Jahresbericht 2012 - Der Sächsische Ausländerbeauftragte

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Jahresbericht 2012 - Der Sächsische Ausländerbeauftragte
www.offenes-sachsen.de
Jahresbericht 2012
Sächsischer Landtag 5. Legislaturperiode
Der Sächsische
Ausländerbeauftragte
Martin Gillo
Vorbemerkungen zum Sprachgebrauch
Im Jahresbericht 2011 werden die Begriffe Mensch mit Migrationshintergrund,
Migrant, Zuwanderer und Ausländer verwendet.
Der Begriff Migrationshintergrund wurde mit dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes
im Jahr 2005 eingeführt und bezieht sich auf den gesamten Integrationsprozess, der generationenübergreifend stattfindet. Mit diesem Begriff sind nicht mehr nur Aussagen über Menschen
mit ausländischer Staatsangehörigkeit möglich. Der Begriff »Migrationshintergrund« schließt
vielmehr alle Menschen ein, die entweder selbst über eine Migrationserfahrung verfügen bzw.
deren Eltern zugewandert sind. Nach der Definition des Statistischen Bundesamtes zählen zu
den Menschen mit Migrationshintergrund Personen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit, (Spät-)Aussiedler sowie in Deutschland Eingebürgerte. Daneben bezieht der Begriff auch
in Deutschland Geborene mit deutscher Staatsangehörigkeit ein, die zumindest einen zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil haben.1
Migranten sind Personen mit Migrationshintergrund, die selbst zugewandert sind.
Der Begriff Zuwanderer wird synonym zum Begriff Migrant verwendet, betont aber stärker den
Prozess einer künftigen oder gerade erfolgten Zuwanderung.
Der Begriff Ausländer wird vor allem in rechtlicher und statistischer Hinsicht verwendet und
bezieht sich auf alle Menschen, die nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen. Der
Jahresbericht 2012 kann überwiegend nur Aussagen zu Ausländern vornehmen, da das Statistische Landesamt außer für den Bereich der Schulbildung noch nicht über Zahlen zu allen Personen mit Migrationshintergrund verfügt.
Soweit in diesem Bericht die männliche Form gebraucht wird, werden Männer und Frauen in
gleicher Weise angesprochen.
1 Vgl. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und
Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2011.
Wiesbaden 2012, 5–7.
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie uns gefunden haben
und sich die Zeit nehmen, hier weiterzulesen.
Wir möchten, dass möglichst viele Menschen
in Sachsen mehr darüber lernen, wie unser
Land zukunftsfähiger wird, wie wir bei steigender Vielfalt Zusammenhalt bewahren können
und als immer buntere Gesellschaft den
künftigen Anforderungen besser gerecht werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte
während der Gedenkveranstaltung für die
Opfer der Neonazi-Terrorzelle 2012 einen wichtigen und zukunftsweisenden Satz: »Deutschland, das sind alle, die in diesem Land leben,
unabhängig davon, wo sie herkommen.« Für
diese Einheit in Vielfalt setzen wird uns ein.
Vorwort
Altmarkt nach Dresden Laubegast ging,
fand ich genau eine geöffnete Gaststätte:
die »Jägerklause«. Heute gibt es mehr als
ein Dutzend internationale Gaststätten allein
in der Weißen Gasse neben dem Dresdner
Rathaus. Gastronomisch holen wir uns die
Welt schon lange nach Sachsen. Und langsam kommen auch immer mehr Menschen
aus dem Ausland zu uns. Fast die Hälfte der
Zuwanderer aus dem Jahr 2011 kam aus anderen EU-Mitgliedsstaaten.
Heute hat etwa vier bis sechs Prozent
der sächsischen Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Das sind Menschen, die
entweder selbst aus dem Ausland kamen,
oder bei denen ein Familienmitglied aus
dem Ausland kam. Sie bringen ihre Kulturen
mit und geben uns die Chance, ihre Stärken
kennen und schätzen zu lernen.
Schwarz-weiß war gestern
Erinnert sich noch jemand an das Jahr 1969,
als das Fernsehen farbig wurde? Ab dem Jahr
war niemand mehr mit schwarz-weißen
Bildern zufrieden. Wir wollten es bunt.
Ähnlich bunt wollen wir es heute. Kaum
jemand will noch in einer Gesellschaft leben,
in der nur schwarz-weiß oder braun-in-braun
die Richtung angeben. Die Welt ist bunt.
Sachsen ist bunt. In den letzten zwanzig
Jahren ging es mit Siebenmeilenstiefeln in
Richtung einer von Offenheit und Vielfalt
geprägten Gesellschaft.
Als ich im Winter 1994 im Schnee entlang
der Straßenbahnlinie 4 zu Fuß vom Dresdner
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Unsere bunte Zukunft
Im Kontakt mit ihnen lernen wir, dass man
Dinge auf verschiedene Weisen sehen kann.
Dieser Perspektivwechsel gibt uns neue Ideen
und bereichert so unser Leben. Die Jugend
erkennt das meist schneller als die Älteren
von uns. Für weltoffene junge Menschen ist
das Wort »bunt« schon längst zum Kennzeichen für Weltoffenheit geworden. 2012 ist in
Sachsen eine Reihe von Initiativen für mehr
Weltoffenheit in den verschiedenen Regionen Sachsens entstanden, wie z. B. Buntes
Bautzen oder Buntes Radebeul. Der MDR
3
produzierte eine mehrteilige Sendung unter
dem Titel »Unsere bunte Heimat«, die Portraits
von Menschen mit Migrationshintergrund in
unserer Gesellschaft zeigte. Nach Berichten
des MDR soll diese Serie vor allem bei jungen
Menschen überdurchschnittliche Zuschauerquoten erreicht haben. Viele junge Menschen
erkennen im täglichen Miteinander, wie
bereichernd das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturen sein kann.
Kulturen können sich gegenseitig stärken
Ich habe es selbst erlebt, als ich nach 30 Jahren aus dem Ausland nach Sachsen zurück
kam und hier helfen konnte, eine große
Fabrik für einen amerikanischen Konzern
aufzubauen. Bei diesem Projekt bauten wir
bewusst auf eine konstruktive Kombination
der verschiedenen kulturellen Stärken, der
deutschen und der Kultur der USA. Jedes Land
hat seine eigenen kulturellen Stärken. Die
amerikanische Kultur liebt die Risikobereitschaft. Die Pioniere im Westen der Vereinigten Staaten wurden Vorbild für unternehmerisches Risiko. Wo wir Deutschen noch nachrechnen, sind die Amerikaner bereit, auch
ohne vollständige Daten eine unternehmerische Entscheidung zu treffen. Wir Deutschen
wiederum sind Meister der Präzision und der
Gründlichkeit. Das Team bei AMD verstand
es, diese Stärken zu kombinieren, und sich
damit fast zu früh schon für Innovationen zu
entscheiden, während die sprichwörtliche
Gründlichkeit sicherstellte, dass die vielen
Risiken auf dem Weg zur Umsetzung früh
erkannt und gemeistert wurden. Von diesem
Erfolg profitiert das Silicon Saxony in der
Region Dresden/Freiberg auch heute noch.
Doch wie gehen wir mit unserer eigenen
Identität um, wenn wir auf Ideen von anderen
Kulturen treffen und davon einige Aspekte
aufgreifen? Verlieren wir unsere eigene Identität? Vergessen wir, wer wir sind?
4
Meine Antwort ist ein definitives »NEIN«.
Niemand vergisst, wer er oder sie ist. Doch
wir können dazu lernen. Unsere Identität ist
schon jetzt vielfältiger als wir denken. Wir
nehmen sie für selbstverständlich. Wir stammen aus einer Familie, aus einer Nachbarschaft. Wir bekennen uns zur Heimatstadt,
zum Landkreis, zu Sachsen, zu Deutschland,
zu Europa und natürlich auch zur Welt. Und
wir schaffen es, alles unter einen Hut zu bekommen. Es raubt niemandem den Schlaf,
weil er sein Bekenntnis zu Sachsen und zu
Deutschland nicht unter einen Hut bekommt.
Und natürlich bekennen wir uns auch
zur Welt, sonst wäre die ganze Diskussion
über den Klimawandel leeres Gerede. Und
wir bekennen uns zur UNO, zum Weltgerichtshof und zu den Menschenrechten,
die in unserer Gesellschaft eine wichtige
Rolle spielen.
Diese Vielfalt macht unser Potenzial aus.
Im Diskurs mit Menschen aus anderen Kulturen in unserem täglichen Umfeld wird unsere
Vielfalt größer. Mit anderen Worten: Wir werden als Einzelne und als Gesellschaft bunter,
und das ist gut so.
zu kommen. Wiederum sehr viel später,
manchmal um Generationen verzögert,
kommen die Ewig-Gestrigen, die weitermachen wollen wie bisher, auch wenn sie
damit der Gesellschaft und sich selbst ins
eigene Fleisch schneiden.
Wie kommt es zu diesen Verzögerungen?
Kann eine Gesellschaft nicht gemeinsam und
zur gleichen Zeit Veränderungen akzeptieren
und umsetzen? Die kurze Antwort ist »nein«.
Viele Menschen möchten den Status Quo,
die »alten und bewährten Lösungen« aufrechterhalten, auch wenn sie nicht mehr
sinnvoll sind.
Gesellschaft als Zeitkarawane
Besonders wenn die Veränderung in Gesellschaften langsam vor sich gehen, sind wir
versucht, sie nicht wahrzunehmen. Wir
ignorieren oder unterschätzen sie. Und
häufig müssen wir durch eine Krise, bis wir
zu neuen Lebensweisheiten oder Tugenden
kommen.
In der ersten Phase verdrängen wir die
Veränderungen. Wir bestreiten sie. Und vielleicht wählen wir auch den einen oder anderen Politiker, der uns dabei bestärkt. In der
zweiten Phase kommt der Widerstand. Wir
versuchen, die Veränderungen zu bekämpfen.
Der Ruf »Ausländer raus« ist solch ein vergeblicher Versuch. Der Kampf gegen die
veränderte Welt ist wie das Reiten von Don
Quichote gegen die Windmühlen: ohne Wir-
Gesellschaften verändern sich fortwährend.
Sie bewegen sich nach vorn wie eine »Zeitkarawane«. An der Spitze befinden sich die
Trendsetter, die erkennen, was im Interesse
der Gesellschaft ist, wo die nächsten Schritte
hingehen könnten. Das sind oftmals nicht
mehr als fünf Prozent der Gesellschaft. Ihnen
folgen in einigem zeitlichen Abstand die
etwa zehn bis 15 Prozent der frühen Trendaufgreifer, die offen für Neues sind und die
gerne früh dabei sein möchten.
