Patient als Experte in eigener Sache.
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Patient als Experte in eigener Sache.
Norbert K. Mülleneisen Asthma und Allergiezentrum Leverkusen Leverkusen, 18.06.2009 Impulsreferat für den Round Table der Selbsthilfegruppen am 20.6.2009 in Köln „Patient als Experte in eigener Sache.“ Der Patient ist Experte in eigener Sache. Natürlich möchte man sofort zustimmen. Er ist ja derjenige von dem ich seine Symptome lerne und der mir sagt ob meine Behandlung wirkt. Es gibt jedoch 2 Faktoren die die Aussage: „Der Patient ist Experte in eigener Sache“ problematisch machen. Kommunikationsstörungen durch Sprachbarrieren oder durch „nicht-intelligente“ Patienten sind häufig und der überhebliche, ungeduldige Arzt mit aber überlegenem Sachwissen ist nicht selten. Es gibt in meinem Leben ein paar Schlüsselerlebnisse in Sachen Patient ist Experte in eigener Sache. Ich möchte Ihnen eines mal schildern. Ich hatte als jüngster Assistenzarzt in der Uniklinik nach 6 Monaten schon an der Ambulanzsprechstunde unserer Abteilung teilzunehmen. In die pneumologische Ambulanz der Uni wurden von niedergelassenen Lungenärzten die Problemfälle geschickt. Also die Fälle mit denen erfahrene Niedergelassene Ärzte nicht mehr klar kamen. Asthma und COPD ging ja noch, aber bei Sarkoidose hatte ich einfach keine praktische Erfahrung. Da half mir ein Patient der mir ein Mitteilungsblatt der Sarkoidosevereinigung gab. Und seit der Ausgabe 2 also seit über 26 Jahren bin ich nun Bezieher dieses Infoblattes der „Sarkoidose Informationen“. Ich habe gelernt, dass es langsame Verläufe gibt, die erst mal mit jahrelanger „Frühjahrsmüdigkeit“ einhergehen, bevor oft erst zufällig nach Jahren im Röntgenbild der Lunge die Erkrankung entdeckt wird. Dies stand damals in keinem Lehrbuch. Ich bin der SHG heute noch dankbar für diesen Realitycheck. Es war eine Schule der Demut und falls ich damals überheblich war, habe ich es jedenfalls schnell ablegen müssen. Ungeduldig bin ich sicher immer noch manchmal, aber je älter ich werde desto gelassener werde ich und auch dabei helfen SHG. „Nicht-intelligente“ Patienten bleiben ein Problem und auch dabei helfen SHG. Es ist für mich immer wieder faszinierend zu sehen, dass selbst Patienten, die man vermeintlich gut aufgeklärt hat oder, wie in meinem Fall, sogar im Rahmen einer Asthma-Schulung über 6 Zeitstunden intensiv über ihre Erkrankung aufgeklärt hat, dass diese Patienten, wenn man sie dann ein paar Monate später befragt, scheinbar wieder alles vergessen haben. Hier liegt eine große Chance der Selbsthilfegruppen für Transparenz und Nachhaltigkeit zu sorgen. Es ist nun mal einfacher einen Leidensgenossen zu fragen: „Hör mal hast Du das verstanden was der Doktor mir da erklärt hat“, als den Arzt erneut zu fragen, der ja erkennbar gehetzt durch die Praxis läuft und das schon 2x erklärt hat. Da spielt auch Scham und falsch verstandene Rücksicht mit rein. 1 Norbert K. Mülleneisen Asthma und Allergiezentrum Leverkusen Übrigens helfen auch andere Player im System. Wir Pneumologen haben in einem aufwändigen Konzept über 4000 Apotheker bzw. Apothekenangestellte in Nordrhein im Erklären der verschiedenen Inhalatoren zur Asthmabehandlung geschult. Die können also mehr als nur das Medikament verkaufen. SHG gehen auch zunehmend dazu über Patientenkongresse zu veranstalten auf denen hochrangige Experten laienverständlich über Erkrankungen berichten. Hierbei haben die Betroffenen die Möglichkeit, regionale und überregionale Experten zu befragen und sich so eine zweite Meinung einzuholen. Das 3. Symposium Lunge im Industriemuseum Henrichshütte in Hattingen am 3.10.2009, der 1. Leverkusener COPD-Tag am 9.5.2009 oder die Patiententage des Deutschen