Siebter Newsletter der Union progressiver Juden in Deutschland

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Siebter Newsletter der Union progressiver Juden in Deutschland
Union progressiver Juden in Deutschland
Liebe Mitglieder unserer Gemeinden, liebe Freunde der
progressiven Bewegung!
In diesem Editorial möchte ich
mit Ihnen meinen Eindrücke von
einem ganz besonderen Ereignis teilen: Vor wenigen Tagen
konnte ich als einzige deutsche jüdische Vertreterin miterleben, wie der
Bundesjustizminister, Heiko Maas, in New York den wichtigsten dort
ansässigen jüdischen Organisationen das Rosenburg-Projekt vorstellte, das wir - Sie werden sich erinnern - im vergangenen Sommer zum
Auftakt unserer 20. Jahrestagung mit dem Israel-Jacobson-Preis ausgezeichnet haben. Wie die meisten von Ihnen sicher wissen, befindet sich
eine der beiden Zentralen der World Union for Progressive Judaism in
New York (die andere ist in Jerusalem) und die WUPJ war bei diesem
Treffen durch ihren Vizepräsidenten, Rabbi Gary Bretton-Granatoor,
vertreten.
Ich war zutiefst beeindruckt. Zum einen von der Ernsthaftigkeit und
dem persönlichen Engagement des Bundesjustizministers. Es war
offenkundig, dass diese Reise ihm ein Herzensanliegen war und er es
als einen wichtigen Teil seines Umgangs mit der deutschen Geschichte
definiert, die Naziverstrickungen des Justizministeriums aufzuklären.
Noch mehr beeindruckt war ich von der wertschätzenden und anerkennenden Aufnahme, die Heiko Maas und seine Delegation durch
die jüdischen Vertreter erfuhren. Rabbi Sobel, der Präsident des Leo
Baeck Institutes in New York, berührte alle Teilnehmer tief, als er dem
Minister für seinen Besuch dankte und ausführte, dass Deutschland
nicht das einzige Land mit einer mörderischen und faschistischen
Vergangenheit sei, dass sich aber die Bundesrepublik in exemplarischer
und höchst überzeugender Weise um Aufklärung bemüht habe und
ausweislich des Rosenburg-Projekts auch weiter bemühe. Dies werde
bei der jüdischen Gemeinschaft in den USA mit größter Anerkennung
wahrgenommen.
In diesen letzten Tagen des Kalenderjahres bereiten wir uns auf Chanukka vor und blicken unweigerlich dabei auch zurück auf die letzten
Monate. Etliche schöne Momente durften wir da erleben. Als wirkliche Highlights möchte ich die EUPJ-Tagung in Dresden im April, die
Rabbiner-Ordination in Wroclaw im Herbst und vor wenigen Wochen
den 15. Gründungstag des Abraham-Geiger-Kollegs hervorheben. Auch
im Jahr 2015 dürfen wir uns auch wichtige Ereignisse freuen und sehen
uns darin in unserer Entwicklung als Bewegung sehr bestätigt, so viel
auch weiterhin auf allen Ebenen, vor allem auf der wichtigsten,
nämlich
der Gemeindeebene, zu tun bleibt.
Ich wünsche uns allen, dass das Licht, das unsere
Chanukka-Kerzen aussenden werden, die
Welt nicht nur erleuchten und erhellen wird,
sondern uns alle auch erinnern werden an die
Kraft zum Frieden, die allen Religionen innewohnt.
Chag Chanukkah Sameach,
Sonja Guentner
Dezember 2014 | Kislew 5774
INHALTSVERZEICHNIS
Leitartikel, Sonja Guentner
Aktuelles
• Preisverleihung an Justizminister Heiko Maas
• Impressionen– eine Fotogalerie
• Rabbiner und Kantoren für Europa, Hartmut Bomhoff
• Festliche Amtseinführung von Kantor Nikola David, Ilse Raetsch
Religion
• Chanukkah aus liberaler Sicht, Deborah Tal-Rüttger
• Die Geschichte von Chanukkah, Rike Menn
• Solidarität, Rabbiner Dr. Walter Rothschild
• Der schönste Friedhof in Schleswig-Holstein, Alisa Fuhlbrügge
Hebräisch
• Ivrit für Neugierige, Deborah Tal-Rüttger
• Hebräisch für jedermann VI, Deborah Tal-Rüttger
Aus den Gemeinden
• 400 Narzissen für eine lebendige Gedenkstätte, Verena Menn
• Ein Heiligtum zieht um – damals und heute, Benno Simoni
• Verein zur Rettung der Synagoge lud zum Konzert,
Jüdische Liberale Gemeinde Emet weSchalom e.V. Nordhessen
• Hamburgs Liberale Jüdische Gemeinde feiert ihren
10. Geburtstag, Bettina Wagner
• Jung und Jüdisch Deutschland e.V, Dina Purits
• Sofer Neil Yerman aus New York zu Besuch in Kiel,
Dr. Serafine C. Kratzke
• Israels Generalkonsul betet mit Beth Shalom, Dr. Jan Mühlstein
• Treffen mit Familie Lindenbaum, Jüdische Gemeinde haKochaw
Jugendabteilung der UpJ
• 14 Tage, 80 Kinder, Alexander Reschetnikow
• Schnatbericht, Aleks & Yana
• Barcelonafahrt, Konstantin Seidler
• Informationen aus der Jugendabteilung, Stephanie Bartneck
Kinderseite
• Ein Dreidel als Schlüsselanhänger, Bea Ehrlich
Kurzgeschichte
• Die Guajave, Etgar Keret
Termine
• Presidents’ Day vom 16.01.-18.01.2015 in Bielefeld
• Konferenz der World Union for Progressive Judaism
in Rio de Janeiro vom 13.05.-16.06.2015
• 21. Jahrestagung der UpJ vom 02.07. – 05.07.2015
in Berlin-Spandau
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Aktuelles
Preisverleihung an Justizminister Heiko Maas
Am 24. Juli 2014 wurde der Israel-Jacobson-Preis der Union progressiver Juden in Deutschland (UpJ) an Herrn Bundesminister Heiko Maas
verliehen. Die Laudatio wurde gehalten vom ehemaligen Botschafter
des Staates Israel in Berlin, Herrn Avi Primor. Die Preisverleihung fand
im Plenarsaal des Kammergerichts in Berlin statt.
Der Preis wurde verliehen in Erinnerung an Israel Jacobson, einen der
ersten und bedeutendsten Reformer des Judentums, der vor 200 Jahren
in Seesen die erste „moderne“ jüdische Reformschule gründete.
Alle zwei Jahre ehrt die UpJ mit diesem Preis Persönlichkeiten, die im
Sinne Jacobsons Hervorragendes geleistet haben als Bürger in ihrer
Gesellschaft.
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Aktuelles
Impressionen
von der Vorstandssitzung sowie der Tagung
der Union progressiver Juden in Berlin
am 24./25. Juli 2014
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Aktuelles
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Aktuelles
Rabbiner und Kantoren für Europa
Ordinationsfeier des Abraham Geiger Kollegs in Breslau
75 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs ordinierte das
Potsdamer Abraham Geiger Kolleg erstmals Absolventen in Polen.
Am 2. September wurden in der Synagoge von Wroclaw (Breslau) vier
Rabbiner und drei Kantoren in ihr geistliches Amt eingeführt. Dass der
Bundesminister des Auswärtigen Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD)
eigens zu diesem Anlass angereist war, zeugt von der hohen Symbolkraft dieser Feier. Steinmeier sagte, es sei „ein großes Glück“, dass
diese Zeremonie „gemeinsam von Juden und Christen und gemeinsam
von Polen und Deutschen“ ausgerichtet werden konnte.
In seiner Rede ging Außenminister Steinmeier auch auf den 75.
Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf Polen ein und nannte es
ein kostbares Geschenk, dass Deutsche und Polen heute gemeinsam
Verantwortung für ein freies und offenes Europa trügen. Auch die
übrigen Festredner kamen immer wieder auf den Beginn des Zweiten
Weltkriegs zu sprechen, der polnische Staatssekretär Stanisław Huskowski und der Präsident der Union der jüdischen Religionsgemeinden
in Polen, Piotr Kadlicik, ebenso wie Charlotte Knobloch (Schirmherrin
des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks), die auch ihre Zuversicht zum
Ausdruck brachte, dass es den Absolventen „gelingt, den Menschen
Halt und Glauben zu vermitteln und die jüdische Religion zu bewahren
und weiterzugeben .“
dem Präsidenten des Abraham Geiger Kollegs: „Der 1. September
steht mir noch klar vor Augen. Meine Familie und ich waren, nachdem
wir aus Deutschland geflohen waren, in England, in Sicherheit. Wir
standen und saßen um ein Kofferradio und lauschten den schicksalhaften Worten. Auch an diesem Tag der dunklen Erinnerungen richten wir
unseren Blick auf eine leuchtende Zukunft.“
Die über 350 geladenen Gäste, die an der Festveranstaltung teilnahmen, waren aus ganz Europa, Südafrika, Israel und den USA in die
Synagoge zum Weißen Storch gekommen, in der Abraham Geiger einst
über dreiundzwanzig Jahre lang amtiert hatte.. Der neue Präsident der
World Union for Progressive Judaism, Rabbiner Daniel Hillel Freelander, war ebenfalls dabei; für ihn verkörpern die jungen Kantoren und
Rabbiner „das Engagement, mit dem wir ein jüdisches Leben von besonderer Strahlkraft in Europa zu verwirklichen suchen.“ Im Anschluss
an die Feierstunde, die auf ein weltweites Medienecho stieß, lud die
UPJ zu einem kleinen Empfang ein.
Hartmut Bomhoff
Sonja Güntner, die Vorsitzende der Union progressiver Juden in
Deutschland, sagte: „Wir hoffen und beten, dass die Signale, die vom
heutigen Tage ausgehen, innerhalb und außerhalb des Judentums
und in diese Welt hinein, in der wir mit einander leben, Zeichen der
Hoffnung, der Empathie und eines unverbrüchlichen Friedenswillens
sein mögen.“ Professor Reinhard Schramm überbrachte die Grüße und
Glückwünsche des Zentralrats der Juden in Deutschland auf Polnisch.
Besonders anrührend waren die Worte von Rabbiner Walter Jacob,
Festliche Amtseinführung von Kantor Nikola David bei Beth
Shalom in München
zur jüdischen Gemeinde nach Augsburg. Seit Anfang des Jahres hat er
eine Halbzeitstelle in Beth Shalom und ist Kantor auch im Liberalen
Minjan in Stuttgart.
Anfang 2014 hat die Liberale Jüdische Gemeinde München Beth
Shalom eine Halbtagsstelle für einen Kantor geschaffen und konnte
sie mit Nikola David aus Augsburg besetzen. Der 19. Juli war für die
Gemeinde ein großer und schöner Tag – der Tag der feierlichen Amtseinführung.
Mag sein, dass es gar nicht der wärmste Tag des Jahres war. Doch
wenn draußen etwa 30 °C herrschen und zirka 200 Menschen – neben
Gemeindemitgliedern und vielen Vertreter aus Politik, den Religionsgemeinschaften und anderen Bereichen der Gesellschaft – in die (gar
nicht mal so kleinen Räume) von Beth Shalom kommen, dann wird
es warm. Der guten Stimmung und der Herzlichkeit während dieses
Schacharit taten die tropischen Temperaturen jedoch keinen Abbruch.
Kantor Nikola David, 45, wurde in Bela Crkva, Serbien, geboren,
studierte Gesang und Musikpädagogik, absolvierte am Konservatorium
Peter Cornelius in Mainz ein künstlerisches Aufbaustudium, trat bei
internationalen Festivals auf und gab in vielen Ländern – auch in Israel
– Gastspiele. Er sang an der Oper und an Theatern, gab als Oratoriensänger Konzerte im In- und Ausland. Von 2008 bis 2013 war Nikola
David Kantorenstudent am Abraham Geiger Kolleg. Die Ordination
zum Kantor erfolgte im April 2013. Er war Leiter des Kulturzentrums
Schon zum Kabbalat Schabbat angereist war der etwa 30-köpfige
Shalom-Chor aus Berlin, den Nikola David über viele Jahre leitete. Und
der Gesang bewies auf beeindruckende Weise, wie professionell Laien
sein können – wenn er ihnen Freude macht und „die Chemie“ mit
dem Lehrer stimmt. Extra angereist aus Potsdam war auch Prof. Jascha
Nemtsov vom Kantorenseminar
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Religion
am Abraham Geiger Kolleg. Er sprach über die Liebe zur Musik und die
menschliche Wärme, die bei Nikola David besonders auffallen. Seine
Freude über die Anstellung von Kantor Nikola drückte Rabbiner Tom
Kučera aus, ebenso wie Ilse Raetsch, die als Vertreterin des Vorstands
an die Entwicklung der Gemeinde erinnerte, die 2015 ihr 20-jähriges
Bestehen feiern wird. „Als wir uns damals im Bürgerhaus in Freimann
zu den Tefillot trafen - wer hätte daran gedacht, dass wir eigene Räume
haben, seit acht Jahren mit Tom Kučera einen Rabbiner beschäftigen
können? Und jetzt einen Kantor!“ Sie dankte allen, die dieses Wachstum bei gleichzeitiger Beständigkeit möglich gemacht und unterstützt
haben.
