Aktuelles Magazin - VCS Verkehrs

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Aktuelles Magazin - VCS Verkehrs
VCS mAGAZIN
5 / November 2015
F Ü R Z E I T G E M Ä S S E M O B I L I TÄT
Doris Leuthard
Das kontroverse
Interview
Seite 12
Gotthard
Emil
Seite 16
Seite 39
Dominoeffekt auf Nord-Süd-Achse
Der Kabarettist über seinen Schulweg
Die geba
wird von W na
Konsumen WF und
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regelmässig nschutz
Höchstnot mit der
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empfehlens «sehr
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ausgezeich ert»
net.
Die gebana ist
Pionierin des
Fairen Handels
in der Schweiz.
Hervorgegangen ist
sie aus der Bewegung der „Bananen
„Bananenfrauen“, die sich seit den 1970er
Jahren für bessere Arbeitsbedingungen auf den Bananenplantagen einsetzten.
Heute arbeiten wir in Tunesien,
Burkina Faso, Togo und Brasilien mit
Kleinbauern zusammen und
verkaufen deren biologisch
angebaute Produkte direkt an
Konsumenten in der Schweiz.
Wir bezahlen den Produzenten
korrekte Preise, investieren vor Ort
in die Infrastruktur und leisten
Vorfinanzierungen. Unser Ziel ist es,
langfristig zum Erhalt kleinbäuerlicher Strukturen beizutragen, denn
diese schaffen soziale, ökologische
und wirtschaftliche Mehrwerte.
Beachten Sie auch das
VCS-Bonus-Angebot auf Seite 50 in diesem Heft!
© Fabian Lütolf
AKTUELL
4
Kurz & bündig
7
VW-Skandal
Die Spitze des Eisbergs
8
CO2-Debatte
Nötige Reduktion auf 95 Gramm
9
Preisvergabe
Wallisellen gewinnt den FLUX
10
Autofrei leben
Viele neue Siedlungen
12
Interview
Doris Leuthard über Umweltpolitik
DOSSIER
16
12
Interview
Ist sie eine gute Umweltministerin? Unser grosses Interview mit
der verblüffend offenen Doris Leuthard.
Gotthard
Dominoeffekt auf der Nord-Süd-Achse
REISEN
27
Ausflugstipp
Schlottern in La Brévine
28
Skitour
Schwitzen bei der Lötschenlücke
30
Weihnachtsmärkte
Es muss nicht immer Nürnberg sein
© Jérôme Faivre
© Werner Herger
ANSICHTEN
16
Dossier Gotthard
Eine zweite Strassenröhre hätte Auswirkungen auf die gesamte Nord-SüdAchse. Die Baubranche steht schon
in den Startlöchern.
39
Porträt
Emil, der bekannteste Schweizer Kabarettist, erzählt einer Schulklasse in Luzern von
seinen Schulwegerinnerungen.
34
Leserbriefe
35
Ein Thema, zwei Meinungen
Tun die Winterorte genug für Autofreie?
36
Hier & dort
China-Reise anno 1937
39
Porträt
Emil und der Schulweg
REGIO
41
Berichte aus den VCS-Regionen
SERVICE
Titelbild: Doris Leuthard und der VCS: aufeinandertreffende Meinungen. (© Fabian Lütolf)
Das VCS-Magazin für zeitgemässe Mobilität Zeitschrift des VCS Verkehrs-Club der Schweiz. Abonnement: Fr. 19.–/ Jahr. Erscheint
5-mal jährlich. Redaktionsadresse: VCS, Postfach 8676, 3001 Bern (Tel. 031 328 58 58; E-Mail: magazin@verkehrsclub.ch).
Redaktion: Stefanie Stäuble (sts), Jérôme Faivre (jfa). Sektionsnachrichten: Urs Geiser (G). Inserate: Markus Fischer
(Tel. 031 328 58 38, Fax 031 328 58 99; E-Mail: inserate@verkehrsclub.ch). Grafik: www.muellerluetolf.ch. Druck, Versand:
AVD Goldach AG. Papier: Leipa Ultra Lux Semigloss, Blauer Engel FSC. Auflage: 79 000 (deutsch 63 500; französisch 15 500).
Die nächste Ausgabe erscheint am 3. März 2016. Insertionsschluss: 27. Januar 2016. Allgemeine Auskünfte: Tel. 031 328 58 58
Diese Zeitschrift wird in einer umweltverträglichen Polyethylenfolie verschickt. Diese schneidet im
Ökovergleich gleich gut ab wie Recyclingpapierhüllen. Hingegen bietet eine Papierhülle weniger
Schutz und führt so häufiger zur Beschädigung von Zeitschriften.
46
Mitglied schenkt Mitgliedschaft
48
Mitgliederangebote
51
VCS-Boutique
53
Durchatmen/Rätsel
55
Wettbewerb/Vorschau
56
Kleininserate
58
Via verde Reisen
VCS MAGAZIN 5/15
3
AKTUELL
EDITORIAL
Die anderen sollen
© Susanne Troxler
Die nächsten Monate könnten eisig
werden. Wetterpropheten künden den
kältesten und schneereichsten Winter
des Jahrhunderts an. Das wäre gut für
Sommer hat sie überdurchschnittlich
schmelzen lassen. Umso verblüffender, dass der Klimawandel den Schweizerinnen und Schweizern keine Angst
einzujagen scheint: Beim Sorgenbarometer 2015, das im
Juni vom Schweizer Fernsehen in Zusammenarbeit mit
dem Forschungsinstitut GFS Bern erstellt wurde, gaben
nur 14 Prozent der Befragten an, dass ihnen Umweltprobleme und die Klimaerwärmung Sorgen bereiten.
Dabei sagte sogar US-Präsident Barack Obama im August, dass «die Klimaerwärmung die grösste Bedrohung
unseres Planeten ist», und startete eine grosse Klimakampagne. Umweltministerin Doris Leuthard zeigt sich
davon in unserem spannungsgeladenen Interview (ab
Seite 12) nicht sonderlich beeindruckt: «Die Kohleindustrie ist von seinem Klimaplan betroffen, die gibt es in
der Schweiz aber schon lange nicht mehr. Die USA leben
diesbezüglich auf einem anderen Planeten.» Das ist auf-
© bfu
die Gletscher. Der heisse und lange
Eine VCS-Tagung widmet sich dem Thema Sicherheit von E-Bikes.
VCS-Fachtagung E-Bike
Bitte bereits vormerken: Am Mittwoch, 6. April 2016, findet
im Stade de Suisse in Bern die VCS-Fachtagung zum Thema E-Bikes statt. Bereits heute ist jedes sechste verkaufte
Velo in der Schweiz ein E-Bike. Die Benützung des Elektrovelos ist umweltfreundlich, gesund und verkehrspolitisch
interessant. Die Unterstützung durch den Motor macht
auch längere Strecken oder solche mit grösserer Steigung
attraktiver und vergrössert damit die Anzahl Wege, die mit
dem Fahrrad zurückgelegt werden können. Nebst den überwiegend positiven Aspekten sind auch mögliche negative
Auswirkungen des E-Bike-Fahrens im Auge zu behalten und
zu minimieren: Wie steht es mit der Sicherheit? Wie kann
ein konflikt- und unfallfreies Nebeneinander von Autos,
E-Bikes, Velos und Fussverkehr gefördert werden? Die Fachtagung soll einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs leisten
und E-Bike-Experten und -Akteuren eine Plattform für den
Austausch bieten. Sie beleuchtet Themen wie Verbreitung,
Unfallprävention, Chancen und Risiken für eine nachhaltige
Mobilität.
(cst)
schlussreich. Sowohl in der Politik wie auch im Privaten
scheinen wir oft das Gefühl zu haben, die anderen sollen
ziemlich sicher wird die Menschheit das Problem auf
diese Art nicht in den Griff kriegen, und die Klimakonferenz in Paris wird unter solchen Vorzeichen einmal mehr
ein Flop werden. Hoffen wir, dass ich Unrecht habe. Denn
wie sagte schon der spanische Clown Charlie Rivel: «Der
Optimist hat nicht weniger oft Unrecht als der Pessimist,
aber er lebt froher.»
Der VW-Skandal hat ein riesiges Ausmass! Zunächst
musste der VW-Konzern zugeben, dass er in den USA
systematisch Abgaswerte auf dem Prüfstand manipuliert
hat – mithilfe einer speziellen Software. Mittlerweile ist
die Rede von elf Millionen Dieselfahrzeugen weltweit. VW
ist nur die Spitze des Eisbergs. Manipulationen à la VW
sind in Europa sogar Gesetz. Mehr dazu auf Seite 7.
Stefanie Stäuble, Redaktionsleiterin
4
VCS MAGAZIN 5/15
Wir gratulieren!
Ein bekanntes VCS-Mitglied hat kürzlich seinen 80. Geburtstag
gefeiert: Clown Dimitri, der 1935 in Ascona geboren wurde.
Schon als Siebenjähriger fasste er den Entschluss, Clown zu
werden. In Bern machte er eine Töpferlehre. Während dieser
Zeit nahm er Schauspiel-, Musik-, Ballett- und Akrobatikunterricht. Danach absolvierte er eine pantomimische Ausbildung
bei Etienne Decroux und wurde Mitglied der Truppe von Marcel
Marceau in Paris. Dimitri gilt
nach wie vor als einer der grössten Clowns. Mit seiner Poesie
und seinem grossen Herzen
bringt er das Publikum nicht nur
zum Lachen, sondern berührt es
auch tief. Dem VCS ist Dimitri
seit der Gründung im Jahr 1979
treu. Wir wünschen ihm alles
Gute zu seinem runden Geburtstag und weiterhin viele InspiraUnser Mitglied Dimitri ist
tionen für sein künstlerisches
80 Jahre alt geworden –
Leben!
(vgr)
herzliche Gratulation.
© Gaëtan Bally
etwas tun, denn wir selber machen schon genug. Doch
Service public bleibt
Ehrung für Willi Nowak
Die eidgenössischen Räte haben
in der Herbstsession die Totalrevision des Gütertransportgesetzes
beschlossen. Im Zuge der Differenzbereinigung zwischen National- und
Ständerat wurde die vom Bundesrat
vorgesehene Befreiung der SBB
von ihrer gesetzlichen Pflicht, den
Güterverkehr als Kerngeschäft anzubieten, wieder gestrichen. Der
Nationalrat war zuvor der Meinung
gewesen, dass der Gütertransport
nicht mehr zu den Kernaufgaben
der SBB gehören soll. «Es bleibt
somit für die SBB und den Bund als
Eigner ein Zielkonflikt bestehen
zwischen dem gesetzlichen Auftrag,
Angebote im Schienengüterverkehr
als Kernaufgabe zu erbringen, und
der Verpflichtung zu einem eigenwirtschaftlichen Angebot», schrieb
das Bundesamt für Verkehr nach
dem Entscheid in einer Mitteilung.
Der VCS freut sich, dass die SBB im
Güterverkehr weiterhin einen Service public erbringen muss. Nur mit
einem guten Angebot hat die Güterverlagerung auf die Schiene eine
Chance.
(sts)
Dem Geschäftsführer unserer österreichischen
Schwesterorganisation VCÖ, Willi Nowak,
wurde in Wien das Silberne Ehrenzeichen der
Stadt verliehen. Willi Nowak setze sich seit
über dreissig Jahren für eine menschen- und
umweltfreundliche Mobilität ein und habe diesbezüglich in der österreichischen Hauptstadt
viel bewirkt, so die Erklärung. Überreicht wurde
das Silberne Ehrenzeichen in einer feierlichen
Zeremonie von Maria Vassilakou, der grünen
Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz und Energie.
Das VCS-Team freut sich mit dem geehrten Chef
unserer Partnerorganisation!
(sts)
© Stefanie Stäuble
AKTUELL
Auszeichnung für VCÖ-Chef
Willi Nowak in Wien.
Die neue LUL ist da
Wenn Sie demnächst ein Neufahrzeug anschaffen, konsultieren Sie am besten vorgängig unsere aktuelle Lieferwagen-Umweltliste, die soeben erschienen ist. Die
Spezialpublikation für ökologisch sensibilisierte Konsumentinnen und Konsumenten sowie für Flottenbesitzer erscheint zum zweiten Mal in gedruckter Form. Das
Heft bietet nebst der Zusammenstellung und ökologischen Bewertung des aktuellen Angebots an Lieferwagen und Minibussen Interviews, Informationen und
Wissenswertes rund um den Kleintransportermarkt. Auf unserer Website können
Sie die Lieferwagen-Umweltliste als PDF herunterladen oder bestellen und finden
aktualisierte Infos zur Weiterentwicklung des VW-Abgasskandals.
(mwi)
www.autoumweltliste.ch
REISEZEITEN LUZERN–LUGANO
Quelle: Credit Suisse, Bulletin No 3/2014, Grafik: © www.muellerluetolf.ch
2016 1 Std. 30 Min.
Heute 2 Std. 30 Min.
1950 3 Std. 40 Min.
1900 7 Std. 40 Min.
DER GOTTHARDTUNNEL IST normalerweise nicht überlastet.
Einzig während der Ferien oder an Feiertagen treten zeitweise
Engpässe auf. Die Empörung ist dann jeweils gross, und sofort
wird am Radio vom «erwarteten Zeitverlust» berichtet. Wer
lieber nicht im Stau steht, nimmt einfach den Zug. Oder muss
sich halt in Geduld üben – etwas, das unsere Gesellschaft komplett
verlernt hat. Früher war Geduld eine Tugend, die man dringend benötigte. Das
zeigen die Reisezeiten um 1850: Damals fuhr man mit der Postkutsche über den
Gotthardpass und benötigte dafür fast 24 Stunden. Ab nächstem Jahr, wenn der
neue Gotthard-Basistunnel eröffnet wird, kann man in dieser Zeit mit dem Zug
ganze 14-mal durch den Tunnel düsen. Übrigens, Überseereisen dauerten früher
noch viel länger, wie unser Reisebericht aus dem Jahr 1937
zeigt, den Sie auf Seite 36 finden.
1850 22 Std. 10 Min.
Quade & Zurfluh / Startbahnwest
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AKTUELL
VW, die Spitze des Eisbergs
s vergeht kein Tag ohne neue
Enthüllungen im VW-Skandal. Auch die sozialen Netzwerke sind voll davon. Hashtags
wie #Volkswagen, #Dieselgate
oder #Dirtydiesel ziehen weltweit zehntausende Beiträge nach
sich. Sich in der Informationsflut
zurechtzufinden, ist nicht leicht.
Auch darum nicht, weil die grossen Automobilhersteller zusätzlich für Verwirrung sorgen. Sie
haben allen Grund dazu. Gemäss
unseren letzten Informationen*
ist Volkswagen nur die Spitze des
Eisbergs.
Gängige Praxis
Seit sieben Jahren schon weist
Transport & Environment (T&E),
die internationale Dachorganisation des VCS, auf Manipulationen bei Abgastests auf dem Prüfstand hin: «Der Labortest, den die
Neuwagen durchlaufen müssen,
ist unrealistisch und zu vorhersehbar. Er erlaubt es den Herstellern, ihre Autos so zu präparieren,
dass sie den Test bestehen. Das
Resultat: Autos, die die Luft in der
Realität deutlich schlimmer verschmutzen als in den Herstellerangaben.»
Obwohl diverse Organisationen für eine umweltgerechte Mobilität seitdem auf den Missstand
aufmerksam machen, hat sich
die Situation nicht verbessert. Im
Gegenteil, die Schere zwischen
Test- und realer Strassensituation wird immer grösser. 2012
lancierte T&E eine Kampagne,
die die beunruhigende Entwicklung anprangerte. Darin warnte
T&E davor, dass «die Hersteller
ihre Autos für den Test auf dem
Prüfstand immer mehr optimieren. Sie verwenden viel kreative
Energie, um etwa das Gewicht
der Autos zu vermindern, indem
sie die Pneus aufpumpen, spezielle Schmiermittel verwenden
und den Test bei extrem hohen
Temperaturen und möglichst
wenig Rollwiderstand durchführen.» Aus dieser Sicht geht der
VW-Konzern einfach noch einen
Schritt weiter, indem er in einen
Vierzylinder-Dieselmotor eine
eigens konstruierte Abschaltsoftware einbaute, mit der während
des Tests massiv weniger Stickoxide (NOX) ausgestossen werden.
Wird jetzt alles besser?
VW trat damit den Sinkflug auf
ein desolates Niveau an. Der
VCS und seine europäischen
Partnerorganisationen fordern
seit Jahren die Einführung eines Neuwagentests, der die Realität abbildet und zudem systematischen Leistungsprüfungen
unterzogen wird. In zwei Jahren soll die «World Harmonized
Light Vehicles Test Procedure» (WLTP) das seit 1996 geltende und völlig veraltete Messverfahren «Neuer Europäischer
Fahrzyklus» (NEFZ) ablösen.
Ebenfalls auf 2017 plant die EU
zusätzlich die Einführung der
Real-Driving-Emissions-Gesetzgebung (RDE), damit die Abgaswerte nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch im realen
Fahrbetrieb kontrolliert werden
können. Doch die Autoindustrie
© Simon Küffer
E
Seitdem der Skandal Mitte September aufflog, gleicht die Affäre um manipulierte Motoren der Volkswagengruppe einer veritablen TV-Soap. Im Wochentakt
kommen neue, brisante Details ans Licht. Fortsetzung folgt.
lobbyiert seit geraumer Zeit dagegen, um den Wechsel noch um
einige Jahre hinauszuzögern.
*Stand 30.10.2015
KOMMENTAR
Wie lange noch?
© Susanne Troxler
Von Jérôme Faivre
Dass die Angaben der Autohersteller zu ihren Produkten nur sehr beschränkt richtig
sind, prangern wir zusammen mit unseren Kollegen aus Brüssel und Berlin schon lange an. Treibstoffkonsum und parallel dazu CO2-Ausstoss liegen in der Realität durchschnittlich knapp 40 Prozent höher, als angepriesen wird. Der VW-Skandal hat nun
gezeigt, dass nicht nur «optimiert», sondern betrogen wird. Elf Millionen Dieselautos
aus der VW-Familie stehen im Verdacht, 30- bis 40-Mal mehr gesundheitsschädigende Stickoxide auszustossen, als es das Gesetz für die Zulassung der Fahrzeuge erlaubt. VW hat in den USA willentlich betrogen. Für Europa und andere Weltregionen
ist noch nicht bekannt, wie viele Autos massiv zu dreckig sind. Leidtragende sind die
Caroline Beglinger,
Co-GeschäftsleiteAutokäufer, die Bewohnerinnen unserer Städte und die zukünftigen Generationen, die
rin VCS
nicht nur mit den Folgen der Klimaerwärmung, sondern weiterhin mit schlechter Luft
zu kämpfen haben werden. Über Jahre hat die Autoindustrie – mit über 130 Lobbyisten in Brüssel – gegen strengere Vorgaben und reale Kontrollen gekämpft und kämpft noch immer weiter.
Wie lange darf die Autoindustrie Gesundheit und Klima noch gefährden, um riesige Profite einzufahren?
Wann machen die Behörden in der EU und der Schweiz Ernst damit, Autos auf ihre Sauberkeit und Klimaverträglichkeit in der Realität zu testen? Was in den letzten Wochen passierte, ist kein isoliertes VWProblem. Es ist nur die Spitze eines hässlichen Eisbergs.
VCS MAGAZIN 5/15
7
AKTUELL
Machen Sie mit!
Am Samstag/Sonntag, 28./29. November
2015, finden in fünf Schweizer Städten
Demonstrationen und Rundmärsche für
den Klimaschutz statt, organisiert von der
Klima-Allianz, der auch der VCS angehört:
Bern, 28.11., 15 Uhr, Bundesplatz
Genf, 28.11., 13 Uhr, Pl. des 22 cantons
Lugano, 29.11., 13.30 Uhr, Piazzale di
Besso (Referat 28.11., 18 Uhr)
St. Gallen, 28.11., 12 Uhr, Blumenmarkt
Zürich, 28.11., 14 Uhr, Helvetiaplatz
Es gibt ein vielseitiges Rahmenprogramm
mit Gratiskonzerten und Vorträgen. Mehr
Infos auf www.klima-allianz.ch
S
tänderat René Imoberdorf (VS) wollte mit seinem Antrag verhindern, dass
die Schweiz wie bisher die Neuwagenziele der EU übernimmt. Stattdessen verlangte
die Minderheit Imoberdorf, dass die Schweiz
das CO2-Ziel für Neuwagen erst vier Jahre nach der EU erreichen muss. Damit würde diese Massnahme praktisch wirkungslos,
weil allein durch den technischen Fortschritt
der Treibstoffverbrauch von Neuwagen kontinuierlich abnimmt.
