April 2015

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April 2015
APRIL 2015
ICON
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April 2015
A
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L’âme du voyage.
Erhältlich ausschließlich in Louis Vuitton Geschäften. Tel. 0211 / 86 47 00 louisvuitton.com
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D E S I G N P O R T R A I T.
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ANDERS OVERGAARD
AUF DEM COVER:
Vor der Galerie „Big
images Inc.“ (Foto von
Terry O’Neill) trägt Kim
eine Weste sowie Lackschuhe von Calvin Klein.
Wickeltop: Diesel Black
Gold. Rock: Dolce &
Gabbana. Collier von
Marcia Grostein.
Auf dem Roller geht’s
vorbei an den Kunstwerken
von Terry O’Neill: Kim hat
ein Top von Ashish an.
Hose: Ralph Lauren.
Armreif: Marcia Grostein.
Schuhe: MM6. Ohrringe:
Iosseliani. Mehr unseres
Miami-Shootings ab
Seite 42
Abgefahren!
E
in ziemlich zweideutiger Begriff. Wer je auf der letzten Treppenstufe vor dem Bahnsteig keuchend erkennen musste, dass
sich der avisierte Zug gerade in Bewegung setzt, wird sich vielleicht fragen, wieso das Wort „abgefahren“ umgangssprachlich so gern als anerkennendes Lob eingesetzt wird. Echt. Aber wir mögen es auch, schon weil wir ein Faible für Begeisterung haben. Und da wir kein Fachmagazin für Verkehrssicherheit sind, dürfen wir sogar Models mit wuchtigen Plateausohlen von Maison Margiela auf den Motorroller steigen lassen. (Psst, auch ohne Helm.) Die Freiheit, die ich meine. Und die auch im
Design zuhause ist. Und so haben wir dem voller Freude diese Ausgabe gewidmet. Es wird wieder hell, der Wind ist nicht mehr so
frisch, es weht ein frischer. Der feine, positive Unterschied. Bitte, nehmen Sie gern Platz auf dem Sozius unseres Models.
„Und vergessen Sie ja nicht, Ihre Badehose mitzubringen.“ Mit dieser nicht ganz alltäglichen Aufforderung beendete
der italienische Architekt und Designer Matteo Thun das Telefonat, in dem er Sven Michaelsen (56) zum Interview in
sein Ferienhaus auf Capri einlud. Aus den geplanten zwei Stunden wurden dann zwei Tage. Die beiden schwammen im Pool der Villa, tauchten in Grotten und umrundeten per Boot die Insel. Abends lud Susanne Benger, aus Bregenz stammend und seit 1983 Thuns Frau, ein Dutzend Freunde zum
Abendessen auf die Terrasse, die einen Panoramablick auf die vier Faraglioni bietet, die Wahrzeichen der Insel. Gefragt, ob er ein Wort kenne, das zusammenfasse, was das Wichtigste im Leben sei, sagte der 62-jährige Thun: „Ich könnte Ihnen die üblichen Verdächtigen nennen: Familie, Gesundheit,
Wohlstand. Aber in meinem Fall stimmt das nicht. Ich sage: Interesse. Das Wichtigste ist, neugierig zu sein.“ Mehr ab Seite 38
SVEN MICHAELSEN
Schon länger ist er Fan von Dries Van Noten und dessen Werk. Vor einigen Jahren kaufte sich Adriano Sack einen total look
des belgischen Designers: ein mit Batiktechnik fleckig ausgebleichtes Ensemble. In seinen Augen war es ein Zitat des gesamtdeutschen Skinheadlooks, doch Bekannte nannten es – wenig schmeichelhaft – „das Kuh-Kostüm“. Bei der Vorbesichtigung der Dries-Van-Noten-Ausstellung „Inspirations“, die er bis zum 19. Juli 2015 in seiner Heimatstadt Antwerpen zeigt, führte der als scheu bekannte Modeschöpfer ausgewählte Besucher durch seine Show, erklärte den Zusammenhang zwischen Punk und dem Pariser Hotel de Ville und wirkte dabei gar nicht so schüchtern. „Wenn Menschen ihre Arbeit lieben und drüber reden dürfen, dann blühen sie auf“, so der eigentlich schwer zu rührende Modereporter. Interview ab Seite 62
ADRIANO SACK
MARIO TESTINO; JENS SCHWARZ; PRIVAT; MARTIN U.K. LENGEMANN
ANDERS OVERGAARD
Alles begann auf der Straße. Nämlich als unser Fotograf Anders Overgaard mit zehn Jahren zum ersten Mal eine
Kamera in die Hand nahm und Freunde in Schnappschüssen beim Skateboarden festhielt. Oder auch beim
Windsurfen. Für unser Shooting in Miami schuf er ebenso flüchtige Momente, in denen er Streetart, Mode und Model zu einer Einheit werden ließ. „Ich
liebe es, dass man einen ganzen Teil der Stadt der Kunst gewidmet hat.“ Eine Prise Humor durfte auch diesmal nicht fehlen. Sie ist der rote Faden in seinen Arbeiten. Nach dem der Däne aus Helsingor seine Ausbildung an der Graphic Design School Copenhagen abgeschlossen hatte, verschlug es ihn
für ein Jahr nach Paris. Aus dem Fotografen wurde ein Modefotograf. Heute arbeitet und lebt er mit seiner Familie in New York. Ab Seite 42
IMPRESSUM ICON
Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Redaktion: Caroline Börger, Heike Blümner, Nicola Erdmann, Julia Hackober, Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger. Praktikanten: Linda
Leitner, Sarah Lafer. Korrespondentin in New York: Huberta von Voss. Korrespondentin in Paris: Silke Bender. Autoren: Joern F. Kengelbach, Susanne Opalka, Esther Sterath Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver
Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Delia Bob, Katja Schroedter, Adrian Staude Fotoredaktion: Julia Sörgel, Elias Gröb
Bildbearbeitung: Liane Kühne-Kootz, Thomas Gröschke, Kerstin Schmidt.
Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar, Dr. Torsten Rossmann General Manager: Johannes Boege Gesamtanzeigenleitung: Stefan Mölling; Anzeigen ICON: Roseline Nizet (roseline.nizet@axelspringer.de)
Objektleitung: Carola Curio (carola.curio@axelspringer.de) Verlag: WeltN24 GmbH Litho: Imagepool Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf
ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 3. Mai 2015. Sie erreichen uns unter ICON@weltn24.de
Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit.
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HERZOG & DE MEURON (3)
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APRIL 2015
Farbe der Saison außer Haus gehen, müssen Sie mit Aufmerksamkeit rechnen
AUSGEWÄHLT
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IN FORM
Der Frühling hat Inspiration im Gepäck –
unsere Lifestyle-Weisen machen sich Gedanken rund um das Thema Design
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WA S AUF TA SCHE
New Yorks Jetset ist der forderndste der
Welt – Monica Zwirner hat sich mit ihren
Handtaschen trotzdem durchgesetzt
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GART E N GÖTTIN
Das Glück liegt vor der Haustür: Icona hat
sich passend für ihr grünes Fleckchen Erde
eingekleidet
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EIGENE ART
Rachel Libeskinds Zuhause ist die Kunst.
Und für ihr Schaffen haben Koffer eine
ziemlich wichtige Rolle gespielt
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WE NIGE R I S T M EHR
Der Designer Konstantin Grcic würde am
liebsten alles in Grau halten
PIANISSIMO
Das Whitney Museum wurde von Renzo
Piano neu gestaltet – mit Max Mara designte er noch eine passende Tasche
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BLICK Z URÜCK NACH VORN
Die Silberarbeiten von Georg Jensen haben eine lange Tradition. Daran soll sich
auch nichts ändern
SALO NKULTUR
So spannend kann Wohnen sein – worauf
wir uns beim diesjährigen Mailänder Salone
del Mobile freuen dürfen
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DA S SÜSSE LEBEN
Warum auch beim Möbelbau der italienische Familiensinn wichtig ist, erklären die
Brüder Minotti
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IN A NDEREN SPHÄ REN
Alfredo Häberli ist ein Schweizer Designer
mit großer Fantasie – nun macht er sich
Gedanken über Mobilität
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DA LEGST DI NIEDER
Bei der vielen Zeit, die wir im Bett verbringen, sollte man in eine Matratze investieren: Daniel Heer näht noch von Hand
DESIGN
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VIE RTE GENERATION
Gesa Hansen stammt aus einer DesignerDynastie. Nun macht sie ihr eigenes Ding
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IN SAUS UN D BRAUS
Duschen kann jeder. Trotzdem hat Philippe
Starck das Thema neu aufgegriffen – und
wir brausen mit
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GROSSE BRÜDER
Möbel aus Paris – Esther Strerath hat sich in
die Bouroullecs verliebt
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THUN SIE ES EINFACH
Lernen von den Großen: Der Star-Architekt
und -Designer Matteo Thun gibt im Interview jede Menge freimütige Einblicke
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ALLE S GRÜN , ALLES GUT
Wenn Sie mit diesen Produkten in der
MIU, MEIN MIU
Eigentlich entwerfen Herzog & de
Meuron keine Geschäfte. Für Prada
machte das Architekten-Duo 2012 in
Tokio eine Ausnahme. Und nun erneut.
Gleich gegenüber. Für Miu Miu, die
französischer angelegte Marke des
italienischen Unternehmens, bauten die
Schweizer in Abstimmung mit Designerin Miuccia Prada den neuen Flagship-Store mitten im In-Viertel Aoyama.
Tief vorgehängt ist das Dach mit den
scharfen Kanten aus Stahl, das an die
japanischen Tempel erinnern soll. Im
Innern des 720 Quadratmeter großen
Ladens wird es mit viel Kupfer, Brokat,
Holzboden und hellen Teppichen weicher, weiblicher, verspielter. Es sei eine
Box, die entdeckt werden will, so
Jacques Herzog. Bitte, treten Sie ein.
Und beachten gern auch die Mode.
MODE
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O N THE STREET
Wir wussten gar nicht, wie viel Straßenkunst
es in Miami gibt: Als die Modestrecke
ankam, wollten gleich alle los
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GETTY IMAGES;MONTAGE:ICON; HERSTELLER
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ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER
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APRIL 2015
1. Für den Mini-Proviant: Picknick-Täschchen von Hermès 2. Lieber liegen: Liege „Fontenay“ von Garpa
3. Wir sehen grün: Sonnenbrille „PO3105S“ von Persol 4. Herr Vogel hat schon mal Platz genommen.
Schirm „Shadylace“ von Droog 5. Flower-Power-Queen: Kleid von Ted Baker 6. Design-Villa: Nistkasten
„Bauhaus“ von wildlifegarden.de 7. Duft der Erde: „Tellus“ von Liquides Imaginaires soll die Gedanken in
den Wald entführen 8. Fratz in Latzhose. Von Closed 9. Buch, äh, Pflanzen-Regal: von Supercake über
monoqi.com 10. Alle Schmetterlinge sind schon da: Parka von Valentino (über stylebop.com) 11. Schicker
Schlauch: von Garden Glory. 12. Mein Platz im Garten: Stuhl „Finesse“ von Solpuri 13. Lebt ganzjährig
draußen: Outdoor-Sessel „Fat Sofa“ von B&B Italia. 14. Für alle Romeos und Julias: Romantische
(gleichnamige) Bank von Extremis (gibt’s über Connox)
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OST-WE ST-BEZI EHUN GEN
Andrew Bolton inszeniert im New Yorker
Metropolitan Museum eine Ausstellung
über Chinas Einfluss auf die Mode
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SCHÖ N VERSTÖ REND
Nicht nur seine Entwürfe schockten die
Modeszene, auch seine Parfüms: Susanne
Opalka erklärt die Welt von Paco Rabanne
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ANT WE RP EN ER KLAS SIK
Dries Van Notens Mode findet sich nun
auch im Museum – uns erzählte der
Modemacher, wie sich das anfühlt
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AUF DER RETROWELLE
Kein Widerspruch: Unsere KosmetikNeuheiten huldigen dem Charme des
Vergangenen
KOSMETIK
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BAD KULTUR
Architektur findet auch in den Kosmetikregalen und Parfümerien statt
GESCHICHTEN
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JENSEITS DER KANÄ LE
Es grünt so grünt in den unbekannten Gärten Venedigs. Andreas Tölke weiß wo
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GLO B AL DIARY
Immer nur Fotos per Handy an die Daheimgebliebenen schicken? Nö, wir schreiben noch Postkarten. Sie erreichen uns
dieses Mal aus Italien und den USA
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HOTEL? H EIMAT!
Wer will schon immer umdekorieren daheim? Zwecks Abwechslung könnte man da
lieber mal in einem Haus der Design Hotel
Gruppe übernachten
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DER BAU PLAN
Das ist wahres Kunsthandwerk – wir schauten dabei zu, wie die „Hyades“-Tischlampe
aus Muranoglas von Armani Casa entsteht
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STILISTEN
RICHARD PRINCE; IMAGE COURTESY OF RICHARD PRINCE STUDIO,RENSSELAERVILLE,NY
DIESES MAL SIND UNSERE LIFESTYLEWEISEN AUF DEM DESIGNTRIP
Abgeguckt
Da sage noch jemand, aus Reklame könne
keine Kunst werden: Zwischen 1982 und 1984
fotografierte Richard Prince Models von Werbeplakaten ab. Die Technik gilt als sein Markenzeichnen – nun stellt er unter dem Titel
„Richard Prince: Fashion“ die Ergebnisse bis
18. April in der Nahmad Galerie in New York
aus. Was für eine Werbung!
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Beam me up, Scotty!
Limitierte Brille P’8604
aus Aluminium gefräst
VON PORSCHE DESIGN
GLASKLARE ANSICHTEN
Ich bin wie eine Elster. Wenn ich irgendwo etwas funkeln sehe, muss ich es mir sofort genauer ansehen. Egal wie tief es vergraben ist, wenn es nur ein bisschen glänzt, sehe ich
es. So ist es auch mit Glas, alt oder neu, ich liebe es, und zwar in jeder Form. Kürzlich
hatte ich das Glück, eine Glaskünstlerin – Felekşan Onar – in Istanbul kennenzulernen.
In der Ecke einer Baustelle versteckte sich ein Regal mit wunderschönen Cocktailmixern
und Gläsern, die aus recycelten Bierflaschen hergestellt waren. Ich suchte die Stadt so
lange ab, bis ich die Person fand, die diese Kunstwerke zu verantworten hatte.
Wir trafen uns in ihrem Atelier, einem ruhigen Plätzchen gefüllt mit wunderschönen
Dingen. Es fühlte sich sofort besänftigend und überwältigend gleichzeitig an – hauptsächlich deswegen, weil ich alles darin haben wollte. Ich habe Glas immer als ein wunderschönes und gleichzeitig sehr funktionstüchtiges Medium gesehen. Deswegen
war ich fasziniert von den künstlerischen Aspekten, die Felekşan Onar dem Material hinzufügte. Ich wollte mehr über sie erfahren.
Sie wurde 1966 in Ankara geboren und sammelte schon als Kind Glas. Zunächst
studierte sie Wirtschaft und Musik an der Cornell University in New York. Nachdem sie eine Zeit lang im Finanzwesen tätig gewesen war, arbeitete sie in der
Jeans-Produktion. Aber ihr Herz sehnte sich nach Kreativität. So wagte sie den
Sprung ins Ungewisse und studierte Glaskunst zuerst in einem privaten Atelier Chris Glass
und später am „Glass Furnace“ in Istanbul. 2003 eröffnete sie dann ihr eigenes European
Atelier in Istanbul. Was Felekşans Werk jedoch am meisten von anderen unter- Membership
Director „Soho
scheidet, ist die Dualität. Trotz der gebrechlichen Form von Glas zeigt sie Stärke House Group“ in
in ihren Objekten. Sie benutzt die Form auch, um Geschichten zu erzählen. Da- Berlin
neben sind ihre Kunstwerke sehr persönlich, gleichzeitig reflektieren sie die Jahreszeiten und ändern sich daher ständig. Auf dem Tisch liegt eine Kollektion aus Vasen,
die von Seeigeln inspiriert wurden. Sie sind in wundervollen Juweltönen gefertigt und
fangen die Zerbrechlichkeit der Unterwasserkreaturen ein. Die Details sind so kostbar
und die Teilchen funkeln, wenn das Licht die abgerundeten Ecken anstrahlt. Das ist einfach großartig. Ich bin verliebt.
FENDI
Leben wie
die Römer
ICONIST.DE EMPFIELT...
FÜR BLUMENKINDER: Ikebana ist die japanische Kunst des Blumenarrangierens, Elkebana die blumige Alternative zur Jagdtrophäe. Hundertprozentig vegan und frühlingshafter als fahle
Hirschgeweihe! elkebana.com ——— TOP-BLOG: On- sowie offline,
Blog wie Shop, dabei garantiert ohne perfekt drapierte Obstschalen und deshalb unser Designmedium des Monats: Well, Dwell!
dwell.com ——— UMZUG: Am 1. Mai eröffnet die erste Ausstellung
der Galerie Johann König an ihrem neuen Standort in der Berliner
St.-Agnes-Kirche(Alexandrinenstraße 118). MEHR ALS MÖBEL:
Spätestens wenn ein Gegenstand seinen Verkaufsraum verlässt,
wird er verstrickt in Geschichten. „Dirty Furniture“, das etwas
dreckigere Möbelmagazin, macht Produkte zu Protagonisten und
erzählt in interdisziplinären Essays vom Design. dirty-furniture.com ——— FILMREIF: Schauen Sie bei Architektur Superstars
wie Daniel Libeskind oder Ricardo Bofill Zuhause vorbei. Grandiose Videos, täglich neu auf nowness.com
Sattes Gelb mit Braun- und Ambertönen. Diese
Farben finden sich nicht nur in römischen Palazzi
aus, sondern auch im fiktiven Appartment, das die
Designer von Dimore Studio in Kooperation mit
Fendi für die Art Basel in Miami eingerichtet hatten. Inspiriert von einem Seidentuch bauten sie
unter anderem das Bücherregal aus gefärbten
Glastafeln. In einer limitierten Auflage kann man
es für das eigene Heim erwerben. Am besten wohl
ohne Platz- und Kontolimit.
Ein historischer Palast wird
zur Boutique für Bottega
Venetas neue Home
Kollektion von Chefdesigner Tomas Maier
VIA BORGOSPESSO 5, MAILAND
TRENDBAROMETER
VON WOLFGANG JOOP
Herr Haka
Wie immer, wenn die Gesellschaft sich in einer Transition befindet, wächst die Sehnsucht nach „the real thing“. In Los Angeles
hab ich mich grad bei dem Galeristen, der auch Murakami entdeckt hat, mit Kunst von dem Newcomer Alma Allen eingedeckt.
Das ist ein ehemaliger Obdachloser, ein Autodidakt und
Familienvater aus Utah, der Skulpturen aus Marmor, vergoldeter
Bronze und Nussbaumholz macht. Mich beeindruckt seine
beruhigende Materialauffassung, wie er abstrakte Dinge mit
unglaublicher Oberfläche fertigt.
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Das ist doch der Mann, der vor lauter Bäumen in seiner Werkstatt die außerirdische Welt noch sieht? Und der gleich mit einer Ausstellung im Whitney Museum gefeiert wurde. Aber so derart kreativ war, dass seine Hände ganz kaputt
waren und er deswegen einen Roboter erfunden hat, der ihm jetzt die Oberflächen bearbeitet? Ich wollte gern die Sprühsahne-Skulptur aus weißem Marmor, aber die war auch schon gleich wieder verkauft. Versteht man ja. Weg mit
dem Geld! Leg es in etwas an, dass taktil ist, dass dir emotionalen Halt gibt!
BOTTEGA VENETA
Frau Dob
BLIESWOODS
DESIGN-WISSEN
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Hängerchen
Hübsch getarnt unter unzähligen Lederfransen, zeigt sich
das Hängeschränkchen „Maractu“ aus der „Objets Nomades“ Kollektion von Louis Vuitton. Anlässlich des Salone del
Mobile entwarfen junge und
etablierte Designer Reisebegleiter vom Klappbett bis zur
Hängematte aus dem feinem
Leder namens, klar, „Nomade“.
Alle Stücke sind nur auf Anfrage erhältlich.
Unsere WELT am Arm:
Die lang erwartete
Apple Watch bringt die neue
WELT-App gleich mit
AB 24. APRIL IM APPLE STORE ODER APPLE.DE
LT
Was dem Hipster sein Bart ist und dem Gastronomen sein Craft Beer, ist dem Designer die Industrieleuchte im Used Look. Kaum ein Café oder ein
anderer pseudo-angesagter Ort kommt mehr ohne aus. Wolfram-Glühdraht, Stahl, beziehungsweise Emaillefinish mit gekonnt abgewetzten Details,
dazu ein mit buntem Stoff ummanteltes Kabel an
einer Deckenwinde, fertig ist das Design-Statement, welches in sich das vereint, was wir alle wollen: Vintage, Handwerk, Lässigkeit und Individualität. Schade nur, wenn die jetzt überall hängen, sogar bei den spießigen Nachbarn in Blankenese
über dem Esstisch. Spätestens jetzt ist
Zeit, das Phänomen endgültig zu entlarven und sich zu verabschieden.
Vor sieben Jahren in Brooklyn und East
London begann der Siegeszug des Shabby-Looks. Die sehnsuchtsbehaftete Analog-Antwort auf etwa Marc Newson, Karim Rashid und Zaha Hadid – der GeHeinrich
Paravicini
genentwurf zur modernen Form. „Früher
war alles besser“ als Hipster-Statement.
Mitinhaber der
Designagentur
Die Wand unverputzt, die Möbel vom
Mutabor
Flohmarkt, Objets trouvés an der Wand,
in Hamburg
auf dem Teller die Stulle von Oma und
das Craft Beer im Glas. Und an der Decke: natürlich die hippe Fabriklampe, am besten in
Schwarz mit diesem fetten Trafo drauf, so 20erWorkstyle – krass arbeitermäßig ... Man sehnte
sich nach einer Welt, die so herrlich anders war als
heute – entspannt undigital und unstressig – ok,
abgesehen von den paar Weltkriegen, der Arbeiter-Ausbeutung und einer geringen Lebenserwartung war das ja auch als alles ganz prima.
Diese Lebenslüge musste irgendwann auffliegen.
Auch wenn der Bart oldschool „gegroomed“ wurde, die Tattoos Vintage-Style hatten und das Outfit ausnahmslos von Magazinen wie Heritage Post
inspiriert war – wenn man dann sein Smartphone
aus der Tasche holte, galt es sich zu entscheiden:
Möchte man ein moderner Mensch sein oder eine
wandelnde Oldie-Parade.
Wie herrlich entspannt wirkt dagegen das DesignBild, welches etwa die Zeitschrift „Monocle“ vermittelt. Dort mischt sich das kulturell gefestigte
Retro-Zitat gekonnt mit absoluten Innovationsglauben: Das ist tiefgründig, menschlich und lässig. Denn wie immer bei gutem Design geht es um
Haltung. Und diese Haltung schaut nicht nur zurück, sondern immer auch nach vorn.
Also: Nun, da es die Industrielampe nicht mehr im
kleinen, veganen Underground-Café in Dalston
gibt, sondern bei Möbel Dodenhof, ist es Zeit, sich
auf Neues einzulassen. Vielleicht die Kreuzung aus
energiesparender Hochleistungs-LED im Vintage
Bakelit-Gehäuse? Oder eine Fabrik-Leuchte aus
lauter Smartphone-Displays? Wie auch immer: Es
werde Licht! Aber ohne Bart.
APPLE
/DIE W
E
WER BRAUCHT
NOCH EINE
LAMPE MIT BART?
Angelina Jolie zeigt mir verliebt ihren Ehering: „Hat Brad designt.“ Brad Pitt ist Mode
wurscht. Aber Design und Architektur liebt
der Minimalist: „Ich brauch nicht viel, wir
haben ja 6 Kinder!" Sein Haus in Los Angeles ist cool, Stein und Glas – neben der Tür
ein Felsen. Sein Schloss in Südfrankreich ist
Rückzugs-Versteck. Am glücklichsten ist er
auf der Veranda seiner Villa in New Orleans:
„Da mache ich die Fenstertüren auf und höre
den Sound der Menschen. Mehr als
ein Bier brauche ich da nicht.“ Sein
Kumpel George Clooney ist sein
romantisches Gegenteil – er sammelt alte Schlipse in Glasvitrinen
und im Kamin steht ein riesiger TV.
Die Stars suchen einen Ort der Ruhe
im Sturm der Anerkennung und
Bewertungen. Ein Haus am Meer!
Das Kreischen der Möwen am Morgen. Eine Ranch in Neuseeland. Eine
David
neu entdeckte Anonymität – wie
Blieswood
Freund Bruce Willis, der Ruhe nur in
(untenrum)
der Karibik findet. Johnny Depp hat
Connaisseur
eine Jacht mit Bierzapfanlage. Die
aus Hamburg
Sieger des Silicon Valleys kaufen sich
Blick, ab 10Millionen nördlich der Golden
Gate Bridge. Man wacht auf und sieht durch
den Nebel den Pazifik. Ein Internet-Milliardär steigt um 6 Uhr in den Bus nur mit seinem Mini-iPad. Ein anderer steigt in seinen
weiß-braunen Bentley und fährt eine Stunde
bis ins Silicon Valley. Ihre Gründe? Freiheit!
Sein oder Design.
Ich trage grad meine Boots-Schuhe SperryTop-Sider. Sie schauen furchtbar aus, aber es
sind vielleicht die besten – Japan-DesignFan Larry Ellison (Oracle) trägt sie auch –
und er ist der 5. reichste Mann der Welt. Er
hat natürlich einen japanischen Gärtner.
Ich lese gerade die Biografie „Becoming
Steve Jobs“, sein letzter Part gegen den Tod
war das Design für eine weiße Jacht, die er
mit seinen New-Balance-Schuhen nie betreten würde, gebaut von dem Rolls-Royce
der Jachten „Feadship“. Ich hab sie gesehen,
ein iPhone auf dem Wasser. Aber innen:
Birnenholz, Rosenholz und gemütliche
japanische Lampen. In Palo Alto lebte er
lange in einem leeren Haus, weil er nur das
Beste wollte. Zwei Wochen lang testete er
Waschmaschinen. Es wurde dann eine Miele.
MICHAELKORS.COM +1 866 709 5677
Im
Vorbeifahren
GETTY IMAGES
Warum ich
Flachkünstlerin bin
Kunst sagt einem nichts. Das ist nicht ihre Aufgabe. Der Satz:
„Das sagt mir nichts“, sagt gar nichts. Kunst kann in den seltensten Fällen sprechen. Zumindest nicht mit Worten. Wenn
man mich heute fragt, was ich so tue, sage ich: „Ich mache:
Flachkunst.“ Das ist für mich der Oberbegriff für alles, was
nicht in 3-D produziert wird. So ziehe ich mir den Schuh, den
mein ehemaliger Kunstlehrer Herr Oelerich mir einst hinstellte, als er sagte, dass meine Zeichnungen „zu flach“ seien,
inzwischen durchaus gern an.
Meine undeutliche Angst beim Anblick von oelerichesker Kunst – also abstrakter Kunst, die um der Abstraktion willen abstrakt ist – ist geblieben. Der pure Ästhetizismus ist natürlich an und für sich auch erst mal keine
Kunst. Sie ist immer auch das Hinterfragen, der Bruch,
die Idee und der Moment der
Florentine
Wandlung in etwas anderes. Die Lust
Joop
an der Kunst kann einer Schatzsuche
llustratorin
und Autorin
gleichen. Sie kann sich auch ganz
in Berlin
plötzlich erschließen, und es bleibt
spannend sie zu erforschen. Ein gutes Bild, ein Buch, ein Musikstück, ein
Film, eine Skulptur oder eine geniale Installation wachsen mit einem mit und erschließen sich in den verschiedenen Lebensphasen immer wieder neu. Sie lassen
sich immer weiter spinnen und sorgen dafür, dass die Gedanken wandern können.
