Performance Mai 2002

Transcription

Performance Mai 2002
Markt
Rese
Der vergesse
„Nichts ist schmerzvoller
als schöne Erinnerungen
an schlechten Tagen.“
François VI. Duc de La
Rochefoucauld,
französischer Schriftsteller
(1613-1680)
„Alles hat zwei Seiten.
Aber erst wenn man
erkennt, daß es drei sind,
erfaßt man die Sache.“
Heimito von Doderer,
österreichischer Erzähler
und Epiker
(1896-1966)
„Es ist nicht immer angenehm, die Dinge so zu
sehen, wie sie sind. Aber es
ist auf jeden Fall nützlich.“
Cyrus Roberts Vance,
früherer US-Außenminister
(1917-2002)
03
Wir müssen es gestehen, wir
haben den zweiten Jahrestag der
Allzeithochs zahlreicher Aktienindizes schlicht vergessen. Eine Feier
scheinen wir aber nicht verpaßt zu
haben. Dennoch holen wir verspätet ein paar Worte des Gedenkens
nach. Am 7. März 2000 erreichte
der DAX 8136 Punkte. Am 10. März
2000 wurden wir Zeugen von geradezu märchenhaften 8546 Zählern
im NEMAX und 5132 Punkten an
der Nasdaq. Der S&P 500 folgte am
24. März 2000 mit 1553 Punkten.
Nur dem Dow Jones war bereits
am 14. Januar 2000 bei 11750 die
Luft ausgegangen. Und der japanische Nikkei? Mit 38957 Punkten
erreichte dieser Index, damals in
aller Munde, auch wenn das heute
fast unglaublich klingt, sein Allzeithoch am 29. Dezember 1989. Jedes
dieser Daten wird uns unvergeßlich
bleiben. An diesen Tagen starben
nicht nur schnöde Bullenmärkte,
nein, historische Spekulationsblasen
erreichten ihre jeweiligen Kulminationspunkte, eine Finanzmarktepoche ging zu Ende.
Der Übergang vom säkularen Aufwärts- in den säkularen Abwärtstrend vollzog sich unbemerkt von
den meisten Marktteilnehmern
und -beobachtern. Langsam aber
unaufhaltsam entfaltete sich der
Tragödie erster Teil, den wir die
Phase des Unglaubens nennen wollen, und in der wir uns unserer Meinung nach noch immer befinden.
Sie ist gekennzeichnet durch die
noch allzu süße Erinnerung an steigende Kurse, eine Erinnerung, von
der die meisten sich nur unter
Zwang verabschieden werden. Fast
niemand will den noch so jungen
Abwärtstrend als die neue Realität
akzeptieren, und die Cheerleader
jedweder Provenienz beschwören
immer wieder die guten und noch
nicht so alten Zeiten des Bullenmarktes herauf. Vergeblich. Der zweite
Teil der Bärenmarkttragödie wird
wahrscheinlich dann beginnen,
wenn die Bearmarket-Rallye, die im
September 2001 unter Schmerzen
geboren wurde, für jedermann
sichtbar einer Fortsetzung des langfristigen Abwärtstrends weichen
wird. Es ist den Cheerleadern auch
dieses Jahr noch einmal gelungen,
bei einem willigen Publikum eine
optimistische, aber unrealistische
Erwartungshaltung aufzubauen,
zum dritten Mal in Folge. Eine erneute Enttäuschung wird unserer
Überzeugung nach den massenpsychologischen Übergang in die
Phase der Erkenntnis bewirken. Sie
zeichnet sich aus durch die weitverbreitete Akzeptanz der nun allerdings
nicht mehr ganz neuen Realität
einer langfristigen Baisse. Leider ist
dieser Abschnitt häufig der längste
der gesamten Bewegung. Den dritten und letzten Teil der Vorstellung
gibt es in zwei Varianten. Entweder
endet der Abwärtstrend mit donnerndem Getöse, oder er wird sanft
und leise und fast unbemerkt ausklingen. Lassen wir uns überraschen.
Guinness-Buch
der Rekorde
Dank neuer Vorschriften in der Bewertung von „Goodwill“ wurde
schon wieder ein neuer trauriger
Rekord in der „‚New Era‘-Disziplin
Mega-Abschreibungen“ aufgestellt.