95 Gramm fürs Klima
Nachdem der Ständerat in der Herbstsession den Antrag Imoberdorf
ablehnte, haben nun beide Kammern grünes Licht für ein Neuwagenziel
von durchschnittlich 95 g CO2/km gegeben. Doch Ziele sind schön und
gut. Nun aber müssen die Abgastests endlich realistischer werden.
Von Luc Leumann
Auto Schweiz, die Vereinigung der AutoImporteure, hatte 2012 bei der Einführung
des 130-Gramm-Ziels vor Sanktionskosten
von 300 bis 400 Millionen Franken pro Jahr
für die Importeure gewarnt. Dabei betrugen
die Sanktionen 2014 gerade mal 1,7 Millionen Franken. Auf die überwiegende Mehrheit der Fahrzeuge wurden keine Sanktionen
erhoben. Betroffen waren primär Sport- und
Luxuswagen. Diese Autos mit dem höchsten
Verbrauch werden übrigens nicht in Bergregionen gekauft, sondern von einer gut
situierten Klientel in den Agglomerationen.
Die Statistik 2014 zeigt, dass der Absatz von
Fahrzeugen mit dem stärksten CO2-Ausstoss
im Kanton Zug am grössten war. Die sparsamsten Fahrzeuge wurden hingegen in den
Bergkantonen Appenzell Innerrhoden, Tessin, Jura, Neuenburg und Freiburg verkauft.
Dasselbe Bild ergab auch eine 2010 veröffentlichte Auswertung pro Gemeinde: 91 Pro-
© Stefanie Stäuble
Allein zwischen 2013 und 2014 ging der Rhonegletscher um 28 Meter zurück – er wird deshalb mit Tüchern
vor der Sonne geschützt. Für einen griffigen Klimaschutz braucht es endlich ein neues Messverfahren für
Neuwagen, das keine Abweichungen zwischen Test- und realer Strassensituation toleriert.
8
VCS MAGAZIN 5/15
zent aller Allradfahrzeuge über 2,5 Tonnen
Gewicht waren in Gemeinden im Flachland
immatrikuliert. In über 350 Berggemeinden
gab es kein einziges dieser Fahrzeuge.
In der Schweiz ist der Verkehr der Hauptverursacher des CO2-Ausstosses und trägt
einen gewichtigen Teil zur Klimaerwärmung
bei. Doch die zunehmende Diskrepanz zwischen dem Alltagsverbrauch eines Fahrzeugs
und den Werksangaben in den Prospekten
der Autohersteller führt dazu, dass die Neuwagenziele von durchschnittlich 95 g CO2/
km nur auf dem Papier erreicht werden können. Der VW-Skandal mit riesigen Mengen
an ausgestossenen Stickoxiden (NOX) muss
die Politik nun endlich aufrütteln, damit
Schluss ist mit solchen gesetzlich erlaubten
Manipulationen – denn der Labortest für
NOX und CO2 ist derselbe (mehr auf Seite 7).
Kampagne von Energie Schweiz
«Im Verkehr ist ein riesiges Potenzial vorhanden, Energie einzusparen», sagt Walter Steinmann, Direktor des Bundesamts für Energie.
Das Ziel der Kampagne «co2tieferlegen» von
Energie Schweiz ist deshalb die Promotion
energieeffizienter Fahrzeuge. Nebst einem
TV-Spot mit Snowboarder Iouri Podladtchikov
listet eine Website alle Modelle auf, die einen
maximalen CO2-Ausstoss von 95 g/km haben
und der Energieeffizienzkategorie A angehören.
Die Angebotspalette von Fahrzeugen, die bereits heute die Grenzwerte von 2020 erreichen,
wächst ständig. Zurzeit sind über 300 Modellversionen verfügbar. Die Fahrzeugsuche ermöglicht, nach Kriterien wie Marke, Leistung oder
Antriebsart zu filtern. Das Herzstück der Suche
ist der TCO-Rechner (Total Cost of Ownership).
Mit einer Roadshow macht die Kampagne 2016
an verschiedenen Publikumsmessen Halt.
www.co2tieferlegen.ch
© Philippe Gasser, Citec
AKTUELL
Der multifunktionale
Bahnhof Wallisellen ist in
wirtschaftlicher Hinsicht
und für den öffentlichen
Verkehr das Herzstück der
Gemeindeentwicklung.
Von Françoise Lanci-Montant
Welche Rolle kann der Aufbau eines Verkehrsnetzes bei der wirtschaftlichen
Entwicklung einer Gemeinde spielen? Besser als jedes theoretische Beispiel
zeigt der Aufschwung der Zürcher Agglomerationsgemeinde Wallisellen den
Nutzen, den ein Ort aus der Realisierung eines effizienten, leistungsfähigen
ÖV-Netzes ziehen kann.
Wallisellen erhält den FLUX 2015
S
chon in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts war Wallisellen einer der ersten Eisenbahnknoten der Schweiz. Das 21. Jahrhundert brachte dem Ort mit
der Inbetriebnahme der Glattalbahn 2010 eine neue Herausforderung. Die Schaffung dieser
Tramlinie, des Herzstücks einer
starken urbanen Entwicklung im
Norden Zürichs, war eine grosse
Chance für die Gemeinde, um ihr
ÖV-Angebot auszubauen und zu
optimieren. Die Attraktivität von
Wallisellen hat stark zugenommen, und die Entwicklung als
Wohn- und Arbeitsort ist noch
keineswegs abgeschlossen.
Ein Vorzeigemodell
Die Behörden in Wallisellen haben rechtzeitig die Weichen gestellt. Ihre Bemühungen blieben
den Jurymitgliedern des FLUXPreises nicht verborgen: Sie wähl-
ten die Zürcher Gemeinde unter
den 21 Schweizer Ortschaften,
die in die Auswahl kamen, als
Preisträgerin für den FLUX 2015
aus. Überzeugt hat die Jury namentlich, wie flexibel die Behörden reagierten und wie sie in den
ÖV investierten, um aus dem
exzellenten Zürcher S-Bahn-Netz
das Optimum herauszuholen.
So dient der Bahnhof Wallisellen heute nicht nur dazu, den Zug
zu nehmen. Er wurde multifunktional angelegt und bietet neben
Dienstleistungen – insbesondere
einem Einkaufszentrum und Informationsschaltern – auch Wohnungen und Büros.
Berufspendlerinnen und -pendler und andere Reisende von und
nach Wallisellen profitieren von
ausgezeichneten Verbindungen.
Sie können auf vielfältige Transportmöglichkeiten zählen, was
die Attraktivität des öffentlichen
Verkehrs gegenüber dem motorisierten Individualverkehr gesteigert hat. Unter dem Bahnhof
wurde eine breite Fussgängerpassage gebaut, die das Umsteigen zwischen Zug, Tram, Lokalund Regionalbus sowie dem Velo
erleichtert und den nördlichen
Teil der Gemeinde mit dem südlichen verbindet.
Schliesslich hat Wallisellen
auch in städtebaulicher Hinsicht Erstaunliches geleistet: Im
Norden des Bahnhofs liegt der
autofreie Teil mit einem sehr
sympathischen, dörflichen Charakter, während sich der Süden
laufend weiterentwickelt und
einen neuen Mobilitätspol entstehen lässt.
Der FLUX in Kürze
Mit der Prämierung von exemplarischen und innovativen Schnittstellen des
Verkehrs will der «FLUX – goldener Verkehrsknoten» die Bedeutung des
öffentlichen Verkehrs und der nachhaltigen Mobilität unterstreichen. Der
2006 von Postauto, dem Verband öffentlicher Verkehr (VöV) und dem VCS
ins Leben gerufene Preis zeichnet dieses Jahr herausragende Verkehrsnetze
in den Agglomerationen aus. Die Verkehrsknoten in den Agglomerationen
müssen von morgens bis abends sichere Verbindungen und ein attraktives
Angebot für Pendlerinnen und Pendler garantieren und entsprechend effizient konzipiert sein.
www.postauto.ch/flux
VCS MAGAZIN 5/15
9
© www.foto-werk.ch
AKTUELL
Autofrei leben im Aufwind
Seit gut einem Jahr ist der Club
der Autofreien im VCS integriert.
Zeit für einen Blick auf einige
Aktivitäten und auf autofreie
Wohnsiedlungen.
Von Samuel Bernhard
10
VCS MAGAZIN 5/15
H
erzstück der «autofrei leben»-Aktivitäten
ist die «Plattform autofrei/autoarm Wohnen» mit ihrer letztes Jahr neu gestalteten
Projektwebsite. Weil sich im autoreduzierten
Bausektor zurzeit so viel tut, wurden dieses
Jahr gleich sieben neue Vorzeigeprojekte auf
die Website aufgenommen. Sehr erfreulich
sind die neuen Beispiele in der Westschweiz,
etwa in Neuenburg, Lausanne und Genf.
Auch Basel – die einzige Schweizer Stadt, die
nie eine Parkplatzerstellungspflicht kannte – ist in Bewegung. «Mit ‹Erlenmatt Ost›
entsteht ein lebendiger Stadtteil mit hoher
Wohnqualität für alle Bevölkerungsschichten. Ein vielfältiges Neben- und Miteinander von Lebensformen und Nachbarschaften, ergänzt mit öffentlichen, sozialen und
gewerblichen Nutzungen», erklärt Kathari-
na Schmidt, Leiterin Bau und Unterhalt der
federführenden Stiftung Habitat. Beim Projekt für 300 Wohnungen werden 30 Autoparkplätze erstellt. Für die zusätzlichen Gewerbe- und Dienstleistungsnutzungen sind
weitere 40 Parkplätze nötig. Mit dem knappen Parkplatzangebot fürs Wohnen und rund
1300 Veloabstellplätzen werden der Fuss- und
der Veloverkehr gestärkt, der motorisierte
Individualverkehr wird stark beschränkt. Lokale Angebote sorgen für kurze Wege.
Mehr als wohnen
Jahreshöhepunkt war das gut besuchte Fachseminar für autoreduziertes Wohnen bei der
Genossenschaft «mehr als wohnen» in Zürich-Leutschenbach. Dort wurde im Frühjahr 2015 die aktuell grösste autoreduzierte
AKTUELL
Fotos: © zvg
Registrieren Sie sich
als autofreies Mitglied!
Erlenmatt Ost Basel (oben Mitte) ist noch im Bau. Viele bunte neue autofreie Wohnsiedlungen
konnten in jüngster Zeit bezogen werden. V.l.n.r.: Kalkbreite Zürich, Fabrikgässli Biel.
Unten: Giesserei Winterthur, Oberfeld Ostermundigen bei Bern.
Siedlung mit gegen 400 Wohnungen in Betrieb genommen. Viele positive Rückmeldungen, ein Vortragsmarathon des «autofrei
leben»-Projektleiters sowie das grosse Interesse verschiedener Kreise zeigen: Mit dem
autoreduzierten Planen, Bauen und Wohnen
geht es steil aufwärts.
Veranstaltungen, Tipps & Tricks und weitere
Projekte für Autofreie: www.autofrei-leben.ch
Wer als VCS-Mitglied ohne eigenes Auto lebt,
hat die Möglichkeit, sich in der entsprechenden
Mitgliederkategorie zu registrieren:
www.autofrei-leben.ch (Button rechts)
Ihre Vorteile:
Sie erhalten sporadisch den neuen «autofrei
leben»-Newsletter, der zeitnah über die autofreien Aktivitäten des VCS berichtet.
Sie unterstützen unsere «autofrei leben»Aktivitäten direkt.
Sie erhalten keine für Sie unnötige Post, etwa
die Auto-Umweltliste (sofern Sie dies nicht ausdrücklich anders wünschen).
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Mit wenigen Rappen die Umwelt schützen:
Auch das ist die Post.
Die Post macht viel mehr, als man denkt. Auch für die Umwelt: Mit «pro clima» können Sie Ihre Pakete und
Güter klimaneutral versenden. Darüber hinaus bieten wir viele umweltfreundliche Dienstleistungen wie öko logische Verpackungen, die Car-Pooling- und Mitfahrzentrale MoS Move Center oder den schweiz weiten
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post.ch/klima
VCS MAGAZIN 5/15
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AKTUELL
Interview: Stefanie Stäuble und Natalie Aeberhard
Wie weiter am Gotthard oder bei der Energiepolitik? Das VCSMagazin nahm die Jugendsession zum Anlass, unsere Umweltund Verkehrsministerin zusammen mit einer Jugendlichen zur
umweltpolitischen Zukunft unseres Landes zu befragen.
Doris Leuthard
«Der Bundesrat macht
nicht nur Realpolitik»
VCS-Magazin: Sie sind seit 2010
Umweltministerin. Gibt es ein Rating
der wichtigsten Themen?
Doris Leuthard: Die politische Agenda wird
jeweils stark von der parlamentarischen Diskussion und von internationalen Themen
dominiert. Momentan ist diesbezüglich die
Klimakonferenz in Paris die Nummer 1.
Inwieweit deckt sich die politische
Agenda mit Ihren persönlichen Anliegen?
Für mich hat die Klimapolitik eine grosse
Bedeutung, auch wenn diese auf den ersten
Blick für manche nicht so fassbar ist – ausser vielleicht auf einer Wanderung, wenn
man den Gletscherschwund sieht. Wir müssen aber jetzt handeln und die nötigen Massnahmen treffen, auch wenn manche wehtun.
Die Klima-Allianz hat Sie zur Schutzpatronin des Klimas gekürt. Was tut
eine Schutzpatronin, um ihrer Aufgabe
gerecht zu werden?
Ich setze mich stark für die Reduktion von
Treibhausgasen ein. Aber die Erwartungen
der Klima-Allianz gehen weit über das hinaus, was realpolitisch umsetzbar ist. Massnahmen bei uns im Inland sind wichtig. Sie
müssen aber umsetzbar und wirtschaftsverträglich sein. Zudem bewegen wir uns in einem internationalen Umfeld. Da die Schweiz
im Vergleich zu anderen Ländern schon viel
12
VCS MAGAZIN 5/15
tut, können wir mit Investitionen in CO2Reduktionen im Ausland mit dem gleichen
Geld fürs Klima oft mehr erreichen als in der
Schweiz.
dass wir einen Prozess beschliessen, mit dem
die Ziele international überwacht und jedem
Land gemäss seinem Energiemix zusätzliche
Massnahmen ermöglicht werden.
Die Grünen prüfen eine Klage gegen
den Bund, weil dieser die Bevölkerung
nicht genügend vor dem Klimawandel
schütze.
Das nehme ich so zur Kenntnis. Aber beachten wir doch: Die Schweiz ist führend bei der
Reduktion von CO2-Emissionen, und wir
haben saubere Luft. Die Kritiker sollen nur
mal einen Sommer in Rom oder in einer anderen grossen ausländischen Stadt verbringen, dann werden ihnen die Unterschiede
bewusst. Ich blicke einer solchen Klage gelassen entgegen.
Die Grüne Partei sagt, «dass die Vorschläge von Bundesrätin Doris Leuthard
für die Klimakonferenz in Paris ungenügend sind» …
… während andere Kritiker sagen, der Bundesrat sei zu ambitiös. Die Schweiz muss sich
bewusst sein, dass sie viele Güter importiert,
und dementsprechend auch viele graue Emissionen. Wir wollen bis 2030 die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 50 Prozent senken, wovon 30 Prozent durch inländische Massnahmen erzielt werden sollen und 20 Prozent im Ausland. Das ist kein
Ablasshandel, sondern wir übernehmen international Verantwortung: Das Klima interessiert es nicht, ob man in der Schweiz, in
Brasilien oder Indien ist. Im Ausland kann
man mit einem Franken mehr fürs Klima erreichen. Übrigens, auch Grüne fliegen. Man
kann schon Kritik üben, aber dann soll man
auch so konsequent sein und die 2000- WattZiele im Alltag leben.
Die letzte Klimakonferenz in Warschau
brachte einmal mehr bloss ernüchternde Ergebnisse. Wieso soll nun Paris ein
Erfolg werden?
Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt,
ein Abkommen zustande zu bringen. Seit
letztem Herbst haben sich auch China und
die USA, die viele Treibhausgase verursachen, bewegt. Das bringt neuen Schwung
in die Verhandlungen in Paris. Euphorisch sollte man deswegen aber nicht sein.
Die momentan angekündigten Massnahmen reichen noch nicht für die Erreichung
des Zwei-Grad-Ziels aus. Wichtig ist darum,
A propos: 5200 Kilometer fliegt jeder
Schweizer, jede Schweizerin im Jahr.
Macht es Sinn, dass die Airlines steuerlich drastisch subventioniert werden?
Der Schweizer Luftverkehr erhält keine
© Fabian Lütolf
AKTUELL
staatliche Subventionierung und trägt seine
direkten Kosten selber. Steuererleichterungen gibt es nur auf Auslandflügen, weil die
internationale Zivilluftfahrt weltweit steuerbefreit ist. Das ist internationales Regime,
die Schweiz kann das nicht ändern.
Ist der Flugverkehr ein Thema an der
Klimakonferenz in Paris?
Nein.
Dass der Bundesrat ein Klima- und Energielenkungssystem (KELS) einführen
will, doch Benzin und Diesel weiter von
der Abgabe befreit, widerspricht dem
Vorsatz, das Klima zu schützen …
Die Treibstoffe werden vorderhand vom Klima- und Energielenkungssystem ausgenommen, weil die Automobilisten schon im
Rahmen des Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) stärker belastet werden: Der Bundesrat hat vorgeschlagen, den Zuschlag der Mineralölsteuer zu
erhöhen, ursprünglich rund 12 Rappen auf
den Benzinpreis. Im Moment ist der Erdölpreis das Problem. Er ist so tief wie seit 15
Jahren nicht mehr. Das ist das Grundübel.
Damit fehlen Anreize fürs Sparen. Es kann
darum sein, dass mehr Auto gefahren wird,
wenn das Benzin so billig ist.
Die Landesregierung will die Trassenpreise erhöhen. Doch steigende ÖVTarife könnten zu einer Rückverlagerung des Verkehrs von der Schiene
auf die Strasse führen. Bei allem Verständnis, jetzt ist der falsche Zeitpunkt
dafür.
Der VCS hat es immer gewusst und im Abstimmungskampf auch mitgetragen, dass im
Rahmen von FABI (Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur) die Trassenpreise erhöht werden. Ich bin mir natürlich bewusst, dass es für solche Anpassungen nie
den richtigen Moment gibt. Man kann aber
nicht zusätzliche Leistungen zum gleichen
Preis erwarten. Es ist allen klar, dass das
Bahnfahren mit jedem Ausbau teurer wird.
Doch vergessen wir nicht: Die Bahn wird
nach wie vor zu 50 Prozent von der Allgemeinheit subventioniert. Im Gegensatz zum
öffentlichen Verkehr deckt die Strasse ihre
Kosten.
Da ist der VCS anderer Meinung.
Beim motorisierten Verkehr müssen
die Steuerzahler jedes Jahr ein Loch
von 6,5 Milliarden Franken an externen
Kosten stopfen, gegenüber der Schiene
mit «nur» 721 Millionen.
Da gibt es unterschiedliche Statistiken.
Doris Leuthard
Die Juristin ist seit 2006 Mitglied des Bundesrats und seit 1. November 2010 Vorsteherin
des Eidgenössischen Departements für Umwelt,
Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).
Von 1999 bis 2006 war Doris Leuthard Aargauer
Nationalrätin, von 2004 bis 2006 Präsidentin
der CVP.
Vor ihrer Karriere als Berufspolitikerin studierte
sie Rechtswissenschaften an der Universität
Zürich und war Partnerin eines Anwaltsbüros.
Diese Berechnungen stammen immerhin aus der Verkehrskostenrechnung
des Bundes.
Es braucht Strasse und Schiene. Die beiden
Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen,
ist falsch. Die meisten Menschen verhalten
sich heute multimodal, nutzen also Strasse
und Schiene.
Haben Sie nicht manchmal Lust, die Realpolitik aussen vor zu lassen und einfach mal eine Vision zu präsentieren?
Was ist für Sie eine Vision?
VCS MAGAZIN 5/15
13
© Fabian Lütolf
AKTUELL
Zum Beispiel Barack Obama mit seinem
Clean Power Plan.
Was ist daran visionär?
Immerhin hat er ein umfassendes
Klimaschutzpaket vorgestellt.
Da muss Barack Obama aber nicht viel tun.