Chanukkah aus liberaler Sicht
Sonja Guentner, Vorsitzende der Union liberaler jüdischer Gemeinden
Deutschlands, Vizepräsidentin der World Union for Progressiv Judaism
und Vizepräsidentin der Europäischen Union progressiver Juden, sagte,
dass die liberale jüdische Welt auf München blickt und Beth Shalom
motivierend für andere Gemeinden wirkt.
Wer waren die hellenisierten Juden?
Und schließlich erklärte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, dass sie
Kantor David gerne „ausleihen (aber nicht wegnehmen)“ möchte.
In ihrer warmherzigen Ansprache betonte sie, dass sich die beiden
jüdischen Gemeinden in München besser kennenlernen und mehr
miteinander machen sollten. Und wie bereits bei der Einweihung der
Synagogenräume vor drei Jahren stellte sie Beth Shalom einen Wunsch
frei, den ihre Gemeinde erfüllen wird.
I. Raetsch
Traditionell bekommen die Kinder an Chanukkah Geschenke oder Geld.
Schon ist Osteuropa war es üblich chanukke gelt, einige Münzen, den
Kindern zu schenken.
Chanukkah außerhalb Israels, in einer christlichen Welt, ist von einem
kleinen, ziemlich unbedeutenden Fest, zu einer Art weltlichen, jüdischen Weihnukkah geworden. Wir beschenken einander und unsere
Kindern – und das nicht knapp. Und so, ohne es zu wollen oder zu
wissen, handeln wir ähnlich den hellenisierten Juden zur Zeit der
Makkabäer.
Reiche, gebildete Juden waren von der griechischen Kultur angezogen:
Philosophie, Wissenschaft und Sport, einschließlich nacktes Ringen,
das die Traditionalisten stark abgelehnt hatten. Die Hohen Priester
wurden aus den hellenisierten Juden gewählt. Die Hohen Priester planten, zusammen mit Antiochus IV, Jerusalem in ein Zentrum griechischer
Kultur zu verwandeln. All das brachte das Volk gegen sie und gegen
die Seleukiden auf. Die Griechen reagierten mit Repressalien und Entweihung des Tempels und der Makkabäeraufstand kam als nächstes.
Noch heute nennen manche Orthodoxe liberale Juden „Hellenisierte“.
So wie die Juden zur Zeit der Makkabäer sich damit auseinander gesetzt haben, wie viel der Kultur der Umgebung man in sein Judentum
übernehmen kann, so setzen wir uns mit dem Einfluss von Weihnachten in der christlichen Umwelt auf unser Chanukkah auseinander. Wir
wollen nicht, dass unsere Kinder dem Glanz von Weihnachten erliegen,
und pressen soviel von weihnachtlichen Bräuchen in unser Chanukkah,
wie noch vertretbar ist. Wie viel ist aber vertretbar? Sogar die Christen
bemängeln die Kommerzialisierung von Weihnachten und die Überbewertung der Geschenke zum Fest.
Auch wir sollten einen Weg aus der Geschenkefalle, der Weihnukkasierung, suchen.
Die progressive Bewegung in den USA versucht neue Inhalte für Chanukkah zu finden, die den jüdischen Werten entsprechen und durchaus
dem Weihnachtsglanz widerstehen können.
Die Wieder-Eroberung des Tempels aus der Hand der Griechen
(Seleukiden) durch die Makkabäer im jüdischen Jahr 3597 (164 v.d.Z.)
feiern wir als die Wieder-Einweihung des Tempels. Mit diesem Akt bewiesen die Makkabäer ihre Treue zum Judentum, zu allem, was ihnen
ethisch wertvoll war. So kann Chanukka für uns eine gute Gelegenheit
sein, uns den jüdischen Werten von Tikkun Olam, Reparatur der Welt,
wieder zuzuwenden.
Vorschläge für Tikkun Olam an Chanukkah
Foto: Helmut Reister
• Statt Geschenke, eine Spende im Namen der Familienmitglieder für
Menschen in Not leisten.
• Eine Flüchtlingsfamilie „adoptieren“ und sie begleiten.
• Sich in einer sozialen Einrichtung der jüdischen Gemeinde engagieren: Bikkur Cholim, Chewra Kaddischa, Betreuung von Menschen, die
Hilfe im Alltag brauchen usw.
• Sich in einer sozialen Einrichtung der kommunalen Gemeinde engagieren: Essen auf Rädern, Die Tafel, Hausaufgabenbetreuung,
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Betreuung von Menschen, die Hilfe im Alltag brauchen usw.
• Spende Blut, lass dich als Organspender registrieren, lass dich für
Knochenmarkspende typisieren. Die Bereitschaft dazu hat sehr nachgelassen. Lasst uns hier ein Vorbild sein.
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Sicher gibt es noch viel mehr Ideen. Teile sie uns mit, wir veröffentlichen diese im nächsten Newsletter.
Deborah (Debbie) Tal-Rüttger
Die Geschichte von Chanukkah
Im Jahre 332 vor unserer Zeitrechnung marschierte Alexander der
Große in Jerusalem ein. Der junge griechische König hatte zwei Jahre
zuvor die Perser besiegt und übernahm von ihnen die Herrschaft über
Judäa. Zu seiner Überraschung stieß Alexander auf keinen Widerstand
von Seiten der Juden, stattdessen begrüßte ihn der jüdische Hohepriester in Jerusalem mit einer Prozession. Alexander war erfreut und erwies
sich als toleranter Besatzer: er erwartete Steuerzahlungen, erlaubte den
Juden aber, sich in vielen Bereichen selbst zu verwalten. Vor allem gewährte er ihnen Religionsfreiheit. Als Dank dafür erklärten die Juden,
allen ihren männlichen Babys im ersten Regierungsjahr Alexanders den
Namen „Alexander“ geben zu wollen.
Alexanders langfristige Vision war dennoch die Hellenisierung, d.h.
dass alle Völker in seinem Herrschaftsgebiet unter der griechischen
Kultur und Sprache vereint leben sollten. Um dies auf friedliche Weise
zu fördern, wurden griechische Soldaten dazu ermutigt, auch in Judäa
zu siedeln, Familien zu gründen und den Einheimischen ihre Kultur vertraut zu machen. Die Juden störte dies nicht, einige nahmen verschiedene Versatzstücke der griechischen Lebensart an, viele bewahrten
jedoch ihre eigene Kultur und lebten im Einklang mit den Gesetzen der
Thora.
Nach zwölf Regierungsjahren verstarb (320 vor unserer Zeitrechnung)
Alexander und sein Reich zerfiel in zwei Teile. Erbschaftskämpfe
wurden zwischen Alexanders Nachfolgern Ptolemäus und Seleukides
ausgefochten. Weitere Anwärter mischten in den kriegerischen Auseinandersetzungen mit und meldeten Herrscheranspruch an.
Über hundert Jahre vergingen, in denen Judäa zunächst an die ptolemäische dann an die seleukidische Herrscherlinie fiel. Die Juden
durften sich in diesem Zeitraum unter ihrem jeweiligen Hohepriester
weitgehend selbst verwalten. Unter dem langen griechischen Einfluss
schritt die Hellenisierung so mancher Juden voran, andere bewahrten
sich ihre eigene Kultur und Religion. Die unterschiedlichen Sichtweisen
bargen großes inneres Konfliktpotenzial.
Schon zu Zeiten Alexanders betrieben die Griechen neben dem Vielgötterkult den Herrscherkult. So wurden neben ihren Göttern auch
Alexander und spätere griechische Herrscher in Tempeln gottgleich
mitverehrt. Unter seleukidischer Herrschaft hatte die Religionsfreiheit
der Juden in Judäa ein Ende. Antiochus IV., der sich selbst Epiphanes (=
der sichtbare Gott) nannte, verlangte von den Juden die Unterwerfung
unter den griechischen Kult. Um sich Ägypten unbeschadet einverleiben zu können, war es für Antiochus unabdingbar, dass das daran
angrenzende Judäa endlich loyales griechisches Hinterland abgab. Er
wollte die Hellenisierung Judäas ein für alle Mal erzwingen. (Manch
einer nannte ihn damals Antiochus Epimanes (= der Verrückte)).
Insbesondere das Geschlecht der Hasmonäer (später auch Makkabäer
genannt) und die Hasidim (strenggläubige Juden) wehrten sich hartnäckig gegen den Einfluss des Griechischen.
Die Gruppe der Juden, die der Hellenisierung positiv gegenüberstanden, empfahl Antiochus als neuen jüdischen Hohepriester Jason einzusetzen. Unter dessen Priesterschaft wurden nun erstmals griechische
Götter- und Herrscherstatuen im Tempel von Jerusalem aufgestellt und
jüdische Priester nahmen aktiv an griechischen Kulten teil. Jason erlaubte dennoch weiterhin gesetzestreuen Juden ihre unverfälschte Religionsausübung. Dies beunruhigte die Gruppe der hellenisierten Juden
derart, dass sie Antiochus bat, einen anderen, strengeren Hohepriester,
Menelaus, zu ernennen. Diese Juden boten Antiochus sogar Geld als
Ablösesumme an, das Antiochus gern annahm. Der frisch ernannte
Hohepriester verkaufte einige geweihte Gefäße aus dem Jerusalemer
Tempelschatz, um die Ablösungssumme ganz zusammenzubekommen.
Als Antiochus mit seiner Armee Ägypten überfiel, kam das Gerücht
auf, er sei tot. Daraufhin überfielen die Hasmonäer den Tempel in Jerusalem, warfen alle Götzenstatuen heraus und massakrierten alle Menelaus-Befürworter. Die Todesnachricht erwies sich jedoch als falsch.
Ein von den Römern besiegter Antiochus marschierte zornig in Jerusalem ein und tötete 10.000 Bewohner, hellenisiert oder nicht. Danach
plünderte er den Jerusalemer Tempel und stellte neue griechische
Statuen auf. Nun verbot er unter Todesstrafe, dass die Juden Shabbat
hielten, Torah studierten oder ihre männlichen Babys beschnitten. Wurden bei Kontrollen irgendwelche jüdischen Kultgegenstände zuhause
gefunden, hatten die Bewohner ihr Leben verwirkt. Auf diesen neuerlichen Terror reagierten die Juden unterschiedlich. Manche wandten sich
verängstigt von ihrem Glauben ab, bei wieder anderen bewirkte er das
Gegenteil und sie schlossen sich heimlich den Hasmonäern an.
Viele Juden verließen Jerusalem, um der Gewalt zu entfliehen. Jedoch
schickte Antiochus seine Soldaten nun auch in die abgelegeneren
Dörfer, wo die Bewohner dann gezwungen wurden, den griechischen
Göttern zu opfern und Schweinefleisch zu essen.
168 vor unserer Zeitrechnung kam eine syrische Patrouille nach Modi‘in. Sie errichtete einen Altar auf dem Marktplatz, versammelte die
Bewohner und verlangte vom hiesigen Priester Mattathias, ein Schwein
zu schlachten und dessen Fleisch zu essen. Mattathias, ein Hasmonäer, weigerte sich. Stattdessen trat ein anderer Jude vor und erklärte,
er wolle das Opfer an Mattathias Stelle ausführen. Daraufhin stürzte
Mattathias nach vorn, entwand dem syrischen Kommandeur sein
Schwert und tötete den jüdischen Mann. Dann wandte er sich um und
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Religion
tötete auch den Kommandeur. Mattathias‘ Wut sprang auf seine fünf
Söhne und die anderen Dörfler über. Sie töteten die gesamte syrische
Patrouille. Dies war kein Anlass zur Freude, die Bewohner von Modi‘in
wussten, dass andere Soldaten kommen würden, um nach ihren Kameraden zu fahnden. Mattathias rief: „Wer für das Gesetz ist, folge mir!“
Und das gesamte Dorf floh.
Mit allen Tieren und Bewohnern und den wichtigsten Besitztümern
verließ man für unbestimmte Zeit das Zuhause und zog in die Berge.
Mattathias organisierte von hier aus den Widerstand. Neben den
Hasmonäern, deren Motive eher national waren (Widerstand gegen die
Besatzer) stießen nun auch die Hasidim zu der Partisanengruppe. Die
Hasidim (= die Gläubigen) wehrten sich gegen die Hellenisierung und
die Einflussnahme der Besatzer auf die jüdische Religion.
