.
Das ist der Unterschied zwischen einer billigen Coverversion und einer
eigenständigen Interpretation. Und
überhaupt war es längst überfällig,
dass mal wieder Songs eines Musikers in Erinnerung gerufen wurden,
für den die verlogene Trennung
zwischen Blues und Kirche einfach
nicht existent war. Das ist auch in
den eigenen Songs ihrer Karriere nie
ein Thema gewesen für Rory Block,
hat sie doch vor Jahren schon musikalische Bearbeitungen etwa des
Gleichnisses vom Verlorenen Sohn
komponiert und auf Platte gebracht. Der Blues ist einfach nicht
des Teufels Musik! Dafür ist er viel
zu gut. Hört einfach „I Belong To
The Band“ und gebt mir ein AMEN
zurück! (Stony Plain)
Raimund Nitzsche
spätestens mit „Sun Midnight Sun“
den Klischees entsprungen. Denn
dieses Album hat zehn Songs, die
nur selten an die ganz traditionellen
Strukturen des Bluegrass erinnern.
Vielleicht noch am ehesten passt
der rasante Opener „The Foothills“
da hinein. Aber schon wenn sie mit
Fiona Apple den Klassiker der Verly
Brothers „You‘re The One I Love“
singt, dann ist sie bei radiofreundlichen Popsounds gelandet. Um dann
später bei anderen Liedern ihre eigenen Geschichten rockend heraus
zu rotzen. Ok, dieser Begriff passt
eigentlich nicht wirklich zu ihrer
Stimme und ihrer Art zu singen.
Besonders weil sie so schnell wieder
zurück zu den unschuldigen Tönen
wechselt, die auch von der Carter
Family stammen könnten. Weitere
Höhepunkte der Scheibe sind die
zweite Coverversion, Willie Nelsons
I‘m a Memory (gesungen im Duett
mit Jackson Browne) und das mehr
als ein wenig an Woodie Guthrie gemahnende „Take Up Your Spade“,
mit dem das Album schließt.
Hatte Watkins bei ihrem von John
Paul Jones (Led Zeppelin) produzierten Debüt noch mit einer Gruppe exzellenter Studiomusiker aus
Kalifornien live im Studio gesungen, so wurde für „Sun Midnight
Sun“ ein anderes Herangehen gewählt. Begleitet wird sie hier hauptsächlich von Multiinstrumentalist
Blake Mills und ihrem Bruder Sean
an der Gitarre. Die meisten zusätzlichen Instrumente wurden per
Overdubbing später hinzu gefügt.
Allerdings tut das glücklicherweise
der Energie der Aufnahmen keinen
Abbruch. (Nonesuch/Warner)
Raimund Nitzsche
Sara Watkins - Sun Midnight
Sun
Bekannt wurde Sara Watkins als
Fiddel-Spielerin beim BluegrassTrio Nickel Creek. „Sun Midnight
Sun“ ist ihr zweites Soloalbum mit
Liedern zwischen romantischer
Verspieltheit und fast punkigem
Folksound.
Bei der Stimme kommen sofort
Engel oder Elfen ins Spiel: Wenn
Sara Watkins singt, dann fällt den
Kollegen so schnell nichts anderes ein. Und wenn ich ehrlich bin:
Sollte ich zu einem Vergleich gezwungen werden: Wenn Engel so
singen, dann ist das Hallelujah im
Himmel auf jeden Fall mehr als hörenswert. Wenn sie dann noch zur
Fiddle greift, dann hat man eigentlich das Klischee einer jungen Bluegrass-Künstlerin. Doch Watkins ist
Schoenholz - Ceylon
Melancholisch, manchmal düster
und dann wieder aufwühlend - Indiepop in deutscher Sprache nennt
man das, was die Berliner Band
Schoenholz auf ihrem aktuellen Album „Ceylon“ vorgelegt hat. Und
der braucht eine Menge Zeit, um
wirklich seine Schönheit zu entfalten.
Es ist etwas Schweres mit der
deutschen Sprache im Pop. Musiker
wie Element of Crime oder Stoppok
haben hier eine lyrische Dichte mit
ihrer ganz eigenen musikalischen
Welt kombiniert und stehen damit einzigartig da. Unerreicht von
den zahllosen Nachahmern. Und
als Monumente der Vergangenheit
stehen die großen Alben von Ideal, Fehlfarben, den Scherben oder
vom jungen Udo Lindenberg. Das
sind die Gipfel, die zu erreichen so
schwer ist, wenn man sich nicht den
scheinbar leichten Umweg über das
Englische wählen will.
Das musikalische Ceylon, diese
mythische Gedankeninsel der Berliner Band Schoenholz liegt irgendwo
im weiten Meer dessen, was man Independent-Pop nennt. Erinnerungen kommen bei den lyrisch dahin
fließenden Klangwellen an so Bands
wie die Tindersticks. Wenn auch die
schwelgerlische Schwermut der Briten immer wieder gebrochen wird
durch elektronische Einsprengsel
oder plötzlich aufscheinende Hoffnungsschimmer. Eine Musik, die
nicht nach den Rockcharts schielt,
die lyrisch dahinfließt, um einen
dann doch wieder mit einem Ausbruch zu überrumpeln.
Die Stimme von Sängerin Daniela Schönwald nimmt einen auf
diese Reisen mit. Und erst spät
merkt man, dass sie ja eigentlich auf
deutsch singt und Geschichten zu
der Musik erzählt. Und da beginnen die Schwierigkeiten. Denn die
von ihr selbst geschriebenen Texte
sind oft zu bemühlt, ziehen Metaphern heran, die einen aus dem
Hörgenuss herausholen mit einem
fragenden Blick. Oder es tauchen
Formulierungen auf, die nach der
zehntausendsten Verwendung nur
noch abgegriffen und schal sind.
Nein, Daniela Schönwald ist nicht
Sven Regner. Auch wenn sie gerne
so erzählen möchte meiner Meinung nach. Sie ist auch weit entfernt
vom direkten Rock der Fehlfarben
oder der scheinbar schnodderigen
Alltagssprache von Stoppok. Würde sie ihre Texte alleine zur akustischen Gitarre vortragen, dann wäre
das Urteil schnell gefällt: Noch eine
Liedermacherin, wo die Botschaft
wichtiger ist als Groove und Prägnanz der Sprache. Aber mit der
Band entwickeln die Texte bei aller
Holprigkeit dann eben doch einen
Sog, der einen über die lyrischen
Schwächen hinwegzieht. Aber das
funktioniert nicht nebenbei. „Ceylon“ ist keine der Platten, die man
irgendwie nebenbei laufen lassen
könnte. Sie fordert ständige Aufmerksamkeit. Schon das Mahlen
der Kaffeemühle zwischendurch
zerstört die Magie. (Timezone)
Raimund Nitzsche
26
Sonny Landreth - Elemental
Journey
Die elektrische Slide-Gitarre hat in
der Geschichte des Blues einen weiten Weg zurückgelegt von Elmore
James und Muddy Waters bis hin zu
Johnny Winter und Derek Trucks.
Mit seinem sofort zu identifizierenden Sound ist Sonny Landreth seit
Jahren einer der faszinierendsten
Slidegitarristen zwischen Blues und
Roots-Rock. Für sein erstes Instrumentalalbum „Elemental Journey“
hat er sich nicht nur Joe Satriani
sondern auch ein Streichorchester
ins Studio geholt.
Ein Jazzkritiker verglich die Gitarrentechnik von Sonny Landreth (er
spielt mit drei Fingern die üblichen
Linien auf dem Griffbrett während
der kleine Finger mit einem schweren Glas-Slide die Akzente setzt)
mit der von Eddie Van Halen für
die Rockgitarre. Klar ist auf jeden
Fall, dass der 1988 als Gitarrist von
John Hiatt erstmals einer breiten
Öffentlichkeit bekannt gewordene
Musiker heute für die Slide-Gitarre
einzigartig dasteht neben Ry Cooder und Derek Trucks.
Und sofort rufen seine Kompositionen Erinnerungen an die Sümpfe Louisianas hervor, auch wenn er
nicht mehr wirklich Zydeco oder
ähnliche Musik spielt.“Elemental
Journey“ ist vielmehr eine musikalische Exkursion durch Blues,
Rock und karibische Klänge, eine
Sammlung von teils epischen teils
konsequent rockenden Nummern,
bei denen keine Note zu viel oder
zu wenig ist. Da gibt es klassische
Bluesrocker wie „Reckless Beauty“,
zu denen man sich ohne weiteres
auch noch gesungene Texte vorstellen könnte. Und es gibt Stücke
wie den Opener „Gaia Tribe“, die
von ihrer ausgreifenden Kompositionsweise her schon fast in den
Bereich der imaginären Filmmusik
fallen würden. Hierbei ist besonders spannend, wie sich Landreths
Gitarre von den begleitenden Streichern abhebt und dann wieder mit
ihnen zu verschmelzen scheint. Und
selbst Joe Satriani als Gast kann hier
seiner Neigung zu vielen schnellen
und doch überflüssigen Noten konsequent widerstehen.
Instrumentalalben haben es heutzutage schwer auf dem Musikmarkt.
© wasser-prawda
Platten
Doch „Elemental Journey“ ist nicht
nur für Fans der Slide-Gitarre eine
Empfehlung wert.
Nathan Nörgel
The Veldman Brothers Bringin‘ It To You Live
Nach dem erfolgreichen Studioalbum „Spreadin‘ Around“ ist 2012
von den holländischen Veldman
Brothers ein Live-Album zu begutachten. „Bringin‘ It To You Live“ ist
in seiner Direktheit ein Konzentrat
dessen, was die Fans der Bluesrocker
an den Brüdern mögen: Ein kochender Mix aus Blues, Rock und Soul,
getragen von den Brüdern Gerrit
Veldman an der Gitarre und Bennie
an Hammond und Bluesharp.
Eines muss man mal voraus schicken: Es gibt im Blues/Bluesrock
wenige Bands, die einen so prägnanten und eindeutigen Sound
gefunden haben wie die Veldman
Brothers. Das mag an Bennies treibender Hammondorgel liegen oder
an den Duellen, die er sich an der
Bluesharp mit der Gitarre seines
Bruders liefert. Es scheint nichts
über enge Familienbande zu gehen.
Und eine Frage noch vorweg:
Warum macht man eigentlich LiveAlben? Ich sehe in der Musikgeschichte zwei Antworten darauf: Es
gibt Alben, die einen bestimmten
Moment einfangen sollen, die Magie einer besonderen Veranstaltung.
Und es gibt Alben, die eher die musikalische Bandbreite einer Band zu
einem bestimmten Zeitpunkt dokumentieren sollen und daher Material
verschiedener Konzerte verwenden.
„Bringin‘ It To You Live“ scheint für
mich zur zweiten Kategorie zu gehören. Zumindest ist für mich nicht
ersichtlich, ob die Aufnahmen im
„Onder Ons“ JK Studios Dalfsen
im März 2012 an einem oder mehreren Abenden gemacht wurden.
Ein konkreter Konzertablauf ist auf
jeden Fall nicht sofort nachzuvollziehen.
