Ghostwriter Dr. Nemet im Interview mit Container
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Ghostwriter Dr. Nemet im Interview mit Container
http://www.journalistik-eichstaett.de - April Zweitausendacht - Ein Euro Container Schmutziger Job: Wie Salzburgs einziger Rossknödelsammler mit Pferdekot seinen Lebensunterhalt verdient...........3 Schmutzige Szenen: Was eine Pornodarstellerin über Blümchensex, Drogen und Männer der alten Schule denkt.........6 Schmutzige Kunst: Wie der Künstler Wilhelm Mundt mit seinen Trashstone-Plastiken Müll beseitigt.............................10 Vogelfrei in Venedig Sie verschmutzen die Plätze und Paläste – und doch gehören Tauben einfach zum Stadtbild. Ab Mai ist das Taubenfüttern auf dem Markusplatz verboten. Die Futterhändler ziehen nun vor Gericht, um ihre Existenz zu retten. Frau und zehn weitere Verkäufer gegen das Taubenfütter-Verbot vor Gericht ziehen. Von Katharina Steuckart Venedig (Italien) – Als die Glocke der Markuskirche zwei Uhr schlägt, ist es vorbei mit der schönen Aussicht: Plötzlich sehen die Touristen auf dem Markusplatz statt des Dogenpalastes nur noch flatternde Flügel. Scharen von Tauben, die eben noch auf dem Platz saßen, kreisen im Himmel. Glitzernde Staubkörner wirbeln über den Köpfen der Touristen und der Gäste in den umliegenden Cafés, die sich unterhalten, lesen, lachen, warten. Eine junge Frau mit blonden lockigen Haaren rutscht nervös auf ihrem Stuhl, der Mann neben ihr, sorgfältig gekleidet, blättert geduldig in seiner Zeitschrift. Die Tauben drehen ihre Runden über dem Platz und gleiten anmutig zu Boden. Sie umzingeln die Touristen und belagern die Kinder, die ihre maisgefüllten Papiertüten fest in den kleinen Händen halten. In der Mitte des Platzes, umringt von fotografierenden Touristen steht hinter einem kleinen Wagen Gianni, ein braungebrannter, älterer Mann in dicker Winterjacke. Unter der schmutzigen Kappe glitzern seine braunen Augen. Flink verpackt er kleine Tüten mit Mais und legt sie auf die Glasvitrine. Ein Mädchen mit zerzausten Locken steht mit großen Augen vor seinen Eltern und erschleicht sich einen Euro. Freudestrahlend geht es auf Gianni zu und drückt ihm das Geld für das Taubenfutter in die Hand. Seit vier Jahren steht Gianni Tag für „Venedig ohne Tauben ist wie eine schöne Frau mit krummen Beinen.“ Sollen den Abflug machen: Tauben auf dem Markusplatz. Tag vier bis fünf Stunden hier auf dem Markusplatz und verkauft Taubenfutter, die Tüte für einen Euro. Doch seine Tage sind gezählt: Ab dem ersten Mai 2008 ist das Taubenfüttern in ganz Venedig verboten. Die insgesamt 18 Taubenfutterhändler von Venedig müssen sich dann nach einer anderen Existenzgrundlage umsehen. Wenn Gianni an die Zukunft denkt, ändert sich seine Miene im Sekundentakt: Trauer, Angst, Wut. „Die Kinder aus aller Welt füttern hier die Tauben. Und dann kommt so ein Typ und denkt, er könnte in ein paar Tagen alles umwerfen.“ Der „Typ“, von dem er spricht, ist der Bürgermeister von Venedig. Er will die Tauben aus der Stadt vertreiben, weil er meint, dass sie Krankheiten übertragen, mit ihrem Kot die aufwendig restaurierten Gebäude und Plätze zerstören und für ihre Eierproduktion Kalk von historischen Fassaden picken. Etwa 100 000 Tauben bevölkern die Stadt und produzieren täglich bis zu vier Tonnen Kot. Gianni hat Gesellschaft bekommen: Luciano, ein alter Mann mit dicker Knollennase und verfaulten Zähnen steht neben ihm. Er ist 82 Jahre alt und kennt Gianni schon lange, denn Foto: Katharina Steuckart Lucianos Frau verkauft seit über 70 Jahren Taubenfutter auf dem Markusplatz. Ihr Vater, ein Kriegsversehrter, hatte die Lizenz nach dem ersten Weltkrieg bekommen und war kurz darauf gestorben. „Und dann hat meine Schwiegermama das Geschäft übernommen, obwohl sie fünf Kinder hatte. So ist das Ganze an meine Frau gelangt“, erzählt Luciano lachend. Es gibt Familien auf dem Platz, die haben ihre Lizenz, die inzwischen nur noch vererbt werden darf, seit über 100 Jahren. Weil nun die wenigen Lizenzen die es noch gibt, bald wertlos sein könnten, wollen Gianni, Lucianos Mit einem Rauschen wie in einem Sturm fliegen plötzlich die Tauben auf. Touristen zucken zusammen und starren in ihnen nach. Luciano und Gianni haben sich schon längst daran gewöhnt. Sie können sich ein Leben ohne die Tauben auf dem Markusplatz kaum noch vorstellen. „Venedig ohne Tauben ist wie eine schöne Frau mit krummen Beinen“, sagt Luciano. Gianni nickt zustimmend. Er liebt seine Arbeit, bei der er Menschen aus der ganzen Welt kennen lernt. Dennoch, so erzählt er mit einem verschmitzten Grinsen, sei er jeden Tag froh, wenn er aus diesem Irrenhaus rauskommt. „Lesben, Schwule, Schauspieler: Alle wollen hierher und ich will einfach nur nach Hause.“ Die Abenddämmerung legt sich über Venedig. Rote Lichtstreifen zieren den Himmel. Noch immer schlendern Scharen von Touristen über den Markusplatz. Doch etwas fehlt: Kein Staub mehr, der durch die Luft fliegt. Kein tosendes Flügelschlagen – die Tauben sind verschwunden. Sie haben sich in die Winkel der vielen alten Häuser zurückgezogen. Mit ihnen sind auch die Taubenfutterhändler wie von Zauberhand verschwunden. Vorläufig nur für heute. Aber bald vielleicht schon für immer. Glosse D ie Freiheit des Studentenlebens endet vor dem Wäschekorb: Dort türmt sich die Schmutzwäsche, während im Kleiderschrank gähnende Leere herrscht. Vielleicht ließe sich dieser Pullover nach langwierigem Lüften an der frischen Luft ja doch noch einmal tragen? Den einen oder anderen Trick, die Tragedauer von Klamotten zu verlängern, scheint es schon zu geben: In der Mensa sitzt mir eine Studentin gegenüber, die einem Klecks auf ihrem Pulli mal eben schnell mit einem Fleck-Weg-Stift an die Wäsche geht. Ein anderer Student verplant jede einzelne seiner Boxershorts penibel auf einzelne Wochentage und „leiht“ sich in einer Art Deutschlandtour von seinen Freunden Socken. Sind die Mitbewohner „leer gesockt“, staubt er bei jedem Besuch in einer anderen Stadt ein neues Pärchen ab. „Socken-Hoppen“ nennt er das, als sei es ein neuer Volkssport. Wenn die Flecken jedoch Überhand nehmen, die Freunde schon komplett sockenlos durchs Leben wanken und die Kommilitonen einen großen Bogen um mich machen, steht fest: Ich komme ums Waschen einfach nicht mehr herum. Dabei überfordert mich doch schon die Wahl des richtigen Waschmittels: „Weißer Riese“ wirbt mit Riesenwaschkraft für die ganze Familie. Im Werbespot spannen die immer eine kilometerlange Wäscheleine – aber soviel Wäsche habe ich nun auch wieder nicht. Das Waschmittel von „Frosch“ versieht Kleidungsstücke de den Begriff der Schaumparty völlig revolutionieren. Beim mit einem Lichtschutzfaktor. Und wofür ist der jetzt? Für die Eintritt gäbe es keinen lästigen Stempel, sondern eine HandKleidung, damit sie im Urlaub nicht so braun wird, oder für voll Persil. Und frühestens nach der dritten Trommel ginge es die Haut, damit man durch seine Allwetterjacke keinen Sonnenim Schleudergang nach Hause. Doch mein Tagtraum zerplatzt brand bekommt? wie eine Seifenblase. Von einer Maschine eingeschüchtert, die Seien wir mal ehrlich: Die Werbung verbreitet ohnehin Hoffmir komplizierter erscheint als jede Statistikvorlesung, bleibt mir nungen, die nie erfüllt werden. Der sparsame Spee-Fuchs wird schließlich doch nur eines: die reuige Rückkehr zu dem einzigen mir nie beim Waschen helfen und „Febreze“ hat noch keinen Menschen, der Hemden porentief rein und Hoffnungen wirklich Textilerfrischer erfunden, der verhindert, dass jedes T-Shirt irwahr werden lässt: Mama. gendwann einmal in die Maschine muss. Die einMit 30 Kilogramm schmutziger Wäsche steige ich am Freitag zigen, die immer für mich da sind, sind die in den Zug und komme glücklich, ausgelassen, ja fast euphorisch, Fleckenzwerge – und gegen die muss ich nun mit 30 Kilogramm sauberer Wäsche am Sonntag zurück. Wir vorgehen. können nichts dafür, wir wurden so erzogen. Waschen ist das Jetzt stehe ich alleine in einem muffigen unsichtbare Band, das die flügge gewordenen Söhne und TöchWaschkeller und muss mich mit Begriffen wie ter dieser Welt an daheim bindet. Es ist eiskaltes Kalkül unserer „Kochwäsche“ und „bügelfeucht“ herumMütter, sich auch nach dem Auszug unverzichtbar zu machen. schlagen, die mir im Hotel Mama noch wie ein „Mama, ich brauch dich!“ – so wollte sie es doch, oder?! Zuferner Fluch erschienen. Niemand ist hause hat mir meine Mutter ein Poster an die Zimmerda, der mir dieses Technikwundertür gehängt: „Bei 87,9 Prozent aller Studenten werk vor mir erklären könnte. hört die Waschmaschine auf den Namen Dabei würde gemeinsames ‚Mama‘.“ Irgendetwas will sie mir daWaschen viel mehr Spaß mamit wohl sagen – nur weiß ich bis chen, denke ich mir. Warum heute nicht was. Vielleicht keine Waschparty organisieren? möchte sie, dass ich meine Schmutzige Wäsche als Grund Waschmaschine nach ihr Illustration: Julia Haug zum Feiern – grandios. Das würbenenne. Oder so. Von LauraBeck zwei v Editorial 18 Wochen Schmutz. Das sind 126 Tage oder 3 024 Stunden oder 181 440 Minuten Dreck, Ruß und jede Menge Arbeit. Redaktionssitzungen bis die Köpfe qualmen, eine verschlafene Chefredakteurin und wahlweise Pizza, Döner oder Asia-Nudeln für die hungrigen Mägen. Unsere Reporter sind indes in ganz Deutschland, ach was, in halb Europa unterwegs. Eine reist bis nach Italien, um gemeinsam mit einem scheckigen Hund nach stinkenden Edelpilzen zu suchen. Eine andere begnügt sich mit den Innereien örtlicher Müllcontainer. Ob voll Entsetzen im Getümmel einer Porno-Live-Show oder auf Gehörprobe bei den unflätigen Machenschaften bekennender Dirty-Talker – schmutzig wurde es auch ohne handfesten Dreck. Während unseres Fotoshootings für die Impressumbilder allseitige Übereinstimmung: Wir wollen so schmutzig sein wie nur möglich. Und dazwischen stellen wir fest: Wir sind tatsächlich VollblutPrint-Journalisten. Bilder würden wir am liebsten ganz abschaffen. Es lebe das geschriebene Wort! Nächstes Mal sind die Fotoredakteure arbeitslos. Auf zwölf Seiten könnt ihr nun sehen, was bei 10 886 400 Sekunden Arbeit herausgekommen ist. Ein moralisch gefestigter Kommilitone stellte noch während des Arbeitsprozesses fest: „Meiner Oma kann ich das nicht zeigen.“ Aber überzeugt euch selbst: aufgepasst und Augen auf für jede Menge Schmutz – aber garantiert keinen Schund... Hannah Lau & Andreas Nefzger Impressum (siehe auch S. 12): Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Diplom-Studiengang Journalistik Ostenstraße 26, 85072 Eichstätt 08421/93 16 98 world wide waste Einmal Diplom, bitte! Von erkauften Arbeiten und dubiosen Internetfirmen: Akademische Ghostwriter setzen auf schlechte Betreuung an deutschen Hochschulen Von Steffen Armbruster Eichstätt – Nervös klackern Lisas Fingernägel auf dem Holztisch, ihr Stift ist bereits flach gekaut, sie kratzt sich am Kopf und rauft sich die Haare. In einer Woche muss die Seminararbeit fertig sein. Aber wie soll sie das schaffen? Sie muss Referate vorbereiten, Vokabeln lernen und nebenher in der kleinen Kneipe am Eck jobben. In Momenten wie diesen spielt Lisa mit dem Gedanken, das zu tun, was viele gestresste Studenten tun: Sie greifen zu ungewöhnlichen Mitteln und lassen schreiben. „Suche dringend einen Ghostwriter für meine anstehende Diplomarbeit, Fachbereich Soziale Arbeit. Würde sehr gut bezahlen“, ist da beispielsweise in einem Internetforum zu lesen. Im Netz können sich Studenten auf zahllosen Seiten Hausarbeiten, DiplomArbeiten und sogar Dissertationen kaufen. Zwischen 300 und mehreren tausend Euro blättern sie dafür hin – je nach Seitenzahl und Anbieter. Eine vollständige Doktorarbeit kostet rund 20 000 Euro. Viel Geld für ein hohes Risiko, denn wenn die Käufer die fremden Texte als ihre eigenen ausgeben, kann das drastische Konsequenzen haben und eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wegen Betrugs nach sich ziehen. Nur die Ghostwriter sind bei diesem Geschäft auf der sicheren Seite. Thomas Nemet (37) hat Philosophie studiert und früher selbst wissenschaftliche Texte gegen Geld verfasst. „Momentan komme ich nicht mehr dazu“, sagt er, denn inzwischen ist er Geschäftsführer der Firma „Acadwrite Deutschland“. Mit „rund 250 freien Mitarbeitern, die mindestens einen akademischen Abschluss vorzuweisen haben“ – darunter auch Doktoren und aktiv lehrende Professoren – feiert sich „Acadwrite“ als Marktführer der Branche. Über die Webseite von „Acadwrite Deutschland“ bestellen Kunden von einer 15-seitigen bis hin zu einer 200seitigen Arbeit praktisch alle Arten akademischer Schriften in allen Fächern. Besonders gefragt sind Texte aus dem „Bereich BWL, Sozialwissenschaften, Literaturwissenschaften, Philosophie und manchmal auch Rechtswissenschaften“, erklärt Nemet. Wie viele akademische Arbeiten tatsächlich unter falschem Namen eingereicht werden, weiß niemand. Nemet verrät nur, dass „Acadwrite“ im Jahr 2005 einen Umsatz von rund 800 000 Euro mit dem Verkauf von wissenschaftlichen Texten gemacht hat. Für das Geschäftsjahr 2006 schätzt er den Umsatz auf über eine Million Euro, Tendenz steigend. „Viele können nicht nachfragen, wie eine Hausarbeit aussehen soll.“ Der Markt der Ghostwriter boomt, denn die Zahl potentieller Kunden wächst ständig: Im Wintersemester 2006/2007 waren laut statistischem Bundesamt fast zwei Millionen Studenten an deutschen Universitäten eingeschrieben, rund 150 000 mehr als noch vor zehn Jahren. Viele Unis sind mittlerweile hoffnungslos überfüllt, immer mehr Studenten müssen sich eine Lehrkraft teilen. In München zum Beispiel kommen 64 Studenten auf einen Professor, in Mannheim schon 92 und in Köln sind es sogar 96 Studenten pro Lehrkraft. „Da setzen wir an“, erklärt Dirk Bocklage (29), geschäftsführender Gesellschafter der Ghostwriter-Firma „EPSnet“. Eine Seite Text kostet bei seiner Firma zwischen 29 und 57 Euro – je nach dem, wie schnell geliefert werden soll. „Viele Studenten haben Porsche fahren, Sexgott werden, Lehrgeld zahlen Ahnungslose Internetsurfer fallen reihenweise auf zweifelhafte Angebote herein – wer nicht zahlt, wird unter Druck gesetzt Von Sebastian Wieschowski Zug (Schweiz) – Die Briefe, die sich auf den Schreibtischen deutscher Verbraucherschützer stapeln, beginnen immer wieder mit der gleichen Geschichte – abgeschickt von ahnungslosen Internetsurfern, die „einfach nur mal was ausprobieren wollten“. Sie wollten sich in eine Porsche-Testfahrerkartei eintragen lassen. Oder ihren Sex-Typ herausfinden. Oder ein paar kostenlose SMS verschicken. Dagny Tolksdorf wollte schon immer mehr über die Herkunft ihres Namens herausfinden. Da kam eine Infomail gerade recht, die ihr empfahl, auf der Adresse „genlogie. net“ mehr über Name, Herkunft und ihr weiteres Leben zu erfahren. Die 27jährige Studentin aus Potsdam meldete sich an, gab zur Analyse ihres Namens alle nötigen Daten ein – wenig später erfuhr sie, dass sie am gleichen Tag wie Stalin Geburtstag hat. Dass ihr Vorname aus dem Schwedischen kommt und soviel wie „organisiere dich selbst“ heißt. Im Horoskop wird ihr Pech in der Liebe, aber ein finanzielles Glück versprochen. Das Horoskop sollte nicht Recht behalten. Denn die Bescherung kam wenig später per Post – in Form einer Rechnung über 60 Euro. Die Internetsurferin hatte bei der Anmeldung das Kleingedruckte überlesen. Da war zu lesen, dass der Service fünf Euro im Monat kostet und die Datenbank direkt für zwölf Monate abonniert wurde. „Das Problem gewinnt enorm an Bedeutung.