Der Widerstand begann anfangs damit, dass die Hasidim gezielt
Fremdaltäre und Götzenstatuen in den umgebenden Dörfern zerstörten
und Beschneidungen durchführten. Die Partisanengruppe überfiel kleinere syrische Patrouillen und verhinderte griechische Kulthandlungen.
Mattathias baute im ersten Jahr des Widerstandes seine Kämpfergruppe aus, ordnete an, dass an einem Shabbat selbst zwar nicht angegriffen würde, Verteidigungskampf jedoch zu führen sei, und ordnete
seine Nachfolge. Er bestimmte vor seinem Tod seinen zweiten Sohn
Simon als geistigen Führer der Widerstandsgruppe, seinen dritten Sohn
Jehuda haMakkabi (Makkabi = Hammer) als militärischen Anführer
der Bewegung. Makkabi, eigentlich nur ein Familienname, wird bald
zum Namen der gesamten Widerstandstruppe, den wir aus unseren
Chanukka-Erzählungen kennen.
dem die Religionsfreiheit zwischenzeitlich zurückerobert worden war,
schieden viele Hasidim aus der jüdischen Armee aus. Die Makkabäer
jedoch kämpften mit wechselndem militärischen Glück als Partisanenarmee weiter.
160 vor unserer Zeitrechnung fällt Jehuda in einem der größeren
Gefechte und wird von seinem Bruder Jonathan ersetzt. Oft steht es
auf Messers Schneide und Rückschläge müssen eingesteckt werden.
Das Verhandlungsgeschick von Simon führt erst etwa 20 Jahre nach
der Rückeroberung des Tempels zum Ende der Besatzung Judäas und
zu politischer Unabhängigkeit.
Simon übernahm 143 vor unserer Zeitrechnung, 25 Jahre nachdem
sein Vater Mattathias den Partisanenkampf eröffnet hatte, als einziger
Überlebender der Brüder das Amt des Hohepriesters in Jerusalem.
Acht Tage lang jedes Jahr feiern wir Juden die Wiedereinweihung des
Tempels. „Chanukkah“ steht für Religionstreue, für die Freiheit, unsere
Religion offen und selbstbewusst leben zu können und für Frieden an
den Grenzen unserer Lebenswelt. Der Kampf um die Religionsfreiheit
begleitet die Juden durch die Geschichte. Sie ist ein nicht hoch genug
zu schätzender Wert.
Chanukkah sameach!
Rike Menn
Jehuda hatte schätzungsweise 3000 Soldaten hinter sich – die syrische
Armee war mehr als zehn Mal so groß und viel besser bewaffnet.
Jedoch im Hinterhalt und in den Bergen hatten die Makkabäer Heimvorteil und Jehuda war ein mitreißender Anführer und guter Stratege.
Viele kleine Scharmützel und vier große Schlachten waren nötig, bis die
Juden den Jerusalemer Tempel zurückerobern konnten. Im Laufe dieser
Kämpfe bewies Jehuda großes taktisches Geschick und konnte seine
Soldaten nach und nach mit den Waffen seiner Feinde ausstatten.
Solidarität
Nach drei Jahren Widerstand eroberten die Makkabäer Jerusalem
und den Tempel zurück. Ihnen bot sich ein schrecklicher Anblick; die
gesamte Tempelanlage war verwahrlost, der Altar zerbrochen, das
innere Heiligtum entweiht und geplündert und griechische Götterstatuen überall. Die Juden waren fassungslos, dann machten sie sich an
die Aufräumarbeiten, bauten alles wieder neu auf und stellten neue
Kultgegenstände für ihren Opferdienst her.
Früh am Morgen des 25. Kislev begannen die Feierlichkeiten zur Wiedereinweihung des Tempels, nach denen unser Feiertag seinen Namen
hat (Chanukkah = Einweihung). Die Tempelmenorah wurde angezündet. Hierzu kennen wir alle die Legende: Es schien, dass sie wohl nur
einen Tag brennen würde, da von dem benötigten, nach besonderem
Verfahren herzustellenden Öl nur sehr wenig vorhanden war. Als Wunder dieses ersten Chanukkahs gilt, dass die Menora acht Tage hindurch
brannte bis neues Öl hergestellt worden war.
Demonstrationen wurden abgehalten, Slogans geschrien, Synagogen
angegriffen – wir kennen die abstoßende Geschichte, ich will sie an
dieser Stelle nicht insgesamt wiederholen – aber eine Frage kam oft
auf: SIND die Juden, beispielsweise die in Deutschland, tatsächlich
verantwortlich dafür, was eine ausländische Regierung in einem fremden Land zu tun beschließt oder wie sie reagiert?
Während im Tempel gefeiert wurde, gingen die Kämpfe um Judäa
weiter. Noch jahrzehntelang schickten die Griechen ihre Armeen. Nach-
Das Jahr 2014 war in vielerlei Hinsicht ein schwieriges Jahr. Während
der Fortsetzung des Krieges der jüngsten Kriegsepisode zwischen der
Hamas und Israel (NICHT eines Krieges zwischen Israel und der Hamas
– sogar die Reihenfolge der Worte ist wichtig – hat Israel sich aus Gaza
zurückgezogen, griff die Hamas an, ging Israel daraufhin lediglich zum
Gegenangriff über!) - wurden Juden weltweit beschuldigt, irgendwie gemeinschaftlich für alles, was passierte, verantwortlich zu sein.
Um das Thema etwas zu erweitern: Es ist eine traurige Tatsache, dass
JEDER Amerikaner Opfer einer terroristischen Gruppe werden kann, die
sich an dem amerikanischen Präsidenten rächen will; JEDER Brite kann
hingerichtet werden oder ein Terror-Opfer werden, weil jemand die Briten, Christen, den Westen … nicht mag. Der Mob agiert nicht rational
und terroristische Organisationen folgen ihrer eigenen Logik, die wir
uns bewusst machen müssen, denn wenn wir nur unsere EIGENE Logik
anwenden, werden wir nie in der Lage sein, die andere zu verstehen
und zu besiegen. Aber wenigstens wissen wir, dass dies wahr ist. Demnach kann jeder, der eine Kippah trägt oder eine Israelische Flagge hält
oder aus einer Synagogentür kommt, irgendwie für alles verantwortlich
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Religion
gemacht werden, was Tzahal tut oder das Netanyahu-Kabinett (oder
das Olmert- oder Sharon-Kabinett) beschließt.
ner des Gazastreifens für die Raketenangriffe zur Verantwortung zu
ziehen?
Es hat eine kleine Weile gedauert, bis die muslimische Gemeinschaft
in Deutschland realisiert hat, dass, wenn junge Moslems aus Hamburg
Flugzeuge in Bürogebäude fliegen oder junge Männer (und Frauen!)
nach Syrien gehen, um sich der IS anzuschließen, oder sich nach
Afghanistan aufmachen, um sich dem Jihad anzuschließen, oder sich
gewalttätig gegen Juden hierzulande verhalten, dass das dann ein
schlechtes Licht auf ALLE Moslems wirft, auch auf jene, die friedlich in
diesem Land leben wollen. Alle werden gemeinschaftlich verantwortlich gemacht.
Darauf gibt es eine Antwort – sie ist nicht völlig zufriedenstellend, aber
sie muss genügen: So lange Hamas-Raketen auf Männer, Frauen und
Kinder zielen, Zivilisten, ausländische Arbeiter, Beduinen, Touristen auf
dem Flughafen und alle anderen bedrohen, so lange muslimische Fundamentalisten ägyptische Polizisten und Zivilisten im Sinai angreifen,
ebenso wie Christen und Jessiden in Syrien und im Irak – ist das eine
törichte Frage. Und wenn die Leute diese Frage stellen, UNS – Juden
in Deutschland – auffordern, zu erklären, was Israel tut, haben sie im
Grunde ihre eigene Frage beantwortet – sie machen UNS zum Teil des
Themas. So werden wir ein Teil davon, ob wir das nun wollen oder
nicht.
Wie funktioniert ‚Gemeinschaftliche Verantwortung‘? Oder ‚Kollektive
Strafe‘? Ein frühes Beispiel kann in Numeri 16:22 gefunden werden.
Gott ist wegen der Rebellion Korachs und seiner Gefolgsleute wütend
auf die Israeliten, und er ist im Begriff, seinem Zorn mit großer Gewalt
Ausdruck zu verleihen; Moses und Aaron verbeugen sich und rufen:
„Nur weil einige Leute böse sind sollen ALLE bestraft werden?“ Das
ist eine rhetorische Frage, sie argumentieren gegen die Entscheidung
Gottes, sie sagen nicht, dass die Schlechten nicht bestraft werden
sollen, sondern fordern, dass Gott die Bösen von den Guten trenne und
selektiv in seinem Strafen sein solle.
Im Talmud (Shevuot 39a) finden wir eine Diskussion darüber, wie
Handlungen eines Einzelnen Reaktionen hervorrufen können, die andere treffen. Und hier wird der berühmte Satz zitiert; „Kol Yisrael arevim
zeh bazeh“ - „Ganz Israel ist verantwortlich, einer für den anderen.“
Gemeinschaftliche Verantwortung meint, dass das, was jeder von uns
tut, Auswirkungen auf die anderen hat. Und das funktioniert in beide
Richtungen. Wenn ein Jude angegriffen wird, weil er Jude ist – dann
werden wir ALLE angegriffen, oder zumindest potenziell. Wenn der
Staat Israel angegriffen wird, werden wir alle verwundbar – sogar jene
von uns, die sich entschlossen haben, nicht dort zu leben, sogar jene
von uns, die sich gern ideologisch von einigem von dem distanzieren
möchten, was dort geschieht. Unsere Feinde machen diese Unterscheidung nicht.
Wir haben während des letzten Gaza-Feldzugs viel über ‚Proportionalität‘ gehört. Es scheint, dass viele Deutsche traurigerweise den
Unterschied zwischen ‚Krieg‘ und ‚Kriegsverbrechen‘ nicht kennen.
Einen Feind zu töten, der versucht, dich zu töten, ist kein Kriegsverbrechen. Sich gegen wahllose Raketenangriffe zu verteidigen, ist kein
Kriegsverbrechen. Waffen notwendigerweise gegen Leute einzusetzen, die sich weigern zu verhandeln, ist, worum es im Krieg geht – an
anderer Stelle wurde er mal als „Diplomatie, die mit anderen Mitteln
fortgeführt wird“ definiert. Eines der Bilder, die mich am meisten
berührt haben, war ein Cartoon in dem der amerikanische Unterhändler
John Kerry zwischen Premierminister Netanyahu und dem Vertreter
der Hamas sitzt, der ein Schild hochhält „Tötet alle Juden“. Kerry sagt
zu Netanyahu: „Können wir einen Kompromiss schließen und uns auf
halbem Wege treffen?“
Die große moralische Frage im Bewusstsein vieler Leute – gefüttert von
Propaganda und traurigen Bildern, von denen einige sich als gefälscht
herausstellten – war, dass ALLE Palästinenser ins Visier genommen
wurden, sogar die unschuldigen. War Israel im Unrecht, ALLE Bewoh-
Nur weil einige schuldig sind, macht das noch nicht alle schuldig; aber
gleichermaßen macht es, nur weil einige unschuldig sind, nicht ALLE
Bewohner des Gazastreifens unschuldig. Und so geht die Debatte
weiter.
Im Midrasch (Yayikra Rabba 4:6) gibt es die berühmte Geschichte von
den Leuten im Boot, die aufschrecken, als ein Mann anfängt, ein Loch
in den Bootsboden zu bohren. „Wir werden alle ertrinken!“ sagen sie;
„Aber ich bohre doch nur unter meinem Sitz!“ ist seine um Zustimmung heischende Antwort.
In schwierigen Zeiten wird es notwendig zu erkennen, wie wichtig
Solidarität ist. Solidarität mit anderen Juden und Solidarität mit Israel
– denn, wenn unsere Feinde keine Unterscheidung machen, gibt es wenig Grund, dass wir sie machen. Das bedeutet nicht, unkritisch zu sein,
es bedeutet nicht, keine eigenen Vorstellungen zu haben, es bedeutet
nicht, die eigene Identität aufzugeben, aber es bedeutet, Prioritäten
zu setzen und in gefährlichen Zeiten ist die oberste Priorität, sicher zu
sein, zu überleben. Und unglücklicherweise haben wir gesehen, dass
die Zeiten tatsächlich gefährlich sind.
Shalom,
Landesrabbiner Dr. Walter Rothschild.
Cartoon – Bildnachweis: http://legalinsurrection.com/tag/a-f-branco/
page/2/
Union progressiver Juden in Deutschland
Dezember 2014 | Kislew 5774
Religion
„Der schönste jüdische Friedhof in Schleswig-Holstein“
So hat die Landesdenkmalschützerin von Schleswig-Holstein den alten
Elmshorner jüdischen Friedhof in der Feldstraße nach einem Besuch
hier genannt. Dieser Friedhof ist in der Tat ein wichtiges Zeitdokument,
dessen Entstehung auf das 17. Jahrhundert zurückgeht.