Neulich saß ich im Atelier von Stephan
Balkenhol, einer der Künstler, mit dessen
Werken ich als Hamburgerin aufgewachsen bin. Steht man an der Elbe, schaukelt
eine seiner Skulpturen sanft auf den Wellen. In sein Atelier wäre ich sofort eingezo-
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gen. Es roch nach Verdünnungsmittel, Farbe, Holz und Arbeit. Nach einsamer und
steter Arbeit. Der Künstler Balkenhol sah gar nicht aus wie ein Künstler, eher wie ein
folgsamer Handwerker und er sprach auch wenig. Ehrfürchtig saß ich „Flachkünstlerin“ neben diesem Mann der Skulpturen und fühlte mich sehr wohl. Ein Mann, der
ohne jede Selbstinszenierung auskommt und trotzdem einer der international erfolgreichsten deutschen Künstler ist. Je weiter man sich von Balkenhols Skulpturen entfernt, desto monumentaler wirken sie. Da erkannte ich den großen Unterschied zwischen Kunst und der Kunst der Selbstinszenierung. Es gibt sie eben doch, die markanten Personen, die uns Werke erschaffen, die sich einbrennen in unsere Köpfe,
selbst jedoch dahinter zurücktreten. Andere erschaffen vor allem Bilder von sich
selbst und das Werk an sich scheint dahinter fast bedeutungslos. Wäre ich zu einem
entscheidenden Zeitpunkt meines Lebens auf einen Mann wie Balkenhol getroffen,
wer weiß, ob nicht doch vieles anders verlaufen wäre, denn seine Auffassung von
Kunst hätte mich wahrscheinlich gefangen genommen und bestärkt.
Was ist Kunst an sich? Ich weiß es nicht. Der Begriff verändert sich ständig. Herr Oelerich konnte mir damals in der Schule auch nicht weiterhelfen. Meines Erachtens, als
jemand, der zugleich Betrachter, Zuschauer, potenzieller Käufer und Macher ist, liegt
die Kunst darin, sie zu tun. Kunst ist ein Tu-Wort. Sie beginnt immer als Idee und wird
dann aktiv umgesetzt. Auf diesem Weg wird die Idee immer wieder neu betrachtet,
stößt an Grenzen, wird verändert und irgendwann ist sie dann vollbracht. Und es ist
erlaubt Fragen zu stellen. Wo kommst du her? Womit hattest du zu kämpfen? Wie
hast du es geschafft, zu dem zu werden, was du bist. Warum bist du trotz aller Widerstände da? Bist du fertig?
Ich habe damals geschwiegen, als ich mehr über die Kunst erfahren wollte, weil ich
Angst hatte, Herr Oelerich könnte nicht nur meine Zeichnungen für flach halten.
Außerdem brauchte ich eine gute Note in Kunst, weil ich Chemie nicht konnte und
Mathematik mein persönliches Purgatorium war.
Ich schwieg, klebte die gewünschten Collagen, was
das Zeug hielt, und tat zum ersten Mal in meinem
jungen Künstlerleben etwas, von dem ich überhaupt nicht überzeugt war. Das sollte mir nicht wieder passieren.
Viele Jahre später im Berlin des neuen Jahrtausends – ich hatte nun selbst ein eigenes Atelier –
während meiner Arbeit an meinem kleinen Kunstmagazin, lernte ich Fragen zu stellen. Ich war erstaunt, dass wirklich jeder, den ich traf, gern über
seine Arbeit sprach und sehr gern alles erklärte,
was ich nicht verstand. So traute ich mich, sogar
die Fragen zu stellen, an die man sich sonst vielleicht nicht wagt, damit man nicht doof erscheint –
wenn man vor Werken steht, die einem nichts sagen. Jetzt frage ich nach. Weil ich will, dass Kunst
viel mehr dort hin gelangt, wo sie hingehört, in den
Raum um uns herum.
FLORENTINE JOOP
HOW TO ART – TEIL II:
LAC DEMERS/RICHARD ESTES
Big Apple ist die Stadt
der Lichter, des ewigen
Voranschreitens. Autos
transportieren die
Menschen durch die
Adern ihrer Stadt, reflektieren für einen
Moment die Umgebung im eigenen Lack.
Der Künstler Richard
Estes zeigt solche Momente in der Ausstellung „Painting New
York“ im Museum of
Arts and Design in
New York.
UND SONST NOCH
Buy one, get one free:
Wendetaschen von
Akris und Mulberry
Ü B E R S H O P. A K R I S . C H U N D M U L B E R R Y. C O M
KUHL: Bei der Gaucho Designmanufaktur gibt es Patchwork-Teppiche aus argentinischen Kuhfellen nach individuellen Designwünschen, gaucho-design.com ———
NEUES ALTES: Upcycling heißt der neue Designtrend,
bei dem aus alten Wertstoffen zum Beispiel Möbel entstehen. Inspirationen gibt Antonia Edwards in ihrem
Buch „Upcyclist“, Prestel Verlag ——— SOS: In der
„Cashmere Clinic“ von Allude in München sind Lieblingsteile aus Kaschmir in den besten Händen. Reinigen, flicken, entpillen - wie neu, Christophstraße 6
KARL LAGERFELD
Immer
en vogue
Wie schwarze Pfauen stehen sie
anmutig auf einer Lichtung. Was
ihn schon damals an seiner Muse
Inès de la Fressange (rechts im
Bild) inspirierte, kennzeichnet
auch heute noch Karl Lagerfelds
Designs: Eine klassische Eleganz,
die immer zeitgemäß ist. Die
Bundeskunsthalle in Bonn erklärt
bis 13. September die „Modemethode“ des Universalgenies.
DESIGN-FRÜCHTCHEN
Wie erklären Sie einer Gurke, wie sie zu wachsen hat? Richtig, gar nicht. In der Botanik ist es wie
mit den Menschen, mit gewissen Früchtchen lässt sich nicht reden. In der EU griff man daher 1977
zu harten Maßnahmen und erließ die berühmt-berüchtigte „Gurkenverordnung“. „Gut geformt
und praktisch gerade“ mit einer „maximalen Krümmung“ von zehn Millimetern auf zehn Zentimeter müsse eine Gurke der besten Güteklasse sein. Offenbar ließen sich die Gurken in
ihrem Wachstum von derlei Norm nicht beeindrucken und auch die europäische Medienwelt hatte nur Spott und Hohn für die übertriebene Bürokratie übrig. Vor sechs
Jahren wurde sie daraufhin abgeschafft. Kürzlich sorgte die sogenannte „Bananenverordnung“ erneut für allgemeines Augenrollen. Das Bedürfnis, ein Naturprodukt
nach seiner Optik zu beurteilen, scheint dem Menschen innezuwohnen. Wein bildet
da keine Ausnahme. Traube ist nicht gleich Traube, egal ob sie vom gleichen WeinHerbert Seckler gut oder gar von derselben Rebe stammt. Eine vollautomatische Sortiermaschine trennt daher auf dem Weingut „Huerta de Albala“ in Cadiz, Spanien,
Kultwirt vom
die Spreu vom Weizen. Sie scannt jede einzelne Beere. Noch bevor die
Sylter „Sansibar“
Traube weiß, wie ihr geschieht, hat eine Hochgeschwindigkeitskamera
2000 bis 4000 Aufnahmen gemacht und ausgewertet. Binnen Sekunden entscheidet
sich, ob sich die Traube in Wein oder in Wohlgefallen auflösen wird. Vorzuziehen wäre
Ersteres. Dann könnte sie sich beispielsweise 2012er „Barbazul Cuveé 4/4“ nennen,
und wäre ein voller, tiefdunkler Rotwein mit wenig Tanin, aber dafür viel Frucht. Aber
genau wie die Gurke hat auch die Traube hier kein Mitspracherecht.
Prickelndes
Design: Das
„Concrete
Sideboard“ ist
von Sigurd
Larsen, dem
Gewinner des
Mumm’s Finest
Award
SIGURDLARSEN.EU
21
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Handyhülle
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Erdbeerpflanze aus
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Urban Outfitters
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Wand: Schmetterlings-„Wall
Sticker“ von
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Cobonque
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Die 1920er Jahre waren die Blütezeit von Hollywood und der Beginn der modernen Luftfahrt.
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von Alfred Wilm im Jahre 1906 entdeckten Flugzeugaluminium gebaut. 1950 präsentierte
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INTERVIEW
Der Akkurate
Konstantin Grcic denkt gern gründlich. Und so traf Birte Carolin
Sebastian den Designer in Berlin an einem überraschend stillen Ort
dustriedesign KGID selbstständig machte.
Grcic (der eigenwillige Nachname ist serbischer Abstammung) stellte im Haus der Kunst
in München, in der Serpentine Gallery in London, am Art Institute of Chicago und im Vitra
Museum in Basel aus. Unter anderem. Vielfach wurden seine Produkte mit internationalen Design-Preisen ausgezeichnet, sie finden
sich in den Sammlungen der renommiertesten Museen der Welt. Er ist ein genauer Zuhörer, der exakt zu erfassen sucht, was das Gegenüber meint. Wenn er antwortet, dann
nicht wie vorgefertigt, vielmehr formt er die
Worte, bis seine Aussagen von der Präzision
sind, die sich auch in seinen Arbeiten spiegelt.
Er hat einen ganz eigenen Sprachduktus, eine
ausgesprochen klangvolle Stimme, eine ihm
eigene Betonung der Worte.
Wie kommen Sie eigentlich auf die Namen für
Ihre Objekte?
Die muss man sich irgendwie einfallen lassen.
Manchmal fällt es leicht, weil es Assoziationen
gibt. Und es gibt Namen, die sich einprägen.
Wie „Chair One“?
Ausgerechnet „Chair One“. Er ist im Grunde
der Beleg dafür, dass wir überhaupt keinen
Namen gefunden haben und das Projekt dann
so genannt haben, weil die Ordner so beschriftet waren. Wir haben so viele Namen
ausprobiert, und nichts hat gepasst. Während
„Mayday“ so ein guter Name war, der gleich
gepasst und sich eingeprägt hat. Man würde
nicht sagen: ‚Die Lampe, du weißt schon, die
mit dem langen Kabel und dem Haken.‘ Nein,
das ist einfach die „Mayday“-Lampe.
MARKUS JANS
24
Einer der wichtigsten Designer unserer Zeit empfängt in seinem privaten Büro über den Dächern von Berlin. Das 1991 gegründete Design-Atelier ist noch immer in München, aber
Berlin ist nun der Ort des privaten
Lebens, gerade erst ist Konstantin
Grcic Vater eines kleinen Mädchens
geworden. In einem Alvar-Aalto-Gebäude hat er im unteren Stockwerk
eine Wohnung für die Familie und im
Penthouse einen Arbeitsplatz eingerichtet. Die Weite, die Helligkeit, vor
allem aber die hier herrschende Stille
wirken inspirierend. Und auch der gebürtige Münchner selbst strahlt diese
unvermutete Ruhe über Berlin aus.
Schon früh hatte er beschlossen, sich
auf Möbeldesign zu spezialisieren.
Nach der Schule arbeitete er bei einem
Möbelrestaurator und absolvierte eine
Schreinerlehre in der John Makepeace
School im britischen Dorset. Dann zog
es ihn nach London, wo er am Royal
College of Art Design studierte, als Assistent von Jasper Morrison arbeitete
und Designobjekte für zahlreiche Firmen fertigte, bevor er sich in seiner Heimatstadt mit dem Designatelier für In-
Den
B
Mod art hatte
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Ko n s
tanti evor es
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cic
Und die Farbgebung?
Farben finde ich schwierig. Es gibt in der Entwurfsphase Momente, da spielen sie eine Rolle. Wir legen dann viele Modelle und Zeichnungen sehr farbig an.
Das hat etwas sehr
Spielerisches. Nach
dem Motto: Egal, jetzt
ist es mal orange, es
muss ja nicht orange
bleiben. In dem Moment, in dem man
sich dann entscheiden muss: Welche
Farbe hat es denn
nun wirklich für den
Hersteller, für die
Produktion, als Produkt, da würde ich
am liebsten Farbe
sofort aussortieren
und die Dinge nur
grau machen.
Warum grau?
Grau mag ich sehr
gern. Das ist eine
Nichtfarbe,
die
dem Objekt etwas
ganz
Sachliches
gibt. In der Entwurfsphase gibt es
tatsächlich auch
Momente, in denen wir die Dinge
absichtlich grau
machen,
damit
wir sie einmal
ganz objektiv 3
HUGOBOSS.COM
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Ich habe nicht viele Ideen, das weiß
ich. Ideen werde ich mir immer
erarbeiten müssen. Aber ich kenne
inzwischen die Wege.
KO N S TA N T I N G R C I C
3 anschauen können. Aber Grau führt jedes
Mal mit den Herstellern zu einer Riesendiskussion. Es gleicht offenbar geradezu der Verhinderung von Erfolg.
Haben Sie dann das Bedürfnis, sich durchzusetzen, oder sind Sie bereit, Kompromisse einzugehen?
Es gibt einfach Realitäten, die mitspielen. Ich
nenne mich bewusst Industriedesigner, diese
Aufgabe führt in der Konsequenz auch zu einer gewissen Verantwortung, die man der Industrie gegenüber trägt. Man muss und will
dann natürlich auch kooperieren. Man ist
nicht der Künstler, der einfach nur sagt: Ich
will es so, und so muss es sein. Es gibt Abwägungen, Argumente und auch durchaus Kompromisse, die man machen muss. Ich finde die
Diskussion dennoch wichtig und führe sie jedes Mal erneut.
Warum ist Ihnen die Industrie so wichtig?
Eigentlich würde ich sagen, definiert sich der
Begriff des Designs über die Industrie. Design
hat etwas damit zu tun, die Dinge verfügbar zu
machen. Design bedeutet für mich, Dinge vervielfältigen zu können, damit die Menschen
daran teilhaben, sie nutzen können.
Kann man von gutem und schlechtem Design
sprechen, und was macht das aus?
Ich beurteile Dinge schon, indem ich sage, das
ist gut oder das ist nicht so gut oder sogar
schlecht. Aber das Urteil genau auf so eine
Formel zu bringen, finde ich schwierig, weil
es sich über so viele letztlich subjektive Faktoren entscheidet. Deswegen entspricht es meiner Meinung nach nicht mehr unserer Zeit so
zu urteilen, zu verurteilen. Unserer Zeit entspricht es vielmehr, dass wir anerkennen, dass
es ganz viele unterschiedliche Meinungen,
Bedürfnisse, Geschmäcker gleichzeitig nebeneinander gibt.
Woran erkennt man dann gutes Design?
Die wirklich guten Dinge, die lösen etwas aus.
Und anscheinend nicht nur in einem selbst,
sondern mehrheitlich. Gutes Design schafft
es, eine Form von Identifikation und auch einen kulturellen Beitrag zu leisten, da geht es
um viel mehr als um die bloße Funktion.
26
Gibt es ein Klischee, mit dem Sie gern aufräumen würden?
Damit, dass wir ständig etwas Neues machen.
Wir Designer drehen unsere Kreise, wir entwerfen immer wieder Stühle und Stühle und
noch mehr Stühle so wie jemand, der Mode
macht, natürlich immer auch wieder mit den
gleichen Kleidungsstücken zu tun hat. Ich finde, es ist sehr wichtig, das so auszusprechen.
Weil so viele Leute sich immer vorstellen: Designer sind Erfinder, sie haben einen fantastischen Job und machen jeden Tag etwas Neues
und anderes.
Haben Sie manchmal Angst, dass Ihnen die
Ideen ausgehen könnten?
Nein,
inzwischen
nicht
mehr. Ich habe
nicht viele IdeDer berühmte „Chair One“ (oben),
en, das weiß ich.
der Glastisch „Blow“ für EstabIdeen werde ich
lished & Sons und der Beistelltisch
mir immer erar„Diana A“ für Classicon (unten)
beiten müssen.
Ideen sind keine
Glühlämpchen,
die plötzlich so
inspirativ über
einem schweben. Ich glaube, ich
kenne inzwischen die
Wege, wie man irgendwo hinkommt.
Das ist, als wenn man
sich auf eine Reise
macht, was ja auch beinhaltet, dass man sich
auf die Reise vorbereitet, man ist gewappnet,
wenn irgendetwas schiefläuft. Dann weiß man, wie
es weitergehen könnte.
Ist es wichtig als kreativer
Mensch, das Scheitern einzuplanen?
Scheitern finde ich einen
schwierigen Begriff.
TIN
KONSTAN
GRCIC (2)
Ich weiß, es klingt gleich so ruinös …
Eben. Irgendetwas funktioniert nicht, und
man ist am Boden zerstört, und das ist das Ende. Während ich finde, wenn man mal versuchen würde zu beziffern, wie viele Dinge wir
machen, die nicht weiterführen, dann ist das
eindeutig die Mehrheit.
Tatsächlich?
Eindeutig. Wenn einem alles gelingen würde,
würde einem das vielleicht eher Angst machen. Scheitern gefällt mir, wie gesagt, als Begriff nicht, aber man macht bestimmt Fehler.
Man könnte auch sagen: vieles von dem, was
wir machen, hat keinen Erfolg oder führt
nicht zu einem Resultat, aber das ist Teil des
Designprozesses. Das ist bei mir so, das ist be-
stimmt bei meinen Kollegen ähnlich. Und ich
glaube, niemand empfindet das als Versagen.
Was würden Sie jungen Kollegen raten ?
Ich würde ihnen zumindest mit auf den Weg
geben – als Ermutigung, nicht als Abschreckung –, dass Design viel Arbeit ist.
In welche Richtung wird sich Designentwickeln?
Dass Design ganz viele unterschiedliche Dinge einschließt.
Was bedeutet das für Ihren Beruf?
Ein Designer ist jemand, der analytisches
Denkvermögen hat, und der das Analytische
in Kreativität umzusetzen vermag. Dabei ist
das Design dann oft ein ganz subtiler kleiner
nächster Schritt und nicht etwas ganz Neues,
nur um es immer neu zu machen.
B E R L I N
BY HERRENDORF
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INDIVIDUELLE EINRICHTUNGSBERATUNG
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DESIGN RODOLFO DORDONI
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GJ
ARCHIVBESUCH
Das Leben ist
ein Silberstreif
Bestes Handwerk, klares Design: Was aus der dänischen
Manufaktur Georg Jensen kommt, hat seit Jahrzehnten
viele Anhänger. Inzwischen zitiert das Haus gern aus
der eigenen Geschichte. Esther Strerath durfte in die
28
THOMAS LOOF 2014 (5) / GEORG JENSEN / KEN HAAK/VOGUE CONDÉ NAST PUBLICATIONS
Werkstatt blicken. Und ins Allerheiligste – das Archiv
Krug Nr. 1025 von Henning
Koppel 1956 (oben). Schmuck
von Vivianna Torun BülowHübe (1963), ganz rechts ihre
Armspange 203B (1968).
Alle Bilder stammen aus dem
Bildband „Georg Jensen:
Reflections“ (Rizzoli)
„Silber kann in der Dunkelheit wachsen“
GEORG JENSEN, Firmengründer
Sein erster „Shop“ war ungefähr 50 mal 70
Zentimeter hoch und hing an der Mauer seiner Schmiede in der Bregade 36, unweit des
Hafens in Kopenhagen. Heute ist der kleine
Glaskasten eines der ersten Exponate, das Besucher erblicken, wenn sie sich in der dänischen Manufaktur „Georg Jensen“ umsehen.
Im Foyer des dreigeschossigen Gebäudes aus
gelbem Backstein im „Porcelæanshaven“Viertel gelegen, fällt aber zuallererst etwas anderes auf. Jemand hämmert. Immerzu. Durch
eine halb verglaste Wand erkennt man die
Quelle: Da steht Jesper, der Schmied, mit Vollbart und blank rasiertem Haupt und klopft mit
einem Hammer auf ein Stück Silber.
Im Erdgeschoss reihen sich Ateliers aneinander, hier wird gefeilt, gebogen, gepresst, poliert, auf Arbeitstischen häuft sich Werkzeug.
Daneben schwere Arbeitsböcke aus Holz, auf
denen fixiert wird, was geformt werden muss.
Ein Mitarbeiter zieht ein Tablett aus einem
hohen Regal, es ist mit Samt ausgeschlagen,
darauf liegen Knospen aus Silber, wie sie später an einer Schale zu finden sein werden.
Rund 120 Objekte umfasst allein die BesteckKollektion. Für eine Gabel benötigt ein
Schmied ein bis zwei Tage – und alles, was
hier in Handarbeit hergestellt wird, orientiert
sich an den Originalskizzen seiner Erfinder.
Und die sind oft mehr als 100 Jahre alt. Mit 14
Jahren ging Georg Jensen, ein Arbeiterkind
aus Radvad, nach Kopenhagen. Vier Jahre
lernte er Goldschmied, dann studierte er dort
an der Royal Danish Academy of Fine Arts
Bildhauerei. Nach seinem Abschluss eröffnete
er mit einem Partner ein eigenes KeramikAtelier. Ein Mitarbeiter erzählt: „Anlässlich einer Ausstellung wurde eine Vase von ihm verkauft. Jensen bekam 2500 Kronen und er beschloss, zu reisen. Nach Paris, Italien, Deutschland. Als er zurückkehrte, wollte er seine eigene Silberschmiede aufbauen.“
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde
Schmuck meist anhand von Aufnahmen be-
rühmter Persönlichkeiten kopiert,
lernt man auf dem Rundgang. Georg Jensen aber entwarf eigene
Stücke: Er war ein Trendsetter,
plötzlich wollte jeder in Kopenhagen so eine Brosche mit Halbedelsteinen oder eine Armspange aus
seinem Atelier haben. Seine Ideen
wurden immer ausgefeilter. Aber
auch er ließ sich sich von Vorbildern inspirieren. In Italien hatte er
sich in römische Schalen mit Traubenmotiven verliebt und schuf die
„Grape Collection“ (1918), Kunstwerke aus Silber. In einem zum 110jährigen Bestehen erstellten Bildband beschreibt der Autor Murray Moss – ein New
Yorker Unternehmer – die Traubenschale so:
„Der neo-barocke Stil zelebriert das fast
erahnte Potenzial der Menschheit – überschwänglich aufsteigend, meisterhaft gefertigt aus einer einfachen Silberplatte in einer
tornado-ähnlichen Drehung wie Berninis verzwirbelte Säulen von 1625 für die Basilika St.
Peter im Vatikan.“ Hoppla. Aber tatsächlich
definierte Jensen die Grenzen des Möglichen
in der Silberschmiedekunst neu.
Das erfordert heute die gleiche Präzision wie
damals. Wieder nahe des Foyers angekommen, ist der Besuch beim hämmernden Jesper zu Recht der Höhepunkt in der Choreografie eines Besuches in der Silberschmiede.
Gerade arbeitet er an einem Schwan, so heißt
die berühmte Karaffe von Henning Koppel.
Rund eineinhalb Monate benötigt der Handwerker für das Stück. Vor ihm liegen uralte
Skizzen und Schablonen mit genauen Abmessungen und Winkeln beschriftet. Davor ist eine Kollektion kleinerer und größerer Hammer ausgebreitet. „Der richtige Sound“ verrate ihm, ob er gut arbeite, erklärt Jesper. Er
fährt die Kurve der Karaffe mit den Fingern
entlang, von innen sind die Spuren der Handarbeit noch zu erkennen.
Objekte von Georg Jensen sind inzwischen so
beliebt, wie sie es in den 20er- und 30er-Jahren in Europa waren, als die „Traubenschalen“
König Christian X. und Königin Alexandrine
von Dänemark zu ihrer Silbernen Hochzeit
geschenkt wurden. Die Wartezeiten für manches Silber kann mehr als ein Jahr betragen.
25 Schmiede arbeiten in der Werkstatt, sie
werden vier Jahre angelernt, bis sie jedoch an
einen Schwan oder zum Beispiel einen der
Wasserbecher wagen dürfen, vergehen noch
einmal viele Jahre. Wenn ein Schmied Zweifel ob einer perfekten Kurve oder eines Winkels verspürt, geht er in das Archiv. Das befindet sich an einem geheimen Ort, in zwei riesi-
Tisch- und Schmuckobjekte aus JensenSilber: Essigfläschchen-Set Nr. 956 (1946),
Fisch „761E“ (1937), Schale „1302“ (1988)
gen, dunkelgrünen Stahltresoren liegen die
wahren Schätze des Hauses: Archivarin Ida
wacht über 20.000 Original-Skizzen und
Aquarelle und Zeichnungen in großen Leinenbüchern. Häufig sind ihnen die Gebrauchsspuren der Anfangsjahre anzusehen.
In Dutzenden Schubladen lagern antike
Schmuckstücke, Gürtelschnallen, Haarkämme, Broschen mit Opalen, eine Armspange
von Vivianna Torun Bülow-Hübe mit einem
großen „Glasknopf“, unter dem sich eine winzige Uhr versteckt – das Vorgängermodell des
berühmten Uhren-Armreifes.
Georg Jensen hatte von Anbeginn Künstler
eingeladen, mit ihm zusammenzuarbeiten,
darunter Graf Sigvard Bernadotte (Sohn des
schwedischen Königs Gustav VI. Adolf), Harald Nielsen und er gewann den Maler Johan
Rohde als kreativen Partner. Nach seinem Tod
1935 wurde diese Philosophie fortgeführt:
Henning Koppel, Arne Jacobsen, Nanna Ditzel, Verner Panton arbeiteten für die Silberschmiede und in jüngerer Zeit Jean Nouvel,
Aldo Bakker und Ilse Crawford für die HomeCollection des Hauses.
Zuweilen dürfen die „alten“ Originale ans Tageslicht und verlassen das Archiv für Ausstellungen. In den Umzugskartons? „Nein, das ist
Tafelsilber“, erklärt der Führer. Das Archiv ist
zu klein geworden.
Stets kommen neue Funde hinzu. Kürzlich ersteigerte die Firma „aus einer Privat-Sammlung eine große Kollektion, die 30 Jahre lang
aufgebaut worden war und die aus rund 100
Stücken bestand, darunter einzigartige“, erläutert Gregory Pepin, verantwortlich für die
Bereiche Geschirr und Antiquitäten. 2013
wurde das Unternehmen von David Chu gemeinsam mit der Investmentgruppe „Investcorp“ (Sitz: Bahrain) erworben. Die Philosophie blieb unverändert. „Wir re-designen
nicht“, wehrt Gregory Pepin ab. „Wenn wir
entscheiden, ein Archivstück wieder in die
Kollektion aufzunehmen, wird es genau dem
Originalentwurf entsprechen. Beispielsweise
feiern wir in diesem Jahr den 100. Geburtstag
der ‚Eichel‘-Besteckserie, deren Muster Johan
Rohde entworfen hat.“
Georg Jensen sagte an seinem 16. Geburtstag:
„Silber ist das beste Metall, das wir haben und
das schönste. Es hat diesen herrlichen Mondschein-Schimmer, der an das Licht einer dänischen Sommernacht erinnert.“ In Porcelæanshaven wird sogar der Staub des „925S Sterling“ gesammelt, um dann wieder eingeschmolzen zu werden. Aber eines bleibt auch
den Profis nicht erspart. Gefragt, was eigentlich das Geheimnis der Silberpflege sei, antwortet Jesper: „Putzen!“
PORTRAIT
GESA HANSEN
Wie der Vater so die
Tochter: Gesa und
Hans Hansen
Optimistische Gestaltung
Gesa Hansen, jüngste Tochter der Hansen-Familie, ist mit Design
aufgewachsen. In vierter Generation entwirft sie heute ihre eigenen
Arbeiten. Andreas Tölke ließ sich von ihrer Energie anstecken
30
Ja, es lassen sich von der Einrichtung Rückschlüsse auf den Besitzer ziehen. Die hochbeinigen Sofas mit Holzrahmen aus der Mitte der
50er-Jahre waren einst bei evangelischen
Theologen sehr beliebt. Pur trifft auf puritanisch und drunter ließ es sich gut wischen.
