Lovely Planet Titelthema Saubere Ozeane Physician Assistant
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Lovely Planet Titelthema Saubere Ozeane Physician Assistant
Magazin für Angewandte Wissenschaften 3/2014 Lovely Planet Titelthema Und nun zum Wetter: Wenn Forscher versuchen, auf das Klima einzuwirken Saubere Ozeane Der gemeinsame Kampf gegen Plastikmüll in den Weltmeeren Physician Assistant Der „kleine Arzt“: Ein neuer Beruf kann das Gesundheitssystem entlasten Fachbereich Wirtschaft & Medien Fachbereich Gesundheit & Soziales Business School, Media School, Psychology School, International Business School, Business Academy Fresenius Axel Springer, BBDO Proximity, Constantin Entertainment, ifp – Institut für Personal- und Unternehmensberatung, PricewaterhouseCoopers, Vodafone Medical School FREI AG, Universitätsklinikum Frankfurt, Universitätsklinikum Köln, Krankenhaus Nordwest (FFM), Kliniken der Stadt Köln gGmbH Grafik Hochschule Fresenius „Wir zeigen talentierten jungen Menschen spannende berufliche Einstiegs- und Karriereperspektiven.“ Leyla Samadi, Projektleiterin für Employer Branding und Personalmarketing der Peek & Cloppenburg KG, Düsseldorf Fachbereich Chemie & Biologie Fachbereich Design School of Chemistry, Biology & Pharmacy AMD School of Design, AMD School of Fashion Analytik Jena AG, Biogrund GmbH, Chemische Fabrik Kreussler & Co. GmbH, DiaSys Diagnostic Systems GmbH, PROCESS.ING Technology, SGS INSTITUT FRESENIUS GmbH, Spectro Analytical Instruments AMD Akademie Mode & Design, Karstadt, Marc O’Polo, New Yorker, Peek & Cloppenburg, Roeckl Handschuhe & Accessoires, TOM TAILOR 1848 › Magazin für Angewandte Wissenschaften Die Welt von übermorgen ... ... ist ein überaus gesellschaftsrelevantes und wichtiges Thema. Wie entwickeln sich Denkweisen in einer sich ständig verändernden und komplexer werdenden Wirklichkeit? Wie setzt man kreative Visionen und Erfindungen um, angesichts der knapper werdenden Ressourcen? In der aktuellen Ausgabe unseres Magazins 1848 widmen wir uns deshalb dem „Übermorgen“ – einer Zukunft also, die auf Innovationen in der Forschung und in dem Bewusstsein des Menschen für seine Lebenswelt setzt. Wir begeistern uns für Ideen, die einmal helfen können, diesen Planeten zu einem besseren Ort zu machen. In unserer Titelgeschichte über den Klimawandel (S. 6) skizzieren wir, dass schon in 90 Jahren viele Teile der Erde unter Wasser stehen könnten, sollte sich der CO2 -Ausstoß nicht verringern. Doch es gibt Hoffnung – und die setzen Forscher gerade in einen der Hauptverursacher des Treibhauseffekts: den Menschen. Gleiches gilt für die gigantischen in den Ozeanen schwimmenden Plastikmüllteppiche. Untersuchungen wie die von Professor Thomas Knepper, Dekan des Fachbereichs Chemie & Biologie an der Hochschule Fresenius, und dem Studierenden Sascha Klein tragen dazu bei, ein allgemeines Bewusstsein für diese Problematik zu entwickeln: Die Forscher haben sich mit sogenannten Microplastics in Flüssen beschäftigt und dort erstaunliche Entdeckungen gemacht (S. 12). An der HHL Leipzig Graduate School widmet man sich schon lange dem Thema Leadership und den Anforderungen an Führungskräfte von morgen. In einem Doppelinterview spricht der erfolgreiche Unternehmer und ehemalige Präsident des Stifterverbandes sowie Förderer der HHL Dr. Arend Oetker mit einer Studierenden darüber, was es heute bedeutet, ein guter „Leader“ zu sein (S. 14). An der Hochschule Fresenius werden moderne Lehr- und Lernformen eingesetzt, die vor allem durch viele Praxisbezüge und die Lebendigkeit des Unterrichts geprägt sind. In den vergangenen beiden Ausgaben unseres Magazins 1848 konnten unsere Leser unter der Rubrik Kopfkino-Regisseure einen konkreten Eindruck davon gewinnen. Nur durch eine interessant gestaltete Lehre begeistert man die junge Generation. Umso mehr freut es uns daher, dass gerade erst Professor Thorsten Daubenfeld vom Fachbereich Chemie & Biologie der Hochschule Fresenius mit dem Ars legendi-Fakultätenpreis für exzellente Hochschullehre ausgezeichnet wurde. Seine innovativ konzipierten und didaktisch hochreflektierten Lehrveranstaltungen sind ganz individuell auf die Studierenden zugeschnitten. Insbesondere für seine „virtuelle Praktikumsvorbereitung“ wurde Daubenfeld hoch gelobt. Einen herzlichen Glückwunsch von uns an dieser Stelle! Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Marcus Pradel 3 4 6 12 14 17 18 19 20 22 23 Editorial, Impressum, Inhaltsverzeichnis Der „kleine Arzt“: Das Ass im Ärmel Titelthema: Lovely Planet Plastikmüll: Die stille Macht im Meer Gespräch Führung: Dr. Arend Oetker Berufswelt: Hier entlang, bitte! Industrie 4.0: Eine intelligente Kette Interview Smart Grids: Prof. Jens Strüker Mode: Einen Schnitt voraus Karriere: Von einem, der auszog ... Zahlen & Fakten: Gut zu wissen › Impressum Herausgeber: Botho von Portatius, Präsident der Hochschule Fresenius Idstein/Hessen Verantwortlich für den Inhalt: Prof. Dr. Marcus Pradel, Vizepräsident der Hochschule Fresenius für Hochschulentwicklung und Hochschulmarketing (V. i. S. d. P.) Projektleitung Hochschule Fresenius: Alexander Malek, Melanie Behrendt, Melanie Hahn Verlag: TEMPUS CORPORATE GmbH - Ein Unternehmen des ZEIT Verlags, Büro Berlin: Askanischer Platz 3, 10963 Berlin / Büro Hamburg: Pressehaus, Buceriusstraße, Eingang Speersort 1, 20095 Hamburg Geschäftsführung: Ulrike Teschke, Manuel J. Hartung Projektleitung: Dr. Regine Brandtner Redaktionsleitung: Andin Tegen Textchefin: Bettina Schneuer Autoren: Jochen Brenner, Andin Tegen Artdirektion: Alex Ketzer Bildredaktion: Maja Metz Korrektorat: Carolin Mader Druck: Mohn media Mohndruck GmbH, Carl-Bertelsmann-Straße 161M, 33311 Gütersloh Herstellung: Dirk Schmoll Druckauflage dieser Ausgabe: 228.000 Liegt bei in: DIE ZEIT (Teilauflage) Kontakt: Hochschule Fresenius, gem. GmbH, Limburger Straße 2, 65510 Idstein, 1848@hs-fresenius.de Titelbild: plainpicture / Lubitz + Dorner ›3 Gesundheit Das Ass im Ärmel Sie legen Venen frei, stellen Verdachtsdiagnosen oder erklären Patienten Krankheitsbilder: Physician Assistants könnten mit ihrer Kompetenz den Klinikalltag erheblich erleichtern. Nun wächst die Hoffnung, dass dieser Beruf auch in Deutschland anerkannt wird. Text Andin Tegen · Foto CandyBox Images / Fotolia.com W enn Professor Jens Kordelle um 6 Uhr morgens in die Klinik kommt, weiß er meistens, dass er die nächsten 13 Stunden durcharbeiten wird. Nachdem der Chefarzt die Patienten begutachtet und entschieden hat, welche Behandlung sie bekommen sollen, beantwortet er EMail-Anfragen. Danach stehen bis zu vier Operationen an. Mittagspause? Keine Zeit. Gegen 16 Uhr tauscht er wieder Grün gegen Weiß, seine OP-Kleidung gegen einen Arztkittel, und bespricht das Nachsorgeprogramm. Später untersucht er neue Patienten, hält Vorträge oder erledigt bürokratische Aufgaben. Um 19 Uhr macht er Feierabend. Doch damit ist seine Arbeit noch lange nicht beendet: Zu Hause schreibt er oft noch stundenlang an wissenschaftlichen Publikationen, bereitet Vorlesung und Vorträge vor. Kordelle ist Chefarzt im AGAPLESION Evangelisches Krankenhaus Mittelhessen und Dozent im Fachbereich Gesundheit an der Hochschule Fresenius. Bei ihm und seinen Arztkollegen sammeln sich monatlich bis zu 20 Überstunden an, die Arbeit zu Hause nicht mit eingerechnet. In Zukunft ›4 könnten es für ihn – und die meisten Ärzte in Deutschland – noch viel mehr werden. Bis zum Jahr 2030 werden dem Gesundheitssystem laut einer Studie der BertelsmannStiftung von 2013 rund 500.000 Pflegekräfte fehlen. Immer mehr chronische Alterskrankheiten werden aufgrund des demografischen Wandels behandelt werden müssen: Sechs Millionen Menschen leiden in Deutschland schon heute an Diabetes, fast ein Viertel aller 80- bis 90-Jährigen sind dement. Auch Osteoporose, Arthrose oder Venenleiden gehören zu den behandlungsintensiven Krankheiten, die weit mehr Personal erfordern, als zur Verfügung steht. Für das deutsche Gesundheitssystem könnte es jedoch bald einen Hoffnungsschimmer geben: den sogenannten Physician Assistant, kurz PA. Dabei handelt es sich um einen Arztassistenten, der delegierte ärztliche Leistungen übernimmt. Er kann vorbereitend Arztbriefe schreiben, Befunde zusammensuchen, einen Teil der Kommunikation mit den Patienten erledigen. In der Herzchirurgie kann der PA etwa eine Vene des Patienten freilegen, so dass der Chirurg nur noch den Bypass legen muss. Bei 1848 › Magazin für Angewandte Wissenschaften jeder Tätigkeit steht er unter der Verantwortung eines approbierten Arztes. „Da es keine strukturierte Ausbildung zum PA gab, haben die Kliniken durch Weiterqualifizierung von eigenem Personal versucht, verschiedene Assistenzfunktionen selbst abzudecken“, sagt der Dekan des Fachbereichs Gesundheit und Vizepräsident der Hochschule Fresenius, Professor Achim Jockwig. „Sie werden dort eingesetzt, wo sie am meisten gebraucht werden.