Deutlich später kommt die große Mehrheit hinterher, die bereit zur Weiterreise ist,
wenn sie erkennt, dass es in ihrem eigenen
und im gesellschaftlichen Interesse ist, voran
Jahresbericht 2012
Wie verändern wir uns?
Neue Wege zu beschreiten, von Altem abzulassen, das ist schwer. Schon Hermann
Hesse wollte uns mit den ersten Zeilen seines
Gedichtes »Stufen« dazu ermutigen:
»Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.«
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kung. Erst wer das erkannt hat, ist bereit für
die dritte Phase der Veränderung: die Exploration oder die Suche nach neuen Lösungen.
Wer gut sucht und neue Ideen ausprobiert,
findet dann auch Lösungen. In der vierten
Phase heißt es Identifikation mit der neuen
Lösung.
Diese Reise von Verdrängung zur Identifikation kann kurz sein, oder sie kann bei
Einzelnen unmöglich sein. Es liegt an der
Offenheit zum Lernen.
Die Richtung unserer Reise zu mehr Weltoffenheit ist klar. Deutschland schrumpft
demografisch, und zwar um etwa ein Drittel
pro Generation. Um unseren Lebensstandard
und unsere Lebensqualität aufrecht zu erhalten, brauchen wir Menschen aus aller Welt,
die sich mit ihren Talenten bei uns einbringen. Das gilt auch für Sachsen.
Die Welt kommt zu uns, und wir werden
dadurch bereichert und bunter. Für Deutschland steht ein grundlegender Perspektivwandel bevor. Im Jahre 2035 werden die Menschen
mit Migrationshintergrund die Mehrheit der
Bevölkerung in Deutschland darstellen. Die
Herkunftsdeutschen werden in der Minderheit sein. Auch in Sachsen wird der Anteil
der Migranten wesentlich höher liegen.
Wie gelingt es uns dann, diese Vielfalt
konstruktiv zu leben? Wie stärken wir unsere
Einheit in Vielfalt? Welche Schritte müssen
wir noch gehen?
Dieser Jahresbericht will ermutigen. Er
zeigt mit vielen Beispielen, wie wir vorankommen. Aber er ist kein Jubelbericht. Er
zeigt verschiedene Bereiche, in denen wir
noch besser werden können. Ich möchte nur
die Perspektive der ausländischen Forscher
und Fachkräfte in Sachsen aufgreifen, über
die wir in späteren Kapiteln berichten werden. Die kann man mit dem Satz zusammenfassen: Ermutigendes ist getan, viel bleibt zu
tun übrig.
Wer sich als Lernender versteht, für den
sind Hinweise auf Verbesserungen willkommen.
5
Ich bin überzeugt, dass sich die meisten
Institutionen in Sachsen als lernende Organisationen verstehen und unsere Hinweise
dankbar aufnehmen werden.
Was haben wir von Einheit in Vielfalt?
Und was haben wir von einer Willkommensgesellschaft, die sich zu einer Einheit in
Vielfalt bekennt? Der britische Historiker
Timothy Garton Ash beschrieb es vor einiger
Zeit in einer amerikanischen Zeitschrift so:
Unsere zukünftige weltoffene Gesellschaft
wird von Aufgeschlossenheit und Vorurteilsfreiheit gekennzeichnet sein. Wir werden
offen sein, von Anderen zu lernen, auch
wenn wir ganz anderer Meinung sein mögen.
Von Gottfried Ephraim Lessings Stück
»Nathan der Weise« haben wir gelernt, dass
es möglich sein kann, dass wir uns irren,
auch wenn wir davon überzeugt sind, das
wir im Recht sind. Dieses Eingeständnis
in unser mögliches Irren erlaubt es uns, mit
Menschen aus anderen Kulturen zu leben,
die auch um die Möglichkeit des eigenen
Irrens wissen.
Diese schwere, aber wichtige Bescheidenheit ist die Grundlage für unser Bekenntnis
zum Grundgesetz. Ein Land, ein Gesetz. Und
das Grundgesetz hat das Primat über alle anderen Bekenntnisse, weil es die Voraussetzung für Werte wie Gleichheit, Freiheit und
Toleranz ist.
Die zukünftige weltoffene Gesellschaft
wird auch Ordnungskräfte haben, die sicherstellen, dass alle Mitmenschen das Recht auf
Freiheit, Unversehrtheit, Gleichberechtigung
und eigenen Lebensweg haben. Es kann keine
6
Enklaven von eingeschränktem Recht in unserer Gesellschaft geben. Und das heißt, dass
wir uns nicht bei nebensächlichen Unterschieden aufhalten, sondern uns auf die Verteidigung der Grundrechte konzentrieren.
Unsere weltoffene Gesellschaft wird
durch konkrete Begegnungen fortbestehen,
in denen Menschen unterschiedlicher Überzeugungen an gleichen Zielen im gemeinsamen Interesse arbeiten. Sie erkennen dann,
dass uns bei aller möglichen Verschiedenheit
unserer Vorstellungen und Religionen mehr
gemeinsam ist, als uns trennt.
Wir werden erleben, dass wir nicht nur
die Neuankömmlinge in unserer Gesellschaft
willkommen heißen und ihnen unsere Werte
vermitteln, sondern dass auch die Neuankömmlinge uns empfangen und uns Zugang
zu ihren Werten geben, damit wir erkennen,
wie wir gemeinsam neue Chancen erkennen
und nutzen.
Wir hoffen, dass Sie von diesem attraktiven
Bild unserer Zukunft ein wenig angesteckt
und neugierig gemacht wurden. Schauen Sie
in diesen Bericht. Entdecken Sie die neuen
Initiativen für ein offeneres Sachsen.
Denken Sie an das Vier-Phasen-Modell
der Veränderungen. Wo sehen Sie sich? Wir
hoffen, auf eine Gesellschaft, in der Einheit
durch Vielfalt nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern gelebt wird. Wir würden uns
freuen, wenn Sie Möglichkeiten entdecken,
zu dieser Zukunft beizutragen.
Ihr Martin Gillo
Jahresbericht 2012
1.
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
»Heim-TÜV« 2012 .............................................................................................................................. 9
Zur Methode des »Heim-TÜV« .......................................................................................................... 11
Ergebnisse des »Heim-TÜV« ............................................................................................................. 13
Gute Beispiele dienen als Vorbilder ................................................................................................. 14
Noch gibt es viel zu tun .................................................................................................................... 24
»Heim-TÜV« verstetigen und verbreiten ........................................................................................... 28
Ausblick »Heim-TÜV« ....................................................................................................................... 30
2.
2.1
2.2
2.3
2.4
Soziale Inklusion ermöglichen: Menschenwürde als Maßstab .....................................................
Soziale Inklusion von Asylsuchenden:
Empfehlungen des Netzwerkes Integration und Migration Sachsen (NIMS) ....................................
Ein Inklusionsaspekt: Wege zur deutschen Sprache und Wege zur Verständigung .........................
Orientierungshilfe für Asylsuchende ...............................................................................................
Die sächsische Härtefallkommission: Mitmenschlichkeit zeigen .....................................................
36
40
44
49
3.
3.1
3.2
3.3
3.4
Willkommensgesellschaft Sachsen: Was ausländische Fachkräfte sagen ...................................
Gegenseitige Verständigung fördern.................................................................................................
Serviceorientierung der Behörden erhöhen .....................................................................................
Interkulturelle Öffnung der Gesellschaft fördern .............................................................................
Willkommensgesellschaft Sachsen: Eine Frage des guten Willens ...................................................
53
56
60
64
67
4.
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
Zuwanderungsland Sachsen: Was sächsische Unternehmen empfehlen..................................... 71
Warum wir ausländische Fachkräfte brauchen – Unternehmen berichten über ihre Zukunft .......... 73
Willkommenskultur und Serviceorientierung in den Behörden verbessern .................................... 75
Familien und Partner der Zuwanderer berücksichtigen ................................................................... 86
Interkulturelle Begegnung und gegenseitige Wertschätzung fördern .............................................. 90
Sachsen als attraktives Zuwanderungsland:
Vorhandene Spielräume mutig nutzen ............................................................................................. 95
5.
5.1
5.2
5.3
Einigkeit macht stark: Netzwerke im Bereich Integration und Migration .................................... 97
Netzwerk Integration und Migration Sachsen (NIMS) ..................................................................... 98
Die Zusammenarbeit mit den kommunalen Ausländerbeauftragten
und Integrationsbeauftragten.......................................................................................................... 109
Netzwerke auf Bundesebene: Für Partizipation und Integration .................................................... 106
6.
Begegnungen schaffen: Die Interkulturelle Woche 2012 ............................................................... 121
7.
7.1
7.2
7.3
7.4
Vielfalt im Ehrenamt: Interkulturelle Öffnung als Chance ........................................................... 135
Lernen offen zu sein – Das Einbürgerungsfest am 16.06.2012 .......................................................... 138
Integration durch Sport – Wegbereiter der interkulturellen Öffnung ............................................... 142
Aus Liebe zum Menschen – Integration im ehrenamtlichen Rettungswesen ................................... 145
Mehrgenerationenhäuser als Orte interkultureller Begegnung
und Angebote zum Engagement von Migranten .............................................................................. 147
Einsatz braucht Vielfalt – Vielfalt braucht Ihren Einsatz:
Interkulturelle Öffnung des Deutschen Feuerwehrverbandes.......................................................... 149
7.5
33
8.
8.1
8.2
8.3
8.4
8.5
8.6
8.7
8.8
8.9
8.10
8.11
Vielfalt in die Öffentlichkeit bringen: Sachsen ist bunt ................................................................ 153
Alle Deutschen werden Brüder – oder: Wie wird maneiner von uns?.............................................. 154
Der Sächsische Integrationspreis: Migranten für Sachsen und Sachsen für Migranten ................... 155
Trimediale Integration ..................................................................................................................... 161
Herzlich willkommen in Chemnitz .................................................................................................. 164
Pirna: Wir feiern Vielfalt! ................................................................................................................ 165
Lessingstadt Kamenz: Miteinander ist möglich ............................................................................... 166
Wir sind Leipzig: Ort der Vielfalt ..................................................................................................... 168
trägerverBUNT Bautzen: Mit Aufgeschlossenheit und Kreativität ................................................... 169
Buntes Radebeul: Für eine offene Gesellschaft ............................................................................... 170
Riesaer Appell: Gesicht zeigen für Vielfalt ....................................................................................... 171
Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer – Moment mal................................................................... 172
9.
Ausblick: Kurs auf 2035 .................................................................................................................. 175
10.
Dokumentation .............................................................................................................................. 183
11.
