Nähe und Ferne - Bergmoser + Höller Verlag AG
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Nähe und Ferne - Bergmoser + Höller Verlag AG
Ausgabe 1/2011 Nähe und Ferne Inhaltsverzeichnis Thema Bekenntnisse des Augustinus ................................. 1 Nähe zu Gott ........................................................... 2 Gedichte.................................................................. 3 Kreativ Erinnerungen aus der Kinder- und Jugendzeit Stadt der Kindheit ..................................................... 4 Garten der Kindheit ................................................... 4 Wie waren Ihr Bett und Ihr Schlafzimmer? .................... 5 Erinnerung an Waschtage ............................................ 5 Nach dem Waschen kam das Wäscherollen ................... 5 Frühjahrsputz ........................................................... 6 Erinnerungsspiel ........................................................ 6 Urlaub und Reisen ..................................................... 6 Rätsel Wie nah und fern sind uns die Länder Europas? ............. 7 Bienenrätsel .............................................................. 8 Basteln von „Zielkalendern“ für ferne Festtage Walnusskalender 1 ....................................................10 Walnusskalender 2 ....................................................10 Verschieden gestaltete Zielkalender ............................11 Zielkalender mit Sektflaschen .....................................12 Gruppenarbeit mit einem Kalender ..............................12 „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth!“ .......................................................14 Der Tod begleitet uns immer, manchmal fern, manchmal nah Die Suche nach unserem Kind ....................................15 Gedicht: Suche und Erinnerung ..................................15 Nähe zu Verstorbenen durch Trauerarbeit ....................16 Gedicht: Schatten .....................................................16 Brief an meinen verstorbenen Großvater ......................17 Bildbesprechung, Folie A: Treppe ...........................18 Titelbild: Mugur Pascu, „Sonne über der Stadt“, Ausschnitt Nicht näher bezeichnete Fotos: Peter Karsch Erzählteil Bildbesprechung, Folie B: Altarbild ........................18 Nähe und Ferne zu unseren Mitmenschen Fremde – ganz nah ...................................................20 Auch Gesten bringen uns näher ..................................21 Der Distanzhalter .....................................................21 Nähe und Ferne in der Familie ....................................24 Ferne und Nähe im Wechsel der Zeiten ........................24 Nähe und Ferne in einer Freundschaft .........................25 Großmuttertag .........................................................26 Nähe und Ferne im Haiku ..........................................27 Gedicht: Abschied ....................................................28 Afrika In der Ferne zu sich selbst finden ...............................28 Not in der Ferne .......................................................29 „Stichhaltige“ Argumente ...........................................30 Fokus Unsere fünf Sinne ..................................................32 Inspirationen Die Welt in uns ........................................................33 Nähe und Ferne in Raum und Zeit ..........................35 Festgestaltung Österliche Basteleien Ostern und seine Bräuche ..........................................36 Osterkarten .............................................................37 Osterkerzen..............................................................38 Osterkörbchen .........................................................38 Warum die Ostereier bunt sind, Gedicht: Das Osterei ....39 Ostereier schmücken ................................................39 Österlichen Tischschmuck basteln ................................42 Spiele zu Ostern .......................................................43 Weinflaschen österlich verpacken ...............................43 Hinweis zu Heft 5/2010: Das obere Bild in der rechten Spalte auf Seite 11 stammt aus dem „Struwelpeter“ (Die gar traurige Geschichte mit den Zündhölzern). Thema Bekenntnisse des Augustinus iteinander reden und lachen, sich gegenseitig Gefälligkeiten erweisen – zusammen schöne Bücher lesen, sich necken, aber auch einander Achtung erweisen. Mitunter sich auch streiten, ohne Hass, so wie man es nun einmal mit sich selbst tut. Manchmal auch in den Meinungen auseinandergehen und damit die Eintracht würzen. Einander beleben und voneinander lernen. Die Abwesenden schmerzlich vermissen, die Ankommenden freudig begrüßen, lauter Zeichen der Liebe und Gegenliebe, die aus dem Herzen kommen. Sich äußern in Miene, Wort und 1000 freundlichen Gesten und wie Zündstoff den Geist in Gemeinsamkeit entflammen, sodass aus den Vielen eine Einheit wird. Augustinus von Hippo, *13. November 354 in Tagaste, †28. August 430 in Hippo als Bischof von Hippo Regius Alter Scherenschnitt Ausgabe 1/2011 1 Thema Nähe zu Gott Ein Jüngling, verträumt und unsicher, verbrachte viel Zeit damit, über seine Fehler nachzugrübeln. Vor allem, so schien ihm, hatte Gott nicht den gebührenden Platz in seinem Leben. Deshalb dachte er darüber nach, wie er Gott nahe sein könnte. Er verbrachte viel Zeit damit, aber die Antwort war schwer zu finden. Er konnte kein Rezept, keine befriedigende Verhaltensweise finden, das ärgerte ihn. Eines Tages hörte er von einem weisen Mann, der in den Bergen wohnte und auf viele Fragen eine Antwort wusste. Sobald es ihm möglich war, machte sich der Jüngling auf den Weg. Er ging rasch, denn er war neugierig auf den weisen alten Mann. Er war kräftig und sportlich und kam gut voran. An der ersten Kreuzung trank er ein wenig vom Wasser, welches aus einer Quelle sprudelte. Dann schritt er weiter zügig voran, immer den Berg hinauf. An der zweiten Kreuzung aß er ein bisschen Brot, seine Wegzehrung, und ging bald weiter den steilen Bergpfad hinauf. Die Sonne brannte vom Himmel und er hoffte nur, dass er rechtzeitig die Hütte des weisen Mannes erreichen würde, denn er wollte abends wieder zurück sein. An der dritten Kreuzung setzte er sich auf einen Baumstumpf im Schatten und sah auf das Tal hinunter und freute sich über die Höhe, die er schon geschafft hatte. Er saß im Schatten, weil die Sonne immer noch heiß brannte. Die Hütte des weisen Mannes sah er bereits hoch oben auf der Bergkuppe und meinte, dass er auch das letzte Stück noch schaffen würde. Gedankenverloren nahm er ein Stöckchen auf, kritzelte im Sand und spielte mit Steinen und kleinen Ästen. Ameisen krabbelten in der Nähe, geschäftig und offenbar unbeirrt von allen Problemen dieser Welt. Dann ging er weiter und erreichte schon etwas ermattet sein Ziel. Er hatte frisches Brot mitgebracht. Der alte Mann bedankte sich kurz. Er bedeutete dem jungen Mann, sich auf eine Bank im Schatten zu setzen und setzte sich zu ihm. Er erwies sich jedoch trotz seines freundlichen Gesichts als etwas wortkarg, sagte einige Zeit gar nichts. Dann fragte er nach Neuigkeiten im Tal, dem Alltag des jungen Mannes, was er lerne, ob er Freude am Lernen habe und danach, wie er in der heißen Sonne den Weg herauf gelaufen war. Er hatte keine Eile, seinen Gast nach dessen Begehr zu fragen. So stellte der junge Mann seine Frage: 2 „Was muss ich tun, damit ich näher zu Gott finde?“ Der alte Mann überhörte die Frage, antwortete nicht, sondern fragte zurück: „Was hast du heute getan?“ Der Jüngling erzählte weiter:„Heute früh bin ich zeitig aufgestanden, denn ich wusste, dass der Weg zur Hütte weit und beschwerlich ist. An der ersten Kreuzung habe ich Wasser getrunken, an der zweiten Kreuzung habe ich ein kleines Stück Brot gegessen, an der dritten Kreuzung habe ich mich ein bisschen ausgeruht. Sonst bin ich immer nur möglichst schnell gelaufen.“ Der alte Mann schaute ihn immer noch fragend an. Da erzählte er weiter, vom Quellwasser, der Sonne, vom Stöckchen, mit dem er gespielt und im Sand gekritzelt hatte, und von den geschäftigen Ameisen. Da antwortete der weise Mann: „Als du gespielt hast wie ein Kind, da warst du am nächsten bei Gott. Als du dich gelöst hast von deinen Gedanken, als deine Grübeleien zurückgetreten sind, als du deine Umgebung wahrgenommen hast.“ Der Jüngling bedankte sich bei dem alten Mann, dass er sich für ihn Zeit genommen hatte und ging den weiten Weg wieder zurück und dachte dabei über die Worte des alten weisen Mannes nach. Er aß wieder vom Brot und trank wieder Wasser von der Quelle. Der Weg bergab fiel ihm leicht und ihm schien, dass nicht nur sein Rucksack leichter geworden sei, sondern auch sein Leben. Nacherzählung, Original und Urheber unbekannt, für Hinweise wären wir dankbar. Ich suche Nähe Ich suche Nähe zu Menschen Tieren Pflanzen und Gott. Manchmal bin ich ferne von Menschen Tieren Pflanzen und Gott. Ich brauche Nähe! Ausgabe 1/2011 Thema Gedichte Zitronenboot Nähe Schäumend und schaukelnd im Sonnengeflimmer zieht seine Bahn das kleine Boot der untergehenden Sonne Schimmer taucht es in zartes Orangerot. Weit und breit allein, grüßen wir uns begeistert, genießen Stille. Zwischen den Ufern wieder und wieder flieht und anpeilt es sein zweifaches Ziel hüpft es und tanzt es auf und nieder durchschneidet den Fluss sein gelber Kiel. Steh ich am Ufer so ziehen doch leise verborgen im Rumpf des kleinen Gefährts meine Gedanken zitronenbootweise von keiner bangen Sehnsucht verzehrt. Taumelnd in schmetterlingsleichter Weise kehren sie schließlich zu mir zurück ich steh am Ufer betrachte leise das hüpfend zitronengelbe Glück. Entfernung Unheimlich für mich: Der Mann, Joint rauchend am Strand, entfernt sich – so nah. Bald Wie lange schmerzen Worte? Wie viel halt ich aus? Wann werd ich heil, Wind? Denn Dann kommt die Nacht. Hast du den Tag bis zur Neige geleert und gelebt? Haiku von Barbara Wohlgemuth Claudia Karg Alter Scherenschnitt Ausgabe 1/2011 3 Kreativ Erinnerungen aus der Kinderund Jugendzeit Wenn Sie sich damit beschäftigen, werden Sie staunen, was Ihnen alles wieder einfällt und was sich alles geändert hat. Man kann aus jeder Geschichte einen Abend gestalten. Sie können die Teilnehmenden bitten, entsprechende alte Fotos oder, falls vorhanden, Gegenstände mitzubringen, um dann ihre Erinnerungen auszutauschen. Jeder, der wie ich ein höheres Alter erreicht hat, kennt diese Empfindung: Der schon gegangene Lebensweg scheint unendlich lang zu sein. Er ist es ja auch, wenn man ihn unter dem Aspekt der Kürze unseres Menschenlebens sieht. Oft frage ich mich: War ich wirklich dieses Kind, das im Frühjahr mit anderen Kindern Murmeln in kleine Erdgruben rollen ließ? Weit weg, nur am Rande der Wirklichkeit liegt heute mein junges Leben. Und dann, ganz plötzlich, in einem Augenblick, ist die Kindheit wieder ganz nah und ich scheine alle Gefühle wie damals unmittelbar zu erleben. Stadt der Kindheit Es gibt für mich ganz bestimmte Orte, an denen diese Gefühle besonders gespeichert sind und dort aufgerufen werden können. Einer dieser Orte ist ein kleines Städtchen, in dem ich meine Vorschulzeit erlebte und in den Folgejahren meine Ferienwochen im Sommer. Abgeschieden liegt es umgeben von Bergen. Es besteht im Wesentlichen nur aus dem Hauptplatz mit einer von einer riesigen Linde beschatteten Pestsäule, gerahmt von geräumigen Bürgerhäusern, die an die ehemalige Bedeutung der Stadt erinnern und der Kirche mit angrenzendem Pfarrhof. Von ihm weg führt eine lange Gasse, in der zu beiden Seiten einfache einstöckige Bauten nebeneinander aufgereiht sind. Das Besondere an der kleinen Stadt mit ihrer mittelalterlichen Prägung ist eine gut erhaltene Stadtmauer, die die Stadt umrundet. Drei Stadttore führen nach draußen, die durch ihre Enge ein größeres Verkehrsaufkommen verhindern. So blieb der Ort eine kleine, gerahmte und überschaubare Welt, in den das Weltgetriebe nicht eingedrungen zu sein scheint. Nur außerhalb der Mauern hat sich seither vieles verändert, so sehr, dass selbst die Gegebenheiten der Natur heute anders erscheinen. Deswegen schreibe ich davon auch in der Vergangenheit. In meiner Kindheit war der größte Teil der Bewohner der vom Zentrum wegführenden Gasse Handwerker mit eige- nen Betrieben. Es gab den Huf- und Wagenschmied, die Schlosserei, die Tischlerei, die Drechslerei, die Schuhmacherei. Einige der Häuser weisen auch heute noch mit ihren Aufschriften auf ihre alte Funktion hin. In jenen Jahren strömten aus den Toren und Fenstern aller dieser Häuser ganz bestimmte Gerüche. Besonders eingeprägt hat sich mir das immer offen stehende Tor der Schmiede, durch das die zu beschlagenden Pferde geführt wurden. Vom Amboss leuchtete das Feuer und der eindringliche Geruch des in der Hitze schmelzenden Horns der Pferdehufe quoll nach draußen. Ganz anders roch es in der Nähe des Schusters, der große Mengen frischen Leders lagerte und zum Kleben flüssigen Leim verwendete. Ein Geschäft zwischen den Betrieben war für alle möglichen Waren zuständig: für Lebensmittel und Geschirr, für Kleiderstoffe und Artikel für die Landwirtschaft. Da die Esswaren eingewogen wurden, verströmten auch sie – neben den imprägnierten Stoffen, neben den Lacken der Metallwaren und dem gelagerten Papier – eigene Düfte. Lächelnd und gelöst gehe ich heute durch die kleine Stadt, an die alle diese frühen Eindrücke bleibend gebunden sind. Jeder Besuch lässt sie neu entstehen. Dadurch, dass die Reize sehr begrenzt waren und (abgesehen von den besonderen Gefühlseindrücken) beliebig oft erfahren werden konnten, drangen sie intensiver in mich ein. Es ist mir dort immer, als reiche ich mit meinen 70 Jahren der Kindheit und Jugend, somit meinem Lebensbeginn, die Hand. In stillen Stunden lasse ich mich aber auch oft nur in Erinnerungen fallen, die bildhaft, lebendig und beruhigend aufsteigen. Erika Bodner Garten der Kindheit Außerhalb eines Teiles der Stadtmauer begrenzte ein Zaun, nur durch einen schmalen Weg von ihr getrennt, ein schmales Gartenstück, das im Schutze dieser Mauer stand und daher frühen Ertrag sicherte. Ein wilder, klarer Bach bildete die Grenze zur anderen Seite hin. Die Eigentümerin des Gartens hatte meine Mutter und mich oft eingeladen. Die ersten Erdbeeren und Himbeeren fanden sich dort, jedes Jahr neu ein Wunder an Farbe und Geschmack. Dazu standen im Garten inmitten der vielen Blumen, von denen mir der duftende Flox in besonderer Erinnerung ist, bunte Glaskugeln auf Stöckchen aufgereiht. Wer stieß in jenen von Not gezeichneten Kriegsjahren schon auf solche Pracht? Es gab auch eine Bank in diesem Garten und darauf so nahe am Bach zu sitzen, war eine aufregende, ein wenig gefährliche Sache. Sein Rauschen übertönte jedes Geräusch, das von außen kam. Erika Bodner 4 Ausgabe 1/2011 Kreativ Wie waren Ihr Bett und Ihr Schlafzimmer? „Wie man sich bettet, so liegt man“, sagt ein Sprichwort. Tatsächlich verraten die Schlafgewohnheiten viel über Kultur-, Sozial- und Sittengeschichte des Schlafes. Bettstatt und Umstände des Zubettgehens haben sich im Laufe der Zeit verändert. Vom einfachen Strohlager bis zum seidenen Laken, von früherer Bettgeselligkeit bis zum Rückzug ins separate Schlafzimmer reicht der thematische Bogen. Ich kann mich noch gut an das Schlafzimmer meiner Kindheit erinnern. Es war ein langer, schmaler Raum. Mit drei einzelnen Betten (Mutter, Tante, ich). Im Winter glitzerten die Wände vor Frost und als Einschlafhilfe gab es Wärmflaschen, dicke Federbetten, ein Unterbett und eine Wolldecke als „Sack“ an die Füße. Von einer Bekannten weiß ich, dass sie ihr Bett mit drei Geschwistern teilen musste und dass es da abends immer Streit um den besten Platz gab. Heute hat jedes Kind sein eigenes Kinderzimmer, oft mit eigenem Computer und Fernseher. Das schafft mehr Möglichkeiten, aber auch mehr Isolation. Erika Bodner Erinnerung an Waschtage Ich kann mich noch sehr gut an die Waschtage bei uns zu Hause erinnern. Im Waschhaus wurde der Kessel geheizt, eine Waschfrau kam, die schon lange vorher bestellt war. Wenn schlechtes Wetter war, gab man den Männern die Schuld. Regenwetter war wirklich schlimm, denn es gab keine elektrischen Trockner, sondern nur eine Wringmaschine, für die man ziemlich viel Kraft zum Drehen brauchte. Aber zuerst wurde die weiße Wäsche im Waschkessel gekocht und mit einem Stampfer bewegt. Es gab viele unterschiedlich große Zinkwannen und auch Holzbottiche, die vorher eingeweicht werden mussten, damit sie dicht waren und kein Wasser auslaufen konnte. Die Waschküche, bei uns im Keller des Hauses, war immer voll Dampf. Die Frauen waren alle tüchtig aufgeregt und zum Mittag gab es einen Eintopf, der schon am Tage vorher gekocht wurde, denn Pizza bestellen konnte man noch nicht, und die Waschfrau musste ja mit verpflegt werden. Die Wäsche wurde gespült und gewrungen und im Hof aufgehängt. Dazu musste vorher die Wäscheleine gezogen werden, denn wenn sie hängen geblieben wäre, hätte die Wäsche Leinenstreifen (Schmutzstreifen) bekommen, abwischbare Plastik-, bzw. Plasteleinen gab es noch nicht. Ausgabe 1/2011 Das Seifenwasser von der weißen Wäsche wurde aufgefangen. Wenn es abgekühlt war, wurde die bunte Wäsche mit einem Waschbrett darin gewaschen. Für die Kinder und die Männer war der Waschtag eine unangenehme Sache, denn die Frauen waren vor lauter Anstrengung hektisch und hatten für nichts anderes Zeit. Nach dem Waschen kam das Wäscherollen Die frisch gewaschene Wäsche war durch das Wringen knittrig. Die Hemden und Blusen wurden gebügelt, bügelfreie Stoffe gab es noch nicht. Die Bett- und Tischwäsche musste zur Rolle gebracht werden. Mit Handwagen und vollem Wäschekorb fuhr man dorthin. Auf einem großen, stabilen Holztisch wurde die Wäsche in bestimmter Breite hingelegt. Dann wurde sie auf das Rollholz aufgewickelt und mit einem Rolltuch umgeben. Das Rolltuch aus besonders derbem Leinen war hellgrau und hatte rote Ränder. Diese Wäscherolle wurde nun in den Spalt der Maschine geschoben und mit Armkraft (später elektrisch) durch ein Rad hin- und hergedreht. Der obere Teil der Wäscherolle war ein Holzkasten, der mit Steinen beschwert war. Durch dieses Gewicht wurde die Wäsche glatt und glänzend. Je länger man rollte, umso schöner wurde sie. Wenn man aber die Rollen nicht ordentlich gewickelt hatte, fiel das Rolltuch mit der Wäsche vom Rollholz und man konnte noch einmal von vorne anfangen. Ein großer Fortschritt war dann die Heißmangel. Dafür musste die Wäsche etwas feucht hingebracht werden (was man gegebenenfalls durch Einsprengen mit Wasser am Abend vorher erreichte). Die Wäsche wurde dann, jedes Stück einzeln, durch Wärme und Druck mit elektrischer Kraft durch zwei Rollen gedreht und dadurch schön glatt. Dann fuhr man mit dem Handwagen wieder nach Hause, denn an ein Auto war nicht zu denken. 