26. Juni – 17. Juli 2011 Bochum – Leverkusen – Mönchengladbach

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26. Juni – 17. Juli 2011 Bochum – Leverkusen – Mönchengladbach
Ministerium für Familie, Kinder,
Jugend, Kultur und Sport
des Landes Nordrhein-Westfalen
21 von uns
FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Deutschland 2011™
26. Juni – 17. Juli 2011
Bochum – Leverkusen – Mönchengladbach
Lebensbildung
www.mfkjks.nrw.de
21 von uns
Einundzwanzig von uns. Ein Titel, ein Magazin, passend zur Weltmeisterschaft im Frauenfußball. Eine Weltmeisterschaft, die in den Sommermonaten Juni und Juli für elf Spiele im
Sport- und Fußballland Nordrhein-Westfalen gastiert. In den Stadien von Bochum, Leverkusen und Mönchengladbach. Jedes Team kommt mit 21 Spielerinnen. 21 Fußballerinnen,
die sich für diese WM in ihren Heimatländern qualifiziert haben. Unser NRW-Team – „21 von
uns“ – ist auch dabei. Es sind Top-Sportlerinnen aus Nordrhein-Westfalen, die als Botschafterinnen des Sports für dieses Land stehen. Wir porträtieren die ehemaligen Gewinnerinnen von Pokalen und Medaillen, aber auch die aktuellen Erfolgssportlerinnen sowie Talente
mit Zukunft. 21 Sportlerinnen aus Nordrhein-Westfalen und das NRW-Team in der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft begleiten uns in den schönsten Fußballwochen
dieses Sommers.
FIFA Frauen-Weltmeisterschaft
Deutschland 2011™
26. Juni – 17. Juli 2011
Bochum – Leverkusen – Mönchengladbach
4
i n h a lt
einundzwanzig von uns
editorial
6Ute Schäfer
Die Sportministerin will die FIFA
Frauen-WM nutzen, um Mädchen mit
Migrationshintergrund zu integrieren
Fussball-WM in NRW
8 Die Fußballroute
Unterwegs zu historischen Stätten des
Fußballs als Einstimmung auf die WM
9 Bochum
Currywurst und Grönemeyer
10 Leverkusen
Chemie & Sport unter dem Bayer-Kreuz
11 Mönchengladbach
Große Spieler, weltbekannte Trainer
unterwegs in nrw
90 Land und Leute
Von Flüssen und Seen, Tälern und
Hügeln, Dörfern und Städten,
freundlichen und sturen Menschen
92 Metropolen
Münchens begeisterter Blick auf
Deutschlands einzigen Ballungsraum –
die Region Rhein-Ruhr
94 Landschaften
Schönheiten mit hohem Erholungswert
zwischen Eifel und Teutoburger Wald
96Quartiere
Die schönen und heimlichen Ecken –
Spurensuche in Häfen und auf
türkischen Meilen
21 SPortlerinnen im Porträt
12
Heide Ecker-Rosendahl
Die Leverkusenerin fühlt sich im
Münchner Olympiastadion zu Hause
16Silvia Neid
Die Welttrainerin gibt sich vor der
Operation Titelverteidigung gelassen
20Steffi Nerius
Die Engagierte will Speerwerfen in
Deutschland populärer machen
22 Juliane Schenk
Die Gegensätzliche holt sich die
Ruhe für ihr Badmintonspiel in einer
Krefelder Kirche
26 Claudia Bokel
Die IOC-Dame kümmert sich nun
international um das Wohl der Sportler
28 Marion Rodewald
Olympiagold, Gartenarbeit, Doktorarbeit
– so entspannt die Hockey-Kapitänin
32Angelina Grün
Der Volleyballstar ist immer unterwegs
– jetzt probiert sie Beachvolleyball
36Nadine Schmutzler
Die Ruderin ist mit der Heimat
verbunden und trainiert auf
Dortmunder Kanälen
38 Clara Woltering
Bevor die Handball-Torhüterin Bäuerin
wird, will sie in die Champions League
42Sarah Poewe
Die Weltenbummlerin will nach London,
muss aber zuvor zur Fürstenhochzeit
44Anke Feller
Die Quereinsteigerin steht an der
Spitze der NRW-Sportstiftung
56
Petra Quade
Die Laufschuhe der sechsfachen
Olympiasiegerin liegen im
Hafenbecken von Sidney
60 Linda Stahl
Die Speerwerferin hat klare Ziele:
72 Meter und ihre Promotion
62Stephanie Groß
Die Weltklasseringerin krabbelte
schon als kleines Mädchen auf
der Matte
66 Katja Seizinger
Deutschlands erfolgreichste
Skiläuferin fuhr ihre erste Abfahrt
im Wiehengebirge
70 Britta Heidemann
Eine außergewöhnliche Sportlerin,
die chinesisch spricht und nun
ein Buch schreibt
74 Ingrid Klimke
Die Olympiasiegerin wollte Lehrerin
werden, nun bildet sie Pferde aus
76Ulrike Nasse-Meyfarth
Zwischen zwei Olympiasiegen lag die
Hochspringerin richtig am Boden
80 Tanja Szewczenko
Die Eisprinzessin schauspielert nun
84 Isabell Werth
Nach vier Olympiasiegen denkt die
Dressurreiterin nicht ans Karriereende
88 Lena Schöneborn
Bis London heißt es für die Moderne
Fünfkämpferin studieren und trainieren
fuSSball extra
Sportland NRW
48
19
25
01 Frauenfußball
31
03 Deutsche Sporthochschule
41
04 Gerry Weber Open
47
05 Sportstiftung NRW
59
06 Behindertensport
64
07 Fußballland
73
08 DFB-Fußballmuseum
83
09 CHIO Aachen
Die Spielerinnen
Zum Kader des deutschen
Fußballteams gehören acht Frauen
aus Nordrhein-Westfalen
49Ursula Holl
Die Torfrau ist „verliebt in Köln“
49 Linda Bresonik
Die Vielseitige sagt, was sie denkt
50Mannschaftsfoto
Acht plus 1 – Sportland NRW,
Fußballerinnenland
52Simone Laudehr
Die Weltmeisterin mit dem
tollen Torjubel
52 Inka Grings
Die Torjägerin mit dem
einmaligen Rekord
53Annike Krahn
Die Bochumerin mit
dem Heimatgefühl
54 Lisa Weiß
Die Torfrau möchte mit Oliver Kahn
gern Kaffee trinken
54Sonja Fuss
Die Wechselkönigin kommt bei
Tai Chi zur Ruhe
55Alexandra Popp
Die Sportrockerin kickte mit den
Schalker Jungs
02 Landessportbund
5
6
e d i to r i a l
Sport – Schule des Lebens
Sportministerin Ute Schäfer freut sich auf die Frauenfußball-WM
und will den Mädchenfußball in NRW voranbringen
Frau Schäfer, ist die Ministerin nur für Sport
zuständig oder treibt sie auch aktiv Sport?
Ich bin mit Sport groß geworden. Bevor ich
in die Politik gegangen bin, habe ich sehr
engagiert Volleyball gespielt, bis in die
Landesliga. Das habe ich mit großer Leidenschaft gemacht, mit allem, was dazugehört: Training, Spiele, Mannschaftsleben.
Doch nach dem letzten Bänderriss habe
ich dann gedacht: So, jetzt ist die Zeit für
einen Wechsel da. Leider bleibt mir heute
während meiner Arbeit nur noch Joggen
und Schwimmen. Ich jogge zweimal in der
Woche, morgens bevor ich ins Ministerium
fahre. Das Schwimmen reduziert sich auf
die Wochenenden, dann gehe ich sehr gerne in meiner Heimat ins Thermalbad von
Bad Salzuflen.
Welche Bedeutung hat die FrauenfußballWM für Nordrhein-Westfalen?
Es ist wunderbar, dass wir drei Spielorte
haben; für uns sind zwei Punkte sehr
wichtig. Zum einen möchten wir natürlich
den Frauenfußball in Nordrhein-Westfalen
nachhaltig unterstützen und stärken. Er
ist eine gute Marke für unser Land. Zum
anderen möchten wir uns auch bei dieser
Fußball-WM gerne als das gastfreundliche, weltoffene und sportbegeisterte
Bundesland zeigen, das wir sind.
Wie machen Sie das?
Die Landesregierung unterstützt die Weltmeisterschaft mit einem großen Rahmenprogramm, mit Festivals in Bochum, Leverkusen und Mönchengladbach. Wir haben
zusammen mit den Partnern aus dem Tourismus einen Guide erstellt, um auch inter-
nationalen Gästen ein gutes Angebot zu
machen. Die drei Städte stellen sich vor
und werben für sich und auch für Nordrhein-Westfalen. Alle, die in einem Umfeld
einer Fußballweltmeisterschaft dabei sind,
sollen überzeugt sein, dass es sich lohnt,
nach Nordrhein-Westfalen zu kommen, weil
wir in Sport, in Kunst und in Kultur viel zu
bieten haben.
Ihr Thema ist, war und bleibt die Bildungspolitik. Kann die Frauenfußball-WM auch
genutzt werden, um diese Sportart im
Schulsport interessanter zu machen?
Zunächst muss ich sagen, dass Frauenfußball vor allem Mädchenfußball ist. Mädchenfußball ist im Schulsport wirklich im
Kommen. Natürlich nehmen wir die Weltmeisterschaft zum Anlass, die Schulen zu
bitten, im Umfeld der Fußballweltmeisterschaft das Thema im Unterricht einzubringen und die Spiele zu besuchen. Das betrifft vor allem die Schulen im Umfeld der
Veranstaltungsorte. Außerdem: Wir haben
in Nordrhein-Westfalen über 318 000 junge
Mädchen und Frauen, die in 3100 Vereinen
Fußball spielen. Außerdem fördern wir die
Sportart in den drei Leistungsstützpunkten
Kamen-Kaiserau, Bochum und Leverkusen.
Die Erfolge sind sichtbar, schließlich stehen
sechs Spielerinnen aus NRW im Kader der
deutschen Nationalmannschaft.
NRW ist eine Keimzelle für guten Frauenfußball, und wir möchten Fußball noch
stärker als Integrationsmotor nutzen. Dafür haben wir ein Projekt gestartet, das
heißt „Mädchen mittendrin“. Junge Mädchen mit Migrationshintergrund und Zuwanderungsgeschichte sollen über den
Fußball noch stärker in die Gesellschaft
eingebunden werden. Wenn ich die Kader
von Frauen- und Männernationalmannschaft vergleiche, sieht man, dass es im
Bereich Integration bei den Frauen durchaus noch Potenziale gibt.
Welche Bedeutung hat der Sport heute in
der Gesellschaft?
Ich bezeichne Sport gerne als Schule des
Lebens. Man lernt vor allem im Mannschaftssport viele Dinge, die man im Leben
gebrauchen kann. Das gemeinsame Gewinnen, das gemeinsame Verlieren, den Mannschaftsgeist, den Respekt vor anderen
Menschen, das Einsetzen von Kräften und
vor allen Dingen das Hinarbeiten auf ein
Ziel. All diese Dinge bekommt man mit,
wenn man mit dem Sport groß wird und
Mitglied eines Teams ist. Deswegen ist die
gesellschaftliche Bedeutung des Sports
nicht zu unterschätzen. Für mich ist Sport
ein Teil der Lebensbildung. Außerdem ist
Sport in einzigartiger Weise geeignet, Gräben zuzuschütten, die aus welchen Gründen auch immer zwischen unterschiedlichen Nationen entstanden sind. Das
gemeinsame Sportspiel ist die internationale Verständigung – da spielt Hautfarbe,
Kultur, Religion keine Rolle.
Erwarten Sie wie 2006 ein Sommermärchen?
Das hängt natürlich vom Wetter ab. Ich
glaube, diese Fußballweltmeisterschaft
wird eine ganz eigene Ausstrahlung haben.
Ein großes und fröhliches Sommerfest für
alle – in den Stadien und im ganzen Land.
Das wünsche ich uns!
7
8
h i sto r i s c h e o rt e
Die Fußballroute
s p i e lo rt bo c h u m
Die Wahrzeichen Bochums: die Currywurst-Meile „Bermuda3Eck” in der Innenstadt,
der Kulturtempel Jahrhunderthalle (Mitte) und das Deutsche Bergbau-Museum
Nordrhein-Westfalen empfängt die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft zu elf Spielen in
drei tollen Stadien und stimmt die Fans an historischen Stätten auf den Sommer ein
Bochum – Currywurst und Grönemeyer
Frauen zeigten ein geradezu bestrickendes
Spiel.“ Auf der DFR kann die Stinnes-Kampfbahn heute besichtigt werden.
W
er Geschichte und Geschichten
rund um den „Mythos Fußball“
an touristisch attraktiven Reisezielen und Kultstätten erleben
will, ist in Nordrhein-Westfalen richtig aufgehoben. Die Deutsche Fußball Route NRW
(DFR) macht die ganze Faszination des Fußballs bereits im Vorfeld und natürlich auch
während der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft
2011 als Gesamterlebnis erfahrbar.
Die Ferienstraße der Ballkultur führt zu den
Kultstätten des Fußballs. Die Stadien in Bochum, Leverkusen und Mönchengladbach,
die zu den WM-Spielorten gehören, sind per
Radtour perfekt und stressfrei erreichbar.
Dazu locken viele attraktive Ausflugstipps
rund um Ball, Kultur und Shopping. Alles
auf der Deutschen Fußball Route.
In einer Zeit, in der „Damenfußball“ noch verpönt, verlacht und sogar vom DFB verboten
war, wurde beispielsweise im Essener Mathias-Stinnes-Stadion Geschichte geschrieben.
Am 23. September 1956 kam es hier vor
18 000 Zuschauern zum ersten „FußballLänderspiel der Damen zwischen Westdeutschland und Westholland“. Deutschland gewann
2 : 1, und die Wochenschau kommentierte begeistert: „Die Gleichberechtigung schreitet
auch in Fußballstiefeln voran. Die deutschen
Nicht weniger als 90 Ballerlebnisse auf 820
Kilometern ausgeschilderter Radstrecke sowie 15 lokale Städterouten voller Lust und
Leidenschaft von Aachen nach Bielefeld erwarten Freunde des runden Leders auf der
Fußball-Ferienstraße. Es ist eine Route, die
für die ganze Familie in Etappen erlebt werden kann. Selbstverständlich gibt es auch
rund um die WM-Spielorte Bochum, Leverkusen und Mönchengladbach eine Menge
zu erzählen.
Die Deutsche Fußball Route NRW führt zu
den Kultstätten des Fußballs. Etwa ins Aachener „Café Madrid“, wo die halbe Alemannia-Mannschaft 2006 vor dem Fernseher ihres Stammlokals saß und ihren vorzeitigen
Aufstieg in die Fußballbundesliga spontan
feierte. Das Geißbockheim des 1. FC Köln im
idyllischen Stadtwald steht natürlich auf der
Besuchsliste, zumal sich auf der Terrasse regelmäßig Spieler, Trainer und auch Clubpräsident Wolfgang Overath sehen lassen.
Mönchengladbach ist eine Station, schließlich lässt sich am neuen Borussia Park
die Deutsche Eiche besichtigen, die von der
Meistermannschaft um Günter Netzer
1970 bezahlt und angepflanzt wurde. Oder
die Pizzeria „La Barca“ in Krefeld, wo der
spätere Italienstar und heutige Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff seinen 18. Geburtstag feierte.
Ein Ort der Trauer ist der Worringer Platz in
Düsseldorf, auf dem Willy Pesch, Torwart der
33er-Meisterelf der Fortuna, bei einem tragischen Straßenbahnunfall ums Leben kam. In
der rheinischen Nachbarstadt Duisburg erinnert man sich im Meidericher Clubhaus
des MSV noch gern an das Telegramm vom
DFB mit der Nachricht über die Teilnahme
an der ersten Bundesligaspielzeit.
Bochums Botschafter heißen Grönemeyer. Herbert, der Barde. Und sein Bruder, der nicht
singen kann, aber auch bekannt ist. Dietrich heißt der, ist Medizinier mit Institut in Bochum
und hält professorale Vorlesungen in Harvard und an der Georgetown University. Die Grönemeyers, Söhne eines Bergwerkdirektors, wurzeln in Bochum. Sie bekennen sich trotz Weltruhms zu der Stadt, die anders geworden ist als sie war, da die Brüder in der Blüte von Kohle
und Stahl aufgewachsen sind. Damals zählte Bochum die meisten Zechen im Ruhrgebiet.
Kohle und Stahl, das ist vorbei. Geblieben ist Opel. Geblieben ist die Herzlichkeit.
Der Altmarkt in Oberhausen zählt dazu,
wo Kneipenwirt Carl Fritz seine Gaststätte
„Fritz am Altmarkt“ in Rotlicht tauchte,
wenn RWO gewonnen hatte. Auch die „Friesenstuben“ in Essen, das Stammlokal von
Helmut Rahn, wo der „Boss“ am Tresen immer wieder an sein drittes Tor von Bern erinnerte – wenn er gut drauf war. Klar, dass
die Fußballroute auch am Schalker Markt
haltmacht, wo vor dem Krieg sechs Deutsche Meisterschaften und drei weitere
Finalteilnahmen gefeiert wurden.
Einen Stopp auf der Fußballroute kann man
gut an der Privatbrauerei Moritz Fiege einlegen, in der sich regelmäßig Fans und Spieler
des VfL Bochum zum Saisonauftakt treffen.
Oder am Stammsitz der Firma Steilmann in
Bochum: Hier verdiente SG Wattenscheids
Übervater, Mäzen und Clubpräsident Klaus
Steilmann die Brötchen für die Mannschaftskasse. Nur wenige Kilometer entfernt liegt
das Stadion Rote Erde in Dortmund, in dem
Borussia 1963 – mit Hans Tilkowski im Tor
und Wolfgang Paul als Libero – in einem wahren Spielrausch Benefica Lissabon mit ihrem
Star Eusebio mit 5 : 0 vom Platz fegte.
In Westfalen endet die NRW-Fußballroute.
Entweder an der Alten Mühle in Münster, wo
Spielerlegende Fiffi Gerritzen, der wegen
Verletzung die WM 54 verpasste, später ein
Künstleratelier betrieb. Oder im Stadion
Russheide in Bielefeld. Dort hängte Nationalkeeper Uli Stein seine Torwarthandschuhe
an den berühmten Nagel.
Und die Currywurst. Herbert, die Stimme, besingt sie wie kein anderer: „Gehse inne Stadt,
wat macht dich da satt? Ne Currywurst.“ Und wo isst er sie? Im „Bermuda3Eck“ natürlich,
„die Echte von Dönninghaus“. Der Siegeszug dieser knusprig gebratenen krummen Dinger,
die in einer geschärften roten Tomatentunke zum Verzehr gereicht werden, hat längst die
Grenzen des Reviers gesprengt.
Technologie, flankiert von einer kreativen Kulturszene
Bochum in Zahlen
• Einwohner: 367 117
• Fläche: 145,44 km²
• Region: Ruhrgebiet
• Stadion: FIFA Frauen-WM-Stadion
Bochum
• Kapazität: 23 000 überdachte Plätze
• Spiele: 4 Vorrundenspiele
Bochum ist derweil modern geworden. Die Ruhr-Universität trägt dazu bei, und die angeschlossenen wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen. So lässt der kanadische Blackberry-Hersteller RIM hier seit einigen Jahren speziell für den europäischen Markt Geräte entwickeln. Der digitale Umbruch der Gesellschaft schafft in der Reviermetropole neue,
moderne Arbeitsplätze. In der Kulturszene wird der Wandel besonders sichtbar. So strahlt
die Industrieruine Jahrhunderthalle als Zentrum des jährlichen Kulturfestivals Ruhrtriennale eine ganz besondere Atmosphäre aus. Das Schauspielhaus ist durch sein fantastisches Sprechtheater bundesweit bekannt geworden.
Bleibt noch der Sport und der VfL – natürlich auch von Grönemeyer besungen. Dem schon
gewohnten Wechsel zwischen Bundesliga und 2. Liga wurde in diesem Jahr (fast) ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Doch es klappte nicht ganz mit dem Aufstieg. In der Relegation
scheiterten die kämpfenden Revierfußballer an der spielerischen Klasse des rheinischen
Nachbarn aus Mönchengladbach.
s p i e l p l a n
WochentagDatum/Uhrzeit
Montag
b o c h u m
Begegnung
27. Juni 2011, 15:00 UhrVorrunde Gruppe B: Japan – Neuseeland
Donnerstag 30. Juni 2011, 18:00 UhrVorrunde Gruppe A: Kanada – Frankreich
Sonntag
03. Juli 2011, 14:00 Uhr Vorrunde Gruppe D: Australien – Äquatorialguinea
Mittwoch
06. Juli 2011, 20:45 UhrVorrunde Gruppe C: Nordkorea – Kolumbien
9
10
s p i e lo rt l ev e r kus e n
s p i e lo rt m ö n c h e n g l a d bac h
Vielfalt in Leverkusen: Der Bayer-Konzern prägt das Stadtbild, in dem schöne, ruhige Ecken
wie Schloss Morsbroich und der Japanische Garten zum Verweilen einladen
Tolles Museum – historische Gebäude: das Städtische Museum Abteiberg in Mönchengladbach,
die Altstadt und die Kaiser-Friedrich-Halle
Leverkusen –
im Zeichen des
Bayer-Kreuzes
Nach Sonnenuntergang leuchtet Leverkusen schon von Ferne. Das Bayer-Kreuz – aufgestellt über dem Autobahnkreuz von A 1 und A 3, signalisiert als Wahrzeichen den anreisenden Autofahrern, dass man auf eine Stadt zusteuert, die von diesem einen Konzern lebt.
Der nicht nur die Welt mit seinen Arzneimitteln und Chemieprodukten verändert hat, sondern mit seinen auf Hunderten Hektar ausgebreiteten Industrieanlagen das Bild einer kleinen rheinischen Stadt mit 160 000 Einwohnern prägt. Der sich an seinem Standort engagiert, in das Stadtbild wie in das Gemeinwohl investiert. Und der mit vielen Millionen
Euro ein Image als Sportstadt aufgebaut hat.
Mönchengladbach – rund um den Abteiberg
Dass Mönchengladbach auf eine 1000-jährige Geschichte zurückblickt, spürt der Besucher nicht auf den ersten Blick. Eingebettet in die attraktive grüne Landschaft zwischen
Maas und Niederrhein, begegnet ihm ein pulsierendes Stadtleben. Die Nähe zu den niederländischen Grenzstädten Venlo und Roermond sorgt für einen regen kleinen Grenzverkehr,
der sich besonders an den Wochenenden bemerkbar macht. Kulturell ist Mönchengladbach ein kleines Schatzkästlein: So zeigt das Städtischen Museum Abteiberg moderne
und zeitgenössische Kunst, das Münster bietet Liebhabern sakraler Kunst viel Sehenswertes, und bei Besuchen von Schloss Rheydt und Schloss Wickrath erhält man einen kleinen
Einblick in die Welt der früheren rheinischen Adelshäuser.
Sport in Leverkusen, darüber ist in diesem Heft noch einiges zu lesen. Wir wollen nicht
weiter erwähnen, wie oft das Fußballteam vom TSV Bayer 04 Vizemeister geworden ist.
Immerhin haben die Kicker 1988 den UEFA-Cup gewonnen, man galt und gilt als Ausbildungsverein für junge deutsche und südamerikanische Talente, die sich in der Werkself
ihre Klasse für die europäische Spitze antrainierten.
Aber Sport ist nicht nur Fußball, ist nicht nur Rudi Völler und Ulf Kirsten. Bayer-Sport ist
auch Leichtathletik, Behinderten- und Breitensport, ist Nachwuchsförderung. Die größten
Erfolge erzielten die Münchner Olympiasiegerinnen Heide Ecker-Rosendahl und Ulrike
Nasse-Meyfahrt, die erst kürzlich in die „Hall of Fame“ des deutschen Sports aufgenommen
wurden. Oder Heike Henkel und Britta Heidemann mit ihren olympischen Goldmedaillen.
Leverkusen in Zahlen
Exotik und Schönheit im Japanischen Garten
• Einwohner: 160 593
• Fläche: 78,85 km²
• Region: Rheinland
• Stadion: FIFA WM-Stadion Leverkusen
• Kapazität: 30 210 Plätze
• Spiele: 3 Vorrundenspiele,
1 Viertelfinale
Schauen wir uns noch kurz in der Stadt um: Auch die Kultur spielt in der ersten Reihe.
Das Jazzfestival und die Ausstellungen im Museum von Schloss Morsbroich werden national beachtet. Und zur Entspannung geht man in Bayer-Town mit 30 000 anderen am Wochenende nicht nur in die unter einem schwungvollen Dach verborgene supermoderne
BayArena, sondern bisweilen auch in den Japanischen Garten. Exotik und Schönheit,
eine Ruheoase mitten in der Stadt.
s p i e l p l a n
WochentagDatum/Uhrzeit
l e v e r k u s e n
Begegnung
Große Spieler und weltbekannte Trainer
Mönchengladbach in Zahlen
• Einwohner: 258 251
• Fläche: 170,44 km²
• Region: südlicher Niederrhein
• Stadion: Stadion im BORUSSIA-PARK
Mönchengladbach
• Kapazität: 46 249 Plätze
• Spiele: 2 Vorrundenspiele (eines mit
deutscher Beteiligung), 1 Halbfinale
Am Wochenende geht man zur Trabrennbahn, auf den Golfplatz, zum Hockey und/oder –
zur Borussia. Mönchengladbachs Werbeträger Nummer 1, seit sich die Textilindustrie
aus der Region weitgehend verabschiedet hat, die Fachleute für Textil und Design allerdings noch immer an der Fachhochschule ausgebildet werden. Also Borussia: fünffacher
deutscher Meister, UEFA-Cup-Sieger. Große Spieler betraten auf dem Bökelberg als
„Fohlen“ den Rasen: Netzer, Heynckes, Vogts oder Matthäus; weltbekannte Trainer wie
Hennes Weisweiler oder Udo Lattek standen an der Außenlinie und ließen einen fantastischen Angriffsfußball spielen. Das liegt Jahrzehnte zurück. Seit dem Umzug in den
neuen Borussia-Park läuft es nicht mehr so gut. Immerhin schaffte das Team in diesem Jahr per Relegation den Klassenerhalt in der Bundesliga. Die Fan-Begeisterung ist
jedoch nach wie vor riesengroß.
s p i e l p l a n
m ö n c h e n g l a d b a c h
WochentagDatum/Uhrzeit
Begegnung
Dienstag
28. Juni 2011, 15:00 UhrVorrunde Gruppe C: Kolumbien – Schweden
Mittwoch
29. Juni 2011, 18:15 UhrVorrunde Gruppe D: Brasilien – Australien
Freitag
01. Juli 2011, 15:00 UhrVorrunde Gruppe B: Japan – Mexiko
Dienstag
05. Juli 2011, 20:45 UhrVorrunde Gruppe A: Frankreich – Deutschland
Mittwoch
06. Juli 2011, 18:00 UhrVorrunde Gruppe D: Australien – Norwegen
Mittwoch
13. Juli 2011, 18:00 Uhr
Samstag
09. Juli 2011, 18:00 UhrViertelfinale Erster B – Zweiter A
Halbfinale Sieger VF 2 – Sieger VF 4
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12
Die Königin
Heide Ecker-Rosendahl ist ihrem Verein TSV Bayer 04 Leverkusen
treu geblieben – und fühlt sich im Münchner Olympiastadion zu Hause
D
as Jahr 1972. Willy Brandt wird erneut Bundeskanzler. Und Heide Rosendahl Bundeslieblingssportlerin. Die Welt blickt nach
Bonn, mehr noch nach München. Olympische Spiele. Sechs Tage dauern sie schon, als am
31. August unter dem futuristisch geschwungenen
Glasdach des Stadions eine junge atletische Frau
ihre Spikes in den roten Kunststoff der Weitsprunganlage bohrt und mit kräftigen, weit ausholenden
Schritten gen Absprungbalken des Sandkastens vor
der Haupttribüne stampft. Sie fliegt, der Sand spritzt
auf, als sich der Körper – Beine voraus, der Kopf tief
zwischen den Schultern – mit Wucht in das feine,
feuchte, gelbe Gekörn bohrt. Das weiße Trikot mit
dem roten Brustring verschwindet bei der Landung
im aufspritzenden Sand. 6,78 Meter! Das Stadion
bebt, wie ein einziger Schrei erlöst sich der Jubel
aus 80 000 Kehlen in den sommerlich blau-weißen Münchner Himmel. Der erste Versuch hat die
Konkurrenz geschockt. Stunden später ist es Gewissheit. Keine andere Athletin hat die 25-jährige
Deutsche, Dozentin der Sporthochschule Köln,
übertrumpfen können. Olympiasieg. Die erste
Goldmedaille für Deutschland. Am ersten Tag der
Leichtathletik, der Königsdisziplin. Unvergessen.
39 Jahre später. Leverkusen, ein schlichter dunkler
Raum, ein runder Tisch mit leerer hellgrauer Kunststoffplatte, zwei Stühle. Da sitzt diese Frau nun und
sagt: „Ich bin seit dem vergangenen Jahr Rentnerin.“
Kühl, ruhig, distanziert. Rentnerin hört sich an wie –
„Ich mach nichts mehr“. Aber das kann ja nicht stimmen, denn die große Dame des deutschen Sports
hat in ihrem Terminkalender gerade einmal eine
Stunde Zeit gefunden für ein Gespräch. „Ich bin in
diesem Mai total ausgebucht.“
Jetzt diese Begegnung, das erste Mal. Zwischenzeitlich Treffen mit vielen. Die Kanzler dieser Republik,
Brandt, Kohl, Schmidt, Schröder, Merkel waren dabei, die Sportasse Becker, Baumann, Beckenbauer.
Aber sie nicht. Und nun – nach vier Jahrzehnten –
Heide Ecker-Rosendahl. In dieser abgetrennten Ecke
eines Besprechungsraums der Leichtathletikhalle
des TSV Bayer 04 Leverkusen. Es hätte auch schöner sein dürfen.
„Meine Medaillen sind immer auf Reisen,
zuletzt in der Sparkasse von Bielefeld“
Was macht also eine Frau, die mit 25 Jahren zweimal
Gold (außer im Weitsprung noch als Schlussläuferin
der 4 x 100-Meter-Staffel) holte und eine Silberne
(Fünfkampf)? Und damit im Olymp des deutschen
Sports ihren Platz zementierte! Die denkt zunächst
nach. Ob es „wirklich schon 39 Jahre“ zurückliegt?
Bilder rasen durch den Kopf. Der grüne Trainingsanzug damals, die beiden Arme, die sie hochreckte, als
sie auf das oberste Podest kletterte, wie sich ihre
Hände über dem Kopf anfassten. Das Lachen, die
Brille, groß und nickelgerahmt. So trug man das
1972. John Lennon und Fritz Teufel setzten den Modetrend.
Die Brille ist schmaler geworden, randlos, die Trainingsjacke kommt immer noch aus Herzogenaurach,
die Farbe hat gewechselt, ist jetzt lila. Die Haare sind
kürzer geschnitten, betongrau. „Ich habe vier Enkelkinder.“ Schon wieder was Privates, das vielleicht
bedeuten soll, ich bin nicht mehr wichtig. Also, noch
ein Versuch: Die Medaillen, wo hängen die, haben die
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p o rt r ä t h e i d e ec k e r - ros e n da h l
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„Eine Stimmung wie in München habe ich bei
Olympischen Spielen nie wieder erlebt“
einen besonderen Platz? „Nein, die sind ordentlich
aufbewahrt, aber die sind auch oft auf Ausstellungsreisen, zuletzt in der Sparkasse in Bielefeld.“
Rosendahl mit 26 Jahren ihre Aktivenzeit. „Ich musste an meinen Beruf denken, wir haben mit dem
Sport ja nichts verdient, das war anders als heute.“
Okölogisch und ökonomisch leben
Trotz des Abstechers an die amerikanische Westküste blieb der Lebensmittelpunkt die rheinische Industriestadt unter dem Bayer-Kreuz. Sohn Danny wurde
hier geboren. Auch ihn zog es – natürlich – in den
Verein, in dem seine Eltern ihre Erfolge feierten. Danny Ecker wurde Stabhochspringer, brachte manchen
Sieg und eine 6-Meter-Überquerung mit nach Hause, doch die Muskeln und Sehnen warfen ihn immer
wieder zurück, beklagt die Mutter. Nun will er noch
einmal angreifen, mit 33 Jahren. „Wenn er London im
nächsten Jahr schaffen würde, das wäre schon toll“,
sagt Heide Ecker-Rosendahl, „die Konkurrenz ist
groß.“ Sie selbst hat nach ihren Münchner Spielen
fast alle Olympischen Spiele in der Welt besucht,
und begleitet ihren Sohn oft zu Wettkämpfen.
Der 300 Quadratmeter große Winkelbungalow im
Leverkusener Stadtteil Pattscheid ist offensichtlich
kein Museum. Das passt nicht zur Lebenseinstellung
der Pensionärin, die ein bewusstes Leben mit ihrer
Umwelt in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellt. Als
Unternehmerin hat sie in den vergangenen Jahren
Sportstudios betrieben – und eine Ernährungsberatung. 2008 legte sie sich ein Auto mit Hybridantrieb
zu, ein Jahr später wechselte die Vorzeigedame des
deutschen Sports daheim die Ölheizung aus. Wo früher 5000 Liter Heizöl im Tank auf Verbrennung warteten, lagern nun sieben Tonnen Holzpellets, die ökologisch und ökonomisch ihr Heim mit Wärme
versorgen.
Bewusst leben, gehört dazu auch noch Sport, vielleicht Joggen? „Um Himmels willen, alles, was länger
als eine 400-Meter-Runde ist, wird zu Qual.“ Damals
wie heute. „Wir spielen mit Leidenschaft Golf und
fahren Ski, dafür haben wir jetzt auch Zeit.“ Heide
Rosendahl spricht von ihrem Mann, John Ecker, dem
früheren amerikanischen Basketballstar bei den
Leverkusenern, den sie nach ihrem Olympiasieg kennengelernt hatte und dessen Namen sie nach der
Heirat ihrem eigenen voranstellte.
Zusammenhalt, Familienleben ist in diesem Sportlerhaus offenbar sehr wichtig. Zusammen gingen die
beiden Topathleten damals für eineinhalb Jahre
nach Los Angeles, „mein Mann wollte seine Ausbildung beenden“. Das war wichtiger als die Karriere
unter dem Basketballkorb oder auf der Laufbahn.
Ein Jahr nach ihren Olympiasiegen beendete Heide
Olympia begleitet ihr Leben
Wo es am schönsten war? „München, diese Stimmung habe ich nie wieder erlebt. Vielleicht war Sydney so ähnlich, aber nie so beeindruckend und euphorisch wie bei uns.“ Wie sie das so sagt, hat man
nicht den Eindruck, dass Heide Ecker-Rosendahl wegen des eigenen Ruhms diese Auswahl trifft. Es wirkt
bei ihr – wie alles, was sie sagt – überlegt. „Die Einmaligkeit eines zusammenhängenden Olympiaparks
hat es nirgendwo mehr gegeben.“ Und wenn sie
nach München kommt, in dieses Stadion, das nun
verwaist am Olympiaberg liegt und statt Leichtathleten Bon Jovi oder Madonna die Bühne bietet, wie ist
dann ihr Gefühl? „Ich fühle mich da unglaublich zu
Hause. So wie Boris Becker in Wimbledon. Ich könnte Wohnzimmer dazu sagen, aber das hat er ja schon
getan.“
Also überzieht diese so kühl wirkende Frau doch
Gänsehaut, wenn sie oben am Rand dieser einmaligen Betonschüssel steht. Auch nach 39 Jahren sind
die Gefühle von 1972 nicht abgestreift. Wäre auch
wenig glaubhaft.