Zwölf Stücke haben den Weg auf
das Live-Album gefunden. Davon
stammen (für mich: leider) nur fünf
aus der eigenen Feder und sind ganz
der typisch groovend rockige Blues
der Veldmans. Für mich dabei herrausragend: „Target“ oder das funkige „Heading For The Door“. Und
natürlich der „Boogie“ im amtlichen Hooker-Groove ganz am Ende
des Albums. Die anderen stammen
aus ganz unterschiedlichen Quellen
und zeigen die Wandlungsfähigkeit
der Band. Da wird dezent Hendrix
gefolgt mit „Up From The Skies“,
Hookers „Boom Boom“ eher traditionell heruntergerrockt und bei Ry
Cooders „Feelin‘ Bad Blues“ kann
Gerrit Veldman einmal mehr seine
Meisterschaft an der Slide-Gitarre
unter Beweis stellen. Natürlich darf
auch der große Howlin Wolf nicht
fehlen. Da liegt natürlich sein „Killing Floor“ nahe. Konzertbesucher
hören diese Klassiker immer wieder
gern. Doch für mich sind die eigenen Nummern der Brüder die eigentlichen Hinhörer. Aber ich sitze
auch vor der Anlage und nicht im
Club beim Konzert.
Nathan Nörgel
Das mag jetzt alles sehr akademisch klingen und die konservativen Bluesfans erstmal abschrecken.
Doch wenn man sich mit Willie
McBlind auf die Zugfahrt des Albums begibt, dann werden solche
Fragen schnell überflüssig. Schnell
findet man sich wieder auf einer
Tour in eine seltsam futuristische
Welt zwischen dem MississippiDelta, Steampunk-Comix und modernen Industriestädten. Mit einer
Mischung aus harten Rockrhythmen und den nur beim ersten Hören ungewöhnlichen Klangwelten
von Gitarre und Gesang entwickelt
sich eine Blues-Atmosphäre, wie sie
so innovativ eigentlich seit den Jugendjahren von Captain Beefheart
kaum mal wieder jemand versucht
hat. Und da passt es selbst, dass als
einziges Cover Robert Johnsons
„Love In Vain“ ins 21. Jahrhundert
verpflanzt wird. Äußerst faszinierend!
Raimund Nitzsche
Willie McBlind - Live Long
Day
Das Thema von „Live Long Day!“
ist typisch Blues: Man könnte die
Songs als eine komplette Bahnreise
aus dem Süden der USA bis hoch
in den Himmel hören. Doch was
die Band Willie McBlind auf ihrem
dritten Album macht, klingt wahlweise nach der Zukunft des Blues
oder wie eine Kreuzung aus Freejazz-Harmonien und Hardrockrhythmen.
Ein wenig Theorie vorweg: Die
europäische Musik basiert auf einer Tonleiter mit zwölf Halbtonstufen. Willie McBlind haben sich
von diesem System verabschiedet zu
Gunsten einer „Harmonic Music“,
das sämtliche denkbaren Ober- und
Untertöne in den Klang mit einbezieht. Dafür nutzt Gitarrist Jon Catler wahlweise Gitarren ohne Bünde
oder aber speziell angefertigte Gitarren, die die Nutzung von Zwischentönen durch die Verdopplung
der Bundzahl ermöglicht. Diese
Gitarrenhälse haben dann Ähnlichkeit mit denen der indischen Sitar.
Neben Catler ist auch Sängerin
Meredith “Babe” Borden mit ihrer
Konservatoriumsausbildung firm
in Sachen ungewöhnlicher Klangwelten. Ergänzt wird das Duo um
Bassist Mat Fields und Schlagzeuger
Lorne Watson.
Xavier Rudd - Spirit Bird
Xavier Rudds siebtes Album Spirit
Bird klingt uns wie das vertonte
geheime Tagebuch von Christopher Robin, das er seinem geliebten
Freund Winnie Pu gewidmet hat.
Geheimnisvoll, privat und unendlich liebenswert. Hier geht es um
Freundschaft aus Kindertagen, die
alle Unbillen der Zeit, alle Anfeindungen der Erwachsenen und all
dem bescheuerten Intellektualismus
derjenigen, die sowieso alles besser
wissen, die Stirn bietet. Wer bereit
ist, das eine oder andere musikalische Konzept eines Mitteleuropäers
über Bord zu werfen, der kann mit
dieser Scheibe einen großen Eimer
voll wildem Honig einsammeln.
Und diese Trophäe dann mit den
besten Freunden zusammen genießen macht doppelt Spaß – fragt
Ferkel, Eule, Kaninchen, Känga
und Tigger!
Gut Ding will Weile haben; so
auch das vorliegende Album des
australischen Multiinstrumentalisten Xavier Rudd. In seinen Worten
hat er es an den Anfang des Booklets geschrieben: „The keys to this album were passed to me a few years ago
deep in Kimberley country far north
Western Australia through the eyes of
27
an old old old woman spirit red tail
black cockatoo (Dt.: Rotschwanz Rabenkakadu). I would like to pay respect to that experience which opened
the door to the music and journey that
followed and continues to flow. One
love one mob for country arms up!“
Und genau das hat er denn auch getan - Emotionen, Inspirationen und
profundes musikalischen Können,
das aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen gespeist wird, bringen
Hörerinnen und Hörern ein einzigartiges Erlebnis.
Denn Xavier verwebt eigene
Sounds (Didgeridoo/Yidaki, stomp
box), sein Spiel auf diversen Drums
und Perkussionsinstrumenten, Keyboards, Harmonika, Baritone Acoustic Slide Gitarre, 6-seitiger akustischer und elektrischer Gitarre, einer
einmaligen Tear Drop Weissenborn
Style Acoustic Slide Guitar oder
Resonator Slide Gitarre mit Samples aus der Tierwelt wie z.B. den
Klängen von Walen oder Vögeln.
Und wenn dann noch etwas mehr
gebraucht wird, dann kommt auch
der Schulchor der Cape Byron
Rudolph Steiner School oder die
Anishinabe First Nations Big Drum
Group dazu. Dann schwingt sich
der Spirit Bird für 7:08 zum ganz
großen Flug auf und das Bow Down
verneigt sich klang- und kraftvoll
vor der Natur der Freiheit für alle unbedingt anhören und mitsingen!
So nimmt uns Xavier Rudd mit
zu einigen magischen Plätzen, meist
in einer akustischen Grundstimmung, aber auch voll Strom und
Elektrizität wenn‘s besser passt. Unnachahmlich wie er dabei die Weissenborn zeitgleich mit dem Yidaki spielt, aber auch vor Overdubs
nicht zurückschreckt, um Titel zu
verdichten und dadurch die Stimmung zu erhöhen. Und nicht zuletzt durch seine markante Stimme
erhalten die 13 Songs des Albums
eine besondere Attraktivität. Es ist
gut nachzuspüren, wie der Mann
seine kindlichen Fantasiekräfte in
die Jetzt-Zeit gerettet hat und sie
hemmungslos auslebt. Was früher
ein Bär „von sehr geringem Verstand“ war ist jetzt eine Musik von
sehr universeller Erfahrung.
Es bleibt als Fazit zu einem überaus faszinierendem Album nur:
Singt Ho! Der Bär soll leben! Es ist
mir egal, ob Schnee oder Regen,
Meine Nase riecht Honig auf allen
Wegen. Singt Ho! Leben soll Pu. Er
braucht einen kleinen Mundvoll ab
und zu! (aus: A.A. Milne - Pu der
Bär) (SideOneDummy/Cargo)
Lüder Kriete
© wasser-prawda
Feuilleton
Erik Münnich Flash Fiction
peinlich ist eine untertreibung
die dicke
der dicke mir gegenüber führt selbstgespräche, während er an seinen fingernägeln kaut. sein hosenstall geöffnet, das scheint ihn nicht zu interessieren. in seinem zustand wäre mir das aber auch egal. auf der couch neben
ihm: drei minderjährige prinzessinen, die es geschafft haben, sich in den
letzten anderthalb stunden ausschließlich über ihre und andere schönheit,
die möglichkeiten der erhaltung und die wirkungen derselben zu unterhalten. das volle programm: welche tönung für welches haar, spezielle nagellackdesigns, schamhaarrasuren, nachteile des tragens von string-tangas,
vorteile bh-freier brüste, was männer wollen und wie man es ihnen am
besten macht… ihre schrillen stimmen und die mit jedem glas zunehmende lautstärke ihres gesprächs zieht blicke an. nicht unwesentlich ältere, sich
aber wesentlich jünger fühlende, braungebrannte und scheinbar stunden
vor dem spiegel verbringende typen beobachten aufmerksam die drei grazien, die sich nun , weil die blicke zu offensichtlich, animiert fühlen, die
von sechs cuba libre schon arg gezeichneten endgültig um den verstand zu
bringen. dabei verwechseln die mädchen diese kneipe mit einem fotoshooting für eines jener extrem angesagten modemaganzine: jeder gang zur bar
oder auf den abort eine performance, arsch und vorbau werden effektivst
eingesetzt. ich komme nicht umhin, diesem balzritual, in dessen verlauf
die beteiligten immer tierähnlicher werden, zu folgen. ich verpasse dadurch
den beginn der pöbelei am nebentisch. erst als glas zu bruch geht, wende
ich mich nach links, merke gleich, dass ich wesentliches nicht mitbekommen habe, denn der tisch gleicht einem kriegsschauplatz: umgeworfene
gläser, der ascher samt inhalt auf dem schoß einer pikiert blickenden bürokauffrau in den ausgehenden dreißigern, die wie jedes wochenende ihren
tristen, traurigen alltag mit weißweinschorle aufzuhübschen versucht. der
schicke hosenanzug will nicht zum gesicht passen und ist nun eh ruiniert.
ihr freund, jedenfalls spielt er sich so auf, ist aufgesprungen, in der rechten
hand ein bier, mit der linken schlägt er nach dem vermeintlichen verursacher dieses desasters. dieser weicht geschickt aus, verliert dabei allerdings
das gleichgewicht, rempelt einen bulldozer an, der, herausgerissen aus seiner lethargie, seinen abend durch eine anständige schlägerei gerettet sieht.
er quält sich aus dem sessel hoch und baut sich auf. gespannte stille an den
nebentischen. alle hoffnungen auf blutende nasen werden allerdings jäh
zerstört durch den barkeeper, der, wohl aus sorge um das inventar, heran
gesprungen kommt, den zielpunkt der aggression geschickt aus dem kritischen bereich manövriert und bürokauffrau, freund und bulldozer mit
einer runde aufs haus besänftigt. von all dem völlig unbeeindruckt: das
liebespaar an der bar. zärtliche blicke, ab und zu ein zaghafter kuss. aber
was ist das? der einem griechischen jüngling verdammt ähnliche berührt
ab und zu die brüste der jungfrau, die, weil es der erste freund und sie
dementsprechend völlig unerfahren in bezug auf sexualität, nicht weiß, wie
sie reagieren soll. also lässt sie es geschehen. er, der das weiß, spielt diesen vorteil aus. meine blase meldet sich und so wanke ich zum klo. kaum
dort angekommen, muss ich feststellen, dass auch hier einiges im argen
ist: eine kotz- und urinlache auf dem boden. als ich dies bemerke, stehe
ich längst drin. ich ignoriere diesen umstand und versuche souverän wie
möglich zurück zu meiner couch zu schlendern, denn die gefahr, mit dieser schweinerei in verbindung gebracht zu werden, berührt mich peinlich.