“ Dagny Tolksdorf ist kein Einzelfall – immer mehr Deutsche fallen auf dubiose Bezahl-Angebote im Internet herein. Allein in der Zeit von Mitte Februar bis Mitte März 2007 gingen bundesweit mehr als 22 000 Beschwerden bei den Verbraucherzentralen ein, wie die Verbraucherzentrale NRW mitteilt. „Das Problem gewinnt enorm an Bedeutung“, sagte Vorstand Klaus Müller in einem Interview. Im Angebot haben die Anbieter so ziemlich alles, was das Surfer-Herz begehrt: kostenlose Produktproben, Intelligenztests oder Lebenserwartungsprognosen. Die „Abzocke“ dahinter verläuft immer wieder nach dem gleichen Muster: Der Benutzer nimmt an den Online-Aktionen teil und gibt seine Postanschrift an. Oft gehen die ah- nungslosen Nutzer dabei Verträge mit zwei Jahren Laufzeit ein. Eine Bankverbindung wird nicht gefordert, denn die Rechnung kommt per Brief. Besonders viel Arbeit bereitet dem deutschen Verbraucherzentrale-Bundesverband die „Internet Service AG“ mit Sitz im schweizerischen Rotkreuz. Das Unternehmen hat so ziemlich alles für den unterhaltungslustigen Webnutzer im Angebot – sie trägt ihn in Porsche-Testfahrerkarteien ein, berechnet seine Lebenserwartung, findet seinen Sex-Typ heraus – und veranlasst gefährlich klingende Mahnschreiben über eine „Deutsche Inkassostelle“, falls die zukünftigen Testfahrer, Hundertjährigen oder Sexbomben nicht zahlen. Kunden, die sich vor Ort über die Abzocke beschweren wollen, bekommen einen Verantwortlichen der „Internet Service AG“ allerdings nicht zu Gesicht. Das Handelsregister Zug weist als aktuelle Verwaltungsratsvorsitzende eine gewisse Yvonne Elisabeth Muther aus, wohnhaft in Hüttikon. An der Tür öffnet niemand. Wer in der Nachbarschaft klingelt und sich als vermeintlicher Geschäftspartner ausgibt, lernt Schweizer Diskretion kennen – reden überhaupt keine Möglichkeit, nachzufragen, wie eine Hausarbeit aussehen soll“, sagt Bocklage. Also erstellen die fleißigen Schreiber seiner Firma fertige Arbeiten mit Inhaltsverzeichnis und Literaturliste. Auf der Internetseite wirbt seine Firma ausdrücklich damit, dass „die Texte exklusiv“ nach Kundenwünschen „verfasst werden“ und verspricht sogar eine „Unikat-Garantie“. „Natürlich wissen wir auch, dass es schwarze Schafe gibt.“ Dennoch betont er, dass die Arbeiten vom Käufer lediglich „als Vorlage genutzt werden“ sollen. Alle Ghostwriter-Firmen weisen ihre Kunden ausdrücklich darauf hin, dass die Texte urheberrechtlich geschützt sind. „Natürlich wissen wir auch, dass es schwarze Schafe gibt, die diesen Service ausnutzen und dann das Werk eins zu eins abgeben. Aber ich denke mal, das wird der kleinere Teil sein“, sagt Dirk Bocklage. Trotzdem würde er es „nicht als kriminell bezeichnen“, wenn jemand eine Arbeit unter anderem Namen abgibt. Thomas Nemet sieht das ähnlich: „Sie können auch nicht den Hersteller des Küchenmessers, mit dem Sie Ihre Schwiegermutter um die Ecke gebracht haben, dafür haftbar machen, dass er das Messer produziert hat.“ Mit dieser Aussage gelingt der Firma der Sprung in eine gesetzliche Lücke, in eine Grauzone, in der sie sich als Anbieter der Verantwortung entzieht. In der Tat ist der Verkauf von wissenschaftlichen Texten nicht illegal. Die Kunden aber, die eine gekaufte Arbeit unter eigenem Namen abgeben, machen sich wegen Betrugs und Urkundenfälschung strafbar. „Prüfungsrechtlich ist das ein Täuschungsversuch und damit ist die Prüfung gecancelt“, sagt Rechtsanwältin Karin Triebold, die auf Schul- und Hochschulrecht spezialisiert ist. An den Universitäten selbst geht die Ahndung „bei einem Verweis los und endet bei Aberkennung von Titeln“, erklärt Professor Gerhard Thiele, Vertrauensmann für wissenschaftliches Fehlverhalten an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Soweit er sich erinnern kann, habe es solche Fälle an der Freiburger Uni allerdings noch nicht gegeben, erklärt Thiele. Vor allem ein sehr enger Kontakt zwischen Lehrenden und Studenten „kann dem Plagiatswesen Einhalt gebieten“, erklärt Thiele weiter. „Eine gute Betreuung kann dementsprechend vorbeugen.“ Ghostwriter treten das Ansehen wissenschaftlicher Arbeiten mit Füßen. Foto: Steffen Armbruster möchte fast niemand. Die einzige Auskunft eines Anwohners: Es hätten hier schon einige erboste Deutsche umsonst gewartet. Auch im „Servicecenter“ der „Internet Service AG“ in Rotkreuz, etwa 60 km von Hüttikon entfernt, wird Kundennähe nicht unbedingt groß geschrieben. Im ersten Stock eines Bürokomplexes hat das Unternehmen ein Büro angemietet. Eine schwarzhaarige Frau verschwindet im Nebenzimmer. Ob sie das Klopfen und Klingeln nicht hört? Oder gar keinen Service anbietet? Das ist gut möglich, denn wer die Telefonnummer des schweizerischen „Servicecenters“ wählt, landet im benachbarten Liechtenstein. Also doch kein Service bei der „Internet Service AG“ in der Schweiz? „Die Drohungen sind Masche und werden tausendfach verschickt.“ In den Niederungen der virtuellen Mail-Müllkippe will der deutsche „Verbraucherzentrale-Bundesverband“ weiterhin für ahnungslose Abo-Opfer kämpfen. Zu den wichtigsten Aufgaben der Verbraucherschützer gehört, Internetsurfer rechtzeitig zu informieren, damit sie gar nicht erst in die Falle tappen. Die Verbraucherzentrale veröffentlicht deshalb schwarze Listen mit gefährlichen Webadressen sowie dubiosen Firmen. Verbraucherschützer Ronny Jahn schreibt seine Erfahrungen mit den Klick-Abzockern in einem Blog nieder. Seine Kollegen sammeln die Beschwerden geprellter Surfer und prozessieren gegen andere auffällige Unternehmen. Das Landgericht Stuttgart gab im Verfahren des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes gegen die „Internet Service AG“ am 8. Juni eine deutliche Einschätzung ab: Die Gestaltung der gerügten Seiten sei darauf angelegt, Verbraucher zu täuschen. Doch die Schweizer machen weiter – über eine Änderung der Rechtsform, des Firmennamens oder die Gründung eines Subunternehmens. Für Internetsurfer, die bereits in die Falle getappt sind, hat Jahn einen vergleichsweise einfachen Rat: „Die Drohungen sind Masche und werden tausendfach verschickt. Es ist kein einziger Fall bekannt, in dem Unternehmen wie die Internet Service AG wirklich geklagt hätten.“ Auch Dagny Tolksdorf, die bei der Verbraucherzentrale um Rat fragte, reagierte daraufhin nicht mehr auf die immer gefährlicher klingenden Schreiben aus der Schweiz. Nach ein paar weiteren Mahnungen versiegte die Briefflut. Ronny Jahn von der Verbraucherzentrale Berlin wundert das nicht: „Die Anbieter wissen schon, warum sie am Ende doch nicht vor Gericht gehen.“ L zweilanderdreck L v drei Jeden Tag der gleiche Mist Mit Salzburgs Rossknödelsammler unterwegs zwischen Altem Markt und Getreidegasse Von Christian Wiesbacher Salzburg (Österreich) – Der Atem der Pferde dampft in der kalten Luft. Jonel Timić verzieht keine Miene, als er mit seiner Blechschaufel den frischen Haufen Pferdeäpfel in eine Plastikwanne wirft. Seine dunkle Wollmütze hat er tief ins Gesicht gezogen, im Mundwinkel qualmt eine Zigarette. Er hebt die Wanne auf und stellt sie in die Sperrholzkiste, die vorne auf seinem Fahrrad montiert ist. Darauf prangt in dunkelroten Buchstaben „Roßknödelsammler“. Dann stößt sich Jonel Timić ab, tritt in die Pedale und bahnt sich scheppernd den Weg durch eine Gruppe von koreanischen Touristen, immer hinter der Pferdekutsche her, die durch die engen Gassen der Salzburger Altstadt rollt. Von früh bis spät, Tag für Tag bleibt Jonel Timić den Salzburger Fiakern auf den Fersen. Vorbei am Festspielhaus, dann durch die Griesgasse und über den Mozartplatz zurück zum Alten Markt. Jonel Timić schafft die Route in fünfzehn Minuten. Neun oder zehn Mal pro Tag klingelt er sich so seinen Weg durch die Altstadt, in der sich die Touristen drängen. Der 38-jährige Serbe ist der „Wegmoacha“. Er kümmert sich um die Hinterlassenschaften der Rösser und ist dafür zuständig, dass die vielen Japaner, Amerikaner, Italiener und Deutschen vor dem Festspielhaus oder dem Dom nicht in einen dampfenden Haufen Pferdemist treten. Früher hat Jonel Timić Zeitungen verkauft, aber der Verdienst reichte nicht für ihn, seine Frau und die drei Kinder. Also stieg er vor drei Jahren um aufs Rossknödelsammeln. „Des is’ ein sicherer Job, die Kutschen fahren ja immer.“ Sein Weg auf dem Sammelrad führt ihn durch enge Gassen, vorbei an bunten Barockfassaden mit blütenweißen Stuckbändern. Über allem thront majestätisch die Festung Hohensalzburg. Trotz eisiger Kälte steht ein als Mo- Von Julia Lösch New Orleans (USA)/Eichstätt – Verfallene Häuser. Mehr als nur leer. Tot. Haufenweise Schrott und Müll, durch den Hunde und Ratten streichen. Kein Mensch ist zu sehen, nicht hinter den Fenstern, nicht auf den Straßen. Vor einem Kiosk flattern vereinzelt alte Tageszeitungen im Wind – an dieser Stelle stockt Bruce Voelker. Seine Stimme klingt belegt. Die Erinnerung an den 29. August 2005 fällt ihm schwer. An diesem Tag wurde New Orleans durch den Hurrikan Katrina zur Geisterstadt. Die einst so flirrende Metropole wurde zum Elendstal. „Wir mussten Abschied nehmen.“ Obwohl die fünfköpfige Familie Voelker aus New Orleans von Katrina weitgehend verschont blieb, wusste sie schon damals, dass nichts mehr so sein wird, wie es vorher war. Der Schaden am eigenen Haus war noch hinzunehmen. Der einer ganzen Stadt nicht. „Wir mussten Abschied nehmen“, erzählt Bruce, der Familienvater. „Abschied von einer Welt, die einst aus Jazz, bunten Lichtern und viel Kitsch bestand.“ In der Zwischenzeit sind viele Straßen repariert, Häuser wieder aufgebaut. Langsam füllen sich die Vororte der Stadt mit Menschen. Allmählich Rauf auf die Schaufel: Salzburgs „Wegmoacha“ Jonel Timić kehrt Pferdemist von den Straßen. Foto: Christian Wiesbacher zart verkleideter Pantomime auf dem Alten Markt direkt vor den Fiakern. Die vielen Menschen auf dem Platz beachten ihn kaum, sie interessieren sich mehr für die Pferde mit den bunten Decken, die vor die Holzkutschen gespannt sind. 200 Kilo Pferdemist pro Tag Jonel Timić zieht weiter, den Blick auf das Pflaster gerichtet, immer auf der Suche nach den Hinterlassenschaften der Pferde. Um die 200 Kilo der braunen Rossknödel kehrt und kratzt Jonel Timić Tag für Tag von den Straßen und aus den Fugen des Kopfsteinpflasters. Der Geruch stört ihn nicht: „Die Knödel stinken nur, wenn sie ganz frisch sind“, erklärt er und biegt mit seinem Rad auf den Platz hinter dem Dom ein, wo ein verschlossener Container auf ihn wartet. „Zwei Wochen dauert es, bis der voll ist“, sagt er, während er die gefüllte Plastikwanne hochhebt und die Klappe des Containers zurückschiebt. Ein bestialischer Gestank schlägt ihm entgegen. Die feuchtwarmen, nach Verwesung riechenden Gase verbreiten sich sofort in der Luft. Jonel Timić verzieht keine Miene, als er die Wanne in den fast vollen Container kippt. Bald wird der Bauer anrücken, der den Container alle zwei Wochen leert und die Pferdeäpfel als Biodünger nutzt. Jonel Timić radelt zurück in die Kopfsteinpflastergassen der Altstadt und scheucht mit der Klingel zwei junge Japanerinnen von der Straße. Als das Sammelrad an ihnen vorbeirattert, rümpfen die beiden die Nasen. „Am Anfang hat’s mi scho’ troffen, wenn die Leut’ mit’m Finger auf mich gezeigt hobn. Jetz is’ mia das Wurscht“, grinst Jonel Timić zahnlückig. Gewagte Tour durch das Gewühl Anfang und Endpunkt jeder Runde ist der Alte Markt. Hier ruht sich Jonel Timić kurz aus, raucht eine Zigarette und nutzt die Ruhe für ein Pläuschchen mit den Fiakerfahrern. Einer von Big Easy aus dem Takt Seit über zwei Jahren sehnen sich die Bürger von New Orleans nach Normalität. Doch die Stadt schwingt anders als früher. kehrt Normalität zurück. „Scheinbare Normalität“, betont Bruce. Denn obwohl „Big Easy“ wieder beginnt zu „swingen“, schwingt es nun in einem komplett anderen Rhythmus. Noch heute – mehr als zwei Jahre nach dem Unglück – befinden sich New Orleans und ein Großteil der Golfküstenregion in einem elenden Zustand. Durch den Wirbelsturm starben über 1 800 Menschen. „Wie viele Leichen noch unter den eingefallenen Häusern verwesen, weiß niemand. Noch immer werden weitere entdeckt. Hinter tausenden zerstörten Häusern verbergen sich tausende zerstörte Schicksale“, erzählt Bruce. Er spürt die Verunsicherung täglich. Auch die Resignation. „Wenn ich durch die Stadt gehe, ist nichts mehr so wie früher.“ Die Geschäfte wirken eher gekünstelt als traditionell, weil die Inhaber das Alte imitieren. „Ein zwanghafter Versuch, wieder so zu werden, wie es einmal war. Das ist einfach nicht möglich.“ Statt JazzsängerMotiven und kulinarischen Andenken gibt es nun Katrina-Sticker und AntiBush-Postkarten. „Auch wenn es niemand zugeben würde – resigniert ha- ben wir insgeheim schon alle“, meint Bruce. Er lebt seit über 60 Jahren in New Orleans. Niemals hat er sich in der Stadt so fremd gefühlt wie heute. „Das Haus meiner Eltern wurde abgerissen, auch der Spielplatz ist nun weg“, erzählt er und muss schlucken. Ein Stück Erinnerung an seine Kindheit ist verschwunden. Sein Elternhaus stand in der heute noch immer verwüsteten Wohngegend im Osten der Stadt, der „Lower 9th Ward“, einem Arbeiterviertel. „Nur noch ein Drittel der Bewohner lebt dort. Nirgendwo war die Zerstörung so verheerend wie hier.“ „Es gibt Gebiete, in denen bis heute weder Wasser noch Strom fließen.“ Doch die Stadt liegt nicht überall im Dreck. „Natürlich wurde der French Quarter als erstes wieder aufgebaut, davon lebt die Stadt doch.“ Bruce meint das Touristenviertel in der Altstadt, dessen Aushängeschild – die bekannte Bourbon Street – jährlich tausende Touristen in die Wiege des Jazz lockt. „Auch die großen Hotels auf der Canal Street heißen täglich Gäste aus aller Welt willkommen“, erzählt Bruce. Scheinbare Normalität. Sichtbare. Mit Ausnahme der Touristenviertel und der reicheren Stadtteile überlassen die Regierung ebenso wie die Stadtverwaltung New Orleans dem Verfall. „Keine zwei Meilen vom Quarter entfernt gibt es Gebiete, in denen bis heute weder Wasser noch Strom fließen. Das kann ich einfach nicht nachvollziehen.“ Rund 80 Prozent der schwarzen und knapp 60 Prozent der weißen Bevölkerung haben die Stadt verlassen. Fast jedes zweite Haus steht leer. Die Stadt, die einst eine moderne Metropole mit 1,3 Millionen Menschen war, wirkt heute mit ihren nur noch 300 000 Einwohnern orientierungslos. Verdreckt. Gezeichnet von Katrina. „Während die Reichen immer reicher werden, lebt die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung am Rande der Existenz“, sagt Bruce. Er klingt wütend: „Viele ehemalige Bewohner der Armenviertel schlagen sich nun in Houston, Baton Rogue oder Atlanta durch. Die Menschen können es sich nicht leisten, zurückzukehren.“ Versicherungsprämien und Mieten ha- ihnen ist Siegfried Steiner. Den Roßknödelsammler schätzt er: „Des is’ ein netter Kerl, und der putzt immer sauber.“ Manchmal, wenn er beobachtet, wie sich Jonel Timić mit seinem Rad durch das Straßengewühl schlängelt, macht er sich Sorgen: „Des konn ganz schön g’fährlich sein.“ Vor allem auch deshalb, weil der Rossknödelsammler die Verkehrsregeln sehr gewöhnungsbedürftig auslegt: Gerade fährt er trotz Dunkelheit ohne Licht am linken Fahrbahnrand entlang und wechselt urplötzlich die Spur, den Blick starr auf einen platt gefahrenen Haufen gerichtet. Mitten auf der Griesgasse, der vielbefahrenen Hauptstraße durch die Altstadt, stellt er sein Gefährt ab und lässt sich von seiner Arbeit nicht abbringen, auch nicht vom wütenden Hupen eines Sportwagens mit Münchener Kennzeichen. „Die Bus- und Taxifahrer kennen mich scho’ und die Autofahrer merken’s dann auch“, zuckt er mit den Schultern. Auf dem Alten Markt lehnen die Fiakerfahrer dick eingepackt in lange graue Lodenmäntel am Zaun. Das Geschäft läuft heute nur schleppend, es ist einfach zu kalt. Eine Familie begutachtet die Kutschen. Der kleine Junge mit blauer Mütze will unbedingt mitfahren. Der Fiakerfahrer lächelt, freut sich auf die 33 Euro für die knappe halbe Stunde Fahrt. Aber der Vater zieht seinen Sohn weg: „Na, jetz ned. Wir miassn zur Oma.“ Gegen 18 Uhr ist es stockdunkel und die nasse Kälte dringt bis auf die Haut. Aus dem Café Tomaselli am Alten Markt dringt noch warmes Licht nach draußen, der Platz davor ist fast menschenleer. Die letzte Kutsche macht sich auf den Heimweg, der Fahrer ruft Timić ein „Servus“ zu. „Eine kleine Runde noch, dann bring ich mein Radl weg“, meint er. Er grüßt, schwingt sich auf sein unbeleuchtetes Gefährt und verschwindet im Dunkel der Gasse. Zurück bleibt ein Hauch von Pferd in der kalten Luft. ben sich annähernd verdoppelt. Die Grundsteuer wurde erhöht. Handwerker sind knapp und teuer. „Wenn ich durch die Altstadt schlendere, reißen alte Wunden immer wieder auf. An fast jeder Ecke werden wir an den Hurrikan erinnert.