Nord-Ausgabe - RUND
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Nord-Ausgabe - RUND
ROY MAKAAY JENS NOWOTNY MARTIN SONNEBORN STIG TØFTING FETTES BROT BENJAMIN LAUTH CHRISTIAN TIFFERT THOMAS BROICH HANS MEYER JÖRG THADEUSZ TIMO HILDEBRAND CRISTIANO LUCARELLI RUND DAS FUSSBALLMAGAZIN #3 10 2005 RUND DAS FUSSBALLMAGAZIN #3 10 2005 Deutschland 2,80€ Schweiz 5,50sfr Österreich 3,20€ Luxemburg 3,20€ RUND WWW.RUND-MAGAZIN.DE NEU Türkei Gelobtes Land für Toptalente Metzelder „Viele hofften, dass ich scheitere“ Groupies Die Fehltritte der Fußballstars Mertesacker Der Nationalspieler am Lügendetektor Daniel van Buyten Der Catcher der Bundesliga rund1005_Titel 1 08.09.2005 22:05:38 Uhr RUND Einlaufen LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER, seit Jahren betreibt der türkische Fußballverband eines der modernsten Scoutingsysteme im europäischen Nachwuchsbereich. Ein effektives Modell, das mehr denn je Erfolge feiert: Immer wieder bringt das Land zahlreiche talentierte Spieler hervor. Vor wenigen Wochen wurde die türkische U-17-Auswahl Europameister. Gemeinsam mit dem Türkei-Experten Tobias Schächter und dem Berliner Fotografen Özgür Albayrak hat unser Redakteur Christoph Ruf die großen Istanbuler Klubs besucht, unter anderem mit dem Fenerbahçe-Trainer Christoph Daum gesprochen und Erstaunliches über die türkische Ausbildungsphilosophie erfahren. Die Reportage lesen Sie ab Seite 54. Jens Nowotny gilt als eine der kämpferischsten, aber auch tragischsten Figuren im deutschen Profifußball der vergangenen Jahre. Nach seinem vierten Kreuzbandriss kämpft sich der Kapitän von Bayer 04 Leverkusen derzeit wieder an die Bundesliga heran – was vor ihm noch keinem anderen Profi gelang. An Resignation will der 31-Jährige nicht denken. Schafft er erneut den Anschluss? Womöglich sogar rechtzeitig bis zur WM in nächsten Jahr? RUNDAutor Roger Repplinger hat Nowotny einige Stunden beim Reha-Training begleitet. Lesen Sie das Porträt zwischen Hoffnung und Karriereende ab Seite 78. Dass Fußballer als Traumfiguren verehrt werden, ist eine relativ neue Erscheinung, die vorher in der Popmusik und im Film zu beobachten war. Wo Stars sind, warten auch Groupies. Im deutschen Profifußball wissen alle von diesem distanzlosen Verhältnis, doch die wenigsten reden über eines der größten Tabuthemen im Fußball – obwohl vielen jüngeren Profis die Scheinheiligkeit im Männerkosmos Fußball zu schaffen macht. Ab Seite 22 lesen Sie die Ergebnisse einer aufwändigen Recherche, bei der mancher Gesprächspartner sein Wissen nur zögerlich preisgeben wollte. IHRE RUND-REDAKTION RUND 3 rund_003_Editorial 3 07.09.2005 19:32:47 Uhr RUND Aufstellung Inhalt 10 05 TITELBILD DANIEL VAN BUYTEN FOTO AXL JANSEN & NICOLE HARDT AM BALL 08 SCHNELLSCHUSS 14 FELDSALAT 90 22 32 34 36 In Brasilien ist Kindheit und Kicken eins Roy Makaay über die besten 90 Minuten seines Lebens und das härteste Team aller Zeiten Groupies führen die Fußballstars in Versuchung Was geschieht mit dem Datenschutz bei der WM? Cristiano Lucarelli ist die Faust der Serie A Den 18 Erstligisten sorgfältig in die Karten geschaut TITEL GESCANNTER FAN STARGAST LAGE DER LIGA GLEICHE HÖHE 74 42 48 50 51 53 54 62 66 68 DER SPIELER SPRICHT ERBSENZÄHLER BROICHS BONBONS RUND-POSTKARTEN MEYERS TAKTIKTAFEL REPORTAGE HEIMSPIEL FUNDSTÜCK ZU GAST BEI FREUNDEN Christoph Metzelder über seine WM-Chancen Schnauzbärte sind ausgestorben Gladbach-Profi Thomas Broich über das süße Leben Zum Rausnehmen und Verschicken Hans Meyer erklärt seine Taktikwelt Die Türkei: mit Toptalenten in die Weltspitze HSV-Abwehrhüne Daniel van Buyten übers Catchen Karl Pekarna, der erste deutsche Kicker in England Eine neue Ausländerregel bedroht Nicht-EU-Profis IM ABSEITS 74 77 78 82 86 90 93 94 LÜGENDETEKTOR WAS WÄRE WENN ZWANGSPAUSE FÜR IMMER FAN FEIND DES FUSSBALLS DÄNISCHES DYNAMIT SPIEL MIT PUPPEN WELTKLASSE Nationalspieler Per Mertesacker im Wahrheitstest Der SV Werder Bremen bekommt bald Bonuspunkte Leverkusens Jens Nowotny kämpft um seine Karriere Fußballfans haben eine besondere Bestattungskultur Martin Sonneborn sicherte Deutschland die WM Skandalprofi Stig Tøfting beendet seine Laufbahn Benjamin Lauth geht mit seiner Hündin Gassi Die kuriosesten Meldungen des Monats SPIELKULTUR 82 98 104 106 108 110 112 114 115 116 INTERVIEW RASENSCHACH DRESSCODE ESSEN WIE DIE STARS GESCHICHTSSTUNDE BUCH UND DVD LESERBRIEFE IMPRESSUM/VORSCHAU AUSLAUFEN MIT THADEUSZ Die HipHop-Band Fettes Brot macht zu viel Kopfball Unser Autor saß mit Magath und Takahara am Brett Ständig gibt es neue Trikotmoden für die Fankurven Stuttgart-Profi Christian Tiffert liebt Eier in Senfsoße Nils Havemann über die NS-Vergangenheit des DFB Bolzplätze, Fußball im Norden und große Momente Das sagen Sie über die zweite runde Ausgabe Und was steht im nächsten RUND? Etwas Wörnsartiges mit Namen Feng RUND 4 rund_004_005_Inhalt 4 08.09.2005 17:46:03 Uhr RUND Aufstellung 54 22 TITEL DIE JAGD NACH DEN GOLDFASANEN Fußball ist ein Kosmos, in dem nach Männerregeln gehandelt und gelebt wird. Dazu gehören auch Alkohol und Frauen, die sich den Stars oft freiwillig anbieten. Geredet wird über die Verlockungen im Alltag wenig. Die Anzeichen mehren sich, dass eine Spielergeneration heranwächst, die immer weniger mit den kruden Männerritualen anzufangen weiß. REPORTAGE DER RIESE ERWACHT Schon in ein paar Jahren will der türkische Fußballverband Weltspitze sein. Die Pläne sind gar nicht einmal illusorisch: Bereits heute übt das Land eine magische Anziehung auf Talente aus ganz Europa aus. Das bereitet dem DFB gehörigen Kummer. 42 98 INTERVIEW „GROSSE WM-CHANCEN“ Christoph Metzelder ist nach drei Jahren endlich wieder schmerzfrei, nachdem ihm lange die Sportinvalidität drohte. Jetzt rechnet sich der Dortmunder sogar wieder WM-Chancen aus. INTERVIEW „DAVON TRÄUMT DOCH JEDER“ Die HipHop-Band Fettes Brot hat den musikalischen Adelsschlag erhalten: Ihr Hit „Emanuela“ wurde von den Fans von Arminia Bielefeld im Stadion gesungen. Die drei Hamburger über Fußballhymnen und Kopfschmerzen durch zu viel Fußballtennis. RUND 5 rund_004_005_Inhalt 5 08.09.2005 17:46:18 Uhr RUND Am Ball AM BALL Am Ball ist dort, wo etwas passiert. Und wo es wirklich wichtig ist. Hier wird getreten, gegrätscht und geschossen. Aber nicht nur: „Bestimmt 50 Prozent der Profis betrügen ihre Frauen. Es ist viel krasser als bei anderen Menschen in unserem Alter.“ ALEXANDER ROSEN 8 SCHNELLSCHUSS Das Gesicht des Weltmeisters – Brasiliens vergessene Fußballplätze in einer Fotostrecke 22 TITEL Die Jagd nach den Goldfasanen – ein Report über Fußballer und ihre Groupies 34 STARGAST Die Faust im Klassenkampf – Cristiano Lucarelli, der kommunistische Profi aus Livorno 36 LAGE DER LIGA Alle 18 Bundesligisten auf dem Prüfstand – unsere Experten haben genau hingeschaut RUND 7 rund_007_Vorschalt_Am_Ball 7 07.09.2005 19:46:42 Uhr AM BALL___Schnellschuss DAS GESICHT DES WELTMEISTERS hat fünfmal den WM-Titel gewonnen – häufiger als jede andere Nation. Im nächsten Jahr in Deutschland sind die Südamerikaner Titelverteidiger und Favorit, wieder einmal. Doch angesichts der glamourösen Auftritte der Seleção wird häufig vergessen, dass die Zukunft des brasilianischen Fußballs ein anderes Gesicht hat. RUND ist ihm auf jenen staubigen Plätzen begegnet, auf denen einst auch Pelé angefangen hat EINE FOTOSTRECKE VON FLAVIO CANNALONGA / AGENTUR FOCUS RUND 8 rund_008_013_schnellschuss_Brasilien 8 08.09.2005 17:47:34 Uhr AM BALL___Schnellschuss LINKE SEITE: Das Kreuz um den Hals ist auf jedem Fußballplatz Brasiliens dabei. Auch in Barau im Bundesstaat São Paulo. Dort ist Pelé aufgewachsen DIESE SEITE: Im Jequitinhonha Tal, unweit von Pelés Geburtsort im Bundesstaat Minas Gerais, spielen einheitliche Trikotsätze noch heute keine Rolle. RUND 9 rund_008_013_schnellschuss_Brasilien 9 08.09.2005 17:47:49 Uhr AM BALL___Schnellschuss RUND 10 rund_008_013_schnellschuss_Brasilien 10 08.09.2005 17:47:58 Uhr Noch sieht es spielerisch und ungelenk aus, wenn sich die jungen Kicker in Barau strecken und ihre Dehnübungen machen. Nur ihr Blick ist längst nicht mehr der eines Kindes. Er geht dorthin, wo sie einmal hinwollen: nach vorne und in die Ferne RUND 11 rund_008_013_schnellschuss_Brasilien 11 08.09.2005 17:48:06 Uhr AM BALL___Schnellschuss DIESE SEITE: Nachwuchsprobleme kennen die Fußballklubs in Barau nicht, auch wenn die Plätze schlecht sind RECHTE SEITE: Ein junger Spieler aus Santos, der Stadt, in der Pelé seinen ersten Profivertrag bekam. Wird in ein paar Jahren die ganze Welt seinen Namen kennen? RUND 12 rund_008_013_schnellschuss_Brasilien 12 08.09.2005 17:48:09 Uhr AM BALL___Schnellschuss RUND 13 rund_008_013_schnellschuss_Brasilien 13 08.09.2005 17:48:16 Uhr AM BALL ZITAT DES MONATS Feldsalat „Ich lasse mir doch nicht zwölf Jahre FC Bayern München durch ein einziges Interview kaputtmachen.“ (Alexander Zickler, Stürmer von Red Bull Salzburg, auf die Bitte, über die besten Bayern-Bankettreden zu plaudern) Fußballprofi in Russland: Sabrina Rastetter INTERVIEW „Unter 500 Kilometer liegt nichts“ Mit 17 wechselte SABRINA RASTETTER 2004 vom 1. FFC Frankfurt zum russischen Profiklub Energia Woronesch. Der Kontakt kam über ihren Freund Ivan Saenko vom 1. FC Nürnberg zustande, dessen Vater Energia trainiert. Am Saisonende kehrt die Karlsruherin heim Haben Sie nach zwei Spielzeiten genug vom Abenteuer Russland? SABRINA RASTETTER Nein, ich fühle mich in Woronesch eigentlich sehr wohl. Die Leute sind supernett und überhaupt alle sehr gastfreundlich. Aber die Mannschaft hat fast komplett gewechselt, meine besten Freundinnen sind weg – es ist vieles nicht mehr so wie im ersten Jahr. Wie weit muss Ihre Mannschaft für Auswärtsspiele denn so fahren? Ich glaube, unter 500 Kilometer liegt nichts, meistens sind es deutlich mehr. In Belgograd waren wir mal in einem super Hotel untergebracht, andernorts hätte ich lieber im Bus übernachtet. Fährt das Team immer mit dem Bus zu den Partien? Meistens schon, nur in der vergangenen Saison sind wir einmal geflogen. Aber als ich das Flugzeug gesehen habe, wäre ich am liebsten sofort umgekehrt. Da wir mit dem Bus aber wohl annähernd 24 Stunden gebraucht hätten, bin ich dann doch lieber mit einem komischen Gefühl in den Flieger gestiegen. Eine weite Reise gab es auch 2004 im Uefa-Cup, als Woronesch im Viertelfinale gegen Turbine Potsdam gespielt hat. Das war schon ein besonderes Erlebnis, vor allem weil ich bei uns zu Hause das Tor zum 1:1 geschossen habe. Wir hätten auch gewinnen können. Potsdam hatte große Bedenken vor der Reise nach Woronesch. Das verstehe ich bis heute nicht. Klar, es sieht hier anders aus. Auch der Unterschied zwischen Arm und Reich ist groß, in der Stadt fällt das aber nicht mehr so auf. Für mich war das Angebot eine Riesenchance, Erfahrungen zu sammeln. Und wer hat in meinem Alter schon die Chance einen Profivertrag zu unterschreiben und dazu noch ein fremdes Land kennen zu lernen? Aber Sie sind auch in einer Stadt, die Tausende Kilometer entfernt von Ihrer Familie und Ihren Freunden liegt. Wie waren die ersten Wochen in Woronesch? Ich habe mich dank meiner Mitspielerinnen schnell eingelebt und mich wie in einer großen Familie gefühlt. Klar vermisse ich Familie und Freunde – aber es gibt ja Handys und Internet. Zum Glück, deswegen hat ja auch das Gymnasium in Karlsruhe mitgespielt. Ja, Hausaufgaben haben mir meine Lehrer oder Mitschüler zugeschickt. Die habe ich, so weit es ging, per E-Mail gemacht. In den Wintermonaten war ich ja ohnehin in Deutschland, musste da aber ziemlich viel nachholen. Dafür können Sie jetzt russisch? Ziemlich gut. Meine Mitspielerinnen haben es mir beigebracht, wir haben ja fast alle zusammen gewohnt. Nur schreiben und lesen fällt noch schwer.<INTERVIEW GERHARD WOLFF, FOTO DANIEL CRAMER RUND 14 rund_014_021_Feldsalat 14 08.09.2005 11:46:18 Uhr AM BALL Feldsalat TRAUMSPIEL „SO SCHNELL WIE MÖGLICH SCHIESSEN“ ROY MAKAAY, 30-jähriger Torgarant des FC Bayern, über die spektakulärsten 90 Minuten seines Lebens Eines meiner außergewöhnlichsten Spiele war die Vorrundenpartie in der Champions League gegen Ajax Amsterdam. Das war vergangenes Jahr im September. Zum ersten Mal traf ich mit den Bayern auf meine Landsleute. In meinen acht Jahren im Ausland hatte es noch nie ein Pflichtspiel gegen einen holländischen Klub gegeben. Das war natürlich etwas ganz Besonderes für mich. Auch die Vorbereitung auf das Spiel war anders als sonst. Ich kam mehr zu Wort. Viele Ajax-Spieler kannte ich ja bestens aus der Nationalmannschaft. Wer kommt bei den Standards mit nach vorne? Wer ist kopfballstark? Bei solchen Fragen konnte ich dem Trainer ein bisschen helfen. Wir haben das Spiel 4:0 gewonnen, ich habe drei Tore geschossen und das vierte vorbereitet. Das kommt wirklich nicht alle Tage vor. Das 1:0 gehört bis heute zu den fünf schönsten Toren, die ich jemals erzielt habe. Owen Hargreaves schlug mir einen 40-Meter-Pass genau in den Lauf, ich nahm den Ball aus der Luft und zog aus 22 Metern sofort ab. Und er passte. Viele haben sich damals gefragt, warum ich nicht noch ein paar Meter auf den Keeper zugelaufen bin. Ganz einfach: Meine Philosophie ist es, immer so schnell wie möglich zu schießen. Mit den Jahren habe ich gelernt, dass es für den Torhüter am schwierigsten ist, wenn er keine Zeit hat, sich richtig zu positionieren. Der Sieg gegen Ajax war für uns die Wende. Es war das erste begeisternde Spiel unter unserem neuen Trainer Felix Magath. Vorher hatte es die eine oder andere Krisensitzung gegeben. Und dann haben wir zum ersten Mal gesehen, dass wir auch umsetzen können, was er verlangt. Danach ist es fast nur noch bergauf gegangen und am Ende haben wir das Double geholt.<AUFGEZEICHNET VON CLEMENS DRAWS, FOTO AUGENKLICK WAS MACHT HELMES? UMFRAGE Sollte man gegen Nationen wie China, in denen Menschenrechte verletzt werden, Länderspiele austragen? (die RUND-Online-Umfrage im August 2005) 52,2 % Ja 40,0 % Nein 7,8 % Mir egal Jeden Monat stellen wir Ihnen auf unserer Homepage eine RUND-Frage zum aktuellen Fußballgeschehen. Das Ergebnis folgt im Heft darauf. Sie können abstimmen unter www.rund-magazin.de/voting. Im vergangenen Monat nahmen 678 Personen teil. KAPUTT UND ABGESTÜRZT PATRICK HELMES gilt als eine der größten Offensivhoffnungen im deutschen Fußball. RUND begleitet den Stürmer vom ersten Tag an auf seinem Weg in der Ersten Liga. Wir fragen jeden Monat: Was macht Helmes? Im August ist Patrick Helmes ein bisschen abgestürzt. Er war ein Held der Vorbereitung, hatte dynamisch gewirbelt und Tore gemacht, doch als der 1. FC Köln in die Saison startete, fehlte er. Verbannt auf die Bank. „Ohne Erklärung des Trainers“, wie Helmes sagt. Er bemüht sich um einen festen Blick und eine zuversichtliche Stimme: „Ich habe meinen Platz im Kader, das war von Anfang an mein Ziel.“ Einige Wochen zuvor hatte er noch von einem Stammplatz gesprochen, doch plötzlich spielte Markus Feulner auf seiner Position. Und der war richtig stark. Da muss ein Trainer nicht viel erklären. Als Helmes dann noch beim Spiel in Stuttgart trotz sieben Ausfällen nicht ran durfte, war klar, dass er erst einmal hintenansteht. Uwe Rapolder zog selbst Verletzte vor, Albert Streit spielte mit dreifachem Jochbeinbruch und machte zwei Tore. Da Helmes die Trainergedanken nicht kennt, fahndet er selbst nach Gründen. „Alle haben gesagt, dass ein körperliches Tief kommt, wenn man die Vorbereitung eines Bundesligisten mitmacht“, erzählt er. Geglaubt hat er es nicht, aber plötzlich war es da. „Ich war körperlich kaputt“, sagt er, „wirklich fertig.“ Mittlerweile fürchtet Helmes gar um den Platz auf der Bank. „Mokhtari ist hinzugekommen, Schindzielorz ist wieder gesund, da wird es eng im Kader“, sagt er. Selbst seine Beteiligung am Kölner Siegtreffer des ersten Spieltages, als er seine ersten zehn Bundesligaminuten bestreiten durfte, redet Helmes nun klein. „Klar, ich habe den Ball verlängert, aber das hätte auch jeder andere so gemacht“, meint er. „Ich war dabei, mehr nicht.“< VON DANIEL THEWELEIT, FOTO TILLMANN FRANZEN RUND 16 rund_014_021_Feldsalat 16 08.09.2005 11:46:26 Uhr AM BALL Feldsalat KARL-HEINZ HANDSCHUH WOLFGANG GROBE BERND RUPP DIE UNBESIEGBAREN DAS HÄRTESTE BUNDESLIGATEAM ALLER ZEITEN * FOTOS IMAGO CARSTEN KEULER WILLI MUMME HARTWIG BLEIDICK RAINER KRIEG BERND KLOTZ FRANK BÖSE JAKOB DRESCHER * DIRK BREMSER Elf Hunde müsst ihr sein! Wir suchen die berühmtesten Vierbeiner der Fußballgeschichte: redaktion@rund-magazin.de, Stichwort: Wuff RUND 18 rund_014_021_Feldsalat 18 08.09.2005 11:46:39 Uhr AM BALL Feldsalat BILDERRÄTSEL WELCHES STADIONDACH IST DAS? TOP 200 ‘ FREUDENSPRUNG AUF DEN FIDSCHI-INSELN Indien hat bekanntlich über eine Milliarde Einwohner und firmiert deshalb mit vollem Recht als die größte Demokratie der Welt. Erstaunlicherweise hat man dort von den Engländern zwar die Demokratie, aber anstelle des Fußballs nur das Kricket als Nationalsport übernommen. Was wiederum zur Folge hatte, dass der riesige Subkontinent im August gleich zwei Freundschaftsspiele auf den winzigen Fidschi-Inseln verlor. In Suva setzte es ein deprimierendes 0:1, beim 1:2 zwei Tage später in Lautoka gelang zumindest der Ehrentreffer. Die Nationalmannschaft der Inselgruppe machte in der Weltrangliste einen Freudensprung, Indien verlor einen Platz. Noch zwei solche Spiele, und Indien steht im Fifa-Ranking hinter seinem neuen Angstgegner Fidschi. Mitreißende Audiokommentare der beiden historischen Insulaner-Siege unter www. fijifootball.com Antworten bitte bis zum 17.10.2005 an: Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg, Fax: 040/8080 686-99, info@rund-magazin.de, Stichwort: Stadiondach. Unter den richtigen Einsendern verlosen wir fünf neue Fußballbücher aus dem Verlag Kiepenheuer & Witsch. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die richtige Antwort des September-Rätsels lautet: GIOVANNI TRAPATTONI. Je ein Fußballbuch des Bombus-Verlags geht an: S. Roth-Weißenfels, Euskirchen; O. Fisch, München; S. Beckert, Hildesheim; W. Köhler, Dortmund; N. Brandes, Berlin. FOTO MAGERL UND NAGER Platz 132 133 134 135 136 137 Staat Indien Palästina Andorra Tahiti Salomon-Inseln Fidschi +/– – 1 – 2 + 1 – 2 – 1 + 4 UNSER LIEBSTES CRUISEN ALS CLUBBERER Endlich Rocker sein. In Nürnberg geht der Trend zum Leder. Die gleichnamige Jacke aus dem Fanshop des Clubs wurde jetzt an heftig Pubertierenden im Fränkischen gesehen. Das auffällige Racingdesign kennt man von der Motorrad-WM, wo sich die Fahrer ganz tief in die Kurven legen. Ob in Hockenheim oder vor dem Biergarten: In dieser Rennkleidung liegt der Clubberer auf der Poleposition. FOTO BENNE OCHS RUND 20 rund_014_021_Feldsalat 20 08.09.2005 11:47:48 Uhr AM BALL Titel at v i r hp c u fis a as o r . P ch d n e n o ie v , hat si enomm d , ägt elten n zug ligen r p ge ars g habe nhei n e ird t l i a S e e w t u s h t o t l Ri ller a ngeb ner sc aupte n e a A it ei h h ATIONS) b c e n i ß b l e n it Fu uell h SOS (LOC m n c i r ä l e t m n ELIAS HAS Se ie sex schw e n . f o f n k v erde elt, d sich ls es ö (PEOPLE), r a t st s ziert w twick er tun ird, a AN SCHMID i l l ba rakti M en piel ebt w OTOS STEF Fuß p U e S rs gel CHÄFER, F r T e E g UPI de jün r ande ND RAINER S O GR Gera in de REULICH U xis, MATTHIAS G a r P N VO CH NEN A N SA D G DFA A J DIE GOL N E D RUND 22 rund_022_030_Titel_groupies 22 07.09.2005 21:00:41 Uhr RUND 23 rund_022_030_Titel_groupies 23 07.09.2005 21:01:02 Uhr AM BALL Titel P1, MÜNCHEN Geschlossene Gesellschaft: Die Nobeldisco „P1“ in der Münchner Prinzregentenstraße ist das Wohnzimmer vieler Prominenter. Auch einige Stars des FC Bayern kommen, um zu feiern Der Alltag der Fußballprofis steckt voller Versuchungen: Auf ihren Wegen warten attraktive Mädchen und Frauen, die kein Versteckspiel daraus machen, dass sie in möglichst engen Körperkontakt zu ihren Stars kommen wollen. Die auf dem Parkplatz auf die Profis warten, ihnen Handynummern zustecken oder sogar zu Hause bei ihnen anrufen, wenn sie die Telefonnummer ergattern konnten. Timo Hildebrand, umschwärmter Nationaltorhüter des VfB Stuttgart, erlebt täglich Szenen, wie sie sich inzwischen bei jedem deutschen Profiklub abspielen. „Es gibt zum einen viele junge Mädchen, die am Trainingsgelände anzutreffen sind, um Autogramme zu bekommen. Für diese TeenieFraktion sind wir Profis wohl so eine Art Popstarersatz. Dann gibt es noch die Älteren, bei denen man nicht genau weiß, wieso sie so fasziniert von einem sind.“ Was Timo Hildebrand diskret „die Älteren“ nennt, sind die Groupies im Fußballbetrieb, die den Profis sich und ihre Körper anbieten. Die sich von einer gemeinsam verbrachten Nacht den Zugang zur mutmaßlich glamourösen Welt ihrer Stars versprechen. „Es gibt sicher genügend Frauen, die Erfolg interessant finden“, umschreibt der 26-Jährige diplomatisch ein unter Fußballern heikles Thema. Denn nicht alle lehnen die verführerischen Angebote ab wie der begehrte Stuttgarter Keeper: „Es gibt sicherlich viele Situationen, in denen man sich seinen Status zu Nutzen machen könnte, nicht nur im Hinblick auf Frauen, was aber absolut nicht meine Art ist.“ Auch Matthias Hagner, nach den Stationen Frankfurt, Stuttgart und Mönchengladbach nun in Saarbrücken am Ball, hat seinen Umgang gefunden mit den Reizen und Risiken des Groupietums. „Ich halte mich nicht für einen Star. Aber 80 bis 90 Prozent der Profis nehmen sich zu wichtig und verhalten sich auch Frauen gegenüber so. Die nehmen mit, was geht.“ Gleichwohl räumt auch Hagner ein, dass es „manchmal schwer fällt, die vielen Möglichkeiten auf Reisen und auf Partys nicht auszunützen“. Nicht alle Profis reagieren in solchen Fällen mit dem Kopf: Die Wünsche der Groupies und die eigenen Bedürfnisse werden befriedigt. Die Realität, wie sie die Stars erleben, besteht aus permanenten Riten der Bewunderung und sexuellen Angeboten. Beim FC Bayern, dem Klub mit der höchsten Stardichte in Deutschland, wird dies am deutlichsten. Am Trainingsgelände an der Säbener Straße warten die Teenies, die Michael Ballack und den anderen romantische Briefe schreiben und gemeinsam für ein Foto posieren wollen. Die Groupies stellen sich nicht hinter die Absperrgitter, sondern versuchen am Abend ins „Einser“ zu kommen. In der exklusiven Diskothek „P1“ gehen Groupies gerne auf die Goldfasanenjagd. So DER ALLTAG BESTEHT AUS PERMANENTEN RITEN DER BEWUNDERUNG UND SEXUELLEN ANGEBOTEN, DIE AUCH KOPFGESTEUERTE PROFIS ANNEHMEN RUND 24 rund_022_030_Titel_groupies 24 07.09.2005 21:01:09 Uhr AM BALL Titel RUND 25 rund_022_030_Titel_groupies 25 07.09.2005 21:01:19 Uhr AM BALL Titel IM MÄNNERKOSMOS FUSSBALL HAT SICH EIN BELOHNUNGSSYSTEM ERHALTEN, IN DEM DIE VERFÜGBARKEIT VON FRAUEN EINE ZENTRALE ROLLE SPIELT nennen sie es, wenn sie die Aufmerksamkeit der Stars erregen wollen, ins Gespräch kommen und sich mehr ergibt. In jeder Bundesligastadt gibt es die Cafés, Clubs und Bars, wo Groupies sich den Fußballprofis nähern, einige liegen auch dort, wo keine Bundesliga gespielt wird. So etwas wie ein Geheimtipp ist die „Brasserie Dombrowski“ in Regensburg. Eine Anlaufstelle für malade Profis, die im benachbarten Oberstauf bei Norbert Eder ihre Rehamaßnahmen absolvieren. Häufig muten sich die Rekonvaleszenten an der Donau zu viel zu. „Dombrowski“-Inhaber Carsten Zinnbauer zieht es vor zu schweigen, um seine prominenten Gäste zu schützen. Eine Erkenntnis hält er für unverfänglich: „Bei mir kommen viele Mädels rein, weil sie wissen, dass hier Bundesligaprofis verkehren.“ Nicht nur die Gastronomen versuchen das nachtaktive Treiben der Stars hinter dem Schleier der Diskretion zu verbergen. Im abgeschotteten Männerkosmos Fußball hat sich ein aus den 70er Jahren stammendes Belohnungssystem erhalten, in dem Alkohol und die Verfügbarkeit von Frauen eine wichtige Rolle spielen. Fast alle wissen davon, etliche sind Teil davon, aber nur wenige reden über dieses rückwärts gewandte System aus maskuliner Potenzprotzerei und ungehemmter Triebregulierung. Dementsprechend rustikal und antiquiert ist das Frauenbild in Fußballerkreisen. „Die Gespräche unter Kollegen kreisen darum, wer letzte Nacht die tollste Frau abbekommen hat. Anderswo würde man Frauen auch nicht mehr permanent als ‚Weiber’ bezeichnen, wie ich es in vielen Profiteams erlebt habe“, so der frühere Juniorennationalspieler Alexander Rosen, unter anderem aktiv bei Eintracht Frankfurt und VfL Osnabrück. Beim Reden allein bleibt es nicht, wie Matthias Hagner weiß: „Fußballer nutzen ihre Macht über Frauen aus, das führt auch dazu, dass die schlecht behandelt werden.“ Die Erklärung dafür, dass viele Stars ihre Männlichkeit auch abseits des Feldes immer wieder unter Beweis stellen müssen, könnte mit dem Rhythmus aus Spannung und Entspannung zu tun haben, dem die Akteure unterliegen. „Nach dem Spiel ist immer noch unheimlich viel Adrenalin übrig. Da hat jeder seine eigene Art des Stressabbaus. Ich gehe spazieren, andere ziehen um die Häuser“, weiß Benjamin Adrion vom FC St. Pauli. „Fußball ist ein emotionales, körperbetontes Spiel – da gibt es schon eine gewisse Affinität zur Sexualität“, glaubt er. Auch der Berliner Sportwissenschaftler und Philosoph Gunter Gebauer bestätigt, dass „von den Aktiven eine ziemlich exzessive Männlichkeit verlangt wird. Man braucht Testosteron in großen Mengen, man braucht Aggressivität. Das Spiel ist durch und durch männlich konnotiert und aufgeladen. In die- RUND 26 rund_022_030_Titel_groupies 26 07.09.2005 21:01:37 Uhr AM BALL ser Überzeugung spielen die Fußballer ihre Männlichkeit permanent aus.“ So wie sie ihre Körperlichkeit auf dem Rasen ganz gezielt einsetzen müssen, um im Zweikampf zu bestehen, setzen sie ihn auch außerhalb bewusst ein. „Der eigene Körper wird als Machtinstrument benutzt. Sich damit Frauen verfügbar zu machen ist ein Ausdruck von Macht“, so Gebauer. Die Leichtfertigkeit und Leichtsinnigkeit, die triebgesteuerte Profis bei der Erfüllung ihrer sexuellen Bedürfnisse an den Tag legen können, erstaunt selbst altgediente Macher von Boulevardzeitungen, die im Dienste der Auflage viele Sexskandale enthüllen. Dass auch Fußballnationalspieler immer mal wieder in die Schlagzeilen geraten, erstaunt auch Udo Röbel, den einstigen Chefredakteur der „Bild“-Zeitung. „Wie können die nur so blöd sein? Die haben das doch gar nicht nötig.“ Alexander Rosen hat viele Berufskollegen als notorische Fremdgänger kennen gelernt. „Bestimmt 50 Prozent betrügen ihre Frauen, es ist viel krasser als bei anderen Leuten in Titel Die Perspektive der Stars: „Es gibt genug Frauen, die Erfolg interessant finden“ unserem Alter“, schätzt der 26-Jährige. Als er nach dem Abitur in den Bundesligakader der Frankfurter aufrückte, verlor er die Illusionen von der profihaften Einstellung manches Kollegen. „Nach und nach bekam ich mit, was einige mit fremden Frauen trieben. Da wird geraucht, gesoffen und gehurt.“ Gunter Gebauer registriert das als typisch für den Spitzensport, wo professionelle und elektrisierende Auftritte auf dem Platz allzu häufig nichts mit dem sehr menschlichen Verhalten nach dem Abpfiff zu tun haben. „Die großen Stars im Profifußball werden heute doch wie Heilige eines heidnischen Kults verehrt, die man berühren möchte, denn sie haben eine Aura. Dabeischwinden sämtliche Hemmungen: Die von weiblichen Fans auf Spieler gemünzten Plakate ,Ich will ein Kind von dir‘ sind durchaus ernst gemeint. Dass sich die Stars nehmen, was sie kriegen können, kann dann niemanden ernsthaft verwundern.“ Die Frage nach Moral und Vorbildfunktion der Sportler stellt sich für Gebauer nicht mehr – zu sehr driften Anspruch und Wirklichkeit auseinander. „Woher soll das Bewusstsein von Verantwortung denn kommen? Das ist in unserer Gesellschaft nicht ausgeprägt. Ich will gar nicht mehr wissen, was Oliver Kahn oder Franz Beckenbauer in ihrer Freizeit treiben. Die privaten Dinge sollen privat bleiben.“ Trennen müsse man allerdings PrivatlebenLOCARTION und die öffentliche NO.1 Rolle der Spitzenspieler. „Was das Verhalten in der RUND 27 rund_022_030_Titel_groupies 27 07.09.2005 21:01:42 Uhr AM BALL Titel „DIE LIEBESLUST BEUTELT“ Die hormonellen Nöte im Trainingslager werden von Nationalspielern bislang öffentlich nur in skandalträchtigen Enthüllungsbüchern verarbeitet. Bodo Illgner und Ehefrau Bianca nennen ihr Werk „Alles“ einen fiktiven Tatsachenroman. Sie prangern darin – nicht ohne ausführlich Details einer Sexorgie zu schildern – die Doppelmoral eines Bundestrainers an, der Groupies im Trainingslager geduldet habe, nicht aber die Ehefrauen. In seinem 1987 erschienenen Buch „Anpfiff“ hatte Torwartkollege Toni Schumacher noch professionelle Hilfe für Nationalspieler mit Hormonstau gefordert: „Wenn die Liebeslust uns beutelt, sollte man zur Not lieber Callgirls zu Hilfe rufen. Kein generelles, absolutes Frauenverbot also. Wenn jemand eine Frau in seinem Zimmer haben möchte, sei sie ihm gegönnt. Er sollte nur seine Zimmernachbarn nicht stören.“ Mitnehmen was geht: Oft bekommen Fußballprofis Handynummern zugesteckt Öffentlichkeit angeht, sollte man strengere Maßstäbe anlegen. Spieler, die öffentlich die Wildsau rauslassen, kann ich nicht anerkennen. Ich finde Lothar Matthäus’ Verhalten abscheulich, wenn er am Flughafen Basketballerinnen mit Machosprüchen anmacht.“ Sportwissenschaftler Gebauer geht es dabei nicht um die Vorbildfunktion, die den Profifußballern von Funktionären und Medien aufgezwungen wird, sondern darum, „dass sie ihre öffentliche Rolle sehr ernst nehmen und richtig erfüllen“. Einige von Lothar Matthäus’ Kollegen aus der Nationalmannschaft entpuppten sich im Gebauerschen Sinne in den 80er Jahren als krasse Fehlbesetzungen. Anstatt sich konsequent auf das bevorstehende Weltturnier vorzubereiten, geriet das Trainingslager zur WM 1982 für viele zur hemmungslosen Pokerrunde am „Schlucksee“. In der Bundesliga verstanden sich viele Teams in dieser Zeit als Männerbund, der den kollektiven Bordellbesuch als geeignete Form der Spielvor- und -nachbereitung empfand. „Das sind Rituale wie in der Steinzeit, primitiv-männlich, das hat nichts Profihaftes und ist entwürdigend für alle Beteiligten“, so Gebauer. Dass es viele Profis fernab von Freundin und Ehefrau gerne richtig krachen ließen, war bei Journalisten ein offenes Geheimnis. Im „Spiegel“ war es erst zwölf Jahre nach der Weltmeisterschaft 1986 zu lesen, dass Reporter im Mannschaftshotel auf einige Spieler warteten, die im Morgengrauen aus einem Bordell zurückgekommen sein sollen. Die Mitwisserschaft der Reporter bei den Eskapaden der Stars erzeugt eine Nähe, die von den Medien ausgenutzt werden kann: „Wenn ich Informationen über Spieler habe, kann ich anders mit ihnen umgehen. Ungeschminkt gesagt, sind diese Spieler auf irgendeine Art dann auch erpressbar“, weiß Udo Röbel aus seiner Zeit bei „Bild“. Bruno Labbadia, Stürmerstar unter anderem beim FC Bayern München und dem SV Werder Bremen und heute Trainer beim SV Darmstadt 98, hat die Veränderungen im Verhältnis zwischen den Profis und den Medien miterlebt: „Früher haben wir einen Tick freier gelebt. Da haben zwar auch öfter Presseleute mitgezecht, aber es gab ein Gentlemen’s Agreement, dass nichts, was da passiert, gegen dich verwendet wird. Das hat sich doch ziemlich verändert und man ist deshalb immer vorsichtiger geworden.“ Die juristischen Möglichkeiten, Sexgeschichten folgenlos zu veröffentlichen, sind allerdings auch für mächtige Massenmedien gesunken: Der Schutz der Privatsphäre wird von den Gerichten mittlerweile weiter ausgelegt, das öffentliche Interesse an einer Berichterstattung muss eher mühsam konstruiert werden. Neben medienrechtlichen RUND 28 rund_022_030_Titel_groupies 28 07.09.2005 21:01:47 Uhr AM BALL Einschränkungen spielt aber auch das Kalkül der Blattmacher bei Massenmedien eine Rolle, die mit der Strahlkraft der Stars ihr Geschäft machen. Udo Röbel: „Wir leben in einer Zeit, in der ich mit strahlenden Helden besser zurechtkomme, als wenn ich einen nach dem anderen kaputt mache. Denn irgendwann habe ich keine mehr.