Performance Mai 2002
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Performance Mai 2002
Markt Rese Der vergesse „Nichts ist schmerzvoller als schöne Erinnerungen an schlechten Tagen.“ François VI. Duc de La Rochefoucauld, französischer Schriftsteller (1613-1680) „Alles hat zwei Seiten. Aber erst wenn man erkennt, daß es drei sind, erfaßt man die Sache.“ Heimito von Doderer, österreichischer Erzähler und Epiker (1896-1966) „Es ist nicht immer angenehm, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Aber es ist auf jeden Fall nützlich.“ Cyrus Roberts Vance, früherer US-Außenminister (1917-2002) 03 Wir müssen es gestehen, wir haben den zweiten Jahrestag der Allzeithochs zahlreicher Aktienindizes schlicht vergessen. Eine Feier scheinen wir aber nicht verpaßt zu haben. Dennoch holen wir verspätet ein paar Worte des Gedenkens nach. Am 7. März 2000 erreichte der DAX 8136 Punkte. Am 10. März 2000 wurden wir Zeugen von geradezu märchenhaften 8546 Zählern im NEMAX und 5132 Punkten an der Nasdaq. Der S&P 500 folgte am 24. März 2000 mit 1553 Punkten. Nur dem Dow Jones war bereits am 14. Januar 2000 bei 11750 die Luft ausgegangen. Und der japanische Nikkei? Mit 38957 Punkten erreichte dieser Index, damals in aller Munde, auch wenn das heute fast unglaublich klingt, sein Allzeithoch am 29. Dezember 1989. Jedes dieser Daten wird uns unvergeßlich bleiben. An diesen Tagen starben nicht nur schnöde Bullenmärkte, nein, historische Spekulationsblasen erreichten ihre jeweiligen Kulminationspunkte, eine Finanzmarktepoche ging zu Ende. Der Übergang vom säkularen Aufwärts- in den säkularen Abwärtstrend vollzog sich unbemerkt von den meisten Marktteilnehmern und -beobachtern. Langsam aber unaufhaltsam entfaltete sich der Tragödie erster Teil, den wir die Phase des Unglaubens nennen wollen, und in der wir uns unserer Meinung nach noch immer befinden. Sie ist gekennzeichnet durch die noch allzu süße Erinnerung an steigende Kurse, eine Erinnerung, von der die meisten sich nur unter Zwang verabschieden werden. Fast niemand will den noch so jungen Abwärtstrend als die neue Realität akzeptieren, und die Cheerleader jedweder Provenienz beschwören immer wieder die guten und noch nicht so alten Zeiten des Bullenmarktes herauf. Vergeblich. Der zweite Teil der Bärenmarkttragödie wird wahrscheinlich dann beginnen, wenn die Bearmarket-Rallye, die im September 2001 unter Schmerzen geboren wurde, für jedermann sichtbar einer Fortsetzung des langfristigen Abwärtstrends weichen wird. Es ist den Cheerleadern auch dieses Jahr noch einmal gelungen, bei einem willigen Publikum eine optimistische, aber unrealistische Erwartungshaltung aufzubauen, zum dritten Mal in Folge. Eine erneute Enttäuschung wird unserer Überzeugung nach den massenpsychologischen Übergang in die Phase der Erkenntnis bewirken. Sie zeichnet sich aus durch die weitverbreitete Akzeptanz der nun allerdings nicht mehr ganz neuen Realität einer langfristigen Baisse. Leider ist dieser Abschnitt häufig der längste der gesamten Bewegung. Den dritten und letzten Teil der Vorstellung gibt es in zwei Varianten. Entweder endet der Abwärtstrend mit donnerndem Getöse, oder er wird sanft und leise und fast unbemerkt ausklingen. Lassen wir uns überraschen. Guinness-Buch der Rekorde Dank neuer Vorschriften in der Bewertung von „Goodwill“ wurde schon wieder ein neuer trauriger Rekord in der „‚New Era‘-Disziplin Mega-Abschreibungen“ aufgestellt. Das US-amerikanische Unternehmen AOL sieht sich gezwungen, die stolze Summe von 54 Milliarden US$ aus seiner Bilanz zu