“ Doch gerade weil Arztassistenten so vielseitig einsetzbar sind, herrscht oft Verwirrung über ihre konkreten Aufgabenbereiche. Sie werden in vielen Krankenhäusern bereits unter anderen Namen eingesetzt, etwa als Chirurgisch-Technische Assistenten (CTA) oder ChirurgischOperative Assistenten (COA). Letztere können im OP zum Beispiel desinfizieren, Patienten abdecken, Haken halten oder Wunden zunähen. Bisher sind die fachlichen Voraussetzungen für die Ausbildung eines Arztassistenten, zu denen ja auch der PA zählt, noch nicht einheitlich geregelt. „Durch eine praxisorientierte akademische Ausbildung kann man die hohen Anforderungen an diesen Beruf sicherstellen und junge Leute begeistern.“ Die mangelnde Struktur und die fehlenden Rahmenbedingungen der verschiedenen Weiterqualifizierungen sorgen für Verunsicherung bei Krankenhausmitarbeitern, das bestätigt auch der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC). „Wir wollen und müssen das riesige Potenzial des Physician Assistant deutlich machen“, bekräftigt Jockwig. „Durch eine praxisorientierte akademische Ausbildung kann man die hohen Anforderungen an diesen Beruf sicherstellen und junge Leute begeistern.“ In anderen Ländern gäbe es schon seit Jahrzehnten zahlreiche positive Beispiele für den Einsatz dieser Fachkräfte. Mit dem Bachelor-Abschluss zum Physician Assistant an der Hochschule Fresenius haben Studierende nun beste Berufsaussichten auch über die Landesgrenzen hinaus. Der sogenannte „kleine Arzt“ soll einen Anreiz liefern, der sich vom klassischen Medizinstudium unterscheidet: An der Hochschule Fresenius dauert das Studium zum Physician Assistant acht Semester, das Medizinstudium an einer Universität dagegen durchschnittlich 13. Unterrichtet werden die naturwissenschaftlichen Grundlagen und die Medizin-Fächer. Doch anders als an der Universität ist der Numerus clausus bei der Aufnahmeprüfung nicht entscheidend. „Wir wollen wissen, ob sich jemand wirklich für die Arbeit mit Patienten berufen fühlt“, sagt Jockwig und weist darauf hin, dass beim Auswahlverfahren auch Psychologen beurteilen sollen, welche Kandidaten sich eigneten. Der Beruf hat eine lange Tradition: Schon als sich Mitte der Sechziger in den USA ein Mangel an Allgemeinärzten in ländlichen Regionen abzeichnete, konnte man auf die zahlreichen gut ausgebildeten Sanitäter der US-Streitkräfte zurückgreifen, die aus dem Vietnamkrieg zurückgekommen waren. Ohne die staatlich anerkannten PAs stünde das amerikanische Gesundheitssystem heute vermutlich › Sorge um den deutvor massiven Versorgungsproblemen. Einige von ihnen be- schen Patienten treiben Praxen in abgeschiedenen Gebieten, die manchmal Schon heute wird etwa die Hälfte mehrere Autostunden entfernt von der nächsten Klinik lie- aller Ausgaben in gen. Sie stehen dabei unter der Supervision eines Arztes, der Gesundheitsversorgung von den sie bei Fragen anrufen können. Das Ausmaß der be- Menschen über 65 ruflichen Autonomie des PAs wird vom verantwortlichen Jahren in Anspruch Laut Supervisor festgelegt und kann beträchtlich variieren. Im genommen. einer aktuellen Vergleich zu seinem Namensvetter in den Vereinigten Staa- Studie des Deutschen Instituts für ten steht der PA in Deutschland noch ganz am Anfang. Gesundheitsfor Was steht einer staatlichen Zulassung des PA also noch schung machen die im Wege? „Unter anderem geht es bei der Diskussion um über 65-Jährigen einem Anteil von die rechtliche Einordnung“, erklärt Jockwig. „Die Delegati- gut 20 Prozent an on ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal durch der Gesamtbevölden Facharzt ist rechtlich zulässig – der Arzt übernimmt kerung aus. Für die am schnellsten entsprechend dafür die Verantwortung.“ Das Dilemma, das anwachsende Bevölsich daraus ergibt, lässt sich ihm zufolge leicht veranschau- kerungsgruppe, die über 85-Jährigen, lichen: Auf der einen Seite schränkt es das eigenständige sind es heute beHandeln des PAs ein und er muss Rücksprache mit dem reits über 10 ProArzt halten, auf der anderen Seite trägt der Arzt die End- zent der gesamten Krankheitskosten. verantwortung für fehlerhafte Diagnosen oder Handlungen 37,4 Prozent aller Beschäftigten sind des Arztassistenten. heute im Pflegebe Das Problem der Haftbarkeit haben auch andere Län- reich tätig, 12,4 der erkannt. In Schweden etwa arbeiten PAs daher in grö- Prozent arbeiten ärztlicher ßeren Teams zusammen. „Dort stellen immer mehrere in Tätigkeit und 7,2 PAs eine Diagnose, das funktioniert – sie machen durch- in therapeutischen schnittlich nicht mehr Fehler als Ärzte.“ Die Hochschu- Berufen. le Fresenius wolle mit dem PA nicht den Arzt ersetzen, sondern eine dringend notwendige kooperative Aufgabenteilung erreichen. Auch Professor Kordelle vertraut den Leistungen des PA: „Es gibt genügend Tätigkeiten, die nicht unmittelbar von den Ärzten überwacht werden müssen und mit deren Verrichtung PAs den Klinikalltag erheblich erleichtern würden“, sagt der Orthopäde. Er weiß um die Dringlichkeit, den Beruf so schnell wie möglich staatlich anerkennen zu lassen, schließlich erlebt er den Personalmangel jeden Tag aufs Neue. In Jockwigs Augen sollte die Debatte um das Thema nicht endlos fortgeführt werden, denn in der Berufspraxis werden schon jetzt viele Fachkräfte benötigt. „Der PA leistet einen großen Beitrag zur Fachkräftesicherung“, sagt der Professor, „und das ist wichtig, damit die Gesundheitsversorgung nicht vollkommen aus dem Ruder läuft.“ | Physician Assistant (B.Sc.) Mit dem praxisorientierten Studienkonzept des Physician Assistant (B.Sc.) bietet die Hochschule Fresenius in Frankfurt am Main eine neue Berufsperspektive im medizinischen Bereich. Der Bachelor-Studiengang beginnt erstmals im Wintersemester 2014/2015 und orientiert sich an den Inhalten des klassischen Medizinstudiums. ›5 Titelthema › Wird der Klimwandel bedrohlich oder nicht? ›6 1848 › Magazin für Angewandte Wissenschaften Ein schmaler Grat Naturgewalt Mensch: Er ist verantwortlich für globale Bedrohungen wie saure Ozeane, eisfreie Polkappen, massive Hitzewellen – und zugleich die einzige Macht, die solche Szenarien verhindern kann. Während wir Menschen unser Verhalten von jetzt an ändern müssten, versuchen Geo-Ingenieure schon seit Längerem, das Klima künstlich zu beeinflussen. Text Andin Tegen · Fotos Seite 6-7 plainpicture / Mia Takahara, privat (1) Grafik Artur Bodenstein (Idee), Hochschule Fresenius (Umsetzung) S Seite 8-9 echs Meter unter der Wasseroberfläche im Indischen Ozean, zwischen Algen und Zebrafischen, die im Sonnenlicht schillern, sitzen 14 Politiker an einem Konferenztisch. Sie tragen Taucheranzüge, Tisch und Stühle sind im Meeresboden verankert. An diesem Tag, es ist der 17. Oktober 2009, unterzeichnen die Kabinettsmitglieder der maledivischen Regierung ein wasserfestes Dokument, vielleicht das wichtigste in der Geschichte ihres Inselstaats. Darin rufen sie die internationale Gemeinschaft auf, in deren Mitgliedstaaten den Kohlendioxidausstoß ein für alle Mal drastisch zu senken. Wenn das nicht geschehe, werde ihre Heimat noch vor Ende des Jahrhunderts vom Ozean überschwemmt sein; auch die Flutmauern um ihre Hauptstadt könnten dann nichts mehr ausrichten. Das Ende eines Paradieses. Etwa 8000 Kilometer Luftlinie von diesem Paradies entfernt, in einem grauen Funktionsbau nahe dem Campus der Stadt Hamburg, sitzen einige der Wissenschaft- Stefan Körber / Fotolia.com, privat (2) lerinnen und Wissenschaftler, die möglicherweise dazu beitragen können, den weltweiten CO 2 -Ausstoß in Zukunft einzudämmen. Die Mitarbeiter des Max-PlanckInstitutes für Meteorologie (MPI-M) haben mithilfe aufwendiger Klimamodelle untersucht, wie unsere Umwelt in Zukunft aussehen könnte – auch wenn sich der Planet sogar auf mehr als zwei Grad über jenes Durchschnittsniveau, das vor der Industrialisierung herrschte, erhitzen sollte. Auf dieses sogenannte Zwei-Grad-Ziel hatte sich die Staatengemeinschaft auf dem Klimagipfel geeinigt, um dem Treibhauseffekt entgegenzuwirken. Die Ergebnisse der MPI-M-Forscher sind in den aktuellen Bericht des Weltklimarats geflossen, den IPCC-Report, an dem rund 260 Wissenschaftler aus aller Welt mitgearbeitet haben. Er gilt als Grundlage für die Uno-Klimaverhandlungen, und aus ihm geht Alarmierendes hervor: In Zukunft werden sich die Ozeane erwärmen, Eisschilde an Masse verlieren, viele Gletscher, die auch als Trinkwasserressourcen dienen, komplett verschwinden, › ›Jochem Marotzke Der 44-jährige Professor für Ozeanografie und Direktor am MaxPlanck-Institut für Meteorologie in Hamburg war zusammen mit 259 Autoren aus aller Welt an der Erstellung des IPCC-Weltklima- berichts beteiligt. ›7 Titelthema ›Klimamodelle der Zukunft Nicht unerheblich haben die Forscher vom Max-Planck- Institut für Meteorologie (MPI-M) zum Weltklimabericht beigetragen. Die Hamburger erstellten detaillierte Klimamodelle für ihre Simulationen: „Der Computer hat für drei verschiedene Szenarien jeweils die Zeit von 1850 bis 2100 berechnet“, sagt Jochem Marotzke, Direktor am MPI-M. Der 54-jährige Physiker wurde gemeinsam mit vier weiteren Kollegen mit der Aufgabe betraut, am aktuellen IPCC-Bericht mitzuwirken. Es sind keine definitiven Feststellungen, die die Modelle erstellen, doch sie geben eine Ahnung davon, wie es um die Welt von morgen stehen könnte. ›Handeln für das Übermorgen Der Wissenschaftler Paul Crutzen wies nach, wie die in Spraydosen verwendeten Treibgase FCKW die Ozonschicht in 40 Kilometern Höhe zerstören. Der heute 80-Jährige warnt immer wieder vor dem menschengemachten Treibhauseffekt: „Um die Menge CO2 in der Atmosphäre auf dem heutigen Niveau zu stabilisieren, müsste man den Ausstoß um 50 bis 70 Prozent reduzieren. Statt das Notwendige zu tun, stoßen wir aber immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre aus.