Im Jahr 1685 erhielt Berend Levi von dem Grafen Detlef von Rantzau
einen Schutzbrief, der die Ansiedlung in Elmshorn, d. h. das Wohnrecht, die Ausübung eines Gewerbes, der Religion und die Einrichtung einer Begräbnisstätte gewährleistete. Der Friedhof lag damals
außerhalb der Stadt, heute idyllisch mitten in der Stadt. 1905 wurde
die Friedhofshalle erbaut und 1906 eingeweiht, 1983 renovierte sie die
Stadt Elmshorn. Über dem Eingang ist Kohelet 12,7 in goldener Schrift
eingraviert
Grabmal der Familie Oppenheim um und zerschellte in acht Teile.
Dieses traurige Ereignis (Mitglieder der Familie Oppenheim haben den
Holocaust überlebt und nach dem 2. Weltkrieg wieder Kontakt zu der
Stadt Elmshorn und der hiesigen jüdischen Gemeinde aufgenommen)
verursachte einen heilsamen Schock.
Inzwischen ist ein wertvolles Netzwerk von Unterstützern, Interessierten und Fachleuten entstanden. Sie haben den Friedhof in das
Denkmalsbuch eingetragen und digital erfasst. Der Oppenheim-Stein
ist inzwischen renoviert und wird demnächst wieder aufgestellt. Dabei
heben die örtlichen Steinmetze der Firma Dierks, deren Familienmitglieder seinerzeit jüdische Begräbnisse betreut haben, wertvolle Arbeit,
viele davon auch ehrenamtlich, geleistet. Aus dem Archiv des hiesigen
Industriemuseums sind uns interessante Unterlagen aus der Zeit vor
dem Holocaust zugegangen. Und nicht zuletzt haben Wissenschaftler
des Steinheim-Instituts wertvolle Tipps gegeben.
So war das Zerschellen des Oppenheim-Grabmals ein Weckruf, der
viele Unterstützer aktiviert hat, sich für dieses einmalige Zeitzeugnis
zu engagieren. Ich danke allen dafür und hoffe, dass uns weitere Hilfe
zuteil wird.
‫וישב העפר על־הארץ כשהיה והרוח‬
‫תשוב אל־האלהים אשר נתנה‬
Der Staub kehrt zur Erde zurück, wovon er war.
Der Geist schwingt sich auf zu Gott, der ihn gab.
1935 erging ein Antrag zur Aufhebung des Friedhofs und im November desselben Jahres wurde der Oberrabbiner Carlebach aus Altona,
der für die Elmshorner jüdische Gemeinde zuständig war, dazu um ein
religionswissenschaftliches Gutachten gebeten. Er lehnte mit Hinweis
auf den Schulchan Aruch ab, weil jüdische Begräbnisstätten auf ewig
angelegt seien. 1938 stellte der Elmshorner Bürgermeister Krumbeck
erneut bei dem Regierungspräsidenten in Schleswig einen Antrag auf
Schließung, den dieser wiederum ablehnte. Nach dem Novemberprogrom 1938 wandte sich der Kreisamtsleiter in derselben Sache an
den Leiter der NSDAP in Pinneberg, um über die Partei das Ziel der
Schließung zu erreichen. Der Regierungspräsident in Kiel genehmigte
wieder nicht!
1940 dann wurde mit dem letzten Vertreter der jüdischen Gemeinde
Albert Hirsch (nicht ganz freiwillig) vereinbart, dass auf dem Friedhof
an der Feldstraße (damals Wilhelm-Gustloff-Straße) keine Beisetzungen mehr stattfinden sollten. 1941 wurde die damalige Elmshorner
jüdische Gemeinde aufgelöst. Der alte Friedhof überlebte die NS-Zeit.
1943 ging der Friedhof in den Besitz der Reichsvereinigung der Juden
in Deutschland über, 1944 wurde er vom Kreis Pinneberg übernommen
und 1953 der Jewish Corporation of Germany in London überlassen.
Seit 1960 unterstand er dann der Jüdischen Gemeinde Hamburg, bevor
er 2005 per Grundbucheintragung an die Jüdische Gemeinde Elmshorn,
die 2003 wiedergegründet war, übertragen wurde.
Im Frühjahr dieses Jahres, bei einem der ersten Stürme, stürzte ein
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Hebräisch
Information durch Literatur:
Harald Kirschninck:„Juden in Elmshorn“, Beiträge zur Elmshorner
Geschichte, 1996, Teil 1 und 2
Bettina Goldberg: „Abseits der Metropolen“, 2011
Nehemia antwortet: Warum soll mein Gesicht nicht traurig sein, da die
Stadt, die Gräber meiner Vorfahren, zerstört ist.
‫בתַי חֲרֵ בָה‬
ֹ ‫א‬
ֲ ‫ ִקבְרֹות‬-‫בּית‬
ֵ ‫הע ִיר‬
ָ
Bet Chajim ‫ בית חיים‬Haus des Lebens. Aus dem Glauben, dass bei
Ankunft des Messias alle wieder auferstehen werden, stammt dieser
Name.
Bet Almin ‫ בית עלמין‬Haus der Ewigkeit in Aramäisch. Dieser Name
steht im Talmud Sanhedrin 19a: Raw Menaschja bar Awath sagte:
Ich fragte Rabbi Joschija dem Großen auf dem Friedhof (Bet Almin)
zu Huzal, und er sagte mir, eine Reihe müsse aus mindestens zehn
Personen bestehen, und die Leidtragenden zählen nicht mit.
‫אמר רב מנשיא בר עות שאילית את רבי יאשיה רבה בבית עלמין דהוצל ואמר‬
‫לי אין שורה פחותה מעשרה בני אדם ואין אבלים מן המנין‬
Bet Olam ‫ בית עולם‬Haus der Ewigkeit in Hebräisch
Bet Mo’ed leChol Chai ‫ בית מועד‬Versammlungshaus für alles Lebende.
Dieser Name steht im Hiob 30,23: Wohl weiß ich, du wirst mich in den
Tod zurückführen, in das Versammlungshaus für alle Lebende.
‫חָי‬-‫בנ ִי ּובֵית מֹוע ֵד ְלכ ָל‬
ֵ ‫שי‬
ִ ׁ‫ת‬
ּ ְ ‫ מָו ֶת‬,‫תּי‬
ִ ְ ‫כִּי י ָדַ ע‬
Bet Dechi ‫ בית דחי‬Haus
Dieser Name stammt von Schmu’el HaNagids Gedichtsammlung
Diwan 244:
Wie ruhst du in deinem Grab im Staub im Friedhof (Bet Dechi).
‫ואיך לנת בקברתך עלי עפר בבית דחי‬
Alisa Fuhlbrügge
Jüdische Gemeinde Elmshorn
Schmu’el haNagid, geb. 993 in Kordova, gest. 1055 in Granada, war
ein Talmudist, Grammatiker, Dichter und Politiker.
Dechi bedeutet wörtlich: Misserfolg, Missgeschick. So lesen wir im
Psalm 116,8 Dann befreist du meine Seele vom Tode, mein Auge von
Tränen, mein Fuß vom Sturze (dechi).
‫מע ָה אֶת־רַ גְלִי מִדֶ ּחִי‬
ְ ּ ִ‫מּו ֶת אֶת־ע ֵינ ִי מִן־ד‬
ָ ‫מ‬
ִ ‫שי‬
ִ ׁ‫פ‬
ְ ַ‫ת נ‬
ּ ָ ְ ‫ח ַּלצ‬
ִ ‫כִּי‬
© Deborah Tal-Rüttger
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Ivrit für Neugierige ‫עברית לסקרנים‬
Es ist Herbst, der Winter steht vor die Tür und die grauen Tage kommen auf uns zu. Am 9. November gedenken wir des Pogroms vom 9.
November 1938. Gerade auf dem Lande, in den Dörfern, aber auch in
vielen kleinen Städten ist wenig Sichtbares vom deutschen Judentum
geblieben: Einige Synagogen und vor allem Friedhöfe.
Mich hat es immer fasziniert, dass in Ivrit das Wort ‚Friedhof‘ so viele
Namen hat.
Bet Kwarot ‫בית קברות‬
Ein Haus von Gräbern. Sollte das nicht ein Gräberfeld heißen? Ja,
diesen Namen gibt es auch: Ssde Kwarot = Ein Feld von Gräbern. Der
Name Bet Kwarot kommt bei Nehemia 2, 3 zum ersten Mal vor. Der
persische König Artachschascht fragt Nehemia, warum er betrübt sei.
Ivrit lechol echad - Hebräisch für jedermann VI
Welche Gegenstände brauchen wir im Gottesdienst?
In der Synagoge setzen wir die Kippa auf und legen beim Morgen- und
Nachmittagsgebet den Tallit an.
Wir nehmen unseren Siddur zur Hand und das Gebet kann beginnen.
Die Bima steht vor dem Aron haKodesch. Eine Parochet (Vorhang)
verhüllt den Aron haKodesch. (Manchmal ist die Parochet im Aron
haKodesch.)
Über dem Aron haKodesch leuchtet ein Ner Tamid. Oft steht auch eine
Menorah daneben.
Im Aron haKodesch gibt es einen Sefer Torah oder mehrere Sifrej Torah. Ein Sefer Torah hat entweder eine Keter Torah oder zwei Rimonim
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Hebräisch
auf den Azej Chajim; einen Me’il und einen Magén. Zum Lesen aus
dem Sefer Torah verwenden wir eine, meist silberne, Jad.
Schauen wir uns diese Worte genauer an:
‫פּה‬
ָ ‫ כִּי‬KIPPA – Kappe, Kuppel, Kuppe
So heißt die Al Aqsa Moschee auf
dem Tempelberg in Jerusalem:
kippat hassela = Felsenkuppel.
Das Himmelsgewölbe heißt kippat
haschamajim = Himmelskuppel.
Und die kleine Kopfbedeckung, die wir beim
Beten tragen und wie eine umgekehrte Kuppel aussieht, heißt Kippa.
‫טלִית‬
ָ TALLIT
Tallit kommt aus dem Aramäischen
Verb t.l.l. und bedeutet: sich umhüllen. Tatsächlich umhüllte
man sich mit dem Tallit. Erst
spät kamen andere, schlankere
Versionen von Tallitot auf.
‫ סִידּור‬SIDDUR
Jüdisches Gebetbuch für Schabbat
und Wochentage. Siddur kommt
von sseder = Ordnung. Unser Gebetbuch listet die Ordnung der Gebete
auf.
Und was hat das mit Seder Pessach zu
tun? Die Haggadah verläuft nach einer
festgelegten Ordnung.
‫בּימָה‬
ִ BIMA
Die Bima, auch Alememor genannt, ist der Tisch, auf dem der Sefer
Torah zum Vorlesen gelegt wird. Bima verwendet man auch für Bühne,
Podium. Dann aber kann die Bühne oder das Podium auch Bama heißen.
‫ אָרֹון הָקֹודֶ ׁש‬ARON HAKODESCH =
Torahschrein. Aron = Schrank,
ha = Artikel, kodesch =
Heiligkeit, Heilige(s).
Der Schrank, in dem
die heilige Torah
aufbewahrt wird,
heißt dann
Aron haKodesch.
‫תמִיד‬
ָ ‫ נ ֵר‬NER TAMID – Ewiges Licht.
Ner kennen wir von Schabbat, Feiertage
und insbesondere von Chanukka: Kerze.
Das Wort kommt von Nur = Feuer im
Aramäischen. Erinnert ihr euch an die
Strophe im Chad Gadia beim Seder Pessach?
“we’ata nura wessarfa lechutra” = Und das
Feuer kam und verbrannte den Stock.
Tamid = ewig.
‫ ּכ ֶתֶר תֹורָ ה‬KETER TORAH – Torah-Krone
Oben auf den Stäben, die Azej Chajim genannt werden (Bäume des
Lebens) steckt oft eine wunderschöne Krone.
‫ רִ ימֹונ ִים‬Rimonim
Rimon = Granatapfel.
Die Rimonim auf den
Holzstäben (Azej Chajim)
haben eine runde Form
mit einer Verzierung oben,
wie ein Grantaapfel.
‫מג ֵן‬
ָ ,‫מע ִיל‬
ְ ME’IL und MAGÈN – Mantel und Brustschild
Wie der Hohe Priester im Tempel,
so ist auch unsere Torahrolle =
Sefer Torah mit einem Me’il =
Mantel und einem Brustschild =
Magén bekleidet.
Me’il kommt von ’einschließen‘ –
der Mantel umschließt die Torahrolle.
Magén heißt eigentlich Schild und wir
kennen das Wort von Magén David.