Statistik .......................................................................................................................................... 227
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1. »Heim-TÜV« 2012
Zur menschenwürdigen Unterbringung
von Asylsuchenden in Sachsen
Asylsuchende aus aller Welt suchen einen Neuanfang in Freiheit und Frieden. Sie kommen
hierher in der Hoffnung, mit ihren Talenten
ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu
können und so ihre Träume zu erfüllen.
Ihre Hoffnung scheitert meist an der Realität. Sie werden zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen aufgenommen. Ihre Daten
werden geprüft und sie können ihren Antrag
auf Asyl stellen. Die Bearbeitung durch das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
kann sich über Monate, manchmal auch über
Jahre hinziehen. Danach haben die Asylsuchenden das Anrecht auf gerichtliche Überprüfung. Auch das dauert meist sehr lange.
Nach diesen Verfahren erhält etwa ein
Drittel der Antragsteller den ersehnten Status
des anerkannten Flüchtlings, auf Dauer oder
auf Zeit. Ein Drittel etwa wird ausgewiesen,
entweder in das Herkunftsland oder in das
europäische Land, in dem die Betreffenden
zuerst Asyl beantragt haben. Vier von zehn
Antragstellern werden nicht anerkannt, können aber nicht ausgewiesen werden – weil
in den Herkunftsländern Krieg herrscht oder
es keine Flugverbindungen dorthin gibt. Es
kann auch daran liegen, dass sie aus Angst
oder anderen Gründen ihre wahre Identität
verschleiern und wir sie deshalb nicht in ihre
Heimat zurücksenden können.
Etwa 70 Prozent der Asylsuchenden leben
also über lange Zeit in Deutschland. Sie dürfen nicht arbeiten, sie sollen kein Deutsch
lernen. Die Regelungen dazu stammen aus
dem parteiübergreifenden Asylkompromiss
8
Jahresbericht 2012
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aus dem Jahre 1992. Zusammen mit der Auflage, Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen und ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken, glaubte man,
dass viele Asylsuchende nach einiger Zeit
Deutschland auf eigenen Wunsch wieder
verlassen würden.
Diese logisch entwickelten Regeln gelten
mittlerweile seit 20 Jahren. In diesen zwei
Jahrzehnten haben wir gelernt, dass formale
Logik und Psycho-Logik zwei unterschiedliche
Dinge sind. Statt zur Rückkehr zu motivieren,
können solche Regeln zur Verelendung
führen. Menschen, die ihre eigenen Talente
nicht einsetzen können, verlieren sie mit der
Zeit. Im Englischen sagt man über seinen
Körper: »Use it or lose it.« Also: Nutze ihn
oder verliere ihn.
Wenn wir Thomas Müller zwingen würden,
zwei Jahre keinen Fußball zu spielen, dann
würde er hinterher bestenfalls ein Zweitligist
sein. Und genau dazu zwingen wir Menschen,
die bei uns um Asyl bitten. Auch die Sekundärtugenden wie Fleiß, Ordnungsliebe,
Motivation gehen verloren, wenn man über
Jahre zur Untätigkeit gezwungen wird.
Das gilt auch für die Sprache. Ich traf in
einem entlegenen Asylbewerberheim einen
Studenten aus Nahost, der dort zwei Jahre
lang Deutsch am Goethe-Institut gelernt
hatte und dann unter Lebensgefahr nach
Deutschland floh. Nach zwei Jahren im Heim
hatte er fast seine ganzen Deutschkenntnisse
verloren. Und seine akademische Karriere
war auf dem sächsischen Lande verdorrt.
9
Während dieser erzwungenen Untätigkeit
überlassen wir die Flüchtlinge oft ihren eigenen Netzwerken.
Wenn es keine Rolle spielt, ob ich um sieben Uhr morgens oder erst nach Mittag aufstehe, dann spielt es auch keine Rolle, ob
ich mich dem Alkohol hingebe oder mich
konstruktiv in die Gesellschaft einbringe.
Kann solch ein Leben in unserem Interesse sein? Beklagen wir uns nicht dauernd,
dass die Flüchtlinge auf unsere Kosten
leben? Merken wir aber auch, dass wir es
sind, die dafür Anreize geschaffen haben?
Ich bin überzeugt, dass es an der Zeit ist,
unsere Selbsttäuschung aufzugeben. Denken
wir darüber nach, wie wir mit den Asylsuchenden auf konstruktive Weise umgehen
sollten, und zwar im Interesse der Gesellschaft und der betroffenen Menschen.
Aus diesem Grund habe ich im Dezember
während der Bundeskonferenz der Integrations- und Ausländerbeauftragten des Bundes, der Länder und Kommunen einen Entschließungsantrag gestellt, der von den anderen Beauftragten und ausdrücklich auch
von der Bundesbeauftragten, Prof. Maria
Böhmer, unterstützt wurde. Mit dieser Initiative greifen wir einen Vorschlag wieder auf,
den Dr. Wolfgang Schäuble bereits 2006 als
Bundesinnenminister gemacht hat.
Die Integrations- und Ausländerbeauftragten
der Länder haben sich im Dezember 2012
dafür ausgesprochen, allen in der Bundesrepublik Deutschland sich legal aufhaltenden
und geduldeten Ausländerinnen und Ausländern nach sechs Monaten den Zugang
zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit soll aktiv gefördert, gefordert und vorbereitet werden,
insbesondere durch Zugang zu Deutschkursen von Anfang an.
Wenn 70 Prozent der Asylsuchenden
langfristig bei uns bleiben, dann ist es in
unserem Interesse, dass sie Teil unserer
Gesellschaft werden, dass sie bei uns arbeiten dürfen, dass sie unsere Sprache erlernen
und damit unsere Kultur verstehen und respektieren lernen. Unsere Kultur und unser
Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen
Grundordnung werden auf Deutsch am besten kommuniziert.
All das ist in unserem Interesse.
Ebenso ist es für uns selbst als eine an
den Grund- und Menschenrechten orientierte
Gesellschaft wichtig, dass die bei uns lebenden Asylsuchenden menschenwürdig untergebracht werden. Um genau das zu überprüfen, haben wir den sogenannten »Heim-TÜV«
für Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende eingeführt.
Wir in Sachsen waren damit bundesweit
Vorreiter. Mittlerweile – und darüber freuen
wir uns – wurde man auch in anderen Bundesländern und im Bund darauf aufmerksam.
Stimmen aus der CDU in Sachsen-Anhalt fordern einen solchen TÜV auch für ihr Bundesland. Unsere Nachbarn in Thüringen begannen die Bedingungen in Asylbewerberheimen
auf ihre Vereinbarkeit mit der Menschenwürde hin zu überprüfen und Korrekturen
vorzunehmen. Auch auf Bundesebene findet
der »Heim-TÜV« ein positives Echo.
1.1
Zur Methode des »Heim-TÜV«
Die Methode des »Heim-TÜV« ermöglicht
es, das Leben in den jeweiligen Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende unter
Einbeziehung harter und weicher Faktoren
zu erfassen und vergleichbar in ein Bewertungssystem einzuordnen.
Die Methode erlaubt, Defizite hinsichtlich
einer menschenwürdigen Unterbringung
aufzuzeigen und präzise Verbesserungsempfehlungen abzuleiten. Die Ergebnisse werden
anhand eines Ampelsystems dargestellt.
In den Jahren 2010 und 2011 besuchten
wir jeweils alle sächsischen Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende und bewerteten
sie nach der von uns entwickelten Methode.
2010 stellten wir unsere Ergebnisse intern
den jeweils Verantwortlichen vor, um ihnen
Faktor 01
Unterbringung von
Familien und Frauen
Jahresbericht 2012
Faktor 02
Sicherheit
Faktor 03
Betreuung
Faktor 04
Frauen- und
Familiengerechtheit
Faktor 05
Integration von Kindern
Faktor 07
Mitwirkungsmöglichkeiten
Faktor 08
Lage und Infrastruktur
Faktor 09
Zustand und Umfeld
Faktor 10
Gesellschaftliche Einbindung
Heute:
Deutschkurs
Faktor 06
Bildungsangebote
10
zunächst Gelegenheit zur Verbesserung bzw.
Beseitigung von Missständen zu geben.
Im Vergleich zum Jahr 2010 haben sich
sieben Heime in der Gesamteinstufung von
Rot auf Gelb verbessert. Ein 2010 neu eröffnetes Heim hat die Bewertung Grün bekommen. Zwei der 2010 rot bewerteten Heime
wurden 2011 geschlossen.
Vor allem bei der dezentralen Unterbringung ließen sich in einigen Landkreisen deutliche Verbesserungen erkennen. Familien
werden verstärkt dezentral untergebracht, so
dass wir davon ausgehen können, dass der
Prozentsatz der dezentral Untergebrachten in
ganz Sachsen gestiegen ist.
Weitere Verbesserungen ließen sich bei
der Einbindung der Bewohner in die Gesell-
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11
schaft erkennen. Vereine kommen zunehmend auch in relativ weit abgelegene Heime.
Auch gibt es Verbesserungen im Angebot von
gelegentlichen Sprachkursen und sozialer
Betreuung.
Ebenso hatten sich Heime im Allgemeinen darin verbessert, dass zumindest einige
wenige Bewohner die Möglichkeit zur Wahrnehmung von Arbeitsgelegenheiten erhalten.
Positiv ist auch, dass Sanitäranlagen für
Frauen und Männer jetzt meist getrennt sind
und einige Unterkünfte renoviert und besser
ausgestattet worden, wie z. B. mit neuen
Fenstern, neuem Mobiliar und neuer Kücheneinrichtung.
2011 haben sich alle Landkreise außer
einem für die Bargeldzahlung entschieden.
Ein Landkreis hatte von der Magazinverpflegung auf ein Gutscheinsystem gewechselt.
Von den 30 im Jahr 2011 besuchten Heimen
wurden nach unserem Ampelsystem sechs
mit rot, also »unangemessen«, und fünf mit
grün »angemessen« bewertet. 19 Gemeinschaftsunterkünfte erhielten die Bewertung
gelb. Außerdem enthielt der Bericht konkrete
Empfehlungen zur Verbesserung der einzelnen Unterkünfte und darüber hinaus systemische Lösungsvorschläge für eine menschenwürdige Unterbringung, die sich mehrheitlich aus sächsischen »Best Practices«
ergeben haben2.
Wir konzentrierten unsere Besuche 2012
auf neu eröffnete und solche Heime, die 2011
am Ende der Rangliste standen.
Während in den Vorjahren die Ergebnisse
den betroffenen Kommunen nach unseren
Besuchen jeweils abschließend zur Kenntnis
gegeben worden waren, schickten wir 2012
den jeweiligen Entwurf unserer Abschlussbewertung an die betroffene Kommune und
gaben ihr Gelegenheit zur Stellungnahme.