Wie überhaupt Olympia ihr Leben begleitet. Nicht
nur der Besuch der Spiele – auch für die leider nicht
erfolgreiche Bewerbung Düsseldorfs für 2012 war
sie einst als Botschafterin unterwegs. Im Deutschen
Olympischen Sportbund (DOSB) arbeitet sie in Gremien mit und hat als stellvertretende Vorsitzende
der NRW-Sportstiftung auf die Beine geholfen. Heide
Ecker-Rosendahl hat mitgeholfen, dass der Spitzensport an Rhein und Ruhr topausgebildete Trainer
und Betreuer erhält. Nun nimmt sich die Stiftung die
Individualförderung der Sportler vor. Auch wenn das
Geld nicht mehr ganz so fließt wie zu Beginn – die
Erfolge sind sichtbar.
Das Jahr 2011. Heide Ecker-Rosendahl baut ein
Haus, eine Ferienanlage in Goch am Kesseler See.
Das Alfred-J.-Kwack-Haus. Kwack, ja, die Ente aus
Herman van Veens Balladen, ist Namensgeber dieser Erholungsanlage für Kinder und Jugendliche,
die seelisch oder körperlich benachteiligt sind,
durch schwerwiegende Krankheitsverläufe kein fröhliches, unbeschwertes Leben hatten. Diesen jungen
Menschen, die bisher nicht, wie ihre Gleichaltrigen,
mit ihren Familien unbeschwerte Erholung oder
Ferien genießen durften, will sie helfen. Auch in den
nächsten Jahren, als 2. Vorsitzende der Hermanvan-Veen-Stiftung.
biografie
Heide Ecker-Rosendahl, 64, Leichtathletin
Erfolge: 1972 Olympiasiegerin im Weitsprung,
4 x 100-Meter-Staffel,
Silbermedaille im Fünfkampf, Weltrekordlerin
im Weitsprung und
Fünfkampf, Sportlerin
des Jahres
Verein: TSV Bayer 04
Leverkusen
Persönliches: Mitglied
im Vorstand der Sportstiftung NRW, Mitglied
in der DOSB-Kommission zur Aufarbeitung
Die Königin der Laufbahn hat die Dynamik von vor
fast 40 Jahren nicht verloren. Sie wirkt noch immer,
nur stiller. Auch dafür könnte es eigentlich Gold geben.
der Dopingvergehen
im Trainerstab der
früheren DDR, 2. Vorsitzende der Hermanvan-Veen-Stiftung
Aufgenommen in die
„Hall of Fame“ des
deutschen Sports,
ausgezeichnet mit
Der Sprung in die Sportgeschichte:
der Goldenen Sport-
Heide Rosendahl wird am 31. August 1972
pyramide
Olympiasiegerin im Weitsprung
15
16
p o r t r ä t s i lv i a n e i d
Die Welttrainerin
Silvia Neid wirkt ziemlich gelassen und entspannt vor der Operation
Titelverteidigung der Frauenfußball-Weltmeistermannschaft
D
biografie
Silvia Neid, 47, Fußballbundestrainerin
Erfolge: siebenfache
Deutsche Meisterin,
sechsfache Pokalsiegerin, dreimal Europameisterin, 48 Tore in
111 Spielen für die
deutsche Nationalmannschaft, ab 1996
Assistentin von Bundestrainerin Tina
Theune-Meyer, seit
2005 Cheftrainerin,
Weltmeisterin 2007,
Bronze bei den Olympischen Spielen 2008,
Europameisterin 2009
Verein: TSV Siegen
Persönliches: Trägerin
des Bundesverdienst-
as ist sie also. Auf dem Platz war sie eine
der erfolgreichsten deutschen Fußballerinnen, am Rand des Spielfelds brachte
sie es zur Rekordbundestrainerin. Zur
Weltmeisterin. Silvia Neid wirkt erstaunlich gelassen.
Vielleicht, weil sie so viele Titel einsammelte, die ihr
keiner mehr nehmen kann: Die Fifa kürte sie zur
ersten „Welttrainerin des Jahres“, Kanzlerin Angela
Merkel erkor sie zum „Glücksfall“ für ihre Sportart,
und DFB-Chef Theo Zwanziger adelte sie beim Empfang der deutschen Mannschaft nach dem Europameistertitel 2009 in Frankfurt laut Bild-Zeitung gar
zur „Lichtgestalt“.
Mit Fototerminen geht die 47-Jährige in diesen Tagen
freundlich, professionell um. Man könnte meinen,
dass Silvia Neid die Erwartungen kurz vor Beginn
der Frauenfußball-Weltmeisterschaft in Deutschland
langsam nervös machten: den Titel im eigenen Land
ein drittes Mal zu verteidigen und am Rande – bitteschön – noch für eine Wiederholung des Sommermärchens von 2006 zu sorgen.
Aber Neid lässt sich nicht beirren. Das hat sie noch
nie getan. Nicht, als sie als Kind anfing, Fußball zu
spielen, Anfang der 70er-Jahre noch ziemlich exotisch für ein Mädchen. Und auch nicht, als sie, blond
und zierlich, später dazu herangezogen wurde, das
Image ihrer Sportart im wahrsten Sinne des Wortes
aufzuhübschen. Fest steht: Ohne Silvia Neid wäre
der Frauenfußball in Deutschland heute nicht das,
was er ist – ein professioneller Leistungssport, der
immer mehr Zuschauer in die Stadien und Mädchen
in die Vereine zieht. Neid hat diese Entwicklung nicht
nur miterlebt – sie hat sie mitgestaltet.
kreuzes am Bande,
Silbernes Lorbeerblatt,
FIFA-Welttrainerin 2010
Wenn sie als Trainerin auf dem Platz steht und mit
verschränkten Armen die Spielerinnen beim Aufwärmen beobachtet, ist klar: Sie ist hier die Chefin. „Die
Ansprüche, die sie an sich hatte, hat sie heute an
die Spielerinnen. Das fängt schon beim Aufwärmen
an – wenn da ein Pass nicht sitzt, ist sie sofort da,
und dann wird sie auch laut“, sagt Tina TheuneMeyer, deren Assistentin Neid neun Jahre war. Und
findet: „Das ist super, anders kann man sich nämlich
nicht an der Spitze behaupten.“ Sportjournalisten
loben Neids immenses Fachwissen – und vergleichen sie schon mal mit Felix Magath. Sie selbst gibt
zu, dass auch bei ihr die Disziplin im Vordergrund
steht. Spielerinnen, die vor 1985 geboren wurden,
dürfen sie duzen. Alle anderen nicht.
Neid sieht sich nicht als strenge Trainerin: „Das
möchte ich zumindest nicht sein.“ Sie spreche Fehler eben „sehr direkt“ an. Aber immer konstruktiv.
„Das ist das, was eine Spielerin von einer Trainerin
erwarten darf und muss. So ging es mir auch als
Spielerin, ich habe das Feedback von meinem Trainer gebraucht, gar eingefordert, er solle mir sagen,
was ich wie besser machen kann. Das ist gerade vor
dem Hintergrund, dass sich der Frauenfußball sehr
schnell entwickelt, ein ziemlich wichtiger Aspekt.“
Sie weiß, wovon sie spricht. 1964, als Silvia Neid in
Walldürn im Odenwald zur Welt kam, war Fußball für
Frauen verboten. Neid kickte dennoch, seit sie laufen
konnte. 25 Jahre später erlebten 23 000 Zuschauer
im Stadion Bremer Brücke in Osnabrück die erste
Europameisterschaft deutscher Fußballerinnen.
Neid half mit, die Norwegerinnen im Finale zu besiegen. Und sie kann sich heute noch an die Prämie erinnern: ein Kaffeeservice für jede Nationalspielerin.
Wenn die Frauennationalmannschaft die WM 2011
gewinnen sollte, bekämen die Spielerinnen 60.000
Euro. Eröffnet wird das Turnier im Berliner Olympiastadion, das mit über 70 000 Tickets längst ausverkauft ist.
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s p o r t l a n d
01
19
Sorgt immer für gute Stimmung in ihrem Team:
Bundestrainerin Silvia Neid coacht die Weltmeisterinnen
Das letzte Spitzenspiel der Saison in Duisburg Homberg:
Champions-League-Halbfinale zwischen dem
FCR Duisburg (rotes Trikot) und Turbine Potsdam
Der Frauenfußball-Boom soll mit der WM noch
verstärkt werden. Silvia Neid sagt: „Wir wollen mit
diesem Turnier auch einen Eindruck hinterlassen,
der den Entscheidern in der Wirtschaft signalisiert,
dass ihr Geld gut in den Frauenfußball investiert
ist.“ Das Ziel: mehr Geld in den Vereinskassen, bessere Verdienstmöglichkeiten für die Spielerinnen,
mehr Profis im Frauenfußball. Die Trainerin weiß:
Bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Sie meistert deshalb selbst merkwürdige Marketingtermine im Vorfeld der WM mit souveräner Freundlichkeit. Die Präsentation der Silvia-Neid-Barbie
etwa. „Die Ähnlichkeit ist deutlich erkennbar“,
scherzte sie da, „nur befürchte ich, dass meine Doppelgängerin etwas beweglicher ist als ich.“ Bei aller
Koketterie: Silvia Neid als Barbie – absurd. Sie lässt
sich nicht verbiegen.
Wenn jemand ihren Sport nicht ernst nimmt oder
plumpe Vergleiche mit dem Männerfußball zieht,
wird sie eisig. Weich ist dann nur noch der ganz
leicht odenwäldische Klang ihrer Stimme. Legendär
ist ihre Antwort auf die Reporterfrage, ob sie der
weibliche Lothar Matthäus sei: Dazu, so Neid trocken, fehlten ihr „die entscheidenden fünf Gramm“.
Ihr gelingt es, den Boulevard zu bedienen, aber ihr
Privatleben auch privat zu halten. Sie lebt in Siegen, fühlt sich dort zu Hause. Samstags – wenn die
Männer in der Bundesliga kicken – ist ihr fußballfreier Tag. Sie spielt leidenschaftlich gern Golf. Alles
andere geht keinen etwas an.
Wenn ihre Spielerinnen den Umgang mit Privatem
lockerer sehen, hat sie nichts dagegen. Allüren duldet
sie nicht. Fußball ist schließlich Mannschaftssport.
„Die besten Individualisten“, sagt Neid, „sind für mich
die Typen, die wissen, wie sie sich mit ihrer persönlichen Klasse am wirkungsvollsten in die Mannschaft
einbringen können und sich dabei nicht selbst zwingend in den Vordergrund drängen wollen.“
Sie verlangt absoluten Teamgeist. Aber sie ist auch
Teil des Teams. Andere Trainer ziehen sich auf den
Posten des stillen Beobachters zurück, sie ist mittendrin. „Soll ich euch schon mal sagen, was wir
heute machen?“, fragt sie in die Runde, während
sich die Spielerinnen stretchen. Sie will nicht befehlen,
sie will überzeugen. „Sie legt strenge Maßstäbe an,
die muss man aber auch haben innerhalb eines
Teams. Aber gleichzeitig ist sie herzlich, humorvoll,
offen, mutig und spontan“, sagt Tina Theune-Meyer.
Nach jedem Titelgewinn müsse Neid zum Beispiel
für die Mannschaft singen – womit sie keinerlei
Probleme habe. Im Gegenteil: „Sie hat durchaus
Talent als Entertainer.“ Ihre Vorgängerin hofft, dass
es am 17. Juli nach dem Finale in Frankfurt wieder
so sein wird.
Frauenfußball
An Duisburg führt im Fußball in diesem Jahr kein Weg vorbei. Während
die Männer des MSV als Zweitligist
immerhin das deutsche Pokalfinale in
Berlin erstürmen, etablierten sich die
Frauen des FCR schon vor Jahren in
Europas Spitze. Champions League,
bis ins Halbfinale schafft es das Team
aus Duisburgs Westen. Der Club von
der Mündelheimer Straße wird zudem
Dritter in der Bundesliga und stellt
sieben aktuelle Nationalspielerinnen.
Der FCR Duisburg prägt zusammen
mit Turbine Potsdam und dem FFC
Frankfurt seit mehr als zehn Jahren
die nationale Spitze im Frauenfußball.
Die Bundesliga-Heimspiele trägt der kleine Verein (450 Mitglieder) aus Duisburgs
Westen im PCC-Stadion des VfB Homberg
aus, doch für die ganz großen Spiele lohnt
schon mal der Umzug in die MSV-Arena.
Wie 2009, beim größten Erfolg der Vereinsgeschichte, als das Team vor 28 000 Zuschauern den UEFA-Pokal gewann.
Solche Erfolge lösen nicht nur Begeisterung
bei den Fans aus, sondern sorgen auch
für einen Boom auf dem grünen Rasen.
Vier Vereine – ein Drittel von den zwölf
deutschen Topteams – spielten zuletzt in
der Bundesliga: neben den Duisburgerinnen noch Bayer Leverkusen, SG EssenSchönebeck und Herforder SV Borussia
Friedenstal. Insgesamt kicken in NordrheinWestfalen 217 429 Frauen und 101 588
Mädchen in 1077 Frauen- und 2053 Mädchenvereinen. Bundesweit meldeten sich
laut Statistik des Deutschen Fußballbundes
(DFB) im vergangenen Jahr 27 477 weibliche Mitglieder neu in Vereinen an, was
einen Zuwachs auf jetzt 1 050 301 Frauen
und Mädchen im Frauenfußball bedeutet.
Was Berlin für den Männerfußball ist, das
ist Köln für den Frauenfußball geworden –
Ort des DFB-Pokalendspiels. Eine gute
Entscheidung, denn bei der ersten Austragung wurde 2010 mit mehr als 26 000 Zuschauern gleich ein europäischer Rekord
für nationalen Frauenvereinsfußball aufgestellt. Zudem blieb der Pokal in NRW und
steht nun als kleine Kopie im Trophäenschrank des FCR Duisburg. Einen weiteren
Zuschauerrekord stellte die U20-Weltmeisterschaft in Deutschland auf: Insgesamt sahen im vergangenen Jahr 397 385
Besucher die FIFA-Spiele; im mit 24 633
Fans ausverkauften Finale in Bielefeld
gewann das deutsche Nachwuchsteam
den Weltpokal.
20
p o rt r ä t st e f f i n e r i us
Die Engagierte
Steffi Nerius will ihren Weltmeistertitel und ihre Bekanntheit
nutzen, um Speerwerfen in Deutschland populärer zu machen
D
er Speerwurf ist eine der technisch anspruchsvollsten Disziplinen. Nur der Speer,
so heißt es, gebe dem Sportler eine derart
ehrliche Rückkopplung über die Qualität seiner Bewegung. Der Speer ist wie eine Diva, die stets
100-prozentige Aufmerksamkeit und Demut fordert.
biografie
Steffi Nerius, 39,
Speerwerferin
Erfolge: Weltmeisterin
in Berlin 2009, Europameisterin in Göteborg 2006, OlympiaSilber in Athen 2004,
sechsmalige Deutsche
Meisterin
Verein: TSV Bayer 04
Leverkusen
Unkompliziert, bodenständig, geradeheraus. So soll
sie sein: die Grande Dame des deutschen Speerwurfs. Stets wird sie beschrieben als ehrliche Haut,
als Kumpeltyp, als eine, der selbst die Konkurrenz
gewogen war. Als Steffi Nerius bei der WM 2009 in
Berlin ihre Karriere mit Gold krönte, applaudierte die
Zweitplatzierte, die Tschechin Barbara Spotakova,
bevor sie die Siegerin herzlich und ohne den geringsten Anflug von Neid in die Arme nahm.
Wir treffen die Frau, der jeder alles zu gönnen scheint,
in der „Wacht am Rhein“ in Leverkusen. Erst seit zwei
Stunden zurück vom Trainingslager auf Zypern, ordert
Steffi Nerius zum „Wachwerden“ erstmal einen Kaffee.
gewohnt: Als Gründerin und Schirmherrin des Fördervereins „aclive“ klappert sie potenzielle Sponsoren ab
für die Behindertensport-Abteilung. Mit dem Geld soll
der Nachwuchs gefördert und eine Basis bereitet werden, so wie sie seit Jahren im Nichtbehindertensport
üblich ist. Trainingsgruppen schon für Acht- bis Zehnjährige, Fahrdienste, um die Eltern zu entlasten: Bei
„aclive“ – der Name steht für aktiv leben oder auch
live dabei sein – geht es weniger um Rekorde, sondern mehr um den raschen Aufbau von Selbstvertrauen und die Gewissheit: Ich komme im Leben zurecht.
Und selbst? Wie lebt es sich im Jahr zwei nach dem
Rücktritt? Mehr Zeit für’s Privatleben gibt es in diesem Frühjahr jedenfalls nicht. Steffi Nerius steckt
mittendrin in den Vorbereitungen zum Cup, der ihren
Namen trägt. Mit ihrem ersten Speerwurf-Event will
die große Blonde vor allem Kinder für ihre Disziplin
begeistern. Vorbild sind die speerwurfverrückten
Finnen, die den Nachwuchs jedes Jahr mit einem
viertägigen Wurf-Karneval locken.
Nachwuchstrainerin
der BehindertensportAbteilung des TSV
Bayer Leverkusen
Schirmherrin des
BehindertensportFördervereins „aclive“
NRW-Trainerin des
Jahres 2008
Goldenes Band 2007
(Auszeichnung des
Verbandes Berliner
Sportjournalisten)
BMI-Preis für Toleranz
und Fair Play 2006
www. steffi-nerius.de
Nerius ist als Diplom-Sportlehrerin seit zwei Jahren
Vollzeittrainerin beim TSV Bayer 04. Mit dem Triumph in Berlin hat die damals 37-Jährige ihre aktive
Laufbahn beendet und kümmert sich nun ganz um
den Erfolg behinderter Leistungssportler. Muss man
mit gehandicapten Sportlern anders trainieren? Irgendwie behutsamer? „Ach was, die wollen genauso
an ihre Leistungsgrenzen geführt und gefordert werden“, sagt Nerius. Trainer wiederum hätten den Ehrgeiz, ihre Schützlinge siegen zu sehen – egal ob diese zwei gesunde Beine haben oder nur eines.
Schon als Studentin der Sporthochschule Köln hat
Steffi Nerius die Schwerpunkte Rehabilitation und
Behindertensport gewählt. Das Jobangebot vom TSV
Bayer kam zum richtigen Zeitpunkt. Das war alles.
Nun aber hängt sich Steffi Nerius rein, gibt Gas, wie
Nerius ist zu viel Hallodri eigentlich zuwider. Dass dank
der Albernheiten von Stefan Raab die Wok-WM reichweitenstärker ist als die tatsächliche Bob-WM, hat sie
früher richtig geärgert. Mittlerweile aber bewundert sie
Raab: „Was der anpackt, mögen die Leute ganz einfach.“ Mit ihrer Veranstaltung will Nerius nun beides:
anspruchsvollen Sport zeigen und rein Unterhaltsames bieten. So ist neben dem offiziellen Qualifikationswettkampf ein Speerwerfen von Promis geplant
sowie ein Kids-Parcours, der Lust macht aufs Werfen.
Gegen die Müdigkeit hat auch ein zweiter Kaffee
nicht wirklich geholfen. Steffi Nerius will nach Hause.
Dort steht übrigens jener bunte Speer, der durch das
Berliner Stadion 67,30 Meter weit flog, an der Wand
hinter der Hausbar im Esszimmer. Ein guter Platz für
eine Diva: Aufmerksamkeit ist garantiert.
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22
porträt juliane schenk
Die Gegensätzliche
Juliane Schenk tankt Gelassenheit in der Ruhe der Krefelder Pfarrkirche
St. Cyriakus – und triumphiert dann auf den Badmintonplätzen der Welt
W
„Ich habe den
Schläger in die
Wiege gelegt
bekommen“
enn an Feiertagen Stille einkehrt unter
den Gläubigen in der Pfarrkirche St.
Cyriakus im Krefelder Stadtteil Hüls,
das diffuse Licht der hohen Buntglasfenster und die Kerzen auf dem schweren Altartisch
die weißen Gewölbe in feierliches Licht tauchen,
dann kommt auch Juliane Schenk zur Ruhe. Das hier
ist ihre Kraftquelle. Der Glaube, ihre Familie, ihre
Freunde, die um sie auf der Holzbank sitzen. Im Alltag der deutschen Spitzenspielerin im Badminton
zählen vor allem Tempo und Dynamik. Und doch liefert erst die stille Stärke die Grundlage für all das –
findet Juliane Schenk. Sie hat in den Gegensätzen
ihren Platz gefunden.
Wie weit die Pole von Juliane Schenks Welt auseinanderliegen, versteht, wer sie spielen sieht. Ihr Vorteil
sind ihre Kraft und ihre Schnelligkeit – die 28-Jährige ist eine der wenigen europäischen Spielerinnen,
die mit den temporeich aufspielenden Asiaten mithalten kann.
Ein Vormittag im Trainingsstützpunkt des Deutschen
Badminton-Verbandes in Mülheim an der Ruhr. Auch
in der Halle herrscht konzentrierte Ruhe. Zu hören
sind nur das gedämpfte Ploppen und Zischen der
Federbälle und Schläger, das quietschende Reiben
der Schuhsohlen auf dem Hallenboden und gelegentlich der leise Aufschrei einer Spielerin, wenn ein Ball
nicht so fliegt wie geplant.
Juliane Schenks Körper ist gespannt, ihre Mimik wirkt
angespannt. Und doch ist sie es, die oft laut lacht und
mit Trainingspartnerin Karin Schnaase scherzt. Blitzschnell ist sie nicht nur in den Ballwechseln, sondern
auch im Umschalten zwischen höchster Konzentration und Entspannung. Im Gespräch ist sie konzentriert, sie spricht schnell und eindringlich, die hellblauen Augen fixieren das Gegenüber. Immer wieder aber
blitzt ein Lächeln auf – dann dokumentiert ihr ganzes
Gesicht diese pure Freundlichkeit. Voller Einsatz, auch
in der Entspannung. Aber da kann die ehrgeizige Athletin noch zulegen.
Ihre Leidenschaft fürs Badminton entdeckte Juliane
Schenk früh. „Ich hab den Schläger in die Wiege gelegt bekommen“, sagt sie. Beide Eltern sind begeisterte Badmintonspieler, folglich verbringen Juliane
Schenk und ihr Bruder viele Wochenenden in Sporthallen. Während sie auf ihre Eltern wartet, fordert sie
die nächstbesten matchfreien Spieler heraus – genau
wie ihren älteren Bruder. Später trainiert sie bei den
Großen mit. Herausforderungen waren nie etwas, was
Juliane Schenk abgeschreckt hätte. Im Gegenteil.
Als sie 16 ist, spielt Schenk ihre ersten China Open,
eine Art Grand-Slam-Turnier des Badminton. Die
Krefelderin trifft das erste Mal auf eine Spitzenspielerin der Badminton-Weltmacht China – und kommt
gar nicht dazu, auch nur über die Möglichkeit eines
Sieges nachzudenken. Das Tempo der Gegnerin ist
für die Deutsche einfach nicht zu fassen. „Ich bin
untergegangen“, bilanziert Juliane Schenk trocken.
Ihr Fazit, damals schon: „Da will ich auch mal hin.“
Ihr Vorbild: die Dänin Camilla Martin, damals einzige
Europäerin, die mit den Asiatinnen mithalten und
sie manchmal sogar schlagen kann.
Und Juliane Schenk trainiert und spielt. Sie wird
Deutsche Meisterin und Europameisterin, spielt bei
internationalen Turnieren und Weltmeisterschaften
und reist 2004 zu ihren ersten Olympischen Spielen.
Dort scheidet sie im Einzel zwar in der ersten Runde
aus, kommt im Doppel aber bis ins Achtelfinale. „Ich
wollte mit dem Kopf durch die Wand“, sagt Juliane
Schenk heute über diese Zeit. Immer mehr, immer
weiter – das Motivationscredo von Oliver Kahn wurde ihres. Doch dann wurde alles anders.
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24
s p o r t l a n d
02
Liege auf den Südbalkon stellt und sich ein Buch
schnappt, gelingt es ihr, ihre Gedanken wegzulocken
vom Training, von den anstehenden Spielen. Und
wenn sie das Gefühl hat, dass sie mal eine Einheit
aussetzen muss, dann macht sie das einfach. „Wenn
Juliane sagt, ich hab den Kopf zu, ich will heute nur
ein bisschen laufen, dann weiß man, dass das für sie
richtig ist“, sagt Stephan Kuhl, einer ihrer Trainer am
Mülheimer Stützpunkt.
Juliane Schenk in Aktion auf dem Badminton-Feld
biografie
Juliane Schenk, 28,
Badmintonspielerin
Erfolge: Teilnahme
Olympische Spiele
Athen 2004 und 2008,
EM-Bronze 2006
(Mannschaft/Einzel),
Silber im Doppel, WMBronze (Mannschaft),
Vizeeuropameisterin
2010
Im April 2011 auf Platz 6
der Weltrangliste.
Siebenfache Deutsche
Meisterin (Einzel und
Doppel)
Verein: SG EBT Berlin
Persönliches: Schenk
ist Sportsoldatin der
Eine Schulterverletzung bremst sie 2006 aus. Nicht
abrupt, sondern langsam und schmerzhaft. Die
Sportlerin kämpft mit aller Kraft gegen ihren streikenden Körper, will ihn besiegen. Über Monate trainiert
sie unter Schmerzen, spielt mit Tränen in den Augen.
Bis sie einsehen muss: So geht es nicht weiter. „Es
war ein Fingerzeig: Da läuft was nicht richtig. Änder
was!“, meint Schenk. Neun Monate sollte es dauern,
bis sie ihre „Werferschulter“, eine unangenehme Verletzung der Bizepssehne, schließlich auskuriert hat.
Neun Monate ohne Training, ohne Spiele – verlorene
Zeit? Überhaupt nicht: „So habe ich erst die Reife
bekommen, die mir gefehlt hat“, sagt Juliane Schenk.
Sie ist heute geradezu dankbar für die erzwungene
Auszeit. „Man definiert sich ja zu schnell nur noch
über die Erfolge.“ Schenk verbringt viel Zeit mit ihrer
Familie, mit Freunden – und findet neues Vertrauen,
auch in den großen Plan, der über allen Trainingsplänen steht. Dieses Vertrauen zu leben, dankbar zu sein,
statt immer mehr zu wollen, hat ihr Ruhe gegeben.
Bundeswehr
Heute schaltet sie problemlos um zwischen Anspannung und Entspannung. Wenn sie in den Trainingspausen an der Ruhr spazieren geht oder den
knappen Kilometer zu ihrer Wohnung am Rand der
Mülheimer Innenstadt läuft, die orangefarbene
Ihre Leidenschaft für den Sport und ihr Ehrgeiz haben keineswegs nachgelassen durch die neue Gelassenheit. 2008 qualifizierte sie sich erneut für die
Olympischen Spiele, schied allerdings in der 1. Runde aus. Dafür schaffte sie es 2009 bis ins Viertelfinale der Weltmeisterschaften, 2010 bis ins Achtelfinale. 2010 wurde sie Vizeeuropameisterin, gewann die
Dutch Open, erreichte das Finale der German Open
und der Canada Open, das Halbfinale der US Open
und Hongkong Open. 2009, 2010 und 2011 wurde sie
Deutsche Meisterin im Dameneinzel. Im Dezember
2010 firmierte sie auf der Weltrangliste des Badminton-Weltverbandes auf Platz 6.
„Sie ist Sportlerin durch und durch“, sagt Kuhl, „sehr
professionell und voll konzentriert auf das, was sie tut.
Man kann sie eigentlich fast alleine trainieren lassen.“
Juliane Schenk sagt: „Ich muss nicht trainieren – ich
darf. Ich sehe meinen Job als Berufung, ich bin dankbar, dass Gott mir dieses Potenzial gegeben hat.“
Auf der orangefarbenen Liege schlägt sie derzeit vor
allem Sportlerbiografien auf, zuletzt die von Oliver
Kahn. Ein Großereignis wirft seinen Schatten auf
den sonnigen Platz: die Olympischen Spiele 2012 in
London. Juliane Schenk will wieder dabei sein – und
mehr. Das beeinflusst ihre Liegen-Lektüre, gefährdet
aber nicht ihre Ruhe. Schließlich hat sie im Fragebogen eines Badminton-Magazins als Schlagzeile, die
sie einmal über sich lesen möchte, eingetragen:
„Juliane Schenk – glücklichste Olympiasiegerin aller
Zeiten“. Und sie weiß: In der Ruhe liegt die Kraft.
Und die Schnelligkeit. Vielleicht nicht in Ewigkeit,
aber ganz sicher bis 2012.
25
Die Zentrale des nordrhein-westfälischen Sports im Sportpark Duisburg-Wedau:
der Landessportbund
Landessportbund
Mehr Mitglieder hat nur der Deutsche
Fußballbund, nämlich 6,7 Millionen.
Dann folgt aber schon der Landessportbund Nordrhein-Westfalen mit
einem beeindruckenden Zahlenwerk:
Fünf Millionen Menschen sind Mitglied
in 20 000 Sportvereinen, 1,5 Millionen
von ihnen engagieren sich als ehrenamtliche Helfer, und jedes Jahr bringen
weit mehr als 200 000 NordrheinWestfalen die Leistungen, um mit dem
Sportabzeichen ausgezeichnet zu
werden. 2010 waren es sogar 238 415
Menschen. Sport bewegt NRW.
Und wie. Kinder, Jugendliche, Erwachsene –
und immer mehr Ältere – kicken, joggen,
turnen oder radeln. Die Menschen werden
immer älter, müssen länger arbeiten – und
genießen es, fit zu bleiben. Das geht in
Nordrhein-Westfalen schon in mehr als
900 Vereinen. Der Landessportbund koordiniert und erfasst die Sport- und Bewegungsangebote in einer speziellen Datenbank. Zusammen mit dem Ministerium für
Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport
fördert der Landessportbund die Initiative
„Zukunft gestalten – aktiv und gesund
älter werden in Nordrhein-Westfalen“.
Nicht nur die sportlichen Alten liegen dem
Landessportbund und Präsident Walter
Schneeloch am Herzen. Die Initiative
„Sport bewegt NRW“ bedeutet für ihn,
dass in allen Jahrgängen mehr für Bewegung getan werden muss. Sorgenkind von
Landessportbund und Sportministerium
sind – man glaubt es kaum – die Kinder:
„Viele können nicht einmal schwimmen,
balancieren oder einen Purzelbaum schlagen“, klagt Ministerin Ute Schäfer, als sie
den „Pakt für den Sport“ mit 3,4 Millionen
Euro ausstattete. Breitensport, Nachwuchsförderung, Leistungssport – der Landessportbund hat alle Bereiche im Blick.
Doch ohne Medaillen, ohne Sportstars im
eigenen Land, würde es keine Breitenbewegung für den Sport geben. Deshalb liegt der
Fokus auch auf der Nachwuchsarbeit und
Förderung der Eliten in Landesleistungszentren und der Verknüpfung von Vereinen,
Sportstiftung, Schulen und Hochschulen.
Die Ergebnisse können sich sehen lassen,
denn „Nordrhein-Westfalen ist nicht nur die
erste Adresse für Leistungssport und Karriere, sondern auch eine bedeutende Bühne
des internationalen Sports“, betont Walter
Schneeloch. Auch dienen Zahlen und Statistiken als Beleg: Seit 1990 kamen Sportler
zu mehr als 400 Weltmeisterschaften,
Europameisterschaften und anderen internationalen Sportveranstaltungen nach NRW.
Einmalig in Deutschland.
Und was passiert nach dem Sport? Beruf!
Warum nicht im Sport? Deshalb bildet der
Landessportbund ganz aktuell „Talente
von heute zu Führungskräften von morgen“ aus. Junge Menschen sollen Projekt-,
Selbst- und Zeitmanagement lernen,
Rhetorik, Leiten und Moderieren. Das Ziel:
Junge Sportler werden vorbereitet für das
Leben nach der Karriere. Ein Stück Lebensbildung im Landessportbund.
26
porträt claudia bokel
Die Kümmerin
Claudia Bokel war erst Fechtweltmeisterin und kämpfte bei Olympia in
Peking um die geringe Chance auf den Einzug ins IOC – geschafft
D
iese Frau ist nicht zu übersehen: Sie ist
sehr groß, sehr schlank, ihr Gesicht braucht
keine Schminke. Claudia Bokel kommt in
Jeans, schwarzen, kniehohen Stiefeln und
trägt einen Blazer über dem Pulli. Um den Hals hängt
eine zarte Silberkette mit den fünf Olympia-Ringen.
Verabredet sind wir am Eingang eines Restaurants, das
jetzt blöderweise geschlossen hat. Es folgt: eine knappe Problemanalyse mit den Eckpunkten „begrenztes
Zeitbudget“ und „mangelnde Alternativlokale“ sowie
die anschließende pragmatische Entscheidung, sich
einfach in den angrenzenden Park zu hocken.
biografie
Claudia Bokel, 37,
Fechterin
Erfolge: Weltmeisterin
in Nimes 2001,
Europameisterin in
Izmir 2006,
viermal Deutsche
Meisterin, OlympiaSilber mit der Mannschaft in Athen 2004
Ehrenämter: Mitglied
im IOC, Präsidentin
der EOC-Athletenkommission, Mitglied im
Kuratorium des NADA,
persönliches Mitglied
im NOK
Als Mitarbeiterin in der internen Unternehmensberatung des Bayer-Konzerns erledigt die studierte Chemikerin montags bis freitags einen anspruchsvollen
Job. Ihre Freizeit verbringt die 37-Jährige in diversen
Ausschüssen und Gremien sowie mit Protokollen,
Vorgaben und anderem Funktionärskram im Auftrag
des Internationalen Olympischen Komitees. Katar,
Togo, Montreal, Lausanne – an den Wochenenden
düst Bokel im Dienst der Spiele um den Globus.
Warum sich unsere Schöne wohl so reinhängt?
Aufgewachsen ist sie in den Niederlanden, in Ter Apel,
dem größten Dorf der Provinz Groningen. Als Kind
turnt und tanzt sie, später geht sie zum Fechten. Sie
genießt die Übungsstunden, das wöchentliche Fußballspielen zur Verbesserung der Kondition, das intensive
Vereinsleben. Herrlich sind die Trainingslager und die
Fahrten zu den Wettkämpfen. Freundschaften entstehen, die Gemeinschaft gibt Geborgenheit, zunehmende Erfolge schenken wachsendes Selbstvertrauen.
Mit 16 Jahren verlässt Bokel die Heimat der Kindheit
und zieht nach Bonn. Dort wohnt sie im Internat des
deutschen Fechterbundes, macht Abitur und studiert
anschließend Chemie. Mit dem Degen wird sie vier-
mal Deutsche Meisterin, einmal Europa- und einmal
Weltmeisterin. Hinzu kommen zahlreiche Silbermedaillen mit der Mannschaft bei Weltmeisterschaften
und den Olympischen Spielen 2004 in Athen.
Und ihre Karriere als Kümmerin? Die Funktionärin
lacht: „Da bin ich so reingerutscht.“ Irgendjemand
müsse es schließlich machen, denkt Bokel damals, als
ihr Fechterkollege Alexander Koch den Posten als
Sprecher der Aktiven niederlegt. Sie ahnt noch nicht,
dass die spontane Entscheidung der Beginn eines
furiosen Ämter-Aufstiegs ist.
Vor drei Jahren – Claudia Bokel ist neben anderem
mittlerweile Vorsitzende der Athletenkommission des
Europäischen Olympischen Komitees – hat sie die
geringe Chance auf eine exklusive Mitgliedschaft im
Internationalen Olympischen Komitee. Wie ein Politiker
macht sie Wahlkampf. Jeder Sportler hat eine Stimme.
