Buddha kichert leise - Verein Papilio

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Buddha kichert leise - Verein Papilio
Norbert Wallner
Buddha kichert leise
Eine Reise durch Laos und Vietnam
Reiseverlauf Vietnam - Laos - Reise 2008
31.01.
01.02.
02.02.
03.02.
Abflug Wien mit Qatar Airways über Doha nach Saigon
Ankunft in Saigon
Ausflug ins Mekong-Delta
Flug nach Rach Gia, Besuch der Patenkinder in Hon Dat
04.02.
05.02.
06.02.
07.02.
08.02.
09.02.
10.02.
Flug über Saigon und Phnom Penh Vientiane/Laos
Vientiane
Mit dem Bus von Vientiane nach Luang Prabang
Luang Prabang
Fahrt auf dem Mekong und Nam Ou nach Muang Ngoi
Fahrt auf dem Nam Ou nach Muang Khoua
Fahrt mit dem Bus nach Dien Bien Phu
11.02.
12.02.
13.02.
14.02.
15.02.
16.02.
Dien Bien Phu
Fahrt mit dem Bus nach Sapa
Sapa
Sapa
Sapa
Sapa, Jeeptour nach Ban Ho und Ta Van
17.02.
18.02.
Hanoi
19.02.
20.02.
21.02.
22.02.
23.02.
24.02.
25.02.
26.02.
Mit dem Mietwagen nach Nghia Lo
Mit dem Mietwagen nach Tram Tau, Besuch der Patenkinder, weiter nach
Hanoi
Parfum-Pagode
Hanoi - Halong Bucht, Fahrt mit Dschunke
Halong Bucht - Hanoi
Hanoi
Flug nach Saigon
Abends Rückflug über Doha
Ankunft in Wien
Vorwort
Nach unserer Patenreise im April 2007 nach Vietnam war es recht bald klar, dass wir in
dieses Land wieder zurückkehren würden.
Ich hatte inzwischen den Plan verwirklicht, einen eigenen Kinderpatenverein zu gründen.
Bereits in der Vorbereitungsphase für die neuerliche Reise, die im Februar 2008 stattfinden
sollte, wurde die Anzahl unserer Patenkinder immer größer, sodass auch das
Reiseprogramm immer klarer wurde. Wir wollten das neue Projektgebiet Tram Tau von
World Vision im unzugänglichen Bergland Nordvietnams besuchen und die Provinz Kien
Giang im südwestlichsten Zipfel des Mekongdeltas. Da das vietnamesische Tet-Fest in
unsere Reisezeit fiel, fand ich es sinnvoll, in dieser Woche nach Laos auszuweichen. Die
Details der Reise waren somit vom Buchen günstiger Flüge und von den
Transportmöglichkeiten vor Ort bestimmt.
Der Februar war vom Wasserstand der Flüsse her der ideale Monat, um die zweitägige
Fahrt auf dem Nam Ou in Nordlaos wagen zu können. Wo es sinnvoll war, mussten
Strecken mit dem Flugzeug zurückgelegt werden, anders waren die großen Entfernungen
nicht zu überwinden.
Als günstigster zumutbarer Flug war bald Wien - Saigon - Wien mit Qatar Airways
gefunden, mit Umsteigen in Doha am Persischen Golf. Hiermit bot sich an, zuerst die
Patenkinder im Mekongdelta zu besuchen, von dort nach Vientiane zu fliegen und mit
Bussen und Booten durch Nordlaos und Nordvietnam das Projektgebiet Tram Tau von
World Vision zu erreichen. Da ich meine Mädchen Ker und Chi in Sapa wieder sehen
wollte, könnten wir das auf der Strecke gleich mitnehmen. Anschließend würden wir in
Hanoi von meiner Freundin Hong erwartet, von dort Rückflug nach Saigon, sodass wir die
Reise mit einer Besichtigung dieser Stadt abschließen könnten. Soweit standen die
Eckdaten fest, und die Detailplanung für die Reise von 31.01. bis 26.02.2008 konnte
beginnen.
Wir waren nun zu dritt:
Mit von der Partie waren meine Frau Elfi, die sich als Expeditionsärztin noch bewähren
würde, und Renate, die in unserem Verein „Papilio - Kinder brauchen Hilfe“ für die
Kassaführung verantwortlich ist.
Wir entschieden uns, die Reise von vorneherein auf Low Budget-Basis zu planen, da wir
durch Laos ohnehin nur mit Rucksäcken weiterkonnten. Es begannen nun monatelange
Recherchen im Internet. Das größte Problem bereitete uns die Planung unseres Gepäcks, da
wir für ungefähr 30 Menschen Geschenke mitnehmen mussten, aber es war zu schaffen.
Das Abenteuer konnte beginnen.
Meine tiefe Anerkennung an Elfi und Renate, die alle Strapazen und
Unannehmlichkeiten ohne Murren ertragen haben und die besten Reisegefährten
waren, die man sich nur wünschen konnte.
© Norbert Wallner
April 2008
Xin Chao Eine Volksrepublik blinzelt über den Kontinent
Wien erwacht aus der Eisstarre der letzten Wochen. Acht Grad plus, lieblicher
Sonnenschein, ich sehe es als Einladung, mich am 8. Jänner 2008 auf den Weg zur
vietnamesischen Botschaft zu begeben. Wie immer wenn ich einer Staatsmacht
gegenübertrete, kleide ich mich in feines Tuch. Sprich, ich nehme meinen warmen
Nadelstreifanzug aus dem Kasten, dezente blaue Krawatte. Rot finde ich übertrieben, das
sollte der Fahne vor der Botschaft vorbehalten bleiben.
Die letzten Wochen war ich nächtelang damit beschäftigt, übers Internet Hotels,
Busabfahrtspläne, befahrbare Routen und 1000 wohlmeinende Tipps zu recherchieren. Wo
es das Programm zuließ, habe ich vorgebucht, in der Hoffnung, das Geld würde nicht im
World Wide Web versickern und wir als einzige Gegenleistung ein verlegenes Lächeln
erhalten.
Gestern Abend gingen Elfi, Renate und ich noch einmal alles durch, was wir für unsere
Reise benötigen würden. Hundert wichtige kleine Dinge fielen uns ein, die zusammen mit
den Dutzenden Geschenken, die wir unseren Patenkindern mitbringen wollten, mindestens
sechs unserer drei Rucksäcke füllen würden. To Mong hat uns noch schnell drei zukünftige
Patenkinder auferlegt, die wir bitte besuchen dürfen, hiermit ist die Schar bereits auf zehn
angewachsen. Zusätzlich gilt es meine Freundinnen und die lieben Studentinnen zu
beschenken, die Geschwister, die Eltern… gut, Onkeln und Tanten lassen wir aus, ebenso
wie diverse Cousins und Cousinen. Trotzdem komme ich rund gerechnet auf ca. dreißig
Leute. Durch drei dividiert heißt das also, dass jede/r von uns für ca. zehn Leute zusätzlich
zu den eigenen Klamotten Geschenke im Rucksack verstauen muss.
Ich habe daher beschlossen, anlässlich des Tet-Festes vorwiegend „Glücksgeld“ in „LixiKuverts“ zu verteilen.
In vorauseilendem Gehorsam habe ich bereits die Visaanträge übers Internet ausgedruckt,
feinsäuberlich alles nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt, Fotos aufgeklebt,
sicherheitshalber Kopien angefertigt. Krawatte ordentlich gebunden und hinaus in den
Zwischenfrühling.
Die vietnamesische Botschaft liegt in einem vornehmen Viertel im 19. Wiener
Gemeindebezirk. Eine dieser wunderschönen herrschaftlichen Villen, die gerne von
ausländischen Botschaften adaptiert werden, leuchtet in bravem schönbrunngelb verziertem
Backstein aus dem Garten, davor ein standesgemäßer Audi mit CD-Kennzeichen.
Ich bin überzeugt, das richtige Outfit gewählt zu haben und mache mich auf prunkvolle
Räumlichkeiten gefasst. Das Gartentor steht offen, von Polizei im weiten Umkreis keine
Spur zu sehen. So viel Vertrauen entfacht liebevolle Gefühle in meinem Inneren. Kurzes
Zucken vor dem Haustor, ein Schild verweist einen für Konsularangelegenheiten auf den
Seiteneingang. Etwas verunsichert, was der Unterschied zwischen Botschaft beim
Haupteingang und Konsulat am Seiteneingang sein könnte, entschließe ich mich
instinktmäßig, als untertäniger Bürger ums Eck zu gehen. Ein liebloser kleiner Vorbau im
Souterrain lässt meine Unsicherheit wieder wachsen. Vielleicht doch eher Botschaft? Ach
was, alles hat mal klein begonnen, also öffne ich die Tür in den winzigen Vorbau, um nach
der nächsten Tür fast abzustürzen. Einige Stufen führen in einen finsteren Kellervorraum,
in dem sich zwei weitere Türen befinden, eine davon führt in die Toilette, die zweite hat
keine Beschriftung. Daneben ein Pförtnerbullauge, hinter dem ein älterer Vietnamese,
proper in Anzug gekleidet, in irgendwelche Papiere vertieft ist. Nicht einmal eine
Augenbraue zuckt. Ich probiere es mit einem „Guten Tag“. Mein Gegenüber hinter dem
Bullauge blickt kurz auf und erwidert meinen Gruß ebenso. Spricht also deutsch. Ich
nehme mir vor, ihm einige Fragen zu stellen, auch wenn er nur der Pförtner sein sollte.
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„Bin ich hier richtig für Visaanträge?“
„How many?“ Sein Deutsch beschränkt sich also auf zwei Wörter. Egal.
„Three“ antworte ich beflissen. Er beginnt hektisch in einer Mappe zu suchen, während ich
meine Anträge aus der Tasche hole. Fast gleichzeitig halten wir einander die Anträge
entgegen - er die Blanko-, ich die ausgefüllten. Stirnrunzelnd schielt er durch die Scheibe.
„I’ve got them.“
„You have….?“
„Yes, I’ve got them“
Soeben beschließe ich, ihm keine weiteren Fragen zu stellen.
Ärger könnte der Kontrast zwischen dem geschäftigen lauten Hanoi und dieser finsteren
Gruft in einem Wiener Nobelviertel nicht sein, aber ich kann schließlich nichts dafür, dass
er sich seinen Arbeitsplatz in der Walzerstadt Wien vielleicht anders vorgestellt hatte.
Angewidert zieht er meine Anträge und Reisepässe durch den Scheibenschlitz.
Den Blick hält er - bestens in jahrzehntelangem Beamtenleben geschult - gesenkt.
Er arbeitet sich durch meine Angaben auf dem Formular.
Plötzlich reißt er den Kopf nach oben und bellt mir eine Frage entgegen, die etwa wie „ba“
klingt. Mein Vietnamesisch reicht nicht einmal, um bis drei zu zählen, ich trage auch
eindeutig meine lange Nase zur Schau, also gebe zur Abwechslung ich mich irritiert. In
plötzlicher Erkenntnis, dass ich ihn offensichtlich nicht verstehe, klopft er mit dem Finger
auf Punkt 12, einmaliges oder mehrmaliges Visum. Sehr brav habe ich hier
dazugeschrieben „2 Mal“, da die Visabeschaffungsagentur, von der ich das Formular im
Internet heruntergeladen hatte, bei den Visakosten exakt unterschieden hatte in einmal,
zweimal (selber Preis) und Multy Entry (höherer Preis).
„Two times“, meine ich also. Er schleudert mir wieder ein vietnamesisches Wort entgegen.
„Two times!“
„All the same!“ kann er auf einmal wieder Englisch, und streicht meinen Punkt 12 ebenso
durch wie meinen Punkt 11. Na, ich sehe schwarz für unsere zweite Einreise, aber ich
werde es für mich behalten! Nur Buddha, Karl Marx und Ho Chi Minh wissen, was in
einem vietnamesischen Beamtenhirn vor sich geht. Ich vertraue darauf, dass die
Grenzbeamten in Tay Trang zu müde sein werden, um die Sache zu durchblicken, und dass
ein 5-Dollarzuschlag vor Ort reichen sollte.
Mit steinernem Gesicht durchackert die Sozialistische Volksrepublik Vietnam in
Vertretung meine Anträge weiter. Punkt 11 und 12 werden überall durchgestrichen.
Nachdem alles feinsäuberlich erledigt ist, füllt der gute Mann mit einigen Denkpausen
einen Kassazettel aus, mit 216 Euro.
„On Friday. Afternoon“, sind seine einzigen Worte und er hält mir einen Zettel mit den
Öffnungszeiten entgegen. Da ich die Inflation in Vietnam zwar hoch einschätze, aber noch
nicht galoppierend, gehe ich davon aus, dass der Betrag von 216 Euro für alle drei Visa
gilt. Ich erspare mir jedoch die Frage, die mir auf der Zunge liegt, und will nur wissen, ob
ich gleich zahlen soll oder bei Abholung.
Offensichtlich versteht er meine Frage auf Englisch nicht und antwortet mit „Cash!“
während er mir den Kassazettel durchschiebt.
„On Friday?“
„Cash“
Ich resigniere.
Und freue mich auf den Frühling in Hanoi. Hong will mir die Blumen zeigen.
Pho Bo Ankunft in Saigon
Arabien ist auch nicht mehr das, was es
einmal war.
Ein kalter Sandsturm wehte über das
Flugfeld von Doha, als wir um 6 Uhr
morgens Ortszeit umsteigen mussten.
Schade, dieses Mal nicht in Singapur.
Irene, Dich werde ich wohl nie sehen im
Diesseits, vielleicht treffen sich ja unsere
Seelen einst im Nirwana! Ich werde vorm
feistesten Buddha sicherheitshalber einen
Teil meiner Seele mittels Räucherstäbchen
voraus senden. Wer meinen ersten
Vietnambericht gelesen hat, wird wissen,
wer Du bist, Irene.
Buddha kichert leise.
Vergiss Arabien. Wir sitzen hier in Saigon
vor einer Riesenschüssel Pho Bo.
Nudelsuppe mit Rindfleisch. Das
Straßenrestaurant haben uns die hübschen
jungen Frauen an der Rezeption des Blue
River Hotels empfohlen, und die
Empfehlung ist gut. Die führen hier nur
verschiedene Pho Bo. Frisch blanchierte
Bambussprossen inklusive. Was braucht
der Mensch mehr?
Der Flug von Wien hier her war
anstrengend wie erwartet. Das Umsteigen
auf halber Strecke war nur eine dürftige
Entspannung, das von den Arabern
künstlich produzierte Chaos in Doha nicht
gerade förderlich.
Der Flug von Wien weg hatte wenig
Komfort, das Bordpersonal war offenbar
neu und schlecht motiviert.
Der zweite Flug war um Klassen besser.
Immerhin. Sieben von dreizehn Stunden
okay. Da wir ziemlich weit vorne in der
Maschine sitzen konnten, hatten wir zwar
die ganze Zeit das Vergnügen, den
brüllenden Babys lauschen zu dürfen,
waren dafür aber im Nullkommanichts
durch die Einreisekontrolle am Flughafen
von Saigon.
Kaum betraten wir die Ankunftshalle,
wurde uns bereits ein großes Plakat mit
unseren Namen vor die Nase gehalten.
Abholservice durchs Blue River Hotel also
perfekt, und binnen kürzester Zeit waren
wir eingecheckt und unter der Dusche. Vor
der Suppenküche haben wir uns noch
einen Spaziergang durch den Park der
Pham Ngu Lao gegönnt, der wegen des
bevorstehenden Tet-Festes in ein
Blumenmeer getaucht ist.
Zurück in Vietnam. Hätten wir letzten
April nicht gedacht, dass wir so bald
wieder hier in Saigon sitzen würden! Ho
Chi Minh Stadt. Ein angenehm warmer
Abend lässt uns das Bier und das Treiben
ringsum genießen.
Xin Chao Vietnam!
Blue River Hotel, Saigon
Die guten Geister des Hotels
Wasserwelt Ausflug ins Mekong-Delta
Gottergeben starre ich auf die staubige
Landstraße. 30 Grad hat die Luft. Und 30
Grad hat das Bier in meiner Hand.
Trübsinnig betrachte ich das Eis in
meinem Glas. Nein. No Ice! Egal wie
warm mein Bier ist. Kein Glas, kein Eis.
Punkt. Welcher böse vietnamesische Geist
hat uns ausgerechnet in dieses verdammte
Rasthaus verschlagen? Vor der Tür
arbeiten der Busfahrer, sein Copilot und
ein weiterer Helfer daran, den geplatzten
Reifen zu wechseln. Plötzlich hatte es
einen lauten Knall gegeben, kurze
Erschütterung, als wären wir gerade über
einen Mopedfahrer gerollt, das verhieß
nichts Gutes. Einen halben Kilometer
später hielt unser Fahrer dann hier bei
dieser Raststätte. Es sei ihm gedankt.
Besser diese Lokalität als nur Staub und
Sonne.
Den schwimmenden Markt in My Tho
können wir wohl vergessen. Ich habe
einen Abenteuerurlaub versprochen,
warum sollten die Abenteuer also nicht
bereits am zweiten Tag beginnen? Elfi und
Renate sind zufrieden, schließlich trinken
sie auch kein Bier. Leicht, zufrieden zu
sein! Schwimmender Markt, egal, kann
ihn mir eh vorstellen. So etwas vermiest
mir doch nicht die Laune, genau so wenig
wie warmes Bier! Die Burschen sind fix.
Eine gute halbe Stunde und 10 Liter
Schweiß, mehr hat es nicht bedurft, und
weiter geht die Reise.
Wasser, immer wieder Wasser, so weit das
Auge reicht. Nun gut, Reis wächst schon
mal im Wasser. Die Häuser stehen zwar
im Trockenen, müssen aber trotzdem
furchtbar feucht sein, überlege ich.
Langsam wird das Land bäuerlicher, das
Leben zieht sich von der Straße auf die
Felder zurück. Aus meiner Erinnerung
weiß ich, dass wir uns also dem ersten
Mekongarm nähern.
In My Tho werden wir auf ein MekongBoot verfrachtet. Da der Bus nicht voll ist,
ist auch unser Boot nur locker besetzt. In
der Ferne sehen wir die Baustelle der
Mekongbrücke. Sie ist ungefähr wieder so
weit wie im April des letzten Jahres.
Inzwischen war sie bereits fertig gestellt,
ist aber noch vor der Eröffnung in den
Mekong gestürzt. Also dasselbe noch
einmal, dieses Mal hoffentlich ohne
Einsturz.
Auf einer der vielen Mekonginseln heißt
es umsteigen in ein kleineres Motorboot.
Einhorninsel, Schildkröteninsel, keine
Ahnung, jedenfalls bahnt sich unser Boot
den Weg durchs Palmendach des Kanals,
stundenlang könnten wir so dahinfahren,
vorbei an Fischerhütten und im Wasser
spielenden Kindern, vorwiegend jedoch an
Palmen, Palmen, Palmen.
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Wie alles zu Ende geht im Leben, so auch diese
Bootsfahrt, wir landen und gehen durch Obstgärten an
Gräbern und Blumen vorbei zu einer
Kokoszuckerlerzeugung. Da wird gekocht, gegossen,
geschnitten, gewickelt und gewuzelt. Das Ergebnis
verklebt die Zähne, schmeckt aber umwerfend aromatisch.
Ein Stück weiter können wir unsere Zähne mit Honigtee
spülen. Nicht schlecht, aber ich würze meinen zweiten Tee
doch lieber mit dem Reiswein. Keine Ahnung, warum
Reiswein Reiswein heißt. Schnaps ist Schnaps. Renate
bekommt als Halsschmuck einen dreimeterlangen Python
umgehängt, die Sympathie scheint auf Gegenseitigkeit zu
beruhen.
Da auch ich keine Gefahr scheue, begutachte ich die
Wabe, die eine unerschrockene junge Frau ohne jede
Schutzmaßnahme aus dem Bienenstock holt.
So viel Abenteuer lässt mich vergessen, den Reisschnaps
zu kaufen, was wir in den nächsten Wochen noch sehr
bedauern werden. Ich denke erst daran, als wir bereits im
Motorboot zurück zu unserem Mekongschiff tuckern.
Dieses bringt uns ein wenig weiter flussabwärts.
Gleiche Insel oder nicht, schwer zu sagen, jedenfalls gibt
es hier ein etwas lieblos serviertes Mittagessen. Bevor uns
noch die vietnamesische Musik erreicht, die gut 50 Meter
vorher spielt, brechen wir bereits wieder auf.
Jetzt heißt es, in kleine Ruderboote umzusteigen. Wenn
das so weitergeht, erwartet uns als nächstes ein
Schwimmreifen. Ach liebe Leser, ich will nur vermeiden,
dass es so richtig kitschig wird, die Gefahr ist groß. Die
kleinen Boote (bitte nichts hinausstrecken) bringen uns zu
einem Obstbauern, wo wir zum Dessert nun auch
vietnamesische Musik geboten bekommen, sogar mit
entzückenden Mädchen als Mitwirkende.
Ich glaube, ich muss nicht erwähnen, dass dieser Ausflug
viel zu früh zu Ende geht.
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Während wir auf den Bus zurück nach Saigon warten,
können wir zum Abschied noch auf der Terrasse der
Bootsanlegestelle im Liegestuhl auf den Mekong blicken,
der mit seinem Gelb der Nachmittagssonne Konkurrenz
macht.
In Saigon müssen wir dann irgendwo den Bus verlassen,
keine Ahnung wo wir sind. In der Früh hat uns die Agentur
mit einem Taxi geholt und zum Bus gebracht, zurück ist
das wohl zu viel Aufwand. Ich bin unschlüssig, in welche
Richtung wir gehören. Ich meine gerade, wir müssten eine
Straße suchen, wo man gefahrlos ein Taxi winken kann,
als Renate bereits eines aus der Gegenrichtung angehalten
hat.
Jeden Gegenverkehr missachtend wendet der gute Mann
und lässt uns einsteigen. Der Taxler ist nicht nur sehr
aufmerksam, sondern auch grundehrlich. Locker hätte er
eine Riesenschleife durch ganz Saigon fahren können, uns
wäre nichts aufgefallen. So sind wir nach wenigen hundert
Metern bei unserem Hotel und der Mann gibt sich mit
einem Dollar zufrieden. Man hätte uns eigentlich sagen
können, dass wir nicht weit zu unserem Hotel haben, aber
Schwamm drüber…
Wir besuchen wieder unsere Phoküche am Eck, wo uns
diesmal ein kleiner Feuerschlucker unterhält. Sehr früh
beenden wir den Abend, morgen heißt es um 4 Uhr früh
aufstehen.
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Überraschungen Unsere Kinder in Hon Dat
Leicht vibrierend setzt unsere zweimotorige Turbopropmaschine auf dem Flugfeld von
Rach Gia auf.
3. Februar, ein sehr ruhiger frühmorgendlicher Flug hat uns von Saigon über die sattgrünen
Felder des Mekong-Deltas geführt. Schnurgerade Kanäle teilen das Land in verschieden
große Rechtecke, Straßen sind deutlich in der Minderheit.
Zu Fuß gehen wir durch den erwachenden Morgen zum Flughafengebäude. Das Gehen
stellt keine Gefahr dar, da unsere Maschine das einzige Flugzeug auf diesem Flughafen ist.
Nicht einmal irgendein Rübenbomber hat sich hierher verirrt. Wir sind etwas verblüfft vom
großen modernen Gebäude. Als wir durch die großen Glasflächen beobachten wollen, ob
unsere Rucksäcke ausgeladen werden und nicht nach Phu Quoc weiterfliegen, wird unsere
Bordkarte überprüft. Es kommt wohl nicht gerade häufig vor, dass hier ein Tourist aussteigt
und nicht in der Maschine nach Phu Quoc sitzen bleibt. Legen wir die Kontrolle also als
Hilfsbereitschaft aus. Elfi meint, wir sollten uns so hinstellen, dass wir erkannt würden von
den Leuten, die uns abholen. Also ich denke, wir sind unüberseh- und unverwechselbar als
drei Weiße unter vielleicht zehn oder fünfzehn Vietnamesen, die mit uns ausgestiegen sind.
Und richtig, eine Gruppe von vier Vietnamesen kommt winkend und lachend auf uns zu.
Richtiger Staatsempfang mit Blumen. Die Freundlichkeit ist im wahrsten Sinn des Wortes
körperlich zu spüren, wir fühlen sofort: nicht einfache, unverbindliche Freundlichkeit,
sondern Gastfreundschaft, bei der die Betonung vor allem auf Freundschaft liegt.
Freudestrahlend begrüßt uns Yen in perfektem Deutsch. Ihr „rrrrichtig!“ wird uns den Rest
des Lebens fehlen. Wir sind verblüfft, hatten wir doch mit einem Englisch-Dolmetsch
gerechnet. Sie macht uns mit dem Gemeindehelfer Don bekannt und mit der Helferin
Huong, die die Frauengruppe leitet.
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Und natürlich dem Fahrer, der unser Gepäck im neu wirkenden, gemieteten MercedesKleinbus verstaut.
Huong wirft sich auf den Sitz neben mich und beginnt begeistert meinen Unterarm zu
streicheln und mit ihrem zu vergleichen. Die Winterblässe meiner Haut hat es ihr angetan,
und ich habe das aufkeimende Gefühl, jeden Moment vernascht zu werden. Da entdeckt sie
meinen Bauch und ihre Begeisterung schlägt in Ekstase um. Langsam wird’s brenzlig, also
versuche ich, ihre Begeisterung zu dämpfen, indem ich ihr zeige, dass nicht alles Bauch ist,
was sich wölbt, sondern ein großer Teil davon meine Umhängtasche mit Reisepass und
Geld, indem ich diese hin und her schiebe. Diese Demonstration hat die verkehrte
Wirkung, Huong fällt fast in Ohnmacht vor Lachen, weil sie meint, ich könnte meinen
Bauch hin und her schieben. Was bleibt mir also anderes übrig, als unstatthaft mein Hemd
aufzuknöpfen und der guten Huong meinen Umhängbeutel zu zeigen. Das macht mich erst
recht zum unvergesslichen Unikum der Provinz Kien Giang. Den ganzen Tag wird Huong
allen Leuten, denen wir begegnen, activitymäßig vorführen, welch überaus lustiges Gebilde
ich da vor mir herumtrage.
Mit der im wahrsten Sinn des Wortes an mir hängenden Huong fahren wir zuerst in unser
Hotel, das sich noch als Baustelle entpuppt. Da der Hotelbesitzer den Verein unterstützt, ist
es naheliegend, dass wir hier untergebracht werden. Wir werden wie alte Freunde
empfangen und sofort mit Tee bewirtet. Die Zimmer im Kim Son sind sehr groß und gut
eingerichtet, durch die Bauarbeiten sind die Möbel allerdings ein bisschen staubig.