Allergie und Asthmabundes seien hier beispielhaft genannt. Ich habe als Arzt immer für SHG geworben, weil mir der Sinn sofort einleuchtete und ich als Arzt davon profitierte. Übrigens hilft m.E. auch eine Vernetzung der SHG untereinander. Ich war mal bei der SHG Skoliose eingeladen und hab über Atempumpenschwäche, ein häufiges Problem im Verlauf bei Skoliose, gesprochen. Anwesend und den Vortrag nach mir hielt eine Vertreterin der SHG Sauerstofflangzeittherapie. Eine schöne und sinnvolle Kooperation. Auch mein Besuch bei der SHG Multiple Sklerose in Leverkusen ist mir noch sehr gut in Erinnerung. Ich war verblüfft über die Einladung, aber viele MS-Kranke haben Atemmuskelprobleme, Schluckstörungen und verschlucken sich auch leicht. Lungenentzündungen sind dann oft schwer und rezidivierend. Das erklärt warum meine Hinweise auf Atemtherapie, Schlucktraining und Pneumonieprophylaxe auf fruchtbaren Boden fielen. Da sich bisher wenig Patienten zu mir verirrten hatte ich keine Ahnung wie häufig dieses Problem bei MS ist. Nun tauschen sich SHG offenbar immer öfter untereinander aus und das ist auch gut so. Ich glaube eine Reihe von Einladungen, kommen auf diesem Wege zustande. Das ist auch gut so, soll aber nicht zu Fanclubs führen, was manchmal aber entsteht. Es gibt SHG die von Ärzten mitgegründet wurden und sogar eine die als Vorsitzende derzeit eine Ärztin hat, weil sich kein Patient für den Job gefunden hat. SHG mit Ärztebeteiligung sind m.E. die besten. Das meine ich nicht weil ich selbst mal eine mitgegründet habe, sondern weil so noch am ehesten Verhindert wird, dass sich SHG in esoterische Therapien verrennen. Ich habe mal ganz zu Beginn meiner Niederlassung eine SHG besucht die sich mit Allergien beschäftigte und weil ich den Dachverband der SHG schätze. An dem Abend war ein Arzt zum Vortrag eingeladen, der die Vorteile der Aloe vera in der Behandlung von Neurodermitiskindern über den grünen Klee lobte. Es war wie bei einer Rheumadeckenfahrt. Ich habe mich nicht zu erkennen gegeben und fühlte mich extrem unwohl. Eltern die Kinder mit Neurodermitis haben, klammern sich an jeden Strohhalm. 2 Norbert K. Mülleneisen Asthma und Allergiezentrum Leverkusen Damit kann man in SHG auch Kasse machen. Da liegen Gefahren. Wer z.B. um die hohe Plazebowirkung bei Allergiebehandlungen weiß, kann rasch zum Guru einer SHG mutieren. Das sollten alle bedenken die jetzt so unkritisch nach Arztbewertungen im Internet rufen. Ich kann auch eine SHG zum Fanclub machen und die jubeln mich im Internet hoch. Wenn man sich verschiedene Arztbewertungsportale im Internet ansieht und auch liest, was z.B. die AOK jetzt mit einem Arztbewertungsportal vor hat, nämlich insbesondere die Servicequalität der Arztpraxen danach zu beurteilen, wie die Wartezeit ist oder die Praxisorganisation, dann frage ich mich als Arzt, ob dies eine wirklich relevante Beurteilung ist. Was will denn der Patient wirklich? Will er schnell dran kommen und schnell wieder draußen sein? Warum geht man denn zum Arzt? Um eine möglichst kurze Wartezeit zu haben oder um behandelt zu werden? Und wenn man behandelt werden will, was ist das Begehren? Man möchte doch wieder gesund werden oder zu mindestens in den Beschwerden gelindert und gebessert werden. Also letztlich sind doch outcome-relevante Faktoren für den Patienten entscheidend. Dabei muss man unterscheiden, zwischen chronischen Erkrankungen und akuten Erkrankungen. Bei chronischen Erkrankungen spielt zugegebenermaßen die Prozessqualität eine höhere Rolle, als die Ergebnisqualität. Hier spielen also Faktoren wie Servicefreundlichkeit u.a. eine Rolle. Aber auch hierbei ist die Wartezeit nur von untergeordneter Bedeutung. Eine krankenhauszentrierte Studie brachte kürzlich zu Tage, dass