“ Wie unbeschwert war das Leben der Profis, bevor die Dominanz des Fernsehens Ende der 80er Jahre den Fußball erreichte und das öffentlich machte, was vorher niemanden interessierte. Bruno Labbadia: „Wir haben öfter mal die Sau rausgelassen, Alkohol und Frauen haben dabei natürlich eine Rolle gespielt, das ist doch normal. Dienstags hatten wir unseren Stammtisch und danach sind wir in die Diskothek.“ Inzwischen sind die Spitzenspieler erheblich weiter entrückt. Ihre Realität hat noch weniger mit dem Alltag der Fans zu tun. Die Ausstrahlung der Helden auf ihre weiblichen Fans hat sich dadurch noch erhöht. Mit den im Umlauf befindlichen Millionen sind auch die Strategien des Vergnügens ausgefeilter geworden. Anstatt während der vom Trainer verordneten Bettruhe über den Titel Zaun des Trainingslagers zu steigen, finden die Abenteuer heute individualisierter und diskreter statt, wie Bruno Labbadia bestätigt: „Die Jungs sind viel cleverer geworden. Sie feiern zwar immer noch, verlegen aber vieles in den privaten Bereich. In Zeiten, wo jeder weiß, was du zum Frühstück hattest, musst du vorsichtiger sein.“ Das verschwiegene Hotel ist heute noch ein beliebter Rückzugsort des vergnügungswilligen Fußballprofis, die Stars scheuen auch vor kostspieligen Aktionen nicht zu- der Liga in der vergangenen Spielserie am Whirlpool trafen, hatte einer größte Mühe seine Ehefrau loszuwerden, bevor die bestellten Prostituierten eintrafen. Diese Formen der Edelprostitution verwundern Gunter Gebauer nicht im Geringsten. „Wir haben Fußballstars, die sehr männ- DIE STRATEGIEN DES VERGNÜGENS WERDEN AUSGEFEILTER. EIN TOPVERDIENER DER LIGA LIESS EIN MODEL INS TRAININGSLAGER EINFLIEGEN rück. Über einen verheirateten Topverdiener der Bundesliga, der aus dem Ausland stammt, wird von staunenden Mannschaftskollegen berichtet, er habe extra ein Model aus seiner Heimat ins Trainingslager nach Deutschland einfliegen lassen. Wenige hundert Kilometer entfernt wähnten Ehefrau und Kinder den geliebten Familienvater bei der schweißtreibenden Trainingsarbeit. Auch die Reisen zu Freundschaftsspielen nach Asien bedeuten zwar Strapazen, sind bei manchen Profis aber dennoch beliebt, weil man sich dort Hostessen ohne großes Aufsehen aufs Hotelzimmer bestellen kann. Und als sich einige südamerikanische Stars lich sind und einen sehr männlichen Appetit haben, die oft nichts auslassen. Nur wenige von ihnen sind verantwortungsbewusst wie Zinédine Zidane. Das sind die Stars, die uns besonders imponieren.“ Dass die Verbindung von Leistung und Charakter die Voraussetzung für den Beruf des Fußballprofis sei, hat Benjamin Adrion lange geglaubt. „Für mich ist es völlig unbegreiflich, wie im Profifußball verantwortungslos durch die Gegend gevögelt wird.“ Eine Wunschvorstellung, der Gunter Gebauer nie nachgehangen hat: „Stars sind Kunstfiguren und keine DOMBROWSKI Fluchtpunkt Regensburg: Viele Mädchen wissen, dass Profis in die „Brasserie Dombrowski“ kommen, wenn sie ihre Verletzungen in Oberstauf auskurieren RUND 29 rund_022_030_Titel_groupies 29 07.09.2005 21:01:51 Uhr AM BALL Titel Vorbilder. Im Gegenteil: Sie tun das, was in der bürgerlichen Gesellschaft als unmoralisch gilt.“ Inzwischen gibt es aber erste Ansätze dafür, dass die heutige Generation der Fußballprofis immer weniger anzufangen weiß mit den entwicklungsgeschichtlich als überholt geltenden Ritualen des Männerbundes. Ein zweites „Schlucksee“Desaster wäre bei den heutigen smarten Geschäftsleuten im Nationaltrikot undenkbar. Inzwischen ersetzen Rafting im Wildwasser oder Überlebenscamps gemeinsame Orgien als Maßnahme, den Teamgeist zu stabilisieren. Der ist in modernen Profiteams weniger stark ausgeprägt, die Spieler definieren sich als Einzelkämpfer. „Frauengeschichten passieren nur noch im kleineren Kreis, das Vertrauen im Team ist nicht mehr so gegeben“, weiß Benjamin Adrion. Aber auch das Bildungsniveau ist gestiegen, ein liberalerer Geist scheint im Fußball einzuziehen. „In Saarbrücken studieren ein paar Spieler nebenher, ungefähr zehn haben Abitur“, erzählt Matthias Hagner. „Ich habe die Hoffnung, dass eine andere Generation heranwächst und der Fußball sich positiv verändert. Es wird nicht nur über Playstation und Sex geredet.“ Gunter Gebauer sieht eine Tendenz, dass sich bei jüngeren Profis eine größere Selbstverantwortung abzeichnet. Gerade der internationale Spitzenfußball verlange inzwischen von den Profis ein anderes Berufsverständnis: „Im Fußball konnte man die Auswirkungen eines unprofessionellen Lebenswandels lange kaschieren, das geht bei dem immer höheren Tempo inzwischen nicht mehr“, so Gunter Gebauer. „Die Mehrheit der Fußballprofis dürfte in Zukunft asketischer leben und eine professionellere Auffassung ihres Berufes entwickeln.“ Berührung der Heiligen: Groupies wollen Stars mit Aura hemmungslos anfassen DER ABEND DER MÄDCHENMAGNETEN Fußballprofis, die von Frauen als Helden auserkoren wurden, haben eine besondere Macht über diese Frauen. Sie können sie jederzeit anfassen, was in normalen Beziehungen zwischen Menschen so nicht geht. Und sie können bestimmte Leistungen einfordern: Bewunderung, kindliche Ergebenheit, endlose Warterei, bauchfreie Party-Tops, Hingabe. Das sieht dann so aus: Die Fußballprofis tauchen auf. Es ist schon dunkel, die Spielerfrauen sind gemeinsam mit der Moral nach Hause gegangen. Und die Spieler werden zu Mädchenmagneten. Es bilden sich Grüppchen aus großen Augen, hervorquellenden Brüsten, Anbiederung und Würdelosigkeit. Mit diesen Grüppchen lässt sich dann so einiges anstellen, wenn man sein Geld auf dem Fußballplatz verdient. Man kann mit fünf Mädchen hintereinander rummachen. Man kann auch immer mal kurz mit der einen oder anderen auf dem Klo verschwinden. Man kann sich fühlen wie ein König. Das einzige, was man dafür tun muss, ist: Drinks ausgeben und minimales Interesse heucheln. Danach geht man einfach weg. Um die gebrochenen Herzen, die man zurücklässt, muss man sich nicht kümmern, die stehen eine Woche später wieder Gewehr bei Fuß, voller Sehnsucht nach einem, der im Suff alles vögeln würde, was ihm vor den Lauf kommt. Hauptsache willig. Trotzdem: Die Jungs sind durchaus aufregend. Sie haben etwas Archaisches, das vielen modernen Männern fehlt. Sie haben Kraft, sie haben einen Willen, sie sind wild, sie sind männlich, sie machen zotige Witze, und das alles öffentlich. Außerdem gibt es ein paar, die wirklich nett sind. Die mit dieser Groupie-Nummer nichts am Hut haben, die ganz normale Männer sind, mit dem einen Unterschied, dass sie ein bisschen besser tanzen können als andere. Die haben großen Respekt vor Frauen, die gehen einem nicht an die Wäsche, und wenn es ein anderer tut, tippen sie dem auf die Schulter und sagen: Hey, die nicht. Ja, auch ich habe eine Schwäche für Fußballer. Auf eine seltsame Art bin ich sehr verliebt in Robert Huth. Ich würde nicht alles für ihn tun, aber eine Keilerei mit Christian Wörns wäre drin. SIMONE BUCHHOLZ RUND 30 rund_022_030_Titel_groupies 30 07.09.2005 21:01:56 Uhr AM BALL Gescannter Fan DATEN OHNE SCHUTZ Wer WM-Tickets haben möchte, muss viele persönliche Daten angeben. Niemand weiß allerdings, was mit diesen nach der WM geschieht. Dienen sie der Sicherheit? Sollen Geschäfte gemacht werden? Sicher ist nur: Der Stadionbesucher könnte zum permanenten MARKTFORSCHUNGSOBJEKT werden VON RENÉ MARTENS, FOTO ÖZGÜR ALBAYRAK RUND 32 rund_032_033_Datenschutz 32 08.09.2005 17:51:21 Uhr AM BALL Als Anfang des Jahres im Internet die Lotterie um die WM-Tickets startete, waren viele Fans abgeschreckt von der abgefragten Datenmenge: Wer, fragten sie sich, erfährt eigentlich alles meine Ausweis- und Kreditkartennummer sowie von meinen Vorlieben für bestimmte Teams? „Der DFB ist nur aufs Geldverdienen ausgerichtet“, Themen wie „Datenschutz und Bürgerrechte für Fußballfans“ seien dem Verband „fremd“. Das sagt Thilo Weichert, der Vorsitzende der Konferenz der Datenschutzbeauftragten. Sein Urteil resultiert aus der „dürftigen“ Kommunikationsbereitschaft der Frankfurter Funktionäre. „Wir haben unsere Anforderungen, sowohl was die Datenweitergabe an Sponsoren als auch sicherheitsrelevante Informationen betrifft, früh formuliert. Ob sie eingehalten werden, ist uns nicht mitgeteilt worden.“ „Der DFB ist nur aufs Geldverdienen ausgerichtet und nicht auf Datenschutz“ THILO WEICHERT Karteninteressenten, die in ihrem virtuellen oder stationären Briefkasten gern Werbung finden und dem DFB deshalb erlaubt haben, ihre Daten zu Werbezwecken weiterzugeben, brauchten sich keine Sorgen zu machen, sagt Dieter Schmitz. Der Mann ist Sachverständiger bei der TÜV Rheinland Group und arbeitet als externer Datenschutzbeauftragter für den DFB. Der Kreis der Empfänger sei beschränkt auf die 15 „offiziellen Partner“ der Fifa-WM sowie die fünf so genannten nationalen Förderer. Weichert beruhigt das wenig: „Viele der Sponsoren haben ihren Stammsitz im Ausland. Für die gilt kein deutsches Datenschutzrecht, sondern vielleicht amerikanisches. Und das gibt es streng genommen gar nicht.“ Ob diese Unternehmen die Da- Gescannter Fan ten dann an Drittfirmen, zum Beispiel dubiose Adressenhändler verkaufen, könne niemand kontrollieren, sagt er. Der DFB gebe die Informationen „nur auf Anfrage“ der Sponsoren weiter, betont Dieter Schmitz. Und bisher seien keine eingegangen. Aber vor allem die Daten von Käufern hochpreisiger Tickets dürften begehrt sein. Bürgerrechtler kritisieren darüber hinaus die so genannten RFID-Chips, die auf allen Eintrittskarten prangen – und mit denen ab November auch der Reisepass aufgerüstet wird. Das Kürzel steht für Radio Frequency Identification – kontaktlose Identifizierung per Funk. Die Technik gefährde potenziell die „informationelle Selbstbestimmung“ der Betroffenen, wie Gerrit Hornung sagt, Autor des kürzlich erschienenen Buchs „Die digitale Identität. Rechtsprobleme von Chipkartenausweisen“. WM-OK-Sprecher Jens Grittner kann das nicht nachvollziehen. Die Berichterstattung sei teilweise „grottenfalsch“, knurrt er. In den Stadien würden keineswegs Bewegungsdaten gesammelt, Lesegeräte stünden nur an den Eingängen. Sicherheit vor Anschlägen, Randale und Kartenfälschungen, beschleunigter Einlass – darin sehen die Veranstalter die Vorteile der prekären Technik. Es sei etwa „nicht möglich, dass einer dem Kumpel die benutzte Karte durch den Zaun raus reicht“, sagt Grittner. Das ginge ohnehin nicht, denn die Fifa verlangt, die Stadien weiträumig abzusperren, um kartenlose Schaulustige fernzuhalten. Und die Sicherheit? Ob der Kartenkäufer identisch ist mit der Person, deren Daten er angegeben hat, verrät RFID nicht. Gut geschützt sind allemal die Daten der Edelfans, denn ihre Namen sind auf den Tickets nicht vermerkt – nur die von Firmen oder Verbänden. Das gilt für die 350.000 Karten, die der VIP-Ticket-Dealer ISE-Hospitality verkauft, für jene 550.000, die an die Sponsoren gehen, sowie die Freikarten- kontigente der Funktionäre. Wer beispielsweise einen Anschlag plane, dem sollte man „zutrauen, dass er sich solch ein Ticket besorgt“, sagt Gerrit Hornung. „Logistische“ Gründe sprächen dagegen, auf die First-Class-Karten Namen zu drucken, sagt ISE-Kommunikationsdirektor Peter Csanadi. „Es kann ja sein, dass eine Autofirma für ihre Händler 50 Tickets kauft, die für die Geschäftsführer bestimmt sind, aber dann der Verkaufsleiter kommt.“ Zwar seien „stichprobenartige Kontrollen“ vorgesehen, sagt Jens Grittner. Dennoch fällt es schwer, sich vorzustellen, dass ehrenwerteste Herrschaften durch eine Personalienüberprüfung belästigt werden. Der große Gewinner im RFID-Spiel ist die Technologiebranche: Rund 20 Millionen Euro haben die Betreiber der Stadien verschiedenen Anbietern für Lesegeräte gezahlt. „Das wesentliche wirtschaftliche Potenzial von RFID liegt aber in der Logistik“, betont Gerrit Hornung. Weil sich Produkte aller Art mit RFID ausrüsten lassen, träumt die Industrie von einer Warenwirtschaft ohne Menschen. Die Bedenken, die Bürgerrechtler jetzt äußern, zielen vor allem auf die späteren Nutzungsmöglichkeiten der Technik. Wenn man zukünftig zu Fußballspielen, Konzerten oder ins Kino grundsätzlich nur über personalisierte Tickets Zutritt bekäme, sei das „auch ein kulturelles Problem“, sagt Johann Bizer vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Kiel. Erst recht, wenn dabei Chips zum Einsatz kämen, die weitaus leistungsfähiger sind als jene auf den WM-Tickets. Dann droht sich das Horrorszenario zu bewahrheiten, das uns 2006 noch erspart bleibt: Die Veranstalter können verfolgen, wie viel Bier und Fanartikel ein Besucher kauft. Das Fußballstadion wird dann zum datenschutzrechtsfreien Raum – und der Fan endgültig zum permanenten Marktforschungsobjekt. AUF DEM WEG ZUM GLÄSERNEN MENSCHEN Kaum beleuchtet ist bisher, wie es um den Datenschutz der Akkreditierten bestellt ist. Das Organisationskomitee (OK) rechnet mit bis zu 250.000 akkreditierten Personen. Ob Journalist, Reinigungs- oder Cateringkraft: „Jeder wird sicherheitsüberprüft“, sagt OK-Sprecher Jens Grittner. Die Umsetzung obliegt den örtlichen Polizeibehörden. Der Kieler Datenschützer Nils Bergemann bemängelt, es sei „unklar, auf welche Daten zurückgegriffen und wem ein negatives Ergebnis zuerst mitgeteilt“ werde. „Ist es der Arbeitgeber, kann das problematisch für den Betroffenen sein.“ Bergemanns Kollege Thilo Weichert sagt, die rechtliche Grundlage für die Schnüffelei sei dürftig, anders als für Mitarbeiterprüfungen im Luftverkehr oder bei Atomkraftwerken gebe es keine gesetzliche Regelung. „Und“, so Weichert schnippisch, „ich gehe nicht davon aus, dass noch eine verabschiedet wird.“ RUND 33 rund_032_033_Datenschutz 33 08.09.2005 17:51:25 Uhr AM BALL Stargast Mit links: Lucarelli als Che (li.) und kommunistisch grüßend (re.) RUND 34 rund_034_035_Lucarelli 34 08.09.2005 22:07:50 Uhr AM BALL Stargast DIE FAUST IM KLASSENKAMPF CRISTIANO LUCARELLI weiß, was Ärger bedeutet. Er ist Fußballprofi in der italienischen Serie A, patriotischer Livorneser und Kommunist. Klar, dass ihm Berlusconis Italien nicht immer wohl gesonnen ist VON VINCENZO DELLE DONNE, FOTO BENNE OCHS Cristiano Lucarelli parkt seine Luxuslimousine ohne zu Murren vor dem Eingang der Trainingsanlage. Er und die übrigen Livorno-Spieler dürfen nicht auf das riesige Areal inmitten eines Pinienhains fahren. Ein strenger Pförtner achtet darauf, dass sich niemand hineinmogelt. Die Trainingsanlage liegt im nahen Tirrenia und gehört dem italienischen NOK. Der Verein mietet den Platz nur. „Wir sind alle gleich“, sagt der 29jährige Star der Associazione Sportiva Livorno, als er sich zu Fuß auf den weiten Weg zum Training begibt. Diese Worte spricht er aus tiefster Überzeugung. Lucarelli ist der Peppone des italienischen Fußballs. Der Livorneser ist bekennender Kommunist. Im Berlusconi-Italien ein unerhörter Makel. Aber Lucarelli bekundet seine linke Gesinnung ganz offen: „Ich habe nie Angst davor gehabt, meine Meinung zu äußern“, sagt er. Er schwärmt für den „großen Che Guevara“ und würde alles für seinen AS Livorno geben. Er hat sich sogar das Vereinsemblem auf seinen linken Unterarm tätowiert. Lucarelli trägt die Rückennummer 99. Sie erinnert daran, dass er 1999 die BAL gründete – die autonomen Brigaden Livornos, die linken Livorno-Fans der Nordkurve. Mit Vater Maurizio und Bruder Alessandro hatte er in seiner Jugend als Tifoso hier einen Stammplatz. Lucarellis Profikarriere war steinig. Sie begann 1993 beim AS Perugia. Dann tingelte er viele Saisons lang über den Apennin. Ein Jahr verschlug es ihn gar zum spanischen FC Valencia. Zuletzt verdingte er sich für den bankrotten AC Turin. Stets träumte er aber davon, für Livorno zu spielen. Schließlich klappte es 2004. Nach 55 Jahren war Livorno wieder erstklassig. Zuvor musste Lucarelli allerdings auf eine halbe Million Euro verzichten, die Hälfte seiner Jahres- gage beim AC Turin. Auch sein 27-jähriger Bruder Alessandro, der beim AC Florenz spielte, kehrte mit ihm heim. Der Transfer der Lucarelli-Brüder zahlte sich aus: Mit ihren Toren sicherten sie dem toskanischen Provinzklub den unverhofften Klassenerhalt. Darüber war auch Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi erfreut, der ebenfalls ein glühender Anhänger Livornos ist. In den Gazetten wird Lucarelli gern als Salonrevoluzzer verschmäht. „Die Scherereien begannen, als ich nach einem Tor mein Trikot hob, unter dem das Konterfei des kolumbianischen Revolutionärs hervorlugte“, sagt er. Es folgten Häme, Beschimpfungen, Todesdrohungen. Doch Lucarelli stand aus Überzeugung zu seiner Tat und provozierte die gegnerischen Gesinnungsgenossen mit neuen Gesten. Wenn der Kapitän des AS Livorno ein Tor erzielte, dann ballte er die Faust und streckte sie gen Himmel wie früher kommunistische Revolutionäre im Klassenkampf. Die Tifosi des toskanischen Erstligisten bejubelten ihn dann frenetisch. In der letzten Saison freute sich Lucarelli 24-mal. Er wurde Torschützenkönig der Serie A. Lange Zeit ging seine Jubelgeste bei den Verbandsoberen durch. Dann politisierte der rechtsextreme Paolo di Canio von Lazio Rom den Torjubel. Nach dem Sieg im römischen Derby grüßte der Lazio-Spieler die Tifosi mit dem faschistischen Gruß. Di Canio musste dafür 6000 Euro Strafe bezahlen. Die linke Jubelgeste kostete Lucarelli hingegen 15.000 Euro. „Diese Entscheidung ist deshalb unverständlich, weil in Italien allein die Verherrlichung des Faschismus unter Strafe steht“, sagt Lucarelli. Die kommunistische Gesinnung sei jedoch nicht verfassungsfeindlich. Er zahlte die Geldstrafe dennoch. Lucarelli liebt die Arbeiterstadt Livorno, deren Zentrum vom Arno durchschlängelt wird, innig. Dort, wo der Künstler Amedeo Modigliani die provinzielle Enge nicht mehr ertrug und nach Paris flüchtete und wo 1923 die kommunistische Partei Italiens gegründet wurde, sind Lucarellis geistige und soziale Wurzeln. „Ich kann an einem anderen Ort nicht leben“, bekennt er, „hier kann ich der sein, der ich bin.“ Ein Fußballprofi mit linker Gesinnung, aber mit unverkennbarem toskanischem Lokalpatriotismus. Seine Familie wohnt noch immer im grauen Arbeiterviertel Livornos. Sein Vater arbeitet im Hafen, der von der angrenzenden petrochemischen Industrie verseucht ist. Lucarelli selbst baut sich gerade eine Villa in der Nobelgegend von Montenero. Ein wenig repräsentiert der bullige Stürmer das gute Gesicht Italiens und die intakte Fußballwelt. Solche Typen sind das erklärte Feindbild von Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Dass Livorno in der letzten Saison ein Remis und einen Heimsieg ausgerechnet gegen dessen AC Milan schaffte, war für Lucarelli Genugtuung – als Kommunist, aber auch als Spieler. Schließlich verdient er mit einer Nettojahresgage von 600.000 Euro nicht einmal ein Zehntel von Milan-Superstar Andrej Schewtschenko. Ob er sich als Anachronismus im italienischen Fußballs sehe, der von Wettskandalen, Bilanzfälschungen und Dopingfällen erschüttert wird? „Nein“, sagt er, „ich bin die andere Seite derselben Medaille.“ „ICH KANN AN EINEM ANDEREN ORT NICHT LEBEN, HIER KANN ICH DER SEIN, DER ICH BIN.“ CRISTIANO LUCARELLI RUND 35 rund_034_035_Lucarelli 35 08.09.2005 22:07:56 Uhr rund_036_039_Lage_Der_Liga 36 07.09.2005 21:09:30 Uhr ZITAT DES MONATS DIESER SPIELER FEHLT DURCHBRUCH STEHT BEVOR MITARBEITER DES MONATS FANZUFRIEDENHEIT 1 2 3 4 5 FOTOS SEBASTIAN VOLLMERT UND BENNE OCHS Was ist los beim Lieblingsklub, was bei der Konkurrenz? Unsere Experten haben allen 18 BUNDESLIGISTEN auf die Füße geschaut und beantworten die Fragen, die den Fan bewegen DIE LAGE DER LIGA AM BALL Lage der Liga rund_036_039_Lage_Der_Liga 37 07.09.2005 21:09:43 Uhr froh sein, dass er nicht Egon heißt.“ MSV-Trainer Norbert Meier über Tobias Willi, der seit dem ersten Spiel Publikumsliebling ist. „Williiiii“ sei eben leichter zu rufen als andere Namen. Scholl erlebt gerade seinen 98. Frühling.“ Manager Uli Hoeneß nach der nennenswerten Rückkehr des fast Vergessenen. Leider ist er nun schon 35 Jahre alt. Allzu viel Fußballfrühlinge werden nicht mehr folgen. DETLEF DRESSLEIN Ligastart, lösbare Aufgabe in der Champions League mit einer bayerisch-österreichischen Konfrontation. Alles gut. 5 Fanzufriedenheit: Perfekter 4 Mitarbeiter des Monats: Ali Karimi oder Andreas Ottl. Karimi galt als fauler Typ, der lieber gut verdient, als viel läuft, was ihn mit einem Trainer wie Magath nur bedingt kompatibel erscheinen ließ; nun aber entpuppte er sich als fleißiger und spielstarker Mittelfeldspieler. Andreas Ottl ist neben Philipp Lahm der einzige Münchner im Team und zeigte in ersten Kurzeinsätzen großes Potenzial. Werner Leuthard. Wer von „Quälix“ und seinen speziellen Methoden spricht, meint eigentlich ihn. Leuthard, der Fitnesstrainer, sorgte für die phänomenale Frühform der Münchner Stars. Spätestens da nun die Champions League dazukommt, wird sich seine Arbeit weiter auszahlen. 3 Durchbruch steht bevor: Michael Ballack? Es sei denn, irgendjemand überzeugt ihn davon, dass es besser ist, beim FC Bayern alt zu werden, als mehr Geld zu verdienen und tolle Erfahrungen im Ausland zu machen. Ungeeignet: Franz Beckenbauer, der kürzlich wieder von seinem stilprägenden New-York-Abstecher schwärmte. ROLAND LEROI anbrechenden Herbst schmilzt auch der Aufstiegsbonus. Das Publikum will Siege sehen, sonst wird es grantig. 5 Fanzufriedenheit: Mit dem 4 Mitarbeiter des Monats: Walter Hellmich. Nicht nur, dass der Vorsitzende den MSV im Alleingang regiert. Kraft seiner glänzenden Kontakte zu den örtlichen Behörden sorgte der Bauunternehmer dafür, dass die Ampelschaltungen rund um die MSV-Arena geändert wurden. Das Verkehrchaos der ersten Spieltage, als plötzlich 30.000 Leute kamen, ist damit behoben. Millionen auf der Bank – was die Bayern können, schafft Duisburg auch. Der MSV leistete es sich, mit Klemen Lavric den teuersten Einkauf der Vereinsgeschichte hin und wieder draußen zu lassen. 3 Durchbruch steht bevor: Abwehrchef. Bereits in den ersten Partien wurde deutlich, dass der MSV nicht viele Spiele ohne Gegentor beenden wird. Ausgerechnet das einstige Prunkstück des Vereins, der für seine Abwehrschlachten geliebt und belächelt wird, wackelt bedenklich. Dumm, dass es Pavel Drsek, der Defensivmeister jüngerer Tage, vorzog, in die Zweite Liga zu wechseln (Bochum). Vielleicht gibt es bald ein Wiedersehen. 2 Dieser Spieler fehlt: Ein 1 Zitat des Monats: „Willi soll 1 Zitat des Monats: „Mehmet 2 Dieser Spieler fehlt: Bald MSV DUISBURG BAYERN MÜNCHEN 5 Fanzufriedenheit: Die Angst geht um rund um den BorussiaPark. Das Vertrauen zum Retter Köppel bröckelt in dem Maße, in dem seine taktischen Irrungen und Wirrungen offensichtlich werden. BERND SCHNEIDERS 4 Mitarbeiter des Monats: Der Verkauf von Marek Heinz war eines von Gladbachs Dauerthemen. Am 24. August gingen mit kyocera.de, der Internetseite von Borussias Hauptsponsor, die Fohlen durch: Der Verkauf an Galatasaray Istanbul mit Gehalt und Ablösesumme wurde vermeldet. Der Klub musste dementieren. Ein paar Tage später hat es dann zur Zufriedenheit aller doch noch geklappt. vergangenen Saison war Torwart Kasey Keller wegen seiner gewöhnungsbedürftigen Art der Abstöße (American Football) und als Advocaat-Mann der Favorit auf den Titel des Deppen des Vereins. Jetzt fehlt nicht mehr viel zum Durchbruch zum Fanliebling. 3 Durchbruch steht bevor: In der dem dritten Spieltag entdeckt Köppel plötzlich, dass ihm ein kopfballstarker Mittelstürmer fehlt. Verpflichtet wurde der Brasilianer Kahé von Ponte Preta. Der muss nun das Kunststück schaffen, die Chancen zu verwerten, die Gladbach sich nicht erspielt. 2 Dieser Spieler fehlt: Vor Pause bin ich richtig laut geworden – also für meine Verhältnisse.“ Trainer Horst Köppel über das Pokalspiel beim Verbandsligisten FC Kutzhof (3:0), das zur Halbzeit noch 0:0 stand. 1 Zitat des Monats: „In der BORUSSIA MÖNCHENGLADBACH RUND 37 5 Fanzufriedenheit: Einerseits ahnen immer mehr, dass es diese Saison schwer werden dürfte, die Klasse zu halten. Andererseits haben 80 wahnsinnige Rheinhessen mal eben ein globales Novum geschaffen: Auf Island schallte minutenlang ein Wechselgesang über die fast leeren Ränge. Nichts Neues? Doch, denn auf der anderen Seite standen die Heimfans, die beim „FSV – Keflavik“ kräftig mittaten. CHRISTOPH RUF 4 Mitarbeiter des Monats: Nikolce Noveski, seit Wochen der beständigste Mainzer. Und das auf der nicht ganz unwichtigen Innenverteidigerposition. Hinten stimmt derzeit sowieso vieles. Immerhin. Zug zum Tor steht abfahrbereit. 3 Durchbruch steht bevor: Der kein Stürmer mehr. In letzter Sekunde vor Ablauf der Transferfrist wurden der Brasilianer Romulo Marcos Antonelli, vulgo „Romulo“ und Mohamad Zidan von Werder verpflichtet. Vor allem deshalb, weil sich Trainer Klopp von ihnen den „Zug zum Tor“ verspricht, der dann im optimalen Fall auch einmal zum bislang raren Treffen desselben führen soll. 2 Dieser Spieler fehlt: Endlich de Alemania, un equipo casi deconocido, no tiene grandes nombres en sus filas.“ Die spanische Sportzeitung „La Marca“ erklärt ihren Lesern den Uefa-Cup-Gegner des FC Sevilla. Und zwar treffend: „Mainz 05 aus Deutschland, eine fast unbekannte Mannschaft, hat keine großen Stars in ihren Reihen.“ 1 Zitat des Monats: „El Mainz 05 FSV MAINZ 05 ELKE RUTSCHMANN werden flammende Appelle gegen die Ungeduld gehalten. Noch halten sich die Fans mit Pfiffen zurück und sind eher sauer auf OB Schuster. Der will den Leichtathleten im Daimler-Stadion weiter eine Heimstatt bieten. 5 Fanzufriedenheit: Vom Verein 4 Mitarbeiter des Monats: Zvonimir Soldo. Der 37-jährige Kroate saß draußen und litt leise. Ohne das stabilisierende Element suchte der VfB verzweifelt nach einem Gesicht. Soldo jammerte nicht, gab im Training weiter alles. Oldie Trapattoni kam schnell zur Erkenntnis: Mit Vati geht es der Mannschaft besser. Die Tage des Kapitäns auf der Bank sind wohl Geschichte. Christian Gentner. Der 20-jährige Mittelfeldspieler hat jetzt schon mehr Einsätze als in der vergangenen Saison. „Ihn für zu jung zu halten, ist falsch. Wir sollten froh über so einen Superspieler sein“, lobte Fernando Meira den U20-Nationalspieler, der aber noch etwas robuster werden sollte. 3 Durchbruch steht bevor: mehr der Dolmetscher für Signore Trapattoni. Nach dem dürftigen Start sind die schmunzelnden Reaktionen auf die sprachlichen Flapsigkeiten selten geworden. 2 Dieser Spieler fehlt: Nicht Stein auf Stein und nicht einfach eine Hütte hin, die beim nächsten Windstoß wieder in sich zusammenfällt.“ Erwin Staudt, Präsident des VfB Stuttgart. Na dann weiter, schaffe, schaffe, Mannschaft bauen 1 Zitat des Monats: „Wir bauen VFB STUTTGART sind bescheidener als Teile der Klubführung, die vom Uefa-Cup träumen und sich attraktiveren Fußball wünschen. Man wartet ab, ob es wirklich aufwärts geht. Wenn nicht, wartet man eben einfach weiter. JÖRG MARWEDEL 5 Fanzufriedenheit: Die Fans 4 Mitarbeiter des Monats: Martin Kind. Auch nach Rücktritt und ohne offizielles Führungsamt steuert der alte Klubpatriarch weiter die Politik. Ohne ihn steigt niemand auf bei 96, ohne seinen Willen wird nicht mal der Trainer gefeuert. Schließlich hat er noch immer Millionen im Klub. 3 Durchbruch steht bevor: Hanno Balitsch. Ein Mitläufer war er in Köln, Leverkusen und Mainz. Hannover erlebt jetzt den gereiften Führungsspieler Balitsch: Mund aufmachen, Galle spucken, organisieren, antreiben. 2 Dieser Spieler fehlt: Der Abwehrmittelfelddauerläufertorjäger. So würde sich Lienen den idealen Profi klonen. Leider wird das Lienensche Gesetz immer wieder von der Realität eingeholt und die ist schrecklich. So verlieren Torjäger, die auch Dauerläufer in Abwehr und Mittelfeld sein sollen, ihren Torinstinkt. Man frage nach bei Brdaric, Hashemian, Christiansen. 1 Zitat des Monats: „Ich möchte eigentlich gerne darauf verzichten, auch noch jeden U19-Spieler kennen zu lernen.“ Trainer Ewald Lienen, der wegen der vielen verletzten 96-Profis schon das halbe Nachwuchsteam auf die Ersatzbank holen musste. HANNOVER 96 rund_036_039_Lage_Der_Liga 38 07.09.2005 21:09:50 Uhr 5 Fanzufriedenheit: Kontrovers wurde das Verhalten des Fanbeauftragten diskutiert. Der soll in Basel – nicht zum ersten Mal – ein paar Bierchen mehr gehabt haben, was einige kreuzbrave Fans prompt im Fanforum petzten. SVEN BREMER 5-Millionen-Euro-Zugang Rafinha aus Brasilien soll die Problemzone in der königsblauen Defensive beseitigen. Der rechten Abwehrseite, bisher aushilfsweise durch Hamit Altintop besetzt, könnte eine Auffrischung durch einen echten Verteidiger gut tun. 4 Mitarbeiter des Monats: Ralf Rangnick. Nach dem ungefährdeten 3:0-Erfolg seines Teams in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den FC Bremerhaven grantelte der Schwabe in der Pressekonferenz über den zu langen Stadionrasen. Da scheint die Taktik des Verbandsligisten ja aufgegangen zu sein. 5 Fanzufriedenheit: Die Stimmung war nach dem Saisonstart und dem Sieg gegen Dortmund so zufrieden, dass besonders ekstatische Fans sogar die Trainingseinheiten mit rhythmischen Paukenschlägen begleiteten. JÖRG STROHSCHEIN Wieses Weggang erschien die Torhüter-Position vakant. Der Österreicher Jürgen Macho hat sich bei Neutrainer Henke nun gegenüber Thomas Ernst als Stamm-Keeper durchgesetzt – zumindest zum Saisonauftakt hielt er stark. 4 Mitarbeiter des Monats: Halil, Halil, Halil, Halil, Halil, Halil – der sechsfache Torschütze Halil Altintop vertrieb in den ersten drei Bundesligapartien die etwas bange Frage nach einem unterbesetzten Sturm. Bis 2006 läuft sein Vertrag noch – auch auf Schalke sollen schon Begehrlichkeiten geweckt worden sein. Nicht nur bei Mama Altintop, die in der Nähe des Gelsenkirchener Bahnhofs wohnt. KLAUS TEICHMANN wurde Michael Henke empfangen – nach der gelungenen Heimpremiere feierte er das 5:3 gar als Trommler vor der Fankurve. 5 Fanzufriedenheit: Skeptisch 4 Mitarbeiter des Monats: Stadionsprecher Arnd Zeigler hat sich für sein neues Buch vorgenommen, wirklich jedes Werder-Spiel statistisch zu erfassen. Von zirka 2700 Partien fehlen nur noch wenige Daten, unter anderem die vom Spiel gegen die Inselauswahl Poel oder solch Sternstunden der Fußballgeschichte wie Eintracht Amsdorf – Werder. 3 Durchbruch steht bevor: 3 Durchbruch steht bevor: Nach Daniel Jensen. Der Mann kann sowohl im defensiven Mittelfeld abräumen, als auch den Zehner abgeben, wie er nun schon oft bewiesen hat. Durch Verletzungen immer wieder zurückgeworfen, hat er sich noch keinen Platz in der Raute erkämpft. 3 Durchbruch steht bevor: defensiv wie offensiv starker Mann auf der linken Außenbahn, der nicht nur deshalb Nationalspieler seines Landes ist, weil die Linksfüße weltweit aussterben. 2 Dieser Spieler fehlt: Ein Baumjohann (18). Noch unter Ex-Coach Jupp Heynckes als eines der viel versprechendsten Talente im deutschen Fußball gepriesen, ist nach der Saisonvorbereitung in den Niederungen der Schalker Amateurmannschaft verschwunden. südamerikanischer Nationalspieler kommt gerädert von den internationalen Partien seines Landes zurück. Einen Dänen können wir mit dem Fahrrad losschicken, der ist in eineinhalb Stunden wieder da.“ Werders Vorsitzender der Geschäftsführung, Jürgen L. Born, über den Vorteil, dänische Profis zu verpflichten. 1 Zitat des Monats: „Ein SV WERDER BREMEN Ferydoon Zandi tastet sich nach seiner Sprunggelenksverletzung nur langsam wieder an die Stammformation – Tendenz steigend. In Trier war er schon wieder 81 Minuten dabei und traf. In Köln holte er nach seiner Einwechslung den Elfmeter zum 3:2-Siegtreffer heraus. 2 Dieser Spieler fehlt: 2 Dieser Spieler fehlt: Alexander 1 Zitat des Monats: „Wenn er nur zehn Prozent seiner Chancen nutzt, wird er Torschützenkönig.“ Torhüter Frank Rost über seinen zu Saisonbeginn etwas glücklosen Teamkollegen Zlatan Bajramovic, der auch nach eigenem Bekunden weiter an der Verbesserung seiner Chancenverwertung arbeiten muss. 1 Zitat des Monats: „Egal gegen wen, wir hauen ihn weg!“ Ungewohnt forsche Töne erklingen nach gelungenem Bundesligastart und dem Pokalsieg in Trier wieder aus der Pfalz – für Marcelo Pletsch gab es für die zweite DFB-Pokal-Runde keinen Wunschgegner mehr. FC SCHALKE 04 1. FC KAISERSLAUTERN AM BALL Der schwache Start hat die Angst geschürt, dass der BVB in dieser Saison allenfalls Mittelmaß sein wird. Wobei auch niemand etwas Ambitionierteres versprochen hat. OLIVER MÜLLER 5 Fanzufriedenheit: Ernüchternd. 