“ ›8 die Arktis könnte in den Sommermonaten – sogar noch vor Ende des Jahrhunderts – vollständig eisfrei sein. Der Anstieg der Meere könnte Jahrhunderte weitergehen, bis 2100 um bis zu 82 Zentimeter prognostizieren die Forscher in einem der errechneten Szenarien. Bei dem bedrohlichsten, das von ungebremsten Emissionen ausgeht, sind den Forschern zufolge Temperaturanstiege von 5,4 Grad gegen Ende dieses Jahrhunderts möglich. Verantwortlich dafür ist vor allem die Freisetzung von Gasen wie Kohlendioxid, dessen Konzentration heute so hoch ist wie nie zuvor in den letzten 800.000 Jahren. Das ist kein Phänomen der letzten Jahrzehnte, sondern ein Produkt der Industrialisierung vor über 200 Jahren – seitdem Fabrikschlote pausenlos Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen, jenes Gas, das sich noch über Jahrtausende in der Luft hält. Die Auswertungen des Klimaberichts belegen vor allem eins: dass der Mensch Hauptverursacher des Klimawandels ist. Doch sie machen auch Hoffnung. Denn es ist den Forschern zufolge noch lange nicht zu spät, etwas dagegen zu tun. Geo-Engineering als Wunderwaffe gegen den Klimawandel? Noch gibt es kein Allzweckmittel gegen den Klimawandel. Es hängt vom Menschen ab, wie viel oder wie wenig er sich mit der Verschmutzung seiner Umwelt auseinandersetzt und dazu beiträgt, nachhaltiger mit den Ressourcen umzugehen. Dass der Mensch also sein Verhalten ändern muss, ist eine Sache. Die andere ist, die Symptome direkt zu bekämpfen: Mit dem sogenannten Geo-Engineering oder Climate Engineering werden groß angelegte manipulative und gezielte Eingriffe in das Klimasystem mit technischen Maßnahmen umgesetzt. Es ist ein höchst umstrittenes Forschungsfeld, doch viele Wissenschaftler halten es für wichtig, sich auch mit den Möglichkeiten auseinanderzusetzen, die eine schnellere Umsetzung der Klimaziele bewirken – oder helfen, größere Umweltkatastrophen zu vermeiden. All das ist nicht nur bloße Theorie: Im Kleinen versucht man bereits seit Jahren, das Wetter zu beeinflussen. Zum Beispiel im Schwarzwald. Dort erinnert man sich noch genau an den Juni 2006. Damals prasselten golfballgroße Hagelkörner auf Felder, Dächer und Kraftfahrzeuge nieder, in der Region entstand ein Schaden von mehreren Millionen Euro. Nun starten von hier aus Hagelabwehrflugzeuge, sobald der Himmel sich bedrohlich verdunkelt. Sie kreisen im Aufwind, um mittels Patronen, die an der Unterseite der Flieger befestigt sind, eine SilberjodidLösung in den Hagelwolken zu verteilen. Diese Lösung soll die Eisklumpen so verkleinern, dass sie beim Aufschlag kaum noch Schäden anrichten können. Bei diesen verhältnismäßig kleinen menschlichen Eingriffen in das Wettergeschehen sind sich Forscher bis heute nicht einig, ob sie von Nutzen sind. Einige würden sie nicht einmal als Climate Engineering bezeichnen, für sie begänne eine Klimamanipulation, wenn plötzlich jeder Landkreis Hagelabwehrflugzeuge einsetzen würde. Das würde möglicherweise eine Kettenreaktion im biologischen Gleichgewicht auslösen, die niemand abschätzen kann. Anders sieht es aus, wenn mit großem Kaliber versucht wird, ins Klima einzugreifen. So wie etwa vor zwei Jahren, als der amerikanische Unternehmer Russ George 500 Kilometer vor der Westküste Kanadas 100 Tonnen Eisensulfat im Meer versenkte – eine Ozeandüngung, die heute verboten ist. Die Partikel sollten die Vermehrung von Algen steigern, die an der Wasseroberfläche große Mengen an Kohlendioxid binden. Sterben die Organismen ab, nehmen sie das CO2 mit sich auf den Meeresboden, wo es für lange Zeit gespeichert bleibt. Auf Satellitenbildern konnte man zwar sehen, dass seine Aktion zu einer rund 10.000 Quadratkilometer großen, künstlichen Algenblüte geführt hatte. Beweisen lassen sich die Effekte solcher Experimente dennoch nicht. Es ist nicht klar, welche Wirkung das Eisen auf das Phytoplankton hatte und ob dadurch CO2 permanent aus der Atmosphäre geholt wird. Dieser Meinung ist auch der Kieler Wissenschaftler Andreas Oschlies. Der 47-Jährige ist Professor für Biogeochemische Modellierung am GEOMAR HelmholtzZentrum für Ozeanforschung Kiel. Zusammen mit einem interdisziplinären Team von Wissenschaftlern untersucht er die erheblichen Unsicherheiten, die mit den Ideen des Climate Engineering einhergehen. Anhand von Erdsystemmodellen auf dem Computer simulieren sie, welche Wirkungen und Nebenwirkungen verschiedene Verfahren haben könnten. Ozeandüngung zur Bindung von CO2, Staub gegen die Erderwärmung „Das ist im Gegensatz zu Experimenten in der Natur zwar völlig ungefährlich, dafür sind die Antworten aber auch nur so gut oder schlecht wie die Modelle“, erklärt der Biogeochemiker. Die Forscher erproben virtuell, welchen Effekt die Aufforstung von Wüsten mit Wäldern hätte, was Ozeandüngung oder die Einbringung von Aerosolen in die Stratosphäre bewirken würde. Sie fanden etwa heraus, was bei dem Versuch passieren könnte, mit Flugzeugen Staub in die Atmosphäre zu bringen: „Am Beispiel von Vulkanausbrüchen sah man bereits, dass sich die Staubschichten in hohen Himmelsregionen lange hielten und die Temperaturen sanken“, erklärt Oschlies. „Der Nebeneffekt bei der künstlichen Erzeugung von so einem Staub wäre aber, dass Niederschlagsgebiete sich plötzlich anders und unerwünscht verteilen würden und es nicht überall gleichmäßig abkühlt.“ Das wiederum hätte unter Umständen katastrophale Auswirkungen auf den Monsun. CO2 bliebe bei die- 1848 › Magazin für Angewandte Wissenschaften ›Paul J. Crutzen Der niederländische Meteorologe erhielt 1995 zusammen mit zwei weiteren Wissenschaftlern den Nobelpreis für Chemie. Die Forscher hatten nachgewiesen, wie empfindlich die Ozonschicht auf bestimmte durch die Menschheit verursachte Emissionen reagiert. › Eine heile Welt - Wunschbild jeder Generation ser Methode weiterhin in der Luft, viele Jahrtausende lang. Und so lange müssten auch Maschinen Staub in den Himmel befördern. Oschlies spricht sehr sachlich davon, wie man überlegt, das Klima zu beeinflussen, er gerät nicht ins Schwärmen. „Forscher wollen dabei nicht Gott spielen“, sagt er, „auch wenn ihnen das in der Debatte oft vorgeworfen wird.“ Doch angesichts der Unvorhersehbarkeit vieler Maßnahmen verstehe er die Angst vor den künstlichen Eingriffen ins Klima durchaus – sie könnten Kettenreaktionen auslösen, deren Folgen heute niemand abschätzen kann. Forscher erkannte anthropogenen Treibhauseffekt schon vor Jahren Auch der Meteorologe Paul Crutzen sieht das GeoEngineering als letzte Möglichkeit im Kampf gegen den Klimawandel. Dass der Mensch Hauptverursacher der Klimaveränderungen ist, hatte der Niederländer bereits vor elf Jahren erkannt. Crutzen hatte herausgefunden, dass der Mensch schon seit der industriellen Revolution ›A ndreas Oschlies zur größten Naturgewalt geworden ist, und dieses Zeit- Der 47-Jährige alter „Anthropozän“ getauft. 1995 wurden ihm und zwei ist Professor für Marine Biogeocheseiner Kollegen der Nobelpreis für die Erforschung des mische ModellieOzonabbaus verliehen. Der Pionier hatte schon 2006 rung am GEOMAR Helmholtz-Zentrum vorgeschlagen, Schwefel oder Schwefelwasserstoff in die für Ozeanforschung Atmosphäre zu bringen, damit die Teilchen die Sonnen- in Kiel. Dort kostrahlen reflektieren und den Treibhauseffekt bremsen. ordiniert er unter anderem das neue Für diesen Vorschlag sei er „heftig von Kollegen ange- DFG-Schwerpunktgriffen worden“, sagte der Forscher damals. Doch er war programm „Climate Engineering: Risks, von Anfang an der Ansicht, dass zuerst der CO2 -Ausstoß Challenges, Opporgesenkt werden muss und das Climate Engineering nur tunities?