ich nehme einen kräftigen schluck aus meinem glas – ich habe es noch
nicht wieder abgestellt, da werde ich schon hässlich von der seite gemustert. „der typ da“, sagt eine der prinzessinen, „hat im klo auf den boden
gekotzt.“ ich wehre mich nicht dagegen, denn getroffene hunde bellen. und
so bleibt mir nichts anderes, als schnellstmöglich den rückzug anzutreten.
das schwarze halblange haar in fettigen strähnen im gesicht. sie keuscht.
sie ist gerade drei stockwerke nach unten gestiegen und, ich schätze, vierzig meter bis zur ampel gelaufen. ich kann sie auf der anderen seite der
kreuzung hören. ihre brille ist beschlagen, auf ihrer oberlippe haben sich
gut sichtbare schweißperlen gebildet. die ampel schaltet auf grün. mit einem stöhnen setzt sie sich in bewegung. die analogie zu einem nassen sack
kommt mir in den sinn. während wir uns aufeinander zu bewegen, ich
suche in meiner rechten manteltasche schon nach dem schlüssel, fällt mir
die dunkelbraune, glänzende warze auf ihrer stirn auf. sie bemerkt meinen blick, der halb angeekelt, halb interessiert, ihr nicht gefallen kann. sie
starrt mir direkt in die augen. ihre zusammen gekniffen, fast grimmig, so,
als wollte sie mir zu verstehen geben: schau dich an. sie hat recht. mein
haar ungekämmt, tiefe ränder unter den augen, mein sakko mit undefinierbaren ins gelbliche tendierenden flecken. sie stampft an mir vorbei, muss
aufpassen, durch ihre in eine völlig andere richtung schaukelnden brüste
nicht das gleichgewicht zu verlieren, denke ich. ein süßlicher, bissiger geruch weht ihr nach – schweiß – die bewegung fordert ihren tribut. auf der
anderen seite der kreuzung drehe ich mich im gehen um und schaue ihr
nach. ihr körper biegt sich nach rechts, nach links. wie ein baum, der sich
kurz bevor er gefällt wird nicht entscheiden kann, wo er zu boden geht.
dabei übersehe ich allerdings den gullideckel, dem ich jedes mal, wenn ich
kurz vor meinem block, konzentriert auf die suche nach meinem schlüssel,
ausgewichen bin. ich gehe zu boden. mit mir mein beutel. die nun auslaufende flüssigkeit, lässt mich vermuten, dass mindestens fünf der acht
flaschen bier zu bruch gegangen sind. viel schlimmer aber als dieser umstand, muss das geräusch gewesen sein, denn nicht nur die dicke, sondern
alle anderen passanten in näherer umgebung drehen sich nach mir um.
[2009]
Eine Kurzgeschichte mit maximal 500 Wörtern - das ist der Rahmen, den Erik Münnich
sich für seine Flash Fiction gesetzt hat. Zwei
seiner bislang unveröffentlichten Stories eröffnen ein „Sommer-Feuilleton“, das im wesentlichen aus literarischen Texten besteht.
Neben zwei Rezensionen haben wir Lyrik von
Georg Trakl, Prosa von Jack London und den
Beginn eines Romanes von Edgar Wallace.
Wer sich schon auf einen weiteren Teil der
Serie über David Foster Wallace gefreut hat,
muss sich noch ein paar Wochen gedulden.
[2009]
28
© wasser-prawda
Feuilleton
Georg Tr akl - Psalm
Karl Kraus zugeeignet
Es ist ein Licht, das der Wind ausgelöscht hat.
Es ist ein Heidekrug, den am Nachmittag ein Betrunkener verläßt.
Es ist ein Weinberg, verbrannt und schwarz mit Löchern voll Spinnen.
Es ist ein Raum, den sie mit Milch getüncht haben.
Der Wahnsinnige ist gestorben. Es ist eine Insel der Südsee,
Den Sonnengott zu empfangen. Man rührt die Trommeln.
Die Männer führen kriegerische Tänze auf.
Die Frauen wiegen die Hüften in Schlinggewächsen und Feuerblumen,
Wenn das Meer singt. O unser verlorenes Paradies.
Die Nymphen haben die goldenen Wälder verlassen.
Man begräbt den Fremden. Dann hebt ein Flimmerregen an.
Der Sohn des Pan erscheint in Gestalt eines Erdarbeiters,
Der den Mittag am glühenden Asphalt verschläft.
Es sind kleine Mädchen in einem Hof in Kleidchen voll herzzerreißender Armut!
Es sind Zimmer, erfüllt von Akkorden und Sonaten.
Es sind Schatten, die sich vor einem erblindeten Spiegel umarmen.
An den Fenstern des Spitals wärmen sich Genesende.
Ein weißer Dampfer am Kanal trägt blutige Seuchen herauf.
Die fremde Schwester erscheint wieder in jemands bösen Träumen.
Ruhend im Haselgebüsch spielt sie mit seinen Sternen.
Der Student, vielleicht ein Doppelgänger, schaut ihr lange vom Fenster nach.
Hinter ihm steht sein toter Bruder, oder er geht die alte Wendeltreppe herab.
Im Dunkel brauner Kastanien verblaßt die Gestalt des jungen Novizen.
Der Garten ist im Abend. Im Kreuzgang flattern die Fledermäuse umher.
Die Kinder des Hausmeisters hören zu spielen auf und suchen das Gold des Himmels.
Endakkorde eines Quartetts. Die kleine Blinde läuft zitternd durch die Allee,
Und später tastet ihr Schatten an kalten Mauern hin, umgeben von Märchen und heiligen Legenden.
Es ist ein leeres Boot, das am Abend den schwarzen Kanal heruntertreibt.
In der Düsternis des alten Asyls verfallen menschliche Ruinen.
Die toten Waisen liegen an der Gartenmauer.
Aus grauen Zimmern treten Engel mit kotgefleckten Flügeln.
Würmer tropfen von ihren vergilbten Lidern.
Der Platz vor der Kirche ist finster und schweigsam, wie in den Tagen der Kindheit.
Auf silbernen Sohlen gleiten frühere Leben vorbei
Und die Schatten der Verdammten steigen zu den seufzenden Wassern nieder.
In seinem Grab spielt der weiße Magier mit seinen Schlangen.
Schweigsam über der Schädelstätte öffnen sich Gottes goldene Augen.
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© wasser-prawda
Feuilleton
Edgar Wallace
A.S. der Unsichtbare
The Valley of Ghosts (1922)
Kriminalroman
Aus dem Englischen übertragen von
Ravi Ravendro
1
Der Zufall und ein schnelles Auto brachten Andrew Macleod in die Gegend
von Beverley. Die Stadt selbst liegt am Ende einer kleinen Nebenstrecke
der Eisenbahn. Sie hat eigentlich keine ersichtliche Existenzberechtigung
und auch keine nennenswerten Einnahmequellen. Aber trotzdem leben
die Einwohner und sind bis jetzt noch nicht verhungert. Im Gegenteil,
die Besitzer der kleinen, sauberen Läden, die an der einzigen breiten und
schattigen Hauptstraße liegen, scheinen gute Geschäfte zu machen. Die
Bewohner des vornehmen Vororts Beverley Green geben ihnen allerdings
nichts zu verdienen, denn sie besorgen ihre Einkäufe in großen Warenhäusern und kommen höchstens herein, wenn sie etwas vergessen haben und
eilig benötigen.
Andy brachte seinen großen Wagen vor dem Postgebäude zum Stehen
und stieg aus. Fünf Minuten lang telefonierte er mit Scotland Yard über
Alison John Wicker, der als ›Vieraugen-Scottie‹ bekannt war. Diesen Spitznamen hatte der Mann erhalten, weil er eine Brille trug.
Als der geschäftsführende Direktor des Agent Diamond Syndicate an einem Montagmorgen sein Büro betrat, entdeckte er, daß jemand in der
Zwischenzeit dort gewesen war und ihm die Mühe abgenommen hatte, den
großen, feuer- und diebessicheren Geldschrank zu öffnen. Es war allerdings
nicht der Schlüssel, sondern Thermit und ein Sauerstoffgebläse dazu verwendet worden. Dieser Einbruch sah so unzweifelhaft nach Scotties Arbeit
aus, daß er ebensogut eine Quittung über die sieben gestohlenen Päckchen
Brillanten hätte zurücklassen können. Alle Bahnhöfe und Überseehäfen
des Landes wurden durch besondere Polizeibeamte scharf überwacht, die
Fremdenlisten der Hotels und Gasthäuser wurden durchforscht und alle
Polizeistationen alarmiert. Andy Macleod war gerade auf Urlaub gewesen.
Er hatte sich mit seinen Angelgeräten und einem großen Stoß Bücher aufs
Land zurückgezogen. Ganz unerwartet hatte man ihn nun aus den Ferien
zurückgeholt, um die Nachforschungen nach Scottie zu leiten.
Dr. Macleod war zuerst als Pathologe in die Dienste von Scotland Yard
getreten, aber im Laufe der Zeit war ein Detektiv und Verbrecherfänger
aus ihm geworden, ohne daß er selbst wußte, wie das eigentlich gekommen
war. Offiziell war er jedoch immer noch Arzt und erschien bei Prozessen als
Zeuge, um die Todesursache der Ermordeten zu bekunden. Inoffiziell aber
nannte ihn auch der jüngste Polizist nicht ›Doktor‹, sondern nur ›Andy‹.
»Vor drei Tagen ist er zu Fuß durch Panton Mills gekommen. Ich bin
ganz sicher, daß es Scottie war«, sagte er. »Ich durchsuche nun den Landstrich von hier bis Three Lakes. Die hiesigen Polizeibeamten schwören, daß
er nicht in der Nähe von Beverley sei, was heißt, daß er sich direkt vor ihrer
Nase herumgetrieben hat. Es sind überhaupt Leuchten; sie fragten mich
allen Ernstes, ob er denn schon wieder etwas verbrochen habe, und dabei
haben sie bereits vor einer Woche den Bericht über den Einbruch mit allen
Einzelheiten sowie eine genaue Personalbeschreibung Scotties erhalten.«
In diesem Augenblick betrat eine junge Dame das Postamt. Andy betrachtete sie voller Bewunderung durch das seitliche Fenster der Telefonzelle. Anziehend – hübsch – schön? fragte er sich. Die meisten Frauen sehen in einem eleganten Kostüm am vorteilhaftesten aus. Sie war groß und
schlank.
»Ja, ich glaube«, antwortete er seinem Vorgesetzten mechanisch, denn
seine Gedanken und seine Aussagen waren jetzt bei diesem Mädchen.
Sie hob ihre Hand, und er sah einen Ring am vierten Finger ihrer linken
Hand aufblitzen. Es war ein Goldreif mit eingesetzten Smaragden – oder
sollten es etwa Saphire sein –, nein, er sah deutlich den meergrünen Schimmer, es waren Smaragde.
Nachdem der geheime Teil seines Berichtes erledigt war, öffnete er die
Telefonzelle ein wenig und lauschte mit einem Ohr auf den Klang ihrer
Stimme.
Sie ist wirklich außerordentlich schön, entschied er und bewunderte ihr
Profil.
Dann ereignete sich etwas Merkwürdiges. Auch sie mußte ihn beobachtet
haben, während er nicht hingesehen hatte. Vielleicht fragte sie jetzt, wer
er sei. Andy hatte dem mitteilsamen Postbeamten seine Karte gezeigt, um
schneller mit London verbunden zu werden. Der Mann würde ihr sicher
bereitwillig Auskunft geben. Andy hörte, wie das Wort ›Detektiv‹ fiel. Er
konnte jetzt ihr Gesicht deutlich sehen.