Heute sind die Sitzmöbel, die einem eine aufrechte Haltung abverlangen, bei Berlin-MitteHipstern das Schickste. Die Sofa-Entwürfe
von Gesa Hansen aus dem Sauerland knüpfen
dort an, wo Mid-Century-Design sein historisches Ende fand.
Gesas Vater, Hans Hansen, ist eine feste Größe
in der Welt der schönen Dinge. 2009 wurde
ihm der „Red Dot Award“ für sein minimalistisches Bücherregal „Duropal HPL-Solid“ aus
Stahl verliehen. Er arbeitet vorzugsweise mit
Metall. Anders seine Tochter: „Bei einer der
ersten Messen, auf denen ich mit einem eigenen Stück vertreten war, fand mein Vater, dass
es der Marke wenig gerecht werde.“ Auf dem
Messestand war als Slogan zu lesen: „Minimalism hates Ornaments“, das Glaubensbekenntnis von Hans Hansen. Gesa schrieb kess darunter: „But Ornaments love Minimalism“. Beigelegt wurde der ästhetische Generationenkonflikt über die Lust am Dekorativen ganz
schlicht über den Erfolg.
Denn den hatte Gesa Hansen von Anfang an.
Mit vier Jahren wurde sie
zum ersten Mal zu einer Möbelmesse
mitgenommen. Die 34-Jährige ist zwischen den Entwürfen des Familienun-
ternehmens aufgewachsen und lernte auch
gleich, die Konkurrenz zu beobachten. Den
akademischen Schliff bekam sie auf der Weimarer Bauhaus Universität. Angetreten, um
Grafikdesignerin zu werden, begeisterte Axel
Kubus, Professor für Produktdesign, sie
schlussendlich für haptische Sensationen. Es
folgte ein Praktikum bei Jean Nouvelle in Paris. Er, der Über-Architekt und Pritzker-Preisträger, gestaltet mit seinem Büro auch Möbel.
Seit knapp zehn Jahren lebt Gesa Hansen nun
in der französischen Hauptstadt: „Heimweh
nach dem Sauerland habe ich nur, wenn ich
,Tatort‘ schaue“, sagt sie lachend.
Die Werkstatt ihres Großvaters Heinrich liegt
mitten im Wald, und Gesa Hansen hat sie sich
im wahrsten Sinne des Wortes unter den Nagel gerissen. Ihre Serie „Remix“ ist inspiriert
vom Geist ihrer Ahnen: Holzmöbel naturell,
meist aus Eiche, aktuell auch farbig lackiert.
Zu dieser Serie gehören Sekretär, Esstisch, ein
Sofa, das zum Daybed umfunktioniert werden
kann, und auch eine charmante Neuinterpretation des Nierentischs. „Das dänisch Beeinflusste geht mir inzwischen aber etwas auf die
Nerven“, sagt die Designerin und lacht. Sie
wandelt längst auf anderen Pfaden.
Zusammen mit Pascaline
Feutry und Aï Bihr
gründete sie ein Interior Office. Der erste Auftrag der Firma Hansen Feutry Bihr
(HFB) war die Gestaltung des Hauses
einer Pariser Schauspielerin. Mitt-
lerweile hat das Triumvirat zahlreiche Wohnungen, eine Bar in Shanghai, eine Boutique
in Saint-Michel und das Pariser „Restaurant
52“ im Portfolio: „Ich mag nichts Bemühtes.
Ich mag es, wenn einzelne Teile für sich stehen können und in der Gesamtheit funktionieren“, beschreibt sie ihre Stilkoordinaten.
In ihrem eigenen zu Hause in der französischen Hauptstadt lebt sie vor, was sie vertritt:
Eames’ Rocking Chair, Eames’ Plastic Side
Chair, unprätentiöse Klassiker neben den eigenen Entwürfen vom Esstisch bis zum Sofa.
Tochter Lou, vier Jahre alt, wird hier bereits
der Weg in eine stilgeprägte Zukunft geebnet.
Die Grenzen zwischen Geschäft und Privatem
sind durchlässiger als anderswo. Freunde, Familie und Arbeit bilden eine Einheit. Das spiegelt sich auch in einem weiteren Unternehmen, das parallel zum väterlichen Betrieb im
Jahr 2009 gegründet wurde: „Hansen Family“
mit Gesa als Chefdesignerin. Aber auch als unabhängige Künstlerin kann man sie über eine
Agentur buchen. In dieser Rolle gestaltet sie
zum Beispiel gerade einen neuen Parfumflakon für Armani.
Andere Designer machen sich Gedanken um
neue Aufträge, Gesa Hansen stößt auf Dinge,
bei denen sie mitmischen möchte. So gerade
geschehen mit „Stählemühle“, einer Brennerei, die vom Gault Millau als zweitbeste Brennerei der Welt geführt wird. „Bei meinem
Freund habe ich die Schnäpse kennengelernt
und fand das Gesamtpaket mit Künstler-Labels wie zum Beispiel von Jonathan Meese
großartig“, erzählt sie. Also griff sie zum Telefon und plauderte mit dem Spirituosen-Experten begeistert über die hochprozentigen
Köstlichkeiten. Und Christoph Keller, der Besitzer der Stählemühle, übertrug ihr danach
die Neugestaltung der Probierstube. Er ist
nicht ihr einziger Kunde, bei dem durch den
persönlichen Kontakt der Funke übersprang.
Optimismus und Tatkraft ist eben ansteckend.
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Die Zukunft des Duschens ist... nass. Alles andere ändert
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SPLINTER WORKS; HANSGROHE; TOG, JORGE HERRERA/WIREIMAGE
Wenn Männer duschen, sieht das so aus:
Gesicht zur Wand, Arme hoch, Wasserstrahl in den Nacken. Immer. Frauen hingegen duschen mal so, mal so: Mit Haare
waschen, ohne Haare waschen, nur Haare
waschen, und sie sind ungehalten, wenn
es keine Handbrause gibt. Immer. So erklärte dies einmal eine Mitarbeiterin
eines großen Bäderherstellers.
Aber egal ob Mann oder Frau, gebraust wird in Zukunft ohnehin
ganz anders. Sagt Philippe Starck.
Auf der Frankfurter Fachmesse
ISH empfängt der Erfinder des
„wohnlichen Waschsalons“ auf
dem riesigen Stand von Duravit, der hauptsächlich die neuesten
Kreationen des Franzosen zeigt. Im Badezimmer „Cape Cod“ sprudelt Wasser in
einer Wanne, deren Ränder so filigran
wie die einer Teekanne scheinen, die
multivariable Serie „ME“ glänzt vor einer
grün oder rosa gekachelten Badezimmerwand.
Und dann sind da noch Starcks WCs, und
zwar solche, die sich beinahe selbst reinigen, weil der doppelte, innere Rand weggelassen wurde, und auch solche, die den
Benutzer gleich mitreinigen. Für wen das
unangenehm klingt, dem sei gesagt: Die
Einführung des Toilettenpapiers vor weniger als 100 Jahren vollzog sich ebenfalls
schleppend, weil es den Menschen damals peinlich war, es zu kaufen.
In Frankfurt blickt der rastlose Star-Designer jedoch in die Zukunft, denn „das
Thema ,wet salon’ ist erledigt und das
Einreißen der Wände zu den Schlaf- oder
Wohnzimmern auch. „Der Spaß ist, ich
hab das erfunden und in Hotels hat es
funktioniert. Die Menschen verbrachten
dort ein paar Tage, dann wollten sie es
auch zu Hause“, erklärt der Franzose.
Was kommt dann aber nach der Wellness-Zeremonie? Nachdem das Bad immer größer wurde, weil es nicht mehr
gilt, Funktionalität zu verbergen, und die
Nasszelle zum rituellen Zufluchtsort erklärt wurde? Wohin geht es jetzt, da es in
vielen Luxushotels nicht mehr möglich
ist, ungestört den Körper zu pflegen,
wenn man nicht allein reist?
„Es geht nicht mehr um Design“, konstatiert der 66-Jährige. Stattdessen gebe es
drei neue große Herausforderungen:
„Erstens: Bezahlbarkeit und Qualität,
zweitens: eine leichte Handhabung, auch
was die Reinigung betrifft, und drittens :
die Herausforderung, Wasser zu sparen.“
Nicht ästhetische, sondern soziale und
ökologische Gesichtspunkte hätten nun
Vorrang. Bakterien zu bekämpfen sei
zum Beispiel eine notwendige,
wichtige Aufgabe. So ist
Starck in Sachen Bad inzwischen mehr Ingenieur und
Wissenschaftler als Designer, seit zehn Jahren
spricht er bereits von einem Waschtisch aus Kupfer, der auf natürliche Art
und Weise Bakterien eliminiert. Türgriffe, das
größte Vehikel für Über-
tragungen von Keimen aller Art, sind für
ihn auch ein dringliches Thema. „Bald
werden Menschen zu Hause ihr eigenes
Wasser reinigen, doch das Traurige ist,
dass wir solche Dinge immer ein wenig
zu spät machen. Wir sind wie Kinder, erledigen nie etwas im Vorfeld, sondern
erst wenn wir gezwungen werden, und
manchmal ist es dann zu spät.“
Zurück zum kalt-sterilen Raum geht der
Trend aber deswegen keineswegs: „Das
ist die große Herausforderung, die Atmosphäre zu erhalten. Wir haben das Knowhow, wir haben die Technik, wir müssen
uns nicht mehr zwischen Schwarz und
Weiß entscheiden“, sagt Starck. „Wir
müssen die Idee des Glücklichseins und
des Entspannens behalten, aber die Standards von Ökologie und Biologie sowie
den sozialen Parameter erhöhen.“ Für die
Marke Axor hat er im vergangenen Jahr
neue Armaturen vorgestellt. Sie sind
nicht nur hübsch in ihrer Wünschelrutenform, sondern reduzieren den Wasserverbrauch um die Hälfte, ohne dass
der Strahl deswegen an Intensität einbüßt. Der Siegeszug der Dusche begann
übrigens in Frankreich. 1860 benutzte
die französische Armee sie als erste, die
Preußen zogen kurz darauf nach. Vor 62
Jahren erfand Hans Grohe den Brausestab, heute ist das Duschen fester Bestandteil des zivilisierten Tagesablaufes
und hat die Badewanne, die laut Starck
„sowieso verschwinden wird“, zu einem
Luxus-Spielzeug degradiert. Die moderne Dusche startet Wellnessprogramme
aus Wasser, Dampf, Sound und Licht, sie
ist ein Multitalent, das je nach Bedarf
munter oder müde macht, Energie
schenkt oder Entspannung. Außerdem
ist die zeitgenössische Dusche ebenerdig
und rutschfest.
In Zukunft merkt sich das Bad, dank individueller, digitaler Programme, die denen in Autos ähneln, unsere Vorlieben in
Sachen Temperatur, Intensität, Licht,
oder ob man Warmduscher oder KneippFan ist. Wenn wir umziehen, nehmen wir
das Bad einfach mit, weil es aus modularen Einzelteilen besteht. Die „Weltmeister im Duschsprint“ sind übrigens die
Deutschen. In einer internationalen Studio fand der Hersteller Hansgrohe heraus, dass wir mit 49 Minuten täglich die
schnellsten im Bad sind, die langsamsten
sind die Brasilianer. Philippe Starck
duscht übrigens grundsätzlich zweimal
am Tag – mit seiner Frau. Jedes seiner
Häuser ist nämlich mit Doppelduschen
ausgestattet. Womit die soziale Komponente bei ihm schon einmal erfüllt wäre.
Badezimmer 3.0: Lampe
und Brause in einem:
„LampShower“ by
Nendo von Axor. Unten: Wanne „Vessel“
von Splinter Works
WERKSTATTBESUCH
B
2
Form &
Familie
Die Gebrüder Bouroullec sind sehr
beschäftigt und eher verschwiegen.
Esther Strerath zeigten die Franzosen
trotzdem, wie sie sich Möbel vorstellen,
Stephanie Füssenich fotografierte
Ein Stuhl ist nicht ein Stuhl,
sondern eine komplexe Sache.
Dieser ist brandneu und aus der
Serie „Belleville“ für Vitra
32
Das Interview verzögert sich um einige Minuten, Ronan Bouroullec hatte spontan eine
Idee, die er sofort skizzieren möchte und mit
dem Chef eines großen, italienischen Leuchten-Herstellers via iPhone besprechen muss.
Wenige Wochen vor dem Start der weltweit
wichtigsten Möbelmesse, dem Mailänder Salone del Mobile, liegt in jedem partizipierenden Design-Studio Spannung in der Luft. Bei
Ronan und Erwan Bouroullec fühlt es sich
eher so an wie die Ruhe vor dem Sturm. Es ist
still in dem kleinen Studio, das in einem Hinterhof des Pariser Stadtteils Belleville liegt.
Kein Schild weist auf das Atelier der beiden
Brüder hin, aber durch eines der anderen
Fenster ist eine Flos-Leuchte zu erkennen, die
das Duo 2013 in Mailand vorgestellt hat. Und
hinter der gläsernen Eingangstür stapeln sich
Kartons des italienischen Möbelherstellers
Magis, voilà. Da tritt schon ein Mitarbeiter,
Jung-Designer Michel aus der Schweiz, vor
die Tür und bietet eine kleine Führung durch
die Ideen-Schmiede an.
Mon Dieu, das Studio! Wer zeitgenössisches
Design schätzt, der fühlt sich hier, als sei er
kopfüber in eine Schatzkiste gefallen. Neben
einem Vintage-Sideboard, auf dem eine Espressomaschine in unregelmäßigen Abständen gurgelt, steht eine blassrote Glasbank von
Glasitalia, ein transparenter Plastikstuhl sticht
ins Auge und eine Mitarbeiterin sortiert unzählige kleine Muster für eine Teppich-Kollektion, die demnächst weiterentwickelt werden soll. Hier ein Outdoor-Stuhl, dort eine
Leuchte in einer Farbe, die es auf dem Markt
nicht geben wird, sowie Modelle, von denen
man verspricht, sie nicht gesehen zu haben –
„top secret“. Die Treppe hinauf sind die neuen
Stühle für Vitra aufgereiht, verschiedene
3
Prototypen, einer noch mit einer Art
shop at santonishoes.com
Erwan (links) und Ronan Bouroullec am Eingang ihres
Studios in einem Pariser Hinterhof, das beide täglich
zu Fuß von zu Hause aus erreichen
3 Knetmasse am Rahmen behaftet. Dahinter,
auf einer Fläche, die als Fotostudio dient, stehen die fertigen Versionen, so wie sie in Mailand gezeigt werden.
Die Stühle stammen aus der Serie „Belleville“
und Erwan Bouroullec, der jüngere Brüder,
nimmt auf einem von ihnen Platz und erklärt:
„Der Stuhl ist eine der längsten Entwicklungen, mit denen wir je konfrontiert waren. Es
gibt ihn in Schichtholz, oder Kunststoff mit
Polyamid-Rahmen, und in einer Version mit
Armlehnen. Wir mussten tief in die Technologie eintauchen, um die beste Performance bezüglich der Stabilität und am Ende einen bezahlbaren Preis liefern zu können. Das Wichtigste war, die Eleganz zu erhalten.“ Multi-
34
STEPHANIE FÜSSENICH
funktionale Stücke sollen die Stühle aus der
Serie „Belleville“ werden, geeignet für drinnen und draußen, für Hotels oder Cafés, aber
auch für den Privatgebrauch.
So eine Vielfältigkeit möglich macht eine Hybrid-Konstruktion, der Rahmen wurde von
der Schale getrennt, was bei Kunststoff sonst
nicht üblich ist. „Das ermöglichte uns, radikaler zu sein“, so Bouroullec. Er holt eine ziemlich dünne Sitzschale herbei und demonstriert, wie einfach sie sich in das grazile Gestell klacken lässt. Allmählich ahnt man, seinen ausführlichen Beschreibungen zuhörend,
warum das Neuerfinden eines Möbelstücks
manchmal mehr als zwei Jahre dauern kann.
Weil das Team immer noch überschaubar ist,
können sie sich viele Freiheiten erlauben. Seit
sie Ende der 90er-Jahre von Giulio Cappellini
entdeckt wurden und daraufhin schnell von
einem Geheimtipp zu begehrten und erfolgreichen Produkt-Designern aufstiegen, hat
sich in dem Studio gar nicht so viel verändert.
Während vergleichbar bekannte Kollegen oft
Dutzende Angestellte beschäftigen, wollten
die Bouroullecs stets klein bleiben. „Wir sind
ein bisschen wie eine Rockband“, sagt der zurückhaltende Enddreißiger Erwan. „Wir
könnten jederzeit auf Tournee gehen, haben
viel Energie. Aber das funktioniert alles nur
mit großer Entourage. Die aber ist nicht leicht
zu bewegen. Somit ist unsere Freiheit vielleicht auch eine Einschränkung. Wir können
zum Beispiel kein Auto entwerfen.“
Stattdessen aber Tische, Stühle, Sofas, Leuchten, Teppiche und Kacheln – die fünf ProduktDesigner, eine Praktikantin und die Gebrüder
arbeiten immer an mehreren Projekten
gleichzeitig. Keine der Firmen, mit denen sie
kooperieren, gleicht der anderen. Neben Vitra
sind auch Beziehungen entstanden zu dem
italienischen Familienunternehmen Magis, zu
dem Holzspezialisten Mattiazzi, zu der Leuchten-Firma Flos und zum dänischen Möbelhersteller Hay. „Jede Firma ist wie ein menschlicher Körper. Da gibt es die Historie, die man
respektieren muss, das sind ihre Füße. Man
kann mit ihnen tanzen, aber man kann sie
nicht ändern.“ Ronan Bouroullec wird später
noch sagen: „Ich bin polygam, mit vier, fünf
Firmen verheiratet, die ich liebe. Vitra ist vermutlich die erste Liebe, aber Cappellini hat
mich entdeckt, als ich noch ein Student war.
Ende der 90er-Jahre war das, eine andere
Zeit, freier irgendwie.“
Damals beschlossen die Brüder, aufgewachsen in der Bretagne und beide Absolventen
französischer Hochschulen, gemeinsam zu arbeiten. Heute gibt es nichts, das nur einen von
ihnen als Schöpfer ausweist. Erwan Bouroullec erklärt: „In den vergangen Jahren haben
wir gelernt, nicht alles immer zu diskutieren.
Wir machen alles zusammen, doch mal ist der
eine näher an einem Projekt, mal der andere.
Derjenige, der von außen darauf blickt, ist dabei immer genauso wichtig, hat manchmal eine klarere Vision. Wir interagieren immer,
aber im Moment verbringen wir etwas weniger Zeit zusammen.“
Während Erwan, der jüngere Bruder, sich zunehmend für Robotik interessiert, vertieft
sich der ältere mehr und mehr in die Arbeit
mit traditionellen Materialien wie Keramik
3
und Glas. Beide zeichnen eigentlich
Nach Kindern und Karriere
sollte sich einmal alles nur
um Sie drehen.
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STEPHANIE FÜSSENICH; PAUL TAHO
N AND R & E BOUROULLEC
3 unentwegt, eine Art
Meditation sei das und
auch Tagebuch. Gemeinsam denken sie viel über
das Leben nach. Das kann
man als typisch französisch verstehen. Aber es
gehört auch zum Profil
des Berufs dazu.
„Der Design-Prozess ist
ein wenig seltsam“, überlegt Erwan. „Man muss
sich selbst zu viele Ideen
verbieten. Sobald man ein
Projekt zugesagt hat, muss
man sich konzentrieren,
muss, wie bei einem
Baum, dessen Zweige ein
bisschen schwach sind, immer wieder stutzen. Es vergeht viel Zeit, in der wir
Dinge erfinden und zeichnen. Aber dann gibt es wiederum andere Phasen, in
der wir immer dieses Ding
anschauen und es reduzieren, etwas wegnehmen,
wieder schauen, nachdenken. Das ist wie eine Meditation. Dann findet man den
stärksten Teil. Man muss lernen, zu warten.“
Umso wichtiger ist ihnen die experimentelle
Arbeit außerhalb dieses Rahmens, für oder
mit Kunstgalerien, wie zum Beispiel der Galerie Kreo in Paris. Seit eineinhalb Jahren hängt
ein Werk der Bouroullecs in Versailles, das
erste zeitgenössische Objekt in dem Barockschloss aus dem 17. Jahrhundert: Ein zwölf
Meter langes Geschmeide, aus 800 KristallModulen gefertigt, das an eine gigantische
Körperkette erinnert und als fantastischer
Chandelier den Eingang des Palastes erhellt.
„Versailles gab uns eine ,Carte Blanche‘ und
Sofa-Pausen sind derzeit selten: „Plume“ ist
jüngstes Mitglied der hochwandigen „Alcove“Familie, die die Brüder für Vitra entworfen
haben. Darunter: Wolken für Wände oder als
Raumteiler: „Clouds" ist ein unendlich erweiterbares und Geräusche schluckendes ModularSystem aus Stoff und mit einem eigens erdachten Fixier-System, das sein Wachsen, einer
Pflanze gleich, ganz leicht ermöglicht
36
dann sprachen wir Swarovski an, die uns einmal zu einer Ausstellung, dem ‚Crystal Palace’,
eingeladen hatten. Damals haben wir, das hatte Swarovski sicher nicht geplant, nur einen
kleinen Stein präsentiert“, erinnert sich Erwan Bouroullec grinsend und formt mit den
Händen einen faustgroßen Kiesel. „Er war für
uns besonders geschliffen worden und in seinem Inneren leuchteten LEDs, man konnte
ihn hintragen, wohin man grad wollte.“
Jetzt wiederum entsteht aus dem Versailler
Lüster eine Leuchte für Flos, das Muster eines
Teppichs taucht ähnlich bei Kacheln auf, auf
der Online-Möbelplattform „The Wrong
Shop“ kann man Zeichnungen erwerben, die
vielleicht aus Studien hierzu entstanden sind.
„Viele Konzepte oder Arbeiten reisen mit uns
von einem Projekt zum nächsten.“ Die Grenzen zwischen Kunst und Design verschwimmen in diesem Studio in Belleville, ein Grund,
warum die Möbel als Zeitzeugen in Museen
wie dem Centre Pompidou, MoMa in New
York, dem Art Institute of Chicago, und dem
Design Museum in London exponiert sind.
Eines der Projekte, das gerade Form annimmt,
ist eine Ausstellung in Tel Aviv im kommenden November. Ronan Bouroullec zeigt Zeichnungen und Kollagen: Eine „Promenade“, verschiedene Räume durch bunte, gläserne Wände getrennt, darüber sind Muster gemalt, wie
die traditioneller Kacheln. „Wir spielen mit
dem Licht in Tel Aviv.“ Vor ihm liegt auch die
Idee zu der neuen Flos-Leuchte, „ein Jahr lang
verfolgten wir eine idiotische Idee, dann haben wir zufällig eine neue Technik entdeckt.
Also habe ich das ganze Wochenende gezeichnet, im Zug, Freitagnacht und dann den Prototyp erhalten. Ich mag das sehr, so zu arbeiten,
es ist hart an der Grenze, es ist wie Aquaplaning, es gibt viele Möglichkeiten zu verunglücken“, sagt er lächelnd.
Hinter ihm lehnen Schiefertafeln an der
Wand, voll gezeichnet mit weißer und rosafarbener Kreide, Bouroullec mag beides, „die Palette der Möglichkeiten in dieser Welt ist groß,
also muss man sie intelligent nutzen. Ich habe
einen schnellen Computer hier, aber auch eine Tafel. Ich zeichne etwas, benutze mein
iPhone und schicke das Bild sofort an jemanden.“ Nur manchmal entzieht er sich dem
Rhythmus dieses effektiven Systems, dann
fährt er in sein Haus in der Bretagne.
„Süpersmall“ sei das, sagt er, wieder zeigt er
Fotos: „Es gibt kein Internet, aber es liegt direkt an der See, eine Hütte mit Blick auf das
Meer. Es ist kein freundlicher Ort, das Klima
ist rau. Ich bin gerne alleine dort, schwimme,
surfe. Es ist ein guter Platz, um nachzudenken
und zu zeichnen. Aber es ist keine Pause,
wenn ich zurückkehre, bin ich erschöpft.“ Auf
den Bildern ist sein Sekretär zu sehen, er steht
vor einer geöffneten Flügeltür und das wilde
Wasser glitzert im Hintergrund.
Ronan Bouroullec hat erst kürzlich auf Ebay
alte Holzschränke zu einem Schnäppchenpreis ersteigert, die er hat aufarbeiten lassen,
sie stehen jetzt in seinem Pariser Atelier. Er
drückt einen Anruf weg und gesteht: „Ich hätte gern eine Welt, die so wäre wie die Schränke, ohne Chichi. Das wollen wir ja hier, interessante Dinge schaffen, die lange, lange halten und die so gut sind, dass man weiter nicht
viel braucht.“
INTERVIEW
Ganz oben
Statt Taschengeld und
Spielzeug bekam Matteo Thun
nur Ton. Er sollte selbst was
machen. Und was er dann alles
gemacht hat! Sven Michaelsen
hat den Designerstar befragt
38
PHOTOSELECTION/ ROBERT FISCHER
Ich bin
allergisch
gegen alles, was
ich selbst
gestaltet habe
Sie heißen Matthäus Antonius Maria Graf von
Thun und Hohenstein. Warum gaben Sie sich
den prosaischen Namen Matteo Thun?
Wenn Sie als Italiener Ihre Steuererklärung
machen, müssen Sie zig Formulare ausfüllen.
Ich war es irgendwann leid, jedes Mal diesen
ellenlangen Namen hinschreiben zu müssen.
Sie sind auf zwei Schlössern in Bozen aufgewachsen und sagen: „Es gibt nichts Grauenhafteres, als in einem Schloss zu leben.“
Es ist nahezu unmöglich, Schlösser zu heizen,
und mit dem Komfort in Bad und Küche steht
es auch nicht zum Besten. Meine Mutter verbot mir, am Boden zu spielen, weil der Marmor auch im Sommer eiskalt war. Aber welches Kind spielt schon gern an einem Tisch?
Später besuchten Sie eine Klosterschule des
Franziskanerordens. Wie ging es dort zu?
Es herrschten strengste Disziplin und katholische Starrköpfigkeit. Eine lebende Fremdsprache zu lernen war verboten. Nur Esperanto und Stenografie waren erlaubt. Jeden Morgen um sieben war Messe, und am Anfang und
am Ende jeder Schulstunde wurde gebetet.
Auch bei uns zu Hause herrschte mönchische
Askese. Ich bekam kein Spielzeug geschenkt,
sondern Ton. Mit ihm sollte ich mir meine
Spielzeuge selber machen. Taschengeld gab es
auch nicht. Jede Lira wurde in die Keramikwerkstatt meiner Eltern investiert.
Ursprünglich wollten Sie Maler werden und
waren Schüler von Oskar Kokoschka an der
Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg. War das eine prägende Erfahrung?
Kokoschka war schon sehr alt und interessierte sich hauptsächlich für seine Frau Inge, eine
fantastische blonde Deutsche. Wir Schüler
zeichneten Akte und Porträts. Meine Karriere
als Maler endete, als wir die Opernsängerin
Anneliese Rothenberger porträtieren sollten.