Auch wenn dies einen leicht erhöhten Aufwand für beide Seiten mit sich brachte, hat
sich das Vorgehen bewährt: Die Kommunikation mit den Unterbringungsbehörden hat
sich verbessert, die Hinweise aus den Kommunen gaben uns Gelegenheit zur Korrektur
von Missverständnissen und trugen so zu
präziseren Ergebnissen bei.
Die nächste große Besuchsrunde wird
2013 durchgeführt werden.
Ergebnisse des »Heim-TÜV« 2012
Erfreulicherweise können wir durchweg eine
Tendenz zu leichten, in einigen Fällen auch
deutlichen Verbesserungen verzeichnen.
Diese Verbesserungen resultieren im Wesentlichen aus baulichen Fortschritten, dem Abbau von Spannungen zwischen Personal und
Bewohnern sowie der Möglichkeit für die
Bewohner, bei den Alltagsabläufen in den
Unterkünften mehr als bisher mitzuwirken.
Landkreis –
Kreisfreie Stadt
Ganz besonders freut uns, dass sich weiter
die Einsicht in Politik und Behörden durchgesetzt hat, dass Gemeinschaftsunterkünfte
nicht angemessen für Familien und ganz besonders nicht angemessen für Kinder und
alleinstehende Frauen sind. Die Erkenntnis
zeigt sich darin, dass der Anteil der Familien
bzw. Alleinerziehenden, die dezentral untergebracht werden, stetig wächst.
Heim
Beurteilung 2011
Beurteilung 2012
Niesky
– 0,25
+ 0,05
Zittau
Neu seit 2012.
– 0,06
Radebeul
– 0,5
– 0,39
Weinböhla
– 0,27
– 0,16
Landkreis
Sächsische Schweiz –
Osterzgebirge
Langburkersdorf
Die Bewertung basiert
auf unseren Einschätzungen von 2010,
da das Gebäude 2011
abgebrannt ist.
+ 0,08
Landkreis Bautzen
Kamenz
Neu seit 2012
+ 0,54
Landkreis Nordsachsen
Delitzsch
– 0,47
+ 0,27
Fichtenstraße
Vor 2012 nicht besucht
+ 0,81
Großenhainer Straße
Neu seit 2012.
+ 0,47
Elbisbach
– 0,54
– 0,37
Hopfgarten
– 0,48
– 0,44
Thräna
– 0,51
– 0,15
(vorläufige Einschätzung)
Bahren
– 0,37
– 0,21
(vorläufige Einschätzung)
Landkreis Görlitz
Landkreis Meißen
Stadt Dresden
2 Der Bericht »Mitmenschen im Schatten –
›Heim-TÜV‹ 2011 über das Leben in sächsischen
Gemeinschaftsunterkünften« kann über die
Geschäftsstelle des Sächsischen Ausländerbeauftragten bezogen oder unter
www.offenes-sachsen.de eingesehen werden.
12
1.2
Landkreis Leipzig
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
13
1.3
Gute Beispiele dienen
als Vorbilder
Besonders ermutigend sind die vielen guten
Initiativen für die soziale Inklusion von Asylsuchenden in den Landkreisen und Kreisfreien Städten. Diese Beispiele zeigen, was
möglich ist.
Wir empfehlen diese Vorbilder ausdrücklich zur Nachahmung. Deswegen stellen wir
sie an dieser Stelle ausführlich vor:
1.3.1 Bildung ermöglichen und
Spracherwerb unterstützen
In Deutschland müssen alle Kinder und Jugendlichen zur Schule gehen, wenn sie älter
als sechs Jahre sind. Kinder sind ab dem ersten Tag schulpflichtig, egal, ob sie in einer
Gemeinschaftsunterkunft oder dezentral
untergebracht sind.
Generell ist seit unseren letzten Besuchen
zu sagen, dass sich die Kooperation zwischen
Landkreis- bzw. Stadtverwaltungen und den
Mitarbeitern der Sächsischen Bildungsagentur deutlich verbessert hat. An allen Schulen
wird von Beginn an eine Schullaufbahnberatung durchgeführt. In jeder Regionalstelle
der Sächsischen Bildungsagentur stehen dafür die Koordinatoren für Migration als Ansprechpartner zur Verfügung.
Berufsvorbereitungsklassen
Der Landkreis Nordsachsen hat eine Empfehlung aus unserem »Heim-TÜV« umge-
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setzt und 2011 eine Berufsvorbereitungsklasse
an einer Berufsschule eingerichtet, in der
Asylsuchende zwischen 18 und 27 Jahren aus
den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises Deutsch lernen können. Diese Möglichkeit ist vom Gesetzgeber vorgesehen.
Im Schuljahr 2011/2012 gab es insgesamt
188 Schüler unter 27 Jahren mit Migrationshintergrund, die an einem Berufsvorbereitungsjahr mit Vorbereitungsklassen mit
berufspraktischen Aspekten im Freistaat
Sachsen teilnahmen. Besonders hervorheben
möchten wir jene Städte und Landkreise,
die die Jugendlichen über eine solche Möglichkeit der Fortführung ihrer mitgebrachten
Kompetenzen auch informieren.
In einigen Landkreisen bzw. Kreisfreien
Städten werden diese Schüler auch durch die
Gewährung von Zuschüssen zu Fahrtkosten
und Schulbedarf unterstützt und begleitet.
Die Stadt Leipzig schließt in ihrer Schülerbeförderungssatzung auch Kosten für die
Schüler ein, die eine Vorbereitungsklasse
mit berufspraktischen Aspekten besuchen.
Sprachkurse
Der Erwerb der deutschen Sprache ist für alle
Migranten die wichtigste Voraussetzung für
die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in
Deutschland. Auch für das Zusammenleben
im Heim ist die gemeinsame Sprache essenziell. Der Landkreis Nordsachsen bezuschusst
Sprachkurse im Heim aus dem allgemeinen
Jahresbericht 2012
Haushalt. Besonders eingerichtete Sprachkursräume zum Beispiel in Nordsachsen
oder Zwickau können auch als Leseräume
genutzt werden.
Seit dem 01.01.2012 besteht die Möglichkeit,
dass Flüchtlinge unter bestimmten Bedingungen vor einer Aufenthaltserteilung einen
deutschen Sprachkurs besuchen können.
Diese Sprachkurse sind vom Europäischen
Sozialfonds (ESF) und dem Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert
und sehen eine Kursdauer von sechseinhalb
Monaten vor. In Sachsen wurden im Jahr
2012 insgesamt 145 Asylsuchende in den
Landkreisen Vogtlandkreis, Sächsische
Schweiz – Osterzgebirge, Bautzen, Meißen,
Leipzig und in den Kreisfreien Städten
Dresden, Leipzig und Chemnitz in solche
Sprachkurse eingebunden.
Im Vogtlandkreis wird seit Oktober 2012
der erste berufsbezogene Sprachkurs von der
Euro-Schule Plauen angeboten.
Für den Aufbau der neuen Sprachklasse
haben die Ausländerbehörde des Vogtlandkreises, die Euro-Schule Plauen als Bildungsw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
träger und der Sächsische Flüchtlingsrat e. V.
als Vertreter des RESQUE PLUS Projektes eng
zusammen gearbeitet.
Die Sprachförderkurse enthalten einen
praktischen Teil von sechs Wochen, der ein
Praktikum beinhalten kann. Weiterhin bestehen die Kurse aus Unterrichtseinheiten mit
deutschem Sprachunterricht und Unterrichtseinheiten mit fachtheoretischem Unterricht.
Der Sprachförderkurs in Plauen beispielsweise ist im praktischen Teil u. a. in den
hauseigenen Werkräumen bei einem Maurerund einem Malermeister tätig. Während die
Teilnehmer zu Beginn häufig ein Gemisch
aus Englisch und Deutsch gebrauchen, wenden sie zunehmend die deutsche Sprache an.
Paten helfen lernen
In der Stadt Leipzig engagieren sich Schüler
und Studenten, um den Zuwanderern zu
helfen, die deutsche Sprache zu erlernen.
Sie sammelten unter den Leipziger Bürgern
Bücher für eine Bibliothek in einer Asylbe-
15
lich mit der Integrationsmedaille der
Bundesregierung ausgezeichnet wurde.
Im Erzgebirgskreis gibt es ein Patenschafts-Modell für dezentral untergebrachte
Familien. Diese bekommen jeweils einen
ehrenamtlichen Paten zur Seite gestellt. Die
Paten helfen dann bei Wohnungssuche, Eingewöhnungsprozess, Fragen und Problemen.
Insgesamt waren im Sommer 2012 sechs
Paten vom Diakonischen Werk und vom
Bürgerhaus tätig. Das ist ein ermutigender
Anfang.
werberunterkunft. Diese soll im Stadtteil
Wahren Anfang 2013 eröffnet werden.
Sie ist Teil eines Plans der Stadt, Flüchtlinge
künftig dezentraler unterzubringen.
Besser noch als nur aus Büchern lässt
es sich mit persönlicher Hilfe lernen. Diesen
Ansatz verfolgt ein anderes Projekt in Leipzig
bereits seit acht Jahren. Es heißt »Integration
durch Bildung« und ist beim Flüchtlingsrat
Leipzig angesiedelt. Vorrangig geht es darum,
Migranten beim Erwerb deutscher Schulabschlüsse zu helfen. Diese sind unabdingbar,
damit die Zuwanderer Arbeit finden und auf
diesem Weg in die deutsche Gesellschaft
integriert werden. Die ersten Schülerinnen
waren fünf junge Frauen, die noch nie eine
Schule besucht hatten und denen beim gemeinsamen Backen Wissen über Maße und
Gewichte vermittelt wurde.
150 Migranten werden regelmäßig von
etwa 220 Freiwilligen unterrichtet, unter
denen viele Studierende sind, daneben aber
auch pensionierte Lehrer und Pfarrer, Rentnerinnen und auch Arbeitssuchende. Sie
werden für die Flüchtlinge damit zu einer
Art Botschafter für ein offenes Land und sind
viel mehr als nur Lehrer. Die im Ehrenamt
tätigen Lehrer helfen zudem bei Behördengängen und können bei gesundheitlichen
oder sozialen Problemen in den Familien
professionelle Hilfe organisieren. Das Projekt
dürfte dazu beigetragen haben, dass Frau
Brogiato vom Leipziger Flüchtlingsrat kürz-
16
1.3.2 Eigenverantwortung fordern
und Mitwirkung ermöglichen
Heimbeiräte ermöglichen eine Mitwirkung
und Mitverantwortung der Bewohner in Angelegenheiten des Heimbetriebs. In zwei
Chemnitzer Unterkünften wird dieses Modell
sehr erfolgreich angewandt. Mehrere gewählte
Heimbewohner arbeiten zusammen in einem
Heimbeirat. Auch in der Stadt Dresden wurde
dieses Jahr trotz einiger Anlaufschwierigkeiten
erstmalig eine Heimsprecherwahl eingeführt.