»Detektiv!« Sie flüsterte nur, aber er hörte es doch und sah sie an. Sie war
blaß geworden und mußte sich an der Kante des Schalterbrettes festhalten.
Er war so bestürzt, daß er den Hörer vom Ohr nahm. In diesem Augenblick wandte sie sich ihm zu und begegnete seinem Blick. Er las Furcht,
Entsetzen und Schrecken in ihren Augen. Ein gequälter Ausdruck lag auf
ihren Zügen, als ob er sie irgendwie überrascht und gefangen hätte. Sie
schaute verlegen fort und machte sich mit dem Geld zu schaffen, das sie herausbekommen hatte. Ihre Hände zitterten aber so sehr, daß sie schließlich
ihre hohle linke Hand unter das Schalterbrett hielt und die Münzen mit
der rechten hineinstrich. Dann verließ sie eilig das Postamt.
Andy kam es gar nicht zum Bewußtsein, daß am anderen Ende der Leitung ein erstaunter Beamter saß, der dauernd auf den Haken drückte und
weitersprechen wollte. Andy hängte einfach den Hörer an und trat an den
30
© wasser-prawda
Feuilleton
Schalter.
»Wer war die Dame?« fragte er, während er die Gebühr für sein Gespräch
bezahlte.
»Das war Miss Nelson aus Beverley Green. Ein herrlicher Platz, Sie müßten sich ihn einmal ansehen. Es wohnen viele reiche Leute dort, zum Beispiel Mr. Boyd Salter – haben Sie schon von dem gehört? Und dann Mr.
Merrivan, auch sehr wohlhabend, aber ein wenig geizig – na –, und dann
leben noch allerlei Herrschaften da. Es ist eine Art – wie soll ich sagen –
Villenkolonie – eine Gartenstadt! Das ist der richtige Ausdruck. Da gibt‘s
einige der größten und schönsten Häuser der ganzen Grafschaft. Die Familie Nelson ist schon seit Jahren dort ansässig, lange bevor die Gartenstadt
gegründet wurde. Ich kann mich noch deutlich an Nelsons Großvater erinnern, das war ein netter Mann.«
Der Postbeamte war im besten Zuge, Andy genaue Biographien der bekannten Leute von Beverley Green zu geben, aber der Detektiv wollte das
junge Mädchen noch sehen und beendete seine Unterhaltung etwas schroff.
Er sah sie draußen eilig davongehen und vermutete, daß der Bahnhof ihr
Ziel war.
Sein Interesse und seine Verwunderung waren geweckt. Wie sollte er sich
ihre Aufregung und Bestürzung erklären? Was hatte sie denn von einem
Detektiv zu fürchten? Warum hatte sie ihn mit solchem Entsetzen angesehen?
Es war Zeitverschwendung, sich darüber Gedanken zu machen. In diesen
malerischen kleinen Städten, die dem großen Weltgetriebe so fern lagen,
schien der Strom des Lebens so idyllisch und sanft dahinzugleiten, unberührt von den leidenschaftlichen Stürmen, die die großen Städte in Aufruhr versetzen.
Das kleine Wörtchen ›Detektiv‹ hatte doch nichts Schreckliches für Leute, die das Gesetz achten!
»Hm!« sagte Andy und rieb sich nachdenklich das glattrasierte Kinn.
»Auf diese Weise werde ich Scottie wohl nicht fangen!«
Er verließ den Ort in seinem Auto, um erst die Hauptstraße ein Stück
entlangzufahren und dann mit der systematischen Durchsuchung der vielen kleinen Nebenwege zu beginnen.
Er war etwas mehr als zwei Kilometer von Beverley entfernt, als er langsamer fuhr, um eine scharfe Kurve zu nehmen. In dem Augenblick sah er
zu seiner Rechten eine breite Öffnung in der Hecke, die die Straße einfaßte. Ein bequemer Weg, der zu beiden Seiten mit Bäumen bestanden
war, zweigte hier ab; er war von wohlgepflegten Rasenstreifen eingefaßt,
schlängelte sich weithin und verschwand dann im hügeligen Gelände. Ein
Wegweiser trug die Aufschrift ›Privatweg nach Beverley Green‹.
Andy hatte die Abzweigung schon hinter sich und fuhr nun ein Stück
rückwärts. Nachdenklich betrachtete er die Aufschrift und bog dann in
die Straße ein. Es war kaum anzunehmen, daß Scottie diesen Weg eingeschlagen hatte. Allerdings war er ein Mann, der jede günstige Gelegenheit
wahrnahm. Und in Beverley Green wohnten viele reiche Leute. Auf diese
Weise versuchte Andy, seinen Abstecher vor sich selbst zu entschuldigen,
obwohl er sehr gut wußte, daß ihn nur seine persönliche Neugierde vom
Weg abführte. Er wollte das Haus sehen, in dem sie lebte. In welchen Verhältnissen mochte sich ihr Vater befinden?
Der Weg beschrieb viele Windungen, und endlich brachte ihn eine ungewöhnlich scharfe Kurve zum Ziel. Beverley Green breitete sich in all seiner
sommerlichen Schönheit plötzlich vor ihm aus. Andy fuhr jetzt so langsam,
daß ein Fußgänger neben dem Wagen hätte hergehen können. Vor ihm lag
ein ausgedehnter Platz, der von einer ununterbrochenen Reihe blühender
Sträucher eingefaßt war. Etwa zehn Meter von der Straße entfernt begann
ein Golfplatz, der sich wahrscheinlich das ganze Tal entlangzog. Mitten im
Grünen, halb verdeckt durch die umgebenden Bäume, standen mehrere
Villen. Hier schaute ein Giebel aus den Bäumen hervor, dort schimmerte
ein Fensterkreuz durch das Laub. Anderswo sah er kunstvolles Fachwerk.
Andy schaute sich um, ob er nicht jemand um Auskunft fragen könne,
denn die Straße teilte sich jetzt ... An der Ecke lag ein sauber mit Schindeln
verkleidetes Gebäude, das den Eindruck eines Klubhauses machte. Er stieg
eben aus, um die Ankündigungen am Torpfosten zu lesen, als ein Herr um
die Ecke bog.
Ein wohlhabender Kaufmann, der sich zur Ruhe gesetzt hat, dachte Andy.
Trägt schwarze Alpakajacke, breite Schuhe, hohen steifen Kragen, doppelte
goldene Uhrkette. Sehr von sich eingenommen und äußerst verwundert
über mein Eindringen in diese elysischen Gefilde.
Der Herr sah Andy ernst an, aber es war keine Ablehnung in seinem
Blick.
Sein Alter konnte zwischen fünfundvierzig und sechzig liegen. Sein großes, glattes Gesicht zeigte keine Falten, sein Gang war lebhaft und seine
Haltung ausgezeichnet, so daß Andy zuerst nichts von seiner Anlage zur
Korpulenz wahrnahm.
Ein freundlicher Gruß zeigte Andy, daß er hier gut aufgenommen werden
würde.
»Guten Morgen, Sir«, begann der Herr. »Sie scheinen hier jemand zu
suchen? In Beverley kann sich ein Fremder nur schwer zurechtfinden. Es
gibt hier nämlich weder Straßennamen noch Hausnummern.« Er lachte
behaglich.
»Ich wollte eigentlich niemand aufsuchen«, entgegnete Andy. »Ich bin
aus reiner Neugierde hierhergefahren. Es ist ein herrliches Fleckchen Erde.
Ich habe in Beverley schon viel davon gehört.«
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© wasser-prawda
Feuilleton
Der andere nickte geschmeichelt. »Es kommen nur selten Fremde hierher
zu Besuch – beinahe hätte ich gesagt, glücklicherweise. Der Grund und
Boden hier gehört mir und meinen Freunden und Nachbarn. Es gibt kein
Hotel, das Fremde in Versuchung führen könnte, sich hier aufzuhalten.
Aber wir haben unser Gästehaus.« Er zeigte auf das von Grün umsponnene
Gebäude, das Andy für einen Klub gehalten hatte. »Wir unterhalten es
gemeinsam für Besucher. Manchmal können wir nicht alle unsere Freunde
unterbringen, und dann wohnt auch wieder nur eine einzige Person dort,
die dann gewissermaßen Gast unseres kleinen Gemeinwesens ist. Augenblicklich hält sich zum Beispiel ein bedeutender kanadischer Geologe bei
uns auf.«
»Ein glücklicher Mann – und eine glückliche Gemeinde. Sind alle Häuser hier bewohnt?«
Andy stellte diese Frage, obwohl er sich die Antwort darauf selbst geben
konnte.
»Aber natürlich! Das letzte Haus dort links gehört dem großen Architekten Pearson, der sich jetzt allerdings zur Ruhe gesetzt hat. Das nächste
mit dem spitzen Giebel bewohnt Mr. Wilmot, ein Herr – nun, ich kann
Ihnen leider nicht genau sagen, welchen Beruf er hat, obwohl er mein eigener Neffe ist. Ich weiß nur, daß er eine Stellung oder ein Geschäft in der
Stadt hat. Das Haus nebenan mit den Kletterrosen ist das Eigentum von
Mr. Nelson – Kenneth Leonard Nelson –, Sie haben sicher schon von ihm
gehört.«
»Der bekannte Maler?« fragte Andy interessiert.
»Ja, ein großer Künstler. Er hat hier sein Atelier, aber Sie können es von
hier aus nicht sehen, es liegt auf der Nordseite. Künstler bevorzugen sie zur
Arbeit, soviel ich davon verstehe. Dann das Gebäude dort hinten an der
Ecke – dort zweigt ein ziemlich breiter Weg zu den Tennisplätzen ab – ist
mein Heim«, sagte er zufrieden.
»Was ist denn das für ein großes Gebäude an der Seite des Hügels?« fragte
Andy – und überlegte schnell: Ihr Vater war also der Maler Nelson. Was
hatte er doch über ihn erfahren? Der Name rief irgendeine unangenehme
Erinnerung in ihm wach.
»Das Haus auf dem Hügel? Das gehört leider nicht zu unserer Gemeinde.
Das ist der hochherrschaftliche Adelssitz, um den wir anderen bescheidenen Landbewohner unsere Hütten gebaut haben.« Der Vergleich schien
ihm so zu gefallen, daß er noch einmal sagte: »Unsere kleinen Hütten.«
Dann fuhr er fort: »Das Schloß dort wird von Mr. Boyd Salter bewohnt,
dessen Familie in dieser Gegend seit Jahrhunderten ansässig ist. Die Salters
stammen aus – aber ich will Sie nicht mit ihrer Geschichte belästigen. Mr.
Boyd Salter ist ein sehr reicher Mann, aber leider Invalide.«
Andy nickte höflich.
»Sehen Sie, dort kommt unser Gast, Professor Bellingham. Nebenbei bemerkt, mein Name ist Merrivan.«
Das war also Mr. Merrivan. Der Postbeamte hatte ihn ›sehr wohlhabend,
aber ein wenig geizig‹ genannt.
Andy betrachtete den näher kommenden kanadischen Geologen – einen
hageren Mann mit bauschigen Breeches. Seine Haltung war etwas gebeugt,
was wohl von seiner Arbeit am Studiertisch kommen mochte.
»Er war wieder draußen in den Bergen und hat Versteinerungen gesammelt. Er hat schon eine ganze Menge hier gefunden«, erklärte Mr. Merrivan.