entfernen. Zum Vergleich: Das Bruttosozialprodukt von Bulgarien für das Jahr 2000 wird auf 48 Milliarden US$ geschätzt. Experten beziffern den Abschreibungsbedarf von „Goodwill“ in den USA auf 1000 Milliarden US$. Ein wahrhaft riesiges Trümmerfeld der Geldvernichtung, das die massenhaften Fehlentscheidungen zahlreicher „New Economy“-Häupter hervorgebracht haben: Kurzfristige Bonusmaximierung der Vorstände statt langfristiger Steigerung von Shareholder Value. Eine Definition des Begriffes „Goodwill“ finden wir bei Niehus/Thyll, „Konzernabschluß nach US-GAAP“: „Ein eventueller Unterschiedsbetrag zwischen dem Kaufpreis und dem Fair Market Value der Net Assets wird als Goodwill ausgewiesen.” Grob aber verständlich übersetzt versteht man unter „Goodwill“ die Differenz zwischen dem bei einem Unternehmenskauf gezahlten Preis und dem realistischen Marktwert aller Vermögensgegenstände der übernommenen Gesellschaft. Auch nach dieser Methode bleiben natürlich erhebliche Bewertungsspielräume hinsichtlich des „realistischen Marktwertes“ bestehen. Wer zu teuer eingekauft hat, darf die Verluste nicht mehr über lange Zeiträume verteilen, sondern muß sie auf einmal realisieren und damit das Ausmaß der Fehlentscheidung dokumentieren. Die Cheerleader wollen uns glauben machen, solche Abschreibungen seien belanglos, schließlich beträfen sie nicht die Ertragskraft eines Unternehmens. Stimmt. Wenn Sie Haus und Hof verspielen, aber Ihren Job behalten, beeinträchtigt das schließlich auch nicht Ihre „Ertragskraft.“ Dennoch ziehen wir ohne Wenn und Aber eine Welt vor, in der wir Haus und Hof behalten. Betrügen und betrogen werden wollen „(T)he propensities to swindle and be swindled run parallel to the propensity to speculate during the boom.“ (Der Hang zu betrügen und betrogen zu werden verläuft während des Booms parallel zu dem Hang zu spekulieren.). Charles Kindleberger: „Manias, Panics and Crashes.“ Zum wiederholten Mal zitieren wir aus Kindlebergers unterhaltsam geschriebenen Buch über die Dummheiten, die selbst ansonsten kluge Menschen begehen, wenn sie in den Bann einer Spekulationsblase geraten. Auch jetzt noch, zwei Jahre nach dem Beginn des Platzens der grossen Aktienspekulationsblase der 1990er, bleibt dieses kleine Buch ganz oben auf unserer Empfehlungsliste, weil es zeitlose Wahrheiten über dieses faszinierende massenpsychologische Phänomen beschreibt. Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge hat die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC (Securities and Exchange Commission) in den ersten beiden Monaten des Jahres bei 49 Unternehmen Untersuchungen eingeleitet, bei denen die Rechnungslegung auf ihre Rechtmäßigkeit hin unter die Lupe genommen wird. Gleichzeitig findet endlich eine ernsthafte Diskussion statt über die derzeitig zwar legale, aber extrem fragwürdige Praxis, Mitarbeiteroptionen buchhalterisch zu erfassen. Morgan Stanley hat kürzlich eine Studie vorgelegt, die analyse arch ne Geburtstag zu dem Ergebnis kommt, die gängige Methodik überzeichne die Gewinne der S&P 500-Unternehmen um durchschnittlich 8%, die des Technologiesektors gar um 17%. Außerdem ermittelt der New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer gegen Merrill Lynch und andere namhafte Wall Street-Häuser. Es bestehe der Verdacht, die bekannten Interessenskonflikte zwischen Research und Corporate Finance hätten zu bewußt falschen Aktienempfehlungen geführt. Alle drei Themen sind selbstverständlich nicht neu, sondern wurden von den wenigen ernsthaften Analysten und Marktteilnehmern, die die