‫ י ָד‬Jad – Torah-Zeiger
Um das Pergament der Torah nicht mit bloßen
Fingern zu berühren, nehmen wir beim
Lesen einen silbernen, langen Stift,
auf dessen Ende eine Hand steht,
mit einem unnatürlich langen
Zeigefinger. Dieser Gegenstand heißt Jad = Hand.
© Deborah Tal-Rüttger
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Union progressiver Juden in Deutschland
Dezember 2014 | Kislew 5774
Aus der Gemeinden
400 Narzissen für eine lebendige Gedenkstätte
Jüdische Gemeinde Bad Segeberg
Der diesjährige 9. November, der Gedenktag an die Reichspogromnacht(1938), stand vielerorts im Schatten eines anderen deutschen
Ereignisses, des Mauerfalls (1989). Die Doppeltbelegung des Datums
führte leider dazu, dass die so wichtige Holocaust-Erinnerung zu
Gunsten vieler positiv aufgeladener Jubiläumsveranstaltungen auf der
Strecke blieb. Die Jüdische Gemeinde Bad Segeberg begegnete dieser
Situation bewusst mit einer Mitmachaktion der besonderen Art: Sie
legte als erste Gemeinde in Deutschland einen Lebendigen Garten der
Erinnerung im Rahmen des DAFFODIL PROJECT an.
Initiator des DAFFODIL PROJECT (dt. Narzissenprojekt) ist die amerikanische gemeinnützige Organisation AM ISRAEL CHAI! (dt. Das Volk
Israel soll leben!), die sich der Holocaust-Erinnerung und -Aufklärung
widmet. In Erinnerung an die 1,5 Millionen im Holocaust ermordeten
jüdischen Kinder hat sich diese Organisation zum Ziel gesetzt, ebensoviele Narzissen weltweit als lebendige Holocaustdenkmäler zu pflanzen. Jährlich sollen die Blumen im Frühjahr aus der Erde hervorbrechen
und aufs Neue an die so jäh aus dem Leben Gerissenen erinnern und
die ehren, die überlebt haben.
Das DAFFODIL PROJECT ist insbesondere für die nachkommende Generation eine anschauliche Aktion für das Geschichtsbewusstsein, führt
es doch die unvorstellbare Zahl der Ermordeten vor Augen und die
Notwendigkeit der persönlichen Einflussnahme auf gesellschaftliche
Entwicklungen. Die Narzisse wurde gewählt, weil ihre Form und Farbe
den gelben Sternen ähneln, die Juden während der Nazi-Herrschaft
tragen mussten. Gelb ist die Farbe der Erinnerung, die Blume selbst
verkörpert unsere eindringliche Hoffnung für die Zukunft. Die Narzissen sind widerstandsfähig; sie brechen jedes Frühjahr wieder strahlend
hervor und zeugen von einem Überlebenswillen, der inspiriert und
ermutigt.
Das DAFFODIL PROJECT hat sich neben der Erinnerungsarbeit zur
Aufgabe gemacht, dieser gesellschaftlichen Verantwortung in der
Gegenwart nachzukommen. Dieser Brückenschlag gelingt durch die
Anbindung an humanitäre Organisationen, die sich heute in krisengeschüttelten Regionen der leidenden Kinder annehmen. Die im
Rahmen des DAFFODIL PROJECT ersammelten Spendengelder fließen
beispielsweise an „KIDS FOR KIDS“ und „RAISING SOUTH SUDAN“
und erreichen so notleidende Kinder und ihre Familien in abgelegenen
Gegenden von Darfur und Süd Sudan.
Im Rahmen des DAFFODIL PROJECT wurden seit 2010 fast 78.000
Narzissen an Synagogen, Schulen, Kirchen, Universitäten und in öffentlichen Parks, botanischen Gärten oder anderen öffentlichen Orten
gepflanzt – überwiegend in den USA, Kanada und Polen.
Bad Segeberg legte am 9. November 2014 neben der bestehenden
Gedenkstätte auf dem Gelände der Synagoge Mishkan HaZafon
gemeinsam mit Kindern und Bürgerinnen und Bürgern Bad Segebergs
einen eigenen lebendigen Erinnerungsgarten an. 400 Narzissenzwiebeln von AM ISRAEL CHAI! wurden gegen eine Spende von 1 € pro
Stück verkauft und konnten entweder von den Spendern selbst in die
Erde gesteckt werden oder von den anwesenden Kindern, die sich
dieser Aufgabe mit Feuereifer annahmen. Ab fünf gespendeten Zwiebeln gab es eine Urkunde. Außerdem verkauften die Gemeindekinder
Erinnerungsarmbänder der Organisation RELATE, deren Erlös zu einem
Drittel an die Hersteller in Südafrika ging, die damit in den ländlichen
Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Ein weiteres Drittel wird für Weiterbildung/ Ausbildung und das letztes
Drittel für den Aufbau und die Finanzierung kleiner Unternehmen
verwendet.
Insgesamt war der Mitmachtag ein toller Erfolg und fand bei strahlendem Wetter statt. Nach einer Ansprache und einem Gebet des Landesrabbiners Dr. Walter Rotschild wurden die Zwiebeln an markierte
Stellen gepflanzt und ließen ein gespanntes Gefühl der Erwartung bei
den jungen und älteren Gärtnern zurück. Etwa die Hälfte der Zwiebeln
war schon im Vorfeld verkauft worden und auch die 300 Armbänder
fanden begeisterte Käufer.
Die Presse war ebenfalls vor Ort, interviewte Besucher, Kinder und die
Pflanzleiterin, die ein ästhetisch ansprechendes Pflanzschema entworfen hatte.
Die Jüdische Gemeinde Bad Segeberg wünscht sich, dass sich noch
weitere Gemeinden oder Interessensgruppen diesem Projekt im
folgenden Jahr anschließen. Gerne stellt sie ihr erarbeitetes Material
(Info-Fyler und -Postkarten, Urkunden etc.) digital zur Verfügung. Bei
der Organisation und Kontaktaufnahme mit AM ISRAEL CHAI!
www.daffodilproject.net/“www.daffodilproject.net steht sie bei Interesse ebenfalls gern zur Verfügung.
Wenn im Frühjahr 400 Narzissen blühen,ist eine weitere Gedenkaktion
in Bad Segebergs Erinnerungsgarten geplant!
Verena Menn
Union progressiver Juden in Deutschland
Dezember 2014 | Kislew 5774
Aus der Gemeinden
Ein Heiligtum zieht um – damals und heute
hat. Auch in diesem Programmteil war die wunderbare Stimme von
Kantorin Weinberg mit passenden Liedern zu hören. Sie begeisterte all
unsere Besucher und auch uns.
Ein Höhepunkt war für alle die Hawdalah, die Berliner Jugendliche und
einige junge Gäste, alles Madrichim in der Union bzw. Teilnehmer des
Sommermachanes, gestaltet haben. Auf dem Platz vor dem „Lichtburgforum“ am Berliner Gesundbrunnen wurde dadurch in eine feierliche
Atmosphäre geschaffen, die auch Vorübergehende in ihren Bann zog.
Nach dieser gelungenen Unterbrechung wurde im Beisein der Gäste
unsere Synagogeneinrichtung Stück für Stück abgebaut und dabei die
einzelnen Teile der Synagoge erläutert. Zum Schluss war der Raum wieder alltäglich und alles zum Aufladen vorbereitet. Noch immer haben
wir kein festes Domizil, aber so konnte gezeigt werden, auch heute
kann ein Heiligtum umziehen.
Wenige Wochen nach der langen Nacht steht nun fest, dass wir
zukünftig unsere Gottesdienste hauptsächlich an diesem Ort, also im
„Lichtburgforum“ in der Behmstraße 13, direkt am S-Bahnhof Gesundbrunnen feiern werden. Wir freuen uns darauf und hoffen, dass sich
durch diesen Ortswechsel unser kleiner Minjan vergrößern wird.
Benno Simoni
Die „Lange Nacht der Synagogen“ bei Bet Haskala
Eigentlich wollte ich irgendwann bestimmt auch mal Lokführer werden,
das ist ja der Wunsch vieler kleiner Jungen, der aber bestimmt bei den
allermeisten so schnell geht, wie er gekommen ist. Dass ich aber mal
so richtig wütend auf die sein werde, die es dann doch geworden sind,
hätte ich nicht gedacht, jedenfalls nicht bis zu diesem 6. September.
Alles war doch so schön geplant, und der Abend - unsere erste „Lange
Nacht der Synagogen“ - sollte ohne größere Probleme über die Bühne
gehen. Wie stolz waren wir, dass Sonja Guentner, die Vorsitzende
der UpJ, die Veranstaltung mit einem Vortrag über das progressive
Judentum, das nun endlich nach Deutschland zurückgekehrt und seit
20 Jahren auch hier wieder beheimatet ist, eröffnen wollte. Bereits Ihr
Vortrag sollte von Kantorin Aviv Weinberg, die wenige Tage vorher in
Breslau ihren Studienabschluss feiern konnte, und dem Instrumentaltrio um Albrecht Guendel - vom Hofe ergänzt werden.
Doch nun kommen unsere Lokführer ins Spiel; ihr nicht angekündigter
Streik verhinderte, dass Sonja Guentner von Köln nach Berlin kommen
konnte. Es blieb uns nichts weiter übrig, als uns die Stichpunkte und
die Powerpointpräsentation zu schicken; in kürzester Zeit musste ich
mich auf einen Vortrag, den ich nicht kannte, vorbereiten, denn die
„Lange Nacht“, ließ sich ja nicht absagen.
Der Sprung ins kalte Wasser ist glücklicherweise gelungen, die Besucher waren von unserer Veranstaltung sehr beeindruckt, auch wenn
der Vortrag nur aus „zweiter Hand“ kam.
Die anderen Programmpunkte waren ebenso spannend. Anhand der
Paraschat Bamidbar wurde der Umzug des Heiligtums in der Wüste erläutert und mit einer darauf aufbauenden Ausstellung gezeigt, wie ein
Mädchen diesen Stoff in Vorbereitung auf ihre Batmizwa aufgearbeitet
Union progressiver Juden in Deutschland
Dezember 2014 | Kislew 5774
Aus der Gemeinden
„Verein zur Rettung der Synagoge“ in Felsberg lud zum Konzert in die Nikolaikirche
Hamburgs Liberale Jüdische Gemeinde feiert ihren
10. Geburtstag
Felsberg. Mit stehenden Ovationen bedankten sich die Zuhörer bei
der Mezzosopranistin Annette Willing und Organist Christian Lehmann
für die gelungene Darbietung, als der letzte Ton des Konzertes „Ma
Tovu - Wie schön sind deine Zelte, Jakob…“ verklungen war. Rund 50
Besucher waren der Einladung des Vereins zur Rettung der Felsberger
Synagoge gefolgt, der zu der Veranstaltung in der Felsberger Nikolaikirche eingeladen hatte. Die Benefizveranstaltung war Teil einer
Veranstaltungsreihe mit Konzerten und einem Theaterstück, die in
verschiedenen nordhessischen Orten aufgeführt werden.
Damit macht der Verein auf ein Projekt aufmerksam, das helfen soll,
„Brücken über trennende Gräben innerhalb unserer Gesellschaft zu
bauen“, so der Vereinsvorsitzende Christopher Willing. Er wies in
diesem Zusammenhang auch auf die mehr als neunhundertjährige
Geschichte der Juden in Nordhessen und die ehemals große und lebendige Gemeinde vor Ort hin. Mit dem Erwerb der Felsberger Synagoge
wird auch die Jüdische Liberale Gemeinde Emet weSchalom
Nordhessen einen Synagogenraum und Platz zum Lernen und Feiern
haben.
Die Musikstücke - Kompositionen von Danny Masseng, A. Honegger
aber auch liturgische Elemente des jüdischen Gottesdienstes – waren
eingebettet in thematische Abschnitte zur Synagoge, zum Schabbat,
und zum jüdischen Kalender. Wie die Künstlerin am Ende der Aufführung ausführte, kam dem Organisten in der Vorbereitung eine besondere Rolle zu: „Christian Lehmann hat die verwendeten Melodien der
jüdischen Tradition komplett für Orgel ausgesetzt und außerdem mit
den „Orgelbildern zu Sukkot“ ein Stück zum Laubhüttenfest komponiert“, so Annette Willing. Zu den Mitgestaltern des Konzertes gehörte
auch Zsòka Pathy, die den Text zu dem in den Themenbereich „Shoa“
gehörenden Musikstück „Herbstlied“ geschrieben hatte. Sie präsentierte außerdem liturgische Gegenstände, die die Zuhörer auch optisch
in die jüdische Welt mitnahmen. Texte und Erläuterungen zur Musik
und den einzelnen Abschnitten stellte Beate Lehmann vor.
Im Anschluss an den musikalischen Teil waren die Zuhörer eingeladen,
sich die Kultgegenstände genauer anzuschauen und mit den Mitwirkenden über sie ins Gespräch zu kommen. Viele Besucher folgten
dieser Einladung gern.