“. eine Notlösung ist. Ein Beispiel mehr, das demonstriert, wie angespannt die Forscher zurzeit mit der Frage hadern, wie sich der Treibhauseffekt bekämpfen lässt. Auf lange Sicht, aber eben auch kurzfristig. Forscher wie der 47-jährige Andreas Oschlies sind sich über diesen „Konflikt“ in ihrem Fach bewusst. Doch man müsse handeln, › egal welches der Szenarien aus dem Klimabericht sich ›9 Titelthema Verkleinerung der Polkappen So einfach kannst du 10.000 Liter Wasser sparen: – ein Hamburger Royal TS weniger – ein halbes Kilo Kaffee weniger – zwei Kilo Käse weniger Distanzen bis 5 km lassen sich bequem mit dem Rad (oder auch zu Fuß) zurücklegen. Waschen bei 40 Grad spart 35 % Strom gegenüber einem 60-Grad-Programm verwirklichen würde: „Wenn man die Erderwärmung auf das international anerkannte Ziel zwei Grad Celsius begrenzen will, muss man die globalen CO2 -Emissionen in den nächsten zwei bis vier Jahrzehnten halbieren“, sagt der Kieler Wissenschaftler. Doch davon sei man noch weit entfernt. Für viele Forscher steht fest, dass es im Falle eines klimatischen Supergaus ohne eine Art „Notfallplan“ schlecht für die Weltbevölkerung und den Planeten aussehen würde. „Es kann sein, dass bei unseren Versuchen herauskommt, dass Climate Engineering keine Option ist – vielleicht gibt es aber auch Verfahren, ›10 die mehr nützen als schaden. Es ist enorm wichtig, das zu erforschen“, sagt Oschlies. „Nichtstun ist keine Option.“ Protestaktionen für eine heile Welt von morgen So sah es auch der ehemalige Präsident der Malediven, Mohamed Nasheed. Der Politiker und Ozeanograf hatte mit seiner Unterwasser-Kabinettssitzung vor gut drei Jahren weltweit medial Aufsehen erregt. Ob seine 1848 › Magazin für Angewandte Wissenschaften Ein Schnellkochtopf spart 67 Kilo Kohlendioxid pro Jahr Die fünf umweltfreundlichsten Städte Europas 1. Kopenhagen 2. Stockholm 3. Oslo 4. Wien 5. Amsterdam 68 % der Stockholmer fahren mit dem Rad zur Arbeit Die fünf größten Klimasünder 10 % aller Wälder stehen weltweit unter Schutz › Quellen: gfdl.noaa.gov, Anthony Allen, Umweltbundesamt, vorweggehen.de, iopscience, Siemens, WWF Aktion die internationale Gemeinschaft in ihrem Umgang mit der Umwelt beeinflusst hat, lässt sich nicht sagen. Doch die Daten des neuen Klimaberichts verdeutlichen einmal mehr, wie stark seine Heimat vom Untergang bedroht ist. An den makellos weißen Stränden des Insel-Archipels wiegen sich Tag für Tag die Palmen über der Gischt. Fischerboote liegen malerisch an den Kais, bereit für das Auslaufen am nächsten Morgen. Fast jeden Abend sieht man von hier aus die Sonne in sattroten Farben am Horizont untergehen. Noch ist das so. | Transport Strategy and Management Wie gelangt eine Fracht von Amsterdam nach Zhengzhou? Wo lassen sich Transportkosten sparen – und wie erzielt man dabei eine gute Ökobilanz? Für High Potentials, die neben dem Studium noch arbeiten, hat die HS Fresenius den englischsprachigen Studiengang Executive MBA Transport Strategy and Management ins Leben gerufen. Dessen Absolventen können eigenverantwortlich etwa Logistikprozesse analysieren und planen sowie Führungs- und Managemententscheidungen treffen. Gerade bei der Umsetzung von Transportvorgängen können sie beeinflussen, wie die Ressourcen geschont werden, wenn man Wege gut plant. Wichtig ist es deshalb, sich schon frühzeitig mit Fragen des Klimawandels auseinanderzusetzen. Diese Fachleute belegen daher zum Beispiel auch Kurse zu CO2-effizienter Mobilität – oder lernen, wie sich am Schreibtisch dank IT jene Papierflut eindämmen lässt, die etwa internationale Zollabfertigungen oder Versicherungsdokumente verursachen. ›11 Plastikmüll Die stille Macht im Meer Er bleibt, für Hunderte von Jahren: Plastikmüll ist zu einer massiven Bedrohung der Ozeane geworden. Mithilfe von Gesetzen, Gewässerforschung und futuristischen Säuberungsplattformen wird die Katastrophe nun bekämpft. Text Andin Tegen · Foto Ilya Akinshin / Fotolia.com S o etwas hatten die spanischen Forscher noch nie gesehen: Ein Pottwal von der Größe einer Segeljacht war an der Küste Andalusiens gestrandet. Doch das tonnenschwere Säugetier hatte sich nicht etwa ins seichte Gewässer verirrt – es war an dem südspanischen Strand gelandet, weil es zuvor, sozusagen, ein ganzes Gewächshaus verschluckt hatte. 30 Quadratmeter Abdeckplane, über vier Meter Schlauch, neun Meter Kunststoffseil, zwei Blumentöpfe und 2,5 Kilo kleinteiligen Plastikmüll zogen die Wissenschaftler aus seinem Leib: Das Tier war qualvoll an einem Darmdurchbruch verendet. Bis zu diesem Zeitpunkt dachten Forscher, dass überwiegend Meeresfische, Robben oder Vögel vom Kunststoff im Meer bedroht seien. Nun hatte sich auch ein Meeresgigant wie der Pottwal unter die Opfer eingereiht. Die Tiere leiden unter den geschätzt gut sechs Millionen Tonnen Plastik, die jedes Jahr neu in die Ozeane gelangen: Schildkröten wachsen mit Plastikringen um den Bauch auf, seltene Basstölpel strangulieren sich beim Nestbau mit Fasern von Fischernetzen. Flip-Flops, Feuerzeuge, Farbeimer und Flaschen, aber auch Kühlschränke: Die meisten Gegenstände, die nicht auf dem Müll landen, sondern im Meer, gelangen über Flüsse dorthin. Im Meer jedoch verrottet Plastik nicht, sondern zerfällt in immer kleinere Teile. Mit der Zeit verliert das Material seine Weichmacher, wird spröde und durch die UV-Strahlung löchrig. Erst nach etwa 20 Jahren ist eine dünne Einkaufstüte zerkleinert, eine Plastikflasche braucht sogar über 400 Jahre. Trotz der vielen Abfall- und Recyclinganlagen gelangt Weggeworfenes vor allem durch schlecht gesicherte Mülldeponien vom Wind in die Meere. Hinzu kommt ein mangelndes Bewusstsein für Müllentsorgung bei jedem Einzelnen. Außerdem leitet der Verbraucher, selbst ohne es zu wissen, Plastikpartikel in die Umwelt weiter, denn diese befinden sich etwa in Haar- und Duschgels, Zahnpasten oder Fleece-Pullis. Letztere verlieren pro Waschgang bis zu 2000 winzige Kunstfasern, die nur einige spezielle Kläranlagen zurückhalten können – ansonsten fließt der Flausch ins Wasser weiter. Die größte Ansammlung an Plastikmüll erspähte Kapitän Charles Moore 1997 nach einem Jachtrennen im Pazifik – eine Entdeckung, ›12 die sein Leben und seine berufliche Laufbahn vollkommen veränderte. Heute hält der bärtige Seemann und Ozeanograf in ganz Amerika Vorträge über die verschmutzten Weltmeere; manchmal trägt er dabei eine bunte Kette aus aufgefischten Fundstücken. Als Moore vor 17 Jahren von seinem üblichen Kurs abwich und durch Gewässer kreuzte, durch die er noch nie gesegelt war, gelangte er in ein riesiges Gebiet zwischen Japan und den USA, wo sich die Strömungen der Ozeane miteinander verbinden und im sogenannten Nordpazifikwirbel münden. „Jedes Mal, wenn ich an Deck ging, sah ich Seifenflaschen, Plastikbehälter oder Kunststoffsplitter im Wasser treiben“, schreibt er in seinem Buch „Plastic Ocean“. Bis dahin hatte er große Müllmengen nur in Küstennähe oder Flüssen erlebt, nie hätte er sie so weit im Ozean vermutet. „Es war unmöglich, diesem Wohlstandstreibgut auszuweichen, eine ganze Woche lang“, erinnert er sich. Heute bezeichnet man diesen Müllstrudel als Great Pacific garbage patch oder als siebten Kontinent. Darin drehen die Kunststoffteilchen nahezu ewig ihre Runden. Schätzungen zufolge ist dieser „Teppich“ so groß wie Mitteleuropa. Kapitän Moore hat seit seiner Entdeckung auf einer Strecke von über 40.000 Seemeilen Kunststoffmüll als Proben aus dem Nordpazifik gefischt und dabei unter anderem erkannt, dass viele davon als Schadstoffsammler dienen. Auch Professor Thomas Knepper beschäftigt sich seit Langem mit Plastik und dessen Vorkommen in der Umwelt. Er ist Dekan des Fachbereichs Chemie und Biologie und neuer Vizepräsident an der Hochschule Fresenius. Gemeinsam mit seinem Doktoranden Sascha Klein hat er im Rahmen einer Forschungsarbeit aus Rhein und Main Sedimentproben entnommen und auf Mikroplastik untersucht, kleinste Kunststoffteilen im Gewässer, eine Arbeit, die von der Wasserchemischen Gesellschaft unterstützt wurde. Die Forscher haben dabei Pionierarbeit geleistet, denn bislang war nicht bekannt, welches Ausmaß an synthetischen Polymeren – also Kunststoff – sich auch in Gewässern im Landesinneren befindet. „Wir haben herausgefunden, dass die Konzentration an Polymeren in Flüssen streckenweise sogar vergleichbar ist mit der an einigen Küsten“, sagt Professor Knepper. Der 28-jährige Chemiker 1848 › Magazin für Angewandte Wissenschaften Sascha Klein fügt hinzu, dass die treibenden Plastikteilchen durchaus als Schadstoffsammler dienen können: An Plastik können sich etwa Insektenschutzmittel wie DDT anreichern. Und auch Weichmacher können aus dem Kunststoff ins Wasser gelangen. „Das sind hormonell wirksame Schadstoffe, die zum Beispiel die Sexualentwicklung bei Fischen stören können. Irgendwann vermehren die Fische sich nicht mehr richtig, weil es einfach zu viele weibliche gibt“, sagt der junge Experte. Am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven fanden Forscher auf dem Meeresplastik sogar Bakterien wie den Cholera-Erreger. Diese würden die Plastikteile als eine Art Taxi nutzen, um von A nach B zu gelangen. Klein und Knepper wiegeln jedoch entschieden ab: „Es ist nicht klar, ob diese Transportfunktion nicht auch durch Holz oder anderes Treibgut übernommen wird und in welchem Ausmaß das geschieht“, sagt Klein. Bisher stürben Tiere daran, dass sie keine Nahrung mehr aufnehmen können, weil ihre Mägen durch Plastik verstopft sind. „Nur von Weichmachern und Monomeren, die zur Produktion der Kunststoffe verwendet werden, weiß man, dass sie schädlich sind.