»Ich glaube, ich kenne ihn sehr gut«, erwiderte Andy, der plötzlich großes
Interesse für den Fremden zeigte.
Er ging dem Professor entgegen. Als er nur noch einige Schritte von ihm
entfernt war, schaute der Gelehrte auf und stutzte.
»Peinliche Sache, Scottie«, sagte Andrew Macleod mit schlecht gespieltem Bedauern. »Wollen Sie hier eine Szene machen, oder soll ich Sie irgendwohin zum Mittagessen mitnehmen?«
»Wenn Sie gestatten, daß ich eben noch auf mein Zimmer gehe und mein
Gepäck in Ordnung bringe, so werde ich Sie begleiten. Ich sehe, Sie haben
ein Auto, aber ich möchte lieber zu Fuß gehen.«
Andy sagte nichts, bis sie zu Merrivan kamen.
»Professor Bellingham will mir einige interessante Funde zeigen«, erklärte
er dann liebenswürdig. »Ich danke Ihnen verbindlichst für Ihre Freundlichkeit.«
»Vielleicht kommen Sie wieder einmal hierher – ich würde Sie dann gerne in Beverley Green herumführen.«
»Das wäre mir ein großes Vergnügen.« Es war keine Höflichkeitsphrase,
sondern Andys wirkliche Meinung.
Er stieg hinter Scottie die Treppe des Gästehauses hinauf und folgte ihm
in das hübsche Zimmer, das ›Professor Bellingham‹ zwei Tage lang bewohnt
hatte.
»Mißtrauen ist der Fluch unserer Zeit«, beklagte sich Scottie bitter.
»Glaubten Sie etwa, daß ich nicht wieder zu Ihnen hinuntergekommen
wäre, wenn Sie mich allein gelassen hätten?«
Scottie war mitunter kindisch, und Andy gab sich gar nicht die Mühe,
auf diese Frage zu antworten.
Ein Ausdruck gekränkter Unschuld lag auf den Zügen des großen Mannes, als er in den Wagen stieg.
»Es gibt zu viele Autos jetzt«, beschwerte er sich. »Durch unvorsichtiges
Fahren kommen täglich Hunderte um. Was wollen Sie eigentlich von mir,
Macleod? Was Sie auch gegen mich vorbringen mögen, ich habe in jedem
Fall ein Alibi.«
»Wo haben Sie das her? Haben Sie es auch bei den Versteinerungen gefunden?« fragte Andy.
Scottie hüllte sich in würdevolles Schweigen.
32
Fortsetzung folgt.
Im Sommer ist einfach Zeit, mal wieder einen
Krimi zu schmökern und nicht immer nur die
hohe Kunst im Auge zu behalten.
Die Fotos zeigen Aufnahmen aus Beverly: Die schwarze Mühle und
die St. Marys Church.
© wasser-prawda
Feuilleton
Jack London
Auf der R ast
To the Man on Trail
Aus dem Englischen von Peter Friedrich
»Kipp es rein.«
»Aber hör mal, Kid, wird das nicht n bisschen zu stark? Whisky und
Alkohol ist schon schlimm genug, aber auch noch Brandy und Pfeffersauce
–«
»Kipp es rein. Mach ich den Punsch oder du?« Und Malemute Kid lächelte milde durch die Dampfwolken hindurch. »Wenn du erst mal so lang
wie ich im Land bist, mein Sohn, und von Kaninchenspuren und Lachsbauch gelebt hast, wirst du lernen, dass nur einmal im Jahr Weihnachten
ist. Und Weihnachten ohne Punsch, das ist wie n tiefer Schacht ohne Goldader.«
»Immer noch eins druff,« stimmte Big Jim Belden zu, der extra von
seinem Claim am Mazy May gekommen war, um Weihnachten zu feiern,
und der, wie jeder wusste, die letzten zwei Monate von Elchfleisch pur gelebt hatte. »Weißte noch das Gesöff, das wer uns bei de Tananas gepanscht
ham, hä?«
»Glaub schon. Jungs, der Anblick war die reine Freude, der ganze Stamm
stockbesoffen – und alles bloß wegen so ner herrlich vergorenen Mischung
aus Zucker und Sauerteig. Das war vor deiner Zeit,« sagte Malemute Kid
zu Stanley Prince gewandt, einem jungen Bergbauexperten, der seit zwei
Jahren im Land war. »Gab damals nicht eine einzige weiße Frau hier, und
Mason wollte heiraten. Ruths Vater war Häuptling der Tananas und hatte
was dagegen, genau wie der ganze Stamm. Haarige Sache. Na ja, hab ich
eben mein letztes Pfund Zucker hergenommen, und ein feineres Stöffchen
hab ich im Leben nicht gebraut. War das ne wilde Jagd, den Fluss runter
und über die Portagestrecke, hättste sehen sollen.«
»Und die Squaw?« fragte Louis Savoy, der hochgewachsene Franko-Kanadier plötzlich interessiert, denn er hatte im vergangenen Winter in Forty
Mile von diesem wilden Streich gehört.
Und so berichtete Malemute Kid, ein geborener Erzähler, die ungeschminkte Wahrheit über diese Brautentführung des Hohen Nordens.
Mehr als einer der rauhen Abenteurer spürte, wie es ihm eng ums Herz
wurde und ihn eine leise Sehnsucht nach sonnigeren, südlichen Gefilden
überkam, wo das Leben mehr versprach als den ewigen Kampf gegen Kälte
und Tod.
»Wir erreichten den Yukon unmittelbar nach dem ersten Eisgang,« kam
er zum Schluss, »und der ganze Stamm nur eine Viertelstunde hinter uns.
Aber das war unsere Rettung, denn der zweite Gang hat die Eisbarriere
oberhalb mitgerissen und sie saßen am anderen Ufer fest. Als sie dann endlich nach Nuklukyeto kamen, war die gesamte Station zu ihrem Empfang
bereit. Was die Zusammenführung des Paares betrifft, fragt Pater Roubeau
hier. Er hat die Zeremonie geleitet.«
Der Jesuit nahm die Pfeife aus dem Mund, konnte aber seiner Genugtuung nur mit patriarchalischem Lächeln Ausdruck geben, weil Protestanten
und Katholiken gleichermaßen wild applaudierten.
»Himmelarsch!« stieß Louis Savoy hervor, anscheinend völlig überwältigt von der Romantik der Geschichte. »La petite squaw; mon Mason brave. Himmelarsch!« Dann, als die ersten mit Punsch gefüllten Blechtassen
kreisten, sprang Bettles der Immerdurstige auf und stimmte sein bevorzugtes Trinklied von den Pfaffen und dem Saft der verbotenen Frucht an und
die anderen stimmten im trunkenen Chor mit ein.
Malemute Kids schauerliches Gebräu tat seine Wirkung. Die Männer
der Wildnis entspannten sich in seiner wärmenden Glut, und Witze, Lieder und Geschichten vergangener Abenteuer machten die Runde. Männer
aus einem Dutzend verschiedener Länder prosteten sich gegenseitig zu und
brachten Trinksprüche aus. Es war der Engländer Prince, der auf »Uncle
Sam, das frühreife Kind der Neuen Welt« trank. Der Yankee Bettles seinerseits trank auf »die Queen, Gott segne sie«, und gemeinsam stießen Savoy
und Meyers, der deutsche Händler, auf Elsaß und Lothringen an.
Dann stand Malemute Kid auf, die Blechtasse erhoben und richtete den
Blick auf das Ölpapier vor dem Fenster, das mit einer acht Zentimeter
dicken Eisschicht bedeckt war. »Ich trinke auf den Mann, der in einer solchen Nacht draußen unterwegs ist; auf dass ihm das Futter nie ausgehe,
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Feuilleton
seine Hunde nicht tot umfallen und seine Streichhölzer nie nass werden.«
Krack! Krack! – ertönte die vertraute Melodie aus HundepeitschenGeknall, dem jaulenden Geheul von Malemute-Schlittenhunden und dem
Knirschen eines Schlittens, der vor der Hütte stehenblieb. Die Unterhaltung erstarb, während sie den Fortgang der Ereignisse abwarteten.
»Ein alter Hase. Kümmert sich erst um seine Hunde und dann um sich,«
flüsterte Malemute Kid Prince zu, während sie zuschnappende Kiefer und
wolfsartiges Knurren und gellendes Gekläff vernahmen, das ihren erfahrenen Ohren sagte, dass der Fremde ihre Hunde weg prügelte, während er
seine eigenen fütterte.
Dann kam das erwartete Klopfen, scharf und zuversichtlich, und der
Fremde trat ein. Geblendet vom Licht zögerte er einen Moment in der Tür
und gab damit allen die Gelegenheit, ihn prüfend zu mustern. Er war eine
eindrucksvolle Persönlichkeit und eine sehr malerische dazu, in seiner arktischen Bekleidung aus Wolle und Pelzen. Mit seinen knapp einen Meter
neunzig, dazu passender Schulterbreite und mächtigem Brustkorb, seinem
glattrasierten, von der Kälte leuchtend rosa gefärbten Gesicht, den langen
Wimpern und weiß vereisten Augenbrauen und den lässig hochgeschlagenen Ohren- und Nackenklappen seiner Wolfsfellmütze sah er aus wie
der fleischgewordene Eiskönig, gerade der Nacht entsprungen. Über seine Mackinaw Jacke hatte er einen perlenbesetzten Gürtel mit zwei großen
Colt-Revolvern und einem Jagdmesser geschnallt, während er zusätzlich
zur unvermeidlichen Hundepeitsche noch ein rauchloses Gewehr trug, ein
großkalibriges Modell neuester Bauart. Als er eintrat, konnte jeder trotz
seines festen und elastischen Schrittes erkennen, dass er zu Tode erschöpft
war.
Eine nervöse Stille war eingetreten, aber sein herzliches »Tolle Stimmung, Jungs?« löste die Spannung und im nächsten Moment schüttelten
er und Malemute Kid sich die Hand. Obwohl sie sich nie begegnet waren,
hatten sie voneinander gehört und wussten, wen sie vor sich hatten. Bevor
er auf sein Anliegen zu sprechen kommen konnte, musste der Fremde erst
eine allseitige Vorstellung über sich ergehen lassen und eine Tasse Punsch
annehmen.
»Wie lange ist es her, dass dieser Korbschlitten mit drei Männern und
acht Hunden vorbeigekommen ist?« fragte er.
»Das sind jetzt genau zwei Tage. Sind Sie hinter ihnen her?«
»Ja, ist meine Meute. Haben sie mir direkt unter der Nase weggestohlen,
diese Gauner. Hab schon zwei Tage aufgeholt, - nächste Etappe erwisch ich
sie.«
»Glaum Se, die machen Trabbes?« fragte Belden, um die Konversation
am Laufen zu halten, da Malemute Kid bereits den Kaffeepott aufgesetzt
hatte und fleißig Speck und Elchfleisch briet.
Der Fremde klopfte vielsagend auf seine Revolver.
»Wann sin Se denn weg aus Dawson?«
»Um zwölf.«
»Letzte Nacht?« – Klar. Keine Frage.
»Mit-tag.«
Ein erstauntes Raunen ging durch den Raum. Dafür gab es auch allen
Grund – denn es war gerade erst Mitternacht und fünfundsiebzig Meilen
Marsch über raues Flusseis war wirklich nicht übel für zwölf Stunden.