ein Unterschied zwischen Privatpatienten und Kassenpatienten bei ausgewählten elektiven Operationen wie Herzbypass (Kardiologie) oder zervikale Konisation (Gynäkologie) oder Weber-BFraktur (Chirurgie) nur bei einem ¼ aller Krankenhäuser überhaupt auftrat. D.h. nur ¼ aller Krankenhäuser fragt bei der Anmeldung nach, wie der Patient versichert ist. Und bei diesen Krankenhäuser, also einem ¼ aller Krankenhäusern, ¾ machen also überhaupt keinen Unterschied zwischen Privat und Kasse, nur bei einem ¼ dieser Krankenhäuser wurde also nachgefragt und hier betrug der Unterschied statt 9 Tage, 10½ Tage, also 1½ Tage Unterschied bei einem elektiven Eingriff. (1) Ich glaube nicht, dass Wartezeit wirklich ein objektives Kriterium sein kann, für die Beurteilung der Qualität ärztlicher Leistungen im Krankenhaus und ich sage jetzt einfach mal analog auch in der Praxis. Wartezimmeratmosphäre, Praxisorganisation, Freundlichkeit der Helferinnen (ich freue mich ja immer, wenn meine Helferinnen am Empfang sitzen und die Männer sich dann am Empfang aufstützen und den Damen in den Ausschnitt schauen), aber ein relevantes Kriterium für die Praxisauswahl oder ob das eine gute oder schlechte Arztpraxis ist, kann das ja wohl unmöglich sein. 3 Norbert K. Mülleneisen Asthma und Allergiezentrum Leverkusen Ein Beispiel zu Wartezeiten aus dem Alltag: Ein Patient kommt ins Sprechzimmer und sagt er habe ja nix dagegen, dass sein alter Chef, der Ihm bekannte Direktor des großen Chemieunternehmens, vor Ihm dran gekommen sein, der sei ja auch Privatpatient aber er habe jetzt schon 2 Stunden in der Praxis verbracht und wolle jetzt langsam nach Hause. Ein kurzer Blick ins Terminbuch klärt auf. Der alte Chef ist bei der BKK und nicht privatversichert, sein schneller Termin erklärt sich dadurch, dass er ausschließlich zur Blutentnahme gekommen war und mein klagender Patient als Notfall Anamnese, Untersuchung, Röntgenbild, EKG, Lungenfunktion, Blutgasanalyse und Labor zum Ausschluss einer Lungenembolie erhalten hat. Sein Kommentar, nicht etwa Dank für die gründliche Untersuchung, sondern: dass der nicht Privatversichert ist erstaunt mich jetzt aber sehr… Selbsthilfefreundlichkeit ist da schon eher ein Kriterium. Selbsthilfefreundlichkeit heißt, dass ich alle Informationen, die krankheitsbedingt für den Patienten von Bedeutung sind, nicht nur dem Patienten mündlich vermittle, sondern ggfs. auch mit Hilfe von Flugblättern, aber vor allen Dingen auch durch Angabe von Selbsthilfegruppen, in denen er sich weitergehende Informationen besorgen kann. Ärzte, die sich aktiv um ihren blinden Fleck in der Vermittlung von Informationen an Patienten kümmern, sind m.E. qualitativ besser, als Ärzte, die dies nicht tun. Ich tue dies u.a. mit Hilfe von selbstgemachten Flugblättern zu einzelnen Erkrankungen die ich den Patienten zum vertieften Studium für zuhause mitgebe. Beim Thema Rauchen/Nikotinentwöhnung verweise ich im Flugblatt z.B. auf die Raucherselbsthilfegruppe in Leverkusen, bei Sarkoidose auf die Deutsche Sarkoidose Vereinigung und bei Sauerstofflangzeittherapie auf die LOT-Selbsthilfeorganisation für Sauerstofflangzeittherapie. Noch wichtiger für mich, ist aber die Fehlerquote bzw. der Umgang mit Fehlern in der Praxis und die Vermeidung von Fehlern. Der offene Umgang mit Fehlern, das Bemühen aus Fehlern zu lernen und Fehler systematisch zu vermeiden, sind m.E. die Königsdisziplin und ich habe da auch noch kein Patentrezept. Hierüber könnte man vielleicht mal künftig mit den Selbsthilfegruppen im Rahmen eines Round table ins Gespräch kommen. Auch ist die Befolgung von Leitlinien m.E. ein Qualitätskriterium. Es wird in diesen Tagen ja immer wieder darüber gestritten, inwieweit eine individualisierte Medizin besser ist, als