Kha mit Bruder und Vater
Huyen
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Weil wir früh am Morgen ankommen, sind die Zimmer natürlich noch nicht fertig, und das
Zimmermädchen findet aus lauter Neugierde immer wieder etwas, was noch zu tun wäre
oder fehlen könnte. Ich überlege gerade, ob ich ihr die Freude machen soll, mich zum
Duschen vor ihren Augen auszuziehen, als sie doch Anstalten macht, das Zimmer zu
verlassen.
Nach nochmaliger Teebewirtung in der Halle, während der noch die Englisch-Lehrerin
dazu kommt, fahren wir ins Zentrum von Rach Gia, um zu frühstücken.
Am Wege müssen wir das Denkmal von Nguyen Trung Truc besichtigen, dem angeblich
ersten Kämpfer gegen die Franzosen, der aus Rach Gia kam. Die Stadt ist überraschend
groß und wirkt recht gepflegt - zumindest halt das Zentrum. Laut Yen ist es eine relativ
neue Stadt und gilt mit einigen hunderttausend Einwohnern für vietnamesische
Verhältnisse als klein.
Am künstlichen Fluss, der angelegt wurde, um Hochwässer im Mekong-Delta zu
vermeiden, nehmen wir auf einer wunderschönen Restaurantterrasse Platz, um unser
Nudelsuppenfrühstück einzunehmen. Wir können uns aus dem Angebot der tausend
Suppen nicht entscheiden (wie auch?), daher übernimmt Yen die Bestellung. Während ein
Lastkahn vergeblich mehrere Anläufe nimmt, um den Fluss gegen die Strömung zu
bezwingen, versuchen wir, unsere Suppenschüsseln zumindest so weit zu leeren, dass es
nicht beleidigend wirkt. Wie kann man nur in der Früh schon so viel essen? Nach dem
Frühstück stürzt sich Huong auf Elfis Unterarme, sodass ich in Ruhe die Landschaft
genießen kann, die auf unserem Weg nach Hon Dat an uns vorbeizieht. Die gesamte
Strecke ist mehr oder weniger ein Straßendorf, das maximal ein oder zwei weitere
Häuserreihen nach hinten reicht. Vorne sind immer die teuren Grundstücke, weil es da
möglich ist, im Erdgeschoß einen Laden zu führen. Je weiter hinten, desto billiger und
ärmlicher…
Jeder Kanal, den wir überqueren, schenkt tiefe Einblicke ins Land - Palmen,
Bananenstauden, und vor allem Reisfelder. Im vermutlichen Ortszentrum von Hon Dat
lassen wir die Altenhelferin des Vereins zusteigen, sodass unser Bus nun mit neun Leuten
voll besetzt ist.
Zwischen irgendwo und nirgendwo hält unser Fahrer, und als wir aussteigen, empfängt uns
am Straßenrand Sabines Patenkind Kha mit ihrem Vater und ihrem kleinen Bruder.
Huyen und Kha
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Wir sind überrascht, da es geheißen hat, wir fahren zuerst zu Don. Aber passt schon, wir
sind eh da. Nach einigen Fotos sind es nur vielleicht dreißig Meter, die Dons Haus abseits
der Straße liegt. Unsere nunmehr zwölf Leute umfassende Gruppe wird von Dons
Großfamilie begrüßt, langsam verliere ich die Übersicht. Fast übersehe ich die arme Huyen.
Mein Patenkind erwartet mich hier bei Don. Keine Ahnung, welche Hände ich bereits
geschüttelt habe und welche nicht, Tee trinken heißt Platz nehmen, nehme ich Platz, ist es
schwer, nicht geschüttelte Hände zu fassen. Was beleidigt mehr: Sich nicht zum
Begrüßungstee zu setzen oder die restlichen Hände nicht zu schütteln? Wie soll ich mich in
dem Trubel um die Patenkinder kümmern? Ich brauche Yen zum Übersetzen, aber da ist
nur Huong, deren Vietnamesisch mir nicht wirklich weiterhilft. Versuche es mit
Zeichensprache. Tee trinken. Don will mir was sagen, ah, da ist Yen! Ich versuche den
Dialog nach allen Seiten, während nunmehr Yen versucht, den Überblick zu wahren.
Jedenfalls packe ich jetzt einmal die Geschenke aus. Die Frage, wie man die Haarspangen
befestigt, überfordert mich, also mache ich einige Fotos, um von meiner Unwissenheit
abzulenken. Wären ja keine Vietnamesen, würden sie nicht ohnehin in wenigen Minuten
herausgefunden haben, wie das funktioniert. Rrrrichtig! Endlich taut Kha auf, und immer
öfter überzieht ein strahlendes Lachen ihr Gesicht, während meine Huyen weiter
verkrampft bleibt. Naja, mit vierzehn ist man einfach nicht mehr locker wie ein Kind, ihr
ist das alles offensichtlich sehr unangenehm und ich versuche auch nicht, sie all zu sehr zu
fordern. Nicht leicht, da einen Mittelweg zu finden. Sie wird endlich erlöst, wir brechen
auf. Als ich hinter dem Tross hereilen will, zupft mich Huong am Ärmel. Huyen will mir
ihr Fahrrad zeigen. Der Lenker ist bereits ein bisschen rostig, wohl kein Wunder bei diesem
Klima. Chinesische Qualität, erklärt Yen. Trotzdem schon ein wenig zeitig nach erst einem
halben Jahr!
Nach einem kurzen Weg stehen wir an einem Kanal, wo wir in ein Boot steigen sollen. Zu
unserem Erstaunen erfahren wir, dass wir ins Boot von Kha’s Vater verfrachtet werden, da
keine Straße zu dessen Haus führt. Die Überraschung ist perfekt, das Erlebnis ein
außergewöhnliches. Vorbei an Töpfereien, Palmen, Sargtischlereien, Bananenstauden,
Fischerhütten, Feldern, Booten geht es eine halbe, dreiviertel Stunde, bis wir bei Kha’s
Haus landen. Vor dem Haus kocht Kha’s größere Schwester, sie nickt uns schüchtern zu.
Im Haus muss ich auf der Bettstatt Platz nehmen, auf der Ho Chi Minh sitzt, sorry, es ist
der Großvater, weiß gekleidet und mit ehrwürdigem Bart. Der alte Herr ist mir sofort
sympathisch, schade, dass das Gespräch durch die Übersetzung sehr schwerfällig ist. Elf
Kinder hat er, und zirka dreißig Enkelkinder. Einige Dutzend davon haben sich
mittlerweile vor dem Haus eingefunden, vielleicht sind es doch nur Nachbarskinder. Ich
habe keine Zeit zu fragen, der Tee wartet und wir bekommen Knabbergebäck, da Yen und
Don ablehnen, dass wir bei der Familie essen. Wäre auch ein bisschen viel verlangt, so
viele Leute zu bewirten, abgesehen davon, dass es unser Zeitplan nicht wirklich erlaubt.
Bis Mittag haben wir noch einiges vor.
Kha zeigt uns ihre Auszeichnungen, die an der Wand hängen, das Mädchen zählt zu den
besten Schülerinnen. Und schwuppdiwupp stehen sie und ihre Schwester mit ihren
Fahrrädern im Zimmer. Kha hat ihres angeblich von Sabine gespendet bekommen, die
Schwester vom Verein. Als ich später Sabine frage, weiß sie nichts davon. Nun gut,
Hauptsache, die Mädels können in akzeptabler Zeit die Schule erreichen. Yen treibt zum
Aufbruch, aber vorher noch vors Haus, Gruppenfoto. Ich denke mal, die drei Buben, die
sich dazustellen, werden wohl Cousins sein. Man nennt in Vietnam sogar Nichten und
Neffen Geschwister, wie mir Quynh Anh vor einigen Wochen im Internet erklärt hat.
Als wir wieder ins Boot steigen, will sich Kha verabschieden. Es fällt mir nicht schwer, sie
zu überreden, dass sie noch einmal mitkommt. Inzwischen hat sie sich mit uns
angefreundet und frisiert im Boot glücklich ihr Stofftier, das wir ihr mitgebracht haben.
Bei Kha
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Auf halber Strecke legen wir an. Wir besuchen ein Kind, das neue Pateneltern sucht.
Vorbei an zwei ärmlichen Häusern landen wir in einem dritten, wo spürbare Konfusion
herrscht. Ich sehe Don erregt reden und gestikulieren, während ich gerade ein schlafendes
Baby fotografiere. Das Patenkind ist nicht da, erklärt mir Yen etwas aufgeregt. Die
Hausbewohner deuten uns - ebenfalls aufgeregt - dass wir uns niedersetzen sollen, Tee
trinken, was essen, Don strebt verärgert Richtung Ausgang, Yen versucht die Gemüter zu
beruhigen. Die Verzweiflung der Leute ist spürbar, ich merke den Druck in meinem
Magen. Egal, ich treffe eine Entscheidung und setze mich, nehme den angebotenen Tee.
Widerwillig bleibt Don stehen, während sich Yen zu mir setzt und mir die Lage erklärt.
Ngan, wie das Mädchen heißt, musste anlässlich des unmittelbar bevorstehenden Tetfestes
einen Verwandtenbesuch machen. Halbwaise, einziges Kind, also ich verstehe das.
Vielleicht war es dem armen Mädchen auch nur Recht, dieser bevorstehenden Situation
entfliehen zu können. Ich lasse mir den Namen des Kindes aufschreiben, man will mir ein
Foto von ihr mit ihrer Mutter mitgeben. Ob es da noch ein zweites gibt? Nein. Ich kann
doch nicht das einzige Foto mitnehmen, also trinke ich einen Schluck Tee, geh ins Freie
und versuch ein Foto vom Foto zu machen. Wird schon so passen. Das Mädchen geht
schon elfte Klasse und will weiter lernen, eine Ausbildung machen, lass ich mir die Worte
der Mutter übersetzen. Sie ist Hilfsarbeiterin und allein… Ich meine, wir werden das
Mädchen unterstützen, was auch immer es weiter lernen will, bis zum Ende der
Ausbildung. Als der Mutter Tränen über die Wangen rinnen, verabschiede ich mich rasch.
Keine Ahnung, ob man als Mann Tränen zeigen darf in Vietnam. Ich kämpfe jedenfalls
damit.
Ein Haus weiter stoppt uns ein fröhlicher Junge, auch ein Patenkind. Kein Platz mehr für
Traurigkeit, wenn einen dieser Junge anstrahlt. Sein Pate zahlt, interessiert sich aber
ansonsten nicht fürs Kind. Schade, dieser Bub hätte echtes Interesse am Kontakt.
Zurück ins Boot, es geht nach Hon Dat. Im Ortszentrum steigen wir aus. Ich merke, dass
Kha nicht mehr mitkommt und laufe zurück. Ich kann ihr und ihrem Vater gerade noch
nachwinken.
Ngan mit Mutter
Khas Vater
21
Besuch bei Linh, Helgas Patenkind. Ich erkenne sie sofort, sie ist eine echte Schönheit,
soweit man das von einem Kind so sagen darf. Formvollendet faltet sie die Hände und
verneigt sich. Ach Mädchen, wir wissen es zu schätzen, aber der Kaiser von China ist weit!
So geschreckt ist sie ohnehin nicht, sie findet Unterstützung durch ihre Freundin, und ihre
süße kleine Schwester weicht keinen Millimeter von ihrer Seite. Wir setzen uns im
winzigen Haus, trinken unseren Tee und packen die Geschenke aus, an den Fenstern
hängen Trauben von Menschen, die sich die Sensation nicht entgehen lassen können. Jetzt
weiß ich, wie sich die Tiere in Schönbrunn in ihren Käfigen fühlen. Aber ich beachte die
Zuschauer nicht, so etwas konnte mich noch nie aus der Fassung bringen, und überreiche
Linh die Schneekugel mit dem Grazer Uhrturm. Linh ist etwas ratlos, ich versuche zu
erklären, dass das Schnee sein soll, was da herabschwebt, wenn man die Kugel umdreht.
Ich glaube nicht, dass sie versteht, was ich da erkläre. Die kleine Schwester stürzt sich auf
Malbuch und sonstige Utensilien, während das Glück in Form einer weißen Stoffkatze zu
Linh kommt. Nichts anderes interessiert sie mehr.
Als ich wie immer frage, was die Familie als Sonderspende brauchen könnte, druckst die
Mutter nicht lange herum. Beide Eltern sind Hilfsarbeiter und es reicht kaum zum Leben.
Die Familie würde gerne Tet feiern und hat kein Geld. Leichten Herzens verdopple ich die
Summe, die ich jeder Familie mitgebracht habe.
Tet, das ist Weihnachten, Neujahr, Ostern und Geburtstag in einem. Feiert Weihnachten
und könnt euch keinen Braten und keine Geschenke leisten! Sogar nach dem Krieg hat’s da
bei uns doppelte Bezugscheine gegeben.
22
Bei Linh
23
Der Weg zu Huyen ist neu betoniert und soll davor katastrophaler Morast gewesen sein.
Wir können es uns vorstellen. Der Weg ist trotzdem auch jetzt für Autos zu schmal, also
gehen wir zu Fuß. Es ist später Vormittag und knallheiß, obwohl Bäume und
Bananenstauden immer wieder Schatten spenden. Aus allen Häusern und Gärten am Weg
werden wir neugierig beäugt, ich schaue eifrig zurück, und vor lauter Glotzen wäre ich fast
an Huyens Haus vorbei gelaufen. Ein bisschen war ich nämlich hinten, weil ich die
richtigen Winkel für meine Fotos gesucht habe. Aber ich kratze gerade noch die Kurve
rechts hinein, damit ich nicht zum Gelächter werde. Langsam werde ich es müde, Kasperl
zu sein. Vor dem Haus ist eine überdachte Terrasse angebaut, Huyens Mutter kocht unter
der Woche für die Arbeiter der Umgebung, höre ich später. Die Terrasse ist bereits gut mit
Neugierigen gefüllt, schade, dass die Mutter heute nicht kocht, da gäbe es Geschäft zu
machen. Drinnen erwartet uns die Familie, Begrüßungstee, diesmal eisgekühlt. Der
wievielte Tee heute? Aber inzwischen können wir ohnehin nicht mehr so schnell trinken
wie wir schwitzen, fühle mich langsam unwohl heiß in meiner gesitteten langen Hose. Yen
und die Englischlehrerin dolmetschen kreuz und quer, Huyen soll mir ihre
Englischkenntnisse vorführen, vor einem Publikum, das draußen vor dem Fenster die Zahl
20 schon weit überschritten hat. Alle versuchen zu erheischen, was wir reden, klar, dass das
arme Mädchen kein Wort herausbringt. Während die Englischlehrerin wohl vor allem
versucht, ihre eigenen Erfolge zu präsentieren, erbarmt sich Yen und erzählt mir, was sie
über die Familie weiß. Der Vater ist schwer herzkrank, was er nicht verbergen kann, und
Huyen möchte nach der Schule sehr gern eine Ausbildung weitermachen. Kein Problem,
mein Mädchen, von mir aus gerne! Renate übt sich in der Zwischenzeit als Dompteurin und
versucht die immer größer werdende Herde auf der Terrasse etwas abzulenken. Danke
Renate, was würden wir machen, wenn wir Dich nicht hätten?! Nach dem zweiten Eistee
heißt es auch hier Abschied nehmen, Yen sorgt wieder einmal für das Gruppenfoto. Auch
wenn Huyen immer noch keine Worte findet, sie drückt meine Hand fester als nur zum
Gruß. Ich nehme auch ihre zweite Hand und blicke ihr in die Augen. Wir verstehen uns.
Wieder einmal spare ich mir die Tränen und suche das Weite. Eine johlende Menge winkt
uns hinten nach.
Bei Huyen
Bei Huyen
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Jetzt müssen wir endlich Dons Plantage
besichtigen. Begrüßungstee, und er zeigt
mir alle Auszeichnungen, Pokale,
Urkunden und Orden, die er für seine
wohltätige Arbeit schon erhalten hat,
wirklich beeindruckend. Bevor wir durch
seine Plantage geführt werden, trinken wir
noch Tee. Wir erfahren, dass in dieser
Erde alles aufgeht und wächst, die
Insekten jedoch schneller fressen, als die
Pflanzen wachsen. Manche Früchte
müssen Stück für Stück auf den Bäumen
in Plastik gepackt werden, damit der
Mensch ernten kann und nicht die Natur.
Don findet mit den Erträgen Auslangen für
seine Familie, er meint es fehlt ihm an
nichts und daher kann er sich der Arbeit
für die ärmeren Mitbürger widmen. Neben
dem Patenkinderprojekt betreut er noch
allein stehende Alte, für ein Krankenhaus
wird gekocht, und wenn ein armer
Mitbürger stirbt, geht er so lange von
Nachbar zu Nachbar sammeln, bis ein
ehrenvolles Begräbnis möglich ist. Ein
Don Dampf in allen Gassen sozusagen, die
gute Seele von Hon Dat. Bevor wir zum
Mittagessen aufbrechen, trinken wir noch
Tee. Man meint es gut mit uns und führt
uns in ein Gasthaus, wo wir drinnen im
Gebläse eines Ventilators sitzen können.
Ohne eisgekühlter Erfrischungstücher
würde unser Schweiß gefrieren. Die
Wände versuchen sich mit
Schimmelbildung gegen die Behandlung
zu wehren, aber das Essen schmeckt
wirklich gut. Yen schafft es sogar, dass
man für uns Blechgabeln hervorzaubert,
sicher auch aus Gründen des
Zeitmanagements. Es ist schließlich noch
einiges zu erledigen heute, und wenn man
uns europäische Barbaren mit Stäbchen
aufs Essen loslässt, wird’s vielleicht
Abend, bis wir satt sind. Man hält uns
ohnehin für unendlich gefräßig und türmt
wieder einmal Berge von Essen vor uns
auf.
Auf dem Weg nach Hon Dat hinein halten
wir kurz bei Trinh, einem sehr lieben
Mädchen, das auch einen neuen Paten
sucht.
Blitzsauber gekleidet erwartet sie uns vor
dem kleinen Häuschen, ihr Vater braucht
ein bisschen, um sich von seinem
sonntägigen Siestaschläfchen aus der
Hängematte zu winden. Der gute Mann ist
angeblich Lastwagenchauffeur. Ich kann
mir nicht helfen, auf mich wirkt er eher
wie ein ehemaliger Chauffeur. Er erweckt
für mich den Eindruck, als würde er der
Mutter als Straßenverkäuferin die
Versorgung überlassen, und er darauf
achten, dass der Alkohol nicht in unrechte
Hände gelangt. Wie auch immer, Trinh ist
ein aufgewecktes Mädchen und angeblich
eine hervorragende Schülerin, was sehr
glaubhaft wirkt. Der Vater will uns ins
Haus winken, wahrscheinlich sollen wir
Tee trinken. Don drängt jedoch zum
Aufbruch, wir haben noch Programm.
Schade, Trinh hätte sich, glaub ich, mit
uns unterhalten wollen, vielleicht bekomm
ich ja einen Brief von ihr.
Am Markt machen wir Halt. Don und
Team entschwinden zwischen den
Ständen, während wir dem Bus
nachgehen, der ums Eck gebogen ist. Bei
einem Blumenstand bleiben wir hängen,
um die prächtigen Blüten zu bewundern,
was ein kleines Mädchen nutzt, um für
Renate einen Tanz mit Gesang
aufzuführen. Unsere vietnamesischen
Freunde tauchen mit mehreren mit Obst
und Gemüse prall gefüllten Plastiksäcken
auf, die wir nun einigen Alten
vorbeibringen wollen.
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Wir fahren zwei Stationen an und überreichen den alten Damen die Vitaminkost, was die
Vorräte allerdings nur unwesentlich verkleinert. Den Rest drückt uns Yen in die Hand. Da
sich Huong und die Altenhelferin schon verabschiedet haben, meinen wir, Don soll es mit
nach Hause nehmen, für so viel haben wir keine Verwendung, schließlich fliegen wir
morgen weiter. Selbstredend, dass sich die guten Leute den Markteinkauf nicht zahlen
lassen, obwohl ich vorher gemeint habe, dass dies auf unsere Rechnung ginge. Der Tag ist
inzwischen ziemlich fortgeschritten und es ist höchste Zeit, die Schule zu besichtigen. Don
verblüfft uns, indem er von jedem Kind weiß, in welchem Klassenzimmer es unterrichtet
wird - in einer Schule mit sechshundert Schülern sicher nicht ganz einfach, zumal der
Verein über hundert davon betreut. Wir begutachten den Schulhof, der mittels
Spendenaktion betoniert werden konnte, damit die Schüler nicht bei jedem Regen im
Schlamm versinken, und Don zeigt uns den Platz, wo er vor hat, einen Lehrkräutergarten
für die Schüler einzurichten. Sicher ein sehr sinnvolles Projekt, er braucht halt ca.
sechshundert Dollar dafür.
Altenbetreuung
Wir werden sehen, einen Teil können wir bestimmt dazu beitragen.
Todmüde werden wir in unserem Hotel in Rach Gia abgeladen. Eine Stunde gibt man uns
zum Erholen. Ich schlage vor, wir gehen zum nahe gelegenen Strand. Ob es einen
Sandstrand gibt, will ich von Yen wissen. Sie weiß nicht. Ich denke mir, irgendwie werden
wir schon ins Wasser können, nach Steilküste schaut es ja schließlich nicht gerade aus. Wir
nehmen daher Badezeug und Handtücher mit. Meer ist wirklich da, sogar eine lange
Promenade mit Liegestühlen, aber keine Spur von Strand. Große Steinblöcke, die als
Müllschlucker verwendet werden, und auch das Wasser sieht nicht gerade einladend aus.
Wir setzen uns in die Liegestühle, trinken Kokosnüsse und werden mit einem grandiosen
Sonnenuntergang belohnt. Zwei Kinder tanzen im orangeroten Sonnenball, das sanfte
Plätschern des glattgestrichenen Meeres ist im leisen Rauschen des Windes kaum
vernehmbar.
27
Sonnenuntergang in Rach Gia
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Als die Mücken beginnen, mit dem Wind zu schwingen, erinnern wir uns daran, dass
unsere Stunde langsam um ist. Also schnell aufs Zimmer, duschen, hinunter in die Halle
Tee trinken - und wir wittern die Gefahr bereits. Yen hat einen Helm in der Hand, das
verheißt nichts Gutes. Rrrrichtig. Zu unserer Überraschung drückt man uns vor der Tür
auch Helme in die Hand, es warten drei Mopeds auf uns. Ich setz mich hinter Don, Renate
hinter Yen, und Elfi hinter Yens Schwester, die vor sich noch ihr Baby sitzen hat. Und los
geht’s in die Stadt hinein, rund um uns flutet der Verkehr in alle Richtungen gleichzeitig.
Ich kenne das noch vom Vorjahr, weiß, dass man da in Trance gerät. Nachdem wir rund
dreiunddreißig Frontalzusammenstößen und hundertsiebenundfünfzig seitlichen
Feindberührungen knapp entkommen sind, wollen wir es noch einmal genau wissen und
fahren hunderte hupende Zweiräder ins Visier nehmend auf der Hauptstraße links zu. Ein
fulminantes Meeresfrüchterestaurant erwartet uns, exzellente Muscheln und Krustentiere.
Heldenhaft lässt Elfi nach der Mopedfahrt auch diese Speisen über sich ergehen, ohne eine
Miene zu verziehen. Ich schwelge in meinem Element. Unsere Freunde wollen uns morgen
vor dem Abflug noch zum Frühstück abholen. Halb neun Uhr reicht, meint man zuerst.
Naja, acht Uhr wäre besser.
Die Rückfahrt zum Hotel ist vergleichsweise ein Klacks.
Als wir Gute Nacht wünschen, meinen unsere lieben Freunde, wir sollen morgen vor dem
Abflug noch den Blumenmarkt besuchen. Also werden sie uns doch schon um sieben Uhr
abholen. Wieder nichts mit Ausschlafen.
Elfi auf dem Weg zum Muschelessen in Rach Gia
29
Am Morgen des 4. Februar werden wir noch mal mit den Mopeds zum Frühstück abgeholt.
Nach einem Tee in der Halle steigen wir wieder auf die Mopeds, der
Montagmorgenverkehr ist verglichen mit gestern Abend locker. Suppenfrühstück in der
Innenstadt. Wir sind an einem Tempel vorbei gekommen, den ich gerne sehen will. Kein
Problem, sehen wir auch gleich den Kräutermarkt. Gegenüber vom Tempel, falls Buddha
über die Opfergaben nur kichert, kann man es ja immer noch mit Kräutern versuchen. Und
weiter zum Blumenmarkt. Übermorgen ist sozusagen Silvester. Alle kaufen Blumen.
Millionen Blumen. Yen und Renate sind weg. Auf einmal war ihr Moped nicht mehr hinter
uns. Ihre Schwester fährt die ganze Strecke zurück, nichts, kurvt einmal links um den
Markt, einmal rechts herum, nichts. Alle haben ein Handy, nur Yen nicht, und die Nummer
von Renate habe ich noch nicht gespeichert. Vielleicht gibt es noch einen zweiten
Blumenmarkt? Don kann ziemlich gut vietnamesisch, Yens Schwester auch. Leider
beherrschen wir diese Sprache nicht. Besichtigen wir halt einmal den Blumenmarkt, was
soll’s. Als wir mit unserer Runde fertig sind, treffen wir Yen und Renate. Großes Erstaunen
über unsere Aufregung, sie waren eh die ganze Zeit hier. Okay. Wir lassen noch fünfzig
Vögel frei, bevor wir zum Hotel zurücktuckern. Bei einem Abschiedstee machen wir die
Abrechnung. Fürs Hotel zahlen wir wegen der Baustelle weniger, der Mietwagen von
gestern kostet einen Einheimischenpreis, und fürs Essen nimmt man kein Geld von uns.
Also spende ich für den Lehrkräutergarten. Zum Abschied bekommen wir einen
Geschenkkorb mit vielen Leckereien fürs Tet-Fest. Der Inhalt dieses Korbes wird noch
tagelang unser Grundnahrungsmittel durch Laos sein. Wir versprechen Don, wieder zu
kommen. Yen begleitet uns im Taxi noch zum Flughafen. Wenig überraschend, dass sie
uns das Taxi nicht zahlen lässt.