“ Bruce‘ Lieblingsitaliener im French Quarter hat seit knapp zwei Jahren geschlossen, da die Besitzer Louisiana verlassen haben. Auch die Fitnessgruppe seiner Ehefrau hat sich aufgelöst, nachdem nur noch fünf Frauen zum Training kamen. „Wie ist denn da an Normalität zu denken?“, fragt er sich. Die Voelkers fühlen sich „allein in einer so scheinbar patriotischen Welt.“ Bruce‘ Stimme bebt: „Nichts wurde eingehalten von den ,together we stand’-Versprechungen.“ Sowohl die Regierung als auch der Rest der Nation haben sich für New Orleans zu keinem Zeitpunkt interessiert. Zumindest das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb von New Orleans – der „pride“ – wurde durch den Wirbelsturm verstärkt. „Wir gehen alle vorsichtiger miteinander um. Nun endlich wissen wir Südstaatler ja, was richtige Probleme sind“, witzelt Bruce mit Galgenhumor. Er will nicht aufgeben: „New Orleans hat noch immer eine Seele. Wir müssen sie nur gemeinsam wieder beleben.“ Daran arbeitet er gemeinsam mit seiner Familie täglich. Seit mehr als zwei Jahren. vier v schmutzputz Schmutz tut gut Neue Studie des Robert-Koch-Instituts belegt, dass zuviel Hygiene Kinder krank macht Von Ulrike Müller Ingolstadt – Sie wischen mit Desinfektionsreinigern, wechseln nach jedem Kleckern sofort das Outfit ihrer Kleinen und jeder Fleck wird sorgfältig unter die Lupe genommen. Peinlich genau achten viele deutsche Eltern auf Sauberkeit und Hygiene. Sie wollen sich selbst und vor allem ihre Kinder schützen – und erreichen damit genau das Gegenteil. Denn zuviel Hygiene, so warnen Wissenschaftler, macht Kinder krank. Früher Kontakt mit Schmutz und Krankheitserregern ist ein wichtiger A n s t o ß p u n k t für die Ausbildung des Immunsystems. Kinder, die viele Geschwister oder Haustiere haben, frühzeitig in die Krippe gehen und viel draußen herumstrolchen, erkranken seltener an Allergien. Zu diesem Ergebnis kommt der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey des RobertKoch-Instituts. Von 2003 bis 2006 haben Mitarbeiter des Institutes in ihren mobilen Untersuchungszentren knapp 18 000 Kinder und Jugendliche befragt, dazu noch Blutproben genommen und Elternfragebögen beurteilt. Die Auswertung liefert Ergebnisse, die erstmals für ganz Deutschland repräsentativ sind. Verschiedene Studien belegen, dass seit den Neunzigerjahren die Allergieempfindlichkeit von Kindern rasant angestiegen ist und sich ab 2002 auf einem erschreckend hohen Niveau eingepegelt hat: Inzwischen leidet fast ein Viertel der Kinder und Jugendlichen unter Heuschnupfen, Asthma oder Neurodermitis. Mehr als 40 Prozent der Mädchen und Jungen reagieren auf kritische Substanzen, so genannte Allergene, wie beispielsweise Hausstaubmilben, Schimmelpilz und Milcheiweiß. „Was Allergien betrifft, liegt Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Ländern im bunten Mittelfeld“, sagt Dr. Martin Schlaud, ärztlicher Leiter am Robert-Koch-Institut. Schlaud verweist darauf, dass in NichtIndustrieländern die Allergieempfindlichkeit in der Bevölkerung wesentlich geringer ist, obwohl die Infektionsrate weit über dem Niveau der westlichen Länder liegt. „Ein bisschen Dreck scheuert den Magen“, sagt ein altes Sprichwort. Da scheint was Wahres dran zu sein. Als Erklärung für die hohe Allergieanfälligkeit greifen Wissenschaftler und Ärzte gern auf die Hygienehypothese zurück. Danach sinkt das Risiko, an einer Allergie zu erkranken, erheblich, wenn Kinder schon frühzeitig mit Viren, Bakterien und Allergenen in Berührung kommen. Zum Beispiel im Kindergarten: „Kinder haben ihre Finger in Mund und Nase, stecken sie dann auch anderen Kindern in den Mund. So kommen sie mit Keimen in Kontakt, auch harmlosen Keimen“, sagt Dr. Martin Schlaud. Das Immunsystem wird auf diese Weise angeregt und kann körperfremde Stoffe besser abwehren. Dr. Angela Olze hat eine Kinderarztpraxis in der Schweiz. Von ihren eigenen vier Kindern hat keines Probleme mit Allergien. Und das, obwohl – oder eben weil – zwei Hunde, drei Katzen und alle möglichen Kleintiere in der Familie leben. „Leider gibt es kein Patentrezept, vieles ist genetisch vorprogrammiert. Ich rate zu gesunder, rauchfreier Lebensweise, viel Natur und normaler Hygiene“, sagt Olze, die früher als Assistenzärztin an einer Fachklinik für Allergologie und Stoffwechselkrankheiten in München gearbeitet hat. Normale Hygiene heißt für sie zweimal wöchentlich Hausputz, aber ohne auf Desinfektionsreiniger oder ähnliche „scharfe Sachen“ zurückzugreifen. Bei genetisch vorbelasteten Kindern ist trotz der Hygienehypothese Vorsicht geboten. Deshalb rät auch der Deutsche Allergie- und Asthmabund betroffenen Eltern, die Umgebung ihrer Kinder sauber zu halten und zumindest auf Katzen zu verzichten. Für Juliane Ta Van ist das selbstverständlich. Seit ihrer Kindheit leidet die 21jährige Studentin an Neurodermitis und reagiert außerdem – genau wie ihr Partner – auf Katzen und Pferde allergisch. Weil beide dieselbe Krankheit haben, liegt das Risiko, dass auch ihre einjährige Tochter Mirjam Allergien bekommt, bei 80 Prozent. „Wir haben extra Laminierboden verlegt, weil der leicht sauber endotoxinhaltige Tropfen bekommen. Endotoxin besteht aus Zerfallsprodukten von Bakterien, die sich in Kuhoder Schweinemist finden. Dass der Stoff stimulierend auf Darm und Immunsystem wirkt, ist schon lange bekannt. Jetzt wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob Endotoxin auch zur Allergievorbeugung nützlich ist. Erste Ergebnisse der Studie werden für Mai 2008 erwartet. Auf die Spur der verheißungsvollen Substanz kamen die Forscher, als sie das Umfeld von Kindern untersuchten, die auffallend selten an Allergien erkranken: Besonders viel Endotoxin fanden sie in den Betten von Kindern, die auf bayerischen Bauernhöfen leben. zu halten ist und ich passe sehr auf, was Mirjam isst, weil das ja direkt im Darm landet.“ Der Darm ist Drehund Angelpunkt für die Ausbildung des Immunsystems in den ersten Jahren. Die Forschung auf dem Gebiet der Allergieprävention entwickelt sich ständig weiter. Am Universitätskrankenhaus Charité in Berlin läuft zurzeit eine Studie, bei der allergiegefährdete Kinder in den ersten Lebensmonaten „Meine Welt besteht aus Kot und Urin“ Fünf Therapien, zwei Jahre Krankenhaus – aber immer noch diktiert der Waschzwang den Alltag Von Anita Hirschbeck Ingolstadt – Das Knäuel in ihrer Hand fühlt sich warm an und ein bisschen feucht. Angewidert wirft es Ellie Hauser von sich weg. Die Frau ihr gegenüber fängt den Ballen auf und wirft ihn Ellie wieder zu. So fliegt der unschuldig weiße Lappen eine Zeit lang durch die Luft: hin und her, hin und her. Immer wieder fängt Ellie. Sie muss fangen, auch wenn es sie vor Ekel fast schüttelt. Denn das Knäuel in ihrer Hand ist kein normaler Stoffball. Es ist die Windel ihres drei Jahre alten Sohnes, die er vor wenigen Minuten vollgemacht hat. Dieses sonderbare Ballspiel ist Teil von Ellies Therapie. Sie leidet unter einem Waschzwang. Auch heute noch, 22 Jahre nach diesem ersten Klinikaufenthalt, kann Ellie, die eigentlich anders heißt, ihre Abscheu nicht verbergen, wenn sie das Fangen und Werfen schildert. Auch heute noch beherrscht der Zwang das Leben der 57-Jährigen. Die Angst vor Schmutz, vor Dreck, vor Bakterien, die Angst davor, sich schmutzig zu fühlen. Die Angst vor öffentlichen Toiletten, die Angst vor ihrer eigenen Toilette zu Hause: „Ich komme mit Schmutz in Berührung und fühle mich richtig verseucht. Wenn ich dann zum Beispiel den Tisch anfasse, ist der auch verseucht und so weiter. Das kann ich gar nicht mehr kontrollieren.“ Die größte Angst hat sie vor Ausscheidungen: „Meine ganze Welt besteht aus Kot und Urin.“ Dabei weiß sie genau, dass ihre Umgebung nicht verseucht ist, dass sie selbst nicht schmutzig ist, dass ihr nichts passieren kann, wenn sie ein WC benutzt. Dennoch fühlt sich Ellie schmutzig: „Da geht es mir so elend, dass ich oft gar nicht mehr leben will.“ Einziges Heilmittel: waschen, waschen, waschen. Oft mehrere Stunden pro Tag. „Morgen lasse ich es sein.“ Dass sie unter einem Waschzwang leidet, bemerkte Ellie zum ersten Mal vor 25 Jahren, als ihr Sohn noch ein Baby war. „Beim Wickeln habe ich ihn ganz ausgezogen und genau untersucht, ob sich nicht noch irgendwo ein Urinfleck versteckt hat“, erinnert sie sich und schüttelt den Kopf, als könne sie sich heute selbst gar nicht mehr verstehen. „Danach habe ich mich waschen müssen. Eine ganze Seife habe ich pro Händewaschen gebraucht. Das hat meine Haut schon ganz weiß gemacht, wie eine Wasserleiche.“ Zu dieser Zeit duscht die damals 32Jährige bereits viereinhalb Stunden am Stück. Dennoch plagen sie Zweifel, ob sie auch wirklich sauber genug ist. Ob die Möbel, die Teppiche, die Vorhänge und alles, womit sie in Berührung kommt, auch wirklich porentief rein sind. Oft putzt sie bis spät in die Nacht das Haus. „Mein Mann wollte mir dabei immer helfen. Aber ich habe ihn nicht gelassen.“ Bald leidet auch ihre Arbeit als Chefsekretärin unter dem Zwang. Immer häufiger kommt sie abgehetzt und mit noch nassen Haaren ins Büro, wo große weiße Flecken auf den lami- nierten Möbeln leuchten: Spuren des Sagrotan-Sprays, mit dem Ellie ihr Arbeitszimmer schrubbt. Ihr Chef und ihre Kollegen sprechen sie nie darauf an. Dennoch spürt Ellie bereits zu dieser Zeit, dass ihr Verhalten krankhaft ist. Anfangs versucht sie, sich selbst zur Vernunft zu bringen. „Ich habe mir gedacht: ‚Heute putze ich nochmal alles und morgen lasse ich‘s dann sein.‘“ Doch Ellie wäscht weiter. 1985 geht sie schließlich in die psychosomatische Klinik nach Windach. „Nach 14 Tagen durfte ich unter Aufsicht duschen.“ In Windach behandeln Ellie die Ärzte mit einer speziellen Therapie, dem sogenannten „Flutting“: Der Patient muss das tun, wovor er am meisten Angst hat. Im Fall der damals 35-Jährigen bedeutet das nicht nur, mit der schmutzigen Windel ihres Sohnes Ball zu spielen: „Ich habe mich 14 Tage lang nicht waschen dürfen, auch nicht die Haare! Für die Zähne habe ich nur ein Mundwasser zum Spülen bekommen. 14 Tage lang habe ich dieselbe Kleidung getragen, dieselbe Unterhose. Das war schon hart.“ So hart, dass Ellie sogar an Selbstmord denkt. Doch sie hält die Therapie durch. Zur Belohnung darf sie sich nach acht Tagen die Haare waschen lassen – von einem Friseur, damit sie ihre Hände nicht unter das Wasser halten kann. „Nach 14 Tagen durfte ich schließlich duschen, aber nur unter Aufsicht. Die haben einen nach einer Viertelstunde raus- gezogen, auch wenn man noch voller Schaum war.“ „Ohne die Therapien wäre ich jetzt schon tot.“ Trotz all der Strapazen geht es Ellie nach dem Flutting besser. Sie kann ihren Zwang kontrollieren und hat nicht mehr so viel Angst davor, schmutzig zu werden. Nach fünf Monaten verlässt sie Windach und geht nach Hause. Doch nach kurzer Zeit steht Ellie wieder viereinhalb Stunden am Stück unter der Dusche. Vier Jahre später, im Winter 1989, entscheidet sie sich erneut für eine Therapie, diesmal in der Klinik Roseneck in Prien. „Die verfolgen ein anderes Konzept als in Windach. Die Ärzte in Prien haben mir beigebracht, dass ich nicht nur aus meiner Krankheit bestehe.“ Anstatt den Zwang ständig zu bekämpfen, soll sie versuchen, mit dem Zwang zu leben. „Die Klinik Roseneck hat mich so richtig aufgebaut. Aber eigentlich haben mir alle meine Klinikaufenthalte gut getan. Ich denke, wenn ich die nicht gehabt hätte, dann wäre ich jetzt schon tot.“ Doch Ellie lebt. Es ist ein Leben, in dem sie waschen und putzen und Angst haben muss. Es ist ein Leben, in dem sie als junge Mutter ihren Sohn nur selten auf den Spielplatz oder ins Freibad begleitet, weil es ihr dort zu schmutzig ist. Im Sommer 1990 setzt Ellie die Therapie in Prien fort, 1992 versucht sie es noch einmal in Windach, 2000 ist sie wieder in der Klinik Roseneck. Jeweils fünf Monate dauern ihre Aufenthalte. Fünf Monate, in denen sie lernen soll, von Wasserhahn, Seife und Desinfektionsmittel wegzukommen. Arbeiten kann sie schon lange nicht mehr: Bereits mit 35 Jahren reicht sie die Frührente ein. Als Ellie mit 40 Jahren an Brustkrebs erkrankt, hat sie mehr Angst vor den Bakterien im Krankenhaus als um ihr Leben. „In einem Krankenhaus ist alles verseucht. Also bin ich von Pontius zu Pilatus gefahren, zu allen Spezialisten und Heilpraktikern. Ich hätte alles gemacht, damit ich nicht ins Krankenhaus muss.“ Erst nach zwei Jahren lässt Ellie den Brustkrebs in einer Klinik operieren, in der sie Therapeuten während ihres Aufenthalts begleiten und unterstützen. Heute ist Ellie 57 Jahre alt. Wenn die Frau mit den kinnlangen blonden Haaren und dem säuberlich aufgetragenen roten Lippenstift einkaufen geht, bringt sie kaum mehr als eine Packung Brot mit nach Hause – eingewickelt in steril glänzendes Cellophan-Papier. Kartoffeln kann sie nicht anfassen, weil die aus dem Boden wachsen. Vor Eiern hat sie Angst, weil sie Salmonellen übertragen könnten. Das Kochen übernimmt Ellies Mann – wie fast alles andere auch. „Mein Mann ist der Einzige, der mich voll und ganz versteht“, sagt sie und fügt hinzu: „Den Waschzwang können ja nicht mal die Ärzte verstehen.“ Ob sie glaubt, dass sie den Zwang jemals los wird? „Nein“, antwortet Ellie prompt. „Dazu bräuchte es schon ein Wunder.“ L klarbedarf L v ·· funf Öl-Schmuggler auf Tour Wie gründlich Unterfrankens Deponien kontrollieren – ein Erfahrungsbericht Von Christina Back und Diana Pfister So klar wie hier kommt das Eichstätter Wasser nicht immer aus den Rohren. Foto: Ali Atabi Hahn auf, Brühe raus Schadet das Eichstätter Trinkwasser der Gesundheit? Von Ali Atabi Eichstätt – Es gurgelt. Dann spritzt braunes Wasser aus der Wasserleitung. „In Eichstätt sollte das Leitungswasser nur durch die Toilette in die Kanalisation rauschen“, kommentiert die Studentin Mariella Settele. Nicht nur Mariella beschwert sich: Von circa 60 befragten Eichstätter Studenten haben mehr als die Hälfte das gleiche Problem – und das beschränkt sich nicht nur auf Studentenwohnheime. Auch Eichstätter Bürger stellen fest, dass das Wasser verschmutzt ist: „So sauber wie es einmal war, ist es leider nicht mehr“, sagt der 73-jährige Rentner Bernhard Huber. Doch während sich die Leute beschweren, beteuern Stadtwerke und Gesundheitsamt, dass das Eichstätter Trinkwasser in Ordnung sei. Seit 2001 gewinnt die Stadt Eichstätt ihr Leitungswasser aus neun Brunnen in drei Wasserschutzgebieten im Altmühltal: Pfünz, Landershofen und Wasserzell. Die Eichstätter Kunden verwenden dieses Wasser so, wie es aus dem Boden kommt, ohne Aufbereitung und ohne Desinfektionszusätze. Auch Ingolstadt bezieht sein Wasser wie Eichstätt aus der Tiefe – es kommt sogar aus dem Altmühltal – doch dort fließe es nicht braun aus der Leitung, erzählen befragte Studenten. „Das Wasser entspricht bis zum Wasserzähler immer der Trinkwasserverordnung.“ Die Mitarbeiter der Stadtwerke Eichstätt nehmen alle 14 Tage Wasserproben. Von den Brunnen bis zum Hausanschluss wird das Trinkwasser mit Hilfe eines aufwendigen Verfahrens untersucht. Diese Untersuchungen werden vom Staat zur Sicherung der Qualität verlangt und sind genau vorgegeben. Die Werte der aktuellen Proben vom 10. September 2007 bis zum 15. November 2007 entsprechen den Vorschriften. Auch die Geographiedoktoranden der Katholischen Universität haben für ihre Forschungszwecke das Eich- stätter Wasser untersucht. Allerdings haben sie ihre Proben nicht den Brunnen, sondern den Grundwasserquellen entnommen. Die untersuchten Proben weisen kritische Mengen von Atrazin und Nitrat auf. Wie hoch diese Mengen genau sind, darf aber vor Abschluss der Forschungsarbeit nicht bekannt gegeben werden. Atrazin ist ein Pflanzenschutzmittel, das früher beim Maisanbau verwendet wurde. Mittlerweile ist es in Deutschland verboten, aber seine Rückstände sickern nach und nach ins Grundwasser – und kleine Teile durch die Erde schlussendlich auch in die Brunnen, aus denen das Eichstätter Trinkwasser gewonnen wird. Helmut Zecherle, Betriebsleiter für Wasser- und Gasversorgung bei den Stadtwerken, kennt die zwei Stoffe als Hauptprobleme des Wassers im Altmühltal. Doch er gibt Entwarnung: „Der Grenzwert für Atrazin ist mit 10 Mikrogramm pro Liter relativ eng gehalten, aber diese 10 Mikrogramm pro Liter unterschreiten wir in den Brunnen auch immer.