5 Kreativ Frühjahrsputz Frühjahrsputz musste vor Ostern gemacht werden. Ich denke, dass diese Tradition auch in Vorbereitung auf die Feier des großen christlichen Festes gedacht war. Die Gardinen und Vorhänge wurden gewaschen. Auf und möglichst auch hinter den Schränken wurde sauber gemacht. Die dicken Winterbetten wurden gegen die dünneren Sommerbetten getauscht, dabei natürlich frisch bezogen, und die Matratzen wurden aus den Betten genommen und abgewischt. Die Matratzen waren einteilig und schwer. Mindestens zwei Personen mussten sie aus den Betten heben. Die Federbetten wurden „gesommert“, d.h. auf die Leine gehängt und gelüftet. Dazu durfte natürlich kein feuchtes Wetter sein. Aber auch kräftige Sonne war ungünstig. Da „verbrannten“ die Federn. Manchmal wurden dabei auch die Schränke leer geräumt, ausgewischt und mit frischem Schrankpapier – in meiner Erinnerung war es Packpapier – ausgelegt. Die Lampenschirme wurden abgeschraubt oder wenigstens abgewischt, und, wenn man sowieso die Leiter hervorholen musste, wurde natürlich auch die Gardinenstange abgewischt. Die Fenster wurden mit einem Fensterleder und Zeitungspapier geputzt. Glasreiniger gab es noch nicht. Die Teppiche wurden geklopft, denn Staubsauger kamen erst später auf. In unserem Hof war dafür extra eine Teppichstange, aber manchmal konnten wir Kinder auch unsere Schaukel daran aufhängen und Turnübungen veranstalten. Eine lustige Geschichte zum Saubermachen: Als wir den ersten Staubsauger hatten, saugte er nach einer gewissen Zeit nicht mehr. Ich wurde damit zum Elektrohändler geschickt, er sollte ihn reparieren. Der Fachmann lachte, denn niemand hatte daran gedacht, den Beutel zu leeren. Das Rohr war total mit Schmutz zugesetzt. Ich war damals etwa zwölf Jahre alt und habe mich mächtig für die Unkenntnis meiner Familienmitglieder geschämt. Erinnerungsspiel In der Mitte auf dem Tisch oder im Kreis befindet sich ein Korb oder eine Schale, in der viele möglichst alte Sachen liegen. Das können z.B. sein: Knöpfe, Zwirnrollen, Strickund Häkelnadeln, Brillen, Lupen, Geldbörsen, Brieftaschen, Tassen, Teller, Zettel, Bleistifte, Vasen, Kochtöpfe, Uhren, Taschentücher, Ketten, Broschen usw. Die Teilnehmer werden gebeten, die Gegenstände eingehend zu betrachten und in ihren Erinnerungen zu „kramen“: Welcher Gegenstand erinnert mich an ein besonderes Erlebnis? Was fällt mir dazu ein? Jeder Teilnehmer nimmt sich einen Gegenstand und erzählt, an welches Er- 6 lebnis – es kann lustig oder traurig sein – er dadurch erinnert wird. Nach der ersten Runde ist bestimmt noch einigen Teilnehmenden durch die Erzählung und die Gegenstände der anderen ein eigenes Erlebnis eingefallen. Auch dieses sollte erzählt werden. Zum Schluss können die Gegenstände wieder abgegeben werden, die Erinnerungen aber werden mit nach Hause genommen. Das Spiel lässt sich so abwandeln, dass die Teilnehmer einige Zeit vorher gebeten werden, selbst einen Erinnerungsgegenstand mitzubringen. Aber meistens macht man sich dann zu viele Gedanken über den auszuwählenden Gegenstand. Urlaub und Reisen Wir verreisen heutzutage so, wie es unseren individuellen Bedürfnissen gerecht wird. Urlaubstage haben wir genug, jedenfalls mehr als Geld zum Reisen. Wir machen z.B. eine Bildungsreise, auf der wir uns wohlfühlen, beeindruckt sind, aber fast alle Einzelheiten wieder vergessen. Wer seinem eintönigen Leben etwas Würze geben will, nimmt an einer Abenteuerreise teil. Wer einfach Ruhe haben möchte, fährt an einen Strand oder macht Wanderungen im Wald oder im Gebirge. „In den Urlaub fahren“ ist historisch gesehen keinesfalls so selbstverständlich wie heute. Meine Eltern beschränkten sich in den Nachkriegsjahren bis in die 60er-Jahre hinein auf Verwandtenbesuche. Alternativ standen sowohl in West- als auch in Ostdeutschland gewerkschaftliche Heime zur Verfügung, aber man konnte sie keinesfalls jedes Jahr in Anspruch nehmen. Der Urlaubsanspruch war ja früher auch nicht allzu hoch. Bis etwa 1900 gab es für Arbeiter kaum freie Tage, für leitende Angestellte allerdings schon. Sie waren „etwas Besseres“ und mussten ihre Arbeitsfreude erhalten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gab es für alle einen Urlaubsanspruch von mehr als zwei Wochen. Die gewährten Urlaubstage wurden seither immer mehr, bis wir heute circa sechs Wochen Urlaub haben. Geld für einen Hotelurlaub wurde bis in die 70er-Jahre nicht ausgegeben. So machten wir uns mit meinen Tanten und Onkels ein paar schöne Tage. Die rückten zusammen, schufen Schlafgelegenheiten im Wohnzimmer und organisierten Spaziergänge und Wanderungen in der Umgebung. Heutzutage haben viele Arbeitnehmer – auch Rentner und Pensionäre – das Geld, weit wegfahren zu können. In den 60er- und 70er-Jahren entwickelte sich in Westdeutschland Ausgabe 1/2011 Kreativ ein Massentourismus, der sich hauptsächlich auf die Badeorte Italiens und Spaniens richtete. In der DDR blieb es notgedrungen bei Verwandtenbesuchen, Zeltplätzen und FDGB-Urlauben. Monaco Podgorica Russland Peter Karsch Norwegen Rätsel Paris Wie nah und fern sind uns die Länder Europas? Im Weltmaßstab gesehen ist Europa nicht groß, aber es hat 46 Länder. Wie gut kennen Sie sich in unserem Erdteil aus? Bitte ergänzen Sie die Hauptstädte oder Länder. Hauptstadt Land Amsterdam Andorra Ankara Reval (Tallinn) Island Riga Italien San Marino Sarajewo Sofia Athen Serbien Berlin Schweiz Belgien Budapest Rumänien Irland Helsinki Schweden Tirana Liechtenstein Valletta Vatikan Warschau Österreich Wilna (Vilnius) Kroatien Kiew Moldawien Dänemark Laibach (Ljubljana) Portugal London Luxemburg Spanien Ausgabe 1/2011 Slowakei Makedonien Astana Minsk Prag Lösung (in der richtigen Reihenfolge angegeben): Niederlande, Andorra la Vella, Türkei (liegt z.T. in Asien), Kasachstan (liegt z.T. in Asien), Griechenland, Belgrad, Deutschland, Bern, Brüssel, Ungarn, Bukarest, Dublin, Finnland, Ukraine, Kischinau (Chișinău), Kopenhagen, Slowenien, Lissabon, Großbritannien, Luxemburg, Madrid, Weißrussland, Monaco, Montenegro, Moskau, Oslo, Frankreich, Tschechien, Pressburg (Bratislava), Estland, Reykjavik, Lettland, Rom, San Marino, Bosnien und Herzegowina, Skopje, Bulgarien, Stockholm, Albanien, Vaduz, Malta, Vatikanstadt, Polen, Wien, Litauen, Zagreb 7 Kreativ Bienenrätsel 11.Kann man einen Bienenschwarm einfangen? a) Ja b) Nein Fragen zu den Arbeitsbienen 12.Wie viel wiegt eine Biene ungefähr? a) 1,0 g b) 0,5 g c) 0,1 g Aus der Ferne ein Bienenhaus, in der Nähe Fleiß und Leben. Bitte ordnen Sie den folgenden Fragen (1., 2., 3. usw.) die richtigen Antworten (a, b, c usw.) zu. Mehrfachnennungen sind möglich. 5. Verlassen die Bienen im Winter den Stock? a) Ja b) Nein Fragen zum Bienenvolk 6. Haben die Bienen eine „Toilettenecke“ im Kasten? a) Ja b) Nein 1. Wie viele Bienen gehören mindestens zu einem Bienenvolk? a) 1.000 bis 2.000 b) 10.000 bis 20.000 c) 100.000 bis 150.000 2. Welche Bienen braucht ein Bienenvolk? a) König b) Königin c) Drohnen = männliche Bienen d) Arbeitsbienen 3. Kann ein Bienenvolk mit zwei Königinnen leben? a) Ja b) Nein 4. Wie überstehen die Bienen den Winter? a) Sie halten Winterschlaf. b) Sie fallen dabei in Winterstarre. c) Sie setzen sich eng zusammen; durch Zitterbewegung der Flügel wird Wärme erzeugt. 8 7. Kann der Imker ein Bienenvolk teilen? a) Ja b) Nein 8. Kann der Imker Bienenvölker vereinigen? a) Ja b) Nein 9. Wie groß ist normalerweise der Flugradius eines Bienenvolkes? Bis: a) 1 km b) 3 km c) 5 km 10.Aus welchen Gründen schwärmen Bienen aus? a) Es ist zu wenig Platz im Stock. b) Es gibt zwei Königinnen. c) Es ist zu warm im Stock. 13.Wie viele Kilometer legt eine Honigbiene ungefähr in ihrem Leben zurück? a) 200 b) 800 c) 1500 14.Welche Aufgaben haben die Arbeitsbienen? a) Nektar sammeln b) Pollen sammeln c) Brutpflege d) Wabenbau e) Putzen der Zellen f) Wasser holen 15.Wie schnell fliegen Arbeitsbienen zur so genannten Blütentracht? a) Ca. 1 km/h b) Ca. 25 km/h c) Ca. 100 km/h 16.Wie viele Kilometer muss eine Biene fliegen, damit ein Kilogramm Honig produziert werden kann? a) 100.000 km b) 200.000 km c) 400.000 km 17.Wo sammeln die Bienen den Nektar für die Honiggewinnung? a) Im Kropf b) Im Magen c) In der Honigblase Ausgabe 1/2011 Kreativ Fragen zur Königin 18.Wie heißt die Königin in der Fachsprache? a) Königinmutter b) Altbiene c) Weisel 19.Welche Aufgabe hat die Königin? a) Duftstoffe aussenden b) Eier legen c) Brut füttern 20.Wie viele Eier legt die Königin ungefähr im Jahr? a) 1.500 b) 15.000 c) 150.000 25.Wie lange leben die Drohen? a) 1 Jahr b) Sie sterben nach der Befruchtung. c) Sie werden im Herbst als „unnötige Fresser“ hinausgeworfen. 26.Wie viele Drohnen befruchten eine Königin? a) 1 Drohne b) 5 Drohnen c) 20 Drohnen 31.Wie viel Wasser darf höchstens in reifem Honig sein? a) 10% b) 20% c) 30% 32.Was ist Gelée Royale? a) Bienenfutter b) Futtersaft für die Königinnenlarve c) Leckerlis für die Bienen Fragen zu Garten und Bienen 27.Sind Bienenwaben a) 4-eckig b) 6-eckig c) 8-eckig 33.Wie viele unserer heimischen Blütenpflanzen sind auf Insektenbestäubung angewiesen? a) Die Hälfte b) Drei Viertel c) Alle 28.Wie viel Honig produziert ein Bienenvolk im Jahr ungefähr? a) 5 kg b) 10 kg c) 15 kg d) 20 kg 34.Wie viel Prozent unserer Obstbäume sind auf Bienenbestäubung angewiesen? a) 70% b) 90% c) 100% 29.Wie wird der Honig aus den Waben gewonnen? Durch: a) Schleudern b) Erhitzen c) Auslöffeln Lösung: 1 b); 2 b), c), d); 3 b); 4 c); 5 b); 6 b) (Sie verlassen aber zum Austreten den Bau); 7 a); 8 a); 9 b); 10 a), b); 11 a); 12 c); 13 b); 14 a), b), c), d), e), f); 15 b); 16 b); 17 c); 18 c); 19 a), b); 20 c); 21 a); 22 d), e); 23 c) (jedoch im Flug); 24 c); 25 b), c); 26 c); 27 b); 28 d); 29 a); 30 c); 31 b); 32 b); 33 b); 34 b) Fragen zu Waben und Honig 21.Kann man eine Königin ersetzen? a) Ja b) Nein 22.Wie oft in ihrem Leben bzw. warum fliegt die Königin aus dem Stock? a) Jeden Tag b) Jede Woche c) Einmal im Jahr d) Zur Begattung e) Zum Ausschwärmen mit dem Volk 23.Wo geschieht die Befruchtung der Königin? a) In den Waben b) Vor dem Flugloch c) Auf einer Drohnensammelstelle Fragen zu den Drohnen 24.Welche Aufgabe haben die Drohnen? a) Für Ordnung im Staat sorgen b) Bienen zu befruchten c) Königin zu befruchten Ausgabe 1/2011 30.Wie viel Nektar müssen die Bienen für ein Kilogramm Honig sammeln? a) 1 kg b) 2 kg c) 3 kg Text und Fotos: Kathleen Strey, Quelle: Imkern - Schritt für Schritt, ISBN 978-3-440-9751-9 9 Kreativ Basteln von „Zielkalendern“ für ferne Festtage Wir alle kennen Adventskalender. Ich kannte „nur“ Bilder hinter jedem Türchen. Heute ist meist ein Stück Schokolade dahinter, am 24. natürlich die größte Tür und das größte Stückchen. – Warum gibt es keine Kalender für andere zeitliche Ziele, außer für Weihnachten? In der DDR hatten die Soldaten ein Metermaß: Ab dem Moment, an dem sie nur noch 150 Tage dienen mussten, wurde jeden Tag ein Zentimeterstück abgeschnitten. So konnten sie sich an dem immer kleiner werdenden Band erfreuen, versinnbildlichte es doch das Ende des ungeliebten Dienstes. Vielleicht haben Sie Lust, einem lieben Menschen einen „Zielkalender“ zu schenken. Das kann z.B. vor einem runden Geburtstag sein, vor der Goldenen Hochzeit, vor einem großen Urlaub oder vor einem bestimmten Gedenktag. Oder unterstützen Sie jemanden damit, der vor Ostern die „7 Wochen ohne“ bzw. „40 Tage ohne“ Aktion (ohne Alkohol, Zigarette, Schokolade o.Ä.) mitmacht. Die Aktion hatte im Jahr 2010 den Titel „Näher! 7 Wochen ohne Scheu“. 2011 wird sie heißen „7 Wochen ohne Ausreden“. Der Inhalt des Kalenders könnten gute, passende Sprüche und/oder bestimmte Geldbeträge sein. Hier einige Vorschläge, wie Sie die Zitate oder das Geld hübsch verpacken können. Walnusskalender 1 Nüsseknacken hat ja etwas Symbolisches, deshalb finde ich diese Kalender besonders apart. Sie brauchen für jeden Tag, an dem eine Nuss geöffnet werden soll, eine Walnussschalenhälfte. Nun werden Sie sagen: „Bei meinem Nussknacker gehen die Schalen immer entzwei.“ Stimmt! Wenn Sie aber in das stumpfe Ende der Nuss mit einem Küchenmesser hineinpieksen, lässt sich diese meist auseinanderdrücken, ohne dass die Hälften kaputtgehen. Dann stecken Sie in jede Schale einen kleinen Zettel (der sich gut zusammenfalten lässt, damit er reinpasst) mit einem sinnvollen Spruch oder einem zusammengefalteten Geldschein. Die Nusshälften kleben Sie nun mit Papierleim untereinander auf ein hübsches Zierband. Zwischen die einzelnen Nusshälften können Sie noch mit einem Textilmalstift die Tage schreiben, an dem die Nuss geknackt werden soll. Vielleicht machen Sie am oberen Ende noch eine schöne Schlaufe, dann lässt sich das Band aufhängen und ist ein besonderer Blickfang vor dem 10 Fest. Verschenken Sie diesen Kalender entsprechend zeitig vor dem großen Ereignis. Sie werden sehen, wie viel Freude Sie damit auslösen werden. Walnusskalender 2 Es ist dasselbe Prinzip wie beim ersten Kalender. Aber Sie nehmen beide Schalenhälften einer Nuss, kleben sie mit Inhalt und einem dünnen Faden dazwischen zusammen. Aus dem oberen Fadenende können Sie auch hier wieder eine Schlaufe machen. Der Vorteil gegenüber dem ersten Kalender ist, dass Sie doppelt so viel Platz in der Nuss haben, dafür müssen Sie die Zahlen auf ein separates „Fähnchen“ schreiben. Oder Sie legen eine „Gebrauchsanweisung“ bei, in welcher steht, wann welche Nuss geknackt werden soll. Diese Anweisung kann man sehr lustig formulieren. Natürlich können Sie jede dieser Nüsse mit einer Schlaufe versehen und an einer Grünpflanze oder einem Forsythieoder Apfelblütenstrauß o.Ä. aufhängen. Nusspralinen Wenn Sie nun zu viele Nusskerne übrighaben, können Sie daraus auch etwas Besonderes zum Verschenken machen. Ich nehme die Ergebnisse des nachstehenden Rezeptes gerne als Mitbringsel bei einer Einladung zum Kaffee. Rezept Zwei schöne Walnusshälften mit Rohmarzipan zusammenkleben. Anschließend zur Hälfte in Schokoladenglasur tauchen. Ausgabe 1/2011 Kreativ Verschieden gestaltete Zielkalender Ihrer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn Sie jemanden mit einem „Zielkalender“ beschenken wollen. Sprüche, kleine Gegenstände oder Geldscheine kann man in vielen Hüllen verstecken und präsentieren. Sie können z.B. kleine Stoffsäckchen nähen, stricken oder häkeln. Sie können Streichholzschachteln bekleben und daraus ein „Regal“ bauen, oder, oder, oder … Oder Sie falten so ein hübsches Herz, wie auf dem Foto unten zu sehen ist, und stecken einen Zettel mit Ihren guten Wünschen hinein. Kleine Briefkuverts sind auch gut geeignet. Die Kuverts gibt es in gut sortierten Schreibwarengeschäften zu kaufen oder man kann sie auch aus hübschem Papier (alte Kalenderbilder sind geeignet) selbst basteln. Hier sehen Sie eine Faltanleitung dazu. Christine Marzin Hier sehen Sie die Faltanleitung für das Herz: Oder Sie nehmen Seidenpapier und schneiden daraus Streifen von ca. 6 mal 20 Zentimetern. Legen Sie einen gleich langen Streifen normales Schreibpapier von ca. 2 Zentimetern Breite mit dem Spruch hinein. Falten Sie dann das Seidenpapier von beiden Seiten darüber, kniffen Sie es in der Mitte und kleben Sie die beiden Enden mit einem kleinen Stück Klettband aneinander (mit anderem Leim müsste der Beschenkte das Papier zerreißen, so kann er den Inhalt auswickeln). Schon sieht das Ganze wie ein Herz aus. Vielleicht haben Sie noch eine kleine Perle oder einen hübschen Knopf, den Sie an den inneren Papierenden befestigen können, dann ist das Herz noch individueller. Nach unten stehender Skizze eine Tüte zu falten, in die Sie etwas stecken können, ist ganz einfach. Christine Marzin Ausgabe 1/2011 11 Kreativ Eine besonders einfache Art ist es, wenn Sie Ihre Sprüche auf die Papp- oder Metalllasche eines Schnellhefters schreiben. In das obere Loch ein hübsches Band und in das untere eine Buchecker, einen Knopf, eine Praline oder etwas Ähnliches. Christine Marzin Gruppenarbeit mit einem Kalender Zielkalender mit Sektflaschen Ein Glas Sekt kann wie Medizin wirken, wenn Sie jemanden beschenken wollen, der zu niedrigen Blutdruck hat. Als Zielkalender können da eine entsprechende Anzahl von Piccolosektflaschen dienen. Oben auf der Flasche befestigen Sie mit Heißkleber oder Draht einen Apfel oder eine Kugel. Die Augen sind aus Gewürznelken, die Nase eine Wacholderbeere mit einer Stecknadel aufgespießt, der Mund ein kleines Stück Plastik, auch mit Stecknadeln befestigt. Als Arme nehmen Sie Wiener Würste oder kleine Salami (Pfefferbeißer, die halten sich länger). Dann kommt Krepppapier als Kleidchen bzw. Röckchen und Kopftuch. Auf eine „Schürze“ können Sie Ihre Sprüche oder Wünsche schreiben. Ein kleines Gedicht dazu könnte lauten: Mein Kopf, der ist ein Apfel, meine Arme sind aus Wurst, und hebst du mir das Röckchen, so hast du was für’n Durst. 