Das US-amerikanische Unternehmen
AOL sieht sich gezwungen, die stolze Summe von 54 Milliarden US$
aus seiner Bilanz zu entfernen. Zum
Vergleich: Das Bruttosozialprodukt
von Bulgarien für das Jahr 2000
wird auf 48 Milliarden US$ geschätzt.
Experten beziffern den Abschreibungsbedarf von „Goodwill“ in den
USA auf 1000 Milliarden US$. Ein
wahrhaft riesiges Trümmerfeld der
Geldvernichtung, das die massenhaften Fehlentscheidungen zahlreicher „New Economy“-Häupter
hervorgebracht haben: Kurzfristige
Bonusmaximierung der Vorstände
statt langfristiger Steigerung von
Shareholder Value.
Eine Definition des Begriffes „Goodwill“
finden wir bei Niehus/Thyll, „Konzernabschluß nach US-GAAP“: „Ein
eventueller Unterschiedsbetrag zwischen dem Kaufpreis und dem Fair
Market Value der Net Assets wird
als Goodwill ausgewiesen.” Grob
aber verständlich übersetzt versteht
man unter „Goodwill“ die Differenz
zwischen dem bei einem Unternehmenskauf gezahlten Preis und dem
realistischen Marktwert aller Vermögensgegenstände der übernommenen
Gesellschaft. Auch nach dieser Methode bleiben natürlich erhebliche Bewertungsspielräume hinsichtlich des „realistischen Marktwertes“ bestehen.
Wer zu teuer eingekauft hat, darf
die Verluste nicht mehr über lange
Zeiträume verteilen, sondern muß
sie auf einmal realisieren und damit
das Ausmaß der Fehlentscheidung
dokumentieren. Die Cheerleader
wollen uns glauben machen, solche
Abschreibungen seien belanglos,
schließlich beträfen sie nicht die
Ertragskraft eines Unternehmens.
Stimmt. Wenn Sie Haus und Hof
verspielen, aber Ihren Job behalten,
beeinträchtigt das schließlich auch
nicht Ihre „Ertragskraft.“ Dennoch
ziehen wir ohne Wenn und Aber
eine Welt vor, in der wir Haus und
Hof behalten.
Betrügen und
betrogen werden
wollen
„(T)he propensities to swindle and
be swindled run parallel to the
propensity to speculate during the
boom.“ (Der Hang zu betrügen und
betrogen zu werden verläuft während des Booms parallel zu dem
Hang zu spekulieren.).
Charles Kindleberger: „Manias,
Panics and Crashes.“ Zum wiederholten Mal zitieren wir aus Kindlebergers unterhaltsam geschriebenen Buch über die Dummheiten,
die selbst ansonsten kluge Menschen
begehen, wenn sie in den Bann
einer Spekulationsblase geraten.
Auch jetzt noch, zwei Jahre nach
dem Beginn des Platzens der grossen Aktienspekulationsblase der
1990er, bleibt dieses kleine Buch
ganz oben auf unserer Empfehlungsliste, weil es zeitlose Wahrheiten
über dieses faszinierende massenpsychologische Phänomen beschreibt.
Einem Bericht des Wall Street
Journal zufolge hat die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC (Securities
and Exchange Commission) in den
ersten beiden Monaten des Jahres
bei 49 Unternehmen Untersuchungen eingeleitet, bei denen die
Rechnungslegung auf ihre Rechtmäßigkeit hin unter die Lupe genommen wird. Gleichzeitig findet
endlich eine ernsthafte Diskussion
statt über die derzeitig zwar legale,
aber extrem fragwürdige Praxis,
Mitarbeiteroptionen buchhalterisch
zu erfassen. Morgan Stanley hat
kürzlich eine Studie vorgelegt, die
analyse
arch
ne Geburtstag
zu dem Ergebnis kommt, die gängige Methodik überzeichne die Gewinne
der S&P 500-Unternehmen um durchschnittlich 8%, die des Technologiesektors gar um 17%. Außerdem ermittelt der New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer gegen Merrill
Lynch und andere namhafte Wall
Street-Häuser. Es bestehe der Verdacht, die bekannten Interessenskonflikte zwischen Research und
Corporate Finance hätten zu bewußt
falschen Aktienempfehlungen
geführt.