die Befolgung von Leitlinien. Auf dem EAACI-Kongress in Warschau jetzt im Juni 2009 gab es mehrere Sitzungen, die die Zukunft einer individualisierten, an Gentechnik und anderen Faktoren orientierten Medizin, für die Zukunft an die Wand malten. Diese schöne, neue Welt in der individualisierten Medizin in der Pneumologie zeigt m.E. nur umso mehr die Notwendigkeit auf, sich fortzubilden und was Standard in der Medizin anbelangt, auf dem neusten Stand zu bleiben. Aber genau dies wird immer schwieriger durch den Wissenszuwachs, d.h. das Wissen der Ärzte veraltet und dadurch kommt es zu 4 Norbert K. Mülleneisen Asthma und Allergiezentrum Leverkusen Behandlungen, die nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. Es ist also m.E. wichtig, dass man die richtige Balance zwischen ganzheitlicher Medizin und Spezialisierung findet und sich in den Fällen, wo man nicht spezialisiert ist, der Hilfe anderer bedient. Auch hier kommt die Selbsthilfe wieder ins Spiel, die Informationen auf Art und Weise geben kann, wie sie ein Arzt niemals schaffen wird. Ärzte sollten also hier aus eigenem Interesse zusammen arbeiten. Lassen Sie mich Ihnen zum Abschluss ein Beispiel erzählen, in dem Schlagartig der Unterschied zwischen Serviceorientiertheit und Qualität deutlich wird. Ich hatte ein Gutachten zu erstellen, für eine Arzthaftpflichtversicherung und folgendes war passiert: Ein Arzt hatte über 1 ½ Jahre einen Patienten immer wieder Rezepte für ein Asthma ausgestellt, kurzwirksame Betamimetika, also symptomatisch wirkende Medikamente und zwar in einer relativ hohen Dosierung, weil das Asthma ganz offenkundig schlecht eingestellt war. Er hatte den Patienten aber nie gesehen, keine Lungenfunktion gemacht, nie kontrolliert, trotzdem aber hyposensibilisiert und ein schlecht eingestelltes Asthma ist eine klassische Kontraindikation für eine Hyposensibilisierung. Der Patient war aber selbständiger Kioskbesitzer und offensichtlich froh darüber, dass die Arztpraxis so serviceorientiert war, dass er immer dann, wenn er gerade Zeit hatte in die Praxis kommen konnte, seine Spritze von der Arzthelferin bekam, ein Rezept vom Arzt im Vorbeigehen an der Theke ausgestellt bekam und er schnell wieder die Praxis verlassen konnte. Dies führte nun leider dazu, dass er dann, als er mit seinem Rezept in der Apotheke stand einen anaphylaktischen Schock erlitt, einen Sauerstoffmangelzustand entwickelte, weil es zu lange dauerte, bis die Reanimation einsetzte und er jetzt vollständig gelähmt im Koma liegt und sich über seine Servicequalität der 1 ½ jährigen Behandlung in der Arztpraxis nicht mehr freuen kann. Kurze Wartezeit war in diesem Falle ein negatives Qualitätsmerkmal. Die Bewertung von Arztpraxen kann sicherlich auch nach der Wartezeit und der Servicefreundlichkeit erfolgen. Ich warne jedoch sehr davor, dies zu einem Hauptkriterium für die Bewertung von Arztpraxen zu machen. Nicht zuletzt deswegen, weil ich selbst dann ein sehr schlechter Arzt wäre. Denn bei mir warten sie u.U. sehr lange auf eine Behandlung und wenn sie dann in der Praxis sind, sind sie nicht nach 5 Minuten wieder raus. Dafür nehme ich mich aber auch die Zeit, Ihnen möglichst genau ihre Krankheit und die Behandlung zu erklären. Und ich gebe Ihnen nicht nur über einen Aushang im Wartezimmer, an dem alle für mein Fachgebiet relevanten Patientenselbsthilfegruppen hängen, Informationen mit Hinweisen auf Selbsthilfegruppen mit. Ich habe Ihnen einige meiner Flugblätter mit Hinweisen auf SHG zur Orientierung mal mitgebracht. Mit freundlichen Grüßen Norbert K. Mülleneisen 5 Norbert K. Mülleneisen Asthma und Allergiezentrum Leverkusen Quellen: 1. Warten gesetzlich Versicherte Länger? D. Sauerland et.al. Gesundh ökon Qual manag 2009;14:86-94 6