“ Die Wissenschaftler betonen, dass sie noch am Anfang ihrer Grundlagenforschung stehen. Kunststoffe sind nach wie vor die Stars unter den Verpackungsmaterialien. Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts haben sie einen regelrechten Siegeszug hingelegt. Kein anderes Material kann so hart sein wie Stahl und doch so wenig wiegen; keines kann so klar wie Glas und doch so schwer zu zerbrechen sein. Kunststoffe lassen sich schon bei niedrigen Temperaturen formen und erhalten durch Beimischung spezieller Zusatzstoffe weitere, fast frei bestimmbare Eigenschaften. Sie werden zu Fasern und Folien, dienen zur Herstellung von Lacken, Klebstoffen, Textilien und Bauteilen. Es gibt nicht viel, das es nicht in irgendeiner Form auch aus Plastik gibt. Auch die EU-Kommission erkennt das wachsende Problem immer deutlicher und will Plastik- und Kunststoffabfälle nun drastisch verringern. Kunststoffe, die Schwermetalle und andere Stoffe enthalten, sollen schrittweise vom Markt genommen oder noch vor 2020 ganz verboten werden. Doch bis es zu rechtsverbindlichen Gesetzesauflagen kommt, könnte es für viele Wale, Fische und Möwen zu spät sein. „Jeder Einzelne muss sich darüber klar sein, wo seine Plastiktüte landet, und sich fragen, ob es nicht auch einmal eine Glasflasche anstelle einer PET-Flasche sein kann“, mahnt Professor Knepper. Noch sieht er das Umwelt-Engagement des Menschen trotz Mülltrennung und Recyclingsystemen kritisch. Umso wichtiger erscheinen ihm an dieser Stelle die Ideen Einzelner, etwas gegen das Plastikproblem zu tun. Etwa die des findigen Niederländers Boyan Slat. Der 19-jährige Student der Luft- und Raumfahrttechnik will den Müll im Meer mit einer selbst erdachten Plattform namens Ocean Cleanup Array einfangen: Die schwimmende Konstruktion ist mit Armen ausgestattet, die so beweglich sind wie die Flossen eines Manta-Rochens. Mit diesen soll sie Unrat von der Meeresoberfläche schöpfen, während Fischschwärme und andere Meeresbewohner ungestört unter ihr hindurchschwimmen oder -treiben können. Die Entsorgungsplattform würde fest im Meeresgrund verankert, so dass die Strömung den Müll in ihre Arme treibt. Zurzeit arbeiten Forscher noch an einem Pilotprojekt mit Slats neuer Technik. In Professor Kneppers Augen wäre es schön, wenn noch mehr Menschen so ein Bewusstsein für unseren Planeten hätten wie dieser Student. Auch Sascha Klein glaubt, dass „eine bessere Welt“ möglich wäre. Wenn jeder mitmache, würden die Strände und Gewässer der Zukunft vielleicht einmal märchenhaft sauber sein – „und das ist doch mehr als wünschenswert.“ Die School of Chemistry, Biology & Pharmacy … an der Hochschule Fresenius bietet verschiedene Bachelor- und Master-Studiengänge mit Schwerpunkten aus den Bereichen Angewandte Chemie, Wirtschaftschemie, Industriechemie, Bio- and Pharmaceutical Analysis sowie Biosciences an. Dem Fachbereich angeschlossen wurde in Idstein das Institute for Analytical Research (IFAR), das Lehre, Forschung und Praxis miteinander verknüpft: Hier wird unter anderem auf den Gebieten Spurenanalytik, Schwerpunkt: organische Spurenanalytik im Wasser, geforscht und entwickelt. Das Instiut wurde mit modernsten Geräten und Laboren ausgestattet. ›13 Gespräch „Wer zuhören kann, der kann auch führen“ Ein halbes Jahrhundert trennt sie, doch beim Gespräch zwischen dem Unternehmer Dr. Arend Oetker und der Studentin Juliana Schnell ergaben sich erfreulich viele Übereinstimmungen. Ihr größter gemeinsamer Nenner: Führung ist kein Einzelkampf, sondern eine Frage von Teamgeist. Interview Jochen Brenner · Fotos Michael Danner ›14 1848 › Magazin für Angewandte Wissenschaften err Dr. Oetker, Sie haben 1968, mit 28 Jahren, die KonfitürenH Fabrik „Schwartauer Werke“ von Ihrer Mutter übernommen. Was hat es damals bedeutet, zu führen und Verantwortung zu übernehmen? Oetker: Eigentlich war ich damals noch nicht richtig in der Lage, zu führen. Mein bis dahin erster Kontakt mit Führung von Personen war bei der Bundeswehr. Ein Unternehmen ist aber keine Kaserne. Ich habe schnell gemerkt, dass die Kraft des Eigentums auch große Verantwortung mit sich bringt. Daran bin ich gewachsen. Anfangs fiel es mir schwer, Entscheidungen treffen zu müssen, heute freue ich mich, zu entscheiden. Leipzig Graduate School of Management HHL Kann man Führung überhaupt lernen? Oetker: Nur zu einem gewissen Teil. Führung hat mit natürlicher Autorität zu tun, mit Körpersprache und Haltung. Führung findet übrigens überall statt. Ein Lehrer meines Sohnes war ein Meister darin: Jedem seiner Schüler gab er an der Tür die Hand, sah seine Schützlinge an, begrüßte sie. Dann setzten sich alle hin und legten eine Besinnungsminute ein. Das Konzept dieses Lehrers nenne ich Führung durch Haltung, durch Ausstrahlung der Person, durch Anspruch. Das imponiert mir. Schnell: Der Zufall hat mich sehr früh in eine Führungsposition geführt, mit gerade 22 Jahren. Ich war mit einem Stipendienprogramm an einem Bildungsinstitut in London und habe dort als Assistentin gearbeitet. Meine Mentorin und Kollegin, die als Marketingmanagerin tätig war, fiel überraschend aus. Der Direktor der Bildungsakademie rief mich in sein Büro und sagte: Du machst das jetzt! Die Herausforderung für mich bestand unter anderem darin, gerade von älteren Kollegen ernst genommen zu werden. Dabei habe ich viel über Führung gelernt. Die Managerschmiede HHL ist nicht nur die älteste private Wirtschaftsschule Deutschlands – sie zählt zu den führenden Business Schools des Landes mit Promotions- und Habilitationsrecht. Ausgewählte Studierende der Hochschule Fresenius, insbesondere vom Fachbereich Wirtschaft & Medien, profitieren von unserem neuen Kooperationsparter, denn auch Promotionsvorhaben sollen ihnen in Zukunft über die HHL möglich sein. Zudem fördert die Zusammenarbeit auch universitäre Verbundforschungsprojekte, an denen Professoren, Lehrende und besonders qualifizierte Studierende mitarbeiten können. Es ist ein bisschen wie in der Regierung: Wir sind eine große Koalition aus Arbeit und Kapital. Nur wenn beides zusammenwirkt, ist Führung überhaupt möglich. Schnell: Ich glaube auch nicht, dass ich mit Ellenbogeneinsatz weiterkommen würde. So bin ich nicht erzogen, und auch mein Glaube verbietet es. Unter meinen Kommilitonen ist das Wegbeißen nicht verbreitet, da geht es von Anfang an um die gemeinsame Leistung. Personalentscheidungen sollten nach persönlichem Einsatz fallen. Wer viel leistet, kann dann auch mit einer Führungsposition belohnt werden. Welche Lehren haben Sie mitgenommen aus dieser Zeit? Schnell: Ich habe mich immer hundertprozentig vorbereitet und Aufgaben sehr präzise vergeben. Mir war wichtig, klar zu sein, nie von oben herab. Und ich habe die Position, in der ich war, nie ausgenutzt. Das wurde anerkannt. Ich habe damals festgestellt, dass ich eine gewisse natürliche Autorität habe. Wenn es mal nicht gut lief, habe ich versucht zu verstehen, was die Ursache war. Lag es an mir? Gab es Neid? In der ersten Woche meines neuen Jobs hatte ich meinen ersten offiziellen Termin in der Deutschen Botschaft. Nur Diplomaten und ich, als Vertreterin der Bildungsakademie. Die wichtigste Lehre aus dieser Zeit ist für mich: Man wächst in die Rolle rein. eute ist oft von „wertorientierter Führung“ die Rede. H Was verstehen Sie darunter? Oetker: Wenn das Wirtschaften von Werten geprägt ist, die über den Tag hinaus gelten. Das ist ein bisschen wie in der Kirche. Ich besuche oft den Gottesdienst in Berlin und habe einen Favoriten unter den Pfarrern, aus meiner Sicht eine Führungspersönlichkeit. Er predigt so bildlich, dass ich gar nicht anders kann, als über das nachzudenken, was er sagt. Die Kirche hat ja nun ein besonderes Werteverständnis, und so, wie dieser Pfarrer ihre Werte transportiert, sollte auch die Wirtschaft ihre Werte transportieren: glaubwürdig, authentisch, unmittelbar. Schnell: Wo Wirtschaft und Ethik aufeinandertreffen, gerät man schnell in ein Dilemma. Nicht alles, was der Kapitalismus hervorbringt, halte ich für ethisch vertretbar. Wenn man an der Spitze steht, kommt irgendwann der Punkt, an dem man entscheiden muss: Wie weit gehe ich, um den Profit zu maximieren? Auch daran muss sich eine Führungskraft messen lassen. Oetker: Ich habe ein etwas weniger düsteres Bild von unserem System, ich glaube an den Wettbewerb. Wenn sich der Bessere mit seinen Ideen durchsetzt, dann kann ich damit leben. Fairer Wettbewerb ist etwas sehr Gerechtes. Kleiner Test: „Gute Führung heißt andere erfolgreich machen“, hat Ihrer Meinung nach wer gesagt, der Dalai Lama oder der ehemalige BASF-Chef Jürgen Hambrecht? Oetker: Der Dalai Lama? Hambrecht. Oetker: Passt zu ihm. Und es stimmt ja: Einsam an der Spitze komme ich nicht vorwärts, ich muss teilen, abgeben können als Führungspersönlichkeit. Man kann nicht mehr diktatorisch führen, da hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges geändert. Führung muss heute im Team passieren, nur wer zuhören kann, der kann auch führen. Wir leben in Deutschland in einer Konsensgesellschaft. err Dr. Oetker, wie