4 Mitarbeiter des Monats: Ohne Zweifel Christian Wörns. Nicht von ungefähr entfiel von der Vielzahl der individuellen Fehlern, die zu Gegentoren führten, keiner auf das Konto des 34jährigen Altmeisters. 3 Durchbruch steht bevor: Hoffentlich für Cedric van der Gun. Der zuletzt vertragslose holländische Außenstürmer wurde nach der Verletzung von Buckley und dem Verkauf von Ewerthon als dringend benötigte – und zwingend günstige – Alternative für den Angriff verpflichtet. Buckley das Glück: Der frühere Bielefelder Torjäger hatte auf dem Feld Anpassungsschwierigkeiten, außerdem wurde in sein gerade bezogenes Haus eingebrochen, und dann zog er sich bei der südafrikanischen Nationalelf einen Außenbandanriss zu. 2 Dieser Spieler fehlt: Delron weise wäre ich ausgeflippt, wenn ich von irgendeinem Gegenspieler getunnelt worden wäre. Aber d’Allessandro ist ja nicht irgendwer.“ Der 16jährige Nuri Sahin, der als jüngster Bundesligaspieler aller Zeiten bei seinem Debüt in Wolfsburg eine abgeklärte Leistung gegen den Argentinier bot, obwohl der ihn nach nur zwei Minuten mit einem Beinschuss düpiert hatte. 1 Zitat des Monats: „Normaler- BORUSSIA DORTMUND Lage der Liga NICLAS WESTPHAL Fans mit Hang zur Statistik wissen: Es gibt kein besseres Omen für eine gelungene Spielzeit als einen missglückten Saisonauftakt. So gesehen herrscht Gelassenheit in Ostwestfalen. 5 Fanzufriedenheit: Arminen- Systemtheorie. Isaac Boakye, der eigentlich torgefährlichste Bielefelder, nervte erst Uwe Rapolder und dann Thomas von Heesen, weil er sich nicht mit deren Konzeptfußball anfreunden wollte. Jetzt habe er die Kurve gekriegt, lobt der Trainer und lässt Boakye alleine stürmen. 4 Mitarbeiter des Monats: Die Radim Kucera. Nach zähen Verhandlungen konnten die Arminen den Spieler von Sigma Olmütz loseisen. Kucera eilt nicht nur der Ruf eines vom Europapokal gestählten Spielers voraus – er ist beidfüßig und fühlt sich in der Viererkette und im defensiven Mittelfeld gleichermaßen wohl. 3 Durchbruch steht bevor: Gabriel. Der Abwehrorganisator muss nach erneuter Knieoperation länger pausieren als gedacht. Der Grund: Mediziner hatten eine alte Verletzung übersehen. Der Einsatz des umsichtigen Funkturms lässt auf sich warten. 2 Dieser Spieler fehlt: Petr diesem tollen Spieler kann ich nur gratulieren.“ Jürgen Klopp, Trainer von Mainz 05, lobt das Engagement von Sibusiso Zuma. Zuma verfügt über eine Ausbildung zum „Publikumsliebling“ und hat in Bielefeld bereits nach kurzer Zeit Delron Buckley vergessen lassen. 1 Zitat des Monats: „Zu ARMINIA BIELEFELD DANIEL THEWELEIT Saisonstart war durchwachsen. Und zuzusehen, wie die anderen in der Champions League spielen dürfen, während man selber eine Ostblockreise im Uefa-Cup zu bewältigen hat, macht traurig. 5 Fanzufriedenheit: Der 4 Mitarbeiter des Monats: Wolfgang Holzhäuser. Der Geschäftsführer formulierte nach dem bescheidenen Saisonstart eine große Wahrheit des Fußballs: Trainer seien eine „temporäre Erscheinung“, womit er nicht zu einem konstruktiven Arbeitsklima beitragen konnte. Doch Ordnung muss sein in Zeiten der Krise. 3 Durchbruch steht bevor: Jens Nowotny will im Oktober nach seinem vierten Kreuzbandriss wieder spielen. „Ich mache mir noch Hoffnung auf die WM“, sagt er sogar. Doch dazu wäre wohl mehr als ein simpler Durchbruch nötig. 2 Dieser Spieler fehlt: Dringend benötigt wird ein Typ, der resistent ist gegen die Launenhaftigkeit dieser Mannschaft. Trainer Klaus Augenthaler steht dem Problem extremer Leistungsschwankungen seit langem ratlos gegenüber, bislang hat sich jeder Neuzugang innerhalb weniger Wochen auch mit diesem Virus infiziert. 1 Zitat des Monats: „Wir sind mit viel Geld nicht Meister geworden, das können wir auch mit wenig Geld.“ Sportdirektor Rudi Völler eindeutig genervt auf die Frage, was denn nun möglich ist in den kommenden Jahren und nach der neureichen Ära des Reiner Calmund. BAYER LEVERKUSEN rund_036_039_Lage_Der_Liga 39 07.09.2005 21:09:55 Uhr ist wunderschön geworden.“ Uwe Seeler bei der Enthüllung einer vier Tonnen schweren Bronzeplastik vor der AOL-Arena, die seinen rechten Fuß abbildet. Gaul nicht mehr durch – jedenfalls nicht mehr so schnell.“ Präsident Michael A. Roth, unmittelbar nach dem 0:1 in Frankfurt auf die Frage, ob sein Trainer Wolfgang Wolf wegen des doch gründlich missratenen Saisonstarts schon um seinen Job fürchten müsse. beim ersten Saison-Heimspiel gegen Hannover 96 zum ungefähr 378. Mal seit der letzten deutschen Meisterschaft 1968 auf die Probe gestellt. Erst missriet die Fan-Sprechstunde, dann der Kartenverkauf, und zu guter Letzt murkste sich das Team zu einem müden 1:1. Schwere Zeiten für die laut Homepage „besten Fans der Liga“. WOLFGANG LAASS 5 Fanzufriedenheit: Wurde Uefa-Cup erreicht, gut in die Liga gestartet, die Euphorie ist groß. Selbst die Hamburger Presse ist zufrieden. Und das will was heißen. MALTE OBERSCHELP 5 Fanzufriedenheit: Bestens. Den 4 Mitarbeiter des Monats: Wer hätte das gedacht: Mehdi Mahdavikia. Seit er im UI-Cup-Finale eingewechselt wurde und am 3. Spieltag gegen Hannover das Unentschieden rettete, hat seine Abschiebehaft ein plötzliches Ende gefunden. Da jubelt der Perser. Reto Ziegler. Stunden bevor die Uefa in Sachen Transferperiode den letzten Gong erschallen ließ, eiste der HSV den 19-jährigen Schweizer Nationalspieler von den Tottenham Hotspurs los. Zwar nur ausgeliehen, aber immerhin: In England wurde Ziegler vergangene Saison zum Talent des Jahres gewählt. Ausnahmsweise kein Rechtsfuß. Eventuell U21-Nationalspieler Stefan Kießling, wenn er denn mal regelmäßig in der Bundesliga ran dürfte. Sein Trainer Wolfgang Wolf hält jedenfalls große Stücke auf den 21-Jährigen, wäre aber bereits zufrieden, wenn der „Kießi“ in seinem zweiten Bundesligajahr auf 15 Einsätze kommen würde. 4 Mitarbeiter des Monats: Mario Cantaluppi, weil er über hellseherische Fähigkeiten verfügt. So orakelte der Schweizer: „Basel kommt in die Champions League, und der Club gewinnt bei der Eintracht.“ Knapp vorbei ist auch daneben. 3 Durchbruch steht bevor: Atouba als Rechtsfuß (lebendig, nicht in Bronze). Nicht dass Guy Demel den Job rechts hinten in der Viererkette so richtig schlecht macht – aber ein echter Außenverteidiger ist er nun mal nicht. Von den Kabinettstücken Atoubas ganz zu schweigen. 3 Durchbruch steht bevor: ein zweikampfstarker Verteidiger mit Spielmacher-Qualitäten und herausragender Trefferquote: Beim Club zwickt es zurzeit praktisch in allen Mannschaftsteilen. 2 Dieser Spieler fehlt: Ideal wäre 1 Zitat des Monats: „Die Skulptur 1 Zitat des Monats: „Mir geht der 2 Dieser Spieler fehlt: Timothée HAMBURGER SV 1. FC NÜRNBERG PETER UNFRIED weniger am Tabellenplatz des VfL als von der Situation bei VW ab. Insofern war man im Fanblock schon mal glücklicher. 5 Fanzufriedenheit: Hängt THOMAS KILCHENSTEIN 5 Fanzufriedenheit: Ungebrochen hoch. Nach der ersten Niederlage wurden die Helden minutenlang gefeiert, nach der zweiten immerhin nicht ausgepfiffen. Als Dank für diese Rückendeckung schrieb die Mannschaft ihren Fans einen offenen Brief. Rührend. 4 Mitarbeiter des Monats: Torwarttrainer Andreas Menger, Stoiker. Er schaffte es, im DFB-Pokalspiel gegen RW Oberhausen die erste Halbzeit nahezu regungslos im strömenden Regen zu verharren – weil er auf der überdachten Ersatzbank kein Plätzchen mehr fand. Kaum hatte der Schiri zur Pause gepfiffen, flitzte Menger unters Dach. 3 Durchbruch steht bevor: Jurica Puljiz, Kroate, seit Juli 2003 in Frankfurt, eigentlich Verteidiger, 15-mal eingesetzt. Was er kann, weiß niemand so genau, er war 14 Monate verletzt, nutzte die Zeit, um deutsch zu lernen. Immerhin. Seit Mitte August überraschenderweise ins Mannschaftstraining eingestiegen. Will nun durchstarten. 2 Dieser Spieler fehlt: Alex Schur, kreuzbandgeschädigter Dauergrätscher und gute Seele der Eintracht. Ein echter Nachfolger ist trotz diverser Neuverpflichtungen noch nicht gefunden. Obzwar absehbar bis zur Winterpause außer Gefecht, ist er von Trainer Funkel wieder zum Spielführer ernannt worden. Das sagt alles. doch nur ein kleines Licht.“ Selbsterkenntnis von Torwart Markus Pröll nach den ersten Niederlagen. 1 Zitat des Monats: „Wir sind EINTRACHT FRANKFURT RUND 39 Thiam. Der Kapitän hat die Chefrolle übernommen, nicht nur in der Kommunikation nach außen, sondern auch als defensiver Anker in der Viererraute im VfLMittelfeld. Starspieler d‘Alessandro soll ausschließlich vor ihm agieren. „Dann ist es auch nicht so gefährlich, wenn er den Ball verliert.“ Logisch. So klar hat das früher keiner formuliert. 4 Mitarbeiter des Monats: Pablo Neuzugang Alex, 26. Ein kleines Problem mit ihm hat der Stadionsprecher wegen des fehlenden Nachnamens. Er ruft „Aaaa“, das Stadion „lex“, das ist ein bisschen dünn. Aber wenn der portugiesische Rechtsverteidiger bringt, was er bringen soll, ist die internationale NationalspielerViererkette (außerdem: Hofland, Quiroga, van der Heyden) weiter aufgewertet, und das spielerische Niveau des Teams auch. 3 Durchbruch steht bevor: Petrov (jetzt Atletico Madrid). Man nannte ihn „Fußballgott“, und verdammt: Er war tatsächlich einer. 2 Dieser Spieler fehlt: Martin jedes Jahr den Trainer wechselt, kann auch eine Mannschaft nicht zusammenwachsen.“ Weise letzte Worte des langjährigen linken Verteidigers Patrick Weiser, bevor er wieder zurück zum 1. FC Köln wechselte. 1 Zitat des Monats: „Wenn man VFL WOLFSBURG wechselhaft. Die Bundesligarealität hat die Fans eingeholt, nach jedem Sieg geht alles, während jedes Gegentor in herbstlich-sorgenvolles Nachdenken über den Fußball, das Leben und den lieben Gott mündet. DANIEL THEWELEIT 5 Fanzufriedenheit: Extrem 4 Mitarbeiter des Monats: Gnadenlos populistisch wurde Marcel Koller einst vom Kölner Boulevard zum Teufel gejagt, die Ansätze von Spielkultur, die der Schweizer einführte, gingen unter Huub Stevens verschütt, und doch erinnert man sich gegenwärtig mit Respekt. Denn Koller entdeckte Podolski und Sinkiewicz, „Bild“ schreibt jetzt anerkennend: „Heute sind die beiden Nationalspieler 20 Millionen Euro wert. Kollers Verdienst.“ 3 Durchbruch steht bevor: Eine Innenverteidigung mit einem Durchschnittsalter unter 20 (Matip/Sinkiewicz) ist längerfristig kaum denkbar. Daher sollte Özalan Alpay, der routinierte, alte Mann, eine tragende Rolle bei der Ausbildung der beiden Talente spielen. Podolski fehlt ein zweiter Individualist, der mit unerwarteten Ideen Gegner aushebelt, die sich mittlerweile geschickt auf den überfallartigen Kombinationsfußball der Marke Rapolder eingestellt haben und keine Räume für dieses Konzept lassen. 2 Dieser Spieler fehlt: Neben 1 Zitat des Monats: „Noch ist das hier nur ein Pflänzchen, das ein bisschen Sonnenschein braucht.“ Trainer Uwe Rapolder zu den ins Kraut schießenden Träumereien von goldenen Tagen in Müngersdorf. 1. FC KÖLN ersten beiden Spielen war vom besten Hertha-Saisonstart seit Jahren die Rede. Was angesichts der gebotenen Leistungen zeigt: Statistik ist eine dehnbare Angelegenheit. PETER AHRENS 5 Fanzufriedenheit: Nach den 4 Mitarbeiter des Monats: Dieter Hoeneß. Der Manager hat jetzt noch weitere fünf Jahre Zeit, einen außergewöhnlichen Spieler für den Hauptstadtsturm der Liga zu finden. Sein Vertrag ist jedenfalls bis 2010 verlängert. Darin soll sich eine Klausel befinden, die besagt: Wenn er bis 2008 immer noch erfolglos gesucht hat, muss er selber noch mal ran und den guten alten Mittelstürmer-Turban um die hohe Stirn wickeln. Flanke Gilberto, Kopfball, Tor. Geht doch. 3 Durchbruch steht bevor: Mittelstürmer Artur Wichniarek. Das ist jetzt schon so oft geschrieben worden, irgendwann muss es ja mal stimmen. 2 Dieser Spieler fehlt: In den Berliner Medien hieß Roque Santa Cruz zwischenzeitlich kurz Rafael Portillo. Beiden ist gemeinsam, dass sie überdurchschnittliche Stürmer sind, bei überdurchschnittlichen Vereinen unter Vertrag stehen und nicht zur Hertha wechseln. 1 Zitat des Monats: „Man muss akzeptieren, dass Hertha nun mal nach Herrengedeck West-Berliner Eckkneipen riecht und daran arbeiten, das als Duft der angestrebten Champions League wahrzunehmen.“ Der Schauspieler Christian Ulmen im Berliner „Tagesspiegel“ zu seiner mühseligen Arbeit, Hertha lieben zu lernen. HERTHA BSC BERLIN RUND Gleiche Höhe GLEICHE HÖHE Gleiche Höhe ist kein Abseits. Man ist weiter im Spiel. Auf Augenhöhe mit den Stars: „Es gibt viele, die sich gefreut hätten, wenn ich nach meiner Verletzung nicht zurückgekommen wäre.“ CHRISTOPH METZELDER 42 DER SPIELER SPRICHT „Ich rechne mir große WM-Chancen aus“ – ein Interview mit BVB-Profi Christoph Metzelder 54 REPORTAGE Der Riese erwacht – der türkische Fußball und sein beeindruckendes Scoutingsystem 62 HEIMSPIEL Der Sohn des Kämpfers – Daniel van Buytens Vater war Catcher und hat ihm viel beigebracht 68 ZU GAST BEI FREUNDEN Wir müssen draußen bleiben – die Bundesliga begrenzt die Zahl nichteuropäischer Kicker RUND 41 rund_041_Vorschalt_Gleiche_Hoehe 41 05.09.2005 16:43:34 Uhr GLEICHE HÖHE Der Spieler spricht Christoph Metzelder: „Ich bin zum ersten Mal seit fast drei Jahren wieder schmerzfrei“ RUND 42 rund_042_047_Metzelder 42 07.09.2005 21:29:48 Uhr GLEICHE HÖHE Der Spieler spricht „Ich rechne mir große WM-Chancen aus“ steht für den neuen Typ Fußballprofi: intelligent, kritisch, engagiert, nachdenklich. In RUND erzählt der 24-Jährige von seiner langen Verletzung, wofür er sich engagiert, unter welchem Druck man steht, wenn es bei Borussia Dortmund um das finanzielle Überleben geht, und was ihm Kraft gibt – in der Liga und im Leben INTERVIEW MALTE OBERSCHELP UND DANIEL THEWELEIT, FOTOS AXL JANSEN & NICOLE HARDT Herr Metzelder, nach Ihrem kometenhaften Aufstieg und der Vizeweltmeisterschaft waren Sie lange verletzt und verpassten die EM 2004. Jetzt steht die WM vor der Tür, die Zeit wird knapp. Haben Sie Angst, dass es wieder nicht klappt? CHRISTOPH METZELDER Nein. Ich habe die schwerste Situation überstanden, die es für einen Leistungssportler überhaupt gibt: eine Verletzung, die zur Sportinvalidität hätte führen können. Ich habe mich nach zwei Jahren Pause in die Bundesliga zurückgekämpft und nach dem ersten Spiel gesagt: Es wird keine schlimmere Situation mehr kommen. Auch nicht die, die WM am Fernseher anschauen zu müssen? Natürlich möchte ich zur WM, und ich rechne mir auch große Chancen aus. Aber wenn es damit nicht klappen sollte, dann hat das Ganze eine Vorgeschichte, die man berücksichtigen muss. Die ersten Saisonspiele liefen nicht gut. Spüren Sie einen wachsenden Druck, wenn wie beim Derby gegen Schalke der Bundestrainer auf der Tribüne sitzt und Sie einen Fehler machen? Natürlich zählt im Fußball vor allem die Tagesaktualität. Aber es zählt auch eine gewisse Entwicklung. Ich bin zum ersten Mal seit fast drei Jahren schmerzfrei, und ich merke, dass es im Training wieder aufwärts geht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich wieder auf meinem alten Level bin. Bei mir ist es keine Frage der Qualität, da sind sich ja schließlich alle einig. Neben den Defiziten aus der langen Pause, war auch der Schritt vom unbekümmerten zum etablierten und mit Verantwortung beladenen Spieler zu bewältigen. Ist diese Entwicklung abgeschlossen? Wer mich kennt, der weiß, dass ich schon immer stark reflektiert war, und meine Unbekümmertheit habe ich spätestens seit der WM verloren. Dann wurde ich BVB-Kapitän als jüngster Spieler der Vereinsgeschichte, da ist klar, dass man nicht mehr der RUND 43 rund_042_047_Metzelder 43 07.09.2005 21:29:53 Uhr GLEICHE HÖHE 19-Jährige ist, der von Jürgen Kohler an der Hand geführt wird. Sind Sie sich der Macht bewusst, Zigtausend Menschen oder gar eine ganze Nation mit einem winzigen Stellungsfehler in tiefe Depressionen stürzen zu können? Gerade bei der WM im nächsten Jahr wird dieser Druck wahnsinnig groß sein. Man braucht eine immense mentale Stärke, um nach Fehlern wieder mit voller Überzeugung in das nächste Spiel hineinzugehen. Selbstzweifel zu besiegen, ist dabei ein ganz, ganz wichtiger Faktor. Vermutlich haben Sie diesen Kampf mit den Selbstzweifeln eifrig geübt während der langen Verletzung. Ich habe damals ein Zitat des unheilbar kranken Malers Jörg Immendorf gelesen: Larmoyanz ist auch keine Lösung, es gibt immer Menschen, denen es noch schlechter geht. Natürlich stand meine fußballerische Karriere auf der Kippe, aber es ist nicht so, dass mein Leben bedroht war. Dieser Gedanke hat mir sehr geholfen. Sie haben sich gewissermaßen von außen betrachtet. Ja, auch durch meine Arbeit für Kinder, die benachteiligt sind. Ich betreibe mit Sebastian Kehl das Projekt Roter Keil gegen Kinderprostitution. Da merkte ich: Trotz meiner Verletzung bin ich privilegiert, in einer Gesellschaft wie dieser aufzuwachsen. Ich lernte die Dinge wieder neu schätzen, nachdem es drei Jahre nur bergab ging. Das heißt, es war ein Teil der Therapie, sich wohltätig zu engagieren? Ich habe das nicht bewusst so angelegt. Ich komme aus einer Familie, die einen starken christlichen Hintergrund hat, und versuchte meine Popularität für sinnvolle Zwecke einzusetzen. Aber natürlich habe ich gemerkt, dass eine solche Arbeit für meinen Genesungsprozess wichtig war. Sie gelten als Aushängeschild einer neuen Fußballergeneration: junge Spieler, die einen sehr reflektierten, intelligenten Eindruck machen. Warum ist dieser Spielertyp momentan derart präsent im deutschen Fußball? Das Teamspiel und die Taktik geraten immer mehr in den Vordergrund, vielleicht Der Spieler spricht bevorzugt diese Entwicklung solche Typen. Ich bin auf dem Platz weniger Instinktfußballer als Kopffußballer. Aber auch ein Spieler wie Lukas Podolski, der ein richtiger Bauchfußballer ist, hat seine Vorzüge. Ein Spieler, der mehr reflektiert, der zweifelt auch schneller. Über alles nachzudenken, sehe ich deshalb nicht immer als Vorteil. Trotzdem sind Figuren wie Effenberg oder Basler fast ausgestorben. Die Medienlandschaft ist groß und auch sehr brutal geworden. Jeder Fehltritt hängt dir nach. Es gibt nur wenige Spieler, die die Mentalität haben zu sagen: Es ist egal, was geschrieben wird. Dementsprechend wägen die meisten sehr sorgsam ab, was sie sagen und wie sie es sagen. Das führt dazu, dass es die richtig krassen Typen nicht mehr gibt. Nach einer tollen Rückrunde in der vergangenen Saison begann diese Spielzeit durchwachsen für Borussia Dortmund. Lässt sich schon absehen, wohin der Weg des BVB nun geht? Wir sind in allen Pokalwettbewerben ausgeschieden und schwach in die Bundesliga gestartet, das sah erst mal nicht gut aus. Aber ich tue mich noch schwer, eine Prognose zu stellen. Gibt es eine Erklärung dafür, dass die Mannschaft zum wiederholten Male so große Probleme mit den Partien hatte, die für die Champions-Leauge- oder die Uefa-CupQualifikation entscheidend waren? Mittlerweile ist das wirklich ein bisschen traumatisch, und es wird mit jeder Niederlage schlimmer. Man steht als Spieler da und hat keine Erklärung. Und als BVB-Spieler muss man dann immer zuerst die Frage nach den finanziellen Konsequenzen beantworten. Nervt das langsam? Wir Spieler haben uns bei Borussia Dortmund daran gewöhnt, dass man auch in der Lage sein muss, ökonomische Fragen zu beantworten. Sie sind in all dem Wirbel um den Finanzskandal durchaus kritisch, aber doch sehr besonnen aufgetreten. Ecken Sie mit dieser Art an in Dortmund, wo es meist sehr emotional zugeht? Wer mich kennt, weiß dass ich eher introvertiert bin. Etwas anderes würde man mir auch nicht abnehmen. Hier in Dortmund wollen die Leute zwar immer ein paar krasse Aussagen über den Reviernachbarn hören, aber die mache ich nicht. Das wäre nicht authentisch. Vergangene Saison entwickelte sich wieder eine große Nähe zwischen Mannschaft und Fans. Entstand diese neue Identifikation aus dem gemeinsamen Gefühl heraus, während der Finanzkrise schlecht informiert worden zu sein? Unter den Fans gab es eine unglaublich große existenzielle Angst. Die starke Bindung der Anhänger besteht ja nicht zu den Spielern, sondern zum Verein. Und der war plötzlich in Gefahr, völlig kaputtzugehen. Diese Situation hat uns alle sehr eng zusammengeschweißt, denn die Fans haben irgendwann gemerkt: Diese Mannschaft kämpft auch ums Überleben des Vereins. Und mit jedem Sieg wuchs die Nähe zwischen Fans und Mannschaft. Sie haben mal gesagt, dass Sie ein Typ sind, der es allen recht machen möchte. Leiden Sie darunter, dass man nicht mehr alle gleich behandeln kann, wenn man so in der Öffentlichkeit steht? Ich bin schon ein Gerechtigkeitsfanatiker, doch gerade im Profifußball gibt es immer die Diskussion um Geld. Da wird Spielern vorgeworfen, sie kämpften nicht genug, sie identifizierten sich nicht mit dem Klub. Da möchte ich mich schon mal hinstellen und das mit jedem Einzelnen ausdiskutieren. Aber irgendwann merkt man, dass man dabei gegen Windmühlen kämpft. Ist dieser Umgang mit dem Neid ein deutsches Phänomen? Ich glaube schon. Wenn man jung ist und Erfolg hat, dann freuen die Leute sich, dann sind sie stolz auf einen. Aber es gibt einen Punkt, wo der Erfolg offenbar zu groß wird. Dann hoffen viele Leute, auch von den Medien, dass man scheitert. Es gibt viele, die sich gefreut hätten, wenn ich nicht wieder zurückgekommen wäre. Wann ist in Ihrem Fall der Zuspruch in Missgunst umgeschlagen? Bei mir war das nach der WM 2002. Natürlich kauft man dann ein neues Auto oder im Elternhaus wird der Vorgarten neu gemacht. Für die Familien der Spieler kann RUND 44 rund_042_047_Metzelder 44 07.09.2005 21:29:54 Uhr GLEICHE HÖHE Der Spieler spricht Rückennummer 21: Christoph Metzelder ist in der BVB-Abwehr wieder eine feste Größe. Das Einzige, was ihm zu seinem Glück noch fehlt, ist ein Bundesligator RUND 45 rund_042_047_Metzelder 45 07.09.2005 21:29:55 Uhr GLEICHE HÖHE Der Spieler spricht Christoph Metzelder: „Irgendwann lebt man nur noch auf der Überholspur“ RUND 46 rund_042_047_Metzelder 46 07.09.2005 21:29:59 Uhr GLEICHE HÖHE das sehr schwierig sein. Wenn der Bäcker zu meinem Vater sagt, was hat denn dein Sohn für einen Scheiß gespielt, geht mein Vater völlig konsterniert nach Hause. Sie scheinen einen sehr engen Kontakt zur Familie zu pflegen. Waren es auch Ihre Eltern, die Sie mit dem Christentum vertraut gemacht haben? Ja. Mein Glauben hängt ganz elementar mit meinem Elternhaus zusammen. Als Familie sind wir immer zur Kirche gegangen, wir Kinder waren Messdiener. Heute gehe ich nicht jeden Sonntag zur Kirche, aber ich habe für mich persönlich meine Rituale entwickelt und ein Gewissen, mit dem ich Dinge überprüfe. Im Gegensatz zu vielen Brasilianern knie ich aber nicht öffentlich auf dem Rasen, für mich ist das ein intimer Bereich. Ich denke auch nicht, dass der liebe Gott für Sieg oder Niederlage auf dem Fußballplatz zuständig ist. Sie waren einer der letzten Besucher bei Papst Johannes Paul II. Was haben Sie dort in Rom erlebt? Mit Sebastian Kehl war ich bei der letzten Generalaudienz, die der alte Papst vor seinem Tod gegeben hat. Da macht man dann das Ritual: niederknien, Ring küssen. Das war ein unglaubliches Erlebnis und hat mir sehr viel Kraft gegeben Das große Poster in der „Bravo“ zeigte kürzlich Benedikt XVI. Wirkt es auf Sie befremdlich, dass der Papst zu einem Superstar geworden ist? Das ist ähnlich wie unsere Arbeit für karitative Organisationen, wo Priester vor Ort ihr Leben einsetzen, während nach außen die Gesichter von Sebastian Kehl und Christoph Metzelder zu sehen sind. Das Perverse an unserer Mediengesellschaft ist, dass vieles mit Personenkult zusammenhängt. Ich sehe viele Dinge an der Kirche kritisch, darunter auch einige Einstellungen des Papstes. Aber ich finde es absolut Der Spieler spricht okay, dass er mit seiner Persönlichkeit und seinem Charisma den Jugendlichen Zugang zu einer Sache verschafft. Sie sind nicht nur religiös, sondern auch politisch interessiert. Trotzdem vertreten weder Sie noch viele andere Fußballer ihre Standpunkte, während es in den USA durchaus üblich ist, dass bekannte Sportler Wahlempfehlungen abgeben. Woher kommt diese deutsche Zurückhaltung? Ich habe sehr feste politische Meinungen. Aber ich werde mich da in der Öffentlichkeit vor keinen parteipolitischen Karren spannen lassen. Aber wenn man von etwas überzeugt ist, liegt es doch im eigenen Interesse, auch andere von einer guten Sache zu überzeugen. Das ist ähnlich wie mit dem Glauben. Ich habe öffentliche Veranstaltungen da immer abgelehnt, ich will mich von niemandem instrumentalisieren lassen und auch nicht in einer Schublade landen. Ich bin Fußballer und auf allen Nebenkriegsschauplätzen halte ich mich öffentlich zurück. Sie haben sich für die antirassistische Aktion „Stand Up, Speak Up“ engagiert, die Thierry Henry initiiert hat. Wie kam es zu diesem Kontakt? Der ist über Nike entstanden. Die Kampagne ist ein unglaublicher Erfolg geworden und es gibt eine große Nachfrage unter den Kids nach diesen Bändern. Schade finde ich nur, dass der DFB die Regeländerung der FIFA so krass umsetzt, dass die schwarzen und weißen Bänder im Spiel nicht mehr getragen werden dürfen. Das ist für mich absolut unverständlich. In dieser Sache ist Nike sehr positiv engagiert. Es ist aber auch immer wieder zu hören, dass der Konzern seine Produkte immer noch in Ländern produzieren lässt, wo Kinderarbeit weit verbreitet ist. Ist das ein Thema, dass Sie abklären, bevor Sie für diesen Konzern werben? Nike hat eine Kampagne gestartet, die Lizenznehmer besser zu kontrollieren, um vernünftige Arbeitsbedingen für die Menschen zu schaffen. Eine so große Firma wie Nike kann sich solche Gerüchte kaum leisten. Deswegen denke ich, dass diese Kampagne gewissenhaft durchgeführt wird. Ist es als Fußballer denkbar, hier auf Missstände aufmerksam zu machen, oder würde man sofort mächtig Ärger kriegen? Das ist immer ein schmaler Grat. Ich bin ein Nike-Vertragsspieler, Borussia Dortmund kriegt sehr viel Geld von Nike. Da muss man natürlich schon aufpassen. Es gibt eben auch immer Menschen, die von der Globalisierung benachteiligt sind, das ist nun mal das System. Da ist es schwer, es allen recht zu machen und daraus Vorteile für alle zu ziehen. Sie hatten bei Ihrem fußballerischen Aufstieg zunächst sehr viel Glück, dann viel Pech mit Verletzungen. Glauben Sie, dass sich so etwas ausgleicht? Ich glaube, dass die Ursachen der Verletzung auch in dem Erfolg lagen. Irgendwann lebt man nur noch auf der Überholspur. Der Körper hat schon relativ früh Signale gegeben. Die Achillessehne hat geschmerzt, und ich habe trotzdem immer weiter und weiter gespielt. Da war hier ein Titel, da eine Ehrung, hier ein Länderspiel und da eine Champions- League-Partie. Müsste man junge Spieler, die noch nicht so routiniert mit dieser intensiven Beanspruchung umgehen können, offensiver auf solche Gefahren aufmerksam machen? Es wird kaum einen Spieler geben, der nicht sagt: Ich versuche alles, um zu spielen. Letztendlich war immer ich derjenige, der das Okay gegeben hat. Der tagesaktuelle Druck ist leider Gottes sehr viel höher als die Bereitschaft, Rücksicht auf langfristige Entwicklungen zu nehmen. Ich bin schon viel fit gespritzt worden, mache das heute auch noch und werde das vermutlich bis ans Ende meiner Karriere so machen. CHRISTOPH METZELDER wurde am 5. November 1980 im nordrhein-westfälischen Haltern geboren. Vom TuS Haltern ging er in der B-Jugend nach Schalke, kam dort nicht zurecht und wechselte nach nur einem Jahr zum Regionalligisten Preußen Münster. Von dort holte ihn der damalige BVB-Trainer Bernd Krauss 2000 nach Dortmund. Metzelder wurde schnell Stammspieler und lief 2001 erstmals in der Nationalelf auf. 2002 gewann er mit dem BVB die Deutsche Meisterschaft und stand in Yokohama im WM-Finale. RUND 47 rund_042_047_Metzelder 47 07.09.2005 21:30:03 Uhr GLEICHE HÖHE Erbsenzähler Schnauzbarttabelle (Stand: Saisonbeginn 2005/06; Quelle: RUND) Bis in die 90er Jahre war ein gepflegter Schnauzbart in Spielerkreisen schwer in Mode. Wir zeigen einige der schönsten Exemplare einer ausgestorbenen Gattung. Unsere Preisfrage: Welche Bundesligateams kamen zuerst ohne Schnauzbartprofis aus? Bitte schicken Sie Ihre Lösung bis zum 17. Oktober an: Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg, info@rund-magazin.de, Stichwort: Schnauzer. Wer richtig liegt, kann einen Besuch beim Barbier seines Vertrauens gewinnen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Bärtigste Bundesligateams Waldhof 1984/85 Leverkusen 1979/80 Düsseldorf 1980/81 Duisburg 1981/82 1. FC Köln 1984/85 Duisburg 1980/81 Uerdingen 1980/81 Nürnberg 1980/81 Düsseldorf 1981/82 Leverkusen 1981/82 1. FC Köln 1982/83 Offenbach 1983/84 Waldhof 1985/86 Harald Konopka (1. FC Köln) 14 12 12 12 12 11 11 11 11 11 11 11 11 Uwe Rahn (Hertha BSC Berlin) Heinz Gründel (Eintracht Frankfurt) Schnauzerprofis 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 Hans-Hubert Vogts (Borussia Mönchengladbach) Manfred Müller (Bayern München) : : : : : : : : : : : : : 93 108 123 133 149 120 117 148 162 123 110 125 117 1990 : 106 1991 : 91 1992 : 72 1993 : 56 1994 : 32 1995 : 20 1996 : 14 1997 : 8 1998 : 4 1999 : 2 2000 : 1 und seit 2001 : 0 Calle Del‘Haye (Bayern München) Trainer mit Schnauzer Lorant, Schalke Held, Schalke Schlappner, Waldhof Werner, Gladbach Saftig, Dortmund Daum, Köln Stabel, K‘lautern Köppel, Dortmund Schulte, St. Pauli Stepanovic, Frankfurt Reinders, Rostock Neururer, Saarbrücken Schaaf, Werder 1979 1982 1983 1987 1987 1987 1988 1989 1989 1991 1991 1992 2002 Jonny Otten (Werder Bremen) Sigi Held (Kickers Offenbach) Thomas Kroth (Borussia Dortmund) Auflösung 09/05: Bayern München wurde im Jahr 2005, je nach Interpretation der Sterne, mit 5 oder 6 Steinböcken im Kader Deutscher Fußballmeister. Das persönliche Jahreshoroskop wird erstellt für Torsten Bunde aus Hannover. Der Gewinner wird verständigt. RUND 48 rund_048_049_Erbsenzaehler 48 07.09.2005 21:30:55 Uhr GLEICHE HÖHE Erbsenzähler Wo gibt es die meisten, wo die wenigsten Fußballer in Deutschland (Saison 2005/06; Quelle: Acxiom Deutschland) Anteil aktiver Fußballspieler an der Gesamtbevölkerung. Aufgelistet nach den insgesamt 323 Landkreisen und 125 kreisfreien Städten in Deutschland. 22,3 22,0% 154.804 Einwohner, Niedersachsen. Höchste Geburtenrate Deutschlands. Hinweise auf Fußball: „Ich sehe in der ganzen Liga kein stärkeres Team.“ Der Trainer des Nord-Oberligisten BV Cloppenburg, Tom Saintfiet, über seine Mannschaft. 164.932 Einwohner, Niedersachsen. Im Oktober findet Norddeutschlands größte Erntewagenparade statt. Hinweise auf Fußball: Gehäufte Anzahl von Werder-Fans. % LANDKREIS CLOPPENBURG LANDKREIS ROTENBURG (WÜMME) Schleswig-Holstein Mecklenburg-Vorpommern LANDKREIS BARNIM 23,2% 175.157 Einwohner, Brandenburg. Zum Landkreis gehört die ehemalige DDR-Waldsiedlung Wandlitz. Hinweise auf Fußball: Seit dem Abgang von Erich Mielke aus Wandlitz hat die Fußballbedeutung nachgelassen. 22,3% LANDKREIS EMSLAND Bremen 308.488 Einwohner, Niedersachsen. Katholizismus, Transrapid und Apfelkorn. Hinweise auf Fußball: SV Meppen 22,0% 10,2% 23,2% 23,3% GRAFSCHAFT BENTHEIM Niedersachsen Berlin 21,6% 22,0% 10,6% Brandenburg 23,3% 133.643 Einwohner, Niedersachsen. Die Ureinwohner messen sich im Kloatscheeten. Hinweise auf Fußball: Nähe zu Holland 21,6% 10,2% Hamburg STADT CHEMNITZ 246.092 Einwohner, Sachsen. Ehrenbürger sind Kati Witt, Stefan Heym und Siegmund Jähn. Hinweise auf Fußball: Ballack. Sachsen-Anhalt Nordrhein-Westfalen LANDKREIS BORKEN 10,4% Sachsen 367.457 Einwohner, NordrheinWestfalen. Udo-LindenbergMuseum in Gronau. Hinweise auf Fußball: Holland ist um die Ecke. 8,6% Thüringen 59.284 Einwohner, Sachsen Östlichste Stadt Deutschlands. Hinweise auf Fußball: Jens Jeremies, noch mal Ballack. 10,6% Hessen 22,0% 22,0% 8,6% STADT EISENACH STADT GELSENKIRCHEN 274.926 Einwohner, NordrheinWestfalen. Verärgert durch Bundesbauminister Stolpes Aussage, Cottbus sei schöner. Hinweise auf Fußball: Kreisel, Bundesligaskandal, Charly Neumann, Bierwerbung. 