Alle drei Themen sind selbstverständlich nicht neu, sondern wurden von den wenigen ernsthaften
Analysten und Marktteilnehmern,
die die Spekulationsblase nicht in
unkritische und einfältige Cheerleader
verwandelt hatte, bereits vor Jahren
angeprangert. In der massenpsychologischen Euphorie der BubbleJahre haben sich aber weder die
Cheerleader bei Banken und Medien
noch gar Aufsichtsorgane oder Politiker für diese skandalösen Vorgänge
interessiert. Solange die Kurse stiegen, war scheinbar fast alles erlaubt,
und der Wunsch, belogen und betrogen zu werden, war offensichtlich
weitverbreitet. Kritische Analysten
galten als Spielverderber, die von
irrationalen Partygängern ignoriert
oder mit Spott bedacht wurden.
Langsam wendet sich das Blatt,
wie üblich erst nachdem das Kind
in den Brunnen gefallen ist.
Für Kenner der Finanzmarktgeschichte kommen diese Entwicklungen
natürlich nicht überraschend. Vielmehr handelt es sich um völlig normale Vorgänge in Zeiten geplatzter
Spekulationsblasen. Allerdings befaßt
man sich bei den genannten Themen
lediglich mit einigen unschönen
Symptomen, ohne zur eigentlichen
Ursache vorzudringen: das völlig
verfehlte Vorgehen der US-Notenbank. Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für das Entstehen einer Spekulationsblase ist
eine Politik des leichten Geldes.
Wir sehen weitere Themen, die bisher noch nicht die ihnen gebührende öffentliche Aufmerksamkeit erlangt haben, was sie aber unserer
Meinung nach im Lauf des säkularen Bärenmarktes der nächsten
Jahre noch tun werden. Ein Beispiel
sind die insbesondere Teilen der
Investmentfondsindustrie als
„Window Dressing“ unterstellten
Praktiken. Unter der Annahme statistischer Normalverteilung lassen
sich einige auffällige Kursbewegungen zu bestimmten Stichtagen jedenfalls nicht als zufällig erklären.
Daraus ergibt sich selbstverständlich ein Anfangsverdacht für Kursmanipulationen, dem systematisch
nachgegangen werden müßte. Wenn
es wahr sein sollte, daß regelmäßig
Aktien an für die Fondsbranche
wichtigen Stichtagen gekauft werden mit der Absicht, deren Kurse
nach oben zu treiben, dann ist das
jedenfalls nicht der Umgang mit
fremder Leute Geld, den wir uns
wünschen.
Der inzwischen von den meisten
Cheerleadern an Wall Street, in den
Medien und bei Unternehmen vollzogene Übergang, nicht mehr nach
US-GAAP (United States Generally
Accepted Accounting Principles)
ermittelte, sondern „Pro forma“Gewinne zu benutzen, betrachten
wir ebenfalls als eine Fehlentwicklung, zu der unsere von Kindleberger
entliehene Überschrift bestens
paßt. First Call beziffert die Gewinne der im S&P 500-Index enthaltenen Unternehmen mit 410 Milliarden
US$. Berechnet nach US-GAAP erhalte man lediglich 240 Milliarden
US$. Auch diese Vorgehensweise
wird sich vermutlich als kurzfristige
Abweichung von rationalen Analysemethoden herausstellen, sobald die
Zeit für soviel nüchterne Einsicht
gekommen ist.
Den unserer Meinung nach größten Skandal sehen wir aber selbstverständlich in der Geldpolitik der
US-Notenbank, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Sie hat die Spekulationsblase und den größten kreditfinanzierten Boom aller Zeiten
kreiert. Sie hat die US-Bubble
Economy nicht nur geldpolitisch
möglich gemacht, sondern in vielfältiger Weise durch Taten und
Reden gefördert. „Greenspan-Put“,
Produktivitätswunder und „New
Economy“-Geschwätz sollen hier
als Stichworte genügen. Hier sehen
wir ein riesiges Betätigungsfeld
zukünftiger Wirtschaftshistoriker,
da sich die überwältigende Mehrheit der Zeitgenossen – aus wel-
chen Gründen auch immer – blind,
taub und stumm verhält. Das veröffentlichte Image der Notenbank
und ihres Präsidenten scheint noch
immer dem vollkommen absurden
Urteil von US-Finanzminister Paul
O’Neill zu folgen: „Greenspan tut
immer das Richtige.“ Geradezu religiöser Glaube und Hoffnung ersetzen heutzutage weitgehend die
kritische Analyse.