Bokel stellt sich im olympischen Dorf in Peking vier
Wochen lang täglich in die Nähe der Mensa, spricht die
vorbeigehenden Athleten an und verteilt fast 10 000
Prospekte in den unterschiedlichsten Sprachen. Lohn
der Strapaze: Bokel zieht als eine von vier Gewählten
unter mehr als 30 Kandidaten in die IOC-Athletenkommission ein. Über Nacht ist sie eine mächtige
Frau geworden. Als eines von weltweit insgesamt 115
IOC-Mitgliedern darf sie etwa mitentscheiden, wo die
Sommer- und Winterspiele der Zukunft stattfinden.
Gab es schon Bestechungsversuche? „Nein“, sagt
Bokel, „ich denke auch nicht, dass sich das einer traut.“
Vor unmoralischen Angeboten schützt sie vermutlich
ihr Ruf als Idealistin. Schnell hat es sich herumgesprochen, dass es Claudia Bokel ernsthaft um Inhalte geht.
„Mich reizt, etwas bewegen zu können“, so erklärt sich
Bokel selbst ihre Lust aufs Ehrenamt. Außerdem, sagt
sie zum Abschied, „ist der Sport ein so schöner Teil meines Lebens, jetzt kann ich endlich etwas zurückgeben.“
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28
p o r t r ä t m a r i o n r o d e wa l d
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Die Rastlose
Marion Rodewald war Kapitän der Hockeynationalmannschaft, holte 2004 in
Athen Gold, entspannt bei der Gartenarbeit und schreibt gerade an ihrer Doktorarbeit
D
„In NRW wurde durch die
Sportstiftung
schon viel
auf den Weg
gebracht“
er eigene Garten ist für viele Menschen eine
Quelle der Entspannung. Pflänzchen zupfen,
vielleicht den Rasen mähen – dann auf der
Terrasse den Feierabend genießen. Deutsche Idylle. Auch Marion Rodewald gärtnert gern. Der
Garten der Hockey-Olympiasiegerin in Frechen-Königsdorf bei Köln bietet allerdings mehr Herausforderungen als das durchschnittliche Reihenhaus-Grün:
Auf den gut dreihundert Quadratmetern rund um das
Backsteinhaus müssen Gemüsebeete und Obstbäume gepflegt, Hühner und Enten versorgt werden, und
dann ist da noch der eigene Bienenstock. Alles andere
würde auch nicht zu der 34-jährigen Sportlerin passen. „Manche würden das vielleicht als Stress empfinden – aber das ist meine Form der Entspannung“,
sagt Marion Rodewald fast entschuldigend. Wo andere langsam müde werden, blüht sie erst richtig auf.
Marion Rodewald wirkt zierlich, fast zart, so, wie sie
jetzt im Trainingsdress auf der Terrasse des Kölner
Tennis- und Hockeyclubs sitzt. Ihre Mutter ist Französin. Ob man sich Rodewald mit ihren feinen Gesichtszügen deshalb auch in einem Etuikleid auf einem Pariser Prachtboulevard vorstellen könnte? Nur
der handtellergroße, zwischen dunklem Rot und Lila
changierende Bluterguss an ihrem linken Knie passt
nicht in diese Vorstellung. „Da habe ich letztes Wochenende einen abgekriegt.“ Halb so schlimm. Und
die Narben auf ihren Fingerknöcheln? Die größte
Narbe, auf dem Handrücken, stammt von einem
Sturz vom Rennrad. Marion Rodewald fährt gerne
Rad. Und wenn sie etwas gern macht, macht sie es
richtig: 2003 fuhr sie eine Jedermann-Etappe der
Tour de France, 200 Kilometer durch die Pyrenäen.
Außerdem mag sie Mountainbiking, Nordic Running
und Inlineskating. „Das bringt Abwechslung ins Ausdauertraining“, sagt sie. Wieder fast entschuldigend.
2004 wollte Marion Rodewald Freunde zum Start
des Inlineskate-Feldes des Hamburg-Marathons be-
gleiten und danach mit ihrer Mannschaft, dem KTHC
Rot-Weiß Köln, das Bundesliga-Match gegen den
„Club an der Alster“ bestreiten. Dann fiel jemand aus
der Gruppe aus, und Rodewald wurde gefragt, ob sie
nicht mitfahren wolle. Sie überlegte kurz – und fuhr:
erst 42 Kilometer auf der Marathonstrecke in gut anderthalb Stunden, danach zum Hockeyplatz, wo sie
mit ihrer Mannschaft auflief. Eine Extremsportlerin.
Ganz normal? Marion Rodewald muss lachen, wenn
sie auf die Anekdote angesprochen wird. Sie sei „vor
allem hinsichtlich Kampfgeist und Ausdauer kaum
zu übertreffen“ und „bis in die letzte Körperfaser
austrainiert“, schrieb das Fachmagazin „Hockeyliga“
über sie. Ihrem Trainer hat Rodewald ihren Marathon-Ausflug trotzdem lieber erst nach dem Spiel
gebeichtet. Dann habe ich es erzählt – und musste
mir fortan vor jedem Spiel einen Spruch anhören.“
„Duracell“ haben sie sie eine Zeitlang genannt.
Ist sie rastlos? „Joaah“, macht Marion Rodewald und
zerpflückt dabei eine Brezel aus der Cafeteria des
Hockeyclubs. „Vielleicht kann man das schon so
sagen.“ Jedenfalls kann sie schlecht einfach nur vor
dem Fernseher sitzen. Wenn, dann muss sie sich beschäftigen. Gerade hat sie sich das Häkeln beigebracht, per Youtube. Mit dem Stricken hat es nicht
geklappt, aber das kann ja noch kommen.
Die Linksverteidigerin war Spielführerin der Hockeynationalmannschaft, die bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen überraschend Gold holte. Bis heute sind die „Wundertüten“ in Kontakt. „So etwas
gemeinsam zu erleben, das schafft eine ganz starke
Verbindung“, sagt Rodewald. Sechs Jahre lang war
sie Kapitän des Teams. Und weil sie eben noch Energie übrig hatte, kümmerte sie sich auch um andere
Sportler. Seit 2005 ist sie Athletenvertreterin im Vorstand der Sportstiftung NRW, seit 2006 Athletensprecherin des Deutschen Hockey-Bundes und im
30
s p o r t l a n d
03
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Athen 2004: Spielführerin Marion Rodewald
jubelt über Gold nach Ende des Finales gegen die Niederlande
biografie
Marion Rodewald, 34,
Hockeyspielerin
Die Deutsche Sporthochschule Köln ist gleich neben dem
Müngersdorfer Sportpark angesiedelt
Erfolge: 2004 Goldmedaille Olympische
Deutsche Sporthochschule
Spiele Athen,
2006 1. Platz Halleneuropameisterschaft,
2007 1. Platz Europameisterschaft,
2008 4. Platz Olympische Spiele Peking
Deutsche Meisterin mit
dem KTHC Rot-Weiss
Köln 2003 und 2007,
Vizemeisterin 2004,
2005, 2006, 2008, Vizeeuropapokalsiegerin
2006 und 2007
Verein: KTHC RotWeiss Köln
Persönliches: verheiratet mit dem Sportwissenschaftler Dr. Achim
Schmidt, Athletenvertreterin im Vorstand
der Sportstiftung NRW,
Athletensprecherin des
Deutschen HockeyBundes, Mitglied des
Beirats der Aktiven des
Beirat der Aktiven des Deutschen Olympischen
Sportbundes sowie Mitglied im Aufsichtsrat der Stiftung Deutsche Sporthilfe, seit 2009 sitzt sie in der
Europäischen Athletenkommission. Eigentlich, betont
Marion Rodewald, sei sie gar nicht so die typische
Klassensprecherin: „Ich habe nie Hier geschrien.
Aber ich bin ungern Marionette, und es wäre doch
schlimm, wenn über die Köpfe der Athleten hinweg
entschieden würde.“
Tatsächlich sei Rodewald niemand, der sich etwas
aus Ämtern mache, meint Badri Latif, die zehn Jahre
mit ihr in der Nationalmannschaft gespielt hat. „Es
ist überhaupt nicht ihre Art, sich in den Vordergrund
zu drängen“, sagt Latif und erinnert sich, wie Rodewald zum Kapitän des Teams wurde: „Sie hat mich
gebeten, ihr sofort zu sagen, wenn sie irgendwie komisch werden sollte. Für sie war das Allerwichtigste,
nicht die Bodenhaftung zu verlieren.“ Dass Rodewald sich in so vielen Gremien gleichzeitig engagiert,
passe dennoch zu ihr, meint Badri Latif: „Ihr wäre
langweilig, wenn sie nur eine Sache machen würde.“
Deutschen Olympischen Sportbundes
sowie im Aufsichtsrat
der Stiftung Deutsche
Sporthilfe, Mitglied der
Europäischen Athletenkommission
Neben dem Hockey jongliert die Diplom-Sportwissenschaftlerin längst auch mit anderen Herausforderungen: Sie schreibt unter anderem für das Magazin „RADtouren“ und macht die Pressearbeit für den
Radclub Deutschland und die „Kölner Liste“, einem
Aufklärungsprojekt zu Nahrungsergänzungsmitteln
des Olympiastützpunktes Rheinland. Außerdem bie-
tet sie Radcamps für Kinder und Frauen sowie Motivationstraining für Unternehmen an. Und vergleicht
in ihrer Doktorarbeit die dualen Karrieren von Sportlern in mehreren europäischen Ländern. Nachwuchsathleten fit zu machen für das Berufsleben nach –
beziehungsweise neben – dem Sport, ist ihr wichtig.
Nordrhein-Westfalen sieht sie auf einem guten Weg:
„Hier wurde schon viel auf den Weg gebracht, gerade
auch durch die Sportstiftung NRW. Das wird jetzt
nach und nach Früchte tragen.“
2009 hat sie sich aus der Nationalmannschaft zurückgezogen. „Der Schwerpunkt meines Lebens
liegt nicht mehr auf dem Hockey, da verändert sich
gerade etwas“, sagt sie. Völlig hinter sich lassen will
sie den Sport aber nicht. Auch wenn das paradoxerweise manchmal bedeutet, dass sie einen Trainingstermin in Köln verpasst, weil zeitgleich in Rom die
Europäische Athletenkommission tagt. Deswegen
muss sie jetzt, da sie ihr Spezi ausgetrunken und die
Breze gegessen hat, auch rüber zum Trainingsplatz.
Übermorgen geht der Flug nach Italien, heute will sie
noch mal mit der Mannschaft aufs Feld.
95 Studenten folgten am 7. Juli 1947
Gründungsrektor Carl Diem im Kölner
Stadion ins Erstsemester der Sporthochschule Köln. Der Zonenerziehungsrat für die britische und amerikanische
Zone hatte ein Jahr zuvor die Einrichtung zur Ausbildung eines körperlichen,
geistigen, moralischen und künstlerischen Berufs beschlossen. 1952 zählte
man schon 285 Studierende, die sich
zum Sportlehrer ausbilden lassen
wollten. Heute ist die 1962 vom Land
Nordrhein-Westfalen übernommene
Deutsche Sporthochschule Köln als
Europäische Sportuniversität für ihre
Lehre und Forschung weltweit bekannt.
5200 Studierende aus 59 Ländern haben sich zurzeit eingeschrieben, die von
25 Professoren unterrichtet werden.
Die „SpoHo“, wie sie unter Studierenden, Professoren, Ehemaligen und in der gesamten
Sportwelt genannt wird, genießt einen exzellenten Ruf als Ort für qualifizierte Ausbildung
und internationale Forschung. Als europäisch
ausgerichtete Universität mit modernen Bachelor- und Masterstudiengängen, Lehrerausbildung sowie weltweit anerkannter Forschung
hat sie der Sportwissenschaft stets Impulse
gegeben und sie nachhaltig beeinflusst.
An 19 wissenschaftlichen Instituten wird geforscht und gelehrt – von erziehungs-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern
bis hin zu medizinisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen. Forschung an der Deutschen
Sporthochschule Köln hat viele Facetten.
Das renommierte Dopinglabor des Instituts
für Biochemie unterstützt den internationalen Kampf gegen Doping. Experimente des
Instituts für Physiologie und Anatomie flogen
mit ins All, und im neuen Forschungszentrum für Leistungssport „Momentum“ arbeiten die beteiligten Institute Hand in Hand mit
dem Betreuungssystem rund um die einzelnen Athletinnen und Athleten.
Viele nationale und internationale Spitzensportler nehmen auch wegen der vorbildlichen
Trainingsbedingungen im Müngersdorfer
Sportpark ihr Studium in Köln auf. Dennoch:
Sportliche Höchstleistungen setzen einen außerordentlich hohen zeitlichen Aufwand der
Aktiven voraus, der während der üblichen Ausbildungszeiten an den Hochschulen von studierenden Spitzensportlerinnen und -sportlern
nur schwer zu erbringen ist. Da die bessere Vereinbarkeit von Studium und Spitzensport ein
Anliegen der Deutschen Sporthochschule
Köln und der Universität zu Köln ist, haben die
Rektoren der beiden Hochschulen 2003 eine
Kooperationsvereinbarung „Partnerhochschule des Spitzensports“ mit dem zuständigen
Olympiastützpunkt Köln/Bonn/Leverkusen
und dem Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband abgeschlossen. Sie gilt für Athletinnen und Athleten, die einem Bundeskader
(A-/B-/C- oder D/C-Kader) angehören.
Auch der Deutsche Fußballbund kooperiert
in seiner Trainerausbildung mit der Sporthochschule. Die ehemaligen Stars der Liga
mussten hier ein gutes halbes Jahr die Bank
drücken, ehe sie die höchste Trainerlizenz
erhalten. Da gibt es kein Erbarmen. Berlins
Trainer Markus Babbel musste das zuletzt erfahren, als er noch in Stuttgart jobbte – ohne
Lizenz. Der frühere Nationalspieler scheiterte im Ländle, mit der Hertha – und Lizenz –
stieg er gerade in die Bundesliga auf.
32
porträt angelina grün
Die Reisende
Volleyballstar Angelina Grün wurde in Tadschikistan geboren, spielte
in Deutschland, Italien und der Türkei – in Köln fühlt sie sich zu Hause
A
m besten schmeckt der Cappuccino. „Der
ist wirklich gut“, empfiehlt Angelina Grün
und löffelt etwas Schaum aus der weißen
Tasse mit dem kleinen roten Logo. „Heilandt Kaffeemanufaktur“ steht darunter. Eine junge
Kölner Rösterei. Geheimtipp. Grün sitzt im Biergarten der „Playa in Cologne“. Die Anlage zwischen
der Sporthochschule und dem Stadion des 1. FC
Köln ist so etwas wie ihr zweites Wohnzimmer. Oder
vielmehr: ihre Terrasse. Nicht, weil die Volleyballerin
so häufig auf den Sandplätzen hier trainieren würde
oder weil sie von den Holzbänken zwischen den
Kübeln mit Palmen und Olivenbäumchen aus den
Nachwuchs im Blick hat. Sondern weil ihre Kölner
Wohnung um die Ecke liegt, weil sie hier fast immer
Freunde und Bekannte trifft und inzwischen sogar
den Kaffeeröster persönlich kennt. Angelina Grün
ist hier zu Hause. Keine Selbstverständlichkeit. Nicht
nur, weil die Profisportlerin acht Jahre im Ausland
gelebt und gespielt hat. Sondern auch, weil das Gefühl der Heimatlosigkeit schon seit ein paar Generationen Begleiter der Familie Grün ist.
Angelina Grün ist eine der erfolgreichsten deutschen Volleyballerinnen. Jahrelang spielte sie in der
Nationalmannschaft, zweimal bei den Olympischen
Spielen, dreimal bei der Weltmeisterschaft, neunmal
wählten die deutschen Fans sie zur „Volleyballerin
des Jahres“. Sie gewann mit Foppapedretti Bergamo zweimal die Champions League, zuletzt spielte
sie bei Vakifbank Istanbul, einem der Topteams
der finanzstarken türkischen Liga. Ihr Vertrag dort
lief 2009 aus. Er wäre verlängert worden, wenn sie
gewollt hätte. Aber Angelina Grün wollte nicht. „Ich
hatte das Empfinden, dass da etwas fehlt, trotz aller
Erfolge.“ Und sie wusste auch, was: „Ich habe nach
einem Zuhause gesucht“, sagt Grün.
Köln war ein guter Ort, um anzufangen. Viele ihrer
Freunde wohnen in der Gegend, ihre Familie lebt in
Velbert, wo Grün auch aufgewachsen ist. „Ich bin ein
NRW-Kind“, sagt sie. Geboren wurde sie allerdings
gut 7600 Kilometer weiter östlich: im heutigen
Tadschikistan. Ahnen ihres Vaters wanderten noch
zu Zarenzeiten aus Deutschland nach Russland aus
und landeten schließlich in der sowjetischen Provinz.
Dort waren sie: die Deutschen. Auch wenn die Generation von Angelina Grüns Vater schon kein Deutsch
mehr spricht. Während des Studiums in Moskau
lernte er seine spätere Frau, eine Russin, kennen.
1979 kam Tochter Angelina zur Welt, in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe. Als sie zwei Jahre alt
war, wanderte die Familie nach Deutschland ein. Hier
sind sie nun: die Russen.
„Ich habe nach einem Zuhause gesucht
und bin ein NRW-Kind geworden“
Dass beide Eltern sportlich aktiv sind, erleichtert das
Ankommen. Die Mutter spielt Basketball, der Vater,
ein ehemaliger russischer Jugendnationalspieler:
Volleyball. Angelina Grün und ihr Bruder gehen mit
in die Vereine, er zum Basketball, sie zum Volleyball.
Die Kinder haben keine Erinnerungen an Duschanbe,
sie gehören hierher, zwischen Ruhrgebiet und
Bergischem Land. 1990 beginnt Angelina Grün beim
VC Essen-Borbeck zu trainieren und zeigt sich bei
„Jugend trainiert für Olympia”, nur vier Jahre später
gibt sie ihr Debüt in der Jugendnationalmannschaft.
2001 wechselt sie in die italienische Liga, zuerst
nach Modena, später, bis 2008, nach Bergamo. Dann
kommt Istanbul. Hier ist sie: die Deutsche. Auch
wenn sie lieber im Appartement als im Hotel lebt,
um zumindest etwas halbwegs Eigenes zu haben,
33
34
porträt angelina grün
„Ich wollte ein normales Leben, eines,
in dem ich nicht nur Sportlerin sein kann“
biografie
Bei den Olympischen Spielen in Athen baggerte, pritschte und schmetterte
Angelina Grün, 32,
Angelina Grün noch im deutschen Volleyballteam
Volleyballerin
Erfolge: 5. Platz Olympische Spiele 2000,
9. Platz Olympische
fühlt sich Angelina Grün als Ausländerin. So wie ihre
Eltern und Großeltern – nur in einem anderen Land.
„Das“, sagt Grün, „wollte ich unterbrechen.“
Inzwischen ist sie wieder viel unterwegs: Mit Rieke
Brink-Abeler hat sie sich im vergangenen Jahr zu
einem Beachvolleyball-Duo zusammengeschlossen,
das auch international an den Start geht. Und doch
ist etwas anderes für Angelina Grün wichtig: Sie hat
jetzt eine Basis, zu der sie zurückkehren kann.
In ihrer Wohnung im Kölner Westen liegen oft halb
ausgepackte Reisetaschen im Abstellzimmer. Aber
genauso oft stehen inzwischen frische Schnittblumen auf dem Küchentisch, ein sicheres Zeichen
dafür, dass Grün zumindest ein paar Wochen da
sein wird. In den Wintermonaten fährt sie morgens
um acht von hier aus zum Training nach Mönchengladbach, dort trifft sie sich mit Trainer Gerald
Maronde und Rieke Brink-Abeler, die aus Münster
anreist. Abends um 18 Uhr kommt sie wieder in
Köln an. Nicht ganz nine-to-five, aber sehr nah dran
am deutschen Alltag, nach dem sich Angelina Grün
irgendwann so gesehnt hat, dass sie ihr Sportlerleben beinahe komplett aufgegeben hätte. Ihre besten Freunde sind Lehrer und Anwälte, diese hatten
Wochenenden, wenn Grün Turniere spielte. „Ich
wollte ein normales Leben, eins, in dem ich nicht
nur Sportlerin sein kann“, sagt Grün. Sondern auch
Freundin, Tochter, Schwester, Patentante für ihre
kleine Nichte.
Aber nur noch Alltag, das war auch nichts. „Ich
schätze am Sport diese unmittelbare Emotion – das
findet man sonst nicht so leicht“, sagt Grün. Als sie
vor zwei Jahren auf einem Spaßturnier Rieke BrinkAbeler wiedertraf, die sie aus ihrer Zeit beim USC
Münster kannte, beschlossen beide, sich zusammenzutun. Für Angelina Grün ein Weg, der funktioniert – denn nicht nur das Spiel auf Sand ist ganz
anders. Das Miniunternehmen Brink-Abeler/Grün
ist auch wesentlich selbstbestimmter, als es die
Vereinssportlerin Angelina Grün zuvor sein konnte.
Selbst Termine und Trainingslager planen, einen Trainer anstellen – das passte gut in ihr neues Leben.
„Ich habe die Reset-Taste gedrückt – und am Ende
vieles so gemacht wie vorher“, bilanziert Grün. Von
April bis August touren sie und Rieke Brink-Abeler
mit der Beachvolleyball World Tour um die Welt. Das
Ziel des Duos ist klar umrissen: die Qualifikation für
die Olympischen Sommerspiele 2012 in London. Und
zwischendurch kommt sie immer mal wieder nach
Köln zurück. Sie weiß dann, wo sie ihre Freunde trifft.
Und wo ihr der Cappuccino am besten schmeckt.
Spiele 2004, 3. Platz
Europameisterschaft
2005, Italienische Pokalsiegerin 2002 (Modena), 2006, 2008
(Bergamo), Italienische Meisterin 2004,
2006 (Bergamo),
Champions-LeagueSiegerin 2005, 2007
(Bergamo)
Deutsche Meisterin
1997, Deutsche Pokalsiegerin 1998 und
2000 (USC Münster)
Volleyballerin des Jah-
i n t e r v i e w
Rieke Brink-Abeler über ihre Beachvolleyball-Partnerin Angelina Grün:
Hat es Sie überrascht, dass die erfolgreiche HallenSand gewagt hat?
Ich glaube, wir haben uns einfach zum richtigen
Zeitpunkt getroffen – vorher hätte es wohl nicht
geklappt. Zwischenzeitlich habe ich schon gezweifelt, ob sie nicht wieder in die Halle wechselt.
Aber da hat sie ja alles erreicht.
Was zeichnet Angelina Grün aus?
res 2000 – 2008
4. Platz bei den Deutschen Meisterschaften
im Beachvolleyball
2010
Verein: Beachvolleyball-Duo mit Rieke
Brink-Abeler (Partner:
USC Münster)
Persönliches: Seit
2009 ist Angelina
Grün Botschafterin
der Sportstiftung NRW
Ist die Olympia-Teilnahme ein realistisches Ziel?
volleyballerin Angelina Grün den Schritt auf den
Sie ist sehr ehrgeizig und arbeitet sehr hart an
sich. Als wir uns das erste Mal getroffen haben,
damit ich ihr ein bisschen was über die Beachvolleyball-Szene erzähle, hat sie einen Collegeblock
herausgeholt und alles mitgeschrieben.
Das ist noch ein harter Weg. Das ist immer auch
ein Psychospiel. Aber wenn wir es schaffen, unsere Leistung abzurufen, bin ich guter Dinge.
Wie beurteilen Sie die Bedingungen für die noch
junge Sportart Beachvolleyball in NRW?
Für viele ist Beachvolleyball immer noch Funsport. Deshalb fehlen Trainingsmöglichkeiten, gerade in der Halle, für die Wintermonate. Aber
grundsätzlich wird der Sport in Deutschland immer professioneller betrieben.
Liegt es daran, dass Sport in Deutschland hauptsächlich im Verein betrieben wird und es kaum
spezielle Beachvolleyball-Abteilungen oder -Verei-
Und menschlich?
ne gibt?
Sie ist sehr sensibel und aufmerksam mir gegenüber. Gerade beim Beachvolleyball ist das wichtig,
wir sind ja nur zu zweit und deshalb sehr aufeinander angewiesen.
Ja, da ist noch viel Potenzial. Die meisten Vereine
trennen nicht zwischen Beach- und Hallenmannschaft. Dabei könnte man ja durchaus separate
Trainings anbieten.
35
36
porträt nadine schmutzler
Die Heimatverbundene
Nadine Schmutzler taucht ihre Ruderblätter tagein, tagaus in die Fluten
des Dortmund-Ems-Kanals und will im Achter zu Olympia nach London
A
uf dem Harkortsee bei Herdecke steigt eine
neugierige Gymnasiastin zum ersten Mal in
ein Ruderboot. 14 Jahre später zählt sie zur
Weltspitze im Frauenrudern. Der Sprung
vom idyllischen Ruhrsee bei Dortmund auf die harten
Regattaplätze in Peking, London oder Luzern gelang
Nadine Schmutzler nur mit Tausenden Trainigskilometern. 13 Jahre, im schlanken Boot auf dem Wasser.
biografie
Nadine Schmutzler, 27,
Ruderin
Erfolge: 2006 Vizeweltmeisterin im Achter,
2007 Vizeweltmeisterin
im Vierer ohne
Verein: RC Westfalen
Herdecke von 1929
Persönliches: mag
Wanderungen im heimischen Ruhrgebiet
und sucht noch Spon-
Rudern ist Quälerei. Wie Marathonlaufen. Training,
Training, Training. Bis es vor den Augen schwarz wird.
Manches entschädigt. Zum Beispiel, dass die 1,82
Meter große Modellathletin vor der Haustür üben
kann, auf dem Dortmund-Ems-Kanal, auf der Lieblingsstrecke vom Stadthafen bis zum Schiffshebewerk Henrichenburg. Das ist wichtig für die 27-Jährige, die sich selbstbewusst als „Kind des Ruhrgebiets“
bezeichnet und von ihrer Heimat schwärmt: „Die Mischung aus ehemaligen Industrieanlagen und grünen
Winkeln vermittelt eine einmalige Schönheit. Mit der
Renaturierung der Emscher begann der Aufstieg aus
den kohlschwarzen Ruinen des Reviers. Ich bin hier
sehr gern zu Hause.“ Dort, wo sie auf ihren täglichen
Trainingsfahrten ein Wettrennen mit den bulligen
Frachtkähnen veranstaltet, die schwer beladen mit
ihr die Fahrrinne des Kanals teilen.
Auch nach 13 Tageskilometern taucht sie noch mit
Wucht die schweren Ruderblätter in das dunkle Wasser. Denn ein großes Ziel treibt Nadine Schmutzler
an. Im August will sie wieder im Achter sitzen und
bei den Weltmeisterschaften in Bled, Slowenien, mit
dem Paradeboot des Deutschen Ruderverbandes
ganz vorne landen. Im kommenden Jahr locken die
Olympischen Spiele. Die Vizeweltmeisterin im Achter
von 2006 brennt vor Ehrgeiz: „Olympia in der britischen Hauptstadt ist ein tolles Ziel. Schon Peking
2008 hat mir wunderbar gefallen.“
soren für den Frauenachter
Erlebnisse, die antreiben, die den Schmerz des dauernden Trainings vertreiben. Das gemeinsame Erle-
ben des Wettkampfs, das gegenseitige Anfeuern, das
Kennenlernen anderer Sportlerinnen und ihrer Disziplinen. Auf dem Flug nach Peking saß sie mit den
deutschen Fußballspielerinnen zusammen. Das war
allerdings der einzige Kontakt. In China lagen Fußballstadion und Regattastrecken zu weit auseinander.
Aber jetzt, im Sommer, will Nadine eines der TopWM-Spiele besuchen: „Ich mag Fußball, auch wenn
ich nicht jedes Wochenende ins Stadion gehe.“ Als
Generalprobe für die Frauen-WM jubelt sie schon
mal ihren heimatlichen Schwarz-Gelben bei der nicht
endenden Dortmunder Meisterfeier zu.
Die Ruderinnen haben es nicht nur in den Armen, im
Wintertraining leisten sich Nadine und ihre Kolleginnen als Ausgleich schon mal einen Hallenkick. Ganz
vorsichtig, versteht sich. Denn jede der Ungeübten
hat natürlich Angst vor einem Fehltritt am Ball – und
einer wochenlangen Rehabilitation. Am Schreibtisch
ist die Spitzenruderin routinierter. Nach einem Studium der Raumplanung mit dem Abschluss DiplomIngenieurin arbeitet Nadine Schmutzler neben dem
„Hauptberuf Sport“ in einem privaten Ingenieurbüro.
Aber ohne die Sportstiftung Nordrhein-Westfalen,
den Ruderclub Westfalen Herdecke und zwei
Herdecker Organisationen – Lions Club und Werner Richard-Dr. Carl Dörken Stiftung – könnte sie
sich ihren Spitzensport nicht leisten: „Über diese
Unterstützung bin ich sehr froh.“ Denn dem
Rudersport fehlt es seit Jahren an finanzkräftigen
Sponsoren. Auf der Suche nach Vorbildern landet
Nadine Schmutzler dann ganz schnell beim Frauenfußball: „Es ist fantastisch, was die Sportlerinnen und ihr Umfeld erreicht haben.“ Das Ziel ist
klar formuliert: mit Erfolgen eine ähnliche Aufmerksamkeit in den Medien und der Öffentlichkeit
erreichen. „Ich hoffe, dass der Frauenrudersport
eines Tages auch so wertgeschätzt wird wie der
Frauenfußball.“
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38
p o r t r ä t c l a r a w o lt e r i n g
Die Landwirtschafterin
Clara Woltering ist im besten Alter einer Handballtorhüterin und weiß genau,
was sie will: erst Champions League, dann Bäuerin im Münsterland
I
ch krieg ganz gern was in die Fresse – wenn das
Ergebnis dafür steht.“ Clara Woltering nennt
„Dinge besser beim Namen, verbale Eiertänze
sind nicht so meine Sache“. Stattdessen tanzt
die Handballtorhüterin der deutschen Nationalmannschaft lieber ihre Angreiferinnen aus. Auf der
Linie, im Strafraum oder beim Herauslaufen aus ihrem Kasten – bei Tempogegenstößen der gegnerischen Mannschaft etwa. Angst vor Verletzungen
oder vor dem Ball selbst hat sie jedenfalls nicht.
„Der ist mal Freund, mal Feind – das ändert sich in
Millisekunden.“
habe ich mich für Handball entschieden. Darum soll
das immer meine Rückennummer auf dem Trikot
bleiben, in all meinen Vereinen und auch im Nationalteam.“ Sehr hingegen wurmt die 1,78 Meter große
Torfrau, dass sie mit Leverkusen noch nie Deutsche
Meisterin wurde. Viermal Zweiter. „Vizekusen“,
kommt ein gequältes Grinsen, „das hängt uns nach,
genau wie unseren Männern beim Fußball.“ Immerhin: 2005 gewann sie mit Bayer den Europapokal.
Zweimal nacheinander wurde sie aktuell zur Handballerin des Jahres gewählt. Doch lieber wären ihr
„mehr richtige Titel – darüber reden wir noch“.
„Die hält wie ein Mann, bietet ihren Gegnern den
ganzen Körper als Trefferfläche an“, bestätigt Andreas
Thiel, als „Hexer“ selbst langjähriger Nationalkeeper
und Claras Torwarttrainer bei Bayer Leverkusen.
So zählen zwischendurch ein Mittelhandbruch, ab
und an ein Bandscheibenvorfall und immer mal wieder Bänderrisse für die 28-jährige Münsteranerin
zum spielerischen Alltag. Ein Kreuzbandriss, der sie
2002 sechs Monate außer Gefecht setzte, „war die
einzige schwere Verletzung, die ich bislang hatte –
toi, toi, toi!“
Bis zum Teeniealter spielte sie neben Handball auch
noch passabel Tennis, aber vor allem herausragenden Angriffsfußball. Im Sturm der Mädelsmannschaften vom DJK Coesfeld. Sowohl mit dem großen
wie auch mit dem kleinen Leder spielte sie in der
Westfalen-Liga. „Aber beides parallel ging dann nicht
mehr.“ Die Schule, der Sport, und dann der elterliche
Betrieb. „Darüber reden wir noch.“
„Der Ball ist mal Freund, mal Feind –
das ändert sich in Millisekunden“
Mit Glück und Glanzparaden schaffte es die Landwirtstochter 2003 erstmals in die Nationalauswahl,
spielte vor drei Jahren das Olympische Turnier in Peking und stand beim WM-Qualifikationsspiel gegen
Ungarn Mitte Juni zum 124. Mal zwischen den Pfosten. Dass sie – numerisch gesehen – nie zur Nummer eins im DHB-Tor aufsteigen wird, damit kann
Clara Woltering prima leben. „Das will ich so. Mit 16
Mit 16 in die Seniorenmannschaft, mit 17 – zwei
Jahre vor dem Abitur – der Wechsel zu Bayer in die
Bundesliga. Das war vor elf Jahren. Aber erst mit
Ende 20 kommen Torhüter in ihre stärksten Jahre.
„Also jetzt. Und da muss was kommen.“ Soll heißen? – „Ich hab meinen Vertrag noch mal um ein
Jahr verlängert – das wird das Testjahr.“
Wenn es 2012 nicht mit der Meisterschaft klappt,
so ihre Pläne, wird sie Ja sagen – zu einem anderen
Verein. „Ich weiß, was ich an Bayer habe und auch
eben nicht.“ Spanien, Österreich, Ungarn, Norwegen – neben Offerten der üblichen Verdächtigen im
internationalen Frauenhandball reizte Woltering
Anfang des Jahres ein Angebot besonders: das von
Viborg HK, dem dänischen Meister und Champions-
39
40
s p o r t l a n d
04
41
In der nächsten Saison steht Clara Woltering (noch) für
Anfang Juni jeden Jahres schaut die
Bayer Leverkusen im Handballtor
Tenniswelt nach Halle/Westfalen
Gerry Weber Open
biografie
Clara Woltering, 28,
Handballerin
Erfolge: 124 Länderspiele, viermal deutsche Vizemeisterin,
Deutsche Pokalsiegerin
2002, 2010, Europapokalsiegerin 2005,
6. der Weltmeisterschaft 2005
Verein: TSV Bayer 04
Leverkusen
League-Sieger. Schon grübelt sie, „ob die mich nächstes Jahr auch noch wollen“. Aber warum hat sie dann
das Angebot, in Europas Belle Etage spielen zu können, gerade erst abgelehnt? – „Weil ich zu Hause erst
noch was regeln muss.“ Darüber reden wir jetzt.
Zu Hause, im Münsterland, warten 250 Bullen und
70 Hektar Weizen, Gras und Mais darauf, dass Clara
Woltering ihr prächtiges Gedeihen vorantreibt. Der
elterliche Hof kommt ohne ihre Hilfe nicht aus. An
zwei Tagen die Woche ist sie hier komplett im Einsatz, von Mittwoch bis Sonntag pendelt die jüngste
von drei Töchtern der Wolterings zwischen Münster
und Leverkusen. 125 Kilometer hin, 125 zurück.
Die Agrarbetriebswirtin
wurde zweimal zu
Deutschlands Handballerin des Jahres (2009
und 2010) gewählt und
ist Botschafterin der
„Fördergesellschaft
Neben dem Handball arbeitet sie im Marketing bei
Bayer Cropscience, der Pflanzenschutzsparte des
Weltkonzerns, engagiert sich in der „Fördergesellschaft Nachhaltige Landwirtschaft“ (FNL) und
kämpft, wann immer sich die Gelegenheit bietet,
„gern gegen Klischees“.