Bewegender Abschied, und wir versprechen auch Yen, wieder zu kommen. Der Kampf mit
den Tränen wird mir langsam zur Gewohnheit. Wir überspielen es mit Lachen und
entschwinden durch die Passkontrolle.
Good-bye liebe Freunde in Rach Gia!
Wir lassen 50 Vögel frei
Tet-Geschenkkorb
Wat ist denn dat? Himmel und Hölle in Vientiane
Vorhof zur Hölle. Oder doch nur Fegefeuer?
Dabei hatte es so schön begonnen. Zarte Mädchenhände haben meine Füße gewaschen.
Angenehm warmes Wasser, gemütlich im Sessel, Füße in der Waschschüssel, sanft
eingeseift, gewaschen und behutsam abgetrocknet, dazu einschmeichelnde Musik und
ätherische Düfte.
Und jetzt das! Was habe ich davon, dass sich das hübscheste aller Mädchen hier meinen
Körper vornimmt, wenn sie mir ihre Fäuste zwischen die Rippen rammt? Mir die Bänder
meiner Gelenke drei Meter in die Länge zieht? Meine Muskel quetscht bis die Gefäße
platzen? Mich reißt und hämmert dass es Gott erbarme? Im Rollstuhl werde ich diesen Ort
verlassen, dahinsiechen. Sterben. Ein letztes Mal in diese wunderbaren braunen Augen
blicken und gar nicht selig entschlummern, sondern einen qualvollen Foltertod erleiden.
Unfassbar, wie leichtfertig wir in diese Falle gegangen sind. Von Renate neben mir höre
ich schon nichts mehr, wahrscheinlich nimmer am Leben. Elfi hat es gut, Fußmassage.
Wenigstens die Arme wird sie noch bewegen können, die Arme. Ich armer Wicht werde
nicht einmal mehr nicken können.
Nachmittag ist es uns noch so gut gegangen hier in Vientiane. Vormittag am Wat, ääähm,
am Wat Sisavad vorbei. Klar, Wat Sisavad, weil wir ja in der Villa Sisavad logieren. Also
am Wat Sisavad vorbei zum Anousavari, diesem Triumphbogen, von dem aus man
angeblich einen wunderbaren Blick über die Stadt hat. Stimmt, der Blick war wunderbar,
aber von der Stadt war nicht viel zu sehen. Ich dachte, man würde bis zum Mekong sehen,
zu dem wir gestern nach der Ankunft noch gewandert sind. Da hat das Verderben ja seinen
Anfang genommen. Am Weg zum Mekong kamen wir bei diesem Etablissement vorbei, in
dem ich nun mein Leben aushauchen werde. Medizinische Massage, Dr. Frankenstein, oder
wie der heißt. Am Mekongufer kein Beer Lao bekommen, aber dafür ein Tiger Draught zu
einem beschämend niedrigen Preis. Ich habe nicht reklamiert, ich war einfach zu müde
nach einem ganzen Tag Flughafen, Flugzeug, Flughafen, Flugzeug, Flughafen. Schon in
Rach Gia hatte man in unserem Gepäck eine Bombe gefunden. Ich wurde von einem sehr
freundlichen Sicherheitsbeamten zum Sicherheitscheck unserer Rucksäcke geschleift,
es konnte jedoch nichts mehr gefunden werden. Ob ich Batterien mithätte, in meinem
Rucksack wäre etwas entdeckt worden. Nein, keine Batterien in meinem Rucksack, habe
meine Ladegeräte und Akkus im Handgepäck. Rucksack durch den Scanner. Nichts.
Vielleicht in Renates Rucksack, schlug ich vor.
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Auch dieser Scan brachte kein Ergebnis. Mehr gnadenhalber als überzeugt ließ man uns
abfliegen. Renate verdonnerte ich, in Zukunft ihre Ersatzakkus ebenfalls im Handgepäck
mitzuführen. Aus unerfindlichen Gründen mussten wir in Pnomh Penh den Flieger
verlassen. Passkontrolle, Ticketkontrolle, Passkontrolle, Sicherheits-Checkin, mit Allem
von sich Werfen, wieder Ticketkontrolle, um letztendlich wieder genau auf demselben
Platz im selben Flieger zu sitzen. Ich dachte, die spinnen, die Kambodschaner. Da kannte
ich die Laoten noch nicht. Jetzt kommen mir die Kambodschaner eh ganz normal vor.
Soll ich Euch mal die Einreiseformalitäten bei der Einreise am Flughafen von Vientiane
schildern?
Egal, ich erzähl es trotzdem.
Man wendet sich in der Ankunftshalle zuerst an den linken Tisch, dort liegen die
Visaformulare, die man gewissenhaft ausfüllt. Ein freundlicher Beamter erklärt, dass der
Blödsinn, den man auf unsinnige Fragen geantwortet hat, eh passt. Mit diesem Okay stellt
man sich in die Schlange auf der rechten Seite.
Nach einer halben Stunde ist man immerhin schon eine Bodenfliese = 30 cm vorgerückt.
Die Schlange ist unendlich, und das Taxi wartet. Vorne sind drei Schalter. Am ersten wird
der Visaantrag entgegen genommen und sorgfältig mit dem Reisepass verglichen. Schalter
1 reicht weiter zum Schalter 2, wo der Antrag gewissenhaft bearbeitet wird. Schalter 2 gibt
nun weiter an Schalter 3, wo noch einmal alles überprüft und gnädig das Geld des
Wartenden entgegen genommen wird. Hat man seinen Pass wieder, dreht man sich um und
marschiert zu einem der sechs Einreiseschalter. Man hat freie Wahl und überlegt, welchem
Beamten wohl am langweiligsten ist, man will schließlich nicht beim Nichtstun stören. Das
Einreiseprozedere als solches ist dann in einer knappen Minute erledigt, Über all diese
Idylle hat ein Beamter in schmucker Uniform die Oberkontrolle. Unser Glück war, dass
eine Stunde nach uns noch ein Flugzeug in dieser Hauptstadt gelandet war. Diese Tatsache
hatte beim Oberkontrolleur erkennbare Aktivität ausgelöst.
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Er ging nun zum Schalter 2, entriss dem dahinter sitzenden Beamten jeden Reisepass, der
jeweils von Schalter 1 durchkam, sprach einige kommentierende Worte und löste bei
Beamten 2 ein finales Stempelgeräusch aus. Bei uns schlichtete er alle drei Pässe
zusammen, und ich durfte sogar gleich am Schalter 3 den gemeinsamen Gesamtbetrag
zahlen, ohne drei Mal Wechselgeld hin und her reichen zu müssen.
So schafften wir es, doch schon nach eineinhalb Stunden das Flughafengebäude zu
verlassen. Und siehe da, sogar unser Abholservice war noch da. Nicht ein einziges Wort
der Klage kam über die Lippen des armen Taxlers. Das ließ einiges erwarten für unsere
Laos-Woche.
Wie kam ich überhaupt auf diese Laos-Idee? Meinen Körper zerreißen lassen hätte ich mir
in Vietnam ja auch können. Schuld war dieses Tet-Fest, zu dem angeblich alles geschlossen
ist in Vietnam und dann angeblich doch wieder nicht. Hätte ich vorher früh genug die
Einladungen bekommen, das Tet-Fest mit vietnamesischen Freunden zu feiern, hätte ich
mich nicht auf dieses Abenteuer hier eingelassen. Aber gut, die Flüge waren gebucht und
jetzt sind wir hier. Schade, wäre doch schön gewesen dieses Land, so viel ich bisher
gesehen habe. Vom Anousavari, diesem Triumphbogen, ihr wisst schon, nahmen wir ein
Tuk-Tuk zum That Luang, dem allergrößten Heiligtum von Laos. Irgendwie hatte ich
vermutet, das Ding wäre echt vergoldet, war dann doch nur gelb gestrichen. Trotzdem sehr
schön, ich denke so richtig in Gold würde man das ohnehin nicht verkraften. Links davon
ein Wat, rechts davon ein Wat, das kann schon wat. Ähm, dat hat schon wat. Ach wat, ein
Wat ist ein Kloster. Ich würde ja sagen, ein stinknormales Kloster, aber das stimmt nicht,
nicht für unsere Begriffe. Man kann’s ohnehin nicht erklären, so etwas muss man sehen.
Nachdem wir uns mit gebratenen Bananen und Süßkartoffeln gestärkt hatten, wobei die
Bananen eher geschmacklos waren, dafür die Süßkartoffeln aber wirklich gut, charterten
wir wieder ein Tuk-Tuk zum Wat Sisaket, dem ältesten Kloster der Stadt. Apropos TukTuk: Das sind diese Moped-Dreiradler, wo man hinten auf der überdachten Ladefläche
sitzt. Wie wir später feststellten, sind diese Vehikel trotz fester Preistabellen teurer, als
wenn man gleich ein richtiges Taxi nimmt. Aber lustiger ist halt so ein Tuk-Tuk. Zurück
zum Wat Sisaket. Das ist wirklich absolut sehenswert, nicht nur wegen der 10.136
Buddhastatuen, die hier gesammelt wurden.
Wat Sisaket
Wat Sisaket
33
Hier störte uns diese französische Reisegruppe das erste Mal. Ich meine, sie waren ja nicht
ungut, aber eben einfach da. Immerhin ermöglichten sie uns am gegenüberliegenden Ho
Phra Keo, dass wir ohne Eintrittskarten hinein konnten. So rein vom Aussehen gingen wir
glatt als Franzosen durch - und Zählen und Rechnen gehört ohnehin nicht zu den Stärken
der Laoten. Ja, dieser Ho Phra Keo war auch recht nett, würde in jeder Stadt der Erde zu
den Sensationen gehören. Müde wie wir waren, ließen wir uns von einem Tuk-Tuk zu
unserem Guesthouse bringen. Gestern Abend hatte uns der Preis noch geschreckt, wodurch
wir einige nächtlich beleuchtete Highlights zu sehen bekamen. Gleich rechts vom
Mekongufer hinein hatte ich noch gescherzt, dass da das Rotlichtviertel sein müsste, weil
die Autos wie Zuhälterautos aussahen in dieser Gasse, und ich hätt’s nicht verschreien
sollen, stolperten wir schon über ein eindeutig ausstaffiertes Gör. Aber das meine ich nicht
mit beleuchtetem Highlight, sondern die prunkvollen Gebäude am Weg. Aber heute TukTuk, weil wir noch ein paar Stunden am Pool relaxen wollten. Das stand uns zu, waren wir
der Meinung. Schließlich hatten wir schönes Wetter mitgebracht, die ganzen zwei Wochen
davor hatte es täglich stundenlang geschüttet, wie uns gestern bei der Ankunft unser
Taxifahrer erzählte. Das Schwimmen unter Palmen war wirklich sehr erholsam. Dann
wollten wir zu einer Tanzvorführung im Nationaltheater, die auf einem Plakat in unserem
Guesthouse angekündigt war. Sehr genau wurde uns in der Rezeption der Weg erklärt, nach
einigem Suchen fanden wir sogar das Theater, nur Vorstellung gab es keine. Werden wir
uns eben in Luang Prabang so etwas anschauen. So kamen wir jedenfalls am Markt
daneben zu einigen Leckereien. Wan heißt süß, entnahm ich aus meinem Sprachführer,
somit konnten wir auch ein Dessert aussuchen. Am Rückweg nahmen wir noch einen
unfreiwilligen Umweg über ein neues Wat, das führte uns in ein absolut untouristisches
Viertel. Ich brachte ein Opfer dar, um den Mönch bei seiner Beratungsstunde fotografieren
zu dürfen. Buddha schien zu grinsen. Kann es sein, dass ich sein leises Kichern hinter
meinem Rücken vernehmen konnte? Na ja, und dann waren unsere Füße eben staubig, als
wir uns hier zur Massage einfanden. Ein schrecklicher Fehler, wie sich nun herausstellt. Ich
weiß jetzt, warum Buddha gekichert hat. Clinic Shanghai. Gerade wurde mir das Genick
gebrochen. Als lebloses Fleisch falle ich zurück auf die Matratze.
Phra Keo
Villa Sisavad
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Dr. Athaphone Soulya steht auf seiner Visitkarte. Und darunter „Pain and Stress“. Hätte ich
vorher lesen sollen!
In meinem Körper beginnt es zu kribbeln. Die Haut fühlt sich weich und geschmeidig an, lieblich
klingt die Musik in meinen Ohren und ich bin betört von den guten Düften, die den Raum füllen.
Neben mir seufzt Renate zufrieden und langsam setze ich mich auf und lüfte den Vorhang.
Vor mir sitzt Elfi mit verklärtem Blick. Ich fühle mich wie neu geboren. Nur mehr ein kurzer
Spaziergang zur Villa Sisavad und ein entspannter Schlaf erwartet uns.
Morgen werden wir im Morgengrauen von unserem Tuk-Tuk-Fahrer abgeholt, der uns zum
Busbahnhof bringt.
Hundeliebe
Kleine Freunde in Vientiane
Mexay Ein Novize lernt Englisch
Die Idylle lässt sich kaum überbieten. Wir
sitzen hier in einem Gastgarten an einem
kleinen See mit noch kleinerer Insel, auf
der uns drei Musiker unter einer
stimmungsvoll beleuchteten Palme auf die
hoffentlich bald folgenden laotischen
Tänze vorbereiten. Gestern Abend suchten
wir hier in Luang Prabang vergeblich nach
diesem Restaurant, das im LooseReiseführer eingezeichnet ist. Erst heute
sah ich, dass ich der falschen
Nummerierung auf dem Plan gefolgt bin.
Deshalb kamen wir in den Genuss, den
Abendmarkt der H’Mong ausgiebig zu
erforschen. Dumm und dämlich hätten wir
uns kaufen können, aber wir müssen ja
alles noch einige Wochen in unseren
Rucksäcken herumschleppen, die bisher
erst teilweise von den hunderten
Geschenken entlastet wurden. Traumhaft
schöne Tücher!
Luang Prabang gehört zu den schönsten
Städten, die ich bisher gesehen habe,
absolut jederzeit eine Reise Wert. Schon
am Abend, als wir nach einer ganztägigen
Busreise hier angekommen sind, haben
wir den grandiosen Sonnenuntergang am
Mekong genossen, bei angenehm lauer
Luft.
Aber von Anfang an:
Nach unserer Massage in Vientiane gingen
wir natürlich doch nicht gleich schlafen,
da wir noch Durst hatten. Viele Lokale
gibt’s nicht um die Villa Sisavad herum,
also haben wir uns in einem
Straßenrestaurant niedergelassen, das bis
auf einen Tisch leer war. Dort allerdings
saß eine lustige laotische Gesellschaft,
sodass wir dachten, ganz falsch könnten
wir dort nicht sein. Und richtig, Hunger
hatten wir nach den Naschereien am Markt
ohnehin keinen, also brauchten wir nur
Getränke. Und die waren okay und auch
recht günstig.
Kaum hatten wir uns gesetzt, stellte uns
ein Laote vom Nebentisch einen Teller
Gurken hin und erzählte uns, dass er in
Russland studiert hatte. Er schien froh zu
sein, wieder einmal mit einigen Langnasen
reden zu können.
Überlaufen von Westtouristen dürfte
Vientiane nicht gerade sein.
Nun denn, nach dieser Einkehr fielen wir
aber dann wirklich ins Bett.
Gestern im Morgengrauen war unser
angeheuerter Tuk-Tuk-Fahrer pünktlich
zur Stelle und brachte uns zum nördlichen
Busbahnhof. Das mit sieben Uhr Früh für
den VIP-Bus stellte sich als falsch heraus,
es fuhr erst um acht Uhr einer, aber es war
trotzdem gut, dass wir eine Stunde zu früh
waren, weil wir sonst vielleicht keine
Tickets mehr bekommen hätten.
Neun Stunden reine Fahrzeit durch eine
grandiose Berglandschaft. Wir waren froh,
den VIP-Bus genommen zu haben,
bequeme Sitze, angenehm ruhiger Fahrer.
Einzig die Musikvideos waren eine
Herausforderung. Ein Meer von Blut und
Tränen, neun Stunden lang mussten die
Mädchen dahinschmachten. Ich versuchte
mich auf die Landschaft zu konzentrieren
und auf die Häuser, die knapp zwischen
Straße und Abgrund auf Stelzen
dahinschwebten. Ich fürchte, die
Kindersterblichkeit muss hoch sein hier.
Gehen die Kids vorne beim Haus hinaus,
werden sie von den zentimeternahe
dahinbrausenden Bussen und LKWs platt
gemacht, versuchen sie es hinter dem
Haus, geht’s hunderte Meter senkrecht in
den Abgrund. Zumindest wilde Tiere
verirren sich dort wahrscheinlich nicht hin.
36
In Luang Prabang fuhren wir mit einem Sammel-Tuk-Tuk zu unserem Vanvisa
Guesthouse, einem wunderschönen alten Holz- und Ziegelhaus. Renate hat zwar ein großes
Balkonzimmer nach vorne hinaus, dafür jedoch ein WC am Gang mit Aus- und Einsicht,
unser Zimmer ist dagegen sehr gemütlich, wenn auch klein.
Und dann der Sonnenuntergang am Mekong! Eine Viertelstunde orange-rotes Farbenspiel
über dem Fluss.
Der heutige Morgen begann mit dem Gang der Bettelmönche bei Sonnenaufgang. Wir
waren natürlich sicherheitshalber viel zu früh, aber man muss es eben gesehen haben.
Danach in eine der beiden Bäckereien, die fast nur von Europäern frequentiert werden.
Alles fast wie daheim, auch die Preise.
Der Übermut ließ uns in eine Reiseagentur stolpern, wo wir ein Langboot für horrible 250
Dollar nach Muang Khoua charterten, was allerdings den Vorteil hat, dass wir Halt machen
können, wo wir wollen.
Den restlichen Tag widmeten wir uns den Klöstern von Luang Prabang, Vat Hoxieng, den
goldenen Ho Phra Bang, dann mehr als sechshundert Stufen auf den Phousi hinauf, einige
Klöster, wunderbarer Blick über Stadt und Umgebung. Gold so weit das Auge reicht,
Buddhas Fußabdruck soll hier sein, wir fanden gleich mehrere. Muss riesige, goldene
Latschen gehabt haben, der Gute. Handtellergroße Schmetterlinge lassen sich durch sein
leises Kichern nicht stören. Tagelang könnte man hier herumstreifen, man würde immer
wieder neue Details entdecken. Vat Pa Houak, That Chomsi, Vat Tham Phousi, und dann
hinunter zum Vat Pa Ke, wo die Novizenschule gerade aus hatte, und wir uns unter die
Jungmönchsmeute mischten. An der Uferpromenade des Nam Khan bediente uns dann die
schönste aller Laotinnen. Dass sie mein Fotomodell wurde, verwirrte sie so sehr, dass sie
nach meinem Bier vergaß, die Fruchtcocktails für Elfi und Renate zu mixen. Daher konnte
ich die Hübsche länger anschauen, und ICH hatte ja mein Bier - war also eindeutig MEIN
Tag heute…
Es war sengend heiß geworden inzwischen, sodass Elfi und Renate keine Lust hatten,
20.000 Kip in die Besichtigung des Vat Xieng Thang zu investieren. Dadurch kam ich in
den Genuss, es zwei Mal anschauen zu können. Ich lernte drinnen den Novizen Mexay
kennen, einen siebzehnjährigen Burschen, der mich auf sein Zimmer bat, um mir seine
Kamera anzuschauen, weil der Blitz nicht funktionierte. Also kamen wir ins Gespräch. Er
versuchte, die Batterien für seine Kamera aufzuladen, nur waren das keine
wiederaufladbaren. Hatte ja noch Glück, dass ihm die Batterien nicht um die Ohren flogen.
Mexay lud mich ein, dem Abendgebet um 18 Uhr zuzuhören. Dieses stammt aus Bali, es
sind die Regeln für die Novizen. Klang nicht schlecht, sagte also zu. Woher er so gut
Englisch konnte? Er besucht einen Englisch-Kurs. Im Kloster kann er zwar die
Studienberechtigung erlangen, es gibt aber keinen Fremdsprachenunterricht. Den muss er
selbst bezahlen. Er will Englisch- und Laotisch-Lehrer werden und in sein Dorf im Norden
zurückkehren.
Ich gab ihm also Geld für Batterien und Geld für die nächsten zwei Monate Englischkurs.
Das Geld für die Batterien gab er mir wieder zurück, ob nicht ich ihm die besorgen könnte,
er kann das Kloster heute nicht verlassen und er hätte sie schon gern, und ich komme ja eh
zum Gebet am Abend. Stimmt.
Und nachdem wir noch die Schwedin Birgitta in unserem Guesthouse kennen gelernt
hatten, die hier an einem Kinderbuchprojekt mitarbeitet, kehrte ich daher dann eben mit
Elfi und Renate zurück ins Kloster. Der Singsang war wirklich beeindruckend, Mexays
Kamera brachte ich trotzdem nicht in Gang. Buddha scheint dafür nicht zuständig zu sein.
Der lächelt nur. Und immer lächelt Buddha mit weisem Gesicht, zuständig oder nicht
zuständig. Kaum kehrt man ihm den Rücken, vernimmt man sein Kichern.
Luang Prabang
Im Vanvisa Guesthouse
Vor dem Guesthouse
Sonnenuntergang am Mekong
... und Sonnenaufgang
Gang der Bettelmönche
Mexay
Auf dem Phousi
39
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Blick von Phousi auf den Mekong
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Ich werde mir überlegen, ob wir Mexay sponsern werden, oder ihm zumindest einen
Sponsor suchen. Aus dem Burschen könnte wirklich was werden, Buddha hin, Buddha her.
Ja, und nun waren wir hierher gehatscht, und ich denke, es lohnt den Weg. Das Essen ist
zwar nur Durchschnitt hier, und die Tänzerinnen lassen auf sich warten, das tut der
Stimmung aber keinen Abbruch. Wir sehen, wie sich die Tänzerinnen hinter den Palmen
ankleiden, das werden anmutige Tänze. Und richtig, so wie ich es aus exotischen
Kulturfilmen kenne. Sehr exotisch, aber ein klein wenig fad. Wäre völlig uninteressant,
wenn die Mädchen nicht so hübsch anzusehen wären. Aber das sind sie. Und wieder stört
die französische Gruppe, wir können nicht einmal sagen warum. Sie sind nicht laut, nicht
ungut, aber sie sind eben da. Sie würden natürlich genau so stören, wenn sie aus
Buxtehude, Kentucky oder Wien wären.
Es ist ein sehr lauer, romantischer Abend. Trotz Franzosen. Und wir sind echt schon ganz
gespannt auf unsere zweitägige Flussreise. Und ein bisschen aufgeregt, was uns da
erwarten wird. Genießen wir also diesen Abend, diese Nacht…
Fahrt auf dem Mekong
Fahrt auf dem Mekong
Ein böses Wort und seine Folgen Mit dem Langboot nach Muang Ngoi
Der Hahn kräht. Er kräht und kräht. Ich suche nach meiner Taschenlampe. Es ist
stockfinster, absolut stockfinster in unserer Bambushütte. Ich schiebe das Moskitonetz auf
die Seite. Ein Kobold in meinem Bauch sticht gerade vom Magen bis in den Dickdarm
hinunter und wühlt dann mit dem Messer drinnen herum. Der Hahn kräht und kräht, bis er
Antwort bekommt. Hahn Nummer 2 antwortet mit demselben Krähen. Hahn 1 ändert sein
Krähen, Hahn 2 macht es nach. Endlich finde ich meine Taschenlampe. 2 Uhr in der Nacht.
Der Kobold schneidet sich durch meine Darmwindungen und setzt einen kühnen Schnitt
durch den Dünndarm. Die beiden Hähne finden sich in einen harmonischen Kanon, exaktes
Echo. Ein Rindvieh beschwert sich lautstark über die nächtliche Ruhestörung. Mein
Kobold gibt ihm Recht und sticht zurück hinauf in den Magen. Hoffentlich muss ich nicht
jetzt plötzlich hinaus aufs Klo. Was heißt hier Klo, es gibt nur eine Latrine in einer kleinen
Bambushütte ohne Fließwasser, würde ich nicht unfallfrei schaffen. Ich würde bereits auf
der Leiter von unserer Hütte hinunter tödlich verunglücken. Die beiden Hähne beeindruckt
dies in keiner Weise, sie unterhalten sich fröhlich weiter, lassen sich weder vom
protestierenden Rindvieh noch von meinem Kobold stören.
Kein würdiges Ende eines solch fantastischen Tages, wie wir ihn hatten. Zu unserem Boot
waren wir zwar erst mit einer Stunde Verspätung abgeholt worden, dafür lief unser Abholer
im Laufschritt voraus, sodass wir mit unseren schweren Rucksäcken Mühe hatten,
nachzukommen. Dann hatten wir aber ein riesiges Langboot für uns alleine, echter Luxus.
Nach einem Stopp bei einer schwimmenden Tankstelle auf dem Mekong begann eine
ruhige, beschauliche Fahrt, vorbei an Gärten und am Strand planschenden Kindern und
Wasserbüffeln. Dieser Abschnitt des Mekong ist wirklich nur mehr schwach befahren, trotz
der Ausflugsboote, die von Luang Prabang aus die Pak Ou-Höhlen ansteuern. Wir hatten
Glück und waren das einzige Boot an diesem Morgen, konnten also die Höhlen in Ruhe
besichtigen. Nur der Weg von der unteren zur oberen Höhle war beschwerlicher, weil sich
alle Kinder nur auf uns stürzen mussten, um ihre Steine zu verkaufen. Auch eine
Möglichkeit zu betteln. Etwas zu lange brauchten wir mit der Besichtigung, dann langte die
französische Reisegruppe ein. Zeit, aufzubrechen. Gegenüber der Höhle bogen wir in den
Nam Ou ab und es begannen die Stromschnellen. Wir bewunderten unseren Bootsführer
vorbehaltlos, er wusste bei jedem Stein, auf welcher Seite er ihn zu umfahren hatte.
Teilweise fuhren wir unmittelbar am Ufer entlang, sodass wir die spielenden Kinder,
Wasserbüffel und Schweine fast angreifen konnten. Permanenter Wechsel von senkrechten
Felsen, Sandstränden, Gärten, Dschungel. Stromschnellen, dutzende Stromschnellen.