Aber bald wurde das Gespräch allgemeiner, und Kindheitserinnerungen
wurden ausgegraben. Während der junge Fremde sein einfaches Mahl aß,
musterte Malemute Kid eindringlich sein Gesicht. Er brauchte nicht lange, um zu dem Schluss zu kommen, dass es anständig, ehrlich und offen
war und dass es ihm gefiel. Trotz seiner Jugend hatten sich tiefe Linien
der Mühsal und Entbehrungen eingegraben. Die blauen Augen waren im
Gespräch zwar liebenswürdig und sanft, enthielten aber eine Andeutung
jenes harten, stählernen Glitzerns, das sich im Kampf einzustellen pflegt,
vor allem, wenn die Chancen schlecht stehen. Der schwere Unterkiefer
und das kantige Kinn signalisierten kraftvolle Beharrlichkeit und Unbezwingbarkeit. Und obwohl die Eigenschaften des männlichen Löwen im
Vordergrund standen, fehlte auch nicht jene bestimmte Weichheit, jene
Andeutung von Weiblichkeit, die eine gefühlsbetonte Natur verrät.
»Und so ham ich un die alte Dame uns verbunden,« beschloss Belden
die atemberaubende Geschichte seiner Brautwerbung. »‘Da sin mer, Paps,‘
sacht se. ‚Un verdammt sollste sein,‘ sacht er zu ihr, und dann zu mir: ‚Jim,
hey du – du schaust jetzt, dasste aus die feine Klamotten kommst; ich will,
dass n gut Stück von die vierzig Morgen noch vorm Abendessen gepflügt
is.‘ Un dann geht er auf sie los un sacht, ‚Un du, Sal, jetzt aber Marsch an
die Pötte.‘ Un dann hat er n bisschen geschnieft un sie geküsst. Un ich war
sowas von glücklich, - aber dann sieht er mich wieder an un brüllt ‚Hey du,
Jim!‘. Un ich sach euch, ich war sowas von schnell in der Scheune.«
»Dann haben Sie Kinder drunten in den Staaten?« fragte der Fremde.
»Nöh. Sal is gestorben, bevor welche kamen. Deshalb bin ich hier.« Belden versuchte zerstreut, seine Pfeife anzustecken, die aber gar nicht ausgegangen war. Dann fragte er, um sich auf andere Gedanken zu bringen: »Un
Sie, Fremder – verheiratet?«
Als Antwort klappte der seine Taschenuhr auf, fädelte sie von dem Riemen, der als Kette diente, und reichte sie Belden. Der stellte die Öllampe
größer, musterte das Innere des Deckels mit kritischen Augen und gab die
Uhr, bewundernd vor sich hin fluchend, an Louis Savoy weiter. Unter zahlreichen »Himmelarsch!« überließ dieser sie schließlich Prince, und sie bemerkten, dass seine Hände bebten und seine Augen einen seltsam weichen
Ausdruck annahmen. Und so wurde es von schwieliger Hand zu schwieliger
Hand weitergereicht – das eingeklebte Foto einer Frau, von der anschmiegsamen Art, die solche Männer bevorzugen, mit einem Kind an der Brust.
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Feuilleton
Alle, die dieses Wunder noch nicht erblickt hatten, brannten vor Neugier;
die es schon gesehen hatten, wurden still und lauschten in sich hinein. Sie
konnten unerschrocken Hungerqualen ins Auge sehen, dem Skorbut oder
dem schnellen Tod zu Land oder zur See. Aber das Abbild einer fremden
Frau mit ihrem Kind verwandelte sie alle in Frauen und Kinder.
»Hab den Kleinen noch nie gesehen – es ist ein Junge, sagt sie, und zwei
Jahre alt,« meinte der Fremde, als er seinen Schatz zurückbekam. Lange
Sekunden sah er ihn an, dann klappte er das Gehäuse zu und drehte sich
weg, aber nicht schnell genug, um die unterdrückten Tränen zu verbergen.
Malemute Kid zeigte ihm eine Pritsche, wo er sich hinlegen konnte.
»Wecken Sie mich um Punkt vier. Lassen Sie mich nicht im Stich,«
lauteten seine letzten Worte, und einen Augenblick später ertönte der tiefe
Atem des Schlafes der Erschöpfung.
»Herrgott, der hat vielleicht Mumm,« bemerkte Prince. »Drei Stunden
Schlaf nach fünfundsiebzig Meilen mit den Hunden und dann wieder auf
die Strecke. Wer ist er, Kid?«
»Jack Westondale. Ist seit drei Jahren in der Gegend und hat nichts zu
Buche stehen außer dem Ruf, wie ein Pferd zu arbeiten und jede Menge
Pech zu haben. Ich hab ihn nie kennengelernt, aber Sitka Charley hat mir
von ihm erzählt.«
»Ganz schön hart, dass ein Mann mit einem süßen jungen Frauchen wie
der seine Zeit in diesem gottverfluchten Loch vergeudet, wo jedes Jahr für
zwei in der übrigen Welt zählt.«
»Sein Problem ist zuviel Mumm und Sturheit. Er ist zweimal groß fündig geworden, hat aber beide Male alles wieder verloren.«
Hier wurde das Gespräch unterbrochen, weil Bettles wieder zu krakeelen begann. Die Wirkung hatte nachgelassen. Und bald waren die trostlosen Jahre einförmigen Essens und abstumpfender Plackerei bei rauer Fröhlichkeit vergessen. Nur Malemute Kid schien nicht richtig in Stimmung
zu kommen und warf immer wieder einen besorgten Blick auf die Uhr.
Einmal zog er seine Fäustlinge und die Biberfell-Mütze über, ging aus der
Hütte und durchstöberte sein verstecktes Fach.
Er konnte auch die ausgemachte Zeit nicht abwarten und weckte seinen
Gast eine Viertelstunde zu früh. Die Glieder des jungen Riesen waren steif
geworden, und Malemute Kid musste ihn kräftig abreiben, bevor er auf
die Beine kam. Er taumelte unter Schmerzen aus der Hütte und fand seine
Hunde bereits eingespannt vor, alles startbereit. Die Gruppe wünschte ihm
viel Glück und gute Jagd, und Vater Roubeau, nachdem er ihm hastig den
Segen erteilt hatte, führte eine hektische Flucht zurück in die Hütte an;
kein Wunder, denn es ist kein Spaß, sich mit nackten Händen und Ohren
einer Kälte von minus sechzig Grad auszusetzen.
Malemute Kid begleitete ihn noch bis zur Hauptschlittenspur, ergriff
herzlich seine Hand und gab ihm letzte Ratschläge.
»Auf Ihrem Schlitten finden Sie hundert Pfund Lachsrogen,« sagte er.
»Das reicht für die Hunde so lang wie hundertfünfzig Pfund Fisch, und
Sie können in Pelly kein Hundefutter bekommen, wie Sie wahrscheinlich
angenommen haben.« Der Fremde zuckte zusammen und seine Augen
blitzten auf, aber er redete nicht dazwischen. »Sie kriegen kein Gramm
Nahrung für Hund und Mensch bis Sie Five Fingers erreichen, und das
sind knochenharte zweihundert Meilen. Passen Sie am Thirty-Mile-Fluss
auf offenes Wasser auf und nehmen Sie auf jeden Fall die große Abkürzung
oberhalb von Le Barge.«
»Woher wussten Sie? Die Nachricht kann mir doch unmöglich vorausgeeilt sein.«
»Ich weiß gar nichts und will im Übrigen auch nichts wissen. Aber die
Hundemeute, hinter der Sie her sind, hat Ihnen nie gehört. Sitka Charley
hat sie den Kerlen im letzten Frühjahr verkauft. Aber er hat Sie mir mal als
ehrliche Haut beschrieben und ich glaube ihm. Ich habe ihr Gesicht gesehen und es gefällt mir. Und ich habe gesehen – ach, verdammt noch mal,
machen Sie Dampf, sehen Sie zu, dass sie Salzwasser erreichen und Ihre
Frau wiedersehen, und« – hier streifte Kid seinen Fäustling ab und zerrte
seinen Beutel heraus.
»Nein, das brauche ich nicht,« und Tränen gefroren auf dem Gesicht des
anderen, während er Malemute Kid krampfhaft die Hand schüttelte.
»Dann schonen Sie die Hunde nicht. Schneiden Sie sie aus dem Geschirr, sobald sie schlappmachen. Kaufen Sie neue, und denken Sie daran,
sie sind die zehn Dollar pro Pfund wert. Sie kriegen welche in Five Fingers,
Little Salmon und Hootalinqua. Und passen Sie auf nasse Füße auf,« war
sein letzter Ratschlag. »Solange es über minus dreißig hat, können Sie weiterfahren, aber drunter müssen Sie Feuer machen und die Socken wechseln.«
Es waren kaum fünfzehn Minuten vergangen, als Schellengeläut Neu-
ankömmlinge ankündigte. Die Tür ging auf und ein Offizier der berittenen Polizei des Northwest Territory trat ein, gefolgt von zwei halbblütigen
Hundeschlittenfahrern. Wie Westondale waren sie schwer bewaffnet und
zeigten Anzeichen von Erschöpfung. Die Hundetreiber waren für dieses
Leben geboren und ertrugen es mühelos, aber der junge Polizist stand am
Rande des Zusammenbruchs. Doch die verbissene Hartnäckigkeit seiner
Rasse trieb ihn zu dem Tempo an, das er sich vorgenommen hatte und
würde ihn weiter dazu treiben, bis er umkippte.
»Wann ist Westondale aufgebrochen?« fragte er. »Er hat hier gehalten,
oder?« Die Frage war überflüssig, denn die Spuren sprachen eine deutliche
Sprache.
Belden fing Malemute Kids Blick auf, roch den Braten und antwortete
ausweichend. »Schon ne ganze Weile her.«
»Kommen Sie schon, guter Mann; reden Sie,« ermahnte ihn der Polizist.
»Sie sin ja richtich wild auf ihn. Hatter was angestellt, drunten in Dawson?«
»Er hat Harry McFarland um vierzigtausend beraubt und das Geld dann
im P.C. Laden gegen einen auf Seattle gezogenen Scheck eingetauscht. Und
wer sollte ihn daran hindern, ihn einzulösen, wenn wir ihn nicht überholen? Wann ist er aufgebrochen?«
Aller Augen verbargen ihre Erregung, Malemute Kids Beispiel folgend,
und der junge Offizier begegnete allerseits nur steinernen Mienen.
Er ging zu Prince hinüber und stellte ihm dieselbe Frage. Obwohl es
ihn schmerzte, so in das offene, ernsthafte Gesicht seines Landsmanns zu
blicken gab er eine ausweichende Antwort, den Zustand der Schlittenspur
betreffend.
Dann entdeckte der Polizist Pater Roubeau, der nicht lügen durfte. »Vor
einer Viertelstunde,« erwiderte der Priester, »aber er hatte vier Stunden Erholung für sich und die Hunde.«
»Fünfzehn Minuten Vorsprung und er ist ausgeruht! Mein Gott!« Der
arme Kerl taumelte zurück und fiel vor Erschöpfung und Enttäuschung
halb in Ohnmacht. Er murmelte etwas über eine zehnstündige Fahrt von
Dawson, und dass die Hunde am Ende seien.