Informationen zum
Verein zur Rettung der
Felsberger Synagoge
und dem geplanten
Projekt unter
www.Synagogue-Center-Felsberg.org / info@synagogue-center-felsberg.org
Unter dem Motto „Herz und Seele – jüdisch-christlicher Dialog“ feierte
die Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg (LJGH) am 6. September
2014 ihr zehnjähriges Bestehen in den Räumen der Jerusalem-Kirche
Hamburg-Eimsbüttel im Rahmen der Hamburger „Nacht der Kirchen“.
Das gut besuchte Fest gewährte Einblicke in die jüdisch-christliche
Zusammenarbeit und in das Gemeindeleben der LJGH damals und
heute. Neben vielen interessierten Gästen und Freunden der beiden
austragenden Gemeinden besuchten auch Mitglieder weiterer jüdischer
Gemeinden im Norddeutschen Raum die Feierlichkeiten.
Das progressive Judentum knüpft in der Hansestadt an eine fast
200jährige Tradition an, die 1817 mit der ersten reform-jüdischen Gemeinde Hamburgs begründet wurde und die vom Nationalsozialismus
abrupt unterbrochen wurde.
Im August 2004 formierte sich eine neue liberale Gemeinde, die
heutige LJGH, aus 12 Mitgliedern, die aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen waren. Nach nun zehn Jahren ihres
Bestehens vereint die LJGH unter ihrem Dach mehrere hundert Gemeindemitglieder und Mitglieder im angeschlossenen Freundeskreis,
größtenteils auch aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
Die Gemeinde, leider bis heute ohne eigene Synagoge, übernimmt
damit eine wichtige Rolle in der Integrationsarbeit.
Im Sinne des interreligiösen Dialogs sprachen Dr. Felix Epstein, Erster
Vorsitzender der LJGH, und Pastor Dr. Hans-Christoph Goßmann als
gemeinsame Gastgeber des Abends zusammen die Begrüßungsworte.
Den Besuchern des Abends bot sich sogleich eine Gelegenheit, Einblicke in jüdische und christliche Auslegung der Thora zu gewinnen, die
Rabbiner Moshe Navon und Pastor Goßmann gemeinsam exemplarisch
vornahmen und auch auf Fragen des Publikums eingingen. Pastor
Goßmann betonte mehrmals die Bedeutung der jüdischen Wurzeln für
das Christentum.
Da das Fest auf einen Schabbat fiel, sprachen Rabbiner Navon und
Gemeindekantorin Dana Zeimer gemeinsam die Hawdala mit Erläuterungen dieser Tradition für die nichtjüdischen Gäste. Neben einem
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Aus der Gemeinden
Kurzfilm, der Einblicke in das heutige Gemeindeleben gewährte, boten
viele Mitwirkende ein buntes musikalisches Rahmenprogramm: Jüdische Folklore, dargeboten von Alexandra Lachmann, israelische Lieder
von Chor und Tanzgruppe der LJGH „Klezmerlech“ unter der Leitung
von Galina und Janna Jarkova, die das Publikum zum Mitmachen
animierten, sowie religiöse und moderne israelische Lieder interpretiert
von Dana Zeimer, Galina Jarkova und der Gesangsgruppe „SOS“.
Für das leibliche Wohl sorgte das orientalische Restaurant „Mazza“
aus Hamburg. Der Veranstaltungsort Jerusalem-Kirche baute bei vielen
Besuchern Berührungsängste zum modernen Judentum ab und ermöglichte nicht nur viele neue Kontakte für Hamburgs progressive Gemeinde, sondern war auch ein bewusstes Statement der evangelischen
Jerusalem-Gemeinde, die der LJGH in enger Freundschaft verbunden
ist. So sprachen zum Ausklang des Abends Pastor Goßmann und Rabbiner Navon den Segen gemeinsam. Besonders schön: es waren den
gesamten Abend weder Einlasskontrollen noch Polizeischutz nötig.
habt, dann könnt ihr euch gerne unter der folgenden Email Adresse
melden (vorstand@jung-und-jüdisch.de).
Zum Schluss geht ein großes Dankeschön an unseren ehemaligen
Schaliach Rotem Malach, der uns dieses Jahr leider verlassen musste, weil er nun in San Francisco tätig ist. Wir wünschen ihm dort das
Allerbeste. Des Weiteren wollen wir uns bei allen aktiven Mitglieder
bedanken, die dies möglich machen und natürlich bei dem Zentralrat
für die finanzielle Unterstützung.
Nächste Treffen – das nächste Seminar findet vom 13-15.03.2015 in
Hannover statt. Falls ihr Interesse an unseren Aktivitäten habt, könnt
ihr uns über Facebook folgen oder uns per E-Mail kontaktieren oder
euch einfach an eure Gemeinde wenden.
Dina Purits
„Schreibt euch also folgenden Gesang auf …“
Bettina Wagner
Sofer Neil Yerman aus New York zu Besuch in der
Jüdischen Gemeinde in Kiel
Jung und Jüdisch Deutschland e.V
Unser Verein wurde vor mehr als zehn Jahren in Hannover gegründet und veranstaltet seit dem mit Erfolg nationale und internationale
Seminare und Veranstaltung für junge reforme Juden im Alter zwischen
18-35 Jahren. Wir bieten ein Forum, in dem jüdisches Leben in
Deutschland vielfältig erlebt, gelebt und selbstbestimmt gestaltet werden kann. Wir fühlen uns einem offenen, pluralistischen und progressivem Judentum verpflichtet. Seit 2004 ist Jung und Jüdisch offizieller
Vertreter von TaMaR in Deutschland.
Hier etwas zu unseren Angeboten:
Seminare – bei unseren Seminaren verfolgen wir zum einen das Ziel
sich über aktuelle Themen auszutauschen, aber auch das Judentum
für uns selbst zu entdecken. Auf unserem Seminar in Templin war der
Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und jüdische Werte gelegt. Bei dem
Europaseminar in Amsterdam hatten wir die Möglichkeit junge Juden
aus Amsterdam kennenzulernen und mit Ihnen Zeit zu verbringen.
Immer wieder in der heutigen Zeit spielt die Frage der Identität eine
große Rolle, weshalb dieses Thema auch in Amsterdam in Workshops
bearbeitet wurde.
Vorreiter in Europa – vor einigen Jahren hatte JuJ Deutschland e.V
angefangen ein Seminar für junge Reformjuden aus ganz Europa zu
veranstalten „Jewish Journeys“. Dieses Jahr wurde dieses Seminar von
unserem polnischen Partner „Tamar Polen“ durchgeführt. Im kommenden Jahr wird das Seminar wieder in Berlin stattfinden. Wichtige
Themen werden sowohl die diplomatischen Beziehungen zwischen
Deutschland und Israel, als auch das Jubiläum des Kriegsendes sein.
Lokale Veranstaltungen – des Weiteren haben wir lokale Bewegung,
die in einigen Regionen stärker ausgeprägt sind und anderen weniger.
Derzeit gibt es eine Gruppe in Hannover, in Hamburg und in Berlin.
Die Gruppe in NRW ist in ihrer Entstehungsphase. Falls ihr Interesse
„Schreibt euch also folgenden Gesang auf, lehrt ihn die Kinder Jisraels, dass sie solchen auswendig lernen, damit mir dieser Gesang ein
Zeuge sei gegen die Kinder Jisraels.“
So heißt es in Deuteronomium 31 Vers 19. Dieses ist die sechshundertdreizehnte Mizwah, in der das Gebot fixiert ist, eine Torah zu schreiben. Laut Talmud bezieht sich diese Verpflichtung auf den gesamten
Torah-Text. Und ein König soll sogar zwei Torah-Rollen schreiben,
diese bei sich haben und lebenslang darin lesen, wie aus Deuteronomium 17, 18 geschlossen wird.
Aber schreiben wir heute alle den Text der Torah selbst von einer Vorlage ab? – Nein, denn die Auslegung regelt das regelgerechte Schreiben
der Torah und die Teilhabe einer jeden Person jüdischen Glaubens
an ihrem Besitz unter anderem insofern, als dass es möglich ist, den
Schreibvorgang durch Experten durchführen zu lassen. Und ein solcher
Experte war nicht nur bei der Tagung der Union Progressiver Juden in
Spandau im vergangenen jüdischen Jahr zu Gast, sondern kürzlich auch
in der Jüdischen Gemeinde Kiel e.V. – Synagoge am Schrevenpark nach
Tischa beAw.
Neil Yerman aus New York ist Sofer, genauer gesagt, er ist ein Sofer
Union progressiver Juden in Deutschland
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Aus der Gemeinden
Setam. Das heißt, er ist ein
gelehrter Schreiber und Kenner
der hebräischen Schrift, und er
ist Experte für die Pflege und
Restaurierung sehr alter und
auch jüngerer Handschriften, die
jüdischer Herkunft sind. Darüber
hinaus kennt er sich auch bestens mit juristisch wichtigen und
traditionell nur handschriftlich
gültigen Dokumenten wie Ketubot und Gittin (Hochzeits- und
Scheidebriefen) aus. Zu seinem
Arbeitsfeld gehört das Schreiben
von Sefrei Torah, Gebetsriemen
(Tefillin) und des Textes für Mesusot. Außerdem hat er sich auch noch auf die künstlerisch-dekorative
Gestaltung von traditionellen Schriften spezialisiert.
Die Tätigkeiten, die ein Sofer auszuüben hat, wurden schon vor sehr
langer Zeit schriftlich festgehalten und zwar in einer nicht-kanonischen
Abhandlung namens „Sopherim“, die ein Anhang zum Babylonischen
Talmud ist. Dieses Traktat enthält die genauen Vorschriften, die Schreiber äußerst gewissenhaft bei der Herstellung der Schriften zu beachten
haben. Nach der rabbinischen Tradition ist der Schreiber Esra das Idealbild der sachverständigen, weisen und damit anerkannten gesetzlichen
Autorität unter den Soferim.
Für einen Sofer sind eine jahrelange Ausbildung und jahrelange
Erfahrung sowie der ständige Umgang mit sehr alten historischen und
jüngeren oder auch neuen Torah-Rollen unabdingbar. So erkennt er auf
Anhieb, wie alt eine Schrift ist und wie viele Hände, also Schreiber, am
Text mitgearbeitet haben, um die Torah gleichsam in das Pergament
einzuschreiben.
Auch Sofer Yerman, der extra aus den USA angereist war, um in
Deutschland bei der Bestandssicherung und Pflege der Sefrei Torah
verschiedener Gemeinden zu helfen, kennt sich mit all dem bestens
aus: Wie die verschiedenen Lederarten von Rind und Schaf zu bearbeiten sind, um koscheres, beschreibbares Pergament herzustellen ist ihm
ebenso vertraut, wie das Mischen von Schreib- und Malmitteln – also
Israels Generalkonsul betet mit Beth Shalom
Unter den zahlreichen Teilnehmern der Gottesdienste der Liberalen
jüdischen Gemeinde München Beth Shalom an Hohen Feiertagen war
auch der Generalkonsul des Staates Israel in Bayern Dr. Dan Shaham
mit seiner Tochter Shai. Im Schacharit am Rosh HaShana hat Generalkonsul Shaham die Lesung der Haftara über Hanna und ihrer Suche
nach Hilfe übernommen. Shai las das Gebet für den Staat Israel. Die
sehr gut besuchten Gottesdienste, die von Rabbiner Tom Kucera und
dem neuen Kantor der Gemeinde Nikola David geleitet und von einem
Chor begleitet wurden, waren durch festliche Stimmung und freundliche Atmosphäre geprägt. Dr. Jan Mühlstein
koscherer Tinte – sowie der verschiedenen Pigmente und Bindemittel
für Farben und vielem anderen mehr. Seine verschiedenen Werkzeuge
und Schreibfedern zeugen sowohl von dem komplizierten Vorgang des
Schreibens als auch von den verschiedenen, komplexen Reinigungsund Restaurierungstechniken der Handschriften und auch der gemalten
Dekorationen traditioneller Schriften.
Wir dürfen also gespannt sein auf den nächsten Besuch von Neil Yerman. Es wird auch zukünftig viel zu sehen und zu lernen geben, wenn
es um die Erhaltung und Restaurierung der Schriften geht.
Dr. Serafine C. Kratzke
Union progressiver Juden in Deutschland
Dezember 2014 | Kislew 5774
Aus der Gemeinden
Treffen mit Familie Lindenbaum
Sonntag, der 29. Juli war in der jüdischen Gemeinde „haKochaw“
Unna sehr ereignisreich. Nach dem Kindersommerfest gingen wir nicht
nach Hause, sondern bereiteten uns vor auf ein großartiges Treffen:
Zum Abend erwarteten wir eine „Delegation“ amerikanischer Juden –
der Familie Lindenbaum. Deshalb waren unsre Frauen in der Küche in
voller Aktion.