Traumhaft schöner Tag, die Sonne strahlte vom Himmel. Mit dem beschaulichen Lümmeln
allerdings war es vorbei, auf Handzeichen unseres Bootsführers mussten wir regelmäßig
von einer Seite des Bootes auf die andere wechseln, wenn’s haarig wurde, mussten wir
auch noch den großen Benzinkanister verschieben, um noch mehr Gewicht zu verlagern,
damit die Schiffsschraube zwanzig Meter hinter uns nicht auf den Felsen zerschellte, was
mit hoher Wahrscheinlichkeit unseren Tod bedeutet hätte. Plötzlich ohne Motor mitten in
den Stromschnellen würde unser über zwanzig Meter langes Holzboot zwischen den Felsen
zerschmettert werden. Gedanken abschalten, Fahrt genießen. Wir wussten ohnehin nicht,
was auf uns noch zukommen würde.
Immer wieder kamen wir an Dörfern vorbei, die meist zwanzig bis dreißig Meter über dem
Fluss zwischen den Bäumen auszumachen waren. Wir hatten vereinbart, dass wir
unterwegs ein Dorf besichtigen wollten. Gerade als ich überlegte, ob ich unseren
Bootsführer mal anhalten lassen sollte, schien er denselben Gedanken zu haben und
steuerte das Boot zwischen Wäsche und sich selbst waschenden Frauen ans Ufer. Ban
Nong Kham stand auf einer Tafel, vom Dorf war nichts zu sehen. Wir sollten nach oben
gehen, deutete unser Bootsführer den Weg hinauf. Die badenden Frauen schauten her und
kicherten.
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Am Ufer des Nam Ou
In Ban Nong Kham
Fahrt auf dem Nam Ou
Fahrt auf dem Nam OU
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Wirklich sehr bald sahen wir die ersten Bambushäuser, ein nettes, sauberes Dorf tat sich
vor uns auf. Einige Frauen lugten scheu hinter den Häusern hervor, der Rest des Dorfes
wirkte wie ausgestorben, abgesehen von einigen Hunden, Enten und Hühnern, die sich
missbilligend trollten. Plötzlich beim zweiten oder dritten Haus stellte sich eine ältere Frau
neben mich und faltete ein buntes Tuch auf, das sie mir zum Kauf anbot. Sehr bunt,
wunderschönes Muster. Plötzlich packte mich eine junge Frau auf der anderen Seite am
Arm, umklammerte mich mit eisernem Griff und zog mich, schob mich weiter Richtung
Dorfmitte. Keine Chance, mich zu widersetzen. Was mochte die mit mir vorhaben? Hübsch
anzusehen war sie ja, aber ich glaubte kaum, dass ich da ein eindeutiges Angebot
bekommen würde. Zu viele Augen blickten da zwischen verschiedenen Bambuswänden
hervor.
Nach dem nächsten Hauseck war alles klar. Wir standen sozusagen auf dem Hauptplatz,
und hier hingen jede Menge bunter Tücher und Schals. Fast bei jedem Haus war ein
Webstuhl zu sehen, und die Arbeiten waren wirklich sehr schön. Renate war in ihrem
Element. Sie machte ihre Kauflust vom Fund einer Toilette abhängig - und ihre perfekte
Zeichensprache lohnte sich wieder einmal. Während sich meine Damen in der Latrine
ablösten, kam eine junge Mutter mit einem vielleicht zweijährigen Buben auf dem Rücken
zu mir und zeigte mir eine fürchterliche Wunde auf seinem rechten Unterschenkel. Sah
echt nicht schön aus. Während ich diese Verletzung begutachtete, näherte sich eine alte
Frau, die mir wehklagend ihre Herpeslippe zeigte. Offensichtlich ist man hier der Meinung,
weißer Mann kann alles heilen. Elfi hatte natürlich eine Wundsalbe mit, und ich deutete der
jungen Mutter, mit uns zum Boot zu kommen. Schön, wenn man eine Expeditionsärztin mit
hat.
Hoffentlich bringt sie auch meinen Kobold zur Ruhe, der sich immer noch mit kräftigen
Stichen durch meine Gedärme wühlt. Vielleicht sollte ich sicherheitshalber aufstehen, dann
könnte ich ja gleich diesen Hähnen ihre krähenden Hälse umdrehen.
Zufrieden mit unserem ärztlichen Einsatz genossen wir die Weiterfahrt auf dem Fluss,
Stromschnelle um Stromschnelle. Wir sahen jetzt auch immer häufiger Kleinkraftwerke á
la Laos. Man hängt ein Floß in eine Stromschnelle, mit einem Laufrad, Draht zum Ufer,
und es gibt Licht.
Als ich in der Ferne die Brücke von Nong Kiao sah, versuchte ich unserem Bootsführer
klar zu machen, dass wir gerne Geld wechseln würden. Brauchte sehr lange, bis er kapierte,
was wir wollten. Nun begann eine Aktion, die nur in Laos denkbar ist.
Unser Bootsführer legte nach der Brücke am rechten Ufer an und deutete uns, wir sollten
dort hinauf gehen. Also kletterten Renate und ich die Böschung hinauf und hielten nach
einer Bank Ausschau, liefen die Straße ein Stück entlang, bis sie sich im Dschungel zu
verlieren schien, also wieder zurück. Endlich jemand, der verstand, was wir suchten und
sogar einige Brocken Englisch beherrschte. Auf der anderen Seite der Brücke, Busstation,
Post, die Erklärung war komplizierter als das Finden. In der Bus/Post-Station konnte man
wirklich in Kip wechseln, der Kurs war sogar akzeptabel. Dann zurück über die Brücke,
Böschung hinunter, ins Boot hinein. Wir dachten, der Bootsführer würde nun Gas geben,
um den Zeitverlust wieder aufzuholen, schließlich war der Tag ziemlich fortgeschritten,
aber er wendete das Boot und fuhr unter der Brücke zurück, um am linken Ufer anzulegen.
Er wollte, dass wir aussteigen. Völlig rätselhaft, warum er zuvor oberhalb der Brücke
rechts gelandet war, wenn er uns nun hier hinaus werfen wollte. Ich versuchte ihm zu
erklären, dass wir wie gebucht nach Muang Ngoi weiter wollten. Nein, er blieb beharrlich.
Ich kramte meine Bestätigung heraus, wo eindeutig Muang Ngoi angeführt war und nicht
Nong Kiao und stellte klar, dass wir das Boot allein gechartert hatten, mit der Vereinbarung
"stop where you want".
Fahrt auf dem Nam Ou
Fahrt auf dem Nam Ou
Fahrt auf dem Nam Ou
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Großes Geplapper unter einem guten Dutzend Laoten, die sich mittlerweile eingefunden
hatten, und schließlich wurden wir aufgefordert, in ein neben liegendes Boot umzusteigen.
Das war zwar wesentlich kleiner und unbequemer, und eine große Öllacke zog sich
stinkend durchs Boot, aber wir fuhren weiter. Mit einem anderen Bootsführer. Die Ufer
wurden nun sehr einsam, nur mehr der Fluss, der Dschungel und wir, und das schwächer
werdende Tageslicht begann mit dem Wasser zu spielen.
Als wir endlich in Muang Ngoi anlegten, war vom Tag nicht mehr viel übrig. Wir waren
erschöpft, die Damen missmutig. Renate wollte unbedingt mit vollem Gepäck Zimmer
suchen. Nach dem zweiten „no“ waren die beiden bereit, sich mit den Rucksäcken
niederzulassen und mich allein suchen zu lassen. Da wir an diesem Tag das letzte Boot
waren, das angekommen war, waren wir auch die letzten auf Zimmersuche, was bedeutete,
das alles, aber wirklich alles, voll war. Ich arbeitete mich durch alle gackernden Hühner
von Muang Ngoi, bis ich in der allerletzten Hütte am Ende des Ortes fündig wurde. Genau
zwei Bambushütten waren hier noch frei. Immerhin Moskitonetze - und ein traumhaft
schöner Blick über den Fluss! Keine Ahnung, was wir getan hätten, wenn auch diese
Hütten noch voll gewesen wären. Die laotische Bevölkerung wirkt nicht gerade hilfreich,
und schon gar nicht fantasiereich. Beim letzten Sonnenstrahl bezogen wir diese Unterkunft,
bevor die Finsternis hereinbrach. Mit unseren Taschenlampen suchten wir ein Gasthaus. Es
gibt in diesem Dorf, das nur auf dem Fluss erreichbar ist, nur wenige Glühbirnchen. Das
Essen war okay, also bestellten wir noch einen Bananenreis als Nachspeise. War vielleicht
ein Fehler. Der Wirt hatte schon irgendwie erstaunt reagiert, das hätte uns ein Zeichen sein
sollen. Bananenreis ist ein böses Wort. Das habe ich nun davon!
Ich liege mit meinen Kobold im Bauch da und kämpfe mit ihm und mit dem Gedanken, ob
ich den Weg zur Latrine auf mich nehmen soll, oder dem Hahn den Hals umdrehen, hier
am Ende der Welt. Die Welt hat also doch ein Ende. So zu Ende kann die Welt sonst
nirgendwo sein.
Die Welt hat doch kein Ende Auf dem Nam Ou nach Muang Khoua
Das böse Wort zeigt seine Folgen. Ich habe es geschafft und musste heute Nacht mein
Leben nicht aufs Spiel setzen. Mein Kobold fand im Gegensatz zu den beiden Hahnsängern
gegen Ende der Nacht Ruhe. Mir und dem protestierende Rindvieh war das nicht vergönnt.
Da aber alles im Leben auch Vorteile hat, war ich bereits im Morgengrauen auf.
Ich erforsche im Dämmerlicht Muang Ngoi bis dorthin, wo mir der Dschungel das
Weiterkommen verwehrt. Ich kehre also um und komme gerade zum Bettelgang der
hiesigen Mönche zurecht. Immerhin fünf orange Herren, die mit Trommeln und Gesang
Dank dafür fordern, dass sie so freundlich sind, die Opfergaben anzunehmen. Vorbei an
einem empört bellenden Hund schlendere ich wieder zu unseren Bambushütten zurück.
Hier empfängt mich der Tod in Renates Gestalt. Sie beschwört mich, ja nicht das böse
Wort auszusprechen, es hat sie voll erwischt. Ich fühle mich zwar auch noch schwach,
Frühstück brauch ich keines, und ich lasse mich bei Tee auf der Aussichtsterrasse nieder,
um den Blick über den silbrig glänzenden Fluss auf die Berge zu genießen. Eine
unglaubliche Ruhe liegt über dem Land, nach der letzten Nacht einfach unvorstellbar. Kein
Hahn, kein Rindvieh, sogar die Hunde schweigen. Das Schweigen wird nur noch von
Renate überboten. Keine ihrer Antworten ist länger als ein Wort.
Nun ja, wir zahlen die paar Kip für die Unterkunft, die zu Normalzeiten überwältigend
romantisch gewesen wäre, und ich gebe Gas, um um acht am Bootsanlegeplatz zu ein.
Meine beiden Damen können sich ja Zeit lassen. Bei mir schwingt immer die leise Angst
mit, was mache ich, wenn sich der Bootsführer vertschüsst hat? Was habe ich denn schon
in der Hand als einen Kaaszettel, den die guten Leute hier nicht mal lesen können? Meine
Sorgen sind unbegründet. Gerade als ich mir überlege, wie ich aus den zwei Dutzend gleich
aussehenden Booten unseres herausfinden soll, zieht mich unser Bootsführer schon an der
Hand zum richtigen, im selben Moment, als ich Elfi und Renate einige hundert Meter
hinter mir die Uferböschung herunter klettern sehe.
Wir sind also pünktlich abreisebereit. Ich bin erstaunt, wie verlässlich die Laoten trotz aller
sonstiger Gleichgültigkeit sind. Schnell hängt unser Käptn noch einen Salat ins Boot, und
schon geht die Post ab. Also, sie geht wirklich ab, die Post. Fast bei jedem Dorf auf der
Strecke verlangsamt unser Chauffeur die Fahrt und ruft den am Ufer Wartenden
irgendwelche Botschaften zu. Einige Male legt er auch an, um kleine Sackerln aus- und
einzuladen. Ist für uns nur mäßig ärgerlich, weil es insgesamt die Fahrt beschaulicher
macht. Und Beschaulichkeit können wir wahrlich brauchen. Heute geht es außer an
romantischen Sandbänken mit nackten Kindern, Gärten hinter Bambuszäunen, dichtem
Bergdschungel - Palmen gibt es keine mehr, Felsen, an denen sich unser Boot
zentimeternahe vorbeiarbeitet, Herden von Wasserbüffeln und Wildschweinen auch an
bewohnten Höhlen vorbei. Es wäre sicher interessant, da oder dort anzulegen und das
Hinterland zu erkunden, aber Renate geht es echt nicht gut, sie filmt nicht einmal mehr,
was sehr viel heißt. Uns ist saukalt, Elfi hat die gute Idee, dass wir in die Übersäcke für
unsere Rucksäcke schlüpfen könnten, was wirklich hilft. Jedes Mal, wenn wir wo anlegen,
ziehen sich die Kinder scheu auf die Berghänge zurück, außer ein Mal. Zur Belohnung
verteilen wir unsere letzten Luftballons. Anderswo lugen die Kinder interessiert zwischen
den Büschen hervor, hauen sich manchmal ab vor Lachen, aber trauen sich nicht hervor.
Irgendwann nach ein paar Stunden legt unser Käptn wieder einmal an und lässt zu unserer
Verwunderung drei Männer einsteigen. Eigentlich schon frech, weil wir ja das Boot allein
gechartert haben, aber andererseits schauen die drei wie arme Hunde aus, die sich sicher
keinen Fuhrlohn leisten können. Sie stören ja nicht, sitzen still im hinteren Teil des Bootes.
Nach ungefähr einer halben Stunde verlassen sie uns wieder. Wäre eine phantastisch
schöne Fahrt, die Stromschnellen noch wilder als gestern, wenn uns nicht so fürchterlich
kalt wäre. Die Wirtin in Luang Prabang hatte uns gewarnt, aber mehr warme Sachen haben
wir einfach nicht mit auf unserer Reise durch die Tropen.
Fahrt auf dem Nam Ou
Fahrt auf dem Nam Ou
Unsere Unterkunft in Muang Ngoi
Waschraum und Toilette
Auf der Terrasse unseres Guest Houses
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Anlegestelle in Muang Ngoi
Eingeschränkte Gemütlichkeit auf dem Nam Ou
Unterwegs
am Nam Ou
Am Nam Ou
Wir sind die Post
Nam Ou Guest House in Muang Khoua
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Renate tut mir leid, jetzt liegt sie dick vermummt hinten auf der Sitzbank und kriegt nichts
von der fantastischen Landschaft mit, in die wir uns Stromschnelle um Stromschnelle
hinaufarbeiten. Und extra gut erholt schaut Elfi auch nicht aus. Da bin ich ja richtig froh,
dass mir nur kalt ist und beim Fotografieren die Finger abfrieren.
Langsam bekomme ich Hunger, es ist weit über Mittag. Gutes Zeichen. Nicht, dass es über
Mittag ist, sondern dass ich Hunger habe. Der Kobold ist also besiegt. Trotzdem gibt es
keine Nahrung.
Endlich - nach einer riesigen Stromschnelle - sehe ich Muang Khoua vor uns, ich erkenne
es auf Grund der Fotos, die ich im Rahmen meiner Reisevorbereitungen gesehen habe. Ich
hoffe, wir finden schnell Zimmer, meine Damen wirken erschöpft, genervt, missmutig,
krank.
Herunter vom schwankenden Boot, sogar mir reicht es jetzt nach zwei Tagen, obwohl es
wohl die bisher schönste Fahrt meines Lebens war. Wahrscheinlich sollte man diese Tour
wirklich in mehr Etappen teilen und dazwischen Rasttage einlegen, wie es von anderen
Travellern empfohlen wird. Aber hatten wir eine Wahl? Wir haben schließlich noch ein
Riesenprogramm vor uns mit fixen Terminvorgaben.
Ich will mich mit Elfi und Renate beraten, welches der im Loose beschriebenen
Gästehäuser ich aufsuchen soll und werde fast gefressen. Schon gut, ich geh ja schon. Such
ich halt alle der Reihe nach ab. Und es wird wieder einmal eine biblische Herbergssuche.
Die Franzosen!
Ich sehe schon von weitem den Bus. Oje.
Würde ich jetzt sagen, die Hilfsbereitschaft der Laoten hält sich in Grenzen, bekäme ich
den Pulitzerpreis für die Untertreibung des Jahrzehnts. In einem Gästehaus, ich würde mal
sagen, dem schönsten des Ortes, kann man sich nicht halten vor Lachen auf meine Frage,
ob etwas frei ist. Nein, sie wissen nicht, wo es freie Zimmer geben könnte. Im nächsten
auch nicht. Und im übernächsten. Soweit ich sehe, hat es sich die französische Reisegruppe
im ganzen Ort gemütlich gemacht. In keinem Gästehaus weiß man, wer da im Ort noch
Zimmer haben könnte. In Bethlehem hatten sie zumindest einen Stall. Hier sah es nicht
danach aus. Oder. Ach nein, ich sag lieber nichts. Im einzigen Hotel der Stadt, das genug
Zimmer hätte, bereitet man alles für eine große Hochzeit vor. Mit großer Verwunderung,
nein mit Abscheu, betrachtet man diesen langnasigen Eindringling.
An der abgebrannten Markthalle vorbei dringe ich in die engen Gassen der Altstadt vor und
halte nach Gästehäusern Ausschau.
Endlich erspähe ich wieder ein Schild. Nam Ou Guesthouse. Das ist unmittelbar oberhalb
der Anlegestelle, also bin ich den ganzen Ort durch. Wenn es hier kein freies Zimmer gibt,
schauen wir alt aus.
Durch einen Seiteneingang gelange ich ins Innere. Ich frage in den Wohnraum hinein, der
wie immer auch Schlafzimmer, Küche, Theke und Kinderzimmer in einem ist. Und siehe
da, eine junge Frau fühlt sich zuständig, und ja, sie hat was frei. Zwei Zimmer. ZWEI
ZIMMER! Ich kann sie mir anschauen. Nicht dass das viel ändern würde im letzten Haus,
aber man soll den Eindruck vermitteln, dass man nicht alles nimmt, sonst zerstört man den
Markt für die Zukunft. Die beiden Zimmer sind soweit annehmbar, es gibt sogar so etwas
wie eine Dusche, mit der man auch gleich die Latrine spülen kann. Immerhin. OK, ich
nehme die beiden Zimmer und klettere die Holzleitern zum Ufer hinunter, wo Renate und
Elfi warten. Sehr mühsam, unsere großen Rucksäcke diese Leitern hinauf zu hieven,
irgendwie gelingt es uns. Elfi und Renate wollen nur mehr ins Bett. Elfi schafft es
sekundengenau zur Toilette, um sich zu übergeben. Es ist früher Nachmittag, also
beschließe ich, mir den Ort allein anzuschauen. Als ich auf die riesige Holzterrasse unseres
Gästehauses trete, werde ich sofort von einer Gruppe kleiner Mädchen überfallen. Die fünf
hängen sich von allen Seiten auf mich und wollen fotografiert werden.
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Tja, liebe Mädchen, wie soll das gehen, wenn Ihr auf mir hängt? Nachdem ich die ersten
vier abgeschüttelt habe, mache ich ihnen mit Zeichensprache verständlich, dass sie einen
gewissen Abstand einhalten müssen, weil ich sonst keine Aufnahme machen kann. Sie
verstehen mich, aber es ist trotzdem unmöglich, zu einem Foto zu gelangen, weil die
Kleinste auf mir herumklettert. Kaum dass ich sie einen Meter wegstelle, hängt sie schon
wieder auf mir. Ein fast aussichtsloser Kampf. Wenn mich wer sieht, wie ich mit diesen
fünf Gören im Clinch bin, lande ich wegen Kinderschändung im Gefängnis. Mit Müh und
Not rette ich Leben und Freiheit und verzichte auf die grandiose Aussicht von der Terrasse.
Ich flüchte die Leitern hinunter und mache mich wieder auf den Weg durch den Ort.
Überall brennen auf den Straßen kleine Feuer, wo die Menschen versuchen, sich zu
wärmen. Immer wieder werde ich von Kindern aufgefordert, sie zu fotografieren, oder sie
wollen ihre Sprachkenntnisse testen. Hello. Good morning. Good-bye. Vor allem die
Buben. Die Mädchen begnügen sich meistens mit einem verlegenen Sabaidii, um dann ein
umwerfendes Lächeln hinten nachzusenden. Die Buben rennen und springen hinter mir her.
Ein zirka zehnjähriger Junge beginnt sogar auf Englisch eine richtige Unterhaltung mit mir
und begleitet mich ein Stück aus dem Ort hinaus. Ich möchte versuchen, irgendwo in den
Dschungel zu gelangen. Wie auch schon in Muang Ngoi nirgendwo ein Loch. Ich drehe
also wieder um und arbeite mich zum Guesthouse zurück. Die Terrasse ist jetzt frei von
Mädchen und ich kann mich mit Blick über den Fluss setzen. Tagelang könnte man hier
sitzen und das Leben am Fluss beobachten.
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Beobachten, wie Wäsche gewaschen wird, während sich daneben wer ins Wasser hockt,
um seine Notdurft zu verrichten, davor tollt ein kleiner Hund mit der Wäsche herum, die
der Wind von der Leine gerissen hat. Keiner hindert ihn daran, ebenso wenig wie die
Schweine, die sich durch die Waren der Straßenlokale schnüffeln. Etwas oberhalb am Fluss
hat einer seinen Geländewagen ins Wasser gefahren, wo er nun das Auto gründlich innen
und außen wäscht. Mit einem Eimer schüttet er abwechselnd das Wasser außen drüber und
ins Innere hinein. Unter mir heben gerade zwei Männer ein Moped ins kleine Fährboot, das
ohnehin schon mit Fahrgästen überfüllt ist, die hinüber ans andere Ufer wollen.
Ich bestelle mir eine Suppe, vielleicht wird mir wärmer. Und Beer Lao, mein geliebtes Beer
Lao. Wird mir zwar gleich wieder kalt davon, aber für die Verdauung hat es sich bisher
bewährt. Reicht schon, wenn ich die vergackten Hühner und räudigen Katzen vom Tisch
vertreiben muss, damit sie sich nicht gütlich tun an meinem Essen. Da waren die Gören ja
vergleichsweise noch leicht abzuschütteln. Bitte, ich möchte die lieben Mädchen statt
dieser verseuchten Viecher! Sind ja lieb und zutraulich alle, aber die entzückenden Mäderln
ziehe ich in jedem Fall vor. Haben gewaschen gewirkt und nach Seife geduftet.
Mal schauen, was ich wegen des Busses nach Vietnam morgen in Erfahrung bringen kann.
Ich schau in den Wohnraum, da schlafen schon alle, schließlich dämmert es bereits. Ein
verschrecktes Kind weckt die tief schlafende Mutter. Tut mir leid, wollte Euch nicht
wecken, liebe Leute, außerdem möchte ich gleich zahlen, wenn der Bus wirklich früh geht
morgen. Ich frage die Wirtin nach dem Bus, sie verweist mich auf den Fahrplan, der vor
der Tür neben dem Hinweis hängt, dass von 17:45 bis 21:45 Uhr Strom ist, und zwar
durchgehend, weil der Strom vom Fluss kommt. Das heißt, ich muss mich beeilen, meine
Akkus aufzuladen. Ich zahle also sicherheitshalber. Ein französisches Ehepaar kommt
gerade über die Terrasse. Nein, nicht DIESE Franzosen, es gibt auch noch andere. Sie
meinen, der Bus müsste schon fahren morgen in der Früh. Ich erkläre ihnen noch, dass es
lohnend ist, den Nam Ou nach Luang Prabang hinunter zu fahren, und sie sollten mit den
Bootsleuten verhandeln. Und nein, sie haben keine Angst vor Stromschnellen, und warme
Kleidung haben sie auch dabei. Na dann steht dem Vergnügen, einem der letzten
wirklichen Abenteuer auf diesem Planeten, nichts mehr entgegen. Gute Abend noch, bon
soir.
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Ich gehe später am Abend auf noch ein Bier. Ein thailändischer Gast kommt dazu und
erzählt mir von seinen Reisen nach Europa, er war in Nizza, Venedig, München,
Romantische Straße, kennt auch Österreich: Innsbruck, Salzburg, war segeln in
St. Wolfgang, ja, und seine Frau liebt die Cafés und Mehlspeisen in Wien.
Und morgen fährt kein Bus nach Dien Bien Phu, meint der gute Mann. Tetfest in Vietnam.
Tetfest war vor einer Woche. Ja, aber die Vietnamesen feiern noch. Ich weiß nicht, wem
ich jetzt glauben soll: der laotischen Wirtin, den französischen Touristen, dem
thailändischen Geschäftsmann, oder meinem Gefühl. Mein Gefühl gibt dem thailändischen
Geschäftsmann recht, mein Kopf der laotischen Wirtin, und schließlich haben die
Franzosen recht vif gewirkt. Zimmer habe ich ohnehin schon aufgegeben, also was soll’s?
Falls der Bus nicht fahren sollte, tritt eben Plan B in Kraft: Minibus nach Sueng May, dem
laotischen Ort an der Grenze, und Montag mit dem Tuk Tuk nach Vietnam hinüber.
In Muang Khoua
In der Oberschule
Irgendwie geht’s immer weiter Mit Hindernissen über die Grenze
Hier am Ufer wird um diese frühe Morgenstunde nicht einmal Geschäftigkeit vorgetäuscht.
Sogar der Fährmann schläft noch. Sehr verdächtig. In einer halben Stunde soll am anderen
Ufer der Bus nach Dien Bien Phu abfahren. Kein Fährmann zu sehen. Um dreiviertel sechs
aufgestanden, noch im Finsteren über die Leitern des Nam Ou Guesthouse hinunter
geklettert. Haben unsere Rucksäcke hinunter geschafft, die immer noch mit Geschenken
voll sind. Werden diese Rucksäcke nie leer? Ratlos stehen wir hier in Muang Khoua am
Fluss. Zimmer aufgegeben, Weiterfahrt ungewiss, aber noch alle Puffertage vor uns. Kalt,
gesundheitlich angeschlagen, was tun? Ein Mann im mittleren Alter spricht uns auf
Englisch an. Gutes Englisch, schon lange nicht mehr gehört. Wo wir hinwollen. Dien Bien
Phu? Da fährt heute nichts. Tetfest. Das war vor einer Woche. Trotzdem. Tetfest, keine
Chance! Ich habe die böse Vermutung, er will uns etwas aufschwatzen. Aber er hat keine
Lösung parat. Sorry. Er ist Arzt. Hals, Nasen Ohren am Krankenhaus von Luang Prabang.