24,8% 21,7% Rheinland-Pfalz Saarland LANDKREIS HASSBERGE 9,3% 88.207 Einwohner, Bayern. Beherbergt das Schlepper- und Gerätemuseum Nassach. Hinweise auf Fußball: Im Landkreis wurde der Barockkomponist Briegel geboren. 8,6% Bayern Baden-Württemberg 9,3% 96.000 Einwohner, Rheinland-Pfalz. Hinweise auf Fußball: Weitere Ortsnamen wie Kickeshausen, Körperich, Reiff STADT LANDSHUT 60.842 Einwohner, Bayern. Der Bürgermeister ist einer der größten McDonalds-Betreiber im Süden. Hinweise nur auf Eishockey: Erich Kühnhackl, Alois Schloder. 77.184 Einwohner, Rheinland-Pfalz. Veranstaltet die Deutschen Draisinentage. Hinweise auf Fußball: SG BlaubachDiedelkopf, Heimat von Miro Klose. 44.180 Einwohner, Bayern. Slogan: Eishockey-Hochburg. Hinweise auf Fußball: Die SpVgg Kaufbeuren spielt in der Bezirksoberliga Schwaben. 61.609 Einwohner, Bayern. Allgäu, also Ski. Hinweise auf Fußball: Der FC Kempten ist der einzige Bayernliga-Verein ohne eigene Website. 10,7% 8,8% 9,9% STADT KEMPTEN STADT SCHWABACH 40.431 Einwohner, Bayern. Der Bürgermeister wurde im Bayrischen Fernsehen der „Grandseigneur der Kommunalpolitik“ genannt. Hinweise auf Fußball: Der Landkreis Haßberge ist nicht weit (s.d.). 9,9% 23,7% 9,3% 9,3% 10,7% 21,7% LANDKREIS BITBURG-PRÜM LANDKREIS KUSEL 43.915 Einwohner, Thüringen. Geburtsort von Johann Sebastian Bach und dem Wartburg. Hinweise auf Fußball: ESV Lok Eisenach kickt in der Kreisliga. 24,8% 23,7% 22,0% LANDKREIS DAUN 63.948 Einwohner, Rheinland-Pfalz. Vulkaneifel, traditionelles Krimi-Milieu. Hinweise auf Fußball: Reinhard Saftig, Gerolsteiner Mineralwasser 10,4% STADT GÖRLITZ STADT KAUFBEUREN 8,6% STADT ANSBACH 40.537 Einwohner, Bayern. Kaspar Hauser wurde hier ermordet. Hinweise auf Fußball: Die SpVgg Ansbach ist soeben aus der Bayernliga abgestiegen. 8,8% KREIS GARMISCH-PARTENKIRCHEN Legende: ■ Wo fast alle gegen das Rundleder treten ■ Die traurige Fußball-Diaspora der Republik 87.460 Einwohner, Bayern. Alles fährt hier Ski oder geht auf Pilgerfahrt nach Oberammergau. Ab und zu Hochwasser. Hinweise nur auf Ski: Christian Neureuther. RUND 49 rund_048_049_Erbsenzaehler 49 07.09.2005 21:31:13 Uhr GLEICHE HÖHE Broichs Bonbons DER FUSSBALLPROFI THOMAS BROICH SCHREIBT ÜBER DAS SÜSSE LEBEN >LA DOLCE VITA? JA. UND NEIN. Frühmorgens um halb sieben unwillig aus den Federn, eine flüchtige Katzenwäsche, zwischen Tür und Angel frühstücken, sich kurz darauf auf dem Weg zur Arbeit wiederfinden, die den Großteil des Tages einnehmen wird – das ist keineswegs die Beschreibung meines Alltags. Mein Tag wird gegen 8.30 Uhr eingeläutet. Sonnenstrahlen erfreuen mein Herz, Thomas Broich, Mittelfeldspieler der Gladbacher Borussia, schreibt für RUND regelmäßig eine Kolumne. Im nächsten Heft präsentiert der witzigste Zweitligaprofi der Welt , Nico Patschinski (LR Ahlen), wieder „Patsches Patzer“ Wegen der hohen Intensität der meisten Trainingseinheiten verbringe ich den Nachmittag oft dösend und relaxend auf dem heimischen Sofa. DIE VERMEINTLICHEN GENÜSSE DES LEBENS, DIE ANDERE MENSCHEN ALS LASTER BEZEICHNEN WÜRDEN, FALLEN EBENSO DER PROFESSIONELLEN LEBENSFÜHRUNG ZUM OPFER. Körperliche Unversehrheit gepaart mit viel Schlaf sind unabdingbar auf diesem Niveau. Außerdem stehen meine Arbeitszeiten nicht im Einklang mit denen meines Umfelds. WOCHENENDEN ODER FEIERTAGE EXISTIEREN FÜR FUSSBALLER NICHT. Un- ser Spiel- und Trainingsplan macht lediglich vor Weihnachten Halt und gewährt uns drei Wochen Auszeit im Sommer. Freunde werden uns durch die unweigerlichen Wechsel oft entrissen, der Kontakt in heimatliche Gefilde reduziert sich leider auf ein Minimum. Das ist unsere DENN IN ETWA ZWEI STUNDEN WERDE ICH ETWA ZWEI STUNDEN UNTER FREIEM HIMMEL MIT EINEM immaterielle Bezahlung FUSSBALL SPIELEN. Im An- für das Dolce Vita, das süße Leschluss noch ein paar regenerative Maßnahmen, und die verbleibenden zehn Stunden des Tages breiten sich verlockend vor mir aus. Im Verlauf der Karriere verschlägt es einen darüber hinaus in so manch bezaubernde Region. Sei es wie in meinem Fall seinerzeit das südländisch-romantische Kleinstädtchen Burghausen oder jetzt die Nähe zu den kulturschaffenden Metropolen Düsseldorf und Köln.Es mangelt also gewiss nicht an Möglichkeiten, die viele freie Zeit vortrefflich zu gestalten. Doch an diesem Punkt möchte ich einhaken. Es liegt aber mir fern, neidvolle Blicke der ehrbaren Arbeiter auf unsere Klasse zu ziehen. Mein Anliegen geht in die andere Richtung. Freilich steht mir in der ben, das wir führen dürfen. Ich schreibe diese Zeilen nämlich an meinem freien Montag, bei strahlendem Sonnenschein auf der Dachterrasse. Im Anschluss werde ich an der Rheinuferpromenade spazieren, um morgen wieder diesem wunderbaren Beruf und Hobby zu frönen. KEINE KLAGE ALSO UND KEIN JUBEL. Ich möchte nur nicht, dass manche Menschen das Dasein als Fußballprofi allzu unkritisch glorifizieren oder womöglich gar neidisch beäugen und in Relation dazu dem eigenen Leben zu wenig Schönheit und Wert zuerkennen. FOTO JEAN BALKE Summe verhältnismäßig viel Zeit zur Verfügung, doch die zu nutzen, ist nicht so einfach wie gedacht. RUND 50 rund_050_053_broich+Meyer 52 07.09.2005 21:32:08 Uhr GLEICHE HÖHE Meyers Taktiktafel „Wir müssen spielen, spielen und nochmals spielen“ HANS MEYER war unter anderem Trainer bei FC Twente Enschede, Borussia Mönchengladbach und Hertha BSC Berlin. Vor allem in Holland fühlte er sich in seiner Auffassung bestätigt, dass das spielerische Element des Fußball im Ausbildungsprozess im Vordergrund stehen muss. Der 62-Jährige arbeitet als Scout für Hertha BSC und greift für RUND wichtige Trainings- und Taktikfragen auf Der Schreck im Gesicht: Hans Meyer sorgt sich um die Trainingsmethodik im Nachwuchsbereich Es ist ein Hobby von mir, das Fußball-Spielen-Lernen in den Ländern, in denen aus sozialen Gründen kein Straßenfußball mehr gespielt wird, zu vergleichen. Ich habe hier schon bemängelt, dass wir uns in Deutschland seit geraumer Zeit auf dem Holzweg befinden, so wie wir im Nachwuchsbereich Fußball trainieren. Wie die Trainingsmethodik verändert werden könnte, möchte ich dieses Mal ausführen. Schauen Sie mal zu, wenn der Nachwuchs trainiert: Wie lange werden in einer Einheit von 90 Minuten Spielformen trainiert? Ich habe mir den Spaß gemacht und anonym am Spielfeldrand 14 willkürlich ausgesuchte Trainings- einheiten im Nachwuchsbereich verfolgt. Von 90 Minuten wurden im Durchschnitt zwölf bis 14 Minuten gespielt. Das ist doch beängstigend. Es ist doch völlig logisch, dass wir in Deutschland spieltaktisch und im Spielvermögen riesigen Nachholbedarf haben. Athletisch sind wir gut dabei, da werden im Training eifrig Klappmesser und Liegestütze gemacht, am Anfang der Einheit wird gelaufen. Auch Torschusstraining und Ballgewöhnungsübungen finden entsprechend Platz und Raum und Zeit. Es läuft überall ähnlich ab: Wir entwickeln zu wenig Kreativität. Fußball spielen kann man nur durch Spielen lernen. Den Trainern im Nachwuchs- und Amateurbereich darf man keine Vorwürfe machen. Sie übernehmen das, was im Profifußball gearbeitet wird. Das Trainingsystem, in dem wir in der Breite Nachwuchs und Amateure arbeiten lassen, ist ein Spiegelbild von dem, wie im deutschen Profifußball gearbeitet wird. Dort wird viel gelaufen und im Athletikbereich werden Schwerpunkte gesetzt. Was ich als Trainer mit fertigen Fußballern trainiere, ist fast egal. Wenn einer mit 25 Jahren noch nicht mit dem Ball umgehen kann, dann lernt er das auch nicht mehr richtig. In diesem Bereich spielt die Fitness also die Hauptrolle. Aber die Jugend müssen wir anders ausbilden. Das, was den Fußball so besonders macht, das technischtaktische Handeln, der kreative Entschluss, wird in der Ausbildung vernachlässigt. Der Fußball wird in seine Einzelteile zerlegt, in Koordination, Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer, Technik und Taktik, die alle häufig unabhängig voneinander trainiert werden. Du lernst das Spielen aber nicht durch Trainieren von einzelnen Komponenten. Aber wenn man mit einer Nachwuchsmannschaft nur zwei Trainingseinheiten in der Woche arbeitet, ist es doch umso wichtiger, was und wie man das macht. Ich plädiere für eine deutliche Erhöhung der ganzheitlichen Trainingsmethode, in der alle Komponenten des Spiels zum Tragen kommen. Stattdessen wird die allgemeine Athletik und individuelle Technik über Gebühr betont. Wir müssen endlich spielen, spielen und nochmals spielen. FOTOS BENNE OCHS RUND 53 rund_050_053_broich+Meyer 53 07.09.2005 21:32:13 Uhr rund_051_052_postkarte 2 08.09.2005 17:54:03 Uhr POSTKARTEN ABTRENNEN, VERSENDEN UND FREUDE BEREITEN! ADHEMAR RUND > DAS FUSSBALLMAGAZIN www.rund-magazin.de „Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich allerdings alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.“ „Ich weiß, wo ich hinschieße. Wo der Torwart hinspringt, ist mir egal.“ RUND > DAS FUSSBALLMAGAZIN www.rund-magazin.de RUND > DAS FUSSBALLMAGAZIN www.rund-magazin.de PAULO SERGIO JEAN-PAUL SARTRE „Fußball ist eine Droge.“ ULI HOENESS RUND > DAS FUSSBALLMAGAZIN www.rund-magazin.de 08.09.2005 17:54:28 Uhr rund_051_052_postkarte 3 FOTO SEBASTIAN VOLLMERT FOTO FLAVIO CANNALONGA „Der Ball muss gut behandelt werden, sonst behandelt er dich schlecht.“ FOTO SEBASTIAN VOLLMERT GLEICHE HÖHE Reportage RUND 54 rund_054_061_Reportage_Türkei 54 07.09.2005 22:03:22 Uhr In Sichtweite der Bosporus-Brücke: Training bei Ejüp Spor Kulübü (li.) Der Riese erwacht Dem TÜRKISCHEN FUSSBALL gehört die Zukunft. Auch dank eines Scoutingsystems, das seinesgleichen sucht VON CHRISTOPH RUF UND TOBIAS SCHÄCHTER, FOTOS ÖZGÜR ALBAYRAK RUND 55 rund_054_061_Reportage_Türkei 55 07.09.2005 22:03:35 Uhr GLEICHE HÖHE Reportage Den Erfolg im Blick: Christoph Daum hat Fenerbahçe zweimal zum Meister gemacht. Dennoch steht er unter immensem Druck Hätte es geklappt, Emre würde heute bei seinem Onkel leben. „Der wohnt nicht weit von hier“, sagt Bilal Satıcı und zeigt die Straße hinunter. Bilal, ein Mann mittleren Alters mit freundlichen runden Gesichtszügen, wirkt nicht enttäuscht, er lacht. Er hat es probiert, niemand kann ihm einen Vorwurf machen. Am wenigsten Emre, sein zehn Jahre alter Sohn. Dieser, versichert Bi- lal mit großen Augen, sei ein riesengroßes Talent. Um Urlaub zu machen, ist Familie Satıcı aus Hannover in die Türkei gereist. Am letzten Tag aber wollte Bilal es dann doch versuchen und machte sich mit dem kleinen Emre auf den Weg nach Florya, jener Villengegend im Westen Istanbuls, in der das Trainingszentrum von Galatasaray liegt. Emre sollte vorspielen beim Herzens- klub seines Vaters und zeigen, wie gut er dribbeln und schießen kann. „Da ist Hakan“, ruft Emre plötzlich, als er einen Blick in eine der Limousinen erhascht, die gerade das von Sicherheitspersonal bewachte Trainingsgelände verlassen. Es hat nicht geklappt. Emre durfte nicht vorspielen, sie haben ihn nicht einmal hineingelassen. Nun steht er nebenan im Fanshop, das Tri- RUND 56 rund_054_061_Reportage_Türkei 56 07.09.2005 22:03:40 Uhr GLEICHE HÖHE kot seines Idols Hakan Şükür übergezogen. Er strahlt. „Ich habe ihn gesehen.“ Es ist wohl mehr, als er sich erhofft hat. Solche Geschichten kennt Erdal Keser zur Genüge. Der Blick von der ausladenden Terrasse im Trainingszentrum geht über die Dächer von Florya. Ein älterer Mann bringt Tee, und Keser beginnt zu erzählen. Er kennt sich aus mit den Hoffnungen und Sehnsüchten junger türkischer Fußballer in Deutschland. Mit zwölf kam Keser mit seinen Eltern nach Hagen in Westfalen und hat es tatsächlich geschafft. 106 Erstligaspiele bestritt er für Borussia Dortmund und noch mehr für Galatasaray, bevor er zum Händler seines eigenen Traums wurde: Von 1998 bis Ende 2002 war der heutige CoTrainer von Galatasaray Leiter des Europabüros des türkischen Fußballverbands in Dortmund, das sich auf die Suche nach türkischstämmigen Talenten in Europa macht. Şenes Erzik, der damalige Präsident des Verbands, erkannte als erster das immense Potenzial, das in Europa brachlag, und beauftragte Keser mit dem Aufbau eines Scoutingsystems. Das war der dritte Schritt eines langfristigen Plans, der die ehemals belächelten Kicker der Türkei auf eine Stufe mit den großen Fußballnationen hieven soll. Reportage Mähen mit Sonnenschutz: Bei Galatasaray geht es dem Greenkeeper gut „Früher gab es in der Türkei viele Ballzauberer, aber nur mit Künstlern kannst du keinen Erfolg haben“ ERDAL KESER Der erste Meilenstein wurde 1990 gesetzt, als in der Türkei Staat und Sport getrennt wurden. Mit den Fernsehgeldern finanzierte man den zweiten Schritt, angestoßen Anfang der 90er Jahre vom damaligen Nationaltrainer Sepp Piontek. Ein Sichtungssystem nach Vorbild des DFB entstand. Heute betreibt der türkische Verband über die gesamte Türkei verteilt 14 Sportschulen. Dieses System wurde schließlich 1998 mit dem Europabüro in Dortmund komplettiert. „Damals gab es in der Türkei viele Ballzauberer, aber nur mit Künstlern kannst du keinen Erfolg haben. Deshalb suchten wir disziplinierte, taktisch geschulte Spieler“, berichtet Keser. In allen deutschen Bundesländern wurden Sichtungstrainer geschult. Lange wur- Blick für Talente: Exprofi Erdal Keser den die Spieler beobachtet, bevor sie zu einem Jahrgangslehrgang gebeten wurden, bei dem auch die jeweiligen türkischen Nationaltrainer vor Ort waren. „Drei, vier Europäer haben es immer geschafft“, erinnert sich Keser. So reüssierten 2002, als die Nationalelf mit dem dritten Platz bei der WM in Japan und Korea den größten Erfolg des türkischen Fußballs feierte, mit Ilhan Mansız aus Kempten, dem Mannheimer Ümit Davala und Yıldıray Baştürk aus Herne gleich drei in Deutschland entdeckte Spieler. Vor zwei Jahren warf der hemdsärmlige Keser den Job allerdings enttäuscht hin. „Für alles hat man eine Unterschrift aus Istanbul gebraucht“, sagt der 44-Jährige. Das Europabüro ist längst ins repräsentativere Köln gezogen. Kesers Nachfolger, RUND 57 rund_054_061_Reportage_Türkei 57 07.09.2005 22:03:47 Uhr GLEICHE HÖHE Reportage Technisch stark: Viele türkische Jugendliche – hier die U18 von Ejüp Spor Kulübü – können am Ball fast alles Metin Tekin, steht am Fenster einer herrschaftlichen Altbauwohnung am KonradAdenauer-Ufer und blickt auf den Rhein. Zwischen 400.000 und 500.000 Euro lässt sich die Zentrale in Istanbul ihre Dependance in Europa pro Jahr kosten. 15 Honorartrainer arbeiten Tekin zu, aus Deutschland, Holland, Belgien, England, Frankreich, den skandinavischen Ländern und der Schweiz. Das Reservoir ist riesig. Alleine in Deutschland leben knapp 2,5 Millionen türkischstämmige Menschen. „In den letzten fünf Jahren haben wir 80 Spieler aus Europa gesichtet“, sagt Tekin stolz. Vier davon standen in der Anfangsformation der türkischen U17, die vor kurzem Europameister wurde. Auch Nuri Şahin, der in dieser Sai- „Integration wird in Deutschland immer nur einseitig von den Türken verlangt“ METIN TEKIN son zum Stamm von Borussia Dortmund zählt – als 16-Jähriger. Bereits mit 14 hat Tekin ihn entdeckt und dem DFB vor der Nase weggeschnappt. „Wir sind oft einfach schneller“, sagt der Talentspäher, der das Verhältnis zum DFB aber als „sehr gut“ bezeichnet. Dies bestätigt DFB-Jugendkoordinator Michael Skibbe. Der DFB war von Anfang an in die Pläne des türkischen Verbands eingeweiht. „Wir leben natürlich in einer Konkurrenzsituation“, gibt Skibbe zu, der sich im Buh- len um die türkischstämmigen Talente im Nachteil sieht: „Die Emotionen spielen eine große Rolle.“ In über 80 Prozent der Fälle entscheiden sich die Spieler für die türkische Nationalmannschaft. Der 52-jährige Tekin meint einen der Gründe zu kennen: „In Deutschland wird Integration immer nur einseitig verlangt.“ Es sei daher verständlich, dass sich die Jugendlichen auf ihre türkischen Wurzeln besinnen. So eindeutig war die Gemütslage von Halil Altıntop nie. Halil gehört mit seinem zehn Minuten älteren Bruder Hamit zu den jüngsten vom Europabüro entdeckten Talenten, die den Sprung in die A-Nationalmannschaft geschafft haben. Genauso wie der beim RSC Anderlecht spielende und in RUND 58 rund_054_061_Reportage_Türkei Abs1:58 07.09.2005 22:03:53 Uhr GLEICHE HÖHE Reportage Karrieresprung: Nationalspieler Denız Bariş Kleinkrämer: Mit Fußball lässt sich auch in der Türkei gutes Geld verdienen Karlsruhe geborene Serhat Akin. Der 22jährige Halil hätte sich sogar fast gegen die Türkei entschieden. Bruder Hamit vom FC Schalke 04 musste ihn überreden, nicht für Deutschland zu spielen. Heute träumen die beiden in Gelsenkirchen Geborenen von einer gemeinsamen WM-Teilnahme mit der Türkei in Deutschland. Davon träumt auch Deniz Barış. Er ist ein „Almancılar“, ein „Deutschländer“, wie sie in der Türkei etwas abwertend über ihre in Deutschland geborenen Landsleute sagen. Für den 28-Jährigen war die Türkei nicht die Verheißung, eher der letzte Versuch, es im Profifußball zu schaffen. Beim damaligen Zweitligisten FC St. Pauli kam er nie über eine Nebenrolle hinaus. Der Wechsel zu Gençlerbirliği war daher so etwas wie seine letzte Chance. Bei einer Stippvisite mit der skeptischen deutschen Freundin gefiel ihnen Ankara sofort – auch weil dort im Gegensatz zu deutschen Großstädten kaum eine Frau verschleiert ist. Heute ist Barış 18-maliger türkischer Nationalspieler und Stammspieler bei Fenerbahçe. „Es hat sich gelohnt hierher zu kommen“, sagt Barış. Viele, die sich für Deutschland entschieden haben und nicht den Sprung nach ganz oben schaffen, strömen derzeit in die Türkei, um dort ihr Glück zu finden. Zuletzt der 21-jährige Erdal Kılıçaslan, der bei den Bayern nicht über die Amateure hinauskam und vor dieser Saison in die Süperlig zu Ga- Holprig: Nicht überall wird wie bei Fener trainiert ziantepspor wechselte. In der Jugend durchlief Kılıçaslan alle Nationalmannschaften des DFB. „Kein Türke hat es geschafft, sich in der deutschen Nationalmannschaft zu etablieren“, sagt Europascout Metin Tekin. Mustafa Doğan sei doch das beste Beispiel. Die Nationalmannschaftskarriere des ehemaligen Kölners, der jetzt bei Beşiktaş Istanbul unter Vertrag steht, war nach zwei Einsätzen beendet. Auf zwischen 200 und 300 Spieler beziffert Tekin die Zahl der Spieler, die in Europa für die immer stärker werdenden türkischen Profiligen gesichtet wurden. „Natürlich profitieren die Klubs in der Türkei von der guten Ausbildung in den europäischen Klubs“, sagt Tekin, der zugibt, dass es in der Türkei Nachholbedarf in der Jugendsichtung und Ausbildung gibt. Zumindest bei Fenerbahçe Istanbul, einem der drei großen Vereine der Stadt, um die sich im türkischen Fußball alles dreht, will man das nun ändern. Weit im Osten der 18-Millionen-Metropole, auf der asiatischen Seite, liegt das hochmoderne Trainingszentrum von Fenerbahçe. In Samandıra, „fast schon im Irak“ also, wie türkische Journalisten witzeln. Das Allerheiligste des Lieblingsklubs von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk wird mit meterhohem Stacheldraht abgeschirmt. Hinein kommt hier nur, wer einen Arbeitsplatz bei „Fener“ hat. Oder wer von Christoph Daum mitgenommen wird, der mitsamt Chauffeur und reichlich Verspätung RUND 59 rund_054_061_Reportage_Türkei Abs1:59 07.09.2005 22:03:55 Uhr GLEICHE HÖHE Reportage „Der Wille zu gewinnen muss größer sein, als die Angst zu verlieren“ JOOP LENSEN Schlafender Riese: Joop Lensen will Fenerbahçe erwecken gerade um die Ecke geschossen kommt. Der deutsche Trainer musste beim Präsidenten, dem allmächtigen Bauunternehmer Aziz Yıldırım, zum Rapport. Zwei Unentschieden und ein Sieg aus den ersten drei Spielen – der fiebrigen türkischen Presse reicht das, um die Demission des ungeliebten Trainers herbeizuschreiben. Ein paar Minuten nimmt sich Daum, der in den vergangenen beiden Jahren mit Fenerbahçe zweimal die Meisterschaft holte, trotzdem. Dass sich in Deutschland geborene Türken fast immer für die türkische Nationalmannschaft entscheiden, sei eine „Sache des Herzens“, glaubt er. Der deutschen Integrationspolitik stelle es ein Armutszeugnis aus, wenn auch in der dritten Einwanderergeneration die Identifikation mit der Türkei ungebrochen sei: „Wir müssen uns fragen, ob wir genug getan haben. Umgekehrt frage ich auch meine türkischen Freunde, ob sie genug unternehmen, um beispielsweise Deutsch zu lernen“, sagt er. „Die Türkei hat neben Brasilien das größte Reservoir an Talenten“, behauptet Daum, „und die Spieler hier sind unglaublich begeisterungsfähig.“ Umso bedauerlicher sei es, dass viele Topnachwuchsspieler nicht entsprechend gefördert würden. Oft mangele es dabei an Geduld und Hartnäckigkeit. Daum hat dem Verband ein 21-seitiges Konzept geschickt. Darin skizziert er Verbesserungsmöglichkeiten bei der Nachwuchsarbeit. Bedankt hat man sich, passiert ist nichts. „Alles was mehr als zwei Seiten hat, hat schlechte Chancen gelesen zu werden“, vermutet Daum, und bittet die Gäste zu gehen. Es ist Training, ein besonderes: Der Präsident hat sich angesagt. Dem saß vor ein paar Monaten auch der Holländer Joop Lensen gegenüber, der Aziz Yıldırım schwer beeindruckt haben muss. Seit Juli ist Lensen der erste Ausländer, der bei einem türkischen Klub für die Nachwuchsarbeit verantwortlich ist. Das ist revolutionär im türkischen Fußball, wo alte Verdienste und die richtigen Beziehungen traditionell mehr zählen als harte Arbeit. Lensen hat ein klares Konzept und sich damit innerhalb kürzester Zeit viele Feinde geschaffen – und viel Respekt. „Fener ist ein schlafender Riese“, sagt der Mann, der einen 25-Jahresvertrag beim AZ Alkmaar kündigte, als der Rekordmeister rief. Ein weiterer Etappensieg im Zeitplan des kleingewachsenen Yıldırım, der „Fener“ bis 2007 – dem Jahr des 100-jährigen Vereinsjubiläums – auf eine Stufe mit Real Madrid und Manchester United hieven will. Doch als Lensen, der 1988 als Assistent von Rinus Michels Europameister mit Holland wurde, den türkischen Jugendtrainern die neuen Regeln erklärte, waren die nicht erfreut: „Jeder von euch kann mir innerhalb einer Woche beweisen, was er dem Verein bringt. Wenn nicht, ist er draußen.“ Lensen sitzt in seinem Büro im Stadtteil Kızıltoprak am Ufer des Marmarameers und erzählt, was er beim 16-maligen türkischen Meister vorfand. Zum Beispiel landesweit 71 Nachwuchszentren. Aber die meisten Leiter hätten sich persönlich bereichert. Mit Gebühren von bis zu 70 Türkischen Lire, einem Viertel des durchschnittlichen Monatslohns, seien ärmere Kinder außen vor geblieben. „Dem Verein hat das sicher nicht genutzt.“ Das luxuriöse Nachwuchsinternat des Klubs leitet nun Alex Pastoor, ein diplomierter Nachwuchstrainer, den Lensen mitsamt einem Kollegen aus Holland mitbrachte. „Vor ihm hat kein Trainer wirklich mit den Jugendlichen gesprochen“, glaubt Lensen. Die Egomanie der Trainer habe er deshalb als erstes brechen müssen: „In der Türkei denkt jeder, er ist der Boss.“ Jetzt ist Lensen der Boss. Vom Platzwart bis zum Mittelstürmer müssen alle die neue Vereinsdevise verinnerlichen: „Der Wille zu gewinnen muss größer sein als die Angst zu verlieren.“ Aus dieser Formel leite sich RUND 60 rund_054_061_Reportage_Türkei Abs1:60 07.09.2005 22:04:02 Uhr GLEICHE HÖHE Reportage Ein Verein, ein System: Die U18-Mannschaft von Fenerbahçe Istanbul und ihr holländischer Trainer Alex Pastoor (Mitte) alles ab, bis hin zur Ordnung auf dem Platz, doziert Lensen. Jede Fener-Mannschaft soll das Spiel kontrollieren, selbst wenn der Gegner im Ballbesitz ist. Daher werde von nun an in allen Nachwuchsteams das gleiche System trainiert: Viererkette, Direktpassspiel, möglichst schneller Abschluss. Viel zu tun sei da noch, bis man auf europäischem Topniveau sei. Lensen hat schon mal angefangen. Draußen trainiert Alper Balagban mit der 18. Die Geschichte des blonden Lockenkopfs klingt unglaublich. „In Hoffe wollde se mich net“, erzählt der 18-Jährige in nicht zu verleugnendem Badisch. Eigentlich war er schon mangels Perspektive von der A-Jugend des Regionalligisten TSG Hoffenheim nach Zuzenhausen in die Verbandsliga gewechselt. Doch der Urlaub mit den Eltern veränderte sein Leben. Aus Spaß an der Freude spielte er bei einem Freundschaftsmatch seines Heimatvereins gegen Fenerbahçe und gefiel den Abgesandten des Großklubs. Das überraschende Angebot eines Zweijahresvertrags hat Alper ohne Zögern angenommen. Sein Blick streift über das mit Oleandern gesäumte Trainingsgelände. Dahinter sieht er das Meer und das Şükrü Saraçoğlu Stadion. Es glänzt in der untergehenden Sonne. RUND 61 rund_054_061_Reportage_Türkei Abs1:61 07.09.2005 22:04:04 Uhr GLEICHE HÖHE Heimspiel Daniel van Buyten: „Ich wollte Catcher werden“ RUND 62 rund_062_065_Van_Buyten 62 08.09.2005 22:09:41 Uhr GLEICHE HÖHE Heimspiel DER SOHN DES KÄMPFERS DANIEL VAN BUYTEN spielt heute beim Hamburger SV. Aber schon als kleiner Junge war der Belgier häufig in der Hansestadt: Sein Vater Francis war eine Catcher-Legende und trat häufig zu Kämpfen in Hamburg an. Der 27-jährige Abwehrchef verrät, welche Tricks er beim Berufsringen gelernt hat AUFGEZEICHNET VON RAIMUND WITKOP, FOTOS AXL JANSEN & NICOLE HARDT Ich kannte Hamburg schon, bevor ich zum HSV gewechselt bin. Ich war als kleiner Junge Zuschauer im Catcher-Zelt auf dem Heiligengeistfeld, wo mein Vater im Ring stand. Es war furchtbar. Ich habe gesehen, da prügelt jemand auf meinen Vater ein, und die Leute johlen. Ich war so nervös und ängstlich, dass mein Vater gesagt hat: „Das mit den Kindern beim Auftritt, das lassen wir erst mal.“ Als ich zwölf war, bin ich einmal in den Ring gestürmt, um meinem Vater beizustehen. Meine Mutter und mein älterer Bruder wollten mich aufhalten, aber vergebens. Erst mit 14 oder 15 habe ich verstanden, was da passiert. Man muss wissen, dass Catchen damals mit dem amerikanischen Wrestling von heute nichts zu tun hat. Das ist nur Gymnastik, darüber kann ich nur lachen. Mein Vater hatte im Laufe seiner Karriere wohl jeden Knochen einmal gebrochen. Er war drei Jahre lang praktisch gelähmt, weil ein Griff danebenging. Das war vor meiner Geburt. Seine Spezialität waren Kettenkämp- fe. Jeder hat eine Eisenkette, die am Handgelenk hängt, und muss die Fahne seines Landes ver teidigen, die in der Ringecke steht. Wer die Fahne des Gegners erobert, gewinnt. Mit der Kette darf man alles machen, außer direkt am Hals würgen. Die sind nie ohne Blut aus dem Ring gekommen. So war das damals. Zu Hause war das natürlich super mit diesem Vater. Alle kannten Francis van Buyten, alle haben ihn respektiert. Ich bin in dem Gefühl aufgewachsen: Wenn irgendetwas RUND 63 rund_062_065_Van_Buyten 63 08.09.2005 22:09:53 Uhr GLEICHE HÖHE Heimspiel „VIELLEICHT HAT DAS CATCHEN MICH TECHNISCH SOGAR EINIGES GELEHRT. ICH WEISS, WIE ICH STEHEN MUSS, DAMIT DER GEGNER SICH NICHT SCHNELL DREHEN KANN. ICH KANN BEI EINEM TACKLING KONTROLLIERT FALLEN UND SOFORT WIEDER AUFSTEHEN“ DANIEL VAN BUYTEN ist, muss ich nur meinen Papa rufen, und er bringt alles in Ordnung. Ich war ungeheuer stolz auf ihn, das bin ich immer noch. Vor meiner Geburt ist er zweimal um die ganze Welt gereist, er war auf allen Kontinenten im Ring. Das hat er dann reduziert, um mehr bei den Kindern zu sein. Wir wohnten in der kleinen Stadt Froidchappelle in Südbelgien, südlich von Charleroi. In den Ferien sind wir im Wohnwagen mitgefahren zum Catchen, gern nach Hamburg. Dort hatte er auch meine Mutter kennen gelernt. Renate stammt aus Hannover und saß eines Abends im Publikum. Dort hat er sie entdeckt und gleich angesprochen. So erzählen die beiden diese Geschichte. Als wir Kinder da waren, gab es regelmäßig nur noch Paris und Hamburg. Da hatte er sein Publikum, seine Fans, die ihn moch- ten. Ein Catch-Publikum sucht sich immer seinen Favoriten aus, zu dem es dann hält. Das war oft mein Vater. In Hamburg war immer René Lasartesse der große Star, der den Bösen gab. René hatte schlimme Blumenkohlohren, die Muscheln völlig zerquetscht. Mein Vater hat mir erklärt, wie das kommt, durch das Drücken und Rutschen auf dem Ringboden. Ich glaube, wenn mein Vater solche Ohren gehabt hätte, dann hätte ich das Catchen nicht so toll gefunden. Er sieht gut aus, ein imposanter Mann, so wollte ich auch wirken. Und natürlich wollte ich in einem bestimmten Alter auch Catcher werden. Zum Krafttraining durfte ich mit. Aber Papa hat gesagt: „Mit dem Catchen geht es langsam bergab, und die Schmerzen sollst du auch nicht haben. Du wirst Fußballer.“ Ob Fußball oder Catchen: „Nur der Sieger zählt“ Er war ein strenger Trainer. Im Fernsehen hat er gesehen, wie Spieler von Inter Mailand im Training gegen einen Widerstand sprinten mussten. Mich und meinen Bruder hat er Reifen an einem Seil hinterherziehen lasen, erst einen, dann zwei, dann drei Reifen. Heute weiß ich, dass Spitzenleichtathleten das ganz genauso machen. Damals, ich erinnere mich noch sehr genau daran, sind meine Schulfreunde im Bus an uns vorbeigefahren und haben sich totgelacht. In der Schule haben sie erzählt, unser Vater würde uns quälen. Heute schreiben sie mir, ich hätte als Einziger von uns alles richtig gemacht, weil ich etwas unbedingt wollte und dafür alles getan habe. Mein Vater jedenfalls ist um die Welt gezogen, um das Geld für die Familie zu verdienen, und zwar auf eine sehr, sehr harte Weise. Dafür bewundere und liebe ich ihn. Er hat mir auch vermittelt, dass nur der Sieger zählt. Über den Zweiten spricht niemand. Der Stärkere gewinnt, das habe ich verinnerlicht. Das ist auch ein Unterschied zu diesen komplett inszenierten WrestlingShows von heute: Mein Vater hätte das nie gemacht, wenn ihm jemand gesagt hätte, gegen den und den verlierst du jetzt. So lief das nicht. Sicher haben die Catcher versucht, nicht zu weit zu gehen. Gewonnen hat aber der Stärkere. Im Kampfsport interessieren mich auch nur die ehrlichen Sachen. Die großen Kämpfe im Schwergewicht, Tyson zu seiner besten Zeit: Nur einer bleibt stehen. So muss es sein. Mein Verhältnis zum Kämpfen hat nichts mit meinem Fußballspiel zu tun, das kann ja jeder sehen. Ich glaube, die letzte Saison habe ich mit vier gelben Karten beendet. Für einen Innenverteidiger nicht schlecht, oder? Vielleicht hat das Catchen mich sogar technisch einiges gelehrt. Ich weiß, wie ich stehen muss, damit der Gegner sich nicht schnell drehen kann. Ich kann bei einem Tackling kontrolliert fallen und sofort wieder stehen. Einmal bin ich mit einer Hechtrolle über mehrere grätschende und liegende Spieler hinweg geflogen und war zur Stelle. Das sah wohl ziemlich cool aus. RUND 64 rund_062_065_Van_Buyten 64 08.09.2005 22:09:53 Uhr GLEICHE HÖHE Heimspiel van Buyten: „Nur einer bleibt stehen, so muss es sein“ RUND 65 rund_062_065_Van_Buyten 65 08.09.2005 22:10:05 Uhr GLEICHE HÖHE Fundstück GRUPPENBILD MIT KAHNS URGROSSVATER Das vergilbte Foto zeigt einen tragischen Helden aus der Gründerzeit des Fußballs: KARL PEKARNA, einer der ersten Torhüter des FC Bayern München und der erste Spieler vom Kontinent, der auf der britischen Insel gespielt hat VON CARSTEN GERMANN, FOTO BENNE OCHS DIE BAYERN LIEBEN KAHNS URGROSSVATER UND SEINE PARADEN IM FLUG MIT KRAFTVOLLER FAUSTABWEHR Herr Schwind ist ein großer Sammler. Ein liebenswerter Fußballnostalgiker und Archivar. Mit Humor und der typischen Wiener „G’scheitheit“ erzählt er von Originalen aus über 100 Jahren Fußball in Österreich. Vom Eipeldauer, vom englischen Exilstürmer Stansfield und von Karl Pekarna. Schwind tippt auf das Foto, das er in einem alten Wiener Archiv gefunden hat, und auf den Mann mit dem Ball in der Hand. Das Bild zeigt die Mannschaft des First Vienna Football Club, des ersten Fußballklubs in Österreich. Es entstand an Pfingsten 1904 in Wien, ein sonniges Wochenende in der Hauptstadt der Donaumonarchie: Im Stadion an der Hohen Warte im 19. Bezirk in Döbling hatte die Vienna zu ihrem zehnjährigen Bestehen namhafte Vereine eingeladen. Zu Gast sind der dänische Bolden Cluben 1893 Kopenhagen und die Glasgow Rangers aus Schottland. Die Dänen haben vor dem Spiel gegen die Rangers ein Problem. Ihr Torhüter fällt aus und der 25jährige Wiener Karl Pekarna stellt sich kurz entschlossen zur Verfügung. Eigentlich ist Pekarna auch bei der Vienna nur Ersatzmann. Der etatmäßige Keeper heißt Karl Molisch. Doch Pekarnas Spiel und vor allem seine Sprungkraft beeindrucken trotz eines 0:9 aus Sicht der Dänen Gegner und Zuschauer. Und weil Versprechen nach Siegen immer leichter fallen, wollen die Rangers den stillen Wiener vom Fleck weg verpflichten. Sie bieten ihm an, „Professional“ zu werden. Profis gibt es in Schottland schon seit 1893. Die Rangers zahlen ihren Spielern dreieinhalb Pfund in der Woche. Eine schöne Stange Geld. Ein Profivertrag ist in der hölzernen Doppelmonarchie, wo die „narrische Ballschupferei“ gegen viele Vorurteile zu kämpfen hat, noch ein Fremdwort. Pekarna lässt sich Zeit. Ein Wechsel ist fast ein Tabubruch. Noch nie hat ein Spieler vom europäischen Kontinent, geschweige denn ein Österreicher, auf der britischen Insel gespielt. Mit dem Zug reist Pekarna, von Beruf Postbote, an Weihnachten 1904 nach Glasgow. Beeindruckt schreibt er an die Wiener Sport-Illustrierte: „Hier hat der Goalmann keine Zeit, die Bälle schön zu fangen, weil einem sofort drei Stürmer auf dem Leibe sind. Gewöhnlich wird der Ball nicht gefangen, sondern mit der Faust herausgeschlagen.