Spekulationsblase nicht in unkritische und einfältige Cheerleader verwandelt hatte, bereits vor Jahren angeprangert. In der massenpsychologischen Euphorie der BubbleJahre haben sich aber weder die Cheerleader bei Banken und Medien noch gar Aufsichtsorgane oder Politiker für diese skandalösen Vorgänge interessiert. Solange die Kurse stiegen, war scheinbar fast alles erlaubt, und der Wunsch, belogen und betrogen zu werden, war offensichtlich weitverbreitet. Kritische Analysten galten als Spielverderber, die von irrationalen Partygängern ignoriert oder mit Spott bedacht wurden. Langsam wendet sich das Blatt, wie üblich erst nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. Für Kenner der Finanzmarktgeschichte kommen diese Entwicklungen natürlich nicht überraschend. Vielmehr handelt es sich um völlig normale Vorgänge in Zeiten geplatzter Spekulationsblasen. Allerdings befaßt man sich bei den genannten Themen lediglich mit einigen unschönen Symptomen, ohne zur eigentlichen Ursache vorzudringen: das völlig verfehlte Vorgehen der US-Notenbank. Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für das Entstehen einer Spekulationsblase ist eine Politik des leichten Geldes. Wir sehen weitere Themen, die bisher noch nicht die ihnen gebührende öffentliche Aufmerksamkeit erlangt haben, was sie aber unserer Meinung nach im Lauf des säkularen Bärenmarktes der nächsten Jahre noch tun werden. Ein Beispiel sind die insbesondere Teilen der Investmentfondsindustrie als „Window Dressing“ unterstellten Praktiken. Unter der Annahme statistischer Normalverteilung lassen sich einige auffällige Kursbewegungen zu bestimmten Stichtagen jedenfalls nicht als zufällig erklären. Daraus ergibt sich selbstverständlich ein Anfangsverdacht für Kursmanipulationen, dem systematisch nachgegangen werden müßte. Wenn es wahr sein sollte, daß regelmäßig Aktien an für die Fondsbranche wichtigen Stichtagen gekauft werden mit der Absicht, deren Kurse nach oben zu treiben, dann ist das jedenfalls nicht der Umgang mit fremder Leute Geld, den wir uns wünschen. Der inzwischen von den meisten Cheerleadern an Wall Street, in den Medien und bei Unternehmen vollzogene Übergang, nicht mehr nach US-GAAP (United States Generally Accepted Accounting Principles) ermittelte, sondern „Pro forma“Gewinne zu benutzen, betrachten wir ebenfalls als eine Fehlentwicklung, zu der unsere von Kindleberger entliehene Überschrift bestens paßt. First Call beziffert die Gewinne der im S&P 500-Index enthaltenen Unternehmen mit 410 Milliarden US$. Berechnet nach US-GAAP erhalte man lediglich 240 Milliarden US$. Auch diese Vorgehensweise wird sich vermutlich als kurzfristige Abweichung von rationalen Analysemethoden herausstellen, sobald die Zeit für soviel nüchterne Einsicht gekommen ist. Den unserer Meinung nach größten Skandal sehen wir aber selbstverständlich in der Geldpolitik der US-Notenbank, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Sie hat die Spekulationsblase und den größten kreditfinanzierten Boom aller Zeiten kreiert. Sie hat die US-Bubble Economy nicht nur geldpolitisch möglich gemacht, sondern in vielfältiger Weise durch Taten und Reden gefördert. „Greenspan-Put“, Produktivitätswunder und „New Economy“-Geschwätz sollen hier als Stichworte genügen. Hier sehen wir ein riesiges Betätigungsfeld zukünftiger Wirtschaftshistoriker, da sich die überwältigende Mehrheit der Zeitgenossen – aus wel- chen Gründen auch immer – blind, taub und stumm verhält. Das veröffentlichte Image der Notenbank und ihres Präsidenten scheint noch immer dem vollkommen absurden Urteil von US-Finanzminister Paul O’Neill zu folgen: „Greenspan tut immer das Richtige.