Malemute Kid nötigte ihm einen Becher Punsch auf; dann ging er zur
Tür und bedeutete den beiden Hundeschlittenfahrern, ihm zu folgen. Aber
die Wärme und Aussicht auf eine Pause waren zu verlockend, und sie weigerten sich standhaft. Kid verstand ihr französisches Patois und lauschte
angespannt dem Gespräch.
Sie fluchten, dass die Hunde erledigt seien; dass sie Siwash und Babette
erschießen müssten, noch bevor sie die erste Meile hinter sich hätten; dass
der Rest in beinahe genauso schlechtem Zustand sei und es für die ganze
Truppe besser wäre, sich erst mal auszuruhen.
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© wasser-prawda
Feuilleton
»Leihen Sie mir fünf Hunde?« fragte der Polizist an Malemute Kid gewandt.
Aber Kid schüttelte den Kopf.
»Ich stelle Ihnen einen Scheck auf Captain Constantine über fünftausend aus – hier sind meine Papiere – ich bin berechtigt, nach eigenem
Ermessen zu handeln.«
Abermals schweigende Ablehnung.
»Dann beschlagnahme ich sie im Namen der Königin.«
Mit ungläubigem Lächeln senkte Kid den Blick auf sein gut bestücktes
Waffenarsenal und als der Engländer erkannte, dass er hier machtlos war,
wandte er sich zur Tür. Aber da die Hundeschlittenfahrer weiterhin Widerspruch einlegten, fuhr er aufbrausend zu ihnen herum und nannte sie Weiber und räudige Köter. Das dunkelhäutige Gesicht des älteren Halbbluts
wurde rot vor Zorn, während er sich hochzog und in klaren, wohl gesetzten
Worten versprach, dass er seinen Anführer begleiten wolle, bis ihm die Beine abfielen, um ihn dann mit Vergnügen im Schnee zu begraben.
Der junge Offizier – und es erforderte seine ganze Willenskraft – ging
festen Schritts zur Tür und stellte eine Frische zur Schau, die er nicht besaß. Alle wussten es und bewunderten seine heroische Anstrengung; aber
er konnte den Schmerz nicht verleugnen, der sein Gesicht durchzuckte.
Die eisverkrusteten Hunde hatten sich im Schnee zusammengerollt und es
war fast unmöglich, sie auf die Beine zu bringen. Die armen Tiere jaulten
unter der Schlägen der Peitsche, denn die Hundeschlittenfahrer waren wütend und rücksichtslos. Und erst als sie Babette, die Leithündin, aus dem
Geschirr geschnitten hatten konnten sie den Schlitten in Bewegung setzen
und aufbrechen.
»So ein dreckiger Halunke und Lügner!« »Himmelarsch! Mistkerl!« »Ein
Dieb!« »Schlimmer als die Indianer!« Offenkundig waren sie wütend – erstens, weil man sie hinters Licht geführt hatte, und zweitens wegen der Mißachtung der Ethik des Hohen Nordens, wo Ehrlichkeit vor allem anderen
als das höchste Gut eines Mannes galt. »Und wir haben dem Kerl auch
noch geholfen, nachdem wir wussten, was er gemacht hat.« Alle Blicke
richteten sich anklagend auf Malemute Kid, der sich aus der Ecke erhob,
wo er es Babette gemütlich gemacht hatte und jetzt stumm die Schüssel zu
einer letzten Runde Punsch leerte.
»Es ist eine kalte Nacht, Jungs – eine bitterkalte Nacht,« verteidigte er
sich zusammenhanglos. »Ihr seid alle erfahrene Männer und wisst, was das
bedeutet. Man tritt keinen Hund, wenn er am Boden liegt. Ihr habt nur die
eine Seite gehört. Ein unschuldigerer Mann als Jack Westondale hat nie aus
demselben Topf gegessen wie ihr oder ich, oder unser Lager geteilt. Letzten
Herbst hat er seine gesamte Ausbeute, vierzigtausend, Joe Castrell mitgegeben, um sich am Dominion Creek einzukaufen. Heute wäre er Millionär. Aber während er in Circle City zurückgeblieben ist, um sich um den
zweiten Partner zu kümmern, der Skorbut hatte, was macht da Castrell?
Er geht zu McFarland’s, verliert den Kopf und verspielt alles. Am nächsten
Tag haben sie ihn tot im Schnee gefunden. Und der arme Jack hatte schon
Pläne gemacht, diesen Winter zu seiner Frau heim zu reisen und zu seinem
Sohn, den er noch nie gesehen hat. Euch ist sicher nicht entgangen, dass er
genau das genommen hat, was sein Partner verloren hat – vierzigtausend.
Na schön, er ist auf dem Heimweg, und was wollt ihr jetzt unternehmen?«
Kid ließ seinen Blick durch den Kreis seiner Richter schweifen, bemerkte, dass ihre Mienen weicher wurden und hob seine Tasse in die Höhe.
»Also auf das Wohl des Mannes, der in einer solchen Nacht draußen unterwegs ist; auf dass ihm das Futter nie ausgehe, seine Hunde nicht tot
umfallen und seine Streichhölzer nie nass werden. Gott sei sein Gedeih und
möge das Glück ihn begleiten und –«
»Nieder mit der berittenen Polizei!« brüllte Bettles beim Zusammenscheppern der leeren Becher.
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Die Fotos sind Aufnahmen aus der Zeit des Goldrauschs am
Klondike vom Ende des 19. Jahrhunderts.
© wasser-prawda
Bücher
Roman
Anna
Katharina
Hahn
Am
Schwarzen
Berg
Suhrkamp
Schwarzwurzeln auf
Eisbergspitzen
Stuttgart 21 ist ein fürchterliches Thema. Breitgetreten und schwabbelig beschäftigte der im Sommer 2010
eskalierte Streit um den Neubau des Hauptbahnhofs monatelang Medien, Gerichte, Zivilgesellschaften.
Die abschließende Nachlese freilich steht den Literaten zu. Klug und weit blickend tut dies die Stuttgarter Schriftstellerin Anna Katharina Hahn. „Am schwarzen Berg“ verscheucht den idiotisch austreibenden
Themenbusch „Stuttgart 21“ in die Peripherie, wo er essentiell auf seine Wurzel zurückgestutzt wird: Der
schlingernden Suche nach dem richtigen Leben. Eine Rezension von Ole Schwabe.
Es ist noch früh am Morgen, als sich Emil Bubs
Hände in das spröde Geländer im Stuttgarter
Vorort Burghalde krallen, sich Verstörung in ihm
ausbreitet, der Wunsch nach Whiskey vor dem
Frühstück den Anfang Sechzigjährigen zu Boden
sinken lässt.
Peter, der Sohn der Nachbarn und gleichzeitig
das Kind, das Emil und seine Frau Veronika nie
hatten, kehrt in sein Elternhaus zurück, Hab und
Gut in eine rostig-roten Fiat gepfercht.
„Er fühlte sich krumm und lächerlich, am Boden neben dem Blumenkübel. Seine Erinnerung
war voll von Peterbildern, doch keins glich dem,
was er eben gesehen hat.“
Bärtig und abgemagert, verschlossen und labil,
eine gemarterte Seele in einem zerschundenen
Körper. Rückblenden vor dem inneren Auge,
Peter am Küchentisch bei den Hausaufgaben,
die gemeinsamen Streifzüge durch Stuttgarter
hier findet er Trost vor den schulischen Erwartungen des Vaters und pubertären Stimmungsschwankungen. Für die kinderlos Gebliebenen
wird der Nachbarsjunge zum Lebensmittelpunkt
im sinnentleerten Alltag.
Doch keine Sorge: Eifersüchteleien zwischen
Noch aber blieb ihm eine Freude,
Erwachsenen um die Gunst eines HeranwachNachdem er Land und Meer bewegt,
senden stehen ebenso wenig im Fokus des RoWenn er bei Nacht auf oeder Heide
Die Sehnsucht seiner Seele pflegt.
mans wie der Streit um einen neuen Bahnhof.
Anna Katharina Hahn geht es um die großen
Da haengen ungeheure Ketten
Aus finstrem Wolkenraum herab,
Fragen: Wie beständig ist die Liebe in der Zwickmühle aus eigener Sozialisation und gesellschaftDran er, als muessten sie ihn retten,
lichen Veränderungen? Welche Abgründe tun
Sich schwingt zum Himmel auf und ab.
sich im Niemandsland zwischen Liebenden auf,
Zufällig waren dessen Eltern Hajo, der vielbe- wie schnell verpufft vermeintliche Nähe?
schäftigte Arzt mit eigener Praxis und Veronika,
Entgegen des väterlichen Wunschs wird Peter
die in der Rolle der Hausfrau verblühte, vor rund Logopäde und nimmt ganz bewusst „nur“ eine
dreißig Jahren neben die zurückgezogen lebenden Halbtagsstelle an, der Wunsch seine Söhne Ivo
Bubs gezogen. Man lebt fortan nachbarschaftlich und Jörn aufwachsen zu sehen ist stärker als der
nebeneinander, das verwilderte Grundstück von Karrieretrieb. An dieser Stelle schwappt der einEmil und Veronika wird zu Peters Rückzugsort, gangs erwähnte Bahnhofskonflikt in die Hand-
Antiquariate, das letzte Treffen in Peters Garten.
Gemeinsam rezitierten sie „Die Elemente“ von
Eduard Möhrike, mit dessen Leben und Werk
Emil das „Peterle“ früh vertraut machte.
37
© wasser-prawda
Bücher
lung, Peter wird begeisterter Baumbesetzer und
ein Streiter für den Erhalt des ursprünglichen
Schlossgartens.
„Ich muß mich nicht damit abfinden, nur im
kleinsten Kreis gegen den Strom zu schwimmen. Du weißt schon, man ist Vegetarier, Waldläufer, Konsum- und Schulverweigerer, aber im
Grunde ein armes Würstchen. Ein alternativer
Kasper ohne Einfluß, der Rad fährt und Ökowaschpulver benutzt.“
Schließlich verlässt ihn seine Frau Mia mit
samt den Kindern. Diesen erzählt sie frei erfundene Geschichten über die angebliche Untreue
des Papas. In Wahrheit ekelt sie sich vor seiner
vermeintlichen Antriebslosigkeit, seinem mangelnden Ehrgeiz im Beruf, der materiellen Ungewissheit und seinem Wunsch nach antiautoritärer
Erziehung der Kinder abseits staatlicher Schulen.
Die Plötzlichkeit ihrer Flucht streckt Peter nieder
und Hahn billigt ihm, der nach einer sinnstiftenden Art zu Lebens sucht, keine zweite Chance zu.
Denn schnell ist klar, dass das aus vier Personen bestehende, familiäre Netz keineswegs in der
Lage ist, den taumelnden Vierzigjährigen wirklich aufzufangen. Mutter Clara reklamiert die
eigene Aufopferung für ihren Sohn, Vater Hajos
emotionale Kapazität ertrank vor vielen Jahren
in Arbeit und manifestiert sich heute in Behandlungsprotokollen und beruflichem Ehrgeiz bei
der Medikamention des Verzweifelten. Beide verzehren sich in dem Wunsch, dass aus den Lebenstrümmern ihres Sohnes ein „normaleres“ Dasein
erwachsen möge.