Er pendelt jedes Wochenende mit dem Bus. Welcher Tag ist heute? Sonntag, richtig, also ist
er hier und nicht in Luang Prabang. Halber Tag mit dem Bus, Umsteigen in Udomxai. Ohne
uns einen Vorschlag machen zu können, trollt sich der gute Mann von dannen. Einer Frau
stehen wir im Weg. Einige Meter unter uns geht sie in den Fluss. Weil wir flussabwärts
blicken, watet sie an uns vorbei flussaufwärts, wo sie sich ins Wasser hockt. Nicht einmal in
Ruhe aufs Klo gehen lassen einen diese Touristen. Arg.
Um acht Uhr sind wir endlich überzeugt, dass wirklich kein Bus geht. Was tun? Der
Minibus nach Sueng May fährt erst am späteren Nachmittag. Wir schaffen also unsere
Rucksäcke wieder über die Leitern zum Nam Ou Guesthouse hinauf und fragen die Wirtin,
ob wir sie bis zum Nachmittag auf der Terrasse stehen lassen können. Die ganze Familie ist
in Tränen aufgelöst. Aber nicht, weil wir nicht abfahren können, sondern weil der Vater
heute abgeholt und ins Spital gebracht wird. Wir können nicht mehr auf die Zimmer,
soeben ist eine japanische Reisegruppe eingetroffen, die alle okkupiert. Wir frühstücken
halt erst einmal und machen uns dann auf den Weg, um den Ort zu erkunden. Da ich links
gestern schon war, gehen wir rechts, kommen zu einer Pagode, wo sich die Mönche im Hof
am Feuer wärmen. Sie sind zwar nicht unfreundlich, aber wir haben den Eindruck,
Störfaktoren zu sein. Also gehen wir weiter, vorbei am Jugendzentrum. Nicht feststellbar,
was es wirklich ist. Es ist Sonntag, trotzdem strömen gerade dutzende Kleinkinder heraus,
die von Eltern oder Geschwistern abgeholt werden, während heraußen unter Dach eine
größere Gruppe Halbwüchsiger mit Begeisterung Billard spielt.
Ein Stück weiter sieht es aus, als wäre der Ort zu Ende. Hinter zwei Bauernhäusern führt
jedoch ein schmaler Fußweg weiter, der an einer breiten, in den Lehm modellierten Treppe
endet. Sehr interessant! Die halbverfallene Bambushütte oben entpuppt sich als Schule.
Oberschule, nach den Inhalten an der Tafel zu urteilen. Es gibt noch mehr solcher Hütten,
ein kleines Stück darunter ist die Volksschule von der UNO neu erbaut. Für richtige
Toiletten reicht es allerdings auch mit Geldern der UNO nicht. Ein Stück hinter der Schule
endet dann der Weg wirklich an der Mauer des Dschungels. Wir kehren also um und ich
schlage vor, auf den Berg hinauf zu gehen. Als wir bei einer Rot-Kreuz-Station
vorbeikommen, meine ich, wir könnten die ja anschauen. Elfi sträubt sich ein bisschen,
aber ich habe meine Schuhe schon ausgezogen und bin drinnen. Eine Schwester gibt uns
gleich einige Formulare zum Ausfüllen. Nein, wir sind nicht krank, wir wollen nur die
Station besichtigen. Offensichtlich versteht sie uns nicht, wir müssen uns hinsetzen und
Tee trinken, während sie den Arzt holt. Mit ein wenig Englisch und noch weniger
Französisch versuchen wir einige Informationen einzuholen. Laotisches Rotes Kreuz mit
Unterstützung durchs Internationale Rote Kreuz. Einen Arzt gibt es hier und einige
Schwestern. Ob es auch Krankenbetten hier gibt. Er versteht die Frage nicht, aber es sieht
so aus, als wären im hinteren Bereich einige Krankenzimmer.
Im Bus von Muang Khoua nach Dien Bien Phu
70
Für die Behandlung hier muss eine Kleinigkeit bezahlt werden. Für Leute mit Einkommen
eine Bagatelle, für andere wahrscheinlich unbezahlbar. Viel mehr Information können wir
dem guten Mann nicht entlocken, wir erlösen ihn von unserer Anwesenheit, um weiter auf
den Berg zu marschieren.
Zurück im Nam Ou Guesthouse zeigt unsere Wirtin plötzlich auf einen der beiden Busse
am anderen Ufer: unser Bus nach Sueng May!
Wir packen also wieder einmal unsere Rucksäcke, um sie die Leitern hinunter zu schaffen.
Der Fährmann legt noch einmal an, um uns einsteigen zu lassen, und wir setzen mit dem
kleinen Boot über den Fluss.
Kaum bei den Bussen angekommen, spricht uns schon ein junger Mann an, ob wir nach
Dien Bien Phu wollen. Er schreibt uns auf, entweder heute 200 US-Dollar nach Dien Bien
Phu, oder am Dienstag 15 US-Dollar. Bei dem Preis, meine ich, fahren wir lieber heute bis
Sueng May, und morgen kommen wir schon über die Grenze. Wir sollen ihm ein Angebot
aufschreiben. Ich rechne schnell. 15 Dollar durch drei macht 5, bei dreißig Passagieren
hiermit 150, also biete ich ihm 90. Der Mann lacht böse und dreht sich auf die Seite. Ich
habe Zeit. Nach einigen Minuten wendet er sich wieder zu uns und schreibt noch einmal
200. Gut, nun weiß ich, wo der Preis sein wird, biete also 100, wissend, dass wir uns bei
150 einigen werden, dem Preis für dreißig Leute. Und richtig! Halsabschneider. Fährt am
Wochenende privat mit dem öffentlichen Bus und kassiert pro Fahrt mehr als 2
Monatslöhne. Aber für uns sind 50 Dollar pro Person verschmerzbar, und das weiß er. Der
Bus ist ein Hit. Als Europäer kann man den ohnehin nur alleine chartern, kaum ein Sitz
bietet genug Platz für die Beine, sofern überhaupt die Sitze noch verwendbar sind. Von
außen sieht das Gerät um Klassen weniger schlecht aus als von innen. Schnell noch einige
Ölfässer ins Businnere. Wir verkeilen uns mit Händen und Füßen zwischen Sitzen und
diversen Metallteilen, und los geht die Höllenfahrt. Landschaftlich ist die Strecke - wie nicht
anders zu erwarten - wunderschön, aber die Schmerzen lassen einen kaum hochblicken. Ich
hätte bei einem internationalen Grenzübergang so etwas wie eine Straße erwartet, aber es
entspricht einer schlecht gewarteten Forststraße in unseren Alpen. Minus Brücken. Solche
gibt es nämlich nicht. Bei jedem Fluss, bei jedem Bach, weiß der Fahrer genau, ob er sich
im Schritttempo durchtasten muss oder mit Vollgas durchpreschen. Die zweite Variante
heißt, dass wir mit Köpfen und Gliedern gegen sämtliche Metallteile des Busses knallen,
hin und wieder fällt mir auch ein Hammer, ein Schraubenschlüssel oder eine Brechstange
aus der Werkzeugkiste auf die Zehen.
Wenn wir es wagen, trotzdem aus dem Fenster zu blicken, sehen wir Frauen, die sich, die
Wäsche und das Geschirr waschen, Haare schneiden, Kinder baden. Am und im Fluss eben
das gesamte Leben, das sich in unseren Breiten in Küche, Waschküche und Badezimmer
abspielt. Wo es geht, fahren wir Vollgas, vor allem durch die Dörfer, weil da die Straßen
meist in etwas besseren Zustand sind. Ein abgestürzter Lastwagen und eine Baustelle, bei
der der Baggerfahrer gerade so viel Straße neu schafft, dass wir mit einem Zentimeter
Abstand zum Abgrund vorbei können, sind unserer Laune nur sehr mäßig zuträglich. Aber
was kostet die Welt? Der zweite Chauffeur will von uns nachkassieren, weil ihm 150
Dollar zu wenig sind, aber ich zeig ihm, was ausgehandelt wurde und ignoriere ihn in der
Folge. Als Nächstes will er uns die restlichen Kip abkaufen, können uns aber mit dem Kurs
nicht einigen. Ich denke, an der Grenze wird es wohl eine Möglichkeit geben.
Auf dem Weg zur laotisch-vietnamesischen Grenze
72
An der vietnamesischen Grenze heißt es aussteigen. Es ist nebelig und bitterkalt hier auf
dem Pass, es hat sicher kaum über null Grad. Wir marschieren also zum laotischen
Grenzhaus. Hier lagert eine gemischte Gruppe, zwei Deutsche, drei Englischsprachige. Sie
sind Vormittag von Dien Bien Phu herauf gekommen und wollen nach Muang Khoua, aber
es findet sich kein Transportmittel. Sic! Sie frieren fürchterlich und wissen nicht, wie sie
die Nacht überstehen sollen. Wie weit es zum nächsten Dorf ist? Naja, zu Fuß nicht zu
schaffen. Während wir darauf warten, dass vielleicht doch mal ein laotischer Grenzbeamter
vorbeischaut, tauschen wir mit den Deutschen einen Teil unserer Kip gegen deren restliche
Dong. Unser Busfahrer kommt und fragt, wo sie hin wollen. Auf der Rückfahrt nimmt er
sie mit, schlägt er vor. 250 Dollar. Was wir gezahlt haben, fragen die Deutschen. Wir
haben von 200 auf 150 herunter gehandelt. 150 seien sie bereit, meinen sie zum Chauffeur,
ist ja nur die halbe Strecke. Er bleibt hart. 250. Maximal 200, sonst bleiben sie da, meinen
die von der Gruppe nun. 250, sonst kommt er nicht. Schön, er sieht die Notlage der Gruppe.
Ich überschlage mal kurz. Es ist halb fünf, und wir sind noch nicht mal über die Grenze.
Also sind wir nicht vor sieben in Dien Bien Phu, der Bus also zwischen neun und zehn
wieder auf der Grenze heroben. Das heißt, die guten Leute sind nicht vor Mitternacht in
Muang Khoua. Dort ist ab halb zehn stockfinster, weil Strom aus, und ab da schlafen alle.
Wo wollen die übernachten? Ich behalte diese Frage für mich. Um 20 Dollar pro Kopf
findet der Halsabschneider mit dem Bus sicher auch dafür eine Lösung. Ich sehe ihn vor
meinem geistigen Auge schon, wie er nächstes Jahr seinen klapprigen Bus in Pension
schickt und mit einem Porsche Cayenne Touristen ausplündert. Die Gruppe resigniert und
zeigt sich mit 250 einverstanden.
Endlich kommt der Grenzbeamte. 4.000 Kip Ausreisegebühr pro Person, weil Sonntag ist.
Dachte, die Buddhisten haben jeden Tag Sonntag. Buddha lächelt verschmitzt. Ob er Kip in
Dong oder Dollar tauschen kann? Ja kann er. Der Busfahrer stürmt ins Büro und schwatzt
eine Viertelstunde auf den Beamten ein. Der Umrechnungskurs, den der Grenzer nun bietet
ist um weitere 10% schlechter als der ohnehin schlechte des Busfahrers. Ich lache ihn aus
und sage, lieber spende ich das Geld für arme Leute. Der Busfahrer ergreift seine - oder
auch unsere letzte Chance, und fragt Renate. Lieber frisst sie das Geld als mit ihm zu
tauschen, bedeutet sie ihm. Der Fahrer hat seine asiatische Gelassenheit wieder gefunden
und winkt uns, wir könnten über die Grenze. Am Schlagbaum werden wir von einem
Grenzer in penibel gebügelter Uniform in Empfang genommen. Ich schmettere ihm ein
fröhliches Xin Chao entgegen, was ihn übers ganze Gesicht strahlen lässt. Wo wir
herkommen? Österreich. Aus Österreich kommen nicht viele, meint er. Guter Mann,
hierher kommen aus keinem Land der Welt viele, aber ich sag nichts, will ihn bei Laune
halten. Er geleitet uns zur vietnamesischen Grenzstation, wo wir auf der rechten Seite zu
einem Beamten müssen, um Formulare auszufüllen, mit denen wir quer durch den Raum
nach links gehen, wo die Formulare von einem anderen Beamten bearbeitet werden. Der
fragt ganz streng, wo ich her bin. Austria. Nein, er will wissen, wo ich herkomme. Aus
Laos. Er schaut mich böse an. Nein, aus welchem Land ich bin. Austria. Ao, setze ich nun
hinzu, was den Beamten, der uns ins Gebäude begleitet hat, nun tanzen lässt. Ao ao, lacht
er, ao ao heißt Hemd. Zweimal Austria ist ein Hemd, und ihn schüttelt es vor Lachen.
Offenbar ist er der Boss, weil er dem Schalterbeamten deutet, mitlachen zu müssen, worauf
dieser in seine Unterlagen ohne weitere Frage einträgt, wer da in sein Land einreist: Ein
Herr Norbert, eine Frau Elfriede und eine Frau Renate. Wenn das nur keine Probleme gibt
bei der Ausreise, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns hierbehalten werden. Also
sagen wir nichts und kehren mit den abgestempelten Formularen zum Beamten auf der
rechten Seite zurück. Der schmucke Offizier begleitet uns und reißt offensichtlich
vietnamesische Witze.
73
Der Beamte hinterm Schalter muss mitlachen, reißt den kleinen Teil des Formulars ab und
gibt mir den großen. Sonst war’s immer umgekehrt, aber ich sage wieder nichts. Er kennt
jemanden aus Austria. Mister Idal. Den kenne ich nicht, kann ja nicht jeden Österreicher
kennen. Doch, den muss ich kennen, jeder Vietnamese kennt Idal. Tut mir Leid. Coach, er
ist Coach. Aha, ich kenne ihn trotzdem nicht. Fußballtrainer, finde ich nun heraus. Er
trainiert die vietnamesische Nationalmannschaft. Idal. Ich gehe mein Gedächtnis nach
Namen im Fußball durch. Riedl? Ja! Der Beamte strahlt übers ganze Gesicht. Ja, Idal, guter
Coach. Und er schiebt Renate den kleinen Abschnitt zu. Ich schaue den kleinen Abschnitt
in Renates Hand und den großen in meiner an, den feixenden Offizier in meinem Rücken.
Der Schalterbeamte sieht meinen fragenden Blick und reißt mir das Formular aus der Hand.
Gut, jetzt habe auch ich den kleinen Abschnitt. Geht ja. Alles erledigt, und wir haben nicht
einmal eine Viertelstunde gebraucht gegenüber der halben beim Laoten. Xin Chao wirkt
besser als Sabaidii. Buddha hält sich schüttelnd vor Lachen seinen dicken Bauch. Gutes
Karma, wieder dem Nirvana einen Schritt näher.
Unser Bus steht mit offenen Türen draußen. Elfi will einsteigen. Entsetzt reißt sie unser
Offizier von der Tür zurück. Wir müssen zu Fuß über die Grenze! Feierlich öffnet er den
Schlagbaum und verabschiedet uns mit freundlichem Lächeln.
Endlich kann unser Chauffeur wieder angasen. Es dämmert bereits, und im reichen
Vietnam gibt es sogar ein schmales Asphaltband, also donnern wir den Berg hinunter. Auf
dieser Seite der Grenze gibt es kaum Dörfer, sodass wir sehr rasch auf Dien Bien Phu
zufliegen. Als die Finsternis hereinbricht, wird die Fahrt kriminell, ich kann mir nicht
vorstellen, dass der Fahrer so viel mehr sieht als ich. Für die Hühner auf der laotischen
Seite hat er gebremst, für die Radfahrer und Fußgänger hier herüben kennt er kein Pardon.
Möglicherweise mag er seine Landsleute nicht. Dafür fragt er uns, in welches Hotel wir
wollen. Da von Travellern in den Foren das Dien Bien Phu Hotel empfohlen wurde, nenne
ich ihm das. Vor allem ist es angeblich ohnehin das einzige in der Stadt. Ich glaube, wir
haben uns Erholung in einem richtigen Hotel verdient. Als wir in die Stadt fahren, hält der
Fahrer an und fragt nach dem Hotel. Kennt niemand, also braust er weiter. Bei jedem Haus,
aus dem etwas mehr Licht dringt, verlangsamt er die Fahrt und fragt, ob es dieses sei. Ja
keine Ahnung, wie das Hotel ausschaut, wenn es nicht mal die Einheimischen wissen….
Bei der Tafel "Umkehren verboten" reversiert der Fahrer mit seinem großen Bus und fährt
wieder zurück, hält bei einem Gästehaus und hupt den Besitzer wach. Nein, wir wollen ins
Dien Bien Phu Hotel! Wieder über alle Sperrlinien umgedreht, und er braust weiter. Am
Ende der Stadt ist der Busbahnhof, wo man uns aussteigen lässt. Dien Bien Phu Hotel? Die
herumlungernden Gestalten weisen auf die Häuser gegenüber. Wir sind müde, wir sind
gesundheitlich angeschlagen, und uns ist inzwischen alles egal. Wirklich ist schräg
gegenüber ein Guesthouse. Einige junge Vietnamesen haben am Boden Essen ausgebreitet
und laden uns ein. Wir lehnen dankend ab, wollen eigentlich nur ein Zimmer. Ja, natürlich,
es ist etwas frei. Eine junge Frau zeigt uns die Zimmer, Renate wartet bei den Rucksäcken.
Die Zimmer schauen ordentlich aus, haben sogar Balkone. 120.000 Dong, ritzt sie uns in
die Mauer. 5 Euro fürs Zimmer, da hatten wir schon Schlechteres für mehr Geld. Wir
ziehen also ein. Als wir später fortgehen, um ein Restaurant zu suchen, laden sie uns in der
Halle wieder zum Essen ein. Ich wäre geneigt gewesen, aber Elfi und Renate lassen sich
von den Schälchen und Tässchen am Boden abschrecken. Blöd, dass wir in ganz Dien Bien
Phu kein Restaurant finden. Ich esse halt in einer Suppenküche, die Damen fasten. Renate
wirkt ohnehin unentspannt, und Elfi hat sich auch noch nicht erholt. Mein Kobold schweigt
seit Muang Ngoi, also lasse ich mir die Pho Bo allein schmecken. Na ja, eigentlich nicht so
toll, aber mein Bier ist okay. und Tee für die Damen gibt’s gratis.
A1 Wir werden Filmstars
Vom Panzer aus genießen wir die Aussicht über Dien Bien Phu und Umgebung. Das
Filmteam hat uns bis hier herauf verfolgt. Aber hier können wir in die Schützengräben und
das weit verzweigte Tunnelsystem flüchten.
Heute Morgen konnten wir endlich wieder einmal etwas länger schlafen. Auf der Suche
nach etwas Essbaren durchstreiften wir den Markt, da gab es aber nichts
Langnasengeeignetes. Beschränkten uns auf den Kauf warmer Unterwäsche, die uns in
Nordlaos gefehlt hatte. Und dann begaben wir uns durch die fast ausgestorbene Stadt auf
Suche nach dem Dien Bien Phu Hotel, weil wir ordentlich frühstücken wollten. Auf einer
Prachtstraße mit vielen Kolonialbauten wurden wir schließlich fündig. Das Restaurant
glänzte aber durch gähnende Leere, also zumindest einen Kaffee im Coffee Shop vorne zur
Straße hin. Zum Essen gab es nichts. In der Rezeption erkundigten wir uns nach
Transportmöglichkeiten nach Sapa, weil ich etwas von einem Minibus gelesen hatte, der
angeblich kaum teurer ist und bis Sapa ohne Umsteigen durchfährt. Der Rezeptionist
verwies uns auf den öffentlichen Bus am Busbahnhof, und wir sollten die Tickets noch
heute Vormittag kaufen, morgen im Bus würden sie das Doppelte kosten. Und ob wir nicht
mit ihm am Nachmittag eine Besichtigungstour machen wollten, zwei verschiedene
Varianten. Wir nahmen seine Visitenkarte und beeilten uns mit vielen Dankesworten, damit
wir rechtzeitig beim Busbahnhof waren. Und seine Touren könnten wir auch ohne Guide
machen, waren wir überzeugt. Bei den Fahrkartenschaltern war die Hölle los, aber eine
Ticketverkäuferin hatte Erbarmen und nahm uns mit strengem Blick auf die Drängler an
die Reihe.
Nun hatten wir immer noch nichts gegessen, aber irgendwo auf dem Weg würden wir wohl
was finden? Nichts, kein Restaurant, zumindest keines offen. Immer noch Tetfest. Ich
hasse alle, die etwas anderes geschrieben haben. Vor einer Oberschule fiel uns auf, dass
alle Schüler ihre eigenen Hockerchen mitnehmen müssen. Haben die für daheim und für
die Schule nur eines, oder werden die Dinger sonst in der Schule über Nacht geklaut? Ein
Schüler erklärte mir, wo ich ein Internet Café fände. Musste mich endlich mit Ker in
Verbindung setzen, wann wir ankommen. Als ich unschlüssig in ein Internet Café blickte,
kam ein Mann winkend über die Straße gelaufen und zog mich dort weg. Internet für mich
wäre gegenüber. Ich war sehr misstrauisch. Wieviel kostet es? Er winkte ab und schob
mich ins Geschäft hinein, eine Druckerei. Mit dem ersten PC kam ich nicht zurecht, die
vietnamesische Tastatur wollte meine Befehle nicht, aber am zweiten konnte ich
problemlos meine Mails verschicken. Der Preis war das Versprechen, die Fotos per Mail zu
schicken. Lässt sich machen.
Im Dien Bien Phu Museum erwischte uns das Filmteam das erste Mal. Zu Stars wurden wir
dann am Heldenfriedhof - und das schon zu Lebzeiten. Plötzlich hielten uns einige junge
Frauen auf, die sich mit uns fotografieren lassen wollten. Zwei von ihnen zogen schnell
hinter einer Säule ihre Festtagstrachten an, damit sie schön mit uns ins Bild kamen.
Photoshooting á la Vietnamese.
Und jetzt stehen wir auf dem A1-Hügel, der letzten Bastion der Franzosen, wo sie den
Indochina-Krieg 1954 endgültig verloren haben. Und das Filmteam ist ebenfalls da.
Endlich haben wir es wieder einmal warm. Die Sonne scheint und es wäre perfekt, wenn
wir nicht solchen Hunger hätten. Wir haben auch nichts zum Trinken, echt hart.
Wir suchen die Straßen entlang, bummeln über einen Markt, wo wir aber außer rohem
Gemüse und rohem Fleisch nichts finden. Im Vorübergehen greift mir ein Mann interessiert
auf den Bauch. Der Hungertag hat also nicht viel geholfen, ich bin immer noch eine
Sensation hier. Endlich finden wir ein Café. Wenigstens etwas zum Trinken, wenn wir
schon kein Essen bekommen. Wir warten auf die Suppenküche neben dem Café. Ich habe
nach Pho Bo gefragt und die Wirtin kocht extra für uns. Und sie macht das gut und
reichlich.
In Dien Bien Phu
76
Wir finden kein einziges Wort irgendeiner gemeinsamen
Sprache, aber unterhalten uns den ganzen Abend
hervorragend mit Ma Ria Cat. Wir sind alle im gleichen
Alter und sie hat sich in uns regelrecht verliebt. Auf Tee
und Süßigkeiten sind wir eingeladen. Dazwischen kommen
kurz einige Mädchen vorbei die sich vorne an einen Tisch
setzen, um herzlich über uns zu lachen, wie wir versuchen,
unsere Suppe mit Stäbchen zu essen. Als sie uns ausgiebig
ausgelacht haben, verduften sie wieder und wir können uns
mit Cat weiter unterhalten. Der Abend endet viel zu früh
im Wohlgefallen, aber morgen heißt es abermals früh aus
den Federn.
Wir werden berühmt
77
Am Fleischmarkt von Dien Bien Phu
Bei Ma Ria Cat
Ein Korb voll Sonne Ker lässt uns in die Welt der H’Mong blicken
Sapa mussten wir uns schwer erkaufen. So viele Sünden können wir ein Leben lang nicht
begehen, wie wir hier abbüßen mussten. Sogar Buddha gefror das Lächeln auf den Lippen
und er beschloss, sich vorübergehend abzumelden. Nicht mehr Buddhas eigenes Land,
unser Karma lässt uns verzweifeln.
Ein weiser Entschluss ließ uns in Dien Bien Phu schon um 6 Uhr früh am Busbahnhof sein,
was uns einen Sitzplatz in der letzten Reihe sicherte. Unsere Rucksäcke wurden wie fast
alle anderen Gepäckstücke auf dem Dach verstaut. Nur bei uns hinten lagen Reissäcke auf
dem Boden, die waren wohl zu schwer fürs Dach. Wir wussten also nicht, wohin mit
unseren Füßen. Vor der Abfahrt hätte ich noch aufs Klo müssen, aber als ich die sanitären
Einrichtungen sah, beschloss ich, es zehn Stunden ohne auszuhalten. Die Schlafstellen für
die Busfahrer hatten vergleichbaren Standard...
Kurz vor sieben dachten wir, der Bus wäre voll, da klappten sie die Notsitze aus, so dass es
nun keinen Gang mehr gab. Punkt sieben Uhr verteilte die Schaffnerin Speibsackerln. Für
jeden eines, für Kinder zwei. Das versprach, eine angenehme Reise zu werden. Gut, dass
wir die letzte Reihe hatten. Nach einer halben Stunde sah Renate die ersten Blutspritzer auf
den Seitenscheiben. Nach und nach wurden es immer mehr. Vom Dach tropfte Blut. Das
Rätsel blieb ungeklärt bis zum Schluss, aber ich denke, irgendein armes Schwein wird dort
oben ausgeblutet sein. Das war auch ungefähr die Zeit, als die ersten Sackerln gefüllt und
über die Fenster entsorgt wurden. Wegen so etwas hält kein Bus in Vietnam, er hält nur,
um noch weitere Leute einsteigen zu lassen. Bald saßen auf jedem Doppelsitz drei Leute,
ich hörte auf zu zählen. Da immer mehr Leute einstiegen als ausstiegen, waren auch bald
die Schoßplätze vergeben, die Schaffnerin knallte jedem Fahrgast ein Gepäckstück auf die
Knie, der nicht schon jemanden drauf sitzen hatte. Nur uns verschonte sie. Vielen Dank an
die strenge Schaffnerin im Bus Dien Bien Phu - Lao Cai! Vielleicht liest das wer und sie
bekommt einen Orden. Renate bekam einen hübschen jungen Mann, der sich an ihre Knie
lehnen durfte, weil die Rückenlehne seines Notsitzes kaputt war. Ein hübsches Paar.