US-Konsument
am Ende der
Fahnenstange?
Vier Einflußfaktoren haben unserer
Meinung nach während der letzten
Monate deutlich positive Auswirkungen auf das Verbraucherverhalten in den USA gehabt. Sie erklären das für eine Rezession so
untypische Verhalten der privaten
Haushalte, nämlich den Gürtel
nicht etwa enger zu schnallen, sondern fröhlich „auf Pump“ zu konsumieren. Drei der vier Effekte sehen
wir jetzt auslaufen: Die Wirkung
der Steuerrückzahlungen dürfte
weitgehend vorüber sein. Statt fallender Energiepreise erleben wir
mittlerweile wieder erhebliche
Preissteigerungen. Die steigenden
Hypothekenzinsen haben dem
Refinanzierungsboom ein recht
abruptes Ende bereitet. Lediglich
der heißgelaufene US-Immobilienmarkt, wohin Greenspans inflationäre Politik des extrem leichten
Geldes offensichtlich ihren Weg
gefunden hat, entfaltet noch eine
scheinbar positive Wirkung auf die
privaten Haushalte. Damit wird
allerdings ein weiteres Ungleichgewicht erzeugt, eine Blase, deren
Platzen vielleicht bald bevorsteht.
Die US-Baubeginne wiesen im März
ein Minus von 7,8% gegenüber dem
Vormonat auf und verzeichneten
damit den stärksten Rückgang der
vergangenen zwei Jahre. Die Zahl
der erteilten Baugenehmigungen
brach sogar um 9,9% ein, die größte monatliche Einbuße seit über
zehn Jahren.
„Den meisten fehlt die
Phantasie zur Realität.“
Rudolf Rolfs,
deutscher Autor
„Jede Zeit hat den Realismus, den sie verdient.“
Ralph Boller,
deutscher Publizist
„In privaten E-Mails nannte der ehemalige „Staranalyst“ Henry Blodget
Unternehmen „einen
Haufen Müll“, während er
gleichzeitig ihre Aktien zum
Kauf empfahl. Blodgets Tips
lösten sich in Luft auf, er
kassierte einstweilen ein
Jahresgehalt von zwölf
Millionen US$.“
Quelle: Capital
Greenspan erkennt
ein Ungleichgewicht
Tatsächlich, ein wahrlich seltener
Moment: Alan Greenspan, Präsident
der US-Notenbank, äußerte sich am
13. März über ein volkswirtschaftli-
04
Markt
Rese
Der vergessen
„Der menschlichen
Erkenntnis sind Grenzen
gesetzt, aber wir wissen
nicht, wo sie liegen.“
Konrad Lorenz,
österreichischer
Verhaltensforscher
(1903-1989)
„Wo noch die kleinste
Möglichkeit besteht, zur
Erkenntnis vorzudringen,
sollte man es unter gar
keinen Umständen beim
Glauben belassen.“
Erich Limpach,
deutscher Dichter
(1899-1965)
05
ches Ungleichgewicht, nämlich die
verheerende Entwicklung des USamerikanischen Leistungsbilanzdefizites. Wir sind erstaunt. Nachdem er sein eigenes Baby, die größte Spekulationsblase aller Zeiten,
nicht erkennen konnte, haben wir
nicht ernsthaft damit gerechnet,
daß er das größte Leistungsbilanzdefizit aller Zeiten bemerkt. Wie
Sie sehen, auch wir täuschen uns
immer wieder. Greenspan findet
für seine Verhältnisse sogar klare
Worte, um dieses Damoklesschwert,
das über den USA hängt, zu benennen. Erwartungsgemäß hören wir
aber kein Wort über seine maßgebliche Rolle im Entstehungsprozeß
dieser Fehlentwicklung: „But this
deficit is also a measure of the
increase in the level of net claims,
primarily debt claims, that foreigners
have on our assets. As the stock of
such claims grows, an ever-larger
flow of interest payments must be
provided to the foreign suppliers of
this capital. Countries that have
gone down this path invariably
have run into trouble, and so would
we. Eventually, the current account
deficit will have to be restrained.