“ Geradezu religiöser Glaube und Hoffnung ersetzen heutzutage weitgehend die kritische Analyse. US-Konsument am Ende der Fahnenstange? Vier Einflußfaktoren haben unserer Meinung nach während der letzten Monate deutlich positive Auswirkungen auf das Verbraucherverhalten in den USA gehabt. Sie erklären das für eine Rezession so untypische Verhalten der privaten Haushalte, nämlich den Gürtel nicht etwa enger zu schnallen, sondern fröhlich „auf Pump“ zu konsumieren. Drei der vier Effekte sehen wir jetzt auslaufen: Die Wirkung der Steuerrückzahlungen dürfte weitgehend vorüber sein. Statt fallender Energiepreise erleben wir mittlerweile wieder erhebliche Preissteigerungen. Die steigenden Hypothekenzinsen haben dem Refinanzierungsboom ein recht abruptes Ende bereitet. Lediglich der heißgelaufene US-Immobilienmarkt, wohin Greenspans inflationäre Politik des extrem leichten Geldes offensichtlich ihren Weg gefunden hat, entfaltet noch eine scheinbar positive Wirkung auf die privaten Haushalte. Damit wird allerdings ein weiteres Ungleichgewicht erzeugt, eine Blase, deren Platzen vielleicht bald bevorsteht. Die US-Baubeginne wiesen im März ein Minus von 7,8% gegenüber dem Vormonat auf und verzeichneten damit den stärksten Rückgang der vergangenen zwei Jahre. Die Zahl der erteilten Baugenehmigungen brach sogar um 9,9% ein, die größte monatliche Einbuße seit über zehn Jahren. „Den meisten fehlt die Phantasie zur Realität.“ Rudolf Rolfs, deutscher Autor „Jede Zeit hat den Realismus, den sie verdient.“ Ralph Boller, deutscher Publizist „In privaten E-Mails nannte der ehemalige „Staranalyst“ Henry Blodget Unternehmen „einen Haufen Müll“, während er gleichzeitig ihre Aktien zum Kauf empfahl. Blodgets Tips lösten sich in Luft auf, er kassierte einstweilen ein Jahresgehalt von zwölf Millionen US$.“ Quelle: Capital Greenspan erkennt ein Ungleichgewicht Tatsächlich, ein wahrlich seltener Moment: Alan Greenspan, Präsident der US-Notenbank, äußerte sich am 13. März über ein volkswirtschaftli- 04 Markt Rese Der vergessen „Der menschlichen Erkenntnis sind Grenzen gesetzt, aber wir wissen nicht, wo sie liegen.“ Konrad Lorenz, österreichischer Verhaltensforscher (1903-1989) „Wo noch die kleinste Möglichkeit besteht, zur Erkenntnis vorzudringen, sollte man es unter gar keinen Umständen beim Glauben belassen.“ Erich Limpach, deutscher Dichter (1899-1965) 05 ches Ungleichgewicht, nämlich die verheerende Entwicklung des USamerikanischen Leistungsbilanzdefizites. Wir sind erstaunt. Nachdem er sein eigenes Baby, die größte Spekulationsblase aller Zeiten, nicht erkennen konnte, haben wir nicht ernsthaft damit gerechnet, daß er das größte Leistungsbilanzdefizit aller Zeiten bemerkt. Wie Sie sehen, auch wir täuschen uns immer wieder. Greenspan findet für seine Verhältnisse sogar klare Worte, um dieses Damoklesschwert, das über den USA hängt, zu benennen. Erwartungsgemäß hören wir aber kein Wort über seine maßgebliche Rolle im Entstehungsprozeß dieser Fehlentwicklung: „But this deficit is also a measure of the increase in the level of net claims, primarily debt claims, that foreigners have on our assets. As the stock of such claims grows, an ever-larger flow of interest payments must be provided to the foreign suppliers of this capital. Countries that have gone down this path invariably have run into trouble, and so would we. Eventually, the current account deficit will have to be restrained. The nation’s economic potential will be brighter if that comes about through an increase in domestic saving rather than a reduction in domestic investment.