Zukünftig ist geplant, dass die gewählten
Heimsprecher als Vertreter der Bewohner
an einer Heimleiterberatung zu einzelnen
Themenbereichen teilnehmen. Auf diese
Weise lernen die Asylsuchenden Demokratie
im eigenen Umfeld kennen, und können
diese selbst praktizieren.
Der Heimbeirat oder Heimsprecher hat
die Aufgabe, hausintern auf Sauberkeit und
Sicherheit hinzuwirken und das Zusammenleben konstruktiv mitzugestalten. Die Bewohner bekommen so die Möglichkeit, eigenständig zu handeln, sich selbst einzubringen
und gemeinsam eine Lösung für alltägliche
Probleme des Zusammenlebens zu finden.
Der Landkreis Bautzen ist gerade in der
Planung eines Heimbeirates. Dabei sollen gezielt vorhandene deutsche Sprachkenntnisse
einzelner Bewohner genutzt und so die KomJahresbericht 2012
munikation unter den Bewohnern und den
Mitarbeitern verbessert werden. So könnte
ein im Herkunftsland studierter Germanist
bei der Bildung eines Heimbeirates und dem
Herausfinden und Lösen von Problemen der
Bewohner hilfreich sein.
In einigen Heimen haben die Bewohner
Zugang zum Internet. Das ermöglicht die
Kommunikation mit dem Herkunftsland und
besonders mit der Familie dort. Die Bewohner könnten damit auch Deutsch lernen und
andere Recherchen durchführen. Wenn man
sich informieren kann, ist das auch eine Form
der Emanzipation. In einem anderen Bundesland haben einige Heimbewohner sogar ein
eigenes Internetcafé in einer Gemeinschaftsunterkunft eröffnet.
1.3.3 Vernetzung zwischen
Heimleitern/Heimpersonal
und Vereinen
Zur besseren Vernetzung der Einrichtungen
untereinander und zum Festlegen gemeinsamer Arbeitsstrukturen und Standards
führt die Landeshauptstadt Dresden seit
dem Jahr 2009 Heimleiterberatungen durch.
Dabei werden die Heimleiter vom Sozialamt
über Neuerungen und Änderungen zur
Thematik »Unterbringung« (z. B. Informationen des BAMF und des Sächsischen Staatsministerium des Innern, Aufnahmequote,
Verfahren, Verwaltungsvorschriften) informiert. Die Beratung bietet den Heimleitern
die Möglichkeit, Probleme und Fragen mit
den Mitarbeitern des Sozialamtes und mit
anderen Heimleitern zu besprechen, um
praktikable, auf die Belange der Bewohner
zugeschnittene Lösungen zu finden. Die
Treffen dienen einerseits dem Erfahrungsaustausch und andererseits als Plattform,
um neue Ideen und deren Umsetzung zu
diskutieren (z. B. Projekte, Workshops zur
sozialen Arbeit).
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1.3.4 Eigenständige Mobilität der
Bewohner unterstützen
Mobilität kostet Geld – das gilt gerade
für die abgelegenen Unterkünfte. Besonders das Ticket zu einem weit entfernt gelegenen Sprachkurs muss oft vom Taschengeld gespart werden. Außerdem fallen
Wege zur Ausländerbehörde, in die Beruflichen Schulzentren, zum Arzt, zum Einkaufen, in die Beratungsstellen oder zu
Vereinen an.
Ein eigenes Fahrrad hat unter diesen Bedingungen einen hohen Stellenwert. Hier
gibt es in Sachsen immer wieder einzelne
Spendenaktionen, bei denen Asylsuchenden
gebrauchte Fahrräder zur Verfügung gestellt
werden. Andere Vereine in Sachsen rufen
zu Spendenaktionen für die Übernahme
von Tickets zu den Berufsschulzentren auf.
1.3.5 Asylsuchende gesellschaftlich
einbinden und Vorurteile abbauen
Es gibt in Sachsen Gemeinschaftsunterkünfte, zu denen weder Vereine noch Beratungsstellen der Freien Wohlfahrtspflege
noch Menschen aus der Nachbarschaft, die
vielleicht ehrenamtlich helfen wollen, Zutritt haben. Das ist unakzeptabel. Völlige
Isolation widerspricht nicht nur unserem
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Bekenntnis zur Menschenwürde, sie verschärft auch Spannungen im Heim selbst
und mit der Umgebung.
Viele Kommunen setzen deshalb auf die
Zusammenarbeit mit Vereinen und Nachbarschaftsinitiativen. Dabei entstehen Kontakte,
die dazu beitragen können, Unkenntnis, Misstrauen und Vorurteile abzubauen. Gemein-
über das Bankkonto eingezogen werden.
Hier gibt es noch Verbesserungsbedarf.
In der Stadt Dresden hat die »Faninitiative 1953international der SG Dynamo Dresden« gemeinsam mit der AG Asylsuchende
eine Gruppe von Flüchtlingen ins DynamoStadion eingeladen, um gemeinsam das Spiel
gegen den VfL Bochum zu erleben. Finan-
dere Stütze in ihrer neuen Umgebung ist die
gelebte Gemeinschaft. Dazu gehören die
persönliche Betreuung durch das Team
sowie gemeinsame Mahlzeiten und regelmäßige Ausflüge aller Teilnehmer zu interessanten Orten in und um Dresden, wie z. B.
dem Sächsischen Landtag, die Sächsische
Schweiz und Bautzen. Bis Ende des Jahres
aber auch die Trainerinnen in diesem Projekt
erleben konnten. Frauen aus unterschiedlichen Ländern wie Algerien, Afghanistan,
Äthiopien, Syrien, Tunesien und dem Irak
nahmen teil. Sie hatten als Kinder nicht
Fahrradfahren gelernt, zum Teil weil es für
Frauen direkt verboten war, teilweise auch,
weil es für sie einfach unüblich ist.
same Sommerfeste mit der Nachbarschaft
oder regelmäßige Tage der offenen Tür sind
gute Beispiele, wie der Wille für ein konstruktives Miteinander gestaltet und erlebbar gemacht werden kann.
Zum Teil gehen beispielsweise auch
Sportvereine gezielt auf Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften zu und werben
um ihre Mitgliedschaft im Verein. Zukünftig
könnten Vereine motiviert werden, Sonderveranstaltungen oder Sonderbeiträge für
Flüchtlinge anzubieten, da sich diese teilweise den Mitgliedsbeitrag nicht leisten
können. Schwierigkeiten beim Beitritt in
einen Verein können schon so einfache Anforderungen wie ein Bankkonto darstellen.
Viele Asylsuchende haben noch keinen Zugang zu einem Bankkonto, doch verlangen
viele Vereine, dass die Mitgliedsbeiträge
ziert wird das Projekt mit dem Erlös aus der
Versteigerung von Sondertrikots. Die Trikots
mit der Aufschrift »Love Dynamo – Hate Racism« hatten die Spieler beim Heimspiel gegen Eintracht Braunschweig am 20.10.2012
getragen. Der Verein Dynamo Dresden unterstützt die Initiative öffentlich.
Im Mai 2012 ist in den Jugendwerkstätten
Umkehrschwung gGmbH in Kooperation mit
dem Jugendmigrationsdienst der Caritas
Dresden e. V. sowie dem Sächsischen Flüchtlingsrat e. V. ein Projekt für junge Asylbewerber entstanden, die sich im ersten Jahr ihres
Aufenthaltes in Deutschland befinden. Die
jungen Männer kommen aus Afghanistan bzw.
dem Iran. Neben sinnvoller Beschäftigung in
den Werkstätten erhalten sie Deutschunterricht (10 Wochenstunden) von einer Lehrerin
für »Deutsch als Zweitsprache«. Eine beson-
wird die erste Gruppe die Grundstufe (A1)
»Deutsch als Fremdsprache« erfolgreich abgeschlossen haben. Ihre deutlich verbesserten Sprach- und Ausdrucksmöglichkeiten
legen davon Zeugnis ab. Ihr persönlicher
Weg in die deutsche Lebens- und Arbeitswelt
ist in diesem halben Jahr vom Team der Umkehrschwung gGmbH begleitet, gefördert
und gestärkt worden. Hinzu kommt das gute
Miteinander von Asylbewerbern und deutschen Teilnehmern aus anderen Projekten,
das das interkulturelle Verständnis fördert
und gegenseitigen Vorurteilen entgegenwirkt.
»Wir sind alles starke Frauen«. Dieser
Satz wurde von einer Teilnehmerin eines
Frauen-Fahrradprojekts in Leipzig am Ende
einer Übungsstunde mit leuchtenden Augen
ausgerufen. Und er drückt sehr gut das Gefühl aus, das die teilnehmenden Frauen,
Die Ziele des zweimonatigen Projektes
waren verschiedene: Zum einen die sehr
praktische Fähigkeit des Fahrradfahrens.
Sie erleichtert den Alltag der Teilnehmerinnen, indem innerstädtische Wege selbstständig zurückgelegt werden können und sich
somit der Bewegungsradius der Frauen erheblich vergrößert. Zum anderen wurden
Kenntnisse der Verkehrsregeln vermittelt.
Im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge startete im Juni 2012 unter Schirmherrschaft des Landrates Michael Geisler das
Projekt des Pestalozzi-Gymnasiums Heidenau
»Begegnung wagen – Zukunft gestalten 2012«.
Im Rahmen von vier Veranstaltungen
haben sich die Heidenauer Schüler mit
der Frage auseinander gesetzt, wie unsere
Gesellschaft in Zukunft leben möchte, auf
welche Werte eine zukunftsfähige deutsche
18
Jahresbericht 2012
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19
Besonders schwierige krankheits- und
traumabedingte Fälle brauchen auch eine
besondere soziale Betreuung. Wie das konstruktiv gelöst werden kann, zeigt jetzt die
Stadt Leipzig. Dort wird ab 2013 ein Heim
für besonders schutzbedürftige Menschen
entstehen. Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund könnten mit ihrer Lebenserfahrung, ihren Sprach- und Kulturkenntnissen zu einem konstruktiven Leben in
der Gemeinschaftsunterkunft beitragen.
Sie helfen Brücken zu bauen – sowohl
zwischen den Bewohnern und der Heimleitung, als auch zwischen verschiedenen
Ethnien in der Unterkunft. In zwei uns
bekannten Unterkünften werden bereits
Mitarbeiter mit Migrationshintergrund
beschäftigt.