12 Auf der nächsten Seite haben wir für Sie einen neutralen Jahreskalender ohne Wochentage gestaltet. Vergrößern Sie sich diesen Kalender bitte, dann können Sie damit einen sehr schönen Abend gestalten. Oder Sie legen dieses Kalenderblatt im DIN-A4-Format vor jeden Teilnehmenden. Außerdem brauchen Sie viele verschiedene Naturmaterialien (Steine, Blätter, Moos, auch Glasperlen usw.). Jeder wird aufgefordert, einen besonderen Jahrestag mit etwas Material zu belegen und zu erzählen: Warum habe ich gerade dieses Material gewählt? Welche Bedeutung hat dieser Tag für mich? Warum, was ist da geschehen? Wie wurde der Tag bisher begangen? Wie wird er in diesem Jahr begangen werden? Was war immer gut, was weniger? Was könnte geändert werden? Das können Geburtstage, Festtage, Tage der Goldenen oder Silbernen Hochzeit, aber auch Todestage usw. sein. Ausgabe 1/2011 Kreativ Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 14 14 14 14 14 14 14 14 14 14 14 14 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 16 16 16 16 16 16 16 16 16 16 16 16 17 17 17 17 17 17 17 17 17 17 17 17 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 25 25 25 25 25 25 25 25 25 25 25 25 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 27 27 27 27 27 27 27 27 27 27 27 27 28 28 28 28 28 28 28 28 28 28 28 28 29 29 29 29 29 29 29 29 29 29 29 29 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 31 31 31 31 Ausgabe 1/2011 31 31 31 13 Kreativ „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth!“ Psalm 84,2 „Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.“ (Psalm 84,3) Eine alte indianische Weisheit besagt, dass die Seele ein paar Tage Zeit braucht, um dem Körper hinterherzukommen. Dieses Erleben kenne ich vor allem beim Fliegen. Aber ich kenne es auch vom Umziehen. Ich bin mehrmals umgezogen. Im Nachhinein erscheint mir, dass meine Seele in einige Wohnungen nie gefolgt war und statt „Umzug“ sollte ich besser „Flucht“ sagen. Meine neue Wohnung hier ist mir schon jetzt sehr lieb. Die Seele ist angekommen. Eine Wohnung ist ja nicht irgendein Ort. Sie ist der zentrale Punkt, von dem aus man losgeht und zu dem man wieder zurückkehrt, wo es warm ist, wo man sich sicher fühlt. Hier kennt man sich aus, auch im Dunkeln. Hier kennt man den Ablauf des Tages: wann der Postbote kommt, die Müllautos. Wann Nachbarn da sind, wann man sie ansprechen und um eine Gefälligkeit bitten kann. Normalerweise fühlen alle Menschen so. Aber was ist schon normal, heute, wo bei vielen Arbeits- und Wohnort weit voneinander entfernt liegen? Und wo sich auch Familienleben voneinander entfernt gestaltet, Paare durch einen Abstand von über hundert Kilometern getrennt sind, mit einer manchmal langen, manchmal kurzen Zeit, in der die Verbundenheit gestört wird. Es mag Zeiten geben, in denen man Orten auch irgendwie ausgeliefert ist. Ich muss an die furchtbare Realität der Ghettos und Lager denken, ich denke an Menschen (auch Kinder schon), die auf der Straße leben oder in den erbärmlichsten Unterkünften. Aber es ist nicht nur der Raum, der Sicherheit bringt. Manch einer verfügt über einen Schatz, nicht im Außen zu suchen, sondern tief im Innern: „Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz“ (Lukas 12,34, Monatsspruch September 2009). Etwas, das einem besonders wichtig ist, bewahrt man und vermehrt es. Das ist das Geheimnis der Menschen, die im tiefsten Elend ihre Persönlichkeit und ihre Würde bewahren. Nicht jeder kann auf einen solchen Schatz aufbauen, auch nicht alle, die im Wohlstand leben. Mit einem Schatz im Inneren, den ich übersetze mit der Fähigkeit zu vertrauen und loslassen zu können, werde ich mich einrichten und zu Hause fühlen, in der Wohnung und in diesem Leben. Was sind nun die Wohnungen des Herrn? Ich denke: beides! Das Äußere und das Innere. Ich hätte mein Leben 14 kaum besser einrichten können. Ich habe geliebt und ich habe geholfen, nicht so viel und so lange, wie ich es mir vorgenommen habe, aber doch so lange, wie meine Kraft gereicht hat. Denn zunächst sind wir in diesem Leben zu Hause und wenn ich mir nicht schon jetzt des lebendigen Gottes (Psalm) bewusst bin, dann bleibt alles Zukunftsorientierte irgendwie blutleer. Ich schaue aus dem Fenster meiner neuen Wohnung auf die ruhige winterliche Straße, nachdenkend, auf eine bescheidene Weise zufrieden, keine Angst vor der Zukunft und dankbar dafür, dass ich die Möglichkeit hatte, verschiedentlich helfend einzugreifen. Hier in meiner schützenden Wohnung, so habe ich das Gefühl, habe ich die „Vorhöfe des Herrn“ erfahren. Claudia Karg - Empfohlene Diskussionsschwerpunkte: Wo wohnen und leben Sie jetzt? Ist Ihre Seele dort angekommen? Kennen Sie das Gefühl, in der eigenen Wohnung gar nicht „zu Hause“ zu sein? Wen unterstützen Sie im täglichen Leben? Wer unterstützt Sie? Was vermittelt Ihnen ein Gefühl der Sicherheit (materiell und seelisch)? Ausgabe 1/2011 Kreativ Der Tod begleitet uns immer, manchmal fern, manchmal nah Die Suche nach unserem Kind Wir betroffenen Eltern kennen es: Wir sind gebannt, wenn wir jungen Menschen begegnen, die irgendein Merkmal unseres verstorbenen Kindes aufweisen. Nur in Träumen erleben wir seine Gestalt meist unverändert (wie glücklich sind wir dann!). Im Alltag, der sich mit einer immer größeren Zahl von Jahren über seinen Tod legt, tritt der Körper schemenhaft zurück. In diesem Zusammenhang will ich von einem Erlebnis berichten, das mich für kurze Zeit in einen Zustand von Schmerz, gleichzeitig aber auch von Glück versetzte: Ich besuchte ein Benefizkonzert in einer kleinen, freundlichen Kirche. Ein Studentenchor war angesagt mit Liedern aus Kärnten. Schon die oft bestehende Schwermut dieser Lieder im Programm hat mich angezogen. Mann für Mann formierte sich der Chor im Halbkreis vor dem Altar. Als sich der letzte Sänger im Rund, das sich mir zuneigte, auf seinen Platz begeben hatte, stockte mein Atem. Erst jetzt fiel mir auf, ich sah ihn nur im Profil – und doch, er hätte mein Sohn Herwig sein können! Von der ganzen Gestalt her! Genauso hätte er stehen können, er war ein begabter Sänger! Und so wurde Herwig noch einmal für mich lebendig, nur für eine Stunde lang. In dieser Stunde, in der ich meine Gefühle mit der Gestalt des Studenten verwob, trat jede Wirklichkeit zurück. Immer wieder sog ich mich fest an seinen Haaren, an seiner Nase, an den Ohren. Ich umarmte ihn innerlich, drückte ihn an meine Brust und ich fühlte ihn wie früher, vor langer Zeit. „Geh nicht weg!“, bettelte ich. Erst gegen Ende dieser Stunde drang ein besonders innig gesungenes Lied in mich ein, ein Lied, das mich aus meinem Dämmerzustand holte und mich wieder öffnete für das reale Geschehen. Eine Textzeile davon fing ich auf: „Mein Herz ist so weit“. Wäre Herwig doch Mitglied des Chores gewesen“, spann ich meine Gedanken, „er hätte den Lebenssinn wiedergefunden!“ Noch immer, nach zwanzig Jahren, die Suche nach einer Möglichkeit der Rettung seines Lebens! Als aber kurz darauf der Chorleiter erläuterte, warum seiner Gruppe dieses Lied besonders wichtig sei, warum ihre Hingabe dafür besonders groß sei, erwachte ich ganz. Der Komponist und Texter dieses Liedes hatte sich kurz nach seiner Freigabe das Leben genommen. Es Ausgabe 1/2011 sei ein Gedenklied geworden. Die letzten Lieder des Chores erreichten mich nicht mehr. Die Gruppe verabschiedete sich und der nun so vertraute junge Mann war im Begriff, mit ihr als letzter den Raum zu verlassen. Worauf ich sehr gehofft hatte, trat nun ein. Der Student wandte sich mir voll zu – ich hatte ihn ja immer nur von der Seite gesehen – und ich sah das Fremde in seinem Gesicht: Also doch! So nahm ich beides aus der Kirche mit: die so sehr gefühlte Nähe meines Sohnes und die sich wiederholende Erkenntnis, wie verwirrend und undurchschaubar unser Leben doch bleibt. Erika Bodner Suche und Erinnerung Mein Mann ist tot unwiderruflich, unwiederbringlich lebt mein Mann nicht mehr. Aber da, ist es ein Traum, dieser Mensch auf dem Rad? War er das nicht, könnte er das nicht gewesen sein? Am nächsten Tag in der Menschenmenge, ein Gesicht mit Brille. War er das nicht, könnte er das nicht gewesen sein? Dort eine Gestalt, diese Haltung, dieses Haar. War er das nicht, könnte er das nicht gewesen sein? Ist es mein Wunsch, ist es ein Traum, ist es ein Stück von ihm? Mein Mann ist nicht mehr auf dieser Welt. 15 Kreativ Nähe zu Verstorbenen durch Trauerarbeit Ein Mensch ist nicht tot, solange er in unserem Herzen weiterlebt. Sie möchten auch etwas tun, damit Sie Ihren Verstorbenen näher sind? Sie können vieles aufschreiben, am besten mit Ihrer „Sonntagsschrift“ und in einer schönen, vielleicht selbst gebastelten, Schatzkiste aufheben. Einige Vorschläge, die Sie so ausführlich wie möglich beantworten sollten, um Ihre Erinnerungen zu aktivieren, auch wenn das manchmal schmerzlich ist und zu Tränen führt: ---------- Zur Person des Verstorbenen: Was hat der/die Verstorbene gerne gegessen? Hatte der/die Verstorbene Lieblingsfarben, spiegelten sich diese in der Kleidung wider? Welche Charakterzüge haben Sie an der/dem Verstorbenen besonders geliebt? Welche haben Sie manchmal „genervt“? Beschreiben Sie das Äußere der geliebten Person. Wie verlief das Leben der geliebten Person? Hatte der geliebte Mensch ein Hobby? Welche Wünsche und Träume hatte die geliebte Person? Welche ließen sich verwirklichen? Welche Menschen waren dem/der Verstorbenen wichtig? Hatte der geliebte Mensch einen Spitz- oder Kosenamen? Woher kam dieser Name? Hat die verstorbene Person etwas gesammelt? Wo sind diese Dinge jetzt? Gemeinsamkeiten: Wie, wann und wo haben Sie sich kennengelernt? Wie hat sich Ihre Beziehung entwickelt? Welche gemeinsamen Interessen gab es? Welche gemeinsamen Unternehmungen sind Ihnen noch in Erinnerung? Was davon war das Schönste? Welche Dinge hätten Sie gerne noch gemeinsam getan bzw. unternommen? Was hätten Sie gerne anders gemacht? Gibt es etwas, was Sie der verstorbenen Person nie verziehen haben? Wie geht es Ihnen jetzt damit? Tod und Abschied: Wann und wo starb der geliebte Mensch? Welche Ereignisse gingen dem Tod voran? Wie und wann haben Sie vom Tod erfahren? 16 - Ist Ihnen seit dem Tod etwas Besonderes passiert, worüber Sie gern mit der/dem Verstorbenen geredet hätten? Beschreiben Sie Ihren letzten Abschied oder Ihre letzte Begegnung. Was hat der/die Verstorbene Ihnen zum Schluss ausdrücklich oder indirekt mit auf den Weg gegeben? Was hat Ihnen am Begräbnis gefallen, was hat Sie gestört? Hat sich etwas an Ihrer Beziehung zu Gott durch den Tod geändert? Welchen Traum würden Sie in Bezug auf die geliebte Person gerne träumen? Schreiben Sie der verstorbenen Person einen Abschiedsbrief oder machen Sie ein Gedicht. Durch tiefe Trauer werden manchmal ungeahnte Kräfte freigesetzt, die ungeahnte Befähigungen auslösen können (Beispiele finden Sie im Folgenden). Oder basteln Sie ein ganz individuelles Grablicht nach der Serviettentechnik. Eine Anleitung finden Sie auf Seite 41. Sie können auch ein Foto des Verstorbenen auf ganz normales Schreibpapier drucken (lassen) und dieses dann auf das Grablicht kleben. Weiße Grablichter sind für diese Arbeit besser geeignet als rote. Schatten Zeit und Stille brauchen Raum Der Tod erscheint noch wie ein Traum. Die Angst bricht sich Bahn – wie ich weiter leben kann? Wo ist der, der immer da war? Wo ist der, der sieht und hört, was quält? Ich steh allein, es drückt mich nieder. Mein Kopf weiß, er kommt niemals wieder. Doch Herz und Seele leiden still, obwohl ich lieber schreien will. So einfach ist kein Schmerz zu tragen, es hetzt die Angst das arme Herz. Durch dunkle Schatten sich zu wagen, erzeugt nur wieder neuen Schmerz. Ich steh, und trau mich nicht zu geh’n, der Trauer ins Gesicht zu sehen. Die Fratze kenn’ ich, kann sie nicht ertragen. Verbannen geht nicht, denn die Wunde schmerzt. So will ich warten, weinen, klagen. Ein andrer Mensch soll niemals sagen, dass diesen Schmerz er kennen kann, denn der Verstorbene war mein Mann. Ausgabe 1/2011 Kreativ Ramona Kunze Brief an meinen verstorbenen Großvater Lieber alter Mann, denn nur so habe ich dich gekannt und genau so war es auch gut! Lieber Großvater also, wenn das eine Abschiedsoder Trauerrede werden soll, dann ist sie wohl zugleich das Lebendigste, was mich mit dir in Gedanken verbunden hat und nun weiter verbindet. „Zeitlebens“ kann man jetzt nicht mehr sagen, aber manchmal erschließt sich eben erst im Rückblick das, was schon immer da und vielleicht deshalb so selbstverständlich war. Zeitlebens eben, eine andere Dimension! Für mich, das weiß ich, wirst du der „Löwenumkrempler“ bleiben, Matador der afrikanischen Wüste, der mit ausgestrecktem Arm und Todesverachtung im Blick dem Raubtier ins weit aufgesperrte Maul langt bis ganz hinten zum inneren Schwanzende, um mit einem blitzschnellen Ruck das Innere nach außen zu stülpen. Armer Löwe, ein Bild des Jammers! Als du schließlich aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrtest, war viel Jammer auch da, wo eigentlich Zuhause hätte sein können und sollen. Zu viel war unsagbar, war erschüttert, war leer … und zu groß und deiner Wirklichkeit nicht nahe die Sehnsucht eines kleinen Jungen, den du als deinen Sohn nicht heranwachsen sahst und der statt Zärtlichkeit Strenge und Härte von dir empfing. Wie traurig für ihn und letzten Endes für euch beide, denn es existiert in meiner Vorstellung kein Vater-Sohn-Bild von euch, und obwohl ich ihn – meinen fernen Onkel – kaum kenne, glaube ich nicht, dass dieses Bild trügt. Ich glaube und fühlte, wir als deine Enkel waren dir schon näher. Etwas war wieder weich geworden in dir und obwohl du nie viel geredet hast und manchmal richtig brummelig sein konntest, war ich mir deiner großväterlichen Liebe und Zuneigung gewiss. Beeindruckt hat mich als Kind oft, wie du die beiden „Weibsbilder“ (Frau und jüngste Tochter, die lange noch bei euch wohnte) zetern ließest und auf Durchgang schaltetest, weil du da wahrscheinlich wenig Chancen gehabt hättest. Das fand ich gut, obwohl ich meine Oma heiß und innig liebte. Nur in dem Punkt war ich fast immer auf deiner Seite, so ganz im Verborgenen und mit aller Kraft der Ausgabe 1/2011 Entrüstung, die ich zur Verfügung hatte. Zwei gegen einen, wie gemein! Und wenn du dann loszogst und deine Gläser, Flaschen und Lumpen sammeltest, wofür Frau und Tochter sich oft in Grund und Boden geschämt haben, dann fand ich auch das noch eines echten Abenteuers würdig. Es war eben deine innere Aufgabe und deine Leidenschaft, und beides braucht der Mensch! Aber wir waren Kinder und haben das Bei-euch-Sein genossen und nirgendwo hat mir der Frühstückstoast so gut geschmeckt wie von deiner Hand. Stumm und konzentriert standest du am Toaster und wenn deine Mission beendet war, setztest du dich vor dein rabenschwarzes Pumpernickel mit Quark, Marmelade und Harzer-Roller-Käse und aßest ebenso schweigsam und konzentriert. Das Essen, so hatte es den Anschein, war für dich eine „heilige Angelegenheit“, auch wenn die Geräusche nicht unbedingt dazu passten. Aber es hat dir immer geschmeckt und das war die Hauptsache! Kartenspielen lernten wir von dir und noch heute sehe ich dieses französische Blatt mit dem silbern glänzenden Untergrund vor mir, das einem immer aus der Hand rutschte, wenn es gerade um alles ging. Dann verzog sich dein Gesicht zu einem breiten Grinsen und du eröffnetest die nächste Runde. Stundenlang haben wir gespielt und es wurde nicht langweilig. Die Schwachstelle war dein Herz, was immer das auch heißen mag. Nach mehreren Herzinfarkten ließ es dich im Stich – auf dem Radiosessel beim Hören eines Fußballspieles, sozusagen mitten im Leben und ohne großes Vorspiel! So zogst du davon und für mich warst du der Erste von allen Omas und Opas, der auf diese Weise ging. Noch lange Zeit danach hatte ich immer mal das Gefühl, dich mit einem alten Leiterwagen um eine Hausecke biegen zu sehen, so im allerletzten Moment, den man überhaupt noch wahrnimmt! Vielleicht warst du dann auf dem Weg in die Mohnklause, um mit Opa Max (dem anderen) bei einem Bier auf die guten alten Zeiten anzustoßen, endlich mal unter Männern! Also, ich werde weiter die Augen offenhalten und wenn es bei mir mal so weit ist, dann spring ich auf deinen Leiterwagen und lass mich ein Stück von dir bringen. Dahin, wovon du schon erzählen könntest und was für mich noch ganz und gar Geheimnis ist. Deine älteste Enkelin Claudia Claudia Karg 17 Kreativ Bildbesprechungen Folie A: Treppe Treppen wecken Assoziationen. Von jeher dienen sie als Symbole für Aufstieg oder als Verbindung zwischen Himmel und Erde, in der Bibel für die Nähe zu Gott. Die Fotografie zeigt einen Aufstieg in einem kargen Felsbrocken, keine Treppe, auf der sich Herrscher darstellen können, nur eine, die den Aufstieg erleichtert. Die Stufen wurden offenbar mühevoll aus dem Stein herausgeschlagen, sie sind nicht breiter als notwendig. Ein Geländer ist nicht vorhanden. Wohin die Treppe führt, sieht man nicht. Man hat den Eindruck: ins Nichts. Gerade das ist verstörend und wohl deshalb rührt uns das Bild besonders an. Seit Urzeiten träumen die Menschen von heiligen Stätten, wo sich Himmel und Erde berühren, wo sie Gott möglichst nahe sein können und damit die himmlische Glückseligkeit erfahren. Im Alten Testament wird beschrieben, wie Jakob genau davon träumt (Genesis 28,10-22). Er sah eine Leiter bzw. Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. Der Herr stand oben und sprach: „… ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst …“. Ein Eindruck von der Herrlichkeit Gottes, aber Jakob muss und soll nicht in den Himmel steigen, er hat andere Aufgaben, irdische. Am Morgen wacht er auf und macht sich auf seinen Weg. Es gibt seit alters viele Versuche, den Himmel zu berühren, biblische und aktuelle. Unbewusst vermuten wir dort in der Höhe einen Hauch der Glückseligkeit. In Babel nahmen sich die Menschen vor: „Auf, wir wollen einen Turm bauen, dessen Spitze bis in den Himmel reicht“ (Gen 11,4). Der Bau scheiterte an dem menschlichen Unvermögen miteinander zu kommunizieren. Der Versuch, immer höher in den Himmel hineinzustoßen, ließ Pyramiden und Kathedralen entstehen und dauert an. Die aktuellen Bauvorhaben scheitern nicht mehr an Problemen der Kommunikation oder der Statik. Sie werden realisiert. Der Burdsch Chalifa ist 828 Meter hoch, im Wettstreit um den Besitz des höchsten Gebäudes der Welt vorläufig Sieger, aber er wird es wohl nicht sehr lange bleiben. Irgendwann wird es einen höheren Turm geben. Aber zu der Bewunderung für die technische Meisterleistung gesellt sich die Frage: Wozu? Wir können noch so hoch bauen, wir erreichen den Himmel nicht. Irgendwann kommt die letzte Stufe. Und mit himmli- 18 scher Glückseligkeit hat das alles nichts zu tun, stattdessen hören wir von Finanzierungsproblemen. Die Treppe ist auch Symbol des sozialen Aufstiegs. Nicht das Bemühen, mit Arbeit etwas zu leisten, einfach etwas Nützliches zu tun, ist damit gemeint. Der Mensch versucht eine bessere Stellung im sozialen Gefüge zu bekommen. Man sollte sich tatsächlich anstrengen, seinen Beitrag zum Wohlergehen der Gesellschaft zu leisten, durch Arbeit eine anerkannte Stellung zu erreichen. Oft genug ist indes nicht das echte Bemühen entscheidend, sondern wirkungsvolles Auftreten, vor allem jedoch Netzwerke, also Beziehungen. Der Erfolg bringt Geld, das ist angenehm, aber dessen Wirkung auf andere wird oft überschätzt. Unser Ansehen unter Freunden und Bekannten wird nicht von Geld, von der Größe des Autos bestimmt, sondern von unserem Verhalten, wie wir reden, wie wir auf andere Menschen eingehen, sie verstehen, von unserem Mitgefühl für andere. Die Treppe auf dem Bild gewährt keinen einfachen Aufstieg, es ist kein Geländer da, das Halt geben könnte. Und so wie die Treppe auf dem Bild ins Leere geht, können auch unsere Bemühungen nicht den Erfolg bringen, den wir uns erhoffen. Es liegt an uns, diese Mahnung zu beherzigen und zu glauben. Foto von Kristin Thöring Fragen zum Thema könnten lauten: Wann fühlen Sie sich dem Paradies am nächsten: Beim Gottesdienst? Beim Beten? Bei einer guten Tasse Kaffee oder Tee? Bei einem guten Essen? Bei einer Kommunikation mit Freunden? --- Folie B: Altarbild der Jakobuskirche in Pesterwitz bei Dresden Der Altar ist eigentlich der Familientisch der Christen. Er wird auch „Tisch des Herrn“ genannt (1. Korintherbrief 10,21). Wenn wir Gottesdienst feiern, ist der Tisch mit Blumen, Kerzen, Wein, Oblaten (Hostien) festlich gedeckt. Dadurch wird unsere Gemeinschaft untereinander betont. Gemeinde als Familie, in der jeder willkommen ist. Der Schmuckaufbau des Altars mit dem Altarbild erinnert an den noch älteren Bezug des Altars als Opfertisch. Das alte Volk Gottes, die Israeliten brachten Gott im Tempel Ausgabe 1/2011 Erzählteil von Jerusalem auf dem Altar Opfer dar. Dankopfer, Bittopfer, Sühneopfer. Das hier besprochene Altarbild stellt das letzte und ein für alle Mal gültige „blutige“ Opfer dar, das „Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt“ (Johannes 1,29). Robert Sterl, der Künstler, der dieses Bild schuf, ist einer der letzten großen deutschen Impressionisten. Und für Dresden war er „der Bahnbrecher des Impressionismus“. Denn hier feierte noch die wirklichkeitsfremd gewordene Ateliermalerei ihre letzten Triumphe. Robert Sterl war am 23. Juni 1867 in Großdobritz (heute als Dobritz ein Stadtteil von Dresden) als einfacher Bauernsohn geboren worden. Er studierte von 1881 bis 1891 an der Dresdner Kunstakademie. Als Freischaffender bereiste er Frankreich, Holland, Russland … Er wurde Leiter einer „Malschule für Damen“. 1904 berief man ihn als Lehrer, 1906 als Professor in die Dresdner Kunstakademie. Dieses Altargemälde ist vielleicht das Werk, das ihm den Professorentitel eintrug. Robert Sterl schrieb einmal, dass er lieber wenig male, dafür gut. Das ist diesem Altarbild anzusehen. Es blieb sein einziges religiöses Motiv, das er für andere Kirchen noch mehrmals kopierte. Wahrscheinlich war er überzeugt, kein besseres malen zu können. Wir sehen Jesus Christus kurz vor seiner Gefangennahme und Hinrichtung. Er bittet seine Freunde (Jünger) für ihn zu beten, dass ihm der frühe Tod erspart bliebe. Aber sie schlafen (rechts hinten im Bild). In der Auseinandersetzung mit Gott ringt sich Jesus zum Vertrauen in Gottes Handeln durch: „Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe – Lucasevangelium Kapitel 22 (Vers 42)“ steht unter dem Bild. Diese Worte markieren den Zeitpunkt der Entscheidung dafür, dass sich Jesus für unsere Sünde (d.h. unsere Trennung von Gott und den Mitmenschen) opfert: „Denn Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt“ (2. Korintherbrief 5,21). Diese Liebe Jesu zu uns hat der Maler des Bildes ausgedrückt durch Jesu leuchtend rotes Gewandt. Eine Liebe, die die eigene Furcht und Angst überwindet, die Jesus noch ins Gesicht geschrieben steht, unterstrichen durch die ringenden Hände. Betrachten wir das Altarbild näher, so können wir Erstaunliches wahrnehmen. Ungewöhnlich für Robert Sterl ist z.B., dass er die körperlichen Proportionen Jesu nicht eingehalten hat. Weiter fällt auf, dass Jesus die Bodenhaftung fehlt Ausgabe 1/2011 – er schwebt. Und mit Licht und Schatten will der Künstler Weiteres ausdrücken. Wir erinnern uns an die Unterschrift des Bildes. Es ist die freiwillige Entscheidung Jesu für den Willen Gottes. Auch wenn dies den schweren, leidvollen, grausamen Weg ans Kreuz für Jesus bedeutete. Dieses schräge Leidenskreuz können wir im Bild sehen, wenn wir eine Längslinie vom Kopf über die Hände Jesu bis zu seinem linken Knie (rechts vom Betrachter) und in einer Querlinie von einem Ellenbogen Jesu zum anderen ziehen. Das rote Gewand (an Blut erinnernd) unterstreicht, dass Jesus wusste, was auf ihn zukam. Trotzdem entscheidet er sich: „Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe“, Vater im Himmel. Damit übersteigt er alles Menschliche. Dies drückt der Künstler mit dem massigen Unterkörper gegenüber dem zierlichen Oberkörper aus. Wenn Jesus aufsteht = aufersteht zu Ostern, dann sprengt er den Rahmen des Bildes. Er sprengt mit seiner Auferstehung den Sarg, den Tod. Mit diesem Gottvertrauen ist er aber auch zu Lebzeiten Gott näher, nicht mehr dem Irdischen (der Erde/Welt) verhaftet und schwebt deshalb. Die einzigartige und ungewöhnliche Gestaltung des Gewandes Jesu lässt uns wie auf einem Stuhl auf Jesu rechtem Oberschenkel Platz nehmen. Um nicht herunterzufallen, müssen wir uns an Jesus halten, festhalten, und liegen ihm dann am Herzen und in seinem auch um uns ringenden Armen. Und indem Jesus sich im Geist Gottes dem Vater anvertraut, kommen Vater, Sohn und Heiliger Geist, die Dreieinigkeit, zusammen. Sie wird oft symbolisch als Dreieck mit dem Gottesauge darin dargestellt. Ziehen wir die Lichtlinien von Jesu Scheitel zum rechten Ellenbogen (links vom Betrachter) von dort bis zum linken Ellenbogen und zum Scheitel zurück, haben wir dieses Dreieck abgebildet. Die ringenden Hände, die sich Gottes Fürsorge letztlich anvertrauen, bilden das Auge im Gottes-Dreieck. Auf dem matten, trüben Hintergrund kommt oder besser schwebt Christus gewissermaßen als Vor-Bild auf uns zu. Robert Sterl will uns damit auffordern, diesen im Vaterunser enthaltenen Satz bewusst zu beten: „Vater unser im Himmel … dein Wille geschehe.“ In diesem Vertrauen werden wir der Sorgen enthoben und werden den Rahmen des Todes sprengen, wenn wir Jesus durch Leid und Tod nachfolgen, und werden mit ihm auch auferstehen. Matthias Koch 19 Erzählteil Nähe und Ferne zu unseren Mitmenschen Fremde – ganz nah Wir kommen immer wieder in Situationen, in denen wir mit anderen Menschen zusammentreffen, in der Kaufhalle, in der Bahn, im Flugzeug. In einer Warteschlange bilden wir sogar eine kleine Schicksalsgemeinschaft und bleiben doch allein. Ich bewundere Menschen, die in solcher Situation mit ihrem zufälligen Nachbarn ein Gespräch beginnen. Ich gehöre nicht dazu und solche wie ich sind in der Mehrzahl. Beobachten Sie einmal Reisende, die auf einer Bank sitzen und auf den Zug oder die Straßenbahn warten. Deutlich voneinander entfernt, den Nachbarn scheinbar ignorierend. Extrem wird es in der Straßenbahn oder U-Bahn während des Berufsverkehrs. Wir haben gerade noch ein Standplatz gefunden, immer mehr Menschen rücken nach und tatsächlich findet sich für alle Platz. Aber wir stehen unangenehm eingequetscht, fühlen uns schutzlos bedrängt und im Atmen behindert. So sehr wir uns nach menschlicher Nähe sehnen: So wollen wir das nicht. Dann steigt einer aus, wir wissen nicht, wer er war. Andere haben ihr Ziel auch bald erreicht. Wir bekommen Platz. Sobald wir etwas Luft haben, gucken wir in die Runde. Es interessiert uns doch, mit wem wir da zufällig zusammengekommen sind. Aber unser Nachbar könnte sich belästigt fühlen, wenn wir ihn taxieren. So schielen wir heimlich, schnell und verstohlen aus den Augenwinkeln. Worte werden nicht gewechselt: So nah und doch so fremd. Peter Karsch Ich bin 66 Jahre alt, Witwe. Mein Mann ist vor fünf Jahren gestorben. Meine Tage verbringe ich mehrmals im Monat als Erfahrungsträger bei Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern, wöchentlich einmal in einer Wandergruppe, manchmal mit Schwatzen mit Freundinnen, oft genug jedoch allein. An einem Dienstag im Januar fiel eine Wanderung wegen des kalten Wetters und der vereisten Wege aus. Ich suchte mir eine angenehme warme Unternehmung und machte mich auf ins Museum. Das war jedoch wegen Reinigungsarbeiten gerade geschlossen und ich ging in eine Sonderausstellung des Malers Baselitz. Die hatte ich nun schon gesehen und der Besuch war nicht mehr so sehr anregend. Um mir nun doch noch etwas Gutes zu tun, wollte ich mir in einer Gaststätte Kaffee und Kuchen gönnen. Ich wusste von einem gemütlichen Café in der Nähe. Dort waren jedoch alle Tische besetzt, ich kehrte um. Die Tische waren selten vollständig in Anspruch genommen. Ich zögerte und ärgerte mich über mich selbst: „Warum setzt du dich nicht auf einen freien Platz?“ Gewiss, bei einem Ehepaar stört man vielleicht, bei einem Liebespaar ganz gewiss, aber Eheleute müssen nicht ununterbrochen etwas diskutieren, in der Regel tun sie das nicht. An einem Tisch saß eine einzelne Frau, zu der setzte ich mich. Wir kamen ins Gespräch, zunächst nur aus Höflichkeit ein paar Worte, dann über Kleinigkeiten, aber nach einer Zeit über alles Mögliche. Die Frau hatte ihre Tochter besucht, die hier studierte, hatte sich nun allein die Stadt angesehen und hatte den ganzen Tag mit noch keinem geredet, was ihr ein gewisses Fremdsein suggerierte. Sie erwies sich als interessante Gesprächspartnerin. Warum haben wir so oft Angst vor Fremden? Kristine Berge haben für mich etwas Hoheitlich-Anziehendes. So wanderten meine Freundin und ich im Sommer 1968 durch die Hohe Tatra. Wir waren in weitem Umkreis allein und ließen uns in unserer Einsamkeit von der gewaltigen Natur beeindrucken. Auf einem Gratweg überholten uns dann doch zwei Polinnen. Wir mussten an einer etwas abschüssigen Stelle gegenseitig ausweichen und sahen uns an: Die beiden hatten beste Laune und guckten fröhlich auf uns und dann den Abhang hinunter. Wir kamen ins Gespräch. Glücklicherweise konnte eine von den beiden Deutsch sprechen, ich hingegen kein Wort Polnisch. Sie waren Danziger, wir Potsdamer. Das veranlasste einen Gedankenaustausch über das Leben in den Städten und das Leben im Allgemeinen. Am Ende unseres nunmehr gemeinsamen Weges bemerkte unsere Deutsch sprechende Begleiterin: „Ich glau- 20 Ausgabe 1/2011 Erzählteil be, ich habe mir die Zunge gebrochen.“ Mit dem Austausch unserer Adressen trennten sich dann unsere Wege. Als die Weihnachtszeit kam, erschienen zwischen vielen Festtagsgrüßen auch solche aus Danzig, eine Erinnerung an die Tatra-Begegnung. Sie enthielten zugleich die freundliche Einladung nach Danzig und den Wunsch, uns näher kennenzulernen. Ich zögerte nicht lange, im Sommer fuhr ich los. Die Bahnfahrt war ziemlich aufregend. Ich war froh, dass ich mich in den übervollen Zug nach Danzig noch reinquetschen konnte. Umfallen konnte man nicht. Ich hoffte nur, der Zug möge nicht „umfallen“. Die Aufnahme bei der neuen Freundin war sehr herzlich und total unkompliziert, als wären wir alte Bekannte. Ich teilte nun für zwei Wochen ihre bescheidene, aber sehr gemütliche Einraumwohnung in der zehnten Etage eines Hochhauses, bekam vertrauensvoll die Wohnungsschlüssel, auch einen Stadtplan und gute Hinweise zur Orientierung in der Umgebung. Wanda konnte sich als Lehrerin während des Schuljahres nicht von der Arbeit befreien. Im September kamen dann die beiden Danziger Freundinnen zu mir. Unsere Familien und Bekannten wuchsen schnell zu einer „Großfamilie“ zusammen. Durch unsere ähnlichen Interessen wurden auch gemeinsame Urlaubsreisen zur Selbstverständlichkeit. Ob als Wanderburschen, Fahrradtouristen oder mit Paddelboot und Zelt: Viele Jahre erkundeten wir so unsere Heimatländer. Auch eine erlebnisreiche Bulgarien-Tour gehörte dazu. Auf diese Art lernten wir Länder und Leute kennen und kamen uns besonders in schwierigen Situationen näher. was Gemeinsames planen. Wir träumten von einem TatraAusflug. Pünktlich trafen wir uns auf dem Bahnhof in Krakau, glücklich begrüßten wir Zakopane mit seiner vertrauten Umgebung und feierten in einer Berghütte unsere Freundschaft, die mit einer kurzen Begegnung bei einer kritischen Gratwanderung begann und uns nunmehr 40 Jahre verbindet. Text und Foto: Lisa Krause Auch Gesten bringen uns näher Mein Mann und ich schippern während des Sommers recht oft mit unserem kleinen Motorboot über die Wasserstraßen südlich von Berlin. Wir angeln, schwimmen, beobachten die Vögel und fahren von See zu See. Dabei begegnen wir anderen Booten, deren Besatzungen ähnliche Interessen verfolgen wie wir. Man fährt aneinander vorbei und schaut sich Menschen und Boote an. Ich habe dabei ein Hobby gefunden: Ich grüße, winke den Leuten freundlich zu und warte auf die Reaktion. In den allermeisten Fällen stutzt die Besatzung erst einmal und winkt dann mit einem freundlichen Lachen zurück. Wir kommen uns also ohne Worte für kurze Zeit näher. Es sind für mich schöne Momente. Eine ganz besondere Herausforderung kommt mir mit den großen Ausflugsschiffen entgegen. Wird es mir gelingen mehr als hundert Menschen zum Winken zu animieren? Aber sicher, es gelingt immer. Solche Situationen gibt es nicht nur auf dem Wasser. Man kann täglich einem Menschen in der Stadt einen lächelnden Blick zuwerfen und wird erfahren, dass das guttut. Kristel Der Distanzhalter Dann kamen Jahre, in denen der Briefwechsel die einzige Verbindung war. Nicht nur die unruhige politische Lage in Polen, sondern auch private Umstände beschäftigten uns. Urlaubspläne waren nicht an der Tagesordnung. Nun sind wir um die 80, fühlen uns gesundheitlich noch relativ gut und sind nach wie vor unternehmungslustig. Da wichtige Verpflichtungen weggefallen sind, konnten wir wieder et- Ausgabe 1/2011 Klaus war ein prächtiger Witzeerzähler. Er war Mittelpunkt jeder Feier. In seiner Gegenwart war es nie langweilig. Er hatte ein wohl unerschöpfliches Repertoire an lustigen Geschichten, Witzen und Anekdoten auf Lager, über das er beliebig verfügen konnte. Bei Feiern scharten sich immer eine Menge Leute um ihn, genossen seine Späße und er genoss sein Publikum. Lachen und Frohsinn waren garantiert, wenn er anwesend war. Wenn der Konsum an alkoholischen Getränken zunahm, wurden die Witze auch derber, die Späße deftiger. Er konnte auch mal den einen oder anderen so richtig aufs Korn nehmen und sich über ihn lustig machen. Lacher hatte er immer auf seiner Seite. Solange man mit ihm lachte, konnte man vor seinem Spott sicher sein. Ich mied allmählich Einladungen, bei denen er auch zugegen war. Mir war es zunehmend zu laut in seiner Nähe. 21 Foto: Kristin Thöring, Treppe Folie A 22 Ausgabe 1/2011 Folie B Robert Sterl, Altarbild der Jakobuskirche in Pesterwitz bei Dresden Ausgabe 1/2011 23 Erzählteil Ich konnte auch nicht mehr mitlachen. Ich hatte das Gefühl, seine Späße seien wie Waffen, mit denen er um sich schlage, damit ihm ja keiner zu nahe komme. Lange hatte ich Klaus nicht mehr gesehen. Aber nach einer Urlaubsreise, die er gemacht hatte, sprach er mich an: „So was wie eure Kirchen, die müsste es viel mehr auf der Welt geben. Das ist doch wirklich der einzige Ort, wo du mal hingehen, Abstand gewinnen und alles loslassen kannst. Keiner will was von dir. Keiner stellt Forderungen an dich, du kannst still werden. Man müsste sich das viel häufiger gönnen.