“ (Aber dieses Defizit ist auch ein Maß für den Anstieg von Forderungen, die Ausländer an unseren Vermögenswerten haben, speziell Schuldenansprüche. In dem Maß, in dem diese Forderungen zunehmen, muß ein ständig wachsender Strom an Zinszahlungen geleistet werden an die Ausländer, die dieses Kapital zur Verfügung gestellt haben. Länder, die diesen Pfad hinabgegangen sind, sind ausnahmslos in Schwierigkeiten geraten, und das würde auch für uns gelten. Irgendwann muß das Leistungsbilanzdefizit abgebaut werden. Das wirtschaftliche Potential unserer Nation wird glänzender sein, wenn dieser Prozeß durch einen Anstieg der inländischen Sparquote erfolgt anstatt durch eine Abnahme der inländischen Investitionen.). Zweierlei verdient hier unsere uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Erstens verwendet Greenspan einen Konjunktiv, dem wir an dieser Stelle trotz intensivsten Nachdenkens keinerlei Berechtigung oder gar Sinn geben können. Was will er suggerieren mit „(...) and so would we?“ Hofft er auf ein Wunder? Zweitens sind beide von ihm genannten Lösungswege für die angeblich so rosigen Aussichten der US-amerikanischen Konjunktur sehr problematisch. Eine Erhöhung der Sparquote bedeutet natürlich weniger Konsum. Eine geringere Investitionstätigkeit läßt sich ebenfalls kaum mit einer boomenden Wirtschaft in Einklang bringen. Der dritte, von Greenspan nicht genannte Weg, der sich aus der Definition des Leistungsbilanzdefizites zwingend ergibt, besteht in der Erzielung eines Überschusses des Staates. Diese Vorstellung ist in der heutigen Zeit allerdings tatsächlich so vollkommen absurd, daß wir das Verschweigen dieser theoretischen Möglichkeit sehr gut nachvollziehen können. Notenbanken bereiten Öffentlichkeit auf den Krisenfall vor Bundesbankpräsident Ernst Welteke sprach kürzlich davon, man müsse überlegen, ob man nicht mittelfristig einen Teil der Goldreserven der Deutschen Bundesbank in europäische Aktien tauschen könne. Dieser Versuchsballon, der unserer Meinung nach die Marktstimmung hinsichtlich dieses heiklen Themas testen soll, kam ungefähr zeitgleich mit einer ähnlichen Meldung der Fed. Bei dem Treffen des Offenmarktausschusses der US-Notenbank seien unkonventionelle Maßnahmen besprochen worden für den Fall, daß trotz niedriger Zinsen keine wirtschaftliche Erholung erfolgen sollte. Erwähnenswert aus unserer Sicht ist daran lediglich der Zeitpunkt, zu dem die breite Öffentlichkeit mit diesen Überlegungen vertraut gemacht wird. Die Tatsache als solche wundert Kenner der USNotenbank natürlich nicht. Wir verweisen auf ein 38seitiges Diskussionspapier der Fed vom Juli 1999 zu diesem Thema (www.federalreserve.gov/ pubs/ifdp/1999/641/ifdp641.pdf). Willem F. Duisenberg, Präsident der Europäischen Zentralbank, hat diesen konzertierten Vorstoß der Notenbanken abgerundet mit seiner Aussage, der Kauf von Aktien durch Zentralbanken sei nicht unüblich. Ganz offensichtlich sind die Notenbanken fest entschlossen, jedes Mittel anzuwenden, um den notwendigen Anpassungsprozeß der von ihnen kreierten, auf Bergen von Schulden beruhenden „Bubble Economy“ möglichst lange hinauszuzögern. Leider wird das Problem dadurch nicht lediglich verschoben, sondern größer und größer. Wohin die Hybris von Altherrenrunden, die die Marktkräfte durch zentrale Planung und Lenkung ersetzen wollen, führen kann, können wir in Osteuropa lehrreich bewundern. So ein Zufall Wir erinnern uns: Die