Sie stand uns 20 Minuten lang Modell und war
sehr von sich eingenommen. Als sie mein Bild
sah, war sie entsetzt und behandelte mich mit
Eiseskälte. Ich hatte ihre Pupillen falsch gesetzt, sie schielte. Von diesem Moment an war
ich an der Akademie verloren.
1978 begann Ihre Zusammenarbeit mit dem 35
Jahre älteren Design-Avantgardisten Ettore
Sottsass, der mit seiner leuchtend roten
Schreibmaschine für Olivetti zu Weltruhm gelangt war. Wie haben Sie ihn kennengelernt?
Er hielt einen Gastvortrag, als ich in Los Angeles Architektur studierte. Er war ein unnahbares Idol, ein Mythos, der es ablehnte, zu unterrichten und Schüler zu haben. Vor seinem
Rückflug nach Italien wollte er das Grab von
Marilyn Monroe sehen. Ich fuhr ihn hin und
besorgte ihm an einer Tankstelle eine Rose für
das Grab der Monroe. Während der Fahrt
konnte ich ein bisschen an ihn rankommen.
Als wir uns am Flughafen verabschiedeten,
sagte er, ich solle ihn besuchen, wenn ich mal
nach Mailand käme. Ich spürte aber, dass das
bloß eine Höflichkeitsfloskel war.
Dennoch standen Sie wenig später vor seiner
Bürotür.
Er tat zumindest so, als würde er sich an mich
erinnern und überließ mir eine Arbeit, zu der
er gerade keine Lust hatte. Ich sollte für eine
damals unbekannte Firma namens Alessi eine
Menage für Essig, Öl, Salz und Pfeffer entwerfen. Als Architekt war ich ein Anfänger, und
von Design hatte ich auch keine Ahnung. Ich
war der Spott der Profis, die mit ihren Rotring-01-Stiften perfekte Zeichnungen anfertigten. Ich dagegen schmierte mit HB-Bleistiften rum, machte alles schmutzig und zweifelte dauernd an mir . Nichtsdestotrotz gelang es
mir, für Ettore die meistkopierte Menage der
Moderne zu zeichnen, die jahrelang der größte Umsatzbringer von Alessi war.
Hat Sottsass sofort erkannt, dass da jemand die
Gabe des guten Auges hatte?
Wenn er dieser Meinung war, hätte er es nie
gesagt. Er kam auch nie auf die Idee, mich anzustellen, weil er als radikaler Kommunist aus
Prinzip niemanden bezahlen wollte. Ich arbeitete zweieinhalb Jahre gratis für ihn und
bekam oft verbale Prügel. Auch die Arbeitsbedingungen waren nicht die besten. Wir hatten
keine Sekretärin, keine Fotokopierer, und
wenn ich zu Alberto Alessi fuhr, um mit ihm
über meinen Öltropfenrücklaufmechanismus
zu sprechen, musste ich das Benzin und die
Fotokopien selber bezahlen.
Der tonangebende Designer jener Zeit war
Dieter Rams mit seinen Entwürfen für Braun.
Über einen seiner berühmtesten spotteten Sie:
„Meine emotionale Bindung zu einem BraunWecker ist ähnlich einer, die ich zu einer toten
grauen Maus haben würde, die mich jeden
Morgen um 6.45 Uhr aus dem Schlaf schreckt.“
Ende der Siebziger herrschten überall das
Bauhaus und die Ulmer Schule. Alles war
mausgrau, ein steriler Funktionalismus ohne
Lebensfreude und Witz. Das hat bei Sottsass
und mir zu einer explosiven Proteststimmung
geführt. Wir waren stinkwütend, dass uns niemand das machen ließ, was wir machen wollten. Die Zeit war reif für ein Erdbeben. Eines
Tages sagte Sottsass: „Ich habe es satt! Ab jetzt
geben wir uns selbst Aufträge.“ In der Praxis
sah das so aus, dass ich tagsüber Haartrockner
für Wella zeichnete und nachts an eigenen
Projekten arbeitete, für die ich in Vorkasse
treten musste. Die Nächte endeten mit Rotweinschlachten und weinenden Frauen. Nach
Mitternacht beschimpfte Sottsass unsere
Frauen als dumme Kühe, weil sie uns Männer
von der Arbeit abhalten würden. Zu mir sagte
er: „Wenn du heiratest, ist es aus mit uns! Entweder gehörst du zu mir und der gemeinsamen Sache, oder du gehst!“
Die Entwürfe, die nachts in Sottsass’ Büro entstanden, wurden unter dem Namen Memphis
weltberühmt. Wie kam eine Gruppe italienischer Designer darauf, sich ausgerechnet nach
einer Stadt in Tennessee zu nennen?
Das hat mit einer Schallplatte zu tun, die einen Kratzer hatte. Sottsass hatte an jenem
Abend Bob Dylan aufgelegt, und es wurde jede Menge Rotwein getrunken. Trotzdem kam
keiner von uns auf eine zündende Namensidee. Als die Platte bei der Zeile „With the
Memphis blues again“ hängenblieb, notierte
Sottsass ganz einfach das Wort „Memphis“.
1981 besuchte Sie Karl Lagerfeld in Mailand.
Wie reagierte er auf Memphis?
Er hatte von uns gelesen und wollte sich aus
Neugier ein paar Objekte ansehen, mehr
nicht. Ich tat total gelassen, aber in Wahrheit
schlotterten mir die Knie. Wir waren vollkommen pleite, weil wir die Sachen selbst finanziert hatten. Während des Rundgangs
blieb Lagerfeld stehen und fragte: „Soll ich etwas kaufen?“ Mit dem Mut der Verzweiflung
antwortete ich: „Karl, kaufen Sie doch einfach
„Soll ich etwas
kaufen?“, fragte
Karl Lagerfeld
alles.“ Er sagte: „Gut, schicken Sie mir die Sachen nach Monte Carlo.“ Viele Jahre später
hat er die Objekte mit gutem Gewinn wieder
verkauft.
Sie blicken mit gemischten Gefühlen auf Memphis zurück. Warum?
Ich sagte zu Sottsass, nach ein, zwei Jahren
müsse Schluss mit Memphis sein. Aber er
ließ sich durch den unglaublichen Erfolg
verführen und machte weiter. Eine Schockwirkung kann aber nie von Dauer sein. Der
Futurist Filippo Tommaso Marinetti schrieb
mal, ein Rennwagen sei schöner als die Nike
von Samothrake. So ein Satz kann im richtigen historischen Moment für kurze Zeit zu
produktiven Gedanken führen, aber dann
muss man ihn mit der nötigen Distanz betrachten. 2014 zu schreiben, ein Ferrari sei
schöner als eine Symphonie von Beethoven,
wäre dämlich.
1990 unterschrieben Sie einen Vertrag mit der
Uhrenfirma Swatch. Deren Produkte galten
damals bei Trendjüngern als hot shit.
Ich war dort drei Jahre lang Kreativdirektor
für die Kollektionen und neun Jahre für das
Design der Läden verantwortlich. Als ich
kam, wurden acht Millionen Uhren im Jahr
verkauft, als ich ging, 24 Millionen. Für den
damaligen Eigentümer war eine Swatch eine
Uhr, und Uhren verkauft man in Juweliergeschäften und Kaufhäusern. Für mich dagegen war eine Swatch eine Lifestyle-Deklaration, mit der man nebenbei auch noch die
Zeit ablesen konnte. Deshalb wollte ich unsere Uhren in eigenen Läden verkaufen und in
die Segmente Basic, Classic und Fashion unterteilen. Den ersten Swatch-Laden ließen
wir heimlich an einer Tankstelle in Bellinzona bauen. Nach dieser Initialzündung ging es
rasant aufwärts. Allein 1995 eröffneten wir
weltweit mehrere Tausend Läden.
Welche Lehre haben Sie aus Ihren SwatchJahren gezogen?
Mein Chef war der Swatch-Erfinder Ernst
Thomke. Als ich eine Swatch aus Metall entwickeln sollte, landete ich nach einem Jahr
harter Arbeit immer noch beim Vierfachen
des vorgegebenen Herstellungspreises. Als
ich Thomke um seine Hilfe bat, schimpfte er,
ich hätte keine Ahnung von Technik. Es gebe
da einen Mann, der ein Pulver bei 800 Grad
zu etwas werden lasse, das wie Metall ausschaue. So ist die Swatch-Irony entstanden,
bis heute der Umsatzbringer des Unternehmens. Für mich war diese Erfahrung ein unvergesslicher Tritt in den Hintern. Ich hatte
ein Jahr lang an einer falschen Strategie gearbeitet, weil ich mich nicht für technische
Innovationen interessiert hatte, in diesem
Fall für den Sinterprozess. Das ist mir in mei3
nem Leben nie wieder passiert.
39
MATTEO THUN (7); AKG; STUDIO AZZURO/COURTESY OF MEMPHIS
3 Warum blicken Sie auch auf Ihre Zeit bei
Swatch mit gemischten Gefühlen zurück?
Ich habe Tonnen von Plastikuhren auf dem
Gewissen, und wie Ihnen jeder Ökologe erklären kann, hat Plastik nun mal diese verdammte Endgültigkeit. Im Nachhinein finde ich es
falsch, Kunststoffobjekte zu einem WegwerfGadget gemacht zu haben. Ich war geblendet
von der Vision, Millionen von Menschen für
50 D-Mark eine Identität geben zu können.
Haben Sie je Swatch-Uhren getragen?
Nein. Sie sind sehr laut. Das ist ihr großer Makel. Ich trage eine Uhr, die ich vor gut zehn
Jahren entworfen habe. Sie ist ein No-LogoStatement, weil das Ziffernblatt vollkommen
leer ist. Diese Uhr ist für mich ein wahres Designobjekt, weil es keine Auskunft darüber
gibt, wann und von wem es gestaltet wurde.
Und vor allem ist diese Uhr kein Statussymbol.
Der Architekt Rem Koolhaas sagt, er habe noch
nie in einem Haus gewohnt, das jünger war als
hundert Jahre.
Das ist bei mir genauso.
Die Memphis-Gruppe im Jahr 1981
(oben): Matteo Thun (liegt rechts
unten) umringt von Design-Kollegen wie auch Ettore Sottsass
(rechts oben)
Verkaufsschlager: die Menage für
Alessi (unten)
In den 90er-Jahren
entwarf Matteo Thun
Uhren für Swatch
(links), und 1982 die
Teekanne aus der
„Rara Avis“ Kollektion
(unten)
Warum ziehen Architekten Altbauten ihren eigenen Kreationen vor?
Die Patina alter Gebäude hat eine sensorische
Qualität, die etwas Neues nicht haben kann.
Das gilt für Optik, Haptik und Geruch.
Warum altert nichts schneller als Design?
Es stimmt, die Welt ist voller Designkadaver.
Aber nur schlechtes Design erscheint uns
schon morgen als hässlich. Ein Objekt sollte
ästhetische Durabilität und Nachhaltigkeit besitzen und dazu gehört es, den Zeitgeist auf
ein Minimum zu reduzieren. Ihn komplett zu
ignorieren ist nahezu unmöglich.
Ihr weltberühmter Kollege Koolhaas klagt: „Als
Architekt wird man nicht reich. Norman Foster
vielleicht und Frank Gehry, aber nicht ich. Wir
Architekten arbeiten wie in einer mittelalterlichen Gilde. Wir bekommen einen kleinen Prozentsatz von der Bausumme. Und der bleibt
gleich, egal wie bekannt man ist.“
Perfekt ausgedrückt. Das kann ich nur unterschreiben. Die Tarife für Architekten sind ein
Hungerlohn. Zu Geld kommen nur jene Kollegen, die einmal eine Formel entwickeln und
sie dann viele Jahre lang wiederholen. Diese
Bauten haben einen phänomenalen Wiedererkennungswert, weil sie alle gleich aussehen.
Umgekehrt gibt es Architekten wie Koolhaas
oder Herzog & de Meuron, die bei jedem neuen Projekt von vorne beginnen und sich fragen: In welchem Klima baue ich? Wie ist der
Genius loci, und welchen Einfluss sollte die
Seele des Ortes auf die Formgebung haben?
Für diesen höchst bedeutsamen Teil der Arbeit gibt es leider keinen Cent Honorar.
Für das Hamburger „Side“-Hotel entwickelte Thun 2001 das Interiorkonzept
Er kann auch WC: Für Geberit entwarf der
Italiener 2013 die AcquaClean Sela-Toilette
Für das JW Marriot Resort in Venedig
(2015) zeichnete Thun den Masterplan
Warum gestalten Sie nichts lieber als Bestecke
und Klos?
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit
der Geschichte der Toilette. Die Nahrungsaufnahme und -abgabe sind anthropologisch die
wichtigste Funktion einer Behausung, und es
gibt nichts Intimeres als Defäkation und Essen. Gabel und Löffel stecken Sie in den
Mund. Die Form dieser Gegenstände muss lippen-, finger- und speisengerecht sein, deshalb
ist der Spielraum bei der Gestaltung minimal– eine höchst spannende Aufgabe!
Das japanische Unternehmen Toto setzt mit
Hightech-Toiletten 25 Milliarden Euro im Jahr
um. Die Modelle haben beheizbare Klobrillen,
Bidet- und Massagefunktionen, Warmluftgebläse, Raumdeodorierer und eingebaute MP3Player, die die Verdauungsgeräusche mit
selbstgewählter Musik übertönen. Einige Modelle leuchten sogar im Dunkeln. Sitzen Sie
gern auf diesen Toiletten?
Mein Hinterteil braucht kein Licht und muss
auch nicht erwärmt werden. Die meisten Attribute von Toto-Toiletten sind bloß Gimmicks, nutzloser Schnickschnack. Ich sage
das, weil ich das Dusch-WC für ein zentrales
Thema halte. Es säubert gründlich, ist hygienisch und benötigt kein Papier. Wir haben gerade ein Modell entworfen, das intuitives Bedienen ermöglicht. Das Design ist so einfach
wie möglich, die Technik bleibt verborgen.
Ich bin kein Freund des Autorendesigns und
der Autorenarchitektur. Ich mag auch keine
Marken. Wenn auf Schuhen ein Logo prangt,
ziehe ich sie nicht an. Startum und große Egos
sollten wir Popmusikern und HollywoodSchauspielern überlassen. Ich glaube, dass wir
einen fundamentalen Paradigmenwechsel erleben. Für mich war der 11. September auch
das endgültige Aus für einen bestimmten
Konsumhabitus. Heute zählt für mich nicht
mehr Besitz, sondern mentaler Wohlstand.
Ich habe in Mailand ein riesiges Archiv mit
meinen Arbeiten. Vor Kurzem habe ich Hunderte von Objekten an meine Mitarbeiter verschenkt. Den Rest habe ich mit mehreren
Lastwagen auf eine Müllkippe bringen lassen.
Mich von meinen Arbeiten zu verabschieden,
hat mir den Kopf für Neues frei gemacht.
„Ethik ist genauso wichtig wie Ästhetik“, lautet
ein Credo von Ihnen. Kann Formgebung unser
Verhalten positiv beeinflussen?
Ja, und ich nenne Ihnen ein Beispiel. Italiener
kennen kein Frühstück wie Nordländer. Sie
gehen in eine Bar und trinken stehend einen
Espresso. An den Espresso-Maschinen arbeiten hochbezahlte Superprofis, die einem
enormen Druck ausgesetzt sind. Dieser Druck
führt dazu, dass es keine Höflichkeit mehr
gibt. Einen Espresso zu trinken sollte aber ein
Ritual sein, ein zelebrierter Genussmoment.
Stattdessen wird einem die Tasse auf die Untertasse geknallt. Um höflich bedient zu werden, habe ich für Illy eine Untertasse entwickelt, die in der Mitte nicht wie üblich eine
Kuhle hat, sondern ein Höckerchen. Diese
kleine Empore zwingt den Barista dazu, mir
meinen Espresso mit einer höflichen Bewegung auf die Untertasse zu stellen.
Der bekannteste lebende Designer ist Philippe
Starck. Wie erklären Sie einem Laien den Unterschied zwischen Ihnen beiden?
Privat sind wir gute Freunde, aber in unserem
Beruf verkörpern wir das extremste Gegenteil, das sich denken lässt. Philippe macht
Lifestyle-Design, bei dem man auch im Dunklen erkennt, dass es von ihm ist. Ob Stuhl,
Lampe oder Haus, die Starck-Zeichen springen einen in der ersten Sekunde ins Auge. Ich
dagegen mache etwas, das man Zero-Design
nennen könnte. Meine Gestaltung beginnt mit
Vereinfachung, mit der Wegnahme von allem
Überflüssigen und der Suche nach dem ikonischen Archetyp. Für mich ist die Reduktion
auf das Wesentliche die komplexeste Kunst
der Formgebung. Einfachheit ist Wissen plus
sehr viel Arbeit.
Gibt es noch Objekte, die dringend einer neuen
Form bedürfen?
Nein. Ich bezweifle auch seit Jahren, ob ein
Design-Festival wie die Mailänder Möbelmesse noch sinnvoll ist. Die meisten der dort gezeigten Produkte fügen dem Vorhandenen
nichts hinzu. Ich finde es zum Beispiel unnötig, einen neuen Stuhl zu produzieren. Bei
diesem Produkt gibt es kaum technische Innovation, und die Formgebung scheint mir
auch ausgereizt. Die Stühle aus dem ligurischen Fischerdorf Chiavari, Chiavarina genannt, erfüllen alle meine Wünsche.
Leben Sie mit Thun-Objekten?
Nein. Ich bin allergisch gegen alles, was ich
selber gestaltet habe, vielleicht weil bei mir
unglücklicherweise etwas von der Askese der
Franziskaner hängengeblieben ist. Mein Lehrmeister Sottsass hat es genauso gehalten. Er
lebte in einen kleinen Wohnung mit weißen
Wänden und schlief auf einer am Boden liegenden Matratze – und er war immerhin der
bekannteste Designer des 20. Jahrhunderts.
Sind Peinlichkeiten unter Ihren Entwürfen?
Mir klappen stets die Fußnägel hoch, wenn
mir etwas begegnet, das ich gestaltet habe. Betrete ich ein gerade eröffnetes Hotel von mir,
sehe ich mindestens ein Dutzend für mich
schwerwiegende Fehler. Weil die aber offenbar keinem anderen auffallen, verschwinden
meine Depressionen wieder, und ich denke,
vielleicht ist dieses Hotel ja doch einigermaßen akzeptabel.
Sie haben 1995 aufgehört, Ihre Entwürfe zu signieren. Warum?
Die bedeutendste ästhetische Revolution der
letzten 20 Jahre stammt von dem britischen
Apple-Designer Jonathan Ive. Werden wir es
bald satthaben, mit einem iPhone zu telefonieren, weil der Mensch neben uns ebenfalls mit
einem iPhone telefoniert?
Das Problem des iPhones ist nicht der fehlende Distinktionsgewinn. In Fernost erleben
Sie, dass Produkte von Samsung vorherrschen. Der Grund ist das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis. Deshalb beherrscht Samsung in Fernost den Markt. Apple zeigt bei der
Preisgestaltung und Distribution eine unglaubliche Überheblichkeit.
Warum benutzen Sie ein iPhone?
Es bedeutet mir nichts. Mit einem Billigtelefon könnte ich genauso gut auskommen. Mein
Telefon liegt auf dem Tisch meiner Assistentin. Ich habe mir vor vielen Jahren eine neue
Nummer geben lassen und führe nur noch
durchschnittlich vier Telefongespräche am
Tag. Dass ich überhaupt noch ein Handy habe,
hat nur zwei Gründe: Ich will mit meiner Familie in Kontakt treten können und bei einem
Unfall Hilfe rufen können.
Warum zieht es immer mehr Star-Architekten
in ferne Länder?
Weil Europa im großen und ganzen fertig gebaut ist. Das Problem ist das unglaubliche
Tempo, mit dem in Ländern wie China gebaut
wird. Dieses Tempo geht auf Kosten der Detailqualität, und die ist am Ende entscheidend
für die ästhetische und technische Durabilität.
China könnte ein ähnliches Schicksal erleben
wie Dubai, das in 20 Jahren eine Ghost Town
sein wird. Diese Stadt ist das größte Umweltfiasko, das der Mensch je zustande gebracht hat.
Das Szenario des Films „Blade Runner“ wird
man in ein oder zwei Generationen in Dubai
ähnlich erleben. Meine Kinder werden ihre
Kinder dorthin führen, um ihnen zu zeigen,
wie verrückt ihre Großeltern waren.
Sie hatten mal ein Büro in Riad. Warum haben
Sie es wieder geschlossen?
Weil ich meine Kunden nie verstanden habe.
Beduinen denken anders, und ihr auf dem
Prinzip Inschallah beruhendes Zeitverständnis liegt mir auf Effizienz getrimmten Zentraleuropäer nicht. Im arabischen Raum ist
die Zeitachse ein Gummiband, und es ist sehr
schwer, im dortigen Architekturgeschmack
einen roten Faden zu finden. Das Einzige, was
momentan gut ankommt, ist Greenwashing,
verlogene Ökologie. Man hängt sich ein grünes Mäntelchen um, damit die Sünden nicht
sofort ins Auge springen.
Zu den Erfahrungen von Reisenden gehört es,
dass man selbst in gehobenen Hotels mit absurden Planungs- und Einrichtungssünden konfrontiert wird. Wie erklären Sie das?
Ich schlafe über hundert Nächte im Jahr in
Hotels, ich weiß, wovon Sie sprechen. Im Badezimmerspiegel sieht man wegen der ungünstigen Beleuchtung aus wie Nosferatu,
man weiß nie wohin mit den Hygieneutensilien, und um zu verstehen, wie die Dusche
funktioniert, müsste man eine ausführliche
Unterweisung erhalten. Schon der normale
Hausverstand müsste einem Planer sagen,
dass der Gast nicht erst seine Brille aufsetzen
möchte, um herauszufinden, wie man die
Wassertemperatur einstellt. Das Schlimmste
sind die Lichtanlagen. Wenn man abends im
Bett das Licht ausmachen möchte, muss man
noch mal eine Runde durchs Zimmer drehen,
um auch den letzten Lichtschalter zu finden.
Stimmen Sie zu, dass zwei Drittel aller deutschen Restaurants am Licht scheitern?
Ja. Die meisten deutschen Restaurants sind
dreimal so hell beleuchtet wie amerikanische
und entsprechend ungemütlich. Die Beherbergungsverordnung schreibt eine bestimmte Lux-Zahl am Tisch vor, weil Sie sonst angeblich das Schnitzel auf Ihrem Teller nicht
finden würden. Das Gleiche gilt für Büros.
Grauenvoll! Es gibt in Deutschland auch Vorschriften, die den Isolierschutz von Fenstern
festlegen. Letzteres hat dazu geführt, dass
deutsche Neubauten momentan die hässlichsten Fenster der Welt haben.
In immer mehr Hotels ist das Bad nur noch mit
einer Glasscheibe vom Wohnbereich abgetrennt. Halten Sie das für einen Fortschritt?
Tageslicht im Bad ist ein Muss, denn der
Mensch funktioniert nun mal besser mit natürlichem Licht. Trotzdem möchte ich bei der
Körperhygiene keine Zuschauer haben. Diesen Widerspruch zu lösen, ist die Kunst des
Innenarchitekten. Eine Möglichkeit sind verstellbare Holzlamellen vor der Glasabtrennung. Was Tageslicht angeht, bin ich nur bei
einem einzigen Ort kompromissbereit: dem
WC. Wissen Sie übrigens, dass Martin Luther
zeitlebens an Verstopfung gelitten hat und
ewige Zeiten auf dem Klo zubrachte? Die lutherische Lehre ist quasi im WC entstanden.
Ihr Rat an Kollegen?
Die Lehre von Sottsass ist: massima semplicità, so einfach wie möglich. Ettores Einfachheit war seine Genialität. Die echten Genies
waren immer einfach.
41
VOR DEM MEERJUNGFRAU-GRAFFITI VON
DEITY TRÄGT KIM (MIT DER SPRÜHDOSE AM
GERÜST) EIN TOP VON SONIA RYKIEL ÜBER
EINEM KLEID VON VALENTINO. SCHUHE:
CHRISTIAN LOUBOUTIN. ARMREIF: W29 SHOWROOM KOPFSCHMUCK: MARCIA GROSTEIN. DIE
PASSANTEN TRAGEN IHRE PRIVATE KLEIDUNG
42
MIAM I
(STR E E T )
A RT
W ER BR AUC HT
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O DER GA L ER IEN, WENN DI E
K UN S T DO C H A N DER
S TR A S S E LI EGT.
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K ULIS S E F ÜR UNSER
M O DES H O OT I NG
F OTO : ANDE R S OV E RG A A R D
C / O KAT H R I N H O H B E RG
STYL IN G : NA DI A RAT H ;
ASSIST E NZ : M AT I LDA
B E RG ST RÖ M
M O DEL : K I M RI E KE NB E RG
C / O ICO N I C M A NAG E M E NT
HAARE / M A K E-U P:
N O RB E RT CH E M I NE K
C / O KAT H R I N H O H B E RG.
M IT PRO DU K T E N VO N
M . A.C COSM E T I C S
V IEL EN DAN K A N DA S SE M I NO LE
HARD RO CK H OT E L
IN HO L LYWO O D, FLO RI DA
UN D ISABE L SC H A R E NB E RG
43
VOR DEM
KUNSTWERK
„SEAFOAM“ VON
ANTONIO MENA
TRÄGT KIM EIN
TOP VON
VERSACE.
HOSE: TOM
FORD
44
45
VOR DER GRAFFITI-WAND
VON FLORÉ & WESTGARD TRÄGT
KIM EINEN MANTEL VON BARBARA BUI. TOP (GEKNOTETES
SEIDENCARRÉ): HERMÈS. ROCK:
TALBOT&RUNHOF. GÜRTEL:
CHANEL. SCHUHE: CHRISTIAN
LOUBOUTIN. RING (LINKE HAND):
MARCIA GROSTEIN. DAS „DISCO
PIG“ AN DER LEINE IST EIN KUNSTWERK VON RÖ BARRAGAN
46
BESTICKTE JACKE UND ARMREIF: CHANEL.
LEDERKLEID: TOD’S. SCHUHE: CHRISTIAN
LOUBOUTIN. CLUTCH: EMM KUO.
RING: MARCIA GROSTEIN. KUNSTWERK IM
HINTERGRUND: VON MXYTSPLYK
47
48
AUF DEM FAHRENDEN KUNSTWERK
„LADY BUG“ VON
YARROW MAZZETTI
TRÄGT KIM EIN SEIDENKLEID VON
MAISON MARTIN
MARGIELA. DARÜBER:
TOP VON TIBI. ROCK
UND STIEFEL: MAX
MARA. LEDERJACKE:
BELSTAFF. RINGE:
KÜNSTLERSCHMUCK
DER NEW YORKERIN
MARCIA GROSTEIN.
DIE TYPEN DANEBEN
TRAGEN IHRE EIGENEN KLAMOTTEN
VOR DEM WOHNWAGEN IN
WYNWOOD, EIN KUNSTOBJEKT VON KENNY SCHARF,
TRÄGT KIM EINEN MANTEL
VON DRIES VAN
NOTEN. BLUSE: HUGO BOSS.
PULLUNDER: PRADA.
ROCK: MICHAEL KORS.
SCHUHE: MIU MIU.
TASCHE: MULBERRY.
RING: BELGISCHES SCHMUCKDUO WOUTERS & HENDRIX
50
KIM VERSTECKT SICH
IN EINEM KUNSTWERK NAMENS ASIAN HEAD VON
JAMES MATHISON. WESTE
VON TORY BURCH.
KAPUZENPULLOVER:
BOTTEGA VENETA.
HOSE: BRUNELLO CUCINELLI.