Gesellschaft aufbauen muss und welche
Rolle dabei Menschen aus anderen Kulturkreisen spielen können.
So haben die Schüler mit den Bewohnern
der Asylbewerberunterkunft in Heidenau Gerichte aus deren Heimat sowie der deutschen
Küche gekocht. Auch ein gemeinsames Fußballspiel hat stattgefunden. Ein besonderer
Stellenwert wurde den Gesprächen mit Asylbewerbern gewidmet, um mehr über ihre
Herkunft, ihre Beweggründe ihre Heimat zu
verlassen und ihre Erwartungen an Deutschland zu erfahren.
Höhepunkt des Projektes war die Abschlussveranstaltung am 17.07.2012, zu der
der frühere Bundespräsident Roman Herzog
zu einem Podiumsgespräch eingeladen war.
Schüler und Lehrer des Gymnasiums sind
überzeugt, dass mit diesem Projekt ein wichtiger Impuls gegeben wurde. »Wir denken,
ein Ruck muss auch durch unsere Art und
Weise des Umgangs mit den Asylbewerbern
gehen. Statt über sie, wollen wir mit ihnen
reden.«, so Schülersprecher Sebastian
Schwab, der das Projekt geleitet hat.
20
1.3.8 Im Dialog mit der Bevölkerung –
für die Gestaltung des Miteinanders
Einige Gemeinden und Landkreise haben
2012 neue Lösungen in der Unterbringung
von Asylsuchenden gesucht. Einige Heime
mussten geschlossen, neue Heime mussten
gefunden und saniert werden. Dabei hat sich
gezeigt, wie wichtig es ist, die einheimische
Bevölkerung rechtzeitig über solche Planungen zu informieren und wo möglich in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Da,
wo es zunächst nicht gelang, die Bürger an-
1.3.7 Sicherheit garantieren
1.3.6 Soziale Betreuung weiter ausbauen
In dem Bereich soziale Betreuung waren bisher
vor allem die sächsischen Städte gut aufgestellt. So gab es beispielsweise 2012 in der Stadt
Dresden soziale Betreuungskonzepte für die
Unterkünfte und die dezentralen Wohnungen.
Auch Leipzig plant für 2013 die soziale Betreuung für die neuen Unterkünfte auszubauen.
Schriftliche soziale Betreuungs- oder
Unterbringungskonzepte gibt es bereits in
den Landkreisen Zwickau und Sächsische
Schweiz – Osterzgebirge sowie in den Kreisfreien Städten Leipzig und in Dresden. Auch
in Chemnitz arbeiten die Mitarbeiter der
Stadt nach einem Betreuungskonzept. In
zwei weiteren Landkreisen sind zukünftig
soziale Betreuungskonzepte geplant. In
Nordsachsen ist die soziale Betreuung von
Asylsuchenden Teil des Konzepts zur Integration von Migranten. Generell sollte sichergestellt sein, dass die Konzepte zur sozialen
Betreuung die dezentral untergebrachten
Asylsuchenden mit erfassen.
Jahresbericht 2012
Das Thema Sicherheit spielt für die Gemeinschaftsunterkünfte, deren Bewohner und
die Nachbarschaft eine große Rolle. Von entscheidender Bedeutung für die Sicherheitslage ist die Zusammenarbeit der Unterbringungsbehörden und des Heimpersonals mit
den Polizeikräften vor Ort. Diese Zusammenarbeit gelingt umso leichter, je ausgeprägter
das Verständnis der Polizeibeamten für die
Situation aller Beteiligten ist. Zu diesem
Zweck führt das Landeskriminalamt Sachsen
einmal jährlich Arbeitstagungen mit Polizeibeamten unter der Überschrift »Vertrauensbildender Dialog zwischen Sicherheitsbehörden und Organisationen für Migranten und
Flüchtlinge« durch.
In den ganztägigen Veranstaltungen
werden unter anderem interkulturelle
Kompetenzen vermittelt und die Situation
von Migranten in Sachsen beschrieben.
So werden theoretische und praxisbezogene
Aspekte in Form eines interkulturellen
Trainings miteinander verzahnt.
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gemessen zu informieren und ihre Sorgen
ernst zu nehmen, engagierten sich Kommunen und Initiativen im Nachgang mit hohem
Einsatz, den Dialog wieder aufzunehmen
und arbeiteten für eine transparente und
solidarische Lösung.
In Leipzig, Gröditz und Großenhain
reagierten die Verantwortlichen auf die Einwände der Bevölkerung mit Runden Tischen
und Bürgerforen. Auch in Chemnitz ging die
Kommune offen auf die Bevölkerung zu und
veranstaltete Bürgerversammlungen, in denen die betroffenen Bürger die Möglichkeit
bekamen, ihre Sorgen und Ängste zum Aus-
21
riefen gemeinsam zu einem Lichterband auf,
um den Asylsuchenden ihre Solidarität zu
zeigen. Die vielen Bürger Kamenz machten
klar, dass menschenverachtendes Handeln
und Denken keinen Platz in der sächsischen
Gesellschaft haben. Diese gemeinsame Aktion war Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten – so engagiert sich beispielsweise das ansässige Gymnasium dabei, Deutschkurse für
die Asylsuchenden anzubieten.
In anderen Landkreisen setzt man auf
das Konzept des »Tags der offenen Tür«.
Diese Veranstaltungen tragen dazu bei, Vorbehalte und Ängste abzubauen und Kontakte
herzustellen. Bürger und Heimbewohner
druck zu bringen. Außerdem wurde in all
diesen Veranstaltungen gemeinsam nach
Möglichkeiten gesucht, wie das Miteinander
konstruktiv gestaltet werden kann.
Dabei wurden viele gute Ansätze gefunden.
Die Kirchgemeinde in Großenhain gestaltete
beispielsweise ihren Buß- und Bettags-Gottesdienst als Informationsveranstaltung mit
Vertretern von Stadt, Landkreis und Diakonie,
um sich gemeinsam über den Umgang mit
den neuen Mitbürgern auszutauschen. Die
Kollekte des Abends wurde für Deutschkurse
für die Asylsuchenden gespendet.
Die Zivilgesellschaft setzte 2012 gemeinsam mit den sächsischen Landkreisen und
Städten deutliche Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt.
So gab es im Landkreis Bautzen in Reaktion auf die Einrichtung einer neuen Gemeinschaftsunterkunft einen fremdenfeindlich
motivierten gewaltsamen Übergriff auf das
alte Heim in Kamenz. Behörden, Institutionen, Vereine und die Kamenzer Bürger reagierten sofort. Die Kamenzer Kirchgemeinden, Landrat Michael Harig, Oberbürger-
22
hatten die Möglichkeit, einander kennenzulernen. Zu diesen »Tagen der offenen Tür«
wurden auch Kultur-, Sport- und andere
Vereine in der Nachbarschaft eingeladen.
In Dresden setzten der Ausländerrat
Dresden e. V. mit Unterstützung der Stadt
Dresden und der GAGFAH ein gemeinsames
Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit. Familien aus einem Dresdner Asylbewerberheim
wurden zu einem bunten Familienfest in
den Johannstädter Kulturtreff eingeladen.
Neben Musik und Essen gab es ein fröhliches
Programm mit großer Zaubershow, einer
Druck- und Holzwerkstatt für Kinder, Breakdance und Lagerfeuer.
meister Roland Dantz, das Bündnis für
Humanität und Toleranz, die Stadtratsfraktionen und die Ausländerbeauftragte des
Landkreises, Anna Pietak-Malinowska,
Erklärung der Kirchgemeindevertretung
Großenhain in Zusammenhang
mit der geplanten Unterbringung
von Asylbewerbern in der Stadt:
»Wir nehmen die Befürchtungen und
Ängste der Menschen unserer Stadt ernst.
Wir sind entsetzt über ausländerfeindliche Haltungen in Form von rechtsextremen Äußerungen und Aktivitäten, die in
diesem Zusammenhang entstehen.
Wir bitten die Einwohner unserer Stadt,
die Entwicklungen abzuwarten und in
konstruktiver Weise mitzugestalten. Wir
vertrauen auf die guten Erfahrungen
der Diakonie und sind bereit, uns selbst
mit einzubringen.«
Großenhain, 13.11.2012
Jahresbericht 2012
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1.4
Noch gibt es viel zu tun!
Leider gibt es in vielen Unterkünften immer
noch gravierenden Verbesserungsbedarf
hin zu einem angemessenen, an der Menschenwürde orientierten Umgang mit
Asylsuchenden.
Soziale Betreuung
Im Mittelpunkt steht für uns dabei die ausreichende und am konkreten Einzelbedarf
orientierte soziale Betreuung der Asylsuchenden. Der Schlüssel qualifizierter Sozialarbeit
24
sollte nicht weniger als eine Vollzeitstelle
pro 100 Asylsuchenden betragen. Dabei
haben wir ausdrücklich auch die aufsuchende soziale Betreuung der dezentral
untergebrachten Asylsuchenden im Blick.
In fast allen Fällen der von uns betrachteten
Kommunen und Unterkünfte ist dieser
Schlüssel weitaus niedriger.
Dabei verkennen wir nicht, dass qualifizierte Sozialarbeit zunächst Kosten für die
Kommunen verursacht. Wir gehen aber fest
davon aus, dass sich diese Kosten binnen
kurzer Zeit als lohnende Investitionen herJahresbericht 2012
ausstellen werden, die sich mehr als nur
amortisieren. Was bei der sozialen Betreuung
eingespart werden mag, wird in der Folge an
anderer Stelle, etwa an Folgekosten für
Krankheit oder durch Kriminalität, zu einem
Mehrfachen wieder ausgegeben.
Die soziale Betreuung sollte von Anfang
an auch den Zugang zur deutschen Sprache
zende Begleitung zu den ersten Vereinsbesuchen Bestandteil des Angebots sein.
Aber auch die aktive Einbeziehung in die
Kommunikation mit den Nachbarn kann
zum Abbau von gegenseitigen Hemmnissen
und Vorurteilen beitragen und so ein
selbstverständliches Zusammenleben
befördern.
mit im Blick haben. Wer die deutsche Sprache spricht, wird sich in unserer Gesellschaft
selbstverständlich und unbefangen bewegen
und unsere Regeln des Zusammenlebens
verstehen und mit Inhalt füllen können.