US-Arbeitsmarktstatistik für den Monat Februar meldete einen Anstieg der Beschäftigung von 66000. Diese Zahl wurde als klarer Hinweis auf die bevorstehenden rosigen Zeiten interpretiert. Keine Schlagzeile wert war die einen Monat später erfolgte Revision dieser Schätzung. Statt des ursprünglich gemeldeten Plus von 66000 wurde ein Minus von 2000 Stellen gemeldet. Laut Comstock Partners, Inc., deren Netzauftritt immer einen Besuch wert ist (www.comstockfunds.com), wurde diese Statistik in den vergangenen sechs Monaten um durchschnittlich 37667 Stellen pro Monat revidiert, immer nach unten. Die Bubble soll leben Das GoingPublic-Magazin hat 15 Neuer Markt-Experten die Frage „Wo sehen Sie den NEMAX All Share zum Jahresende?“ gestellt. Nur ein einziger erwartet mit 800 Punkten einen fallenden Index. Im Durchschnitt wird ein Stand von knapp 1600 Punkten prognostiziert, ein Plus von rund 60%. Bloomberg weist für diesen Index ein negatives Kurs-Gewinn-Verhältnis aus. Ende der Cheerleader-Ära? Der New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer macht den Cheerleadern das Leben schwer. Seiner Ansicht nach war die öffentlich ausgesprochene Empfehlung analyse arch ne Geburtstag von Aktien durch Analysten von Merrill Lynch teilweise bewußt falsch. Schuld daran seien deren bekannte Interessenskonflikte. Die staatsanwaltschaftliche Untersuchung wird außerdem auf weitere namhafte Firmen ausgeweitet. Unter der Überschrift „Wall Street Cheerleader unter Druck“ haben wir im Juli 2001 dieses Thema bereits behandelt. Im August 2001 berichteten wir dann kurz über den von einigen Unternehmen der Branche vorgelegten Lösungsvorschlag, den Analysten den Kauf der von ihnen besprochenen Aktien zu verbieten. Unsere damals gemachte, etwas ironische Gegenanregung: „Der Analyst muß jede von ihm als Kauf eingestufte Aktie kaufen und darf sie erst dann wieder veräußern, wenn er eine Verkaufsempfehlung publiziert hat.“ Das Gesamtmodell Es haben sich nur unwesentliche Änderungen bei den von uns beachteten Modellbausteinen ergeben. Die fundamentale Bewertung bleibt extrem hoch. Weder eine deutliche Erholung der Unternehmensgewinne noch fallende Zinsen zeichnen sich ab. Die monetären Rahmenbedingungen haben sich verschlechtert. Die Wachstumsraten der US-Geldmenge MZM, deren annualisierte Dreimonatsveränderung seit Anfang 2001 zweistellig war und in der Spitze sowohl im April 2001 als auch im Dezember 2001 über 25% betrug, liegt bei nur noch knapp 4%. Diesen scharfen Rückgang werten wir als sehr bedenklich für einen Aktienmarkt auf einem Niveau, dem jede fundamentale Basis fehlt. Trotz der sehr niedrigen kurzfristigen Zinsen beurteilen wir die monetären Rahmenbedingungen jetzt insgesamt als negativ. Die Sentiment-Indikatoren zeigen weiterhin ein sehr hohes Maß an Optimismus und werden von uns ebenfalls negativ beurteilt. Beispielhaft genannt seien hier der CBOE-Volatilitätsindex sowie der Indikator von Investors Intelligence, der den Anteil optimistischer Börsenbriefe ermittelt. Er befindet sich seit zehn Wochen über der kritischen 50%-Marke. Außerdem spricht z.B. der mit 74% sehr hohe Anteil der Aktien, die über ihrer 200-Tage- Durchschnittlinie notieren, klar gegen eine deutliche Aufwärtsbewegung. Vorboten dessen, was uns die Indizes in den nächsten Monaten bescheren werden. Fazit Sowohl die Nasdaq als auch der S&P 500-Index notieren auf ungefähr demselben Niveau wie Mitte November 2001. Diese ausgedehnte Seitwärtsbewegung, für Bullen und Bären gleichermaßen unbefriedigend, hat ungewöhnlicherweise nicht zu steigendem Pessimismus der Marktteilnehmer geführt, sondern das Gegenteil bewirkt. Ein seltenes Phänomen, das wir als klare Bestätigung unserer Arbeitshypothese betrachten, Zeuge einer ausgeprägten Bearmarket-Rallye zu sein. Wir sehen keinerlei Gründe, von unserer Prognose deutlich fallender Aktienkurse abrücken zu können. Wir rechnen weiterhin mit einem Test der September-Tiefs und befürchten ein Unterschreiten dieser Marke. Befürchten? 