Nachhaltige Landwirtschaft“ (FNL)
Dreckige Landwirtschaft, Umweltbelastung, Massentierhaltung sind Bedingungen, mit denen die
Botschafterin für eine ressourcenschonende Agrarwirtschaft aufräumen will – in Vorträgen und PRKonzepten genauso wie in der eigenen Praxis.
Auf 400-Euro-Basis ist sie im Konzern beschäftigt,
eine Leistungsvergütung für den Sport bekommt sie
vom Verein, und einen Firmenwagen hat sie. Nicht
genug, um einen Ersatzmann einzustellen, der ihre
Arbeit im elterlichen Betrieb übernehmen könnte.
Und auch deshalb haben Lockrufe potenter europäischer Handball-Ligen für die junge Frau aus Westfalen ihren Reiz. „Mit dem, was ich als Vollprofi bei einem Champions-League-Club mehr verdienen
würde als hier und heute, könnte ich eine Fachkraft
bezahlen, die gemeinsam mit den Eltern zu Hause
den Betrieb schmeißt.“ Nur so könnte „das mit einem Auslandsengagement klappen“.
Verantwortung, Ehrgeiz und Disziplin sind ihr selbstverständlich. „Mach was Gescheites, werd bloß nicht
Landwirtin“, hatten die Eltern ihr gesagt, als sie mit
vielen Plänen zu Hause auszog. Da hat sie wohl nicht
richtig zugehört. Nach dem Abitur machte sie zunächst eine Lehre als Landwirtin. Studierte dann aber
BWL in Köln. Betriebswirtschaftslehre, wie ihre zwei
älteren Schwestern, das wäre doch was „Gescheites“.
Doch nach zwei Semestern war klar: „Das wurde mir
alles zu theoretisch.“ Sie wechselte den Ausbildungsgang und ist heute Staatlich geprüfte Agrarbetriebswirtin. „Mit der Verbindung von ‚Land‘ und ‚Wirtschaft‘ hab ich genau mein Ding gefunden.“
Es begann mit einer Idee, einem
Rasenplatz, Stahlrohrtribünen und
einem Tennisturnier für die zweite
Garde. Gerhard Weber ließ vor 20
Jahren in einem westfälischen Kleinstädtchen erfolgreich Damenröcke,
Blusen und Kostüme schneidern. Und
da der Unternehmer äußerst sportbegeistert war, schuf er ein Tennisturnier, gab ihm seinen (Firmen-)Namen
und platzierte es kurz vor Wimbledon.
Daraus sind die Gerry Weber Open
in Halle/Westfalen geworden, das
wichtigste Rasentennisturnier vor
dem Grand Slam in London. Nicht
nur das: Die Freiluftanlage hat der
Investor zu einer der schönsten und
größten Multifunktionsarenen des
Landes ausgebaut.
Die Gerry Weber Open sind das größte Tennisereignis in Deutschland. Mehr als 100 000 Zuschauer füllten Anfang Juni wieder die Tribünen des grün-weißen Stadions auf der grünen
Wiese. Zum 19. Mal traf sich die Weltelite des
weißen Sports im kleinen ostwestfälischen Halle,
gelegen zwischen Bielefeld und Osnabrück mit
Blick auf die sanften Hänge des Teutoburger
Waldes. Dieses Mal waren so viele Superstars
(5 Top-Ten-Player) angereist wie nie zuvor, um
sich auf das Tennisereignis des Jahres, das Turnier in Wimbledon, perfekt vorzubereiten.
Für Roger Federer, den Schweizer Weltklassespieler, ist Halle zum Pflichttermin geworden.
Er schlägt sich auf dem deutschen Rasen ein,
der dem Grün auf dem englischen Center
Court sehr ähnlich sein soll. Federer kommt
nach Halle, solange er auf der ATP-Tour spielt,
das hat er in einem „Lebenszeitvertrag“ mit
den Westfalen so vereinbart.
In Halle haben die Stars gespielt – und die
vom Spitzensport nicht gerade verwöhnte
Region begeistert. Henri Leconte war der umjubelte Liebling in den ersten Jahren, als das
1993 gestartete Turnier zum Ereignis wurde.
Dann kamen Boris Becker, Michael Stich,
Andre Agassi, kaum einer der großen Stars
ließ das Turnier aus.
Und Weber entwickelte aus seiner Marketingidee einen eigenen Sportveranstalter, der
sich um die großen Events in vielen Sportarten bewirbt. Den Rasenplatz mit den Stahlrohrtribünen baute er nach und nach aus, bis
zum Stadion mit 12 300 Zuschauern, das zusätzlich ein in 90 Sekunden zu schließendes
mobiles Dach erhielt. Eine der modernsten
Arenen Europas.
Weber errichtete neben dem Stadion ein FirstClass-Hotel, damit die Sportler standesgemäß direkt an der Anlage wohnen können. Ein
sportmedizinisches Zentrum mit exzellenten
Ärzten und Wissenschaftlern, die nach neuesten Erkenntnissen und Methoden die Athleten
behandeln, und eine fantastische Golfanlage
komplettieren Gerry Webers Sportpark auf
dem Lande zu einem der begehrtesten Sportplätze in Deutschland.
Das Umfeld ist perfekt, die Zuschauer dankbar
und immer zahlreich – eine solche Atmosphäre verknüpft mit perfekter Organisation lockt
den internationalen Sport an. Die Handballweltmeisterschaft war 2007 mit mehreren
Spielen zu Gast ebenso wie Basketball, Volleyball mit Länderspielen – und Boxen. Henry
Maske war der Erste im Ring, er verteidigte in
Halle gleich zweimal seinen Weltmeistergürtel.
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porträt sarah poewe
Die Weltenbummlerin
Sarah Poewe wuchs in Kapstadt auf, studierte in den USA, schwimmt
in Wuppertal und ist persönlicher Gast bei der Prinzenhochzeit in Monaco
D
ie Sonnborner Straße in Wuppertal ist eine
dieser Straßen, in denen das Stadtleben
seinen dörflichen Charakter bewahrt hat. In
der Gaststätte „Alt Sonnborn“, im Bioladen
gegenüber und ein paar beige, grau oder erbsengrün
gestrichene Häuser weiter kennt man sich.
Wuppertal-Sonnborn ist ziemlich weit entfernt von
den Orten, an denen Sarah Poewe bislang gelebt hat.
Kapstadt, Südafrika. Athens, Georgia (USA). Los Angeles, Kalifornien. Aber jetzt sitzt Poewe im Eiscafé
„Gardasee“. Seit Ende Januar wohnt die Schwimmerin gleich um die Ecke. An ihrem linken Ringfinger
schimmern silbern die olympischen Ringe. Sie sind
der Grund, warum Sarah Poewe hier ist: 2012 will sie
in London Bestleistungen bringen. Und Wuppertal ist
eben nicht nur Freilichtmuseum, sondern auch Sitz
des SV Bayer, in dessen Leistungszentrum die Kaderathletin trainiert.
Aufgewachsen ist die Spezialistin auf den Bruststrecken in Kapstadt, als Tochter einer südafrikanischen Mutter und eines deutschen Vaters. Bis 2001
startete Sarah Poewe für Südafrika, auch bei den
Olympischen Spielen 2000 in Sydney. Bei den Europameisterschaften 2002 schwamm sie das erste
Mal für Deutschland. Athen und Peking folgten für
die mehrfache Deutsche Meisterin und Gewinnerin
der Bronzemedaille bei Olympia 2004. London sollen
ihre vierten Spiele werden, eine außergewöhnliche
Leistung bei den Zehntelsekundenjägern auf der
50-Meter-Bahn.
Den ersten Schubser ins Becken verpasst ihr der ältere Bruder Jean-Claude während ihrer Zeit in Malente,
Schleswig-Holstein. Er nimmt die kleine Sarah mit
in den Schwimmverein. Mit zehn beginnt sie ernsthaft zu trainieren. Von da an ist sie mehrere Monate
pro Jahr unterwegs, in Trainingslagern und zu Wett-
kämpfen. „Ich wollte das“, sagt die 28-Jährige mit
den breiten Schultern, die ihren kraftintensiven
Sport verraten.
Als Sarah Poewe mit 18 Kapstadt endgültig verlässt,
ist das Reisen bereits ihr Alltag. Die Übersiedlung ins
Land ihres Vaters hat auch mit der Karriere zu tun.
„Die Möglichkeiten, professionell zu schwimmen,
waren in Deutschland besser“, sagt Sarah Poewe.
„Von Südafrika aus muss man ja immer richtig weit
reisen, um internationale Wettkämpfe zu schwimmen.“ Aber: „Kapstadt wird immer meine Heimat
bleiben.“ Südafrika, das ist Vergangenheit. Die Gegenwart ist Wuppertal. „Wenn ich hier bin, fühle ich mich
schon deutsch.“ Gut: Die Deutschen könnten etwas
lockerer sein. Gleiches gelte aber für die Amerikaner,
wo sie acht Jahre lebte, studierte und trainierte.
An der Wupper hat sie ihre eigene Wohnung, zwei
Zimmer in einem Altbau mit Blick auf ein Fachwerkhaus, Baujahr 1743. Zehn Minuten braucht sie
von hier aus zum Leistungszentrum, für ihr Krafttraining muss sie nur über die Wupper, wenige Minuten zu Fuß.
Ende Juni wird sie Wuppertal in eine ganz andere
Richtung verlassen: Sarah Poewe ist Gast der Glamour-Hochzeit des Sommers – der des monegassischen Fürsten Albert und der ehemaligen südafrikanischen Schwimmerin Charlene Wittstock in Monte
Carlo. Mit der Braut schwamm sie vier Jahre für das
südafrikanische Nationalteam, bei Wettkämpfen und
Lehrgängen teilten sie das Zimmer. Wenn die beiden
Schwimmerinnen sich jetzt wiedersehen, trägt die
eine wohl ein von Pariser Couturiers gefertigtes weißes Brautkleid. Die andere setzt bei der Wahl der
Festrobe auf die Künste einer Wuppertaler Designerin. Sarah Poewe ist angekommen.
biografie
Sarah Poewe, 28,
Schwimmerin (Brust)
Erfolge: Olympische
Spiele 2000 (für Südafrika): 4. Platz (100 m
Brust)/6. Platz (200 m
Brust), Olympische
Spiele 2004: 5. Platz
(100 m Brust)/3. Platz
(Staffel 4 x 100 m Lagen), Weltmeisterschaft 2005: 3. Platz
(4 x 100 m Lagen),
Olympische Spiele
2008: Teilnahme.
Bis 2009 zwei Europarekorde, sieben deutsche Rekorde, 15-fache
Deutsche Meisterin
Verein: SV Bayer
Wuppertal
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porträt anke feller
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Die Quereinsteigerin
Anke Feller holte in Athen WM-Gold mit der 4 x 400-Meter Staffel, wurde
Journalistin und Sportfunktionärin – Karrieren, die sie mit viel Engagement betreibt
E
ins ist beim Treffen mit Anke Feller sofort klar:
Sie ist niemand, der unauffällig im Hintergrund bleiben kann. Nicht, weil sie ständig
angestrengt ins Zentrum der Aufmerksamkeit drängen würde. Sondern einfach, weil sie ist, wie
sie ist: Groß. Athletisch. Attraktiv. Und von mitreißender Energie. Als Sprinterin war Anke Feller mit
der 4 x 400-Meter-Staffel Weltmeisterin, Weltcupsiegerin und Europameisterin. Inzwischen ist die 39-Jährige erfolgreiche Moderatorin, Reporterin und Autorin
für Radio- und Fernsehsender – und seit dem Frühjahr Vorstandsvorsitzende der Sportstiftung NRW.
Mit Feller Schritt zu halten, ist nicht ganz einfach. Ihr
Gang ist der einer Läuferin, federnd, raumgreifend.
Zielstrebig durchquert sie jetzt den Leverkusener
Neuland-Park in Richtung des Ausflugslokals „Wacht
am Rhein“, hinten rauscht die A1, vorn rauchen die
Schlote des Bayer-Werks, rechts fließt der Rhein.
Anke Feller ist auch heute immer in Bewegung, als
berufstätige Mutter eines vierjährigen Sohnes und
jetzt eben auch ehrenamtliche Funktionärin. Der
enge Takt der Termine beschleunigt ihren Alltag.
Hektisch macht sie das kein bisschen. „Jetzt einen
Kaffee in der Sonne, das wär es doch“, sagt sie, und
ihre Schritte werden noch etwas länger.
Die Übernahme des Vorsitzes der NRW-Sportförderung hat Anke Feller nicht gezielt angestrebt. Sie hat
sich sogar ziemlich herausgehalten aus den üblichen
Funktionärskreisen, bis sie Anfang des Jahres gefragt wurde, ob sie den Posten übernehmen wolle.
Für sie selbst kam das völlig überraschend. Sie erbat sich Bedenkzeit – und sagte dann sehr schnell
zu. Wichtige Entscheidungen bräuchten bei ihr eigentlich lange, sagt Anke Feller, „aber ich bin schnell,
wenn mich etwas begeistert“. Anfang April wählte
das Kuratorium der Stiftung sie zur neuen Chefin.
Ein Quereinstieg also – womit gleich eines der wichtigsten Themen der Sportfunktionärin Anke Feller
benannt wäre: der oftmals holprige Umstieg zwischen einer Karriere als Leistungssportler in das Berufsleben danach. Denn außer den – männlichen –
Fußballprofis können nur wenige Athleten ihr Leben
lang von den erlaufenen, erschwommenen, erspielten Geldern zehren. „Ich habe häufig Kollegen erlebt,
die nur auf den Sport fokussiert waren und gesagt
haben: Ach, da wird sich schon was ergeben. Das
war ja auch immer so, dass dann der Vereinsboss
jemanden kannte und Vitamin B ins Spiel kam“, erinnert sich Anke Feller. „Heute ist das anders – da
muss man etwas vorweisen können.“
Nach ihrem Abitur wollte Anke Feller eigentlich
Krankengymnastin werden, gab aber dem Sport den
Vorrang. Neben dem Training bei Gerd Osenberg in
Leverkusen studierte sie an der Kölner Sporthochschule. Ihr Schwerpunkt: Leistungs- und Breitensport. Der Einstieg in ihren heutigen Beruf war: ein
Quereinstieg. Und dazu noch ein riesiger Zufall.
Vor elf Jahren lernte Anke Feller bei einem SportEmpfang die zukünftige Chefredakteurin von „Radio
Leverkusen“ kennen, „witzigerweise“, sagt sie heute.
Man kam ins Gespräch, und sie bot Feller einen Praktikumsplatz im Sender an, falls sie Interesse habe.
Ein Jahr später verpasste Anke Feller die Qualifikation für die Weltmeisterschaften. Einen kompletten
Monat hatte sie sich für die Wettkämpfe frei gehalten.
Den, beschloss sie, würde sie nun eben anders nutzen – und machte das Praktikum, erst beim Radio,
dann beim WDR-Fernsehen. Beide Redaktionen
boten ihr an, als freie Mitarbeiterin weiterzumachen.
Feller nahm an.
46
s p o r t l a n d
05
47
accabor empero eressitas
Ecae serat dolupta quo beatis ut
vitate velestio. Ic tempost
autet ped qui recuscitis estrum
tistrum ius, evendi o
dolup
is
digen
esecum sundici aspe
Bild wird ersetzt
Leichtathletik-WM 1997 in Athen: Anke Feller (Zweite von rechts)
Ihre Erfolge wurden durch die Unterstützung der Sportstiftung NRW
wird mit der deutschen 4 x 400-Meter-Staffel Weltmeisterin
erst möglich: Vizeweltmeisterin und Siebenkämpferin Jennifer Oeser
Sportstiftung NRW
biografie
Anke Feller, 39,
Leichtathletin
Erfolge: mit der
4 x 400-Meter-Staffel
Europacupzweite 1996,
Weltmeisterin 1997,
Europameisterin und
Weltcupsiegerin 1998,
WM-Dritte 1999,
Olympische Spiele
2004 (Teilnahme, ohne
Einsatz)
Verein: TSV Bayer 04
Leverkusen
Persönliches: verheiratet mit dem ehemaligen
Basketballprofi Helge
Kuprella, 2007 kam ihr
Sohn auf die Welt. Im
April wurde Feller zur
Vorstandsvorsitzenden
der Sportstiftung NRW
gewählt
Naja könnte man jetzt denken, ist sie halt so reingerutscht. Tatsächlich bedeutete der Berufseinstieg
für Anke Feller drei Jahre Doppelbelastung. Ab 2003
moderierte sie die Frühsendung von „Radio Leverkusen“, morgens von 6 bis 9 Uhr. Das hieß: 4 Uhr aufstehen, in den Sender fahren, arbeiten. Mittags nach
Hause kommen, zwei Stunden schlafen, dann ab
zum Training. „Wenn der Biorhythmus so richtig unten war, dann musste ich Tempoläufe machen“, sagt
Feller. Sie lacht, während sie das erzählt.
Ihr großes sportliches Ziel schaffte sie auch: die
Teilnahme an den Olympischen Spielen 2004. Sie
fuhr nach Athen, dorthin, wo sie 1997 mit der Staffel WM-Gold geholt hatte. Laufen durfte sie aber
nicht, und die deutsche Staffel schied im Halbfinale
aus. Ohnehin war für Anke Feller klar: „Danach höre
ich auf. Die Belastung war einfach zu hoch. Außerdem konnte ich mich so weder in den Sport noch
in den Beruf voll reinhängen.“ Zwei Monate lief sie
danach überhaupt nicht. „Man soll ja eigentlich
abtrainieren. Aber ich habe das überhaupt nicht
vermisst“, sagt Feller und muss wieder lachen.
Inzwischen ist der Sport willkommener Ausgleich
zu ihrem Alltag.
Der besteht zu einem guten Teil aus dem Einfinden
in die Stiftungsarbeit, also vor allem Gesprächen mit
den Vertretern der beteiligten Institutionen wie der
Landesregierung, dem Landessportbund, dem Deutschen Forschungszentrum für Leistungssport „mo-
mentum“, den Vereinen. „In den letzten Jahren ist
durch die Stiftung schon viel verändert worden. Ziel
war dabei immer, das Trainingsumfeld für die Sportler optimal zu gestalten, etwa durch mehr Trainerstellen. Jetzt wollen wir uns um die Athleten selber
kümmern“, erklärt Anke Feller. Einen Schwerpunkt
will sie auf eine präventive Gesundheitsförderung
bei den Sportlern setzen – „auch durch Frusterlebnisse wie lange Verletzungszeiten gehen dem Sport
Athleten verloren. Das können wir verhindern, wenn
wir Schwächen frühzeitig erkennen.“
Wichtig ist ihr aber vor allem die duale Karriereplanung. „Die jungen Sportler sollen Schule, Studium
und Ausbildung und einen Olympiasieg schaffen –
und das am besten, bevor sie 25 sind“, beschreibt
Feller den Druck, der auf den Athleten lastet. Die bekämen die Doppelbelastung immer früher zu spüren, auch weil in Zeiten wirtschaftlicher Krisen Sponsorengelder weniger locker säßen. Umso wichtiger
werden neben öffentlichen Fördergeldern Strukturen und Menschen, die helfen, die Herausforderungen miteinander zu vereinbaren.
„Ich habe mir meinen Weg selber gesucht“, bilanziert Anke Feller. „Ich hätte gern ein Volontariat, eine
journalistische Ausbildung gemacht. Aber darauf
bin ich erst zu spät gekommen, da war ich schon zu
alt“, sagt sie. „So werde ich immer Quereinsteigerin
bleiben.“
Gut zehn Jahre ist es her, dass die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen
die Gründung der Sportstiftung NRW
initiierte. Die Schaffung einer Organisation war notwendig geworden, um
dem Nachwuchs Perspektiven für den
Leistungssport zu geben, Trainerausbildung und Trainingsbedingungen zu
verbessern. Von Beginn an engagierte
sich die zweifache Olympiasiegerin
Heide Rosendahl für die Stiftung, mit
Anke Feller hat nun eine ehemalige
Spitzensportlerin den Vorsitz übernommen.
Michael Vesper, früher Sportminister in
Nordrhein-Westfalen und heute Generaldirektor des Deutschen Olympischen
Sportbundes (DOSB), nennt das NRWModell „bundesweit beispielgebend, wenn
es um die systematische Förderung des
Nachwuchses im Leistungssport geht“. Für
Stiftungsvize Heide Rosendahl ist mit der
Sportstiftung „in den ersten zehn Jahren
die grundlegende Basis für die Förderung
des Leistungssports gelegt. Jetzt werden
wir sehr gezielt die Athleten unterstützen.“
Die Leverkusenerin engagierte sich nicht
nur für die Stiftung, sondern trat verstärkt
als Botschafterin für den Sport in Nordrhein-Westfalen an, so für die Olympiabewerbung der Region Rhein-Ruhr. Wenn es
auch nicht ganz gereicht hat mit den ambitionierten Plänen von Düsseldorf & Co, so
ist eines geblieben: Es hat eine Identifikation der Sportler mit ihrem Land gegeben.
Die ist heute überall zu spüren, die Sportler
selbst sind unter dem Begriff „Sportland
Nordrhein-Westfalen“ enger zusammengerückt. Beigetragen hat zu diesem neuen
Wirgefühl wesentlich die Sportstiftung mit
mehr als 30 Millionen Euro, mit denen sie
im ersten Jahrzehnt zusätzlich die Spitzensportförderung unterstützte.
Im Fokus der Förderung stehen alle Sportler, die eine realistische Chance auf die
Teilnahme an Olympischen Spielen und
Paralympics haben. Athleten mit geringem
monatlichen Einkommen können schon
jetzt monatlich eine finanzielle Unterstützung bekommen, außerdem fließt bei Medaillengewinnen eine ordentliche Prämie.
Diese individuelle Förderung soll in den
nächsten Jahren verstärkt werden. Damit
will man der sportlichen Nachwuchselite
in Nordrhein-Westfalen eine optimale
Karriereentwicklung auf sportlicher und
beruflicher Ebene ermöglichen. Die neue
Vorsitzende Anke Feller betont, dass nichts
wichtiger sei, als „einen optimalen Verbund von Schule, Hochschule, Ausbildung
und Hochleistungssport“ zu schaffen.
Die Sportstiftung finanzierte im ersten
Jahrzehnt ihres Bestehens besonders die
Anstellung von Trainern und unterstützte
den Aufbau von Sportinternaten. Auch die
wissenschaftliche Begleitung, sportmedizinische Untersuchungen sowie Anti-Doping-Maßnahmen wurden und werden unterstützt. Die Stiftung ermöglichte so die
Schaffung von 140 neuen Arbeitsstellen
im und rund um den Sport in NordrheinWestfalen.
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49
Ursula Holl
Linda Bresonik
I
S
n ihrer Wohnung in der Kölner Südstadt hat Ursula Holl eine Postkarte mit dem Slogan „Verliebt in Köln“ an die Wand gepinnt. Die
gebürtige Würzburgerin scheint den rheinischen Frohsinn verin-
nerlicht zu haben – obwohl sie erst seit anderthalb Jahren hier lebt.
Denn der Torfrau kann fast nichts die gute Laune verderben.
ie sei nicht die Runde, sondern die Eckige, hat sich Linda Bresonik einmal selbst beschrieben. Sie sagt, was sie denkt, auch
wenn sie sich damit manchmal unbeliebt macht. Auf dem
Platz aber geht sie dahin, wo sie gebraucht wird. Sie mag Shopping
und schnelle Autos, aber am meisten hängt sie an ihrer Heimatstadt.
Kompliziert? Nein. Nur anders, als man denkt.
„Das rheinische Naturell liegt mir sehr gut, weil ich immer versuche,
authentisch zu sein. Und ich freue mich, wenn das mein Umfeld
Für die Mannschaft ist Linda Bresonik vor allem: die Vielseitige. Sie
auch ist“, sagt Holl. Als sie im Juni vergangenen Jahres ihre Freun-
spielt statt im Mittelfeld auch mal in der Abwehr, wenn es nötig ist.
din Carina heiratete, galt sie indes auf einmal nicht nur als authen-
Schon mit 16 war sie Leistungsträgerin in ihrem Verein, dem FCR
tisch, sondern wurde gleich zur Vorreiterin eines neuen, offenen
Duisburg, mit 17 gab sie ihr Debüt in der A-Nationalmannschaft. Sie
Umgangs mit Homosexualität im Fußball erkoren. Dabei war das
ist schnell, spielt beidfüßig, ihre Pässe kommen an.
doch ihre Privatsache. Sie nahm es gelassen.
Warum sie als schwierig gilt? Schwer zu sagen, meint Bresonik. „Viel-
Weltmeisterinnen-Jubel: Das deutsche Frauenteam nach dem Finalsieg bei der Fußball-WM vor vier Jahren
Die Spielerinnen
Zum Team der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft gehören
acht Frauen aus Nordrhein-Westfalen
Holl, die außerhalb ihrer Familie nur Uschi genannt wird, ist aber
leicht liegt es daran, dass die meisten Menschen immer nur das Gute
ziemlich gut darin, das Beste aus einer Lage zu machen. Als sie
hören und nicht mit dem Unangenehmen konfrontiert werden wollen,
1999 in die Bundesliga wechselte, war sie lange nur die Nummer
weil sie Angst davor haben.“ Sie sei eben kein Jasager. Dass das nicht
zwei. Obwohl sie, wenn sie spielte, immer gut war. 2007 wurde sie
bei jedem gut ankommt, weiß sie. Ihre Meinung sagen zu können, ist
dank zwei gehaltenen Elfmetern zur Heldin des Pokalfinales zwi-
ihr trotzdem wichtiger.
schen dem 1. FFC Frankfurt, ihrer damaligen Mannschaft, und dem
FCR Duisburg. Danach war sie zumindest in der Bundesliga die
Aber sie ist ein Teamplayer: Nach ihrem Elfmetertor bei der EM 2009
Nummer eins, erst beim SC 07 Bad Neuenahr, später in Duisburg.
gegen Norwegen rannte sie zur Seitenauslinie, um mit den Ersatz-
In der Nationalmannschaft ist noch Nadine Angerer gesetzt im Tor.
spielerinnen zu jubeln. Das Zimmer teilt sie mit Torfrau Nadine Ange-
Aber: Holl gehört zum Kader. Alles andere kommt schon noch.
rer – weil niemand anderes wollte. Denn Angerer löscht laut eigenen
Angaben nie vor zwei Uhr nachts das Licht. Sie und Bresonik, sagte
Schlechte Laune bekommt sie allerdings, wenn sie Hunger hat. Er-
Angerer in einem Interview, seien aber „ein Klasseteam“.
nährung ist ein großes Thema in ihrem Leben. In ihrer Küche reihen
A
uch an diesem Vormittag werfen nur die
Schönwetterwolken Schatten auf den akkurat gemähten Rasen. Postkartenidylle
gegen Ende des vierten Lehrgangs der
deutschen Frauennationalmannschaft in der Sportschule Bitburg. Nach und nach, in kleinen Grüppchen, trudeln die Spielerinnen nach ihrem Frühstück
auf dem Trainingsplatz ein, vom Hotel ist es nur ein
kurzer Fußweg.
Es herrscht Harmonie. Schließlich kennen sich die
Spielerinnen. Aus der Nationalmannschaft oder
aus den Topclubs der Bundesliga. Acht von ihnen
haben vor der WM in NRW gespielt – Inka Grings,
Linda Bresonik, Annike Krahn, Simone Laudehr,
Alexandra Popp und Torfrau Ursula Holl beim FCR
2001 Duisburg, Lisa Weiß von der SG Essen-Schönebeck und Sonja Fuss aus Duisburg stehen für
den Kader auf Abruf bereit.
sich Vorratsgläser mit Getreide, Körnern und Nüssen, per Fernstu-
Während Angerer den Paradiesvogel der Mannschaft gibt, ist Linda
dium lernt sie Ernährungswissenschaften. Sie backt leidenschaft-
Bresonik das heimliche Glamour-Girl. Ihre markante Kurzhaarfrisur
lich gern, ihre Freunde schätzen ihre Qualitäten als Gastgeberin.
ist fast schon Markenzeichen, und beim Promo-Termin mit Sponsor
Mercedes war sie in ihrem Element. Nach der WM plant sie einen
Zu ihrem Geburtstag kommen dieses Jahr 70 000 Gäste – der ist
Urlaub in der Sonne inklusive Jetskitouren, einer Ballonfahrt und
nämlich am 26. Juni, wenn die deutsche Frauenelf zum Eröff-
eines Fallschirmsprungs.
nungsspiel der WM im Berliner Olympiastadion aufläuft. Vielleicht
Die Spielerinnen sind so vielseitig wie das Bundesland, in dem sie spielen – da gibt es die Frohnatur
Ursula Holl und die besonnene Annike Krahn, Durchstarterin Simone Laudehr und Debütantin Alexandra
Popp, die erfahrenen Spielerinnen Inka Grings und
Linda Bresonik. Doch trotz aller Unterschiede: Sie
sind ein Team. Mit dem gleichen großen Traum:
dabei zu sein bei der WM im eigenen Land, die auch
an den Spielorten Leverkusen, Bochum und Mönchengladbach ausgetragen wird.
holt Ursula Holl die private Party trotzdem nach. Ihre Hochzeits-
Höher, schneller, weiter – das ist aber nur so lange ihr Ding, wie es
feier hat sie auf den Geschmack gebracht: „Am liebsten würde ich
danach auch wieder nach Hause geht. „Ich bin total heimatverbun-
ehrlich gesagt jedes Wochenende so ein Fest feiern, weil es ein-
den und kann mir schwer vorstellen, aus Essen wegzuziehen“, sagt
fach toll war.“
sie. Hier wohnen ihre Familie, ihre Freunde – „Das ist das Wichtigste
Ursula Holl, 29, Torfrau. Verein: FCR 2001 Duisburg. Weltmeisterin 2007,
Europameisterin 2005, 2009, Bronze bei den Olympischen Spielen
2008, UEFA-Cup-Siegerin 2002, 2006, Deutsche Meisterin 2001, 2002,
2003, 2007, DFB-Pokalsiegerin 2001, 2002, 2003, 2007, 2010. Seit
2009 ist die gelernte Bankfachwirtin Sportsoldatin
für mich.“ Eigentlich doch ganz unkompliziert.
Linda Bresonik, 27, Abwehr/Mittelfeld. verein: Bisher beim FCR 2001
Duisburg, kürzlich gab Bresonik bekannt, dass sie den Verein verlässt.
Weltmeisterin 2003, 2007, Europameisterin 2001, 2009, Bronze bei
den Olympischen Spielen 2008, UEFA-Cup-Siegerin 2009, DFB-Pokalsiegerin 2009, 2010. Gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau
50
51
Die Nationalspielerinnen aus dem Sportland Nordrhein-Westfalen waren zusammen mit ihrer Trainerin Silvia Neid
Sonja Fuss (WM-Spielerin auf Abruf), Ursula Holl, Simone Laudehr, Annike Krahn, Inka Grings (obere Reihe von links)
(oben rechts) beim Fotoshooting in Bitburg bester Laune:
sowie Lisa Weiß (WM-Spielerin auf Abruf), Alexandra Popp, Linda Bresonik (knieend von links)
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53
Simone Laudehr
I
Mit Anfang 20 kommentiert sie nun auf ihrer Website sehr abgeklärt
1996 gab sie ihr Debüt in der Nationalmannschaft, bei der WM 1999
die sportliche Situation ihres Vereins und findet gewählte Worte für
in den USA schoss sie im zweiten Gruppenspiel gegen Mexiko
die überraschende Entlassung von Trainerin Martina Voss-Tecklenburg.
drei Tore. Bei der EM 2009 wurde sie zur besten Spielerin gewählt.
Über die Heiratsanträge im Gästebuch muss sie eher schmunzeln.
Aber immer wieder warfen langwierige Verletzungspausen sie zurück. 2001 verpasste sie die EM in Deutschland, 2003 wegen einer
Die Prämie für den WM-Titel 2007 hat sie in einen Bausparvertrag
Zerrung die WM.
„Das Ruhrgebiet ist einfach meine Heimat“, sagt Krahn. „Ich bin
hier geboren, aufgewachsen und wohne immer noch da, weil ich
investiert. „Ich will mir mal ein Häuschen bauen“, erklärte sie da-
m Finale der WM 2007, vier Minuten vor Abpfiff, köpfte Simone
mals. Im Moment würde sie den Grundstein noch in ihrer Heimat
Manchmal warf sie sich aber auch selbst zurück – zumindest war
mich hier richtig wohlfühle.“ Das Klischee, das sie am meisten är-
Laudehr den Ball zum 2:0 ins brasilianische Tor. Weltbekannt wur-
legen, in der Nähe von Regensburg.
das der öffentliche Eindruck. „Ich finde nicht, dass ich zu direkt bin,
gert: „Dass die Luft bei uns so schlecht sei, obwohl die Landschaft
im Gegenteil“, sagt Grings. „Offen und ehrlich seine Meinung zu sa-
hier sehr grün und schön ist.“
de sie aber durch ihren Torjubel inklusive hochgehobenen Trikots.
Simone Laudehr wurde zum Gesicht, oder besser: zum Bauch der
Ist sie auch irgendwann mal unvernünftig? „Das verrate ich nicht“,
gen, erachte ich als eine positive Eigenschaft. Nur beim Meckern
WM. Seitdem ist sie eine der Vorzeigefrauen, die das Image ihrer
grinst Laudehr. Eine sehr vernünftige Antwort.
auf dem Platz müsste ich mich vielleicht noch etwas zügeln und die-
Über solche Vorurteile kann sie sich aufregen. Und über Ungerech-
se Energie ins Positive umsetzen. Und ich habe auch schon gelernt,
tigkeiten. „Ansonsten denke ich, bin ich nicht sehr emotional – zu-
dass es in manchen Situationen besser ist, den Mund zu halten.“
mindest nicht nach außen hin“, formuliert Krahn. Interviewfragen
Sportart noch weiter in Richtung eines jungen, frischen Glamours
rücken sollen. Dabei ist Laudehr eigentlich ziemlich bodenständig.
Simone Laudehr, 24, Mittelfeld. Verein: FCR 2001 Duisburg. Weltmeisterin 2007, Bronze bei den Olympischen Spielen 2008, Europameisterin
2009, U19-Weltmeisterin 2004, UEFA-Cup-Siegerin 2009, DFB-PokalSiegerin 2009, 2010. Die gelernte Bürokauffrau und Sportsoldatin spielt
in ihrer Freizeit gerne Basketball
beantwortet sie mitunter genauso schnörkellos, wie sie spielt. Ver2006 wurde sie nach Unstimmigkeiten erst von ihrem Verein sus-
schlossen ist sie nicht: Auf ihrer Internetseite bloggt sie regelmäßig
pendiert, dann flog sie aus dem Kader für die WM 2007, weil sie
über Spiele und Trainingslager, beantwortet Fan-Fragen und verrät,
konnte. Erst ein paar Wochen vorher war sie in den A-Kader aufge-
Leistungstests verpasste. „Ich kann das, was damals passiert ist,
dass sie Süßigkeiten und den Curryreis ihrer Mutter liebt.
rückt, und jetzt das: Interviews, Fotoshootings, Sponsorentermine –
nicht mehr rückgängig machen“, sagt Grings heute über diese Zeit.
auf einmal war da kaum noch Sport in ihrem Leben. „Ich hatte nach
„Deswegen lasse ich heute einfach viele Dinge, die mich an diese
Zum Dauergast in Talkshows und auf roten Teppichen wird Krahn
der WM einfach sehr wenig Zeit für mich und zum Durchatmen. Ich
Zeit erinnern, an mir abprallen und versuche nach vorne zu schauen
wohl dennoch nicht werden. Chichi? Ohne sie. „Ich würde mich
musste direkt danach für zwei Monate zur Bundeswehr, hatte auch
und voranzukommen.“ Es funktioniert: Die gebürtige Düsseldorfe-
durchaus als bodenständig bezeichnen, da es für mich keinen
dort keinen richtigen Alltag. Das war eine sehr belastende Situation
rin spielt bis heute für den FCR Duisburg. Mit anhaltendem Erfolg.