“ Karl Pekarna weiter: „Die Rangers sind mit mir zufrieden und wollen mich nun zum besten Goalkeeper Schottlands machen, was nicht ausgeschlossen erscheint.“ Stimmt. Nach einigem Zögern bleibt Pekarna in Glasgow und schlägt sich prächtig. Am Ende der Saison 1904/05 wird er Schottlands „Fußballer des Jahres“. Doch dann packt ihn das Heimweh. Er will zurück nach Wien, zu seiner Vienna. „Es war für mich eine große Ehre, das Leiberl der Rangers getragen haben zu dürfen“, erzählt er später. Aber erst als ihn der Österreichische Fußball-Bund (ÖFB) 1905 mit der „Lex Pekarna“, einem eigens entworfenen Gesetz reamateurisiert hat, kann Pekarna wieder in der Nationalelf spielen. Am 9. Oktober 1904 hatte er beim 5:4 gegen Ungarn sein Debüt gegeben. Nach dem Schottlandabenteuer wird er nur noch einmal, am 3. Mai 1908, für Österreich spielen. Im Jahr 1907 zieht es Karl Pekarna nach Deutschland, nach München. Hier spielt er erst beim FC Wacker und wechselt 1910 zum südbayerischen Meister FC Bayern München. Dank ,,nicht unerheblicher Zah- RUND 66 rund_066_067_Fundstueck 66 08.09.2005 13:13:04 Uhr GLEICHE HÖHE Fundstück Die Mannschaft des First Viennna Football Club: Karl Pekarna (stehend mit Ball in der Hand) galt als einer der besten Tormänner seiner Zeit lungen“, wie der Autor Christoph Bausenwein in „Die letzten Männer“ vermerkt. Die Bayern lieben Kahns Urgroßvater. Pekarna führt dem staunenden Münchner Publikum ein Torwartspiel vor, das man auf dem Kontinent bis dahin noch nicht kennt. Mit Paraden im Flug und mit einer kraftvollen Faustabwehr. Die Münchner machen Pekarna schließlich zum Abteilungsleiter eines Sportartikelgeschäfts. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 lebt Pe- karna mit seiner Frau und den beiden Töchtern in München, ehe er zum Militärdienst eingezogen wird. Er überlebt das Inferno, aber seine beste Zeit als Torhüter ist vorbei. Ab 1919 spielt er bei dem völlig unbekannten „Tschechenklub“ Slovan Wien. Im Jahr 1920 stirbt sein jüngerer Bruder Eduard (Pekarna II), ebenfalls ein Torhüter. Er bricht sich bei einer verunglückten Faustabwehr in einem Freundschaftsspiel in Ohlings im Rheinland das Genick. Vier Jahre später ist Karl Pekarna nach einem Schlaganfall für immer gelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Der Mann, den der deutsche Reichstrainer Otto Nerz einmal als den ,,besten Torhüter seiner Zeit“ würdigte, stirbt 1946 völlig verarmt und unbeachtet in Wien. Außer dem Foto ist nicht viel vom „Pekarna-Karl“ geblieben, seufzt Schwind. Aber irgendwie, so meint er, müssen sie bei Bayern München schon immer ein Gespür für herausragende Tormänner gehabt haben. RUND 67 rund_066_067_Fundstueck 67 08.09.2005 13:13:05 Uhr GLEICHE HÖHE Zu Gast bei Freunden BEDROHTE SPEZIES: NICHT-UEFA-AUSLÄNDER Mohammadou Idrissou Gilberto Dario Rodriguez Nando Rafael Dedé, Lincoln (o.) Horacio Javier Pinola Naohiro Takahara Roque Junior, Giovane Elber (r.) Rafinha Lucio Juan Andrew Sinkala Gustavo Varela Jahouar Mnari Marcelinho, Naldo (r.) Elson RUND 68 rund_068_Auslaenderregelung 68 08.09.2005 11:28:36 Uhr Nelson Valdez Solomon Okoronkwo Zé Roberto WIR MÜSSEN DRAUSSEN BLEIBEN Andres d‘Alessandro Timothée Atouba Facundo Quiroga In der Bundesliga wird seit dieser Saison die Zahl der AUSLÄNDER reduziert. Das soll dem deutschen Nachwuchs helfen. Doch der Sinn der Regel ist umstritten, und auch Juristen erheben Einspruch VON MALTE OBERSCHELP, FOTOS FIRO, IMAGO, HOCH ZWEI, PIXATHLON, AUGENKLICK Ali Karimi „Die Welt zu Gast bei Freunden“ – so lautet das schöne Motto der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Die Freunde, das sollen die Deutschen sein. Zu Gast sind Fußballmannschaften aus aller Welt. Doch wenn das große Spektakel am 9. Juli 2006 in Berlin endet, ist es auch mit der Gastfreundschaft wieder vorbei. Denn noch während Deutschland sich darauf vorbereitet, ein perfekter WM-Gastgeber zu sein, reduziert der deutsche Fußball die Planstellen für Spieler, die nicht aus Europa kommen. Mit Beginn dieser Saison wurde ihre Zahl pro Team von fünf auf vier heruntergeschraubt, in der Spielzeit nach der WM dürfen in der Ersten und Zweiten Bundesliga nur noch drei Akteure auf dem Platz stehen, die aus Ländern außerhalb des europäischen Fußballverbands Uefa stammen. RUND 69 rund_068_Auslaenderregelung 69 08.09.2005 11:28:39 Uhr GLEICHE HÖHE Zu Gast bei Freunden Selbst wer auf der großen WM-Bühne brillant vorspielt, aber dummerweise einen Pass aus Japan, Kamerun oder Paraguay besitzt, wird sich mit einem Vertrag in Deutschland schwerer tun als früher. Beschlossen wurde die neue Regelung auf dem DFB-Bundestag 2004 in Osnabrück, begründet wird sie mit den Chancen des deutschen Nachwuchses. Wenn die Bundesliga weniger Brasilianer und afrikanische Kicker verpflichtet, wird die deutsche Nationalmannschaft besser. So weit die Theorie. In der Praxis glauben wenige Klubs daran, dass zwischen Ausländerkontingent und Nachwuchsförderung überhaupt ein direkter Zusammenhang besteht. „Das ist eine populistische Maßnahme, die das Problem nicht löst“, sagt Herthas Manager Dieter Hoeneß. „Überall werden Grenzen abgebaut, da kann man sie im Fußball doch nicht wieder aufrichten“, meint Kollege Christian Heidel aus Mainz. Und Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge verweist auf das Beispiel Bastian Schweinsteiger: „Es ist bisher noch kein deutscher Spieler durch Ausländer aufgehalten worden, wenn er wirklich gut war.“ „Überall werden die Grenzen abgebaut, da kann man sie im Fußball doch nicht wieder aufrichten“ MAINZ 05-MANAGER CHRISTIAN HEIDEL Dafür, jungen deutschen Profis mehr Spielzeit zu geben, sind alle Vereine zu haben. Nur über den Weg herrschen unterschiedliche Auffassungen. „Das mit Bestimmungen zu machen, ist immer schwer“, sagt Klaus Allofs von Werder Bremen, „der Wandel muss in den Köpfen stattfinden“. Dieter Hoeneß bringt es auf den Punkt: „Wir müssen besser ausbilden, dann brauchen wir keine Restriktionen.“ Aber wirklich gute Talente wie Schweinsteiger, die sich auch bei einem Topklub durchsetzen, sind immer noch rar. Trotz Bundesliga-Nachwuchsleistungszentren und millionenschwerer Nachwuchsförderung durch den DFB. „Die meisten jungen deutschen Spieler haben große Defizite im taktischen Bereich“, meint Christian Heidel, „das hat nichts mit den Ausländern zu tun.“ Auch Klaus Allofs sieht das größere Problem woanders. „Die Leistungszentren sind ein guter Weg, aber wo wir uns noch verbessern müssen, ist die Trainerausbildung im Ju- gendbereich.“ Denn wenn die ausländischen Profis nach und nach wegbleiben, sorgt das beim eigenen Nachwuchs nicht automatisch für einen fußballerischen Quantensprung. Leverkusens Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser bringt in der Diskussion über die Ausländerbeschränkungen einen weiteren Gesichtspunkt ins Spiel: „Es kann nicht sein, dass Vereine, die einen Umsatz zwischen 40 und 160 Millionen Euro machen, bei der Wahl ihrer Arbeitnehmer davon abhängig sein müssen, ob der Verband zukünftig Nationalspieler produzieren will.“ Damit verweist Holzhäuser zugleich auf den Geburtsfehler der neuen Ausländerbegrenzung: einen Konflikt zwischen DFB und Liga. Dem DFB war seit langem ein Dorn im Auge, dass in der seit 2001 eigenständigen Liga (DFL) von Anfang an fünf Ausländer spielen durften, die nicht aus dem Geltungsbereich der Uefa kamen. Im Pokal, der weiter unter DFB-Regie stand, blieben es drei. Besonders DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, dessen Zitate zum Thema wiederholt für Furore sorgten („Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in den Anfangsaufstellungen spielen, kann irgend etwas nicht stimmen“), gilt als Befürworter von restriktiven Modellen. Um das Rad zurückzudrehen, beantragte das DFB-Präsidium in Osnabrück eine Reduzierung der Nicht-EU-Ausländer. Dazu wurde die Ausländerfrage an die Zustimmung zum neuen Grundlagenvertrag gekoppelt, der den finanziellen Ausgleich zwischen DFB und DFL regelt. Mehr Geld für die Liga gegen die Reduzierung auf drei Nicht-Uefa-Ausländer – so lautete in etwa der Osnabrücker Kuhhandel. Heute nennt Karl-Heinz Rummenigge das damalige Procedere „eine Nacht-und-Nebel-Aktion“ und bekennt: „Den Punkt der Ausländerzahl würde ich so nicht mehr tragen, das war ein fauler Kompromiss.“ Der Kompromiss mag schlecht riechen – vor allem steht er juristisch auf tönernen Füßen. Das Urteil im Fall des Russen Igor Simutenkov (siehe Extrakasten) hat zehn Jahre nach dem Fall Bosman einmal mehr gezeigt, dass nationale Ausländerbeschränkungen mit europäischem Recht immer schwerer zu vereinbaren sind. Zum ersten Mal wurde dort verfügt, dass selbst ein Spieler von außerhalb der EU bei seiner Arbeitsplatzwahl nicht benachteiligt werden darf – vorausgesetzt, er ist einst mit einem legalen Vertrag in der Tasche nach Europa gekommen. EIN ZWEITER BOSMAN? DER FALL SIMUTENKOV Igor Simutenkov, 20facher russischer Nationalspieler und EM-Teilnehmer 1996, unterschrieb 1999 nach einem mehrjährigen Gastspiel in Italien einen Vertrag auf Teneriffa. Weil in der Primera Division nur eine begrenzte Zahl von Nicht-EU-Ausländer auf dem Platz stehen durften, beantragte Simutenkov beim spanischen Verband eine Lizenz für EU-Spieler, um unbeschränkt eingesetzt werden zu können. Er berief sich dabei auf ein Partnerschaftsabkommen, das die EU 1994 mit Russland abgeschlossen hatte. Der Verband lehnte Simutenkovs Antrag ab, er zog vor ein spanisches Zivilgericht. Das verwies den Fall weiter an den Europäischen Gerichtshof. Der entschied im April dieses Jahres pro Simutenkov: Die Ausländerbeschränkungen in der spanischen Liga seien in diesem Fall nicht mit EU-Recht vereinbar, weil das Partnerschaftsabkommen der EU mit Russland unter anderem ein Diskriminierungsverbot russischer Staatsbürger enthielt. „Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Entlohnung oder der Entlassung“ dürften legal in der EU beschäftigte russische Staatsbürger nicht benachteiligt werden, hieß es in der Urteilsbegründung. Simutenkov hätte von Teneriffa aus also in jede andere europäische Liga wechseln können, ohne etwaigen Ausländerbe- schränkungen zu unterliegen. Und zwar auch in diejenigen Ligen, die, anders als die Bundesliga, zwischen EU- und Uefa-Ausländern noch einen Unterschied machen. Der Fall erregte großes Aufsehen, weil er an das Urteil im Fall Bosman erinnerte: Wieder hielten restriktive nationale Regelungen von Fußballverbänden dem EU-Recht nicht stand. Die Früchte seiner juristischen Pionierarbeit erntete Simutenkov allerdings nicht mehr: Schon 2002 wechselte er in die US-Profiliga zu den Kansas Wizards. Vor einem Jahr kehrte er in seine Heimat zurück und spielt mittlerweile bei Rubin Kazan in der Haupstadt der Republik Tatarstan. RUND 70 rund_068_Auslaenderregelung 70 08.09.2005 11:28:41 Uhr GLEICHE HÖHE Zu Gast bei Freunden DOPPELPASS: PROFIS MIT ZWEI STAATSBÜRGERSCHAFTEN Ein vertraglich festgelegtes Diskriminierungsverbot zwischen der EU und Russland, wie es im Fall Simutenkov für die Richter ausschlaggebend war, steht aber auch in den Verträgen, die die EU mit den so genannten AKP-Staaten abgeschlossen hat: 77 Länder aus Afrika, der Karibik und dem Pazifikraum. „Ich sehe keine Rechtfertigung, diese Staaten anders zu behandeln als Russland“, sagt dazu der EU- und Sportrecht-Experte Dieter Frey. Das heißt: Fasst zukünftig ein Spieler aus Kamerun, Mali oder Trinidad und Tobago innerhalb geltender Ausländerkontingente erst einmal in der Bundesliga Fuß, könnte er sich danach auf die freie und unbeschränkte Wahl seines Arbeitsplatzes bei anderen Klubs berufen. „Das wäre dann nur über eine freiwillige Selbstbeschränkung zu regeln“, glaubt Heribert Bruchhausen, Vorstandschef der Frankfurter Eintracht, der als einer der wenigen seiner Zunft voll hinter der neuen Ausländerreduzierung steht. „Aber eine solche Selbstbeschränkung in der Bundesliga zu erreichen, halte ich für ausgesprochen schwierig.“ Zur Not bliebe den Vereinen eine Petition an die Politik: Über die Vergabe von Aufenthaltserlaubnissen könnten die Behörden Einfluss auf den Spielermarkt nehmen. Für den Juristen Frey ist deshalb vor allem eines wichtig: „Es geht darum, die Frage der Nachwuchsförderung von den Ausländerbeschränkungen juristisch wasserdicht zu entkoppeln.“ Genau am umgekehrten Weg versucht sich nach wie vor der deutsche Fußball. Die Uefa ist da etwas geschickter. Sie versucht nicht bei der Zahl der Ausländer anzusetzen, sondern bei festen Quoten für einheimische Spieler. Bis zur Saison 2008/09 sollen alle Teilnehmer an europäischen Wettbewerben darauf verpflichtet werden, im Kader einen Anteil von mindestens acht im eigenen Verband ausgebildeten Spielern zu beschäftigen. Derzeit antichambriert die Uefa in Brüssel, um mögliche Probleme mit dem EU-Recht auszuloten. Dieter Frey hält den Fall für nicht ganz einfach. „Streng juristisch dürfte das eine indirekte Diskriminierung sein, da einheimische Arbeitnehmer bevorzugt werden“, sagt er. „Das wäre mit dem Diskriminierungsverbot auch nicht vereinbar.“ In Deutschland wird der große Durchbruch in der Nachwuchsförderung jedenfalls nicht von den neuen Ausländerbeschränkungen ausgehen. Zumal die Rechnung sowieso einen prinzipiellen Denkfehler hat: Fünf oder drei Nicht-Uefa-Ausländer hin oder her – nach wie vor kann in der Bundesliga eine Mannschaft mit elf Belgiern oder elf Griechen auflaufen. Denn hinter das Bosman-Urteil, das die Freizügigkeit von Fußballprofis innerhalb Europas gewährleistet, kann selbst der DFB nicht zurück. Darüber hinaus werden die Kontingente für Nichteuropäer sowieso schon legal unterlaufen. Gerade bei Spielern aus dem südamerikanischen Markt ist es üblich geworden, die Profis mit einem zweiten, europäischen Pass auszustatten. Denn aus Italien oder Spanien ausgewanderte Urahnen lassen sich bei fast jedem finden. Der FC Bayern beschäftigt neben dem Iraner Ali Karimi allein sechs Profis aus Südamerika. Zusammen auf dem Platz stehen können sie dennoch: Roque Santa Cruz, Claudio Pizarro und Martin Demichelis besitzen doppelte Staatsbürgerschaften. Bei José Paolo Guerrero ist das Verfahren auf dem Weg, so dass der Klub nächste Saison pünktlich zur Reduzierung auf drei Nicht-Europä- Vinicius Marcelo Bordon Claudio Pizarro Diego Kliemowicz Martin Demichelis Marcelo Pletsch Paolo Guerrero Roque Santa Cruz er alle seine Stars weiter auf dem Platz haben kann. Auf Schalke sorgt Marcelo Bordon mit einem italienischen Zweitpass dafür, dass Ralf Rangnick keine Angst vor Wechselfehlern haben muss. „Das ist wie beim Steuerrecht“, sagt Klaus Allofs dazu. „Schlupflöcher zu suchen spornt die Fantasie der Menschen an.“ Das gilt auch für eine andere Regel, die einst in Sachen Nachwuchsförderung ausgedacht wurde: Jeder Bundesligist müsse mindestens zwölf deutsche Spieler im Kader haben. Die Bayern hatten diesen Sommer erst einmal nur elf – und reaktivierten kurzerhand ihren Jugendtorwarttrainer Bernd Dreher, 38.< RUND 71 rund_068_Auslaenderregelung 71 08.09.2005 11:28:43 Uhr RUND Im Abseits IM ABSEITS Abseits ist regelwidrig. Dann ruht das Spiel. Das kann skurril sein und findet überall auf der Welt statt. Ziemlich oft auch in der Bundesliga: „Wenn ich vor dem Fernseher sitze, dann kriegt mich da keiner weg. Und dann werden meine Eltern sauer.“ PER MERTESACKER 74 LÜGENDETEKTOR „Bob Marley hat mich geprägt“ – Per Mertesacker sagt nichts als die Wahrheit 78 ZWANGSPAUSE Wenn Knie flüstern – Jens Nowotny und der Kampf gegen den vierten Kreuzbandriss 82 FÜR IMMER FAN Der letzte Pfiff – wie Fußballanhänger über den Tod hinaus die Nähe zum Verein suchen 86 FEIND DES FUSSBALLS „Man sollte Sie auswandern“ – niemand dankt Martin Sonneborn, dass er die WM sicherte RUND 73 rund_073_Vorschalt_Im_Abseits 73 06.09.2005 18:12:22 Uhr IM ABSEITS Lügendetektor „BOB MARLEY HAT MICH GEPRÄGT“ PER MERTESACKER ist die personifizierte Gel assenheit. Aber hinterm Steuer kann es passieren, dass er die Fassung verliert und auch mal rumschreit. Der 20-Jährige ist der erste deutsche Nationalspieler, der sich für RU ND an einen Lügendetektor anschließen ließ. Jeden Monat wird ein Fußballprofi diesem Test der Wahrheit unterzogen. Auch der 1,98 Meter große Abwehrhüne von Hannover 96 musste das sagen, was er sonst lieber verschweigt INTERVIEW OLIVER LÜCK UND RAINER SCHÄFER, FOTOS STEFA N SCHM ID RUND 74 rund_074_077_Luegendetektor 74 08.09.2005 12:34:16 Uhr IM ABSEITS Lügendetektor LÜGENLEGENDE Pippi Langstrumpf Pinocchio Baron Münchhausen Robert Hoyzer ++++ ++++ ++++ ++++ E IMMER „KOMISCHE ANGEWOHNHEITEN? ICH STEH 5 UHR ZUR SELBEN ZEIT AUF, ENTWEDER UM 8.3 ODER UM 8.42 UHR.“ PER MERTESACKER Haben Sie früher unter Ihrer Größe gelitten? PER MERTESACKER__Ja. War es schlimm? Ja. In einem bestimmten Alter? Genau. Sie dürfen in ganzen Sätzen antworten. Mit 13, 14. Wie groß waren Sie da? Weiß ich nicht mehr, jedenfalls hatte ich so starke Schübe, dass ich mit meinen Knien Probleme bekam. Da gibt es die so genannte Wachstumsfuge, wo ich extreme Schmerzen hatte. Heute bin ich zum Glück schmerzfrei. Damals musste ich aber ein Jahr mit Fußball aussetzen. Würden Sie sich bei einem Banküberfall freiwillig als Geisel nehmen lassen? Ich glaube nicht, da wäre ich eher zurückhaltend. Zum Helden würde ich da sicher nicht taugen. Sind Sie zu gutmütig? Nö, glaub ich nicht. (++++) Wenn man so ein bisschen im Fußballgeschäft drin ist, wie ich jetzt seit zwei Jahren, ist man nicht mehr so gutmütig wie am Anfang. Da ist man zu nett zu Mitspielern, will den Konkurrenzkampf vermeiden. Da möchte man so wenig Angriffspunkte wie möglich bieten. Das versuche ich auch ein Stück weit beizubehalten. Vielleicht bin ich schon ein wenig zu gutmütig, aber ich merke, dass ich mich auch verändere. Werden Sie härter? Vielleicht, man lernt den Fußball kennen und was dahintersteckt, der Konkurrenz- kampf mit den Kollegen, die Presse, die viele Schlagzeilen raushaut. Man wird angreifbarer, wenn man zu gutmütig ist. Vielleicht muss ich da noch ein bisschen abgehärteter sein. (++++) Sind Sie eitel? Nö. (++++) Ich brauche sehr lange in der Kabine, aber nicht aus dem Grund. Weil Sie langsam sind? Schnell machen kann ich nicht. Das passt nicht zu mir. Damals in der Jugend war ich immer Letzter, weil ich immer mit dem Trainer mitfahren musste, da habe ich mir das so angewöhnt, nach dem Training und dem Spiel in den Sachen sitzen zu bleiben, alles ruhig angehen zu lassen – so total gelassen, das hat mich gestärkt. Was macht Menschen verachtenswert? Rauchen. Ich mag das überhaupt nicht, besonders bei Jugendlichen, die schon sehr früh damit anfangen. In der Schule, wo sie in Gruppen stehen, dagegen bin ich total allergisch. Ich kann es nicht riechen, die Augen tränen, besonders in der Disco. Das ist echt schlimm. Wenn im Restaurant am Nachbartisch jemand qualmt, lass ich das aber eher über mich ergehen, als dass ich da hingehe und was sage. (++++) Selbst schon mal geraucht? Eigentlich nicht. (++++) Jeder probiert das ja mal in der Jugend. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei, ich dachte, ich tu mir was total Schlechtes an. Wie reagieren Sie auf Gruppenzwang? Das fing ja früh in der Schule an, rauchen, Alkohol trinken – ich bin da aber immer an der Gruppe vorbeigegangen, die da stand. Im Dienste der guten Sache: Den RUND-Lügendetektor hat noch kein Fußballprofi belogen In der Pause bin ich lieber mit zwei Kumpels im Klassenraum geblieben. Wir haben Skat gespielt und Bob Marley gehört. Seine Musik hat mich damals sehr geprägt. Wir waren völlig für uns. Gibt es Situationen, in denen Sie auch mal die Fassung verlieren? Nein, eigentlich nie. (++++) Was heißt eigentlich? Nun ja, beim Autofahren tick ich manchmal aus, weil manche Leute immer links fahren. (++++) RUND 75 rund_074_077_Luegendetektor 75 08.09.2005 12:34:22 Uhr IM ABSEITS Lügendetektor „SCHNELL MACHEN KANN ICH NICHT. ALLES RUHIG ANZUGEHEN, SO TOTAL GELASSEN, DAS HAT MICH GESTÄRKT.“ PER MERTESACKER Am Gerät der Wahrheit: Per Mertesacker lässt sich nur selten beirren HAT DER „BEI MEINER JETZIGEN FREUNDIN WIEDER EXFREUND ALLES VERSUCHT, MICH MERTESACKER AUS DEM RENNEN ZU BRINGEN.“ PER Und Sie links fahren wollen. Genau, und ich nicht vorbeikomme. Dann schreie ich auch mal – mich hört ja keiner. Meine Freundin wohnt über 100 Kilometer von Hannover entfernt, ich fahre regelmäßig über die Autobahn. Da ich wenig Zeit habe, fahre ich gerne schnell. Wenn freie Fahrt ist, bin ich auch mit 200 dabei. Haben Sie sonst komische Angewohnheiten? Nein, überhaupt nicht. (++++) Da fällt mir ein, dass ich immer zur selben Zeit aufstehe: entweder um 8.35 Uhr oder um 8.42 Uhr. Wenn ich um 8.35 Uhr aufstehe, schaffe ich es pünktlich zum Training um zehn, wenn ich um 8.42 Uhr aufstehe, schaffe ich es pünktlich zum Frühstück um neun. Früher hat mich immer meine Mutter geweckt, inzwischen macht das der Wecker. Und der hat noch nie versagt. Haben Sie schon mal einem Bekannten die Freundin ausgespannt? Jemandem, den ich vom Sehen und nicht persönlich kannte schon. Das war vor eineinhalb Jahren und alles sehr kompliziert, da der Exfreund alles versuchte, mich wieder aus dem Rennen zu bringen. Ich musste extrem kämpfen – und diese Freundin habe ich heute noch. Treue ist Ihnen wichtig. Ja. Ich war nie der Typ, der viele Freundinnen hatte und immer auf der Suche durch die Discos ziehen musste. Gerade jetzt, wo ich in Hannover Erfolg habe, springen plötzlich viele Frauen auf einen an und man hätte sicher ganz schnell mal viele Möglichkeiten. Doch das kann ich gut unterscheiden, und deswegen klappt es auch mit meiner Beziehung so gut. Sie wohnen immer noch bei Ihren Eltern. Wann gibt es mal Ärger? Wenn ich nicht genug spreche. Wenn ich mürrisch bin, spreche ich so gut wie gar nicht. Oder wenn ich vor dem Fernseher sitze, dann kriegt mich da keiner weg, dann antworte ich auch nicht, und dann werden meine Eltern sauer. Und wenn ich mal vergessen habe, was zu erledigen, gibts auch mal eine Standpauke: Du wohnst noch zu Hause und musst auch deinen Teil dazu beitragen und so. (++++) Wovor haben Sie große Angst? Angst? Habe ich mir noch nie so bewusst gemacht, ehrlich. (++++) Herr Mertesacker, bitte. Die Zeit drängt! Na gut, Weißer Hai. Vor dem hatte ich früher schon immer große Angst, wenn ich irgendwo geschwommen bin. Alles, was mit Meer zu tun hatte, war gleichbedeutend mit dem Weißen Hai. Das lag wohl an dem Film. Und Bienen und Wespen natürlich, da habe ich richtig Angst vor. Da nehme ich sofort eine Abwehrhaltung ein. Wovor ekeln Sie sich? Früher war es Rosenkohl. (++++) Okay, heute esse ich ihn. Nicht weil ich ihn mag, sondern weil er gesund sein soll. Und was denken Sie, wenn Sie auf Ihr Bankkonto gucken? Unglaublich. FAZIT DES TESTS: Kein Zweifel: Per Mertesacker wird der neue deutsche Rekordnationalspieler und sicher weit über 200 Länderspiele machen. Denn er ist die ehrliche Ruhe in Person und auch verkabelt am Polygraphen durch fast nichts zu erschüttern. Einzig auf vier Rädern entstehen im Temporausch ungeahnte Aggressionsschübe, die ihn auch so richtig laut werden lassen. Die Angst vor Steven Spielbergs Weißem Hai und Wespenstichen wird auch bald verarbeitet sein – Bob Marley wird helfen! RUND 76 rund_074_077_Luegendetektor 76 08.09.2005 12:34:23 Uhr IM ABSEITS Was wäre wenn … DIE WERDER-REGEL: Namen sind nicht Schall und Rauch Mit ihrem eigenen Team tun sich Fußballfans am schwersten. Dabei bedarf es manchmal nur einer kleinen Regeländerung, und schon steht der Lieblingsklub viel besser da. KNUD KOHR, Fan von Werder Bremen, weiß, wie sein Verein noch häufiger ein Wunder an der Weser vollbringen könnte AOL Arena. AWD-Arena. Allianz Arena. RheinEnergieStadion. Veltins Arena auf Schalke. Seit Jahren greift diese Skrupellosigkeit um sich: Bundesligavereine verscherbeln die Namen ihrer Heimstadien an Unternehmen mit möglichst dämlichen Namen, die ihnen dafür einen möglichst dicken Geldsack überreichen. Gibt es eigentlich schon die Aldi-Arena? Das Chappidrom? Eine Schwerbehindertenzufahrt namens Rudis Reste Rampe? Jedenfalls kaufen sich die Vereine für die zusätzlichen Millionen jeweils ein bis zwei südamerikanische Wunderstürmer und die gesamte Innenverteidigung der mexikanischen Nationalmannschaft. Damit gewinnen sie pro Saison zwei Spiele mehr als sonst und bringen vier Unentschieden über die Zeit. Macht zusammen zehn Punkte. Mein Verein heißt Werder Bremen. Seitdem ich denken kann. In der zweiten Liga. Im Europacup. Unter Kuno Klötzer. Mit der Meisterschale in der Hand. Aaron Hunt im Sturm, Andreas Herzog im Mittelfeld und Horst-Dieter Höttges in der Abwehr. Mitgliedsnummer 114246. Lebenslang grün-weiß eben. In unserer Vereinssatzung steht eindeutig: 1. Wir sind grün. 2. Wir stinken nach Fisch. 3. Wir verpflichten uns, alle drei Jahre ein Wunder an der Weser zu vollbringen. 4. Und zwar im Weserstadion. Nicht in der GibherdieKohle.comKampfbahn. Deswegen haben wir ein paar Milliarden weniger als die nationale Konkurrenz und spielen seit Jahren quasi ohne Abwehr. Kurzum: Ich will zehn Punkte Bonus, pauschal und pro Saison. Weil Vereine wie Werder helfen, die Bundesliga international konkurrenzfähig zu erhalten. Sportlich und ästhetisch. Beispiel: Europacup, Auswärtshinspiel, 85. Minute, die Mannschaft liegt 0:2 hinten. Da beginnen im Fanblock die Gesänge: „Ihr! Müsst! Noch! Ins! We-ser-sta-di-on!“ Der Gegner wird nervös. Mein Gott, fällt ihm ein, es gibt ein Rückspiel! Einfach wird das nicht! Das 1:2 fällt, und zwei Wochen später im Weserstadion werden wichtige Punkte für den Uefa-Koeffizienten eingefahren. Was aber brüllen die Fans der Geldsäcke? „Allianz! Allianz! Ihr müsst noch zur Allianz?!“ Na sehen Sie. Und jetzt her mit den Punkten! ILLUSTRATION TONI SCHRÖDER Fans mit Ideen, mit welcher Regeländerung ihr Klub besser dastünde, wenden sich mit ihrem Vorschlag bitte an: redaktion@rund-magazin.de RUND 77 rund_074_077_Luegendetektor 77 08.09.2005 12:34:27 Uhr IM ABSEITS Zwangspause WENN KNIE FLÜSTERN Der Kreuzbandriss gilt als die schlimmste Verletzung im Fußball. Für JENS NOWOTNY von Bayer 04 Leverkusen ist sie schon fast alltäglich. Nach seinem vierten Kreuzbandriss befindet er sich wieder einmal im Rehatraining – und irgendwo zwischen Hoffen und Karriereende. Ein Besuch VON ROGER REPPLINGER, FOTOS DIRK KRÜLL RUND 78 rund_078_081_Nowotny 78 08.09.2005 12:38:12 Uhr IM ABSEITS Ein ruhiger Ort. Das sachte Schlurfen von Badelatschen an den Füßen von Männern in Trainingsanzügen. Im Rehabereich der Fußballer von Bayer Leverkusen ist freitags um neun Uhr wenig los. Die Mannschaft taucht erst am Nachmittag auf. Es kommt also nicht zu der Situation, dass alle Spieler nach links auf den Trainingsplatz gehen und nur einer nach rechts abbiegt. Draußen fährt ein VW Touareg vor. Ein gemächlicher Ort, an dem Handtücher zusammengelegt werden und Waschmaschinen surren. Thomas Wilhelmi schaut kurz in den Kraftraum. Weiße Maschinen, blaue Sitze, einige Poster an der Wand: Ulf Kirsten, Hans-Peter Lehnhoff, Bernd Schuster, von Rüdiger Vollborn sieht man nur den Kopf. Den Rest verdeckt eine Matte. Wenn er sich verspannt fühlt, wird Jens Nowotny massiert, bevor das Rehatraining beginnt. Heute nicht. Er ist locker. Nowotnys Knie sehen außen genauso aus wie innen. Vernarbt. Links vom rechten Knie Narben, rechts vom linken Knie Narben und umgekehrt. Narben über und unter beiden Knien. Nowotny ist nicht anfällig für Selbstmitleid. Er fragt sich nicht: „Warum ich? Warum schon wieder ein Kreuzbandriss?“ Er sieht die Kreuzbandrisse nicht als Prüfung. „Wer bin ich, dass ich geprüft werden sollte?“, fragt er. Zwei Kreuzbandrisse rechts, jeweils vorne, zwei Kreuzbandrisse links, jeweils hinten. Zuletzt das hintere Kreuzband im linken Knie. „Das ist nicht der Normalfall, dass einer auf beiden Seiten zwei Kreuzbandrisse hat“, sagt Rehatrainer Wilhelmi. Nowotny, 31 Jahre alt, hat 45 Länderspiele absolviert und nie bei einer Weltmeisterschaft gespielt. Über die WM 2006 reden wir nicht, Nowotny plant nicht mehr, was nicht planbar ist. Er nimmt sich nicht wichtig. Auch die Verletzungen nicht. Er sucht nichts in den Verletzungen. Keinen Sinn, keine Bedeutung. Es sind nur Bänder, die reißen. Jens Nowotny ist leise. Er flucht nicht auf seine Knie, spricht nicht mit ihnen. Aber er hört auf sie. Wenn die Knie flüstern „es reicht“, hört Nowotny auf. Um Knie flüstern zu hören, muss man leise sein. Nowotny geht aufs Laufband, er trägt rote Strümpfe, auf der Hose steht „5“. Seine Rückennummer. Auf Wilhelmis roten Strümpfen steht „T.W.“ Sie kennen sich. Wilhelmi arbeitete mit Nowotny schon nach dessen Zwangspause „Alle Verletzungen resultierten daraus, dass ich nicht fit war. Aber immer war irgendetwas: Champions League, Meisterschaft, Mannschaft. Wahrscheinlich würde ich mich, um es pathetisch zu sagen, wieder opfern“ JENS NOWOTNY drittem Kreuzbandriss. „Über ihn läuft der Kontakt zu Trainer Augenthaler“, sagt Nowotny. Wilhelmi stellt das Laufband ein. Leichte Steigung. Es geht aufwärts. Das verletzte Knie brauchte erst Kraft, dann begann Nowotny zu laufen. Wenn das Knie noch mehr Kraft hat, kann Nowotny schneller laufen. „Das Knie“, sagt Wilhelmi, „ist ein Puzzle, das man zusammensetzen muss – Stück für Stück.“ Das Knie ist kein Schicksal. Es bestimmt Nowotnys Leben als Fußballer. Alles andere nicht. Jens Nowotny hat in beiden Knien Knorpelschäden. Sie sind sein eigentliches Problem. Die eingesetzte Kreuzbandplastik arbeitet, die Muskeln wachsen, die Knorpelschäden bleiben, was sie sind. Nowotny läuft. Seine Bänder reißen, der Geduldsfaden nicht. Vielleicht sind seine Bänder schwach, dafür hat Nowotny starke Nerven. Ein Stoiker. „Ich hätte nicht gedacht, dass er nach einem halben Jahr so weit ist“, lobt Wilhelmi, „es läuft perfekt.