1600 1400 1200 1000 800 600 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 S&P 500 1993-2002 Wie Sie dem langfristigen S&P 500Chart entnehmen können, würde diese Entwicklung eine geradezu lehrbuchmäßige obere Umkehrformation entstehen lassen, die von ihren Dimensionen her dem Ende eines säkularen Aufwärtstrends würdig ist. Das sich aus dieser Formation ergebende langfristige Kursziel werden wir erst dann besprechen, wenn sie tatsächlich nach unten abgeschlossen werden sollte. Chartanalyse Dow Jones Industrial Average Der Dow Jones kam nicht über die obere Begrenzung der von uns genannten Widerstandszone von 10000 bis 10600 Punkten hinaus und hat deren Bedeutung damit bestätigt. Er befindet sich noch immer über seiner fallenden 200-TageDurchschnittlinie. In Bärenmärkten betrachten wir Kurse oberhalb dieses fallenden Durchschnitts als Ver11000 10000 9000 8000 06/01 09/01 12/01 03/02 DJIA kaufsgelegenheiten. Der Index „kämpft“ mit der Aufwärtstrendlinie, die die Bearmarket-Rallye von den September-Tiefs beschreibt. Die nächsthöheren Widerstände liegen bei etwa 11000 Zählern. Da wir keine Bodenbildung ausmachen können, und der Index die für BullmarketBewegungen typische Aufwärtsdynamik vermissen läßt, bleiben wir bei unserer Prognose fallender Kurse. Das mittelfristige Kursziel, das sich als Minimum aus der oberen Umkehrformation ergibt, sehen wir unverändert bei 7400. S&P 500 Dieser breitgefaßte Index zeigt technisch ein schwächeres Bild als der Dow Jones. Er verläuft unter seiner fallenden 200-Tage-Durchschnittlinie und konnte im März seine Zwischenhochs von Dezember 1350 Zwei der größten US-Unternehmen, IBM Corp. und General Electric (GE), haben in ihren Charts deutliche, dynamische Ausbrüche nach unten zu verzeichnen. IBM Corp. hat damit eine dreijährige obere Umkehrformation nach unten abgeschlossen. GE hat das bei einer zweijährigen Formation bereits im September 2001 getan und durch den neuerlichen Abriß diese Interpretation bestätigt. Beide Aktien befinden sich somit in einem langfristigen Abwärtstrend. Wir betrachten das als 1250 1150 1050 950 06/01 09/01 12/01 03/02 S&P 500 2001 und Januar nicht übersteigen. Er befindet sich auf dem Niveau von Anfang November 2001 und hat ebenfalls Schwierigkeiten, die Aufwärtstrendlinie von September 2001 zu verteidigen. Widerstände sehen wir bei 1170 sowie 1200 bis 1250 Punkten. Wir rechnen weiter- 06 Marktanalyse Research Der vergessene Geburtstag Aggressives Wachstum Langfristiges Wachstum Mittleres Wachstum Moderates Wachstum Liquide Mittel Festverzinsliche Wertpapiere Aktien XAU Nikkei 25% 20% 15% 15% 35% 20% 35% 60% 35% 55% 45% 20% 5% 5% 5% 5% „Wir halten diesen Index für einen klaren charttechnischen Kauf, spätestens bei einem kurzfristigen 15000 hin mindestens mit einem Test der September-Tiefs von etwa 950 und befürchten ein Unterschreiten dieser Marke. In diesem Fall würde sich weiteres erhebliches Abwärtspotential eröffnen. Wachstumsmarkt bezeichnet wird. Der Index ist unter der 200-TageDurchschnittlinie und bemüht sich 06/01 5500 4500 3500 06/01 09/01 12/01 03/02 DAX lich 13%. Aus diesem Grund sehen wir diese