79
Die Gegend, durch die wir fuhren, war sehr einsam, oft gab es viele Kilometer lang keine
menschliche Siedlung. Wir fuhren bis knapp an die chinesische Grenze, die Gipfel waren
bereits jenseits. Dann wieder Richtung Süden, Richtung Sapa auf den Berg hinauf, als es
endlich zwölf Uhr wurde. Heiliges Gesetz in Vietnam: Von zwölf bis halb eins ist
Mittagspause. Das Gasthaus, bei dem der Bus Halt machte, war allerunterste Kategorie,
hier wollten und konnten wir nichts essen. Vielleicht dachte der Wirt, wir wären zu arm,
jedenfalls wollte er uns mehrmals was zum Essen schenken, wir lehnten aber trotz Hungers
dankend ab. Die Latrine hatte, wie schon aus Laos bekannt, kein Fließwasser, das heißt,
man musste mit der Hand eine Schöpfkelle aus einem Bottich mit Wasser holen. Ich denke,
das wird die Ursache gewesen sein, auf welche Art ich meine Puffertage in Sapa
verbrauchte. Mit diesen meinen Händen aß ich dann das originalverpackte Studentenfutter,
das Renate noch aus Österreich mit hatte.
Kurz nach Mittag wurde es immer finsterer, je höher wir auf den Berg kamen. Auf dem
letzten Pass vor Sapa zuckten unsere vietnamesischen Mitreisenden völlig aus. Sie weckten
einander auf und begannen wie kleine Kinder zu jubeln und jauchzen. Schon vorher hatte
ich den Eindruck, als wäre draußen eine Eislandschaft, aber das war für die unerfahrenen
Vietnamesen nicht zu erkennen. Oben auf dem Pass allerdings waren die Bäume und
Sträucher mehrere Zentimeter dick mit Eis bedeckt. Es war ein richtiger
Besichtigungstourismus entstanden, die Leute waren mit Mopeds auf den Pass gefahren,
um das Eis zu bestaunen. Um Hände und Füße hatten sie Plastiksackerln gewickelt, und sie
hüpften verzückt in der Eislandschaft herum. Wer dachte da schon an die erfrorenen
Reispflänzchen, die ich im vietnamesischen Fernsehen gesehen hatte. Oder an die
erfrorenen Wasserbüffel, von denen uns Ker später erzählte.
Schlagartig wurde uns ein Problem bewusst: Der Chauffeur fuhr wie eine gesengte Sau, der
Bus neigte sich wegen der großen Dachlast in jeder Kurve bedenklich. Wie käme der
Fahrer mit Glatteis zurecht? Ich sah uns schon in einer Schlucht unser Leben aushauchen,
aber siehe da, Buddha war mit einem kurzen Gähnen wach und schenkte uns eine Baustelle
bis Sapa hinunter. Kostet uns wahrscheinlich einige Punkte Abzug fürs Nirwana. Aber das
ist es mir wert.
Von Dien Bien Phu aus hatte ich im Mountain View Hotel zwei Zimmer mit Heizung
gebucht. Um diese Zimmer warm zu bekommen, hätte nicht einmal ein Flammenwerfer
genügt. Das Mountain View versprüht kolonialen Charme. Die Besitzer werden sich
denken, dass es besser ist, den ursprünglichen Zustand zu belassen, nur leider ist Holz
einem gewissen Schrumpfungsprozess unterworfen, sodass der Wind kalt durch die
Fensterfugen pfeift. Die Elektroradiatoren, die man als Heizung dazu bestellt, sind zwar
süß, aber relativ wirkungslos. Renates Radiator schaltete sich ohnehin automatisch immer
nach zwei Minuten ab. Jetzt hat sie das Zimmer bereits zwei Mal gewechselt und den
Heater drei Mal getauscht. Unser Radiator ist zwar in Ordnung, aber da täglich bei
Einbruch der Dunkelheit Stromausfall ist, macht er auch nur bedingt Freude.
Nur hier in der Halle ist es noch etwas kälter, stehe mit Haube und Handschuhen hier und
versuche einige Mails zwischen den Stromausfällen durch den Äther zu schicken. Ich
fürchte, da wird heute nichts mehr, um acht holt uns Ker ab. Eigentlich warte ich auf
Johnny, der versprochen hat, in einer Stunde mit den gewaschenen und getrockneten
Schuhen zurück zu sein. Seit kurz vor sieben warte ich. Aber wie soll er eigentlich ohne
Strom die Schuhe trocknen?
Ker wollte uns schon am Ankunftstag treffen, hatte sich extra die ganzen Tage Urlaub
genommen. Leider erkannte sie uns in unserer Vermummung nicht, wie wir in der
Hotelhalle um den Holzkohlengrill saßen.
Treffen mit Ker
In Sapa
Sapa
Sapa
Sapa
Ker
86
Da ich nicht wusste, dass Ker schon am Nachmittag kommen würde, schaute ich natürlich
auch nicht nach ihr aus. Der Portier kannte keinen Norbert, sie keinen Wallner, also trafen
wir sie erst am Morgen darauf. Pünktlich um acht Uhr wie vereinbart stand sie vorm
Mountain View. Die Freude war groß auf beiden Seiten. Wir gingen in die benachbarte
Bäckerei (die, die dann abbrannte), um die nächsten Tage zu besprechen. Ich war mit
meinem Fieber außer Gefecht, Renate hatte es auch wieder erwischt, wenn auch nicht so
arg wie mich, also vereinbarte ich mit Ker, dass sie sich um Elfi kümmern sollte, erst
einmal eine kleine Trekkingtour machen. Morgen würden wir weiterschauen. Nach
Schüttelfrost und mehreren Schweißausbrüchen in der Nacht hatte ich nun 39,5 Fieber.
Nach dem ersten Trekking mit Elfi kam Ker Renate und mich am Zimmer besuchen.
Schön, einen Krankenbesuch zu bekommen, daheim geht es mir nie so gut. Renate
interessierte sich für Kers Tracht. Nach und nach musste das arme Mädchen sich
auswickeln und vorführen, welche Schichten sie noch darunter hatte. Schaute sie in voller
Montur relativ stämmig aus, wurde Ker mit jeder abgelegten Schicht immer dünner und
dünner, bis ich meinte stopp, hört auf! Ich hatte Angst, das Mädchen würde mit der letzten
Schicht Kleidung sonst verschwunden sein.
Meine Krankheit behandelten wir zuerst auf Grippe. Die einzige Zustandsveränderung war,
dass ich am zweiten Tag fürchterlichen Durchfall bekam. Daraus schlossen wir
messerscharf: Grippe nein, Darminfektion ja, und Elfi änderte die Behandlung. Unsere
Expeditionsärztin bewährte sich wieder einmal. Nach mehrmaligem Schüttelfrost und
ebenso häufigen Schweißausbrüchen konnte ich am dritten Tag, also gestern, ans
Aufstehen denken.
Ich streifte einen halben Tag durch Sapa, während Elfi und Ker auf Trekking waren. Als
ich vom Markt zurück zum Mountain View wollte, lief mir Ker über den Weg, die gerade
die Tour mit Elfi und Renate beendet hatte. Sie hat schon die von mir bestellten
Handytascherln. Ob ich die sehen will. Ja, klar, wo? Sie kann sie mir ins Mountain View
bringen oder ich komme gleich mit ihr in ihre Wohnung.
Ich platzte vor Neugier, also in ihre Wohnung! Wir gingen ein Stück den Berg hinunter, der
Blick öffnete sich über das Tal, herrlicher Ausblick auf die Berge. Ker führte mich in einen
Hof, von da in einen Hinterhof, und wir betraten ein Ding, das bei uns gerade noch als
Saukobel durchginge. So wie viele Behausungen gibt es auch hier kein Fenster. Wenn man
Licht will, lässt man die Tür offen. Ker bewohnt dieses Zimmer gemeinsam mit ihrer
Freundin Lan, und sie teilen sich ein Bett. Letzte Nacht waren sie sogar zu Dritt, meinte
Ker. Schon eng. Nicht so schlimm, lachte sie, sie sind ja nicht so groß. Das Zimmer ist
abgesehen vom nackten Beton sehr sauber und die beiden haben alle Wände mit Postern
tapeziert. Sie wollen aber heute umziehen. Sie nehmen alle Poster mit? Ja klar. Viel Arbeit,
meinte ich. Der Vater kommt helfen.
Ker zeigte mir die Handytascherln und wir einigten uns auf einen Preis, der für uns beide
fair war. Ker begleitete mich noch bis zum Mountain View, ich merkte, dass ich noch
vollkommen parterre war, schaffte die kurze Steigung beinahe nicht. Besorgt und
nachdenklich schaute mich Ker an. Geht schon, beruhigte ich sie, morgen bin ich gesund.
Und sie soll einen Jeep für morgen besorgen. Ich zeigte ihr einen Russenjeep, den ich
meinte. Was er kosten soll? Ich sagte ihr, was ich letztes Jahr gezahlt hatte, und mehr dürfte
er nicht kosten. Sie wird sich umhören. Und heute Abend geht sie mit uns tanzen. Was für
Tanzen? Volkstanz. H’Mong-Disco sozusagen . Sie holt uns um acht ab.
Ich musste mich also fit fühlen. Ker führte uns dann natürlich nicht gleich zur
Tanzveranstaltung, sondern wir mussten zuerst zu den H’Mong Sisters, ein erstaunlich
nettes, gemütliches Lokal. Spielelokal. Billardtisch, der entsprechend gemischt frequentiert
war. Einheimische Mädchen, ausländische Burschen, wie sonst. Verschiedene Brettspiele.
Und ein PC mit Internet. Von da schreibt Ker immer ihre E-Mails.
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Ker bei den H'Mong Sisters
Volkstanz in einer Bar in Sapa
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Lan ist da, Kers Freundin. Elfi hat sie schon am ersten Tag beim Trekking mit Ker
kennengelernt. Lan hat einen australischen Freund, 39 Jahre alt, der mehrmals pro Jahr
kommt und ihr alle möglichen Versprechungen macht. Uns kommt der Typ ein wenig
suspekt vor. Er versucht, auch die anderen Mädchen immer zu berühren. Wir fragten Ker,
was sie von ihm hält. „I don’t know.“ Da Ker nicht dumm ist, sagt das alles.
Die Tanzveranstaltung war in einer eiskalten Hotel-Kellerbar. Da ich mich noch nicht
gesund fühlte, bestellte ich Tee für mich, worauf der Kellner Tee für alle brachte. Auch die
nächste Bestellung ging schief, wir gaben auf. Es war entsetzlich kalt und uns fror beim
Anblick der nackten Zehen der männlichen Tänzer. Sonst war es wirklich nett, die Musik
klang nicht so asiatisch wie bei den Vietnamesen, fast europäisch. Der Hit zum Schluss war
der Tanz mit den Bambusstangen, auf den die wenigen, vor allem einheimischen Besucher
nur gewartet hatten. Ker wollte uns auch motivieren, aber wir sahen unserem Mädchen
lieber zu, wie sie glücklich mitmachte, statt uns zu blamieren.
Wie vereinbart stand heute um acht Uhr in der Früh der Jeep mit Fahrer bereit. Es ist nass
und es ist kalt. Schade, dass Little Chi, meine Begleiterin vom Vorjahr, ausgerechnet erst
heute Früh nach Sapa herauf gekommen war, um mir Hello zu sagen. Nach den Tagen mit
Fieber und Durchfall schaue ich offenbar wie der Tod persönlich aus, Little Chi war
ziemlich wortkarg und fremdelte. Nur sehr zögerlich nahm sie meine Geschenke entgegen.
Später in Ta Van ließ sie sich über Vu entschuldigen, dass sie mich nicht erkannt hatte, ich
hätte so alt ausgesehen. Das glaube ich. Das blühende Leben schaut anders aus. Ich sagte
zur kleinen Chi, wir würden Nachmittag nach Ta Van kommen und ob wir uns da sehen
würden. Sie nickte. Okay.
Der Fahrer unseres Jeeps war noch ziemlich jung und sehr lieb und freundlich. Wir hätten
es gar nicht besser treffen können. Der Preis war mehr als okay. Dank Ker
Einheimischenpreis. Ker führte uns heute offiziell als Guide, das heißt, sie trug ihren GuideAusweis sichtbar umgehängt. Wir hatten da schon eine Geschichte gehört an der Grenze,
scheint so, als würde man den Mädchen hin und wieder Schwierigkeiten machen. Unserer
Ker denke ich eher nicht, das schafft sicher niemand, sie zu bestrafen, wenn er ihr ins
Gesicht schaut.
Wir fuhren also den Berg hinunter nach Ban Ho, das Dzay-Dorf mit den heißen Quellen.
Badezeug nahmen wir mit, vielleicht würde das Wetter passen. Also am Wetter wäre es
wirklich nicht gescheitert. Auf dem Weg hinunter hörte der Regen auf und die Wolken
lichteten sich. Bei einem Fotostopp warf sich ein alter Mann vor mir auf die Knie und
bettelte mich mit erhobenen Händen an. Wie von Yen gelernt gab ich ihm einen kleinen
Schein, um kurz darauf zu bereuen, dass ich ihm nicht aufgeholfen und ihm einen größeren
Schein gegeben hatte. Niemand sollte jemals vor mir knien, vor allem in Asien kann ich
mir vorstellen, was das für einen Menschen bedeutet.
In einem der Homestay-Häuser, das ich letztes Jahr schon besichtigt hatte, setzten wir uns
in der Rauchküche am Feuer zusammen und warteten einen neuerlichen Regenschauer ab.
Ich lauschte dem Gespräch zwischen Ker und einem anderen Guide. Ob sie ein Lied singt,
fragte ich Ker. Nein, antwortete sie, sie erzählen sich nur die Neuigkeiten. Eine richtige
Singsprache, klingt zwischendurch auch mal wie Rap.
Und dann standen wir am Weg zu den heißen Quellen. Absolut unpassierbar, selbst für
H’Mong-Guides. Wir wären bis zu den Waden im Lehm versunken. Gibt es nicht einen
anderen Weg? Ja, doch, meinte Ker, ist aber ein Umweg, und sie ist nicht sicher, ob der
passierbar ist. Wir können es ja versuchen, schlugen Ker und ich gleichzeitig vor. Wir
lachten und marschierten los. Bis zur Brücke über den Fluss waren die Wege betoniert,
aber jenseits des Flusses gab es nur mehr Gatsch. Solange es eben zwischen den
Reisterrassen dahin ging, kein großes Problem. Aber bald begann der Weg zu steigen, und
da hatte vor allem Renate Schwierigkeiten, weil ihre Sportschuhe kein Profil hatten.
Von Sapa nach Ban Ho
Chi
Ker
Renate, Elfi und Ker
90
Die mit der Profilsohle hatte sie daheim gelassen, weil sie löchrig sind, was bei diesem
nassen Wetter unlustig ist. Also zog die kleine Ker sie den Berg hinauf, bis zu dem Felsen,
wo man über das ganze Tal blicken kann und auf die heißen Quellen schauen kann. Nein,
teilte ich meinen Beschluss mit, wir gehen nicht mehr weiter, wir sehen die Quellen eh von
hier. Die anderen betrachteten den Weg und waren meiner Meinung. Hätten wir sicher
nicht geschafft, ohne im Gatsch zu landen, zwischendrin auch die Gefahr, abzustürzen. Wir
drehten also um. Die ersten paar Hundert Meter geleitete Ker Renate an der Hand hinunter,
aber bergab hatten auch Elfi und ich kein leichtes Spiel. Also erfanden wir das
Reisterrassenhüpfen. Hier waren die Terrassen noch ohne Wasser, sodass wir Stufe um
Stufe hinunter springen konnten. Die Terrassen waren jeweils so ein bis eineinhalb Meter
hoch und wir mussten nur darauf achten, mit beiden Beinen gleichzeitig zu landen, damit
wir uns nicht die Knöchel verstauchten. Der Boden war nämlich schon sehr uneben, so wie
ihn eben die Wasserbüffel hinterlassen hatten. Auch Ker fand Gefallen an der Hopserei und
von einem Ohr zum anderen lachend sprang sie uns voraus. Als nächstes erkundeten wir
den Weg zum Wasserfall, aber auch der war uns zu schlammig. Von der Brücke über den
Nebenfluss hatten wir allerdings ausreichend Sicht auf diesen schönen Wasserfall.
Vielleicht schaffen wir es bei unserem nächsten Aufenthalt.
Also zurück ins Dorf, unterbrochen von einer kleinen Rast auf einer Bambusterrasse überm
Fluss. Hier wäre es länger auszuhalten gewesen, aber Ker drängte zum Aufbruch, wir
hatten noch ein großes Programm vor uns. Sie wollte uns bei ihren Eltern vorbei bringen,
und nach Ta Van wollten wir schließlich auch noch. Unser Fahrer bewies all sein Können
die Straße zurück hinauf, bis wir unterhalb von Kers Elternhaus anhielten. Da oben ist ihr
Haus, zeigte sie. Wir sahen außer Reisterrassen nichts. Ker kletterte los. Uns war nicht klar,
wo sie gehen wollte, es war kein Weg zu erkennen, nur Reisterrassen, Schlamm und ein
paar Steine. Wir turnten Ker nach, Elfi, ich, Renate. Als wir uns nach Renate umdrehten,
konnten wir gerade sehen, wie sie in Zeitlupe mit ihren Ballettschuhen den Berg verkehrt
hinunter rutschte, von einem Stein gestoppt wurde, und langsam, den Hintern voran, in ein
Schlammloch kippte, die Hände mit der Filmkamera hoch erhoben. Die Szene war zum
Brüllen komisch, aber im ersten Augenblick überwog die Sorge, ihr könnte etwas passiert
sein. Elfi funktionierte für Renate eines der ungebrauchten Badetücher in einen Rock um.
Sah fast wie eine einheimische Tracht aus, sodass wir uns formvollendet bei Kers Eltern
vorstellen konnten. Die saßen in der Rauchkuchl mit Kers kleiner Nichte und Hund und
Katz am Feuer. Kers Mutter konnte leidlich Englisch, sodass wir eine ruhige, bedächtige
Unterhaltung in Gang halten konnten, unterbrochen von kräftigen Zügen aus der
gigantischen Bambusrohrpfeife. Ich möchte lieber nichts über den Inhalt wissen.
Zwischendurch rannte Ker hin und her, bereitete Essen zu und richtete ihre Sachen für die
nächsten Tage.
Ob wir eine Decke kaufen wollen, fragte die Mutter. Ja, wollten wir sowieso. Hübsche
Frau, die Mutter. 49 Jahre alt, schaut aber 10 Jahre jünger aus. Ich kenne dort
Zwanzigjährige, die älter aussehen als sie. Sie ist Schamanin, erzählte uns Ker beim Essen.
Es gab Reis, Erdäpfel und gebratenen Bauernspeck. Schmeckte eigentlich gleich wie bei
uns in den Alpen. Bergvolk ist Bergvolk, kann man sagen was man will. Ker schaut uns
beim Essen auf die Finger. Ob Elfi beim Heiraten weit weg zu den Schwiegereltern
gezogen ist? Daran wie jemand die Stäbchen hält, kann man das nämlich feststellen. Je
weiter hinten ein Mädchen die Stäbchen hält, umso weiter wird sie von zu Hause
wegziehen. Es bedeutete einigen Erklärungsaufwand, dass es bei uns nicht üblich ist, dass
die Mädchen zu den Schwiegereltern ziehen. H’Mong-Mädchen können heute heiraten,
wen sie wollen, erzählte uns Ker. Früher wurden sie von den Eltern verkuppelt, aber das ist
heute nur mehr selten der Fall.
Trekking in Ban Ho
92
Aber da die Mädchen mit ca. 12 Jahren beginnen, nächtelang an ihren schönen Trachten zu
nähen, bis sie so zwischen 8 und 12 beieinander haben, werden sie wohl nicht all zu oft in
ein anderes Volk einheiraten. Sie müssen nämlich die Tracht des Volkes tragen, dem der
Ehemann angehört, und da wäre die ganze Arbeit umsonst gewesen. Vor allem heißt
Heiraten Kinder kriegen, und dann ist kaum mehr Zeit zum Nähen.
Ker zeigte uns die Gegenstände, die ihre Mutter als Schamanin verwendet. Trommeln,
Schälchen, Fähnchen. Sie träumt, wie sie helfen kann, sie träumt auch die Zukunft. Ihren
Sohn heilte sie von einer Magenkrankheit, indem sie träumte, was das Gegenmittel war und
wo es zu finden wäre. Es war ein Bambusrohr, das wie ein Büffelhorn aussah und es war
100 km entfernt zu finden. Sie schickte Kers Vater los, und wirklich fand er solchen
Bambus am beschriebenen Ort. Die Mutter brauchte also nur noch das Bambusrohr längs
auseinander zu schneiden und auf eine Schale mit Wasser zu legen. Nach einiger Zeit ist
Heilwasser daraus geworden. Jetzt braucht’s nur noch Weihrauch und ein paar Gebete.
Buddha stellt sich schlafend, damit man sein Grinsen nicht sieht. Aber es hilft trotzdem.
Mit Buddha und ohne.
Drei Familien mit drei Generationen wohnen unter einem Dach. Das Kabinett hinter der
Feuerstelle bewohnen die Eltern, hier drinnen hat Ker auch ihre Sachen. Im Zimmer rechts
vom Wohnraum wohnt der ältere Bruder mit Frau und zwei Kleinkindern, im linken
Zimmer der jüngere Bruder mit Frau. Kers Schwester hat den Jollyjoker erwischt und
wohnt auf dem Dachboden.
Wo ist die Toilette, wollte Renate wissen. Draußen, meinte Ker. Renate blickte vor die Tür,
wo gerade der Hund ein Ferkel verjagte, das ins Haus wollte. Ein so genannter
Schweinehund also. Wo, fragte Renate. „Where you want“ Renate blickte auf die
Reisterrassen. Kein Baum weit und breit, kein Strauch, und von allen Bauernhäusern
ringsum blickten die Leute neugierig her. Die arme Renate musste sich mit ihrer Blase
arrangieren.
Den Weg hinunter schaffen meine Damen nur mit tatkräftiger Hilfe der kleinen, aber zähen
Frauen.
Mit dem Jeep ging es weiter nach Ta Van. Es gab wieder einige Gästehäuser mehr
gegenüber dem Vorjahr, ansonsten wie bekannt. Wir waren sofort von ganzen Trauben von
Frauen und Mädchen umringt, die uns unverhohlen neugierig ausfragten. Hello! What’s
your name? Where are you from? How old are you? Do you have children? Buy for me!
Hello, how are you? Where you from? Please buy from me. Buy for me! How old are you?
What’s your name? Where you go now? You children? What’s your name?.... Hundert mal
dieselben Fragen, mal besseres Englisch, mal schlechteres.
Die Anzahl der Begleiterinnen wuchs permanent. Wir waren für heute die letzten und
einzigen Besucher, sodass sich alle Wegelagerinnen von Ta Van auf uns Drei stürzten.
Nicht alle wollten etwas verkaufen, manche sich wirklich nur unterhalten, aber das waren
Ausnahmen. Wie Vu. Wir erkannten einander sofort. Little Chi hatte sie geschickt. Da wir
so lange nicht gekommen waren, hatte sie heim müssen, schließlich ein weiter Weg zu Fuß.
Schade! Am Ende unseres Rundganges erbarmte ich mich der Mädchen und wollte jedem
etwas abkaufen. Ich bestimmte die Reihenfolge, in der ich verhandeln wollte, aber nach
einer Viertelstunde hatte ich gerade mal drei Geschäfte abgewickelt, bevor ich aufgab. Die
anderen hielten mir dauernd ihre Handarbeiten vor die Augen und redeten auf mich ein, es
war ein beängstigendes Gedränge, sodass ich die Verhandlungen einstellte. Eine Frau, der
ich ein Geschäft versprochen hatte, fragte enttäuscht, warum nicht. Ich meinte, ich könnte
nicht handeln in dem Gedränge, ich verstünde mein eigenes Wort nicht. Und sie würde
unter diesen Umständen auch nichts kaufen. Sie blickte mich traurig mit großen Augen an.
„Yes I understand you.“
Bei Kers Familie in der Nähe von Ta Van
94
Unsere Sportschuhe waren mittlerweile restlos in Lehm gebacken, ich war mit dem rechten
noch schnell in eines der allerletzten Löcher gerutscht, nachdem ich bis zum Schluss das
Ärgste hatte vermeiden können.
Zurück in Sapa war beim Aussteigen Johnny auf uns zugestürzt. „I wash your shoes and
dry them. Only one hour. Only two Dollars.” Engel sind teuer und wir hätten jeden Preis
gezahlt. Der Junge war zur rechten Zeit am rechten Ort, also stand ihm was zu.
So, und nun stehe ich in der Kälte am finsteren PC in der finsteren Halle, mit leicht
verknackstem Knöchel und schmerzendem Meniskus, weil ich in der Finsternis die letzte
Stufe übersehen habe. Johnny be good! Langsam frieren mir die Zehen ab. Wie Du das
machst mit dem Trocknen ist mir Wurscht, aber mach es und komm mit unseren Schuhen!
Bitte!
Schließlich wollen wir mit Ker auf einen Farewell-Drink. Ker heißt eigentlich Co, und Co
heißt Korb. Und bei allem Regen und aller Kälte brachte Ker Sonne in unser Leben. Ein
Korb voll Sonne. Wir haben sie inzwischen alle tief in unser Herz geschlossen. Heute
Abend heißt es, schweren Herzens Abschied zu nehmen. Vorausgesetzt, Johnny versetzt
uns nicht mit unseren Schuhen.
In Ta Van
96
Kalte Füße, warme Herzen Unsere Kinder in Tram Tau
Wir eilen durch die kalte Halle des
Mountain View Hotels in Sapa. „Where
are you now?“ hat uns wenige Minuten
zuvor wie üblich Ker angerufen, um sich
mit glockenheller Stimme zu
vergewissern, dass wir das Treffen eh
nicht vergessen haben. Sie ist pünktlich
und verlässlich wie immer. OK, wir auch.
Johnny war kurz vor acht doch noch mit
unseren Schuhen erschienen. Ganz trocken
waren sie nicht, aber ich zahlte ihn
trotzdem aus. Ohne Strom reitet selbst
John Wayne vergebens. Als wir die
Zimmerschlüssel beim Portier abgeben,
meint dieser, nach uns habe jemand
gefragt. Sie ist jetzt Essen gegangen.
Messerscharf schließen wir, es muss sich
um eine World Vision-Mitarbeiterin
handeln, die gekommen ist, um uns
morgen abzuholen. Er soll ausrichten, dass
wir in ca. eineinhalb Stunden wieder
zurück sind. Ich will die gute Frau
schließlich nicht enttäuschen und warten
lassen, andererseits hatten wir den Abend
aber für Ker reserviert. Wie gewohnt
empfängt uns diese vor dem Hotel mit
strahlendem Lachen. Wir diskutieren
einige Minuten, wo wir hingehen wollen.