Beim Verkehr und punkto Gebäudesanierungen läuft nicht viel. Die Kohleindustrie ist von seinem Klimaplan betroffen, die
gibt es in der Schweiz aber schon lange nicht
mehr. Die USA leben diesbezüglich auf einem anderen Planeten.
Die 15-jährige Natalie Aeberhard aus Urtenen BE war
Schnupperpraktikantin beim VCS-Magazin und hat uns
zum Gespräch begleitet. Auch sie hatte Fragen an die
Bundesrätin.
Natalie Aeberhard: In den letzten 30 Jahren hat sich die Anzahl
motorisierter Strassenfahrzeuge fast verdoppelt. Könnte man
nicht die Billettpreise verbilligen, damit mehr Leute den Zug nehmen?
Doris Leuthard: Die Billette sind schon heute massiv subventioniert.
Zugfahren ist beliebt, ein Erfolg und günstiger als ein Personenwagen.
Die Nutzerinnen und Nutzer können aber nicht erwarten, mehr Leistung zum gleichen Preis zu bekommen. Ausserdem gibt es für viele
Gruppen günstigere Abonnemente, etwa für Jugendliche und Studenten bis 25, Rentnerinnen und Rentner oder Familien.
In vielen Ländern wird das Wasser knapp. Wenn die Gletscher
noch mehr schmelzen, wird auch die Schweiz Wasserprobleme
haben. Was kann man dagegen tun?
Die Schweiz hat kein Wasserproblem. Studien, etwa der Universität
Bern, belegen das. Im Gegensatz zu anderen Staaten haben wir wegen
des Grundwassers eine stabile Situation. Natürlich kann sich das in 200
bis 300 Jahren ändern, doch die Schweiz bleibt ein Land mit stabilem
Wasserhaushalt, auch wenn es zunehmend trockenere Sommer gibt.
Wir schauen momentan präventiv, wie die Landwirtschaft Wasser effizienter nutzen kann oder wie in der Forstwirtschaft Bäume gepflanzt
werden können, die weniger Wasser brauchen.
14
VCS MAGAZIN 5/15
Der Verkehr ist mit über einem Drittel
ein grosser Energieverbraucher. Doch
Autofahren wird immer günstiger, weil
die Autos effizienter werden. Wenn der
Autoverkehr vom Klima- und Energielenkungssystem befreit ist, könnten die
Leute vom ÖV wieder aufs Auto umsteigen.
6,4 Milliarden Franken werden dank FABI
in den öffentlichen Verkehr investiert – so
viel wie noch nie. Das zahlen die Steuerzahler mit, auch jene, die nicht Zug fahren! Die
Energiestrategie nimmt den Verkehr im Übrigen sehr wohl in die Pflicht. Sie sieht vor,
dass ab 2020 die CO2-Emissionen für neue
Personenwagen im Durchschnitt nur noch
95 g/km betragen dürfen. Mit dem NAF ist
zudem eine Erhöhung des Mineralölsteuerzuschlags verbunden. Dies erfolgt aber mit
Augenmass. Wer das Benzin auf fünf oder
zehn Franken verteuern will, schwächt die
Wirtschaft und viele Pendler. Übrigens, die
vielen Staustunden, die wir haben, sind auch
nicht gerade CO2-freundlich, es würde mich
darum freuen, wenn der VCS den NAF unterstützt.
«Mobility Pricing muss zwingend eine
Verlagerung des Verkehrs zu ressourcenschonenden Verkehrsmitteln bewirken.» Was sagen Sie zur Aussage der
VCS-Präsidentin?
Unter Mobility Pricing versteht jeder etwas
anderes. Es ist darum wichtig, sich im Klaren zu sein, was damit bezweckt werden soll.
Uns geht es beim Mobility Pricing darum,
die Mobilität besser zu lenken. Das heisst,
wir wollen nicht mehr Einnahmen, sondern
unser Ziel ist es, die Spitzenzeiten morgens
und abends zu brechen. So können wir die
bestehenden Infrastrukturen besser nutzen.
Das ist auch ökonomisch klug, ausserhalb
der Verkehrsspitzen sind die Züge ja nicht
voll.
AKTUELL
Fehlt deshalb im Konzeptbericht die
Ausrichtung auf die Umwelt? Dort heisst
es: «Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Mobility Pricing zwar in
der Regel dem Umweltschutz dient,
aber per se keine eigentliche Umweltmassnahme darstellt.»
Das ist so angedacht. Die Mobilität wächst,
Platz und Geld für einen Ausbau von Strasse
und Schiene sind aber knapp. Es ist deshalb
wichtig, die bestehenden Kapazitäten besser
zu nutzen. Das ist für den Bundesrat das Ziel
von Mobility Pricing.
Stichwort Güterverkehr: Der Bundesrat stellte zur Diskussion, dass der Gütertransport nicht mehr zu den Kernaufgaben der SBB gehören soll. Sabotiert
er damit nicht die erfolgreiche Verlagerungspolitik der Schweiz?
Nein, das zeigt das Beispiel der BLS, die auf
der Lötschberg-Achse führend ist. Der Güterverkehr braucht aber mehr Kooperationen, der Vorschlag des Bundesrats zielt
darauf ab, mehr Partnerschaften zu ermöglichen. Die SBB hat im Übrigen nicht vor, sich
aus dem Güterverkehr zu verabschieden.
doch die Eröffnung des neuen GotthardBahntunnels und des Ceneri ab, wenn die
NEAT die volle Wirkung entfalten kann.
Spuren Standard sind in Europa. Der VCS
gibt der Sicherheit weniger Gewicht als dem
Alpenschutz.
Das ist mein Stichwort: Der Bundesrat
lässt einen neuen Gotthard-Bahntunnel bauen – ein Jahrhundertbauwerk –
und will dann trotzdem einen zweiten
Strassentunnel. Das finden wir natürlich
nicht gut.
Der Gotthard-Strassentunnel muss wie andere Bauten saniert werden. Das hat mit Verlagerung nichts zu tun. Es geht um die Frage,
wie die Sanierung erfolgen soll: Man kann
den bestehenden Tunnel dazu während vier
Jahren schliessen. Um den Verkehr zu bewältigen, müsste dann aber je ein Bahnverlad für Autos und Lastwagen eingerichtet
werden. Dies wäre technisch zwar machbar, aber nicht nachhaltig. Für künftige Sanierungen wäre nicht vorgesorgt. Wir wollen
im Übrigen, dass der Gotthard-Bahntunnel
erfolgreich wird. Aber er wird auch für den
Personenverkehr attraktiv sein.
Da könnten wir stundenlang diskutieren, etwa über Via sicura … Eine andere
Frage: Das Bundesamt für Strassen (Astra) hält gemäss Recherchen der «Rundschau» Meldungen über Staulänge und
Staudauer am Gotthard manipulativ
hoch. Haben Sie mit dem Astra darüber
gesprochen?
Wir haben das besprochen. Da gibt es verschiedene Einschätzungen, und ich finde die
Vorwürfe etwas komisch. Entscheidend für
die Automobilisten ist der Zeitverlust im Stau.
In der Verkehrskommission des
Nationalrats haben Sie gesagt, man
baue kaum zwei Tunnel und lasse je
eine Spur leer – das sei Ihres Erachtens scheinheilig. Warum sind Sie
heute nicht mehr dieser Meinung?
Diese Aussage bezog sich auf die damals diskutierte Variante. Es wurde erwägt, einen
zweiten Tunnel zu bauen und Fahrspuren
etwa mit einer Barriere zu sperren. Eine Barriere kann man aber einfach öffnen. Darum
überzeugte dies nicht. Heute haben wir ein
Der Bundesrat korrigiert das Verlagerungsziel – höchstens 650 000 alpenquerende Fahrten – nach oben. Damit
ignoriert er den Volkswillen, der in der
Verfassung steht.
Das stimmt nicht. Die Verfassung verlangt,
dass der alpenquerende Gütertransitverkehr
von Grenze zu Grenze auf der Schiene abgewickelt werden soll. Das Parlament hat in der
Folge eine Verlagerungszahl im
Gesetz verankert, diese steht nicht
in der Verfassung. Das gesetzliche
«Ich empfinde diese Behauptung
Zwischenziel konnte aber nicht erals Stimmungsmache.»
reicht werden, weil die Zunahme
des Güterverkehrs seinerzeit massiv unterschätzt wurde. Es braucht
ganz anderes Konzept. Verfassung und Geein Ziel, das realistisch ist.
setz sorgen dafür, dass stets nur eine FahrDas ist für mich dasselbe wie nach oben
spur pro Richtung offen ist.
korrigieren.
Eine FDP-Politikerin hat mir gesagt,
Als das Gesetz ausgearbeitet wurde, hat man
man könnte das Volk darüber abstimmen
die Mobilität falsch eingeschätzt und gewislassen, alle vier Spuren zu öffnen. Wenn
se Entwicklungen nicht kommen sehen. Die
der zweite Strassentunnel erst einmal
Mobilität wächst, es wird heute ja auch viel
gebaut ist, wäre das ein Leichtes.
online bestellt, das dann nach Hause geliefert werden muss. 67 Prozent des Güterver- Verfassungsänderungen sind nicht verboten.
kehrs finden auf der Strasse statt. Das gesetz- Die Hürde ist aber hoch: Es braucht dafür
liche Ziel wurde damals aufgrund anderer, eine Mehrheit der Kantone und des Stimmaus heutiger Sicht vielleicht wenig realis- volks. Der VCS vergisst ausserdem, dass heutischer Annahmen berechnet. Warten wir te für neue Tunnel zwei richtungsgetrennte
Dennoch, es ist eine Stimmungsmache
Ihrer Behörde für den Bau einer zweiten
Strassenröhre, wenn sie über Viasuisse
immer mehr Staus am Gotthard vermelden lässt.
Ich empfinde eher diese Behauptung als
Stimmungsmache: Die meisten Staus werden
am Gubrist oder auf der A1 gemeldet, nicht
am Gotthard.
Es gibt Gerüchte, Sie hätten Ihre
Meinung zum Gotthard zugunsten der
Energiewende geändert – der Gotthard
quasi als Geschenk an die Ratsrechte.
Ist da was dran?
Ich kann damit nichts anfangen. Wir haben
sorgfältig geklärt, was machbar und sinnvoll ist. Das Parlament und die Kantone teilen denn auch mehrheitlich die Haltung des
Bundesrats.
Als Bundesrätin sind Sie der Realpolitik verpflichtet. Wenn Sie Königin
der Schweiz wären, was würden Sie als
Erstes befehlen?
Der Bundesrat macht nicht nur Realpolitik, ganz im Gegenteil. Er hat viele schwierige Reformen angepackt, in der Energie-, Klima- und Raumordnungspolitik, aber auch
betreffend Finanzplatz oder AHV. Das sind
mutige Vorlagen. Manchmal werden sie im
Parlament verwässert, doch es sind wichtige Vorlagen, die weit in die Zukunft reichen.
Ist Doris Leuthard eine gute Umweltministerin?
Das sollen andere beurteilen. Es braucht immer ein gesundes Augenmass. Der Erhalt
der Natur und der Umwelt ist enorm wichtig. Aber es gibt immer auch Zielkonflikte,
und die sind nicht einfach.
VCS MAGAZIN 5/15
15
DOSSIER
«E
ngpassbeseitigung» heisst das Zauberwort, mit dem Bundesrat und Parlament die Verstopfungen auf den Autobahnen
aus der Welt schaffen wollen. Doch die Staus
bilden sich an neuen Stellen, weil der Verkehr
nicht zuletzt dank der Engpassbeseitigung
weiter wächst. Seit über 50 Jahren schon.
Die Verkehrsspirale dreht sich immer
schneller. 2014 waren auf den kantonalen
Ämtern 4,4 Millionen Personenwagen immatrikuliert. 1990 waren es noch unter drei
Millionen. Deshalb baut man die Infrastrukturen aus: Autobahnen, Umfahrungsstrassen,
Kantonsstrassen, Gemeindestrassen. Doch in
der Eidgenossenschaft wird jede Sekunde ein
Quadratmeter Land verbaut, das Mittelland
ist auf dem Weg, eine einzige grosse Agglomeration zu werden. Das hat auch mit dem
Verkehr zu tun.
Der Schienengüterverkehr kann zur Bewältigung der Problematik beitragen. Die
Eröffnung des Gotthard-Basistunnels im
Juni 2016 sendet ein klares Signal zur Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs
auf die Schiene. Der Bahntunnel ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen auf
der Nord-Süd-Achse. Im Personenverkehr
wird er die Reisezeit zwischen den Zentren
der Deutschschweiz und dem Tessin um eine
Stunde verkürzen. Vor allem eröffnet der
Gotthard-Basistunnel hohe Kapazitäten für
den Güterverkehr. Der längste Eisenbahntun-
nel der Welt wird Europa schneller verbinden
und den Transitverkehr auf der Schiene ins
Rollen bringen.
Diametral demgegenüber steht die Vorlage einer zweiten Strassenröhre am Gotthard,
über die wir noch vor der Eröffnung des
Bahntunnels abstimmen. Der Plan hintertreibt das Grossprojekt der Neuen EisenbahnAlpentransversale (NEAT). Mit Aussicht auf
eine zweite Strassenröhre würde die Transportbranche in die falsche Richtung gelenkt
und animiert, ihre Transportvolumen auf
der Strasse weiter auszubauen. Die Folgen
hätten die Menschen zu tragen, die an den
Transitkorridoren von Basel/Schaffhausen bis
Chiasso leben: Dreckluft durch eine massive
Zunahme des Strassenverkehrs und eine Verdoppelung der Lastwagentransporte auf zwei
Millionen alpenquerende Fahrten pro Jahr.
Auf den folgenden Seiten zeigen wir Ihnen,
welche Auswirkungen eine zweite GotthardStrassenröhre in den Kantonen entlang der
Nord-Süd-Achse haben würde.
OPERATION AM OFFENEN
Text: Stefanie Stäuble
Illustration: Pasquale Herren
16
VCS MAGAZIN 5/15
Der Gotthard gilt als Herz der Schweiz. Wenn man nun aber mit einer
zweiten Strassenröhre sozusagen einen Bypass legt, hätte das einen
Dominoeffekt auf die gesamte Nord-Süd-Achse. Die Baubranche steht
schon in den Startlöchern, um nach dem Gotthard-Strassentunnel
auch die Zufahrtsstrecken auszubauen.
Brennpunkt
Schaffhausen
Brennpunkt
Basel
Seite 24
Seite 24
Brennpunkt
Luzern/Zug
Seiten 22/23
Brennpunkt
Schwyz/Uri
Seiten 20/21
HERZEN
Brennpunkt
Tessin
Seiten 18/19
DOSSIER
Von Filippo Rivola
Eines der Lieblingsargumente der Befürworter einer zweiten
Gotthardröhre ist die Isolierung des Tessins, die unbedingt
zu vermeiden sei. Doch ein zusätzlicher Strassentunnel hilft
herzlich wenig, den Südkanton vor dieser Gefahr zu bewahren,
findet unser Tessiner Autor.
TESSIN
AUCH SO EIN TEIL DER SCHWEIZ
F
des Kanaltunnels auch grosse Lastwagen – problemlos auf die Bahn verladen
und transportiert werden können. Für
die Sanierungszeit kann im alten Gotthard-Bahntunnel ein solcher Autoverlad eingerichtet werden, der über die nötigen Kapazitäten verfügt. Das hat der
Bundesrat in einem Grundlagenbericht
aufgezeigt. Die dafür benötigten Verladeanlagen bestehen in Göschenen im
Wesentlichen noch so, wie sie bis 1980 betrieben wurden. In Airolo müsste ein zu-
© Werner Herger
ür die Gegnerinnen und Gegner der
zweiten Strassenröhre durch den Gotthard ist klar: Es gibt alternative Möglichkeiten, um eine ständige Verbindung
zwischen Nord und Süd sicherzustellen.
Etwa den Autoverlad durch den Gotthard-Scheiteltunnel. Die bestehenden
Autoverlade am Lötschberg, an der Furka, am Oberalp und an der Vereina oder
auch des Kanaltunnels zwischen England und Frankreich zeigen seit Langem,
dass Personenwagen – und wie im Fall
sätzliches Gleis erstellt werden – der Platz
für diese Erweiterung steht zur Verfügung.
Tessin: ausser Betrieb
Der Autoverlad garantiert als einzige Lösung eine permanente Verbindung ins
Tessin. Allzu oft geht beim bundesrätlichen Projekt vergessen, dass im heutigen Tunnel dringende Arbeiten anstehen, die eine Schliessung während
mindestens 140 Tagen erfordern – lange
bevor der zweite Tunnel zur Verfügung
steht. Um den Gegnern einer zweiten
Röhre nicht recht geben zu müssen, ist
für diese Zeit kein «Verlade-Ersatz» geplant, was das Tessin de facto erst recht
isoliert. Das Hauptargument der Befürworter ist also ein Bumerang. Zur allgemeinen Überraschung verkündete Bundesrätin Leuthard kürzlich, dass
die dringlichen Arbeiten nicht tagsüber
ausgeführt werden müssen, sondern die
notwendigen Sanierungen nur während
der Nacht stattfinden. Somit würde der
Tunnel nur in der Nacht gesperrt. Uff! –
allgemeine Erleichterung, das Ja-Lager
braucht nichts mehr zu befürchten. Nur,
eine nächtliche Schliessung bedingt,
dass die Baustellen Nacht für Nacht aufund wieder abgebaut werden, was Dauer
und Kosten der Instandsetzungsarbeiten
Im Tessin, wie hier in der Umgebung
von Lugano, sind Staus an der Tagesordnung. Es fehlt ein gut ausgebautes
ÖV-Netz.
18
VCS MAGAZIN 5/15
DOSSIER
Das Hauptargument der Befürworter einer zweiten Röhre
am Gotthard ist ein Bumerang.
deutlich erhöht. Noch sind die Details
dieser Änderung nicht bekannt, und
auch das Parlament hat sich dazu nicht
geäussert. Doch es liegt auf der Hand,
dass man das Tessin so nicht während
140 Tagen, sondern während mindestens 400 bis 500 Nächten isoliert. Dieser
Schwenker in letzter Minute dürfte den
Tessinerinnen und Tessinern denn auch
nicht als Fortschritt, sondern eher als
schlechter Witz vorkommen.
Als Tessiner hatte ich mehrfach die
Gelegenheit, mit Freunden zu diskutieren, die eine zweite Strassenröhre befürworten. Überrascht stellte ich fest, dass
für sie das Argument der Isolierung gar
nicht im Vordergrund steht. Was sie sich
wünschen, ist der Bau einer zweiten Röhre mit letztlich vier Spuren – das Märchen
der Beibehaltung von zwei Spuren glaubt
niemand –, aber ohne Schwerverkehr.
Ich hörte überall dasselbe: Es sind zu viele Lastwagen im Transitverkehr unterwegs und ja, eigentlich braucht es mehr
Anstrengungen, um den Schwerverkehr
auf die Schiene zu bringen. Schade, dass
dieselben Kreise, die die Transitkapazitäten verdoppeln wollen, sich gegen jegliche Massnahmen wehren, mit denen
der Bahnverlad der Lastwagen gefördert
würde. Nationalrat Giezendanner, selber
Transportunternehmer, möchte gar das
Nachtfahrverbot für den Schwerverkehr
lockern. Doch aufgepasst: Die Chauffeure rund um die Uhr fahren zu lassen, wird die Verkehrssicherheit massiv
schwächen und viele Lastwagenfahrer
aus Europa dazu verleiten, neu durch die
Schweiz zu fahren.
ren würden, ohne anzuhalten! Wie wenn
nicht Jahrzehnte der Asphaltierung unsere Landschaften ruiniert hätten! Wie
wenn nicht der Transitverkehr die eh
schon katastrophale Lage im Südtessin,
wo das fehlende ÖV-Angebot Tausende
Pendler auf die Strasse zwingt, noch verschlimmern würde! Zumindest die Bürgermeister von Mendrisio (CVP) und
Chiasso (FDP), die sich öffentlich gegen
eine zweite Röhre am Gotthard äussern,
haben das begriffen.