“ Beim vorderen Kreuzbandriss sind die ersten sechs Wochen am schlimmsten. Man kann nichts machen. Hängt zu Hause rum, kann nicht mit den Kindern spielen. Nowotny trug einen Rucksack, damit er nicht nach seiner Frau rufen musste, wenn er etwas trinken wollte. Er hat sich mit seinen Kreuzbändern arrangiert. Er hat akzeptiert, dass sie reißen. Von allen Leistungen ist das vielleicht seine größte. Wilhelmi stellt das Laufband schneller. „Die Einstellung ist ganz wichtig. Wenn der Spieler sagt: Ich schaffe das nicht mehr, dann kann man es lassen. Der Spieler muss die Verletzung erst mal verarbeiten“, erklärt Wilhelmi. Nowotny hat alles verarbeitet, und wenn noch was kommt, wird er auch das verarbeiten. Er läuft rückwärts, seit- wärts, dreht sich mit kleinen Schritten einmal um die eigene Achse. Nowotny ist gut darin, kleine Schritte zu machen, um wieder einen großen tun zu können. Gut darin, rückwärts zu laufen, wenn ihn das vorwärts bringt. Dann, auf dem langsam gestellten Laufband, mit hoher Frequenz auf der Stelle trippeln. Wenn sich Nowotny anstrengt, schiebt er seine Unterlippe nach vorne. Drei Einheiten pro Tag. Heute um 14 Uhr Training im Freien: Steigerungsläufe. Heute Abend zu Hause noch einmal eine Stunde auf Laufband, Crosstrainer, Ergometer. Das Wichtigste bei Knorpelschäden ist Bewegung. Wilhelmi dehnt Nowotny. Das muss wehtun, Nowotny verzieht keine Miene, nur die Unterlippe. Er hat ein besonderes Verhältnis zu Schmerzen: „Kann gut damit umgehen“, sagt er. Beinpresse mit einem Bein. Abstoßen, auffangen, abstoßen, auffangen. Linkes Bein, rechtes Bein. Neben der Beinpresse liegt ein Fußball. Nowotny schaut nicht hin. Er braucht keine Erinnerung, er weiß, warum er hier ist. An Nowotnys Hinterkopf, dort, wo die Haare ausgehen, perlen Schweißtropfen. Jetzt runter von der Beinpresse, Hände an den Kopf und mit hoher Intensität trippeln. Die Muskeln zittern. Dann den einen Fuß auf ein Podest, den anderen nach hinten strecken und in die Knie gehen. Nowotny verschiebt die Unterlippe. Keiner sieht, was in ihm vorgeht. Nowotnys Gesicht ist eine Mauer, die seine Gefühle schützt. Ausfallschritte mit der Langhantel. Schweißtropfen in den Augen. Nowotny beobachtet seine Bewegungen im Spiegel. Die gleiche Übung, aber nun ruht das nach hinten ausgestreckte Bein auf einem Ball. Die Unterlippe schiebt sich weiter nach vorne, die Augen zu. Muss anstrengend sein. RUND 79 rund_078_081_Nowotny 79 08.09.2005 12:38:18 Uhr IM ABSEITS Zwangspause „Man baut uns kein Denkmal. Humpelt man durch die Gegend, kommt noch mal Mitleid auf, danach ist man vergessen“ JENS NOWOTNY Wilhelmi schaltet das Fernsehen ein: MTV. „Vom Knie her gut?“, fragt Wilhelmi. Nowotny nickt. Shakira singt „La Tortura“. „Auch ein guter Bauch“, stellt Nowotny nüchtern fest. Wilhelmi nickt. Ein Fuß auf dem Podest, die Arme seitlich ausgestreckt, in den Händen Kurzhanteln, zehnmal hoch und runter. Lange Bewegungen gehen gut, kurze, im Bereich des Knorpelschadens, tun weh. „Langweilig?“, fragt Nowotny, aber es ist eine Feststellung. Er macht das jetzt zum vierten Mal. Er hat Jahre in diesem Raum verbracht. Gut, dass er inzwischen wieder raus darf, mit dem Ball. Aber Fußball ist das noch nicht. Nowotny hat nie ausgerechnet, wie viel Zeit seines Lebens er mit Reha verbacht hat, denn da waren ja auch noch Knochenbrüche und ein Riss des Syndesmosebands. „Das bringt nichts“, sagt Nowotny. Er gehört zu den Menschen, die ein Gefühl, das sie lähmt, nicht aufkommen lassen. Er hat überlegt, was er verpasst hat. DFB-Pokalendspiel, das Finale der Champions League, Weltmeisterschaften. „Aber auch das bringt nichts“, sagt er, „zieht einen nur runter.“ Er vergleicht sich nicht mit denen, die ungestreift durch die Karriere rutschen. Wenn er sich vergleicht, dann mit Menschen, denen es schlechter geht. „Wenn es in meinem Leben bei Kreuzbandrissen bleibt, nehme ich das in Kauf“, sagt er, „ich habe eine gesunde Familie, ein schönes Haus. Ich bin verletzt, aber gesund.“ Lockeres Auslaufen auf dem Laufband. Nowotny ist zum Knie-Experten geworden: „Beim hinteren Kreuzbandriss ist es genau umgekehrt wie beim vorderen. Da muss die Muskulatur der Beinbeugers gestärkt werden, beim hinteren die vordere Oberschenkelmuskulatur. Was man beim vorderen machen darf, darf man beim hinteren nicht und umgekehrt.“ Ein vorderer Kreuzbandriss ist seltener, komplizierter, der Heilungsprozess dauert länger. „Ausgeglichenheit“, antwortet Nowotny auf die Frage, was ihm am meisten fehle. Im Moment empfindet er „keine Daseinsberechtigung als Fußballprofi“. Keine Balance zwischen Training und Fußball, weil er nicht spielt. „Ich bin doch Fußballprofi und kein Rehaprofi“, sagt er. Als gesunder Spieler kommt man abends nach Hause und ist kaputt, „hat aber das Gefühl, dass man was geleistet hat. Im Moment bin ich auch kaputt, habe aber nicht das Gefühl, dass ich was geleistet habe.“ Er hat darüber nachgedacht, warum es ihn erwischt hat: „Alle Verletzungen resultierten daraus, dass ich nicht fit war.“ Vor dem ersten Kreuzbandriss wurde er fit gespritzt, vor dem zweiten hatte er Muskelprobleme, die er ignorierte, vor dem dritten wäre eine Pause „besser gewesen“. Aber immer war etwas: Champions League, Meisterschaft, Mannschaft. In Nowotny ist ein Feuer. Glimmt die meiste Zeit. Lodert nur, wenn es um andere geht. Wird er künftig sagen: „Trainer, ich muss raus“? Wird er nicht auflaufen, wenn der Körper es verlangt? „Weiß nicht. Schwer zu sagen. Wahrscheinlich würde ich mich, um es pathetisch zu sagen, wieder opfern.“ Momentan ist er weit von der Mannschaft weg. „Man koppelt sich ab“, sagt er. Er hofft, „dass die Mannschaft gut spielt, dann muss man keine Fragen beantworten, dann will keiner was von mir“. Dann spürt er nicht die Verpflichtung, zu früh einzusteigen. Nowotny hat keine Illusionen bezüglich des „Fußballgeschäfts“. „Man baut uns kein Denkmal.“ Verletzt man sich, „sind alle geschockt“. Humpelt man an Gehhilfen durch die Gegend, „kommt noch mal Mitleid auf“. Danach, so Nowotny ohne Bitterkeit, „ist man vergessen“. Nowotny redet von „man“, wenn er „ich“ meint. Das Vormittagstraining ist zu Ende. Jens Nowotny verschwindet in der Dusche. Wenn er geht, sieht man von seiner Verletzung nichts. Mensch und Maschine: Nowotny kennt die Übungen in- und auswendig. Auch nach dem vierten Kreuzbandriss will er nicht ans Aufhören denken RUND 80 rund_078_081_Nowotny Abs1:80 08.09.2005 12:38:19 Uhr GLEICHE HÖHE Für immer Fan Letzte Ruhe im Schuh: Sarg für Fußballfans (o.), Trainerbank auf dem Friedhof (Bild rechts) RUND 82 rund_082_085_Bestattungskultur 82 07.09.2005 22:19:46 Uhr GLEICHE HÖHE Für immer Fan DER LETZTE PFIFF Viele Fußballfans wollen mittlerweile persönlicher und nicht bloß in Eiche rustikal bestattet werden. In Amsterdam gibt es einen Friedhof für Ajax-Anhänger. In England finden Fans im Stadion ihres Klubs die letzte Ruhe und in Deutschland setzt ein Umdenken ein: Viele wünschen sich die eigene TRAUERFEIER in Fußballatmosphäre VON ANDREAS SCHULTE, FOTOS VIC FEARN, NOTTINGHAM, TIM KUBACH UND MUSEUM FÜR SEPULKRALKULTUR, KASSEL Der Mann im weiß-roten Ajax-Trikot kauert auf der Ersatzbank. Seit Minuten blickt er starr auf die gleiche Stelle des Rasens. In diesem Spiel gibt es nichts mehr zu holen. Keinen Trainer, der ihn einwechseln würde, keinen Schlusspfiff, der ihn aus seinen Gedanken reißen könnte. Er scheint nicht wahrzunehmen, was vor ihm auf dem kleinen Stück Rasen geschieht, das einst zur Spielfläche des Stadions von Ajax Amsterdam gehörte, dem niederländischen EredivisieKlub. Fußball spielt dort niemand. Eine zierliche Frau in einem lila Kleid richtet leise einige Worte an die wenigen Anwesenden. Behutsam schwenkt sie eine schmucklose Urne. Die Asche ihres verstorbenen Mannes rieselt dabei heraus. Weinend zeichnet sie damit ein Ornament ins Gras bis der Behälter leer ist. Wie Henk nehmen einige andächtig auf der einstigen Auswechselbank Platz, andere stehen etwas abseits daneben und blicken hinüber zum Fahnenmast, hinauf zur gehissten Ajax-Flagge. Kurze Zeit später ist die schlichte Zeremonie bereits beendet – ohne Liturgie, ohne Leichenschmaus. Als Ajax Amsterdam sein altes Stadion „De Meer“ aufgab, um in die neu gebaute Amsterdam Arena umzuziehen, war die Gelegenheit günstig. Der Friedhof Westgaarde sicherte sich ein paar Quadratmeter des alten Rasens, die Trainerbänke und den dazugehörigen Wetterschutz und legte das AjaxVerstrooiveld an. Ascheverstreuungen sind in den Niederlanden nichts Ungewöhnli- ches. Etwa 25 finden jedes Jahr allein auf dem ehemaligen Ajax-Gelände statt. Nicht selten hört man auch Fangesänge, „meist sind einige der Teilnehmer in Fankluft gekleidet“, sagt Peter Swart, Friedhofs- und Krematoriumsmanager in Westgaarde, dem größten Begraafplaats in Holland. Hier gelangt jeder ins Jenseits, wie es seinem letzten Wunsch entspricht – Araber nach moslemischem Ritus, christlichen Surinamern erteilt eine fröhliche Marching Band mit prustendem Sousafon das letzte Geleit, und wer zeitlebens an Ajax geglaubt hat, erhofft sich auf dem Verstrooiveld seinen Seelenfrieden. 1996 wurde es eingerichtet. Allerdings nicht auf Bestreben des Vereins oder als Initiative der Fans – den Managern des RUND 83 rund_082_085_Bestattungskultur 83 07.09.2005 22:19:49 Uhr GLEICHE HÖHE Für immer Fan Fangesänge auf dem Friedhof: Seit 1996 werden auf dem Verstreufeld Ajax-Fans bestattet Friedhofs kam die Idee, als sie bemerkt hatten, dass immer mehr Anhänger sich in Trikot und Fankutte und mit Vereinsschal und Fußball bestatten ließen. „Wir wollten den Supportern einen besonderen Service bieten“, sagt Swart. Sicher dürften auch kommerzielle Ziele eine Rolle gespielt haben. Anders als in Deutschland sind niederländische Friedhöfe privatrechtlich organisiert. Eine schlechte Bewirtschaftung reißt sie schnell in die Pleite. „Der Einzelne bringt sich auf diese Weise post mortem in seinen Klub ein“ MARKWART HERZOG In letzter Zeit haben immer mehr Fans das Ajax-Feld genutzt. „Die Leute haben weniger Geld als früher“, erklärt Peter Swart die pragmatische Seite einer Ascheverstreuung. Die ist weit günstiger als ein Urnen- oder Sargbegräbnis, weil keine Kosten für die Grabpflege anfallen. Dem ideellen Wert des Feldes schadet das nicht: „Er hatte das so gewollt und ich bin froh, dass er auch heute noch in einer Umgebung weilt, in der er sich immer am wohlsten gefühlt hatte“, erzählt Hanni aus Amsterdam, die hier vor sieben Jahren die Asche ihres Mannes ausstreute. Heute erinnert hier nichts mehr an ihn. Denn meist bleiben Verstreuungen anonym. Oder es ziert eine bescheidene Kachel mit dem Namen des Verstorbenen die grüne Umrandung des Rasens. „Der Einzelne bringt sich auf diese Weise auch post mortem in seinen Fußballklub ein“, sagt Markwart Herzog, Autor des Essays „Trauer- und Bestattungsrituale der Fußballvereinskultur“, „aber nicht nur symbolisch, auch physisch, vermittelt durch die Überreste, die nach der Kremation verbleiben.“ Kaum verwunderlich, dass Verstreuungen und Beisetzungen im Stadion, am unmittel- baren Ort des Klubgeschehens noch beliebter sind als ein separates Verstreufeld. „Es ist mein Traum, in der Amsterdam Arena verstreut zu werden“, sagt der junge AjaxFan Kevin. Dort ist das noch nicht erlaubt, wohl aber in Rotterdam und seit längerem in Großbritannien. Verstreuungen in englischen Fußballstadien gibt es bereits seit Anfang der 60er Jahre. Der FC Arsenal bekommt im Jahr über hundert Anfragen, und in den beiden großen Liverpooler Arenen ist schon lange kein Platz mehr für Urnengräber. Rings um das Spielfeld hat sich ihr Kreis in 30 cm Tiefe geschlossen. Der FC Everton zum Beispiel hat eigens den Dienstag als Bestattungstag für Fans festgelegt. Und auch Verstreuungen haben in manchen Stadien der Premier League Überhand genommen und können von einigen Klubs daher nicht mehr angeboten werden. Bei den protestantischen Glasgow Rangers lösen die Fans das Problem auf ihre Art. „Sie brauchen bloß einige Zeit auf der Straße das Stadiondenkmal zu beobachten“, weiß Ross Macaskill, Stadion-Manager im Ibrox Park, „da kommt immer irgendjemand vorbei, der dort Asche verstreut.“ Und George Head, ein Universitätsangestellter aus East Kilbride, war dabei, als die Überreste seines Freundes George im Torraum des Firhill Parks, der Heimstatt des schottischen Drittligisten Partick Thistle, ausgestreut wurden. „Wenn sich im Fünfmeterraum turbulente Szenen abspielen, witzeln wir auf der Tribüne, dass George seine Finger im Spiel hat“, so Head. Allmählich lockert sich auch in Deutschland der Umgang mit dem Tod, auch unter den Fußballanhängern. Immer mehr Fans möchten ihrem Verein bis über den Tod hinaus die Treue halten. Noch sind Verstreuungen im Stadion allerdings undenkbar, da hier zu Lande nach wie vor Friedhofszwang herrscht. Beim FC Schalke 04 zum Beispiel – angeblich ja kein Fußballklub, sondern eine Religion – zählte man in den letzten neun Jahren daher lediglich zwei Anfragen nach Stadionbeisetzungen. Nur mit einer Sondergenehmigung vom Ordnungsamt könnte der Verein den Bitten nachkommen. Auch den Wunsch nach einem Trauergottesdienst in der Kapelle der Veltins-Arena hat noch niemand geäußert. Dank einiger privater Initiativen ändern sich langsam die RUND 84 rund_082_085_Bestattungskultur 84 07.09.2005 22:19:52 Uhr GLEICHE HÖHE Bestattungsriten. Ein Dortmunder Beerdigungsinstitut bietet nicht nur Särge im Schalker Königsblau und im Schwarz-Gelb von Borussia Dortmund an, es dekoriert auch die Trauerhalle mit Blumenschmuck in den Vereinsfarben. Wandbehang mit Stadionposter inklusive. Der Unternehmer Rainer Dallmann aus Berlin hat in einem Jahr immerhin sieben seiner Urnen im Design von Union Berlin zum Stückpreis von 395 Euro verkauft. Vier haben ihren Weg unter die Erde bereits gefunden, „mit Musik, Fahnenträgern und allem was so dazu gehört“, beschreibt er. Vor einem Jahr begann Rainer Dallmann, Union-Begräbnisse zu organisieren. Seit er in der Vereinszeitung inseriert, melden sich regelmäßig Interessenten. „Manche wollen ihre Asche vom Hubschrauber aus überm Stadion ausstreuen lassen. Andere stellen sich die Urne bis zum Tag X ins Regal und wollen darin unter dem Anstoßkreis begraben werden. Aber die Genehmigung bekommen sie nicht“, weiß er. Für immer Fan individuellen Bestattung offen gegenüber“, sagt Dr. Rolf Lichtner, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Bestatter. Für „ethisch bedenklich“ hält er allerdings eine Ascheverstreuung im Stadion: „Ich glaube nicht, dass man es jedem zumuten kann, auf der Asche Verstorbener zu spielen.“ Wenngleich als Dünger hervorragend geeignet, hätten nicht wenige Klubs – wie in England – Angst um die Gesundheit ihrer Profis, da diese sich an Knochenteilen verletzen könn- ten. Ein Verstreufeld für Fans dagegen ist nach einigen Landesbestattungsgesetzen bereits heute möglich. Auf absehbare Zeit wird es die hiesige Friedhofskultur bereichern, denn gegenüber der Beisetzung im Stadion besitzt es einen großen Vorteil: Eine Arena wird oft nach dreißig Jahren wieder abgerissen. Statt Tribünen in Vereinsfarben erwächst dem Grund von Asche und Urne dann womöglich das Blau-Weiß eines Aldi-Markts. Für immer Fan: Urne in den Vereinsfarben von Union Berlin (oben), Sargschmuck für einen Anhänger von Borussia Dortmund (rechts) Doch die Bestimmungen lockern sich. Gemeinschaftsgräber, so genannte Friedwälder, wo Urnen am Fuße eines Baumes bestattet werden, und Themenbestattungen, die persönlich gestaltet werden, boomen. Urnen in Vereinsfarben oder ein Sarg als Fußballschuh empören mittlerweile nur noch wenige. „Wir stehen allen Formen der RUND 85 rund_082_085_Bestattungskultur 85 07.09.2005 22:19:55 Uhr IM ABSEITS Feind des Fußballs „This final fax broke my neck“: Wenn es sein muss, steht Martin Sonneborn (oben er, unten seine Füße), der wahre Freund des Fußballs, schon mal beim WM-Komitee auf der Matte, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen „Man sollte Sie auswandern“ Vor fünf Jahren schickte Martin Sonneborn Bestechungsfaxe an acht Fifa-Delegierte in ein Züricher Hotel. Am nächsten Tag erhielt Deutschland die Zusage für die Weltmeisterschaft, und Sonneborn wurde zum „Feind des Fußballs“. Heute lebt der 40-jährige Exchefredakteur des Satiremagazins „Titanic“ in Berlin, hat die Faxaktion für sein Buch „Ich tat es für mein Land“ aufgeschrieben und ist Vorsitzender seiner eigenen Partei namens Die Partei INTERVIEW OLIVER LÜCK, FOTOS MATTHIAS KOSLIK RUND 86 rund_086_089_Sonneborn 86 08.09.2005 18:26:57 Uhr IM ABSEITS Feind des Fußballs Echt gute Würstchen und eine Kuckucksuhr: Wie man Entscheidungsprozesse stilvoll beeinflusst, weiß TDES – Titanic, das endgültige Satiremagazin RUND 87 rund_086_089_Sonneborn 87 08.09.2005 18:27:05 Uhr IM ABSEITS Feind des Fußballs Chaos hat System: Seit seinem Umzug nach Berlin bereitet sich Sonneborn mit guter Lektüre auf die WM vor. In den Plastiktüten bewahrt er noch immer einige Faxnummern und die Würste auf, die keiner der Fifa-Offiziellen haben wollte Herr Sonneborn, was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an Fußball denken? Dann denke ich an ein Tor, das ich mal geschossen habe. Ich stand mit dem Rücken zum Tor, nahm einen langen Ball volley mit links an und lupfte ihn dabei versehentlich über den herausstürzenden Torwart. Dann drehte ich mich und hämmerte ihn aus der Luft mit rechts ins Netz. Danach hätte ich sofort zurücktreten sollen, auf dem Höhepunkt meiner Karriere. Fällt Ihnen auch etwas ein, wenn Sie an den bezahlten Fußball denken? Ja, natürlich, dass Deutschland Weltmeister wird. Wir von „Titanic“ haben ja das Unsrige dazu getan – wir haben mit unseren Faxen die WM nach Deutschland geholt. Nun hoffe ich, dass auch der DFB und die Mannschaft nachziehen. Warum haben Sie das damals getan? Schon Monate lang vorher lagen gefälschte Rolex-Uhren, ganz billige Imitate aus Hongkong, für die Fifa-Juroren in meiner Schublade. Ich habe lange überlegt, mit welchem schmutzigen Trick man ein Be- wusstsein dafür schaffen könnte, dass bei der Vergabe der Fußball-WM auch Korruption im Spiel sein könnte. Dann kamen Sie auf die Idee mit den Faxen. Genau, das war am letzten Abend vor der Abstimmung in Zürich. Ich saß mit einem Freund beim Abendbrot und wir sprachen über Korruption. Nach zwei Bieren habe ich dann gedacht, ich kann diese Situation nicht einfach vorbeiziehen lassen. Ich fuhr dann noch mal in die Redaktion und schickte acht Bestechungsfaxe in das Hotel der Fifa-Delegierten. Ich bat die nette Dame an der Rezeption darum, sie am Abend noch an die Herren weiterzuleiten. Weil es schon so spät war, steckte sie die Faxe in Briefumschläge und schob sie unter den Zimmertüren durch. Am Finanzplatz Schweiz offenbar an der Tagesordnung und ein völlig normaler Vorgang. Konnte man denn diese Faxe überhaupt ernst nehmen? Wenn man sehr hungrig war schon. Wir hatten ja lediglich einen Präsentkorb mit ein paar verdammt guten Würsten, einem Schwarzwälder Schinken und einer Kuckucksuhr geboten. Das war ja alles grober Unfug: Die Faxe sind in einer Stunde entstanden, sie trugen keinen Briefkopf, als Unterschrift stand da „Martin Sonneborn, Secretary TDES“ (Anm. d. Red.: Titanic – Das endgültige Satiremagazin). Das konnte man nur ernst nehmen, wenn man wie der neuseeländische Fifa-Vertreter Charles Dempsey, mit seinen 78 Jahren einer der geistig regeren im Fifa-Komitee, die ganze Nacht lang von Nelson Mandela, Gerhard Schröder, Franz Beckenbauer und anderen Interessenten angerufen und extrem unter Druck gesetzt worden war. Da sitzt dieser alte Mann nachts allein in seinem Zimmer und denkt sich: „Was kommt denn jetzt noch? Jetzt schieben sie mir auch noch Briefe unter der Tür durch.“ Das alles musste zusammenkommen, damit er das Fax wirklich ernst nahm. Herr Sonneborn, glauben Sie das wirklich? Die „FAZ“ und „Süddeutsche Zeitung“ haben geschrieben, dass wir das Zünglein an der Waage waren. Dempsey, der eigent- RUND 88 rund_086_089_Sonneborn Abs1:88 08.09.2005 18:27:10 Uhr IM ABSEITS lich für Südafrika stimmen sollte, entschied, sich besser zu enthalten, um nicht in den Ruf zu kommen, bestechlich zu sein. Der Endstand: 12:11 für Deutschland. Später erklärte er in Interviews: „This final fax broke my neck.“ Von vielen Leuten wurde er danach wüst beschimpft und trat von seinem Amt zurück. Ehrlich gesagt, tat er mir leid. Wahrscheinlich war er der einzige ehrliche Mensch in ganz Zürich an diesem Tag. Heute stehen Millionen Menschen stundenlang im Stau, da alles für die WM schick gemacht wird. Haben Sie das gewollt? Stehen Sie? Um Gottes willen, das haben wir nicht gewollt! Die Leute sollen sich andererseits nicht so anstellen. Wir brauchen die WM schließlich, um das Land wieder nach vorne zu bringen – das höre ich doch täglich von meinen Kollegen Stoiber und Schröder. Und wenn die „FAZ“ vermeldet, durch die WM-Aktion hätten wir unserem Land rund 50.000 neue Arbeitsplätze und eine Bruttosozialproduktsteigerung von drei Milliarden Euro beschert, dann ist das doch für ein kleines Satiremagazin eine ganz ordentliche Leistung. Trotzdem: Erst wollte der Deutsche Fußball-Bund Sie verklagen. Ja, ich musste mich mit einem DFB-Anwalt in einem Hotel in Stuttgart treffen. Für einen kurzen Moment stand eine lustige Schadensersatzklage über 600 Millionen D-Mark im Raum. Mein erster Gedanke war, dass ich mein Konto dann wohl um rund 540 Millionen Mark überziehen müsste. Man ließ mir aber die Wahl, und so unterschrieb ich eine Vereinbarung, dass ich so etwas Zeit meines Lebens nie wieder tun würde. Es war natürlich nicht ganz einfach für mich, dabei ernst zu bleiben, aber es ging ja um viel Geld. Mehr wurde nicht vereinbart? Doch, ich bin immer noch gespannt, ob wir die Karten für das WM-Finale bekommen, die der Anwalt der Redaktion versprochen hat, und ob ich Ehrenspielführer der Nationalelf werde. Allerdings hatte er so einen extrem sarkastischen Unterton, als er das versprach. Egal, ich halte mich extra fit, damit ich unsere Mannschaft ins Eröffnungsspiel führen kann. Feind des Fußballs Nach der Aktion haben manche Menschen Sie wegschließen, erschießen oder vergasen wollen – hat man Sie missverstanden? Die „Bild“-Zeitung sicher. Auf der Titelseite druckten sie unsere Telefonnummer ab und riefen dazu auf, uns mal die Meinung zu sagen. Kürzlich hab ich für das WMBuch noch mal die CD mit den Anrufen abgetippt. Das sind ja ganz wunderbar poetische Dinge, die von den „Bild“-Lesern da ganz beherzt vorgebracht werden: „Im Rechtsstaat gehören Leute wie Sie ins KZ!“; „Den Purlitzer-Preis kriegen Sie damit nicht! Man sollte Sie auswandern!“; „Wegen euch Schweinen haben wir die WM nicht bekommen.“ Das ist so unfassbar lustig. Wir sind heute noch dankbar, dass das größte Drecksblatt in diesem Land seine Leser zu dieser Beschimpfungsorgie angeregt hat. Da wir aus Versehen alle Anrufe mitgeschnitten haben, konnten wir nämlich eine schöne CD daraus machen – die beliebteste Aboprämie, die „Titanic“ je hatte. Haben Sie denn die Empörung damals verstehen können? Ja, klar. Den Lesern der „Bild“-Zeitung wurde ein schlüssiges Weltbild präsentiert: dass Fußball sauber ist, dass Korruption und Sport nichts miteinander zu tun haben und dass nun ein Satiremagazin versucht hatte, mit billigen Bestechungsbriefen die Auflage zu erhöhen. „DEUTSCHE REAGIEREN SCHNELL CHOLERISCH, WENN ES UM FUSSBALL, HUNDE ODER AUTOS GEHT“ MARTIN SONNEBORN Leben wir in einem cholerischen Land? Es gibt ein paar Bereiche, in denen der Deutsche schneller bereit ist, cholerisch zu reagieren. Meine Erfahrungen in elf Jahren „Titanic“ zeigen, dass dies immer der Fall ist, wenn es um Fußball, Hunde oder Autos geht. Fußball ist den Menschen offensichtlich sehr wichtig. Das hat ja auch der arme Charles Dempsey hinterher überrascht festgestellt: „Ich habe nicht gewusst, dass Fußball für so viele Menschen so wichtig ist.“ Wäre der Aufschrei ebenso groß gewesen, wenn bei der Bundestagswahl bestochen worden wäre? Nein, dann hätte es die übliche ritualisierte Empörung in Politikerkreisen gegeben. Das Ganze ist ja nicht mehr als ein Schmierentheater, eine nur noch für die Medien inszenierte Politisiererei. Schauen Sie doch Die Partei an, wir sind ja das beste Beispiel: Wir haben einen offen erklärten populistischen, schmierigen und niveauarmen Wahlkampf gegen das Merkel geführt. Und wir haben bei Ebay einen Teil unserer Wahlwerbesendezeit im ZDF verkauft. „WENN ICH ÜBER DEN BALL TRETE, WERDE ICH VON MEINEN MITSPIELERN ALS ,FEIND DES FUSSBALLS‘ BETITELT“ MARTIN SONNEBORN Ist Ihnen Fußball wichtiger als Politik? Da meine eigene Partei in diesem Land noch nicht genug Einfluss hat, ist mir Fußball im Moment wichtiger. Jeden Donnerstag spiele ich mit Freunden in einer Halle in Berlin-Marzahn. Dafür muss ich hin und zurück 30 Kilometer durch die Stadt fahren. So wichtig ist mir der Fußball. Sind Sie gut? Nun ja, bisweilen, wenn ich dank meiner herausragenden Technik über den Ball trete, werde ich von meinen Mitspielern achtungsvoll als „Feind des Fußballs“ betitelt. Das setzte sich fest, weil die „BZ“ mich nach der Bestechungsaktion so bezeichnet hat. Kennen Sie einen José Mourinho? Natürlich. Wer ist das? Das ist ein Portugiese, der für viel Geld den FC Chelsea trainiert und als arrogant gilt. Wenn man im Internet nach „Feind des Fußballs“ sucht, wird zunächst sein Name und etwas später Ihrer angezeigt. Ach wirklich? Dann muss er der größere Feind des Fußballs sein. Martin Sonneborn Ich tat es für mein Land – Wie TITANIC die WM 2006 ins Land holte: Protokoll einer Bestechungsaktion. Bombus-Verlag 128 Seiten 12,90 Euro RUND 89 rund_086_089_Sonneborn Abs1:89 08.09.2005 18:27:15 Uhr IM ABSEITS Dänisches Dynamit Der Rasenmäher Der dänische Exnationalspieler STIG TØFTING ist für seine Skandale bekannt: Mal saß er im Gefängnis, mal schlug er sich, oft war er betrunken. Diesen Monat wird der 36-Jährige in Schweden seine Profikarriere beenden VON FRANK HEIKE, FOTOS GERALD VON FORIS Harter Kerl mit labilen Zügen: Stig Tøfting, der tätowierte Kraftprotz, trägt einen großen Schmerz in sich, der manchmal bei nichtigem Anlass ausbricht RUND 90 rund_090_093_Toefting spiel mit puppen 90 08.09.2005 22:11:03 Uhr IM ABSEITS In der 90. Minute fällt der Ball Stig Tøfting vor die Füße. Er nimmt ihn mit dem rechten Oberschenkel an und schießt volley ins lange Eck. Der gegnerische Torwart hat keine Chance. Stig Tøfting dreht jubelnd ab. Es ist der 1:0-Siegtreffer für BK Häcken. Tøfting ist der Star des Abends. Er wäre es auch ohne sein Tor gewesen. Tøfting ist der Star der Allsvenskan, er verdient 1,5 Millionen schwedische Kronen, umgerechnet rund 160.000 Euro, mehr als alle anderen Profis. Er ist der Star in einer im europäischen Vergleich drittklassigen Liga. Tøfting, der 90 Minuten lang in Manndeckung genommen wird, sagt: „Das war ein grausames Spiel heute. Viele Spiele sind grausam hier. Immer kleben zwei Gegenspieler an mir. Aber das macht mir nichts. Dann ist immer einer von uns frei. Und ich muss dafür nicht mal was Besonderes machen.“ Der 36 Jahre alte Tøfting spielt bei der Fahrstuhlmannschaft BK Häcken eine Art Schutzmann des Fußballs, hier lenkt er, dort ordnet er, da ruft er etwas. Immer ist er in Bewegung, der Mann mit dem Spitznamen Rasenmäher. Er berührt selten den Ball, aber er bekommt immer die besten Noten. Tøfting hat Häcken ins sichere Mittelfeld der Tabelle geführt. Schweden ist stolz, diesen Spieler in der obersten Liga zu wissen, diesen Dänen, der in der Bundesliga beim Hamburger SV und dem MSV Duisburg, in der Premier League bei den Bolton Wanderers und mit Dänemark vier Endrunden bei Welt- und Europameisterschaften gespielt hat. Stig Tøfting sagt: „Hier wird viel gerannt und gekämpft, in der Bundesliga wird mehr gespielt. Guten Fußball spielen in Schweden der IFK Göteborg, Malmö FF, schon Djurgarden nicht mehr, die spielen doch nur hoch und weit.“ Aber was will Tøfting denn überhaupt hier? „Barcelona und Liverpool haben nicht angerufen“, sagt er. Die tiefgrünen Augen blitzen dabei. Dänisches Dynamit „Skandaldansken till Allsvenskan“, schrieb eine schwedische Zeitung im Januar 2005, als sich abzeichnete, dass der vereinslose Tøfting nach Göteborg wechseln würde, in den Stadtteil Hisingen zum Aufsteiger BK Häcken. Tøfting ist für die Fußballöffentlichkeit derjenige, der wegen Körperverletzung drei Monate und 16 Tage im Gefängnis saß. Der Schläger, der mit den Hells Angels befreundet ist. Der Typ, der die Todesstrafe befürwortet. Der tätowierte Kraftprotz, der die Muskeln gleichsam als Panzer trägt. Doch Tøfting trägt einen großen Schmerz in sich, der manchmal unkontrolliert ausbricht, bei nichtigem Anlass. Er hat Anfang 2005 all seine Trikots versteigert und fast 140.000 Kronen eingenommen, die er den Flutopfern spendete. Doch man kennt eher andere Zahlen – die 600.000 Kronen etwa, die er den Hells Angels geliehen haben soll. Kaum jemand erinnert sich daran, dass Stig Tøfting mit 13 die Eltern und vor zwei Jahren seinen 22 Tage alten Sohn verloren hat. Stig Tøfting sagt: „Ich habe soviel Schlechtes erlebt, ich möchte endlich in Ruhe gelassen werden. Ich bin ein ganz normaler Typ, ein Familienvater. Ich habe meine Strafe abgesessen. Es gibt für mich keinen Grund zurückzuschauen.“ Doch. Den gibt es. Denn da war dieser Sommer 2002. Es war der Sommer, als Tøfting vom Opfer zum Täter wurde. Es ist Sonntag, der 23. Juni 2002, nachts um kurz vor zwei, als „Tøffe“ plötzlich eine Idee hat: „Wir wollen singen! Alle zusammen! He, macht mal die Musik aus!“ Wir, das sind neun dänische Nationalspieler, die in dieser Nacht in einem feinen Restaurant der Kopenhagener Innenstadt feiern. Stig Tøfting, Thomas Gravesen und die anderen sind stolz auf das, was sie bei der WM in Südkorea und Japan erreicht haben. In Dänemark sind sie die Lieblinge der Nation, sie sind „vores drenge“, unsere Jungs. Da Exstar in der Drittklassigkeit: Tøfting im Trikot des schwedischen Klubs BK Häcken RUND 91 rund_090_093_Toefting spiel mit puppen 91 08.09.2005 22:11:18 Uhr IM ABSEITS wird man doch mal singen dürfen. Aber Stig und seine Kameraden dürfen nicht. Der Restaurantbesitzer möchte die Musik nicht runterdrehen, aus Rücksicht auf die 250 anderen Gäste. Für Verbote hat Tøfting in diesem Zustand gar kein Verständnis. Er springt auf und gibt dem Besitzer eine Kopfnuß. Dessen Augenbraue platzt auf, ein Mitarbeiter aus der Küche eilt herbei, will schlichten, ein Tumult entsteht, Tøftings Freund Gravesen will ihn zurückhalten, doch er schlägt dem Küchenmann ins Gesicht, aufs Ohr. Der Mann fällt blutend zu Boden. Stig Tøfting flüchtet. Die Polizei wird alarmiert, sie kommt um kurz nach zwei Uhr ins Restaurant. Tøfting wird wenig später festgenommen. Die Affäre Tøfting ist das große Thema des Sommers 2002 in den dänischen Medien. Das hat vor allem mit der Wendung Tøftings vom Opfer zum Täter zu tun. Denn am 5. Juni 2002, ein Tag vor dem Vorrundenspiel der Dänen gegen Senegal, beschreibt die dänische Boulevardzeitschrift „Se og hør“ ausführlich, wie der 13 Jahre alte Stig seine Eltern in Århus verlor. Der grausame Fall, in dem der Vater die Mutter tötet und dann sich selbst das Leben nimmt, ist in Dänemark zwar seit Jahren bekannt, aber es gibt ein Stillhalteabkommen der Medien. Niemand brach es, bis „Se og hør“ das Unheil im Interesse der Auflagensteigerung vermarktet. Die Gazette entschuldigt sich heuchlerisch: Man habe doch nicht ahnen können, dass die drei Kinder des Ehepaars Tøfting, damals sieben, acht und zwölf Jahre alt, vom Schicksal ihrer Großeltern noch gar nichts wussten. Daraufhin beginnt in Dänemark eine Debatte über die verlogene Moral des Journalismus. Im Oktober 2002 wird Tøfting von einem Kopenhagener Gericht wegen Körperverletzung zu vier Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Stig Tøfting hat schon eine Bewährungsstrafe aus dem Jahre 1999 hinter sich. Er akzeptiert das Urteil, sein Klub Bolton kündigt ihm, und er sitzt im Frühjahr 2003 seine 14 Wochen im offenen Gefängnis von Møgelkjær bei Horsens ab. Tøf- Dänisches Dynamit Eines der letzten Interviews: Im Oktober verabschiedet sich Tøfting vom Profifußball ting will über die Zeit hinter Gittern nichts sagen. Das liegt auch daran, dass bald seine Biografie erscheinen soll. Nur so viel erzählt er: „Ich habe es nicht als große Strafe angesehen, im Gefängnis zu sitzen. Es war ein bisschen wie im Trainingslager mit einer Fußballmannschaft.“ Zu einer seiner Aufgaben im Knast gehörte das Rasenmähen. Darin hat er Übung. Als freier Mann ist Stig Tøfting im Juli 2003 ohne Klub. Er geht ein halbes Jahr nach China zum Erstligisten Tianjin Taida. Er sagt: „Ich habe mich überall wohl gefühlt, auch in China.“ Beim BK Häcken kennt man alle Geschichten über Tøfting, alte und neue. Denn als er nach Schweden kommt, hat er wieder einmal den Tiefpunkt erreicht – bei seinem dänischen Stammverein Århus GF hat man ihn Ende 2004 zum zweiten Mal nach 1999 gefeuert. Während eines Weihnachtsessens schlägt er sich mit einem Kollegen. Tøfting fliegt raus, vertragsgemäß: Sein Kontrakt hat eine Klausel, die die sofortige Kündigung vorsieht, falls er prügelt. Die Klausel hat er auch bei Häcken. „Es ist traurig, dass es bei ÅGF so gelaufen ist. Ich hatte es gut dort“, sagt Tøfting. Dann also Schweden. Der gesichtslose Aufsteiger BK Häcken sucht jemanden, der den Klub aufwertet. Man erinnert sich des vereinslosen Tøftings und fragt dessen Trainer bei ÅGF, Sören Åkeby. Der sagt: „Als Spieler hat Stig nie Probleme gemacht. Er ist ein Profi bis in die Fingerspitzen.