kurzfristige relative Stärke noch nicht als bemerkenswertes positives Zeichen an. Der DAX verläuft über seiner fallenden 200Tage-Durchschnittlinie und konnte sich bis jetzt oberhalb der Aufwärtstrendlinie behaupten. Der Index hat die Januar-Hochs von 5350 Punkten entgegen unserer Erwartung überschritten, bisher jedoch nur um 2% in einer nichtdynamischen Bewegung. Dadurch läßt sich jetzt eine leicht schräg verlaufende Widerstandslinie einzeichnen, die derzeit etwas oberhalb von 5500 Punkten verläuft. In Analogie zu den USamerikanischen Leitbörsen erwarten wir eine Wiederaufnahme des Abwärtstrends und einen Test der September-Tiefs. Nasdaq Composite Claus Vogt Leiter Research cvogt@effektenbank.de 07 Relativ schwach zeigt sich weiterhin das Marktsegment, das jeder Realität hohnsprechend weiterhin von zahlreichen Cheerleadern als 09/01 12/01 03/02 2600 Nikkei 2200 06/01 6500 11000 10000 1400 Seit den September-Tiefs zeigt sich der DAX in einer technisch etwas stärkeren Verfassung als die besprochenen US-Indizes. Langfristig gilt das natürlich nicht, denn der deutsche Markt notiert 35% unter seinem Höchstkurs, der S&P 500 nur 27% und der Dow Jones ledig- 13000 12000 3000 1800 DAX 14000 09/01 12/01 03/02 Nasdaq ebenfalls, die kurzfristige Aufwärtstrendlinie zu halten. Massive Widerstände beginnen bei 1950 bis 2000 Zählern. Nur ein von uns als unwahrscheinlich erachteter dynamischer Ausbruch über diese Marke würde die technische Situation aufhellen. Allerdings befinden sich im Bereich 2000 bis 2300 Punkte weitere erhebliche Widerstände, deren Überschreiten vor dem Hintergrund gerade in diesem Segment besonders massiver Überbewertungen nur als neuerliches Aufflackern massenhysterischer Verblendung gedeutet werden könnte. NEMAX Der Neue Markt, der den unvorein- Test der Ausbruchslinie bei gut 11000 Punkten“, schrieben wir letzten Monat. Dieser Test ist in der Zwischenzeit bereits zweimal erfolgt, wobei der Index jeweils die fallende 200-Tage-Durchschnittlinie von oben berührte. Es bleibt folglich bei der positiven Interpretation und einem ersten Kursziel von 13000 Zählern. Die Beachtung von Stop Loss-Marken empfehlen wir immer, aufgrund der prekären Situation des japanischen Finanzsystems weisen wir aber noch einmal speziell auf die Wichtigkeit dieser Disziplin hin. XAU Der Gold- und Silberminenindex befindet sich in einem noch jungen Aufwärtstrend. Die 200-Tage-Durchschnittlinie steigt, die kurzfristige 75 70 2000 65 1800 60 1600 1400 55 1200 50 1000 06/01 800 06/01 09/01 12/01 03/02 NEMAX genommenen Beobachter mit nahezu allen Meldungen verwöhnt, die im Anschluß an eine wilde Spekulationsblase zu befürchten sind, befindet sich unterhalb seiner 200Tage-Durchschnittlinie und in einem Abwärtstrend, der durch den Bruch der kurzfristigen Aufwärtstrendlinie erneut bestätigt wurde. Der NEMAX kam mit 921 Zählern unserem kurzfristigen Kursziel von 870 bereits recht nah. Wir können noch immer keine Anzeichen einer möglichen Bodenbildung ausmachen und rechnen mit weiter fallenden Kursen. 09/01 12/01 03/02 XAU Aufwärtstrendlinie verläuft bei etwa 65, weitere Unterstützung sehen wir bei 60 Zählern. Wie in jedem Bullenmarkt betrachten wir jede Konsolidierung, die rund 10% übersteigt, als klare Kaufgelegenheit. Bekanntlich empfehlen wir in unserer Asset Allocation einen 5%igen Goldminenanteil. Diese Position betrachten wir als langfristiges Investment, also auf Sicht von idealerweise mehreren Jahren. Die erwähnten Konsolidierungen können zum zusätzlichen Eingehen tradingorientierter Positionen genutzt werden.