Über den Gotthard zu sprechen, heisst
für uns Tessiner aber auch, über unsere
Beziehung zur Svizzera interna zu sprechen – Innerschweiz nennen wir aus unserer Sicht die Schweiz jenseits des Gotthards. Die Verbindung zwischen dem
Tessin und der übrigen Schweiz auf einen simplen Tunnel zu reduzieren, ist zu
einfach und schränkt die Sicht ein. Wir,
die Tessinerinnen und Tessiner, brauchen ebenso andere Beziehungen zur
Svizzera interna: kulturelle und solche,
die auf dem Respekt unserer Identität
beruhen. Wir als kleine Minderheit stellen uns oft die Frage nach unserem Platz
in diesem Land und nach der Bedeutung,
die man uns zumisst. Die Personen, die
aus «Solidarität» und für eine garan-
tierte Verbindung in den Norden einen
zweiten Tunnel fordern, sind oft die gleichen wie jene, die den Italienischunterricht abschaffen oder die Mittel für unser Fernsehen kürzen wollen. Als ob die
ungefähr 650 000 Italienischsprachigen
in der Schweiz nicht dasselbe Recht auf
Wertschätzung hätten wie die übrigen
Sprachen. Ich frage mich dann, was Infrastrukturen nützen, die uns gegenseitig
näherbringen sollen, wenn man schlussendlich Englisch sprechen muss, um sich
zu verständigen. Ich frage mich, ob diesen Leuten das Tessin gerade gut genug
ist für Osterferien in der Sonnenstube
oder das Filmfestival Locarno (aber bitte
ohne Stau am Gotthard). Oder, schlimmer noch, ob man uns einfach als banales Durchreisegebiet in den Süden und
zum Meer betrachtet.
Nein, eine zweite Gotthardröhre kann
die Isolierung des Tessins nicht verhindern. Es braucht Platz für unsere Sprache
und Kultur, es braucht die Akzeptanz
unserer Eigenheiten und die finanziellen
Mittel, um die Verkehrs- und Umweltsituation mit einer neuen Tourismus- und
Wirtschaftspolitik zu verbessern. Damit
sich die Schweiz nicht vom Tessin abwendet.
Das Band zur Svizzera interna
Lange Zeit hat das Tessin von seiner Lage
an einem der wichtigsten europäischen
Handelswege profitiert. Heute jedoch
ist dieser Traum zum Albtraum geworden. Umwelt- und Gesundheitsprobleme
für die heimische Bevölkerung nehmen
laufend zu. Die Leventina – die Region, durch die die Autobahn zum Tunnel führt – weist schweizweit die stärkste Abwanderung auf. Der Tourismus
lahmt, und natürlich sollen die Staus
am Gotthard schuld daran sein. Wie
wenn nicht alle in Amsteg blockierten
Fahrzeuge sowieso durchs Tessin fah-
VCS MAGAZIN 5/15
19
DOSSIER
Gerne wird das Argument der
Sicherheit ins Feld geführt:
Die Axenstrasse sei steinschlaggefährdet. Doch auch die Gotthard-Autobahn ist bekanntlich
gegen Felsstürze nicht gefeit.
SCHWYZ/URI
WIDERSTAND AM AXEN
Von Robert Bachmann, WWF Schwyz,
und Markus Andreas Bamert, VCS Schwyz
D
as Wetter spielte mit: Es war ein
warmer, schöner Frühlingstag am
diesjährigen 10. April, als die Initiative
«Axen vors Volk – Für Sicherheit ohne
Luxustunnel» mit 2062 Unterschriften
in Schwyz eingereicht wurde. Ziel der
Volksinitiative ist die Verhinderung des
980 Millionen Franken teuren Tunnelprojekts neue Axenstrasse und stattdessen eine umfassende Sanierung der bestehenden Axen-Nationalstrasse mit einem
Noch nie wurde gegen den
Willen eines Kantons eine
Nationalstrasse gebaut.
Fuss- und Radweg. Ein Kurztunnel für
die Umfahrung von Sisikon soll der verkehrsgeplagten Gemeinde Erleichterung
bringen. Die Initianten wollen ausser-
20
VCS MAGAZIN 5/15
Keine Angst, es droht keine Invasion eines ausländischen Heeres
an der Axenstrasse – aber einer automobilen Flutwelle! Parallel
zur heutigen Axenstrasse plant der Bund eine zweispurige
Nationalstrassen-Tunnelverbindung. Diese wird als Zubringer
zum Gotthardtunnel Mehrverkehr durch die Alpen bringen.
dem, dass sich die Schwyzer Bevölkerung
an der Urne zum Milliardenprojekt äussern kann. Denn nach Meinung des Komitees wird der verfassungsmässige Alpenschutz infrage gestellt, während sich
Sicherheit und Lebensqualität der Bevölkerung verschlechtern. Mitsprache ist eigentlich nicht vorgesehen, denn der Bund
bezahlt 92 Prozent der Kosten für das
Nationalstrassenprojekt. Doch noch nie
wurde gegen den Willen eines Kantons
eine Nationalstrasse gebaut.
Der Schwyzer Widerstand geht durch
die meisten Parteien: vom ehemaligen
SP-Nationalrat Andy Tschümperlin
bis hin zu seinem Ratskollegen Pirmin
Schwander von der SVP. Andy Tschümperlin, Mitglied des Initiativkomitees, ist
alarmiert: «Das geplante Neubauprojekt
ist widersprüchlich und falsch. Wenn
man den Flaschenhals noch mehr öffnet,
hat man als Resultat in den Dörfern rund
um Rothenthurm eine Verkehrslawine.
Dieses Problem wird sich noch verschär-
fen, wenn die zweite Röhre am Gotthard
an der Urne Zustimmung findet. Für die
Menschen, die entlang der Transitachse
leben, ist das eine Zumutung.»
Viel Geld für neuen Stau
In der Euphorie der unbeschränkten
automobilen Freiheit Mitte des letzten Jahrhunderts wurde das Nationalstrassennetz geboren. Ein Element davon ist die Nord-Süd-Achse. Die Idee
war, den Verkehr von Basel über Luzern
und von Bodensee/Schaffhausen über
Zürich–Knonau–Luzern durch den Seelisberg mit einer vierspurigen Autobahn
zu führen. Die Nationalstrasse N4 von
Rotkreuz–Schwyz–Flüelen wurde als
Zubringer ins Netz aufgenommen, jedoch von Brunnen bis Flüelen als drittklassig taxiert, was bedeutet, dass auch
Fuss- und Veloverkehr darauf stattfindet. In der Folge wurde die Axenstrasse für rund 260 Millionen Franken ausgebaut, damit sie den Anforderungen
Fotos: © zvg
DOSSIER
übernehmen müssen. Mit der geplanten Linienführung der NEAT im Raum
Ingenbohl-Brunnen besteht zudem ein
Planungskonflikt: Wird dereinst die
NEAT gebaut, muss die neue Axenstrasse für einen höheren zweistelligen Millionenbetrag verlegt werden!
Die Initiative «Axen vors Volk – Für
Sicherheit ohne Luxustunnel» wird voraussichtlich im Frühjahr 2016 im Kantonsparlament behandelt.
KOMMENTAR
Urner sind gegen zweite Gotthardröhre
© Jojo Schulmeister
entspricht. «Diese erfüllt sie auch heute noch zur vollen Zufriedenheit. Staus
sind am Axen selten der Fall», sagt Andy
Tschümperlin. «Die Verkehrsprobleme
sind vielmehr in den Agglomerationen
anzutreffen.»
Trotzdem wird seit nunmehr 20 Jahren geplant, den Axen für rund 1,3 Milliarden Franken auszubauen: Für
980 Millionen Franken soll die neue
Tunnelverbindung
gebaut
werden,
310 Millionen kostet die Sanierung der
bestehenden Strasse.
Das Grossprojekt wird nicht nur per
Volksinitiative bekämpft, sondern auch
juristisch: 2009 stufte der Bundesrat im
Einvernehmen mit den Regierungen von
Schwyz und Uri die geplante Nationalstrasse in die Klasse 2 um, trotz Opposition durch das Schwyzer Kantonsparlament. Gegen diese Aufklassierung läuft
eine Beschwerde des VCS und der AlpenInitiative. Bis heute halten der Bundesrat
und der Schwyzer Regierungsrat eisern
an ihrem Plan fest. Für sie ist der Axen
bloss ein Puzzlestück zur Fertigstellung
des Nationalstrassennetzes. Die Menschen, die dort leben, zahlen hingegen
den Preis: Der Transitverkehr durch den
Schwyzer Talkessel wird ebenso zunehmen wie Staus am Gotthard.
Der Kanton Schwyz hat ein grosses
Loch in der Kasse. Wird die Luxusvariante Realität, muss er rund 60 Millionen Franken an die Baukosten beitragen – dazu wird er künftig den Unterhalt der bisherigen Axenstrasse von
jährlich rund fünf Millionen Franken
Nein, Nein und nochmals Nein hat das Urner Volk zur
zweiten Röhre gesagt. Zuletzt 2011, als Uri den Sanierungsvorschlag der Regierung mit 69 Prozent und eine
Initiative der Jungen SVP mit 57 Prozent verworfen hat.
Trotzdem ignorieren nun einige Landräte standhaft die
Vorgaben ihrer Wählerschaft und forderten Ende August,
dass die Urner Regierung sich für den Bau von zwei weiteren Spuren am Gotthard einsetzt. Dass die Urner Landräte
die Dreistigkeit haben, weiter auf der Röhre zu beharren,
Manuel Herrmann,
Alpen-Initiative
zeugt von einem fragwürdigen Demokratieverständnis.
Mit einer zweiten Röhre wird der Kanton Uri zur kürzesten vierspurigen Strassenverbindung zwischen Nord- und Südeuropa. Anstatt
heute knapp einer Million werden zwei Millionen Lastwagen durch den Kanton
Uri fahren – das wäre das Ende der Lebensqualität im Kanton.
VCS MAGAZIN 5/15
21
DOSSIER
Von Markus Rast und
Monique Frey
Die täglichen Staumeldungen in den Morgen- und Abendspitzen
zeigen: Es ist eng auf den Autobahnen zwischen Luzern und der
Innerschweiz. Doch der Luzerner Bypass und eine zweite Röhre
am Gotthard können die Verkehrsprobleme nicht lösen.
LUZERN/ZUG
OPFER EINER VERFEHLTEN POLITIK
KOMMENTAR
© Michael Stahl
Dort investieren, wo die wirklichen
Verkehrsprobleme liegen
22
Der Inhalt bleibt gleich unsinnig, die Verpackung ist anders: Das
Projekt für eine zweite Röhre am Gotthard ist dieses Mal als «Sanierungsvorlage» getarnt. Mit fadenscheinigen Sicherheitsargumenten versucht die Strassenlobby, der Bevölkerung ein zusätzliches Loch am Gotthard schmackhaft zu machen. Doch mit rasch
umsetzbaren Massnahmen wie einer versenkbaren Mittelleitplanke, einem Thermoportal auch am Nordeingang oder der Ausrüstung von Lastwagen und Autos mit smarten Fahrassistenzsystemen kann die Sicherheit schon jetzt und nicht erst in 15 Jahren
Evi Allemann,
VCS-Präsidentin
erhöht werden. Kommt dazu: Kein Gesetz zur künstlichen Kapazitätsbeschränkung garantiert, dass nicht doch dereinst vierspurig durch den Gotthard gefahren wird. Denn eine gebaute Strasse ist eher früher als
später eine befahrene Strasse. Mit der zweiten Röhre wird es nicht nur am Gotthard,
sondern auf der ganzen Nord-Süd-Strecke mehr Lärm, mehr Luftverschmutzung und
mehr Lastwagen geben. Die zweite Röhre ist teuer, verstösst gegen den Alpenschutz
und löst kein einziges Verkehrsproblem. Am grössten ist der Verkehrsdruck nämlich
in den Städten und Agglomerationen. Hier braucht es nicht mehr Asphalt, sondern
einen attraktiven ÖV und einen sicheren Fuss- und Veloverkehr.
VCS MAGAZIN 5/15
D
ie Gegend rund um Luzern ist ein
Steuerparadies. Davon zeugen die
wachsende Zahl an Arbeitsplätzen in Zug
und Baar und die Expansion von Roche und Novartis in Rotkreuz. Der neue
Standort der Fachhochschule für Informatik wird die Situation ab 2016 weiter
zuspitzen. Im Kanton Zug verlaufen die
A4 und ihr Zubringer von Baar entlang
von Dörfern und Wohnquartieren. Der
Autoverkehr erzeugt massiven Lärm und
Feinstaub fast rund um die Uhr.
Dabei könnten die Fachhochschulen
in Rotkreuz, Luzern, Horw, die Uni Luzern ebenso wie die Grossfirmen der Regionen Zug und Luzern mit einem guten
Mobilitätsmanagement für den öffentlichen Verkehr, den Fuss- und Veloverkehr begeistert werden. Ebenso Ausflügler und Touristinnen. Und im gut mit
dem ÖV erschlossenen Luzern, Emmen,
Rotkreuz, Zug und Zürich muss man die
Strassen nicht für Berufstätige ausbauen,
die mit dem Auto pendeln.
Die erst vor wenigen Jahren fertiggestellte A4 zwischen Zürich und Zug
DOSSIER
Eine zweite Strassenröhre am Gotthard würde
die Gegend rund um Luzern und Zug ersticken.
Infarkt durch Luzerner Bypass
Die genannten Nationalstrassen sind bereits heute ein Magnet für Lastwagen aus
dem In- und Ausland. Wird am 28. Februar 2016 die Kapazität am Gotthard
mit einer zweiten Strassenröhre weiter
erhöht, ist der Verkehrskollaps rund um
Zuger- und Vierwaldstättersee programmiert. Deshalb plant man in Luzern bereits eine neue Umfahrungsautobahn:
den Bypass Luzern, der rund zwei Milliarden Franken kosten soll. Der Kanton
unterstreicht in seiner Stellungnahme
ans Bundesamt für Strassen die Unterstützung durch die Gemeinden. Das ist
jedoch nur die halbe Wahrheit. Es bleiben gewichtige Fragen offen. So wird
den Krienserinnen und Kriensern nur
eine vertiefte Abklärung zu einer allfälligen Überdeckung des Autobahnabschnitts Sonnenberg bis Schlundtunnel
offeriert. Ohne diese Überdachung wird
es aber keine Zustimmung in der Standortgemeinde geben. Verschiedene Gemeinden verlangen klare flankierende
Massnahmen, da sie sonst Mehrverkehr
befürchten. Die Stadt Luzern bezweifelt den Nutzen der neuen Reussbrücke, und mehrmals wurde kritisiert, dass
die berechneten Verkehrszahlen nicht
nachvollziehbar seien. Völlig unklar ist
weiter, wie die Spange Nord quartierverträglich realisiert werden kann.
Der Regierungsrat scheint sich der
Folgen des Mehrverkehrs für die Bevölkerung nicht bewusst zu sein – weder beim Bypass noch beim Ausbau des
Gotthardtunnels, wie die Antwort auf
eine parlamentarische Anfrage zeigt:
«Wir fordern vom Bund, dass der Bypass
Luzern vor einem allfälligen Ausbau am
Gotthard realisiert werden muss. Die
durchschnittlichen täglichen Belastungen mit rund 92 000 bzw. 62 000 Fahrzeugen (Reussport- bzw. Sonnenbergtunnel, 2010) gegenüber den rund 17 000
Fahrzeugen des Gotthardtunnels zeigen die höhere Belastung der Strassenabschnitte in Luzern eindrücklich und
belegen die Notwendigkeit des Bypasses.»
Im gut mit dem ÖV erschlossenen Luzern
muss man die Strassen nicht für Autopendler ausbauen. Schon gar nicht mit dem
zwei Milliarden Franken teuren Bypass.
© Monique Frey
(Säuliamt) ist an Werktagen ständig
überlastet. Auch die A4 zwischen Zug,
Blegi und Rotkreuz ist, obwohl gerade
erst teilweise auf drei bis vier Spuren
ausgebaut, bereits wieder zum «Engpass» geworden. Die A14 auf der Strecke
Buchrain–Emmen–Luzern ist ebenfalls
Dauergast am Stauradio; der Zubringer
Rontal trägt das Seine dazu bei. Nicht
auszudenken, wie die Situation mit der
neuen «Mall of Switzerland» auf dem
Schindler-Areal wird. Auch die A2 zwischen Luzern–Emmen und Rothenburg
platzt an Werktagen fast jeden Morgen
und Abend aus den Nähten. Und wie
lange die älteste, ebenfalls erneuerte und
ausgebaute Autobahn A2 von Luzern bis
Hergiswil den Verkehr noch bewältigen
kann, ist eine Frage der Zeit. Denn immer mehr Fahrzeuge kommen von der
A8 aus dem Kanton Obwalden.
VCS MAGAZIN 5/15
23
DOSSIER
BASEL/SCHAFFHAUSEN
DER GOTTHARD BEGINNT AM RHEIN
Von Hugo Mahler und
Stefanie Stäuble
V
erkehr ist wie Wasser. Er sucht die
durchgängigsten Löcher im Transeuropäischen Strassennetz. Über dieses Netz rollt der Grossteil des europaweiten Lkw-Verkehrs. Durch die Schweiz
verlaufen etwa die Europastrassen
Amsterdam–Rom, Dortmund–Stuttgart–
Thayngen–Altdorf oder Würzburg–Bregenz–San Bernardino–Bellinzona.
In Österreich führt die E45 Skandinavien–Palermo über den vierspurigen,
staugeplagten Brennerpass. Würde der
zweite Gotthardtunnel gebaut, wäre
eine Verkehrsverlagerung vom Brenner
zum Gotthard sicher: Je nach Herkunft
«Eine Schweiz mit einem
zweiröhrigen Tunnel auf dieser
Route wäre eine andere.»
und Destination ist die Gotthardroute
nicht nur distanzmässig vergleichbar,
sondern topografisch sogar einladender:
Der Gotthardtunnel liegt um 224 Meter
tiefer als der Scheitelpunkt des Brennerpasses. Die Folge wäre deutlich mehr
Verkehr am Gotthard und auf den Zu-
24
VCS MAGAZIN 5/15
Die Gotthardroute A2/E35 ist Teil des transeuropäischen
Strassennetzes. Konflikte sind also absehbar – und vielleicht
sogar erwünscht, um so die Öffnung auf vier Spuren begründen
zu können.
fahrtsstrecken entlang der ganzen NordSüd-Achse.
Die Bundesverfassung verbietet zwar
die Erhöhung der Transitstrassenkapazität im Alpenraum, doch faktisch würde
sie mit einer zweiten Röhre am Gotthard
geschaffen: Was teuer gebaut wurde,
müsse auch genutzt werden. In diesem
Sinn könnte dereinst die Öffnung aller
vier Spuren als ein Gebot der Vernunft
verkauft werden. Der renommierte österreichische Verkehrsexperte Prof. Hermann Knoflacher gab der Verkehrskommission des Ständerates im Januar 2014
eine deutliche Antwort: «Anzunehmen,
man könne zwar den Tunnel vierspurig
ausbauen, aber nur jeweils pro Richtung mit einer Spur betreiben, dürfte
angesichts der Lage und Bedeutung des
Gotthard-Strassentunnels nicht realistisch sein, wenn man die Begehrlichkeiten der EU bezüglich der Freiheiten des
Verkehrs in Betracht zieht. Eine Schweiz
mit einem einröhrigen Tunnel auf dieser
Route ist eine andere als eine mit zwei
Röhren.»
Kantone in der Offensive
Die wahren Verkehrsprobleme finden
in den Agglomerationen statt. Deshalb
stellten am 27. Juni 2014 vier kantona-
le Verkehrsdirektoren in einem Brief
an die Mitglieder der nationalrätlichen
Verkehrskommission eine zweite Gotthardröhre infrage. Nebst Regierungsrat
Hans-Peter Wessels aus Basel-Stadt unterschrieben Nuria Gorrite aus dem Kanton Waadt, Luc Barthassat aus Genf und
Alain Ribaux aus Neuenburg. «Auf der
Achse Lausanne–Genf verkehren täglich über 100 000 Fahrzeuge und auf der
A2 in Basel im Abschnitt Schwarzwaldtunnel–Hagnau täglich 150 000 Fahrzeuge», schrieben die Verkehrsdirektoren. «Städte wie La Chaux-de-Fonds und
Le Locle werden täglich von rund 25 000
Fahrzeugen durchquert. Demgegenüber
weist der Gotthard-Strassentunnel, der
nicht in einer städtischen Zone liegt, eine
durchschnittliche Nutzung von 17 000
Fahrzeugen pro Tag auf. Die baldige Öffnung des Gotthard-Basistunnels für die
Eisenbahn spricht ebenfalls gegen eine
Erhöhung der Kapazität des Strassentunnels.»
Wie soll die Schweiz in Zukunft aussehen? Für den VCS ist klar: Die Verkehrsprobleme müssen durch eine Verlagerung auf die umweltfreundlicheren
Transportmittel öffentlicher Verkehr,
Fuss- und Veloverkehr gelöst werden.