SCHUHE: PAUL SMITH
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VOR DER COLLECTION PRIVÉE GALLERY: JEANSWESTE VON CLOSED.
BLUSE: GIORGIO ARMANI. SHORTS. TOMMY HILFIGER.
WEDGES: SALVATORE FERRAGAMO. CLUTCH: EMM KUO.
RECHTE SEITE: IM POP-UP RESTAURANT „THE ANNEX“ TRÄGT KIM
EINEN LEDERMANTEL VON CHRISTIAN DIOR. TÜLLKLEID: ANTONIO
MARRAS. KOPFSCHMUCK: MARCIA GROSTEIN.
53
ACCESSOIRES
Grüne Wunder: Ohrringe
aus der „Masterpieces“Kollektion von Tiffany.
Unten: Der Smaragd-Ring
ist ein Unikat aus dem
Atelier von Bucherer
Einfach spitze!
Die grünen
Slingback-Pumps
aus Nappaleder
mit Herz-Dekolleté sind von
Unützer
Geheimnisvoll wie
ein Katzenauge:
Ring aus der „Haute Joaillerie“Kollektion von
Louis Vuitton
Go for green:
Uhr aus der
RunwayKollektion von
Michael Kors
Wir wählen
jetzt Grün
Design, das aneckt:
Tasche „Mini Bee“
aus handbemaltem
Leder von Burberry
Die Farbe der Hoffnung steht für Neuanfang.
Solang die Natur aber noch auf sich warten
lässt, hier etwas Grünzeug für die Garderobe
Feinstes Blattwerk: Die Ohrhänger „Foliage“
mit Smaragden
sind von Fabergé
Ganz und gar
nicht giftig: Die
„Serpenti“ von
Bulgari betört
durch dezentes
Flaschengrün
54
Frisch wie Frühlingsknospen: Die
„Lotus“-Ringe von Ole Lynggaard
Handschmeichler: Die
Tasche „Metropolis“ aus
Kalbsleder ist von Furla
Gute Grünanlage: Die
„Tank“ von
Cartier ist und
bleibt ein UhrenKlassiker
In denen können Sie buchstäblich
Schlange stehen: Heels von Gucci
ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER UND SARAH LAFER
The Freshmaker: Lackpumps in
Mintgrün gibt’s von Marc Cain
Schmuckstück: limitierter Füllfederhalter „Sanssouci, Potsdam“ von Faber-Castell
Gläsernes Glanzstück: Clutch aus Murano-Glas von
Salvatore Ferragamo
AUF TASCHE
Handtaschen von MZ Wallace
sind der Renner bei verwöhnten
New Yorkerinnen. Ganz bescheiden
ist die Chefin Monica Zwirner.
Huberta von Voss traf sie
Eine Tasche gute Laune:
Monica Zwirner (zweite von
links) hat sich mit ihrem Label
MZ Wallace durchgesetzt
A
MZ WALLACE
„Superwoman
existiert
nicht“
lles begann mit drei
Worten: „Word of
Mouth“. So lautete die
Marketingstrategie der
jungen Handtaschenfirma „MZ Wallace“
und deren Gründerinnen Monika Zwirner
und Lucy Wallace Eustin. Der Plan funktionierte.
2010 erklärte das „New York Magazine“ die „Chelsea Tote“ von MZ Wallace zur besten Handtasche
des Jahres und das Magazin „Travel & Leisure“
kürte die „Kate“ zur besten Reisetasche.
Stolz darauf können auch die Stammkundinnen
sein, denn ihre Meinung ist gefragt. Der Laden in
der Crosby Street dient dem Label auch dazu, mit
den Kundinnen ins Gespräch zu kommen. „Wir
freuen uns über die Anregungen, die wir von ihnen bekommen“, sagt Monica Zwirner.
Ihr Leben ist nicht gerade arm an Reizen. Viele
kennen sie nur als die scheue Frau an der Seite
von David Zwirner, der gerade dabei ist, Larry Gagosian vom Galeristenthron zu stoßen. Im Energiefeld zwischen ihrem Haus im East Village, den
zwei Galeriestandorten in Chelsea und ihrer eigenen Firma in SoHo hat die
erfolgreiche Unternehmerin
und Mutter dreier Kinder mit
stiller Beharrlichkeit ihr Unternehmen aufgebaut; und
sich trotz Dauerspagat zwischen internationalen Kunstmessen und New Yorker Designstudio ihre Natürlichkeit
bewahrt.
Wie sie ihren schwindelerregenden Alltag durchhält
ohne das Gleichgewicht zu
verlieren? „Es gibt kein
Gleichgewicht. Und Superwoman existiert nicht“,
sagt sie gelassen mit klarer
Stimme. Die Hände ruhen
auf einem hellen Konferenztisch. Sie spricht konzentriert. „To be honest“,
ehrlich gesagt, so beginnen viele ihrer Sätze.
Dass die feingliedrige Stilistin, die früher für Gucci, Porsche und Clinique
gearbeitet hat, zum Firmennamen nur ihre Initialen beisteuerte, passt
zur eleganten Zurückhaltung ihrer Erscheinung. Der Ruhm ihres
Mannes ist eine Sache.
Ihr persönlicher Erfolg
ist eine andere. Knapp 15 Jahre nach Gründung des Labels schreibt das Unternehmen schwarze Zahlen, wächst zweistellig und
ist besonders bei anspruchsvollen New Yorkerinnen beliebt, die eine Tasche wollen, die nicht ihre
Besitzerin wie ein Accessoire aussehen lässt. Sie
sind klassisch im Schnitt, praktisch im Design –
und vor allem ohne peinliche Label-Allüren. Die
mit Teflon beschichteten Stücke aus weichem,
strapazierfähigen Nylon, ausgestattet mit zahlreichen Fächern, sollen vor allem eins: Beim Überleben in einem übervollen Alltag helfen und Spaß
machen.
Was zu einem gelungenen Alltag neben einer gut
durchdachten Handtasche gehört, in der Utensilien nicht wie in einem schwarzen Loch verschwinden, erfahren die Kundinnen aus dem aufwendig produzierten „MZW Journal“: Einen Hot
Chocolate Martini in der „Gramercy Tavern“ trinken, das Laubfarbenwunder Neuenglands im
„Old Inn On The Green“ in den Berkshires erleben, oder die Woche in „Minton’s Playhouse“ in
Harlem ausklingen lassen. In Zeiten, in denen
Frauen sich mit der Frage quälen, ob sie sich auch
in allen Bereichen wirklich genug anstrengen, ist
die wohltuende Botschaft von MZ Wallace: Lehn’
dich auch mal zurück.
Wie die richtige Mischung aus Luxus und Alltagstauglichkeit geht, hat Monica Zwirner als Leiterin für Interiordesign bei der deutsch-amerikanischen Architektin Annabelle Selldorf gelernt:
„Monica besitzt eine enorme Sensibilität und
Einfühlungsgabe“, sagt Selldorf. „Ich traue ihrem
sicherem Gefühl für Raum und Stil wie sonst
kaum jemandem. Für mich ist sie eine Humanistin mit Herz und Verstand.“ Selldorf hat ihr Büro
in der berühmten ehemaligen „Factory“ von Andy Warhol, direkt am Union Square.
Direkt nach ihrer Hochzeit zog Monica Zwirner
nach Deutschland. Lachend erinnert sie sich an
die Zeit unter den eher zugeknöpften Hanseaten:
„Das war mal sehr erfrischend. New Yorker sind
ja mit ihrer emotionalen Offenheit das ziemliche
Gegenteil“, sagt sie. Rasch lernte Zwirner
Deutsch und begann die Werbekampagnen des
Fotografen Ivo von Renner zu stylen. Als die jungen Eltern nach New York zurückkehrten, war sie
bereits so gut im Geschäft, dass ihr Mann zunächst das Baby hütet und sie als Brotverdienerin
um die Welt jettete. Es folgten Jahre, in denen die
die Familie wieder mehr im Mittelpunkt stand.
Als das dritte Kind kam, merkte sie, dass sie etwas
ändern musste.
Ihrer Geschäftspartnerin Lucy begegnete sie auf
dem Markt am Union Square, wo Monica Zwirner
bis heute gerne einkauft, und die beiden alten
Freundinnen ins Gespräch kommen. Auch Lucy
hatte nach Jahren in Führungspositionen in der
Modeindustrie und mit zwei Kindern zu Hause
das Gefühl, ihre eigene Chefin sein zu wollen.
„Wir wissen, wie extrem schwierig es ist, alles
unter einen Hut zu bekommen“, sagt Lucy Wallace. „Wenn unsere Mitarbeiter nach acht Stunden nicht fertig sind, dann machen wir als Firma
etwas falsch.“ Ein Satz wie ein Fremdkörper in einer Stadt, in der alle alles geben, bis sie ausgebrannt sind und resigniert in die Vororte ziehen.
In der voll ausgestatteten Firmenküche steht der
randvoll gefüllte Kühlschrank. „Wir bestellen
montags Essenszutaten für die ganze Woche.
Mittwochs ist dann oft schon nichts mehr da“,
sagt Lucy Wallace lachend. Mittags werde gemeinsam gekocht. „Dabei entstehen oft neue Ideen“, sagt Monica Zwirner.
Ihr Mann unterstützt das starke Engagement seiner Frau, deren Firma immer mehr soziale Projekte mitfinanziert, manchmal auch in Kooperation mit seiner Galerie: „Es ist für eine Ehe toll,
wenn beide im Berufsleben Verantwortung tragen“, sagt er. Es vergehe kein Tag, an dem er nicht
eine MZ Wallace Tasche in der Galerie oder auf
den Straßen New Yorks sehe. „Das macht mich
natürlich stolz.“ Für beide sei nun angesichts des
beruflichen Erfolges die Zeit gekommen, stärker
ans Zurückgeben zu denken. Die Schauspieler
Ben Stiller und Sean Penn hoffen derzeit, mit
Zwirner noch einmal an die erfolgreiche Auktion
anknüpfen zu können, bei der mehr als 13 Millionen Dollar für die Organisation „Artists for Haiti“
zusammenkamen. Und auch der Maler Neo
Rauch, der gerade bei Zwirner seine spektakuläre neue Ausstellung „At the Well“ eröffnete,
schließt nicht aus, wieder ein Kunstwerk zu stiften. Zu den Zwirners sagt man nicht leicht Nein.
Weder zu ihm noch zu ihr.
BEGEGNUNG
Du bist jüdisch! Habt ihr gewusst, sie ist jüdisch?“
Als Rachel Libeskind die Stimmen imitiert,
springt sie mühelos vom Englischen ins Deutsche. Sie liebt diese Sprache, auch wenn sie
manchmal wehtut.
Mit zehn Jahren nimmt sie in der Adventszeit an
einem Wettbewerb des Berliner Tagesspiegels teil.
24 Gedichte als Countdown zu einem Fest, das bei
ihr zu Hause nicht gefeiert wurde. Ihr Gedicht gewinnt. Es handelt von einer Schneeflocke, die an
einem Fenster vorbeischwebt und ins Innere
blickt. Als sie ihre Mutter Nina, die kein Deutsch
spricht, mit zur feierlichen Preisverleihung begleitet, ohne ihr Näheres zu erklären, raunt diese:
„Where the hell are we?“ Danach lachen beide.
Während sie in Berlin vom Kind zum Teenager
heranwächst, entsteht das Jüdische Museum.
Wenn die Mutter hochrangige Besucher durch
die Baustelle führt, ist Rachel oft dabei. Das Museum eröffnet 2001 an dem
Tag, der fortan nur noch 9-11
heißen sollte. Eine Woche
später hat Rachel ihre Bar
Mitzwa: „Wir sind gemeinsam groß geworden.“
Als sie 14 Jahre alt ist, ziehen
die Libeskinds zurück nach
New York, der größten jüdischen Stadt außerhalb Israels:
„Plötzlich konnte ich Jüdin
sein, aber nicht mehr richtig
Deutsche,“ erinnert sie sich.
Rachel plant zunächst, in Harvard Religionswissenschaften
zu studieren, entdeckt aber
schnell, dass Visual Arts das
Richtige für sie ist. Sie
schließt ihr Studium mit
„cum laude“ ab. In der Kunst
ist sie zu Hause, mehr als an
einem geografischen Ort.
Oft reißt sie aus den Fotos ihrer Collagen die Gesichter
aus. „Wenn du das Gesicht heraustrennst, werden die Figuren Archetypen. Gesichter
sind limitierend.“ Für eines
ihrer Werke hat sie das Jahrbuch einer katholischen Jungenschule aus dem Jahre 1948
auseinandergenommen und
in einer Pyramide angeordnet. Es ist teil einer Solo-Ausstellung in der Galerie „Hansel and Gretel Picture Garden“. Die Bilder hat sie wie so
oft auf dem Sperrmüll gefunden. „Das ist ein Totem der
Männlichkeit. Mein MännerTannenbaum. I love it!“ In der
Ausstellung gibt es jede Menge Föne in kleinen ulkigen
Koffern, sogar ein Exemplar
aus der DDR. Sie sammle diese Dinge. „Das ist wie Polly Pocket für große Mädchen. Total sexy und ziemlich phallisch.“ Auf einem Stuhl thront eine kleine 3-D-Skulptur ihres
Kopfes. „Irgendwann mache ich mal ganz viele
davon. Und dann gehe ich durch das Metropolitan Museum und stelle neben jede männliche Figur einen kleinen Kopf. Da gibt es überhaupt keine Skulpturen von jüdischen Frauen. Das muss
sich ändern.“ Gerade ist sie aus Miami zurückgekehrt, wo sie das Bühnenbild für die Poulenc
Oper „La Voix Humaine“ entworfen hat. Man
kann sich darauf einstellen, dass man ihren Kopf
in der Kunstszene noch oft sehen wird.
Heimat ist
unterwegs
zu sein
In der Kunst findet Rachel
Libeskind ihr Zuhause. Huberta
von Voss traf auch sie im Big
Apple, Jürgen Frank fotografierte
JÜRGEN FRANK; RACHEL LIBESKIND
E
ine junge Frau ist umringt
von alten Koffern, die wie
kleine Planeten um sie herum gravitieren. Sie ist
schneeweiß gekleidet. Wer
reist, sieht weniger makellos
aus. Die Haare mädchenhaft
zurückgebunden, wirken ihre eiligen Bewegungen wie der Versuch, auszubrechen. Aus den Koffern kippen rote Bücher ins
Jenseits der Umkreisung. Als fielen sie aus der
Zeit. Die Schwerkraft der Ordnung, die Logik der
Dinge, scheint außer Kraft gesetzt. In einem Koffer verbirgt sich eine absurde Anzahl von Gläsern. Sie erinnern – vielleicht – an die Feste der
Vergangenheit. Nun werden sie ausgepackt und
wirken absurd. Den Ort, an dem man feierte, gibt
es nicht mehr, nur den Menschen, der um seine
Erinnerungen ringt.
Als die New Yorker Mixed Media- und Performancekünstlerin Rachel Libeskind „The Traveling Bag“ vergangenen Sommer in einem Renaissance Palast auf dem Kulturfestival in Spoleto
aufführte, kam danach ein junger Iraner zu ihr.
Sein Großvater sei über Nacht mit einem Koffer
vor der iranischen Revolution geflohen. Der ganze Koffer sei voller Porzellan gewesen. Bei der
Ankunft in Amerika war alles kaputt. „Man kann
sein Leben nicht einpacken und mitnehmen“,
sagt die 25-jährige Künstlerin und nimmt einen
Schluck von ihrem Latte macchiato. Die Sonne
fällt durch die Fenster der „Brooklyn Roasting
Company“ in Dumbo (Down under the Manhattan Bridge Overpass). Nirgendwo ist der Blick auf
Manhattan so überwältigend. Wenn Libeskind ihre Performance im Frühjahr im legendären Chelsea Hotel wiederholt, der untergegangenen Heimat so vieler Bohemiens, werden wieder Menschen auf sie zukommen, die ihre eigene Geschichte von Verlust und Neubeginn erzählen.
Als Rachels Großvater beschloss, vor den Deutschen von Polen nach Russland zu fliehen, packte
er einen Koffer voller persönlicher Dokumente
und vergrub ihn notgedrungen am Straßenrand.
Nach dem Krieg kam er aus Stalins Gulag zurück.
Seine acht Geschwister und ihre Familien waren
vom Erdboden verschwunden. Seine Stadt gab es
nicht mehr. Der Ort des Koffers war unauffindbar. „Vielleicht hat es diesen Koffer nie gegeben.
Vielleicht war er eine Metapher. ,Wenn du gehen
willst, lass dich nicht aufhalten‘, hat er oft zu mir
gesagt,“ erinnert sie sich. „Travel lightly“ wird das
auch auf Englisch genannt. Ihr Vater, der Star-Architekt Daniel Libeskind, hat das Konzept verinnerlicht und reist fast immer nur mit Handgepäck, um seine vielen Bauprojekte weltweit zu
managen. Fast magisch ziehen seine Tochter heute all jene Objekte an, die Menschen zurücklassen, weil sie weiterziehen.
Man kann sich ohnehin schwer vorstellen, dass
Rachel Libeskind sich von irgend etwas aufhalten lässt. Vielleicht liegt das an der frühen Erfahrung einer gewissen Ortlosigkeit. Geboren in
Mailand, aufgewachsen mit zwei Brüdern in einer innigen jüdischen Familie in Berlin. Tochter
einer starken Mutter, deren Vater David Lewis ein
herausragender kanadischer Sozialist war und
die seit Anbeginn das heute global agierende Studio Libeskind leitet. Tochter eines Holocaust
Überlebenden, der von Polen über Israel in die
Bronx kam, eine öffentliche Schule für Hochbegabte besuchte und zu dem Baumeister wurde, in
dessen Räumen Geschichte nachfühlbar wird.
Ein deutsches Kind auf Zeit, das es schrecklich
fand, wenn Eltern von Klassenkameraden Sätze
sprachen wie: „Oh, Libeskind –das ist aber ein interessanter Name. Woher kommt der denn? Ach,
Schön und rastlos: Die Künstlerin Rachel Libeskind in New York
(oben) und eine ihrer Collagen (rechts)
57
RPBW (1); NIC LEHOUX/WHITNEY MUSEUM (2); MAX MARA WHITNEY BAGDESIGN BY RENZO PIANO BUILDING WORKSHOP (5); LAIF
1. Eigentlich sollte das Whitney Museum nur eine Erweiterung bekommen. Nachdem die aber nicht ausgereicht hätte, segnete New York 2007 die
ersten Entwürfe Renzo Pianos für ein neues Gebäude ab. 2. An ihnen orientierten sich auch Pianos Entwürfe für die Whitney Bag 3. Metallelemente
wie an der Museumsfassade geben der Tasche ihren speziellen Look 4. Die große Terrasse verläuft parallel zum High Line Park 5. Nur 250 nummerierte Exemplare wird es von Pianos Whitney Bag geben 6. Was einst nur als Modell existierte, ist nun fertig: Am 1. Mai öffnet das neue Museum
seine Pforten 7. Im Design verbunden: Das Linienmuster der Whitney Bag... 8. ...und jenes des Whitney Museums 9. Das fertige Sammlerstück
PRODUKTARCHITEKTUR
Whitney trifft
Whitney
Wenn Kunst über sich hinauswächst, kann es
schon eng werden. Renzo Piano entwarf daher
den neuen Standort für das stetig wachsende
Whitney Museum in New York. In Kooperation
mit Max Mara gestaltete er gleich noch die
passende Tasche dazu
58
D
ie Mode ist ein divenhaftes Wesen. Sie genügt sich
häufig selbst – und wenn sie sich doch in Gesellschaft
begibt, dann nur in jene, die ihr ebenbürtig ist. Schon
mehrmals hat sie sich auf eine Liaison mit der Kunst
eingelassen, sogar von ihr profitiert. Nun macht ihr
eine andere Kreativform die Aufwartung: die Architektur. Am 1. Mai eröffnet in New York der neue Standort des Whitney
Museum für Amerikanische Kunst. Gebaut nach den Entwürfen des Architekten Renzo Piano. Mehr Platz musste her – 20.000 Quadratmeter
insgesamt. Im Meat Packing District, gelegen zwischen Hudson River
und High Line Parkanlage, öffnet es seine Pforten. Das italienische Modelabel Max Mara geht den Flirt mit der Baukunst ein und bringt anlässlich der Eröffnung eine Sonderedition ihrer beliebten „Whitney Bag“
heraus. Renzo Piano übernahm die Gestaltung und blieb sich dabei
treu: „Unser Ziel war es, einige der charakteristischsten Elemente des
Museums Projekts – die Fassade – auf die Tasche zu projizieren: geometrisch angeordnete Streifen, die die Außenseite umschließen.“ Auf der
entstandenen Tasche finden sie sich in lederner Form wieder. Neben
den klassischen Farben Schwarz, Bordeaux und Beige wird es eine
Sammleredition mit 250 Exemplaren in einem hellen Blaugrau geben.
Die Farbe erinnert an das leicht bläuliche Licht, was durch die vielen
Fensterfronten in das Museum fällt. So wolle der Architekt eine Verbindung zwischen dem Museum und seiner Umgebung schaffen. Vier Monate tüftelte Renzo Piano gemeinsam mit dem Team von Max Mara an
seiner Interpretation der Whitney Bag. Fast acht Jahre dauerte seine Arjhi
beit am Museumsbau. Sehen lassen können sich beide Resultate.
A
ls Kind hat er am Flughafen
mit
seiner
Schwester gern ein Ratespiel gespielt: Aus
welchem Land kommt
der Passagier? Frauen
mit Birkenstock-Schuhen waren ganz klar aus Deutschland. Menschen in Jogginganzügen aus den USA. Seit
2002 lebt Andrew Bolton selbst mitten unter
den Verfechtern des Casual-Looks und ist modisch doch ganz Brite geblieben. Der Kurator
am „Costume Institute“ des Metropolitan Museums fällt mit seinen eng anliegenden Hochwasser-Anzügen selbst im modeverliebten
New York auf. Sein Erfolg ist messbar, auch an
der Kasse: Knapp 700.000 Menschen sahen
„Savage Beauty“, die Hommage an Alexander
McQueen. Auch die Folgeausstellung des studierten Anthropologen „Punk: Chaos to Couture“ fand viele Fans. „Superheroes: Fashion&Fantasy“ sahen 2008 mehr als eine halbe
Million Besucher. Wie der 1966 geborene
Engländer mit der unbekümmerten Art eines
großen Jungen die konservativen MuseumsFinanziers der Upper East Side zu gewagten
Experimenten zu verführen weiß, versteht
am besten, wer ihm begegnet. Humorvoll, in-
kommt ein etwas exzentrischer Brite und
bringt alles durcheinander. Wie kam das bei
den Kollegen an?
Ich denke, ich habe ihre Geduld ziemlich strapaziert. Ich hatte zum Beispiel die Idee, mich
in einer der kleinen Buddha-Galerien auf Mao
zu konzentrieren. Mao ist fast zu einer Gottheit in China aufgestiegen und ich wollte auf
die sich verändernde Natur des Göttlichen
hinweisen. Mein Plan war, etwas von dem chinesischen Künstler Sui Jianguo dorthin zu
stellen, dessen Skulpturen wie gigantische
Mao-Jacken aussehen. Eine davon steht zum
Beispiel auf dem Times Square in Hongkong.
Mao ist jedoch immer noch eine sehr umstrittene Figur. Die Kollegen waren beunruhigt,
ihr eigenes Publikum zu verprellen und wollten keine religiösen Gefühle verletzen. Ich
hab den Kampf verloren, aber das ist in Ordnung. Mir waren einfach diese Sensibilitäten
nicht so bewusst, aber man lernt nie aus.
Nun erzählen Sie auch von einem Ihrer Siege.
Es wird einen Bambus-Wald aus Plexiglas geben, durch deren einzelne Stangen wir LEDLicht schießen! Ich wollte dem Thema Martial
Arts, also den Kampfkünsten, in Film und Mode Raum geben. Das ist so ein wichtiger Teil
sonders in Design und Mode. Allerdings ist
die Kunstwelt noch nicht so durchlässig und
hält eher an ihren eigenen Stereotypen fest.
Wenn man später auf die ersten Jahre des
neuen Jahrhunderts zurückblickt, wird man
vermutlich feststellen, dass der Minimalismus der 1990er-Jahre abgelöst worden ist
von Pluralität.
Der chinesische Filmemacher Wong Kar Wai
wird als künstlerischer Leiter Filme in die Ausstellung einbinden.
In unserer China-Ausstellung ist Film so
wichtig, weil das die Linse ist, durch die Designer China sehen und begreifen. Er ist wie
ein Filter zwischen Objekt und Mode.
Sie sind als junger Mann durch Asien gereist
und waren jetzt wieder viel dort. Was hat sich
verändert?
Vor allem meine eigene Fähigkeit, Dinge
wahrzunehmen. Ich war damals sehr jung,
gerade mit der Uni fertig und wollte einfach
möglichst viel sehen. Das ist mir aber emotional nicht besonders nahe gegangen. Bevor ich
jetzt wieder hingefahren bin, haben mich alle
vor dem Smog gewarnt. Ich fand ihn herrlich!
Er gab Peking diese dunstige Schönheit.
AUSSTELLUNG
„Wir müssen etwas Neues erzählen“
Andrew Bolton inszeniert im New Yorker Metropolitan Museum eine Ausstellung über den Einfluss Chinas auf die Mode
telligent und hinreichend exzentrisch ist eine
Mischung, die im Big Apple beliebt ist. Außerdem schätzt diese Stadt Powerpaare und sein
Partner ist der Designer Thom Browne. Nun
tritt Bolton mit einer neuen Ausstellung an:
„China through the Looking Glas“ (China unter der Lupe). Kaum ein namhafter Designer
hat sich nicht im Reich der Mitte bedient. Die
Roben von Cristobal Balenciaga, Dries Van
Noten, Vivienne Westwood, Dior und zwei
Dutzend anderen werden ab dem 4. Mai für
drei Monate zusammen mit asiatischer Kunst
gezeigt. Wir trafen Andrew Bolton zum Gespräch in der vornehmen Patrons Lounge des
Museums.
Über China reden zwar alle, aber das konkrete
Wissen ist gering. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?
Es geht uns vor allem darum zu zeigen, wie
sich westliche Designer von der Bild- und
Symbolsprache Chinas haben inspirieren lassen. Ein Kurator muss natürlich sein eigenes
Narrativ entwickeln, damit die schiere Bandbreite des Themas den Besucher nicht erschlägt. Ich glaube, dass jedes Kleidungsstück
ebenso wie jeder Gegenstand eine Geschichte
erzählt. Und diese Geschichte will ich herauspräparieren. Ich habe mich zunächst erst mal
mit den Objekten unserer asiatischen Sammlung beschäftigt – die asiatische Abteilung unseres Museums feiert dieses Jahr übrigens ihr
hundertjähriges Bestehen. Dann habe ich
über Monate hinweg Bilder ausgedruckt und
sie alle an die große leere Wand meines Büros
geheftet. Wir haben sie im Büro The Great
Wall of China getauft.
60
Vermutlich blieb die Asiatische Abteilung in
den vergangenen 100 Jahren von derartig unkonventionellen Ideen verschont. Und dann
des China-Bildes, sowohl als eigene Romantisierung vergangener Jahrhunderte wie auch
als exotische Projektion des Westens.
Wie würden Sie den Stil einflussreicher Chinesinnen beschreiben?
Das hängt von ihrer gesellschaftlichen Rolle
ab. Frauen wie Madame Wellington Koo oder
Madame Chiang Kai-shek ähneln Jackie Kennedy. Sie benutzen Mode als politisches Werkzeug, um ihre nationalen Ideen und ihre Identität auszudrücken. Die Schauspielerin Gong
Li trägt gern Sachen, die betonen, dass sie
Chinesin ist, zum Beispiel trug sie auf dem roten Teppich etwas aus Tom Fords letzter Kollektion für Yves Saint Laurent, die von China
inspiriert war. Auch Li Bing Bing macht das.