“ Der andere problematische Stoff, Nitrat, wurde in der Landwirtschaft zur Düngung verwendet. Im Wasser ist der Nitratwert auf ein Maximum von 50 Milligramm pro Liter festgesetzt. Im Eichstätter Wasser sei weniger als die Hälfte davon, sagt Zecherle. „Die beiden Stoffe wären gesundheitlich bedenklich, wenn die Grenzwerte überschritten werden würden – werden sie aber nicht. Das Wasser entspricht bis zum Wasserzähler immer der Trinkwasserverordnung.“ Für Zecherle liegt der Grund für das braune Wasser ganz woanders: „In vielen Gebäuden sind alte Leitungen eingebaut, die einen relativ großen Durchmesser haben, durch die aber wenig Wasser durchfließt. Dadurch kann in der Leitung Rost entstehen. Wenn dieser Rost – in Verbindung mit einem gewissen Anteil Kalk – durch die Leitung gespült wird, gibt das dann die braune Färbung.“ Grundsätzlich sei diese Färbung nicht gefährlich, weil das Wasser auch damit immer noch der Trinkwasser- verordnung entspreche. Es sei aber nicht zu empfehlen, das Wasser so zu trinken. „Es sieht weder gut aus, noch wird es so gut schmecken, wie man es gewohnt ist“, sagt Zecherle. Er empfiehlt, das Wasser einfach ein paar Minuten laufen zu lassen, bis es wieder klar aus der Leitung kommt. Dann sei es wieder trinkbar. „Die meisten Wasserrohre in Eichstätt sind um die 23 Jahre alt. Die ältesten allerdings schon 50 Jahre.“ Mariella, die Studentin, war trotzdem skeptisch. Sie hat beim Gesundheitsamt in Eichstätt angerufen und gefragt, ob das Wasser schon einmal so untersucht wurde, wie es aus der Leitung kommt. Der Mitarbeiter des Gesundheitsamts gab ihr eine überraschende Antwort: „Er meinte, es sei ihm nicht bekannt, dass je Probleme aufgetreten wären. Er könne mir höchstens jemanden vorbei schicken, der sich das Wasser mal ansieht.“ Von diesem Angebot wird sie auch Gebrauch machen. Zu einer Aussage darüber, wie gut die Qualität des Eichstätter Trinkwassers ist, war das Gesundheitsamt nicht bereit. Die meisten Wasserrohre im rund hundert Kilometer langen Netz der Eichstätter Stadtwerke sind um die 23 Jahre alt. Die ältesten wurden allerdings vor etwa 50 Jahren installiert – regulär müssen Wasserrohre nach diesem Zeitraum erneuert werden. Die Leitungen würden mit den Jahren nach und nach streckenweise ausgetauscht, sagt Zecherle. Die Instandhaltung des Netzes hinter den etwa 3 000 Hausanschlüssen ist aber Sache der jeweiligen Eigentümer. „Das Wasser in Eichstätt entspricht bis zum Wasserzähler immer der Trinkwasserverordnung“, beteuert Stadtwerke-Mitarbeiter Zecherle. Die Eichstätter Bürger beruhigt das nicht: „Es fließt schmutziges Wasser aus der Leitung“, sagen sie. Bis das Gesundheitsamt Auskunft über die Folgen des braunen Wassers gibt, bleiben die Zweifel der Bürger, ob das Leitungswasser in dieser Stadt trinkbar ist. Schweinfurt – Das Echo kommt gleich dreifach zurück. Hier würden 150 000 Zuschauer Platz finden. Es fehlen nur noch die Löwen, die zähnefletschend über die Gladiatoren herfallen. Stattdessen krebsen drei Bagger, winzig wie Spielzeugautos, in dem atemberaubenden Abgrund herum. Der ehemalige Steinbruch, der heute als Ablagerungsstätte für nicht wieder verwertbaren Abfall dient, ist das Erste, das auffällt, wenn man sich der Deponie Wirmsthal im Landkreis Bad Kissingen nähert. Das Zweite ist das große, weiße Schild mit der Aufschrift „HALT KONTROLLE.“ Wir fühlen uns wie Gesetzesbrecher: Schaffen wir es, die Bestimmungen zu umgehen und den Deponieangestellten unsere drei Ölfässer im Kofferraum anzudrehen? Wir wollen herausfinden, wie ernst es Unterfrankens Deponien mit ihren Vorschriften nehmen: Ein Test soll zeigen, ob es möglich ist, geschlossene Fässer mit unbekanntem Inhalt ohne Kontrolle in die Deponien zu schmuggeln. Daher fahren wir mit zwei leeren und einem mit fünf Litern Altöl gefüllten Fass zu drei Deponien. Alle drei dürfen zwar unsere Fässer, jedoch nicht das Altöl annehmen. Denn generell kann Altöl, das beispielsweise während des Ölwechsels beim Auto anfällt, kostenlos an den Hersteller zurückgegeben werden. Wir reißen die Türen des kleinen Opel Corsa auf, um dem beißenden Geruch der Altölfässer zu entkommen. Doch genauso unangenehm ist der modrige, faulige Gestank der Deponie Wirmsthal, der uns beim Aussteigen entgegenschlägt. Selbst die Kiefern am Eingang scheinen darunter zu leiden und lassen traurig ihre Äste hängen. Ein hagerer alter Mann mit Brille, der an der Pforte sitzt, begrüßt uns unfreundlich und schiebt muffig seine Zeitung zur Seite. „Was für Fässer habt ihr denn?“, knurrt er. „Metallfässer?“ Nein, die nimmt er nicht. Er winkt sofort ab und verweist uns an den nahe liegenden Wertstoffhof. Fässer, ganz gleich welchen Materials und Inhalts, gehören nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. Ohne ein Wort des Abschieds zieht er sich in sein Büro zurück. Doch unseren Test hat er einwandfrei bestanden. Na gut, dann auf zur nächsten Deponie! Ein prüfender Blick in den Kofferraum Mittlerweile ist es Mittag, die Sonne schafft es zwischendurch auch einmal, durch die grauen Wolken zu brechen. Die Kreismülldeponie Rothmühle bei Schweinfurt wirkt unscheinbar. Container oder Müllgruben sind eingangs nicht zu sehen. „Wir hätten drei Fässer zum Abgeben.“ „Fahren Sie mal bitte auf die Waage, ich schaue sie mir mal an“, entgegnet uns der Deponieangestellte. Er wirft einen prüfenden Blick in den Kofferraum, ruckelt an den einzelnen Fässern und nimmt eine Geruchsprobe. Das eindeutige Schwappen in einem der Fässer verrät uns: „Nein, so kann ich die auf keinen Fall annehmen.“ Selbst als wir auf die Tränendrüse drücken und vorgeben, nicht zu wissen, wo wir die Fässer sonst entsorgen können, lässt sich Wiegemeister Lorenz Reichert nicht erweichen: „Es geht einfach nicht, da könnte ich großen Ärger bekommen.“ Wir merken, dass er seine Arbeit nicht erst seit gestern macht und klären die Sache auf. Fast scheu tritt er einen Schritt zurück und mustert uns mit ganz neuen Augen: „Da wär’ ich ja nie drauf gekommen.“ Bei den Stichwörtern „Journalistinnen“ und „Zeitung“ erwacht plötzlich die Neugierde der Putzfrau, die ein paar Meter entfernt steht und nun – um auch wirklich alles mitzubekommen – das schon glänzende Fenster des Pförtnerhauses ein zweites Mal putzt. Kein Einzelfall Im Gespräch mit Wiegemeister Reichert stellt sich heraus, dass wir nicht die Ersten sind, die versuchen, Substanzen wie Lacke, Pestizide oder Säuren in der Deponie abzugeben: „Es gibt immer welche, die es probieren. Und wenn sie bei uns auf Granit beißen, landet das Zeug oft in der Umgebung“, erzählt der 41-Jährige, der schon seit 1986 an der Rothmühle arbeitet. „Auch für unsere Deponie gibt es keine Garantie, aber falls doch etwas übersehen wird, gibt es den Doppel-Check: An den einzelnen Containern stehen nochmals Kontrolleure.“ Ein Dutzend Autos wartet mittlerweile hinter uns. Bevor die ersten Ungeduldigen zu hupen beginnen, verlassen wir eilig das Gelände und machen uns auf den Weg in Richtung Karlstadt, zur dritten Testdeponie. Hier stehen gleich hinter der Eingangspforte an die zwanzig orange Container. Und auch hier winkt uns der Pförtner zunächst einmal auf die Waage. In aller Seelenruhe umrundet er unser Auto, öffnet den Kofferraum, ruckelt und riecht an den Fässern. Sein Lehrling, Ebenbild des Tokio-HotelSängers Bill, schaut ihm dabei interessiert über die Schulter. Wieder verrät uns das schwappende Geräusch des Altöls: „Dieses Fass kann ich nicht annehmen, das muss an den Hersteller zurück“, erklärt uns der Deponiewart. Ob da denn gar nichts zu machen sei? Doch der Deponiewart bleibt stur: „Es gibt gewisse Spielregeln, an die ich mich halten muss“, schmettert er einen zweiten Überredungsversuch ab. Wir lösen den Test auf: „Herrschaftszeiten!“, flucht der Deponiewart überrascht. Er weicht zwar unseren Fragen aus, verrät uns aber dennoch, dass es auch an dieser Deponie in regelmäßigen Abständen vorkommt, dass die Leute versuchen, zu betrügen. Bei ihm funktioniert das nicht, aber er kann sich, so sagt er, „durchaus vorstellen, dass es an anderen Deponien mit Bestechung klappt, gewisse Substanzen loszuwerden.“ Eine Lektion für den weiteren Berufsweg Wir sind zufrieden: Zumindest die Mitarbeiter unserer drei Testdeponien haben sich an die Bestimmungen gehalten und unser Altölfass abgelehnt. Gut gelaunt verabschieden wir uns von Wolfgang Endres und seinem Lehrling. Der hat heute wohl eine Lektion für seinen weiteren Berufsweg gelernt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Vor allem bei zwei scheinbar unschuldigen Mädchen mit Fässern im Kofferraum. sechs v porno Fetisch 2.0 Das Internet als Plattform für eigenwillige sexuelle Vorlieben: ein Streifzug durch die Höschenszene Von Andreas Nefzger Eichstätt – Schon seit Stunden schweifen Thomas‘ Gedanken immer wieder ab. Seine Vorfreude steigt noch einmal, als die Hupe dröhnt und ihn in den Feierabend entlässt. Zu Hause angekommen, liegt das ersehnte Kuvert bereits im Briefkasten. Darin ein roter Damenstring, bedruckt mit einem geflügelten Herz und mit Strasssteinen besetzt. Thomas hält sich den Schlüpfer unter die Nase und atmet tief ein. Thomas saugt den Duft des Damenslips tief in sich ein, immer wieder. Er malt sich aus, was passierte, als der Slip noch im Schritt seiner ehemaligen Besitzerin saß. Dann leckt er an dem Wäschestück. Wenig später onaniert er. Riechen, kosten, träumen, onanieren: Das sind die vier Komponenten, die Thomas sexuelle Vorliebe umreißen. „Wenn ich mir die feuchte Spur unter die Nase halte und den Duft direkt einatme, dann löst das Glücksgefühle und erotische Gedanken bei mir aus“, erklärt der 30-Jährige. Seit etwa sieben Jahren kauft sich der ledige Schichtarbeiter im Schnitt alle zwei Wochen ein neues Exemplar – online, ohne großen Aufwand vom heimischen Rechner aus. Es gibt fast keine Vorliebe, die so exklusiv ist, dass man im OnlineDschungel keinen Club dazu findet. Die Höschenfreunde machen hier keine Ausnahme. Wo früher Kleinanzeigen den Kontakt herstellten, ist man heute mit wenigen Mausklicks am Ziel. Die Szene bleibt allerdings schwer zu überblicken. Die Zahl der privaten Anbieterinnen verliert sich in den Untiefen des World Wide Web. Die übrigen Wäschemäuse, wie sie in der Szene heißen, sind in einer Handvoll größerer Online-Portalen organisiert, die auf den ersten Blick wie gewöhnliche Internet-Versandhäuser wirken: Jedes Mädchen hat seinen eigenen Shop, in dem es seine Waren feilbietet. Die Kunden können die Händlerinnen bewerten, etwa nach Versandabwicklung oder Kontaktfreude – oder eben nach Geschmack. In der Grundausstattung kostet ein getragenes Höschen etwa zehn Euro. Im Feintuning kann der Käufer auf einer Art Checkliste Extrawünsche äußern: zusätzliche Tragetage, Menstruationsspuren, Orgasmus. Als beliebte Beilagen gelten auch Urin- oder Fäkalspuren. Oder wie es im Fetischjargon heißt: Natursekt und Kaviar. Jenny liegt bäuchlings auf dem Bett, die Beine angewinkelt in die Luft gestreckt. Die Absätze ihrer hochhackigen schwarzen Stiefel ragen wie zwei Stacheln bedrohlich hervor. Das knappe schwarze Lackkleid bedeckt gerade so ihr Hinterteil. Ihre bestiefelten Beine spannen in Reihe vier Tangas übereinander: weiß, rosa, weiß, babyblau – die Ware. Jenny ist eine Wäschemaus. Bis vor kurzem gehörte der rote String, den nun Thomas sein Eigen nennt, noch ihr. Erotische Fotos gibt es zahlreiche auf ihrer privaten Website, wo sie getragene Unterwäsche und noch allerhand mehr Fetischbedarf umschlägt. Ihr Gesicht ist auf keiner Aufnahme zu sehen. In diesem Leben hat Jenny kein Gesicht. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. An christlich-abendländischen Maßstäben gemessen, führt Jenny jenseits ihres Onlinegeschäfts ein anständiges Leben: 30 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, zwei Hunde, solider Beruf. Selbst der Name Jenny ist lediglich ein Pseudonym, hinter dem sich die junge Frau im Internet versteckt. Auch wenn sie die 300 bis 400 Euro, die ihr der Onlinedienst monatlich einbringt, gerne annimmt: Nötig hat sie das Geld nicht. Ihr geht es um Erregung. Um Selbstbestätigung. Um Spaß. Unter Fetischismus versteht man im weitesten Sinne eine sexuelle Fixierung auf Objekte. Der Bandbreite sexueller Vorlieben sind dabei keine Grenzen gesetzt: Die Palette reicht von Lederwäsche über Windeln bis hin zu Körperflüssigkeiten. Eigentlich könne alles für irgendjemanden zum Fetisch werden, erklärt Erwin Häberle, Leiter des Magnus-Hirschfeld-Archivs für Sexualwissenschaft an der HumboldtUniversität Berlin, in seinem Kritischen Wörterbuch zur Sexualwissenschaft. Lange Zeit galt Fetischismus als krankhafte Störung. Noch heute wird Fetischismus im Internationalen Krankheitscode als „Stör ung der Sexualpräferenz“ beschrieben. Von dieser Sichtweise haben sich moderne Sexualwissenschaftler wie Erwin Häberle längst verabschiedet. Sie begreifen Fetischismus als Spielart der menschlichen Sexualität. Erst wenn die jeweilige Person unter ihrer Neigung leidet oder wenn sie aufgrund ihres Fetischismus keine sexuelle Beziehung zu anderen Menschen aufbauen kann, gilt die Vorliebe als behandlungsbedürftig. Als Thomas auf einer Party ist – damals noch ein Teenager und keine Ahnung vom Höschenfetischismus – sieht er einen Slip auf dem Toilettenboden liegen. Er räumt ihn weg. Einfach so. Damit er aufgeräumt ist. Wenig später riecht er zufällig an seiner Hand. Und ihm gefällt, was er riecht. Jahre danach kauft er sich seinen ersten Computer, stößt auf einschlägige Internetseiten, erinnert sich an die Party und kauft den ersten Slip. Thomas ist zufrieden mit sich. Er ist Single, aber es mangelt ihm nicht an Kontakt mit Frauen. Sein Sexualleben erfüllt ihn. Wenn er mit einer Frau zusammen ist, spielt der Fetisch keine Rolle. Aber er weiß, dass viele Leute Menschen wie ihn für pervers halten. Thomas sieht sich selbst nicht als unnormal oder krank. „Ich bin nur anders“, sagt er. Oliver Petereit ist ein bekannter Mann in der Höschenszene: Ihm sichern die getragenen Unterhosen den Lebensunterhalt. Petereit betreibt eine Internetseite, die mit rund 3 000 Besuchern täglich als die größte Seite ihrer Art gilt. Wer Wäschemäuse für Schwalben auf den Bordsteinen des Internets hält, könnte Petereit einen Zuhälter nennen. Knapp 60 Mädchen, zum Großteil Schülerinnen, Studentinnen und Hausfrauen, die sich etwas dazu verdienen wollen, bietet er derzeit eine Plattform für ihre Schlüpfer-Geschäfte. Und kassiert dafür 35 Prozent Provision. „Ich hab keinen Ferrari vor der Tür stehen“, sagt er. „Aber es ist ein Konzept, das funktioniert.“ Der Markt entwickelt sich schnell. Ursprünglich träumte Petereit von einem globalen Höschen-Imperium: Ein brasilianischer Kunde sollte Schlüpfer bei einer japanischen Anbieterin kaufen können. Inzwischen hat er sich von diesem Traum entfernt – die Höschen würden auf dem Weg über den Pazifik an Frische verlieren. Den europäischen Raum hat Petereit bereits weitestgehend abgedeckt. Jenny würde nie für Oliver Petereit arbeiten, für sie ist er der personifizierte Kommerz. Dennoch versteht sie die Mädels, die sich in seine schützenden Hände geben: Nicht selten drohten unvorsichtig en Wäschemäusen nämlich Ärger mit den Sittenwächter n oder dem Finanzamt. Die ganze Szene bewegt sich laut Jenny auf wackligem Grund: „Jede Wäschemaus verstößt gegen das Seuchenschutzgesetz.“ Diese Sorge plagt auch Oliver Petereit. Er befürchtet, dass ihm ein spitzfindiger Staatsanwalt das Geschäft verderben könnte. Beim Robert-Koch-Institut in Berlin, der zentralen Einrichtung des Bundes für Seuchenschutz und Gesundheit, schlägt man solche Befürchtungen in den Wind. Pressesprecherin Susanne Glasmacher hält die Thematik nicht für ein relevantes Problem des Seuchenschutzes. Urin sei ohnehin steril, und über Stuhlgang könne höchstens Brechdurchfall übertragen werden. Zwar sei die Auslegung der Gesetze im Einzelfall Ländersache, generell gelte aber: „Jeder kann mit seinem Stuhl machen, was er will.