Zu Gast mit seiner großen Familie war ein beeindruckender Mann. Er
hat die Liebe zu den Menschen in Deutschland und Polen sowie seinen
Glauben an Gott trotz aller schrecklichen Geschehen der Shoa nicht
verloren!
Manfred Lindenbaum wurde in Unna geboren und später mit seiner
Familie nach Polen deportiert. Polen aber hat den Juden Asyl verwehrt,
also mussten Manfred und seine Familie ohne jegliche Existenzmitteln
in einer verlassenen Mühle, die in der Neutralzone stand, hausen. Nach
einem Jahr ergab sich eine Gelegenheit, wenigstens die Kinder aus
dieser Notsituation zu retten. Das Rote Kreuz organisierte sogenannte
„Kindertransporte“, um jüdische Kinder zu retten. Die Eltern haben
entschieden sich dazu, die zwei älteren Kinder mit dem Transport zu
schicken. Für den sechsjährigen Manfred gab es keinen Platz mehr,
aber seine Schwester hat dann ihren Platz an Manfred abgegeben, um
bei den Eltern zu bleiben.
Die zwei Brüder Lindenbaum sind nach einer langen Reise in Amerika
angekommen, die anderen Familienmitglieder sind im Holocaust
umgekommen. Und nun war Manfred zum wiederholten Mal in Unna!
Er kam mit seiner Familie und Freunden (25 Personen) und besuchte
seine Geburtsstadt. Allerdings war er in unserer Gemeinde zum ersten
Mal.
Es ist nicht in Worte zu fassen, wie anrührend dieses Treffen war! Als
wir mit der Familie Lindenbaum das Gebet Adon Olam anstimmten,
hatten viele von ihnen Tränen in den Augen.
Alexandra Khariakova, die zusammen mit Jurgen Düsberg dieses Treffen organisiert hatte, hatte vom jüdischen Leben in Unna erzählt, von
unseren Problemen und Erfolgen der vergangenen Jahre.
Die Krönung des gemeinsamen Abendessens war natürlich unser beliebter Borschtsch, von Irina Orlovska und Sophia Shekhtman gekocht.
Das Gericht war so wohlschmeckend für unsere amerikanischen Freunde, dass kein Tropfen übrig blieb - obwohl unsere Köchinnen immer
„auf Vorrat“ kochen.
Viele von uns begannen plötzlich, Englisch zu sprechen - besonders
unerwartet für sich selbst! Als wir uns diese große Familie ansahen,
wurde uns bewusst, dass viele von diesen freundlichen Menschen nur
wegen der Rettung Manfreds existieren. Wir haben uns in der Hoffnung auf ein baldiges, gesundes Wiedersehen verabschiedet.
Besonderen Dank an Gisela Habekost, Alena Levina, Irina Orlovska,
Anna Ortman, Sophia Shekhtman, Wendy Wagner und Lars Umansky,
die bei der Vorbereitung für diesen Abend geholfen haben.
Jüdische Gemeinde haKochaw
Union progressiver Juden in Deutschland
Dezember 2014 | Kislew 5774
Jugendabteilung der UpJ
14 Tage, 80 Kinder, 18 Betreuer und ein Ziel – Das beste
Machane aller Zeiten zu gestalten.
14 Tage lang waren 80 jüdische Kinder und 18 jüdische Betreuer in
Lingen auf dem UpJ-Sommermachane 2014. Lingen ist eine schöne
Kleinstadt die an der holländischen Grenze liegt. Dorthin hatte es
dieses Jahr das Team von UpJ-Netzer verschlagen.
Dieses Jahr haben die Kinder viele Ausflüge erlebt, unter anderem
hatten sie einen ganzen Tag die Meyer-Werft in Papenburg besichtigt
und gesehen wie ein Kreuzfahrtschiff entsteht. Außerdem war die älteste Altersgruppe (16-17 Jahre) auf einem dreitägigen Ausflug wo sie
bei Lagerfeuer, Bogenschießen und Kanu fahren ein extra Programm
durchlaufen haben, welches die Gruppendynamik noch weiter gestärkt
hat. Ebenfalls gab es wie jedes Jahr viele Peulot. Eine Peula ist im
Prinzip ein spielerischer Unterricht, der auf die Ansprüche der jeweiligen Altersgruppen angepasst wird. Dieses Jahr war der Leitfaden des
Machanes „Zedaka“. Das bedeutete, dass alle Peulot in irgendeiner Art
und Weise mit dem Prinzip von Zedaka verbunden waren. Außerdem
gab es Peulot zu Themen wie z.B jüdische Identität, religiöse Themen,
Israel und natürlich Zedaka.
vorbereiten, alle sich super schick anziehen und dann alle zusammen
den Shabbat feiern. Alle Teilnehmer fühlen sich spätestens nach dem
ersten Shabbat nicht mehr nur als Teilnehmer, sondern als Teil einer
großen „Netzer-Familie“.
Abschließend kann man sagen, dass das UpJ-Netzer Sommermachane
2014 ein Riesen-Erfolg war und die Kinder sehr viel Spaß hatten und
auf jeden Fall wiederkommen. Ein einzigartiges und unvergleichliches,
tolles Machane gibt es nur bei UpJ-Netzer. Diese sichere, familiäre
Atmosphäre ist einmalig und sehr empfehlenswert. Wer Interesse hat
ein UpJ-Netzer Machane auszuprobieren, kann sich gerne per Email,
Telefon oder Brief an UpJ-Netzer wenden, um weitere Informationen
zu erhalten.
Alexander Reschetnikow
UpJ NETZER Deutschland
Diesterwegstraße 7
33604 Bielefeld
Tel.: 0521 30 43 185
Fax: 0521 30 43 186
E-Mail: info@upj-netzer.de
Des weiteren hat jeden Abend ein Abendprogramm stattgefunden,
welches in der Regel einfach nur Spaß für die Kinder bedeutet oder
auch andere Sachen wie z.B ein Lagerfeuer oder ein Videoabend. Ein
weiteres Highlight war, dass die ältesten zwei Gruppen eine Politiksimulation durchlaufen haben die 24-Stunden gedauert hat. Die Aufgabe
bestand darin, einen Wahlkampf abzuhalten gegen andere Parteien.
Ebenso gab es den „Netzer-Day“, wo es unter anderem eine FarbSchlacht gab und ganz viele andere tolle Aktivitäten.
Natürlich wurden beim Sommer-Machane auch viel über progressives
Judentum diskutiert und erläutert – und das immer in Bezug auf die
internationale Jugendbewegung Netzer Olami. Das wahrscheinlich
größte Highlight ist immer der Shabbat. Angefangen damit, dass die
Kinder alles selbst dekorieren und die Ältesten den Gottesdienst mit
Schnatbericht
Gruppengrößen der jeweiligen Snifim zunächst erschreckend waren.
Wie viele Jugendliche in unserem Alter, haben auch wir uns für ein
Auslandsjahr entschieden, und nun leben wir hier DEN Traum. Wir
wohnen hier mitten im Nichts, in Lehmhäusern mit unseren neugewonnenen Freunden. Obwohl wir in einer der trockensten Wüsten der
Welt leben, fehlt es uns hier an nichts. Wir haben hier alles, was wir
brauchen und mehr, sogar WLAN in den Lehmhäusern.
Next Stop: KIBBUTZ LOTAN, auch bekannt als Hippie-Hausen.
Kibbutz Lotan ist eines von 270 Kibbutzim in Israel und eins von zwei
Reformkibbutzim. Die Atmosphäre hier ist großartig, noch großartiger
sind jedoch die Menschen. Kibbutz Lotan wurde vor 31 Jahren gegründet und ist jedes Jahr aufs Neue ein zweites Zuhause für die Shnaties.
Wir leben in der Bustan Nachbarschaft von Lotan.
Das Bustan ist eine Nachbarschaft aus mehreren Lehmhäusern und
steht für einen ökologisch nachhaltigen Lebensstil. Jeden Tag lernen
wir mehr und mehr über das Leben im Kibbuz, Tikkun Olam, Zionismus
und Reformjudentum, nicht zu vergessen die Hebräischstunden natürlich. Es mag sich etwas trocken anhören, doch sobald man in einer
dieser Sessions sitzt, verwandelt man sich in einen Schwamm, der das
Wissen und die Information aufsaugt. Denn es ist nicht irgendwas,
Unsere Reise begann vor fast einem Monat in Jerusalem. Seitdem haben wir so viele tolle und freundliche Leute kennengelernt, viele neue
Erfahrungen gesammelt und untereinander Traditionen, Rituale und
Ideen geteilt. Die erste Woche in Jerusalem war die Kennenlernphase,
in der wir uns schnell wie daheim gefühlt haben, so als würden wir
diese wildfremden Menschen schon Jahre lang kennen, auch wenn die
Union progressiver Juden in Deutschland
Dezember 2014 | Kislew 5774
Jugendabteilung der UpJ
was wir hier lernen, sondern es ist Wissen fürs Leben und vor allem
Wissen über unser geliebtes Netzer, über das was wir glaubten, bereits
so gut gekannt zu haben- falsch gedacht!
Wir arbeiten fünf Tage die Woche, meistens für 2-3 Stunden nach den
Sessions . Einige von uns arbeiten als Lehrer, andere in den Gärten und
andere wiederum helfen dem Kibbutz, wo sie nur können. Es ist eine
ganz neue Erfahrung für fast jeden von uns und bereitet uns sehr viel
Freude und Spaß. Zweimal die Woche haben wir Hebräisch, einmal
Grammatik, einmal Umgangssprache. Vor einigen Tagen haben wir unsere erste Wanderung durch die Arava gemacht. Es war einfach unbeschreiblich, und wir können es jedem nur empfehlen, selber diese tolle
Erfahrung zu machen. Das Gefühl, nach 3 Stunden des Staunens beim
Anblick der Landschaft, die einen umgibt, auf einem Berg anzukommen, der einem die Sicht bis nach Jordanien ermöglicht, ist überwältigend. Wir können die nächsten Wanderungen kaum erwarten und
freuen uns auf unsere Freizeit-Trips durch die Wüste Israels.
Alles in allem hat uns Lotan samt seinen Einwohnern und anderen
Aktivisten und Shnatis sehr herzlich aufgenommen, sodass am Sonntag Morgen sogar Tränen flossen, als es hieß: Goodbye Shnat Kineret,
Netzer Australia!
Dali, vom gothischen Viertel bis zum Parc de Zitadelle. Nicht zuletzt
blieben uns die Werke des Architekten Gaudi in bleibender Erinnerung.
Allerdings können wir es auch kaum erwarten, die neuen Australier
kennenzulernen, die im Februar für 4 Monate zu uns stoßen werden.
Es mag nicht authentisch klingen, wenn wir folgendes schon nach
knapp einem Monat sagen, aber: Shnat ist bereits ausnahmslos das
Beste, was uns in unserem Leben passiert. Um zu verstehen, was wir
gerade großartiges fühlen und erleben, wünschen wir jedem einzelnen,
selbst einmal diese Erfahrung zu machen; Ihr werdet es nicht bereuen,
versprochen! Shavua tov und viele liebe Grüße aus dem Holy Land eure Shnatis 5775
Die Synagoge war in keiner Weise als solche zu erkennen. Nicht einmal
eine Mesusa hing am Rahmen der Eingangstür. In der Synagoge machten mehrere Infoblätter darauf aufmerksam, nicht vor der Synagoge zu
verweilen und erst recht nicht mit Kippa auf die Straße zu gehen. Diese
Umstände fanden ihre Entsprechung im Verhalten unserer jüdisch-spanischen Freunde, die sehr darauf bedacht waren, nicht als Juden in der
Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten.
Aleks & Yana (Netzer Germany, Zeegreb company)
Trotz dieser kulturellen Höhepunkte und der zahlreichen Museumsbesuche, war der Höhepunkt unserer Reise das Treffen mit Netzer-Barcelona. Wir konnten einige Freundschaften knüpfen und gemeinsame
Aktivitäten begehen. Herausragend war dabei sicher die gemeinsame
Durchführung von Peulot für über 50 Kinder aus der Region. Ebenso
schön war es, die G’ttesdienste der dortigen liberalen Gemeinde zu
erleben. Wir hatten das Glück bei einer Bar Mitzvah dabei zu sein.
Neben diesen schönen Erfahrungen bleibt zugleich ein Unbehagen
zurück. Wir setzten uns auch mit der jüdischen Geschichte in Spanien auseinander. Eine Geschichte, die durch die Shoa oft nur noch am
Rande Thema ist.
Die katholische Kirche hatte das spanische Judentum vertrieben und
für fast 400 Jahre in Spanien das Ziel erreicht, welches seit jeher das
Ziel der Antisemiten ist: eine Welt ohne Juden. Dieses historische
Wissen erhält einen aktuellen Bezug durch das jüdische Alltagsleben,
welches wir erlebt haben. Herzlich, gastfreundlich....... und versteckt.