Weiterhin kann die Sozialarbeit aktivierend im Sinne einer gesellschaftlichen Einbindung der Asylsuchenden wirken. So können zum Beispiel die Möglichkeiten des
Kontakts zu Sport- oder anderen Vereinen
sondiert und mit den Asylsuchenden erörtert werden. Um erfolgreich zu sein,
sollte darüber hinaus auch die unterstüt-
Auszahlung der Mittel
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In einem Landkreis werden die Mittel zum
Lebensunterhalt für die Asylsuchenden noch
immer nicht als Bargeld, sondern in Form von
Gutscheinen ausgezahlt. Zur Begründung
wird darauf verwiesen, dass das Bundesrecht
den Vorrang von Sachleistungen festschreibt
und Ersatzleistungen wie Wertgutscheine
oder Bargeld dann gewährt werden können,
wenn die Umstände das erforderlich machen.
Natürlich wissen wir auch, dass diese
Darstellung des Bundesrechts zutrifft. Wir
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weiter wachsenden Probleme in der Unterkunft, die den Verantwortlichen über den
Kopf zu wachsen drohen.
Bei der Eröffnung des Heimes beschrieben
wir es als Experiment. Leider entwickelt sich
das Heim nicht so, wie es sich die dafür Verantwortlichen wünschen. Deshalb wiederholen wir die ausdrückliche Mahnung, dass
Heime einen sozialen Betreuungsschlüssel
von einer qualifizierten Sozialarbeiterstelle
pro 100 Heimbewohner brauchen.
Der Freistaat hat sich bisher noch nicht
dazu durchringen können, diese Forderung
aufzugreifen, vielleicht auch aus Kostengründen. Wir sind allerdings überzeugt, dass
ein Sparen an dieser Stelle zu erheblichen
Mehrkosten an anderer Stelle führt, wie z. B.
Krankheits- und Sozialkosten.
sagen auch ausdrücklich, dass die Entscheidung über die Form der Mittelausreichung
ausschließlich im Landkreis selbst liegt.
Auf der anderen Seite setzen nur zwei von
16 Bundesländern noch auf Sachleistungen.
Die überwiegende Zahl hat sich für Bargeld
entschieden, so wie ja auch zwölf von 13 sächsischen Landkreisen bzw. Kreisfreien Städten.
Der Landkreis Leipziger Land weicht
sicherlich aus gutem Grund vom Vorrang der
Sachleistungen ab. Wenn sich der Landkreis
nun ohnehin schon im Bereich der Ersatzleistungen bewegt, kann er nach unserer Auffassung auch den Weg zur Bargeldauszahlung gehen. Der Landkreis würde erhebliche
Einsparungen in der Verwaltung erreichen,
und die Asylsuchenden hätten ein Stück
Menschenwürde mehr in ihrem Lebensbereich.
Beim Einkauf mit Gutscheinen entstehen
in den Supermärkten meist Schlangen, da
die Verkäufer die Gutscheine auf ihre Unterschrift kontrollieren und nachzählen müssen.
Die wartenden deutschen Käufer sind dadurch frustriert. Besonders verzögernd wirkt
dann der Kauf manch anderer Produkte,
26
Doch auch das Gute wollen wir nicht vergessen: Die große Mehrheit der Flüchtlingsfamilien in Sachsen sind mittlerweile dezentral
untergebracht. Das ist eine Frage der Humanität, die Sachsen und seine Kommunen auszeichnet. Hier dürfen wir stolz darauf sein.
Dezentrale Unterbringung ist nicht nur richtig
vom humanitären Standpunkt, die Rückmeldungen zeigen, dass es finanziell ab vier
Bewohner eine dezentrale Wohnung billiger
kommt als die Unterbringung in einem Heim.
Insofern bringt die verstärkte dezentrale
Unterbringung auch ein wenig finanzielle
Entlastung bei den Kommunen.
Deshalb ermutigen wir die sächsischen
Unterbringungsbehörden, auf dem Weg zur
dezentralen Unterbringung weiter voran zu
kommen.
z. B. der Körperpflege, die nicht auf der Liste
der zugelassenen Produkte stehen und vom
Käufer zurückgelegt werden müssen.
Wir wiederholen deshalb nachdrücklich
unsere Ermutigung, im Interesse der Menschlichkeit und der Kosteneffizienz überall in
Sachsen zur Auszahlung von Bargeld überzugehen.
Abschließende Hinweise
Immer wieder zeigt sich, dass Gemeinschaftsunterkünfte mit einer zu großen Zahl an
Bewohnern und ohne qualifizierte soziale
Betreuung fast nicht beherrschbar sind. Ein
bedenkliches Beispiel haben wir 2012 gesehen. Eine Unterkunft für 400 Bewohner und
ohne qualifizierte Sozialbetreuung, die wir
kurz nach ihrer Eröffnung besuchten, erzielte
mit dem Tag des Besuchs eine Gesamtbewertung von 0,54, also grün. Nur wenige Wochen
später begannen große Schwierigkeiten beim
Zusammenleben der Bewohner. Mittlerweile
erreichen uns Hilferufe angesichts der immer
Jahresbericht 2012
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27
1.5
»Heim-TÜV« verstetigen
und verbreiten
Der in Sachsen begonnene »Heim-TÜV« für
Asylbewerberheime stellt einen Weg dar,
unser Bekenntnis zu Menschenrechten und
Menschenwürde bei der Unterbringung messbar zu machen. Er hat in Sachsen eindeutig
zu vielen Verbesserungen bei der Unterbringung geführt.
Auch andere Bundesländer und die Wohlfahrtsverbände sehen auf uns. Wir stellen
unsere Methode gern zur Verfügung und
unterstützen andere gern bei ihrem Weg der
Beurteilung und der Einführung dieses Ansatzes. Im Jahr 2012 nutzten wir die Gelegenheit, den »Heim-TÜV« auf folgenden Veranstaltungen vorzustellen:
• Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht
(in Hohenheim/Stuttgart)
• Hauptausschusssitzung der Liga der Freien
Wohlfahrtspflege in Sachsen (in Dresden)
• Bundesfachtagung für Mitarbeitende der
Migrationsfachdienste (MBE und JMD)
zur Migrationsarbeit im Gemeinwesen
(in Dresden)
• Fachtagung »Perspektiven der Unterbringung von Flüchtlingen« (in Magdeburg)
Besonders gefreut haben wir uns über
die Resonanz auch außerhalb von Sachsen.
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Anregungen des Sächsischen
Ausländerbeauftragten für eine
menschenwürdige Unterbringung
von Asylsuchenden:
Für die Beauftragte der Bundesregierung
für Migration, Flüchtlinge und Integration,
Staatsministerin Prof. Dr. Maria Böhmer, ist
der »Heim-TÜV« ein geeignetes Instrument,
die Lebenssituation der Asylsuchenden abzubilden, dessen Einsatz auch bundesweit
vorstellbar wäre. Ein CDU-Abgeordneter des
Landtags in Sachsen-Anhalt forderte für sein
Land die Einführung eines »Heim-TÜV« und
Sprachkursangebote für alle Ausländer von
Beginn ihres Aufenthalts an. In Thüringen
wurde über die Einführung eines »Heim-TÜV«
politisch diskutiert, wenn man sich auch
letztlich nicht dazu durchringen konnte. Die
genannten Beispiele bestärken uns auf dem
eingeschlagenen Weg und ermuntern uns,
weiter innerhalb und außerhalb des Freistaates Sachsen für unsere Methode und damit
für unser Anliegen, Humanität und Menschenwürde voranzubringen, zu werben.
Die drei Jahre »Heim-TÜV« haben die
Unterbringungssituation von Asylsuchenden
in Sachsen nachhaltig verbessert.
Wir sind der Überzeugung, dass ein vergleichbares Qualitätsmanagement für die Gemeinschaftsunterkünfte aller Bundesländer
Deutschland insgesamt gut zu Gesicht stünde.
Jahresbericht 2012
• Konsequent den Weg der dezentralen
Unterbringung von Familien, Alleinerziehenden und Anderen, die aus humanitären Gründen geschützt werden sollten,
weitergehen.
• Angemessene Finanzierung der Unterbringung als Grundlage für ein
menschenwürdiges Leben in Gemeinschaftsunterkünften sicherstellen.
• Qualifizierte Sozialarbeit in jedem Heim
ermöglichen, um damit pro-soziales
Verhalten zu fördern und notwendige
Unterstützung zu leisten. Dabei sollte
eine Vollzeitstelle pro 100 Bewohner zur
Verfügung gestellt werden.
• Soziale Inklusionsrechte und –pflichten
sichtbar machen und Asylbewerbern und
Geduldeten darin Orientierung geben.
• Adäquate Sicherheit in allen Heimen
gewährleisten.
• Vorsorgeuntersuchungen für ansteckende Krankheiten und Betreuung von
Müttern mit Kleinkindern sicherstellen.
• Gesundheitsgefährdenden Schimmel
und Ungeziefer ernst nehmen und
effektiv beseitigen.
• In jedem Heim einen Leseraum mit
deutschen Büchern und Zeitschriften
einrichten und führen.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
• Sprachenerwerb unterstützen.
• Alphabetisierungskurse und Zugang
zum zweiten Bildungsweg für gering
Beschulte einrichten.
• Arbeitsgelegenheiten mit Vergütung nach
§ 5 AsylbLG für verschiedene Tätigkeiten
im Heim schaffen und unterstützen.
• Demokratische Regeln bekannt machen
durch Einbindung in Heim und Gesellschaft.
• Gemeinnützigen Vereinen Zugang zu
allen Heimen gewähren, um die gesellschaftliche Inklusion der Heimbewohner
zu fördern.
• Individuelle Mobilität mit gespendeten
Fahrrädern erhöhen.
• Jährliche Tage der offenen Tür in allen
Asylbewerberheimen einrichten.
• Zur Einrichtung von Gemeinschaftsunterkünften in Wohnhäusern mit einer Belegung zwischen 50 und 100 Bewohnern
ermutigen.
• Dezentrale Unterbringung von Menschen aus humanitären Gründen ermöglichen, wenn erkennbar wird,
dass sie an den Konsequenzen des
Heimlebens menschlich zu zerbrechen
drohen. Heimleben ist zur Dauerunterbringung ungeeignet.
• Nach sechs Monaten Aufenthalt in
Deutschland Zugang zum Arbeitsmarkt
eröffnen, vorbereitet durch Erwerb der
deutschen Sprache von Beginn des
Aufenthalts an.
29
1.6
Ausblick »Heim-TÜV«
Auch wenn wir, wie gerade beschrieben, von
unserem Ansatz überzeugt sind, wissen wir
sehr wohl, dass nichts so gut ist, dass es nicht
noch besser werden könnte. In diesem Sinne
sind wir immer bemüht, den »Heim-TÜV« zu
verbessern. In einem ersten Schritt wollen
wir Anfang 2013 auf der Basis unserer Erfahrungen aus den letzten Jahren die Fragestellungen und Bewertungsmaßstäbe mit dem Ziel
verfeinern, die Lebenswirklichkeit der Asylsuchenden noch treffender widerzuspiegeln.