Grund gibt, mich zu verändern, nur weil ich sportlich erfolgreich
damals, gerade auch mental“, sagt sie heute. Sie brauchte Abstand,
Und jetzt auch wieder in der Nationalmannschaft.
bin“, sagt sie, ganz Pragmatikerin.
Nach ihrem Tor – und dem Jubel – schoss die Karriere von Simone
Laudehr so schnell voran, dass ihre Gefühlswelt kaum Schritt halten
am Ende auch vom Fußball.
Inka Grings wird sich vor den Spielen mit den Songs der amerikani-
Sie engagiert sich lieber für das Projekt „sozialgenial“, das regiona-
Ein Vierteljahr dauerte es, dann hatte sie sich gefangen. Nicht nur auf
schen Pop-Göre Pink einstimmen. Vor Kurzem war sie auf einem
les bürgerschaftliches Engagement von Schülern fördert. „Es leben
dem Rasen ist die gertenschlanke 24-Jährige robuster, als sie aus-
Konzert von Schlager-Wiedergänger Matthias Reim, „das echt irre
einfach so viele Kinder und Jugendliche in unserer Nachbarschaft
sieht. Fußball spielt sie, seit sie drei Jahre alt ist, und weil sie auch
gut war. Anschließend durfte ich ihn sogar persönlich kennenlernen.
oder Umgebung, denen es nicht so gut geht wie den meisten von
später jede Minute ihrer Freizeit damit verbrachte, meldeten ihre El-
Ich glaube, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich auf-
uns. Wir leben sozusagen Tür an Tür mit ihnen, deswegen müssen
tern sie beim FC Tegernheim an. Begründung: „Wenn du eh immer
geregt war.“
wir ihnen auch helfen“, sagt sie. Auch ziemlich pragmatisch.
hen.“ Pragmatismus, von dem Laudehr eine Menge mitgenommen
Ein bisschen aufgeregt dürfte sie aber auch jetzt sein. Immerhin
Was sie sonst auszeichnet, ist vor allem ihr Ehrgeiz. Im August,
hat, als sie mit 17 nach München zog, um für den FC Bayern in der
geht ein Traum in Erfüllung.
zehn Monate vor der WM, riss beim Champions-League-Qualifikati-
mit den Jungs spielst, dann kannst du auch gleich in den Verein ge-
Bundesliga aufzulaufen. Eine Saison später ging es noch weiter weg:
nach Duisburg.
„Ich hatte damals großes Heimweh, da mir meine Familie sehr wichtig ist“, blickt Laudehr zurück. Der Oberpfälzer Einschlag in ihrer
Sprache verrät, dass ihre Heimat woanders ist als hier im Ruhrgebiet. „Aber je älter ich werde, desto eingespielter ist die Situation,
und ich habe gelernt, sie so zu bewältigen, dass ich einigermaßen
damit klarkomme.“
Inka Grings
I
ncredible Inka wird sie genannt, weil sie Tore mit rechts, links oder
onsturnier in Nordirland das Kreuzband ihres linken Knies – ein
schwerer Rückschlag vor dem wichtigen Turnier. Aber Krahn kämpfte sich durch die Reha. Vier bis sechs Stunden täglich. Mit Erfolg.
Andere sagten über sie, sie sei für jeden Spaß zu haben, meint
per Kopf macht. Sechsmal war die Stürmerin Bundesliga-Tor-
Krahn. Offenbar nicht nur eine Floskel: Zusammen mit Alexandra
schützenkönigin, ihr Rekord von 38 Toren in der Saison 1999/2000
Popp hat sie mit der Kombo „Sportrock“ den Song „Fußballsom-
ist bis heute ungeschlagen. Genauso wie der schnellste Hattrick der
Bundesliga-Geschichte: drei Tore in vier Minuten gegen den SC 07
Bad Neuenahr im Meisterschaftsspiel 2004/2005. Eine geradlinige
Sportlich hatte sie ohnehin nie Probleme, anzukommen: Beim FCR
Inka Grings, 32, Stürmerin. Verein: FCR 2001 Duisburg. 61 Tore in 87
Länderspielen, Europameisterin 2005, 2009, Bronze bei den Olympischen Spielen 2000, Uefa-Cup-Siegerin 2009, Deutsche Meisterin
2000, DFB-Pokalsiegerin 1998, 2009, 2010. Die gelernte Bürokauffrau
lebt in Köln
Erfolgsgeschichte? Das nicht. Aber eine mit Happyend.
Duisburg wurde sie genauso schnell zur Leistungsträgerin wie später
Annike Krahn
B
ochum, ich komm aus dir, Bochum, ich häng an dir“, sang Herbert Grönemeyer. Er lebt längst nicht mehr hier. Annike Krahn
in der Nationalmannschaft. „Für mich war es ein ganz normales Er-
„Es ist meine zweite Weltmeisterschaft und sicherlich auch meine
wachsenwerden einer jungen Fußballerin, nichts Außergewöhnliches.
letzte. Und was gibt es dann Schöneres, als eine WM im eigenen
Klar war ich zwar in der Mannschaft ein junges Küken, aber ich bin
Land zu spielen? Es ist etwas, von dem ich schon immer geträumt
anderer Clubs. Selbst Theo Zwanziger nennt sie „mein Ruhrpottmäd-
langsam in meine Rolle hineingewachsen, das war schon o.k. so, wie
habe und nie gedacht hätte, dass dieser Traum einmal in Erfüllung
chen“. Für sie ist das eine Auszeichnung.
es gelaufen ist“, sagt Laudehr.
geht“, sagt Grings.
ist noch da. Wohnt nach wie vor in Bochum, wo sie aufgewach-
sen ist, und spielt für den FCR Duisburg. Trotz zahlreicher Angebote
mer“ aufgenommen. „Als die Anfrage kam, haben Poppi und ich
spontan zugesagt, weil wir die Idee einfach cool fanden“, sagt
Krahn. Immerhin kommt die Band aus Bochum – und Nachbarschaftshilfe ist schließlich Ehrensache.
Annike Krahn, 25, Abwehr. Verein: FCR 2001 Duisburg. Weltmeisterin
2007, Bronze bei den Olympischen Spielen 2008, Europameisterin
2009, UEFA-Cup-Siegerin 2009, DFB-Pokalsiegerin 2009. Hat in diesem
Jahr ihr Diplom im Fach Sportwissenschaften an der Ruhr-Universität
Bochum gemacht
54
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Aber die Heimatstadt dauerhaft verlassen? Auf keinen Fall. Für zwei
sogar in der zweiten Liga. Der Vertrag mit dem 1. FC Köln sollte
Monate hat sie es mal mit Essen versucht, in einer WG mit einer
der gebürtigen Bonnerin, die heute in Köln lebt, Zeit sparen. Denn
Mitspielerin. Danach fuhr sie lieber wieder jeden Tag. „Düsseldorf“,
anders als viele Sportlerinnen hat sich Sonja Fuss auch bei der
sagt Weiß bestimmt, „ist einfach die schönste Stadt der Welt.“ Das
Wahl ihres Studienfachs nicht für das Naheliegende entschieden:
Bis sie 14 war – also gut zehn Jahre lang – spielte sie in der Jungen-
muss sich auch Mannschaftskollegin Inka Grings ab und zu mal
Sie studiert Architektur. Mit dem Leistungssport ist das eigentlich
mannschaft des FC Schwarz-Weiß Silschede, am Nordrand des
ie Freunde von Lisa Weiß bezeichnen die Torfrau schon mal
anhören. Die kommt zwar auch aus der Landeshauptstadt, lebt
kaum vereinbar.
Ruhrgebiets. „Für mich gab es eben einfach nur die Jungs-Liga, in
als „Freak“. Aber richtig gute Torhüter sind schließlich oft Ex-
aber in Köln und ist auch noch FC-Fan. Das, sagt Weiß und grinst,
zentriker. Und Weiß ist immerhin die Nummer drei der Natio-
geht eigentlich gar nicht.
Lisa Weiß
D
nalmannschaft, die Nummer eins der SG Essen-Schönebeck – und
längst mehr als nur ein Talent im Tor.
Lisa Weiß, 23, Torfrau. Verein: SG Essen-Schönebeck. Europameisterin
2009. Studiert Sportwissenschaften und Germanistik
der ich und ein weiteres Mädchen mitgespielt haben. Und da dachte
Aber die 32-Jährige hat sich daran gewöhnt, an ganz unterschiedli-
ich eben, dass wir die zwei einzigen Frauen sind, die Fußball spielen“,
chen Fronten zu kämpfen. Zur Not auch gleichzeitig. Früher wurde
sagt sie. Zugegeben: Das sei vielleicht etwas naiv gewesen. Aber so
sie manchmal aufgerieben zwischen den so unterschiedlichen Po-
sah die Welt halt aus, von Silschede aus gesehen.
len ihres Lebens: „Ich war als Kind immer sehr konzentrations-
Als Kind war Torfrau Lisa Weiß mal im Karnevalsverein, wie sich
schwach, habe deswegen später mit einem Psychologen Methoden
Später besuchte sie das Fußballinternat der Gesamtschule Berger
das für eine echte Düsseldorferin gehört. Aber „alte Männer büt-
entwickelt, wie ich für mich selbst besser abschalten kann, aber
Feld in Gelsenkirchen – und kickte da zusammen mit den jungen
zen“, das war nicht so ihr Ding. Stattdessen fing sie lieber Bälle,
auch, wie ich von einer Aufgabe auf die andere umschalten kann“,
Spielern des FC Schalke 04. „Ich habe vor allem Robustheit ge-
erst mit den Jungs aus dem Kindergarten, dann beim SV Lohau-
erzählt Fuss. „Das war früher ein großes Problem und nicht einfach,
lernt und weiß, wie ich richtig in die Zweikämpfe gehen kann. Oder,
sen, beim FCR Duisburg und schließlich bei der SG Essen-Schöne-
vom Büro direkt auf den Sportplatz umzuschalten und sich darauf
dass ich nach einem Foul gleich wieder aufstehe und weiterspiele,
beck. Das machte sie so gut, dass sie 2009 mit dem A-Kader zur
zu konzentrieren.“
das sind alles Eigenschaften, bei denen mir das Training mit den
Jungs sehr geholfen hat“, sagt Popp bescheiden. Dabei lobt sogar
EM reisen durfte.
Inzwischen hat sie ihre innere Ruhe gefunden. Auch per Meditation
Bundestrainerin Silvia Neid das Training mit Jungen als „sinnvolle
Dort teilte sie ein Zimmer mit Stürmerin Kim Kulig, „eine verrückte
und Tai Chi hat sie ihren Alltag verlangsamt, wenn sie es brauchte.
Ergänzung“.
Nudel, genau wie ich“. Offenbar ist die Torfrau also in der Mann-
Und ab und zu braucht Sonja Fuss es, das tiefere Nachdenken über
schaft angekommen: Immerhin beteuert die 23-Jährige mit den eis-
die Dinge. Religion fasziniert sie, besonders der Buddhismus. „Den
Im Sommer 2008 wechselte die damals 17-Jährige zum Bundes-
blauen Augen, dass sie, wenn sie unter Leuten sei, die sie nicht rich-
Dalai Lama möchte ich unbedingt einmal treffen, weil ich seine Aus-
ligisten FCR Duisburg. Seitdem verläuft ihre Karriere im Schnell-
tig gut kenne, „eher der stille und zurückhaltende Typ“ sei. Aber
strahlung wahnsinnig faszinierend finde“, sagt Fuss. Ihr Lieblings-
durchlauf: DFB-Pokal und UEFA-Cup in der ersten Saison, erfolg-
wehe, sie wird warm mit ihrer Gesellschaft: Dann dreht sie auf. „Ich
buch: Faust I, „weil ich die Persönlichkeit des Doktor Faust sehr
reiche Titelverteidigung im Pokal ein Jahr später, im Februar 2010
tanze dann zum Beispiel wie wild durch die Gegend oder mache an-
spannend finde, die Wirren, die sich in seinem Leben abspielen und
Debüt in der A-Nationalmannschaft, im Sommer der Sieg bei der
dere verrückte Sachen“, sagt Weiß.
denen er erlegen ist“.
U20-WM in Deutschland. Jetzt die WM mit dem A-Kader. Muss sie
Für eine Torfrau gar keine schlechte Basis – ist der Torhüter doch
immer ein bisschen der Individualist in der Mannschaft. Dabei ist
Lisa Weiß eigentlich ins Tor gegangen, weil es sonst keiner machen
wollte. Heute schätzt sie ihre Verantwortung: „Ich kann durchaus
ein Spiel entscheiden – positiv aber auch negativ.“
Mit Oliver Kahn würde sie gern mal einen Kaffee trinken, noch lieber
aber irgendwann Nummer eins Nadine „Natze“ Angerer beerben.
Dass sie darauf wohl noch etwas warten muss, verdirbt ihre Laune
Sonja Fuss
O
sich manchmal kneifen, um zu schauen, ob sie nicht in ihrem eigenen Fußballtraum steckt? „Ja, das könnte man so sagen“, lacht
Alexandra Popp.
Auf den Lehrgängen hat sie immer besonders auf Birgit Prinz ge-
rtswechsel, Vereinswechsel, der Wechsel zwischen Sport
achtet – „auf ihr abgeklärtes Spielverhalten, mit wie viel Ruhe sie
und Job: Nichts davon bringt Sonja Fuss noch aus der Ruhe.
am Ball agiert“. Ruhe und Routine – die braucht sie noch. Sonst ist
Die Konstante in ihrer Karriere: der Wechsel. In zehn Jahren
alles da. Sogar ein Siegestanz.
Bundesliga wechselte sie nicht weniger als achtmal den Club. Und
ganz nebenbei studierte sie noch Architektur.
nicht. Auch, wenn sie das schon eine ganze Weile tut: Bei der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2008 war sie das erste Mal im
1991 kam Fuss zum Bundesligisten FFC Brauweiler Pulheim. Von
Kader, 2009 reiste sie mit zur EM, blieb aber ohne Einsatz. Im Feb-
da ging es zu den Hartford Hawks, dem Team, mit dem sie während
ruar vergangenen Jahres durfte sie endlich ihr Debüt geben – und
eines Auslandsjahres gleich die US-College-Meisterschaft holte,
hielt im Spiel gegen Nordkorea das Tor sauber.
dann zurück nach Brauweiler, danach nach Frankfurt, Potsdam,
Vielleicht lernt man zu träumen, wenn man in Düsseldorf-Lohausen
Sonja Fuss, 32, Mittelfeld. Verein: FCR 2001 Duisburg. Weltmeisterin
2003, 2007, Bronze bei den Olympischen Spielen 2004, Europameisterin 1997, 2005, 2009, UEFA-Cup-Siegerin 2005, 2009, Deutsche Meisterin 1997, DFB-Pokalsiegerin 1997, 2005, 2009. Sie studiert Architektur an der RWTH Aachen
Alexandra Popp
A
ls Alexandra Popp im vergangenen Jahr mit der U20-Auswahl Weltmeisterin wurde, war sie nicht nur beste Spielerin
des Turniers – sondern auch diejenige, deren per Spielkon-
sole einstudierter Siegestanz mit der Mannschaft im Gedächtnis
wieder nach Brauweiler, weiter nach Duisburg, nach Köln, wieder
blieb. Mit der Kombo „Sportrock“ und Kollegin Annike Krahn hat
nach Duisburg.
„Poppi“ einen WM-Song aufgenommen – und die große Blonde mit
aufwächst und schon als Kind den Flugzeugen nachschaut, die hier
der markanten Zahnlücke ist eine der Kickerinnen, die sich vor dem
ganz dicht über den Häusern starten und landen. Mal auf den Male-
Selbst die Gründe für den Wechsel wechselten sich ab. Mal suchte
Spiel schminkt. Dabei war Alexandra Popp ziemlich lange nur mit
diven entspannen und direkt von der Terrasse ins Meer springen –
Fuss höheres sportliches Niveau, mal wollte sie sich mehr auf ihr
Jungs unterwegs.
das wäre auch so ein Traum von Lisa Weiß.
Studium konzentrieren. 2009 spielte die Nationalspielerin dazu
Alexandra Popp, 20, Mittelfeld. Verein: FCR 2001 Duisburg. U20-Weltmeisterin 2010, „Goldener Schuh“ für die beste Torschützin und „Goldener Ball“ für die beste Spielerin des Turniers, Trägerin der Ehrennadel in
Gold des Fußball- und Leichtathletikverbandes NRW. Machte als einzige
Schülerin ihr Fachabitur an der Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen, einer DFB-Eliteschule des Fußballs
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porträt petra quade
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Die Zufriedene
Petra Quade holte sechsmal Gold bei den Paralympics – ihre Laufschuhe
liegen jetzt im Hafenbecken von Sydney
F
rische Luft, wenig Verkehr, viel Ruhe und Natur. Das ist Pulheim. Hier lebt die sechsfache
Goldmedaillengewinnerin Petra Quade. Die
Besucher haben noch den Finger auf der
Klingel, als die 48-Jährige bereits die Tür öffnet und
zur Begrüßung die linke Hand reicht. Die Dame des
Hauses trägt Jeans zur Bluse, die Füße stecken in
gemütlichen roten Kunststofftretern. Ob sie sich
vielleicht umziehen möchte für das Foto? Womöglich gar richtig aufhübschen, mit einem langen
Abendkleid zum Beispiel? „Nö, so elegant – das bin
ich einfach nicht“, sagt Petra Quade und lacht ihr
mädchenhaftes Lachen. „Aber ich werde für Sie
meine höchsten Schuhe suchen.“
Minuten später beim Fotoshooting ist der Mann hinter der Kamera nur noch froh und dankbar. Es regnet,
es ist kalt. Petra Quade setzt freundlich und konzentriert jede Anweisung um. Schade, dass die Beautys
von Heidi Klum das nicht sehen: Hier könnten sie
noch was lernen. Die Frau, die von sich behauptet, es
gebe kein einziges schönes Foto von ihr, meistert die
Aufnahmen souverän, geduldig und mit Talent.
Talent? Wissenschaftler versuchen seit Jahren das
Geheimnis der Begabung zu ergründen. Sie haben
Gehirne zerlegt, Nervennetze und Blutbilder analysiert, Gene studiert – und nichts gefunden, was beweisen würde, dass besondere Fähigkeiten angeboren sind. Das, was wir gemeinhin Talent nennen, ist
nichts anderes als der Lohn härtester Arbeit, sagen
die Forscher. Vielleicht kennen sie Petra Quade nicht.
Sie ist sieben Jahre alt, als eine Entzündung der
Bauchspeicheldrüse ein wochenlanges Krankenlager
erzwingt. Den Eltern der sich nur langsam Erholenden
raten die Ärzte: „Wenn ihre Tochter wieder gesund ist,
sollte sie zum Sport gehen.“ Fußball, Tischtennis,
Leichtathletik. Das Angebot des örtlichen Turnvereins
ist übersichtlich. Die kleine Petra entscheidet sich
fürs Laufen, Springen und Werfen. In der letzten Disziplin ist das Mädchen nicht besonders gut, es muss
mit links werfen, da ihm seit der Geburt die rechte
Hand fehlt. Von Anfang an aber läuft kein Kind schneller, springt keines höher, keines weiter. An ihre ersten
Wettkämpfe erinnert sich Petra Quade gut: „Ich habe
eigentlich immer gewonnen.“
Ob Talent oder nicht – Ergebnis von harter Arbeit,
gar Schinderei, waren die frühen Erfolge jedenfalls
nicht. Als Schülerin zweimal die Woche 90 Minuten
Training – das klingt nicht nach außergewöhnlicher
Anstrengung. Haben Menschen mit einem körperlichen Makel vielleicht die größere mentale Kraft, den
stärkeren Willen zum Sieg? „Weiß nicht. Ich habe
mich nie behindert gefühlt“, sagt Quade.
„Ich habe eigentlich immer gewonnen“
Jahrelang übt die junge Athletin mit Nichtbehinderten
und verweist diese im Wettkampf oft genug auf die
Plätze. Mit 15 Jahren, Quade ist gerade niedersächsische Vizemeisterin im 100-Meter-Lauf geworden,
kommt ein netter Anruf aus der Nachbargemeinde.
Ob sie Interesse habe, zusätzlich auch für einen Versehrtensportverein zu starten?
58
s p o r t l a n d
06
Dreimal Gold bei den Paralympics in Seoul 1988:
59
Training mit der Weltmeisterin, das spornt besonders an:
Petra Quade ist die Königin der Medaillen
Steffi Nerius bei einer Trainingseinheit auf dem Gelände
des TSV Bayer 04 Leverkusen
Behindertensport
Sechs Jahre später – inzwischen hat sich der Trainingsaufwand längst mehr als verdoppelt – holt Petra
Quade bei den Paralympics in New York drei Goldmedaillen in Sprint und Sprung und lernt ihren zukünftigen Mann, den Beachvolleyballer Karl Quade kennen.
Um ihm nahe zu sein, zieht sie aus dem niedersächsischen Dinklage nach Köln.
In Seoul (1988) gewinnt das Paar insgesamt vier
Goldmedaillen. Sie ist Beste im Laufen über 100 Meter, 200 Meter und 400 Meter. Zu den Spielen nach
Barcelona (1992) reist Baby Ann-Christin mit. Das
Töchterchen ist acht Monate, und seine Eltern wechseln zwischen den Wettkämpfen Windeln im paralympischen Dorf. Acht Jahre später, Petra Quade ist jetzt
37 Jahre alt und zwischenzeitlich auch Mutter von
Sohn Christian, schafft sie in Sydney sowohl im Weitsprung als auch im 100-Meter-Lauf den erhofften Einzug ins Finale. Am Ende belegt sie jeweils den fünften
Platz. Nach dem letzten Wettkampf sitzt die Sportlerin abends am Hafenbecken und schleudert ihre
Laufschuhe ins Wasser. Was das wohl für ein Gefühl
war? „Ein absolut gutes“, sagt Petra Quade.
Die einstige Koryphäe des nationalen Behindertensports walkt heute zwei- bis dreimal die Woche mit
einer Freundin, liest Krimis, werkelt im Garten und
ist so zufrieden, wie man es nur sein kann. Vermisst
sie nichts? „Ich genieße es, nicht mehr trainieren zu
müssen.“ Ein ganz normales Leben zu führen, sei für
sie überdies nichts Ungewohntes, erklärt Quade.
Früher hätten bei Paralympics siegreiche Sportler
nur wenige Menschen interessiert. „Man bekam die
Anerkennung von Leuten, die was von der Sache verstehen und stand nicht so in der Öffentlichkeit, wie
dies heute zum Teil geschieht.“
biografie
Ist ein Glas halb leer oder ist es halb voll? Für Petra
Quade ist es halb voll. Sie sieht das Positive und zeigt
damit noch ein Talent – die Fähigkeit zum Glücklichsein ist vermutlich ihr größtes.
200 m, Siegerin 400 m
Petra Quade, 48,
Leichtathletin
Erfolge: sechsfache
Goldmedaillengewinnerin
Paralympics 1984: Siegerin 100 m, Siegerin
Hochsprung, Siegerin
Weitsprung.
Paralympics 1988: Siegerin 100 m, Siegerin
Mehrfache Europameisterin und Deutsche Meisterin
Steffi Nerius gefällt es. Die Weltmeisterin im Speerwerfen ist mal wieder
Vorbild. Nach Karriereende folgte die
Trainerlaufbahn bei ihrem Stammverein TSV Bayer 04 Leverkusen. Doch
die prominente Leichtathletin schlug
eine ganz besondere Richtung ein:
Steffi Nerius trainiert Behindertensportler in Leverkusen, so motiviert
wie sie sich einst selbst zu Höchstleistungen pushte. Der Erfolg ist beachtlich: Für die Weltmeisterschaft der
Behinderten in Neuseland im Februar
schafften elf Leverkusener Leichtathleten die Qualifikationsnorm und nahmen an den Wettkämpfen am anderen
Ende der Welt teil.
Aber Leistungssport mit Behinderten wird
nicht nur in Leverkusen betrieben. 1400
Vereine sind Mitglied im Behindertensportverband Nordrhein-Westfalen (BSNW),
eine Organisation, die sich die Rehabilitation durch Sport zum Ziel gesetzt hat.
1953, als der Sportverband gegründet wurde, zählte er gerade mal 300 Mitglieder.
Kontinuierlich stiegen die Mitgliederzahlen,
in den letzten Jahren ging es steil nach
oben. 2006 waren es 130 239 Mitglieder,
und Ende 2009 wurden schon 206 061 organisierte Behindertensportler gezählt.
Der positive Trend zeigt, wie wichtig Breitensport für Behinderte ist. Aber auch für
Menschen ohne Behinderung. Der Verband
möchte durch seine Arbeit vor allem die Integration von Menschen mit Behinderung
in die Gesellschaft fördern und Berührungsängste abbauen.
Weltrekord im Hochsprung
Verein: TSV Bayer 04
Leverkusen
Solche Vorhaben werden leichter, wenn
man positive Ergebnisse vorzeigen kann.
Im Sport sind das Goldmedaillen. Da haben die nordrhein-westfälischen Sportler
mit Behinderung allerdings großartige Erfolge aufzuweisen. Eine Athletin wie Petra
Quade, die auf den vorherigen Seiten porträtiert wird, ist geschaffen, um Barrieren
einzureißen. Sechsmal Gold bei den Paralympics – das ist schon weltweit eine besondere Leistung und schafft außer Anerkennung auch eine größere Beachtung
für den eigenen Sport. Deshalb wird der
Leistungssport im Behindertensportverband auch besonders gefördert. Die Spitzenleute können genauso intensiv wie
Hochleistungsathleten ohne Behinderung
trainieren: täglich, ausdauernd und nach
neuesten wissenschaftlichen Methoden.
Zusätzlich werden sie allerdings von besonders geschulten Fachkräften medizinisch betreut.
Einen Unterschied zum Breitensport gibt
es da nicht. Auch bei der nicht so extensiv
betriebenen Bewegung wie auf dem Trainingsplatz der Hochleistungssportler ist
die medizinische Betreuung wichtig und
gegeben. Fachübungsleiter führen nur
Übungen durch, die dem individuellen Bewegungsablauf der Teilnehmer angepasst
sind. Für den BSNW ist es deshalb wichtig,
Trainer und Sportlehrer im Behindertensport speziell auszubilden.
60
p o r t r ä t l i n d a s ta h l
Die Planerin
Linda Stahl gewann bei den Europameisterschaften Gold im Speerwerfen –
nun geht sie neue Ziele an: Als Frau Doktor möchte sie 72 Meter weit werfen
A
hnt kaum jemand, ist aber wahr: Linda Stahl
ist größenwahnsinnig. Am Beginn wichtiger
Wettkämpfe lautet ihr Mantra: „Ich werde
den Speer 72 Meter weit werfen.“ 72 Meter,
bei allem Respekt, ist noch nicht ihre Klasse. Niemand
weiß das besser als die Sportlerin selbst, aber sie findet: „Ziele sollte man nie zu niedrig stecken, sonst ist
man zu schnell zufrieden.“
Ihre Ambitionen behält die für Bayer Leverkusen startende Athletin übrigens schön für sich, andernfalls
„baut man sich ja einen ungeheuren Druck auf“. Aber
folgt auf die Illusion „72 Meter“ zu Beginn des Wettkampfs am Ende nicht unweigerlich die Enttäuschung?
„Im Gegenteil“, lautet die verblüffende Anwort. „Bei
64 Metern ist der Trainer zufrieden, und ich denke:
nicht übel, 72 Meter waren sowieso völliger Quatsch.“
Die amtierende Europameisterin plaudert, während sie
entspannt auf der Liege ruht. Ein Physiotherapeut massiert ihr den rechten Arm. Wegen eines Faserrisses im
Oberschenkel muss das Training ein paar Tage ausfallen. Bleibt also Zeit für eine Extraportion Körperpflege.
Ihre mentale 72-Meter-Wettkampf-Strategie nennt
Linda Stahl übrigens das „unrealistische Geheimziel“.
Nur bedingt logisch, aber erfolgreich: Bei den Europameisterschaften im vergangenen Jahr in Barcelona
warf sie den Speer knapp 67 Meter weit. Goldmedaille!
Sportreporter sprachen von einem „Traum“. Diesen
Traum aber, sagt Linda, habe sie gar nicht geträumt.
„Nicht mal im Geheimen.“
Linda Stahl ist 25 Jahre und im deutschen Speerwurf
bereits eine der ganzen Großen. Aber damit nicht genug: Nach einem Medizinstudium in Regelzeit arbeitet
sie im Moment am Biochemischen Institut der Sporthochschule Köln an ihrer Promotion. Wenn alles glattgeht, ist Linda Stahl schon nächstes Jahr eine Frau Doktor.
Chapeau! Und: Wie schafft man das alles eigentlich?
„Och“, sagt Linda, „eigentlich bin eher ein fauler Typ.“
Dann hat der Sport sie aber ganz schön in die Spur gebracht. Vielleicht ist es so: Wenn es nicht die Eltern sind, die
ein Kind auf Erfolg trimmen, sondern die eigene Begeisterung an Höchstleistungen, dann riskiert man den Spaß
nicht durch schlechte Noten. Linda lacht: „So ungefähr.“
Sportwissenschaftler behaupten schon lange, dass
Schüler, die intensiv Sport treiben, ihren Mitschülern in
puncto Organisation und Disziplin weit überlegen seien.
Sportbegeisterte Kinder können sich besser konzentrieren und erledigen ihre Hausaufgaben schnell und effizient. „Das stimmt schon“, sagt Linda, aber ich hatte auch
Glück.“ Genauer: schnelle Auffassungsgabe und Eltern,
die gut erklären können. Vater Stahl arbeitet als Lehrer
für Mathematik, Physik und Chemie, die Mutter unterrichtet Englisch. Das Abitur mit einem Notendurchschnitt von
1,8 hat Linda nach eigenem Dafürhalten aber dann doch
versemmelt. Ausgerechnet vor den zentralen Prüfungen
sei ihr ein Trainingslager wichtiger gewesen als Büffeln.
biografie
Linda Stahl, 25,
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat Linda jedoch die
richtigen Prioritäten gesetzt: Schule bzw. Studium kamen
an Nummer eins, danach erst der Sport. Vielleicht hat das
ihrem Trainer Helge Zöllkau nicht immer gefallen, aber er
zeigte Verständnis und ließ seinen Zögling gewähren.
Und sonst? Ist womöglich etwas anderes zu kurz gekommen bei all dem Lernen, dem ewigen Trainieren, den
ständigen Wettkämpfen? „Ich habe einen Freund, alles
ganz normal“, grinst Linda. Gewiss, sie habe manchmal
Phasen, da sei ihr Leben ganz schön anstrengend, aber
sie könne auch mal eine Woche nur in der Sonne liegen.
Linda steht auf, bedankt sich artig beim Masseur und
sagt noch, sie wolle ja nicht ewig so durchpowern. Ihr
persönlicher „In-zehn-Jahren-Plan“ steht fest: Schluss
machen mit dem Sport und Familie gründen; außerdem: Anästhesistin mit Halbtagsstelle. Größenwahnsinnig klingt das nicht …
Speerwerferin
Erfolge: Europameisterin in Barcelona 2010,
Gewinn der U23-Europameisterschaft in Debrecen (Ungarn) 2007,
6. Platz bei der Leichtathletik-WM 2009 in
Berlin, 8. Platz bei der
Leichtathletik-WM
2007 in Osaka
Verein: TSV Bayer 04
Leverkusen
Zurzeit promoviert sie
in Medizin
www.lindastahl.de
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62
p o rt r ä t st e p h a n i e g r o s s
Die Vielseitige
Stephanie GroSS krabbelte schon als kleines Kind auf
der Ringermatte – heraus kam eine Weltklasseringerin
M
alerisch liegt die Klosteranlage Knechtsteden ein wenig abseits der rheinischen
Industrieregion Dormagen. Doch die
wunderschöne romanische Basilika ist
für die Schüler und Schülerinnen der 13. Klasse des
benachbarten Norbert-Gymnasiums in diesen Frühjahrstagen reichlich uninteressant, sie stecken im
Abiturstress. Erste Klausuren sind geschrieben, und
Studienrätin Stephanie Groß versucht beim Gang
über die Schulflure den Jugendlichen ihre Anspannung ein wenig zu nehmen. Die Aufmunterung
kommt gut an, die 36-jährige Lehrerin ist beliebt.
Stephanie Groß passt perfekt in eine Schule mit
Schwerpunkt Sport. Vor drei Jahren beendete die
Pädagogin eine Weltklassekarriere in einer für
Frauen – immer noch – ungewöhnlichen Sportart:
Ringen. Gerne spricht sie über die sportlichen Herausforderungen der zupackenden Sportart und findet das alles gar nicht so ungewöhnlich: „Ringen ist
unglaublich vielseitig. Ausdauer, Kraft, Kampf und
Technik sind gefordert.“
Das alles verfolgt die kleine Stephanie von Kindesbeinen an. Sie wird im badischen Freiburg in einen Ringerhaushalt hineingeboren. Vater Walter kämpft für den
AV Freiburg-St. Georgen in der ersten Bundesliga. Wilfried Dietrich aus Schifferstadt und Adolf Seger aus
dem Freiburger Club heißen Anfang der siebziger Jahre die Weltklasseathleten des deutschen Ringersports.
Stephanie, ihre Schwester Annabelle und Bruder Dominik kommen mit zum Training, krabbeln über die Matte,
zeigen früh ihr Talent. Ganz nach oben führt der sportliche Weg von Stephanie, die parallel noch Judo betreibt,
zur deutschen Spitze zählt und unter Olympiasieger
Frank Wieneke trainiert. Sie erringt zwischen 1989 und
2008 mehrere Vizeweltmeisterschaften, Europameisterschaften und 13 Titel als deutsche Meisterin sowie
die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2004: „In
Athen ging für mich ein Kindheitstraum in Erfüllung.“
biografie
Stephanie Groß, 36,
Ringerin
Sportlich und privat fühlt sich Stephanie Groß im
Rheinland wohl. 1993 zog es die Abiturientin aus dem
sonnigen Badener Land an die Sporthochschule Köln,
noch heute lebt sie im Stadtteil Ehrenfeld. „Ehrenfeld gefällt mir sehr gut, weil es dort so abwechslungsreich ist.“ Den Studiengang Sport ergänzt die
Abiturientin um das Fach Französisch – was Wunder,
wo doch die Mutter aus Frankreich stammt und
Stephanie zweisprachig aufwächst. Das Referendariat führt die junge Pädagogin nach Jülich.
Erfolge: dreifache
Vizeweltmeisterin,
zweifache Vizeeuropameisterin, 13-fache
Deutsche Meisterin
Verein: AC Ueckerath
Persönliches: Die Studienrätin für Sport und
Französisch gibt ihre
Erfahrung gerne weiter
Stephanie kämpft in der Judo-Bundesligamannschaft
des TSV Bayer Leverkusen und ringt für den AC Ueckerath, dem sie nach wie vor eng verbunden ist. Die
Pädagogin trainiert jetzt die Nachwuchsportlerinnen
des seit Jahren erfolgreichsten deutschen Vereins
im Frauenringen. Ebenso wie zwei junge Ringerinnen, die sich im Sportinternat des Norbert-Gymnasiums einquartiert haben.