erleben Sie die Generation der H 20- bis 30-Jährigen? Oetker: Ich habe fünf Kinder im Alter von 22 bis 38 Jahren. Die sind selbstbewusst, auch selbstständiger, als ich es in diesem Alter vielleicht war. Mein Eindruck ist, dass diese Generation das selbst gestaltete Leben früher übt. Frau Schnell, Sie gehören zur sogenannten Generation Y, wie Soziologen diejenigen nennen, die um die Jahrtausendwende Teenager waren. Was prägt diese Generation eigentlich? Schnell: Wir sind zu Menschen erzogen worden, auf deren Meinung früh gehört wurde. Und die immer Alternativen hatten, › ›15 Gespräch an sagt der Generation Y nach, auf Führungspositionen gar M keinen großen Wert zu legen. Wollen die nicht nach oben? Schnell: Ich glaube, man muss unterscheiden bei dieser Frage. Wir haben keine Angst, wir scheuen uns nicht vor Führung. Wir wissen nur nicht, ob die Führungsaufgabe die attraktivste aller Möglichkeiten ist. Unter meinen Kommilitonen ist die Frage verbreitet, ob sie sich für potenzielle Führungsaufgaben zum Beispiel im elterlichen Unternehmen schon bereit fühlen und was dann aus der Selbstverwirklichung wird. Viele sagen: Ich möchte jetzt erst mal meinen Weg gehen. Oetker: Das war zu meiner Zeit undenkbar. Wollen oder nicht war für mich keine Kategorie. Zu meinem Glück wollte ich dann ja aber auch. › Juliana Schnell, 25, studiert an der Hochschule Fresenius im Masterstudiengang Medienmanagement und Entrepreneurship. mitreden durften. Wir konnten als Kinder mitentscheiden, wohin die Familie in den Urlaub fahren oder welches Auto angeschafft werden soll. Schon in der Grundschule haben wir ein Gefühl für Mode und Stil entwickelt und konnten es ausleben. Unsere Eltern sind in den 50er-, 60er-Jahren geboren und haben uns früh sehr gefördert. Allerdings ohne Drill, im Gegensatz zu ihren eigenen Kindheit. Klavierunterricht? Kein Problem, wenn du magst. Wenn dann etwas anderes wichtiger wurde, war das auch gut. J . Schnell: Herr Dr. Oetker, ich würde gerne die letzte Frage stellen. Können die Generationen beim Thema Führung etwas voneinander lernen? Oetker: Auf jeden Fall. Zur Führungsqualität gehört eine starke Persönlichkeit, die man sich erarbeiten muss. Wenn ich zurückblicke, fällt mir auf, wie wichtig es ist, über den Tellerrand zu blicken. Machen Sie Ihren Job gut, aber vergessen Sie darüber die schönen Dinge des Lebens nicht, Kunst, Musik und Theater. In diesen Sphären erhalten Sie Impulse, die Sie als Führungsperson weiterbringen. Inzwischen habe ich allerdings ein Alter erreicht, in dem ich davon ausgehe, dass ich mehr von Ihnen lernen kann als Sie von mir. | „Als ich 1968 anfing, gab es keine Work-Life-Balance. Da hieß es Work, work, work und erst mal wenig Life.“ Was für Menschen sind diese Kinder heute geworden, was ist Ihnen wichtig? Schnell: Ich gehöre zu einer Generation, die Work-Life-Balance als Errungenschaft versteht. Viele wollen nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben erfolgreich sein, das heißt: Zeit für eine Familie haben, die Kinder sehen, wegfahren. Ich glaube übrigens, dass die Hierarchien in Unternehmen heute auch durchlässiger geworden sind, gerade auch für die, die mal weniger arbeiten, für die Familie aussetzen oder ein Sabbatical machen wollen. Das haben nach meinem Eindruck die Firmen heute aber auch verstanden. Oetker: Als ich 1968 anfing, gab es keine Work-Life-Balance. Da hieß es Work, work, work und erst mal wenig Life. Aber ich sage nicht, dass das besser so war. ›16 › Dr. Arend Oetker, 75, leitet die Arend Oetker Holding GmbH & Co. KG in Berlin. Er ist Gesellschafter des Bildungsunternehmens Cognos AG, zu dem neben der Hochschule Fresenius auch die HHL Leipzig Graduate School gehört, an welcher der Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie und Führung seit 2013 seinen Namen trägt. 1848 › Magazin für Angewandte Wissenschaften Hier entlang, bitte! Gute Führungskräfte hören ihren Mitarbeitern zu, lassen sich kritisieren, geben Schwächen zu. In bestimmte Archetypen lassen sie sich hingegen nicht einteilen. Text Andin Tegen · Foto Fiedels / Fotolia.com W enn die Beraterin Christina Grubendorfer von dem viel zitierten Unterschied zwischen Managern und Leadern hört, rollt sie meistens mit den Augen: Manager seien eher Verwalter, Leader dagegen Visionäre; Manager stünden für Organisieren, Planen und Kontrollieren, also für perfekte Abläufe, Leader inspirierten die Mitarbeiter, schafften Kreativität, Innovation, Sinnerfüllung und Wandel: So jedenfalls beschrieb es schon 1990 John P. Kotter in „A Force For Change: How Leadership Differs From Management“. Vielen gilt der Harvard-Professor als Erfinder des Begriffs Leadership. Die Berliner Psychologin Grubendorfer kennt genügend Unternehmen, in denen Führungskräfte immer noch in diese archetypischen Kategorien eingeteilt werden. „Ich halte das für Quatsch“, sagt sie, „denn die Funktion einer Führungskraft ist vielschichtiger, als es diese Kategorien beschreiben.“ Manager etwa gebe es in ihren Augen schlichtweg nicht, weil der Begriff impliziere, dass diese den Erfolg eines Unternehmens kontrollierten oder in eine Richtung lenken könnten. Führungskräfte müssten die Illusion der Kontrolle aufgeben, da Firmen als sich selbst organisierende Systeme ihrer eigenen Logik folgten. „Der Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens ist das Ergebnis eines komplexen Kommunikationsprozesses mit der gesamten Belegschaft“, sagt die Expertin, die auch als Coach arbeitet. Der Begriff Leadership treffe die Funktion von Führungskräften schon eher. Sie stehen dafür, dass sie Mitarbeitern Orientierung geben, Strukturen und Rahmen schaffen, innerhalb derer sich die Beschäftigten bewegen können – und diese auch mal loben für das, was sie tun. Noch vor 30 Jahren waren die meisten Unternehmen hierarchisch gegliedert: Die „oben“ beschlossen, die „unten“ führten aus. Heute gilt es jedoch, auf die „Weisheit der Vielen“ zu setzen und sich auch auf Einwände aus der Belegschaft einzulassen. Grubendorfer charakterisiert kompetente Führungskräfte als Jongleure, die in der Lage sind, Ambivalenzen auszuhalten. Sie konzentrieren sich auf die gesamte Konzernstruktur, erkennen die Position des Unternehmens auf dem Weltmarkt, nehmen dabei auch Widersprüche von Kollegen auf und leiten daraus eine sinnvolle Führungsrichtung ab. „Solche Menschen befinden sich in einem permanenten Spannungsverhältnis – und das muss man erst mal aushalten können.“ Es sei daher hilfreich, in regelmäßigen Abständen darüber zu diskutieren, welches Thema gerade im Fokus des Unternehmens stehe. „Bei den einen geht es um die Vereinfachung von Arbeitsabläufen, bei anderen um freie Gestaltung und neue Ideen“, sagt Grubendorfer. Dabei sollten Führungskräfte sich nicht nur im eigenen Kreis austauschen, sondern sich auch den Fragen und der Kritik der Belegschaft stellen. Nur so schafften sie konstruktive Diskussionsräume. „Ich habe schon erlebt, dass nach so einem Meeting sogar Firmenkäufe geplatzt sind“, berichtet die Psychologin, „denn erst im Austausch darüber wurde dem Vorstand klar, dass dieser Schritt gar nicht zur Unternehmensphilosophie passt.“ | ›17 Industrie 4.0 ine E intelligente Kette In den Fabriken der Zukunft passen sich die Produktionswelten dem digitalen Zeitalter an: Viele Berufe wird es in der Smart Factory nicht mehr geben. Die Arbeitskraft Mensch bleibt ihr dennoch erhalten. Text Andin Tegen · Foto picture alliance / Wolfgang Thieme / dpa-Report I mmer wenn sich eine Flasche auf dem Fließband mit Seife füllt, sieht Professor Detlef Zühlke die Zukunft. Hier, in der Forschungsfabrik, haben die Seifenflaschen ein FunkEtikett, das in der Lage ist, digital mit einer Maschine zu kommunizieren. Diese wiederum gibt das Kommando, welche Flüssigseife eingefüllt werden soll, die rote oder blaue, oder ob die Flasche einen weißen oder schwarzen Verschluss erhält. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein ganz normaler Produktionsweg, ist ein ausgeklügeltes System digitaler Kommunikationsvorgänge – in der intelligent vernetzten Fabrik von Morgen. › Neue Aufgaben für Arbeitskräfte in den Fabriken 4.0 ›18 Detlef Zühlke gehört zu den Gründern der Forschungsfabrik SmartFactoryKL in Kaiserslautern und ist Leiter des Bereichs Innovative Fabriksysteme am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Der Ingenieur und sein Team arbeiten an flexiblen Produktionsvorgängen, durch die immer individuellere Produkte hergestellt werden können, ohne dass dafür die Herstellungssysteme ständig neu programmiert werden müssen. „Ein Verbraucher kann sich aussuchen, welches Etikett seine Flasche haben soll, wie der Abfüllkopf aussehen soll, welche Stückzahl er braucht“, sagt der wissenschaftliche Direktor. Wenn der Kunde etwa ein Produkt im Internet zusammenstellt und bestellt, landen alle Informationen im Computersystem der Fabrikanlage. Bei dieser Individualisierung kommen Unmengen von Daten zusammen, die sich auf zuckerwürfelgroßen Datenträgern in den Maschinen befinden. „Der Ablauf funktioniert in unseren Versuchen noch nicht immer reibungslos“, sagt Zühlke, „aber wir sehen, welche Möglichkeiten diese neue Form der Vernetzung bringt und dass sie erhebliche Produktionskosten sparen würde.