“ Ich war nicht schlecht erstaunt, diese Worte von Klaus zu hören. Und er erzählte weiter, dass er im Urlaub in Italien oft in Kirchen war, sich einfach hineinsetzte und still werden konnte. Wenn er lange so dasaß, kamen ihm die Tränen und er ließ sie einfach laufen. Dort kannte ihn keiner. Er musste niemanden auf Distanz halten. Keiner kam ihm zu nahe. Er musste nie befürchten, dass einer seine Lebensängste, seine weichen Seiten und seine Bedürftigkeit nach Nähe sah. Zurück im kleinen Dorf, in dem ihn jeder kannte, musste er wieder seine Witze erzählen. Keiner sollte sehen oder ahnen, wie bedürftig er im Innern war. Friedemann Hess Nähe und Ferne in der Familie Im deutschen Kulturraum ist der Taugenichts aus Joseph von Eichendorffs Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ eine bekannte literarische Gestalt. Den Taugenichts hält nichts mehr zu Hause, in der Mühle seines Vaters. Er zieht aus seiner gewohnten Umgebung aus in die weite Welt, auf der Suche nach sich selbst und einer schönen Frau. Nach zahlreichen Abenteuern, schicksalhaften Begegnungen und Verwechslungen wird er mit seiner Geliebten vereint. Nachdem er von Fern- und Heimweh abwechselnd geplagt wurde, findet er die seelische Ruhe im Liebesglück. Sein Zuhause ist die Liebe. Diese Erfahrung haben wahrscheinlich viele von uns gemacht. Ich habe mir auch gewünscht, die Welt zu bereisen und kennenzulernen. Die Heimatstadt, mein Elternhaus und Freundeskreis waren mir zu eng geworden. Auf einer dieser Reisen habe auch ich die Liebe gefunden und darin mein neues, seelisches Zuhause. Mit meinem Ehemann bin ich in ein uns beiden fremdes Land gezogen. Wir hatten keine Freunde dort und unsere Familien waren weit weg. Doch unter diesen Umständen wurde unsere emotionale 24 Bindung noch stärker und wir haben beide erfahren, dass man nicht unbedingt ein Haus sein Heim nennen muss. Mit der Zeit habe ich in der Ferne die Heimat und meine Familie nicht verloren, sondern – scheinbar paradoxerweise – eine neue Nähe zu ihnen gefunden. Man sagt, dass der Mensch erst dann etwas richtig zu schätzen weiß, wenn er es verloren hat. In der Kindheit wissen wir oft nicht das Wertvolle zu schätzen, das unsere Eltern und Großeltern mit ihren Lebenserfahrungen und ihren Ratschlägen uns vermitteln. Wir wollen die Welt und das Leben selbst entdecken und glauben, dass unsere persönlichen, unmittelbaren Erfahrungen wichtiger sind. Wir wollen uns von dem, das wir als Bevormundung empfinden, befreien. Das ist auch gut so, denn nur so werden wir erwachsen. Doch später verstehen wir die Eltern und Großeltern besser und manchmal tut es uns leid, dass wir nicht noch mehr von ihrer Lebensweisheit profitiert haben. Wir pflegen die Erinnerungen an sie und glauben, eine neue Nähe zu ihnen gefunden zu haben, auch wenn sie physisch nicht mehr anwesend sind. Seitdem ich weit weg von meinen Eltern und meiner Heimat wohne, sehe ich sie aus einer anderen Perspektive und schätze viel mehr das, was ich von ihnen bekommen habe und heute noch bekomme. Wenn ich mich früher über Kleinigkeiten geärgert habe, so erkenne ich sie heute als das, was sie wirklich sind: Kleinigkeiten. Vielleicht sieht man aus der Entfernung das Wesentliche klarer. Laura Karsch Ferne und Nähe im Wechsel der Zeiten Einst muss es eine ganz große Nähe gegeben haben zwischen uns, meiner Mutter und mir. Als ich noch klein war, gerade geboren war, von ihr getragen wurde und sie mich nährte, da war große Nähe da. Aber im Verlauf eines langen Lebens ging diese Nähe verloren. Das ist ja klar, ist natürlich, muss ja so sein. Aber die große innere Distanz, die dann entstanden ist, die hätte vielleicht nicht sein müssen. Als herangewachsener junger Mann suchte ich dann einen Ort für mein Leben aus, der 500 Kilometer vom Lebenszentrum meiner Mutter entfernt lag. Ich brauchte äußere Distanz, um mich innerlich frei entfalten zu können. Ihre engen Vorgaben mit der Bindung an religiöse und gesellschaftliche Normen ließen die Nähe zur Erdrückung werden. Ausgabe 1/2011 Erzählteil Doch in ihrem hohen Alter wurde das ganz anders. Es war richtig aufregend für mich zu sehen, wie ihr Denken immer weiter wurde. Sie war schon über neunzig Jahre alt, ihr Sehnen war schon manchmal auf den Himmel ausgerichtet. Und es schien mir, dass dieses Ziel ihr Herz weiter machte, großzügiger und toleranter. Die Gespräche zwischen uns wurden wieder intensiver und auch persönlicher und ich besuchte sie wieder häufiger und auch mit größerer Freude. Erstaunlich, dachte ich bei mir, wie der Blick in die Ferne wieder größere Nähe zwischen uns zulässt. Noch ein paar Jahre später saß sie nach einem Oberschenkelhalsbruch im Rollstuhl. Ihr Bewegungsradius wurde kleiner. Die Beine trugen sie nicht mehr. Die Gedanken, die konnten noch weite Strecken zurücklegen. Über Nähe und Ferne bestimmte nicht mehr die Physik, sondern der Geist. Meine Mutter lebte in einem nordpfälzischen Städtchen. Bei einem Besuch erzählte sie mir: „Ich war heute schon in Herne“. Das war eine Strecke von mehreren hundert Kilometern. Mir war klar, dass es um etwas anderes ging als die geografische Ferne. Es ging um die innere Nähe zu diesen Orten und zu dem, was sie für sie bedeuteten. Also stellte ich mich auch auf diese innere Ebene ein, denn ich wollte ja ihr nahe sein. „Tatsächlich, in Herne warst du?“ „Ja, und dann fuhr ich nach Frankfurt.“ „Ach, von Herne nach Frankfurt? Da hast du ja einen weiten Weg hinter dir.“ „Ja, es ging ganz gut, und dann fuhr ich weiter nach Basel.“ „Nach Basel auch noch? Das ist ja fast nicht möglich“. „Doch es geht“, sie bewegte den Rollstuhl mit den Armen durch ihr Zimmer und sagte: „Es ging wirklich gut. Zwei Stunden bis Basel.“ Mich interessierte, was sie zu diesen Orten hinzog und so erfuhr ich noch eine ganze Menge aus ihrem Leben. Sie war den Orten innerlich nahe. Herne war der Ort ihrer Geburt, Frankfurt der Ort, am dem ihre geliebte und einzige Schwester, die schon längst verstorben war, lebte. Basel war der Ort, an dem ihre geliebte Tante lebte, die sie in ihrer Jugendzeit sehr gestützt hatte. Ich begriff, dass sie den räumlich und zeitlich sehr weit entfernten Orten ihres Lebens noch einmal ganz nahe sein wollte, ehe sie diese Erde verlassen und sich auf die große Fernreise einlassen konnte. Und dort spielen ja Ferne und Nähe nach unseren Maßstäben gar keine Rolle mehr. Friedemann Hess Ausgabe 1/2011 Vielleicht kennst du Menschen in deiner Nähe, die sich selber nur aus einer gewissen Ferne ansehen dürfen, um sich überhaupt erträglich oder anziehend und Kraft gebend zu finden. Friedrich Nietzsche Nicht in die ferne Zeit verliere dich. Den Augenblick ergreife. Der ist dein. Friedrich Schiller Nähe und Ferne in einer Freundschaft Seit meinem Wegzug aus Köln vor 19 Jahren war ich einer Freundin eine treue Wegbegleiterin gewesen, brieflich und telefonisch. Ich wusste um ihre äußerste Sensibilität, war innerlich nicht immer einverstanden mit ihren Handlungen und Sichtweisen, dennoch konnte ich in einer Weise auf sie eingehen, dass sie sich verstanden und angenommen fühlte. Ich war stolz darauf, mit dieser schwierigen Frau zurechtzukommen. Schließlich gab sie auch mir wertvolle Anstöße. Dann aber erhielt sie die Diagnose Darmkrebs. Ich teilte, so gut ich konnte ihre Todesangst, die belastenden Untersuchungen, die Zeit der zerstörenden Therapie. So war sie mir dankbar für mein Dasein für sie. Dann aber, als sie die Therapien überstanden, einen guten Befund hatte und der Darm seine normale Arbeit wieder aufzunehmen begann, enttäuschte ich sie. Sie rief mich eines Abends an. Ich erwartete etwas wie Erleichterung über das wiedergewonnene Leben. Sie aber, die während der kritischen Zeit viel Aufmerksamkeit von ihrer Familie erfahren hatte, wollte diese auch weiterhin. Besonders ihre voll im Lebenskampf stehenden Kinder waren dem nicht gewachsen. Meine Freundin kämpfte nun mit Schuldzuweisungen aller Art. Ich blieb ganz ruhig, betonte aber immer wieder: „Versuche doch, es anders zu sehen!“ Plötzlich legte sie weinend auf, mitten im Gespräch. Ich blieb verwirrt zurück. Diesmal fühlte sie sich von mir allein gelassen. Wir schreiben einander wieder, vorsichtig im Ausdruck. Ich machte mir ihre Ausnahmesituation klar, in der sie auch als Genesende steckt. Sie schickte mir auch ein Foto und ich sah ihre Magerkeit. Ich dachte daran, dass auch ich in meinem Lebenstief besondere Beachtung von anderen Menschen erwartet hatte, und dass ich oft blind dafür war, was deren Leben betraf. Ich machte ihr in wenigen Worten die Hintergründe meiner Vorstellungen deutlich: die Verantwortung für sein eigenes Leben zu tragen, dankbar zu sein und die begrenzte Aufnahmefähigkeit von Menschen 25 Erzählteil zu beachten. „Deine Ansichten sind ein Stück Ethik“, schrieb sie, ohne im Wesentlichen darauf einzugehen. „Ja“, antwortete ich ihr, „ich habe durch mein Leben klare Werte gewonnen.“ Langsam spüre ich erneut meine Nähe zu ihr. Ich habe aber wieder einmal gelernt, dass für jeden Menschen sein eigener Schmerz am schwersten wiegt. Etwas, was ich aber nicht aussprach, war die stärkste Triebkraft meines Widerstandes gegen die Aussagen der Freundin: Ich verglich meine Schmerzerfahrung mit der ihren! Ich weiß, dass körperliche Schmerzen vergessen werden können, wenn sich der Organismus wieder regeneriert hat. Was aber ist mit den seelischen Schmerzen, die ich trage? Davon hat sie keine Ahnung. Auch machte ich mir klar, warum ich ihre Schuldzuweisungen ablehnte: Ich weiß von mir selbst, wie sehr Schuldgefühle quälen. Deswegen bin ich sehr bedacht, möglichst wenig Menschen mit meinen oft drückenden Gefühlen zu belasten und ihnen die Verpflichtung nahe zu legen, sie müssten für mich da sein. Warum ich der Freundin am Anfang so hilfreich sein konnte, obwohl mein Leben noch nie vom Tod bedroht war, hängt auch mit meinem Schicksal zusammen. Ich war einmal „aus dem Leben gefallen“. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man nur schreien könnte, wenn das Leben plötzlich nur in Bruchstücken zu fassen ist, wenn Tag und Nacht dieselben Gedanken im Kopf kreisen, wenn nichts mehr wirklich trägt. Ich erinnere mich aber auch an das Erstaunen und die Freude, als sich meine Augen wieder für die Welt öffneten. Und deswegen hatte ich dies bei ihr vermisst. Ich bin erleichtert über die Bewältigung des Konfliktes. Was hätten wir sonst lernen können aus unserem Schicksal als vertiefte Menschlichkeit. Erika Bodner Großmuttertag Da taucht plötzlich dieses Mädchen bei uns auf, Piercings überall, die Haare halb geschoren, eine sehr merkwürdige Erscheinung, mit einem kleinen Kind an der Hand. Wir haben sie vorher nie gesehen. Klingelt und druckst herum, sie hätte lange überlegt und sich nicht getraut. Aber jetzt müsste sie es sagen: Diese Kleine da, das sei unsere Enkelin. Mir rutschen die Beine weg, ich kann kein Wort rausbringen. Zum Glück ist mein Mann gegenwärtig genug, die beiden hereinzubitten, und so können wir uns wenigstens fassen. Als sich unser Sohn vor vier Jahren das Leben nahm, damals war er gerade 18, wussten wir nichts von einem Kind. Er hätte es uns vielleicht gar nicht mitgeteilt oder er kam nicht mehr dazu, was wissen wir! Was wussten wir damals überhaupt von ihm? Seine Freunde gefielen uns nicht, seine Musik war zu laut, sein Äußeres krass, wir hatten Angst, dass er abdriften würde. Wahrscheinlich war er schon auf dem Weg, aber das wollten wir nicht wahrhaben, war er doch so ein liebes, anhängliches Kind gewesen. Die Schuldgefühle drohten uns aufzufressen und nagen immer noch furchtbar. Und nun das. Mein Mann wäre damals wahrscheinlich ausgerastet, hätte er von einem Kind „auf der Wildbahn“ erfahren. Ich traute mich gar nicht, das Kind richtig anzusehen, wohl aus Angst, etwas von meinem Sohn wiederzufinden, oder aus noch größerer Angst, nichts von ihm zu sehen … Ich weiß gar nicht mehr, was wir eigentlich an diesem Tag in unserem Wohnzimmer besprachen. Jedenfalls hat das Mädchen nicht aufgegeben, rief an oder kam mit ihrer Tochter, unserer Enkeltochter, bei uns vorbei. Wir weinten wie selten in letzter Zeit, alles wurde wieder aufgerührt. Jetzt sind wir richtige Großeltern. Was uns damals, als unser Sohn noch lebte, als Katastrophe vorgekommen wäre, ist ein großes Glück. Es ist wie ein wunderbares Geschenk, das uns unser Sohn hinterlassen hat. Jetzt sind wir reif dafür. Dies ist ein Bericht, der auf der Erzählung der Mutter einer Elterngruppe der Verwaisten Eltern basiert und mich sehr bewegt hat. Wer sein einziges Kind verloren hat, dem ist ja auch die Möglichkeit genommen, Oma oder Opa zu werden und im Alter immerhin zu wissen, dass es mit der Familie weitergeht. In ganz weite Ferne, völlig aus dem Gesichtsfeld heraus rücken diese Möglichkeiten, die für andere selbstverständlich sind. Aber nach einiger Zeit der Trauer kann sich plötzlich das Gefühl einer unwahrscheinlichen Nähe zu dem betrauerten Menschen bemerkbar machen. Eine Nähe, die es früher in dieser Ausprägung noch nicht gegeben hat, als die körperliche Nähe noch greifbar war. Eine unverhoffte, unerhoffte Nähe, die erst kommt, wenn wir sie aushalten können. Aber dann hält sie uns auf und fängt uns auf. Beate Bahnert 26 Ausgabe 1/2011 Erzählteil Nähe und Ferne im Haiku Haiku sind Gedichte, die in Japan beheimatet sind. Sie sind zeilenweise mit der Silbenzahl 5, 7, 5 aufgebaut. Heimweg Manchmal packt mich die Sehnsucht nach dir. Legt schmerzhaft Vergessenes blank. Felsenfest Das Leben zerrinnt nicht wie Sand. Es sammelt sich immer wieder ein. Einsamkeit Bedrückende Luft, nicht Weg, noch Menschen in Sicht. Wär’ das zu zweit schön? Insel Auf Suche nach Halt lass ich das Festland hinter mir. Wage Freisein. Wattseite Langsam kommt das Meer zurück, schiebt sich heran und ist von unten da. Witzig Wie das Schiff durch’s Watt zieht! Aus der Ferne seh ich nur trockenen Sand … Düne Ziehst meinen Blick zu dir hin, über Sand und Gras weiter zum Himmel. Und sonst Mit dem Meer bin ich per Du, jedenfalls gestern, als es fröhlich kam. Alles Salz auf den Lippen, die Nase voll Wind. Unter den Füßen: Himmel. Geschenke wachsen im Schweigen, nur in der Ferne Menschen. Heute: ein Lächeln. Wind Treiben und tragen, streicheln und stärken kannst du mich und die Vögel. Geduld Ich will nicht zurück, so jammert ein Teil von mir. Frag ihn: Warum nur? Ergebnis Hab zugenommen an Lebensgewicht. Ballast ist weggeschwommen. Abschluss Variationen der Freude hab ich erlebt. Nun kehr ich heim. Seeseite Voller Kraft schäumt die Flut zum Land. Stück für Stück nimmt sie es in Besitz. Sand Meinen Füßen Sand, heißer Sand. Wärmt auch meine Seele: Laufen im Sand. Abendbitte Wenn doch die Wolke Wärme mir ließe und Licht. Ich frier im Dunklen. Möglichkeit Allein unterwegs in unendlicher Weite – geborgen und frei. Ausgabe 1/2011 Wasser Hab dich vermisst, du. Nur deine Arme können mich ganz umfassen. Haiku von Barbara Wohlgemuth Foto Kathleen Strey Innen Blütenkelch, aus der Ferne leuchtend violett, nah: gelb mit Gästen. 27 Erzählteil Abschied Bald ist es soweit. Auch wenn ich es wusste seit langer Zeit. So spüre ich doch den Schmerz in mir. Doch auf deinem Weg, da wünsch ich dir alles Glück. Bekomm feste Wurzeln und denk ab und zu an unsere Zeit zurück. An das, was wir uns waren, und immer noch sind. Bei dir durfte ich sein, wie ein kleines Kind mit Lachen und Tränen, in Sturm und Wind. Und doch unendlich groß und frei. Ist die schöne Zeit jetzt auch vorbei, so gingen wir den Weg doch gemeinsam ein Stück. Zwar kommt diese Zeit nicht wieder zurück. Aber sie hat mir unendlich viel gegeben. All das, was ich von dir lernte für mein Leben. Ich dank’ dir dafür, denn es war schön. Ich wünsch mir, dass wir uns ab und zu mal wiedersehen. Ich danke dir für der Freundschaft Gewinn und möchte dir heute noch sagen: „Der Kaffee bei mir ist immer frisch und frei ist ein Platz an unserem Tisch für dich, geliebter Freund, an allen Tagen. Du kannst kommen ins Schneckenhaus zu jeder Zeit und wirst finden die Türen offen und weit.“ Doch nun stoß’ auf das Tor in die neue Zeit, schlag Wurzeln und wachse hoch und breit. Wiege dich im Wind, dann kann dir nichts geschehen, egal wie hart die Stürme auch wehen. Auch wenn sich unsere Wege jetzt ein wenig trennen, bin ich doch stolz, dich Freund zu nennen. Ramona Kunze Afrika In der Ferne zu sich selbst finden „Bleibe im Land und nähre dich redlich.