Irgendwohin, wo es warm ist, meine ich,
obwohl mir sowieso klar ist, dass Ker
schon längst die Entscheidung getroffen
hat. Aber wir spielen gutwillig mit und
landen in einem weiteren Billardlokal.
Auch hier kennt das Mädel jeder, aber ist
ja gut so. Da es uns ohnehin egal ist, soll
sie ihren Spaß haben. Sie weiß, was uns
behagt - und es ist auch wirklich relativ
warm - und recht gepflegt. In diesem
Lokal im ersten Stock stellt man uns sogar
einen Griller mit richtigem Holzfeuer vor
die Füße - nicht wie sonst überall nur zart
glosende Holzkohle. Solange man Haube
und Handschuhe anbehält, richtig
gemütlich heute Abend! Noch bevor dieser
allerdings richtig begonnen hat, müssen
wir leider Abschied nehmen. Ich mach es
recht schnell, damit mir nicht die Tränen
kommen und frage noch, ob Ker morgen
Früh kommt, um uns zu verabschieden.
Klar kommt sie. Abschied auf Raten…
Zurück im Mountain View Hotel erwartet
uns bereits Tinh, wie sie sich vorstellt. Ein
kleines Mäuschen, das sich sehr streng und
offiziell gibt und uns mit amtlichem Blick
die „Agenda“ für morgen überreicht. Das
Gesichtchen unter der dicken Pudelmütze
sieht ja eigentlich lieb aus. Mädel, Dich
werden wir schon noch auftauen,
beschließen wir, indem wir drei uns
spontan zuzwinkern. Ehrlich gesagt wäre
ich an ihrer Stelle auch verunsichert. Sie
macht ihre Sache gut, indem sie streng
organisatorisch auftritt. Die Zimmer in
Nghia Lo kosten 100.000 Dong, meint sie.
Irgendwie sagt mein Gefühl, dass da was
faul ist an der Sache. Das muss entweder
ein Hühnerstall oder ein Langnasenirrtum
sein.
Wir fragen Tinh, ob man in Yen Bai oder
Nghia Lo warme Hosen für die Kinder
findet, hier in Sapa sind wir nicht fündig
geworden. Sie meint, das wäre nicht nötig,
die Kinder seien ausreichend mit warmen
Sachen ausgestattet. Den restlichen Abend
will Tinh nicht mehr mit uns verbringen,
sie ist müde. Ich glaube es ihr, sie sieht
auch ziemlich geschafft aus. Den Grund
werden wir morgen am eigenen Leib
erfahren, aber das wissen wir jetzt noch
nicht. Uns ist das nicht ganz unrecht,
schließlich müssen wir wieder einmal
unsere Rucksäcke packen, das heißt,
wieder einmal auch die verschiedenen
Geschenke vorbereiten.
98
18.02.2008, später Vormittag.
Mit wackeligen Knien stehen wir über einem schmalen Fluss und lassen uns die kleinen
Orangen schmecken, die hier am Straßenrand zu Bergen aufgetürmt auf den Verkauf
warten. Wer in Gottes Namen wird solche Mengen Orangen kaufen? Unser Fahrer hat hier
zu einer kleinen Rast haltgemacht und gleich mal einen Sack voll zwischen unsere
Rucksäcke gequetscht. Tinh schneidet uns die Früchte in mundgerechte Spalten und wir
blicken über das Flüsschen auf die liebliche Landschaft, während uns der klebrige Saft von
den Fingern tropft.
Pünktlich um acht Uhr Früh stand ein blitzender, nagelneuer Toyota-Allrad vor dem Hotel,
sodass es ein viel zu schneller Abschied von Ker wurde, die bereits in der Hotelhalle auf
uns gewartet hatte. Am liebsten hätte ich das Mädchen eingepackt und mitgenommen. Ein
absurder Gedanke, der mich durchzuckte, und in derselben Sekunde verworfen wurde.
Niemals könnte sie wahrscheinlich wo anders glücklich sein, auch wenn ihre Zukunft hier
ausweglos erscheint.
Wir kommen wieder, um koj ngod hai zu sagen, versprochen!
Unser Toyota ist inzwischen nicht mehr als solcher erkennbar. Er ist mit einer grauen
Schlammmasse überzogen, als hätten wir mit diesem Gefährt einige Reisfelder gepflügt.
Dabei fahren wir nur eine der Hauptstraßen entlang, die von China nach Vietnam führen.
So etwas würde bei uns nicht einmal ein Bergbauer als Hofzufahrt akzeptieren. Ein
einziges Schlagloch mit einigen Asphaltbrocken dazwischen. Endlich ist mir klar, warum
wir für knapp 200 Kilometer den ganzen Tag brauchen sollen…
18.02.2008, 20 Uhr.
Hier in Nghia Lo landen wir beim Abendessen einen Treffer. Zwar fehlt optischer
Firlefanz, aber wir essen nach langer Zeit wieder einmal höchst vorzüglich. Uns werden
Berge von Gemüse auf den Tisch gestellt, das würde locker für zwanzig Leute reichen,
dazu Unmengen meist undefinierbarer Köstlichkeiten. Auf unsere entsetzten Blicke meint
Tinh lächelnd, es würde nur verrechnet, was wir nehmen. Na dann…
Wir bekommen einen Propangaskocher auf den Tisch mit einem Riesentopf Suppe, in die
wir alles werfen, was wir essen wollen. Suppenfondue. Nehmen wir in Zukunft auch
wieder in unseren Speiseplan zu Hause auf, sind wir uns einig. Schmeckt wirklich alles
frisch und wunderbar. Und man verrechnet uns einen Einheimischenpreis. Danke Tinh, das
hast Du super gemanagt!
19.02.2008
Heute ist der große Tag. Pünktlich erwartet uns Tinh mit unserem Fahrer.
Die Inflation für Langnasen im Nghia Lo Hotel hat über Nacht nochmals zugeschlagen.
Der Preis fürs kleine Zimmer ist nun plötzlich von bereits 200.000 auch wie das große auf
300.000 Dong gestiegen, was uns doch ein wenig irritiert. Das Hotel ist zwar wunderschön
und auch um diesen Preis noch billig, aber mit diesen Methoden verdienen sie zukünftig
eigentlich keine Gäste. Tinh bemüht sich vergeblich zu reklamieren, nachdem ja bereits
gestern der Preis sich verdoppelt hatte. Normalerweise sind für uns 100.000 Dong keine
Summe zum Streiten, aber die würden das beim zehnfachen Preis genau so machen. Wir
lassen uns die Laune nicht verderben.
Nach einem herzhaften vietnamesischen Nudelsuppenfrühstück schraubt sich unser Wagen
das lange Tal nach Tram Tau hoch. Das Wetter ist wie gewohnt nass-kalt, doch zumindest
die Sicht ist ausreichend, sodass wir die Landschaft zumindest mit den Augen genießen
können. Eher kein Fotowetter, aber das ist schließlich nicht der Grund unseres Kommens.
Plötzlich öffnet sich das Tal und wir fahren über eine Brücke nach Tram Tau.
99
Der Ort wirkt überraschend groß, fast
städtisch, und vor uns entfaltet sich die
typische Szenerie eines
nordvietnamesischen Bergdorfes. Laden
an Laden gereiht, es wird alles zum
Verkauf angeboten, was man bei uns
schon seit Jahrzehnten nicht mehr
bekommt, Mopeds kreuz und quer, und
dazwischen große und kleine Gruppen von
Frauen und Mädchen in bunten Trachten.
Wie immer die Frage, wo eigentlich die
Männer sind. Das Straßenbild beherrschen
die weiblichen Flower H’Mong, die
zwanzig Prozent Thai sind kaum
wahrnehmbar. Wir machen vor dem
World Vision-Büro halt und werden vom
gesamten Team freundlich begrüßt. ADPManager Son stellt uns den Buchhalter
Kien und die Projektassistenten Nam und
Ha, sowie die Volontärin Nga aus Hanoi
vor. Tinh kennen wir ja bereits. Obwohl
das Team völlig neu ist, wirkt alles bereits
gut eingespielt. Kompliment für diese
professionelle Arbeit! Son scheint ein
perfekter Manager zu sein. Was uns
besonders positiv auffällt: Die World
Vision-Präsenz hier wirkt vorbildlich
sauber und ordentlich - ohne zu protzen.
Man kommt offensichtlich auch ohne
patzigen Geländewagen aus, man findet
mit Mopeds das Auslangen. Natürlich
kann das mühsam sein, weil zum Beispiel
unser gespendeter Fernseher noch nicht an
die betroffene Schule geliefert werden
konnte. Der Transport auf dem Moped ist
nicht möglich, solange die Wege noch im
Schlamm versinken.
Nachdem wir unseren Begrüßungstee
getrunken haben, machen wir uns auf den
Weg zur ersten Schule, wobei uns das
Team auf Mopeds vorausfährt.
Diese Schule besteht aus mehreren
Gebäuden und liegt etwas über dem Tal.
Direktorin und Lehrerteam begrüßen uns
und zeigen uns, dass unser Computer seine
richtige Bestimmung gefunden hat. Das
erste Patenkind, das wir sehen, ist Elfis
dreijährige Giang vom Volk der H’Mong,
das jüngste Kind im Projekt.
Die gesamte Klasse ist versammelt und
bestaunt uns etwas scheu mit kullergroßen
Augen. Giang ist heute mit ihrer Mutter
gekommen. Es wird auch bald das erste
Geschwisterl geben. Leider sehen wir
nicht viel von der schönen Tracht der
Mutter, weil sie darüber dick winterlich
vermummt ist. Im Gebäude ist es leider
nicht wärmer als im Freien. Giang
fremdelt erstaunlich wenig und als sie die
Aufgabe bekommt, an die anderen Kinder
unsere kleinen Mitbringsel zu verteilen,
macht sie das auf fast professionelle Art
und Weise. Ohne jede Scheu bringt uns
die kleine Giang auch ihr Ständchen.
Schon wirklich beeindruckend, und wir
sind sehr stolz auf unser entzückendes
Patenkind. Schließlich verabschiedet uns
die Klasse mit einem Lied, wir müssen
leider weitereilen, da wir noch ein großes
Programm vor uns haben.
Zur nächsten Schule kann unser Allrad
nicht ganz hin, was ja schon einiges sagt.
Also legen wir das letzte Stück zu Fuß
zurück, wodurch wir Gelegenheit haben,
die Landschaft zu bestaunen. Die Wolken
haben sich über den Reisterrassen ein
wenig gelichtet, sodass sich eine traumhaft
schöne Kulisse vor unseren Augen auftut.
Was macht schon das bisschen Schlamm?
Von Sapa sind wir wahrlich Ärgeres
gewohnt.
Besuch bei Giang in Tram Tau
Besuch bei Minh in Tram Tau
Das nächste Patenkind ist Minh, eine wunderhübsche kleine Thai-Prinzessin, die mit Vater
und Mutter gekommen ist, und die uns während unserer gesamten Anwesenheit anstrahlen,
dass ich sie am liebsten umarmen würde. Haben wir nicht unterschrieben, Körperkontakt
zu vermeiden? Eben! Ansonsten sehen wir nur einen großen Teil des Lehrerteams, die
Kinder haben wegen der Kälte heute frei. Wie immer verblassen alle anderen Geschenke,
wenn wir die Stofftiere herauszaubern. Auch Minh liefert uns ein Ständchen, umringt von
einem Dutzend Riesen. Hochachtung auch vor diesem kleinen Mädchen! Im Schulhof
daneben üben die großen Kinder inzwischen für irgendeine Vorstellung. Ich würde gerne
länger zuschauen, aber es heißt Aufbruch, der Tag ist kurz.
102
Auf ins nächste Dorf. Bei der nächsten Schule sollen wir den Unterricht nicht stören.
Schade, wäre sicher ein großes Hallo gewesen, aber ich verstehe es. Wir warten also das
Unterrichtsende ab und schlendern zu Fuß durch den Ort. Zwischen den Reisterrassen wird
gerade die Fertigstellung eines neuen Hauses gefeiert, und uns kommen die ersten
Festgäste entgegen, die wieder nach Hause streben. Hundert Mal Xin Chao und hundert
Mal Hände schütteln. Wir kommen uns wie Staatsgäste vor, wohltuend, wenn man aus
Touristenzentren angereist kommt. Hier wirkt die Freundlichkeit noch echt und
unverdorben, und man fordert uns lächelnd auf, Landschaft und Dorf zu bewundern, was
wir ohne heucheln zu müssen auch ausgiebig machen. Endlich erreichen wir die Schule, wo
wir bereits von der Direktorin erwartet werden, die uns mein Patenkind Cuong mit seinem
Vater vorstellt. Der neunjährige Cuong vom Volk der Thai ist das Kind mit der Nummer 1.
Eine würdige Nummer 1, obwohl er es nicht ganz geschafft hat, seine Kleidung bis Mittag
sauber zu halten. Mehrfach entschuldigen sich der Vater und die Direktorin dafür. Meine
Güte, wie kann sich bei diesem glitschigen roten Lehm überhaupt jemand sauber halten?
Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verbeißen. Also mir reicht es, dass Cuong lieb ist. Der
Junge wird sicher einmal der Schwarm aller Mädchen, hoffentlich merkt er das nicht zu
früh. Den mitgebrachten Fußball nimmt er noch relativ gelassen entgegen, beim knallroten
Ferrari allerdings kann er das Lächeln nimmer vermeiden, überhaupt als ich ihm noch ein
Polizeiauto dazugebe, um den Ferrari wegen Schnellfahrens abstrafen zu können.
Inzwischen ist der Tag vorgerückt, und es heißt, zurück in die Stadt zu fahren, wo wir
gemeinsam mit dem gesamten Team wirklich ausgezeichnet zu Mittag essen.
Besuch bei Cuong in Tram Tau
104
Nun kommt der überraschendste Teil unseres Besuches, den man bis zum Schluss
aufgespart hat. Man wollte wohl den Schock so lange wie möglich hinauszögern. Nun ist
nichts mit Auto, es sei eine schmale Brücke zu überqueren und drei Mopeds warten vor
dem Büro auf uns. Wir müssen uns mit Helmen verkleiden und hinten aufsitzen. Das mit
der schmalen Brücke war eher als Beruhigungspille zu verstehen, sonst hätten wir vielleicht
dankend abgewunken. Ja, irgendwo gibt es schon auch eine Brücke, stimmt! Die
eigentliche Herausforderung ist jedoch, dass wir durch Schlamm und über Stock und Stein
hoch in die Berge hinauf müssen. Unsere Fahrer würgen ihre Mopeds mit den langnasigen
Monstern den Berg hinauf, oft nur knapp die Abgründe entlang rutschend. Mut lässt sich
nicht kaufen, warme Kleidung jedoch sehr wohl, nur leider haben wir nicht ausreichend
dabei. Es wird mit zunehmender Höhe immer kälter, langsam lässt auch die Vegetation
nach, und wären nicht zwischen drin immer wieder Reisterrassen, würde die Landschaft an
österreichische Hochalmen erinnern. Als wir bei der Bergschule von A Khua ankommen,
kippen wir steif gefroren von den Mopeds. Sofort fallen uns die Kinder auf, die barfuss
umherlaufen. Meine Güte! Blau gefrorene Füße! Die hab ich schon in Sapa gesehen, aber
eher bei Erwachsenen. Auch in der Klasse sind einige Kinder barfuss am kalten
Fliesenboden, darunter unser A Khua von den H’Mong. Spontan beschließen wir, allen
Kindern Schuhe zu kaufen. Es werden 22 Paar, wie sich später herausstellen wird.
Eigentlich ist heute wegen der Kälte schulfrei, aber die Neugier ist offensichtlich größer, es
sitzt eine ganze Gruppe beieinander, und im Laufe unseres Besuches werden es immer
mehr, bis die Klasse fast voll ist. Die Kunde unserer Anwesenheit scheint sich in
Windeseile über die Reisterrassen verbreitet zu haben. Die Schule ist nagelneu, ein
Gebäude noch im Bau, und so weit wir sehen können, recht gut ausgestattet. Mir fällt auf,
dass das gesamte Schulwesen in Vietnam offensichtlich in weiblichen Händen ist. Noch
niemals habe ich einen Lehrer gesehen.
A Khua ist sehr lieb und wirkt trotz Down-Syndroms sehr aktiv. Auch er singt ein Lied für
uns, was mich schon wirklich sehr stark beeindruckt. Er hat ein sehr inniges Verhältnis zu
seiner Mutter. Auf meine Frage, was sie brauchen könnte, meint sie, sie hat alles was sie
zum Leben für ihre Familie braucht. Als ich auf A Khuas nackte Füße blicke, hege ich
gewisse Zweifel.
Zum Schluss lernen wir noch A Khuas große Schwester kennen und den Vater, der zur
Feier des Tages in einem dunklen Anzug kommt. Irgendwie sieht dies in all dem Schlamm
hier oben am Berg grotesk aus, aber wir fühlen uns sehr geehrt.
Im World Vision-Büro will ich die Lixi-Kuverts für die Kinder hinterlassen. Es ist nicht
erlaubt, Geld zu schenken. Das sind Zweidollarnoten, kein Geld, Lixi! Seufzend stellt Son
für jeder Zweidollarnote eine Bestätigung aus.
Warum man hier in der Gegend keine Gräber sieht wie im Flachland? Die Thai verbrennen
ihre Toten, damit sind sie keine Gefahr für die Lebenden. Die H’Mong begraben weit weg
von den Häusern. So weit finden die Geister wohl nicht heim. Ernst und traurig schaut
Buddha über unsere Köpfe hinweg. Ich werde ihm zur Beruhigung in Hanoi etwas spenden.
Zum letzten Mal heißt es Abschied nehmen, auch hier mit dem Versprechen
wiederzukommen.
Ein unendlich langer Weg nach Hanoi steht uns bevor.
Wir besuchen A Khua in einer Bergschule bei Tram Tau
Hong und Hat Wir erleben Hanoi und Umgebung
Schweigend rollen wir Richtung Hanoi. Wir sind noch überwältigt von den Erlebnissen und
uns ist nicht nach Reden. Elfi kann sowieso nicht, hat endgültig ihre Stimme verloren.
Plötzlich hält unser Fahrer. Was ist los? Er steigt aus und geht nach hinten. Kommt mit
Halszuckerln für Elfi zurück. Haben dem Mann unrecht getan. Ja, er ist muffelig,
griesgrämig, liegt aber offensichtlich wirklich an seinem Magenleiden. Die Leute in
Vietnam scheinen eigentlich erstaunlich oft Magenleiden zu haben, so gesund scheint die
asiatische Nahrung auch wieder nicht zu sein.
Die Straße ist besser als alle, die wir bisher hatten, unser Fahrer scheint endlich die
richtigen Routen zu kennen, hält sich nicht immer an die vorgegebenen Wegweiser und ist
zwei Stunden früher in Hanoi als vorhergesagt.
The Ritz Hotel ist nicht leicht zu finden, aber nach der dritten Runde um den Hoan Kiem
See sind wir doch da. Wir schon, aber nicht unsere Zimmer. Dreimal hatte ich mir unsere
Reservierung bestätigen lassen, als hätte ich es geahnt. Wir hätten nicht gesagt, wann wir
kommen und deswegen hätte er die Zimmer vergeben. In schlimmer Vorausahnung hatte
ich sogar noch Son aus Tram Tau anrufen lassen. Dem hatte er bereits gesagt, keine
Reservierung. Ich zeigte dem Mann an der Rezeption die Bestätigung mit Uhrzeit, und
verwies nochmals darauf, dass ich ja extra anrufen hab lassen, dass wir etwas später kämen.
Tut mir leid, guter Mann, wenn Du Dein Gesicht verlieren musst, aber selber Schuld, musst
Dir eben abgewöhnen, Gästen die Schuld zuzuschieben. Er hat zwei Hotels in der Gegend
als Ersatz zur Auswahl, gleicher Standard, gleicher Preis, und er zahlt das Taxi. Wir
wählen das Blue Sky. Das Taxi würde uns dann in der Früh abholen, Frühstück dann bei
ihm. Na also. Ich hör auf zu motzen. Das andere Hotel ist sogar teurer, aber für uns ist der
Preis zwanzig wie im Ritz, sie lassen sogar noch zwei Dollar nach, weil wir über Internet
gebucht haben. Ja wenn sie meinen…
Ich schreibe noch schnell Hong ein SMS, dass wir uns nun morgen um neun doch im Ritz
treffen. Hoffentlich klappt das. Sie schreibt zurück, dass sie Heimweh hat, ist erst gestern
wieder von zu Hause nach Hanoi gekommen. Und mir fehlt Kers Fröhlichkeit. Wie man
sich an so etwas gewöhnen kann!
19. Februar 2008
Verhexter Tag. Das Taxi zurück zum Ritz hatte uns pünktlich um acht Uhr morgens
abgeholt, Frühstück, bereits um 08:20 Uhr das erste Zimmer frei. Fünfter Stock ohne Lift.
Elfi und Renate richteten sich zurecht, während ich wieder hinunter ging, um auf Hong zu
warten. Nichts, keine Hong um neun, keine Hong um viertelzehn. Offenbar fand sie das
Hotel nicht, obwohl ich ihr nochmals per SMS versucht hatte, zu erklären, wie sie das
Hotel finden konnte, aber diesen Hinterhof zu finden schaffen nicht einmal die meisten
Taxifahrer. Gerade als ich mich um 09:30 Uhr an den PC setzte, um die Zeit mit E-Mails
zu nutzen, sah ich Hong draußen vorbei huschen. Ich sprinte hinaus und erwische sie
gerade noch. Sie hatte mir mehrere SMS geschickt, die ich aber erst zu Mittag empfing,
und wollte gerade wieder zurück fahren. Irgendwas hatte sie, ich merkte es sofort. Es
konnte nicht das Nichtfinden des Hotels sein, es war etwas anderes. Ich wollte klären, wann
wir zur Parfum-Pagode fahren, sie hatte zugesagt gehabt, mit uns mitzukommen, und
eigentlich wäre nur mehr der Tag zu klären gewesen. Morgen! Eine Freundin möchte auch
gerne zur Parfum-Pagode mitkommen. Schön, gerne. Sie weiß aber noch nicht, ob sie Zeit
haben wird. Nach einigem Hin und Her meint Hong, ok, sie fährt auf jeden Fall mit. Ich
stand auf und wollte die Tour an der Rezeption buchen, als Elfi und Renate gerade kamen.
Nach dem Begrüßen und Bekanntmachen meinte Hong, nein, tut ihr leid, etwas
Unvorhergesehenes ist dazwischen gekommen, sie kann leider doch morgen nicht
mitkommen. Schade, buchte also für uns drei. VIP-Tour, Unterschied: Seilbahn dabei und
better meal.
107
Aber weil ein buddhistischer Feiertag ist, kostet es noch einen Dollar mehr als am Plakat.
Dieser Dollar ist mir auch egal, ok.
Hong hatte nur bis elf Uhr Zeit, ging sich also gerade aus, dass wir gemeinsam ein Mal um
den Hoan Kiem See marschierten und die Don Ngoc Son Pagode anschauen konnten. Hong
erzählte uns noch einmal die Geschichte der Riesenschildkröte, die in der Pagode präpariert
zu sehen ist. Und die Sage mit dem Schwert.
Und jetzt müssen wir uns wieder trennen. Sehr viel kamen wir nicht zum Reden, hätte so
viel zu besprechen gehabt mit ihr. Samstag werden wir Zeit haben, um neun Uhr wird sie
uns wieder abholen. Good-bye, see you on Saturday.
Wir kaufen die Karten fürs Wasserpuppentheater heute Abend und machen uns auf die
Besichtigungstour, die ich schon geplant habe. Die Ba Da Pagode finden wir nicht sofort,
die Kathedrale ist schon geschlossen, also weiter zur Ly Quoc Su-Pagode und vorbei am
Viet-Duc-Hospital. Neben dem Literaturtempel stolpern wir über eine unbekannte Pagode.
Interessiert mich. Da dürften nicht viele Touristen vorbei kommen. Die Wächterin dreht
uns überall das Licht auf. Als ich etwas Geld in die Spendenbox werfe, boxt sie mich in
den Arm und weist uns weiter in den nächsten Raum, wo sie uns auch das Licht aufdreht,
und ja, wirklich schön! Gönnerhaft lächelt uns die Frau zu. Ich verneige mich höflich.
Literaturtempel als älteste Universität in Indochina, Einsäulenpagode, Quan Thanh-Tempel
mit großem Bronzebuddha, Westsee mit der Tran Quoc-Pagode, die als älteste von Hanoi
gilt, wir klappern heute alle wesentlichen Sehenswürdigkeiten der vietnamesischen
Hauptstadt ab. Ich bestehe darauf, in das Restaurant zu gehen, gegen das schon voriges Jahr
Dung protestiert hatte, weil er gemeint hatte, es wäre so touristisch. Ich habe aber nichts
dagegen, wenn mich fünf Bedienstete umschwirren, manchmal brauche ich so etwas. Es ist
dann eigentlich auch kaum teurer als andere Lokale. Zurück dann mit einem Minitaxi, aber
wir sind ja schmal und mager geworden.
Ein bisschen Zeit zum Relaxen haben wir im Ritz, bevor die Vorstellung im
Wasserpuppentheater beginnt. Ich freue mich schon darauf, wollte es unbedingt wieder
sehen, nachdem es mir letztes Jahr so gut gefallen hat. Das Ritz ist sehr sauber und nett
eingerichtet, schöner Ort zum Erholen. Nach der Vorstellung werden wir Hat treffen. Sie
will als Au Pair nach Österreich kommen, Trang hat uns vermittelt. Hat hätte gerne in
Österreich oder Deutschland weiter studiert, aber ihr Vater ist letztes Jahr gestorben und
somit muss sie arbeiten. Sie hat mir schon sehr viel in E-Mails von ihrem Leben erzählt,
und die letzten Tage haben wir einige Male telefoniert. Sie spricht sehr gut deutsch. Bin
schon sehr neugierig auf sie und freue mich darauf.
Aber zuerst Wasserpuppentheater.
Unser Hotel liegt optimal am Hoan Kiem See, das heißt, nur wenige Minuten oben herum
und wir sind beim Wasserpuppentheater. Wir sitzen in einer der vordersten Reihen, heuer
ist die Temperatur angenehm. Letztes Jahr sind wir ja fast verschwitzt da drinnen. Es ist
exakt dasselbe Programm, aber umso mehr kann ich es genießen, weil ich jetzt auf jedes
Detail achten kann. Ich bereite Elfi darauf vor, dass ich beim nächsten Mal Vietnam das
Wasserpuppentheater in Saigon sehen möchte.