“ BK Häcken reicht das als Zeugnis, und Stig Tøfting wechselt nach Göteborg. Die Fans nennen ihn den Engel von Hisingen und sind traurig, dass er den ansonsten profillosen Klub bald wieder verlassen wird. Bei Århus GF hat alles begonnen, hier soll es auch enden. Tøfting spielte ab der D-Jugend für ÅGF und bekam hier seinen ersten Profivertrag. Århus träumte stets von der großen Konkurrenz zu den Kopenhagener Klubs. Nie ist etwas daraus geworden, und in diesem Jahr sind die Aussichten besonders schlecht: Der Verein ist im Keller der SAS-Liga. Tøftings Rückkehr in die Heimat scheint möglich, weil die Saison in Schweden im Herbst vorbei ist und Tøfting den Vertrag nicht verlängert. „Ich möchte ÅGF helfen, aber nicht als Spielertrainer“, sagt Tøfting „ich bin bald 36, das ist zu alt für Profifußball.“ Er macht gerade seine Trainerlizenz in Dänemark. Vielleicht gibt ihm Århus eine Chance. Es wäre die letzte. RUND 92 rund_090_093_Toefting spiel mit puppen 92 08.09.2005 22:11:21 Uhr IM ABSEITS Spiel mit Puppen Benni gibt Laut Dieses Mal in der tierischen RUND-Puppen-Story: ES MUSS LIEBE SEIN – wie HSV-Profi Benjamin Lauth mit seiner Hündin Gassi geht und dabei ein kleines Unglück passiert FOTOS STEPHAN PFLUG Wie jeden Abend nach dem Training trägt Benni seine Hundedame durch den Park und ist dabei ganz bei sich: Monat für Monat erleben unsere runden Superhelden die unglaublichsten, wahnwitzigsten Abenteuer des Alltags Wo warst du denn bloß, Benni? Mach sitz jetzt, du Frecher! BENNI! Wo bist du? Komm zu Frauchen! Gib Laut, Benni!!! Ich will jetzt mal runter!!!!! ?! __seufz ___gähn blablabla Benni sitz blabla... Was für ein Parfum! Ist das ein Rüde? Der sieht aber echt süß aus. Ich denke an gar nichts!! Nein, eine Hündin, ich nenne sie Mäuschen. Was für eine Duftmarke! Mäuschen, wie süß! Meiner heißt Benni. Ich mach sie mal los. Ist er kastriert? __ „Soll ich dich einem Sommertag vergleichen ...“ Das ist aber nicht von mir, das ist Shakespeare. Mäuschen, sie ist so schön! Was soll ich ihr denn bloß sagen? Ein Kompliment, bitte schnell!! Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? Er ist wie du so lieblich. Selbst in Maienknospen tobt der Wind... pff fft_ _ Wir danken der Firma Revell für die freundliche Bereitstellung der Kick-O-Mania-Puppen. _ u hn sc pp er ...du?! Ähm, ich glaube, dein Hund hat, äh... ft: gi He nlui n in a ste Gi m ch nd insa o. ä u e c n Im ahn em rtdis g ll i K fon rwa O uf To B der RUND 93 rund_090_093_Toefting spiel mit puppen 93 08.09.2005 22:11:25 Uhr au Ne s d ues W er g und elt a S de nze kur s F n ril uß run es ba de lls n IM ABSEITS Weltklasse Grillen im Winter Die Fußball-WM in Deutschland sorgt für den Aufschwung ganzer Wirtschaftszweige. Und die DIENSTLEISTUNGSBRANCHE wartet mit entsprechenden Internetspielen auf. Ein Beispiel der schmierigen Sorte Fußball ist eine Welt von Männern und für Männer. Anders gesagt: Es ist eine Welt „für die User unserer Portale“. Nämlich „Modelle-Hamburg.de“ und ähnliche. In diesem Teil des World Wide Web bieten „Krisztina, die feurige Ungarin“ und „Sarah, das freche Früchtchen“ ihre Dienste an. In diesem Teil der Welt gedeihen auch solche Rätsel: „11 .icker müsst Ihr sein!“ Wer da originell antworten will, ist, natürlich, ein Mann, der ein Tippspiel bewältigen will: Zu erraten sind die 32 Teilnehmer der WM 2006. Dritter Preis: ein Fass Bier. Zweiter Preis: ein Fass Bier plus Grillgut. Erster Preis: „Der Gewinner und weitere zehn Freunde dürfen mit der lieblichen Valerie spielen.“ Auf deren Homepage wird natürlich verlinkt: „Spiele mit meinen polangen Haaren und genieße mich.“ Als ob das nicht schmierig genug wäre, erfahren „die User unserer Portale“ noch, wie sie so einen Genuss mit der „lieblichen Valerie“ gestalten können: „Nach der regulären Spielzeit von 90 Minuten, in der jeder Teilnehmer zeigen kann, dass er das Decken versteht, ist auch noch ein Elfmeterschießen machbar.“ Die WM-Teilnehmer stehen übrigens frühestens im November fest. Daher kann das Grillgut erst zu Winteranfang geliefert werden. Auch die Terminierung des nächsten Grillfestes ist natürlich Männersache. MARTIN KRAUSS Fesseln am Fuß Jermaine Pennant vom englischen PremierLeague-Klub Birmingham City ist der erste Fußballprofi, der mit elektronischer Fußfessel zu einem Punktspiel antreten musste. Seine Pässe kamen trotz des Knubbels am Fußgelenk an. Und verletzt hat er auch niemanden Pennant mit Knubbel am Knöchel Einerseits hat der Weltfußballverband Fifa das Tragen von Schmuck eindeutig verboten. Auch dann, wenn die edlen Stücke überklebt oder sonst wie versteckt würden. Andererseits gibt es ja noch staatliche Gerichte. Und es gibt Jermaine Pennant. Der 22-Jährige gab nämlich am 2. April dieses Jahres beim 1:1 seines Birmingham City gegen Tottenham Hotspur das Debüt eines Profis mit elektronischen Fußfesseln. Wegen Fahrens ohne Führerschein war er zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt worden, aber nach einem Monat bereits zum, freilich elektronisch gefesselten, Freigänger geworden. Modisch, aber dennoch notdürftig versteckte er den Sender, der den Behörden seinen jeweiligen Aufenthaltsort meldete, unter dem Stutzen. Wie ein Gericht, staatlich oder sportlich, nach einem Foul Pennants geurteilt hätte, bei dem seine Fessel jemanden verletzt hätte? Um das herauszufinden, müsste Pennant wohl noch mal besoffen aus dem Verkehr gezogen werden. MARTIN KRAUSS, FOTOS PIXATHLON/PICTURE ALLIANCE RUND 94 rund_094_095_Weltklasse 94 08.09.2005 18:31:50 Uhr IM ABSEITS Weltklasse BERGERSTRASSE In Frankfurt am Main lebt sein Ruhm weiter: 1999 benannten Fans die Berger Straße nach JÖRG BERGER um. Die Schilder sind heute noch da Mit Hansa Rostock hat er seine Mission Klassenerhalt nicht geschafft – nach dem Abstieg endete Jörg Bergers Amtszeit nun schon nach dem zweiten Spieltag. In anderen Städten wirkte er nachhaltiger. „Er hätte auch die Titanic gerettet“, bejubelte an diesem denkwürdigen 29. Mai 1999 JanAge Fjörtoft den Retter. Die Fans von Eintracht Frankfurt sahen das ähnlich – Einzelne machten sich nach dem sensationellen Klassenerhalt sogar auf, um Berger ein ganz besonderes Denkmal zu setzen. Sie beklebten jedes einzelne der rund 30 Straßenschilder der arg langen Frankfurter Berger Straße mit einem „Jörg“-Zusatzschildchen. „Ich habe davon gehört“, sagt der Bedachte, „ich habe damals auch von einem Fan ein Foto bekommen. Das muss ja gleich in dieser Nacht passiert sein und war wohl nicht nur ein Schild.“ Noch heute, über ein halbes Jahrzehnt danach, sind im Stadtteil Bornheim vereinzelt Spuren dieser Huldi- gung zu erkennen. „Ich habe ja viele kuriose Dinge in rund 30 Jahren Profifußball erlebt“, erinnert sich Jörg Berger nach wie vor sehr gerne an seine wohl heikelste Mission, „aber Frankfurt war ganz wichtig für mich, das war ja fast nicht nachvollziehbar.“ Vielleicht braucht die Eintracht ja bald wieder einen Retter. Die „Jörg“-Schildchen in der Berger Straße jedenfalls könnten mittlerweile eine Auffrischung dringend gebrauchen. KLAUS TEICHMANN BADEN IM BUS Vor langweiligen Auswärtsfahrten in einem beengten, mit hässlichen Veloursitzen und einer nur unregelmäßig funktionierenden funktionalen Toilette ausgestatteten Reisebus müssen die Spieler des englischen Erstligisten Chelsea FC ab März 2006 keine Angst mehr haben. Vereinspräsident Roman Abramowitsch orderte für den Kickertransport in den USA einen Luxusliner, der unter anderem jedem Fahrgast einen eigenen Kabel-TV-Anschluss und, für Fußballer besonders wichtig, einen DVD-Player bietet. Das knapp 900.000 Euro teure Gefährt ist zusätzlich mit einem Massageraum und einem kleinen Entmüdungsbecken ausgerüstet. Der kugelsichere HightechBus wird derzeit von einer auf Umbauten spezialisierten Firma aus Tampa/Florida hergestellt. Er ist baugleich mit dem Modell, das US-Präsident George W. Bush auf seiner letzten Wahlkampftour benutzte. Ein britischer Kolumnist kommentierte den Kauf so: „Was kommt als nächstes? Wird Chelsea demnächst zu den Auswärtsspielen der Champions League mit der Air Force One fliegen?“ ELKE WITTICH RUND 95 rund_094_095_Weltklasse 95 08.09.2005 18:31:58 Uhr RUND Spielkultur SPIELKULTUR Spielkultur muss gepflegt werden. Oder auch zelebriert. Mit ihr werden Blumenpötte gewonnen. Oder die Galerie begeistert: „Udo Jürgens, Peter Alexander – ich glaube nicht, dass die schreiend in der Kurve stehen. Da fehlt die emotionale Bindung, einen Fußballsong zu schreiben.“ FETTES BROT 98 INTERVIEW „Davon träumt doch jeder“ – der HipHop von Fettes Brot hat es bis ins Stadion geschafft 104 RASENSCHACH Durch die Mitte kontern – spielen Fußballer Schach mit der gleichen Strategie wie Fußball? 110 GESCHICHTSSTUNDE „Der größte Sündenfall“ – endlich hat der DFB seine NS-Historie aufarbeiten lassen 116 AUSLAUFEN Etwas Wörnsartiges mit Namen Feng – Jörg Thadeusz über das Länderspiel gegen China RUND 97 rund_097_Vorschalt_Spielkultur 97 06.09.2005 18:13:54 Uhr SPIELKULTUR Interview „DAVON TRÄUMT DOCH JEDER“ Die Band FETTES BROT hat den musikalischen Adelsschlag erhalten: Ihr Hit „Emanuela“ wurde von den Bielefelder Fans sogar im Fußballstadion gesungen. Doktor Renz, Schiffmeister und König Boris über den Song als Fußballhymne, große Gefühle im Stadion und Kopfschmerzen auf der Bühne durch zu viel Fußballtennis INTERVIEW MALTE OBERSCHELP UND EBERHARD SPOHD, FOTOS GIANNI OCCHIPINTI Als Patrick Owomoyela umworben wurde, sangen die Bielefelder Fans „Lasst die Finger von Owomoyela“ und verwendeten Text und Melodie Ihres Hits „Emanuela“. Wie finden Sie das, im Stadion gesungen zu werden? KÖNIG BORIS Fantastisch. Ein lang gehegter Traum ist in Erfüllung gegangen. DOKTOR RENZ Das ist der Adelsschlag für jeden Popsong, wenn er im Stadion gesungen wird. Davon träumt doch heimlich jeder Songschreiber. Das ist eine Art von Heiligsprechung. SCHIFFMEISTER Das Schöne daran ist ja auch, dass die Band gar nichts dafür getan hat. Wir haben unseren Song gemacht, und die Leute fanden ihn gut. Da muss also etwas drinstecken, was 20.000 Leute gerne singen wollen. Das ist cool. DR Wir haben beim Schreiben natürlich daran gedacht, dass es da in Bielefeld einen Spieler namens Owomoyela gibt und dann versucht, einen Frauennamen zu finden, der ganz ähnlich ist, damit das abgewandelt werden kann. Wir haben die Idee auf die Reise geschickt, aber gemacht haben es die Fans von Bielefeld. Danke noch mal! KB (Band lacht.) In Deutschland wirkt das, was in den Stadien gesungen wird, eher langweilig. Zumindest von der Melodieauswahl. S Ist es das wirklich? Das wird oft sofort zu einem dumpfen Gassenhauer abgestem- pelt: Was im Stadion gesungen wird, ist partout schlechter Geschmack. Oft stimmt das auch, das muss man ehrlich sagen, aber manchmal auch nicht. Das sind immerhin Hymnen, die viele Leute gerne grölen. Das muss ein Gefühl in den Menschen auslösen, das tief geht. DR So schlimm finde ich die Melodieauswahl gar nicht. Was Fußball und Pop angeht, sind die Engländer ganz weit vorne. Zumindest hat man in Deutschland eine ganz hohe Meinung davon. Aber ob da wirklich nur B-Seiten von alten Oasis-Singles gesungen werden oder eben doch auch „Sailing“ von Rod Stewart – keine Ahnung. RUND 98 rund_098_103_Fettes_Brot 98 08.09.2005 18:34:10 Uhr SPIELKULTUR Interview Heiligsprechung: Schiffmeister, Doktor Renz und König Boris (von links) haben es bis in die Stadien geschafft RUND 99 rund_098_103_Fettes_Brot 99 08.09.2005 18:34:11 Uhr SPIELKULTUR Interview HipHop aus Hamburg: die fetten Brote auf dem Studiosofa Doktor Renz „DAS GUTE IST: WENN MAN DEN TEXT EINMAL GEAHNT HAT, KANN MAN SOFORT MITGRÖLEN“ SCHIFFMEISTER ÜBER STADIONSONGS Schiffmeister RUND 100 rund_098_103_Fettes_Brot 100 08.09.2005 18:34:22 Uhr SPIELKULTUR Die Fans greifen häufig auf immer die gleichen Melodien zurück. Ist das nur Gewohnheit? S Die Melodien sind ja häufig schon etwas älter. Aber das ist das Gute: Wenn man den Text einmal geahnt hat, kann man sofort mitgrölen. Das ist das Geheimnis. Ein anderes leidiges Thema sind die Lieder, die über Fußball geschrieben werden. Gibt es in der Bundesliga überhaupt ein gelungenes Vereinslied? KB Das HSV-Lied von Lotto King Karl geht noch einigermaßen, finde ich. Und ich bin nun wirklich kein HSV-Fan. Es ist halt besser als die Pest. Was man sonst zu hören bekommt, ist teilweise wirklich dramatisch. Wir haben eine kleine Liste von Fußballsongs vorbereitet, bitte jeweils ein Statement. Wie wärs mit „Rummenigge“ von Alan & Denise? S „Rummenigge, Rummenigge, all night long“? Das war ein Hit. DR Das fand ich gut damals. KB Nicht Ernst zu nehmen als Song, aber witzig. Ein echter Klassiker: „Fußball ist unser Leben“, die Nationalmannschaft zur WM 1974. KB Peinlich. Wenn Fußballmannschaften singen, wird das immer schnell schlimm. S Die hatten wohl auch wenig Spaß daran. Ich habe mal TV-Aufnahmen gesehen, die sahen aus, als hätte man sie hingeprügelt. „Football’s coming home“? DR Der einzig gute Song. KB Der beste Fußballsong, der je geschrieben wurde. „You’ll never walk alone“ ist natürlich auch super, aber der war ursprünglich ja gar nicht als Fußballsong gedacht. DR Trotzdem bringt er das Gefühl, das man als Fußballfan kennt, total auf den Punkt. Wenn es Scheiße läuft, bist du nicht allein. Das passt, egal ob du gewonnen oder verloren hast. Das ist eine ganz tolle Eigenschaft von einem Fußballlied. Die Nationalmannschaft auch mal was mit den Village People gesungen: „All the Way to America“, zur WM 1994. DR Mit welcher Nationalmannschaft – mit der deutschen? Interview Mit der deutschen. KB Eine wahnsinnige Kombination. DR Das muss sich Rudolf Scharping ausgedacht haben. Dann gibt es da noch „Buenos dias, Argentina“ von 1978 mit Udo Jürgens. S Warum ist das immer so volkstümlich? Warum haben das nicht mal progressivere Bands in Angriff genommen? Wie wär’s mit Fettes Brot? KB Band schweigt. DR Vielleicht ist da ja der Wunsch der Vater des Gedankens. Man könnte uns ja noch dazu überreden. Wir hätten es selbstverständlich drauf. Das sei mal vorangestellt. S Die Traute hätten wir. Ganz hypothetisch: Wären Sie bereit, den offiziellen WM-Song zu machen? DR, KB, S Nein. S Wer bestimmt, dass das offiziell ist? Ein Fernsehsender? Angela Merkel? DR Noch besser, der DFB. Offiziell gibt es einfach nicht mehr, dafür ist die Medienlandschaft zu verzweigt. Jeder Fernsehsender will seinen eigenen Song, am besten noch mit einem fetten Sponsor hintendran. Wenn man da mitmacht, muss man den besten Song machen, der sich durch Qualität durchsetzt. Lässt sich so ein Song überhaupt mit Absicht planen? Die meisten Sachen kranken doch daran, dass sich jemand hinsetzt und partout ein Fußballlied schreiben will. DR Das war ja auch das Schöne am Owomoyela-Song. Ich glaube, wenn man das machen will, hat man sicher die Idee, dass der Song im Stadion gesungen werden soll. KB Ich glaube nicht, dass das ein Kriterium sein sollte. Das ist oft gerade der Fehler. Ich glaube auch nicht, dass die Lightning Seeds sich vorher überlegt haben, dass „Football’s coming home“ im Stadion gesungen werden soll. Die haben einfach versucht, ein Gefühl, das sie zu Fußball haben, in einen Song zu packen. DR Ich glaube, den Leuten fällt das Songschreiben auch deshalb so schwer, weil ein Lied über Fußball auch eines über Deutschland ist. Die Engländer haben es da einfach leichter, ein liebevolles Verhältnis zum eigenen Land auszudrücken. In „Football’s coming home“ ist die eigene Märtyrerrolle dermaßen ausgelebt: Wir haben den Fußball erfunden, dann wurde er uns geklaut … „EIN LIED ÜBER FUSSBALL IST GLEICHZEITIG AUCH EINS ÜBER DEUTSCHLAND“ DOKTOR RENZ KB … von den Deutschen … DR … von den Deutschen, den Holländern und wem man sonst noch alles auf Mallorca begegnet. Und jetzt, nach 30 Jahren, holen wir ihn uns zurück. Das ist vom Gefühl her perfekt. Genau dort möchte man laut mitsingen. KB Viele Leute haben Songs gemacht, die selbst mit dem Fußball gar nichts zu tun hatten. Das waren Auftragsarbeiten. Udo Jürgens, Peter Alexander – ich glaube nicht, dass die schreiend in der Kurve stehen. Da fehlt die emotionale Bindung, einen Song zu schreiben. Aber Sie gehen ins Stadion. KB Ich jedenfalls, zum FC St. Pauli. S Stellvertretend für uns alle. KB Wir können uns keine drei Dauerkarten leisten. Glücklicherweise fiel das Los auf mich. DR Wir beide haben Kinder, und er hat eine Dauerkarte. S Ich war früher, weil mein Vater mich mitgenommen hat, beim SuS Waldenau. Ein kleines Dorf in der Nähe von Pinneberg. DR Den Verein haben wir später auch gesponsert, wir waren auf dem Trikot. Das kam über einen Kollegen von Boris zustande, der da auch gespielt hat. Es ist schon ein geiles Gefühl, wenn eine Mannschaft mit dem Bandnamen auf der Brust aufläuft. Und wir hatten mal eine Werbebande bei St. Pauli, auf der stand „Fettes Brot ist doof“. Ein großes Gefühl damals in „ran“: das eigene Bandlogo im Stadion. RUND 101 rund_098_103_Fettes_Brot 101 08.09.2005 18:34:31 Uhr SPIELKULTUR Interview „EIN FUSSBALL IST AUF TOUR IMMER DABEI“ KÖNIG BORIS Werbemaßnahme oder Herzensangelegenheit? KB Für mich war das eine Herzensangelegenheit. Wie viel Werbung das brachte, war mir ziemlich egal. Kicken Sie auch selbst? KB Ja. Wir haben eine Mannschaft mit zehn, 20 Leuten, da treffen wir uns einmal die Woche und spielen auf so einem öddeligen Bolzplatz. Schockt tierisch. Ein, zwei Tore können einem die Woche total versüßen. Man denkt auf dem Fahrrad darüber nach, wie man ein Kopfballtor gemacht hat – herrlich. Das sind schnelle, ohne viel Aufwand geholte Erfolgserlebnisse. Und auf Tour werden die Lampen in der Halle ausgeschossen. S Neulich habe ich mitgespielt bei einem Spiel, das meine Kollegen erfunden haben und über das sie sicher gerne berichten … KB Das ist Fußballtennis, das machen sogar die Profis. S Ach, das habt ihr gar nicht erfunden? DR Man kommt dann nur mit Kopfschmerzen auf die Bühne – die vielen Kopfbälle. KB Ein Fußball ist aber immer dabei. Sollen wir zur Musik kommen? DR Damit kennen wir uns aus. Das machen wir ja lange genug. Aber HipHop ist doch sowieso tot. Das haben Sie schon vor vier Jahren gesungen. Warum sind Sie dann immer noch dabei ? KB Für uns läuft es doch ganz gut, oder? DR Wir machen einfach unsere Musik und sagen nach wie vor, das sei HipHop. Wir hatten auch nie Schwierigkeiten, die Veränderungen mitzumachen, der eine Band in so einem Zeitraum unterworfen ist. Wir haben nach allen Seiten geschaut, was spannend ist und das in unsere Musik integriert. Aber der Gedanke, der dahintersteckt, ist immer noch HipHop. Uns hat von Anfang an fasziniert, dass man dort aus ganz wenig große Songs machen kann. Man braucht nur ei- König Boris nen geilen Beat, eine Idee, Mitteilungsbedürfnis und eine laute Stimme. S Wir leben in dem Größenwahn, dass wir den HipHop-Begriff weiterentwickeln können. Das ist wichtig für Rap, sonst tritt man künstlerisch furchtbar langweilig auf der Stelle. Davon gibt es echt genug. Wir versuchen, uns immer wieder zu erneuern. Dafür werden Sie regelmäßig angefeindet und schlagen auch mal zurück. S Es gab sicher Zeiten, zu denen wir mehr über so etwas nachgedacht und uns geärgert haben als heute. DR In der Popmusik geht es doch auch immer darum, der Coolste zu sein oder der Durchsetzungsfähigste. Da gehört es offensichtlich bei einigen, vornehmlich männlichen Protagonisten der Szene dazu, sich schlecht zu benehmen und Leute zu beleidigen. Wir haben das nie gemacht und sind trotzdem immer erfolgreich gewesen. Genau das können unsere vermeintlichen Widersacher am wenigsten verstehen. Wie würden Sie Ihre musikalische Entwicklung charakterisieren? KB Wir sind besser geworden in dem was wir machen, zielstrebiger. Früher haben wir viel mehr herumprobiert, bis die Musik gut klang, heute wissen wir, was wir machen müssen, um das Ergebnis, das uns vorschwebt, zu erreichen. Sie wissen also von Anfang an, wie so ein Song klingen muss? S Ja. Jeder von uns hat ein Bild des Songs im Kopf, wenn wir ins Studio gehen. Während der Arbeit stellt sich dann heraus, dass jeder von uns ein anderes hat. Dafür wissen wir, dass der Track 300 Prozent so gut wird, weil die Ideen der anderen noch dazukommen. Es ist ein Konzentrat guter Ideen. Das neue Motto bei Fettes Brot: Wenn drei Superhits in einem stecken, ist es okay. DR Was ich als Entwicklung empfinde, ist, dass wir immer poppiger geworden sind. Wir schämen uns auch nicht der drei kleinen Pop-Schweine, die in uns wohnen. Früher haben wir oft noch eine andere Version gemacht. Heute freuen wir uns eher, dass wir es so poppig hinbekommen haben. Fettes Brot steht aber immer für Spaßrap mit den drei lustigen Jungs aus Hamburg. Da gehen doch die sozialkritischen Lieder ziemlich gerne mal unter. DR Speziell bei dieser Platte hatte ich einen anderen Eindruck. Ich weiß nicht, ob wir das bewusst eingefädelt haben, aber der Berichterstattung entnehme ich, dass wir ab sofort ernst sind. Was auf der einen Seite stimmt, es gibt sehr ernste Momente auf der Platte und Songthemen, die wir bisher noch nicht behandelt haben. Aber auf den anderen Platten sind auch immer mindestens drei Lieder, die ernst gemeint, unironisch und politisch waren. Stört Sie Ihr Image eigentlich? KB Ach nein, schon lange nicht mehr. Das ist eine so einseitige Sichtweise. Es ist auch so ein Phänomen, dass Spaß bereiten oder witzig sein sofort mit dumm oder bieder gleichgesetzt wird. Man kann auch sehr tiefsinnig sein, wenn man Witze macht. Wir haben in unseren Songs schon des Öfteren ernsthaftere Botschaften witzig verpackt, so dass manche das erst beim zweiten Zuhören erkannt haben. DR Man sollte in Deutschland den Humor nicht den Idioten überlassen.< Wer „Emanuela“ live hören will: Fettes Brot ist vom 13. bis zum 28. Oktober auf Deutschlandtournee und im Dezember in Österreich und der Schweiz unterwegs RUND 102 rund_098_103_Fettes_Brot 102 08.09.2005 18:34:32 Uhr SPIELKULTUR Interview Werbebande im Stadion: „Fettes Brot ist doof“ FETTES BROT WURDE VERGOLDET Vor elf Jahren veröffentlichte die Hamburger HipHop-Combo ihre erste Platte mit dem schönen Titel „Mitschnacker“. Mittlerweile gehört Fettes Brot zu den etablierten deutschen Bands. Sie füllen große Hallen und haben Fans aus allen Altersstufen. Doch die erste Goldene Schallplatte ließ lange auf sich warten. Erst im Mai war es endlich soweit, die Hitsingle „Emanuela“ verkaufte sich über 150.000-mal. Während eines Konzerts in Rostock bekamen Doktor Renz, Schiffmeister und König Boris die Glitzerscheiben überreicht und freuten sich so sehr darüber, dass sie um ein Haar von der Bühne gefallen wären. RUND 103 rund_098_103_Fettes_Brot 103 08.09.2005 18:34:36 Uhr IM ABSEITS Rasenschach DURCH DIE MITTE KONTERN Immer wieder wird im Fußball von RASENSCHACH gesprochen. Tatsächlich widmen sich etliche Profikicker regelmäßig dem königlichen Spiel. Ist es aber möglich, aus dem Stil eines Fußballers am Brett Rückschlüsse auf seine Spielweise auf dem Rasen zu ziehen? Unser Autor hat gegen drei Profis gespielt VON RENÉ GRALLA, FOTO PATRICE LANGE RUND 104 rund_104_105_Schach 104 08.09.2005 13:00:32 Uhr IM ABSEITS Erster Proband der improvisierten Feldstudie ist Felix Magath, der schon vor bald 30 Jahren damit begonnen hat, als Ausgleich zur täglichen Beinarbeit die Feinheiten des Schachs zu studieren. Phasenweise ließ er sich sogar vom Trainer des hanseatischen Bundesligaklubs HSK, Gisbert Jacoby, coachen. Folglich liegt Magath weit über dem Niveau des durchschnittlichen Amateurs. Das merkt der Autor, als er den Mann zu einem Testmatch trifft. Magath verteidigt mit Schwarz. In den ersten Spielminuten tasten sich beide Mannschaften ab, die gestaffelten Abwehrketten stehen in der Mitte. Ein guter Plan, was Schach angeht: Wegen der drangvollen Enge des Operationsgebietes – 64 Felder für 32 Figuren – kann derjenige, dem es gelingt, das Zentrum zu erobern, unmittelbar im Anschluss links oder rechts verwandeln. Eine Faustregel, die Magath erst beachtet und wenig später vergisst. Denn als ein weißer Läufer des Autors im 15. Zug einen Fehler macht, hätte Magath durch die Mitte kontern müssen. Stattdessen schaltet er um auf Flankenstrategie, tändelt am rechten sowie am linken Flügel und wieder retour, verheddert sich und kriegt ein Riesending reingeknallt. Im 56. Zug gibt er auf. „Ich habe aus dem Schach praktisch die Theorie für den Fußball abgeleitet“, hat Magath einmal gesagt. Sollte der Wahl-Münchner das ernst meinen, müsste er auch seine Bayern über die Seiten stürmen lassen. Da könnte der Stürmerstar Marco Bode, Jahrgang 1969, eher auf dem Stand der aktuellen Theorie sein, die DFB-Chefscout Urs Siegenthaler bündig formuliert: „Das Spiel über die Außenflügel können wir vergessen.“ Nach dem Vorbild der Brasilianer werde im „modernen Fußball durch die Mitte nach vorne gepasst“ – was ziemlich exakt der Profistrategie im Schach entspricht. Jetzt also der Bremer Bode, der selbst etablierte Großmeister bei Promiduellen in einige Schwierigkeiten bringt, während einer Fünf-Minuten-Blitzpartie gegen den Autor: Von der ersten Sekunde an drückt Bode mit Weiß auf das Tempo, die schwarze Abwehr im Zentrum wankt – bis er plötzlich fast am Boden liegt. Was ist geschehen? Unmotiviert will Bode die Schwarzen an der linken Flanke umdribbeln, rennt sich aber fest. Nun klafft ein Loch in der rückwärtigen Verteidigung. Die Schwarzen er- Rasenschach spähen die Lücke, Volley, rums – und sofortiger Knock-out, hätte der Autor nicht im Zeitnotstress verdaddelt und Bode nach Zugwiederholung ins Remis entkommen lassen. Was an der überraschenden Zwischenbilanz nichts ändert: Auch bei Marco Bode geht alles über die Flügel. Höhepunkt der Testreihe: eine Begegnung mit dem HSV-Japaner Naohiro Takahara, 26, unter verschärften Bedingungen. Wir messen uns im Shogi, der speziellen japanischen Schachversion. Und die ist besonders trickreich: Bei den einfarbigen Steinen markiert eine Spitze die Zugrichtung und definiert zugleich, ob es eine weiße oder eine schwarze Einheit ist. Außerdem dürfen Steine, die der Gegner verloren hat, auf der eigenen Seite wieder eingesetzt werden. Anpfiff, Takahara legt los, rackert, wie wir es von ihm gewohnt sind, wechselt im Minutentakt die Seiten – freilich auch mit dem gewohnt mageren Ergebnis: Sein Team muss Schritt für Schritt zurückweichen, kassiert einen Treffer, bis Takahara die Notbremse zieht: Er murmelt, dass sein Trainer wartet, steht auf vom Tisch und verschwindet. Fazit: Fußballer spielen auf dem Schachbrett meist wacker über Links- oder Rechtsaußen – koste es, was es wolle. 33.a5 Kf8 34.a6 Tc8 35.Tb7 Sxc6 – Alternative: 35 … Ta8 36.Td7 Sxc6 37.dxc6 Txa6 38.c7 … (Freibauer Nr. 1 ist eliminiert, aber nun geht der c-Kollege vor) 38 … Ke8 39.Td8+ und c8=D (Umtausch des Bauern in eine Dame) – 36.dxc6 Txc6 37.a7 Ta6 38.Tb8+ Ke7 39.a8=D … – Die Pille im Netz von Magath: Weiß holt sich für den Bauern eine Dame. – 39 … Txa8 – Magath muss für diese Dame einen Turm opfern, sonst wäre es noch schneller aus. – 40.Txa8 … Weiß hat jetzt eine schwere Einheit mehr; Magath kann den Rückstand nicht mehr aufholen und kapituliert 16 Züge später: 56 … Aufgabe 1:0 8 7 6 5 4 3 2 1 a b c d e f g h 11. Spielzug: Magath besetzt den Flügel 8 7 6 AN DER FLANKE ALLES VERDADDELT 5 Weiß: R. Gralla, Schwarz: F. Magath 4 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 – Die so genannte „Spanische Partie“ mit 3 … a6, der „Morphy-Verteidigung“. – 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 0-0(?) – Eine Ungenauigkeit, die nach 7.Lxc6 bxc6 8.Sxe5 … einen Bauern kosten könnte. – 7.c3 … – Geschmacksfrage: Weiß verzichtet auf frühen Materialgewinn. – 7 … b5 8.Lb3 d6 9.d4 … – Besser: 9.h3 … – 9 … Lg4 10.d5 Sa5 11.Sbd2 Sh5 – Ein erster Flankenausfall nach Linksaußen von Magath: Sieht stark aus, tut aber nichts zur Sache. 12.h3 Lxf3 13.Sxf3 Sf6 – Und retour: Die Exkursion nach h5 hat nichts eingebracht. 14.Lc2 c6 15.Lg5? … – Weiß revanchiert sich – und möchte auch mal an einem Flügel herumstochern. – 15 … Tc8? – Auf das falsche Flügelspiel 15.Lg5? … reagiert Magath mit Verlegung wichtiger Kräfte nach rechts; stattdessen hätte er sofort im Zentrum losschlagen müssen – 15 … Sxd5! – , und Weiß hätte nur mit Mühe den Materialverlust kurzfristig verhindern können (16.exd5 Lxg5 17.Sxg5 Dxg5 18.dxc6 Tfd8 19.Le4 …). Auf Dauer wäre der in die Irre gelaufene weiße c-Bauer aber nicht zu retten gewesen. 16.Lxf6 Lxf6 17.Ld3 cxd5 18.exd5 Lg5 – Noch eine Showeinlage auf der linken schwarzen Flanke: So verdirbt Magath allmählich seine Position. – 19.Sxg5 Dxg5 20.a4 … – Flankenspiel, das ausnahmsweise richtig ist: Weiß rollt Magaths rechten Flügel auf. – 20 … Sc4 21.b3 Sb6 22.axb5 axb5 23.Lxb5 Txc3 24.Ta6 Tb8 25.Da1 Tcc8 26.Lc6 Dd2 27.Da5 Dxa5 28.Txa5 Td8 29.Tea1 Sc8 30.Tb1 Tb4 31.Ta4 Txa4 32.bxa4 … – Ein gefährlicher Freibauer, der unaufhaltsam Richtung a8 marschiert, wo er in eine Dame umgetauscht werden kann. – 32 … Sa7 3 2 1 a b c d e f g h 15. Spielzug: Er verlagert seine Kräfte ... 8 7 6 5 4 3 2 1 a b c d e f g h 18. Spielzug: ... und verdirbt seine Position RUND 105 rund_104_105_Schach 105 08.09.2005 13:00:49 Uhr SPIELKULTUR Dresscode 200 Gramm Mode Bei den großen Sportartikelfirmen wird jedes Jahr an neuen TRIKOTS für die Bundesliga gearbeitet. Kein Wunder, schließlich tragen mittlerweile auch Szene-Coolnicks das Textil, in dem sich früher nur Hardcorefans freiwillig zeigten VON CHRISTOPH RUF, FOTOS OLAF TIETJEN Die Alltagskleidung des geneigten Fans: Zwischen 50 und 75 Euro kostet ein Fantrikot. Kein Wunder, dass sich die Designerteams alle Mühe geben, den Geschmack zu treffen Der Besucherausweis wird angeheftet, lautlos öffnet sich die gläserne Schwingtür, die zu all den Büros führt, in denen beim Sportartikelhersteller Adidas Trikots ausgetüftelt werden. Doch leider bleiben auch mit Passierschein die meisten Türen verschlossen. Denn dahinter wird an neuen Trikotdesigns gearbeitet, und in dieser Phase ist das Bedürfnis nach Geheimhaltung besonders groß: „Es gibt Räume, die selbst Mitarbeiter unseres Teams nicht betreten dürfen“, erklärt der Adidas-Seniordesigner Jürgen Rank die Gepflogenheiten in der Wagenburg zu Herzogenaurach. Seit Beginn der 80er Jahre ist der Verkauf von Fantrikots zu einem Riesenmarkt geworden, mit dem die Vereine einen guten Teil ihres Umsatzes bestreiten. In Deutschland ist Bayern München dabei das Maß aller Dinge: In der abgelaufenen Saison wurden über 400.000 Trikots verkauft – mehr als bei allen anderen Erstligisten zusammen. In Stuttgart und Köln schlugen Kuranyi- und Podolski-Fans jeweils zwischen 10 und 20.000-mal zu. Doch das ist noch gar nichts im Vergleich zu Europameister Real Madrid. Schon vor drei Jahren verkaufte sich das Trikot von Ronaldo eine halbe Million Mal – zum Stückpreis von 72 Euro. Derzeit machen die Spanier pro Jahr weltweit 100 Millionen Euro Umsatz mit den lukrativen Textilien ihres Teams. Der Imagewandel des Fußballs vom Proletariersport zum Mittelschichtevent hat auch den Trikotverkauf angekurbelt: Fotos aus den Fankurven der 70er und 80er zei- RUND 106 rund_106_107_Trikot_Entwicklung 106 08.09.2005 18:35:56 Uhr SPIELKULTUR gen allenfalls alle paar Meter einen Fan mit Trikot – und der sieht meist so aus, als habe er es auch in den zwei Wochen zwischen den Heimspielen getragen. Heute spazieren auch hippe Großstadtmenschen mit teuer erstandenen Leibchen durch die Szenekneipen. Dass die beliebten Nationaltrikots von Brasilien oder Jamaika allerdings oft eher Auskunft über das Lebensgefühl beziehungsweise die Drogengewohnheiten des Trägers geben als über dessen Fußballpräferenzen, stört dabei allenfalls traditionelle Fußballfans. Die berichten dann, wie sie sich in einer gegnerischen Fußgängerzone wegen des stolz getragenen Utensils verprügeln haben lassen. Dem Brasilienfan aus dem Szeneviertel ist solche Opferbereitschaft fremd, er kennt im Zweifelsfall nicht einen brasilianischen Nationalspieler. Trikots sind immer mehr vom Identifikationsobjekt zur Modeware geworden. FRAUEN FRAGEN, WANN DENN WIEDER DIE ITALIENISCHE NATIONALELF SPIELT Das bestätigt auch Tobias Blick, Marketingleiter bei Kappa Deutschland: „Es hat einen Transfer vom Fußball in die Mode und umgekehrt gegeben.