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REISEN
© Vincent Bourrut
© Guillaume Perret
Während das Mittelland unter dem Nebel liegt, strahlt in La Brévine die Sonne. / Nach einer Polarnacht wird der See zum Mittelpunkt einer Märchenlandschaft.
Eiszeit in La Brévine
Von Jérôme Faivre
I
m «Sibirien der Schweiz» sind
extreme Wetterbedingungen
nichts Neues. In Winternächten
können die Temperaturen schon
mal unter –30 °C fallen. La Brévine hält den absoluten Schweizer Kälterekord: Im Januar 1987
wurden hier glatte 41,8 °C unter
null gemessen.
Die Gemeinde am Rande des
Kantons Neuenburg ist zwischen
eine Bergkette – Grenzgebirge zu
Frankreich – und eine Hochebene eingebettet. Das erklärt ihre
meteorologischen Eigenheiten.
Bei Hochdruck, Windstille und
klarem Himmel steigt die warme Luft gegen die Krete hin auf,
während die dichtere Kaltluft
herabsinkt und sich im Talgrund
sammelt.
Bei unserer Ankunft im Postauto sind wir gleich mittendrin
in dieser einmaligen Atmosphäre. La Brévine ist nicht eines dieser engen, zwischen zwei Steilhängen eingepferchten Täler.
Die Hügelzüge mit ihren sanft
geschwungenen Formen gefallen
Die nächsten Monate könnten eisig werden. Wetterpropheten künden den
kältesten und schneereichsten Winter des Jahrhunderts an. Doch im Vallée
de La Brévine NE wird sich niemand vor der Polarkälte fürchten.
uns, und die Sonne scheint hier
von frühmorgens bis am Abend,
sogar im Winter. Während gegen oben die Nadelbäume dominieren, bietet die Ebene einen
unendlichen Blick in die Weite,
unterbrochen nur von ein paar
einsamen Bauernhöfen. Wir steigen an der Haltestelle «Les Taillères, Bout du Lac» aus und freuen uns, auf den mitgebrachten
Schlittschuhen bald schwungvoll
über die gefrorene Seefläche zu
gleiten. Zwar haben wir weder
die Eleganz eines Jewgeni Pljuschtschenko noch das Geschick
eines Stéphane Lambiel. Ein kleines künstlerisches Spektakel à la
Philippe Candeloro möchten wir
aber schon bieten.
Doch unsere Vorfreude weicht
sogleich der Enttäuschung. «Wo
ist denn der See hin?», fragen wir uns. Offensichtlich ist
er unter der dicken, holprigen
Schneeschicht, die vor uns liegt,
verschwunden. Damit wird das
Schlittschuhvergnügen natürlich zur Mission impossible. Ein
einheimisches Paar klärt uns
auf, dass hier niemand zum Eis
schaut und es deshalb besser ist,
mit den Schlittschuhen dann zu
kommen, wenn die Felder noch
grün sind, das Eis jedoch bereits
genügend dick. Am besten im
Dezember, manchmal auch noch
im Januar.
So verstauen wir denn unsere Kufen ungenutzt wieder im
Rucksack und studieren Alternativen. Mit dem entsprechenden Material wäre Langlaufen
eine attraktive Möglichkeit ge-
wesen. La Brévine ist ein kleines
Paradies für Liebhaberinnen
und Liebhaber des nordischen
Wintervergnügens: Mehr als 120
Kilometer Pisten von leicht bis
sehr schwierig stehen zur Verfügung. Schliesslich entscheiden
wir uns für einen kurzen, dafür
äusserst erfrischenden Spaziergang auf dem Eis und kommen
zum Schluss, möglicherweise eines der Wunder Jesu geklärt zu
haben. Als er über das Wasser
lief, war dieses ja vielleicht gefroren?
Nützliche Infos
Anreise: Ab Neuenburg mit dem Zug bis Fleurier,
dann im Postauto bis Les Bayards, umsteigen und weiter
im Postauto nach Les Taillères, Bout du Lac. Fahrzeit ungefähr 1 Std. 20 Min.
Schlittschuhlaufen/Langlauf: Tägliches Bulletin zum Zustand der Eisfläche
und der Langlaufpisten, http://bit.ly/1LHwZxl
Webcam: 360°-HD-Kamera mit einem schönen Rundblick, http://tailleres.
roundshot.com
Gastronomie: Restaurant Chez Bichon, traditionelle Schweizer Küche,
www.restaurant-chez-bichon-brevine.ch, Tel. 032 935 12 58.
VCS MAGAZIN 5/15
27
REISEN
Mut zur Lücke
E
s ist 5.45 Uhr am Sonntagvon einer ersten KleiderBei Sonnenschein ist die Lötschenlücke eine
morgen. Zusammen mit
schicht. Vor und hinter uns
schweisstreibende Angelegenheit – aber auch
meinen zwei Tourenkollegen
sind Dutzende weitere Seileine mit fantastischen Aussichten. Ein Skitourenstehe ich am Bahnhof Spiez.
schaften unterwegs. Über
Die Dämmerung, der klare
zu wenig Gesellschaft könklassiker im Herzen des Unesco-Welterbes JungHimmel und die bereits angenen wir uns an diesem Tag
frau-Aletsch.
Text und Fotos: Lara Seraphine
nehmen Temperaturen versprenicht beklagen.
chen einen wunderbaren Tag.
Nach knapp anderthalb
Die wenigen Leute, die sich so
Stunden erreichen wir das
früh am Bahnhof einfinden, haLouwitor auf 3676 m ü. M.
ben alle das Gleiche im Sinn: auf Skiern ei- Gletscherausrüstung montieren, suchen alle Von dort aus machen wir uns zu zweit auf
nen sonnigen Tag im schönen Berner Ober- noch einmal das stille Örtchen auf.
den Weg zum hundert Meter höher gelegeland zu verbringen. Auf den geistweckenden
Wir folgen den Wegweisern zum Ausgang nen Louwihorn. Zwanzig Minuten später
Kaffee haben wir uns aber leider zu früh ge- für Tourengänger, Sphinxstollen genannt. stehen wir auf dem Gipfel und werden mit
freut. Der «Avec»-Laden öffnet erst nach der Von der Sonne geblendet, stolpern wir in einem fantastischen Blick aufs Unesco-WeltZugabfahrt.
den Schnee. Jetzt noch die obligaten Erin- erbe Jungfrau-Aletsch belohnt. Die Sonne
Auf der Kleinen Scheidegg wechseln wir nerungsfotos mit atemberaubender Aussicht und die anderen Gipfelstürmer strahlen um
von der Wengernalp- auf die Jungfraubahn. auf die Gletscherwelt, dann geht’s los.
die Wette.
Etwas neidisch schaue ich einer Gruppe zu,
Wieder zu dritt, schneiden wir nun mühdie während der Fahrt aufs Joch ausgiebig
Auf noch etwas hartem Schnee fahren wir selige Kurven in den Bruchharst auf dem
frühstückt. Nicht einmal Anke und Konfi in südwestlicher Richtung in die Nähe des Kranzbergfirn. Unterhalb vom Gletschergingen vergessen!
östlichen Gratausläufers vom Rottalhorn. Es bruch traversieren wir in südwestlicher
Nach 50-minütiger Fahrt durch Eiger und hat gut sichtbare Spuren, an denen wir uns Richtung den Hang entlang, bis wir uns
Mönch treffen wir auf dem Jungfraujoch auf orientieren. Nach dem Anfellen binden wir direkt oberhalb der Normalroute befinden,
3454 m ü. M. ein. Entgegen meinen Befürch- uns ins Seil ein und starten in einer Dreier- die auf dem Grossen Aletschfirn Richtung
tungen finden die Skier aus dem Gepäck- seilschaft in gemütlichem Tempo Richtung Lötschenlücke führt. Wir entscheiden uns
wagen ihre Besitzer ohne Probleme wieder, Louwitor. Wir befinden uns nun südlich von zu einer Mittagspause mit Aussicht aufs
auch wenn die Verteilaktion ziemlich cha- Punkt 3506 und steigen im Zickzack durch Aletschhorn. Die Sonne brennt vom Himotisch abläuft. Endlich, der lang ersehnte die Nordostflanke zum Louwitor auf. Schon mel, und so geniessen wir ein Sonnenbad
Kaffee an der Café-Bar. Bevor wir unsere nach einer halben Stunde trennen wir uns auf 3000 m ü. M.
28
VCS MAGAZIN 5/15
REISEN
Strahlende Aussichten
bis zum Mont-Blanc –
nur allein ist man nicht
beim Skitourenklassiker
auf die Lötschenlücke.
Nach der Mittagsrast traversieren wir gestärkt Richtung Grosser Aletschfirn. Unser
Ziel ist es, so wenig Höhe wie möglich zu verlieren. Nach einer weiteren kurzen Abfahrt
heisst es erneut anfellen – und dann laufen,
laufen, laufen. Die Strecke bis zur Lötschenlücke erscheint uns endlos. Die Sonne brennt
unerbittlich auf uns nieder, und die verschneiten Hänge um uns herum verwandeln
die Senke, in der wir aufwärtssteigen, in einen Backofen. Jeder findet sein eigenes Tempo, und so steigen wir zur Lötschenlücke auf.
Wie unser Schweiss laufen auch wir immer
weiter. Endlich naht das Ziel. Über die letzten
Meter wird es ein wenig steiler, und eine kühle Brise erfrischt unsere überhitzten Körper.
Informationen zur Skitour
Anreise: Erster Zug ab Spiez um 5.56 Uhr, via Interlaken,
Lauterbrunnen und Kleine Scheidegg aufs Jungfraujoch.
Spezialbillett «Lötschenlücke» kann in Spiez gelöst werden.
Rückreise: Ab Blatten im Lötschental (Postauto, stündlich) via Goppenstein (Zug) nach Spiez.
Route: Jungfraujoch (3454 m ü. M.)–Louwitor (3676 m ü. M.)–Louwihorn (3777 m ü. M.)–Lötschenlücke
(3173 m ü. M.)–Blatten im Lötschental (1540 m ü. M.)
Dauer: 6 Stunden
Schwierigkeitsgrad: WS–. Die Lötschenlücke eignet sich auch für Tourenanfänger in fachkundiger Begleitung.
Jahreszeit: Ganzjährig; im Frühling ist die Tour bei guten Wetter- und Schneeverhältnissen meist gespurt.
Ausrüstung: Material für Skihochtouren; Gletscherausrüstung (Seil, Pickel, Anseilgürtel) zwingend.
Karte: 264 S Jungfrau (1:50 000)
Oben angelangt, wird schnell eine Jacke
übergeworfen, und die Felle werden abgezogen. Wir befinden uns nun auf der Lötschenlücke, 3173 m ü. M. Oberhalb von uns thront
die Hollandiahütte. Ein Schluck warmer Tee
gibt uns die nötige Energie für die lange Abfahrt nach Blatten im Lötschental, die 1500
Meter Höhendifferenz aufweist.
Kurve um Kurve fahren wir auf dem
Langgletscher der Fafleralp entgegen. An einigen Stellen gilt es, Gletscherspalten auszuweichen. Die vielen Spuren, die den Schnee
zeichnen, weisen uns den Weg. Rechts oben
erblicken wir die Anenhütte. Je mehr wir
an Höhe verlieren, umso weicher wird der
Schnee. Plötzlich auf der rechten Talseite
ein Donnern. Die Sonneneinstrahlung hat
ein Schneebrett in Bewegung gebracht, das
jedoch in grosser Entfernung von uns zum
Stillstand kommt. Wir halten uns nun eher
links und müssen dabei einige Lawinenkegel durchfahren. Richtig wohl ist mir dabei
nicht, und ich schaue immer wieder nach
oben, um mich zu vergewissern, dass nichts
in Bewegung ist. Schnell fahren wir kurz
oberhalb der Fafleralp zwischen Bäumchen
hindurch. Dann erreichen wir die Alp. Nun
heisst es: Skier Schultern und zu Fuss weitergehen. Zum Glück entdecken wir oberhalb
der Strasse eine Spur, sodass wir bis nach
Blatten fahren können, von wo uns das Postauto zurück nach Goppenstein bringt.
Aufstieg zum Louwitor. Es ist windstill und heiss – schon nach Kurzem fällt die erste Kleiderschicht.
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REISEN
WEIHNACHTSMÄRKTE
Es muss nicht immer Nürnberg
Bregenzer Weihnachtsmarkt
Im Herzen von Bregenz erwarten Sie an
über 40 Weihnachtshütten kulinarische
Köstlichkeiten, Kunsthandwerksarbeiten
und vielleicht auch das eine oder andere
Weihnachtsgeschenk.
Eine eigens gebaute Krippe in der Nepomukkapelle am Kornmarktplatz, der
grosse Christbaum, der jedes Jahr von einer
Gemeinde aus dem Bregenzerwald gespendet wird, und der traditionelle Kunsthandwerksmarkt in der Oberstadt laden dazu
ein, in Bregenz zu flanieren und die vorweihnachtliche Zeit zu geniessen.
Für Familien und Kinder sind die Krippe
mit lebendem Esel und Schafen, das «Haus
vom Nikolaus», das Ponyreiten sowie ein
venezianisches Karussell besonders interessant. Und auf dem Eislaufplatz können bei
weihnachtlichen Klängen auch die ersten
Schritte gewagt werden.
Chorgesänge oder Konzerte auf der
Weihnachtsbühne am Kornmarktplatz lassen von Freitag bis Sonntag festliche Klänge
durch die Gassen des Weihnachtsmarktes
klingen.
30
VCS MAGAZIN 5/15
© Udo Mittelberger, Bregenz Tourismus & Stadtmarketing
Öffnungszeiten:
Sonntag bis Donnerstag: 14 bis 19.30 Uhr
Freitag/Samstag/Feiertag: 11 bis 21 Uhr
Gastronomie täglich von 11 bis 21 Uhr
Eislaufplatz:
Montag bis Samstag: 14 bis 19.30 Uhr
Sonn- und Feiertag: 12 bis 19.30 Uhr
So kommen Sie hin:
Ab Zürich gibt es täglich mehrere Direktverbindungen nach Bregenz. Die Fahrt
dauert gut 1½ Stunden und kostet z.B. ab
Zürich mit Halbtaxabo Fr. 46.– (hin und
zurück). Eine Platzreservierung empfiehlt
sich (+ Fr. 5.–).
Achtung: Kaufen Sie Ihr Billett am
besten online, denn am Schalter verrechnet
die SBB Fr. 10.–.
REISEN
sein
Weihnachtsmarkt Montreux
Der Weihnachtsmarkt von Montreux zählt
zu den schönsten seiner Art in der Schweiz.
Am Ufer des Genfersees halten 140 Kunsthandwerker und Händler in ihren geschmückten und beleuchteten Holzbuden
eine Fülle origineller Geschenke bereit: Regionalprodukte, Schmuck, Schnitzereien
und Weihnachtsdeko. Zur Stärkung gibt’s
Fondue, Wurst, Raclette, Gratin und Holzfällertee.
Das Zwischengeschoss der Markthalle
mit seinen Ateliers ist extra für Kinder gestaltet.
Mit seiner Lage inmitten von Montreux
(zwischen Place du Marché und Hotel Suisse Majestic) befindet sich der Weihnachts-
markt in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs.
Der Bus bringt Sie ab Montreux Marché
in gut 10 Minuten zu Schloss Chillon, wo
Sie vom 5. bis 20. Dezember ein mittelalterlicher Markt mit entsprechend verkleideten
Händlern erwartet. Musik und Tänze,
Weihnachtsmärchen, ein Feenmarkt,
Kerzenziehen und vieles mehr bringen
Gross und Klein zum Staunen.
Für den kleinen Hunger: Geniessen Sie
ein mittelalterliches Gericht vor dem gemütlichen Cheminéefeuer.
Öffnungszeiten:
Weihnachtsmarkt Montreux
Montag bis Donnerstag 11 bis 20 Uhr
Freitag 11 bis 22 Uhr
Samstag 10 bis 22 Uhr
Sonntag 10 bis 20 Uhr
Mittelalterlicher Markt im Schloss Chillon:
Jeden Samstag und Sonntag vom 5. bis 20.
Dezember, 10 bis 17 Uhr (letzter Eintritt
um 16 Uhr). Der Eintritt ins Schloss kostet
Fr. 12.50 für Erwachsene und Fr. 6.– für
Kinder bis 16 Jahre.
So kommen Sie hin:
Montreux ist aus allen Regionen der Schweiz
gut mit der Bahn erreichbar. Der Weihnachtsmarkt beginnt gleich gegenüber dem
Bahnhof am See.
© Marché de Noël Montreux Sàrl
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PUBLIREPORTAGE
Krämerbrücke
in Erfurt
Thüringen:
Kultur-Auszeit mit historischem
Flair und neuen Impulsen
W
er
an
Thüringen
denkt, dem kommen
unweigerlich
Brat­
würste und Thüringer Klösse in
den Sinn. Aber der in der Mitte
Deutschlands gelegene Freistaat
ist nicht nur reich an Kulinarik,
sondern auch an Kunst und
Kultur. Nirgendwo lässt sich das
besser erleben als in Weimar, der
Stadt der Dichter und Denker.
Literaturgrössen wie Goethe und
Schiller haben hier einst gelebt
und waren die wohl berühmtesten
Vertreter der Weimarer Klassik.
Mehr Infos und Reisetipps:
www.thüringen-entdecken.de
32
VCS MAGAZIN 5/15
UNESCO-Weltkulturerbe
Weimar Noch heute erinnert vieles
in dieser Stadt an die grossen Dichter
und Denker längst vergangener
Zeiten. Als Spaziergeher im Park
an der Ilm wandelt man etwa an
Goethes Gartenhäuschen vorbei.
Auch andere Gebäude aus der
Zeit der Weimarer Klassik laden
Besucher heute zum Erkunden ein.
Dazu zählen das Stadtschloss,
das Schloss Belvedere oder die
beeindruckende Herzogin Anna
Amalia Bibliothek. Heute ist das
Klassische Weimar Weltkulturerbe
der UNESCO.
Frischen Wind bringen die
zahlreichen
Studierenden
der
berühmten
Bauhaus­Universität
in die mit Kopfstein gepflasterten
Gassen der Altstadt: Die jungen
Künstler und Designer setzen mit
Ateliers und Schauläden immer
neue Impulse.
Fachwerkhäuser
und
Handwerkskunst
in
Erfurt
Ein kreativer Geist herrscht seit
eh und je auch in Thüringens
Landeshauptstadt Erfurt. Auf der
berühmten Krämerbrücke – die
längste durchgehend mit Häusern
bebaute und bewohnte Brücke
Europas – präsentierten schon im
Mittelalter Handwerker ihre Kunst.
Bis heute hat sich diese
Tradition
bewahrt:
In
den
pittoresken Fachwerkhäusern laden
Ateliers und Läden zum stilvollen
Bummeln und Einkaufen ein.
Die gut erhaltenen Häuser in
Erfurts Altstadt und die vielen
Kirchen haben der Stadt den
Beinamen „thüringisches Rom”
gegeben. Vor allem der imposante
PUBLIREPORTAGE
DomStufen-Festspiele
HIGHLIGHT 1 Jena
Leuchtenburg: Porzellan trifft Mittelalter
Das 800 Jahre alte Gemäuer in der Nähe von Jena birgt
ein unerwartet modernes Museum: Die Porzellanwelten.
Die interaktive Ausstellung informiert anschaulich über das
„weisse Gold”, das seit mehr als 200 Jahren in der Gegend
hergestellt wird. Am „Steg der Wünsche”, einem 20 Meter
langen Skywalk, können sich Besucher davon überzeugen,
dass Scherben Glück bringen.
HIGHLIGHT 2 Weimar
Mehr als Bratwurst und Klösse: Im Herzen
Deutschlands bündeln sich Kreativität, Kunst
und Kultur. Thüringen setzt dabei immer
wieder neue Impulse und verbindet auf
harmonische Weise Altes mit Neuem.
Jena, umgeben von Burgen
und
Schlössern.
Die
Universitätsstadt Jena besticht
vor allem durch ihre Lage. Das
malerische Umfeld ist geprägt
von Muschelkalkbergen, Wiesen
und Wäldern. In unmittelbarer
Umgebung warten Burgen und
Schlösser darauf, erkundet zu
werden. Einen Besuch wert ist etwa
die rund 20 Kilometer entfernte
Leuchtenburg.
Das 800 Jahre alte Gemäuer
thront hoch oben über dem Saaletal,
umgeben von Grashügeln und
Weinreben.