Renate hat keine Lust, Hat zu treffen und geht nach dem Theater zurück ins Hotel. Nach
kurzem Warten kommt ein Mädchen mit breitem Lachen auf einer Honda angebraust. Das
kann nur Hat sein, unser kleiner Wirbelwind. Sofort ergreift sie die Initiative, die geborene
Managerin. Kein Wunder, dass sie als Reiseleiterin gearbeitet hat. Vier Jahre hatte sie
Deutsch studiert, und sie spricht wirklich gut. "Genau so". Ihr Englisch ist besser, meint sie,
das muss also perfekt sein. Reiseleiterin konnte sie nicht weiter sein, Frauen haben es
einfach zu schwer in Vietnam. Ja, ich kann mir vorstellen, wie die verarscht werden, mir ist
es völlig klar, dass auch Vietnamesen es nicht leichter haben in ihrem Land als unsereins
dort.
In Hanoi
Sie arbeitet jetzt halt im Büro der Agentur, aber sie ist dort nicht glücklich. Deswegen eben
jetzt die Absicht, nach Österreich oder Deutschland zu kommen. Hat hat recht konkrete
Vorstellungen. Jetzt ein bis zwei Jahre Ausland, dann zurück nach Vietnam, guter Job und
mit neunundzwanzig heiraten. Warum mit neunundzwanzig? Das ist so Tradition und wird
von einer Frau erwartet. Frauen, die nicht heiraten und Kinder kriegen, werden in der
Gesellschaft nicht geachtet. Aber mit der Hochzeit ist das Leben vorbei, deswegen muss
man vorher noch alles ausnutzen, schauen, dass man möglichst viel vom Leben
mitbekommt. Genau so! Es ist überhaupt keine Frage, dass sie mit neunundzwanzig einen
Mann findet. Ihre Mutter meint, es ist besser, wenn Hat in Hanoi bleibt, weil da die besseren
Männer sind. Besser ist in Vietnam, was mehr Geld verdient. Ja, im Prinzip hat sie ja recht,
wenn schon denn schon. Es gibt unter den Armen genau so viele ungute Leute wie unter
den reichen, und liebe Menschen sind auch unter Wohlhabenden nicht seltener. Da wird sie
wohl nicht so falsch liegen.
Hat beantwortet uns noch viele unserer Fragen. Wann Hunde gegessen werden und wann
Katzen. Hunde bei zunehmendem Mond, Katzen bei abnehmendem. Oder war’s
umgekehrt?
Pagoden sind mit Buddha, Tempel ohne, dafür mit berühmten Persönlichkeiten, Geistern
usw.
Geopfert werden Obst, Kekse, Süßigkeiten, echtes Geld, falsches Geld. Sehr beliebt ist es,
mit einem Bündel Geld um Reichtum zu beten. Vielleicht sollte ich das auch versuchen, sei
es nütze! Nein, Hat glaubt nicht daran. Man kann auch Papierfiguren opfern, Papierpferde,
echte Zigaretten. Glauben kann man in Vietnam offensichtlich sehr weit fassen.
Viel zu rasch vergehen die eineinhalb Stunden im Café, das wir für unsere Unterhaltung
gefunden haben. Hat gehört zu den Menschen, bei denen nie der Gesprächsstoff ausgeht.
Genau so.
Hong
Hat
109
20. Februar 2008
Pünktlich um halb neun hetzt eine junge Frau ins Ritz. Ob wir zu Parfum-Pagode wollen?
Ja, wollen wir. Im Laufschritt zu einem Taxi. Spannend, mit dem Taxi zur Parfumpagode?
Nein, wir steigen in einen Kleinbus um. Stopp in Touristenfalle. Wir kennen schon alles,
aber Elfi findet immer etwas.
Als wir im Hafen, ankommen, wo die Boote zur Parfum-Pagode abfahren, will der
Reiseleiter von jedem einen US-Dollar Zufahrtsgebühr kassieren. Das war also der Dollar,
den wir mehr gezahlt haben beim Buchen. Wir weigern uns, gemeinsam mit einem
Deutschen und einem Amerikaner. Die Vietnamesen im Bus zahlen, wir steigen aus und
gehen zu Fuß. Der Reiseleiter schäumt. Wir bleiben gelassen und marschieren mit
Pokerface.
Im Hafen liegen hunderte Ruderboote aus Eisen, absolut genormt, alle rotbraun gestrichen.
Unglaublich, wer so was verbrochen hat! Die meisten Boote, die wir fahren sehen, sind
heillos überfüllt, teilweise mit mehr als dreißig Leuten, die Boote liegen meist bis zum
obersten Rand im Wasser, vielleicht zwei, drei Zentimeter bis zum Kentern. Unser
Kleinbus wird sogar auf zwei Boote aufgeteilt, wir sitzen also gemütlich und sicher. Nach
kurzem Stück machen wir halt, es gibt die erste Pagode zu besichtigen. Bereits hier sehr
viele Pilger, die Pagode ist mit Spenden überfüllt, es überwiegen vor allem die falschen
Geldscheine. Vor der Pagode will ich mir ein Bier genehmigen, die Händlerin verlangt
einen unverschämten Preis für die Dose. Ich biete die Hälfte, aber sie besteht auf ihrem
Preis. Ich lache und sage ihr auf Deutsch, sie kann sich ihr Bier behalten und wende mich
zum Gehen. Sie akzeptiert meinen Preis. OK, geht ja, die anderen Straßenhändler hauen sich
ab vor Lachen, meine Bierverkäuferin schaut sauer, kann sich aber später auch nicht ein
Lächeln verbeißen. Ich lass mir das Bier schmecken und wir können weiterfahren.
Wunderschöne Fahrt, umgeben von hunderten Booten, teilweise mit singenden Pilgern.
Nach gut einer halben Stunde beschaulicher Bootsfahrt laufen wir im Zielhafen ein. Eine
unglaubliche Anzahl von Pilger- und Essenstandeln erwartet uns. Vor allem die
geschlachteten Tiere, die hier zum Verkauf hängen, finden unser Interesse. Einiges
Unbekanntes ist darunter, vielfach erkennen wir aber auch unsere geliebten Haustiere. Es
gibt zahlreiche wirklich sehenswerte Pagoden zu besichtigen, trotz der tausenden Pilger ein
sinnliches Erlebnis. Ein Stück weiter oben führt die Gondelbahn weiter. Wir sind verblüfft,
eine moderne Doppelmayer-Seilbahn anzutreffen. Es fahren kaum Leute damit, die Pilger
müssen den mehrere Kilometer langen Weg auf den Berg hinauf zu Fuß gehen. Uns
verzeiht Buddha und streicht uns nur einen halben Gutpunkt von unserem guten Karma.
Von der Bergstation führt eine lange Treppe zum eigentlichen Heiligtum. Die
Parfumpagode ist das Mariazell von Vietnam. Jeder Vietnamese sollte hierher pilgern - und
heute sind alle versammelt. Achtzig Millionen Menschen opfern heute jede Menge Müll,
der in riesigen Blechtonnen wieder nach oben getragen wird. Na ja, vielleicht sind es nicht
alle achtzig Millionen, aber trotzdem sehr viele. Und dann sehen wir den Eingang mit
einem überdimensionalen Tropfstein. Wirklich eine beeindruckende Szenerie. In der Grotte
stehen Pilger und strecken die Hände aus, um einen Glückstropfen zu erheischen. Die
Spiritualität ist körperlich fühlbar.
Weniger dann später bei der Massenausspeisung in dem Restaurant am Fuße des Berges.
Trotzdem schmeckt es gut, better meal, Ihr wisst! Am besten mundet ein dunkles Fleisch,
zartfasrig, etwas süßlich. Ich greife kräftig zu, bis Renate mich und meine Kamera mit Bier
segnet. Buddha unser, der du bist im Nirwana, unser täglich Hundefleisch gib uns heute,
und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben den Vietnamesen. Amen. Recht
geschieht mir, nur was kann meine Lumix dafür?
Die Bootsfahrt zurück ist beschaulich. Als wir in den Bus einsteigen wollen, meint unser
Reiseleiter, fürs Hinausfahren müssen wir 10.000 Dong zahlen.
Parfum-Pagode
Man wird wohl noch mal probieren
dürfen. Wir würdigen ihn keines Blickes,
drehen uns wortlos um und marschieren
los. Nach kaum fünfzig Metern hält der
Bus neben uns, der Reiseleiter öffnet die
Tür und meint okay. Als wir einsteigen,
sagen die vietnamesischen Pilgerinnen
super und applaudieren. Ich murmle auf
Deutsch, gegen uns gewinnen die
Vietnamesen ihren Krieg nicht, wir sind
keine Amerikaner. Etwas betreten bin ich,
als sich in Hanoi eine der Vietnamesinnen
mit einem akzentfreiem „Auf
Wiedersehen“ verabschiedet.
21. Februar 2008 - Halong Bucht
Norbert, Elfi, Renate. Wahrscheinlich
suchen sie unsere Visaformulare. Seit
mehr als einer halben Stunde schon
könnten wir auf unserer Dschunke sein,
aber wir sitzen hier im Hafen und warten
und warten. Lieber keine Witze machen,
so schlecht kann ein Witz gar nicht sein,
dass er hier nicht Realität werden könnte.
Elfi heißt mich sicherheitshalber still. Wir
sitzen in der Sonne, so etwas hatten wir
schon seit einer Woche Frieren nicht mehr.
Also geht es uns eh gut.
In der Früh sind wir pünktlich abgeholt
worden, der Bus allerdings war eine
Zumutung. Bei der Tür zog es kalt herein
und es waren zusätzlich 4 Sitze an
individualreisende Vietnamesen verkauft
worden. Das bedeutete also für einige
Passagiere Notsitze, und ein Chinese oder
Japaner beschwerte sich lautstark, was ihm
aber auch nichts nutzte. Unterwegs übliche
Touristenfalle mit Unmengen kitschiger
Keramik. Aber der Kaffee war okay.
Endlich bekommen wir unsere Reisepässe
zurück und wir dürfen auf die Dschunke.
Blitzsauberes Schiff, sehr geräumig,
Riesenrestaurant mit ebenso großem
Sonnendeck darüber, wo sich für jeden ein
Liegestuhl findet. Die Zweibettkabinen
sind sehr sauber, mit Klimaanlage, und es
gibt Dusche/WC. Richtiger Luxus.
Auf Deck genießen wir im warmen
Sonnenschein die tausenden
Kalksteininseln um uns, dazwischen
hervorragendes Essen mit frischen
Meeresfrüchten. Bei einer Insel mit
traumhaftem Sandstrand machen wir halt,
aber zum Schwimmen ist es doch ein
wenig zu frisch. Zwei Unerschrockene
lassen sich trotzdem nicht abhalten, ich
erklimme lieber den Berg, um von oben
die faszinierende Inselwelt zu überblicken.
Den nächsten Stopp haben wir bei der
Sung Sot-Grotte, einer Tropfsteinhöhle
von überwältigender Schönheit. Riesige
Hallen mit grandiosen
Tropfsteinformationen, ein echtes
Weltwunder. Die Franzosen benutzten
diese Grotte als Versteck und Lager. Nach
Abzug der Franzosen wurde die Grotte
von der UNO zum Weltnaturerbe ernannt.
Kaum zurück auf unserer Dschunke fragt
uns der Reiseleiter, ob wir unsere Sachen
schon fertig hätten zum Kajakfahren. Elfi
und Renate sind verblüfft, wieder einmal
der Beweis, dass sie mein Reiseprogramm
nicht genau gelesen haben. Von unserer
Dschunke sind wir die Einzigen, die sich
trauen, die anderen machen lieber
Publikum. Eine Stunde Zeit, das ist leider
nicht viel, aber die Sonne schickt sich
schon an, sich für heute zu verabschieden.
Zurück auf der Dschunke schmelzen wir
mit der untergehenden Sonne dahin, bevor
unser Schiff gemeinsam mit zirka dreißig
anderen in derselben Bucht über Nacht vor
Anker geht. Der Abend endet sehr früh,
weil um zehn Uhr der Strom ausgeht und
sich die Besatzung im Restaurant zum
Schlafen legt.
Ha Long Bucht
23. Februar 2008
Ich schaue dem gemächlichen Treiben vor der Kathedrale zu. Hier ist das Leben ein wenig
verlangsamt, einige junge Leute sitzen auf der Treppe und unterhalten sich, andere stehen
in kleinen Gruppen herum und albern wie überall auf der Welt. Wäre ich nicht im Zentrum
einer asiatischen Millionenstadt, würde ich fast sagen Vorstadtidylle. Ein wenig habe ich
mich herausgewagt, den größten Teil des Vormittags sicherheitshalber im Zimmer des
Indochina Hotels verbracht. So gesehen ein Glück, dass Hong krank ist. Sie war in der Früh
schon im Bus hier her, schrieb mir aber dann ein SMS, dass es ihr wieder schlecht wurde
und sie umdrehen musste. War gestern schon krank, aber dachte, heute würde es vielleicht
gehen. Tja, so wurden aus geplanten drei Tagen Zusammensein gerade mal eineinhalb
Stunden. Verhext.
Gestern jedoch hatten wir noch einen wunderbaren Tag. Hatte den Wecker auf sechs Uhr
morgens gestellt, trotzdem war jedoch kein Sonnenaufgang zu sehen, die Berge in der
Bucht waren einfach zu hoch. Egal, wir verbrachten wieder einen Sonnentag an Deck und
genossen die Belohnung für gut drei Wochen Strapazen, die hinter uns lagen. Zum
Abschluss wurden wir noch zu einem wunderbar gelegenen Restaurant mit recht
anständigem Essen gebracht. Bei dem Blick über die Halong-Bucht war das Essen jedoch
sekundär.
Zurück in Hanoi mussten wir das Hotel wechseln, weil im Ritz in dieser Nacht nichts frei
war. Also ins fünf Minuten entfernte Indochina, ein Dreisternhotel, das normal zwischen 25
und 65 Dollar kostet, aber wir bekamen den Ritzpreis von 20. Am Abend hatten wir noch
Lust auf einen ausgiebigen Spaziergang. Konnten eine Begräbnisfeier beobachten, von der
wir sonst nur gehört hatten, mit chinesischer Livemusik. Eine Gasse weiter wurden mitten
auf der Straße Papierkleider in einer feierlichen Zeremonie verbrannt. Und dann nahm das
Schicksal seinen Lauf. Renate musste aufs Klo, also hielten wir nach einem Lokal
Ausschau. Nur welche Suppenküche auf der Straße hat schon ein Klo? Im letztbesten Lokal
kehrten wir schließlich ein, und da wir ohnehin Hunger hatten, aßen wir auch gleich etwas.
Die Preise hätten uns zu denken geben sollen. Das offene Bier kostete sensationelle 900
Dong, also 4 Eurocent. Das Essen schmeckte auch gut, aber um diesen Preis darf man halt
keine europäische Hygiene erwarten, was ich jetzt, wie schon die ganze Nacht, büße.
Deswegen habe ich heute Morgen Elfi und Renate allein zum Ethnologischen Museum
geschickt. Ich kenne es eh vom Vorjahr. Den Abend beschlossen wir nach einem Bummel
über den Abendmarkt dann noch in Minh’s Jazzclub. Gewohnt gut.
Und jetzt warte ich auf meine zwei Frauen, die das Ethnologische Museum offensichtlich
sehr genau besichtigen. Hong konnte mir nicht die Blumen zeigen. Auch nicht ihre
Lieblingsplätze.
Endlich kommen Elfi und Renate, und wir spazieren zum nahen Hoan Kiem-See, um im
Café die Lage zu besprechen. Wir teilen unsere Dong auf, scheint sich bis zur Abreise
exakt auszugehen.
Das Hoa Lo-Gefängnis erreichen wir zu Fuß, und wir versuchen, uns in die Lage der
Gefangenen zu versetzen, was trotz der Puppen schwer möglich ist. Das Hoa Lo-Gefängnis
war das Zentralgefängnis von Hanoi, wo die Franzosen ihre politischen Gefangenen unter
extremen Qualen eingesperrt und zum Teil auch unter die Guillotine geschickt haben. Im
Gegensatz dazu die Fotos, wie super gut es die amerikanischen Gefangenen bei den
Nordvietnamesen hatten. Tja.
Laut Hat ist in der Zitadelle heute ein Festival, also marschieren wir dorthin, finden nichts
Derartiges, also kehren wir stattdessen im dortigen Café ein.
Zeit, wieder zum Abendmarkt zu schauen, dort gibt es angeblich auch Musik. Wir finden
alles dort außer Musik. Die Gehörlosen freuen sich über das Geschäft mit uns, hat sich also
doch ausgezahlt. Auf dem Weg zurück in die Altstadt stolpern wir über eine riesige
katholische Kirche, die in keinem Stadtplan vermerkt ist. Wenigstens Kirchenmusik.
Hanoi
Und Hat treffen wir auch
nicht mehr, scheint wohl
länger zu arbeiten. Keine
Hong, keine Hat. Packen
für morgen. Einmal noch
Geschenke verstauen. Wir
vergewissern uns im
Indochina Hotel nochmals
wegen des Taxis zum
Flughafen morgen Früh
und Gute Nacht.
Trang und Quynh Anh Saigon macht uns den Abschied schwer
Mein Genick ist starr. Ich versuche zu schlafen, aber mein Körper hat keine Ahnung wie
spät es ist, ich habe Durst und meine Beine schmerzen. Elfi, Renate und ich sitzen über
mehrere Reihen verteilt, keine Stewardess weit und breit. Die schlafen sicher besser als ich.
Ich streiche den Qatar Airways gleich einmal drei ihrer fünf Sterne weg. Zwei dürfen sie
behalten, weil der Flug von Saigon nach Doha wirklich angenehm war, jede Menge Platz
für die Beine und die gewohnte eigene Multimediaausstattung für jeden Sitzplatz.
OK, wir unternahmen die Reise ja nicht wegen des Fluges, also vergessen wir die
Unannehmlichkeiten.
Ich habe ausreichend Zeit, die letzten zwei Tage in Saigon Revue passieren zu lassen.
Blenden wir zurück:
Gestern stehen wir um 04:30 Uhr in der Hotelhalle bereit und warten auf unser Taxi. Die
Männer des Indochina Hotels schlafen auf Matten in der Hotelhalle zwischen den Mopeds.
Sie schlafen sehr tief und wir wecken um vier uhr fünfunddreißig einen von ihnen, weil die
Eingangstür abgeschlossen ist. Schlaftrunken torkelt er hoch, schaut auf seine Uhr. Er hat
den Wecker überhört. Er rennt nach hinten und weckt den Taxifahrer, der sich in aller Ruhe
wäscht und anzieht. Nun endlich, mit einer Viertelstunde Verspätung, fahren wir im
erwachenden Morgenverkehr los Richtung Flughafen. Geht sich natürlich ohnehin aus und
wir fliegen pünktlich wie immer ab. Nagelneuer Airbus mit dem größten Sitzabstand, den
ich jemals erlebt habe. Nicht einmal aus den Zeiten meiner Businessclass-Flüge nach
Zürich kenne ich so etwas. Die Reisschleimsuppe mit Shrimps ist allerdings nicht
jedermanns Sache, aber im Blue River Hotel bekommen wir dann ohnehin unser bekannt
gutes Frühstück. Auch die Abholung vom Flughafen funktioniert wieder perfekt.
Trang, unsere Studentin, die ich aus dem Internetforum kenne, schreibt ein SMS, dass sie
sich verspäten werden. Wir hatten vereinbart, dass sie uns um zehn Uhr abholt und uns die
Stadt zeigt. Wenige Minuten nach zehn schneit sie mit ihrer Freundin Natasha, die
eigentlich Oanh heißt, bei der Tür herein. Oanh studierte ein Jahr in Holland, musste aber
wegen einer Krankheit Studium und Aufenthalt abbrechen. Da die Holländer mit „Oanh“
Schwierigkeiten hatten, wurde sie Natasha genannt. Warum eine Vietnamesin einen
russischen Namen bekam weiß auch sie selbst nicht. Natasha jedenfalls kam auf ihrer
Honda mit Trang, weswegen sie doch noch pünktlich waren. Beide Mädchen sehr nett und
wollen uns alles recht machen. Da wir übers Internet vereinbart hatten, eine
Stadtbesichtigung mit dem öffentlichen Bus zu machen, fahren wir mit der Linie 1 nach
Cholon. Thien Han-Tempel und Quan Am-Pagode.
Den Thien Han-Tempel wollte ich wieder sehen, hatte mich letztes Jahr mit seinen
hunderten Figuren am Dach und den Räucherspiralen so fasziniert. Und auch heute wieder
ein schönes Erlebnis. In der Quan Am-Pagode wird diese noch am wenigsten verehrt,
sondern hauptsächlich zu verschiedenen Tiergeistern gebetet, aber auch zu Film- und
Zeichentrickfiguren. Onkel Dagobert hat mir gefehlt. Da ja ohnehin alle mit Geldbündeln
in der Hand beten, wäre das eine sinnvolle Ergänzung. Ich überlege gerade, ob ich das nicht
vorschlagen soll.
Anschließend nehmen wir wieder den Bus und fahren zum Binh Thay Markt, diesem
faszinierenden Großmarkt in Cholon.
Gegen den Durst beschließen die vier Damen, Zuckerrohrsaft zu trinken, trinke ich halt
nichts. So etwas trinke ich auf der Straße nicht aus Gläsern, und Bier haben sie keines.
Wieder mit der Linie 1 zurück, finden uns die zwei Mädchen ein sehr gepflegtes Restaurant
in der Nähe unseres Hotels, wo uns vor allem der Ananasreis sehr gut schmeckt.
Umgerechnet rund acht Euro fünfzig für Essen und Getränke für fünf Personen beweist
wieder einmal, dass es eigentlich nicht sehr schlau ist, in schlechtere Lokale zu gehen, aber
diese Qualität muss man eben erst einmal finden…
Saigon
117
Wir bedauern alle, dass wir nicht mehr Zeit miteinander hatten und verabreden uns daher
für morgen Nachmittag noch einmal zum Süßspeisenessen bei der Universität.
Jetzt brauchen wir ein Taxi zu Quynh Anh, die uns für heute Abend zum Essen eingeladen
hat. Nachdem Quynh Anh unterwegs mal dem Taxifahrer am Handy den Weg erklärt hat,
finden wir auch wirklich die Adresse. Quynh Anh läuft uns schon entgegen, ich erkenne sie
sofort von den Fotos. Eine der besten Freundinnen von Trang, selbe Deutschklasse an der
Universität, deswegen bin ich auch mit ihr im Internet bekannt geworden.
Wir werden sofort von der ganzen Familie überschwänglich begrüßt. Der Vater Tan, die
Mutter Quynh, der Bruder Quang und die Cousinen Vy, Nhi und Nhu. Die Familie führt
eine Comic-Tauschzentrale, die gleichzeitig auch Wohn- und Esszimmer ist. Hinter dem
Verkaufsraum ist das fensterlose Elternschlafzimmer und dahinter die kleine Küche.
Immerhin Fließwasser. Quynh Anh hat ihr Zimmer oben, aber das sehen wir nicht. Vater
Tan war nach dem Amerikanischen Krieg aus Nordvietnam nach Saigon gekommen, wo er
Mutter Quynh kennen lernte, die als Kind vor den Bombenangriffen nach Saigon geflüchtet
war. Beide Kinder studieren und die Familie hat es sicher auch nicht ganz leicht. Wir
müssen sofort alle Fotos anschauen, und die Münzsammlung von Quynh Anh, die vorerst
aus nur sehr wenigen Münzen besteht. Eine komplette Euro-Sammlung habe ich
mitgebracht, werde ihr aber noch einiges schicken müssen, denke ich. Tan zeigt uns stolz
sein kleines Aquarium, das er blitzsauber hält. Das Essen, das Quynh Anh mit ihrer Mutter
für uns zubereitet hat, besteht aus mehreren Gängen und schmeckt vorzüglich. Besonders
angetan haben es uns die Schlickkrapferln, die in Vietnam natürlich anders heißen. Wir
haben wirklich einen vergnüglichen und kurzweiligen Abend und wir sind sehr traurig, als
wir aufbrechen müssen. Die Abschiedszeremonie zieht sich ziemlich in die Länge…
Den heutigen Tag nutzten wir auch noch entsprechend.
Zuerst zu Fuß zum Ben Than Markt, wo die letzten Souvenirs gekauft werden, und dann
weiter zum Saigon-Fluss. Für eine kleine Flussrundfahrt reicht allerdings unsere Zeit nicht,
aber ein Bierchen am Ufer geht sich aus.
Nachher durchs historische Zentrum, Opernhaus, Rathaus, Kathedrale, Hauptpost. Die
Kathedrale ist leider zu, aber wird schon nicht eine übermäßig große Bildungslücke sein.
Im Saigon Trade Center verbringen wir in einem gepflegten Café die Zeit bis zum Treffen
mit Trang. Leider hat nur sie Zeit und wir gehen in ein Lokal in der Nähe, wo es eine
unglaublich große Auswahl an süßen Köstlichkeiten gibt. Ein wenig später stößt doch noch
Natasha dazu.
Schwerer Abschied auch hier.
Ciao, wir kommen wieder.
Beim Einchecken am Flughafen Saigon verweigert man uns die Übersäcke für die
Rucksäcke, aber beim letzten Flug ist uns das auch egal. Wenn jetzt ein Tragriemen reißt,
haben wir kein Problem mehr damit.
Sonnenaufgang 26. Februar 2008, wir nähern uns Wien. Ein traumhaftes Erlebnis geht zu
Ende.
Danke Yen, Don und den übrigen Vereinsmitgliedern im Mekongdelta für Euren
warmherzigen Empfang!
Danke Tinh und Son in Tram Tau für Eure freundliche Betreuung!
Ganz herzlichen Dank an Ker, Hat, Hong, Trang, Oanh und Quynh Anh, und
selbstverständlich an all unsere Patenkinder, ohne die wir diese Reise wahrscheinlich nicht
unternommen hätten.
Trang und Oanh zeigen uns Saigon
Einladung bei Quynh Anh
120
Trang lädt uns zu Süßspeisen ein
Am Flughafen von Saigon
Norbert Wallner
Vietnam - Laos
Paten- und Erlebnisreise
31.01. - 26.02.2008
Papilio - Kinder brauchen Hilfe
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