Sport spielt bei der jungen Frau auch nach der aktiven Karriere immer noch eine zentrale Rolle. In ihrer
Freizeit geht sie gerne klettern, kitesurfen oder zum
Wakeboardfahren an die Wasserskianlage ins nahe
gelegene Langenfeld. Im Winter steht sie auf dem
Snowboard in den Bergen. Und im letzten Urlaub
verknüpfte die Pädagogin ihre sportlichen Erfahrungen mit sozialem Engagement. In Marokko half die
Kampfsportlerin gestrauchelten Jugendlichen wieder auf die Beine. „Die Jungs brauchten etwas Autorität, das gelang mir wohl ganz gut.“
Aber nicht nur Muskelkraft wird zur Ablenkung eingesetzt, manchmal darf es auch ein Buch sein, am liebsten eines des amerikanischen Autors John Irving. Der
war selbst Ringer. Man hätte es sich denken können.
und trainiert in ihrer
Freizeit Nachwuchsringerinnen
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s p o r t l a n d
Fußballland: geprägt von Dortmund und Schalke
Tränen in den Augen und trotzdem Applaus. Bei Zuschauern und Spielern. Eine
Mannschaft verabschiedet sich nach einer
bitteren Niederlage von ihren Fans. 0 : 2
im Champions-League-Halbfinale gegen
Manchester United, mehr war für Schalke
nicht drin. Die Blauen hatten alles gegeben
und waren trotzdem chancenlos. Fußball
in Nordrhein-Westfalen, im Ruhrgebiet, ist
eine emotionale Angelegenheit. Auch –
oder gerade – in der Niederlage. Dennoch:
Wer auf dem Rasen ehrliche Arbeit abliefert, darf Huldigungen entgegennehmen.
„Glück auf, der Steiger kommt …“
Mit „Glück auf“ begrüßen sich die Fans
auch in Dortmund im Stadion, in Bochum
und Duisburg. Im deutschen Fußballrevier.
Hier ist der Fußball zu Hause. Früher gehörten noch Westfalia Herne, Rot-Weiß Oberhausen und Rot-Weiß Essen zu den ersten
Adressen des deutschen Fußballs. „Football is coming home“ würden britische Fußballfans ungeniert singen. Doch wir sind
nicht in Liverpool und nicht in Manchester.
„Ente“ Lippens, der erste namhafte Holländer,
der in Deutschland kickte, war ein Liebling
der Tribüne. Bevor Johan Neskens, Johan
Cruyff und Rob Rensenbrink 1974 bei der
Weltmeisterschaft im Revier ihre Ballkünste
vortrugen. Er war in Bundesligazeiten an der
Hafenstraße der Nachfolger von Legende
Helmut Rahn. Rahn, dem Weltmeister, dem
Torschützen von Bern. 1954. Wer es nicht
mehr weiß: ins Kino gehen. Revier-Regisseur
Sönke Wortmann hat die Wankdorf-Szenen
emotional in Szene gesetzt.
Geschichte. Wie Franz Krauthausen in Oberhausen, Lothar Emmerich in Dortmund,
„Eia“ Krämer in Duisburg und „Stan“ Libuda
auf Schalke. Aber Erfolge und Meisterschaften werden nicht nur im Ruhrgebiet gefeiert.
Fünfmal holte Borussia Mönchengladbach
in den 70er-Jahren den Titel und ließ Franz
Beckenbauers Bayern hinter sich. Netzer,
Heynckes, Vogts und Bonhof – die Fohlen
spielten auf dem Bökelberg einen besonders
eleganten Ball. Oder der rheinische Erzrivale
1. FC Köln, der den Gladbacher Meistertrainer Hennes Weisweiler abwarb und 1978
in seinem ersten Jahr gleich das Double
schaffte – Meister und Pokalsieger. Oder
Bayer Leverkusen. „Werkself“ ist zum Markenzeichen des Fußballsports unter dem
Bayer-Kreuz geworden. Mit der Meisterschaft klappte es bisher nicht, aber meist
sind die Leverkusener Stammgast in der
Champions League und schafften es einmal
sogar bis ins Finale. 1988 holte man nach Elfmeterkrimi im Finale sogar eine europäische
Trophäe – den UEFA-Pokal. Bum Kun Cha
dribbelte damals im Sturm, unvergessen auch
Torwart-Legende Rüdiger Vollborn.
Heute bestimmen andere Namen den Fußball
in Nordrhein-Westfalen. Schon was von Götze
gehört, Großkreutz, Bender oder Schmelzer?
Das ist die Boygroup vom BVB 09, dem
Deutschen Meister. Spieler, die gerade der
Jugendmannschaft entschlüpft sind, nicht
nur nationale Champions sondern zugleich
zu Nationalspielern berufen. Die von dem
jugendlichen Bart-Langhaar-Trainer Jürgen
Klopp auf den Rasen geschickt werden, um
80 000 im Westfalenstadion und besonders
25 000 Fans der „Gelben Wand“ zu zeigen,
dass sie für ihr Eintrittsgeld ein wunderbares
Spiel und Erfolge zurückbekommen.
Fantastischer Fußball, phänomenale Verbundenheit. Fußball & Volk – Dortmund hat die
Gemeinschaft entlang der B 1 neu belebt. Ein
Wunder. Dort, an dieser Straße, regierte über
viele Jahre Demut, die Fußballdepression trug
Schwarz-Gelb. Denn im Erfolgsrausch von
Meisterschaften, Champions League und
Weltpokal steuerte der BVB auf eine kapitale
Pleite zu. Aber auch das ist Geschichte. Dortmund hat aus der damaligen Not eine Tugend
gemacht und ganz konsequent auf die Jugend
gesetzt. Mit gutem Auge suchten die Scouts
im Umland nach Talenten. Und der BVB konsolidierte sich, bescheiden in den Ansprüchen,
reduzierte er seine Schuldenlast um mehr als
120 Millionen Euro.
Könnte alles so schön sein, wenn es Schalke
nicht gäbe. Diese Hassfreundschaft im Revier. Diese beiden großen Clubs, die im WMJahr 2011 die deutsche Fußballszene beherrschen, aber nicht gemeinsam siegen und feiern können. Nun Meisterschaft und Pokal –
auch wenn man es öffentlich abstreitet:
Stolz ist man im ganzen Revier auf BEIDE
Mannschaften. Und auf den MSV Duisburg,
den Zweitligisten, der es ins Berliner Pokalfinale gegen Schalke schaffte. Das Ergebnis des
Revierderbys ist bekannt – 5 : 0 für den FC S04
in Bestform, der einen versöhnlichen Abschluss
unter eine wechselvolle Saison setzte.
Doch wie geht’s weiter? Das Modell der Jugendschulen als Ergänzung zum Millioneneinkauf hat sich die Bundesliga abgeschaut.
07
65
Die Sieger kommen aus dem Westen: Meister Borussia Dortmund (links) und
Pokalsieger Schalke 04 präsentieren nach den Erfolgen Schale und Pokal
In London bei Arsenal und in Barcelona, wo
seit Jahrzehnten von frühester Jugend an die
Talente geschult werden, bis, ja bis sie, wie
gerade beim Champions-League-Finale gesehen, den perfektesten und erfolgreichsten
Fußball des Kontinents zelebrieren können.
Daran orientiert sich der Fußball in NRW. Der
Schlüssel hierfür: den Nachwuchskickern die
besten Vorraussetzungen für die Entwicklung
bieten. Talentförderprogramme, Nachwuchsleistungszentren, Eliteschulen, Stützpunkte –
all das ist in den vergangenen Jahren Standard im deutschen Fußball geworden. Die
Erfolge sind sichtbar, junge deutsche Spieler
sind für die europäischen Spitzenclubs wieder
interessant geworden. Turin, Mailand, Madrid
und Chelsea grasen lieber den deutschen
Transfermarkt ab, als selber auszubilden.
So ist es nicht verwunderlich, dass Menschen, die in Gelsenkirchen geboren wurden,
dort das erste Mal gegen das runde Leder
kickten und ihre Fußballschule in Blau-Weiß
absolvierten, nun in anderen Regionen und
Ländern ihre Millionen verdienen. Ausnahmefußballer wie Mesut Özil und Manuel
Neuer hätten zwar auch ihren Club aus dem
Revier an Europas Spitze führen können.
Doch irgendwann reizen königliche Vereins-
namen. Wenn Real ruft, verlässt nicht nur
Özil die Wiege des Revierfußballs, dann kann
auch Sahin in Dortmund nicht widerstehen,
oder der Herr Altintop – aus Wattenscheid.
Dennoch stehen Namen wie Neuer, Höwedes,
Matip, Draxler, Götze & Co für das neue Konzept. Und die meisten von ihnen glauben
auch an die Erfolge und bleiben. Zuletzt vagabundierende Fußballartisten wie Baumgarten
oder Holtby kehren sogar nach Schalke zurück, um vielleicht ähnlich erfolgreich zu sein
wie Dortmund mit der eigenen Jugend.
Doch im Westen gibt es mehr als nur Dortmund
und Schalke! Auch wenn Meister und Pokalsieger die anderen in diesem Jahr ein wenig überstrahlen. So spielen mehr als 1,5 Millionen
Fußballerinnen und Fußballer aktiv in 5000
Vereinen, die 37 000 Mannschaften in den Ligen gemeldet haben. Fünf Westclubs haben es
bis ganz nach oben geschafft, in die Bundesliga: Dortmund, Schalke, Leverkusen, Köln und
Mönchengladbach; auch in der zweiten Bundesliga kicken fünf Teams, von denen Aachen,
Bochum, die Fortuna aus Düsseldorf und Duisburg jedes Jahr erneut für den Aufstieg gehandelt werden. In Paderborn lässt man sich
mit diesen Ambitionen noch ein wenig Zeit.
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p o r t r ä t k atj a s e i z i n g e r
Die Botschafterin
Katja Seizinger wurde Deutschlands erfolgreichste Skirennläuferin –
gelernt hat sie ihren Sport auf den sanften Hügeln des Wiehengebirges
D
ort – wo die Ausläufer des Ruhrgebiets in
das Grün des ländlichen Münsterlandes
übergehen – so etwas wie einen Berg zu
finden, ist eigentlich unmöglich. Aber wer
in Datteln zum Beispiel die Recklinghauser Straße
Richtung Westen hochwandert, schafft es am Stadtrand bis auf die Holtgarde. 109,5 Meter über Normalnull (NN) – immerhin. 90 Autominuten nordöstlich,
in Lübbecke, ist der Heidbrink mit seinem herrlichen
Blick höchste Herausforderung für Ausflügler und
Spaziergänger. 319 Meter über der norddeutschen
Tiefebene. So weit, was Webseiten und Fremdenverkehrsprospekte der Region versprechen.
„Olympiasieger ist und bleibt man,
ein unvergessliches Erlebnis”
Aber kann so ein Land mit – unter alpinen Maßstäben – kleinen Hügeln in der Topografie Deutschlands erfolgreichste Skirennläuferin hervorbringen?
„NRW kann das“, sagt Katja Seizinger. Wenngleich,
das gibt die dreifache Olympiasiegerin und Doppelgewinnerin des Gesamtweltcups gern zu, „mit
etwas externer Hilfe“.
Im Alter von zwei Jahren zog sie mit den Eltern und
Bruder Sven von Datteln nach Lübbecke. Am Stadtrand, „in Obermehnen auf der Kuhwiese, unternahmen wir Kinder die ersten Versuche auf den Brettern,
umkurvten im Schneepflug hart gefrorene Maulwurfshügel, und dann das letzte Stück im Schuss
den Hang hinunter“. Unten am Weidezaun hieß es
dann „umdrehen und wieder hochstapfen“. Ski-
schule am Nordhang des Wiehengebirges. „Hier“,
so Katja Seizinger, heute 39, „hat die Sache ihren
Anfang genommen.“
Mit Winterurlauben nach Val d’Isère und Zermatt
beflügelten die Eltern schon früh die Lauflernschritte ihres Nachwuchses im Alpinsport. Eine Passion.
Von Skirennfahrer-Genen keine Spur. Mutter Doris
kommt ursprünglich aus Schlesien. Vater Hans aus
Düsseldorf. Mit einem beruflichen Wechsel des Familienoberhauptes und Managers eines Lübbecker
Baustahlproduzenten nach Baden-Württemberg
kam dann doch „Schwung in die Sache“, so Tochter
Katja. Mit „Sache“ umschreibt sie ihre skiläuferischen Ambitionen.
In Eberbach im Odenwald, wo der Vater schon bald
die Badischen Stahlwerke vor der Insolvenz rettete –
und gemeinsam mit einem Partner übernahm –, gab
es Ende der 70er-Jahre noch drei kleine Skiliftanlagen. Am Katzenbuckel, im Verein Skizunft, ging
es buchstäblich bergauf. „626 Meter“, weiß Katja
Seizinger heute noch.
Ob Bambinirennen im Schwarzwald oder Jugendwettbewerbe im Allgäu – wo immer die SeizingerKids am Wochenende hinkamen, hieß es: „Ihr fahrts
iba der Woch koa Schi, aber räumts di Pokale ab!“
Aufhorchen ließen die Erfolge besonders der kleinen
Seizinger schon bald. Zunächst den badischen und
wenig später auch den Deutschen Skiverband.
Mit 15 wechselte Katja die Schule und lebte fortan
im Internat Hohenschwangau in Füssen, wo sie
Jahre später im Abitur einen Notendurchschnitt
von 1,6 erreichte. Dabei hatte sie – mit Erlaubnis
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„Ich wollte auch was Vernünftiges lernen. Das muss
man den jungen Sportlern immer wieder sagen”
Die ersten Rennen fuhr die junge Katja Seizinger
im Urlaub mit den Eltern in Val d‘Isère und Zermatt
des Schulministeriums in München – an zwei
Dritteln des Unterrichts gar nicht teilgenommen.
Mit Wedeln und Schussfahren statt Büffeln und
Pauken war das allerdings nicht zu schaffen. In der
Rückschau war die Doppelbelastung aus Schule und
Spitzensport „aber ein gutes Training“. Denn dass
Skier für das westfälische Supertalent mal zu den
„Brettern werden, die die Welt bedeuten“, wollte zu
dieser Zeit niemand mehr ausschließen. Auch nicht
„das Maderl“ selbst, wie dessen langjähriger Bundestrainer Wolfgang Maier sie nannte. „Aber doch
immer nur befristet, auch wenn’s alles beisammen
bleibt und heil. Ski fahren für immer? – Nö.“
Natürlich sei ihr schon klar gewesen, erzählt sie in
einer Mischung aus Badisch, Westfälisch und Bayerisch, „dass ich da auf eine tolle Zeit zusteuere, aber
auch, dass es ein Leben nach dem Sport geben würde. Ich wollte auch was Vernünftiges lernen. Das
muss man den jungen Sportlern immer wieder sagen.“ Das könnte ihre Botschaft sein.
Aber wie soll ein junger Sportler das anstellen? –
Gerade hatte die junge Gymnasiastin die Deutsche
Jugendmeisterschaft gewonnen. In allen drei Disziplinen – Abfahrt, Riesenslalom und Super-G. 1989 die
Deutsche Meisterschaft bei den Frauen und zwei
Medaillen bei der Junioren-WM in Anchorage, Alaska. Quasi zwischen letzten Klausuren und Abiturprüfungen wurde sie beim Super-G im französischen
Méribel Zweite und gewann Gold plus dreimal Silber
bei der Junioren-WM in der Schweiz. Im weltweiten
Wanderzirkus der Ski-Weltspitze ist an Uni-Besuche
nicht zu denken. Oder doch? – Vater Hans besann
sich seiner nordrhein-westfälischen Heimat und
hatte die Idee: „Wie wär’s mit der FernUniversität
Hagen?“ – Um es kurz zu machen: Die Doppelbelastung ging weiter, mit Ehrgeiz, Disziplin, Durchhaltevermögen und Biss. Von allem zeigte sie mehr
als die meisten anderen.
Während ihre Kolleginnen und Konkurrenten beim
Après-Ski „drunten im Tal“ schon mal eine „Mordsgaudi“ hatten, sauste sie durch die Duschen ihrer
Hotelzimmer direkt in die Niederungen der Betriebswirtschaftslehre. „Vor allem Leidensgenossen, aber
auch nette Kommilitonen“ traf sie dort allenfalls im
gerade aufkommenden Internet. An einen erinnert
sie sich. Den damaligen Superstar im Italienischen
Fußball, Oliver Bierhoff, Torschützenkönig und italienischer Meister, der wie sie in Hagen BWL studierte.
„Um das Kapitel Doppelbelastung abzuschließen:
Ich hab neun Jahre gebraucht für mein BWL-Diplom.“ Die Arbeit über „Rechtsformwahl nach geplantem Recht – eine steuerliche Partialanalyse“ wurde
mit Eins bewertet. So etwas erzählt sie selbst allerdings nicht. Damit reüssiert die FernUni selbst, deren Rektor Helmut Hoyer „die Katja Seizinger“ ja bis
heute in guter Erinnerung hat: „Die war eine hervorragende Botschafterin unserer Universität.“
Neun Jahre. Die meisten davon, also die Zwischenzeit praktisch, jagte sie in Albertville, Lillehammer
oder Nagano, in Crans Montana, der Sierra Nevada
oder Cortina d’Ampezzo Medaillen hinterher. Stand
bei Olympia fünfmal auf dem Treppchen, gewann
36 Weltcuprennen, wurde Weltmeisterin und holte
zweimal den Gesamtweltcup. „Der ist mir sportlich
gesehen schon wichtiger gewesen als Olympia.
Nichtsdestotrotz: Olympiasieger ist und bleibt man,
ein unvergessliches Erlebnis.“ Die Kristallkugel beim
Weltcup hingegen würdigt die kontinuierliche Leistung über eine ganze Saison hinweg. 250 Tage Jahr
für Jahr. In denen sie manchmal, wie Der Spiegel
1998 registrierte, „zwei Millionen Mark brutto an
Prämien und von Sponsoren kassiert“.
Nach einer schweren Verletzung mit Schienbeinfraktur, Kreuz- und Innenbandriss hätte sie 1999
noch einmal angreifen können. Die Gergs, Ertls und
biografie
Katja Seizinger, 39,
Skifahrerin
Erfolge: Olympia-Bronze 1992, Abfahrt-Olym-
Häusles, aber sie wollte nicht mehr. Mitfiebern mit
Maria Riesch tut sie heute noch. Und natürlich steht
sie mit ihrem Namen für die Bewerbungskampagne
„München 2018“ zur Verfügung. Als Botschafterin.
Wieder mal. Aber auch hinfahren nach Garmisch
oder München zu Empfängen und Veranstaltungen –
„das ist aus zeitlichen Gründen für mich nicht
machbar“.
Anstelle der Edelmetalle Gold, Silber, Bronze rückte
bei Katja Seizinger eine Eisen-Kohlenstoff-Legierung
immer mehr in den eigenen Fokus: Stahl.
Was man mit einem Fernstudium anfangen kann,
testete sie zunächst drei Jahre bei einem Wirtschaftsprüfer. Dann ging’s zum Vater in die Firma.
Der ist heute 72, lotste seine Tochter erst durch die
Abteilungen der Badischen Stahlwerke, dann in die
Dachgesellschaft Südweststahl. Dort macht die
zweifache Mutter Katja Seizinger heute „alles, was
kein Blech ist und im Beton verschwinden kann“. Sie
sitzt im Aufsichtsrat der Holding, verantwortet gemeinsam mit ihrem Bruder Jahresumsätze in Milliardenhöhe und eine Unternehmensgruppe mit 3000
Mitarbeitern.
Dazu zählt übrigens auch wieder die Besta, der Betrieb, für den die Seizingers 1974 nach Lübbecke kamen. „Jo, jo – die hamma auch wieder.“ Anknüpfungspunkte nach Nordrhein-Westfalen gibt es jede
Menge, da ist noch ein kleiner Betrieb in Mülheim.
„Und den Onkel in Olfen, das liegt bei Recklinghausen, den besuchen wir oft. Und von Obermehnen, da
such ich gleich mal schnell ein paar Fotos raus …“
piasiegerin 1994, Doppel-Olympiasiegerin
(Abfahrt und Kombination) 1998
Mit 36 gewonnenen
Weltcuprennen und
zwei Gesamtweltcupsiegen (1996, 1998)
erfolgreichste deutsche Rennläuferin aller
Zeiten
Dreimal zu Deutschlands Sportlerin des
Jahres gewählt
Die Managerin eines
Stahlunternehmens
(3300 Mitarbeiter)
lebt in Eberbach/Baden, ist verheiratet
und hat zwei Kinder
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70
p o r t r ä t b r i t ta h e i d e m a n n
Die Außergewöhnliche
Britta Heidemann lernte mit vierzehn Jahren Chinesisch, wurde mit 25
Olympiasiegerin im Degenfechten, jetzt schreibt sie ein Buch
W
as braucht man, um erfolgreich zu
sein? Motivation, Disziplin, Durchhaltekraft. Laut Britta Heidemann
braucht es vor allem aber auch Freude
an der eigenen Leistung. „Ohne den Spaß am Dazulernen und ohne innere Überzeugung lassen sich
Ziele schlecht verfolgen bzw. kann man nicht erfolgreich sein.“
Heidemann, 28, organisiert schnell mal Kaffee. Am
Tresen der Kantine der Trainerakademie der Sporthochschule Köln steht Hermann Kugel und strahlt
über das ganze Gesicht. Kugel ist Konditor und ein
Original, er kennt Britta Heidemann, seit sie beim
Babyschwimmen war. Er hat ihr Potenzial gleich erkannt. „Ich war der Kursleiter“, sagt Kugel, zwinkert
mit den Augen und wettet, dass Britta „auch
in untrainiertem Zustand noch ganz ordentliche
Zeiten schwimmt“.
Kugel hat vermutlich recht. Britta Heidemann ist
die erfolgreichste deutsche Degenfechterin aller
Zeiten, zudem gilt sie als Multitalent. Vor dem Fechten hat sie Fünfkampf gemacht und die Leichtathletik nie ganz aufgegeben. Es mache ihr Spaß und es
habe Vorteile fürs Fechten, sagt Britta Heidemann:
„So schnell jedenfalls bin ich nicht aus der Puste zu
bringen.“ In ihrer Paradedisziplin hat es keine weiter gebracht: 2007 gewann sie die Weltmeisterschaften, 2008 die Olympischen Spiele, 2009 die
Europameisterschaften, 2011 die Deutschen Meisterschaften. Aber damit nicht genug: Heidemann
ist eine gefragte China-Expertin. Schon als Vierzehnjährige hat sie angefangen, die Sprache zu lernen. „Mich hat Außergewöhnliches schon immer
gereizt“, sagt Heidemann.
Fechten statt Ballett. Orgel statt Klavier. China statt
USA. Als Klassenkameraden sich anschicken, ihr
Auslandsjahr entweder in den Vereinigten Staaten
oder in England zu machen, steht der Entschluss für
Britta Heidemann fest: Ich will nach Peking.
„Mich hat Außergewöhnliches
schon immer gereizt“
Groß, blond, blauäugig, Ausnahmeathletin, studierte
Regionalwissenschaftlerin Chinas – die Chinesen
sind in die erfolgreiche Kölnerin richtiggehend verliebt. Im chinesischen Fernsehen war sie schon
mehrfach zu sehen, einmal als Gast des chinesischen
Pendants zu „Wetten, dass …?“. Britta Heidemann
ist auch auf deutschen Delegationsreisen nach China
ein gern gesehener Gast, wie zum Beispiel beim
Expobesuch von Ministerin Schavan im letzten Jahr
oder bei der Fußballnationalmannschaft auf deren
Asienreise vor zwei Jahren.
In der Heimat hat Heidemann als Athletin einer
Randsportart nicht die Popularität, die sie aufgrund
ihrer Leistungen verdient hätte. Schade eigentlich,
denn das Fechten ist ein guter Lehrmeister auch fürs
Leben. Zurzeit schreibt Britta Heidemann ein Buch
darüber. „Erfolg ist eine Frage der Haltung“ wird es
heißen und soll im September erscheinen.
Was man sich vom Fechten abschauen kann? Beim
Degenfechten geht es viel um Taktik, den Kampf
mit den eigenen Nerven und die richtige Einstellung.
„Man braucht eine Strategie und die mentale Stärke, das Selbstvertrauen, dass man der Aufgabe
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72
s p o r t l a n d
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Noch ist es Fiktion und Computeranimation, aber ab 2014 wird es Realität:
Das DFB-Fußballmuseum entsteht in der Dortmunder Innenstadt
DFB-Fußballmuseum
Die Erlösung, ein Schrei:
2008 erfocht sich Britta Heidemann mit dem Degen in Peking die Goldmedaille
„Ohne den Spaß am Dazulernen
und ohne innere Überzeugung
kann man nicht erfolgreich sein“
gewachsen ist“, sagt Heidemann. Das gilt abseits
der Fechtbahn genauso. „Sich vor etwas zu drücken“, sagt Heidemann, „kostet im Nachgang häufig enorme Energie. Wenn man etwas gleich erledigt, hat man die Sache hinter sich, auch wenn es
anfangs meist Kraft kostet, sich aufzuraffen.“
Trotz Hochleistungssport, Orgelspiel, Schule bzw.
Studium findet Heidemann immer noch täglich Zeit,
um zu telefonieren, fernzusehen oder zu lesen. „Meine Eltern haben mir schon früh beigebracht, dass
ich mir z. B. in der Schule eine Menge Stress spare,
wenn ich stets am Ball bleibe“, so Heidemann.
Heidemann guckt auf die Uhr. Sie muss los, das
nächste Training steht an. Die vielseitig Begabte
hält Vorträge auch zum Thema Zeitmanagement
und kennt die Gebote des Erfolgs nur zu genau.
Nur das Tablett, das bringt Britta Heidemann noch
brav weg. Hermann Kugel ist nicht überrascht.
biografie
Britta Heidemann, 28,
Fechterin
Erfolge:
Olympiasiegerin 2008,
Weltmeisterin 2007,
Europameisterin 2009,
Deutsche Meisterin
2011
Außerdem gewann sie
mit der Mannschaft
Silber bei den Olympischen Spielen in Athen
2004
Verein: TSV Bayer 04
Leverkusen
Botschafterin der
Frauenfußball-WM in
Deutschland
EU-Botschafterin
beim EU-China Year of
the Youth
Dass das Deutsche Fußballmuseum
nach Nordrhein-Westfalen kommt, war
sehr schnell klar, zuletzt konkurrierten
Dortmund und Gelsenkirchen um den
Standort. Dass die Stadt des ChampionsLeague- und Weltpokalsiegers BVB 09
den Zuschlag erhielt, hat nichts mit den
sportlichen Erfolgen der Borussia zu tun.
Entscheidend war die Lage. Denn in bester Citylage ist im Zentrum der Ruhrmetropole in den vergangenen Jahren eine
Kunst- und Kulturmeile mit herausragenden Gebäuden entstanden, wo eigentlich
nur noch das Haus des deutschen Fußballs fehlte. In direkter Nachbarschaft
zur Stadt- und Landesbibliothek, zum
Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, zum Kreativzentrum Dortmunder U
mit seinem markanten Turm und zum
Harenberg City Center (HCC) eröffnet
2014 das DFB-Fußballmuseum.
„Wir wollen unser Haus zuallererst besucherorientiert gestalten. Wir wollen informieren,
überraschen, unterhalten, berühren – mit
einem Wort: begeistern“, sagt Geschäftsführer Manuel Neukircher. Das Museum für
den deutschen Fußball wird sich modernster
Ausstellungskonzepte und Medien bedienen.
„Wir wollen etwas Außergewöhnliches schaffen“, so Neukircher.
Die thematische Vielfalt des Fußballsports
und seine komplexen gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Einflüsse sollen in einer klaren, leicht verständlichen
Anordnung und Struktur vermittelt werden.
Dabei wird in der Ausstellungskonzeption
immer auf das Besuchserlebnis geachtet.
In den fünf Ausstellungsbereichen „Vor dem
Spiel“ (Emotionale Einstimmung), „1. Halbzeit“ (Die Welt der Nationalmannschaften und
des deutschen Fußballs), „Halbzeitpause“
(Trainer und Taktik), „2. Halbzeit“ (Die Welt des
Vereinsfußballs) und „Nach dem Spiel“ (Spielzone) erlebt der Besucher durch technisch innovative, aber auch durch klassische Vermittlungsformen den gesamten Facettenreichtum
des faszinierendsten Mannschaftssports.
An einer Rückschau auf Triumphe und Trophäen führt kein Weg vorbei. Die Schatz-
kammer mit den wertvollsten Pokalen der
Nationalmannschaft und des Clubfußballs
sowie eine „Hall of Fame“ für die großen
deutschen Spielerpersönlichkeiten bilden
emotionale Höhepunkte der Ausstellung.
Geschichten der Fußballstars werden anhand von Exponaten und alten Fotos aus ihrer Jugendzeit erzählt.
Die „1. Halbzeit“ inszeniert die Welt des nationalen Fußballs, der Geschichte des DFB
von seiner Gründung im Jahr 1900 bis heute. Thematisiert werden vor allem die WMund EM-Teilnahmen der Nationalelf und die
Nationalmannschaft selbst mit ihren fantastischen Titelgewinnen bei den großen Turnieren. Die Geschichte des organisierten Fußballs in der DDR ist ebenso Bestandteil wie die
Erfolgsstory des deutschen Frauenfußballs.
Die „Hall of Fame“ ist das Zentrum des deutschen Fußballs und ein angemessenes Ende
des Ausstellungsbesuchs. Sie würdigt Persönlichkeiten des deutschen Fußballs wie Fritz
Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer oder
Lothar Matthäus, die durch Leistung, Fair Play
und Miteinander zum Vorbild wurden. Am Ende
des Ausstellungsrundganges, in der „Spielzone“, werden die Besucher selbst aktiv.
Beim Dribbeln, Torwandschiessen oder beim
Testen von Schusskraft und Passgenauigkeit.
74
porträt ingrid klimke
75
Die Ausbilderin
Ingrid Klimke wollte erst Lehrerin werden, dann wurde sie Berufsreiterin
und Olympiasiegerin – nun lernen Pferde bei der Münsteranerin
L
esen, Schreiben, Rechnen? Oder Turniere zwischen Trippelbarre und Traverse? Anfang der
90er-Jahre musste Ingrid Klimke eine Entscheidung treffen. Zum ersten Mal war die Vielseitigkeitsreiterin gerade – für Barcelona – in einen Olympiakader berufen worden. Und eigentlich wollte die
Münsteranerin ja beides: Turnierreiterin bleiben und
Grundschullehrerin werden.
Mit Hecheln und Hetzen zwischen Hörsaal und Hufschlag hatte sie „das Studium noch ganz gut auf die
Reihe bekommen“. Aber schon im Referendariat ließen
sich Berufspläne der Amazone und Trainingspläne
ihrer Pferde kaum mehr vereinbaren.
biografie
Ingrid Klimke, 43,
Vielseitigkeitsreiterin
Erfolge: zweifache Weltmeisterin 1998
und 2006, vierfache
Deutsche Meisterin,
Mannschafts-Olympiasiegerin 2008 in Peking
Verein: RV St. Georg
Münster
Von Haus aus Grundschullehrerin, arbeitet
die Pferdewirtschaftsmeisterin heute in
Münster.
Sie ist verheiratet und
hat zwei Kinder
Ingrid Klimke machte, was Turnierreiter in so einer Situation tun: durchparieren, sammeln, einen klaren Kopf kriegen. „In der Weltspitze des Reitsports eine Rolle zu spielen, ist heute nur als Vollprofi möglich.“ Wie es ihr 1999
verstorbener Vater Reiner machte, der neben seinem
Beruf als Anwalt sechs Weltmeisterschaften und acht
olympische Medaillen in der Dressur gewann, „ist das
heute nicht mehr drin“. Heute, nach zwei gewonnenen
Weltmeisterschaften und fünf olympischen Turnieren
hat sie London 2012 fest im Blick, ist zweifache Mutter,
verlegt Ausbildungsmaterialien als Bücher und DVDs und
unterrichtet Pferde statt Kinder.
Bis zu acht Pferde reitet sie täglich. Manche gehören ihr,
manche einem Mäzen, manche „teilen wir uns auch“.
Für ihre Trainingsarbeit an den Pferden bis zur Championatsreife zahlen die Eigner eine Ausbildungsvergütung,
und an den Preisgeldern, die gewonnen werden, partizipiert sie auch. „Doch den vollständigen Return-of-Invest
(ROI) schaffen selbst Elite-Vielseitigkeitspferde nur in
Ausnahmefällen“, so die Erfahrung der 43-Jährigen.
Helme und Hosen, Sattel und Stiefel, Trensen und Longen – ohne Sponsoren, die sie und ihre Tiere ausstatten,
ist Pferdewirtschaft kaum kostendeckend zu betreiben.
Die drei Disziplinen der Vielseitigkeit – Dressur, Parcours und Gelände – erfordern unterschiedliche Ausrüstungen. Wenigstens die Flugreisen zu internationalen
Wettbewerben bezahlt für Ross und Reiter der Verband.
100.000 Euro boten Ingrid Klimke und ihre Mäzenin
Madeleine Winter-Schulze, um Rubinja im letzten
Herbst von einer Auktion mit nach Hause zu nehmen.
„Ein Schnäppchen“ für das hoffungsvolle Nachwuchspferd, das sich seither Boxengasse, Weiden und Trainingshalle u. a. mit Dresden Mann, Parmenides, Spinoza und Abraxxas teilt. Der Wallach ist ihr derzeit bestes
Pferd im Stall. Mit Abraxxas hat sie Mannschaftsgold
bei Olympia in Peking gewonnen, mit der besten Einzelplatzierung in der deutschen Equipe.
Hannoveraner, Trakehner, Westfalen – auf Klimkes
„Reitanlage Schulze-Brüning“ herrscht Multikulti im
Münsterland. Mit einem hohen Vollblutanteil, wie er für
Vielseitigkeitspferde wichtig ist. Arbeiten mit nur einer
Rasse jedenfalls „kommt hier gar nicht in den Stall“.
Von der herrlichen Anlage aus geht es regelmäßig zum
lockeren Ausreiten an die Ufer der Ems oder zum Krafttraining an den Brochterbeck. „Nichts, was die Bezeichnung Berg verdient hätte“, lacht Klimke, „aber das Einzige, was das Münsterland zu bieten hat, wenn Pferde
auch mal steile Topografien brauchen.“ Diese Ups and
Downs spielten eine große Rolle. In vielerlei Hinsicht.
Aufstehen und weitermachen ist eine eigene Mechanik im Leben von Vielseitigkeitsreitern. Nach Stürzen
zum Beispiel. Normales Berufsrisiko, wie bei einem
Abwurf Ende April in England, der für Ingrid Klimke
die Konsequenz eines Bänderrisses und einer sechswöchigen Pause hat. Immerhin blieb der 14-jährige
Abraxxas gesund.
p o r t r ä t u l r i k e n a s s e - m e y fa r t h
76
Die Unterschätzte
Ulrike Nasse-Meyfarth startet ihre Karriere mit Olympia-Gold und beendet
sie zwölf Jahre später mit Gold – zwischendurch lag sie richtig am Boden
D
iese Frau besteht nur aus Beinen. Im Moment stecken sie in Jeans und gehen ihr
bis zu den Achseln. Und wie sie geht. Ehrlich, so geht sonst kein Mensch. Ein bisschen wie ein Westernheld, extrem lässig. Außerdem
sieht sie großartig aus. Kinder, vergesst Lady Gaga:
Auf diesem Planeten ist Ulrike Nasse-Meyfarth die
coolste Frau.
raschenden Triumph erinnert sich Meyfarth zunächst mal daran, dass sie während des Wettkampfs
verblüfft feststellt, dass ihr Name auf der Anzeigentafel „immer höher rutscht“. Ein Glück bereits, dass
sie überhaupt im Stadion ist. Die Spiele finden im
eigenen Land statt. Teure Tickets fallen nicht an,
und die junge Rheinländerin darf ins Team, damit
sie Erfahrung sammeln kann.