“ Diesen Satz hatte ich oft gehört in meiner Kindheit. Glücklicherweise gab es gute Voraussetzungen, diesem Ideal nahezukommen. Ein Handwerksmeister im Bekanntenkreis meiner Eltern mochte mich und bot mir eine Lehrstelle in seinem Betrieb an. Einzige Bedingung war, ich müsste gut im Rechnen sein, aber das war keine Hürde. Also hatte ich meine Lehrstelle sicher, noch bevor ich zehn Jahre alt war. Ich machte mir keine Gedanken darum, ob ich wirklich Elektriker werden wollte, und tat, was man von mir erwartete. Während der Lehre hörte ich zum ersten Mal, dass es für mich noch möglich wäre, zu studieren. Ich konnte es kaum glauben, denn in meiner Familie galt es als das Höchste, ein ordentlicher Handwerker zu werden. Doch ich ließ mich verlocken und ging nochmals zur Schule, um die Mittlere Reife und das Fachabitur nachzuholen. Dass ich dazu in die nächstgelegene Stadt fahren musste, störte mich wenig. Dann zog es mich endgültig weg. Ich wollte in der Stadt leben, in der ich studierte, und so zog ich nach Berlin. Auch inhaltlich entfernte ich mich von der Familie. Solange ich Ingenieur werden wollte, konnten sie sich etwas darunter vorstellen. Doch dann studierte ich Ethnologie und was das ist, war schwer zu erklären. „Ethnologen fahren in ferne Länder und untersuchen die wilden Sitten und Gebräuche fremder Völker.“ So versuchte ich, mein Fach meinen Eltern nahezubringen. Gegen Ende des Studiums war es Zeit, meine Worte in die Tat umzusetzen. Ich bekam ein Forschungsstipendium und machte mich auf den Weg nach Afrika. Sudan hieß das Ziel, und als das Flugzeug in Kairo einen Zwischenstopp einlegte, war mir so bange ums Herz, dass ich überlegte, ob es nicht besser wäre, ein Handwerker zu sein und zu Hause zu bleiben. Die letzte Flugstrecke entlang des Nils habe ich verschlafen. Glücklicherweise erwachte ich frohen Mutes und voller Abenteuerlust. Am liebsten wäre ich gleich von der Hauptstadt aus weiter aufs Land gefahren, mitten ins Herz von Afrika. Doch wie sagt man so schön: „Andere Länder, andere Sitten.“ Im Sudan braucht ein Ausländer eine Reiseerlaubnis, wenn er sich im Land bewegen will. So etwas hatte ich noch nie gehört und ich brauchte dreieinhalb Monate, um zehn Empfehlungsschreiben zusammenzubekommen, damit ich beim 28 Ausgabe 1/2011 Erzählteil achtundfünfzigsten Besuch in der Behörde meine Reiseund Forschungserlaubnis in Händen halten konnte. Ich fuhr sofort weiter in ein kleines Dorf am Rande der Wüste, in dem Bauern lebten und um ihr Überleben kämpften. Mit den einfachen Menschen war alles einfach. Zwar war die Verständigung in der fremden Sprache sehr mühsam, doch wir mussten nicht viel reden, damit sie wussten, was ich brauchte. Sie gaben mir ein Bett für die Nacht, versorgten mich mit Wasser und teilten freimütig ihr Essen mit mir. Ich versuchte, mit meinem Geld Dinge zu besorgen, die sie brauchten, aber nur schwer bekommen konnten. Als ich wieder weg musste, sagte mir die Gastgeberin, dass sie sich wie eine Mutter fühle, deren Sohn weggeht. Nach und nach verstand ich erst, warum es zwar gerne gesehen wurde, wenn ich zusammen mit meinem Gastgeber auf dem Feld arbeitete, mich sonst aber niemand auf seinem Feld sehen wollte. Das ganze Dorf behandelte mich so, als sei ich ein Sohn dieser Familie. Ich war etwa 5.000 Kilometer gereist und hatte eine Familie gefunden. Die Bewohner des Dorfes hatten mir genau erklärt, was einer wissen muss, um an diesem Ort in Afrika leben zu können. Ich passte gut auf und notierte alles. Zurück in Deutschland schrieb ich daraus meine Magisterarbeit. Und dann, nach dem Abschluss meines Studiums, sprach ich es zu ersten Mal aus und sagte: „Ich bin Ethnologe.“ Da merkte ich es ganz deutlich. Ja, das stimmt, ich habe meine Berufung gefunden, das bin ich. Ich habe meine Heimat verlassen und bin bis nach Afrika gefahren, um zu mir selbst zu finden. Das Foto zeigt eine Hütte, wie sie im Sudan üblich ist. Darin wohnt eine ganze große Familie. Natürlich spielt sich auch aufgrund der Witterungsverhältnisse viel Leben im Freien ab. Not in der Ferne Im Jahre 1987 führte mich mein Weg in den Sudan. Der Sudan ist das größte Land Afrikas; so groß, dass es tropische Regenwälder und Wüsten gleichermaßen umfasst. Südlich von Ägypten gelegen, erstreckt es sich vom Roten Meer im Osten bis in die geografische Mitte Afrikas. In den südlichen Sümpfen entspringt der weiße Nil und dort, wo weißer und blauer Nil zusammenfließen, liegt die Hauptstadt Khartum. Karl May hat ein dreibändiges Buch über dieses Land geschrieben, aber er war selbst nie dort. Sudan heißt wörtlich übersetzt „Land der Schwarzen“ und tatsächlich sind viele Menschen dort sehr dunkel. Die meisten Sudanesen sind sehr arm; so arm, dass man sich fragt, wie sie überleben können. Ich war damals noch jung und brauchte meine Kraft, um mich in der großen Hitze überhaupt noch bewegen zu können. Mein Fieberthermometer war bei 50° C im Schatten übergekocht und kaputtgegangen. Das war bei der Busfahrt von Khartum in die Provinzhauptstadt von Kordofan mit Namen El Obeid passiert. Von El Obeid aus nahm mich ein Lkw mit, der nach Norden in Richtung Wüste fuhr. Nach einer guten Stunde hielt der Fahrer an und bedeutete mir, zu Fuß weiterzugehen. Dort links würde bald ein Dorf kommen. Tatsächlich erblickte ich bald einige Strohhütten. Die Bewohner waren zum Glück sehr freundlich. Jemand legte aus Palmblättern geflochtene Matten aus, auf die wir uns setzten. Ein anderer brachte Wasser und bald gab es auch etwas zu essen. Die Leute sprachen Arabisch, eine Sprache, deren Grundzüge ich in einem sechswöchigen Intensivkurs gelernt hatte. Ich musste jetzt etwas sagen, mahnte mein Gefühl ganz deutlich, sonst würde es peinlich. „Diese Soße schmeckt gut, wie heißt sie?“, war mein erster Satz in der Landessprache. Damit hatte ich wohl den richtigen Ton getroffen, denn als ich später fragte, ob ich für einige Monate im Dorf wohnen und die Lebensweise studieren dürfe, bekam ich zur Antwort: „Wenn du mit uns essen willst, darfst du auch bei uns leben.“ Das Essen war ärmlich und schmeckte ganz anders, als ich es von zu Hause gewohnt war. Es gab zwei Mahlzeiten am Tag und die bestanden täglich aus Hirsebrei mit Soße aus Öl und etwas Gemüse vom Feld oder Blättern aus der Natur. Die Dorfbewohner waren Bauern und ich fragte mich, woher sie bei der spärlichen Nahrung die Kraft für die harte Arbeit auf dem Feld nahmen. Mitte der 1980er-Jahre gab es einige Dürrejahre in Afrika. Es regnete kaum und auf den Feldern wuchs fast nichts. Wie aber kann eine Bauern- Text und Foto: Sid Josten Ausgabe 1/2011 29 Erzählteil familie überleben, wenn die Frucht der Felder noch nicht einmal zur Erntezeit satt macht? Später setzte die Nothilfe ein und es wurde Getreide aus Europa und den USA verteilt. Bis dahin mussten die Sudanesen aus eigener Kraft überleben. Es gab zwei Überlebensstrategien und wer alles versuchte, konnte es schaffen. Die erste Strategie war: Wenn die Ernte des angebauten Getreides und der Ölsaaten nicht reicht, muss man sammeln, was wild in der Natur wächst. Auch am Rande der Wüste gab es wilde Beeren, die man sammeln und essen oder verkaufen konnte. Aus Blättern, die in guten Jahren nicht gegessen wurden, konnte eine spinatähnliche Soße bereitet werden. Aus manchen Baumsamen ließ sich ein Öl pressen. Einige sammelten Holz und verkauften es in die Stadt. Wer Schmuck besaß, verkaufte ihn, um Essen kaufen zu können. Die zweite Strategie war: Wenn man alleine nicht überleben kann, muss man wieder enger zusammenarbeiten. Vor den Hungerjahren hatten die Familien für sich alleine gewirtschaftet. In der Not wurde die Kooperation verstärkt. Der älteste Bruder versuchte vielleicht ins Ausland zu gehen, um eine Arbeit zu bekommen, die es ihm ermöglichte, Geld an die Verwandten zu Hause zu schicken. Ein anderer Bruder nahm z.B. eine Stelle im Staatsdienst an. Das Gehalt war zwar so gering, dass er davon kaum leben konnte, aber es war eine vom Regen unabhängige Einkommensquelle. Ihre Frauen und Kinder ließen sie im Dorf zurück, wohin auch die Alten zurückkehrten, weil sie dort billiger leben konnten. In Dürrejahren schickten die Geschwister Geld aus der Stadt ins Dorf und in niederschlagsreichen Jahren schickten die Geschwister aus dem Dorf Lebensmittel in die Stadt. Auf diese Weise konnten es sowohl die ländlichen als auch die städtischen Familienteile schaffen. Wer zusammenhält überlebt besser. Es hat einige Monate gedauert, bis ich mich frei mit den schwarzen Menschen im Sudan unterhalten konnte. Am Ende hat mir der Hirsebrei wirklich geschmeckt. Bis heute denke ich gerne an diese Zeit zurück. Text und Foto: Sid Josten Das Foto zeigt eine Ackerfläche, die sonst sehr fruchtbar war, aber durch den ausbleibenden Regen hart und zerrissen ist. „Stichhaltige“ Argumente Seit der Kindheit haben mich Bilder der weiten Welt fasziniert: Die Urwälder Südamerikas, der Dschungel in Vietnam und die Steppen Afrikas. Die Heimat ist übersichtlich, geordnet und etwas fade. Die Ferne scheint unendlich, geheimnisvoll und voller Versprechungen. Vertrautes ist voller Langeweile – die Ferne hat den Reiz des Fremden. Als Erwachsener hatte ich mehrfach Gelegenheit, im Ausland zu arbeiten und dabei Land und Leute gründlich kennenzulernen. Zuletzt flog ich für die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) in den Sudan und leitete dort zwei Jahre in Darfur ein forstliches Entwicklungsprojekt. Meine Frau kam mit und konnte Statistiken über die verschiedenen Pflanzenarten anfertigen. Dort angekommen, verblasste manche Illusion durch die Realitäten. Zunächst waren einige Probleme zu lösen: Wie können wir aus dem mitgebrachten Mehl Brot backen, wo sind einheimische Lebensmittel zu erwerben und vor allem, wie sind die Aufforstungsarbeiten zu organisieren? Die Ferne wurde sehr schnell zur Nähe. Die berauschende, exotische Landschaft blieb anregend und sobald wir konnten, unternahmen wir erste Erkundungen durch die fremden Wälder. Über mögliche Gefahren hatten wir uns schon informiert, aber es ist schwer, alles zu erfassen. Um in einem nahen Waldstück Pflanzen zu sammeln und zu bestimmen, wan- 30 Ausgabe 1/2011 Erzählteil derten wir einmal durch die recht unwegsame Savanne, beherrscht von übermannshohen Gräsern und dazwischen einzeln stehenden Bäumen. Da achtet man natürlich auf Tiere, die einem gefährlich werden könnten, insbesondere auf Schlangen. Aber die Gefahr drohte von ganz anderer Seite, regelrecht heimtückisch. Um zur Orientierung einen Überblick über das hohe Gras zu erhalten, stieg ich ab und zu auf einen am Boden liegenden Baumstamm. Das ging auch recht gut, sodass sich mit der Zeit eine gewisse, fast routinemäßige Sorglosigkeit einstellte, wie sie sich auch im übrigen Leben eben gewöhnlich vollzieht. Wir ahnten jedoch nicht, dass in einem dieser morschen Baumstämme ein Bienenvolk seinen Stock hatte. Als ich auf diesen Stamm trat, ging alles in Sekundenschnelle. Wir wurden sofort von den verteidigungswütigen Bienen angegriffen und rannten weg, so schnell es das unwegsame Gelände überhaupt zuließ. Aber die aufgescheuchten Bienen folgten uns einige hundert Meter – und sie stachen und stachen. Wildes Umsichschlagen mit der Mütze konnte nicht viel mehr als das Gesicht bienenfrei halten. Vor allem der Hinterkopf und die Unterarme wurden zerstochen. Nur auf dem Kinn konnte keines der Tierchen landen, ich hatte mich nicht rasiert. Noch bevor wir unseren Jeep erreichen konnten, begannen die Gifte zu wirken: Erbrechen, Durchfall und völliges Erschlaffen stellte sich ein. Wir fuhren los und erst dadurch konnten wir dem Bienenschwarm entkommen. Der Weg führte gefährlich an einem Abhang entlang und erzwang volle Konzentration beim Fahren. Ich musste immer wieder anhalten und versuchte ein klein wenig meine Gedanken zu sammeln, aber das Befinden besserte sich nicht und wir wussten, dass wir bald ins Dorf kommen mussten, unbedingt. getötet hatten, der zu dicht an ein Bienenvolk geraten war. Da der Fall jedoch einige Jahre zurücklag, hatte keiner daran gedacht, uns auf diese Gefahr aufmerksam zu machen. Bienen, Schlangen usw. sind nicht die einzigen Umstände, die den Bauern das Leben schwer machen. Der Boden ist karg, das Wasser unregelmäßig. Der Wald, der das Umgebungsklima verbessern könnte, wird durch den ständig wachsenden Bedarf an Ackerfläche zurückgedrängt. Die Bauern hatten keine Begeisterung für ihre Landschaft, Europa schien ihnen romantisch. Sie wären gern mit uns mitgekommen. Indes kamen sie in der Regel gerade bis zur nächsten Stadt mit einem Markt. Ich glaube auch nicht, dass sie, aus ihrer Gemeinschaft entfernt, in Deutschland zufrieden leben könnten. Was fern und nah ist, hängt eben vom Standpunkt ab. Ich bin nun zu alt für weitere derartige Einsätze geworden, bin aber doch glücklich, dass ich die Gelegenheit hatte, verschiedene Lebensweisen kennenzulernen. Leider hat nicht alles Bestand, was ich betrieben habe. Unsere Aufforstungsarbeiten im Sudan dürften wegen der anhaltenden Kämpfe in Darfur verloren sein. Ich weiß auch nicht, was aus meinen Mitarbeitern in der Försterei und den Bauern im Dorf geworden ist, ich befürchte Schlimmes. Ich hoffe nur, dass nicht alle meine Arbeit in den verschiedenen Ländern verloren ist und dass sich einiges heute noch auswirkt. Was es für unser Befinden gebracht hat, weiß ich wohl: Wir sind hier in Deutschland zufrieden. Man kann sich über vieles ärgern, aber man sollte den Maßstab behalten. Siegfried Uhlig Wir schafften das mit Mühe. Ein Mitarbeiter aus der Werkstatt fuhr eilends in die Stadt, um einen Arzt zu holen. Der kam auch so schnell er konnte, aber es dauerte schon über eine Stunde. Er spritzte ein Mittel und die unmittelbaren Beschwerden ließen nach, die Lebensgefahr war gebannt. Wir mussten einige Tage im Bett bleiben, aber die Vereiterungen und Schwellungen mit den Einstichen und den teilweise darin verbliebenen Stacheln blieben noch wochenlang lästig, obwohl hunderte von Stacheln mit der Pinzette entfernt worden waren. Die Lebensgefahr, die von wilden Bienenvölkern ausgeht, war in der Gegend durchaus bekannt. Auch der Arzt hatte sofort ein geeignetes Mittel parat. Die Bauern erzählten uns, dass die Bienen vor einigen Jahren sogar einen Esel Ausgabe 1/2011 Affenbrotbaum. Foto: Sid Josten 31 Fokus Unsere fünf Sinne Wir nehmen die Welt mithilfe der fünf Sinne wahr: Wir sehen, riechen, tasten, schmecken und hören unsere Umwelt und uns selbst. Tasten und Riechen setzen Nähe voraus, Schmecken ganz besonders. Wenn wir uns besonders nahe sind, erzeugt das Tasten – und Fühlen – Intimität. Hören und Sehen können wir auch aus der Ferne. Um z.B. Häuser in ganzer Größe zu betrachten, müssen wir oft weit weg treten. Ganz aus der Nähe hingegen betrachten wir unser Spiegelbild. Wir sehen uns jedoch nur mittelbar, eine Reflexion und denken: So sind wir. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Das Wort „Reflexion“ hat zwei Bedeutungen: Es bezeichnet zum einen das zurückgeworfene Bild, zum anderen das Nachdenken, die Überlegung. Dies ist kein Zufall. Denn wir sehen nie unser wirkliches Bild, unsere spontane Mimik, wir sehen immer nur ein gewünschtes Bild unser selbst. Der Sehsinn setzt nicht nur räumliche Distanz zu Objekten, sondern auch innere Distanz zu uns selbst voraus. Von unseren fünf Sinnen können wir uns dem Tasten und Schmecken relativ problemlos verwahren. Wir müssen nichts anfassen oder essen, wenn wir es nicht wollen. Wir können aber nicht vermeiden, jemand zu hören und zu riechen, der in unsere Nähe kommt. Im Zivilisierungsprozess hat der Mensch immer mehr seine Intimsphäre betont und zu verteidigen versucht. Wir schotten uns heute ab, im Büro und zu Hause: mithilfe von Wänden, Vorhängen, Jalousien usw., um nicht zu sehen und nicht gesehen zu werden. Um nicht zu hören und nicht gehört zu werden, bauen wir schalldämmende Türen und Fenster ein. Notfalls greifen wir zu Gehörstöpseln. Mit den Gerüchen verhält es sich so ähnlich. Wir wollen nicht gezwungen werden, etwas oder jemanden zu riechen, denn das Riechen schafft Nähe. Die kann bedrohlich sein. Wir wollen uns aussuchen, wen oder was wir riechen. Einen penetranten Geruch – auch ein starkes Parfüm – nehmen wir als Invasion in unsere Privatsphäre wahr. Im Sommer in einem überfüllten Bus voller verschwitzter Menschen zu fahren, ist eine wahre Feuerprobe der Menschenliebe, die nicht viele von uns erfolgreich bestehen. Der Geruchssinn ist vielleicht am engsten mit der Liebe verbunden. Man sagt, dass Liebe durch den Magen geht, doch viel mehr geht sie durch die Nase. „Jemanden nicht riechen können“ bedeutet ja, jemanden unausstehlich zu finden und keinen Kontakt mit ihm haben zu wollen. Liebe bedeutet Nähe – körperlich und seelisch. Für die erotische 32 Liebe spielen Düfte eine wichtige Rolle. Nicht nur Frauen, sondern auch Männer parfümieren sich, um anziehender zu wirken. Männer schenken ihrer Geliebten Blumen, weil sie einerseits durch die Schönheit der Blumen einen metaphorischen Vergleich mit der Schönheit der Frau aufstellen, aber andererseits auch, weil der Duft der Blumen eine erotische Nähe suggeriert. Gerüche wecken in unserem Herzen Erinnerungen, schöne wie traurige. Nichts kann das Bild einer geliebten Person, die weit weg ist oder die wir verloren haben, mit einer so großen Intensität in unserer Seele zum Leben erwecken wie ein Geruch. Wenn wir zufällig auf ein Kleidungsstück stoßen, das einer geliebten Person gehört hat und ihren Duft noch bewahrt, spüren wir sie wieder in unserer Nähe. Wenn wir irgendwo auf der Straße plötzlich den Geruch eines Gerichts wahrnehmen, das die Mutter zuzubereiten pflegte, fühlen wir uns in die Kindheit zurückversetzt. Wenn wir nach Jahren eine Creme riechen, die wir früher jeden Sommer am Meer aufgetragen haben, ist es fast so, als würden wir die Sonnenstrahlen wieder auf unserer Haut spüren. Wir vergessen vieles im Laufe des Lebens, doch ein Geruch reicht, um Erinnerungen zu wecken, die irgendwo in der Tiefe unserer Seele schlummern und wir verloren geglaubt haben. Starke und vor allem unangenehme Gerüche assoziieren wir mit Armut, mit Ungepflegtheit, im Allgemeinen mit Verfall in seinen verschiedenen Formen: moralisch (zum Beispiel der unangenehme Geruch einer stark alkoholisierten Person), ökonomisch und sozial (der Geruch eines Elendsviertels in einer Großstadt) oder körperlich (der Geruch kranker Menschen). Ein starker Körpergeruch erinnert uns an unsere „tierische“ Herkunft und an den Tod. Die westliche Welt wehrt sich. Wir haben eine hoch entwickelte Industrie der künstlichen Duftstoffe, mit einem unüberschaubaren Angebot von Parfüms, Deos, Raumdüften usw., mittlerweile zu erschwinglichen Preisen, die eine Demokratisierung der schönen Düfte bewirkt haben. All diese Produkte sind längst nicht mehr ein Privileg der gehobenen sozialen Schicht. Aber warum „bekämpfen“ wir so vehement die natürlichen Gerüche? Sie gehören zu allen Erscheinungen dazu. Wäre unser Empfinden nicht ärmer, wenn wir Landschaften und Menschen nur noch sehen und vielleicht hören, aber nicht mehr riechen? So wie wir einen kranken Menschen nicht wegen seines Geruches alleinlassen werden, sollten wir auch gegenüber den Gerüchen einer fremden Welt Toleranz zeigen: eine Welt in der sich alle „riechen können“. Laura Karsch Ausgabe 1/2011 Fokus Inspirationen Die Welt ist in uns „Die Schöpfungen der Natur und die des Menschen gleichen sich oft oder ähneln wenigstens einander. Der Mensch ist ein großer Plagiator. Sein Wesen aber ist es, ein Spiegel zu sein, der in sein eigenes Bild schaut, sich umkreist und schließlich sich durch die Welt und die Welt sich durch ihn erkennt. Da wir Welt sind, ist die Welt auch in uns. Der Mensch schaut sich in die Natur hinein, um aus sich heraus, mehr oder weniger bewusst, eine neue Welt zu kreieren, die wie eine Subschöpfung aus Nachahmung und Zusammenführung von Formen der Natur und deren Übersetzung ins Menschliche besteht. Der Künstler wie der Techniker verstehen es souverän, Formen und Rohstoffe für diese Neuschöpfungen in der Natur zu finden.