„Paßt auf, zwischen Mia und Peter ist das letzte
Wort noch nicht gesprochen[...]. Wir könnten
ihnen doch ein Haus kaufen oder eine Wohnung. Das hat Peter ja immer abgelehnt. Er
wollte nie abhängig sein von uns.“
Tragischer als diese blinde Harmoniesucht der
Eltern ist das Unvermögen der Bubs, Peter zu
verstehen. Zwar ist ihr Blick nicht von materialistischen Wertvorstellungen oder bürgerlichen
Trugbildern vernebelt, wohl aber vom Alkohol.
Insbesondere Emil widerfährt eine detaillierte
Abarbeitung seiner Unzulänglichkeiten, welche
den verträumten Deutsch-und Geschichtslehrer
zum trinkenden, geistig umnachteten Zuschauer
eins Dramas werden lässt.
„Emil schwieg und wendete die Würste auf dem
Rost.“
Zurück bleibt hier wir dort breiige Abstumpfung. Und zwischen den Zeilen tropft sie zäh,
die scharfkantige Essenz:
Wer den Ausbruch aus der Leistungsgesellschaftt, dem ökonomischen Hamsterrad wagt,
steht schnell alleine da. Hajo und Clara stehen
für das saturierte Bürgertum, die Konservierenden Besitzstandwahrer. Emil und Veronika haben sich mit dem Gesellschaftssystem zwar nie
wirklich identifiziert, ihren frühen Fluchtweg aus
innerer Emigration, intellektuellem Suff und zugewucherter Kleinbürgerlichkeit jedoch nie verlassen.
„Im Keller verstaubten die Schriften von Adorno, Habermas und Erich Fromm neben den
Überlebenden der vorjährigen Apfelernte.“
Mia, Peters Frau, ist das hungrige, aus der
ärmlichen Enge der Unterschicht ausbrechende
Mädchen, voller Trotz und der Angst, später wie
die Mutter dickwadig und mit aufgequollenen
Wurstfingern die Klos reicher Frauen putzen zu
müssen. Jeder der auftretenden erscheint als Gefangener seiner eigenen „Welt“, welche im Falle
von Mia und irgendwie auch Peter deckungsgleich mit ihrer Herkunft ist.
Dass Hahn ihre Personen dennoch nicht in eine
dem Schicksal ausgelieferte Verantwortungslosigkeit entlässt, erfreut. Ebenso die Sprache: Fein,
aber fordernd. Leicht und vereinnahmend erzählt die Autorin große und kleine Geschichten,
bugsiert detailverliebte Szeneriestimmungen neben große Erkenntnisse. Ein klug komponiertes
Buch. Aufschlussreich sind seine Erzählperspektiven, bildhaft und hell seine Schilderungen. Nur
manchmal geraten die starken Stimmungsbilder
in Gefahr den Leser zu überfluten und vom unmittelbaren Fortgang der Handlung abzulenken.
Ähnlich verhält es sich mit Charaktereigenschaften und zwischenmenschlichen Begebenheiten
nebst Beziehungen. So trägt beispielsweise das
kurz angeschnittene, sexuelle Intermezzo zwischen Emil und Nachbarin Carla außer knittriger Verästelung der ansonsten dichten Rückblenden wenig Wichtiges zur Handlung bei.
Nach der Lektüre bleibt das Gefühl, berührt
worden zu sein. Nicht nur an schönen Stellen,
nicht auf sanfte Art und Weise. Eher hinterrücks
und flau. Doch wie beruhigt könnten wir in die
Zukunft blicken, wenn nur gewiss wäre, dass
„Am schwarzen Berg“ eines der Bücher sein wird,
welches im Rückblick auf die Jetztzeit bleibt. Wir
werden es sehen. Auch „Am schwarzen Berg“
stirbt die Hoffnung zuletzt. Doch sie stirbt.
Und auch die Elemente moegen,
Die gottversoehnten, jede Kraft
In Frieden auf und nieder regen
Die nimmermehr Entsetzen schafft;
Dann, wie aus Nacht und Duft gewoben,
Vergeht dein Leben unter dir,
Mit lichtem Blick steigst du nach oben,
Denn in der Klarheit wandeln wir.
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Anna Katharina Hahn mit
Koeppenpreis 2012 ausgezeichnet
Am 23. Juni ist Anna Katharina Hahn mit
dem Wolfgang Koeppen-Literaturpreis der
Stadt Greifswald ausgezeichnet worden. Der
mit 5000 Euro dotierte Preis wird alle zwei
Jahre verliehen. Ausgewählt wurde Hahn vom
letzten Preisträger Joachim Lottmann.
Dieser begründete seine Wahl damit, dass
Hahn präzise, unideologisch und gegenwärtig
schreibe. „Stuttgart 21 kommt vor, schwache
Vatermänner, die aber liebevoll zu ihren Kindern sind.“, heißt es weiter. Und: „Jeder führt
ein Leben, für das der Leser Verständnis hat.
Man sieht alle Beschädigungen und kann sich
nicht auf eine Seite schlagen.“ Wundervoll sei
das, „eben echte Literatur.“
Die Suche nach seiner Nachfolgerin bzw.
seinem Nachfolger – der Umstand, dass ein
ausgezeichneter Autor den nächsten auszeichnet, stellt im Übrigen eine Besonderheit im
Literaturbetrieb dar – gestaltete sich schwierig, wollte er mit seiner Wahl doch dem Geschmack des Namensgebers gerecht werden.
Erster Träger des Koeppenpreises war 1998
der am 24. Juni verstorbene Surrealist Richard
Anders. Damals wurde der Preis noch vom Falladaverein mit Unterstützung einer Baufirma
vergeben. Außerdem gehören Thomas Lehr,
Susanne Riedel, Ludwig Fels, Bartholomäus
Grill und Sibylle Berg zu den Preisträgern.
Erik Münnich
Anna Katharina Hahn - Am schwarzen Berg
Suhrkamp 2012
236 Seiten
ISBN-13: 978-3518422823
Euro 19,95 (gebundene Ausgabe)
Euro 16,99 (e-Book)
© wasser-prawda
Bücher
Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg
und verschwand
Mit der schönen Alliteration: „Man möchte meinen“ beginnt der schwedische Autor Jonas Jonasson – man bemerke auch diese Alliteration – seinen ersten Roman Der Hundertjährige, der aus
dem Fenster stieg und verschwand, der 2009 in
Schweden publiziert und 2011 in der deutschen
Übersetzung bei Carl´s Books erschien: Eine Reise durch die Welt, eine Reise durch ein Jahrhundert.
Der Titel hat mich begeistert – ein Buch, auf
dem wie in guten alten Zeiten auf dem Cover
steht, was den Leser erwartet. Kein Lust, kein
Schuld und Sühne, kein Der Alte oder irgendein
anderes nichtssagendes oder alles sagend wollendes Schlagwort. Nein: Allan Karlsson ist tatsächlich hundert Jahre alt, steigt auch wirklich aus
dem Fenster seines Altenheimes und verschwindet wirklich aus seiner Stadt. Was für nicht gerade wenig Aufsehen sorgt, schließlich verschwindet er ausgerechnet eine halbe Stunde bevor der
Stadtrat und Kollegen zu seinem hundertsten
Geburtstag gratulieren wollen.
Wiederholungen und Alliterationen sind rhetorische Elemente, die sich durch das ganze Buch
zu ziehen scheinen. Genauso wie das Erzählen
parallel laufender Handlungsstränge. „Mit der
Mode hatte er es nicht so. Aber das ist auch eher
selten in diesem Alter. Er war von seiner eigenen
Geburtstagsfeier ausgebüxt, was ja auch eher selten ist in diesem Alter. Nicht zuletzt deswegen,
weil der Mensch generell selten in dieses Alter
kommt.“ Nicht ganz einleuchtend stellt sich die
Gliederung des Werkes dar: 1. Kapitel, Montag,
2. Mai 2005; 2. Kapitel, Montag, 2. Mai 2005;
3. Kapitel, Montag, 2. Mai 2005; 4. Kapitel – oh
Wunder – 1905 bis 1929 – und dann wieder: 5.
Kapitel, Montag, 2. Mai 2005. Eine weitere Untergliederung erfolgt dann in innerhalb der Kapitel mit vier Sternchen, die jeweils einen Ortswechsel markieren. Unvermutet werden einzelne
Absätze durch Leerzeichen markiert – eine kleine
Kunstpause. Diese Inszenierung hat durchaus etwas Filmisches. So werden Wechsel in der Szenerie deutlich markiert und Jonasson spart sich
kunstvolle Übergänge.
Der alles überblickende Erzähler berichtet
nacheinander, was parallel beim flüchtigen Allan,
beim nervösen Stadtrat oder beim suchenden
Kommissar passiert. Und das ist allerhand. Die
Geschichte kommt ins Rollen, als Allan nebenbei
einen Koffer entwendet, der 50 Millionen Kronen enthält und damit bei einem Kleinkriminellen – der übrigens Julius Jonson heißt – in einem
alten Bahnhof landet. Die erste Leiche lässt nicht
lange auf sich warten: über Nacht ist der Kofferbesitzer in der Kühlkammer erfroren, was Allan
am Frühstückstisch mit einem: „Zu dumm. Aber
ich muss schon sagen, das Ei hast du perfekt hingekriegt.“ kommentiert. Bezeichnend für Allan,
mehr muss man dazu eigentlich gar nicht sagen.
Die Erzählung um Flucht und Jagd beginnt. Eine
verrückte und witzige Geschichte, die man lieber
selbst verfolgen sollte.
Aber natürlich steht bei einem hundertjährigen
Protagonisten auch die Themen Leben und Sterben im Raum, das Jonasson in seinem Roman
nicht auslässt. Etwas banal kommen Sätze wie,
„dass er ja auch ein andermal und anderswo sterben konnte“, „dass ihm der Gedanke ans Sterben
plötzlich wieder Angst machte“, „die Knie taten
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ihm weh, also war er wohl doch noch am Leben“
daher. Floskeln wie „für sein Alter“ erscheinen
überflüssig und dem Text wenig förderlich. Viel
spannender als sein faktisches Alter sind die Jahre, die hinter ihm liegen. Immer wieder werden –
im wahrsten Sinne – irre Geschichten aus seinem
Leben erzählt, die die Begebenheiten am 2. Mai
durchaus erklären und bereichernd illustrieren.
Wirft man einen Blick auf die Sprache, dann
wird ein mündlicher Sprachduktus deutlich.
Satzanfänge mit Konjunktionen – „weil das
ist so“ – und jede Menge umgangssprachlicher
Ausdrücke sowie zahlreiche Alliterationen, Wiederholungen und Parallelkonstruktionen auf
sprachlicher wie inhaltlicher Ebene machen das
Buch zu einer erheiternden, aber doch manchmal etwas schleppenden Leküre. Alles in allem
aber sehr gute Unterhaltung. Eine ideale Alternative zu Twilight oder anderen sinnfreien Zonen
für gemütliche Leseabende.
Kristin Gora
Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der
aus dem Fenster stieg und verschwand,
Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn
Carl´s Books 2011,
ISBN: 978-3-570-58501-6
14.99 EUR.
© wasser-prawda
Jürgen Buchmann:
Memoiren eines Münsterländer
Mastschweins
ISBN: 978-3-943672-00-8
54 Seiten; 14,8 x 21 cm
12,95 Euro
jürgen landt
alles ist noch zu
begreifen
jürgen landt:
alles ist nochzu begreifen
ISBN: 978-3-943672-01-5
120 Seiten 14,8 x 21 cm
13.95 Euro
edition plüsch aus