The nation’s economic potential will
be brighter if that comes about
through an increase in domestic
saving rather than a reduction in
domestic investment.“ (Aber dieses
Defizit ist auch ein Maß für den Anstieg von Forderungen, die Ausländer
an unseren Vermögenswerten haben, speziell Schuldenansprüche. In
dem Maß, in dem diese Forderungen zunehmen, muß ein ständig
wachsender Strom an Zinszahlungen geleistet werden an die Ausländer, die dieses Kapital zur Verfügung gestellt haben. Länder, die
diesen Pfad hinabgegangen sind,
sind ausnahmslos in Schwierigkeiten geraten, und das würde auch
für uns gelten. Irgendwann muß
das Leistungsbilanzdefizit abgebaut
werden. Das wirtschaftliche Potential unserer Nation wird glänzender
sein, wenn dieser Prozeß durch einen Anstieg der inländischen Sparquote erfolgt anstatt durch eine
Abnahme der inländischen Investitionen.). Zweierlei verdient hier
unsere uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Erstens verwendet Greenspan
einen Konjunktiv, dem wir an dieser Stelle trotz intensivsten Nachdenkens keinerlei Berechtigung
oder gar Sinn geben können. Was
will er suggerieren mit „(...) and so
would we?“ Hofft er auf ein Wunder?
Zweitens sind beide von ihm genannten Lösungswege für die angeblich so rosigen Aussichten der
US-amerikanischen Konjunktur sehr
problematisch. Eine Erhöhung der
Sparquote bedeutet natürlich weniger Konsum. Eine geringere Investitionstätigkeit läßt sich ebenfalls kaum mit einer boomenden
Wirtschaft in Einklang bringen. Der
dritte, von Greenspan nicht genannte Weg, der sich aus der Definition des Leistungsbilanzdefizites
zwingend ergibt, besteht in der Erzielung eines Überschusses des
Staates. Diese Vorstellung ist in der
heutigen Zeit allerdings tatsächlich
so vollkommen absurd, daß wir das
Verschweigen dieser theoretischen
Möglichkeit sehr gut nachvollziehen
können.
Notenbanken bereiten
Öffentlichkeit auf
den Krisenfall vor
Bundesbankpräsident Ernst Welteke
sprach kürzlich davon, man müsse
überlegen, ob man nicht mittelfristig einen Teil der Goldreserven der
Deutschen Bundesbank in europäische Aktien tauschen könne. Dieser
Versuchsballon, der unserer Meinung
nach die Marktstimmung hinsichtlich dieses heiklen Themas testen
soll, kam ungefähr zeitgleich mit
einer ähnlichen Meldung der Fed.
Bei dem Treffen des Offenmarktausschusses der US-Notenbank seien unkonventionelle Maßnahmen
besprochen worden für den Fall,
daß trotz niedriger Zinsen keine
wirtschaftliche Erholung erfolgen
sollte. Erwähnenswert aus unserer
Sicht ist daran lediglich der Zeitpunkt, zu dem die breite Öffentlichkeit mit diesen Überlegungen vertraut gemacht wird. Die Tatsache
als solche wundert Kenner der USNotenbank natürlich nicht. Wir verweisen auf ein 38seitiges Diskussionspapier der Fed vom Juli 1999 zu diesem Thema (www.federalreserve.gov/
pubs/ifdp/1999/641/ifdp641.pdf).
Willem F. Duisenberg, Präsident
der Europäischen Zentralbank, hat
diesen konzertierten Vorstoß der
Notenbanken abgerundet mit seiner Aussage, der Kauf von Aktien
durch Zentralbanken sei nicht
unüblich.
Ganz offensichtlich sind die Notenbanken fest entschlossen, jedes
Mittel anzuwenden, um den notwendigen Anpassungsprozeß der
von ihnen kreierten, auf Bergen
von Schulden beruhenden „Bubble
Economy“ möglichst lange hinauszuzögern. Leider wird das Problem
dadurch nicht lediglich verschoben,
sondern größer und größer. Wohin
die Hybris von Altherrenrunden,
die die Marktkräfte durch zentrale
Planung und Lenkung ersetzen
wollen, führen kann, können wir in
Osteuropa lehrreich bewundern.
So ein Zufall
Wir erinnern uns: Die US-Arbeitsmarktstatistik für den Monat
Februar meldete einen Anstieg der
Beschäftigung von 66000. Diese
Zahl wurde als klarer Hinweis auf
die bevorstehenden rosigen Zeiten
interpretiert. Keine Schlagzeile
wert war die einen Monat später
erfolgte Revision dieser Schätzung.