“ (Heinz Weißflog, Rede zur Eröffnung der Ausstellung GEZEITEN von Else Gold, 2008) Meine Arbeit mit Porzellan, mit gefundenem Holz oder mit gefundenen Gegenständen, die ich in Bildwerke und plastische Objekte integriere und zu Assemblagen (Collagen mit plastischen Objekten) verwandle, gehen von vorgefundenen Formen, sowohl denen aus der Natur als auch aus den zivilisatorischen Technologien hervor, die der Mensch im Laufe seiner Entwicklung geschaffen und gefunden hat. Ich bin eine Sammlerin, eine Entdeckerin – unter meinen Vorfahren waren Bergleute. Aufgewachsen bin ich im Erzgebirge. Zehn Jahre meiner Kindheit lebte ich in Johanngeorgenstadt. Ausgabe 1/2011 Ich gehe offenen Auges, wachen Geistes, in Erwartung der Geschichten, die in den Dingen leben. Die Spuren der vergangenen Zeit berühren mich. Abfall? – Lebenszeichen – deren Entdeckung löst Erinnerungen, Gefühle, Gedanken in mir aus. Indem ich sie wahrnehme, aufhebe, mit ihnen spiele, erzähle ich ihre Geschichte fort. Es geschieht etwas mit den Fragmenten, die sich bei mir begegnen. Sie erfahren eine Verwandlung in meinen Schöpfungen. Die Dinge tauchen auf. Etwas hat sie freigelegt. Der Wind, das Wasser, meine Augen, meine Hände, meine Gefühle oder meine Gedanken … Abfall, das ist der Rest, der Überrest der natürlichen Hervorbringung, wie der menschlichen Produktion. Abfall fällt mir auf. In meiner Arbeit mit dem Material Porzellan entsteht fortwährend Abfall, den ich aufhebe, sammle, mit dem ich spiele und den ich ordne. So entstand das Objekttableau „Kaskaden“ im Spiel mit den Eingussabfällen für Himbeeren. Hier habe ich die kammartigen Produktionsabfälle seriell, angeordnet. Das Einzelne geht auf im Ganzen. Es entstand in einer variablen Anordnung, eine Struktur, in der die Plastizität des Materials sich auf eigenwillige Weise entfaltet. Die „Kaskaden“ erinnern an die Bewegung von Wasser im Fließen, im Fallen. Licht und Schatten treiben ihr berechnendes Spiel. Else Gold, Kaskaden, 2008, Reihung, Porzellan unglasiert auf Gips- und Brennplatte, 40 x 60 cm Foto: Werner Lieberknecht 33 Fokus Die Dinge sind im Fluss, in Bewegung. Ich bin Teil des pulsierenden Kosmos. Ebbe und Flut – Gezeiten. Ich bin eine Frau, verwandt mit der Erde und mit dem Meer. Der Mond ist auch mein Begleiter. Gezeiten unabdingbar, wieder und wieder, sich fortwährend wiederholende Bewegungen von hin und her, von steigen und fallen, von Nähe und Ferne, Spuren hinterlassend. Derselbe Strand ist nie der gleiche. Etwas wird fortgespült, anderes wird abgelagert. Manches wird freigelegt, das wenig später wieder verschwindet. Vor zwei Jahren entstand während eines Porzellansymposiums in Freital die Arbeit mit dem Titel „Gezeiten“. „Die lebendige Materie bekundet ihr totales Sein, indem sie sich in Zeit und Raum entfaltet.“(Lucio Fontana) „Es entstanden beim Gießen Formen, die dem natürlichen Verhalten des Meeresbodens bei Ebbe und Flut gleichen, dem Hin- und Herschwingen und Verfließen und Reißen des Untergrundes. Die Ähnlichkeiten des Verhaltens beider Medien sagen etwas über den Kosmos aus, seine Einheit und Gleichgesetzlichkeit in den unterschiedlichen Medien und Materialien.“(Heinz Weißflog, Rede zur Eröffnung der Ausstellung GEZEITEN von Else Gold, 2008) Immer wieder entstehen wunderbare Formulierungen, die sich nicht denken lassen. Sie wachsen im Stillen, entstehen scheinbar beiläufig. Aber sie erfordern tägliche Hinwendung. Sie lassen sich nicht zwingen. Sie brauchen Zeit, Geduld und Vertrauen. In der Bewegung von Annäherung und Entfernung werden sie langsam sichtbar, bis sie sich zeigen. Manchmal geschieht es schnell, manchmal dauert es Jahre. Porzellan ist Materie – ist ein Gemisch aus Quarz, Feldspat, Kaolin und anderen Bestandteilen. Porzellan kann in ungebranntem Zustand auch flüssig sein. Bei den „Gezeiten“ habe ich mit dem natürlichen Verhalten der Porzellanmasse im Rohzustand und während des Brandes gearbeitet. Ich habe das flüssige Porzellan in eine Form fließen lassen, alles weitere haben die Wärme der Sonne, die Feuchtigkeit in der Luft, das Vergehen der Zeit, das Feuer im Ofen getan. Diese Arbeit lebt vom Vertrauen in die Schöpferkraft der Natur. Else Gold, Gezeiten, 2008, Porzellan unglasiert, 40 x 60 cm Foto: Werner Lieberknecht 34 Ausgabe 1/2011 Fokus Nähe und Ferne in Raum und Zeit Als Newton (1643–1727) die Grundlagen für eine exakte Physik formulierte, waren für ihn Raum und Zeit – beide unabhängig voneinander – der absolute Rahmen unserer Existenz. In der modernen Physik ist beides gekoppelt (Einstein 1879–1955). Und subjektiv erleben wir genau das: Raum und Zeit sind variabel, sehr komplex und miteinander verwoben. Deshalb lohnt es sich darüber nachzudenken. Die Zeit schreitet, physikalisch gesehen, unaufhaltsam fort, und genauso empfinden wir das zuweilen (lineare Zeit). Doch wenn sich Ereignisse im Wochenrhythmus wiederholen, scheint uns auch die Zeit immer wieder neu (zyklische Zeit). Manchmal gibt es Stopps und Sprünge. Das Leben hat Fixpunkte, die ein besonderes Gewicht haben, die wir nicht vergessen und auf die wir immer wieder zurückkommen: Geburt, Heirat, Jubiläen, Tod von nahen Angehörigen und Freunden. Unser Geist sucht die Vergangenheit, wenn wir auch nicht wirklich zurückkönnen, so sehr wir uns wünschen, Fehler rückgängig zu machen. Ein literarisches Beispiel sind Autobiografien, die auf den Wunsch schließen lassen, zur Kindheit, zur Jugend, zu glücklichen Zeiten zurückzukehren. Mit Fotografien halten wir die Erinnerung an schöne Stunden, an Wanderungen, Feste und Begegnungen fest. Wir konservieren das angenehme Gefühl der Vergangenheit, holen es in unser Bewusstsein zurück und stellen so eine Nähe zu vergangenen Ereignissen her. Noch überraschender sind die Feststellungen über unsere Raumerfahrung. Viele kennen eine Verbundenheit mit Angehörigen über Entfernungen hinweg. Zuweilen wird diese Zusammengehörigkeit mit täglichem Telefonieren aufgefrischt. Besonders in Krisensituationen, wenn z.B. ein Angehöriger eine schwierige Operation zu überstehen hat, ist der Partner beunruhigt und kann sich von einem bedrohenden Gefühl nicht befreien bis das erlösende Telefonat kommt: Es ist ohne Komplikationen gelaufen, alles wird gut. Solche Verbundenheit hat es schon immer gegeben, aber die Veränderungen durch moderne Technologien sind grundsätzlich und sind Gegenstand vieler kulturwissenschaftlicher Publikationen. Michel Foucault behauptet: „Unsere Zeit ließe sich eher als Zeitalter des Raums begreifen.“ (Michel Foucault: Andere Räume S. 317). Tatsächlich hat sich das Raumempfinden in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert und ist mit der Zeit gekoppelt. Durch die schnellen Reise- und Ausgabe 1/2011 Kommunikationsmöglichkeiten kommt es zu einer Verdichtung unserer Wahrnehmung (time-space compression). Räumliche Ferne wird heutzutage anders verstanden als vor 30 bis 40 Jahren. In der High-Tech-Ära sind wir extrem mobil geworden. Kein Raum unseres Planeten ist unerreichbar geblieben. Auch das Weltall ist für vermögende Touristen nicht tabu. Die Kommunikationsmöglichkeiten führen dazu, die scheinbare, gefühlte Unendlichkeit der Welt zusammenschmelzen zu lassen. Wir telefonieren und mailen mit Angehörigen, die sich irgendwo auf dieser Erdkugel befinden. Mobilität und Kommunikation brachten uns räumliche Nähe zu allen interessanten Punkten auf der ganzen Erdkugel. Das Fernsehen zeigt das Leben auf allen Erdteilen, dortige Menschen und Tiere sind uns bekannt, Erdbeben und Unwetter bekommen wir in Echtzeit übermittelt. „Raum“ ist ein komplexer Begriff geworden und bedeutet nicht mehr nur Landschaft und Wohnraum, sondern beinhaltet auch eine mentale Vorstellung. Die Wissenschaftler registrieren eine Wende in der Raumerfahrung (spatial turn). Die Verdichtung unserer raumzeitlichen Wahrnehmung hat gesellschaftliche Folgen: Der Mensch tendiert zu Ortlosigkeit. Die weitestgehende Loslösung vom geografischen Ort erfolgt im Cyberspace, in den scheinbaren Welten des Internets. Die Orte der „Lebenswelt“ sind vorrangig medialisiert zu denken (Jörg Döring, Tristan Thielmann: Was lesen wir im Raume? S. 15). Die Heimat hat für die jetzt Heranwachsenden nicht mehr die Bedeutung, die sie für die Vertriebenen des 2. Weltkrieges hatte, für die die Heimat die Existenz- und Lebensgrundlage war. Für einen guten Job oder manchmal überhaupt für eine Verdienstmöglichkeit gehen Berufsanfänger ohne Wehmut in fremde, ferne Länder. Geheiratet wird nicht mehr nur innerhalb einer Dorfgemeinschaft, die Liebenden finden sich über hunderte von Kilometern, zuweilen international über Ländergrenzen hinweg. Wenn wir auch die extreme Formulierung vom „Verschwinden des Raums“ nicht nachvollziehen wollen, ist es doch so, dass Nähe weder durch Zeit noch durch den Ort allein bestimmt wird, sondern zuallererst durch geistige Nähe, bei zwei Menschen durch das gefühlte Band, das beide verbindet. Delia Cotarlea Zitierte Literatur: Döring, Jörg/Thielmann, Tristan/et al. (Hg.): „Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften“ Bielefeld 2008, S. 7–45, ISBN 978-3-89942-683-0 Foucault, Michel: „Andere Räume“ (1967), in: Barck, Karlheinz (Hg.): Aisthesis; Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik; Essais. 5. durchgesehene Auflage. Leipzig: Reclam, 1993. 35 Festgestaltung Österliche Basteleien Ostern und seine Bräuche Ostern ist das Fest, an dem wir die Auferstehung Jesu Christi feiern. Damit ist es eigentlich viel wichtiger als Weihnachten, die Geburt von Jesus. Trotzdem hat sich in unserem Kulturkreis Weihnachten bedeutsamer entwickelt als das Osterfest. Das ist ein bisschen traurig. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass Weihnachten einen feststehenden Termin hat, wohingegen das Osterfest zu den beweglichen Festen im Jahr gehört. Es fällt immer auf den Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond. Der Frühlingsanfang ist auf den 21. März festgelegt. Die Ostkirchen nahmen den Gregorianischen Kalender zur Berechnung der beweglichen Feiertage nicht an, sodass der Ostertermin dort von unserem bis zu fünf Wochen abweichen kann. Mit Ostern beginnt die österliche Freudenzeit, die fünfzig Tage bis einschließlich Pfingsten dauert. Alle übrigen beweglichen christlichen Feiertage werden vom Ostersonntag aus berechnet. Der Name „Ostern“ ist altgermanischen Ursprungs und hängt wahrscheinlich mit der Himmelsrichtung „Osten“ zusammen. Da Ostern außerdem ein Frühlingsfest ist, sind Osterbräuche in vielen Ländern vorchristlicher Herkunft. Der österliche Festkreis beginnt seit dem Jahre 1091 mit dem Aschermittwoch, dem eine 40-tägige Fastenzeit folgt. Dies erinnert an die 40 Tage, die Jesus in der Wüste fastete und betete. Eine christliche Tradition hat also die Aktion „7 Wochen ohne“. 2010 trug diese Aktion den Titel „Näher! – 7 Wochen ohne Scheu“, im Jahr 2011 den Titel „Ich war’s! 7 Wochen ohne Ausreden“. Wir möchten Sie ermuntern, sich in diesem Jahr für die „7 Wochen ohne“ etwas Besonderes vorzunehmen. Erkunden Sie die eigenen Grenzen wie auch die ihrer Nächsten. In der Rubrik Kreativ finden Sie in dieser Mappe unter „Zielkalender“ viele Vorschläge, wie sie Ihren Nächsten und sich selbst beistehen können, um das persönlich gesteckte Ziel zu erreichen. 36 Christliche Bräuche - Die Kirchenglocken werden zwischen Karfreitag und der Osternacht nicht geläutet. Die Ostermesse beginnt vielerorts schon früh um 6.00 Uhr. In orthodoxen Ländern begrüßt man sich während der Ostertage mit dem Ostergruß: „Christus ist auferstanden!“ und antwortet: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Familiäre Bräuche - Die Kinder suchen bunt bemalte Eier und Süßigkeiten, die vom „Osterhasen“ versteckt wurden. Die Erwachsenen schenken sich besonders hübsche Ostereier oder auch Osterkerzen. An einen Strauch im Freien oder an einen Frühlingsstrauß in der Wohnung werden bunte Eier gehängt. Als Ostergebäck gibt es einen Kuchen oder Plätzchen in Hasen- oder Lammform. Traditionelle Osterspeisen sind: Osterschinken, Würste, Eier, Lammbraten. Regionale Bräuche - Osterwasser holen: Es muss in der Osternacht oder früh vor Sonnenaufgang geschehen und der Weg muss schweigend zurückgelegt werden, sonst erfüllt das Wasser nicht seine Wirkung: Es soll beim Waschen eine besonders feine Haut geben. In manchen Ländern besprengen sich die Menschen gegenseitig mit Wasser. Der Brauch rührt wahrscheinlich daher, dass Ostern als Tauftermin galt. Sogar Vieh wird am Ostermorgen in Bäche oder Flüsse getrieben, damit es von Krankheiten verschont bleibe. Osterreiten ist ein alter sorbischer Brauch, der in der Niederlausitz wieder neu belebt wurde und ein Besuchermagnet ist. Mehr als eintausend Reiter in schwarzem Gehrock, mit Zylinder und weißen Handschuhen führen auf sieben verschiedenen Routen eine Prozession auf ihren reich geschmückten Pferden durch. Ausgabe 1/2011 Festgestaltung Osterkarten Das Versenden von Osterkarten ist weit verbreitet. Ähnlich wie zu Weihnachten hat die Post auch im Zeitalter des Computers Hochsaison. Um eine Karte zu gestalten können Sie: a) malen (was nicht jedermanns Sache ist), b) Figuren ausschneiden und aufkleben, c) Schablonen auflegen und mit Farbe bespritzen, d) Schablonen ummalen, e) stempeln, f) Kombinationen dieser Techniken anwenden. Tipps und Tricks zu b) Schablonen ausschneiden und aufkleben Verwenden Sie nur dünnes Papier und keinen Karton für die Figuren, die Sie aufkleben wollen. Tragen Sie nur wenig Leim auf, damit er an den Rändern nicht hervorquillt und sich das Papier auch nicht wellt. Zum Schneiden von runden Linien sind Fingernagelscheren bestens geeignet. Auch sonst sollten die Scheren scharf und bis zur Spitze gut schneidend sein. Sie sie auf das Papier und ziehen Sie den Tuschepinsel von der Mitte aus senkrecht über den Rand der Schablone oder umfahren Sie die Schablone mit einem Stift. zu e) Stempeln Stempel kann man aus Kartoffeln oder alten Radiergummis ausschneiden. Dazu legt man am besten eine Schablone auf die angeschnittene Kartoffel und schneidet mit einem Messer am Rand der Schablone entlang. Es sollten nur einfache Formen und keine komplizierten Muster sein. Nun noch mit einem Pinsel Wasserfarbe auf den Stempel auftragen und die Druckerei kann beginnen. Je weniger Wasser die aufgepinselte Farbe enthält, desto kräftiger wird der Druck. Man kann sogar mit den Fingern stempeln – natürlich nur rundliche Formen. Die folgenden Muster sind Vorschläge für Briefe und Karten, die Schraffierungen und Augen können sie später einmalen oder weglassen. Sie können die Figuren aber auch für das Basteln von Osterkerzen und Tischschmuck (S. 42) und für das Oster-Memory (S. 43) verwenden. zu c) Schablonen auflegen und mit Farbe bespritzen Die Schablonen können mit Kohlepapier direkt auf das gewählte Material übertragen werden. Oder Sie legen Transparentpapier auf die Vorlage und ziehen alle Linien mit einem weichen Bleistift nach. Dann legen Sie das Transparentpapier mit der bemalten Seite nach unten auf das Werkmaterial und fahren die Konturen ein zweites Mal mit einem harten Bleistift nach. So werden die Motive durchgedrückt. Die Schablonen schneiden Sie bitte aus Karton aus, aus dünnem