Sie interpretieren die westliche Orientalismus-Faszination und projizieren sie in den
Westen zurück. Das ist sehr clever.
Traditionelle ethnische Einflüsse sind ein fester
Bestandteil westlicher Modekollektionen.
Die Kollektionen setzen kulturelle Symbole in
Schneiderkunst um und fossillieren, versteinern die Kultur in gewisser Weise. Manche
haben mich im Vorfeld der Ausstellung gefragt, warum ich das heutige China nicht einbeziehe. Und ich frage zurück: Was wäre das
denn aktuell, das Typische? Und die meisten
haben darauf keine Antwort. Das letzte aussagekräftige Kleidungssymbol Chinas war der
Mao-Anzug. Davor gab es das Mandschu Gewand, und Xi Pao-Kleider im Suzie-Wong-Stil.
Solche Symbole sind fast so etwas wie die Steno-Schrift einer Kultur.
Bedauern Sie, dass die Globalisierung in der
Mode das Besondere einer Kleidertradition
verschwinden lässt?
Die Grenzen verschwinden wirklich, ganz be-
Was hat Sie am positivsten überrascht?
Die modernen Zeiten sind nicht mehr aufzuhalten, aber es gibt eine sehr, sehr tiefe Wertschätzung für die eigene Kultur und Traditionen in China, und das nicht nur bei der gut
ausgebildeten Elite. Das ist sehr schön.
Die Ausstellung wird von Yahoo gesponsert,
die damit ihr Style-Magazin promoten wollen.
Gibt es etwas, was Sie von den Internet-Giganten lernen können?
Diese Firmen haben es geschafft, einen globalen Durst nach Mode zu kreieren. Es gibt
auch viel mehr oberflächliches Wissen über
Mode. Das fordert uns heraus. Wir müssen etwas Neues erzählen.
Wenn Sie einen neuen Beruf wählen würden,
was wäre das?
Psychoanalytiker. Ich wollte schon immer eine Ausstellung über die freudianischen
Aspekte von Mode machen. Mode sagt so viel
über uns aus.
Was sagen in Zeiten von „Fifty Shades of Grey“
Bondage-Teile über uns aus?
Manchmal ist Mode eine Reaktion gegen eine
dominante Strömung. In den 30er-Jahren
stand die Welt vor dem Zweiten Weltkrieg,
aber die Mode war romantisch. Schiaparelli
hat etwa nach dem Krieg nicht mehr dieselbe
Mode wie vorher machen können. Mode ist
oft von Eskapismus und dem Leugnen von
Realität geprägt. Während der Industrialisierung kam dann wiederum ein ländlicher
Schäferinnenstil zurück. Angst und Mode
HvV
hängen eng zusammen.
Die Ausstellung „China through the Looking Glas“
läuft vom 5. Mai bis 16. August im Metropolitan Museum in New York
JÜRGEN FRANK; COURTESY OF THE METROPOLITAN
MUSEUM OF ART, PHOTOGRAPHY/PLATON (4)
Als Brite in New York kann er sich eine Clubkrawatte zu Jeans leisten: Kurator Andrew
Bolton blickt auf viele erfolgreiche Ausstellungen im Met Museum zurück. Sein aktuelles
Thema ist der Einfluss Chinas auf die Mode
61
Die aktuelle Sommerkollektion von Dries Van Noten (oben)
und eine Installation in der Ausstellung (daneben)
Gemälde von Yves Klein (oben)
und Kees van Dongen (unten)
dienten Dries Van Noten (rechts)
unter anderem als Inspiration.
Die peruanische Totenmaske
(darunter) ist ein weiteres Ausstellungsobjekt
Blumen sind wichtige Inspirationsquellen für
den Designer. Die Ausstellung widmet sich dem
Thema sogar mit einer eigenen Abteilung.
Darüber: ein Look aus der kommenden Herbst-/
Winterkollektion
AUF DEM PODEST
Sanfte Revolution
In seiner Museumsausstellung „Inspirations“ zeigt der belgische Designer Dries Van
PICTURE ALLIANCE(2) ;CENTRE POMPIDOU,MNAM-CCI,DIST. RMN-GRAND PALAIS / CHRISTIAN BAHIER / PHILIPPE MIGEAT; YVES KLEIN / ADAGP,PARIS 2015; DPA DEATH MASK,PERU,BETWEEN 900 AND 1100,
COLLECTION PAUL & DORA JANSSEN,MAS © KUNSTEN & ERFGOED VLAANDEREN,PHOTO: HUGO MAERTENS; DRIES VAN NOTEN AW 97/98,PHOTO: KURT DE WIT;KOEN DE WAAL 2015; ETIENNE LAURENT; MONTAGE ICON
Noten seine schönsten Kleider – und was ihn beim Entwerfen beeinflusst hat
M
ode im Museum ist
schwieriger, als man
denkt. Jedes Kleid wird
als Kunstwerk inszeniert, schnell wird die
Schau zum Pantheon
der Eitelkeit. Der belgische Designer Dries
Van Noten hat das vermieden. Seine Ausstellung „Inspirations“ war 2014 in Paris zu sehen
und dieses Frühjahr ist sie, leicht adaptiert, in
seine Heimatstadt Antwerpen, ins örtliche
Modemuseum gezogen. Neben eigenen Entwürfen zeigt er Kleider anderer Designer wie
die von Chanel, Thierry Mugler, Schiaparelli,
Balmain und Dior. Und legt seine zahlreichen
Inspirationsquellen offen: Filme, Popmusik
und immer wieder alte und neue Kunst. Zwischen der Mode hängen Arbeiten von Picasso,
Mark Rothko, Elizabeth Peyton, Damien Hirst.
Diese Kombination ist ebenso offenherzig wie
einleuchtend: Das Talent von Dries Van Noten,
unterschiedlichste Quellen zu seiner eigenen
Vision zu verarbeiten, wird offenbar. Und die
Mode zeigt sich als das Experimentierfeld, das
sie im besten Falle ist. Wir treffen den Designer am Mittag nach seiner Ausstellungseröffnung zum Mittagessen in seinem Stammlokal
„Hungry Henrietta“. Es gibt Fisch.
Eine Ausstellung ist auch eine Art Bilanz. Wie
sind Sie mit Ihrer eigenen Vergangenheit umgegangen?
Das ist wie in einem Raum mit vollgestopften
Beuteln. Man macht sie auf und weiß nicht genau, was einen erwartet. Warum dieser
Schnitt? Warum diese Farbkombination? Auf
einmal sieht man die eigene Arbeit mit anderen Augen. Viele meiner Mitarbeiter waren
noch gar nicht geboren, als ich bestimmte
Kollektionen entworfen habe. Oft war es so,
dass diese Mitarbeiter genau die Sachen besonders interessant fanden, von denen ich
eher peinlich berührt war.
Wie gut ist Ihr Archiv ausgestattet?
In den frühen Jahren konnten wir es uns
schlicht nicht leisten, die besten Teile zu behalten. Was wir hatten, tauschten wir mit den
Models, Künstlern und Fotografen. Wir hatten
eine wunderbare Skulptur von Anish Kapoor,
die genau richtig zu einer meiner Kollektionen gepasst hätte. Aber ich besitze aus ihr nur
noch einen Unterrock und einen Rock – und
ich glaube, im Fashion Institute of Technology
gibt es noch ein Kleid. Wir haben im Internet
gesucht, aber die Sachen waren einfach zu oft
getragen. Was ja irgendwie auch ein Kompliment ist. Erst ab 1995 konnten wir die Kleider
aufheben, die uns wichtig waren.
Warum ist es der richtige Moment für eine Museumsshow?
Eine Retrospektive hätte ich nicht gemacht.
So weit bin ich noch nicht. Ich will meine Le-
bensgeschichte nicht erzählen, denn ich bin
vielleicht erst auf der Hälfte des Weges. Die
Idee allerdings, meine Mode zu kombinieren
mit dem, was sie inspiriert hat, fand ich sofort
reizvoll. Und es gibt noch einen ganz praktischen Grund: Meine Firma hat jetzt genug
Geld, ein Team auf so ein Projekt anzusetzen
und daran zu arbeiten, bis es perfekt wird.
Wenn ich etwas mache, will ich Perfektion.
Wir haben in den vergangenen zwei Jahren
keinen neuen Laden aufgemacht, weil wir an
der Ausstellung gearbeitet haben.
Waren Ihnen die Einflüsse und Inspirationen
klar, als Sie die Mode entworfen haben?
Nicht immer. Der Film „Das Piano“ zum Beispiel war tatsächlich Ausgangspunkt für eine
meiner Kollektionen: die dunkle Stimmung,
der viktorianische Stil. Aber die Kollektion
mit den Schmetterlingen haben wir gemacht,
bevor Damien Hirst das Schmetterling-Bild
erschaffen hat, das Sie in der Ausstellung daneben sehen.
Haben Sie im Laufe der Jahre Ihre Interessen
verändert?
Das passiert ganz automatisch. Zeitgenössische Kunst hat am Anfang keine so große Rolle gespielt. Eher fremde Länder und Musicals.
Und natürlich Popmusik. Das Tolle an der Modeschule und den Jahren direkt danach, als
ich mit Walter van Beirendonck und Ann Demeulemeester abhing: Sie lernten von mir, ich
lernte von ihnen. Walter stand auf Punk und
David Bowie, Ann auf Patti Smith.
Und was haben Sie denen beigebracht?
Die Balance zwischen Kitsch und Kunst. Mir
ging es immer darum, an die Grenze zu gehen.
Es gibt dieses Foto von Ihnen, Walter und Ann,
wie Sie sich fertig machen, um auf ein AdamAnt-Konzert zu gehen ...
Ich trage ein T-Shirt aus meiner Abschlusskollektion mit einem Aufdruck in Frakturschrift.
Ein Bibeltext.
War das Ihre Rebellion gegen Ihre streng religiöse Erziehung?
Na ja, eine ziemlich sanfte Revolution. Es ging
mir mindestens genauso um den Look.
Macht eine Museumsausstellung eigentlich älter oder jünger?
Weder noch. Ich fühle mich jedenfalls nicht
musealisiert. Wir behaupten nicht: Unsere Arbeit ist Kunst. Deswegen wollte ich die Kleider auch an Puppen mit Armen, Beinen und
Köpfen hängen sehen.
Was haben Sie über Ihre eigene Arbeit gelernt?
Ich sehe neue Verbindungen. Ich kapiere, dass
manche Dinge besser altern als andere. Und
auf einmal wird alles, woran ich gearbeitet habe, eine Einheit. Auch alte, vermeintlich über-
holte Dinge ergeben immer noch Sinn. Die indische Kollektion haben wir gemacht, als Jil
Sander und Helmut Lang die Modewelt dominierten. Alles war weiß, schwarz und beige.
Meine Farben müssen damals ziemlich schockierend gewesen sein.
War das Ihre Absicht?
Na ja. Meine Absicht war es nicht zu schockieren. Es geht mir nie darum, einfach nur anders zu sein.
Ein besonders schönes Teil in der Ausstellung
ist ein leichter, weißer Baumwollparka, der
über und über mit Stickereien bearbeitet ist.
Das wirkt fast wie eine Kruste.
Wir wollten einen 3-D-Effekt. Pailletten über
Pailletten wurden übereinander gestickt, aber
auf einem ganz normalen, simplen Stoff. Dieser Kontrast war uns wichtig.
Breitet sich nach einer Ausstellung eine kreative Leere aus?
Mein Lebenspartner Patrick lacht drüber, aber
nach jeder Kollektion habe ich diese postnatale Depression. Bei dieser Ausstellung ist das
auch so. An dem Wochenende nach der Eröffnung will ich nur meine Ruhe. Ich will die
Zeitung lesen – und zwar eine Zeitung, in der
kein Interview mit mir drin ist.
Man sieht bei „Inspirations“ auch Aggression
und Provokation – von den Sex Pistols bis zum
wüsten Atelier des Malers Francis Bacon. Ist
das Bild vom Romantiker Dries Van Noten ein
Missverständnis?
Mode wird oft nicht ernst genommen. Man
sieht Blumen und Farben und glaubt: das
war’s. Aber Schönheit hat immer auch eine
dunkle Seite. Man muss nur das eigene
Gleichgewicht finden.
Sie zeigen die Mode anderer Designer, Kunst
von Picasso, Rothko und Elizabeth Peyton und
haben den japanischen Fotokünstler eine Blumentapete für die Ausstellung machen lassen.
Haben Sie nie Angst gehabt, Ihre Arbeit könnte
überstrahlt werden?
Ich habe nie Angst vor Überdosierungen.
Wenn man Dinge wirklich übertreibt, werden
sie wieder neutral.
Sehen Sie sich selbst in Ihren Entwürfen?
Nein. Ganz am Anfang macht man das. Aber
sehr schnell habe ich verstanden: Das funktioniert nicht. Dann würde die Marke und die
Kunden mit mir älter werden.
Es wurde zuletzt viel darüber geschrieben, dass
in der Männermode die Geschlechterrollen infrage gestellt werden.
Für mich ist ein Rock keine Frauenkleidung.
Schauen Sie sich in der Welt um. Die Hälfte
der Männer läuft in Röcken herum.
Adriano Sack
63
NEUE MÖBEL
Spot on:
Leuchte „Focus“ von Antje
Pesel (Salone Satellite)
Luftballons – mundgeblasen aus Muranoglas.
Lüster von Emmanuel Babled
Marble-ous: „Greeny“ heißt
der neue Esstisch mit Marmorplatte von Bonaldo
Im Palazzo Litta zu sehen: Das
Besteck von Gae Aulenti (19292012) ist Teil der Ausstellung
Design Memorabilia
Sport vorm Badezimmerspiegel:
Fitnessgerät von Boffi
Knirps ohne Kabel:
Tischleuchte
„Battery“ von Kartell
Einen Blick voraus
Bevor die Möbel-Neuheiten auf dem Mailänder Salone
del Mobile gezeigt werden, hat Esther Strerath für uns
die Wohn-Trends schon mal herausgesucht
Made in Brasil:
Stahlsessel aus der
Kollektion von
Sammler Waldick
Jatobá
Schräg schön: MiniRegal des Studios
„Nendo“ für Moroso
Angesagt sind Schränke auf
Augenhöhe: „Cabinet“ von XAM
In memoriam: Cassina
gedenkt Le Corbusier mit
Skulpturen, die auch Tisch sein
können, von Jaime Hayon
Noch ein Brasilianer: Stuhl aus
Stahl von Waldick Jatobá
Knospengleich:
gläserne Leuchten
von Maija Puoskari
(Salone Satellite)
Jetzt wird wohl gerade ausgepackt. Das Sofa. Der Stuhl. Die Lampe.
Teppich, Tisch und Tafelsilber. In diesen Tagen ist alles angekommen
– aus Brasilien, Barcelona und Berlin, aus mehr als 160 Ländern insgesamt. Noch zwei Tage, dann öffnet der Salone del Mobile in Mailand
seine Pforten, wird in verschiedenen Stadtteilen ‚So-Noch-Nicht-Dagewesenes’ gezeigt. Ab dem 14. April platzt an Hunderten Ständen auf
der Messe, in Shops, umfunktionierten Lager- oder Fabrikhallen, in
Museen und Galerien, in schrammeligen und schicken Locations die
„Top Secret“-Blase, die große und kleine Möbelhersteller, berühmte
und aufstrebende Designer bis dato so gehütet haben. So zum Beispiel im Palazzo Litta, dem prächtigsten Barockpalast der Stadt (von
1648). Hier wird unter goldenen Decken unter anderem Möbeldesign
aus Brasilien vorgestellt, Entwürfe einer neuen Generation, die traditionelles Handwerk mit innovativen Technologien verbindet, wie etwa bei einer geflochtenen Liege oder einem Lounge-Sessel, der per
Lasercut gefertigt wurde. Die gleiche Philosophie vertritt im Übrigen
auch der französische Designer Emmanuel Babled, dessen Kugelleuchten wie Luftballons unter die Decke gestiegen zu sein scheinen
und der den traditionellen Methoden Zukunftsvisionen injiziert. Und
darum geht es auch im Design-Distrikt Ventura Lambrate, wo Technologie in einer Sonderausstellung an erster Stelle steht und wo „Möbel gezeigt werden, die ohne menschliches Eingreifen geformt werden, die kreativen Möglichkeiten des 3-D-Druckens entdeckt werden
und eine niemals gesehene Kombinationen zweier komplett verschiedener Glasblase-Techniken gezeigt wird“, so die Organisatoren.
Ess- oder Arbeitstisch:
„In Vein“ aus Marmor, Metall
und mit LederschlaufenBeinen von Ben Storms
64
Weiche Liege: Daybed in MarmorOptik von Maurizio Galante und
Tal Lancman von Baleri Italia
Himmelbett modern:
„Letti“ von XAM
Sieht aus wie ein
Ohrring: HängeSessel von Lee Broom
Blumig: Noch nur Entwurf,
bald eine Vase aus der
Oggetti Smarriti-Linie von
Mario Trimarchi.
Übrigens: Im Hintergrund
sehen Sie Originalskizzen
der Designer
STUDIO POINTER; ISABEL ROTTIERS; CARLO LAVATORI; MONTAGE ICON
Kein Farbklecks,
sondern eine
Leuchte: von Lucidi
di Pevere
für Foscarini
Einen Blick in die Zukunft wirft auch Jaime Hayon für Mini. Seine
Idee: Weil wir unsere Autos zunehmend am Stadtrand parken werden, benötigen wir einen zusammenklappbaren Elektroroller für urbane Bewegungsfreiheit. Um ihn wirklich „hayonic“ aussehen zu lassen, hat sich der verspielt-verrückte Spanier eine Variante in Aluminium, Kupfer und Leder sowie eine andere mit schillernden Mustern
à la Op-Art und Zebra ausgedacht, Jacke und Helm inklusive. Boffi
schlägt vor, im Bad erst zu schwitzen und zwar am besten vor einem
Spiegel, der gleichzeitig Turngerät ist. Die Designer Alessandro Andreucci und Christian Hoisl haben sich „Origin“ ausgedacht, die moderne Sprossenwand für Fitnessstudio-Verschmäher .... Weiter nördlich, auf dem Messegelände, wird Cappellini seine „Tischlein versteck
Dich“-Hocker-Kombi enthüllen, die Antonio Facco „Anemo“ taufte
und die wie ein Monolith wirkt. Thonet traut sich an ein knuffiges Ledersofa und Baleri Italia kontert den immer noch ansteigenden Trend
zu Naturstein mit gemütlichem Marmor-Look: „Mies visits Carrara“
heißt die Liege aus Schaumstoff, die van der Rohe eigentlich einmal
in Stahlrohr und Leder erdacht hatte. Und dann ist da noch der große
Abenteuerspielplatz, der „Salone Satellite“, der in diesem Jahr 18-jährigen Geburtstag feiert und die Arbeiten von 700 Jung-Designern
ausgewählt hat. Darunter Studio Avni aus Mumbai, das getragene Saris zu Hockern und Poufs upcycelt und Maija Puoskari, die sich von
Seen und Bergen ihrer Heimat Finnland zu einer Spiegelserie hat inspirieren lassen. Sie wollte so „Kunst mit Funktion“ gestalten, erklärt
sie. Das ist übrigens auch ein Trend.
Cooles Design aus Tschechien: Schreibtisch von Lucie Koldová für Křehký
Kurvig und leicht:
„Pegasus“ von
NachwuchsDesigner Andrea
Borgogni
Kunst zu Füßen: Woll-Seiden-Teppich
von Federico Pepe für CC-Tapis
Alle Fünfe: kesser Couchtisch mit vier
Hockern-Kombination von Cappellini
Zukunftsmusik: Noch ist das
Sofa „Giubba“ ein Prototyp
von Andrea Borgogni
Hock dich: Modell aus der
„Chamki Totem“-Serie von Avni
Diagonale als
Holzrelief: Sideboard von Emmanuel Babled
Smartie-gleich: Die Schälchen von
Ettore Sottsass sind ein Beitrag zur
Ausstellung Design Memorabilia
Zierlich: Couchtisch
von den dänischen
Design-Geschwistern Frier & Frier
Doppeldecker: ein Entwurf
von Jung-Designer
Christoph Friedrich Wagner
Schrank, Bett, Garderobe in
einem: Idee des belgischen
Studio Fragmenture
Bugholz(sofa)
auf Kuschelkurs:
„2002“ ist ein
Entwurf von
Christian Wagner
für Thonet
65
Für draußen: Das wasserabweisende Modell
„Butterfly“ hat Patricia Urquiola für B&B Italia entworfen
MADE IN ITALY
Lebenslänglich
Dolce Vita
Die Brüder Minotti führen ihr
Unternehmen mit einer typisch
italienischen Mischung aus
Weltoffenheit und Familiensinn.
Ob Sideboard, Stuhl
oder Sessel – die Minotti-Designs sind
unverwechselbar
Andreas Tölke fühlte sich bei ihnen
sofort zu Hause
Das Triumvirat ist eingespielt.
Zwischen Stoffen, Leder und
Zeichenblöcken
haben
sich die Brüder Renato
und Roberto Minotti
mit Rodolfo Dordoni, Architekt und
künstlerischer
Leiter des italienischen Möbelhauses, zum alljährlichen Brainstorming getroffen. Der Termin fällt, wie jedes Jahr, direkt in
die Zeit nach dem Mailänder Salone del Mobile, der wichtigsten Interior-Messe der Welt, und findet im Büro der
Minotti-Zentrale in Meda statt, unweit der italienischen Metropole. Dort geht es zu wie in
einem Modehaus. Die drei Kreativen wühlen
sich durch die neuesten Materialtrends. Und
doch: Es sind Möbeldesigner am Werk, die
über die nächsten Wochen und Monate eine
neue Kollektion entwickeln, um in einem Jahr
erneut bei Stunde null anzufangen.
„Sobald im April unsere neue Kollektion auf
dem Salone präsentiert wurde, sind wir einerseits froh und dankbar für das Feedback – auf
der anderen Seite kommt schon bald eine Art
Unzufriedenheit, die uns antreibt, neue Ideen
zu entwickeln“, beschreibt Roberto Minotti
seine Motivation. Denkt man bei zeitgenössischen Möbelgestaltern an Kreativ-Labore, an
3-D-Design, an Drucker, die vorab Miniaturen
zur Ansicht ausspucken, sind es bei Minotti
ganz konkrete Materialien, Hobel und Späne.
Roberto mag es eher prosaisch. Spricht er
über den gestalterischen Prozess, fallen Vokabeln wie „Harmonie“, „Flow“, „Orchester“ und
„Symphonie“. Kein Wunder, wirken doch die
Objekte des Hauses stets durchkomponiert und repräsentieren dadurch eine ansprechende Art von ästhetischem Gleichklang.
1948 von Alberto Minotti, dem Vater der
Brüder, gegründet, setzte die Firma dem innovativen nordischen Design
den Charme von Dolce Vita
entgegen. Spuren haben die
Nordlichter nichtsdestotrotz
in der Designsprache der Italiener hinterlassen: „Als Architekt und als Unternehmer
werde ich immer die größte
Bewunderung für die Meister
der fünfziger Jahre hegen.
Charles Eames, Mies van der Rohe oder Poul
Kjærholm schufen Objekte und Produkte, die
zu Ikonen wurden und inspirieren bis heute
noch viele zeitgenössische Designer“, erzählt
Roberto, ein ruhiger Mann, dessen optisches
Markenzeichen reinweiße Button-DownHemden sind. Einer der Gründe für den Erfolg ihrer Marke ist die zeitlose Eleganz der
Produkte, die inzwischen vom Sofa bis zur
Bettwäsche reichen. Ein anderer Grund ist,
wie so oft in Italien, la Famiglia – die Familie.
Selbst das jüngste „Mitglied“ Rodolfo Dordoni, der seit 1997 als Kreativdirektor im Unternehmen ist, lebt keine Künstlerallüren aus:
„Für mich ist Freiheit gar nicht so wichtig,
entscheidender ist die Atmosphäre in einem
Unternehmen. Ich möchte glücklich sein,
wenn ich zur Arbeit gehe.“ Ein bisschen von
diesem Glücksgefühl – man darf das ohne
Übertreibung sagen – steckt wohl in jedem
Produkt des Hauses.
Nachdem der Patron die Firma seinen Söhnen
überließ, kamen auch viele seiner langjährigen Mitarbeiter ins Rentenalter. Somit musste
66
Kann ein Coffee-Table
sexy sein? Nur wenn er
so verführerisch glänzt
wie das Modell „Benson“, entworfen von
Rodolfo Dordoni
MINOTTI
D
der Generationswechsel auf vielen Ebenen
bewerkstelligt werden. Exzellente Handwerker zu finden, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Brüder Minotti machten also aus ihrem Familiensinn eine erfolgreiche unternehmerische Strategie: „Wir versuchen immer
die Söhne der wichtigsten Mitarbeiter einzustellen, sodass der Wissenstransfer von Vater
zu Sohn stattfinden kann.“
So entstand über die Jahre ein Unternehmen
mit eigenen Läden in über 70 Ländern, in Metropolen von New York bis São Paulo. Die internationale Präsenz bringt Inspiration:
„Wann immer wir auf Reisen sind, treffen wir
die unterschiedlichsten Menschen, wir besuchen Kunstausstellungen, gehen in Konzerte,
schauen uns die Modekollektionen der wichtigen Designer an, beschäftigen uns mit den
sozialen Medien und deren Einfluss auf
Wohnsituationen“, beschreibt Roberto die
Herangehensweise und ergänzt: „Neugierig
bleiben ist das A und O.“
Bei so viel Input von außen muss Vertrauen in
den eigenen Stil die Basis sein. Ein Stil, der
Trends aufgreift, aber nicht trendy ist. Im Gegensatz zur Mode seien die Möbel des Unternehmens so konzipiert, dass sie zeitlos modern blieben. Ein Stil, der sich auch am Kunden orientiert. Und der erwarte eben auch
Komfort und schätzte, dass jedes Stück ein
Stück Handwerkskunst und zu „hundert Prozent italienisch“ ist.
Die Königsklasse unter den Stücken sind Einzelanfertigungen, die mit dem Kunden gemeinsam entwickelt werden. Der Preis ist in
solchen Fällen selbstredend nebensächlich.
„Ein Sofa begleitet eine Familie bestenfalls
über Generationen. Von daher sind die Ansprüche, die wir bei der Herstellung, an uns
stellen, sehr hoch“, erklärt der Chef, der seit
Jahren mit dem „Jagger Sofa“ der eigenen
Kollektion lebt. Lebenslänglich für ein Sofa,
das heißt auch: ein Design, das sich einfügt in
eine Vita. Im Fall von Minotti muss man wohl
besser sagen: in ein(e) Dolce Vita.
shop online
www.brax.com
alles was zählt.
AUF RÄDERN
Der Schweizer Designer Alfredo
Häberli forscht für BMW über die
Zukunft der Mobilität. Das Motto:
„Präzision und Poesie“. Die Praxis:
Frei und offen. Dörte Welti sah sich
vorab in Häberlis Atelier um
E
68
Es ist eine „Sneak Preview“ –
einer der Termine, bei dem nur
ausgesuchte Journalisten einen
ersten Blick auf das werfen
dürfen, was später die Welt in
Staunen versetzen soll. Treffpunkt ist das Atelier von Alfredo Häberli in Zürich, einer der
berühmtesten Designer der Schweiz.