Cool? Darüber werden sie sich wieder schlapp lachen: Alexandra und Antonia, der berühmten Mutter
Töchter. Immer wieder gerne sehen sich die jungen
Frauen auf Youtube das endlustige Interview an,
das der ARD-Sportmoderator Eberhard Stanjek 1972
mit der Mama, der damals frisch gekürten 16 Jahre
alten Goldmedaillengewinnerin führte. Zum Brüllen
komisch, nicht nur für den eigenen Nachwuchs: Die
blutjunge Meyfarth, in einem grellgrünen Trainingsanzug mit Bundesadler auf der aufgenähten Brusttasche, wirkt so unbeholfen, als wäre sie ihre eigene,
genial in Szene gesetzte Parodie. Die Mimik – unbeschreiblich. Ihr Gesicht lässt sich lesen wie ein Buch:
Was redet der Blödmann da? Bloß nicht zu viel lächeln. Gibt es irgendeinen Fluchtweg? Stanjek stellt
dämliche Fragen und bekommt die verdienten Antworten. Zum Schluss wird dem Goldmädchen im
kleinen Studio ein riesiger Rosenstrauß überreicht,
ein Gratulationsgruß von Willy Brandt. Meyfarth
sieht aus, als wolle sie jeden Moment einen Knicks
machen, dann nickt sie artig in die falsche Kamera
und sagt: „Vielen Dank, Herr Bundeskanzler!“
Ein Platz unter ferner liefen, mit mehr ist kaum zu
rechnen. Eine der Favoritinnen heißt Ilona Gusenbauer, sie kommt aus Österreich und hält mit 1,92
Metern den Weltrekord. Gusenbauer ist eine erfahrene Straddle-Springerin, das heißt, sie überquert
die Latte mit Bauch und Brust. Deutschlands Hochsprung-Küken aber flopt im neuen Stil des Amerikaners Dick Fosbury, springt also rückwärts über
die Latte.
Ulrike Nasse-Meyfarth, heute 55 Jahre alt, gehört
zu den populärsten und beliebtesten Sportlerinnen,
die Deutschland je gehabt hat. Ihren Mädchennamen kennt hierzulande jeder, der 1972 mindestens
acht Jahre alt war. Fast 40 Jahre nach ihrem über-
„Ich habe diesen Wettkampf in
München wie einen Film erlebt“
Meyfarth flopt an diesem 4. September mit 1,90 Metern höher als jemals zuvor, höher auch als alle
Konkurrentinnen. Zum Schluss ist sie ganz allein im
Wettbewerb und darf noch mal springen. Sie lässt
eins zweiundneunzig auflegen. Nur einen Zentimeter
höher, und sie hätte einen neuen Weltrekord aufgestellt, „aber so abgebrüht“, sagt Meyfarth, „war ich
damals einfach nicht“. Die Schülerin Ulrike schafft
auch die eins zweiundneunzig. Das Stadion tobt.
Reporter, Mikrofone, Blitzlichtgewitter – Sensation:
Das Kind ist Olympiasiegerin.
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p o r t r ä t u l r i k e n a s s e - m e y fa h r t
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„So abgebrüht war ich damals noch nicht“
biografie
Ulrike Nasse-Meyfarth,
55, Hochspringerin
Erfolge: 1972 und 1984
Olympiasiegerin
Dreifache Weltrekordlerin, fünffache Deutsche
Meisterin, Europameisterin, Vizeweltmeisterin
Von 1981 bis 1984
Der Goldsprung: München 1972, eine 16 Jahre junge deutsche Hochspringerin flopt über
Sportlerin des Jahres
die Latte in 1,92 Meter und wird Olympiasiegerin. Zwölf Jahre später wiederholt Ulrike Meyfahrt
Verein: TSV Bayer 04
die Leistung und überrascht abermals die Leichtathletikwelt
Leverkusen
Botschafterin für die
Bewerbung Münchens
für die Winterspiele
2018
Kuratoriumsmitglied
der NRW-Sportstiftung
Mitglied in der IAAFAthletenkommission
Engagiert sich bei
der Stiftung Deutsche
Sporthilfe
Biografie von Ulrike
Nasse-Meyfarth
mit Uwe Prieser:
Ulrike Meyfarth grinst: „Ich habe diesen Wettkampf
wie einen Film erlebt.“ In guten Filmen – also in
solchen, die den Zuschauern alle Emotionen abverlangen, sie lachen, weinen, bangen und hoffen lassen
– geht es nach einen frühen Happy End immer erst
mal richtig bergab. Der eben noch bewunderte Held
mutiert zum bedauernswerten Tropf, der saure
Zeiten und einige Prüfungen bestehen muss, bevor
er sich selber aus dem Sumpf zieht und Ruhm und
Ehre erntet, die – weil hart erarbeitet – nun von
Dauer sind. In München mag eine Teenagerin bereits
ahnen, dass sie die Hauptrolle in einem Film hat.
Was sie nicht weiß: Sie wird noch zwölf Jahre mitspielen müssen, bevor er zu Ende ist.
„Nicht nur die Höhe
verändert sich“,
Verlag: Econ
Angestellt bei TSV
Bayer 04, zuständig u. a.
für Talentsichtung
Aufgenommen in die
„Hall of Fame“ des
deutschen Sports
www.ulrike-meyfarth.de
Eine frühe Zäsur: Der Terroranschlag der Palästinenser auf die Mannschaft aus Israel. Die letzte Siegerin
vor dem Attentat heißt Ulrike Meyfarth. Kaum hält sie
ihre Medaille in der Hand – schon achtet niemand
mehr auf sie. Was für eine Erleichterung!
Nach der Zwangspause gerät die junge Olympiasiegerin jedoch rasch wieder in den Fokus des öffentlichen Interesses. Das Telefon steht nicht mehr still,
Journalisten fragen ihr Löcher in den Bauch, dauernd will jemand was. Am Gymnasium bitten die
jüngeren Schüler um Autogramme. Die so Begehrte
meidet den Pausenhof. Jahrzehnte vor der Erfindung
der Castingshows wollten Jugendliche früher alles,
nur nicht das: etwas Besonderes sein. Ulrike ist da
keine Ausnahme.
In München hatte sie unbeschwert und mühelos
gewonnen, plötzlich scheint alles wie verhext: In
der Schule lässt sie deutlich nach, eine Verletzung
löst die andere ab, im Training und bei Wettkämpfen
sind ihre Leistungen enttäuschend. Eins zweiundneunzig sind so entfernt wie der Mond. Niemand
sagt es so, aber alle denken: Ulrike Meyfarth ist
eine Eintagsfliege, ein blindes Huhn, das mit viel
Glück ein Mal das goldene Korn gefunden hat. Das
Können aber, das fehlt ja wohl.
Nur zu gerne würde die unerfahrene Athletin den
hohen Erwartungen genügen, nur zu gerne ihre
Leistung in München durch weitere Siege bestätigen, nur wie sie mit dem Druck umgehen soll, das
sagt ihr niemand. Vermutlich weiß es keiner.
1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal
scheidet Ulrike Meyfarth bereits im Vorkampf aus.
Die Deutsche Sporthilfe streicht ihr die Förderung,
zum Sportstudium an der Uni Köln wird sie zunächst
nicht zugelassen. Numerus clausus! Die Goldmedaille zählt nicht. Hätte sie sich eben beim Abi mehr
anstrengen müssen, das Fräulein Meyfarth. Als alle
sie schon abgeschrieben haben, ist sie gerade mal
21 Jahre alt.
Sobald ein Tiefpunkt erreicht ist, kann es nur aufwärts gehen. Die Wende beginnt mit einem Wechsel
des Vereins. In Leverkusen lautet die Botschaft: Wir
werden dich unterstützen, weil wir an dich glauben.
Gleichzeitig beginnt Ulrike Meyfarth im Nachrückverfahren nun doch ihr Studium. Der neue Trainer
drückt den Reset-Knopf. Die Athletin muss noch mal
ganz von vorne anfangen. Neue Trainingsmethoden,
neue Bewegungsabläufe, neuer Mut. Und: üben,
üben, üben. 1978 wird sie EM-Fünfte, 1981 Europaund Weltcupsiegerin, 1983 Vizeweltmeisterin. Die
Meyfarth, sie ist wieder da.
Noch aber ist sie nicht erlöst. Nur ein erneuter
Olympiasieg würde das ändern. Ulrike Meyfarth ist
28 Jahre alt und will ihre sportliche Laufbahn nach
den Spielen in Los Angeles beenden. Scheitert sie,
hat sie eine ordentliche Karriere hingelegt, mit
Höhen und Tiefen wie viele andere auch. Holt sie je-
doch nach zwölf Jahren abermals Gold, gehört
sie zu den ganz Großen. Es wäre zudem der endgültige Beweis, dass ihr in München nichts geschenkt
worden ist.
In den Wochen vor Los Angeles hat die Athletin, die
der ganzen Welt, vor allem aber sich selbst etwas
beweisen will, höllische Schmerzen im Fuß. Ein befreundeter Sportjournalist fragt: „Sag mal, hinkst
du?“ Die Konkurrentin diesmal heißt Sara Simeoni.
Es sieht toll aus, wenn sie springt. Richtig elegant.
Als die Italienerin beim ersten Versuch zwei Meter
locker überspringt, wirft sie Kusshände ins Publikum.
Ulrike Meyfarth schafft zwei Zentimeter mehr. Gold!
Was für eine Geschichte, was für ein Ende. Man
müsste einen Film draus machen. Ulrike Meyfarth
ist fertig mit Erzählen und muss weg. Wie es ihr
heute wohl geht? Sie dreht sich noch mal um, lacht.
Verdammt glücklich sieht sie aus.
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p o r t r ä t ta n j a s z e w c z e n k o
Die Schauspielerin
Tanja Szewczenko stürzte als 16-Jährige die Eislauf-Legende Kati Witt
vom Thron und macht sich Sorgen um die Zukunft ihres Sports
M
it zwei Jahren setzte sie das erste Mal
ihre Kufen auf das Eis an der legendären
Düsseldorfer Brehmstraße. Als bezaubernder Teenager wurde sie, 16-jährig,
Deutsche Meisterin und schaffte den Sprung in die
Weltspitze, der 1994 mit Bronze bei den Weltmeisterschaften im japanischen Chibu gekrönt wurde.
Tanja Szewczenko blickt auf eine Eiskunstlaufkarriere
mit märchenhaften Augenblicken zurück. Trotzdem
beantwortet die 33-Jährige die Frage nach ihren
schönsten Momenten im Sport überraschend anders als erwartet: „Die gibt es nicht auf der großen
Bühne, sondern alleine in der Trainingshalle. Zum
Beispiel, wenn man einen Sprung zum ersten Mal
gut hinbekommt.“
In den neunziger Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts verleiht die Rheinländerin dem deutschen
Eiskunstlauf das schönste und erfolgreichste Gesicht. Die Geschichte zur Optik stimmt. Das junge
Küken, das mit sechs Jahren seinen ersten großen
Pokal gewinnt, kämpft sich mit viel Disziplin und familiärer Förderung durch Eislauf- und Ballettunterricht an die Spitze; 1994 stürzt sie bei den Deutschen
Meisterschaften die große Katarina Witt vom Thron.
Prächtige Erfolge wie die Bronzemedaille bei den
Europameisterschaften in Mailand 1998 folgen. Tanja
Szewczenko wurde von vielen Beobachtern in jener
Zeit als Fortführung des deutschen Fräuleinwunders
aus den frühen Sechzigern beschrieben. Sie selbst
genoss die Zeit und blickt begeistert auf ihre Aktivenzeit zurück: „Die Erfolge waren wunderschön.“
Dabei verlief die Karriere alles andere als sorgenfrei,
weil immer wieder Krankheiten und Verletzungen die
fleißige Sportlerin hinderten. 1996 zwang das Pfeif-
fersche Drüsenfieber zu einer zweijährigen Pause,
im Januar 2001 blieb dann nur noch der Rücktritt
vom Leistungssport. Doch die Eisprinzessin lässt
sich durch die gesundheitlichen Rückschläge nicht
entmutigen. Sie probiert viele neue Dinge aus, ihr
prominenter Name öffnet dabei auch Türen. Sie modelt oder betritt als Schauspielerin, Fernsehmoderatorin und Kinderbuchautorin die Bühne. Kreativ
muss es schon sein.
Eine Rolle wie die der Polizeioberkommissarin Elly
Wagner macht sie einem anderen Publikum als ihre
Eislauf-Fangemeinde bekannt. Die Blondine mit Pferdeschwanz in der rustikalen Lederjacke ist vor Kurzem als Filmfigur in die WDR-Kultserie „Ein Fall für
die Anrheiner“ eingezogen. Da spielt Tanja eine kesse Polizistin, die nach der Geburt ihres Kindes wieder in den Beruf zurückgekehrt. Die Schauspielerei
ist ein bedeutender Teil ihres Lebens geworden.
„Die Filmfigur bildet praktisch mein reales Leben wider“, schmunzelt sie. Denn privat hat Tanja Szewczenko ein neues Kapitel aufgeschlagen. Im Februar
2011 ist Tochter Jona Valentina auf die Welt gekommen. „Einiges hat sich jetzt ganz schön geändert“,
bemerkt Lebenspartner Norman Jeschke, der einst
selbst gefeierter Eislaufstar war und als Partner von
Tanja in verschiedenen professionellen Engagements auftrat, die sie rund um den Globus führten.
Die Düsseldorferin und der fröhliche Ostberliner, der
seine Sportlerkarriere noch in der DDR begann und
eine klassische Kinder- und Jugendausbildung
durchlief, leben ohne Trauschein in der Nähe von
Köln. „Hier am Rhein ist es einfach besonders
schön“, sagt die junge Mutter. Mit dem Rheinland
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s p o r t l a n d
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„Es kommen zu wenig Kinder
und Jugendliche zu unserem Sport“
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Spektakulär und immer ausverkauft sind die Abendveranstaltungen
beim CHIO im Reitstadion in der Aachener Soers
CHIO Aachen
Elegant, sportlich, erfolgreich:
Tanja Szewczenko auf dem Eis
(hier bei den Europameisterschaften in Prag)
biografie
Tanja Szewczenko, 33,
Eiskunstlauf
Erfolge: Bronze bei der
Weltmeisterschaft 1994,
dreifache Deutsche
Meisterin
Verein: Düsseldorfer EG
kann sich auch die Berliner Pflanze Norman arrangieren. Doppelhaus und Hund runden das Familienglück ab. Vor allem, da es nicht weit zum Filmset ist.
Dorthin dürfen Töchterchen und Lebensgefährte die
schauspielernde Mutter regelmäßig begleiten. Denn
gedreht wird meistens in der Domstadt, manchmal
in der Kulissenstadt, aber auch an Plätzen in der
Stadt, getreu dem aktuellen Motto: „Die neuen Gesichter im Veedel“.
Persönliches: startete
nach der sportlichen
eine schauspielerische
Karriere, u. a. in der
RTL-Soap „Unter uns“
und im Moment beim
WDR in „Ein Fall für die
Anrheiner“
Es ist immer was los im Hause der jungen Familie.
Kinderarztbesuch, Anfragen zu Interviews und Fotoshootings sowie Vorbereitung auf die EiskunstlaufWeltmeisterschaften füllen in den späten Apriltagen
ihren Terminkalender. Tanja mag vom Eiskunstlauf
nicht lassen und ist glücklich, dass sie dabeibleiben
durfte – jetzt mit einem Stammplatz auf der Kommentatorentribüne, wo sie als TV-Expertin Dreifachund Vierfachsprünge bewertet und erklärt.
Sorgen bereitet ihr freilich der Eislauf-Nachwuchs:
„Es kommen zu wenig Kinder und Jugendliche zu
unserem Sport. Es fehlen die Vorbilder, aber es fehlt
auch an finanzieller Unterstützung.“ Die ehemalige
Eisprinzessin würde in Deutschland wieder gerne
viele mehr Jungen und Mädchen übers Eis gleiten
sehen, doch „es fehlt an so vielem“, stellt sie resig-
niert fest. Selbst in der Spitze herrsche Tristesse.
„Da gewinnen Aljona Sawtschenko und Robin
Szolkowy in Moskau zum dritten Mal WM-Gold im
Paarlauf, doch gerade mal 1,15 Millionen Deutsche
sehen im Fernsehen zu“, beklagt die früher Umschwärmte.
Will sie nicht selber helfen, mit ihrer professionellen
Sicht? „Ach, Mutter Theresa bin ich auch nicht“, fällt
ihr da ein ziemlich drastischer Vergleich ein. Noch
ein Wunsch, Tanja? „Norman und ich träumen von
einer eigenen Show.“
Und der Fußball? Etwas neidisch blickt die Eiskunstläuferin auf das große Kino mit dem runden Leder.
„Andere Sportler und Sportlerinnen müssen so hart
arbeiten, bekommen aber nie die Anerkennung.“
Das sei aber nur ein kleiner kritischer Blick auf die
Ballkünstler. Natürlich freut sich die Vielfachkönnerin
auf die Spiele in Deutschland, ganz besonders in
Nordrhein-Westfalen. „Auch wenn ich selber nicht
unbedingt der größte Fan bin.“ Freund Norman
Jeschke begeistert sich da schon eher: „Ich bin doch
Allroundsportler mit Leib und Seele.“
2006 – das Jahr geht als „Sommermärchen“ in die Sportgeschichte ein.
Weltmeisterschaften in Deutschland,
in Nordrhein-Westfalen. Zuerst krönten die Fußballer ihre Weltbesten,
dann folgten Hockey-WM in Mönchengladbach und die Reiter. 576 000
Zuschauer sahen die Weltreiterspiele
in der einmaligen Reitanlage der
Aachener Soers – eine Begeisterung,
die die gesamte Republik und weltweit
1,6 Milliarden Zuschauer erfasste. Die
Fortsetzung folgt in diesem Jahr, wenn
Mitte Juli die Finalspiele der Frauenfußball-WM mit dem traditionsreichen
CHIO in Aachen zusammentreffen.
„Er hat genug getan. Ich habe ihn nur noch
einmal mitgebracht, damit er Aachen zum
Abschied noch einmal sehen kann“, zeigte
sich Fritz Thiedemann beim letzten Auftritt
seines legendären Springpferds Meteor 1961
gerührt. Von einem enthusiastischen Publikum,
das damals wie heute eine prickelnde Atmosphäre verbreitet. „Aachen, das bedeutet
Spitzensport – aber auch und vor allem Volksfest“, sagt Präsident Carl Meulenbergh vom
ausrichtenden Aachen-Laurensberger Rennverein (ALRV) über die bedeutendste Turnierwoche im weltweiten Pferdesportkalender.
1898 begann die Erfolgsgeschichte, als sich
Gutsbesitzer, Fabrikanten, Landwirte, Viehhändler und Reitlehrer aus der Region zunächst zum „Laurensberger Rennverein“
zusammenschlossen. Das Vorhaben schien
ganz simpel: Den pferdesportbegeisterten
Aachenern sollten gemeinsam organisierte
Pferderennen den Alltag versüßen. Nach
den ersten Reitversuchen fand der mittlerweile in „Aachen-Laurensberger Rennverein“ umbenannte Club Anfang der 1920erJahre seine heutige Heimat: auf dem weitläufigen Turniergelände in der Aachener
Soers. 1924 konnte hier neben dem gewohnten „Renntag“ das erste sogenannte
„Reit- und Fahrturnier, verbunden mit
Flach- und Hürdenrennen“ eröffnet werden.
20 000 Zuschauer waren begeistert, die
Basis für den CHIO war geschaffen. 1927
folgte das erste internationale Turnier und
zwei Jahre später der erste Nationenpreis,
mit dem die eigentliche Ära des CHIO (Concours Hippique International Officiel) begann.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
begründeten berühmte Pferdesportler den
Weltruhm der Aachener Turnierwoche:
Fritz Thiedemann, Hans Günter Winkler, die
Schockemöhle-Brüder, Nelson Pesoa, die
d‘Inzeos oder Nick Skelton; Dr. Reiner Klimke,
Josef Neckermann, Liselott Linsenhoff, Elena
Petushkova oder Nadine Capellmann und Isabell Werth; Richard Talbot, Ijsbrand Chardon
oder Michael Freund. Sportler und ihre Pferde,
die spektakuläre Triumphe feierten oder bittere Enttäuschungen erlebten bei Welt- (Springen 1955, 1956, 1978 und 1986; Dressur 1970)
und Europameisterschaften (Springen 1958,
1961, 1965, 1971; Dressur 1967, 1973, 1983).
„Aachen war meine reiterliche Heimat“, sagte
der legendäre deutsche Springreiter Hans
Günter Winkler im Rückblick. „Ich hatte das
Glück, hier große Siege erringen zu können.
Und der krönende Abschluss war für mich die
Beendigung meiner Laufbahn vor 50 000 Zuschauern bei der WM 1986 in der Soers.“
2004 bis 2006 wurde das Turniergelände
runderneuert und damit auch fit gemacht
für die fünften Weltmeisterschaften/Weltreiterspiele. In Aachen strebt man nun eine
Fortsetzung dieses einmaligen Erlebnisses
an. Erstmals will man 2015 auf europäischer
Ebene Reiterspiele ausrichten. Die Vorbereitungen für die Bewerbung laufen bereits
auf Hochtouren.
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porträt isabell werth
Die Künstlerin
Isabell Werth ist die erfolgreichste Dressurreiterin der Welt –
nach fünf Olympiasiegen ist freilich noch lange nicht Schluss
Es gibt tatsächlich Kinder, die lernen eher Reiten als
Laufen. Frederik Werth ist so einer. Kein Wunder. Lebten in der Landwirtschaft, am Niederrhein bei Issum,
wo seine Mutter Isabell mit ihrer Schwester aufgewachsen ist, „noch Kühe, Schweine, Hund und Katz,
die wir hüten, treiben oder an der Leine führen konnten“, sind Pferde als Spielgefährten ihres 20 Monate
alten Sohnes nahezu konkurrenzlos. „Es sei denn“,
lacht die junge Mutter, „Opa Heinrich kommt mit dem
Quad auf den Hof geknattert.“ Dann müssen beide
erst eine Runde drehen.
Frederik ist definitiv ein guter Grund dafür, dass die
erfolgreichste Dressurreiterin, die der deutsche Pferdesport je hervorgebracht, sich eine gern kolportierte
Anschauung der Reitergemeinde nie zu eigen machen würde: „Ein Leben ohne Pferde ist möglich –
aber weitgehend sinnlos.“ Klingt gut, stimmt aber nur
zum Teil, sagt Isabell Werth und ergänzt: „Das traf auf
mich nicht mal zu, als ich mal in einem Interview geantwortet habe ‚Meine Pferde sind wie meine Kinder‘.“ Aber das zumindest stimmt auch heute noch.
„Was Ross und Reiter zeigen,
ist so etwas wie Kunst“
Auf der Ponystute Illa hat sie – „da war ich aber schon
fünf“ – zum ersten Mal im Sattel gesessen. Mit Funny
ging es nur wenige Jahre später auf die ersten Turniere. Springen und Vielseitigkeit wurden zur Leidenschaft des Teenagers. Doch dann fragte ein Nachbar
der Werths, der Dressurexperte Uwe Schulten-Baumer, ob die damals 17-jährige Schülerin nicht Lust
hätte, einige seiner Pferde zu reiten.
„Aber was daraus wurde, das soll ich jetzt nicht noch
mal erzählen“, erkundigt sich dessen Nachbarin – im
Ledersessel ihres Besucherzimmers aufrecht wie im
Sattel sitzend – jetzt und heute, 35 Jahre später.
„Oder doch?“ – Nein danke, ist wirklich nicht nötig.
RTL ist ja gerade erst aus der Tür. Ein Interview für die
Serie „Sportstars vom Rhein“. Auf die Minute pünktlich geben sich die Kollegen die Klinke in die Hand.
Pressedame Kerstin Bahlert sorgt dafür, dass der eng
getaktete Terminkalender Isabell Werths nicht umgeworfen wird. Beim Überschreiten des Zeitlimits drohen Dressurreitern keine Strafpunkte, aber gut.
Kurzer Parforceritt: Luhmühlen – Aachen – Den Haag –
Barcelona – Atlanta – Sydney: Mit Schulten-Baumers
Spitzenpferd Gigolo gewann sie viermal Gold bei
Olympia, davon drei Medaillen mit der Mannschaft
und zwei weitere im Einzelwettbewerb in Silber. Mit
dem Hannoveraner Fuchswallach wurde sie vierfache
Weltmeisterin, gewann selbst vier Europameisterschaften und sieben weitere mit der deutschen
Mannschaft. O.k., Fabienne war auch noch da. Mit ihr
wurde sie 1992 Weltcupsiegerin. Aber Gigolo wurde
unter Isabell Werth zum erfolgreichsten Dressurpferd
aller Zeiten. Gigolo und Isabell Werth waren bis 2001
in der Welt des Dressursports „die Einheit, das TraumTeam, die Firma, die jeder kannte“, wie der Landwirtssohn und pferdevernarrte Chefredakteur eines
Hamburger Wochenmagazins damals schrieb.
Seither hat sich viel getan. Gigolo ging wenig später
in Rente. Ihm folgten, mit Isabell Werths Wechsel
des langjährigen Mentors und Mäzens zum neuen
Stall Winter-Schulze, Pferde wie Antony, Apache,
Richard Kimble und Satchmo. Alles Wallache. Warum
das eigentlich?
Einen Hengst „zu legen“ – wie die Reiter sagen – will
wohl bedacht sein. Da gilt es zu taxieren: Wird er mit
seinen Preisen auch wieder einspielen, was Reiter und
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porträt isabell werth
Mannschaftsreiterin: Mit einer
perfekten Dressur im Viereck
sichert Isabell Werth der
deutschen Equipe auch 2008
in Peking/Hongkong
die Goldmedaille
„Ich bin neugierig, Pferde auszubilden
und zur Weltspitze zu führen“
Mit Satchmo erfolgreich
in der Einzelkonkurrenz:
Isabell Werth gewinnt Silber
in Peking/Hongkong
biografie
Isabell Werth, 41,
Dressurreiterin
Erfolge: 1996 Olympiasiegerin in Atlanta,
Silbermedaillengewinnerin in Barcelona,
Sydney und Peking.
Gemeinsam mit der
Mannschaft gewann
sie acht olympische
Medaillen. Dreifache
Weltmeisterin, vierfache Europameisterin,
achtfache Deutsche
Meisterin
Die Rechtsanwältin ist
verheiratet, Mutter
eines Sohnes und
engagiert sich als Botschafterin der Christoffel-Blindenmission
Besitzer an Training, Zeit und Geld investiert haben,
oder eher als Deckhengst? – Bei einem gekörten, also
vom Verband für die Zucht zugelassenen Pferd wie
etwa Gigolo, da ist der Name ja praktisch Programm.
1.500 Euro Decktaxe sind da nichts Ungewöhnliches.
Auf bis zu 8.000 Euro kann das Deckgeld bei Spitzenvererbern ansteigen. Mal 300 bis 400 Stuten pro
Jahr – da muss eine Menge Preisgeld verdient werden. Doch nicht viele „Jungs“ unter den professionellen Renn-, Spring- oder Dressurpferden können sich
auf Leistungssport konzentrieren und gleichzeitig jungen Damen ihrer Art Mutterfreuden bescheren. Außerdem muss das eine regelmäßig hoch dotiert sein,
damit das andere dann auskömmlich bezahlt wird.
Totilas, der holländische Wunderhengst, ist einer,
der beides kann. Ein elfjähriger Rappe, für den Paul
Schockemöhle Anfang des Jahres zehn Millionen
Euro bezahlt hat und den er gern unter Isabell Werth
reiten lassen wollte. – Das hätte natürlich seinen Reiz
gehabt. Totilas hat Satchmo und der Rheinländerin
in seinem Sattel mal einen Weltrekord abgenommen.
79,958 % in einem Grand Prix. 2005 bei den Stuttgart German Masters. Vier Jahre später schaffte Totilas unter dem Niederländer Edward Gal mit 84,085
einen neuen Prozentrekord. Aber Werth lehnte das
Angebot Schockemöhles ab: „Ich bin neugierig,
junge Pferde auszubilden, zur Weltspitze zu führen
und dort wenn möglich dann lange zu bleiben.“
Werth, „die mit Preisgeldern kaum jemals eingespielt
werden können.“ Totilas etwa, kassierte 2010 „nur“ gut
200.000 Euro. Allerdings – der ist ja auch erst elf.
Wie mit Satchmo. Noch jung in ihre Hände gekommen, ritt Isabell Werth mit ihm beinah wieder, wie sie
es mit Gigolo konnte. Traumhaft sicher, mit reiterlichen Hilfen aus Schenkel, Hand und Rücken, die
kaum auszumachen waren. Piaffen, Passagen und
Pirouetten. In der Dressurprüfung der Vielseitigkeitsreiter nicht gefordert, müssen diese „drei P“ bei
Championatsturnieren der Spezialisten die Juroren
verzücken. „Das schafft man nur, wenn es eine tiefe
innere Übereinstimmung gibt. So eine Beziehung zu
einem Pferd aufzubauen, braucht Jahre. Das muss
zusammenwachsen und setzt eine intime, beinah
mystische Beziehung voraus.“ Ob mit Trense oder
Kandare, in der Volte oder dem Rückwärtsschritt,
ob im verkürzten, Mittel- oder verstärkten Trab: Im Ergebnis sei das, „was Ross und Reiter, wenn alles
passt, zeigen, so etwas wie Kunst. Wir sind Sportler
und irgendwie auch Künstler zugleich.“
Pokale, Trophäen, Medaillen. Mit der Aussicht auf Erfolge bekommt Isabell Werth Pferde gern früh unter
den Sattel. Bildet sie aus „vom Vorschulalter bis zur
Hochschulreife“. Zugegeben: Siege danken ihr auch
die Sponsoren. Ein Luxusuhrenfabrikant, ein Sattelschuster oder der Reithosenschneider. Aber das
wichtigste Standbein des Werth’schen Pferdewirtschaftsbetriebs ist die Ausbildung. Neben den Tieren
von Mäzenin und Trainerin Madeleine Winter-Schulze,
die früher selbst erfolgreich Grand Prix geritten und
Deutsche Meisterin geworden ist, stehen fast 80 Pferde in der Anlage in Rheinberg. 13 Mitarbeiter helfen
Isabell Werth, vom Striegeln der Pferde und Fegen der
Boxengassen bis zum Enterprise Ressource Planning
(ERP) und dem Customer Relation Management
(CRM) im IT-System auf der Büroetage des mittelständischen Unternehmens.
Mit Satchmo gewann sie in Peking olympisches Gold in
der Mannschaft und Silber in der Einzelwertung, wurde
einmal mehr Weltmeisterin und beim Weltcup 2009
Zweite. Aber – noch einmal retour – Millionensummen
für ein Pferd? – „Das sind Liebhaberpreise“, sagt
Und alle hoffen, dass es mit Olympia in London klappt.
Der 15-jährige Hannoveraner „Warum nicht“ ist einer,
der dabei sein könnte. An ihm soll es nicht liegen. Und
die eigentliche – oder war es neben der Babypause
mit Frederic nur eine weitere – Ursache ihrer Zwangs-
pause Ende 2009 ist auch überstanden. Nach einer
positiven Dopingprobe bei ihrem Nachwuchspferd
Whisper beim Wiesbadener Pfingstturnier desselben
Jahres wurde Isabell Werth für sechs Monate gesperrt.
Eine Sanktion, die Bundestrainer Holger Schmelzer
und DOSB-Präsident Thomas Bach „absolut angemessen“ fanden und die von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung sofort akzeptiert wurde. „Mit
blauem Auge davongekommen“ bilanzierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), und die „gelernte“
Juristin und langjährige Rechtsanwältin Isabell Werth
selbst nahm sofort die Verantwortung auf ihre Kappe:
„Was Recht ist, muss auch Recht bleiben.“
Zwar hatte Whispers Tierarzt – aber eben auch Isabell
Werths Tierarzt – dem Wallach ein Psychopharmakon
zur Behandlung des sogenannten Shivering-Syndroms
verabreicht. Bei der Berechnung der Abbauzeit der
darin enthaltenen und vom Internationalen Reiterverband FEA verbotenen Substanz Fluphenazin hatte sich der Veterinär aber offenbar verschätzt.
Ein Gutes – für alle Reiter – hatte aber auch diese
Erfahrung der Rheinländerin. Seither arbeitet die FEA
daran, im Regelwerk die Verantwortung von Tierärzten für positive Dopingproben fester zu verankern
und Reiter damit zu entlasten.
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porträt lena schöneborn
Die Exakte
Lena Schöneborn trainiert, studiert, trainiert, studiert – und so wird es
für die Olympiasiegerin im Modernen Fünfkampf bis London auch bleiben
D
er ganz große Erfolg lässt sich nicht planen. Es muss einfach alles passen. Beim
Modernen Fünfkampf noch mehr als in anderen Sportarten. Fechten, Schwimmen,
Schießen, Springreiten, Laufen – in keiner Disziplin
dürfen sich die Sportler eine Schwäche erlauben.
Besonders heikel ist das Reiten: Wenn das zugeloste
Pferd und der Reiter nicht harmonieren, hilft alle
Vorbereitung nichts.
Lena Schöneborn und der Fuchswallach Xingxing
hatten an jenem Freitag im Jahr 2008 ziemlich gut
harmoniert. Trotzdem blieb Schöneborn ruhig, als
sie nach dem Ritt auch die 3000 Meter auf der
Kunststoffbahn im Pekinger OSC-Stadion gelaufen
war. Und ernst. Zu ernst – für eine Olympiasiegerin.
Schließlich wurde sie von einer Konkurrentin angeschubst: „You are the champion!“ Und Schöneborn
begann zu begreifen. Zu lächeln. Zu strahlen. Zu jubeln. Es hatte einfach alles gepasst. Die Rheinländerin Lena Schöneborn hatte zum ersten Mal seit 72
Jahren eine Goldmedaille für Deutschland im Modernen Fünfkampf geholt.
Die zurückhaltende Reaktion auf den größten Erfolg
ihrer Karriere passt zum ersten Eindruck von Schöneborn. Die hochgewachsene Sportlerin mit den
dunklen Locken und den großen blauen Augen wirkt
ein wenig verträumt. Aber Schöneborn muss hellwach sein. Nicht nur im Wettkampf. Auch ihr Alltag
ist eine Herausforderung. Zu bewältigen ist die eigentlich nur auf eine Weise: durch exakte Planung.
Im Moment ist wieder so eine Phase. Eine, in der im
Stundentakt ihr Handy piept und sie an den nächsten Termin erinnert; in der sich auf eng beschriebenen Zetteln in ihrer Berliner Wohnung die To-do-Listen für die nächsten Tage sammeln. „Ich muss mir
Dinge veranschaulichen“, erklärt Lena Schöneborn
die Zettelwirtschaft. Sie grinst, ihre rechte Augen-
braue zuckt: „Ich wäre gerne etwas ordentlicher,
dann wäre es leichter, den Überblick zu behalten.“
Schritt für Schritt hat sie sich vorgegeben, nichts
darf sich mehr verschieben oder länger dauern. Die
sechste Disziplin im Modernen Fünfkampf, sagen
manche, sei die Organisation der Trainingszeiten.