“ So wie man heute verschiedene Geräte mit einem USB-Stecker an den PC anschließt, so sollen sich in der Fabrik der Zukunft eines Tages Feldgeräte wie Roboterarme, Maschinen und Anlagenmodule ohne weitere Programmierung zu Produktionssystemen modular zusammenschließen lassen. Dafür müssen sie perfekt zusammenspielen. Trotz aller Digitalisierung und Mechanisierung wird die Arbeitskraft Mensch in der Fabrik der Zukunft laut Zühlke erhalten bleiben. 1848 › Magazin für Angewandte Wissenschaften Den Betriebselektriker wird es in Zukunft seltener geben, dafür mehr Personen, die Netzwerke konfigurieren und Systeme instand halten können. Das müssen nicht zwingend Informatiker sein: „Die jetzigen Facharbeiter müssen eine Zusatzqualifikation erwerben, und auch die Ausbildungsinhalte müssen sich an die neuen Anforderungen anpassen“, sagt der Forscher. Für ihn ist klar, dass es die Kollegen in der Fabrik der Zukunft in gleicher Anzahl geben wird wie heute, denn allein die Programmierungs- und Überwachungsaufgaben werden in den neuen Fabrik-Modellen viel Personal brauchen. Der Bedarf nach smarten Produktionsweisen wird laut Zühlke in Zukunft immens steigen. Das beweise schon jetzt das Kaufverhalten der Leute: „Man stellt sich online sein persönliches Müsli zusammen oder die eigene Schokolade – in Zukunft möglicherweise sogar das eigene Auto.“ Für ihn ist es denkbar, dass der Kunde sich Bremsen, Lenkrad oder Armaturen individuell aussucht und am Rechner sogar die Endmontage seines PKWs beobachten kann. So würde die Smart Factory gleichzeitig zur gläsernen Fabrik für den Kunden werden. Doch die neue Transparenz bringt ein Problem mit sich. Wenn ein ganzes Produkt mit einem Datensatz gefertigt werden kann, sind Unternehmen auch anfällig für Hackerangriffe, Industriespionage oder Produktpiraterie. „Eine hundertprozentige Sicherheit für die Smart Factory wird es nie geben“, sagt Zühlke, „denn trotz Virenscanner wird es immer Möglichkeiten geben, irgendwann in die Systeme einzudringen“. Dennoch ließe sich das Rad nicht zurückdrehen. Global konkurrenzfähig bleibe nur derjenige, der seine Produktionsvorgänge anpassen würde. „Man schmeißt seinen PC ja auch nicht in die Ecke, weil es einen Hacker-Angriff geben könnte. Man wägt die Risiken ab und lebt damit.“ Der Bedarf an smarten Produktionsweisen wird in Zukunft immens steigen. Aber auch ihn beängstige die Vorstellung, was passieren könnte, wenn Daten in großem Stil manipuliert würden. „Wenn ein Hacker die Gummimischung von Autoreifen so verändert, dass die Reifen beim Fahren platzen, oder wenn geheime Produktdetails gestohlen werden – dann sind das Szenarien, die furchteinflößend sind.“ Die Forscher stehen noch ganz am Anfang ihrer Entwicklungen für die Fabrik der Zukunft, gibt er zu. „Man wird sicher erst harmlose Innovationen auf dem Gebiet einsetzen, etwa in der Verpackungstechnik“, erklärt Zühlke. Als Beispiel nennt er Weinflaschen, die zu Ostern mit gelben Manschetten versehen werden sollen und zu Weihnachten mit roten Etiketten. Oder Roboter, die in einer Blechpresse agieren und die einzelnen Bleche stapeln. All das berge kaum Gefahren und erleichtere Produktionsvorgänge ungemein, da nicht jeder Vorgang einzeln programmiert werden müsse. „Die Smart Factory birgt Risiken, doch wir glauben, dass die Vorteile am Ende überwiegen werden“, sagt Zühlke, „Fortschritt lässt sich nicht einfach so aufhalten.“ | Schleudern, wenn die Sonne scheint Intelligente Stromnetze verändern die Welt: Fabriken, Netze und Haushaltsgeräte werden zunehmend mit moderner Kommunikationstechnologie aufgerüstet, was ihren Verbrauch deutlich senken kann. Drei Fragen zu den sogenannten Smart Grids an Professor Jens Strüker, Geschäftsführer des Instituts für Energiewirtschaft (INEWI) und designierter Studiendekan Master Energiemanagement an der Hochschule Fresenius. Warum wird gerade heute so intensiv an der Stromversorgung der Zukunft geforscht? Das hat einen einfachen Grund: 2020 soll unser Strom zu einem Drittel aus erneuerbaren Quellen kommen, 2050 fast vollständig. Bereits heute speisen Tausende Windräder und Blockheizkraftwerke sowie Millionen Solaranlagen einen Großteil der Energie ins Mittel- oder Niedrigspannungsnetz ein. Das System wird also immer zerstückelter, und immer mehr Stromanbieter agieren im Netz. Doch wie koordiniert man diese Strommengen, die zu so unterschiedlichen Zeiten wetterbedingt stark schwankend eingespeist werden? Stromangebot und -nachfrage müssen stets unmittelbar ausgeglichen werden, sonst werden zum Beispiel Produktionsmaschinen geschädigt oder Transformatoren fallen aus. Um überhaupt eine Steuerung zu ermöglichen, sind exakte und zeitnahe Informationen über den Stromverbrauch und den Zustand des Netzes notwendig. An dieser Stelle helfen dann Smart Grids, also intelligente Netze. Woher wissen diese intelligenten Netze, wie viel ein Haushalt tatsächlich verbraucht? Ein wichtiges Element sind digitale Stromzähler, die unsere mechanischen Zähler ablösen. Man nennt sie Smart Meter. Während man bislang einen Ablesewert für einen Haushalt für ein ganzes Jahr hatte, werden damit viertelstündliche Erhebungen möglich. Mit entsprechender Software und Kommunikationstechnik lassen sich dann Stromgeräte automatisch regulieren. Oder dem Verbraucher wird über Smartphones, Tablets und Displays die Information grafisch veranschaulicht, wie teuer oder billig der Strom zu einer bestimmten Zeit ist. Der Kunde entscheidet dann, wann es am günstigsten ist, Waschmaschine oder Trockner anzustellen. Könnte so ein digitales Stromnetz von Hackern lahmgelegt werden? Die Versorgung kann durch die miteinander verbundenen und kommunizierenden Geräte stabilisiert werden, indem das schwankende Stromangebot besser an die Nachfrage angepasst wird. Auf der anderen Seite eröffnen sich durch diese Energieinformationsnetze neue Angriffspunkte. Möglich wäre, dass ein Hacker die Stromversorgung in einem ganzen Stadtteil lahmlegt, indem er etwa allen Smart Metern ein extrem niedriges Preissignal kommuniziert und, weil viele Kunden reagieren, die Netze überlastet würden. Panikmache oder pauschale Beurteilungen sind jedoch unangebracht: Allein die Vielzahl an Anbietern und Geräten sowie die zunehmende Dezentralität der Erzeugungsstruktur wirken totalen Systemausfällen eher entgegen. Das Internet ist ein gutes Beispiel für ein dezentrales System, was sich als stabil erwiesen hat. Und schließlich entwickeln sich neben den Angreifern auch die Verteidiger weiter: Sicherheitslösungen für Energieinformationsnetze sind ein sehr aktiver Forschungsbereich. Energiemanagement (Master) An der Hochschule Fresenius in Frankfurt am Main werden die Energieexperten von morgen ausgebildet. Neben energiewirtschaftlichem Wissen werden sie auch in Mitarbeiterführung, Change- und Innovation-Management geschult. In sechs Semestern kann man berufsbegleitend den Master erwerben. ›19 Mode › Die Abschluss-Shows als Sprungbrett für die Karriere Einen Schnitt voraus Deutschlands Designer genießen auch international einen guten Ruf. Dabei müssen sie heute viel mehr sein als nur kreativ. Das gilt vor allem für den Nachwuchs. Text Andin Tegen · Foto AMD / Gregor Kaluza ›20 1848 › Magazin für Angewandte Wissenschaften G rell ist ihr Look, er könnte der eines Popstars aus den 80ern sein. Ihr Blick dagegen ist der eines schüchternen Teenagers. Im hautengen, schulterfreien Kleid mit buntem Hawaiiprint posiert die junge Frau vor einem mit Graffiti besprühten Bauwagen. Die Berlinerin fällt auf, und darum geht es Yvan Rodic. Menschen wie sie hat er täglich vor seiner Linse, etwa die kahl rasierte Frau aus Melbourne im Military-Look, deren Gesicht von Spinnen-Tattoos übersät ist, den Hipster aus Kopenhagen, der einen Pelz mit pinkem Innenfutter trägt. Solche Motive von besonders gekleideten Passanten stellt der Schweizer Stilblogger regelmäßig auf seine Homepage, und Millionen User lassen sich davon inspirieren. Die Streetlooks zeigen, wie Menschen Trends für sich persönlich umsetzen – und wie stark sich Modedesign auf der ganzen Welt individualisiert hat. Das Leben wird vielschichtiger, die Wahlmöglichkeiten, wer man sein will, scheinen grenzenlos. Gleichzeitig wächst das Bedürfnis nach erkennbaren äußerlichen Merkmalen, und das manifestiert sich in der Art, wie man sich kleidet. Für angehende Modeschöpfer in Deutschland ist der gesellschaftliche Trend zur Individualität eine große Chance. Designerteams wie Augustin Teboul mit ihren surrealistisch-femininen Kreationen, die androgynen Entwürfe von Kostas Murkudis oder auch Michael Sontag mit seinen asymmetrischen Drapierungen sind so erfolgreich, weil sie dieses Bedürfnis nach Abgrenzung widerspiegeln. Sie genießen dafür nicht nur in Deutschland, sondern auch international hohes Ansehen. „Designer müssen Zusammenhänge verstehen und beherrschen: von der Trendanalyse über den Entwurf bis hin zu Marketing und Vertrieb.