Statt des ursprünglich gemeldeten
Plus von 66000 wurde ein Minus
von 2000 Stellen gemeldet. Laut
Comstock Partners, Inc., deren
Netzauftritt immer einen Besuch
wert ist (www.comstockfunds.com),
wurde diese Statistik in den vergangenen sechs Monaten um durchschnittlich 37667 Stellen pro Monat
revidiert, immer nach unten.
Die Bubble soll leben
Das GoingPublic-Magazin hat 15
Neuer Markt-Experten die Frage
„Wo sehen Sie den NEMAX All Share
zum Jahresende?“ gestellt. Nur ein
einziger erwartet mit 800 Punkten
einen fallenden Index. Im Durchschnitt wird ein Stand von knapp
1600 Punkten prognostiziert, ein
Plus von rund 60%. Bloomberg
weist für diesen Index ein negatives Kurs-Gewinn-Verhältnis aus.
Ende der
Cheerleader-Ära?
Der New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer macht den
Cheerleadern das Leben schwer.
Seiner Ansicht nach war die öffentlich ausgesprochene Empfehlung
analyse
arch
ne Geburtstag
von Aktien durch Analysten von
Merrill Lynch teilweise bewußt
falsch. Schuld daran seien deren
bekannte Interessenskonflikte. Die
staatsanwaltschaftliche Untersuchung wird außerdem auf weitere namhafte Firmen ausgeweitet.
Unter der Überschrift „Wall Street
Cheerleader unter Druck“ haben
wir im Juli 2001 dieses Thema bereits behandelt. Im August 2001
berichteten wir dann kurz über den
von einigen Unternehmen der
Branche vorgelegten Lösungsvorschlag, den Analysten den Kauf der
von ihnen besprochenen Aktien zu
verbieten. Unsere damals gemachte, etwas ironische Gegenanregung:
„Der Analyst muß jede von ihm als
Kauf eingestufte Aktie kaufen und
darf sie erst dann wieder veräußern,
wenn er eine Verkaufsempfehlung
publiziert hat.“
Das Gesamtmodell
Es haben sich nur unwesentliche
Änderungen bei den von uns beachteten Modellbausteinen ergeben. Die fundamentale Bewertung
bleibt extrem hoch. Weder eine
deutliche Erholung der Unternehmensgewinne noch fallende Zinsen
zeichnen sich ab. Die monetären
Rahmenbedingungen haben sich
verschlechtert. Die Wachstumsraten der US-Geldmenge MZM, deren annualisierte Dreimonatsveränderung seit Anfang 2001 zweistellig war und in der Spitze sowohl
im April 2001 als auch im Dezember
2001 über 25% betrug, liegt bei nur
noch knapp 4%. Diesen scharfen
Rückgang werten wir als sehr bedenklich für einen Aktienmarkt auf
einem Niveau, dem jede fundamentale Basis fehlt. Trotz der sehr niedrigen kurzfristigen Zinsen beurteilen wir die monetären Rahmenbedingungen jetzt insgesamt als
negativ. Die Sentiment-Indikatoren
zeigen weiterhin ein sehr hohes
Maß an Optimismus und werden
von uns ebenfalls negativ beurteilt.
Beispielhaft genannt seien hier der
CBOE-Volatilitätsindex sowie der
Indikator von Investors Intelligence,
der den Anteil optimistischer Börsenbriefe ermittelt. Er befindet sich
seit zehn Wochen über der kritischen
50%-Marke. Außerdem spricht z.B.
der mit 74% sehr hohe Anteil der
Aktien, die über ihrer 200-Tage-
Durchschnittlinie notieren, klar gegen
eine deutliche Aufwärtsbewegung.
Vorboten dessen, was uns die
Indizes in den nächsten Monaten
bescheren werden.
Fazit
Sowohl die Nasdaq als auch der
S&P 500-Index notieren auf ungefähr demselben Niveau wie Mitte
November 2001. Diese ausgedehnte Seitwärtsbewegung, für Bullen
und Bären gleichermaßen unbefriedigend, hat ungewöhnlicherweise nicht zu steigendem Pessimismus der Marktteilnehmer geführt,
sondern das Gegenteil bewirkt. Ein
seltenes Phänomen, das wir als
klare Bestätigung unserer Arbeitshypothese betrachten, Zeuge einer
ausgeprägten Bearmarket-Rallye
zu sein. Wir sehen keinerlei Gründe,
von unserer Prognose deutlich fallender Aktienkurse abrücken zu
können. Wir rechnen weiterhin mit
einem Test der September-Tiefs
und befürchten ein Unterschreiten
dieser Marke. Befürchten?