Das Weimarer Bauhaus
Was 1919 mit einer Schule für Kunst und Kunstgewerbe
begann, setzt sich bis heute mit der berühmten BauhausUniversität fort. Ab 1923 verband man erstmals Kunst
mit Industrie und entwarf pragmatische, funktionale
Alltagsgegenstände – der berühmte Bauhaus-Stil entstand.
Heute verfügt Weimar über die älteste autorisierte BauhausSammlung der Welt. Die Bauhaus-Universität bietet aktuell
rund 40 Studiengänge in den Bereichen Architektur, Kunst
und Design an. Originell für Interessierte und Touristen:
Studenten zeigen auf sogenannten Bauhaus-Spaziergängen
Gästen „ihr“ Reich, die Gebäude der Universität.
VCS MAGAZIN 5/15
Fotos: Thüringer Tourismus GmbH, Klassik Stiftung Weimar
Mariendom sucht seinesgleichen.
Im Turm beherbergt er die grösste
freischwingende
mittelalterliche
Glocke der Welt. Im Sommer
werden seine Treppen regelmässig
zur Bühne für die DomStufen­
Festspiele.
Dass Design keine Sache der
Neuzeit ist, zeigt das moderne
Museum
in
der
Jüdischen
Synagoge. Dort sind unter anderem
Schatzfunde aus dem 13. und 14.
Jahrhundert ausgestellt. Besonders
beeindruckend sind die gotischen
Gold­ und Silberschmiedearbeiten
und der jüdische Hochzeitsring.
33
ANSICHTEN
VCS-Magazin 4/2015
VCS-Magazin 4/2015
Eine Stauerei
Dossier Wahlen
Im Artikel «Avanti
popolo!» schreiben Sie,
dass es eine Briefmarke
braucht, um ein Stimmcouvert per Post einzuschicken. Das stimmt
Avanti popolo!
nicht: Anstatt eine Briefmarke aufzukleben, können Sie auch einfach eine
Zahlenfolge aufschreiben, die Sie per SMS anfordern und erhalten (SMS-Briefmarke).
Die fehlende Briefmarke ist wohl kaum der Grund, warum so viele
Leute nicht mehr stimmen und wählen. Die Gründe liegen eher in
unserer schnelllebigen und impulsgesteuerten Welt.
DOSSIER
DOSSIER
Wahlen
Wahlen
51 Prozent, bei den Frauen von 39 auf
46 Prozent. Die Wahlen am 18. Oktober
werden zeigen, ob dieser Trend auch längerfristig weiterwirkt. Es ist zu hoffen –
schaut man auf die Weltkarte, sind freie
und faire Wahlen alles andere als eine
Selbstverständlichkeit.
© Keystone/Salvatore Di Nolfi
Briefmarken von gestern
Vermutlich wird auch die elektronische
Stimmabgabe, auf die der Bundesrat in
Zukunft setzen will, die Leute nicht massenhaft an die Urne bewegen. Mit Blick
auf dieses Projekt sprach sich die Landesregierung 2013 gegen eine schweizweite kostenlose briefliche Stimmabgabe
aus, weil «bei einer mittleren Stimmbeteiligung von 43 Prozent bei einem Anteil an brieflichen Stimmabgaben von 80
Prozent (…) mit Gesamtkosten für Rück-
Eine Wählerin in der Walliser
Gemeinde Sitten. Heute stimmen
80 Prozent brieflich ab.
Von Stefanie Stäuble
Die Entwicklung der Stimmbeteiligung bei Wahlen in der Schweiz zeigt auch:
Das Stimmvolk ist bequem geworden. Ein Plädoyer für den Urnengang.
«J
etzt bloss nicht die Nerven verlieren», appellierte Selahattin Demirtas, Vorsitzender der
Kurdenpartei HDP, nach dem Bombenanschlag auf
deren Anhänger kurz vor dem Urnengang in der
Türkei im Juni. «Wählen gehen!» Man möge auf jede
einzelne Stimme aufpassen. Der Apell wirkte: Die
Wahlbeteiligung betrug sensationelle 84 Prozent.
Geht es uns zu gut, dass wir so politikverdrossen
sind? Hierzulande riskiert man beim Wahlgang
28
Endlich kommen die unsäglichen
Verkehrsmeldungen mal zur Sprache,
diese halbstaatliche Gehirnwäsche muss
aufhören. Verkehrsmeldungen sind das, was am Radio am meisten
nervt. Die grosse Mehrheit der Zuhörenden ist gar nicht betroffen,
und sogar für die Stauteilnehmer sind sie meist nutzlos. Man wird
den Verdacht nicht los, dass sie manipulativ eingesetzt werden, um
Strassenausbauten beliebt zu machen. Natürlich rege ich mich auch
auf, wenn ich im Stau und gleichzeitig im Stress bin. Aber ich muss
eingestehen: Ich bin Stau-Erzeuger, nicht Stau-Opfer. Verkehrsmeldungen sollen nur noch über Smartphone, Navi oder Bordcomputer
mitgeteilt werden, aber Broadcasting ist ein nicht mehr zeitgemässes
Thomas Schneeberger, Hinterkappelen
Ärgernis.
Nein zu 2x so viel Lastwagen.
Nein zur 2. Gotthardröhre.
301507_N2R_Murmeltier_Plakat_A3_uncoated_RZ_d.indd 1
VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2015
www.zweite-roehre-nein.ch
© zvg
6
30.06.15 10:22
Der Ärger des VCS über die vermutete politische Stimmungsmache
für eine Gotthardröhre via Radio verbreiteter Staumeldungen ist
verständlich. Unverständlich ist hingegen, dass der VCS selber genauso unseriös mit den Zahlen umgeht, wie er dies dem Astra vorwirft: So vergleicht der VCS die Menge der in Staus involvierten Autos vor einem Tunnelportal am Gotthard mit der Menge der in Staus
involvierten Autos an beiden Portalen des Gubristtunnels. Bedenklich schwach ist auch die grafische Umsetzung der Problematik: Sie
ist schlecht verständlich und methodologisch in diversen Punkten
unzulässig. Vom VCS-Magazin, das ich sonst sehr schätze, erhoffe
ich mir daher eine kurze Berichtigung zum erwähnten Artikel.
E. Tönz und S. Bächtold, Berlingen
VCS-Magazin 4/2015
Der neue Schweizer Pass
AKTUELL
AKTUELL
Öffentlicher Verkehr
Öffentlicher Verkehr
Der andere Schweizer Pass
Von Stefanie Stäuble
Seit dem 1. August gibt es den Swiss Pass, die Karte des öffentlichen Verkehrs.
Was ändert sich für die Kundinnen und Kunden? Wir haben nachgefragt.
D
ie rote Karte im Kreditkartenformat sieht unspektakulär aus. Der Name Swiss Pass
ist aufgedruckt, dazu ein Foto,
ein Name, eine Kundennummer. Doch so leicht es aussieht,
«240 Unternehmen des öffentlichen Verkehrs an einen Tisch zu
bringen, war kein Kinderspiel»,
erzählt Ueli Stückelberger, Direktor des Verbands öffentlicher
Verkehr (VöV).
Welches Abonnement man
hat und wie lange es gültig ist,
sieht man dem Swiss Pass nicht
an. Diese Infos sind im System
hinterlegt. «Die Karte bleibt solange im Umlauf, bis sie kaputt
ist. Der Aufwand, jedes Jahr eine
Kommentar
Wann folgt der Swiss Pass plus?
Endlich ist er da: der Swiss Pass. Bereits Mitte
der Neunzigerjahre hatte die schweizerische ÖVBranche das Projekt «Easy-Ride» ins Leben gerufen. Was damals nach Science-Fiction klang, ist
schon länger Realität in asiatischen Megalopolen
wie Singapur und Hongkong, und inzwischen auch
in Europa angekommen: in London, Kopenhagen
oder Rotterdam. Papier sieht man immer seltener;
alles einfach, bequem per Chipkarte. Die Schweiz,
Caroline Beglinger,
Co-Geschäftsleitebekannt für eines der weltweit besten Bahn- und
rin VCS
Bussysteme, wurde links überholt.
Mit dem hohen Komfort von durchgehenden Tickets und Verbindungen hat der öffentliche Verkehr in der Schweiz viel
zu verlieren und will deshalb seine Kundschaft nicht überfordern. Gewiss.
Aber das darf nicht zur Paralyse führen. Darum müssen nach dem längst
überfälligen ersten Schritt – dem Swiss Pass – rasch der zweite und der
dritte Folgen. Denn was wir nicht wollen, sind andere internationale Giganten wie zum Beispiel Google oder Amadeus, die digitale Tickets anbieten und SBB, BLS & Co. de facto zu Fuhrhaltern degradieren. Wann also
folgt der Swiss Pass plus?
16
VCS MAGAZIN 5/15
29
VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2015
Das Wahldossier dient ausschliesslich dazu, Protagonisten der SP im
Hinblick auf die Wahlen in Stellung zu bringen. Auch die Kampfrhetorik im Editorial kam bei uns schlecht an. Stefanie Stäuble kritisiert
den angeblich schmutzigen Wahlkampf und das fehlende Fairplay
der anderen, um diese selbstverständlich, wie sie es nennt, bei der
«Übervaterpartei» zu verorten. Wir meinen aber, die Art, wie dies
ihrerseits passiert, sei mitnichten clean und fair. Der Rundumschlag
beinhaltet auch die Aussage, die Parteispitze verkünde «Gehässigkeiten gegen Asylsuchende oder die EU». Was soll das in einer Zeitschrift, die sich für «zeitgemässe Mobilität» einsetzt?
Anmerkung der Redaktion: Es ist das Bundesamt für Strassen (Astra)
selber, das die beiden Tunnelröhren am Gotthard beziehungsweise die
Staus darin separat kommuniziert. Der VCS hat die Zahlen des Astra
unverändert übernommen.
34
VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2015
Umweltfreundliche Frauen
Würden gleichviele Frauen wählen gehen wie Männer, sähe die Schweiz tendenziell ein kleines bisschen sozialer und
umweltfreundlicher aus, so der Politologe Adrian Vatter (siehe Interview nächste Doppelseite). Das gilt auch für Politikerinnen: Gemäss umweltrating.ch
stimmten die Nationalrätinnen der CVP
im Durchschnitt zu 58 Prozent im Sinne des Umweltschutzes, bei
den Nationalräten derselben Partei waren es nur 48
Betonschweiz oder Alpenschutz?
Prozent. Zu Beginn der DeDie nächsten vier Jahre sind aus
batte über den Bau einer
zweiten Gotthard-Strassenverkehrspolitischer Sicht bedeutend.
röhre votierten die CVPFrauen dagegen. Sie änderten jedoch auf Druck der
sendeporti von etwas über einer Mil- Mutterpartei ihre Meinung. Die CVPlion Schweizerfranken zulasten der öffent- Frauen mussten vergangenes Jahr sogar
lichen Hand» gerechnet werden muss. eine Vereinbarung unterschreiben, nachGestützt auf Umfragen bei verschie- dem sie sich mehrfach gegen die Mutterdenen Gemeinden und stichprobewei- partei gestellt hatten. Die Zürcher CVPsen Vergleichen der Stimmbeteiligung Nationalrätin Barbara Schmid-Federer
vor und nach Einführung der portofrei- sitzt trotzdem im bürgerlichen Komitee
en Stimmabgabe sei zudem kein positi- gegen die zweite Gotthardröhre. Auch
ver Zusammenhang festgestellt worden. wegen des Alpenschutzartikels, wie sie
Doch will man das Stimmvolk, und ins- in den Medien erklärte: «Für mich ist
besondere die Jungen, an die Urne brin- klar, dass die zwei Röhren irgendwann
gen, muss jedes Hindernis aus dem Weg vierspurig befahren werden. Dann vergeräumt werden. Zwanzigjährige haben letzen wir den Auftrag des Volkes, den
in der Regel keine Briefmarke zur Hand, Schwerverkehr auf die Schiene zu verlaund so bleibt das Kuvert halt dann lie- gern.» Ihre Position sei in der Partei keigen. Der Bundesrat hat sich bereits 2006 neswegs exotisch.
für die elektronische Stimmabgabe ausBetonschweiz oder Alpenschutz? Die
gesprochen, doch das Projekt steckt im- nächsten vier Jahre sind aus verkehrspomer noch in der Versuchsphase fest. Hier litischer und aus Umweltsicht bedeutend:
muss endlich etwas geschehen.
Die Bürgerlichen planen eine regelrechte
Der Kanton Schaffhausen entschied Strassenoffensive, und mit der «Milchsich schon früh für einen anderen Weg kuh-Initiative» sollen Steuergelder aus
und führte 1872 die Wahlpflicht für kan- der allgemeinen Staatskasse zu den Autotonale Wahlen und Abstimmungen ein. mobilisten fliessen. Bitte vergessen Sie
Wer nicht wählen geht, muss eine symbo- also nicht, rechtzeitig Briefmarken zu belische Busse von sechs Franken bezahlen. sorgen.
Ruth Augstburger, Bern
Christoph Schütz, Freiburg
Ich bin Mitglied des VCS seit seiner Gründung. Im Grossen und
Ganzen bin ich mit der Stossrichtung des VCS einverstanden. Beim
Gotthard bin ich hingegen anderer Meinung. Wir können hier und
jetzt nicht entscheiden, was am Gotthard in 25 bis 30 Jahren für
verkehrstechnische Bedürfnisse abzudecken sind. Aber es ist klar,
dass die heutige Autostrasse und eine allfällige, zukünftige Strasse
durch den Berg alle 30 bis 50 Jahre komplett saniert werden muss.
Es macht schon deshalb Sinn, den Bau der zweiten Röhre voranzutreiben.
Ich bin gespannt, ob der VCS die Grösse hat, einen kritischen Gotthard-Beitrag in der Mitgliederzeitung abzudrucken. Ich bleibe dem
VCS so oder so treu, weil er sich mit vielen guten Produkten für
Reto Mettler, Samedan
einen umweltfreundlichen Verkehr einsetzt.
zent. Da half auch die Einführung des nationalen Frauenstimmrechts 1971 nichts.
Und auch die Tatsache, dass man ab 1991
mit vollendetem 18. statt 20. Altersjahr
politisch volljährig war, brachte keine
Kehrtwende. Ebenso wenig vermochte
die briefliche Stimmabgabe, die in den
meisten Kantonen Anfang der 90er-Jahre
eingeführt wurde, die Talfahrt der Wahlbeteiligung zu stoppen.
Immerhin, ab 1995 ging es nach jahrelangem Niedergang wieder leicht aufwärts mit der Stimmbeteiligung. Bei den
Männern stieg sie bis 2011 von 46 auf
nicht sein Leben. Man muss nicht einmal mehr
den Sonntagmorgen opfern und in einer Mehrzweckhalle hinten anstehen, um seine Stimme abzugeben. Eine Briefmarke genügt – einige Kantone
und Gemeinden erlassen einem sogar das Porto.
Warum also das Desinteresse? Während 1935 noch
fast 80 Prozent der (männlichen) Wahlberechtigten an die Urne gingen, halbierte sich dieser Wert
sechs Jahrzehnte später auf etwas mehr als 40 Pro-
Ab 65 Jahren darf man urnentechnisch
in Rente gehen. Obwohl die Wahlpflicht
nicht für nationale Wahlen gilt, gehörte
Schaffhausen zu jenen Kantonen, die bei
den letzten Parlamentswahlen über 60
Prozent Wahlbeteiligung erreichten. Gelernt ist eben gelernt: Die staatspolitische
Bildung ist besser als anderswo, und damit auch das Interesse grösser.
© zvg
Den Stau am Gotthard gibt es wirklich,
nur setze ich mal in die Luft, dass diesem tüchtig nachgeholfen wird. Dazu
«dosiert» man den Verkehr mittels
Ampeln, sodass möglichst viel Stau entsteht. Infolgedessen wird die Mehrheit
der unbedarften Bürger Ja stimmen zur
Paul Bind, Hochfelden
zweiten Röhre.
AKTUELL
Gotthard
neue Karte mit aufgedrucktem
Datum verschicken zu müssen,
wird kleiner», so Stückelberger.
Für die Kundschaft wird es einfacher, Unterbrüche zu melden,
etwa wenn man in den Ferien
ist. Während man bisher das
Abonnement physisch am Schalter hinterlegen musste, reicht ein
Anruf oder ein Mail. Zudem wird
Taschendieben das Leben schwer
gemacht. «Wenn bis anhin ein
GA oder Halbtax-Abo gestohlen wurde, waren öfter mal zwei
Karten im Umlauf, das Original
und die Ersatzkarte.» Das ist mit
dem Swiss Pass nicht mehr möglich. Die gestohlene oder verlorene Karte wird gesperrt.
Zankapfel Erneuerung
Dass das General- und das Halbtax-Abo automatisch verlängert
werden, hat besonders in der
Deutschschweiz für Empörung
gesorgt. Neu müssen Kundinnen
und Kunden, die das Abo nicht
mehr wollen, selber aktiv werden
und es per Telefon, Brief, E-Mail
oder am Schalter kündigen. Wer
hingegen nicht auf die briefliche
Ankündigung reagiert, dass das
Abo bald abläuft, bei dem verlängert es sich um ein weiteres Jahr.
Das ist vor allem für jene ärgerlich, die bisher eine Abo-Pause
einlegten, bis die nächste längere Zugfahrt anstand. Ihnen rät
die Stiftung für Konsumentenschutz, das Abo beim Kauf gleich
wieder zu kündigen – so wird es
nicht automatisch verlängert.
Ueli Stückelberger verteidigt
die automatische Erneuerung:
«Von drei Millionen Kundinnen
und Kunden verlängern mehr
als 60 Prozent ihr Abo ohne Un-
terbruch. Dann gibt es jene, die
eine Woche unterbrechen, um
ein bisschen Geld zu sparen – der
administrative Aufwand für die
Transportunternehmen ist aber
enorm. Und schliesslich gibt es
Leute wie meine Grossmutter,
die nie absichtlich geschummelt
hätte, aber schlichtweg vergass,
dass sie mit einem Halbtax-Abo
Tram fuhr, das zwei Monate
zuvor abgelaufen war. Mit dem
Systemwechsel erreichen wir all
diese Leute.»
Mit der automatischen Erneuerung werden immer weniger
Leute ihr Abo am Bahnschalter
ihres Wohnortes verlängern.
Sterben nun die kleinen Stationen noch mehr aus? Immerhin
sind besetzte Bahnhöfe ein Garant für Sicherheit und Service.
«Vielleicht ja – aber nicht wegen
dem Swiss Pass», so Stückelberger. Vielmehr habe sich die Gesellschaft verändert, der OnlineVerkauf boomt. «Für mich macht
es ausserdem keinen Sinn, dass
die ÖV-Einnahmen als Kommission an jene gehen, die sie verkaufen. Das Geld muss direkt in
den ÖV fliessen.»
«Der Anteil der OnlineVerkäufe steigt stetig, und das
ist auch unser Ziel», bekräft igt
Bernd Nagel, Projektleiter Swiss
Pass. Dass das Bestellen im Internet mühsam ist – Datum und
Name jedes einzelnen Mitreisenden müssen eingetippt werden –,
wird damit begründet, dass ETickets beliebig oft ausgedruckt
werden können. Doch die Sicherheitsvorkehrungen sind doppelt,
denn ist ein Ticket einmal vom
Zugbegleiter gescannt worden,
wird es ungültig. Bringt der
VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2015
Der neue Swiss Pass «kann» momentan noch wenig – die ÖV-Unternehmen wollen ihre Kundinnen und Kunden mit einer
schrittweisen Entwicklung daran gewöhnen.
Swiss Pass hier Verbesserungen
für die Kundschaft? Bernd Nagel:
«Zur Einführung 2015 ändert
sich hierbei nichts. Wir sind jetzt
an der Planung und Prüfung, wie
und wann wir Online-Verkäufe
auf den Swiss Pass referenzieren
können. Das gilt auch für eine
Abbildung des Swiss Pass im
Smartphone.» Das wird wesentliche Vereinfachungen bringen,
ein Einführungstermin steht
aber noch nicht fest.
Angst vor Datenmissbrauch
Werden wir mit dem Swiss Pass
«gläserne Menschen», deren Zugreisen, Bewegungen und Gewohnheiten aufgezeichnet werden? Solche Befürchtungen
wurden vor allem in der WestVCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2015
schweiz laut. Ueli Stückelberger beruhigt: «Die Karte zeichnet keinerlei Bewegungs- oder
Ortungsprofi l auf und wird auch
nicht für Marketingzwecke verwendet.» Nach 90 Tagen würden die Daten, die der Zugbegleiter im Zug erhoben hat, gelöscht.