Die (Sport-)Tage von Lena Schöneborn beginnen oft
morgens um halb acht und enden abends um 20
Uhr. Zwei bis vier Sportarten muss sie jeden Tag trainieren. 25 Wochenstunden reine Trainingszeit seien
das etwa in der Woche. Vier verschiedene Trainer hat
sie – einen fürs Reiten, einen fürs Fechten, einen fürs
Schwimmen und Laufen, zudem stehen im Moment
viele Übungseinheiten mit der Bundestrainerin für
das neue Combined Event, die biathlonähnliche Kombination aus Laufen und Schießen, auf dem Programm. Termine, die koordiniert werden müssen.
Dazu kommen 20 Semesterwochenstunden an der
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Lästige
Doppelbelastung? Willkommene Abwechslung, findet Schöneborn. Alles eine Frage der Planung. Weltcupfinale, WM und EM finden in den Semesterferien
statt – glückliche Fügung. Ab dem Wintersemester
wird die 25-Jährige seltener an der Uni zu sehen
sein. Die Olympischen Spiele rücken näher – und
ihre Titelverteidigung. Ihre Masterarbeit wird sie erst
danach schreiben. So ist es geplant.
Wenn Lena Schöneborn am zweiten Augustwochenende 2012 in der Olympic Handball Arena in London
auf die Fechtbahn tritt, wird alles vergessen sein.
Denn das ist der Moment, an dem sie aufhört, zu
planen: der Wettkampf. Sie zählt keine Punkte, sie
errechnet nicht den Stand der Konkurrentinnen, sie
taktiert nicht. Jetzt gibt es keine Pläne mehr. Nur
noch Leistung. Und Leidenschaft. Der ganz große
Erfolg lässt sich ohnehin nicht planen. Aber manchmal passt eben einfach alles.
biografie
Lena Schöneborn, 25,
Moderne Fünfkämpferin
Erfolge: Olympiasiegerin 2008, Silbernes
Lorbeerblatt und
Verdienstorden des
Landes Berlin 2008,
Bronze Weltmeisterschaft 2010
Verein: SSF Bonn 05
Persönliches: Lena
Schöneborn studiert
International Marketing Management an
der Hochschule für
Wirtschaft und Recht
Berlin
89
90
u n t e rw eg s i n n rw
„Ich liebe die heimlichen,
schönen Ecken, die es
in den Städten an Rhein
und Ruhr und auf dem
Lande gibt“
W
Ex-Brustschwimmerin Anne Poleska
kennt die schönen
Ecken von Nordrhein-Westfalen,
schließlich arbeitet
sie jetzt für den nordrhein-westfälischen
Tourismusverband
asser. Wasser muss es schon
sein. Anne Poleska zieht es
immer wieder ans Ufer des
Rheins, in den Hafen von Düsseldorf. Anne Poleska, die Brustschwimmerin, die sich in Athen Bronze um den Hals
hängen ließ und die jetzt, nachdem sie das
tägliche Trainingsbecken mit dem Schreibtisch in einem der größten Bürohäuser
Düsseldorfs getauscht hat, nur noch von
Ferne aufs Wasser blicken kann. Trotzdem,
das Fotoshooting muss unbedingt im Düsseldorfer Medienhafen stattfinden. Dort,
wohin es jedes Jahr Millionen von Menschen
zieht, die den geballten Mut der weltkreativen Baumeister, der Gehrys, Chippendales
und Jahns bewundern, die einfach waghalsige Architektur mit den Augen abtasten
wollen. Der Rausch der Sinne, den das
neueste Bauwerk, Hafenspitze genannt,
auslöst, erfasst auch die ehemalige Weltklasseschwimmerin. Anne Poleska weist
auf die zwei schwarz verglasten gigantischen Türme hin, in denen sich ein
Fünf-Sterne-Plus-Hotel niedergelassen
hat. Das ist ihre Welt, denn die 31-Jährige
frühere Spitzensportlerin überprüft für
den nordrhein-westfälischen Tourismusverband auch die Servicequalität von
Hotels im Land zwischen Weser und Rhein.
Für die Frauenfußball-WM präsentiert
sie Fans und Gästen die prominenten
Plätze und heimlichen, schönen Ecken
Nordrhein-Westfalens.
Wasser und Berge
Bleiben wir beim Wasser. Schon von der
Seenplatte Nordrhein-Westfalen gehört?
Die gibt’s. Ein paar Zahlen zum Beleg:
60 000 Hektar Fläche stehen unter Wasser, pure Natur natürlich. Aufgeteilt auf
Land und Leute
Von Flüssen und Seen, Hügeln und Bergen, von Dörfern und großen Städten,
in denen herzliche, sture, sparsame und schüchterne Menschen leben
einzelne Gewässer bedeutet das 200 Seen,
von denen 60 für Bootsfahrten, Segeln und
Wasserski geeignet sind. Hinzu kommen
Talsperren, 78 an der Zahl. Die größten
heißen Rurtalsperre im Aachener Land,
Biggesee bei Olpe und Möhnestausee in
der Nähe von Soest. Und dann schlängelt
sich noch der schon erwähnte Rhein von
Bad Honnef auf 226 Kilometern an Bonn,
Köln, Düsseldorf und Duisburg bis nach
Emmerich, lässt das Siebengebirge rechts
liegen und die wunderschönen Niederrheinauen rechts und links. Urlaubsland
pur, Zeugen römischer Herrschaft wechseln mit wunderbaren Landschaften.
Die geologische Fortsetzung des holländischen Schwemmlandes breitet sich ins
Münsterland aus, wo die höchste Erhebung, die Baumberge mit 187 Metern zwischen Billerbeck und Nottuln, manchen
Radtouristen vorkommt, als würden sie
den Anstieg nach Alpe d’Huez bezwingen.
Da die niederländischen Nachbarn in ihrem Leben nicht nur radeln, sondern auch
gern mal hoch hinaus wollen, strömen sie
als die meistgezählten Gäste in eine Region, die Nordrhein-Westfalen nach Süden
hin begrenzt. Das Sauerland mit dem 841
Meter hohen Kahlen Asten lockt mit seinen 57 Skigebieten nicht nur im Winter die
(holländischen) Freunde der Abfahrt und
des Langlaufs. Das Sauerland ist zur Urlaubsregion für das ganze Jahr geworden.
Wandern, Wellness, Wohlfühlen – auch
und besonders im Sommer lädt die Mittelgebirgsregion zu entspannten Tagen und
Wochen in hochklassige Hotels und wundervoll gepflegte Pensionen ein. Und dabei
legt sich kaum einer auf die faule Haut –
was freilich vorzüglich ginge. Aber danach
steht den Freunden des Extremsports,
Rennradfahrern, Felsenkletterern oder Paraglidern, auf ihren Fitnesstrips ins Siegerund Sauerland nur selten der Sinn.
Dabei kann man nicht nur auf dem Lande –
wie in den fabelhaften Münsterlandgemeinden – entspannte Tage und Wochen
verbringen. Vor allem die Metropolen Düsseldorf und Köln, die Bundesstadt Bonn
oder die Revierperlen Essen und Dortmund
– aktuelle Hauptstadt des deutschen Fußballs – faszinieren mit großstädtischem
Flair, intellektueller Bühnenkunst und aufregender Museumskultur.
Authentisch, stur & herzlich
www.nrw-tourismus.de
www.nrw-tournews.de
www.fifafrauenwm2011-nrw.de
g e n u s s l a n d
Feinste Rezepte: Was Alfons Schubeck
für München, ist Peter Nöthel für Düsseldorf. Der eine bekocht diesen rot-weißen
Fußballclub auch auf Reisen ins kasachische Ausland, der andere wird an die
Herdplatte gebeten, wenn die Ministerpräsidentin die holländische Königin beköstigt. Qualität dort, aber auch hier.
Ein Meister der auffallend kreativen Kulturszene ist Willy Decker. Ihn trifft man in diesem Jahr mal extrovertiert agierend in der
Bochumer Jahrhunderthalle, mal sinnlich
meditierend in der Kokerei Hansa. Der ZenBuddhist und Intendant der Triennale, des
grandiosen Kulturfestivals in den ausgemusterten Industriezeugen des Ruhrgebiets, gibt seine Abschiedsvorstellung nach
dreijähriger Schaffensphase.
Schlemmen und Schlafen
Ein Mensch, der Nordrhein-Westfalen entstammt, die Welt gesehen hat. Und immer
wieder zurückkehrt. Warum? Weil das von
den Briten erdachte künstliche Bindestrichland Nordrhein-Westfalen Heimat ist.
Herzlichkeit versprüht. Weil die Menschen
so besonders sind. Alle unterschiedlich.
Mal stur und schüchtern wie die Westfalen,
mal geizig – oder sparsam (hört sich besser an) – wie die Lipper. Mal herzlich wie
die Kölner. Oder nett wie die Düsseldorfer.
Oder – andersherum!
Bierland Nr. 1: Die Bayern pflegen ihre
• 42,1 Millionen Touristen übernachteten
2010 in Nordrhein-Westfalen.
• 37 Restaurants hat der Michelin-Gastroführer mit seinen Sternen bewertet, u.a.
zwei Drei-Sterne-Gourmet-Tempel in
Bergisch-Gladbach.
• 12 Fünf-Sterne-Hotels belegen die Qualität des Reiselandes zwischen Bonn, Köln,
Düsseldorf, Dortmund und Münster.
Landschaft, ihr Image – und ihr Bier.
Das älteste Reinheitsgebot, die meisten
Brauereien, und überhaupt … Das Bierland
Nr. 1 ist aber Nordrhein-Westfalen. Nur wer
weiß es? Der Fernsehzuschauer! Denn
Krombacher, Warsteiner, Veltins & Co
sind nationale Marken, die hier gebraut
werden. Und das Besondere gibt’s auch:
Alt, Kölsch, Pils, Export und Weißbier –
gemacht und abgefüllt in urtypischen
Handwerksbrauhäusern.
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Ein Markenzeichen der Landeshauptstadt – der Medienhafen in der Abenddämmerung
Metropolen
„Deutschland hat nur eine Metropolregion,
das ist der Rhein-Ruhr-Raum“
Siemens-Chef Peter Löscher blickt aus München interessiert auf Deutschlands einzigen
zusammenhängenden Ballungsraum – Köln, Düsseldorf und das Ruhrgebiet
U
we van Afferden kann mit der
Kö nichts anfangen. Dabei ist
er ein Kreativer, manche beschreiben ihn gar als Designpapst. Für Gunther Lambert
hat er entworfen und skizziert. Hat den Reichen und Schönen, den Denkern und Nachdenkern ihre Wohnungen eingerichtet. Eigentlich ein Mann für die Kö. Vor 20 Jahren.
Denn Uwe van Afferden will weiter schräg
sein und Trends setzen. Deshalb hat er sich
ein paar hundert Meter, vielleicht ist es
sogar etwas mehr als ein Kilometer, abseits
des Düsseldorfer Boulevards niedergelassen. In Unterbilk. Unterbilk? Das ist doch
Schmuddel, Arbeiterviertel, Arme-LeuteRevier! Ist? War!
www.duesseldorf.de
www.koeln.de
www.ruhrgebiet.de
Düsseldorf, diese Vorzeigestadt der Trends
und des Schicks. Die Metropole des Landes Nordrhein-Westfalen hat sie, diese
heimlichen und schönen Ecken. Und Anne
Poleska kennt sie. Wenn sie aus dem Empfangsportal ihres Beton-Glas-Stahl-Gebildes auf die Vorfahrt tritt, braucht sie nur
wenige Schritte über Basalt zu stöckeln,
und schon ist sie mittendrin. Lorettostraße, das Viertel der Kreativen. Rund um
diese zentrale alte Meile des neuen Lebens,
des schon Düsseldorfs Prenzlauer Berg
genannten Viertels, entsteht vitales Leben.
In ehemals schummrigen Hinterhöfen
formen und bilden Designer, Werber, Texter
und Schneiderinnen ihre Entwürfe, treffen
sich bei Frl. Buntenbach oder Frida (Karlo)
zum kühlen, die Sinne belebenden Weißwein und lassen sich in der alten Senffabrik bei Seifenhorst das Uerige schmecken, bevor man Frau und Kind zur Latte
im „Café Martin“ trifft. Die Szene hat ein
neues Quartier.
Klein-Paris teilt das Schicksal mit der
Champs-Elysée. Die Stuhlreihen der Filialrestaurationen von Starbucks und Maredo
bevölkern nun Menschen mit viel Tagesfreizeit; an den Tischen von Edelkonditor
Heinemann sitzen Bustouristen einer Kaffeefahrt. Schick ist noch da, Umsatz auch.
Aber es ist anders geworden. Wie die Welt.
Das schnelle Geld regiert, nicht der bestaunte Reichtum.
Die Kö bleibt, was sie ist. Einkaufsmeile.
Albert Eickhoff, der Lippstädter, der nun
Mailand und Paris sowie eine Yacht vor
Sardinien eher heimatlich betrachtet als
jenen westfälischen Landstrich, dem er
entstammt, kleidet schon seit Jahrzehnten die Schönen und Reichen der Republik ein. Sie flanieren aber nicht mehr über
den Boulevard. Berben und Becker fliegen
ebenso wie Araber und Russen, Holländer
und Polen ein, um dem Modezar und den
benachbarten Boutiquen von Prada bis
Armani das Portemonnaie zu füllen und
sich nach dem Einkauf einen exklusiven
Fummel um die Schultern legen zu können. Doch gesehen werden wollen viele
Kunden der High Society nicht mehr auf
dem früheren Pflaster der Eitelkeiten.
Das wahre Zentrum in NRW
Wechseln wir ins wahre Zentrum Nordrhein-Westfalens. Ruhrgebiet. Hört sich an
wie vorbeifahren und nicht aussteigen.
Falsch gedacht. Doch auch die Menschen,
die dort wohnen und gern am Wochenende
die Boulevards der rheinischen Nachbarn
aufmischen, ahnen nicht, auf welchem
Schatzkästlein sie sitzen. Ein Österreicher,
der bis vor wenigen Jahren in Amerika beruflich wirkte und Lebenserfahrung tankte,
erzählte erst in diesem Frühjahr den Deutschen, wo es in ihrem Land pulsiert und
bebt. „Deutschland hat nur eine Metropolregion, das ist der Rhein-Ruhr-Raum“, sagte Ex-Chicago-Man Peter Löscher, der seit
wenigen Jahren in München dem SiemensKonzern neue Ideen verpasst und einen
Standort für seine neue Industriesparte
„Green City“ sucht.
Weiß der bayerische Zuwanderer Löscher
mehr über die Region zwischen Düsseldorf
und Dortmund, als die fünf Millionen Menschen, die entlang der Bundesstraße B 1
seit Jahrzehnten hoffen, dass sie mit dem
Untergang von Kohle und Stahl nicht auch
unter die Räder kommen? Ist das Selbstbewusstsein der Region und ihrer Macher
auf Sohle 7 vergraben worden? Nein, die
Menschen in der einzigen Metropole der
Republik sind selbstbewusst und arbeiten
kreativ und beständig am Aufbruch. Das
Fatale ist nur – keiner kriegt’s mit. Oder will
es nicht wahrhaben. Die Politik – ansässig
im Armenhaus Berlin – kümmert sich nur
bei Wahlen um Löschers DeutschlandMetropole. Denn nirgends bekommt man
so viele Menschen auf so engem Raum in
Plakatschlachten so konzentriert zu fassen
wie im – ja – Ruhrgebiet.
Die Chancen schlummern unter aufgeschütteten Halden und in leer gefegten,
rostigen und verstaubten Industriebrachen. Längst haben sich einige Ruhrbarone aufgemacht, ihre Konzerne zu verändern. Hunderttausende Menschen sind
davon abhängig, dass sich Löschers Vision
realisiert, dass in den Schwerkonzernen
neues Denken einzieht. Die Metropole, in
der in den vergangenen Jahren die Kultur
mit Museen wie dem neuen Folkwang in
Essen, den Opernhäusern in Essen und
Dortmund, der Zeche Zollverein und der
Jahrhunderthalle in Bochum gezeigt hat,
wie Aufbruch geschrieben wird, hat alle
Chancen, das veränderte Herz des Kontinents zu werden. Was nur eine logische
Fortschreibung der Geschichte wäre.
Bleibt Köln. Die Metropole an sich. Zählt
man die Einwohner, die Touristen, die
selbst ernannte Wichtigkeit und die dort lebenden Schauspieler und Selbstdarsteller,
ist die Stadt unerreicht. Köln ist Metropole,
hat den Dom, die Römer und ein Bier, das
so ähnlich heißt wie die Stadt. Köln ist Lebensfreude pur. Die Menschen sind nett,
freundlich, selbstbewusst. Nirgends ist es
schöner, in NRW, in Deutschland und auf
der Welt. Deshalb lassen sich die Kölner
auch so gern besichtigen. Vom Papst und
von Präsidenten – aus der ganzen Welt,
versteht sich. Und sollte etwas schöner
sein, dann wird nachgebaut. Wie den
neuen Hafen am Rheinufer. Düsseldorf
grüßt rheinaufwärts.
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Landschaften
Münsterland, Sauerland, Rheinland, Eifel & Weserbergland – Schönheiten mit hohem Erholungswert
Vorsicht Gegenverkehr: Der Tourismus auf 7000 Kilometern ausgebauten Radwegen wird in NRW immer beliebter
S
tefan ist der Sohn von Franz. Franz
Arning war eine Legende, vielmehr
die Küche seines Gasthauses an
einem der viel befahrenen – nein
eben nicht Straßen – Radwege im Münsterland. Fahrradfahren, Radwandern, diese entspannte Form des Erholens und Urlaubens
wurde in der grünen, flachen Ebene zwischen
Bocholt und Warendorf erfunden, gepflegt
und weiterentwickelt. „Das grüne Band“
wurde zum Markenzeichen für den rasanten
Aufschwung des Fahrradtourismus im
Münsterland und in Nordrhein-Westfalen
überhaupt und setzt sich über die
100-Schlösser-Route fort. Davon profitierte
auch Gastronom Franz Arning, der immer
mehr Hotelbetten baute und immer mehr
Touristen in seinem von grünen Weiden umgebenen Gasthof begrüßen durfte. Die Bauern in der Nachbarschaft schafften auf ihren
gepflegten Höfen die Kühe ab und stellten
Gästebetten in die umgebauten Ställe. Den
Menschen gefiel’s. Pättkestouren im Münsterland waren vor vielen, vielen Jahren der
Start in ein Marktsegment, das Land- und
Erholungstourismus heißt.
Bei Arnings, unweit von Burgsteinfurt, ist
(fast) alles so geblieben. Die Speisekarte,
die Preise – eine riesige Schinkenplatte für
6,80 Euro oder ein Schnitzel mit Beilage
für unter 10 Euro – und die Gemütlichkeit.
Die Herzlichkeit am Empfang – dafür ist
jetzt Stefan zuständig.
Arnings gibt’s viele im Münsterland, auch
am Niederrhein. Denn inzwischen sind
mehr als 7000 Kilometer Radwege in Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet und beschildert – mehr als in jeder anderen Region
Deutschlands. Doch es geht ja nicht um
größer, höher, schöner, weiter. Es geht vor
allem um die wunderbare Möglichkeit der
Erholung in Verbindung mit Reisen, Genießen, besichtigen.
Elektromobilität nun die Passstraßen des
Sauerlandes bewältigen. An 16 Verleihstationen sind die bequemen Räder auszuleihen – und es werden immer mehr.
Mit dem E-Bike ins Sauerland
Doch die meisten Menschen besuchen die
Region der tausend Hügel immer noch zum
Wandern (und im Winter zum Skilaufen).
Rothaarsteig, Sauerland-Höhenflug und Sauerland-Waldroute führen die Wanderer durch
nicht endende Fichtenwälder, wunderschöne Fachwerkdörfer und entlang großer Seen
und Talsperren. Die Hotellerie im Sauer- wie
im angrenzenden Siegerland hat sich dem
Trend der körperbewussten Erholung angepasst, und nach kräftezehrenden Fußmärschen laden zunächst Massagen, Sauna und
Badelandschaften zur Entspannung ein,
bevor dann möglichweise noch organischbiologisch erzeugte Zutaten köstlich angerichtet auf dem Teller landen. Einige Erzeuger, Köche und Wirte haben sich zu der Gemeinschaft „Westfälisch genießen“ zusammengeschlossen und pflegen eine vorzügliche Küche, zu der natürlich eines der vor
Ort gebrauten Premiumbiere gezapft wird.
In einer anderen großen zusammenhängenden Naturregion ist zwar das Fahrrad
auch gelegentlich anzutreffen, doch eher
entweder in der sportlichen, geländegängigen Form des Mountainbikes oder in der
modernen Variante als E-Bike. Ohne rasenden Puls und Schweißflecken auf den Hemden lassen sich mit umweltschonender
Was niemand vermutet: Neben den landschaftlichen Reizen bietet das Sauerland,
besonders die Region rund um Schmallenberg, interessante kulturelle Abwechslung,
sei es nun initiiert durch den örtlichen
Kunstverein oder in privaten Galerien und
einem Skulpturenpark.
Eine der wundervollsten Möglichkeiten, mit
Abwechslungen zwischen rauchenden
Stahlwerken auf der einen Seite (Duisburg)
und altrömischen Amphitheatern auf der
anderen (Xanten), bietet der RheinRadWeg
entlang des Niederrheins. Wasserschlösser,
Abteien, naturbelassene Rheinauen, restaurierte und gepflegte Städtchen, Museen mit
zeitgenössischer Kunst – alles ist auf wenigen 100 Kilometern zu besichtigen, wenn der
Radwanderer sich von langen Deichfahrten
auf den Marktplätzen in Rheinberg, Moers
oder auf Schloß Rheydt erholen möchte.
Die Eifel sorgt dafür, dass die Rheinländer
sich nicht nur entlang ihres schlängelnden
Flusses vergnügen können, sondern in wenigen Autofahrminuten von Köln und Bonn
aus hügelige, felsige, waldreiche Natur vor
Augen haben. Die vulkanischen Ursprünge
sind besonders im Süden des European
Geopark Vulkaneifel an rund 350 Ausbruchsstellen zu besichtigen. Die steinernen Zeitzeugen begegnen Ausflüglern auf Schritt
und Tritt. Der Nationalpark Eifel, der Einzige
Nordrhein-Westfalens, mit seinen knorrigen
Buchen- und Eichenwäldern, geheimnisvollen Schluchten und wilden Bächen, lädt zu
einzigartigen Wanderungen ein. Der Eifelsteig von Aachen bis Trier führt auf 313 Kilometern quer durch naturbelassene Landschaftsräume, Moore rund ums Hohe Venn
und – auf rheinland-pfälzischer Seite – zum
schroffen Dolomitfelsen bei Gerolstein.
Heilgarten Deutschlands
Genau gegenüber, am anderen Ende des
Landes, ist es auch schön. Und geschichtsträchtig. Und gesund. Dabei möchte man
fast zunächst über das Vergessen schreiben, über eine Ecke, die von den wichtigen
Menschen in den großen Städten leicht
und gerne beseitegeschoben wird: die Region Ostwestfalen-Lippe, die sich zwischen
den Höhenzügen Teutoburger Wald und
Wiehengebirge ausbreitet. Was für ein
Landstrich, zwei Millionen Menschen leben
dort in kleinen, feinen Dörfern wie Schwa-
lenberg und Borgholzhausen, in mittelgroßen Städten wie Minden, Paderborn,
Herford oder Detmold oder in der Metropole Bielefeld. Fachwerk allüberall! Besonders
gepflegt im Freilichtmuseum Detmold.
Doch wichtiger sind die feinen Bäder: Bad
Salzuflen, das Staatsbad Bad Oeynhausen
oder Bad Driburg. Im Heilgarten Deutschlands kurierten früher die Menschen der
Aufbaugeneration dieser Republik ihre körperlichen Malaisen. In der heutigen Zeit
kommen nicht nur die Alten und Kranken
zur Erholung, auch die Jungen und Bewusstlebenden lassen sich nach neuesten
Ernährungs- und Bewegungsmethoden in
den Bädern wellnessen.
In den vergangenen Jahrzehnten haben
sich sogar medizinische Wunderheiler im
NRW-Staatsbad niedergelassen. Herzspezialist Professor Reiner Körfer setzte eine
Marke, verpflanzte Herzen, als das in
Deutschland noch als waghalsiges Experiment galt. Heute ist Bad Oeynhausen auch
ein medizinisches Mekka für Menschen,
denen ihre Diabetes reichlich Beschwerden
im Alltagsleben bereitet.
Erholung, Gesundheit, Schönheit. Drei Attribute, die auf den nördlichsten Zipfel des
Landes passen. „Schweinekreis“ wird er
bisweilen despektierlich genannt. Was aber
nichts anderes heißt als: Hier ist die Welt
noch in Ordnung. Denn im bäuerlichen
Kreis Minden-Lübbecke fressen sich nicht
nur Hunderttausende Borstenviecher ihre
Schlachtreife an, auf den Wiesen hinter
gepflegten Fachwerk- und Backsteinhöfen
finden auch gepflegte Hannoveraner ihren
Auslauf. Ein äußerlicher Ausdruck von Wohlstand – und schön sieht es auch noch aus.
Wie die Mühlen. Gepflegt, restauriert, betrieben. Oft am Ufer des Mittellandkanals.
Auch dort kann man übrigens wunderbar
entlangradeln.
www.rheinradweg.net
www.100schloesserroute.de
www.eifelsteig.de
www.sauerland.com
www.vitalwanderwelt.de
www.westfaelisch-geniessen.de
www.nationalpark-eifel.de
www.lwl-freilichtmuseum-detmold.de
www.muehlenkreis.de
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Quartiere
Die besonderen Ecken in Nordrhein-Westfalen, Spurensuche in Hafenanlagen,
auf einer türkischen Hochzeitsmeile und im Revier der Kultur
Weltkulturerbe, bei Tag und bei Nacht ein wunderschönes Zeichen
50 Millionen Euro von Krupp-Legende Berthold Beitz, und der amerikanische Stararchitekt David Chipperfield
einer vergangenen Zeit – Zeche Zollverein in Essen
zauberte ein wundervolles neues Folkwang-Museum in Essen, das vorzügliche Kunst zeigt
E
igentlich gibt es nur ein Revier.
Jenes an der Ruhr, mittendrin im
Land, zwischen Rhein und Weser.
Aber dieses Revier ist auch ein
Quartier. Quartiere gibt es nicht nur entlang der Bundesstraße 1. Denn Quartiere
sind besondere Viertel und Ecken. Und
die haben ihre Mauern im ganzen Land
errichtet. Aber auch im Revier.
Hafenszene brachte ein neues Lebensgefühl nach Düsseldorf. Nun residieren die
Toten Hosen in einer ehemaligen Mehlmühle und blicken über den Rhein, wenn sie ihre
Geschäfte machen. Auch die Monkeys des
verstorbenen Künstlers Jörg Immendorff
genießen einen vorzüglichen Ausblick –
quasi vom Affenfelsen eines Galeristen hinaus auf den Fluss.
Stille, ruhige, laute und lebendige Quartiere
sind zuletzt dort entstanden, wo es Wasser
gibt. Schon wieder Wasser? NRW ist doch
ein Binnenland. NRW ist ein Land ohne Küste, und doch spielt Wasser eine so große
Rolle, dass es sich wellenförmig sogar durch
das Landeswappen schlängelt. Flüsse,
Kanäle, Hafenbecken. Das sind doch Ecken
und keine Quartiere. Waren Ecken. Denn
entstanden sind Wasserquartiere, wo in
den Städten die Hafenschuppen nicht mehr
gebraucht wurden, da sich die Transportlogistik in den letzten Jahren immer mehr
„just in time“ auf das Wasser verlagerte.
Vorbildlich, nachahmenswert. Warum nur
Düsseldorf? Münster legte nach, baute
den Stadthafen am Kanal zur Flaniermeile
um, und ein besonderer Mann sorgt für
den Anschluss an die Kulturszene. Wolfgang Hölker schlug sehr früh sein Quartier
in einem alten Backsteinschuppen auf,
integrierte seinen wundervollen Kinderbuchverlag Coppenrath am Kreativkai.
Hinter dicken Mauern lagern nun keine
Säcke mit Getreide mehr, dort wird gemalt
und getextet. Und draußen, ein stampfendes Kraftwerk als industrieller Zeuge auf
der anderen Seite vor Augen, lassen es
sich Münsteraner und Studenten gut gehen an ihrer Ufermeile, gut gehen wie an
einem mediterranen Boulevard.
Die alten Lagerschuppen, verstaubt, mit
zerborstenen Fensterscheiben und rostigen
Hebekränen davor, verkamen zu Schandflecken in den Städten. Bis sich Düsseldorf
traute, alte Mauern einzureißen und neue
aufzubauen. Der Medienhafen, entstanden
in den vergangenen knapp 20 Jahren, entwickelte sich zur bevorzugten Adresse der
Kreativen und Kommunikativen. Und zog die
Schönen und Flanierenden mit lebendiger
Gastronomie an die Uferpromenaden. Die
Düsseldorf, Münster. Weitere Hafenquartiere
gefällig? Köln baut gerade seinen alten Industriehafen zum begehrtesten Wohn- und
Büroquartier um. Der Rheinauhafen mit den
Kranhäusern als Wahrzeichen ist ein architektonisches Meisterwerk. Die Millionenstadt
am Rhein öffnet sich dem Fluss; eine städtebauliche Sanierung, die der Metropole Glanz
verpasst. Oder Neuss. Düsseldorfs Nachbarstadt auf der anderen Rheinseite. Dorthin
hatte die Hauptstadt ihren Verladehafen verlegt. Nun will Neuss zeigen, dass sich mitten
in der Stadt Industrie mit schickem Ambiente am Hafenbecken verbinden lässt.
Und das Ruhrgebiet, dort, wo die Industrie
noch immer sehr viel Raum einnimmt?
Gehen wir nach Duisburg. Duisburg hat
den größten Binnenhafen Europas, noch
immer werden dort Stahl, Erze und Kohle
umgeschlagen. Der Duisport, entstanden
auf dem Gelände des stillgelegten Stahlwerks in Rheinhausen, ist eine internationale Logistikdrehscheibe im ContainerFrachtverkehr. Duisburg kombiniert beides,
Leben und Arbeiten. In Duisburg rauchen
nicht nur Schlote und leuchten die Hochöfen beim Stahlabstich. In Duisburg lebt der
Hafen auch in der neuen Welt. Der Innenhafen macht die Innenstadt dieser Industriemetropole schön. Moderne Architektur
verknüft mit der Ansiedlung von internationalen Hightechunternehmen, umgeben von
Kulturtempeln wie dem Museum Küppersmühle, in dem sogar Maler-Ikone Gerhard
Richter ausstellte, oder der geplanten Ansiedlung des Landesarchivs von NordrheinWestfalen.
Doch der Hafen ist nicht Duisburgs einziges
Quartier. Eine 20-minütige Fahrt über Autobahnen, Brücken, Hafenbecken, Kanal und
Rhein – und man findet sich in einem weiteren Quartier. Marxloh, Duisburg-Marxloh.
Nicht Ankara, nicht Istanbul. Die Weseler
Straße, von der der Oberbürgermeister
sagen durfte, „früher war das hier die Bronx
von Duisburg“. Die mächtigen düsterschwarzen Stahlkörper des Stahlwerks
überragen die Giebel der Häuser der Weseler Straße, dunkler Rauch und schwarzer
Ruß legen sich auch nach dem Einbau diverser Filteranlagen noch immer auf Fenstersimse. Und doch ist es hier einzigartig
schön. Denn die Weseler Straße ist eines der
bekanntesten und beliebtesten Reiseziele
der deutschen türkischen Gemeinde. Selbst
aus Holland und Belgien reisen die Menschen an, um nur eines zu tun: einzukaufen
im größten Hochzeitsquartier Deutschlands.
Brautschmuck, Brautschuhe, Brautkleider,
schwarze Anzüge. Geschenkboutiquen,
alles was an Standardbedarf, außergewöhnlichen Dekorationen und Dienstleistungen
für diese Familienfeste benötigt wird, ist auf
der gut einen Kilometer langen türkischen
Hochzeitseinkaufsmeile zu haben.
Ruhrgebiet. Revier. Hinterhofromantik.
Hightechland. Der Konzern ThyssenKrupp
hat seinen neuen Konzernsitz in Essen auf
dem Boden einer Industriebrache gebaut,
Quartier genannt. Ein Quartier ist sicherlich auch das riesige, verwinkelte Gelände
der Zeche Zollverein. Weltkulturerbe, ebenfalls Essen. Zentrale Veranstaltungs- und
Begegnungsstätte der europäischen Kulturhauptstadt im vergangenen Jahr.
Die Veranstaltung zieht weiter, das Kulturquartier Revier ist geblieben. Allein in Essen. Mit der fantastischen Neugestaltung
des Folkwang-Museums hat die Metropole
ein weiteres Stück Qualitätskultur belebt.
Essen lebt von der Spendierfreudigkeit
der Barone, der Ruhrbarone, der Industrielenker. Daran ist Essen reich. Einer der
größten ist Berthold Beitz, der Vermögensverwalter des Krupp-Erbes. Der Mann hat
gespendet, und er zeigt selbst großartige
Kunst im Sitz der Kunststiftung, auf der
Villa Hügel. Sein Quartier.
Bei der Kultur stehen sie zusammen im
Revier, da machen die Menschen aus dieser
Region ein einzigartiges Quartier. Wo kann
man das besser besichtigen als bei der jährlichen Triennale. Jenes siebenwöchige Kulturspektakel in ausgedienten Werkshallen
und Industrieanlagen. Fantastisches Sprechtheater, gigantische Opern, einzigartige
Lesungen finden ihre Bühne im Landschaftspark Nord in Duisburg, auf Zeche Zollverein,
der Jahrhunderthalle in Bochum, der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck oder in
der Kokerei Hansa in Dortmund. Kultur im
Quartier, im Viertel, das Revier heißt.
www.medienhafen.de
www.rheinauhafen.de
www.innenhafen-portal.de
www.ruhrmuseum.de
www.museum-folkwang.de
www.ruhrtriennale.de
www.zollverein.de
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IMPRESSUM
Herausgeber
Ministerium für Familie, Kinder,
Jugend, Kultur und Sport
des Landes Nordrhein-Westfalen
Haroldstraße 4, 40213 Düsseldorf
Telefon: +49 211 837-02
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Gesamtverantwortung
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Projektleitung
Nils Klagge
Harald Pfenner
Chefredaktion
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Art-Direktion
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Chef vom Dienst
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Autoren
Ottmar Berbalk, Claudia Jacobs, Silke Offergeld,
Karl-Heinz Steinkühler, Thomas van Zütphen
Lektorat
Dr. Maike Kleihauer
Fotos
Oliver Krato (29);
Bochumfoto, Borussia Mönchengladbach, Arnd Bronkhorst
©
Reitstiefel Königs, Chemparc Leverkusen (2), CHIO Aachen,
Ludwig Cremer/Michael C. Klein, Deutsche Sporthochschule,
DFB (8), DFB-Fußballmuseum (2), dpa (9), Matthias Duschner/
Stiftung Zollverein, FCR Duisburg, FIVB, Folkwang Museum,
Gerry Weber Stadion, Darren Jacklin, Jochen Jansen, Detlef
Lampe/Tourismus NRW e. V., Landessportbund, Xavier Marest,
MFKJKS, MGMG, Lothar Post, Privatarchiv Quade, Privatarchiv
Seizinger (2), Uwe Riedel, Frank Rogner/Fotoagentur Netzhaut,
Ralf Sondermann, Dr. W. Sternberger, Stockheim Media, TSV
Bayer 04 Leverkusen (2), VFL Bochum, Heinz Zaunbrecher
Druck
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Konzeption und Produktion
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Redaktionsschluss
6. Juni 2011
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