Alles in allem möchte wohl dennoch jeder gerne ein weiteres Mal
nach Barcelona. Wir hatten eine schöne Zeit, das Team konnte sich
besser kennenlernen und zugleich haben wir jetzt private Kontakte
nach Spanien, mit denen wir in Zukunft weitere internationale Projekte
einfacher planen können.
Konstantin Seidler
Barcelonafahrt von
UpJ-Netzer
Vom 26. Oktober bis zum 03.
November 2014 war Netzer mit
14 Madrichim und Blumen in der
wundervollen katalonischen Metropole Barcelona. Dank an dieser
Stelle für die großzügige finanzielle Unterstützung des Auswärtigen
Amtes.
Die Stadt war ein einziges Erlebnis. Spätsommerliche Temperaturen ließen uns schnell den Herbst
in Deutschland vergessen. Dennoch waren es aber vor allem die
kulturellen Schätze der Region, die
uns diesen Spanienbesuch nicht
vergessen lassen. Von Picasso bis
Union progressiver Juden in Deutschland
Dezember 2014 | Kislew 5774
Jugendabteilung der UpJ
Informationen aus der
Jugendabteilung der UpJ-Netzer
Die Sommermachane 5774 /
2014 führte uns nach Lingen in
das südliche Emsland. Nachdem bereits früh alle Plätze
reserviert und wir somit restlos
ausgebucht waren, verbrachten
wir mit 80 Chanichim, betreut
von insgesamt 18 Madrichim,
zwei wundervolle Wochen in
der Jugendherberge Lingen und
erlebten eine aufregende Zeit, in
der wir viel miteinander gelacht und gelernt haben.
Unser Motto „Better together –
Netzer is life“ stand im Mittelpunkt
zahlreicher sozialer, sportlicher,
politischer und religiöser Aktivitäten, angefangen von den
Peulot und Chugim bis hin zu den
Abendprogrammen, Ausflügen und
Gottesdiensten.
Darüber hinaus gestalteten die
Madrichim auch Tage, die unter
einem besonderem Motto standen,
und an denen wir uns intensiv mit der Netzer-Idee und der politischen
Situation in Israel auseinander setzten.
Anita Kantor aus
Berlin, die alle dafür
sorgten, dass die
beiden Schabbatot
uns noch lange in
Erinnerung bleiben
werden.
Viele weitere sportliche Aktivitäten und
Ausflüge ergänzten
das Programm. So
erlebten wir hautnah
das für die Landschaft im Emsland typische Moor und besuchten die Meyer-Werft, die
als eine der wenigen großen Werften weltweit Kreuzfahrtschiffe baut.
Ein besonderes Highlight für die älteste Gruppe war ein dreitägiger
Ausflug zu einem Kanu Camp, wo sie neben der Kunst des Bogenschießens auch das Kanufahren erlernen konnten.
Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal ganz besonders bei
allen Blumen und Madrichim, die einen großartigen Beitrag zum Erfolg
der Sommermachane 5774 geleistet haben. Ohne Eure Unterstützung
wäre es nicht möglich gewesen, so etwas auf die Beine zu stellen. Das
Feedback der Chanichim war mehr als positiv, mit wenigen Worten
fasste eine Mutter ihre Rückmeldung zusammen, in dem sie schrieb:
„Jedes Jahr eine Steigerung“.
Bericht zum aktuellen Stand der Madrichim-Ausbildung
Informationen aus der
Jugendabteilung der UpJNetzer
Die Sommermachane 5774 /
2014 führte uns nach Lingen in
das südliche Emsland. Nachdem
bereits früh alle Plätze reserviert
und wir somit restlos ausgebucht
waren, verbrachten wir mit 80
Chanichim, betreut von insgesamt 18 Madrichim, zwei wundervolle Wochen in der Jugendherberge
Lingen und erlebten eine aufregende Zeit, in der wir viel miteinander
gelacht und gelernt haben.
Unser Motto „Better together – Netzer is life“ stand im Mittelpunkt
zahlreicher sozialer, sportlicher, politischer und religiöser Aktivitäten,
angefangen von den Peulot und Chugim bis hin zu den Abendprogrammen, Ausflügen und Gottesdiensten.
Darüber hinaus gestalteten die Madrichim auch Tage, die unter einem
besonderem Motto standen, und an denen wir uns intensiv mit der
Netzer-Idee und der politischen Situation in Israel auseinander setzten.
Religiös wurden wir dabei unterstützt von unseren engagierten Chanichim, Blumen und Madrichim sowie durch die Rabbinatsstudentin
Wir können sehr zufrieden auf das letzte Jahr der Madrichimausbildung zurückblicken, denn neben der erfolgreichen Ausbildung sechs
neuer Madrichim, ist es uns gelungen, wieder 10 neue Blumen zu
gewinnen, die im November in Berlin mit der zweijährigen Ausbildung
zum Madrich bzw. zur Madricha begonnen haben.
Darüber hinaus wurden wir bereichert durch unsere acht Blumen, die
im zweiten Ausbildungsjahr sind und im Sommer nächsten Jahres die
Ausbildung abschließen werden. Für das Madrichim-Seminar in Berlin
unter der Leitung von unserem Rosh Konstantin Seidler und unserem
Jugendrabbiner Tom Kucera hatten sich 35 Blumen und Madrichim
angemeldet – diese Anzahl übertraf alle bisherigen Erfahrungen und
Erwartungen bei weitem.
Stephanie Bartneck
Jugendabteilung UpJ-Netzer
Union progressiver Juden in Deutschland
Dezember 2014 | Kislew 5774
Kinderseite
Ein Dreidel als Schlüsselanhänger
Mit einem Dreidel spielen alle Kinder gerne an Chanukka. Dieser
Schlüsselanhänger stellt den Dreidel dar. Du brauchst:
• 40 blaue Perlen
• 11 weiße Perlen (natürlich kannst Du auch andere Farben wählen)
• eine Kordel
• einen Haken
Deko zu Chanukka
Nehmt 9 Holzstäbe. Diese findet ihr entweder im Bastelbedarf oder
als Stiele am Eis. Dann noch etwas Papier und nun gestaltet diese Dekoration wie auf dem Bild. Ihr könnt das fertige Bild zum Beispiel ans
Fenster kleben oder an die Tür.
Chanukka sameach!
Union progressiver Juden in Deutschland
Dezember 2014 | Kislew 5774
Kurzgeschichte
Die Guajave
Das Geräusch der Flugzeugmotoren war nicht zu hören. Nichts war zu
hören. Außer vielleicht dem leisen Weinen der Stewardessen ein paar
Sitze weiter hinter ihm. Durch das elliptische Fenster schaute Schakedi
auf eine Wolke, die direkt unter ihm schwebte. Er stellte sich das Flugzeug vor, wie es wie ein Stein hindurchfiel, ein riesiges Loch hineinbohrte, das sich gleich beim ersten Wind schließen und nicht einmal
eine Narbe hinterlassen würde. »Bloß nicht fallen«, dachte Schakedi,
»bloß nicht fallen.«
Vierzig Sekunden bevor es mit Schakedi vorbei war, tauchte ein ganz
in Weiß gekleideter Engel auf und erzählte ihm, dass ihm ein letzter
Wunsch in seinem Leben vergönnt sei. Schakedi versuchte zu klären,
was genau »vergönnt« hieß. Ob es sich um eine Art Gewinn wie bei
einer Verlosung handelte oder um etwas, das eine Spur schmeichelhafter war: »vergönnt« im Sinne von verdient, als Preis für seine guten
Taten. Der Engel zuckte mit den Flügeln. »Weiß ich nicht«, bekannte er
mit glasklar engelhafter Aufrichtigkeit. »Man hat mir gesagt, ich soll
kommen und schnell machen, sie haben nicht gesagt, warum.«
»Schade«, sagte Schakedi, »denn gerade das wäre schon hyperinteressant. Besonders jetzt, wo ich im Begriff bin, diese Welt und das alles
zu verlassen, wäre es mir echt wichtig zu wissen, ob ich sie schlicht als
Glückspilz verlasse oder mit irgendeinem Schulterklopfen.«
»Vierzig Sekunden und du pustest deine Seele aus«, versetzte der
Engel mit gleichmütiger Stimme, »wenn du das in diesen vierzig
durchhecheln willst, geht das von mir aus in Ordnung. Voll. Du solltest
dir bloß einverleiben, dass dein Fenster der Gelegenheiten immer mehr
zugeht.«
Schakedi verleibte es sich ein und bat schleunigst um etwas. Allerdings nicht bevor er sich die Mühe gemacht hatte, zu dem Engel zu
bemerken, dass er eine eigenartige Ausdrucksweise habe, das heißt, so
verhältnismäßig, für einen Engel. Der Engel war beleidigt. »Was soll
das heißen, für einen Engel? Hast du in deinem Leben schon einmal
einen Engel reden gehört, dass du mir so was hinrotzt?«
»Nein«, gab Schakedi zu. Der Engel wirkte auf einmal viel weniger engelhaft und nett, was aber noch gar nichts dagegen war, wie er aussah,
nachdem er den Wunsch vernommen hatte.
hatte seine Seele schon ins siebte Firmament expediert, und da geh
mal einer hin und such ihn.
Der Engel nahm einen langen Atemzug. »Bloß Weltfrieden«, murmelte
er vor sich hin. »Bloß Weltfrieden.«
Und während all das geschah, hatte es Schakedis Seele bereits geschafft zu vergessen, dass sie einmal jemand namens Schakedi gewesen war, und sie reinkarnierte, rein und geläutert, zweiter Hand so gut
wie neu, in einer Frucht. Ja, eine Frucht. Eine Guajave.
Die neue Seele hatte keine Gedanken. Eine Guajave hat keine Gedanken. Aber sie fühlte. Verspürte grauenerregende, entsetzliche Angst.
Sie hatte Angst, vom Baum zu fallen. Sie hatte keine Worte, um
diese Angst zu beschreiben. Aber hätte sie welche gehabt, wäre das
garantiert etwas im Stil von »Mamilein, bloß nicht fallen« gewesen.
Und während sie an dem Baum hing und sich fürchtete, begann auf der
Welt Frieden zu herrschen. Die Menschen schmiedeten ihre Schwerter
zu Pflugscharen um, und Atomreaktoren wurden flink und klug zu
Friedenszwecken umgemodelt. Doch all das beruhigte die Guajave in
keinster Weise. Denn der Baum war hoch, und die Erde schien fern und
schmerzhaft. Bloß nicht fallen, bangte die Guajave wortlos, bloß nicht
fallen.
Etgar Keret, Die Guajave. Aus: ders., Plötzlich klopft es an der Tür. (c)
by Etgar Keret. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. (c) S.Fischer
Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Copyright © by Etgar Keret
Published by arrangement with The Institute for the Translation of
Hebrew Literature
Wir danken den Gemeinden, die uns bereits die Artikel für den Newsletter auf Deutsch und auf Russisch zugesandt haben.
Termine
• Presidents`Day vom 16.01. – 18.01.2015 in Bielefeld
• Konferenz der World Union for Progressive Judaism in Rio de Janeiro
vom 13.05. – 16.06.2015
• 21. Jahrestagung der UpJ vom 02.07. – 05.07.2015 in Berlin-Spandau
»Weltfrieden?!«, schrie er wütend. »Weltweiter Frieden? Du machst
wohl Witze mit mir!«
Und da starb Schakedi.
Impressum
Schakedi war tot, und der Engel blieb. Blieb mit dem schwersten und
kompliziertesten Wunsch zurück, den zu verwirklichen er jemals gebeten worden war. Die meisten Menschen wünschen sich ein neues Auto
für die Frau, eine Wohnung fürs Kind. Plausible Dinge. Punktuelle.
Aber Weltfrieden, das war ein tonnenschwerer Fall. Zuerst quälte ihn
der Kerl mit Fragen, als sei er die Auskunft persönlich, danach beleidigte er ihn damit, dass er eigenartig rede, und zum Nachtisch würgte
er ihm Weltfrieden rein. Wenn er nicht schon seine Seele ausgehaucht
hätte, der Engel hätte sich wie ein Herpes an ihn drangeklebt, hätte
nicht lockergelassen, bis er den Wunsch geändert hätte. Aber der Kerl
Herausgeber: Union progressiver Juden
in Deutschland, Diesterwegstraße 7,
33604 Bielefeld, Telefon: 0521-3043184,
info@liberale-juden.de
Redaktion:
Verena Menn, Irith Michelsohn, Sonja Guentner V.i.S.D.P.
Übersetzungen: Alex Egorov
Layout: Werbeagentur mosaic UG, Matthias Hauke
Fotos: Die Rechte liegen bei den einzelnen Gemeinden