«Bis dahin behalten wir sie. Das
ist wichtig, etwa wenn jemand
schwarzfährt.» Auch der Eidgenössische Datenschutzbeauft ragte Hanspeter Thür sieht im Swiss
Pass, wie er heute ausgestaltet ist,
keine Gefahr.
Momentan sind die SBB,
Mobility, Publibike und eine
wachsende Zahl Skigebiete in
den Swiss Pass integriert. Damit fallen schon einige Karten
weg, die mobile ÖV-Kundinnen
und -Kunden heute mit sich herumtragen. Ab 2016 sollen erste
Verbundabonnemente
folgen,
der Grossraum Lausanne–Genf
macht den Anfang. Ab 2020
soll es möglich sein, Tageskarten oder Einzelbillette via Swiss
Pass zu lösen. «Als wir den Swiss
Pass vorstellten, waren wir auf
die Frage gefasst, warum wir
nicht schneller in Richtung ETicketing vorwärts machen»,
gesteht Stückelberger. «Doch das
Gegenteil war der Fall: Die wenigen Neuerungen standen im
Fokus.» Technisch sei heute fast
alles möglich. «Aber wir dürfen
die Leute nicht überrollen. Sonst
führt das zum Kollaps eines
heute gut funktionierenden Systems.»
17
Sehr gefallen hat mir der
Artikel zum Swiss Pass –
sein Nutzen und seine
Schwächen sind auf den
Punkt gebracht. Nach
der ganzen Datenschutzpolemik tut der sachliche
Ton gut.
Ruedi Eichenberger,
Herzogenbuchsee
Die Aussage von Ueli Stückelberger «die Karte (...) wird auch nicht
für Marketingzwecke verwendet» ist falsch. Wir haben gerade einen
Swiss Pass erhalten, in der Begleitbroschüre steht im Kapitel Datenschutz: «Ohne Ihren ausdrücklichen Einwand verwenden wir die
ausgewerteten Daten unter Einhaltung des Schweizer Datenschutzgesetzes auch für Marketingzwecke. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, uns die Erlaubnis zur personalisierten Datenbearbeitung
zu Marketingzwecken zu entziehen.» Dazu muss ein Mail an die
Swiss-Pass-Kontaktadresse gesendet werden. Immerhin bekam ich
umgehend die Antwort, dass die Datenbank entsprechend angepasst
Raimund Sigrist, Einsiedeln
wurde.
ANSICHTEN
er öffentliche Verkehr ist das zentrale Element in der Strategie der
Destinationsmanagement-Organisation
Tourismus Engadin Scuol Samnaun Val
Müstair. Seit 2012 können unsere Gäste von 444 bedienten Bahnhöfen der
Schweiz aus ihr Gepäck direkt ins Hotel
oder in die Ferienwohnung und retour
Urs Wohler ist Direktor der
transportieren lassen. Das ist im norWintersportdestination
malen Gepäcktransporttarif inbegriffen.
Scuol Samnaun Val Müstair.
Für den klimaneutralen Nationalpark
Bike-Marathon gibt es ein Mitfahrangebot, damit wir die Anreisen per Auto
reduzieren können. In Scuol und Samnaun verkehren mehrmals pro Stunde Gratisbusse. Die Tourismusorganisation gibt saisonal einen Taschenfahrplan
mit allen Verbindungen des öffentlichen Verkehrs in der
Nationalparkregion heraus. Das Gästeprogramm ist auf die
Abfahrtszeiten des öffentlichen Verkehrs (ÖV) abgestimmt.
17 Hotels der Ferienregion Engadin Scuol bieten den ÖV im
Sommer inklusive an; in Samnaun gibt es für alle übernachtenden Gäste eine «Alles inklusive»-Gästekarte. In Scuol
ist das Fussgängerleitsystem mit Distanzangaben versehen. Auf unserer Website haben die Angaben zu Reisen
mit dem ÖV Priorität. Die Fussgängerverbindung zwischen
dem Bahnhof Scuol und den Bergbahnen und die Hauptzubringer in die Wander- und Skigebiete sind rollstuhlgängig und kinderwagenfreundlich. Für Skifahrerinnen und
Skifahrer, die mit der Rhätischen Bahn anreisen und eine
Tageskarte der Bergbahnen kaufen, kostet die Bahnfahrt
nur einen Franken. In Scuol und Ftan sind die Parkplätze
an den Bergbahn-Talstationen kostenpflichtig (beziehungsweise nur mit Konsumnachweis gratis), in Samnaun sind sie
kostenlos. Jedes Jahr werden die Fahrpläne in der Nationalparkregion weiter verdichtet.
Was ich damit sagen will: Als Winterdestination kann man
vieles erreichen, wenn man will. Wir wurden deshalb 2013
vom VCS als besonders «mobiler & ökologischer» Wintersportort ausgezeichnet, und 2014 erhielt Scuol den FLUX,
einen Preis für das beste ÖV-System in einem Bergferienort. Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft mehr Konkurrenz
von anderen Winterdestinationen erhalten!
N
ein, die Wintersportorte tun nicht
genug für Gäste, die ohne Auto
anreisen. Aber die Kritik ist immer
kontextabhängig. So hängt etwa die
Anbindung der Destinationen an den öffentlichen Verkehr von internationalen,
nationalen oder kantonalen Akteuren ab.
Ob man von Paris ohne Umsteigen nach
Interlaken reisen kann, liegt nicht in der Mila Trombitas ist Leiterin
Kompetenz von Interlaken Tourismus. des Studiengangs Tourismus
Hingegen kann jeder Tourismusverein an der Hes-so Wallis.
das bestehende Angebot des öffentlichen Verkehrs offensiver vermarkten
und in Zusammenarbeit mit den Gemeinden zusätzliche ÖV-Angebote fördern. Eine einfache, aber oft
vernachlässigte Massnahme ist eine auf den öffentlichen
Verkehr ausgerichtete Kommunikation der Destinationen
und die Schulung der Mitarbeitenden des Tourismusvereins
zum ÖV-Angebot. Allzu häufig wird das weltweit einmalige Schweizer Grundangebot des öffentlichen Verkehrs mit
seinen attraktiven Wegen zu Land, Wasser und in der Luft
zu wenig offensiv vermarktet. Die Schweiz könnte sich als
nachhaltigstes Reiseland der Welt vermarkten!
Eines der grössten Hindernisse für die Anreise mit dem öffentlichen Verkehr, speziell im Winter, ist der Gepäcktransport vom Zielbahnhof zum Feriendomizil. In der Schweiz
bietet nur die Destination Scuol Samnaun Val Müstair die
Möglichkeit, das Gepäck ohne Aufpreis bis zum Feriendomizil transportieren zu lassen. Weitere positive Initiativen zur
Förderung des öffentlichen Verkehrs sind, besonders in der
Wintersaison, Gratis-Skibusse (Val D’Anniviers) oder die
Gratisnutzung des ÖV mittels Gästekarten (Grindelwald,
Davos, Saaser Tal). In Verbier verkehrt in der Wintersaison
bis Mitternacht ein «Bus apéritif et restaurant»; Laax stellt
Nachtschwärmern einen Rufbus zu moderaten Preisen zur
Verfügung, der die Region Lenzerheide, Malix, Lantsch/
Lenz bedient. Diese kurze Aufzählung zeigt: Es gibt gute
Initiativen in den Winterdestinationen. Sie gilt es, zu multiplizieren. Das Know-how dazu ist vorhanden. Ein ganzjährig
in allen Tourismusregionen auf die Bedürfnisse der Gäste
ausgerichtetes ÖV-Angebot anzubieten, muss über die Initiativen der regionalen Akteure ein strategisches Ziel des
Tourismuslandes Schweiz sein.
© zvg
D
1 THEMA 2 MEINUNGEN
© zvg
Tun die Winterdestinationen genug für Gäste ohne Auto?
Tun die Winterdestinationen genug für
die Anreise und den Aufenthalt ohne Auto?
Stimmen Sie ab: www.verkehrsclub.ch/voting
VCS MAGAZIN 5/15
35
ANSICHTEN
Von Josef Hochstrasser
1937 trat Josef Hochstrasser aus dem luzernischen Sursee die Reise
nach Peking an. Über seine Abenteuer berichtete der Missionar
damals in der «Wiener Zeitung». Das VCS-Magazin veröffentlicht
einige Auszüge der mehrteiligen Serie.
Langer Weg ins Reich der Mitte
13. August 1937:
Die Fahrt nach Innsbruck war fein. Der herrliche Zuger- und Zürichsee zeigten sich mir
noch einmal, vielleicht zum letzten Mal, in
ihren schönsten Farben. Es freute mich, in
Buchs noch einen Surseer zu treffen: ein letzter Gruss aus der Heimat. Nach kurzem Aufenthalt in Innsbruck ging’s gegen Wien, gut
neun Stunden ununterbrochen Schnellzug!
Genua, 20. August 1937:
Heute Abfahrtstag! Um elf Uhr hiess es an
Bord sein. Auf dem Schiff zeigte man uns
gleich den Weg zu unsern Kabinen. Zuerst
mussten wir drei Stock tiefer steigen, dann
um ein paar Ecken und schon waren wir
«daheim». Zum Auspacken hatten wir aber
keine Zeit. Unser Zimmersteward rief uns.
Er wollte uns kurz die hauptsächlichen Räume der Touristenabteilung zeigen. Zuerst
den Speisesaal, dann den Rauchsalon, der
auch als Unterhaltungsraum dient (Schach,
Domino, etc. etc.), Promenadendeck, das
Schwimmbad usw. Jetzt bekamen wir noch
die Platzkarten für den Speisesaal. Es war
denn auch bereits Zeit geworden zum Essen. Ein Trompeter gab an allen Ecken das
Zeichen dazu. Wir fuhren der Küste Italiens
entlang. So gegen zehn Uhr abends entdeckten wir an der Küste ein grosses Feuer. Als
wir näher kamen, sahen wir immer deutlicher, dass es ein gewaltiger Waldbrand war.
Schon in dieser Nacht konnte ich sehr gut
schlafen, auch wenn noch ein anderer über
mir lag. Einer aber hatte die ganze Zeit noch
herum zu knurren. Ich glaube, er entdeckte
Ameisen und andere – – –. Wie ich hörte,
sind solche «Dinge» in einem Schiff auf die
Dauer nicht zu vermeiden. Aber man gewöhnt sich mit der Zeit an alles. Als wir am
Stromboli vorbeifuhren, geruhte er gerade
ein wenig zu speien. Die Lava floss bis ans
Meer und verschwand da zischend und brodelnd im Wasser. In der Strasse von Messina
36
VCS MAGAZIN 5/15
begegneten uns mehrere Schiffe. Die Küste
bietet hier nichts Besonderes. Ein Gerüst mit
grossen Lettern: «Duce» zeugte vom kürzlichen Besuche Mussolinis.
Port Said, 22. August 1937:
Heute etwa zwei Uhr nachmittags kamen
wir hier an. Bei der Einfahrt spielte wieder
die Musik. Das Denkmal Lesseps’, des Erbauers des Suezkanals, steht nahe am Strand.
Das zweite Sehenswerte war das nun beginnende asiatische Leben und Treiben der Leute. Kaum waren wir im Hafen angelangt, da
umgab unser Schiff schon eine ganze Reihe
Schwimmer. Sie schrien uns zu und deuteten, wir sollten Geldstücke hinunterwerfen.
Ihrem Wunsche kam man bald nach. Inzwischen erschienen an Deck viele Händler
und andere, die irgendwie etwas zu gewinnen hofften. Fast alle trugen einen Fez oder
einen Turban.
30. August 1937:
Immer heisser wurde es jetzt, je weiter wir
ins Rote Meer hineinkamen. Wir waren daher sehr froh, als man uns eine Zeit für das
Schwimmbad reservierte, in der Frühe, wo
andere Leute noch in den Federn liegen. Am
Morgen ist das Wasser noch einigermassen
frisch. Es wird gerade vorher aus dem Meer
hereingepumpt: Salzwasser! Bis sechs Uhr
müssen wir aber schon aus dem Bad heraus sein. Denn dann lässt sich als erste eine
Dame blicken und da ziehen wir es vor, den
Platz zu räumen … Das Rote Meer ist ziemlich lang. Wir brauchten zwei volle Tage zum
Hindurchfahren. Dann dauerte es noch gut
fünf Tage bis Colombo.
Als wir aus dem Golf von Aden ins offene
Meer hinausfuhren, wurde es etwas unruhig.
Beim Essen konnte man gleich «Lücken» sehen. – Seekrankheit! Auch von den Unsrigen
erschienen zwei nicht. Ein Dritter hat sich
gerade noch rechtzeitig mit Likör zu retten
gewusst. Diese stürmische Periode hatte aber
auch ihr Schönes. Am Bug spritzte das Wasser
öfter wohl bis zu zehn Meter in die Höhe. Die
Wellen hätte ich mir aber doch noch etwas
grösser vorgestellt. Ein Offizier sagte freilich,
das sei auch noch kein eigentlicher Sturm,
sondern nur eine gute Brise.
Das Schönste und Eigenartigste in dieser Zeit
waren aber die fliegenden Fische; bis
40 oder 50 Meter
weit fliegen sie und
glitzern wie Silber.
Zwei flogen auch auf
Deck. Da sahen wir,
dass sie wirklich richtige
Flügel haben.
Heute bringt die Bordzeitung (eigene Druckerei auf
dem Schiff!) die überraschende,
für manche wohl unangenehme
Neuigkeit: «Shanghai ist von
Flüchtlingen überfüllt … Landung abgesagt! Unsere Reisenden werden deshalb gebeten, im
Zahlmeisterbureau anzugeben,
in welchem Hafen sie zu landen
beabsichtigen.» – Also unser
Reiseplan ist bereits ins Wasser
gefallen. Was nun? Nach schwerem Kriegsrat entschliessen wir
uns, unseren Obern in China
ein Radiogramm zu senden.
Sie können sich leichter über
die Möglichkeiten orientieren,
sie mögen daher entscheiden.
Inzwischen setzen wir unsere
Reise fort.
Der Missionar Josef Hochstrasser
reiste «eine kleine Strecke mit
einer echt chinesischen Dschunke».
ANSICHTEN
Colombo, 30. August 1937:
Nach dem «Zobig» fuhren wir mit Taxi in
der Stadt herum. Die Männer trugen einen
Rock oder hatten sich, echt orientalisch, ein
grosses Tuch umgebunden, gerade wie man
es auf Bildern etwa sieht. Die Haut der Eingeborenen hat einen eigenen Glanz und ist
hellschwarz. Am eigenartigsten aber ist wohl
die Haartracht der Männer. Sie tragen nämlich ein «Huppi», das mit einem schönen,
runden Kamm zusammengehalten wird. –
Nach etwa zweieinhalb Stunden Fahrt mussten wir so viel bezahlen wie vorher für die
fünf Minuten zum Colleg.
Singapur, 3. September 1937:
Wieder ein ganz anderer Menschenschlag als
in Colombo. Schon die Hüte, welche die Leute tragen, sind charakteristisch, gerade wie
Pyramiden. Mit anderen Worten: Hier trafen
wir zum ersten Mal
heimische Chinesen. Da wir hier
keine Bekannten
hatten, durchstreif-
ten wir vorerst auf eigene Faust die Stadt. Es
begann zu regnen, doch wir zogen trotzdem
weiter. Die Leute schauten uns zwar verwundert an. Sie schienen es gar nicht für möglich
zu halten, dass Europäer zu Fuss gehen, gar
bei diesem Wetter. Immer wieder eilten Rikscha-Zieher auf uns zu und offerierten uns ihr
Gefährt. Polizisten, die wir nach dem botanischen Garten fragten, konnten uns keinen Bescheid geben. Ihre Sprachkenntnisse gingen
nicht über das Chinesische hinaus.
Manila, 7. September 1937:
Von zwei Patres, die wir von Österreich her
kannten, wurden wir abgeholt. Trotz des Regens besahen wir uns nachmittags die Stadt,
und zwar im Auto. Einige Strassen waren
ganz überschwemmt. Aber der Chauffeur
schien das gewohnt zu sein. Er sauste mit uns
einfach geradeaus, mitten ins Wasser hinein,
mit 50 bis 60 Kilometer Geschwindigkeit. Es
spritzte nur so auf, oft so hoch wie das Auto
selbst. Die Stadt selbst ist eine wie viele andere. Nur dass fast keine Häuser sind mit mehr
als zwei Stockwerken. Erdbebengefahr!
Antipolo liegt etwas ausserhalb der Stadt.
Der Gegensatz von Stadt und Land macht
sich da krass bemerkbar. Auf einmal hören
die Steinhäuser auf, man sieht nur noch –
Pfahlbauten! Ganz elende Hütten, auf Pfählen, etwa zwei Meter über dem Boden. Man
darf aber nicht meinen, die Leute in diesen
elenden Hütten fühlen sich so elend. Nicht gar
so selten sieht man unter der Hütte ein ganz
feines Auto stehen. Auf dieser Fahrt bekamen
wir zum ersten Mal Reisfelder zu sehen. Die
Kühe, «Wasserbüffel» auf den Feldern waren
nicht gerade eine gute Schweizerrasse. Eigenartig, die Tiere gehorchen nur den Eingeborenen, sogar den Kindern. Von den Europäern
lassen sie sich nichts befehlen.
11. September 1937:
Wie schnell man sich doch ans Reisen gewöhnt! Manila–Hongkong schien uns nur
noch ein kleiner Sprung zu sein. Es dauerte
ja auch nur zwei Nächte und einen Tag. Gerade genug, dass wir unsere Sachen zusammenpacken konnten. Denn in Hongkong
mussten wir die «Scharnhorst» verlassen.
© Karsten Müller
VCS MAGAZIN 5/15
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© www.worldwarphotos.info
ANSICHTEN
Die Überfahrt fand auf der «Scharnhorst» statt, einem Panzerkreuzer
aus dem Ersten Weltkrieg.
Nach dem ersten Plan war Shanghai unser
Ziel. Doch schon in Colombo teilte man uns
mit, Shanghai werde gerade bombardiert.
Durch Radiogramm konnten wir von unseren Obern in China eine neue Bestimmung
erhalten: Tientsin. Wir werden nun also von
Hongkong aus irgendwie dorthin zu gelangen suchen, wie, wissen wir noch nicht.
Hier in China sind alle Hafenstädte, die
nur irgendwie eine Bedeutung haben, Grossstädte. Zu Fuss kommt man darum hier
nicht weit. Vorerst steigen wir in ein Motorboot. Hongkong ist ja eine Inselstadt! Auf der
andern Insel fuhren wir mit Taxi noch über
eine Stunde bergauf, bergab. Dann noch eine
kleine Strecke mit einer echt chinesischen
Dschunke. Sie wurde von einer alten Frau
geführt. Das Ruder ist hinten, wo sonst das
Steuer ist. Durch hin- und herbewegen dieses einen Ruders wird das Gondelchen vorwärtsgetrieben. Dabei pendelt die Spitze des
Bootes hin und her. Trotz der Arbeit hatte
die Frau auf ihrem Rücken noch ein kleines
Kind. Dessen Köpfchen baumelte im Rudertakt lustig hin und her.
Hongkong, 17. September 1937:
Noch kurz eine Orientierung! Wir fahren
nach Japan! Ihr werdet staunen. Wir selbst
vernahmen es erst vor einer Stunde. Es kam
so: Wir meldeten uns für «direkte» Fahrt
nach Tientsin mit der «Franken», so heisst
unser «neues» Schiff (das heisst, es ist ein alter ausrangierter Lastdampfer!). Heute nun
berichtet man uns auf einmal, der Kurs sei
geändert worden. Statt direkt, über Japan,
nach Tientsin.
Zirka am 21. September kamen wir in die
Nähe von Kobe. Aber wir konnten noch nicht
in den Hafen einlaufen. Zuerst musste eine
ziemlich strenge ärztliche Untersuchung vorgenommen werden. Schon in Hongkong und
Shanghai war nämlich die Cholera ausgebrochen, und man fürchtete nun, sie könnte auch
nach Japan verschleppt werden. Man begnüg-
38
VCS MAGAZIN 5/15
te sich daher für die Untersuchung nicht bloss
mit dem allgemein üblichen Arztbesuch des
Schiffes. Bereits am Tage vor unserer Ankunft erhielt jeder Passagier, und selbst jeder
Matrose, ein kleines, rundes Papierschächtelchen, auf dem der Name des glücklichen Besitzers stand. Jeder hatte nun die Aufgabe, in
dieses Schächtelchen etwas hineinzutun, das
bewies, dass er nicht angesteckt sei. Bis zum
nächsten Morgen mussten alle Dosen wieder
abgegeben werden. Es ging alles gut. Sonst
wäre es freilich peinlich geworden. Denn bei
auch nur einem zweifelhaften Fall hätte das
ganze Schiff nicht landen dürfen, auch an andern Orten nicht.