“ Oliver Petereit geht auf Nummer sicher: Er weist seine Kunden darauf hin, dass die Ware nicht zum Verzehr geeignet ist. * Name von der Redaktion geändert Bilder: privat Nur für den Fotografen: Jana Bach ausnahmsweise mal von hinten. Ohne Orgasmus kom Pornostar Jana Bach über Blümchense Von Tanja Limmer und Nico Brugger München – Die Container-Redakteure Tanja Limmer und Nico Brugger treffen Jana Bach bei einer Autogrammstunde in München. Der Pornostar ist 28 Jahre alt, 1,58 Meter klein, dafür aber groß im Geschäft. In Deutschland zählt Jana Bach zu den bekanntesten Darstellerinnen und moderiert regelmäßig bei Premiere das Erotikmagazin Beathe-Uhse-TV. Fans der „Bloodhound Gang“ dürfte sie vor allem durch ihre Live-SexShow auf deren Musik-Bühne ein Begriff sein. Zu sehen war sie in zeitlosen Klassikern wie „Ooooops…ich bin ein Pornogirl“, „Popp oder Hopp – das Live-SexSpiel“ oder „Hard Sex Café“. Container: Einen Bäcker würde ich fragen, wann er die letzten Brötchen gebacken hat. Wann hattest du das letzte Mal Sex? Jana (lacht): Oh je, das glaubt ihr mir jetzt bestimmt nicht. Es war, hm, vor zwei Monaten bei meinem letzten Dreh. Irgendwie habe ich da gar keine Zeit mehr dazu. Und ich bin sehr wählerisch. Erzählt das ja nicht meinen Fans da draußen, aber ich glaube, fast jeder hat mehr Sex als ich. Kann man sagen, dass du dich hochgeschlafen hast? Nein, auf keinen Fall. Ich hatte niemals Sex mit Produzenten, nur um bessere Gehälter zu bekommen, sonst würde ich vielleicht heute auch mehr verdienen. Aber vor der Kamera habe ich natürlich immer alles gegeben… Wie läuft ein typischer Drehtag ab? Meistens bin ich so von zehn bis zwölf Uhr in der Maske. Danach wird der Ablauf durchgesprochen. Zuerst drehen wir den Dialog, und dann geht’s los. Wir machen aber nie mehr als eine Szene pro Tag. Und da beträgt die reine Sexzeit circa eine Stunde. So lange muss der Mann auch mindestens durchhalten. Was fühlst du während des Drehs? Es herrscht eine heiße, prickelnde Atmosphäre, das ist schon erregend. Allerdings gibt es immer wieder Cuts zwischendrin, das ist natürlich hinderlich, wenn man gerade richtig in Stimmung ist. Natürlich ist da auch immer viel Show dabei, weil man auf seinen Gesichtsausdruck aufpassen muss, auf das Licht und wie man sich am Besten der Kamera präsentiert. Aber mit Liebe hat das alles nichts zu tun. Bist du wirklich erregt dabei? Schon, es ist halt nicht so explodierend, wegen der Cuts, aber ich sage immer: Ohne Orgasmus kommt keiner vom Set! Gibt es Praktiken, die du nicht m würdest? Ich mache kein Anal, eigent Maso habe ich ausprobiert, ab da mit total rot geschlagenem nicht wehtun, weil er mir so Le Hast du dich je schmutzig gefühlt? Gar nicht, weil ich mir die D immer selber aussuche und nic Danach fühle ich mich aber im Mit welchen Augen siehst du die M Filme ansehen? Ich mach mir da keine Gedan allerdings, wenn Ex-Freunde ansehen würden. Ekeln dich die Leute bei Live-Show anfassen? Nein, nicht alle. Ich teile sch angefasst werde, obwohl ich e einen Security dabei, aber ich dagegen zu machen, wenn m kommt. Ansonsten kenne ich Fans, die mir hinterherreisen machen. Was muss man denn als männlicher Na, auf jeden Fall lange durch Wie viele Männer hattest du schon? Ich habe eine Liste, die ich ab 30 Drehpartner sind es ungef Fall mehr. Hast du Angst vor Geschlechtskran Ich persönlich drehe nur mit also getestet sind auf HIV, H und Chlamydien. Ansonsten zwar nicht gern gesehen, abe bestehen. Werden in der Branche auch Droge Ich glaube, ich bin die einz auskommt. Ich trinke nicht, r sonst nichts. Aber da bin ich koksen, kiffen oder brauchen hen zu können. orama v Sieben Wenn der Stier dem Stück was stöhnt Wer dirty talkt, liebt Bettgeflüster mit deftigen Ausdrücken Von Thomas von Eichhorn Foto: Inflagranti mmt keiner vom Set x, Drogen und Männer der alten Schule machst, beziehungsweise nie machen tlich nur Blümchensex. Sadober ich konnte dem Typen, der m Rücken vor mir lag, einfach eid tat. Darsteller und Darstellerinnen chts mache, was ich nicht will. mmer ziemlich müde… Männer und Frauen, die sich deine nken drüber. Schräg fände ich von mir sich meine Pornos ws an? Gerade, wenn die dich einfach hon mal Fäuste aus, wenn ich es nicht will. Ich hab zwar oft h traue mich auch selber was mir jemand ungefragt zu nahe h die Leute fast alle. Das sind n. Sonst würde ich das nicht r Pornodarsteller alles können? hhalten. ? ber leider nicht dabei habe. So fähr. Privat sind es auf jeden nkheiten? Partnern, die Volltests haben, Hepatitis C, Syphilis, Tripper n nur mit Gummi. Das wird er man sollte einfach darauf en konsumiert? zige weltweit, die ganz ohne rauche nicht und nehme auch h wirklich eine Rarität. Viele n zwei Flaschen Sekt, um dre- Du warst vor deiner Karriere Justizbeamtin und ärztliche Schreibkraft im Sekretariat eines Krankenhauses. Jetzt bist du Pornostar und verdienst bestimmt Geld ohne Ende…? Tut mir leid, über Geld wird nicht gesprochen. Aber ich verdiene heute mindestens das Fünffache im Vergleich zu früher. Ich habe einen Exklusiv-Vertrag bei meiner Produktionsfirma und bekomme zusätzlich für alle Auftritte und Shows noch Gagen. Einmal Sex mit einem Pornostar… – Ich wäre der König unter den Männern. Wie kann ich es denn schaffen, dich rumzukriegen? Du musst ein Mann der alten Schule sein… Das heißt, ich öffne dir die Türe und du die Beine? (lacht) Nein, ganz so einfach ist es natürlich auch nicht. Du darfst nicht zu direkt sein, musst dich aber im richtigen Moment was trauen. Und das Allerwichtigste natürlich, ich muss deinen Geruch mögen. Bei mir geht nämlich ganz viel über die Nase. Was war dein außergewöhnlichster Sex-Ort? Oh, ich denke mal in einer Wichs-Kabine eines Sexshops. Das war nach einer After-Show-Party und wir konnten beide nicht mehr warten bis wir zuhause sind. Wie viel Sex brauchst du? Da bin ich ganz normal. Weder frigide noch Fräulein Nimmersatt. Wie reagieren deine Eltern und Verwandten auf deinen Job? Die dachten erst, ich mache einen großen Witz. Ich habe es meinen Eltern erzählt, bevor ich mich beworben habe. Später habe ich meine Mutter mal mit in die Firma genommen – es gibt ja auch bei uns ganz normale Büros, wie Marketing und so. Meine Eltern haben gelernt, damit umzugehen. Wie sehen deine Zukunftspläne aus? Also Oma-Pornos würde ich nie drehen, das finde ich nicht ästhetisch. Immer zu drehen würde auch langweilig werden. Möchtest du später eine Familie gründen? Familie ist mir superwichtig und ich will auch einmal eine haben. Wann wird dein nächster Sex sein? Beruflich denke ich spätestens im Januar. Privat kann das jederzeit passieren. Ich bin Single und kann machen was ich will. Und wenn ich Lust habe und sich was Nettes ergibt, sag ich bestimmt nicht nein. Korbach/Würzburg – Ein Mann und eine Frau. Ein Schlafzimmer. Unter das Röhren und Grunzen mischen sich deftige Ausdrücke wie „Öffne deine feuchte Fickritze, Schlampe!“, „Lass mich deinen Fotzhobel verschlingen!“, „Alice, komm’ ins geile Wunderland!“, oder rammsteinesk anmutende Anweisungen wie „Waffe hoch!“ oder „Bück dich!“. So schaukeln sich die Sexualpartner gemeinsam hoch – bis zum Höhepunkt. Der neudeutsche Name für dieses Phänomen: „Dirty Talking“, zu deutsch „schmutziges Sprechen“. Ob spitz, streng, keuchend oder hauchend – Hauptsache, die dabei ausgespuckten Töne klingen stimulierend. Und schmutzig. Laut Klaus Heer, Schweizer Psychologe, Paartherapeut und Autor des Buches „WonneWorte“, hat der Mensch nicht immer während des Sexualaktes unanständige Worte gegrunzt: „Evolutionär betrachtet sind wir im Bett eine stumme Spezies.“ Heutzutage aber sei Sprachlosigkeit sowohl im Bett als auch in Beziehungen eher Ausdruck einer Unsicherheit. Von vollkommener verbaler Zügellosigkeit hält Heer aber nichts. Es sei ein Widerspruch, sich zu lieben und sich zugleich dreckige Wörter an den Kopf zu werfen. „Sexualität ist ein Organismus, der Pflege und Zuwendung braucht; eigentlich ist die Sexualität wie ein Baum, den man ständig schneiden muss, sonst macht er, was er will, und degeneriert. Sie ist ein Garten, der gepflegt werden muss, weil er sonst im Unkraut untergeht.“ „Entweder Dirty Talking nutzt sich ab, oder man muss die Dosis steigern.“ Heer unterstreicht, dass Dirty Talking vor allem eine männliche Domäne ist. Es sei durch Pornofilme salonfähig geworden, sei sozusagen die „domestizierte Form pornographischer Tonspur“. Unredlich wird es, wenn der Mann – streng gemäß der Porno-Logik – versucht, mit Hilfe von Worten eine Übermacht zu erreichen, um sich die Frau gefügig zu machen: „Diese bellenden Sprachfetzen unterstreichen das Machtgefälle.“ Dirty Talking sei „schmutzig im Sinn von abwertend gegenüber der Frau“ und „schränkt die ganze Breite erotischer Phantasie auf deren dreckige Rückseite ein“. So etwas habe ein kurzes Haltbarkeitsdatum: „Entweder es nutzt sich ab, oder man muss die Dosis steigern.“ Dass Dirty Talking nicht unbedingt auf Kosten der Frauen geht, zeigt eine repräsentative Studie aus dem vergangenen Jahr, die die Männerzeitschrift „Men’s Health“ in Auftrag gegeben hat: Laut der Studie erwägen immerhin 94 Prozent der Frauen zwischen 18 und 39 Jahren Dirty Talking, um ihr Sexleben wieder anzukurbeln. Wer mit Frauen ins Gespräch kommen will, die Gefallen an Dirty Talking finden, braucht sich nur in Foren wie „womenweb.de“ umzusehen. Dort diskutieren die Nutzer eifrig über Sexualität und Dirty Talking. „Es macht mir Spaß, ihn den ganzen Tag zappeln zu sehen." Auch die 16-jährige Verena aus Korbach, Fachabiturientin im Bereich Sozialwesen, nutzt das Forum. Sie stieß Freund gefällt, habe ich selbst Gefallen daran gefunden.“ Allerdings achtet sie darauf, dass ein gewisses Maß eingehalten wird: „Ich mag Dirty Talking nicht so sehr hart, ich finde das sonst ein wenig übertrieben – aber wer drauf steht…!“. Ihr Fazit: „Dirty Talking senkt die Hemmungen in einer Beziehung, und es macht Spaß.“ Miriam aus Würzburg ist 22 Jahre alt, studiert Lehramt und hat seit drei Jahren einen Freund, mit dem sie Dirty Talking betreibt – allerdings fast nur per Telefon oder SMS. „Das erhöht le Sau! G durch Zeitschriften auf Dirty Talking und verführte ihren Freund nach etwa einem halben Jahr Beziehung erstmals bewusst mit Worten. Fortan hauchte sie ihm an Orten, „an denen wir es eh nicht treiben können, vielleicht in der Bahn oder auf Familienfeiern“, Sätze ins Ohr wie: „Ich würd’ dich am liebsten vernaschen, deinen Penis mit der Fck mich! Zunge verwöhnen“, „du geile Sau“, „Mein Tiger, hau’ deine Krallen in meinen Rücken“, „Nimm mich, so hart du willst“, „Du bist mein Hengst, ich will deine Stute sein“ oder „Ich stell’ mir grad deinen geilen harten Penis vor, wie er in mich dringt“ So setzt sie ihn noch heute unter Druck: „Es macht mir Spaß, ihn den ganzen Tag zappeln zu sehen und ihn immer weiter zu reizen. Bis zum Abend...“ Anfangs musste Verena für diese Praktik noch Hemmungen überwinden: „Da bin ich mir etwas lächerlich vorgekommen. Aber nachdem ich gemerkt habe, wie sehr es meinem Lass uns machen! die Vorfreude und hält die Spannung aufrecht. Und wenn wir uns dann sehen, erfüllen wir uns gegenseitig die Wünsche, über die wir vorher geredet haben.“ Dirty Talking müsse aber nicht immer zu Sex führen. „Es fängt ja schon manchmal beim Flirten mit zweideutigen Bemerkungen an.“ Der Spaß höre allerdings bei Beleidigungen auf. „Schimpfwörter, die verletzen, sind nicht mal beim Dirty Talking erlaubt.“ Deshalb müsse man auf jeden Fall über solcherlei Grenzen reden. „Vielleicht probiert man dann auch mal Dinge aus, die man sonst nicht gemacht hätte, die aber trotzdem Spaß machen. Das erweitert dann den sexuellen Horizont.“ Miriam bedauert, dass die meisten Deutschen viel zu verklemmt seien, um offen mit ihrer Sexualität umzugehen; das spiegele sich auch bei Dirty Talking wider. Der Psychologe Klaus Heer weiß, woran das liegt: „Das, was den Menschen hauptsächlich vom Schimpansen unterscheidet, ist erstens die Sprache und zweitens die Scham; Schimpansen haben keine Scham, wir haben jede Menge davon.“ „Muschi, ist das eine Katze?" Miriams 45-jährige Mutter Bella ist Bankkauffrau und auch im Forum aktiv. Sie findet Dirty Talking gut, „es darf halt niemanden verletzen“. Das, was gemeinhin als „Dirty Talking“ bezeichnet wird, sei jedoch kein Dirty Talking, sondern Normalität. „Für jeden ist es wahrscheinlich anders.“ In prüden Gesellschaften würden sprachliche Ergüsse beim Sex vermutlich eher als Dirty Talking bezeichnet werden. Ergo: Dirty Talking ist nicht gleich Dirty Talking. Es kann vor Schmutz triefen, aber auch Liebe und Sex in unschmutziger Weise beflügeln. Für Bella heißt das beispielsweise, die Dinge beim Namen zu nennen, anstatt ihnen Kosenamen zu geben: „Muschi, ist das eine Katze? Was ist dabei, Möse oder Schwanz zu sagen?“ Sie plädiert für Ehrlichkeit im Bett und vertritt die These, dass Vergewaltigungen verhindert werden könnten, „wenn man Phantasien hat, die man mit dem Partner einfach verbal und ohne Aufwand ausleben kann“. L acht v L saubermanner Den Mäusen auf der Spur Gel statt Speck: Wie sich der Beruf des Schädlingsbekämpfers wandelt Von Nina Kerker Marktheidenfeld – Mit großen Schritten läuft der Mann durch die Fabrikhalle, vorbei an ratternden Maschinen, auf ein Schild mit rotem Punkt zu, das an der Wand befestigt ist. Vor dem Schild bleibt er stehen, hebt eine weiße, handgroße Box vom Boden, öffnet sie, begutachtet die türkise Paste, die in den Ecken der Box klebt und schüttelt den Kopf: Nein, hier sind keine Spuren zu erkennen. Samir Asyo ist auf der Suche nach Mäusen, Schaben und sonstigem Getier, denn er arbeitet als geprüfter Schädlingsbekämpfer. Die Firma, bei der er seit 15 Jahren beschäftigt ist, schließt Service-Verträge mit Unternehmen aus allen Branchen, von Gaststätten über Lebkuchen-Hersteller bis hin zu Kindergärten. Im Vertrag ist jeweils geregelt, wie oft ein Mitarbeiter vorbeikommt und die Räume auf Schädlingsbefalle kontrolliert. Kontrollgang durch die Fabrikhalle Auch das Unternehmen in Marktheidenfeld, das Haushaltsartikel produziert, besucht Samir Asyo regelmäßig. Heute ist er dort unterwegs, um Mäuseboxen und Schaben-Detektoren zu checken. Ausgerüstet mit Spezialschlüssel und einer unterarmgroßen Spritzpistole, die mit der türkisen GiftPaste gefüllt ist, läuft er durch das Erdgeschoss der zweistöckigen Firma und überprüft jeden der 45 Kontrollpunkte, die an der Wand entlang an strategisch günstigen Stellen angebracht sind. Am Kontrollpunkt 31 wird er fündig: In der Paste in den Mäuse-Boxen sind eindeutig Spuren von Mäusezähnen zu erkennen. „Die tote Maus liegt jetzt wahrscheinlich draußen im Gebüsch“, vermutet der 47-Jährige und füllt mit seiner Spritzpistole die fehlende Paste nach. „Die Stelle ist typisch für Mäusebefall“, erklärt er und weist auf das große Tor direkt neben der Mäusebox. Das Tor ist nur mit einer Plastikplane verdeckt, die nicht ganz bis zum Boden reicht – da verirrt sich schnell mal eine Maus auf der Suche nach Nahrung in die Firmenhalle. Doch Samir Asyo macht sich keine Sorgen: „Man muss wissen, dass Mäuse von Natur aus eher naschen als fressen. Wenn das Gift in fünf Boxen angeknabbert ist, kann das auch von einer Maus sein, die überall ein bisschen genascht hat.“ Er wird die Beobachtung in seinem Bericht vermerken. Solange die Mäuse nicht weiter in die Firmenhalle eindringen, ist es nicht nötig, weitere Fallen aufzustellen und den Außenbereich nach ihren Nestern abzusuchen. 2007 war das Jahr der Nagetiere Trotzdem weiß er, dass man Mäuse nicht unterschätzen darf: In ihrem Kot und Urin tragen sie Bakterien, die für den Menschen gefährlich werden können. Und es gibt in letzter Zeit immer mehr Mäuse: Im vergangenen Jahr war es ein richtiger Boom, den auch Rainer Gsell, Bundesvorsitzender des Deutschen SchädlingsbekämpferVerbandes beobachten konnte. Die Zunahme im Mäuse- wie im Rattenbefall führt er zum einen auf die wärmeren Temperaturen zurück, zum anderen auf die Menschen, die im Vergleich zu früher viel mehr und eine ganz andere Art von Müll produzieren: „Vor 20 Jahren gab es viel weniger Fast-Food-Geschäfte. Und vor jedem liegt eine Unmenge Abfall.