Das Ziel, auf das hingearbeitet wird,
ist die Vorstellung auf dem Salone
del Mobile, die internationale Möbelmesse in Mailand. Häberli wurde in Buenos Aires geboren und
wuchs nahe der Rennstrecke von
Cordoba auf. In die Schweiz kam er
1977 und schloss die Hochschule für Gestaltung im Fach Industriedesign mit Auszeichnung ab.
Alles, was der Mann anfasst, wird Design. Ob
Möbel, Haushaltsgegenstände, ganze Hotels
oder Schuhe, seine Arbeiten sind wegweisend
und vielfach prämiert. Nur mit Autos hatte es
der 51-Jährige trotz der einstigen Nähe zur
Rennstrecke bisher nicht so. Darum freut es
ihn ganz besonders, dass Karim Habib,
Leiter der Abteilung „BMW Design Automobile“, und Martina Starke, verantwortlich für die Abteilung „Colour &
Trim“, also alles rund um Farben, Stoffe
und Interior-Design im Auto, ihn ausgewählt haben für die vierte Auflage des von
dem Unternehmen ausgeschriebenen Diskurs
mit international renommierten Gestaltern.
Zum Zeitpunkt des Interviews gibt es Entwürfe, kleine Modelle, nichts, was man begehen
oder schon erleben kann. Es ist Ende Januar,
die Deadline scheint noch ewig weit weg.
Häberli hat eine „Carte Blanche“ bekommen. Wenn auch Karim Habib sehr gern
„die Freude am Fahren illustriert“ haben möchte, wie er sagt. Letztendlich überlässt man es jedoch
den Designern, wie sie das
Thema umsetzen. „Präzision und Poesie“, sagt der
Schweizer, der auf Englisch referiert. Emotio-
Womit er galant den Bogen zu seinem vierten
Moodboard spannt, das sich schlussendlich
wirklich um das Fortbewegungsmittel dreht.
Wobei Häberli klarmacht, es müsse am Ende
gar kein Mobil, kein Auto ähnliches Gefährt
herauskommen. Das sei nicht die Idee, und
doch: Die Konturen der Fahrzeuge, die in seinem Kopf herumfahren, beinhalten einen
BMW. Entfernt, aber nachvollziehbar. Die Autobauer wären wohl am Ende auch nicht ganz
so amüsiert, wenn die mehr als sechsmonatige Schaffensperiode für ein derartiges Unterfangen mit extra großer Präsentationslocation
in der „Area Sciesa Tre“ in der Mailänder Via
Amatore Sciesa in einer Installation ohne Autobezug enden würde. Aber die Bayern müssen sich keine Sorgen machen, denn eben
jetzt kommt die Kindheitserinnerung zum
Tragen, Alfredo Häberlis alter Traum, einmal
ein Auto zu entwerfen. Nur bloß nicht zu konkret, eher so wie ein fünftes Element. Aber als
Teil eines Ganzen, das die anderen vier Elemente nicht ignoriert.
Bei Häberli mündet all das in ein für den Laien eiförmiges Gebilde, das entfernt an eine
Mischung aus Hochgeschwindigkeits-Weltrekord-Fahrzeuge und den genialen Lippenstift
von Guerlain mit integriertem Spiegel erinnert. Oder noch eher an ein Segelboot mit geschlossener Kabine und Zusatzfunktion auf
zwei bis vier Rädern. Alfredo Häberli runzelt
die schöne Stirn unter silbergrauem Haar,
nein, diese Assoziationen verraten den Designlaien, obwohl, eigentlich sei ja die Welt
und seien die Gedanken frei und man möge
hineininterpretieren, was das Zeug hält. Das
Thema ist schließlich auch Diskurs und das
heißt immer auch Auseinandersetzung. Der
stellt sich das Team dann in Mailand.
Ist es ein Ei? Ein Lippenstift? Oder ein Hochgeschwindigkeitsauto? Alfredo
Häberli erläutert seine Ideen
ALFREDO HÄBERLI; MONTAGE: ICON
Durch
Zeit
und
Raum
nen, der Faktor Mensch, sinnliche Flächen –
das sei ihm als Erstes in den Sinn gekommen.
Um es zu verstehen, gibt es optische Hilfe in
Form von Moodboards: Collagen aus Eindrücken, aus bereits existierenden Arbeiten, aus
Schnappschüssen und Fundstücken. Er möchte die „Wurzeln“, die Geschichte von BMW
mit einbeziehen, möchte Luxus „heute, gestern, morgen“ auf seine Art interpretieren.
Und er habe sich auch damit auseinandergesetzt, wie wir in Zukunft reisen werden. Alleine? Zu zweit? Mit oder ohne Familie? Öffentlich oder individuell? Dazu muss es Verbindungsstraßen geben, Wege, die sich kreuzen.
Zu Wasser? Zu Land? In der Luft? Viele Fragmente und offen bleibt bewusst auch die Frage, wo sich die „Sphäre“, das Thema des ersten
Moodboards, in der Realität befindet. Alles
scheint zu schweben – wie auch vielleicht das
Auto der Zukunft?
Als nächsten Schritt hat sich der Familienvater für die Studie mit dem Haus beschäftigt,
das sei der erste Ort, an dem man sich wohlfühlt. Er ist fest davon überzeugt, dass man in
Zukunft viel mehr auf kleinem Raum mit weniger Dingen auskommen wird, dafür nur solchen, die einem wirklich was bedeuten. Im
dritten Gedankengang muss es dann auch irgendwie um ein Objekt, ein Gerät, ein Fortbewegungsmittel gehen. Der passionierte Möbeldesigner visualisiert zuerst eine Art Couch,
ein Ort, noch undefiniert, es kann eine Sitzschale sein oder eine Badewanne.
Etwas zum Ausruhen, obwohl man sich fortbewegen will? Karim Habib schaltet sich ein,
denn das Thema der führerlosen Fortbewegung bewegt alle Designer in den Autofirmen
rund um den Globus, also die Idee von selbstfahrenden Mobilen, in denen man tatsächlich
und wenn man es denn möchte auch baden
könnte, während man von A nach B befördert
wird. Erste Versuche sehen vielversprechend
aus, aber noch ist nichts wirklich serienreif.
Alfredo Häberli betont, welch ein Luxus doch
Auszeiten sind und seien sie im eigenen Auto.
e-motion “pure Black”
Die dynamische Silhouette von e-motion „pure Black“ weckt Begehrlichkeiten.
Besondere Faszination übt der maskuline Aluminiumschaft aus,
der mit einer Guillochierung versehen ist: Seine angenehm kühle Haptik
begeistert jeden technikaffinen Liebhaber der Schreibkultur.
www.Faber-Castell.de
Rosshaar ist ein Sammelbegriff für viele
Tierhaare. Daniel Heer verwendet jedoch
nur das edle Schweifhaar vom Pferd
DANIEL HEER (2)
Doch warum fertigt ein junger Mann in Zeiten von Latex-, Kaltschaum- und hochtechnologisierten Vielzonen-Matratzen noch eine
aus Rosshaar? „Alles wird schneller und man
erfindet immer mehr Dinge, um Zeit zu sparen. Ich mache genau das Entgegengesetzte:
Ich investiere in Zeit“, sagt der Schweizer, der
selbst einige Jahre brauchte, bis er den Wert
des Familienhandwerks schätzen lernte.
Schon als Kind hatte er in der Werkstatt gespielt, mit 16 Jahren begann seine Lehre im elterlichen Betrieb in der Nähe von Luzern.
Doch er musste erst etwas Distanz gewinnen,
bis er sich 2007, zum 100-jährigen Jubiläum
der Familientradition, dazu entschloss, das Erbe in Berlin fortzuführen. Diese Zeit der, sagen wir mal: Besinnung, die er in Prag, Warschau, Wien und Berlin verbrachte, nennt er
IN BESTER LAGE
seine Lehr- und Wanderjahre, neun an der
Zahl, von denen er bis heute zehre.
Vergleichsweise lang dauert es auch, bis eine
Rosshaarmatratze fertig ist. Fast vier Tage
braucht er für ein Standardmaß von ein mal
zwei Metern. Rund 2000 Euro kostet das
Stück, das dann aber ein ganzes Leben halten
soll. Daniel Heer selbst schlafe noch immer
auf einer gestreiften Matratze, die sein Großvater einst für ihn gefertigt und sein Vater
noch mal aufgearbeitet hat. Dies sei alle 25
In seinem Berliner Atelier scheint die Zeit stehen geblieben
Jahre nötig. Dann wird die Matratze geöffnet,
das Rosshaar von 43 Pferden, das sind etwa 50
zu sein. Und dann auch wieder nicht. Der Schweizer Sattler Daniel
Kilo, entnommen, aufgelockert, an die Luft
gelegt und am Abend wieder in die Matratze
Heer pflegt eigenwillig ein uraltes Handwerk: Er fertigt Rosshaargefüllt, die meist noch einen neuen Bezug ermatratzen – wie sein Ur-, sein Groß- und sein Vater schon
hält. „Die Matratze ist dann wieder wie neu,
das Haar behält seine Elastizität und Sprungkraft. Das ist die Investition“,
Es ist Inbegriff seines geerklärt Heer. Einmal im Jahr
samten Tuns – das Porträt
sollte man die Matratze zudem
des Urgroßvaters Benein die Sonne stellen, sie regeldikt. Man möchte meimäßig wenden und sie nicht
nen, leicht ironisch und
klopfen, sondern bürsten.
doch wohlwollend blickt
Belohnt werde man dafür mit
der Mann von der Wand
einem besonders gesunden
auf das Schaffen seines
Schlafklima, denn Rosshaar
Urenkels. Über den alten Werkzeugkisten seisei atmungsaktiv, verfüge
ner Ahnen hat Daniel Heer das Gemälde aufüber eine hohe Feuchtigkeitsgehängt – er hat es für diesen Zweck von eiaufnahme und Luftzirkulatinem zeitgenössischen Berliner Maler anfertion. Außerdem sei das NaturDaniel Heer in seinem Berliner Atelier und Element.
gen lassen. „Es verbindet die Gegenwart mit
material antiseptisch und
Im Hintergrund die Werkzeuge des Urgroßvaters
der Vergangenheit“, sagt der 37-Jährige, der
selbstreinigend: Eine RossBenedikt und auch dessen wachsamer Blick
besonderen Wert darauf legt, dass seine tradihaarmatratze werde deshalb
tionelle Arbeit in einem modernen Kontext
niemals muffig.
erscheint: Der helle Raum ist aufgeräumt und
Vor allem aber sind Daniel
klar strukturiert. Nichts wirkt nostalgisch
Heers Matratzen schön anzusanften Pastellstreifen oder modern interpre- sehen. Längst sind Architekten, Hotels und
oder antiquiert.
Und man darf ihm auch dabei zuschauen, wie tierte in bunten Anzug-Wollstoffen, blauem Concept Stores auf seine Produkte aufmerker krauses Rosshaar Schicht um Schicht zwi- Denim oder sogar welche, die mit weichem sam geworden, die er bis nach New York und
schen jeweils einer Lage Schurwolle und ei- Hirschleder bezogen sind.
Sydney verschickt. Seinen Kundenstamm bener Lage Stoff stapelt. Wie er das Ganze von Das Rosshaar, sortiert nach den Farben Natur- schreibt er als illuster, bekannte Persönlichrund 50 auf 15 Zentimeter zusammenschnürt; blond (etwas weicher) und Schwarz (etwas keiten schliefen auf seinen Matratzen. Wer gewie er mit den Händen die runden Kanten der elastischer), befindet sich zu Zöpfen verdreht nau, das möchte der diskrete Handwerker
Matratze modelliert und mit dem Sattlerstich in Holzkisten auf einem Regal. Darüber aufge- dann aber doch nicht preisgeben. Das Bett sei
vernäht; wie er mit sogenannten Abheftern reiht stehen Garnrollen in vielen Farben. „Es nun mal das privateste aller Möbelstücke.
aus demselben Garn des Bezugsstoffs das geht mir darum, das Material, das Produkt und Und doch läge ihm viel daran, die Matratze aus
Rosshaar fixiert. Nur eine bodentiefe Fenster- den Handwerker zu zeigen. Alles was Sie se- dem Dunklen ans Licht zu holen. Sie nicht
scheibe trennt ihn dabei von den Passanten hen, wird auch verwendet. Die alten Werkzeu- länger unter Leintüchern zu verstecken. Das
auf der Straße vor seinem Studio in Berlin- ge sind keine Dekoration“, so Herr Heer, der Potenzial dafür haben seine Modelle allemal –
Mitte. Von hier aus kann man auch die ferti- sich 2012 nach einer Station in Kreuzberg in und dem würde gewiss auch Urgroßvater BeMira Wiesinger
gen Matratzen bewundern: klassische mit der Rosa-Luxemburg-Straße niederließ.
nedikt zustimmen.
Von wegen
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IN VENEDIG
V
Mehr Gärten der Lagunenstadt gibt’s im Bildband „Die geheimen Gärten von Venedig“ (DVA) zu sehen
Nah am
Wasser gebaut
Eine nahezu unbekannte Traumwelt Venedigs verbirgt sich hinter
den Mauern der Palazzi: die geheimen Gärten. Für Andreas Tölke
öffneten sich die Tore – so lernte er die Stadt ganz neu kennen.
Oliver Mark begleitete ihn mit der Kamera
OLIVER MARK (7); GABRIELE KOSTAS (2)
72
or elf Uhr empfängt Contessa Barnabò nicht. Immerhin, kurz vor der vollen Stunde öffnet sich ein
Fenster im ersten Stock
des Palazzo Cappello Malipiero Barnabò und die
Gastgeberin erscheint im
Rahmen. Ihr Blick fällt nun nicht nur auf den
Canal Grande, er fällt auch auf eine Oase aus
Rosen, Oleander, Iris und Hortensien umrandet von Buchsbäumen. Ein wenig französische
Gartenkunst und ziemlich viel italienische
Grandezza. Contessa Barnabò aber wirkt reserviert, während sie in ihr Idyll schaut – in den
Garten, in dem schon Lord Byron und Giacomo Casanova Mußestunden verbrachten.
Es ist sehr selten, dass die Gräfin Journalisten
eine Audienz gewährt und auch diese kam nur
zustande, weil eine Botin im Spiel war. Mariagrazia Dammicco, eine Expertin, öffnet die
Türen zu Venedigs exklusivsten Verstecken,
den Gärten, die man nur vom – pardon – Vorbeigondeln kennt. Vor allem den von Contessa
Anna – wenn sich im Sommer Kaskaden aus
weißen Rosen (Snow Carpet) über die Balustrade zum Canal Grande ergießen. Es ist visuelles Ausruhen von all den opulenten Fassaden am Wasser, die aus dem Vaporetto maximal den Blick in kleine Gassen zwischen den
Palazzi freigeben.
Aber dann eben das: Der Garten der Contessa
mit Statuen aus dem 18. Jahrhundert, eine Allegorie auf die vier Jahreszeiten. Sie schließt
ihre Fensterläden wieder, wir werden auf der
Etage empfangen. Im Salon, geschätzte 250
Quadratmeter, plaudert die Hausherrin des
800 Jahre alten Palazzo über die Passion, die
sie ergriff, als sie von Paris nach Venedig kam:
„Bei meinem Einzug wurde noch Wein angebaut und erst über alte Aufzeichnungen konnte ich mir ein Bild machen, wie der Garten ursprünglich angelegt war. Wir haben ihn dann
rekonstruiert.“ Ob ihr Besucher wisse, fragt
die Contessa, dass es in Venedig über 500 Gärten gebe? Der ihre, den sie seit drei Dekaden
pflegt, gilt auch nach Meinung der begleitenden Expertin Mariagrazia Dammicco als einer
der schönsten. So herrlich, dass ihr Nachbar,
der Unternehmer und Kunstsammler
François Pinault, nach Vernissagen in seinem
Museum im Palazzo Grassi gern Gäste in den
Garten der Contessa einlädt.
Ihr erleichtert das Zubrot den Unterhalt des
Hauses, denn obwohl es ein Denkmal ist, gibt
es keine Unterstützung von staatlichen Stellen. Venedig wuchs aus der Lagune, umrandet
von Salzwasser, da hatten die Gärten zunächst
eine ökonomische Funktion: „Die gepflasterten Plätze, die wir heute kennen, waren Anbauflächen für Obst und Gemüse.
Erst seit dem Jahr 1500 ist dokumentiert, dass
es grüne Oasen rein zum Entspannen gab“, erklärt Mariagrazia Dammicco. Sie ist den Hideaways auf der Spur. Mehr als zehn Jahre hat
sie recherchiert, hat mit dem Boot an Toren
angelegt, die Grün verhießen, und geklingelt:
„Ich habe noch immer nicht alle Gärten gesehen“, erzählt sie und deutet auf eine Mauer
über deren First Äste wippen: „Hier zum Beispiel. Ich kenne die Besitzer, aber sie erlauben
keine Besuche.“ So geht es den ganzen Tag.
Wenn nur ein Hauch von Pflanze aus einem
Kanalgrundstück lugt, hat Mariagrazia Dammicco die Geschichte der Palazzi, der Besitzer
und vor allem deren Gärten parat. Das ist ihre
Passion. Ihren Lebensunterhalt verdient sie
als Historikerin. Vor 15 Jahren gründete Maria-
grazia mit ein paar Enthusiasten den Club „Giardini Storici Veneziani“ – und dieses Jahr hat
sie es geschafft, zumindest einige Gärten für
ein paar auserwählte Nicht-Mitglieder erlebbar zu machen. Zusammen mit dem „Westin
Europa & Regina“ wurde eine Tour für Gäste
entwickelt. Das Hotel unweit der Piazza San
Marco, ist Start und Ziel, um mit dem Boot
fünf bis sechs Gärten zu besuchen.
Der Garten von Contessa Barnabò ist ein Höhepunkt. Die mehr als 60 Anlagen, die zur
Auswahl stehen, sind während einer VenedigExkursion sowieso nicht zu schaffen. Einen
guten Überblick verschaffen sich Gäste mit einem Mix aus Kloster- und Privatgärten. Öffentliche oder Museums-Gärten, wie der des
Peggy Guggenheim Museums, kann man getrost in Eigeninitiative besuchen. Doch die
Pforte zum Palazzo Nani Bernardo von Contessa Elisabetta Lucheschi-Czarnocki öffnet
sich nur mithilfe von Mariagrazia. Eine weitere Contessa, aber ein Garten, der weniger ins
Auge springt, eher die klassische Variante.
Vom Wasser aus wird angelegt, der Portego,
ein Flur, führt quer durch den Palazzo und
dann erreicht man den Garten.
Splendid Isolation umrandet von Mauern, uneinsichtig für die Nachbarn: Contessa Czarnocki hat von der Terrasse eine Orangerie abgeteilt, die Zitronen blühen: „Oliven und Zitrusfrüchte sind natürlich Teil fast jeder Bepflanzung, aber die Blume Venedigs ist die Rose",
sagt Mariagrazia Dammicco. Dabei ist Rosenzucht in Venedig ein Kraftakt, der höchste
Aufmerksamkeit erfordert: Der Humus muss
im wahrsten Sinne des Wortes herbeigeschippert werden, Süßwasser muss man aus der
Leitung nehmen, im Boden ist es in dieser artifiziellen Stadt ja nicht vorhanden.
Im Garten des Palazzo Nani Bernado darf die
Rose nicht fehlen, auch nicht die abgezirkelten Buchsbaumbeete. Der Liebling der Contessa ist allerdings die Brolo, eine zarte Orchidee, die im hinteren Bereich des Gartens auf
den Sommer wartet. Ein Palazzo in venezianischer Gothik aus dem 18. Jahrhundert, ein
Garten im Stil der Renaissance, also des 15.
Jahrhunderts – da drängt sich die Frage auf,
ob es zuerst den Garten gab. „Nein, ganz anders. Hier standen kleine, schäbige Häuser, die
vor circa 150 Jahren abgerissen wurden, und
erst dann wurde der Garten angelegt“, berichtet Mariagrazia.
Und es herrscht Vielfalt: Signora Laura Candianis Garten hat wieder eine ganz andere Geschichte: „Der Palazzo Grimani ai Servi, der
aus drei Gebäudeteilen besteht, brannte Anfang des 19. Jahrhunderts nieder, nur die Gärten blieben erhalten“, erzählt sie. Drei Gärten,
um genau zu sein. Eine Rasenfläche, eingerahmt von Jasmin und Efeu, ein Garten mit
den schon bekannten Buchsbaumhecken und
ein Gemüse- und Spielgarten für die Kinder
der Großfamilie. Es ist die Quintessenz der venezianischen Gärten, wie ein paar Kanäle weiter der Garten der Scuola Vecchia della Misericordia zeigt. Hier, im ehemaligen Kloster
aus dem 13. Jahrhundert, haben Nonnen ein
Armenhaus betrieben und Gemüse angebaut.
Hier ist nicht nur eine Anmeldung nötig, der
Besuch muss durch die Ausweisvorlage legitimiert werden. Das Vergnügen, so exklusiv es
erscheint, ist nach den gesehenen opulenten
Anlagen eher spartanisch. Rasenflächen, Rosen, Jasmin und ein paar Pinien. Ein Tag mit
Wassertaxi, gegelten Haaren und übergroßen
Sonnenbrillen auf den Kanälen neigt sich
dem Ende entgegen. Es war ein Tag, der einen
neuen Blick auf Venedig freigibt: Auf eine
Stadt, in der einem was blüht.
Im Garten der Contessa
Czarnocki des Palazzo Nani
Bernardo (rechts) sitzt die
Hauskatze
Oben: Signora Laura Candiani im
Buchsbaum-Labyrinth des Palazzo
Grimani ai Servi.
Links: Scuola Vecchia della Misericordia, ein ehemaliger Klostergarten
Unten: Contessa Anna
Barnabò im PorzellanZimmer ihres Palazzo
Malipiero. Links: Noch
eine Katze. Rechts: der
Portego des Palazzo
Nani Bernardo
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Die Farbe des Augenblicks? Grün.
Doch freue ich mich nicht nur über
Wiesen und Blätter, die endlich
wieder sprießen, sondern auch auf
meine grünen Lieblings-Düfte.
„Posh on the Green“ der britischen
Marke Atkinsons etwa duftet
herrlich frisch nach geschnittenem
Gras, Zitrone, Feigenblättern,
Wasabi (keine Sorge: nicht scharf!)
und ein wenig Veilchen. Besonders
gut eignet sich das zarte Parfüm
übrigens, wenn Sie nah mit anderen Leuten zusammenarbeiten, da
es unaufdringlich ist. Mein zweiter
grüner Tipp? Der Unisex-Duft
„Panorama“ von Olfactive Studio.
Hier entstehen die Düfte in Zusammenarbeit mit Fotokünstlern
und zu jedem Duft gibt es das
passende Bild. Anschauen, Duft
versprühen, Augen schließen und
das Kopf-Kino beginnt.
Anmut des
Vergangenen
Silvy Hahn
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CONDE NAST ARCHIVE/CORBIS
Von wegen: Schönheit ist
vergänglich! Schlichte
Frisur, wenig Make-up,
ruhiger Blick, LadylikeSeidenkleid, Köfferchentasche und Pose vor abstrakter Kunst. Abgesehen
von den Handschuhen
vielleicht, die man eher
nachts tragen würde, damit die Hautcreme besser
einwirken kann, sind es
alles Zutaten, die heute
wieder so aktuell sind, wie
sie betörend waren, als
der britische Hoffotograf
Sir Cecil Beaton auf
den Auslöser drückte.
Ganz ohne digitale
Optimierung!
Inhaberin der
Parfümerie
„Silvy Hahn“
in Bamberg
SCHÄTZELEINS
Schöner atmen: Längst müssen
sich Duftkerzen nicht mehr verschämt hinter Fotorahmen oder
Vasen verstecken. Sie selbst sind
zum Design-Objekt geworden.
Ganz neu sind Kerzen und Diffusor,
die der Architekt Ferruccio Laviani
rechtzeitig zum Salone del Mobile
für Kartell Fragrances entworfen
hat. Bravissimo!
Die (Aesop-) Welle rollt: Nach
Neu-Eröffnungen in Berlin, Hamburg und Köln im vergangenen
Jahr hat die australische Kosmetikmarke nun den Süden erobert. Bei
Ludwig Beck (Marienplatz 11) in
München gibt es nun eine Shop-inShop-Ecke in der Kosmetikabteilung. Mit besonderem Waschbecken, wie immer. Schee ist’s.
Ordnung to go: Sie haben keine
Lust mehr auf das Durcheinander
im Kulturbeutel ? Verständlich. Für
Ordnungs-Liebhaber hat Kofferproduzent Tumi nun gemeinsam
mit Uslu-Airlines-Nagellack-Gründerin Feride Uslu das „BER TravelKit“ entwickelt. Optimistisch benannt nach dem zukünftigen Berliner Flughafen. Mit ganz viel Platz
für Tiegel aller Art und: Nagellacke, klar. Über tumi.de
B wie? Logo – Balenciaga: Seit dem der Amerikaner Alexander Wang 2012 im französischen Modehaus den Stift schwingt
ist „B“ das erste Parfüm unter seiner Ägide. Und da dies unsere Design-Ausgabe ist, darf neben dem Duft (frisch und grün)
auch der Flakon nicht zu kurz kommen. Das gefrostete Glas
soll an den Fliesenboden im ersten Salon von Balenciaga in
Paris erinnern. Sein gebogener Deckel und die SechseckForm erinnern an die Bögen in Wang’s Mode.
Judith Gauls
PRIVAT
Spritztag: Die Pumpflasche, in der die Raumdüfte aus der Edition
Parfum de Frédéric
Malle stecken, soll
an eine Pflanzenbewässerungs-Spritzflasche
erinnern. Macht a) Spaß
den Duft zu verteilen
und riecht, b) auch noch
gut. Die neueste Kreation „1er Mai“ duftet nach Maiglöckchen. Gibt’s etwa bei Harald Lubner
in Hamburg (Tel. 040/ 357 154 55)
Wir alle haben Produkte, die wir
selber gern benutzen und darum
weiterempfehlen. Zu meinen
Schätzchen zählt momentan das
„Magic Mousse Shampoo“ von
Hair Doctor, dessen Namen man
im Wortsinn verstehen darf. Der
Extrakt, der sich im Shampoo
verbirgt, die Inca Inchi-Nuss, oder
wie die Inca sie nannten „goldene
Nuss“, soll für mehr Volumen,
bessere Kämmbarkeit und gegen
fliegende Haare wirken. Magie?
Nein, nein, einfach auf den Knopf
drücken und fertig ist das Mousse.
Auch das Enzympeeling „Silk
Peeling Powder“ von Sensai zählt
in die Kategorie „Liebling“ und
zaubert eine weiche Haut, die man
immerzu streicheln mag. Etwas
Puder in die Hand nehmen, mit
Wasser vermengen und über das
Gesicht streichen. Tipp Nummer
drei? Der „Tan Maximizer“ von
Lancaster soll der Urlaubs-Bräune
auf die Sprünge helfen.
Mitinhaberin der
„Parfümerie Gauls“
in Grevenbroich
MARKENGESCHICHTE
Goldader
Als Metallarbeiter von Coco Chanel
belächelt, bahnte sich Paco Rabanne
dennoch seinen Weg in die
Modewelt. Und auf den
Kosmetikmarkt. Susanne Opalka
erklärt ein Phänomen
Ziemlich sicher kurvt Señor Francisco Rabaneda y Cuervo frohgemut mit
einem Elektroauto durch die bretonische Landschaft, wahrscheinlich schallt
dabei geliebte Zwölftonmusik aus den
Boxen. Wenn er nicht gerade in seinem
kleinen Landhaus malt oder schreibt. Hier
in der Bretagne, fast autark durch Windenergie, Wärmepumpen, Regenwassernutzung,
lebt der heute 81-jährige Paco Rabanne noch
immer so, wie er es stets in seinen Designs,
seinen Ideen und seiner Kreativität gehalten
hat: visionär und eigensinnig.