“ Die hauteng geschnittenen Trikots, mit denen neben der italienischen Nationalmannschaft auch Kaiserslautern und Werder Bremen spielen, seien eine Adaption aus dem Radsport und hätten neben funktionalen auch andere Vorteile: „Viele Frauen fragen doch, wann denn nun Italien spielt.“ Auch bei Puma („Slim fit“) sind die Trikots in den letzten Jahren immer figurbetonter geworden. Dass das bei übergewichtigen Fans zu Akzeptanzproblemen führen könnte, be- Dresscode streitet die Puma-Sprecherin aber energisch: „Aber nein. Es gibt ja verschiedene Größen.“ Doch trotz des Eindringens in DJ- und Vernissagenkreise – das Kerngeschäft wird immer noch mit klassischen Fußballfans gemacht. Es ist deshalb eine ökonomische Notwendigkeit, dass der Fangeschmack getroffen wird. In der Trikotproduktion bei Adidas gehen die Designer dabei von verschiedenen Urmodellen aus, von denen aus die einzelnen Abwandlungen angefertigt werden. Doch manchmal – wie beim aktuellen Bayerntrikot – wird auch ein komplettes Original gestaltet. Um zu wissen, was den Zuschauern gefällt, wälzt beispielsweise Jürgen Rank Dutzende Bücher und Vereinschroniken; wohl wissend, dass Fans Trikots mögen, die sie an die erfolgreichen Zeiten ihres Teams erinnern. Und ein Blick in die Fanforen bestärkt ihn in der Ansicht, dass Fans am liebsten ein Jersey kaufen, das sich an den Vereinsfarben ihres Lieblingsklubs orientiert. Bei Kappa sieht man das anders. (siehe Kasten) Jedes Jahr, darin verfahren alle acht in der ersten Liga vertretenen Ausrüster gleich, kommt ein neues Trikot heraus, Auswärtsund Heimjersey werden im Wechsel also alle zwei Jahre neu designt. Dieser Rhythmus beruhe auf Erfahrungswerten. So muss der geneigte Anhänger jedes Jahr einmal zum neuen Textil greifen. Eine höhere Frequenz würde die Fans dann doch überfordern, Trikotdesigner: Jürgen Rank (li.) inmitten seiner Kollegen vom Designteam weiß man in der Branche. Den relativ hohen Verkaufspreis für Fantrikots – rund 200 Gramm Textil kosten zwischen 50 und 75 Euro – rechtfertigt man mit dem Ölpreis und dem hohen Entwicklungsaufwand. Bis ein Trikot vom Verein akzeptiert wird und in Serie gehen kann, sind allerlei vielköpfige Teams mit weltmännisch klingenden Namen wie Marketing, Design oder Development oft monatelang beschäftigt: „Es kommt vor, dass 20 bis 50 Entwürfe eines Jerseys und diverse Musterproduktionen angefertigt werden, bis das Endprodukt steht“, sagt Jürgen Rank von Adidas. JEDES JAHR EIN NEUES TRIKOT: MEHR SCHAFFT AUCH DER GUTMÜTIGSTE FAN NICHT Glaubt man den Designern, geht es bei dem Aufwand jedoch nicht primär um die Akzeptanz bei den Fans: „Am wichtigsten ist die Performance auf dem Platz. Vielleicht bringen ja gerade die paar Gramm, die der Stoff leichter ist, den entscheidenden Vorteil beim Sprint in der Schlussminute“, hofft Rank. Um Fußball geht es bei den Fußballtrikots also auch noch. FAN-PROTESTE GEGEN GRÜN-ORANGE 32 Fanklubs bei Werder Bremen protestieren seit Wochen gegen das knallig grün-orangefarbene Vereinstrikot. Dass Marketingstrategen von den tradierten Vereinsfarben abrücken, ist für sie der Beweis, dass die Kommerzialisierung des Sports keine Grenzen kennt. Doch die Gegenwehr ist nicht ohne Risiko. Das Fanmagazin „Stadionwelt“ weiß von juristischen Schritten von Seiten des Vereins gegen die Produzenten eines Alternativtrikots, das auf die irritierende Farbe verzichtet. Die Kampagne gegen „Papagei zwei“, wie das Textil bei Kappa heißt, bereitet Marketingleiter Blick hingegen keinen Kummer: „Das ist eine Minderheit, das Trikot läuft sehr gut.“ Und überhaupt: „Wer polarisiert, erregt Aufmerksamkeit. Das ist der erste Schritt, um vom Graue-Maus-Image wegzukommen.“ Auch Puma-PR-Managerin Jelena Torbica meint, dass die Fans bereit sind, kalkulierte Tabubrüche hinzunehmen. So habe man für den HSV in dieser Saison ein weinrotes Europapokaljersey kreiert, „und gerade das kommt besonders gut an“. Nicht jedoch in der Ultraszene: Hier verweigert man sich vorgefertigten Fanartikeln, die man für zu teuer und zu wenig individuell hält. Stattdessen entwerfen die Ultras der meisten Vereine eigene Kleidung. RUND 107 rund_106_107_Trikot_Entwicklung 107 08.09.2005 18:35:59 Uhr SPIELKULTUR Essen wie die Stars SENFEIER WIE BEI TIFFERTS CONNY WÜSTEFELD, die Mutter des Stuttgarter VfB-Profis Christian Tiffert, über das Lieblingsgericht ihres Sohnes, den „König der Aufläufe“ INTERVIEW MARTIN KRAUSS, FOTOS BENNE OCHS UND PRIVAT/STYLING KUBALL & KEMPE RUND 108 rund_108_109_Essen 108 07.09.2005 22:54:36 Uhr SPIELKULTUR Wenn Ihr Sohn nicht Fußballer wäre, wäre er gern Chefkoch geworden, hat er einmal gesagt. Daran sind doch Sie schuld, oder? CONNY WÜSTEFELD Ich war einige Jahre allein erziehend und voll berufstätig. Da hat dann Christian oft für sich und seinen Bruder gekocht. Was gab es dann? Spaghetti, in allen Varianten. Die sind ja auch am einfachsten. Zum Beispiel gab es oft Bratnudeln mit Ei und viiiel Maggi. Essen wie die Stars Was isst er denn am liebsten? Eier in Senfsoße. Die isst er bis heute gerne. Danach kommt, glaub ich, Bratnudeln mit Ei und viiiel Maggi. Und was mag er gar nicht? Ganz allgemein: Suppen sind nicht so sein Fall. Auch Fisch mag er nicht so gerne, aber Christian hat in der letzten Zeit festgestellt, dass man Fisch sehr gut grillen kann. Wenn er bei Ihnen zu Hause ist, gibt es dann immer Eier in Senfsoße? Er ist ja viel zu selten da. Aber wenn er nach Hause kommt und sich Eier in Senfsoße wünscht, dann bekommt er die selbstverständlich. Letztes Weihnachten war ich mit seinem Bruder Marcus bei Christian, und da habe ich jedem das gekocht, worauf er Appetit hatte. Wenn Sie in Stuttgart sind, müssen Sie dann immer kochen? Gerne lasse ich mich auch von meinem Sohn bekochen. Christian ist nämlich der selbsternannte König der Aufläufe, und die schmecken einfach wunderbar. Bekocht er auch seine Kollegen vom VfB? Ja, ich glaube schon. Er kocht gerne mal für Freunde, wenn die Zeit es erlaubt. Aber auch für sich allein? Oh ja. Es geht bei ihm vor allem nach Appetit. Und wenn er Appetit auf Senfsoße und Ei hat, dann klingelt das Telefon und Christian fragt an: Wie machst du noch mal die Senfsoße, Mom? Ich hab schon ein paarmal überlegt, ihm das Rezept aufzuschreiben, es aber immer wieder vergessen. Vergessen? Nein, ich geb‘s zu: nur ein bisschen. Denn es ist schön, wenn er anruft und fragt. In dem Moment sind wir uns ganz nah, weil wir gemeinsam kochen: Eier in Senfsoße. RUND 109 rund_108_109_Essen 109 07.09.2005 22:54:40 Uhr SPIELKULTUR Geschichtsstunde Hitlergruß im Wembleystadion: Die deutsche Nationalelf 1935 bei einem Länderspiel in London. England siegte 3:0 „DER GRÖSSTE SÜNDENFALL“ Jahrzehnte hat der DFB gezögert, seine Geschichte während der NS-Zeit aufarbeiten zu lassen. Nun hat der Historiker NILS HAVEMANN sie aufgeschrieben INTERVIEW MALTE OBERSCHELP, FOTO DANIEL CRAMER, PIXUNITED Herr Havemann, zu welchen Ergebnissen sind Sie in Ihrem Buch gekommen? NILS HAVEMANN: Was ich herausgefunden habe, entspricht exakt dem, was sich auch über andere Organisationen sagen lässt: Es gab vor der „Machtergreifung“ eine gewisse Skepsis gegenüber dem Nationalsozialismus, die dann nach 1933 sehr schnell in große Begeisterung umschlug. Aus dem einfachen Grund, weil der DFB als Sieger aus der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ hervorging. Warum? Der DFB befand sich vor 1933 in einer sehr großen Krise. Er geriet in den Strudel der Weltwirtschaftskrise, dazu gab es den Kampf um die Einführung des Profitums. Für den DFB war dieser Kampf existenzbedrohend, weil das Profitum nach seiner Auffassung zu einer erheblichen Schwächung seiner Stellung geführt hätte. Dann hat sich nach wenigen Monaten herausgestellt, dass die Nationalsozialisten gegen den Profisport sein würden, worauf der DFB sich begeistert auf ihre Seite stellte. Es gab beim DFB also, um eine berühmte Formulierung zu benutzen, vorauseilenden Gehorsam? Er hat sich sehr schnell angepasst und hat nicht im Geringsten versucht, Widerstand zu leisten. Absolute Priorität hatte, die eigene Organisation über den 30. Januar 1933 hinaus zu retten. Das ging einher mit Anbiederung und Gesten der Unterwerfung an die neuen Machthaber. Und mit dem „Führerprinzip“. Man hat die neue Zeit nach 1933 als Erleichterung aufgenommen. DFB-Präsident Felix Linnemann hat sehr schnell auf das „Führerprinzip“ umgestellt, was die Ver- bandsoberen aber nicht als Belastung empfanden, sondern als Riesenvorteil. Man war es leid, immer wieder auf die Landesverbände und zigtausend Vereinsinteressen Rücksicht zu nehmen. Nach dem Krieg trat auch beim DFB die berühmte Formel in Kraft, man habe nur Schlimmeres verhindern wollen. Das ist natürlich Unsinn. Es ging einzig und allein um den Machterhalt. Alles andere war sekundär. Um moralische Fragen hat sich der DFB bei seinem Urteil über die Nationalsozialisten nicht gekümmert. Der DFB bezog im April 1933 gegen jüdische Mitglieder „in führenden Stellungen in Landesverbänden oder Vereinen“ Stellung, obwohl es vom Reichssportführer gar keine Anweisung zum Ausschluss jüdischer Mitglieder gab. Warum? Diese Anordnung des DFB resultierte aus dem Streit um den Profifußball. Er hat darauf bestanden, jüdische Mitglieder aus führenden Stellungen zu entfernen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Sportverbänden, die gleich alle jüdischen Mitglieder ausgeschlossen haben. Warum gerade die Funktionäre? Der DFB betrachtete damals den Einfluss jüdischer Funktionäre auf den Verband als nachteilig. In vielen Vereinen, die den Profifußball befürworteten, waren jüdische Funktionäre an der Spitze. Das riecht deutlich nach NS-Gedankengut: das jüdische Weltkapital, heruntergebrochen auf den deutschen Fußball. Vollkommen richtig. Dies war aber kein spezifisch nationalsozialistisches Gedankengut. Dieses hässliche Klischee vom Juden als „geldversessenem Kapitalisten“ war während der Weimarer Zeit – und ist leider Gottes heute immer noch – auch bei der politischen Linken und bei erklärten Gegnern des Nationalsozialismus weit verbreitet. Insofern wäre es falsch zu behaupten, dass der DFB Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie mit ihrem Rassendogma gewesen sei. Aber zweifellos war der Ausschluss der jüdischen Funktionäre der größte Sündenfall des DFB. Da hat er sich extrem schuldig gemacht. RUND 110 rund_110_111_Nazivergangenheit 110 13.09.2005 15:58:42 Uhr Würden Sie sagen, dass das Verhalten des DFB repräsentativ war für das Verhalten der Deutschen? Ja, mit Sicherheit. Insgesamt wurde die „Machtergreifung“ damals als eine Form von Erlösung wahrgenommen, ein stillschweigendes bis begeistertes Einverständnis mit diesem Umbruch. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Sind so die vielen NSDAP-Eintritte von DFB-Funktionären 1933 und dann wieder 1937 nach dem Aufnahmestopp zu erklären? Ihr Kollege beschrieb außerdem eine Mitverantwortung Linnemanns an der Deportation von Sinti und Roma in die Vernichtungslager. Linnemann war als leitender Kriminalbeamter in Hannover zuständig für die Erfassung der Sinti und Roma, welche die Vorstufe zu ihrer Deportation nach Auschwitz bedeutete. Diese Erfassung fand 1939 auf Befehl von Heinrich Himmler statt, und Linnemann hat peinlichst genau diesen Befehl ausgeführt. Allerdings konnte er zu die- „Es ist erschreckend, wie sehr Beteiligung und Mitschuld von den Karrieremöglichkeiten abhing.“ NILS HAVEMANN Natürlich. Am Anfang war viel Opportunismus dabei, man wollte die Karriere absichern. Aber später war viel Begeisterung dabei. Bei den Sportfunktionären nahm die allerdings 1935/36 etwas ab – je nachdem, ob man noch etwas zu sagen hatte oder nicht. Denn nach den Olympischen Spielen hat der Reichssportführer die alten Funktionäre allmählich aus dem Verband gedrängt oder ihrer Kompetenzen entkleidet. Und plötzlich gingen die Funktionäre wieder auf Distanz? Jedenfalls setzten sich Leute wie Pressewart Guido von Mengden, die nach 1936 noch Karriere machen konnten, bis zum Schluss begeistert für das Regime ein, während bei anderen die Begeisterung abnahm. Es ist erschreckend, wie sehr Beteiligung und Mitschuld von Karrieremöglichkeiten abhing. Daraus habe ich geschlossen, dass die Begeisterung für das Regime nicht in erster Linie ideologisch war. Die meisten beim DFB waren kühle Karrieristen. Ihr Kollege Hubert Dwertmann zeichnete in einem Aufsatz der Zeitschrift „SportZeiten“ beim Präsidenten Linnemann ein anderes Bild. Er konstatierte eine „innere Radikalisierung“, die 1940 in den SS-Beitritt mündete. Ich kann nicht feststellen, dass bei Linnemann eine innere Radikalisierung stattgefunden hat. Das geben die Quellen nicht her. Der SS-Beitritt war ein halb erzwungener, halb freiwilliger. sem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass er damit einen Beitrag zu ihrer späteren Ermordung leistete. Ab 1941 lässt sich seltsamerweise feststellen, dass er die Verantwortung für die Behandlung der Roma und Sinti auf andere Beamte umzuwälzen versuchte. Welche Motivation sich dahinter verbarg, lässt sich nicht mehr feststellen. So oder so war er stärker belastet, als bisher bekannt. Fest steht, dass er sich mitschuldig gemacht hat. Vor allem hat er bis zum bitteren Ende seinen Job beflissen ausgeführt, obwohl er spätestens ab 1943 mit Sicherheit mehr als andere über die Verbrechen in den Konzentrationslagern gewusst hat. Sie zeichnen ein sehr ausgewogenes Bild der DFB-Geschichte. Wie reagieren Sie auf den Vorwurf, zu konservativ vorgegangen zu sein? Ich bin weder konservativ noch liberal, weder „links“ noch „rechts“, sondern lasse mich allein von meinem gesunden Menschenverstand leiten, der mal zu „linken“, mal zu „rechten“ Positionen führen kann. Und die historischen Quellen sind so wie sie sind. Ich habe sie nach allen Seiten hin ausgeleuchtet und bin zu diesem Resultat gekommen. Und das ist wahrlich nicht sehr schmeichelhaft für den DFB. Deshalb halte ich die Diskussion, ob das nun ein konservativer oder ein linker Historiker aufarbeitet, für lächerlich. Nils Havemann: Fußball unterm Hakenkreuz – Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz. Campus Verlag, 473 Seiten, ¤ 19,90 Ausgewogenes Urteil: Der Mainzer Historiker Nils Havemann untersuchte im Auftrag des DFB dessen NS-Geschichte RUND 111 rund_110_111_Nazivergangenheit 111 13.09.2005 15:58:44 Uhr SPIELKULTUR Buch IM RUND-BÜCHERREGAL UND IM DVD-RECORDER: Auf diesen Plätzen haben alle angefangen. Ein FOTOBILDBAND nimmt uns mit auf die Reise zu Deutschlands schönsten Fußballplätzen. Dazu gibt es Lesestoff für Nordlichter, massig WM-Tore und einen SPIELFILM aus der Hooligan-Szene FOTOS RAINER SÜLFLOW, BENNE OCHS AUS WIESEN WERDEN PLÄTZE, AUS MAUERN TORE Das allerschönste Tor Deutschlands steht in Vehlefanz, wo immer das auch ist. Das schönste Tor Deutschlands ist eigentlich gar kein Tor. Es ist die Illusion eines Tores, mit weißer Farbe auf die rot-braunen Ziegel einer Brandwand gemalt. Früher einmal, die Farbreste lassen es erahnen, war es größer und blau. Jetzt ist es weiß. Links oben, am Lattendreieck suchen sich Farbschlieren den Weg Richtung Wiese, die vielleicht auch ein Acker ist. So genau weiß das keiner. Gelber Löwenzahn blüht, dazwischen weinrote Hügel aus Moos. Angenehm blass der Himmel hinter der Mauer, hinter zwei Dachschrägen, hinter dem Tor. Es gibt noch andere schöne Tore, noch andere schöne Plätze, die der Fotograf Rainer Sülflow auf Mittelformat eingefangen hat. Aber keines reduziert das Tor, den Platz, den gesamten Fußball so sehr auf das Wesentliche wie dieses Bild von Vehlefanz, zu finden auf Seite 31 eines Fotobandes, dessen Titel wie die Bilder durch Schlichtheit besticht: „Fußballplätze in Deutschland.“ Eine Wiese, eine Mauer, etwas Farbe, und aus Wiesen werden Plätze, aus Mauern Tore. Mehr braucht es nicht. Keinen Ball, keine Spieler, nichts. Anders als der holländische Fotograf Hans van der Meer, der nicht weniger brillant Spielorte in der niederländischen Provinz eingefangen hat, verzichtet Rainer Sülflow auf die Abbildung von Spielhandlungen oder Zuschauern. Was zählt, ist lediglich der Blick auf Plätze, eingebet- RUND 112 rund_112_113_Buecher 112 08.09.2005 18:40:23 Uhr SPIELKULTUR tet in Landschaften, deren Bilder ansonsten durch Brachen, Strände oder Zwiebeltürme bestimmt werden. Deutschland abseits der Städte eben. Fußball abseits der großen neuen Stadien, deren Ansicht durch die immer gleichen Perspektiven der Fernsehkameras bestimmt wird. Die Konsequenz für den Zuschauer: Unterscheidung fällt schwer. Sülflows Bilder machen dem Betrachter die Einordnung leicht. Der Fußballplatz ist ostdeutsche Ödnis, alpenländisches Idyll oder westdeutsche Industrielandschaft – und umgekehrt. Ach so, Vehlefanz übrigens liegt zwischen und Schwante und Bärenklau, wo immer das auch ist. SVEN RECKER Rainer Sülflow Fußballplätze in Deutschland M&S Communication 136 Seiten € 29,90 ZUM GLÜCK NUR EIN GRUSSWORT Offizielle Verbandsfestschriften übertreffen sich gerne einmal in der Anzahl nichts sagender Grußworte. Der schwergewichtige Band „Fußball im Norden“ beschränkt sich erfreulicherweise auf eines. „Das Jubiläum des Norddeutschen Fußball-Verbandes ist ein trefflicher Zeitpunkt, dessen hundertjährige Geschichte darzustellen“, heißt es dort, was das Autorentrio Bernd Jankowski, Harald Pistorius und Jens R. Prüss auf den folgenden 400 Seiten dann auch tut. Von den Vorläufern des 1905 gegründeten NOFV, Erwin und Uwe Seeler, den Jahren der NS-Zeit, der Oberliga und der Bundesliga berichten sie, vom Nordmeister Borussia Harburg 1917 bis zum Europapokalsieg des HSV 1983. Dabei tun die Autoren weitgehend so, als würden sie keine Festschrift schreiben müssen, sondern ein- DVD fach nur ein Geschichtsbuch. Zwar ist die Aufteilung des Buches gewöhnungsbedürftig, da nicht immer chronologisch, aber das macht spätestens der 120 Seiten starke Statistikteil wett: Wer Tabellen und endlose Datenmengen liebt, kommt dort vollends zu seinem Recht. MALTE OBERSCHELP DER IMMERGLEICHE BEAT DES DJ ÖTZI Bernd Jankowski Harald Pistorius Jens R. Prüss Fußball im Norden 100 Jahre Norddeutscher Fußball-Verband herausgegeben im Auftrag des Norddeutschen Fußball-Verbandes 404 Seiten € 19,90 UNDERCOVER-AGENT IN DER ALTHAUER-HOCHBURG Es macht Spaß, ein Hooligan zu sein. Mit guten Freunden zusammen in der Kneipe Alkohol verzehren, die Leidenschaft für Shadwell Town teilen und hin und wieder Anhängern der gegnerischen Mannschaft aufs Maul hauen: Das kann das Leben ziemlich versüßen. Das zumindest stellt der junge Polizist John (Reece Dinsdale) fest, der sich als Undercover-Agent in der AlthauerHochburg „The Rock“, der finstersten Kneipe der finstersten Gestalten, einschleicht, im Lauf der Zeit Gefallen am Lebensstil der neuen Kumpels findet und immer offener gewalttätig in Szene tritt. Ein bisschen gefestigt sollte der Betrachter von „Undercover“ schon sein, um nicht derselben Faszination zu verfallen. Denn der Film aus dem Jahr 1994 macht es einem nicht leicht, die gewaltbereiten Gesellen unsympathisch zu finden. Ein nicht immer präziser, aber spannender und kontroverser Film, der zu Recht auf Deutsch wieder veröffentlicht wurde. EBERHARD SPOHD „Undercover“ Regie Philip Davis www.absolutmedien.de Die tollsten Tore aus allen 17 Weltmeisterschaften – eigentlich ein unschlagbares Konzept. Die Doppel-DVD „Fifa Fever“ will dieses Vergnügen bieten, und dazu mehr: die schönsten Solos, die prächtigsten Distanzschüsse, die legendärsten Spieler. Man kann diesem Best of des Fußballs auch nicht vorwerfen, die Versprechungen nicht einzulösen. Eine, pardon, runde Sache sind die DVDs dennoch nicht. Anstelle einer gepflegt editierten Greatest Hits-Kompilation gleicht „Fifa Fever“ eher einem Remix-Album, bei dem DJ Ötzi die Klassiker mit dem immergleichen Beat unterlegt hat. Das liegt vor allem am Tempo, in dem Tore und große Spiele vorbeirauschen. Bei den größten Patzern der Turniere funktioniert diese Videoclip-Ästhetik. Bei den wahrhaft berauschenden WM-Momenten nicht. Von der Entstehung der Tore sieht man zu wenig, die Berichte über die besten Teams sind zu kurz. Und wenn hier ein OTon von Andreas Brehme und dort ein Gespräch mit Ali Bennaceur, dem Schiedsrichter der Hand Gottes, eingestreut ist, macht das den Mangel einer redaktionellen Bearbeitung nur umso deutlicher. Erholung verschafft kurioserweise das Zusatzmaterial: Aufnahmen von der ersten WM 1930 in Uruguay, verpackt als Stummfilm mit Zwischentiteln und Musik. Manchmal sind es die Bonus-Tracks einer Platte, die im Ohr bleiben. MALTE OBERSCHELP Fifa Fever Die ganz großen Momente, Menschen und Emotionen aller Fifa-Weltmeisterschaften (www.e-m-s.de) RUND 113 rund_112_113_Buecher 113 08.09.2005 18:40:28 Uhr SPIELKULTUR RUND-Ausgabe 09/05 Allgemein, RUND 9/05 Informa-tief Freitagnachmittag, eine anstrengende Woche ist zu Ende. Das frisch abonnierte Fußballmagazin in den Händen, schmeiße ich meinen schmerzenden Körper aufs Sofa und versinke … Ein paar Stunden später, das Magazin ist durchgelesen und die Schmerzen sind verschwunden. Selten so kurzweilige und informa-tiefe Artikel über Fußball gelesen. Vielen Dank dafür und weiter Euch und mir viel Spaß mit RUND! Leserbriefe mal tue ich mich ein bisschen schwer mit dem hier offen zur Schau getragenen Narzissmus der Stadtbewohner. Andreas Kaiser scheint einer von eben jenen Jecken zu sein, für die die Welt hinter den Grenzen Colonias endet. Umso erstaunter bin ich, seine dämliche FC-Regel im von Euch ansonsten erfrischend niveauvoll gehaltenen Magazin RUND zu lesen. Viele sind sie, die Fans des 1.FC Köln. Aber auch erst seit wenigen Jahren. Ich erinnere mich noch gut an Heimspiele Ende der 80er Jahre, selbst wenn ich mit meinem Verein VfB Stuttgart zu Gast war, in denen der FC seine Anhänger noch mit Handschlag begrüßen konnte. Laut sind sie auch, bei einer beruhigenden Führung im Rücken. Das Publikum in Köln ist mittlerweile zu einer Ansammlung von Erfolgsfans der allerschlimmsten Sorte verkommen. Und sobald die Aufstiegseuphorie verflogen sein wird, stehen sie wieder am geliebten Marathontor und trällern: „Wenn Ihr absteigt, schlagen wir Euch tot!“ Andreas Schallenmüller, Köln, per E-Mail Peter Wagner, Köln Gute Breite Mit einem Schmunzeln, einem Lachen und echter Begeisterung habe ich eben das neue Magazin durchstöbert. Der erste Eindruck ist sehr ansprechend. Die schlichten Bilder, das gute Papier und vor allen Dingen der Schreibstil. Aber auch die Breite der Berichterstattung hat mir gut gefallen. Kein Tratsch, sondern seriös recherchierte Themen mit der passenden Prise Sarkasmus und Humor. Hier und da dürfte es durchaus noch mutiger sein. So bekommt mein Fußballherz jedenfalls einmal im Monat eine ordentliche Portion Stoff. Mittlerweile lebe ich schon seit geraumer Zeit in der von den Kölnern selbst so bezeichneten „schönsten Stadt“. Und glücklich dazu, das muss ich betonen. Nur manch- Ihr Magazin ist durchweg lesenswert, überzeugt durch informative Artikel. Auffällig ist jedoch die hohe Anzahl an Rechtschreibund Grammatikfehlern! Ist das Absicht, oder Ergebnis mangelhaften Korrekturlesens? Eventuell auf Grund von Zeitdruck? Darauf lassen nämlich auch die inhaltlichen Patzer in einigen Artikeln schließen, u. a. im Artikel aus Heft 9/05 über Bayern München und Felix Magath. So ist eigentlich bekannt, dass der „Rathausbalkon“ dieses Jahr gesperrt war und dass Katsche Schwarzenbeck nicht in der 89., sondern 119. Minute des Hinspiels im Europacupfinale 1974 den 1:1Ausgleich geschossen hat. Ebenso ist deutlich zu sehen, dass bei Gewinn des zweiten Europapokals 1975 ein Foto von 1976, also nach dem dritten Erfolg abgebildet ist. Das Uhrwerk läuft präzise, RUND 9/05 Vorbild Schweiz Ich habe mich sehr über den Artikel über den Schweizer Nachwuchs gefreut. Seit einigen Monaten bekommt die tolle Nachwuchsarbeit in der Öffentlichkeit die lang verdiente Aufmerksamkeit. Paul Bollendorff, Luxemburg, per E-Mail Ich trinke lieber einen Roten, RUND 9/05 Guter Jahrgang Euer Magazin ist ja gar nicht mal so schlecht, aber wenn nicht in jeder weiteren Ausgabe mindestens zehn Seiten über Frauenfußball drin sind, werde ich es nicht mehr kaufen. Klasse Bericht über Valérien Ismaël, der zeigt, dass Ismaël eine tolle Mentalität besitzt. Ähnlich wie ein guter Wein ist er beim SV Werder zu einem guten Spieler gereift, den sich Uli Hoeneß nun für den FC Bayern kredenzt hat. Ismaël stammt aus einem guten Jahrgang, der ihn noch für die Equipe tricolore interessant machen könnte. Kerstin Neuwirth, per E-Mail Björn Hoeftmann, Lingen/Ems, per E-Mail Frauenfußball, RUND 9/05 Kölsche Jecken Bayern und Fehler Sebastian Beckert, per E-Mail Hanno Brühl, per E-Mail Was wäre wenn, RUND 9/05 Magath weiß viel und sagt wenig, RUND 9/05 Zehn Seiten! Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe nicht oder nur gekürzt zu veröffentlichen. Zuschriften bitte mit Stichwort „Leserbrief“ an info@rund-magazin.de oder Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg, Fax: 040-8080 686-99 RUND 114 rund_114_115_Vorschau Abs1:114 07.09.2005 23:00:37 Uhr RUND Impressum IMPRESSUM RUND #3 10 2005 VERLAG: Olympia-Verlag GmbH, Badstr. 4-6, D-90402 Nürnberg, Tel. 0911/216-0, Fax 0911/216 27 39 REDAKTION: RUND Redaktionsbüro Hamburg GmbH & Co. KG, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg Tel. 040/80 80 686-0, Fax 040/80 80 686-99 REDAKTIONSLEITUNG: Rainer Schäfer (verantwortlich für den Inhalt), Matthias Greulich (Geschäftsführender Redakteur), Oliver Lück (stellv. 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Wiedemann (verantwortlich für Anzeigen), Tel. 0911/216 22 12 Ekkehard Pfister, Tel. 0911/216 27 49, Gültige Anzeigenpreisliste Nr.1 vom 1. 7. 2005 REPRO: Fire Dept. GmbH, Hamburg DRUCK: heckel GmbH, Nürnberg VERTRIEBSLEITUNG: Andreas Bauer, Tel. 0911/216 22 60 ABONNEMENT UND KUNDENDIENST: Deutschland: RUND-Leser-Service, Badstr. 4-6, 90402 Nürnberg, leserservice@rund-magazin.de, Tel. 0911/216 22 22, Preis des Einzelheftes 2,80 Euro, Jahresabonnement 33,60 Euro Österreich: RUND-Abonnenten-Service, Postfach 5, 6960 Wolfurt, rund@abo-service.at, Tel. 0820/ 00 10 82, Fax 0820/00 10 86, Preis des Einzelheftes 3,20 Euro, Jahresabonnement 38,40 Euro Schweiz: RUND-Leser-Service, Postfach, 6002 Luzern, rund@leser-service.ch, Tel. 041 3292233, Fax 041 3292204, Preis des Einzelheftes 5,40 sFr, Jahresabonnement 64,80 sFr Erscheinungsweise: monatlich Übriges Ausland: Jahresabonnement 33,60 Euro zzgl. Porto Für unverlangt eingesendete Manuskripte, Fotos, Dias, Bücher usw. wird nicht gehaftet. Die gesamte Zeitschrift einschließlich aller ihrer Teile ist urheberrechtlich geschützt, soweit sich aus dem Urheberrechtsgesetz und sonstigen Vorschriften nichts anderes ergibt. Jede Verwertung ohne schriftliche Zustimmung des Verlages ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright für Inhalt und Gestaltung – falls nicht ausdrücklich anders vermerkt – by Olympia-Verlag 2005. ISSN 1860-9279 ARBEITEN IN DER REDAKTION FOTO BENNE OCHS In allen Lagen mit guten Haltungsnoten: Redakteur Oliver Lück VORSCHAU 11 2005 Am 19. Oktober erscheint das nächste Heft: Nationalmannschaft Hat das Team von Jürgen Klinsmann überhaupt genug kreatives Potential, um so zu spielen, wie es die Kritiker immer fordern? Ist der WM-Titel womöglich völlig utopisch? Du Ri-Cha Der erste Südkoreaner am RUND-Lügendetektor Dynamo Dresden Warum der Traditionsklub ein Gegenmodell zum Niedergang im Osten ist Ersatzsport Golf Viele Fußballprofis wechseln die Schuhe und nehmen einen Schläger in die Hand – wieso das? Marek Mintal Das Geheimnis seines schönsten Tores RUND 115 rund_114_115_Vorschau Abs1:115 07.09.2005 23:00:46 Uhr SPIELKULTUR Auslaufen mit Thadeusz ETWAS WÖRNSARTIGES MIT NAMEN FENG Jeden Monat terrorisiert TV- und Radiomoderator Jörg Thadeusz in RUND liebevoll den Fußball. Dieses Mal gibt er einen Vorgeschmack auf das erste Länderspiel gegen China am 12. Oktober Spätestens in 20 Jahren ist es soweit: China wird ökonomisch die Welt beherrschen. Sagen die Experten. Denn das asiatische Zeitalter bricht an, die Welt wird gelb. Also werfen wir uns schnell den neuen Weltherrschern an den Hals. Erinnern wir uns, in welcher Himmelsrichtung die Sonne aufgeht, und dass uns der Ferne Osten im Alltag schon ganz nah ist. Ob grauer Star, ob Magenschmerzen, wenn nichts mehr hilft, hilft der Chinese. Von keinem lassen wir uns lieber stechen und können nach der Akupunktur mit klarem Kopf wieder sehen und gehaltvoll essen. Vor allem beim Chinesen selbst. Denn im Restaurant „Große Mauer“ oder „Shanghai Express“ durften wir lernen, dass die in asiatischer Honigmarinade gewälzte Ente mit dem drögen Wasservogel von unserer Weihnachtstafel nur den Familiennamen gemein hat. Wir können also nur profitieren von unseren neuen Freunden. Dennoch gibt es ein großes Hindernis. Nein, nein, dass sich Mao zu Lebzeiten niemals die Zähne geputzt hat, ist bewältigte Vergangenheit. Es ist auch nicht die Regierungsform – kommunistische Diktatur mit exzessivem Hang zur Hinrichtung Andersdenkender –, die überdenkenswert ist. Deutsche Eltern schi- cken ihre Halbwüchsigen ja ohne Zögern auch zum Schüleraustausch nach Texas, wohl wissend, dass auch dort jugendliche Straftäter unbarmherzig eingeschläfert werden. Nein, was vor allem zwischen uns und den Chinesen steht, ist die unerwiderte Leidenschaft für den Fußball. Bei unserer WM in Deutschland werden wir daher ohne China auskommen müssen – raus in der Qualifikation, abgehängt von Kuwait mit der besseren Tordifferenz. Wie passiert denn so was? Es mag ja sein, dass sich in den Hochhausschluchten Schanghais schlecht Straßenfußballer bis zur Ronaldo-Reife austoben können. Aber große Teile des Landes sollen nach wie vor bettelarm sein. Da hat doch sicher jeder Vater schneller einen Lumpenball aufgetrieben, als dass er eine Tischtennisplatte in die Hütte stellt. Und was machen die chinesischen Kleinen denn nach der Kinderarbeit? In Deutschland leben nur 80 Millionen Menschen. Unter solchen Voraussetzungen müssen die Fußballfreunde einen Bastian Schweinsteiger als Wunder feiern. Aber bei 1,3 Milliarden Einwohnern gibt es noch nicht mal einen Robert Huth? Oder etwas Wörnsartiges mit Namen Feng? Die Ideologie ist ausnahmsweise unschuldig. Michael Ballack, Bernd Schneider und andere beweisen immer wieder, dass bei Kommunistenkindern nicht beide Füße von Geburt an links eingehängt sind. Vielleicht fürchten die traditionsfesten Chinafußballer ja einen Gesichtsverlust beim Weltturnier. Und grausen sich davor, wieder nur als hastige Vorspeise, gewissermaßen als Frühlingsrolle, für brasilianische Künstler wie beim 0:4 vor drei Jahren herzuhalten. Jetzt mal im Ernst, ihr lieben neuen Freunde aus dem Reich der Mitte. Denkt noch mal nach. Ohne Euch hat eine Weltmeisterschaft mit „Welt“ nicht viel zu tun, denn ihr seid nun mal ein Viertel davon. Hier daher das Angebot: Ihr dürft einfach ohne Qualifikation mitmachen. Wir zeigen den Brasilianern ein paar tolle Discos und bedrohen die Holländer mit einer Wohnwagenmaut. Während des gesamten Turniers fällt nicht einmal das Wort „Menschenrechte“, und ihr werdet ungehindert der Meister der Welt. Und jetzt haltet euch fest, liebe Chinesen: Wir haben sogar einen Kaiser, der euch den Pokal übergeben kann. Einen Edelmann, wie es ihn jahrtausendelang auch bei euch gab. Unserer kann sogar Konfuzius-Weisheiten auf Bayerisch dahersagen. Alles klar?< LIEBE LESER, WIE HAT IHNEN DIESE RUND-AUSGABE GEFALLEN? BITTE SCHREIBEN SIE UNS: REDAKTION RUND, PINNEBERGER WEG 22-24, 20257 HAMBURG ODER REDAKTION@RUND-MAGAZIN.DE. RUND IM INTERNET: WWW.RUND-MAGAZIN.DE RUND 116 rund_116_Thadeusz 116 06.09.2005 15:18:38 Uhr