“ Außerdem beobachtet Rainer Gsell, dass die Leute auch in der Fußgängerzone immer mehr Essensreste liegen lassen: „Deswegen haben Ratten ein übermäßiges Nahrungsangebot.“ Deutschlandweit gibt es nicht nur mehr Ratten und Mäuse, es treten auch wieder vermehrt Bettwanzen auf, obwohl sie fast schon ausgestorben waren. „Der Schädlingsbefall ist ständig im Wandel. Das sind Zyklen, die kann man nicht so einfach feststellen,“ erklärt Rainer Gsell. „Oft kann man nur im Nachhinein sagen, das war so, aber nicht warum.“ Mit den hygienischen Bedingungen hat das nicht zwingend was zu tun. „Es ist ein Vorurteil zu sagen: Wo Schmutz ist, da sind auch Schädlinge. Das ist Quatsch“, sagt Gsell. Oft wird das Ungeziefer, wie zum Beispiel Schaben, von irgendwoher eingeschleppt und ernährt sich dann von Fettrückständen, die hinter jeder Einbauküche zu finden sind. Zum Glück hat sich das Verhalten der Menschen geändert, wie Samir Asyo betont: „Die Leute sind sensibler geworden. Viele sind sich bewusst: Ist Ungeziefer im Haus, dann ist das bestimmt kein Einzelfall.“ Die meisten kontaktieren dann sofort einen Fachmann. Schädlingsbekämpfung fast ohne Chemie Der klassische Kammerjäger, der dem Ungeziefer mit der Chemiekeule zu Leibe rückt, ist dabei nicht mehr erwünscht, wie Rainer Gsell erläutert: „Gefragt ist nicht mehr der Typ, der im Overall durch die Gegend hüpft und Ratten jagt, sondern ein absolut kompetenter Experte. Heute findet man eher einen Typ mit Laptop.“ Und der verwendet zur Schädlingsbekämpfung statt Chemikalien eher technische Mittel wie zum Beispiel die Flohlichtfalle: Flöhe werden durch das Licht angelockt und bleiben dann an dem Klebstoff in der Falle hängen. Den neuen Bekämpfungsmethoden hat sich auch die Ausbildung angepasst: Seit 2004 ist Schädlingsbekämpfer ein anerkannter Ausbildungsberuf. Konkurrenzkampf am Kamin Das Schornsteinmonopol wird abgeschafft - hält der Gesetzentwurf, was er verspricht? Von Julia Haug Eichstätt – „Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt.“ So lautet Joachim Datkos Leitspruch. Seit dem Jahr 2000 engagiert er sich zusammen mit anderen verärgerten Mietern, Haus- und Wohnungseigentümern in der „Interessengemeinschaft gegen das Schornsteinfegermonopol“ und fordert die Entmachtung der Schornsteinfeger. Obwohl die Bundesregierung einen neuen Gesetzentwurf vorgestellt hat, der das bisherige Monopol der Schornsteinfeger einschränkt, kämpft die Interessengemeinschaft weiter, denn die im Entwurf verankerten Neuerungen gehen ihr nicht weit genug. Auch in Zukunft bleibt die Einteilung in Bezirke bestehen. Der bisherige Bezirksschornsteinfegermeister wird umbenannt in Bezirksbevollmächtigter und kontrolliert, statt selbst auszuführen. Und: Heizungsinstallateure und andere Berufssparten sollen die Arbeiten von Schornsteinfegern nur durchführen dürfen, sofern sie auch eine Schornsteinfeger-Gesellenprüfung abgelegt oder eine vergleichbare EU-Qualifikation haben. Unterstützung in ihrem Kampf gegen das Schornsteinfegermonopol erhält die Interessengemeinschaft auch durch die EU-Kommission, die am bislang geltenden deutschen Schornsteinfegergesetz einiges auszusetzen hat: Es verstößt gegen die europäische Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Das deutsche Kaminkehrerwesen ist weltweit das einzige seiner Art, das sich nicht markt- wirtschaftlich reguliert. Zu spüren bekommt das der Kunde: In festgelegten Abständen muss er von einem festgelegten Bezirksschornsteinfegermeister zu festgelegten Preisen seinen Kamin kehren und die Abgase seiner Heizung messen lassen – obwohl diese Messung bei modernen Gasheizungen gar nicht mehr nötig ist, weil sie ohne gefährliche Überreste arbeitet. Während des Dritten Reiches, als das deutsche Kehrmonopol in seinen Grundzügen eingeführt wurde, sah das noch anders aus. Damals bildeten Verpuffungen und Brände durch Rußansammlungen in Brennern und Kaminen noch eine Gefahr. Obwohl diese Gefahr längst gebannt ist, gibt es heute immer noch 8 000 Kehrbezirke, denen jeweils ein Bezirksschornsteinfegermeister zugeteilt ist. Im Namen des Staates darf dieser sich sogar gegen den Willen des Eigentümers Zutritt zur Wohnung verschaffen. „Die Schornsteinfeger werden weiter abkassieren.“ Jetzt hat die Bundesregierung auf den erhobenen Zeigefinger aus Brüssel reagiert und einen Gesetzentwurf erarbeitet, der zum 1. Juli 2008 umgesetzt werden soll. Neuerungen darin: Der Eigentümer soll die freie Wahl haben, wer kehrt und misst. De facto sind aber nur Gesellen des Schornsteinfegerhandwerks zugelassen. Alle drei Jahre soll der Bezirksbevollmächtigte, wie der Bezirksschornsteinfeger in Zukunft heißen wird, die Arbeit der anderen vor Ort kontrol- lieren. Für die Kunden bedeutet das zusätzliche Bürokratie und Gebühren. Joachim Datko von der „Interessengemeinschaft gegen das Schornsteinfegermonopol“ winkt schon jetzt ab: „Im Grunde wird sich nichts ändern. Die Schornsteinfeger werden weiter abkassieren.“ Er und seine Mitstreiter fordern einen freien Dienstleistungsmarkt, an dem alle Handwerker und Schornsteinfeger teilnehmen dürfen, die ein Zertifikat vom Hersteller des Heizsystems erhalten haben. Lediglich ein einseitiges Formblatt soll die Arbeit bestätigen. „Wir haben nichts gegen Veränderung.“ Achim Heckel vom Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks hingegen sieht im Gesetzentwurf eine Verbesserung: „Von einer Monopolstellung kann man dann nicht mehr sprechen.“ Außer der Kontrolle gehöre dann nur noch die Absegnung neuer Heizungen und Kamine zu den Aufgaben des Bezirksbevollmächtigten. Für die restlichen 85 Prozent der Arbeiten, also zum Beispiel das Kaminkehren oder die Abgasmessung, sollen sogar Schornsteinfeger aus der ganzen EU in den Wettbewerb eintreten dürfen. Schornsteinfeger - andere Berufsstände erwähnt er nicht. Heckel und seine Kollegen schauen frohgemut in die Zukunft. „Wir haben nichts gegen Veränderung.“ In Anbetracht des ebenfalls neuen Gesetzentwurfs zur Feinstaubkontrolle von Holz- und Kachelöfen kann man das verstehen. geschmackssache v neun Kalte Schnauze auf goldener Fährte Nachts findet Spürhündin Kira wertvolle Trüffel. Tagsüber spielt sie Schatzsuche mit Touristen. Von Stefanie Heiß Alba (Italien) – Die Leine ist straff gespannt. Raschelnd, die spitze Schnauze tief im Boden, durchwühlt Kira das Laub. Schnüffeln, suchen, scharren mit den Pfoten. Ständig darauf gefasst, einen Hauch aus Knoblauch, Heu und Honig zu erschnuppern. Ihr weißes Fell leuchtet im Schein der Taschenlampe. „Dai, Kira, dai!“, ermuntert Stefano die Hündin zu suchen und deutet mit dem spitzen Ende seines Wanderstocks zwischen die Wurzeln einer Eiche. Kira schnüffelt, niest, dreht sich weg. Fehlanzeige. Kein Trüffel. Aufgeregt zerrt sie an der Leine und drängt mitten durch dichte Brombeersträucher tiefer in den Wald. Mehrmals pro Woche macht sich Stefano nachts auf Trüffelsuche Fünf Stunden vorher dagegen wirkt Kira eher orientierungslos und verwirrt: Unentschlossen streunt sie im Zickzack über den Waldweg, schnuppert kurz im Laub, wendet wieder. Es ist später Nachmittag, die Sonne strahlt durch das Geäst. Ein halbes Dutzend deutscher Touristen folgt Stefano und Kira mit gespannter Miene in den Wald. Stefano Aprile ist mit 22 Jahren bereits ein erfahrener Trifolau, ein Trüffelsucher. Schon als kleiner Junge hat sein Großvater ihn zur Trüffelsuche mitgenommen. Von September bis Januar macht sich Stefano mehrmals pro Woche nachts mit seinem Hund in den Wäldern von Alba auf die Suche nach den edlen Pilzen, die er in seinem Feinkostladen verkauft. Die weltberühmten weißen Trüffel locken jährlich tausende Feinschmecker in die kleine Stadt im italienischen Piemont. Als besondere Attraktion bietet Stefano deshalb nebenbei nachmittags geführte Trüffelsuchen für Touristen an. „Dai, Kira, dai“, versucht er die Aufmerksamkeit der Hündin auf die Nach Trüffeln schnüffeln: Kira wühlt sich durchs Unterholz. Das Müll-Buffet Junge Leute containern Lebensmittel, die Supermärkte wegwerfen Von Julia Kuhbandner Germering – 23:45 Uhr an einem Mittwochabend im Münchner Vorort Germering. Vier dick eingemummelte Gestalten stehen hinter einem Supermarkt im Licht einer Neonröhre vor den Mülltonnen. Ein junger Mann mit Dreadlocks, dicker Jacke und einem großen Rucksack beugt sich über einen riesigen Gemüsecontainer und bedient sich wie an einem Buffet: Radieschen, Kartoffeln, Lauch, Esskastanien, abgepackter Salat und Zucchini. Sam nimmt eine Bananenstaude, schmeißt sie zusammen mit ein paar Tomaten in eine große Kiste auf einem Handkarren. Auch Andi und Uli beugen sich tief über die Tonnen und schaufeln Lebensmittel zutage: verpackte Hamburger und Tortellini, Weichkäse und Milchdrinks, Joghurts und Aufbackbrötchen. Was andere Menschen im Supermarkt kaufen, holen sich Webdesigner Andi, Lagerarbeiter Uli, Gelegenheitsjobber Sam und Tiermedizinstudent Leo aus den Mülltonnen der Supermärkte. Es sind Lebensmittel, deren Verfallsdatum noch nicht oder erst vor kurzem abgelaufen ist. „Containern ist wie Einkaufen.“ Vor allem junge Leute und Studenten in Großstädten nutzen zunehmend die Mülltonnen der Supermärkte als Nahrungsquelle. Das Ganze heißt dann neudeutsch „containern“. Andi, Sam, Leo und Uli gehen einbis zweimal die Woche auf Tour. Auch an diesem Abend sind die vier jungen Männer wieder spät aufgebrochen. Und wie immer ist Leos Mischlingsrüde Namrut dabei, als sie eine Stunde vor Mitternacht zielstrebig durch die verschneiten Straßen eines Wohngebietes laufen. Sam hat einen neuen Container entdeckt, in dem es viel zu holen gibt. Sam war es auch, der das Containern Suche zu lenken. Immer wieder deutet er mit seinem Stock auf die Wurzeln von Eichen und Haselnusssträuchern. Aber Kira ist nicht bei der Sache. Die vielen Menschen machen sie nervös, erklärt Stefano entschuldigend. Skeptische Blicke in der Gruppe. „Ich glaube nicht, dass der Hund heute einen Trüffel findet“, murrt einer der Touristen. Nur gut, dass Stefano zuvor für die Touristensuche einige Trüffel versteckt hat. Nach kleinen Umwegen lotst er Kira und die Touristen auf gewundenen Trampelpfaden zum Versteck. Manche Trüffelsucher versuchen, die Hunde der Konkurrenten zu vergiften Als er sich ein paar Stunden später in der Dunkelheit alleine auf die Suche macht, braucht Kira keine Aufforderung. Sofort senkt sie ihre Schnauze tief auf den laubbedeckten Boden, schnüffelt sich zielstrebig voran, wühlt in der Erde. Stefano hat Mühe, der eifrigen Hündin zu folgen. Foto: Stefanie Heiß vor etwa zwei Jahren in die WG gebracht hat. Er selber ist während seiner Zeit in Gießen auf das Containern aufmerksam geworden: „Am Anfang fand’ ich das echt ‘ne ätzende Vorstellung.“ Aber als ihn dann irgendwann doch die Neugier packte, erlebte er eine Überraschung: Bei einem Zwischenhändler für Südfrüchte stieß er auf zehn Container mit frischem Obst. „Ich bin fast zusammengebrochen, weil ich das Ausmaß dieser Wegwerfgesellschaft nicht gepackt habe.“ Ähnlich ging es seiner Freundin Anja: „Als Sam von seinem ersten Beutezug in München heimkam, hab’ ich gedacht, ich seh’ nicht richtig“, sagt sie heute noch kopfschüttelnd, wenn sie an die Küche voller Bananen denkt. Heute ist das Containern in der WG längst eine häusliche Tätigkeit, „wie Einkaufen eben“, sagt Leo. Kurz nach 23 Uhr. Sam, Leo, Uli und Andi sind an Sams Geheimtipp angekommen, dem neuen Container. Weiße Flocken schweben vom Himmel und aus den Fenstern der Wohnhäuser um sie herum fällt warmes Licht. Die Container stehen in einer schmalen, dunklen Nische, in die sich Uli, Andi und Sam hineindrängen. Als sie die Deckel der grünen Tonnen aufmachen, macht sich ein leicht fauliger Geruch breit. Im schwachen Schein von Andis Der weiche Waldboden schluckt seine Schritte. Nur manchmal knistert und knackt ein morscher Ast in der gespenstischen Stille des Waldes. Angespannt achtet er auf jede noch so kleine Reaktion von Kira. Als es im Unterholz raschelt, zuckt er erschrocken zusammen. Ist da jemand? Nein, scheint ein Tier gewesen zu sein. Noch einmal Glück gehabt, denn einem anderen Trifolau zu begegnen, wäre schlimm. Trüffelsucher versuchen mit allen Mitteln, die Reviere, in denen sie auf Trüffelsuche gehen, geheim zu halten. Manche Trifolau legen sogar Köder aus, um die Hunde der Konkurrenten zu vergiften. Ein herber Verlust, denn es dauert Jahre bis ein Trüffelhund richtig ausgebildet ist. Sechs bis zehn Stunden ist Stefano oft mit seinem Hund in der Nacht unterwegs. In der absoluten Stille können sich die Hunde besser konzentrieren und gleichzeitig die Trüffel auch besser riechen, weil der Duft intensiver ist. Am Nachmittag hilft Stefano dagegen ein wenig nach. Die Touristen erreichen mit ihm eine kleine Waldlichtung. Ist hier das Versteck? Gräser, Efeu, Löwenzahn und Glockenblumen bedecken den Boden. Herb und leicht modrig hängt der Geruch von Moos und Erde in der klaren Luft. In der Ferne brummen die Autos auf der Landstraße. Stefano richtet seinen Stock auf eine Eiche am Rand der Lichtung. „Dai!“ Kira zögert, tappt langsam zu der angezeigten Stelle und beginnt dann hektisch zu wühlen. Stefano schiebt sie zur Seite und bringt lächelnd einen kleinen weißen Trüffel zum Vorschein. Die Touristen drängen sich begeistert zusammen, um den ersehnten Fund besser sehen und fotografieren zu können. Die kleine Knolle aus der Erde ist für Feinschmecker fast so wertvoll wie Gold. Auf der internationalen Trüffelmesse, die von September bis November jedes Wochenende in Alba stattfindet, kostet zum Beispiel ein besonders großer Trüffel mit einem Gewicht von 260 Gramm über 1 600 Euro. Doch so ein Fund muss Stefano erst einmal gelingen. Er findet im Schnitt in einer Nacht ungefähr 40 Gramm Trüffel, die sich aus mehreren kleinen Pilzen zusammensetzen. Der größte Trüffel, den er bisher gefunden hat, wog 50 Gramm. Aber vielleicht hat er ja heute Nacht Glück und entdeckt ein Prachtexemplar. Kopflampe tauchen Gurken, Tomaten, Äpfel, Karotten und Kopfsalat auf. So schnell, dass die Augen nicht hinterherkommen, schaufeln die jungen Männer ihre Beute in die Kisten auf dem Handkarren: Rosenkohl, Zwiebeln, Käse. Als Andi mit seiner Tonne fertig ist, ist sie fast leer und erstaunlich sauber. Kein Schimmel oder dergleichen an den Wänden. „Die Container, in denen Lebens- Dreck zu machen“, erzählt Leo. 1 Uhr nachts. Die Vier sind mit zwei randvollen Obstkisten und drei Trekkingrucksäcken wieder in die WG zurückgekehrt und waschen nun von den Tomaten bis zu den verpackten Tortellini alle Lebensmittel in der Badewanne. Als endlich alles verräumt ist, machen sie es sich auf den durchgesessenen Sofas im Wohnzimmer bequem. Jeder darf sich als Belohnung sein Lieblingsessen nehmen. Leo schiebt die Hamburger in den Ofen, während Andi schon genüsslich in sein Knoblauchbaguette beißt. Leo steht im Türrahmen und isst einen Joghurt. „Beim Containern entwickelt man schon fast eine dekadente Art, weil es zu viel zu essen gibt. Ich kann vier Joghurts essen, einfach weil es mir schmeckt. Müsste ich sie mir kaufen, würde ich das nicht tun“, erklärt Leo. Als er ein Rascheln hört, dreht er sich um. Namrut steht in der Küche und zieht eine Karotte aus dem Mülleimer, den jemand offen gelassen hat. „Namrut! Aus!“ pfeift Leo ihn streng zurück. Aber dann muss er plötzlich lächeln. „Wie soll ich denn dem Hund erklären, dass er nicht im Müll wühlen darf, wenn sein Herrchen das selber macht?“ „Die Polizisten hielten uns Waffen unter die Nase.“ mittel landen, werden bei den meisten Supermärkten regelmäßig ausgewaschen“, erzählt Leo. Fleisch oder Fisch nehmen sie aber trotzdem nicht, weil ihnen das zu riskant ist. Vom Nervenkitzel erzählt Anja: „Wir waren gerade an einem Container, und plötzlich waren überall Polizisten, die uns Waffen unter die Nasen hielten.“ Als sie die Beamten fragten, was sie jetzt mit ihnen vorhätten, zuckten die nur mit den Schultern und ließen sie mit den Lebensmitteln gehen. Viele Supermarkt-Geschäftsführer tolerieren die nächtlichen Besucher: „Die lassen uns die Tür zu den Containern offen, weil die oft umzäunt sind, im Gegenzug versprechen wir, keinen Nachts muss Kira zeigen, was sie kann - Stefano kann sie jetzt nicht mehr führen Die Brombeersträucher zerren an der Kleidung. Immer tiefer geht es in den Wald. Nur schemenhaft dringt das matte Mondlicht noch durch die Baumkronen. Die verstreuten Blätter der Silberpappeln leuchten strahlend weiß unter dem dunklen Laub der Haselnusssträucher und Eichen. „Dai, Kira!