Papier wellen sie sich schnell. Die Schablonen werden auf dem Briefpapier oder der Karte angeordnet. Ein mit Wasserfarbe oder Tinte eingefärbter Borstenpinsel (eine alte Zahnbürste geht auch) wird vorsichtig über den Schablonen auf einem alten Tee- oder Küchensieb abgerieben. Die Farbe sollte möglichst wenig Wasser enthalten, dadurch werden die Farbpunkte kleiner und das Papier wellt sich nicht. Wenn Sie die Schablonen mehrmals verwenden wollen, entfernen Sie sie vorsichtig mit einer Pinzette, möglichst erst dann, wenn die Arbeit schon getrocknet ist. zu d) Schablonen ummalen Geeignet sind etwas größere Schablonen, das können auch Blätter aus der Natur sein. Ordnen Sie diese an, drücken Ausgabe 1/2011 Zeichnungen: Gisela Albrecht 37 Festgestaltung Osterkerzen Osterkörbchen Feuer und Licht sind uralte Lebens- und Reinigungssymbole. Osterfeuer findet man heutzutage je nach Region nur noch selten. Dazu sind Osterkerzen eine gute Alternative. Man braucht: ein Plastikkörbchen (aus dem Gemüsegeschäft, von Physalisfrüchten) Wellpappenstreifen (möglichst in zwei Farben) Heftgerät (umgangssprachlich Tacker, Klammeraffe) Krepppapier (anderes Papier geht auch) So wird es gemacht: Wellpappenstreifen zuschneiden und in das Körbchen hineinflechten, die Enden mit dem Tacker verbinden. Henkel zuschneiden und antackern. Papier für den Boden zurechtschneiden und einlegen. Der Brauch, eine besondere Kerze zu entzünden, ist sehr alt. Die ältesten schriftlichen Zeugnisse stammen aus dem vierten Jahrhundert. Dieser Brauch knüpft an eine alte heidnische Tradition an. Heute wird die Osterkerze im Gottesdienst am Ostersonntag entzündet und brennt symbolisch bis Pfingsten und wird dann bei Taufen weiterverwendet. Sie können eine einfache Kerze mit Wachsmalfarbe (gibt es in Bastelgeschäften) und mithilfe der Schablonen bemalen. Papierschablonen aufzukleben empfiehlt sich wegen der Brandgefahr nicht. --- Andrea Postel Das Körbchen ist auf dem Foto rechts vorn zu sehen. Es gibt aber auch ganz dünne farbige Wachsplatten für das Verzieren von Kerzen. Aus diesen können Sie mit oder ohne Schablone Figuren ausschneiden, die sich dann mühelos durch die Handwärme auf die Kerze drücken lassen. Man kann sich von einem Imker Bienenwachsplatten und Docht besorgt. Die Platten sind bei Zimmertemperatur geschmeidig und lassen sich gut um den Docht wickeln. Man muss nur darauf achten, dass der Docht wirklich guten Kontakt zu dem Wachs hat. Dann können Sie diese Kerze wie oben angegeben verzieren. Und Sie haben eine ganz individuelle, wunderschöne Osterkerze, die gut riecht, vor allem dann, wenn sie abgebrannt wird. Wenn Sie das Ende des Dochtes noch in flüssiges Wachs tauchen, lässt sich die Kerze gut anzünden. 38 Für das Körbchen auf dem Foto links hinten schneiden Sie aus stärkerer Pappe einen runden oder ovalen Boden aus. (Auf dem Foto ist es eine sechseckige Pralinenschachtel). Dann schneiden Sie die Seitenwände nach der Vorlage auf der nächsten Seite zurecht. Die Länge der zukünftigen Seitenwand muss ein bisschen mehr als der Umfang des Bodens sein. Die Zacken werden nach innen geknickt. Die andere Seite des Seitenstreifens wird dann bis zu der gestrichelten Linie in schmale Streifen geschnitten (das geht mit einer Kräuterschere besonders gut). Nun die Zacken unten auf den Boden kleben, die Seitenwand überlappend zusammenkleben und die dünnen Streifen nach außen drücken. Bei grünen Karton sieht es wie Ostergras aus. Ausgabe 1/2011 Festgestaltung Springt dann fort mit einem Satz und ein frecher kleiner Spatz schaut jetzt nach, was denn dort sei. Und was ist’s? Ein Osterei! Volksgut Ostereier schmücken Es gibt ja wunderschön verzierte Eier in Wachs- oder Batiktechnik. Die Hersteller sind wahre Künstler und von klein auf in dieser Technik geübt. Aber auch wir „normalen“ Leute können Ostereier mit einfachen Mitteln schön verzieren. Warum die Ostereier bunt sind Vor langer Zeit gab es noch keine bunten Ostereier. Die Eier wurden so weiß versteckt wie die Hühner sie gelegt hatten. Nun passierte es, dass es zu Ostern mächtig schneite, die Kinder keine Ostereier fanden, deshalb sehr traurig waren und mit rot gefrorenen Nasen zurückkamen. Wer findet schon weiße Eier im weißen Schnee? Ein kleiner Hase saß am Waldrand und dachte: „Wir sollten die Eier bunt färben, damit man sie auch im Schnee finden kann.“ So wurde es gemacht. Und seitdem gibt es bunte Ostereier und die Kinder finden sie immer, auch im Schnee. Nacherzählung, Quelle und Autor unbekannt, für Hinweise wären wir dankbar! Der Hase und das Ei sind Zeichen des Lebens und der Fruchtbarkeit. Hasen bekommen im Frühjahr viele Junge, das heißt sie schenken Leben. Sahen die Menschen früher die Hasenmütter mit ihren Jungen, wussten sie, dass der Winter vorüber war. Das Osterei Unterm Baum im grünen Gras sitzt ein kleiner Osterhas’! Putzt den Bart und spitzt das Ohr, macht ein Männchen, guckt hervor. Ausgabe 1/2011 Sie möchten bei den Ostereiern, die zum Essen gedacht sind, nicht mit den bunten käuflichen Eierfarben arbeiten? Dann können Sie ganz einfach zwei Farben mit Naturmaterialien herstellen. Geben Sie in das Eierkochwasser einfach viele Zwiebelschalen mit hinein. Sie erhalten sehr schöne braune Eier. Leuchtend gelbe Eier erhalten Sie, wenn Sie dem Wasser Kurkuma (Gelbwurz, gibt es im Gewürzladen, ist meist im Curry enthalten) zugeben, ungefähr 2 Esslöffel auf einen halben Liter Wasser. Bei beiden Methoden die Eier beim Kochen ein bisschen hin und her bewegen, dann werden sie gleichmäßiger gefärbt. Und natürlich die gefärbten Eier hinterher mit einer Speckschwarte abreiben, dann glänzen sie schön. Wenn Sie die Eier vor dem Kochen mit Farn- oder kleinen Blättern o.Ä. belegen, in einen alten, dünnen Perlonstrumpf stecken, diesen oben und unten zubinden, haben Sie ein schönes Muster auf dem gefärbten Ei. Dies waren umweltfreundliche Methoden für Eier, die zum Verzehr gedacht sind. Alle folgenden Vorschläge können 39 Festgestaltung zum Teil sowohl für Schmuckeier, als auch für Speiseeier verwendet werden. Wenn Sie mit einem ausgeblasenen Ei arbeiten möchten, stecken Sie es einfach auf einen Schaschlikspieß oder ein ähnliches Hölzchen, dann lässt es sich gut handhaben. Den Faden durch ein ausgeblasenes Ei bekommen Sie am besten mit einer sehr langen Stopfnadel, die durch das ganze Ei hindurchreicht. Dann können sie die Fadenenden unten ankleben. Oder Sie binden ein halbes Streichholz an einen Faden, versehen die Streichholzenden mit Leim. Stecken Sie das Streichholzstück in das Ei und hängen es auf, so kleben die Holzenden im Ei fest. Hei; juchhei Hei; juchhei! Kommt herbei! Suchen wir das Osterei! Immerfort, hier und dort und an jedem Ort! Ist es noch so gut versteckt! Endlich wird es doch entdeckt: Hier ein Ei! Dort ein Ei! Bald sind’s zwei und drei. Denselben Effekt erreichen Sie, wenn Sie Wasserfarbe auf einen alten (Strick-)handschuh geben und damit das feuchte Ei schmücken. Andrea Postel Eier bekleben Tipps und Tricks: Wenn Sie die beklebten Eier im Freien verwenden wollen, sollten Sie Leim verwenden, der nicht wasserlöslich ist, für drinnen genügt ein einfacher Klebestift. Eier mit Spitze bekleben August Heinrich Hoffmann von Fallersleben Essbare Marmor-Eier Eier hart kochen, dann ringsherum anschlagen, sodass in der Schale Risse und Sprünge entstehen. Rotwein mit etwas Thymian, Rosmarin, Lorbeer und Chili aufkochen und abgekühlt über die Eier gießen. Über Nacht stehen lassen, damit sie gut durchziehen. Am nächsten Tag verspeisen. Marmorierte Eier Es gibt verschiedene Methoden um Eier zu marmorieren. Im Bastelgeschäft kann man Marmorierfarbe in verschiedenen Tönungen kaufen. Davon tropfen Sie ein wenig auf Wasser in einer Schüssel. Dann tauchen Sie das Ei vorsichtig hinein, beim Herausholen legen sich die Farben im Marmormuster auf die Eier. Oder tupfen Sie auf die feuchte Eierschale mit einem Pinsel oder einem Schwamm verschiedene Wasserfarben. Dabei sollten Sie mit der dunkelsten Farbe beginnen. Eier mit Naturmaterialien bekleben Sie können Eier bekleben mit: a) Efeublättern b) gepressten kleinen Stiefmütterchen o.Ä. c) kleinen Eierschalenstückchen von marmorierten Eiern d) Bast oder Schnur Andrea Postel 40 Ausgabe 1/2011 Festgestaltung Eier mit Hut Tipps und Tricks: Dazu können Sie ausgeblasene Eier oder Eier aus Plastik verwenden. Malen Sie auf ein gefärbtes oder ungefärbtes Ei ein einfaches Gesicht mit einem Filzstift (s.u.). Der Hut ist aus Moos, Federn oder einem Stück Eierschale. Dann noch den Faden zum Aufhängen durch eine Perle ziehen und fertig ist ein besonders lustiges Ei. Eier mit Serviettentechnik verzieren Streichen Sie das Ei mit speziellem Klebelack für Serviettentechnik ein. Schneiden Sie aus einer Papierserviette ein Motiv aus. Trennen Sie die verschiedenen Papierlagen der Serviette, sodass Sie nur die oberste dünne, bedruckte Lage übrig haben. Diese kleben Sie auf das Ei und lassen den Lack trocknen. Nun streichen Sie mit dem Klebelack von der Mitte des Motivs her (so werden eventuelle Blasen mit ausgestrichen) noch einmal über das Papier. So erhalten Sie ein absolut wetterfestes Osterei. Christine Marzin Ausgabe 1/2011 Mit Pailletten geschmückte Ostereier Tipps und Tricks: Dazu eignen sich nur Eier aus Zellstoff oder weichem Plastik, also Eier, in welche Sie mit einer Nadel hineinpieksen können. Die Eier, Pailletten und Nadeln bekommen Sie im Bastelgeschäft. Dann ist es ganz leicht, schöne Muster damit auf das Ei zu stecken. Andrea Postel Ein Ei mit Gitternetzband umhüllen Kaufen Sie ein Gitternetzband (es ist ein bisschen dehnbar) im Handarbeitsgeschäft und ein durchsichtiges Plastikei im Bastelladen. Schneiden Sie sich bitte ein Stück Band zurecht, das reichlich doppelt so lang ist wie das Ei. Dann legen Sie das Ei in das Band und nähen die Seiten zu. Oben ziehen sie das Gitterband zusammen und schmücken es mit einer Schleife und oder Kette. Es sieht sehr schön filigran aus. Christine Marzin 41 Festgestaltung Österlichen Tischschmuck basteln Schmetterlinge Falten Sie Tortenspitze doppelt und schneiden mit einem Schnitt zwei gleiche Schmetterlingsflügel aus. Den mittleren Teil beider Flügel knicken Sie um und kleben ihn in einen Papierfalz, der im Zickzack gefaltet ist. So kann der hübsche Schmetterling auf ihrem Tisch stehen. Wenn Sie ihn irgendwo anders befestigen wollen, nehmen Sie doppelseitiges Klebeband. Christine Marzin Osterhase Sie benötigen: eine leere Trinkjoghurtflasche, braune Bastelfarbe, etwas Sand, eine Styroporkugel, einen Schaschlikspieß, zwei Wackelaugen (gibt es im Bastelladen), einen roten Pompon, Tonkarton, Moosgummi möglichst weiß (Papier oder Stoff gehen auch), Schleifenband, (Zickzack-)schere. 1. Trinkjoghurtflasche etwa bis zur Hälfte mit Sand füllen und mit brauner Farbe bemalen. 2. Styroporkugel auf Schaschlikspieß stecken und bemalen. 3. Schaschlikspieß mit Kugel in entsprechender Höhe in die Flasche stecken und trocknen lassen. 4. Ohren aus Papier ausschneiden, bemalen und ankleben. 5. Wackelaugen und Nase (Pompon) ankleben. 6. Zähne und Latz ausschneiden und ankleben. 7. Schleifenband als Halstuch fixieren. 42 Kerzenhalter Material: ca. 20 Stück gleichlange Weidenruten (15 bis 30 cm), Naturbast, Eierkerzen, Gartenschere. Sie binden die Rutenstücke etwas oberhalb der Mitte mit Bast fest zusammen, drehen das Bündel auseinander und stecken eine Eierkerze in das kürzere Ende des Bündels. Diese Kerzen wegen Brandgefahr bitte nicht unbeaufsichtigt brennen lassen! Wachsblumen Sie benötigen: einfache Stearinkerzen, eine kleine Blumenplätzchenform, eine Untertasse, Wasser, Streichhölzer. Gießen Sie etwas Wasser auf die Untertasse, legen Sie die Plätzchenform darauf und tropfen von der brennenden Kerze Wachs in die Form. Das Wachs gerinnt sofort und dadurch entstehen sehr schöne Gebilde, die sich leicht aus der Form lösen lassen. Andrea Postel Ausgabe 1/2011 Festgestaltung Spiele zu Ostern Ostern ist ja heutzutage das Fest für die Kinder. Tun Sie sich und den Kindern den Gefallen und toben Sie bei den vorgeschlagenen Osterspielen mal so richtig mit. Wenn Ihnen das Toben schwer fällt, können Sie den Kindern auch das folgende lustige Gedicht mit auf den Weg geben: Mein Vater kaufte sich ein Haus. An dem Haus war ein Garten. In dem Garten war ein Baum. Auf dem Baum war ein Nest. In dem Nest war ein Ei. In dem Ei war ein Dotter. Im Dotter war ein Osterhase, der beißt dich in die Nase. (Natürlich zum Schluss den kleinen Zuhörer in die Nase zwicken.) Aus dem Volksmund Ostereierticken Beim Eierticken werden zwei hart gekochte Eier mit den Spitzen aneinander „getickt“. Das Ei, dessen Schale zuerst zerbricht, hat verloren. Eierrollen Das Eierrollen kann an einem Hügel oder auch auf selbst gebauten Schrägen gespielt werden. Die Spieler lassen Eier den Hang hinunterrollen. Das Ei, das am weitesten rollt, hat gewonnen. Der Gewinner darf die Eier der anderen einsammeln. Eierlaufen Bei diesem Spiel müssen die Teilnehmer ein (am besten gekochtes) Ei auf einem Löffel in einem Wettlauf unversehrt bis zu einer Ziellinie balancieren. Erschweren kann man den Lauf durch Hindernisse, die umkreist oder durchkrabbelt werden müssen. Sieger ist, wer zuerst die Ziellinie überschritten hat und dessen Ei noch heil ist bzw. als solches zu erkennen ist. Falls viele Personen mitspielen, kann man Eierlaufen auch als Staffellauf gestalten. österliche Motive. Die Karten werden verdeckt ausgelegt und jeder Spieler muss durch Aufdecken der Karten (und sich erinnern) möglichst viele zusammengehörige Karten finden. Sie werden staunen, wie pfiffig die lieben Kleinen da sind und wie sie sich freuen, wenn sie die Oma oder den Opa besiegt haben. Weinflaschen österlich verpacken Wenn Sie doch lieber eine Flasche Wein zu Ostern verschenken wollen, können Sie diese auch sehr schön österlich verpacken, es geht ganz einfach. Flasche in Papier Für eine normale oder bauchige Weinflasche brauchen Sie ein Papier von ca. 75 cm im Quadrat. Stellen Sie die Flasche in die Mitte des Papiers, nehmen Sie die Ecken hoch und drehen Sie die Flasche mit der anderen Hand am Flaschenhals ein bisschen. Evtl. korrigieren Sie die entstandenen Falten noch. Befestigen Sie das Papier an der Drehstelle mit einer Schleife oder Klebeband und kleben Sie den Osterhasen von der nächsten Seite auf. (Siehe Foto unten links.) Flasche mit Stoff umwickeln Sie brauchen ein Stück Stoff von ca. 85x85 cm. Dieses legen Sie mit der Vorderseite nach unten und stellen die Flasche in die Mitte. Nehmen Sie zwei gegenüberliegenden Tuchenden hoch und binden Sie diese über dem Verschluss der Flasche mit einem Knoten. Jetzt nehmen Sie die restlichen beiden Ecken hoch, überkreuzen sie hinter der Flasche und binden sie vorne am Flaschenbauch mit einem Knoten zusammen. Nun können Sie die Flasche noch mit dem Osterhasengesicht von der nächsten Seite versehen, die „Hängeohren“ haben sie ja schon. (Siehe Foto unten rechts.) Oster-Memory Vielleicht haben Sie noch ein altes Kartenspiel, dass nicht mehr vollständig ist oder mit dem niemand mehr spielt. Kleben Sie auf die Bildseite von je zwei Karten zwei gleiche Ausgabe 1/2011 43 Festgestaltung Zeichnungen: Gisela Albrecht 44 Ausgabe 1/2011 Wegweiser durch dieses Heft Thema: Nähe und Ferne Wilhelm Wilms sagt in einem Gedicht, dass die Nähe zu einem Menschen gesund oder krank machen kann. So wichtig ist unser Miteinander, denn bei jedem Lachen und Fröhlichsein ist auch unsere Seele zufrieden und bei jedem Streit ist auch die Seele krank. Wir haben deshalb hauptsächlich Artikel über ein gutes Miteinander ausgewählt. Aber was ist im Zeitalter der fast unbeschränkten Reisemöglichkeiten und des Internets Nähe, was ist Ferne? Das Ferne – ob räumlich oder zeitlich - hat etwas Geheimnisvolles. Fernweh überformt den einfachen Wunsch, fremde Länder kennenzulernen und fremde Sitten zu deuten. Nicht für alle sind das Fernsehen und das Internet zufriedenstellend. Wirkliches Fernweh kann nur durch Reisen befriedigt werden. Aber auch in fremden Gegenden ist unsere Seele nahe. Die Bewohner vor Ort wollen vielleicht wegen ungünstiger Lebensumstände weg, eventuell zu uns. Es gibt Fernweh und es gibt auch Heimweh. Künstler versuchen oft Nähe und Ferne in ihren Werken auszudrücken. Wir besprechen ein Altarbild und auch Installationen, die Kaskaden und die Gezeiten darstellen. Bringt uns räumliche Nähe wirklich zusammen? Nicht immer, manchmal fühlen wir uns von der Nähe bedrängt. Doch Menschen können auch in großer Entfernung eine Einheit bilden. Wichtig ist das geistige Band. Eine Bindung kann auch im Nachhinein entstehen, wenn man in Ruhe über seine Kindheit nachdenkt. Das Band der Nähe vermag auch über den Tod hinaus zu halten. Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Nähe zu Ihren Mitmenschen, die sie glücklich macht. Genießen Sie die guten Augenblicke, versuchen Sie diese Momente in Ihrer Seele zu speichern, denn genau so können sie nicht wiederkommen, da die Zeit alles relativiert. Im Alter wirkt die Nähe nicht mehr fade, sie schenkt uns Vertrauen und wir fühlen uns sicher. Impressum Autorin Ilse Karsch Evangelische Erwachsenenbildung Sachsen, Barlachstraße 3, 01219 Dresden Bergmoser + Höller Verlag AG Karl-Friedrich-Straße 76 52072 Aachen DEUTSCHLAND T 0241-9 3888-123 F 0241-9 3888-188 E kontakt@buhv.de www.buhv.de Abonnement 50,50 € unverb. Preisempf. inkl. 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