Schon in Colombo teilte
man uns mit, Shanghai
werde gerade bombardiert.
Bei strömendem Regen kamen wir am
Abend wieder in Yokohama an, und am
nächsten Tag begann der letzte grössere Abschnitt unserer Seereise, vom 28. September
bis 2. Oktober nach Dairen. Landschaftlich
war dieser Teil der «Seereise» vielleicht der
schönste. Vorerst fuhren wir wieder nach
Kobe, aber dann ohne anzuhalten durch die
vielen Inseln hindurch auf Korea zu. In dieser
Meerenge begegneten uns immer häufiger japanische Militärtransport-Schiffe. Wir konnten also merken, dass wir uns dem Kriegsgebiet wieder näherten. Eine Art «Vor dem
Gewitter»-Stimmung erfasste die Gemüter.
Eben in solche dunkle Gedanken versunken,
standen wir einmal am Bug. Es war eine todfinstere Nacht, man sah nur Wasser. Da, auf
einmal taucht in der Ferne ein Lichtlein auf,
dann noch eins, wieder eins. Plötzlich sind
sie verschwunden. Jetzt tauchte es wieder
auf, eine ganze Reihe, in Schwarmlinie, wie
gemacht, um ja jedes nahende Schiff zu erwischen. Zwei der Lichter kamen direkt auf
uns zu. Schon waren sie an 20 bis 30 Meter
genaht, da bogen sie ab. In etwa zehn Meter
Abstand fuhren wir langsam vorbei. Jetzt
entdeckten wir, dass wir nicht nur dieses
Licht passiert hatten, sondern dass schon die
ganze Linie weitergewandert war. Man liess
uns also durch, und sogar ohne Anhalten.
Am nächsten Morgen bot sich unseren
Augen ein überraschend schönes Landschaftsbild. Ringsum bewaldete Berge und
grüne Hänge. In der Ferne entdeckten wir sogar ein paar Schneeberge. Den Abschluss der
schönen Strecke bildete ein Kanal. Das Meer
ist da nur noch etwa 200 Meter breit. Baggermaschinen arbeiten beständig, um den Weg
für die grossen Dampfer frei zu halten. Wie
durch ein Tor zogen wir zwischen mächtigen
Felsenriffen hindurch, und dann lag auf einmal wieder das weite unbegrenzte Weltmeer
vor uns. Ein wunderbarer Anblick. Man fühlt
einen Drang, mit frischem, kühnem Mut
hinauszusegeln in unbekannte Weiten.
Am 2. Oktober kamen wir in Dairen an,
das heisst wenigstens in der Nähe davon. Der
Hafen war von Schiffen überfüllt (Krieg!),
und so konnten wir nicht einfahren, sondern mussten mehr als einen ganzen Tag
draussen warten. Es kamen auch keine
Boote heraus, weil das Meer zu unruhig
war. Wie wir endlich eingelassen wurden, begann das Warten von Neuem,
wenigstens für den Kapitän. Er konnte weder ein- noch ausladen, weil alles
überbeschäftigt war. Nun, den Matrosen
hat das einmal einen freien Tag gebracht,
und uns hat es auch nicht geschadet, wir
konnten uns in diesen sieben Tagen Aufenthalt die Gegend umso besser anschauen.
Wir waren froh, am 9. Oktober endlich
abfahren zu können, in der Hoffnung, schon
am nächsten Tag irgendwie an unser Ziel zu
gelangen, nach Tientsin, das ja sozusagen die
Hafenstadt Pekings ist. Einen Tag dauerte
unsere Fahrt von Dairen nach China.
Es wurde Mittag, bis das Personenboot erschien. Endgültig hiess es nun Abschied nehmen. Alle Passagiere kamen, uns nochmals
zu sehen, auch die Stewards und der Obersteward. Selbst der Kapitän drückte jedem einzelnen die Hand, und als wir schon davonfuhren, winkte er uns wie die Passagiere noch
lange mit dem Taschentuch nach, bis man
voneinander überhaupt nichts mehr sah.
Danke an Georges Hochstrasser für das Manuskript.
ANSICHTEN
Emil Steinberger
«Bei uns gab es noch keine Ampeln»
«A
ls Kind wohnte ich im Luzerner
Hirschmattquartier. Mein Schulweg begann so: Ich kam aus dem Moosmattschulhaus
heraus, und vis-à-vis war eine Bäckerei. Das war
die erste Versuchung – ein Mutschli oder einen Nussgipfel zu holen, wenn ich ein
paar Batzen im Hosensack hatte. Nach
der Bäckerei kam der Bahnübergang.
Eine Frau liess von Hand die Barriere
herunter, einmal pro Stunde, immer
dann, wenn der Zug vorbeifuhr, oft
mit Dampfloki. Das war ein wichtiger Posten, denn ohne sie wären
doch der Zug und die Autos zusammengestossen! Die Frau hatte ein
kleines Barrierewärter-Häuschen,
in dem sie auf den nächsten Zug
wartete. Dann kam auf der rechten
Seite das Pfarrhaus, daneben das
Paulusheim. Das war für mich ein
wichtiger Ort, weil ich dort das erste
Mal Theater spielen konnte. Vor dem
Paulusheim hingen die Schaukästen
von Jungwacht und Pfadi, und auf dem
Heimweg schauten wir immer, ob es neue
Meldungen gibt. Weiter folgte der Rosshändler, der den Käufern die Pferde vorführte. Die Rösser galoppierten die Strasse
rauf und runter, das war für uns manchmal
fast ein bisschen ‹gfürchig›. Die Bauern und
der Pferdehändler standen hemdsärmelig da,
einen Stumpen im Mund. Auf meinem Schulweg hatte es auch eine Papeterie, wo ich gerne schaute, was es Neues an Papier und Stiften
gibt. Links ein Restaurant, wo ich für meine Eltern auf dem Heimweg eine Flasche Bier besorgen musste. Den Geruch nach Hopfen an den
Händen mochte ich nicht. Ich finde Bier seitdem ein furchtbares Getränk. Ebenfalls erinnere ich mich an einen Hafner in einer alten Hütte, der alte Kachelöfen zusammenbaute. Vor dem
kleinen, russgeschwärzten Männlein hatten wir
ein wenig Angst, und wir liefen fort, wenn er
aus dem Haus kam. Trotzdem gingen wir immer wieder in
die Nähe der Hütte.
In meinem Wohnquartier hatte es viel Grün zwischen
den Häusern, und in der Mitte einen asphaltierten
Platz, wo wir Ball spielen durften. Aber: Wenn
der Ball im Rasen landete, wagten wir nicht,
ihn zu holen, denn da war auf einer Tafel zu
lesen ‹Rasen betreten verboten›. Ein Abwart
rief sofort aus dem Fenster im dritten Stock,
er komme gleich mit dem Messer herunter und zerschneide uns den Ball. Heute
ist das glücklicherweise anders, oder
nicht? Es gab aber immer freche Buben,
die es trotzdem wagten, den Ball zu holen.
Ich gehörte nicht dazu. Ich war ein braver
Schüler, und wenn ich mit dem Lehrer
nach Hause laufen durfte, fühlte ich mich
ganz speziell! Wenn ein Lehrer aber zu
spät in die Klasse kam – Schulkonferenz,
hiess es immer – spielte ich an seinem Platz
vor der Klasse einen Zügelmann, der sein
Pult abtransportiert, oder machte andere Faxen. Der Lehrer aber hatte die Tür schon wieder einen Spalt geöffnet und beobachtete mich.
Als Strafe musste ich zweimal am Mittwochnachmittag nachsitzen.
Damals war es auf dem Schulweg noch sehr
ruhig. Heute ist alles viel nervöser, überall hängen
Werbeplakate. Als ich klein war, gab es zudem ganz
wenig Verkehr. Wir konnten über die Strasse laufen,
wie wir wollten. Wir waren noch nicht so eingeengt
wie ihr heute, und wir mussten nicht bei Rot anhalten – es gab noch gar keine Ampeln. Da verliert man
doch eine Minute, wenn man an einer Ampel warten
muss! Wir aber gingen zeitlich immer ganz knapp
von zu Hause los. Ob wir die Erwachsenen auf dem
Schulweg gegrüsst haben? Nein. Also, auf dem Land
sagt man einander schon Grüezi, aber in der Stadt
eigentlich nicht. Ja, der Schulweg. Bei uns war es so, dass
immer einer während dreier Tage eine Fortsetzungsgeschichte erzählen musste. Die musste man sich selber
ausdenken. Und was erzählt ihr euch so?»
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Stefanie Stäuble
Der Kabarettist Emil erinnert sich bis heute gerne an seinen Schulweg – obwohl dies mehr als sieben
Jahrzehnte her ist. Während der «walk to school»-Wochen besuchte er in Luzern eine Schulklasse.
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n Genf sprechen die Benutzerinnen und Benutzer des öffentlichen Verkehrs in letzter
Zeit öfter von «TOSA». TOSA?
Ein Trolleybus mit optimiertem Stromversorgungssystem.
Das Projekt dieses bahnbrechenden Stadtbusses wurde 2013 vom
Gründerzentrum Cleantech des
Kantons Genf lanciert. Drei Firmen sind in einem Konsortium vereinigt: Die ABB-Sécheron
für die Technologie, die Services Electriques de Genève/SIG als
Elektrizitätsunternehmen und
die Transports publics genevois
(TPG) als ÖV-Anbieterin. Das
Büro für Industrie- und Technologieförderung (OPI) führt
die Geschäfte. Für die TPG geht
es darum herauszufinden, ob ein
solcher Elektrobus einen Teil der
400 Fahrzeuge ersetzen könnte, von denen mehr als die Hälfte mit einem lauten, in die Jahre
gekommenen Dieselmotor ausgestattet ist. Von Mai 2013 bis März
2014 kurvte deshalb ein Prototyp
dieses 100 Prozent elektrisch angetriebenen Busses durch Genf.
CO2 und Lärm senken
Elektrische Trolleybusse sind
leise und umweltschonend und
daher eine gute Alternative zu
Dieselbussen. Doch meist funktionieren sie nur mit einer Fahrleitung, die störanfällig sein kann.
Etwas Neues musste her! Dafür
wurden die neuesten Technologien aus Verbrennungsmotoren
und Elektrobatterien eingesetzt,
«um einen Bus zu bauen, der
die übliche Zahl an Passagieren
transportieren kann, ohne Lärm,
mit normaler Geschwindigkeit
und in Strassen ohne Fahrleitungen. Mit einem solchen Bus
könnten die Belastungen durch
Dieselmotoren gesenkt werden,
und wir hätten die Möglichkeit, auf neue Strecken auszuweichen», erklärt Philippe Maguire
vom OPI.
TOSA wurde mit Fahrgästen
im Stadtverkehr getestet. Die Resultate waren durchwegs positiv.
Zudem setzen die TPG erneuerbare Energien ein – sie kaufen bei
der SIG «vitale bleue»-Strom aus
100 Prozent Wasserkraft.
Nach den vielversprechenden
Tests hat der Kanton beschlossen, TOSA versuchsweise einzuführen: auf der Linie 23 der TPG.
«Die Linie dürfte im Dezember
2016 mit mehreren Fahrzeugen
auf einer zwölf Kilometer langen
Strecke in Betrieb gehen», sagt
Stéphanie Thomé von den TPG.
© zvg
Der TOSA-Bus wartet mit einer technologischen Innovation auf: Die Batterien
dieses Elektrobusses, der keine Fahrleitung braucht, laden sich beim Halten in
gerade mal 15 Sekunden auf!
«Made in Switzerland»: Dank TOSA könnte die Elektromobilität im öffentlichen
Verkehr den Durchbruch schaffen.
Der Grosse Rat wird in Kürze
über den Kredit befinden. Umso
erfreulicher, dass das Bundesamt
für Energie bereits Subventionen
in der Höhe von 3,4 Millionen
Franken für das zukunftsträchtige Projekt zugesichert hat.
Aufladezeit 15 Sekunden
Die Batterien laden sich auf, während die Leute ein- und aussteigen.
Dabei verbindet sich ein ausziehbarer Arm vom Dach des Unterstands
der Haltestelle automatisch mit den kleinen Batterien auf dem Dach des
TOSA-Busses und lädt sie in einer Rekordzeit von 15 Sekunden auf. Mit
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Tel. 055 640 34 21
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Tel. 081 250 67 22
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OW/NW : www.vcs-ownw.ch
Tel. 079 8366011
SG/AI/AR : www.vcs-sgap.ch
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SH : www.vcs-sh.ch
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unser gesuchter Mann aus La Chauxde-Fonds. Er war ein Weihnachtskind, geboren am 25. Dezember. Sein Vater war Uhrmacher. Hatte er vielleicht deshalb ein «goldenes
Händchen»? Seines setzte aber keine Uhren,
sondern Motoren zusammen. Ab seinem elften Lebensjahr soll er bereits als Mechaniker
gearbeitet haben. Um 1893 habe er zum ersten
Mal ein Automobil erblickt, was seinen Werdegang prägte und seine Leidenschaft für den
Rennsport entbrennen liess. Er habe ein «Leben auf der Überholspur» geführt, schreibt
einer seiner Biografen. Damals, Ende des 19.
Jahrhunderts, sahen Rennfahrer aber noch
ganz anders aus als heute. Sie trugen bloss
eine Lederkappe und eine Brille gegen den
Fahrtwind, denn die Autos waren offen.
Schade, ist er ausgewandert. Sonst könnte
sich die Schweiz brüsten, ein wichtiges Kapitel Autogeschichte geschrieben zu haben.
Doch leider verliess er unser Land, zuerst
Richtung Montreal, um nur ein Jahr später
nach New York überzusiedeln, wo er eine
«Celebrity» wurde. Er arbeitete bei Fiat und
fuhr auch Rennen mit Autos der Marke. 1907
wechselte er zu Buick, wo er zwei Jobs hatte:
Konstrukteur und Leiter der Rennsportabteilung. Seine berühmte Automarke gründete
er 1911, Geldgeber war der Financier W.C.
Durant. Nach ihrer Trennung nur zwei Jahre später ging die Marke an Durant über.
1921 rief unser gesuchter Mann erneut eine
Automanufaktur ins Leben, doch diese machte leider während der Weltwirtschaftskrise
Pleite. In den Dreissigerjahren musste er wieder als Mechaniker unter die Autos kriechen,
bei seiner eigenen ehemaligen Firma!
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Preis pro Person
ab CHF 805
8 Tage/7 Nächte ab/bis Schneverdingen
Anreise täglich vom 1.1. bis 31.10.2016
Infos: www.via-verde-reisen.ch
Beratung und Anmeldung: Tel. 0848 823 823 – www.via-verde-reisen.ch/anmeldung
Zusätzliche Angebote und Informationen finden Sie unter www.via-verde-reisen.ch
Velo-Kleingruppenreise
«Urwald und Wisente»
Polen/Bialowieza-Urwald
Vom einstigen Urwald, der weite Teile Europas bedeckte, ist
nur der Bialowieza-Nationalpark in Nordostpolen übrig
geblieben. Die unberührte Natur erkunden Sie in kleinen
Gruppen, geführt von lokalen Guides. Gespräche mit kreativen Menschen vor Ort, mit Aussteigern und lokalen Künstlern bereichern die Tour.
Preis pro Person
ab CHF 1920
10 Tage/9 Nächte ab/bis Schweiz (mit Bahnreise)
5 Reisedaten: Mai, Juni, Juli, August und September 2016
Infos: www.via-verde-reisen.ch
Mallorca Finca-Wandern
Spanien/Mallorca
Sie werden begeistert sein: eine Wanderwoche entlang
wunderschönster Wanderrouten, auf einsamen Wegen,
inmitten herrlich abwechslungsreicher Natur. Stilvolle und
lauschige Finca-Hotels bürgen für entspannende Nächte, in
deren üppigen Gärten mit Pool und heimeligen Ecken können
Sie so richtig die Seele baumeln lassen. Abends geniessen
Sie typisch mallorquinische Küche in gemütlicher
Atmosphäre. Diese Wanderreise spiegelt den Facettenreichtum der Sonneninsel perfekt wieder.
Preis pro Person
ab CHF 899 (ohne An- und Rückreise)
7 Tage/6 Nächte ab Pollença bis Sóller
Anreise samstags vom 27.2. bis 18.6./3.9. bis 29.10.2016
Infos: www.via-verde-reisen.ch
WeitWandern
Geführte Wanderungen, Schneeschuh- und Skitouren
Schneeschuhtouren
29.12. – 1.1.16
Silvester/Neujahr in Wergenstein
30.12. – 3.1.16
Silvester/Neujahr im Schächental
31.12. – 3.1.16
Silvester/Neujahr im Parc Jura Vaudois
1.1. – 3.1.16
Neujahrstage Melchsee-Frutt – Tannalp
7.2. – 12.2.16
Schneeschuhwoche Savognin – Alp Flix
14.2. – 19.2.16
Schneeschuhwoche Parco naturale Alpe Devero
21.2. – 27.2.16
Schneeschuhwoche am Reschenpass
Skitouren
2./3.1.16
23./24.1.16
21.2. – 26.2.16
Skitourenkurs 1, Elsigenalp: Tiefschneekurs
Skitourenkurs 2, Kiental: Lawinenkurs
Skitourenwoche Val Müstair
Wanderungen Marokko (mit Bahnreise nach Marrakech)
18.12. – 4.1.16
Dünen und Oasen im Oued Draa
12.2. – 29.2.16
Roter Sand und blaues Gestein im Jebel Zereg
Preise online verfügbar
Infos: www.via-verde-reisen.ch/weitwandern
Preisangaben (nicht gültig für WeitWandern): Basis Erwachsene
Doppelzimmer, inkl. Bahnreise mit Halbtaxabo teilw. exkl. Reservationen. Bei Aktivferien beinhaltet der Preis auch das Mietvelo, Gepäcktransport und Routenbeschrieb. Die detaillierten Informationen
finden Sie online unter www.via-verde-reisen.ch
Partner
Mitglied
Bahnreisen.
Und mehr.
Karpaten-Express
7. - 21. Mai 2016 (15 Tage)
Die schönsten Bahnstrecken Rumäniens und die
legendäre Waldbahn durch das Wassertal erwarten Sie.
Variante mit Donaukreuzfahrt!
Pauschalpreis CHF 2950.–
Bahnleckerbissen in der Auvergne
11. – 18. Juni 2016 (8 Tage)
Wir fahren mit spektakulären Museums- und
Touristenbahnen und reisen über die schönsten
SNCF-Gebirgsstrecken im französischen Zentralmassiv.
Pauschalpreis CHF 1650.–
Naturparadies Slowenien
22. – 26. September und 13. – 17. Oktober 2016 (5 Tage)
Erleben Sie malerische Gebirgslandschaften,
unberührte Flusstäler, Bergseen und Wasserfälle
und eine Fahrt mit dem Dampfzug der Wocheinerbahn.
Pauschalpreis CHF 890.–
Venedig und das Kastanienfest
19. – 24. Oktober 2016 (6 Tage)
Wir besuchen das faszinierende Venedig mit Murano
und Burano und fahren mit dem historischen Dampfzug
zum Kastanienfest in die toskanischen Apenninen.
Pauschalpreis CHF 1240.–
Weitere Bahn-Spezialreisen 2016
Grosse Rundreise durch Spanien und Portugal
14. – 23. April 2016 (10 Tage)
Korsika – Rundreise
23. April – 1. Mai 2016 (9 Tage)
Von der Amalfiküste zu den Tremiti-Inseln
2. – 8. Mai 2016 (7 Tage)
Transkanada mit dem Zug
14. – 27. Juni 2016 (14 Tage)
Dampfzüge, Raddampfer und Kultur
in Dresden
17. – 24. Juni 2016 (8 Tage)
Grosse Skandinavien-Rundreise mit Bahn,
Bus und Schiff
11. – 24. August 2016 (14 Tage)
Auskunft und
Buchungen:
SERVRAIL
Postfach 335
3027 Bern
Tel. 031 311 89 51
info@servrail.ch
www.servrail.ch
Bahnparadies Insel Man und Nordengland
18. – 27. August 2016 (10 Tage)
Ecuador-Peru mit Tren Crucero
und weiteren Zügen
1. – 17. September 2016 (17 Tage)
Bahnleckerbissen
in Ober- und Niederösterreich
29. September – 6. Oktober 2016 (8 Tage)
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