1600
1400
1200
1000
800
600
1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002
S&P 500 1993-2002
Wie Sie dem langfristigen S&P 500Chart entnehmen können, würde
diese Entwicklung eine geradezu
lehrbuchmäßige obere Umkehrformation entstehen lassen, die
von ihren Dimensionen her dem
Ende eines säkularen Aufwärtstrends würdig ist. Das sich aus dieser Formation ergebende langfristige Kursziel werden wir erst dann
besprechen, wenn sie tatsächlich
nach unten abgeschlossen werden
sollte.
Chartanalyse
Dow Jones
Industrial Average
Der Dow Jones kam nicht über die
obere Begrenzung der von uns
genannten Widerstandszone von
10000 bis 10600 Punkten hinaus
und hat deren Bedeutung damit
bestätigt. Er befindet sich noch immer über seiner fallenden 200-TageDurchschnittlinie. In Bärenmärkten
betrachten wir Kurse oberhalb dieses fallenden Durchschnitts als Ver11000
10000
9000
8000
06/01
09/01
12/01
03/02
DJIA
kaufsgelegenheiten. Der Index
„kämpft“ mit der Aufwärtstrendlinie, die die Bearmarket-Rallye von
den September-Tiefs beschreibt. Die
nächsthöheren Widerstände liegen
bei etwa 11000 Zählern. Da wir keine
Bodenbildung ausmachen können,
und der Index die für BullmarketBewegungen typische Aufwärtsdynamik vermissen läßt, bleiben wir
bei unserer Prognose fallender Kurse.
Das mittelfristige Kursziel, das sich
als Minimum aus der oberen Umkehrformation ergibt, sehen wir unverändert bei 7400.
S&P 500
Dieser breitgefaßte Index zeigt
technisch ein schwächeres Bild als
der Dow Jones. Er verläuft unter
seiner fallenden 200-Tage-Durchschnittlinie und konnte im März
seine Zwischenhochs von Dezember
1350
Zwei der größten US-Unternehmen,
IBM Corp. und General Electric (GE),
haben in ihren Charts deutliche,
dynamische Ausbrüche nach unten
zu verzeichnen. IBM Corp. hat damit
eine dreijährige obere Umkehrformation nach unten abgeschlossen.
GE hat das bei einer zweijährigen
Formation bereits im September
2001 getan und durch den neuerlichen Abriß diese Interpretation bestätigt. Beide Aktien befinden sich
somit in einem langfristigen Abwärtstrend. Wir betrachten das als
1250
1150
1050
950
06/01
09/01
12/01
03/02
S&P 500
2001 und Januar nicht übersteigen.
Er befindet sich auf dem Niveau
von Anfang November 2001 und
hat ebenfalls Schwierigkeiten, die
Aufwärtstrendlinie von September
2001 zu verteidigen. Widerstände
sehen wir bei 1170 sowie 1200 bis
1250 Punkten. Wir rechnen weiter-
06
Marktanalyse
Research
Der vergessene Geburtstag
Aggressives Wachstum
Langfristiges Wachstum
Mittleres Wachstum
Moderates Wachstum
Liquide Mittel
Festverzinsliche Wertpapiere
Aktien
XAU
Nikkei
25%
20%
15%
15%
35%
20%
35%
60%
35%
55%
45%
20%
5%
5%
5%
5%
„Wir halten diesen Index für einen
klaren charttechnischen Kauf, spätestens bei einem kurzfristigen
15000
hin mindestens mit einem Test der
September-Tiefs von etwa 950 und
befürchten ein Unterschreiten dieser Marke. In diesem Fall würde
sich weiteres erhebliches Abwärtspotential eröffnen.
Wachstumsmarkt bezeichnet wird.