Statt sich ans Protokoll zu halten und bei einem seiner letzten Interviews ausführlich
über den Duft „Lady Million“ zu sprechen, erzählte der Grandseigneur dann auch lieber
über die Jugend von heute, seine Vorliebe für
fleischlose Ernährung, den Kontakt zu Seelen
im Jenseits, seinen steten Versuch, achtsam zu
sein, mit den Menschen, mit der Natur, immer
mit dem Herzen zu sprechen, nicht zu urteilen, zu bewerten – und eben über das Elektroauto, das er sich neben seinem Hybridfahrzeug leisten werde. Um dann laut lachend
fortzufahren: „Und ich spreche mit den Vögeln, ich spreche ihre Sprache, ich verstehe
sie. Ich bin völlig verrückt mit dieser Sache,
das müssen Sie wissen.“ Die Marketingleute
waren einer Ohnmacht nahe, Monsieur Rabanne fuhr noch lange fort. Um Irritationen
und spöttische Kommentare hat sich der charismatische Moderevolutionär noch nie geschert. Er hat ganz anderes erdulden müssen.
1934 in Pasaia, einer Hafenstadt im spanischen
Baskenland geboren, hinterließ der Bürgerkrieg tiefe seelische Wunden in seinem noch
jungen Leben: der Vater von Franco-Truppen
erschossen, Exil in Frankreich, wohin die Familie 1939 flüchtete, verschiedene Aufnahmelager, ein Leben halb im Untergrund. Wissbegierig und stark von seiner Mutter beeinflusst,
die erste Schneiderin bei Balenciaga war, studiert der junge Francisco Architektur, finanziert seine Ausbildung, indem er Tausende
Skizzen und Accessoires an die Größten der
Zeit verkauft, darunter Courrèges, Balenciaga,
Pierre Cardin, Nina Ricci, Givenchy.
PACO R
ABANN
E; MON
TAGE: IC
ON
Z
1966 erntet er unverhohlenen Spott, als er seine erste Kollektion „12 untragbare Kleider aus
zeitgenössischen Materialien“ tauft. Coco
Chanel nennt ihn den Metallarbeiter; weil er
Metall und Kunststoffe (darunter das feuerfeste Rhodoid) mit Zange und Lötkolben bearbeitet, statt bei Schere und Nadel zu bleiben.
Der Rest der Modewelt und die Medien sind
jedoch begeistert, er kann sich vor Aufträgen
nicht retten. 1968 entwirft er die weltweit ersten Kleidungsstücke in Einheitsgröße, die
sich jeder Körperform anpassen. Diese „Giffo“-Designs werden so berühmt wie die „Pacotilles“, erschwingliche Op-Art-Ohrringe oder
sein Cat Suit für Jane Fonda in „Barbarella“.
Zusammen mit der spanischen Familie Puig,
die bereits 1968 Rabannes Partner wird,
bringt er auch die Parfümbranche in Wallung.
1969 erscheint „Calandre“. Der kantige Flakon
aus Glas und Metall und der Name (zu übersetzen mit Kühlergrill) verstören, zumal für ein
Damenparfüm. Rabanne: „Beim Design geht
es nicht um Verführung, es geht ums Schockieren.“ Genau wie beim Duft selbst. Ein
Meisterstück und ein Erfolg, der heute noch
unverändert wirkt. „Paco Rabanne pour Homme“ (1973) wird das Pendant für die Herren,
ein aromatischer Fougère-Duft, der die moderne Duftkultur für Männer beeinflusst,
wenn nicht begründet. „Métal“ (1979), „La
Nuit“ (1985), „Sport“ (1986), Ténéré (1988) und
„XS“ (1993) folgen.
Zwischendurch übernimmt PC eine ehemalige Heißluftballonfabrik und gründet das Centre 57 für Rap, Hip-Hop und andere Künstler
der schwarzen Musik. Das ellipsenförmige
Parfüm „Ultraviolet“ (1999) behauptet sich mit
einer neuen Materialauswahl: Glas, Silikon
und Metall. Doch Bahnbrechendes bleibt aus.
Assoziation Diamant: Das
Parfüm „Lady Million“ von Paco
Rabanne zählt zu den Bestsellern des Hauses. Model Sean
O’Pry ist das Gesicht der neuen
„1 Million“-Kampagne
Bis 2008 mitten in
die Wirtschaftskrise
ein schwerer Goldbarren kracht; eindeutig –
auch im Namen: „1 Million“.
Kopfschütteln allerorten. Paco Rabanne: „Dieser Duft und
der Flakon wurden lange vor der
Wirtschaftskrise designt, wir wählten den Goldbarren als Anspielung.
Wir leben in einer materialistischen Zeit,
sehr materialistisch.“ „1 Million“ (ab Mai
wird dazu ein „Cologne“ neu erscheinen) ist
der Megaerfolg, inzwischen der zweiterfolgreichste Duft weltweit. Und selbst PC sagt: „Ja,
ich war sehr überrascht, sehr sogar, das muss
ich zugeben.“
Auch „Lady Million“ verfehlt die Wirkung
nicht. Das Material Girl verkörpert noch konsequenter die Sehnsucht, einfach mit den Fingern zu schnippen, um zu bekommen, was
man will. Eine von drei Traumwelten, die Paco und Puig vor über zehn Jahren als Konzept
erdachten. 2005 kreierten sie den Kosmos der
Rockstars, mit dem Gothic-Design von „Black
XS“. Die dritte Traumwelt trägt 2013 den Titel
„Invictus“. Der Held, dem nichts und niemand
widersteht, mit einem „orgastischen Akkord,
einer unbezwingbaren Lust nach salziger
Haut, die man schmecken, ablecken möchte",
so Parfümeurin Véronique Nyberg.
Die ebenbürtige Partnerin ist inzwischen gefunden. Ende Juli wird sie erstmals auftreten,
die Amazone, Königin, Göttin (drunter wird es
ja wohl nicht gehen). Getreu der Feststellung,
die Visionär Paco Rabanne schon 1967 postulierte: „Die Frau von morgen wird effizient,
verführerisch und zweifellos den Männern
überlegen sein.“ Na bitte.
77
P S SS t !
S
Die -Neulinge
Retro
Apothekenpflichtig
Sie fragen Ihren Arzt oder Ihren Apotheker? Jahrelang wälzte
Jörg Schultes antike Rezepthefte, ließ sich inspirieren und
entwickelte daraus seine eigene kleine Kosmetiklinie namens
Apomanum. Sein Credo? „Einfachheit in der Rezeptur, Vielfältigkeit in der Wirkung und Begeisterung in der Anwendung“. Klingt vielversprechend. Zu den Bestsellern zählt das
Mundwasser (aus Minzöl, Menthol, ätherischen Ölen). Für
alle, die es nicht in Schultes’ Apotheke nach Altomünster schaffen, gibt’s die Produkte zum Glück auch
über greenglam.de
Eine wahre Liebe
Rückenprobleme zwangen den jungen Tänzer Jean-Louis Scherrer
dazu, mit Mitte 20 die Ballettschuhe auszuziehen. Die Füße standen
still, doch nicht seine Kreativität. Er wurde Modeschöpfer. Erst arbeitete er als Assistent für Christian Dior, 1962 gründete er sein eigenes Atelier. 2013 verstarb Scherrer, das neueste Parfüm „One Love“
soll an ihn und seinen Stil für elegante Pariserinnen erinnern. Wonach
es duftet? Pudrig, blumig, zauberhaft.
Fräuleinwunder
Frank Leder, eigentlich Modeschöpfer in Berlin, entwickelte 2012
die Kosmetiklinie „Tradition“. Nicht
gerade aus Langeweile, sondern
weil er fand, dass seine Kollektionen kaum greifbar seien und er mit
einem Biershampoo oder „Holunder Sirup“ (ein Duschgel!) wohl
mehr Menschen erreichen könne.
Tut er. Seine Produkte gibt’s
über mdc-cosmetic.de
Duft-Ikonen
Sie erinnern sich bestimmt an den Duft von „Youth Dew“. Das weiche, doch pudrige Parfüm, das Generationen von Frauen benutzten, war 1953 der erste Duft-Coup von Estée Lauder. Ab 1968 ließ sie
eine ganze Kollektion folgen. Verschwunden vom Markt waren
Cinnabar, Azurée, Spellbound, Aliage und Estée nie, doch jetzt
bekamen die fünf Klassiker eine moderne, puristische Hülle aus Glas.
Doch keine Sorge, am Inhalt änderte sich nichts.
Basisarbeit
Eine Lippe riskieren
78
Poppy King liebt Farbe auf den Lippen. Als die Australierin nicht die passende
fand (sie suchte nach etwas Mattem in Rot oder Burgunder), gründete sie 1992
ihr eigenes Label namens „Lipstick Queen“. Eine Ansage. Für ihre „Velvet Rope“-Kollektion (fünf Rot-Nuancen) ließ sie sich vom Hollywood der 20er-Jahre
inspirieren. Den Glamour ins Bad holt man sich am besten mit der Farbe „Brat
Pack“ – ihrer Meinung nach das einzig wahre Rot... Über niche-beauty.de
Es ist wie beim Kuchenbacken: Nicht
nur der Zuckerguss (sprich: Makeup) zählt, sondern auch die Basis, also
der Kuchenboden – sprich: die neue
„Sisleÿa Lotion de Soin Essentielle“.
Das Fluid von Sisley (mit GinkgoExtrakten) soll als Grundlage des
täglichen Pflegerituals dienen und die
Haut aufnahmefähiger für alle weiteren (Creme-) Schichten machen.
GETTY IMAGES; MONTAGE: ICON; ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER
Traditionalist
Es war die erste Duft-Kreation von Christian Dior.
„Miss Dior“, benannt nach seiner Schwester Missy.
Als der Couturier es 1947 gleichzeitig zu seinem
New Look entwarf, roch auch der Chypre-Duft
nach Neuanfang. 2013 aktualisierte der Parfümeur
François Demachy das Parfüm ein wenig und nun
folgte das „Hair Mist“. Nein, nicht Haarspray,
sondern Duft für den Schopf. Lass mal was sein.
T H E C U L T U R E O F T O TA L B E A U T Y
Exklusive Haarpflege und Kosmetik.
In ausgesuchten Friseur – Salons: labiosthetique.de
LA BIOSTHETIQUE CHEVEUX LONGS
In voller Länge
Langes, seidiges Haar ist sexy. Es ist aber auch empfindlich und anfällig für Sprödigkeit und
Haarbruch. Das luxuriöse Spa – Konzept Cheveux Longs gleicht Strukturschäden aus,
pflegt das Haar mit hochwirksamen Inhaltsstoffen und umschmeichelt es mit einem bezaubernden Parfum.
SONNTAG, 12. APRIL 2015
Global Diary
Erinnern Sie sich? An die Zeit, als man statt WhatsApp und E-Mail
noch Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer
MAILAND
Ein Duschkopf werde noch angebracht und sexy Bilder von bemalten Körpern auch. Wobei: „Weglassen“, erklärt Michel, sei das
Prinzip des Moxy-Styles. Er meint die Ausstattung der 162 Zimmer mit Betonböden. Weggelassen wurde ein Schrank. Wer
braucht den schon hier? Telefon? Ach was. Es gibt einen Alarmknopf, nach dessen Betätigung sich tatsächlich sehr schnell eine
Mitarbeiterin nach meinem Wohlbefinden erkundet. Weggelassen wurde auch ein Schreibtisch, dafür gibt es große Betten mit
LEDs am Rahmen, die nächtens beim Aussteigen automatisch aufleuchten sowie große Flachbildschirme mit LG-Soundbar und integriertem Apple-TV, großzügige Bäder und natürlich schnelles WIFI. Im
Erdgeschoss flankieren zwei Säle den Minimarkt, der eine ist unterteilt in
Lounge und Bibliothek. Der andere mit einem gigantischen Esstisch ausgestattet, an dem am nächsten Morgen junge Menschen mit ihren Computern
frühstücken. Beim Auschecken bittet ein altes Ehepaar um Hilfe mit dem
Gepäck. Eigentlich muss Service im „Moxy“ aus Kostengründen auch weggelassen werden. Aber ein junger Mitarbeiter hatte vom Flughafen einen
Gepäckwagen gemopst um Getränkekisten zu transportieren und chauffiert nun die Koffer der Gäste zur Bushaltestelle. Ich fühle mich nun doch
nicht zu alt fürs Moxy und reserviere per Handy rasch ein Zimmer für April.
Esther Strerath ist begeistert: 49 Euro für eine Nacht während der Möbelmesse – das ist nicht zu toppen
SANT'AGATA FELTRIA
80
Aus alten Steinhaufen auf einem der Hügel bei Sant’Agata Feltria in der Emilia Romagna wurde ein privates Luxushotel für höchstens acht Gäste. Schmale Pfade führen
hinauf zur Petrella Guidi Lodge. Galya Falileeva und Paolo Trento verliebten sich erst
ineinander und 1991 dann gemeinsam in das mittelalterliche Ruinendorf. Insgesamt 17
Jahre gingen ins Land für die Restaurierung. Vier Suiten in drei Felssteingebäuden, eine jede mit Kamin und geschmackvoll von der Besitzerin gestaltet: das Zimmer der
Rose, der Poesie, der Spiritualität und das Spiegelgemach. Aus dem Spa mit Hamam
führt der Blick, wie aus allen Räumlichkeiten, weit hinaus in das Land.
Es scheint, als erwache man am frühen Morgen über den Wolken – doch löst sich der
Nebel über dem mächtigen, oft trockenen Flussbett des ‚Fiume de Marrecchia’ noch
während des Zähneputzens auf. Beim Frühstück am langen Küchentisch von Galya
werden die Gäste fürstlich umsorgt. Auch der ‚grüne Daumen’ von Galya zeigt Wirkung. Etwa 8000 verschiedene Pflanzenarten, davon allein 62 Hortensien, blühen in
allen Farbnuancen. Zwischen 35 Rosensorten verbirgt sich auch die seltene „Rose von
Petrella“. Auch eine Zugbrücke gehört zu den Wegen durch die
weitläufige Gartenkomposition rund um die Gemäuer – ein
steinerner Brunnen, ein Glaspavillon. Duftende Glyzinienlauben laden ein, in aller Stille zu lesen, zu denken, zu essen. Das Gemüse zieht Gärtner Luigi auf. Nur frische
Zutaten, eigene Tomaten, Zucchini und Kräuter kommen in Galyas Töpfe – ob für ihre Kochkurse oder für
ein romantisches Candlelight-Dinner, das die Gastgeberin auf Wunsch zubereitet und in ihrem behaglichen Wohnraum am Kaminfeuer serviert.
Den kurzen, holprigen Anstieg zur Lodge haben ihrerzeit berühmte Kinder der Region beschritten: Federico Fellini und Giulietta Masina – eine Gedenkplatte erinnert an Regisseur und Schauspielerin. Man
traut sich kaum, den Ort zu verlassen für die Schönheiten
der Umgebung, als könne der Traum in Abwesenheit wie eine Seifenblase zerplatzen. Lodge und Land drumherum sind
ein Gesamtkunstwerk: Der „Garten der vergessenen Bäume und
Früchte“ in Pennabilli beispielsweise, verborgen hinter dicken Mauern – hier pflanzte
der Dalai Lama einen Walnussbaum. Oder die Werkstatt in Carpegna von Emanuele
Francioni, der mit schweren Hammerschlägen auf historische Holzstempel die Kunst
des Roststoffdrucks wieder belebt: Blumendekor, Füllhörner, Hähne auf Baumwollleinen für Tischwäsche, Kissen, Schürzen.
Und stets im Juni feiert das ganze Nachbardorf Forlimpopoli ein opulentes Fest zu
Ehren des Küchenmeisters Pellegrino Artusi. Dieser schrieb 1891 das erste gesamtitalienische Kochbuch „La Scienza in cucina e l’arte di mangiar bene“ – Von der Wissenschaft des Kochens und der Kunst des Genießens. Die gilt noch heute.
Uta Petersen schätzt die individuelle Ästhetik kleiner Luxushotels
Selbst wenn man
schon hundert Mal
in New York war, ertappt man sich dabei, ständig in die
Luft zu gucken und
die Wolkenkratzer
zu bestaunen. Und
wenn man denkt,
dass höchstmögliche Gebäude stünde bereits, entsteht
ein paar Blocks weiter schon das
nächste. Im (momentan) höchsten
Wohnhaus
der
Stadt, dem „One
57“, ist seit Herbst vergangenen Jahres das „Park Hyatt
New York“ untergebracht. Das neue Flagschiff nennen sie
es. Bis Etage 25 wohnen die Hotelgäste an der West 57
Street (zwischen 6th und 7th) im Entwurf von Christian de
Portzamprac, darüber – auf 75 weiteren Etagen – folgen
Millionen-Dollar-teure Luxusappartements mit atemberaubendem Blick gen Norden über den Central Park. Den
hat man aber auch von den Wohlfühl-Massagekabinen im
Hotel-Spa „Nalai“ aus, das sich über drei Etagen mit Pool
(samt Unterwassermusik), Fitness und Whirlpool erstreckt.
Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, die Jalousien während
der Massage herunterfahren zu lassen! Innen durfte sich
das Architekten-Duo Yabu Pushelberg austoben, modern,
doch nicht zu „durchdesignt“ sind die Zimmer, die, wow,
mindestens 44 Quadratmeter groß sind. Noch reizvoller
aber sind die irre freundlichen Doormen, die eigens für das
Hotel kreierten Badprodukte von Le Labo, die frischen
Säfte und köstlichen Pancakes zum Frühstück im „The
Back Room“, das (man isst von Dibbern-Porzellan) am
Abend als schicke Boutique-Küche funktioniert (probieren
Sie unbedingt den Maine-Lobster). Oder die Bar „Living
Room“ (im Wortsinn), in der sich auch New Yorker treffen.
Und der gewischte Marmor an den Wänden wirkt so zart
und warm, dass man ihn immerzu berühren mag.
Caroline Börger könnte sich sehr gut vorstellen in
diesem Glaspalast auch dauerhaft zu wohnen
NEW YORK
ILLUSTRATIONEN: TIM DINTER
Wer schläft schon am Flughafen? Also, in einem Airport-Hotel? Zum
Beispiel die „Millenniums“. Sie sind
jung und mit Rucksack statt Aktentasche ausgerüstet. Aber sie sind
keineswegs anspruchslos. Ende
2014 hat sich eine neue Hotelkette
zum Ziel gesetzt, genau diese Reisenden zu beherbergen. In Mailand,
am wenig romantischen Flughafen
Malpensa, eröffnete jüngst das erste von
vielen geplanten „Moxys“. Der pinkfarbene
Schriftzug weist den kurzen Weg. Coole Plastiksessel vor der großen Glasfront erzählen vom Mutterkonzern Ikea, beziehungsweise dessen Tochter-Unternehmen „Inter Hospitality Holding“ (2012 in Amsterdam gegründet). Da Rezeptionen aus
der Mode kommen, stolpert man auch im „Moxy“ gleich in einen Mix aus
Mini-Supermarkt und Tagesbar. „Wo ist die Rezeption?“ „Wir sind die Rezeption“, erwidert die junge Frau, die an der Bar gerade Cola einschenkt,
lächelnd. Sie checkt auch ein – an der Kasse.
Direktor Michel ist schon da, hey, er zeigt uns das Hotel. „Der Fahrstuhl
soll wie eine Dusche wirken“, warnt er uns vor. „Funky, fresh und very fun.“
Individuell: Papa Playa Hotel in
Tulum, Mexiko, das Kruisheren
Hotel in Maastricht (unten rechts)
sowie das G-Rough Hotel in Rom
(unten links)
UNTERWEGS
Das Auge
reist mit
Seelenlose Unterkünfte können
die schönste Tour vermasseln.
Bei den Mitgliedern der Design
Hotels kann man sich darauf
verlassen: Das passiert nicht.
Und langweilig wird’s auch nie
nicht“, „Elfenbeinzimmer“ oder „Goldspeicher“ und gemütlich-romantisch wie das ganze Haus, mit dunklem Holz, bestickten Kissen
und Purpur als immer wiederkehrende Kennfarbe in der Einrichtung und an den Wänden.
Die Szenerie ist derat persönlich und auch
uneitel, dass auch die alteingesessenen Michelstädter gern einkehren. Etwa ins hauseigene Café, das sich im Sommer mit Sonnenschirmen und Gartenmöbeln auf den Platz
vor dem Haus ausbreitet. Zu Tisch bitten –
man hätte es es nicht vermutet – die Schauspielerin Jessica Schwarz und ihre Schwester
Sandra. Sie sind in der Gegend aufgewachsen
und führen gemeinsam das romantische Hotelchen seit 2008.
Dass ein Hotel zu mehr als einer temporären
Heimat werden kann, zeigt sich am Beispiel
von Claus Sendlinger selbst. Er wohnt mit seiner Familie im „Papa Playa Hotel“ in Tulum,
Mexiko. Die Anlage erfüllt die Sehnsüchte jener, die bereits alles gesehen und keine
Wunschziele mehr offen haben und stattdessen Ruhe, Askese und Wellness im Einklang
mit der Natur bevorzugen. Stroh anstelle von
Beton, eine Regenwalddusche im Freien statt
des üblichen Badezimmers. Nur wenige
Schritte durch den weichen Sand entfernt, erstreckt sich das Meer. Was so schön ökologisch
klingt, ist es in diesem Fall auch. Regenwasser
wird gesammelt, spezielle Toiletten und die
Nutzung von Bio-Diesel sollen die Natur möglichst wenig belasten. „Und es geht um intelligenten und intuitiven Service, nicht um bloße
Marketingstrategie“, sagt Sendlinger zu solcherlei Konzepten. „Dem Businesshotel in
München nimmt man die Heilmedizin nicht
ab, die in Tulum angeboten wird und hier Sinn
ergibt, weil die ganze Gegend etwas sehr spirituelles hat.“ Läge da nicht mal eine Reise in
das Kruisheren Hotel nahe, Herr Sendlinger?
Jennifer Hinz
DESIGNHOTELS.COM; ETIENNE VAN SLOUN FOTOGRAAF
D
ie Türen einer Kirche sollen jedem offen stehen,
immer. Doch leider müssen sich auch Gläubige
heutzutage an gewisse
Öffnungszeiten halten. Es
sei denn, sie kommen
nach Maastricht und klopfen an die Pforte der Kruisheren-Kirche. Was
früher einmal ein Kloster mit angeschlossenem Gotteshaus war, ist heute nämlich ein
Hotel. Für Atmosphäre sorgen nun nicht mehr
Kerzen in den Kronleuchter, sondern moderne Lichtobjekte von Lichtkünstler Ingo Maurer, die in der Luft zu schweben scheinen. Wer
es im Restaurant schafft, den Blick kurz vom
seinem Teller zu heben, wird zudem die alten
Wand- und Deckenmalereien entdecken. Das
Ambiente lebt vom Kontrast zwischen modernen Design- und Einrichtungselementen und
vielen Überresten aus dem 15. Jahrhundert,
die an die Herkunft als Klosterkirche erinnern. Dieser Spannungsbogen führte zur Aufnahme in die Familie der Design Hotels.
Dahinter steckt eine eingetragene Marke, die
die vom Eingang bis zur Seifenschale durchgestylten Unterkünfte bekannt machen soll.
Über 270 Hotel in 56 Länder gehören bereits
zum Portfolio. Im Gegenentwurf zu Ketten
gleichen sich die Design-Hotels in ihren Angeboten bewusst nicht. Jedes Jahr gehen etwa
400 weitere Bewerbungen von Hoteliers ein.
Nach einer Prüfung heißt es am Ende für nur
fünf Prozent von ihnen: Willkommen im
Club! Das Geschäft mit der Elite ist ein lukratives, auch in der Tourismusbranche. Die Mitgliedshotels zahlen, von ihrer Größe abhängig, neben der einmaligen Implementierungsgebühr und einer jährlichen Lizenzgebühr, Kommissionen auf Buchungen, sowie
Gebühren für individuelle Dienstleistungen
und Produkte. Im Gegenzug wird ihnen die
Arbeit in den Bereichen Vertrieb, Marketing,
Steuern und PR abgenommen.
Als Claus Sendlinger vor 22 Jahren das Unternehmen gründete, gehörten ihm schon diverse Reisebüros sowie eine Eventagentur. Heute
steuert er die Geschäfte nur gelegentlich vom
Hauptsitz in Berlin aus – er ist viel unterwegs.
In seiner Idealvorstellung sollen sich Hotels
als erste Adresse darstellen, wenn es um ein
einzigartiges Essen geht oder darum, Freunde
unterzubringen. Ein Ort, an dem sich Touristen unter die Einheimischen mischen können
– und das, ohne überhaupt den Reiseführer
aufzuschlagen oder das Haus zu verlassen.
Beispielhaft gelingt das in Michelstadt, Hessen, im Haus „Die Träumerei“, ein Kleinod aus
dem Jahre 1623. Unter einem roten Ziegeldach, umschlossen von Fachwerkwänden, bietet das Hotel lediglich fünf Zimmer. Allesamt
mit so klangvollen Namen wie „Vergissmein-
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BAUPLAN
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DIE „HYADES“LAMPE VON
ARMANI CASA
In den Ateliers und Manufakturen dieser Welt werden weiterhin
Handwerkskünste gepflegt, und wir schauen zu
Wer die hohe Glaskunst sucht, muss im Kleinen schauen – auf den Murano-Inseln nordöstlich der Altstadt von Venedig. Im 14. Jahrhundert auf dem Zenit,
gibt es dort heute nur noch einige wenige Manufakturen, die Glas nach traditionellem Muster verarbeiten. Für das Haus Armani entsteht in der alten Handwerkskunst die Hyades-Lampe aus der Armani Casa-Kollektion, verarbeitet mit Blattgold und Puderblau, inspiriert von Laternen aus dem Fernen Osten.
Ihre Herstellung nimmt über 14 Stunden in Anspruch. Mehrere Viererteams legen gemeinsam Hand an. Es wird geformt, gehärtet, geschnitten und zusammengesetzt. Das Ergebnis sei ein überdurchschnittlich schönes Stück Handwerkskunst, sagt Giorgio Armani. Aber sehen Sie selbst, wir zeigen die wichtigsten zehn Schritte: 1. Auf dem Papier geht es los mit einer maßstabsgerechten Zeichnung. 2. Im Brennofen wird Sand bei rund 1800°C geschmolzen. Eine
kleine Menge des entstandenen klaren Glases wird mit dem oberen Ende des Rohres gesammelt. 3. Zusammen mit einer weiteren Portion Glasmasse wird
die Mixtur auf einem Bronzino (einem Metalltisch für Glasarbeiten) verflochten. 4. Das Glas wird noch einmal mundgeblasen, bevor es in eine Holzform
gegeben wird. 5. Um dem Glas, aus dem am Ende der Lampenfuß werden soll, die Form eines Zylinders zu geben, wird es in eine weitere Holzform geblasen. 6. Etwas später kann die Gussform geöffnet werden. 7. Mit einem Muffelbrenner wird der Lampenfuß für 12 Stunden ausgeglüht. Das bis dahin spröde
Glas gewinnt dadurch an Flexibilität und Festigkeit. 8. Nachdem der Lampenschirm auf die gleiche Weise wie der Fuß hergestellt wurde, darf auch er aus
der Gussform. 9. Vorsichtig wird der Lampenfuß durchbohrt, um später Ober- und Unterteil zu verbinden. 10. Zum Schluss wird der Guss des Lampenschirms noch zugeschnitten. Übrigens: Die Tischlampe mit 47 Zentimeter Höhe gibt’s online über armanicasa.com
GIORGIO ARMANI
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Exklusiv gestaltet von Anja Kroencke.