“, spornt Stefano die Hündin weiter an. Diesmal weiß er nicht, wo Trüffel zu finden sind. Jetzt muss Kira zeigen, was sie kann. Die Nase tief im Laub versenkt, wittert sie in alle Richtungen. Links, rechts – nichts. Weiter. An einer großen Eiche hält sie inne. Sie schnaubt, wühlt ihre Schnauze tiefer in das Laub und beginnt aufgeregt zu graben. Blitzschnell greift Stefano nach Kiras Halsband, zerrt sie weg und wühlt selbst mit den Händen im Boden. Nach wenigen Augenblicken strahlt er und bringt stolz einen weißen Trüffel zum Vorschein. Vorsichtig wischt er die Erde von der kleinen Knolle ab. Ein Prachtexemplar ist es zwar nicht, aber Stefano ist trotzdem zufrieden. Wahrscheinlich landet der Trüffel am Abend in hauchdünne Scheiben gehobelt auf Stefanos Pasta, denn er gönnt sich mindestens dreimal pro Woche einen der teuren Pilze. Kira dagegen muss sich mit ihrem Hundefutter begnügen. Obwohl sie in ihren drei Lebensjahren schon über fünf Kilo Trüffel gefunden hat, bekommt sie selbst nicht mal einen Hauch von dem teuren Pilz in ihrem Fressnapf serviert. schmutzspuren v elf Alles auf Anfang Zwei Sträflinge versuchen, im Alltag wieder Fuß zu fassen Von Hannah Lau Ingolstadt – Streu-Kies knirscht unter Aljoschas* Füßen. Sein Blick haftet an seinen knallweißen Sneakern. Die Hände gräbt er tief in seine Hosentaschen. Es nieselt leicht. Aljoscha zieht sich seine Wollmütze tiefer ins Gesicht. „Beschissenes Wetter…“, murmelt der 20-jährige Russe und steuert ein Café gegenüber dem Ingolstädter Amtsgericht an. Ganz stolz erzählt er, dass er seit gestern bei Audi arbeitet. Dann verzieht er das Gesicht. „Vor zwei Jahren bin ich aus dem Knast gekommen. Seitdem bewerbe ich mich bei Audi. Hat ziemlich lang gedauert.“ 17 Monate saß Aljoscha M. wegen Autoschieberei im Gefängnis. „Ich hab mit meiner Clique was getrunken, und danach haben die anderen Autos geknackt. Ich hab nur zugesehen.“ Die Polizei erwischte einen seiner Freunde, der verpfiff Aljoscha und die restliche Clique. Es kam zum Prozess und Aljoscha wurde verurteilt. Im März 2006 kam Aljoscha aus dem Gefängnis. Ohne Arbeit, ohne Wohnung. Ein Bewährungshelfer unterstützte ihn bei der Arbeitssuche. Er begann bei BMW und arbeitete am Fließband, war aber mit der Bezahlung unzufrieden. „Ich hab mich dann bei Audi beworben und beworben und beworben und gestern habe ich endlich meinen Arbeitsvertrag unterschrieben“, sagt er. Jetzt arbeitet er wieder am Band und ist zufrieden. Sein neuer Arbeitgeber weiß, dass er im Gefängnis war. „Den Grund für meine Inhaftierung kennt er aber nicht.“ Aljoscha grient und zündet sich eine Zigarette an. „Das steht ja nirgends. Zum Glück.“ Thomas S.* war ebenfalls im Gefängnis. „Und dann kam ich wieder raus und hatte nichts mehr“, sagt der 28-Jährige. Seine Gesichtszüge verfinstern sich. „Als der Haftbescheid kam, musste ich ja innerhalb von neun Tagen alles kündigen: Wohnung und Arbeit. Das war hart.“ Jetzt sitzt Thomas S. neben seiner Freundin auf der bordeauxroten Couch in seinem Wohnzimmer. Die schlanke Frau mit dem mädchenhaften Gesicht spielt mit ihren Haaren. Im Fernsehen läuft eine RTL-Unterhaltungsshow. Ratten nagen in zwei großen Käfigen an Holz und rascheln leise in der Streu. Das Wohnzimmer ist schmal und eng und vollgestopft mit Möbeln. „Meine Verurteilung damals war abzusehen“, gesteht Thomas mit einem verlegenen Lächeln. Er hatte mit kleineren Mengen Marihuana gehandelt und wurde wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz 2003 zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Wieder in Freiheit suchte er Hilfe beim Diakonischen Werk in Rosenheim. „Ich hatte ja nichts. Und auf der Straße wollte ich nicht schlafen.“ Thomas lacht und schweigt dann einige Augenblicke. „Eigentlich hab ich kein Problem mit der Vergangenheit.“ Beim Diakonischen Werk bekam er einen Platz im betreuten Wohnen. Doch er wurde rückfällig und dealte wieder. „Dort im betreuten Wohnen waren lauter Exknackis. Die meisten von denen hatten was mit Drogen zu tun. Quasi die besten Kontakte.“ Thomas grinst und schüttelt dann den Kopf. Nach einer Weile meint er: „Na und jetzt bin ich auf Bewährung draußen.“ Seine Auflagen sind, neben einer Geldbuße, Drogenberatungsgespräche und das Bemühen, immer arbeitstätig zu sein. Er hat jetzt einen Job als Produktionshelfer bei einer Zeitarbeitsfirma und hofft, demnächst übernommen zu werden. Er will sich Mühe geben. „Irgendwann gab’s bei mir einen Knackpunkt. Da hab ich mir gesagt: Jetzt ist genug!“ Thomas‘ Freundin zündet sich eine Zigarette an. Er schaut ihr eine Weile beim Rauchen zu. „Ein Neuanfang ist schwer“, sagt er, „Drogenberatungsgespräche haben mir nichts gebracht – die sind eher was für Süchtige.“ Und das sei er nicht. Er beschreibt sich als eher „harmlosen Kiffer“. „Meine Probleme bewegten sich in anderen Dimensionen: Ich hab in den neun Jahren, in denen ich mit der Polizei Kontakt hatte, insgesamt rund 10 000 Euro Strafe zahlen müssen, habe meinen Führerschein verloren und noch vieles mehr.“ Thomas rutscht unruhig auf der Couch hin und her, lehnt sich vor und dann wieder zurück. Immer wieder fährt er sich durch die Haare. Seine Freundin hält ihm die Hand. „Auch die Bewährungshilfe hat mir nicht viel gebracht“, gibt Thomas nach kurzem Nachdenken zu. „Viel wichtiger als jemand, der dir sagt, was du machen sollst, ist die innere Einstellung. Du musst die Veränderung selbst wollen. Meine Freundin war mir dabei die größte Stütze.“ Er drückt sanft ihre Hand. Sie lächelt und legt den Kopf schief. Ihre blonden Locken rutschen ihr über die Schultern ins Gesicht. So sitzt sie eine Zeit lang da und hört ihm zu. Thomas‘ Familie hat nicht viel dazu gesagt, als er ins Gefängnis kam. Bei ihm zuhause hat man nie viel über Familiendinge gesprochen. „Und ich bin ohnehin das schwarze Schaf.“ Er presst die Lippen aufeinander und hängt seinen Blick an die lautlosen Bilder im Fernsehen. Aus dem Käfig neben ihm guckt eine Ratte durch die Gitter. Auf dem Boden des Stalls scharrt es leise. Anders als Thomas hat Aljoscha noch immer einen guten Kontakt zu seiner Familie. Aber auch seine Mutter verlor nicht viele Worte, als er ins Gefängnis musste. „Sie hat gesagt, dass das scheiße ist“, sagt er, lacht und fügt schulterzuckend hinzu: „Was sollte sie denn auch sonst sagen?“ Der 20-Jährige denkt kaum noch an die Zeit im Gefängnis zurück. „Ich red nicht gern drüber“, gesteht er, „Andere schauen einen manchmal komisch an… Vorurteile und so.“ Dann lacht er. Die meisten seiner Freunde, so erzählt er, haben eine ähnliche Vergangenheit wie er. „Bei denen spielt das keine Rolle. Und überhaupt: Eigentlich hab ich kein Problem mit meiner Vergangenheit“, sagt er mit einer Festigkeit, als müsse er sich selbst überzeugen. Ähnlich geht es auch Thomas. Mit seiner Freundin hat er über die Zeit hinter Gittern gesprochen. „Am Anfang war sie etwas schockiert“, gibt er zu, und seine Freundin neben ihm nickt. Mit anderen redet er nur über seine Zeit im Gefängnis, wenn man ihn darauf anspricht. „Das ist jetzt abgehakt. Vergangenheit.“ Thomas und seine Freundin sitzen ganz nah beieinander und halten sich fest. Sie haben gemeinsame Pläne. „Meine Schulden sind so gut wie abgezahlt. Jetzt wollen wir heiraten und eine richtige Familie gründen.“ Als Thomas S. das sagt, strahlt er vor Freude. Seine Freundin lächelt leise. Die Show im Fernsehen ist einer lautlosen Werbeunterbrechung gewichen. In den Rattenkäfigen ist es plötzlich ganz still. * Name von der Redaktion geändert Weg mit den Handschellen: Ein Wärter entlässt einen jungen Mann in die Freiheit. Foto: Hannah Lau Schmerzhafter Blick zurück: Anna Daum. Foto: privat Die Schöne nach dem Biest Vom Vergewaltigungsopfer zum selbstbewussten Model Von Michael Mann Eichstätt – Wenn sie die Fotos ansieht, dann lächelt sie. Sie gefällt sich in der Pose einer Vampirdame oder als schlagkräftiges Straßenmädel, das vor einem mit Graffiti besprühten Hintergrund posiert. „Doch am allermeisten mag ich meine Augen auf den Fotos, die strahlen immer so toll, wie kleine Sterne“, sagt sie und spannt mit ihren Händen einen Himmel in die Luft. Anna Daum ist 18. Sie ist schlank, hat lange braune Haare und grüne Augen. Anna ist vergewaltigt worden. In ihrer kleinen Wohnung im Haus der Großeltern bei München hat sie ihr eigenes, kleines Reich aufgebaut. Neben Seidentüchern, die von der Decke herabhängen, stehen auf einer Vitrine Auszeichnungen von Reitwettkämpfen. Heute ist Anna Fotomodel. Als Anna sechs Jahre alt ist, wird sie von einem 60-jährigen Mann sexuell belästigt. Mit 16 von ihrem Freund vergewaltigt. „Ich kann mich daran erinnern, dass meine Freundin gemeint hat: Komm doch heute mal vorbei, mein lustiger Onkel ist da.“ Sie verzieht das Gesicht zu einer zynischen Miene und erzählt von dem lauen Sommerabend, an dem sie mit dem lustigen Onkel auf der Gartenbank sitzen, Kuchen essen und Witze machen. Als der Rentner sein Geschlechtsteil auspackt, stöhnt er die zwei Mädchen an und sagt: „Der Piepmatz muss raus, fasst ihn doch mal an.“ An das Folgende kann sich Anna nur schemenhaft erinnern. „Ich bin nach Hause gelaufen und habe geweint. Meine Mutter hat mich, als sie nach Hause kam, zusammengekauert hinter der Kloschüssel gefunden.“ Das Lächeln ist aus Annas Gesicht gewichen. Mit zitternder Hand nimmt sie das Glas Wasser, das vor ihr auf dem Tisch steht, trinkt es hastig aus und blickt dabei ins Leere. Als sie sich wieder gesammelt hat, verschränkt sie die Arme vor der Brust und sagt: „Ich wollte von niemandem gesehen werden, nicht gefunden werden. Ich habe mich hinter dem Einzigen versteckt, das noch schmutziger war als ich.“ Annas Mutter bringt den Vorfall nie zur Anzeige, denn sie findet heraus, dass der Täter sowohl geistes- als auch todkrank ist. In den folgenden Jahren entwickelt Anna einen ausgeprägten Männerhass, und es fällt ihr schwer, körperliche Nähe, egal, ob zur Familie oder zu Freunden, zuzulassen. Sie lernt David kennen und verliebt sich in ihn. Aber David ist nicht an Annas Gefühlen, sondern nur an Sex interessiert. Als Anna ihn abweist, verabreicht er ihr auf einer Feier bei sich unbemerkt Drogen. „Ich hatte nichts Alkoholisches getrunken, doch auf einmal fühlte ich mich schwach und bin fast umgekippt“, erinnert sie sich. „Das Letzte, was ich von diesem Abend weiß, ist, dass ich in seinem Bett lag und mich gegen ihn wehren wollte. Doch er lachte mich nur aus und meinte, dass es ohne Sex auch keine Beziehung gibt und er sich nimmt, was ihm gehört.“ Annas Stimme wird leiser, sie kauert sich auf ihrem Sessel zusammen, als wollte sie sich so klein wie möglich machen. Anna starrt auf den Boden und schweigt. Dann weint sie hinter ihrem Schutzwall aus Armen und Beinen. „Dieses Gefühl, wenn du nicht mehr kannst; wenn du dich mal wieder wie ein billiges Stück Dreck fühlst. Ekelhaft, widerlich.“ Anna zeigt den damals drogenabhängigen Täter nicht an. „Auch wenn ich ihn verachtet, gehasst habe. Ich konnte ihn nicht anzeigen. Das Leben dieses Schweins war schon arm genug. Ich hoffe, er bringt sich mit seinem Dreck bald selbst um.“ Karin Hagen, Diplom-Sozialpädagogin und Sozialtherapeutin behandelt Vergewaltigungsopfer. Das Gefühl des „sich schmutzig Fühlens“ kennt sie von ihren Patienten. „Dieses Gefühl kommt jedoch nicht vom tatsächlichen beschmutzt sein, sondern von der Verbindung zwischen Sex und Schmutz in unserer Gesellschaft.“ Hagen meint, dass dieses Gefühl wegfallen könnte. „Ein vergewaltigtes Kleinkind oder Baby fühlt sich nicht schmutzig. Es empfindet Leid, Schmerzen und Verwirrung wegen der Gewalt, die ihm angetan wurde.“ Erst nach 18 Monaten fasst Anna den Mut und entscheidet sich für eine Therapie. „Als ich mich nicht mehr konzentrieren konnte, die Schule abbrechen musste, panisch wurde, sobald man mich angefasst hat, am liebsten tot sein wollte, musste ich mir helfen lassen.“ In einer Gruppe mit fünf anderen Patienten lernt sie, ihre Vergangenheit zu verarbeiten. Ihre Gruppe besteht aus gleichaltrigen Jugendlichen, die eine ähnliche Leidensgeschichte erlebt haben. „Das Tolle war, dass man immer jemanden hatte, vor dem man sich nicht schämen musste. Die waren ja alle so kaputt wie ich.“ Sie lernt, offen über ihre Vergangenheit zu sprechen und neues Selbstbewusstsein zu erlangen. Nach der Therapie beginnt sie zu Modeln und zieht zu ihren Großeltern. Eigentlich will sie Psychotherapeutin werden und besucht deshalb wieder die Schule. Anna lächelt. Sie kramt wieder in der Fotokiste und findet ein Bild von ihrer Therapiegruppe. Sie erzählt die Geschichten der fünf anderen Vergewaltigungsopfer. „Wir haben es zusammen geschafft. Alle, die uns was angetan haben, können uns mal. Ich habe mich damals entschlossen, anderen zu helfen, denen es genauso geht.“ Sie strahlt. zehn v drexpression ismus Taggen und bomben für den Ruhm Münchner Graffitisprayer toben sich im „Offenen Atelier“ aus Von Julia Riggenmann München – Die Straßen sind menschenleer, viele Wohnungen heruntergekommen und verlassen. Ein eisiger Wind weht durch das karge Münchner Wohnviertel an der Isar mit seinen grau-grässlichen Betonbauten und der alten Färberei. Wer durch das verwitterte Tor das Atelier im Hinterhof der Färberei betritt, lässt all das Grau hinter sich und taucht ein in eine kunterbunte Welt voller Farben, Formen und Figuren. In dem weiten Raum wuchert Graffiti: „Tags“, „bombings“ oder „pieces“ überziehen Wände, Stühle, Tische und selbst die Armlehnen der Ledersessel. Jeden Dienstag treffen sich in der Färberei die jungen Wilden der Graffitiszene mit den alten Hasen, um zu quatschen und sich beim „Offenen Atelier“ des Kreisjugendrings München künstlerisch auszutoben. „Manchmal muss man einfach rumspritzen, einen dicken Schlenker Farbe über Wände, Decke und Boden drüberlassen – hier kann man das machen“, erklärt Graffiti-Altmeister Wolfgang alias Z-Rok das Konzept des „Offenen Ateliers“. Wolfgang ist Anfang 40 und steht dem Graffiti-Nachwuchs in der Färberei mit Rat und Tat zur Seite. Er selbst sprayt und pinselt bereits seit rund 24 Jahren. Damit gehört er zur ersten Graffiti-Generation in Deutschland, die zu Beginn der Achtzigerjahre auf den neuartigen Wandschmuck aus der New Yorker Hip-Hop-Szene aufmerksam wurde. Der 15-jährige Adrian und der 21 Jahre alte Daniel haben es sich auf den Ledersesseln bequem gemacht und blättern gemeinsam in einer Zeitschrift. Sie sind zwei der rund zehn Stammgäste im Atelier. „Wenn ich zum Wolfgang komm, dann reden wir nur über die legalen Sachen, über Graffitikurse, über Skizzen“, erzählt Adrian. Das Illegale lernt er auf der Straße. Beide Jungs ziehen hier und da nachts allein oder mit ihrer „Crew“ los und drücken Wänden und öffentlichen Verkehrsmitteln mit der Spraydose ihren ganz individuellen Stempel auf. Und beide haben schon die Konsequenzen dafür zu spüren bekommen: Geldstrafen, Sozialstunden, Nächte in der Zelle oder – auf der Flucht vor der Polizei – zusammengekauert in irgendwelchen Gebüschen. „Da fragst du dich dann schon mal: Warum mach ich das eigentlich?“, sagt Daniel. Dass es der Reiz des Verbotenen ist, der, wie viele glauben, die Sprayer antreibt, hält er für Schwachsinn. „Graffiti ist halt eine Form von Kunst, die nicht vor der Ateliertür aufhört.“ Adrian nennt es ein Gefühl von Freiheit: „Es ist echt geil!