Der Index ist unter der 200-TageDurchschnittlinie und bemüht sich
06/01
5500
4500
3500
06/01
09/01
12/01
03/02
DAX
lich 13%. Aus diesem Grund sehen
wir diese kurzfristige relative Stärke
noch nicht als bemerkenswertes
positives Zeichen an. Der DAX verläuft über seiner fallenden 200Tage-Durchschnittlinie und konnte
sich bis jetzt oberhalb der Aufwärtstrendlinie behaupten. Der Index hat
die Januar-Hochs von 5350 Punkten
entgegen unserer Erwartung überschritten, bisher jedoch nur um 2%
in einer nichtdynamischen Bewegung. Dadurch läßt sich jetzt eine
leicht schräg verlaufende Widerstandslinie einzeichnen, die derzeit
etwas oberhalb von 5500 Punkten
verläuft. In Analogie zu den USamerikanischen Leitbörsen erwarten wir eine Wiederaufnahme des
Abwärtstrends und einen Test der
September-Tiefs.
Nasdaq Composite
Claus Vogt
Leiter Research
cvogt@effektenbank.de
07
Relativ schwach zeigt sich weiterhin das Marktsegment, das jeder
Realität hohnsprechend weiterhin
von zahlreichen Cheerleadern als
09/01
12/01
03/02
2600
Nikkei
2200
06/01
6500
11000
10000
1400
Seit den September-Tiefs zeigt sich
der DAX in einer technisch etwas
stärkeren Verfassung als die besprochenen US-Indizes. Langfristig
gilt das natürlich nicht, denn der
deutsche Markt notiert 35% unter
seinem Höchstkurs, der S&P 500
nur 27% und der Dow Jones ledig-
13000
12000
3000
1800
DAX
14000
09/01
12/01
03/02
Nasdaq
ebenfalls, die kurzfristige Aufwärtstrendlinie zu halten. Massive Widerstände beginnen bei 1950 bis 2000
Zählern. Nur ein von uns als unwahrscheinlich erachteter dynamischer
Ausbruch über diese Marke würde
die technische Situation aufhellen.
Allerdings befinden sich im Bereich
2000 bis 2300 Punkte weitere erhebliche Widerstände, deren Überschreiten vor dem Hintergrund
gerade in diesem Segment besonders massiver Überbewertungen
nur als neuerliches Aufflackern
massenhysterischer Verblendung
gedeutet werden könnte.
NEMAX
Der Neue Markt, der den unvorein-
Test der Ausbruchslinie bei gut
11000 Punkten“, schrieben wir letzten Monat. Dieser Test ist in der
Zwischenzeit bereits zweimal erfolgt, wobei der Index jeweils die
fallende 200-Tage-Durchschnittlinie von oben berührte. Es bleibt
folglich bei der positiven Interpretation und einem ersten Kursziel
von 13000 Zählern. Die Beachtung
von Stop Loss-Marken empfehlen
wir immer, aufgrund der prekären
Situation des japanischen Finanzsystems weisen wir aber noch einmal speziell auf die Wichtigkeit
dieser Disziplin hin.
XAU
Der Gold- und Silberminenindex
befindet sich in einem noch jungen
Aufwärtstrend. Die 200-Tage-Durchschnittlinie steigt, die kurzfristige
75
70
2000
65
1800
60
1600
1400
55
1200
50
1000
06/01
800
06/01
09/01
12/01
03/02
NEMAX
genommenen Beobachter mit nahezu allen Meldungen verwöhnt, die
im Anschluß an eine wilde Spekulationsblase zu befürchten sind,
befindet sich unterhalb seiner 200Tage-Durchschnittlinie und in einem
Abwärtstrend, der durch den Bruch
der kurzfristigen Aufwärtstrendlinie
erneut bestätigt wurde. Der NEMAX
kam mit 921 Zählern unserem kurzfristigen Kursziel von 870 bereits
recht nah. Wir können noch immer
keine Anzeichen einer möglichen
Bodenbildung ausmachen und rechnen mit weiter fallenden Kursen.
09/01
12/01
03/02
XAU
Aufwärtstrendlinie verläuft bei
etwa 65, weitere Unterstützung
sehen wir bei 60 Zählern. Wie in
jedem Bullenmarkt betrachten wir
jede Konsolidierung, die rund 10%
übersteigt, als klare Kaufgelegenheit. Bekanntlich empfehlen wir in
unserer Asset Allocation einen
5%igen Goldminenanteil. Diese
Position betrachten wir als langfristiges Investment, also auf Sicht
von idealerweise mehreren Jahren.
Die erwähnten Konsolidierungen
können zum zusätzlichen Eingehen
tradingorientierter Positionen genutzt werden.