“ Doch die Stars der Branche zeichnen sich nicht nur durch Kreativität und Eigenwilligkeit aus. Wer in ihre Fußstapfen treten will, muss heute ein weitgefächertes Wissen mitbringen. „Designer müssen Zusammenhänge verstehen und beherrschen: von der Trendanalyse, Materialund Textilkunde über den Entwurf bis zu Marketing und Vertrieb“, sagt Professor Ekkehart Baumgartner, Vizepräsident der Hochschule Fresenius im Fachbereich Design und Mitglied der Geschäftsleitung AMD Akademie Mode & Design. „Sie müssen sich aber auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen wie Individualisierung auseinandersetzen.“ Studierende stehen vor einer Menge Fragen: Wie kann ich meinen Stil für eine größere Zielgruppe interessant machen, mich am Markt positionieren? Wie setze ich ein Kleidungsstück mit meiner eigenen künstlerischen Handschrift um? Und achte gleichzeitig darauf, dass die Stoffe umweltschonend produziert wurden? Viele Jungdesigner versuchen sich heute auf dem Markt der nach- haltigen Mode und werden konfrontiert mit Problemen, etwa beim Überprüfen von Produktionsbedingungen und Qualitätsstandards oder bei der Stoffbeschaffung. Schon das Entwerfen innovativer Kleidung ist herausfordernd, wenn es Bio-Baumwolle zumeist nur in Weiß oder Cremetönen gibt; brillante Farben lassen sich nachhaltig kaum herstellen. Studierende der AMD müssen sich fortwährend mit diesen Hürden auseinandersetzen. Einmal im Jahr kann man die Ergebnisse ihrer Arbeit bei den Graduate Fashion-Shows sehen. Zu diesen Abschlussevents werden Redakteure internationaler Modemagazine, Blogger, aber auch Chefdesigner und Produktmanager von namhaften Modefirmen eingeladen. „Wichtig sind den Anwesenden neben einem hochqualitativen Handwerk und der Innovationskraft der Studierenden auch die Kreationen als Gesamtkunstwerk“, sagt Baumgartner. Es ginge dem Publikum weniger um die Alltagstauglichkeit der Entwürfe, sondern um Ideen und Konzepte der Show: Frisuren und Make-up der Models müssen genauso zum selbst gewählten Thema passen wie Accessoires, Musik, Lichtdramaturgie und die auf großer Leinwand eingespielten Videos. In diesem Jahr hat sich etwa der Absolvent Son Chu dem Polygon, also dem Vieleck, gewidmet. Chu spiegelt das Thema Geometrie in den Silhouetten und Mustern seiner Kleider wider: Eine schulterfreie Abendrobe zieren Vielecke, die wie Kristalle anmuten und als Gesamtbild an ein Kaleidoskop erinnern. Die Absolventin Ann-Christin Schmitz befasste sich mit der Bedeutung von Heimat im Zeitalter der Globalisierung – sie mixte Mieder und Lederhosen. Auch Entscheidungsträger wie Unternehmenschef Luca Strehle von Strenesse halten es für wichtig, dass junge Designer vor allem über eine ästhetische Urteilskraft verfügen, wenn sie etwas entwerfen. „Sie müssen sich in der Modegeschichte orientieren und gleichzeitig den Zeitgeist lesen können“, sagt er, „und sie brauchen genug Realismus, um ihre Vision für den Markt umzusetzen.“ Die Ansprüche an den Nachwuchs sind gestiegen, die Herausforderung, passende Lehrinhalte zu entwickeln, im gleichen Maße. Letzendlich müssen Ausbilder vor diesem Hintergrund fördern, um was es schon gestern im Bereich Design ging: die Entwicklung einer eigenen Handschrift. | AMD Akademie Mode & Design Die Akademie bildet seit 25 Jahren aus: An den Studienzentren in Hamburg, Düsseldorf, München und Berlin sind über 1500 Studenten eingeschrieben. In der dort ansässigen School of Fashion werden die Bachelorstudiengänge Mode-Design, Mode- und Designmanagement angeboten, an der School of Design sind es Raumkonzept und Design sowie Visual and Corporate Communication. Und ab Herbst 2014, nach erfolgter Akkreditierung, zudem Crossmedia Communication, Design Innovation and Management sowie Management in Creative Industries (MBA). Neben dem Studienangebot der AMD und des Fachbereichs Design gibt es hier auch den deutschlandweit einzigen Ausbildungsgang Modejournalismus. ›21 Karriere Von einem, der auszog ... … um die Berufswelt zu erobern: Alexander Lehmann hat nach seinem Fachhochschuldiplom in Medienwirtschaft einen Job beim Fernsehen gefunden – und damit die perfekte Verbindung aus Theorie und Praxis. „ Protokoll Andin Tegen · Foto Tilman Schenk Ein Junge steht vor einem Getränkeautomaten. Er wirft eine Münze ein, drückt auf die Taste ‚Cola‘, holt die Dose heraus und stellt sie auf den Boden. Er wiederholt das Ganze, stellt die zweite Dose neben die erste – und nutzt die beiden als Trittleiter. Nun erreicht er die Taste, an die er wirklich heranwill: Er drückt auf 'Pepsi', nimmt die Dose und verschwindet – dieser Werbespot wurde vor ein paar Jahren an der Hochschule Fresenius im Fach Wirtschaft & Medien analysiert und steht für alles, was mir im Berufsleben wichtig ist: einem großen Publikum eine Botschaft zu vermitteln, die zugleich humorvoll, provozierend und filmisch gut umgesetzt wird. Und dabei maßgeblich an der Kostenkalkulation mitzuwirken. Es braucht einfach gute Unterhaltung, um ein Produkt zu verkaufen, und neben einer Menge schwacher Kampagnen gibt es eben geniale wie die von Pepsi, die mich bei meiner Arbeit inspirieren. Heute bin ich Sales Manager bei Super RTL in Köln und berate Werbekunden darin, wie sie ihre Spielekonsolen, ihre Miniponys oder Superhelden-Figuren werblich in Szene setzen können. Ich analysiere die für den Kunden wichtigen Zielgruppen oder überlege mir Onlinespiele und Gewinnspiel-Spots, die mit dem Produkt verknüpft sind. Als ich mich 2008 an der Hochschule Fresenius immatrikuliert habe, wollte ich mehr darüber wissen, wie sich der kreative Prozess bei der Vermarktung mit dem betriebswirtschaftlichen Aspekt verbinden lässt. Zuvor hatte ich eine Ausbildung zum ›22 Werbekaufmann absolviert – nun studierte ich neben meinem Job in der Agentur. Mein Beruf war inhaltlich eine gute Grundlage für das Studium, weil ich schon Erfahrungen im Projektmanagement von Marketingkampagen hatte sammeln können. Aber die reine Agenturarbeit hatte mir irgendwann nicht mehr gereicht. Es reizte mich, einen noch stärkeren Einblick in die Medien zu erhalten, und das Studium lotste mich genau in diese Richtung: Im Bereich Sales & Marketing von Super RTL überlege ich heute, wie man etwa Spielzeug gut werblich inszenieren kann. Dabei helfen mir die Inhalte aus meinem Studium von damals, etwa aus dem Fach Medienpsychologie: Auf welche Sinnesreize reagiert der Kunde am stärksten, wenn er Werbung anschaut? Warum sieht er zuerst auf Gesichter und dann erst auf das Produkt oder das Logo? Ich profitiere auch von meinen Kenntnissen in VWL und BWL. Umfangreiche Kostenkalkulationen fallen mir leicht, obwohl Mathe nie zu meinen favorisierten Schulfächern gehörte. Um eine Eins in Mathematik geht es aber nicht. Sondern darum, ein Gefühl für Geld zu haben und während eines Projekts die Kosten im Auge zu behalten. Die Jahre an der Hochschule waren prägend für mich, sie haben mir einen neuen Job ermöglicht und die Option auf einen Führungsposten. Ich erinnere mich gern ans Studium zurück. Auch wenn ich neben dem Job Vorlesungen besucht habe und oft pauken musste, während meine Freunde feiern gingen. Diese Jahre waren hart – aber sie haben sich ausgezahlt.“ | Gut zu wissen Mehr Jobs für Kreative, gute Prognosen für fossile Energien, beliebter werdende nachhaltig erzeugte Produkte: Hier finden Sie weitere Daten zu den Reports im Magazin. Grafik Alex Ketzer Was ist Führungskräften bei Mitarbeitern wichtig? 78 % Vertrauen 76 % Integrität Verantwortung 65% 58 % Respekt Nachhaltigkeit 31 % 31 % Mut Erneuerbare Energien können die Nutzung von Kohle, Erdöl, Erdgas und nuklearen Energien im Strom- und Wärmemarkt schrittweise reduzieren und diese langfristig sogar vollständig ersetzen. Schulen und Universitäten liegen mit 95 % an der Spitze der Dinge, für die die Menschen in Deutschland mehr Geld fordern. Es folgen Renten und Altersvorsorge (89 %), Gesundheitsversorgung (87 %), Kinderbetreuungsmöglichkeiten (85 %) und der Wald (77 %). Pro Jahr bindet der deutsche Wald rund 110 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Das entspricht in etwa dem jährlichen CO2-Ausstoß durch Pkw in Deutschland. Jobaussichten Kreativwirtschaft: Die Zahl Selbstständiger und sozialversicherungspflichtig Beschäftigter in der Kultur- und Kreativwirtschaft konnte zwischen 2009 und 2012 durchschnittlich um jährlich 1,9 % zulegen. Plötzlicher Sinneswandel: Jeder Zweite gab 2013 an, häufig nachhaltig erzeugte Produkte zu kaufen – doppelt so viele Menschen wie noch vier Jahre zuvor. % ie: + 7,0 -Industr s e m a nd G ware- u 0 % —Soft e Künste: + 3, — Darstellend — Architektur: + 2,5 % — Designwirt schaft: + 1,7 % — Run dfunkw irtscha ft: + 0,7 % › Q uellen: w ertekommission.de, Fraunhofer ISE, Forsa, Ottogroup Trendstudie, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Bildung, die prägt.