“ Künstler wollen die jungen Graffitisprayer allerdings nicht genannt werden. Sie nennen sich lieber „writer“. Bei der Polizei dagegen heißen sie „ermittelte Tatverdächtige“. Rund 2000 gibt es davon in München und die richten jährlich einen Schaden von rund 2 Millionen Euro an, sagt Roland Steitz. Er ist Leiter des Teams der Landespolizei bei der „Koordinationsgruppe Graffiti München“ und seit Anfang der Neunzigerjahre hauptberuflich mit dem Aufspüren von Graffiti-Straftätern beschäftigt. Zwischen 14 und 19 Jahren alt; mindestens 80 Prozent männlich und deutsch; aus allen gesellschaftlichen Schichten – so charakterisiert er den harten Kern der Sprayer. Für Steitz und seine Kollegen spielt es keine Rolle, ob ein Graffiti nun Kunst ist oder nicht. Hier zählt nur die Frage der Legalität. Es wird „geschmiert, gekratzt, gesprayt“ und das führt laut Steitz jeden Tag zu rund 26 Anzeigen. Moderne Wandmalerei: Graffitikünstler Loomit sprüht nur so vor Ideen. Im Jahr 2002 erreichte der durch Graffiti entstandene Sachschaden mit einer Schadenssumme von mehr als 3,4 Millionen Euro seinen vorläufigen Höhepunkt. Seitdem sind die Zahlen rückläufig. Als Ursache dafür nennt Steitz zunehmende Aufklärungsarbeit an Schulen zusammen mit Jugendeinrichtungen wie dem Kreisjugendring. Aber auch die Tatsache, dass seit dem Jahr 2000 die S-Bahnen im Raum München – bis dahin das beliebteste Angriffsziel der Sprayer – schrittweise durch neue ausgetauscht wurden, spielt laut den Jungs vom „Offenen Atelier“ eine entscheidende Rolle. Denn diese neuen Bahnen, so erzählen sie, werden wesentlich besser bewacht als die alten. Die Sprayer liefern sich ein ständiges Räuber-und-Gendarme-Spiel mit der Polizei. Das Wichtigste dabei: Innen Müll, außen Glanz Von Katharina Scholz Rommerskirchen – Er dreht am Rad der roten Gasflasche, bis sie gefährlich zischt. Die Ventilatorblätter des Heizstrahlers beginnen sich zu drehen, wirbeln Staub durch den alten Schafstall, der Wilhelm Mundts Atelier ist. Plötzlich ein dumpfes Dröhnen, Beats setzen ein, dazu hohe, metallische Töne und immer wieder ein hohles Gluckern wie aus einem Abflussrohr. Die Wände vibrieren. Wilhelm Mundt beginnt im getriebenen Takt der Musik, ein neues Objekt zu packen. Scheinbar fahrig und wahllos greift er zu allem, was ihm in die Hände fällt: Farbreste in Plastikbe- Wenn aus Müll Kunst wird, hat Wilhelm Mundt seine Finger im Spiel. Foto: Katharina Scholz chern, Teile aus gehärtetem Bauschaum, unbestimmbare Flüssigkeiten, benutzte Gummihandschuhe. Er stopft den Abfall seiner früheren Arbeiten in schwarze Plastiksäcke, wirft ein fleckiges, olivgrünes Sweatshirt dazu und bröckelt gepressten Schleifstaub darüber. „Die Objekte sind voll von dem, was ich bin“, sagt er und stößt leise Flüche aus. Sein Atem kondensiert dabei in der Luft, die so kalt ist, dass jeder Versuch, den Müllhaufen mit Klebeband zu fixieren, scheitert: Die Streifen reißen schon nach wenigen Zentimetern. Also legt er dutzende Rollen Klebeband vor den Heizstrahler und wartet. Wilhelm Mundt beschäftigt sich schon lange mit Problemen industrieller Produktion. Für ihn, der seinen Lebensmittelpunkt nie aus dem Ruhrgebiet hinaus verlegt hat, ist dieses Thema sehr präsent. Er ist 1959 in Grevenbroich geboren, hat an der Kunstakademie Düsseldorf studiert und später dort auch doziert. Vor über 20 Jahren verwandelte er sein Atelier in eine Fabrik, simulierte Fließband- und Akkordarbeit. Er produzierte Teile aus Bauschaum, die sich wie Legosteine zu riesigen Objekten zusammenstecken ließen. Bei diesem Projekt stieß Wilhelm Mundt auf ein Problem, mit dem er nicht gerechnet hatte: Abfall. „Und plötzlich musste ich nichts mehr nachstellen. Dieses Problem war real, und ich musste die Verantwortung dafür übernehmen.“ „getting fame“, wie es in der Szenesprache heißt. Gemeint ist damit die möglichst auffällige Verbreitung des „tags“, also des Pseudonyms, das sich der „writer“ zulegt. „Keiner sieht sich als Straftäter, kein Einziger“, meint Kriminalhauptkommissar Steitz. Von Reue also keine Spur. Die ist aber nötig, um ins „Projekt Graffiti München“ (ProGraM) zu kommen. Dort erhalten seit 2001 Ersttäter eine letzte Chance, mit einem außergerichtlichen Vergleich davonzukommen. Bei ProGraM stehen die künstlerischen Ambitionen der Sprayer erst mal im Hintergrund. „Wenn ich eine Wand besitze und die gerne weiß habe, dann ist es auch eine Sachbeschädigung, wenn Picasso draufmalt“, meint Sozialpädagoge Robert Lehmann. Er spricht mit den Jugendlichen über das Wie und Foto: Julia Riggenmann Warum ihrer Taten und handelt für sie Vergleiche mit den Geschädigten aus. Das führt nicht selten dazu, dass sich der Ersttäter mit Pinsel und weißer Wandfarbe auf den Weg macht, um seine „Kunstwerke“ wieder säuberlich zu entfernen. Einer, der es aus der Illegalität der Münchner Straßenzüge an die Wände dieser Welt geschafft hat, ist Loomit. Der 39-jährige Familienvater hat sich im Laufe der letzten 24 Jahre zum etablierten und hauptberuflichen Graffitikünstler gesprayt. Von Sao Paulo bis Moskau: Mittlerweile hat er in über 30 Ländern seine Spuren hinterlassen und kann mit dem, was er verdient, seine Familie ernähren. Für ihn ist Graffiti weder Kunst noch Zerstörung, sondern einfach ein „Medium, sich selbst im öffentlichen Raum sichtbar zu machen“. Der Künstler Wilhelm Mundt formt Abfall zu Trashstones Mittlerweile sind die Klebebandrollen warm genug. Mit den Zähnen reißt er lange Streifen ab, umwickelt hektisch, wie wild geworden, sein Gebilde. Das Objekt wächst wie aus eigener Kraft: „Es soll eine objektive Form annehmen, die sich aus dem Inhalt ergibt.“ Indem Wilhelm Mundt den Müll zur Kunst erhebt, gibt er ihm einen Wert und setzt ihn hinein in die Öffentlichkeit. Damit übernimmt er nicht nur Verantwortung für seinen Müll, er akzeptiert ihn als Teil des Lebens. Ein Kreislauf aus Verbrauchen und Recyceln, aus Erfahren und Erinnern. „Ich will nichts davon verstecken.“ In den nächsten Stunden und Tagen wird er sein Werk mit vielen Schichten aus glasfaserverstärktem Kunststoff umwickeln, bis den Müll eine dicke Haut umgibt. Jede dieser Hautschichten bestreicht er mit Härter und Gelpolyester und färbt sie ein. Anschließend schleift er das Objekt und bringt so die Farben der unterschiedlichen Schichten an manchen Stellen wieder zu Tage. So, als wäre die Schleifmaschine sein Pinsel. Am Ende poliert er das Gebilde mit Wachs. Wilhelm Mundts Kunstwerke sind amorphe, wie von Wasser und Sand glatt geschliffene Edelsteine. Er nennt sie „Trashstones“. In mutig grellen Farben, hin und wieder mit flüssigem Metall überzogen, manchmal auch langweilig grau, liegen sie auf vielen Böden von Ga- lerien und Ausstellungsräumen in Appenzell, Köln und Miami. Manche sind so groß wie Medizinbälle, andere könnte man mit den Armen nicht umfassen. Über 300 „Trashstones“ hat er seit 1989 produziert. Einer kostet um die tausend Euro. Wilhelm Mundts staubiger und zugiger Arbeitsplatz erzählt von seinem tiefen Bedürfnis, zu verschmutzen und zu sammeln. Im Stall stapeln sich in den Regalen bis unter die meterhohe Decke Fässer, Kisten, aufgewickelte Schläuche und Sperrmüll. Man traut diesem Ort nicht zu, dass er so reine, glänzende Objekte hervorbringt, glaubt kaum, dass Müll ästhetisch werden kann. So ästhetisch, dass er auch fein genug ist, um im Salon eines Kreuzfahrtschiffs durch die Karibik zu schippern. Wilhelm Mundt will das Problem Abfall zur Vordertür hinaus schaffen, aber am Ende versteckt er es doch. Die saubere Fassade der Trashstones lenkt ab vom schmutzigen Inhalt, verfremdet ihn nicht, sondern beschönigt, bagatellisiert ihn. Ein Problem, verschwunden in einer gefälligen Hülle. Doch vielleicht steckt gerade in diesen Widersprüchen die Kraft, die den Müll zurück an die Oberfläche treibt. Manchmal wünscht sich das auch Wilhelm Mundt: „Seit ein paar Tagen fehlen meine Schlüssel.“ Wahrscheinlich sind auch sie im Innern eines Trashstones verschwunden. .. zwolf v der letzte dreck Angeschwärzt Tausche Brötchen gegen Semmel – aber was mache ich am Rußigen Freitag? Hannah Lau Chefredaktion Von Patrick Lerch Eichstätt – Was haben Torsten Frings, Miroslav Klose und Patrick Lerch gemeinsam? Na?! – Dass sie alle in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gehören, ist nur teilSebastian Wieschowski weise richtig. Korrekt ist, dass sie alle Cheflayout von Bremen nach Bayern gewechselt sind. Mit dem Auslands-Krankenschein in der Tasche wagten die Stars und ich den Schritt vom hoch zivilisierten Norden in den … ähm … hoch zivilisierten Süden. Dorthin, wo Mann sich eine Watschn einfängt, statt Kurze Stamperl trinkt und der Spaß zur Gaudi wird. Laura Beck Die Sprachbarriere ist derweil gar Cheflayout nicht so hoch wie befürchtet. Doch einmal erwischen mich meine süddeutschen Kommilitonen eiskalt: Der „Rußige Freitag“ steht unmittelbar bevor. Der bitte was?! Das klingt noch nicht einmal bayerisch. Ich steh da wie der Pudel im Regen… Mit dem Einfühlungsvermögen Ali Atabi eines Einarmigen Banditen kündiBildredaktion gen sie mir an, dass ich noch früh genug erfahren werde, was es mit dem „Rußigen Freitag“ auf sich hat. Das Ganze ist mir reichlich unangenehm. Nicht, dass dann im Mondschein ein maskierter Mann in Leggins und Umhang auf dem Dach des Rathauses steht und alle Bürger, die es Julia Lösch wagen sollten, ihr Haus zu verlassen, Bildredaktion mit einer Rußkanone abschießt. Ich will es wissen, bevor es zu spät ist. Doch auch meine kulturelle Bezugsperson, der Basti aus SchleswigHolstein, kann mir nicht weiterhelfen: „Dat weet ick ni. Hebbt wi bi uns to Huus ni. Wat shall ick domit?“ Das wüsste ich auch gerne. Also: Ab Steffen Armbruster Seitenlayout Nico Brugger Textredaktion Julia Kuhbandner Textredaktion Michael Mann Schlussredaktion Rebecca Myga Seitenlayout anderen Schülern damit einen Strich ins Gesicht gezogen.“ Na, dann nichts wie ab in die Schule. Doch schon der erste Bub hebt überfordert die Schultern. Ein anderer kennt sich aus: „Man zündet einen Korken an und malt anderen Striche ins Gesicht.“ N u r sagt er nichts vom G e fäß voll Asche und sie rußen auch eher in ihrer Freizeit – nicht in der Schule. „Das ist bei uns jetzt eigentlich verboten“, jammert ein Madl. Obwohl sie sich nur gegenseitig die Nase schwärzen und andere nicht ärgern wollen. Also tun sie es, „wenn die Lehrer es nicht sehen“. Und wie verstecken sie dann die Unreinheiten im Gesicht? Sie toben sich jedenfalls sowohl in der Schule als auch auf der Straße aus. Und was es mit dem Anschwärzen auf sich hat, wissen sie auch nicht. Ich bin verwirrt. Also bleibt nur noch der Weg an die Eichstätter Uni – zum Lehrstuhl für Volkskunde. Der Brauch habe sich heutzutage tatsächlich fast ausschließlich auf die Schulen verlagert, weiß Professorin Angela Treiber. Der Korken dient dabei nur der „geordneten Wildheit“, damit am Ende des Tages nicht das ganze Gebäude schwarz ist. „Bräuche, deren ursprüngliche Bedeutung mit der Zeit immer mehr verschleiert wurde, gehen in Kinderhände über“, sagt sie. Es mache ja Spaß und die Kinder knüpften so auch Kontakte. „Unterschwellig hat das schon was mit Erotik zu tun, mit ersten sexuellen Anbandlungen.“ In der Schule?! Aber es ist tatsächlich historisch bedingt: „Aus barocken Volkspredigten wissen wir, dass der Ruß als Bild der sexuellen Befleckung geläufig war und in Zusammenhang mit sexueller Unzucht gebracht wurde. Es ging also um den rußenden, beschmutzenden Narren, der sich der Fleischeslust hingab.“ Die christliche Interpretation eines lasterhaften Lebens. Ja, do legst di nieda! Interessant, was hinter solch einem Brauch stecken kann. Ich bin jetzt jedenfalls gewappnet: Bevor ich am „Rußigen Freitag“ das Haus verlasse, werde ich die Oberfläche eines Lotusblattes abschaben und mir das Gesicht damit eincremen. So bleibt der Schmutz nicht im Gesicht haften. Bei mir steht eben hinterm großen Pa immer noch ein kleiner trick… Den Kehraus gemacht Wenn die Disko-Nacht vorbei ist, wird die Bardame zur Putzfrau Von Rebecca Myga Stefanie Heiß Seitenlayout auf die Straße. Der gemeine Bayer muss es doch wissen. Die erste Frau, die ich anspreche, klärt mich auf, dass der„Rußige Freitag“ derjenige nach dem Unsinnigen Donnerstag – auch Weiberfasching genannt – und vor dem Rosenmontag ist. Aber warum heißt er denn „Rußiger Freitag“? „Das weiß ich nicht. Bin aber auch eigentlich aus Berlin.“ Dit find ick jut – hilft mir aber leider nicht weiter. Die nächste Passantin weiß mehr: „Man nimmt da Ruß und beschmiert andere. Oder mit Schuhcreme oder irgendetwas Schwarzem.“ Doch was ich nun von einem Herren erfahre, lässt mich stutzig werden: „Man sollte als Mann am Rußigen lieber zuhause bleiben oder auf alles gefasst sein!“ Heißt das, der Tag ist quasi die Verlängerung für Frauen, die sich am Unsinnigen Donnerstag mit dem Krawattenabschneiden noch nicht genug ausgetobt haben? Die plausibelste Lösung kommt von einer Frau, die ohne Weiteres die Gutemiene bei Asterix verkörpern könnte: „In der Früh standen dann immer die Schüler mit einem Gefäß voll Asche und einem Korken am Eingang der Schule und haben den Bad Laasphe – Vor einer Stunde hat Diskochefin Marita Schneider die letzten Partygäste aus dem großen Saal geschoben. Jetzt, um fünf Uhr morgens, beginnt das Aufräumen nach der großen Sause. Während draußen im Foyer der Bad Laaspher Diskothek „Connection“ noch immer etwa 30 betrunkene Jugendliche ausgelassen grölen, kratzen drinnen im Hauptsaal Katrin, Milena und ein Dutzend weitere Studentinnen, die hier als Thekenbedienungen arbeiten, mühsam mit Schaufeln zerknüllte Zigarettenschachteln, Dosen, zerbrochene Gläser und Unmengen von Zigarettenstummeln vom klebrigen Boden. Marita Schneider und Michael Kunze, der sich als „linke Hand“ der Chefin vorstellt, achten streng darauf, dass die jungen Frauen den Müll trennen, denn das spart Geld. Diana Pfister Textredaktion „Früher haben die Bedienungen alles von der Theke runter auf den Boden gepfeffert. Da mussten sich dann die Putzfrauen drum kümmern“, erzählt Michael. „Dann haben wir eingeführt, dass die Arbeitskräfte ihren Bereich besenrein übergeben.“ Dafür, so denkt Michael, seien die studentischen Aushilfskräfte auch dankbar. „Zum einen können sie so mehr Stunden abrechnen und andererseits können sie in aller Ruhe den Tag noch mal Revue passieren lassen.“ Katrin, die Thekenbedienung, sieht das anders: „Also, einerseits ist es natürlich unfair, dass die Putzfrauen alles alleine machen, aber wofür sind sie denn da? Wir sind nach acht Stunden Stress echt fertig und wollen nur noch ins Bett. Auf die paar Euro mehr kann ich eigentlich auch verzichten.“ Weiter geht es zu den Toiletten, vorbei an ein paar jungen Männern, Lounelle Pfister Redaktionsassistenz die im Gang stehen und sich schwankend und mit müdem Blick an ihr letztes Bier klammern. Kurti (51), der Klomann, der seit einem Jahr in der Diskothek arbeitet, hat seine Arbeit für diesen Tag erledigt und sich wieder einmal gewundert: „Also, was die Frauen mit dem vielen Papier machen, hab ich bis heut noch nicht verstanden.“ Kurti ist Kummer gewohnt: „Ich muss auch zwischendurch immer mal wieder ran, wenn es jemand nicht bis zum Klo geschafft hat und alles vollbricht“, erzählt er. Das Putzen stört ihn nicht – „zuhause putze ich ja auch selbst“ – trotzdem hätte er schon lieber einen besseren Job: „Aber was den Beruf angeht, darf man heutzutage nicht wählerisch sein, vor allem in meinem Alter. Und wenn ich dann morgens richtig saubermache und ein Handy im Klo finde oder, wie neulich, Da- Julia Riggenmann Seitenlayout Katharina Scholz Textredaktion menstrümpfe über der Klotür, dann muss ich doch lachen.“ Inzwischen ist es fast sechs Uhr. Die Mädchen fegen und schrubben, was das Zeug hält. 1 500 Quadratmeter Boden, auf dem knapp tausend Besucher ihre Spuren hinterlassen haben – das bedeutet eine Menge zusätzliche Arbeit für die Studentinnen, denn im Moment ist das Putzehepaar im Urlaub und die Mädchen müssen jetzt auch noch den Boden wischen. „Das nervt schon. Gott sei Dank ist es bald vorbei“, sagt Katrin mit einem Seufzen in ihrer Stimme. Kurz nach sechs Uhr. Die jungen Frauen schleichen mit müden Gesichtern durch die Säle und schieben die feuchten Mopps über den Boden. Draußen im Foyer stehen noch immer zehn Jungs und grölen. Michael, die linke Hand der Chefin, hört es nur gedämpft: Er sitzt im Kassenhäuschen und zählt das Geld. Katharina Steuckart Seitenlayout Andreas Nefzger Chefredaktion Anita Hirschbeck Cheflayout Julia Haug Cheflayout Tanja Limmer Bildredaktion Katrin Krauß Koordination Christina Back Seitenlayout Thomas v. Eichhorn Schlussredaktion Nina Kerker Seitenlayout Patrick Lerch Schlussredaktion Ulrike Müller Schlussredaktion Christian Wiesbacher Textredaktion