Unser »Heim-TÜV« ist als pragmatische
Methode entwickelt worden und erhebt keinen
wissenschaftlichen Forschungsanspruch.
Wir würden uns aber freuen, wenn sich Sozialwissenschaftler finden würden, die sich bei
Unterstützung durch eine entsprechende
Förderungsquelle in die Weiterentwicklung
des »Heim-TÜV« einbringen würden.
30
Bei solch einer Weiterentwicklung könnten
auch die Perspektiven der verschiedenen
Interessengruppen berücksichtigt werden,
möglicherweise auch die Sicht der Asylsuchenden selbst.
Ein Journalist wies uns darauf hin, dass
es unabhängig vom »Heim-TÜV« auch ein
ganz anderes Beurteilungsinstrument geben
könnte, nämlich eine Befragung der Bewohner im Umfeld der Asylbewerberheime. Die
Heime liegen meist in unmittelbarer Umgebung von Wohn- oder Mischgebieten. Warum
nicht diese Bewohner befragen, wie sich das
nachbarschaftliche Zusammenleben mit den
Neuzuzügen aus aller Welt gestalten lässt?
Solch ein Ansatz wäre sehr im Interesse
der Gesellschaft. Er würde zeigen, was im
Zusammenleben gut klappt. Er würde auch
aufzeigen, wo sich Entwicklungen anbahnen,
die auf das Entstehen von sozialen Problemen
hinweisen könnten. Diese Erhebungen wären
ein gutes Steuerungsinstrument für die
Kommunen und für die Sozialarbeit mit
den Asylsuchenden.
So interessant dieser Ansatz auch ist, er
liegt außerhalb der Aufgabenstellung des
Ausländerbeauftragten. Doch dieser Ansatz
wäre für die Ordnungsbehörden, ein sinnvoller Ansatz.
Die Rolle des Ausländerbeauftragten ist
vielfältig. Er berät. Er ermutigt. Er schreitet
in Fällen ein, wo konkret gehandelt werden
muss, und wo das durch den gesetzlichen
Auftrag gedeckt ist. Beim »Heim-TÜV«
agieren wir, d.h. ich als Sächsischer AusJahresbericht 2012
länderbeauftragter mit der gesamten
Mannschaft, die mich unterstützt, auch
als Qualitätskontrolle, etwa äquivalent
dem Rechnungshof. Das ist eine große
Herausforderung, und der stellen wir uns
auch gern.
Doch ähnlich wie der Rechnungshof
können wir nur Empfehlungen aussprechen
und an das gesellschaftliche Gewissen appellieren. Wir können keine Anweisungen geben. Deshalb freuen wir uns, wenn unsere
Empfehlungen und Anregungen umgesetzt
werden.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Es ist kein angenehmes Gefühl, wenn man
in das eine oder andere Heim kommt, und
auf Asylsuchende trifft, die man schon im
vorangegangenen Jahr getroffen hat, und
diese sich beklagen, das sich nichts Wesentliches geändert hat.
Was sagen wir jemandem, der uns fragt,
warum sich nichts geändert hat? Wir erklären unsere Rolle als Berater und Ermahner,
dass wir empfehlen, aber nicht anordnen. Der
deutsche Soziologe Max Weber bezeichnete
Politik als die Kunst des Bohrens dicker Bretter. In dem Bild erkennen wir unsere Rolle.
31
2. Soziale Inklusion
ermöglichen: Menschenwürde als Maßstab
»Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen
Menschen.« – dieser Satz des Schweizer
Schriftstellers Max Frisch bringt den Wandel
auf den Punkt, den wir in der Einwanderungsdebatte in den vergangenen Jahrzehnten in
Deutschland erlebt haben.
Blicken wir zurück. Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die DDR verankerten nach 1945 das Grundrecht auf Asyl
im Grundgesetz bzw. in der Verfassung. In den
fünfziger Jahren beginnt die Arbeitsmigration
nach Deutschland: die Bundesrepublik wirbt
um Gastarbeiter aus Italien und der Türkei
und die DDR holt Vertragsarbeiter z. B. aus
Vietnam oder aus Mosambique.
An Integration denkt noch keiner, im
Gegenteil, die Vertragsarbeiter werden abgeschottet und die Gastarbeiter werden nicht
nur in extra Vierteln untergebracht, es werden sogar türkische Lehrer für die Schulen
gesucht, damit die Kinder nicht Deutsch lernen müssen. Jeder geht davon aus, dass die
»Gäste« irgendwann wieder in ihre Heimat
gehen. Die siebziger und achtziger Jahre pendeln in den Diskussionen zwischen Anwerbestopp, Rückkehrförderung und Multi-Kulti.
»Deutschland ist kein Einwanderungsland«,
dieser Satz spiegelte vor 30 Jahren die Sicht
vieler Politiker. Heute wissen wir, wie grundfalsch dieser Satz war.
Erst im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wird Integration als staatliche Aufgabe verstanden – und mit den seit 2005 eingeführten Integrationskursen umgesetzt, die
Ausländern, die daueraufenthaltsberechtigt
32
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
sind, deutsche Sprach- und Gesellschaftskenntnisse vermitteln sollen. Deutschland
beginnt sich zaghaft als »Einwanderungsland« zu verstehen.
Die »Migrationsrealität« in Deutschland
wird über die Jahre immer differenzierter,
Deutschland wird internationaler, interkultureller, transkultureller. Die Bundesregierung erarbeitet gemeinsam mit vielen gesellschaftlichen Akteuren einen Nationalen
Aktionsplan Integration, es geht um den
Dialog mit Migranten. Man debattiert darüber, wie man »Menschen mit Migrationshintergrund« statistisch erfassen kann
und auch darüber, dass dieser Begriff den
Realitäten nicht mehr gerecht wird, denn
ein Großteil der hier lebenden Migranten
versteht sich als Deutsche – weil sie hier
geboren, eingebürgert oder tief verwurzelt
sind.
Wir sind ein Land der Vielfalt geworden
und die Politik ist bereit, das auch so beim
Namen zu nennen. Auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer der Neonazi-Terrorzelle
schlug die Tochter eines der Opfer folgenden
Begriff dafür vor: »Einheit in Vielfalt«. Diese
Einheit ist es, die uns verbindet. Unser Land
besteht aus Menschen, die aus vielen Kulturen kommen. Gleichzeitig wissen wir, dass
wir zusammengehören. Unsere Gemeinsamkeiten sind größer als das, was uns unterscheidet. Das, was uns eint, ist stärker als
die immer noch vorhandenen Tendenzen
zur Trennung, Absonderung und Fremdenfeindlichkeit.
33
Trotzdem beschränken sich staatliche Integrationsmaßnahmen bisher leider noch immer
in der Regel auf Migranten, die daueraufenthaltsberechtigt sind – also auf lange Sicht
bei uns leben werden.
Dabei schließen wir viele aus. Studierende,
Fachkräfte oder Forscher zum Beispiel, die
nur für eine bestimmte Zeit bei uns leben, und
um die wir auf der anderen Seite aktiv werben.
Und auch Asylsuchende sind noch immer
ausgeschlossen von Integrationsmaßnahmen,
selbst wenn sie über Jahre bei uns leben und
unsere Gesellschaft und die Regeln des Zusammenlebens kennen und respektieren sollen.
Könnte es sein, dass die einen übersehen
werden, weil sie bisher in unserem Denken
eine zu geringe Rolle spielen und die anderen, weil wir der falschen Vorstellung nachlaufen, dass Menschen in Not lieber in ihre
Not zurückkehren als bei uns bescheiden zu
leben? Wer dieser Sichtweise folgt, verkennt,
dass die Zeit und unsere Gesellschaft schon
weitervoran geschritten sind. Denn es geht
darum, die soziale und kulturelle Vielfalt
in unserer Gesellschaft zu bejahen und
34
konstruktiv für eine attraktive Zukunft zu
gestalten.
In den Kommunen und Gemeinden ist
schon längst klar, dass die Trennung in solche,
die dazugehören und solche, die nicht dazugehören sollen, schon lange nicht mehr trägt.
Deshalb ist es Zeit für den Begriff der
sozialen Inklusion: Dabei geht es uns um ein
konstruktives Zusammenleben aller bei uns
lebenden Menschen, ob das nun dauerhaft
oder vorübergehend sein mag.
Alle bei uns lebenden Menschen sollten
in unsere Gesellschaft einbezogen werden
und Partizipationschancen erhalten. Wir
fügen das Wort sozial an das Wort Inklusion,
um zu verdeutlichen, dass es uns eher um
die grundsätzliche Haltung der Zugehörigkeit
geht, die die gesamte Gesellschaft angeht,
als um die »Inklusion« oder »Integration«
einzelner Personengruppen.
Soziale Inklusion entsteht nicht von selbst.
Sie braucht Fürsprecher und muss Wege in
die Gesellschaft ebnen. Einige dieser Fürsprecher und Wege wollen wir im Folgenden
vorstellen. Dazu zählt zunächst das Netzwerk
Jahresbericht 2012
für Integration und Migration in Sachsen
(NIMS), das im vergangenen Jahr detailliert
zum Thema »Inklusion« gearbeitet hat. Viele
Initiativen und Akteure des Netzwerkes verfolgen bereits aktiv einen inklusiven Ansatz
bei ihrer Arbeit.
Verständigung und der Zugang zum Spracherwerb sind wichtige Grundlagen sozialer
Inklusion. Das gilt aus unserer Sicht auch
für Asylbewerber und Geduldete, die keinen
Anspruch auf Integrations- oder Sprachkurse
haben. Aus diesem Grund haben wir allen
Asylbewerberheimen Sprachregale mit Wörterbüchern in verschiedenen Sprachen zur
Verfügung gestellt. Außerdem haben wir unsere Broschüre »Deutsch für alle – 99 Wege
zur deutschen Sprache« neu aufgelegt und
mit einer Kurzfassung in verschiedenen
Sprachen ergänzt.
Wir haben gemeinsam mit den kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten (KAIB) und anderen Akteuren eine
Orientierungshilfe zusammengestellt, die
zeigt, wie sich Asylsuchende von Beginn
an bei uns zurechtfinden können.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Des Weiteren finden Sie in diesem Kapitel
die Ergebnisse der Arbeit der Sächsischen
Härtefallkommission. »Mitmenschlichkeit
zeigen« – unter dieser Überschrift sehen
wir die Arbeit dieser Kommission, für deren
Wirken wir hiermit werben wollen.
35
2.1
Soziale Inklusion von
Asylsuchenden: Empfehlungen
des Netzwerkes Integration und
Migration Sachsen (NIMS)
Beim ersten Netzwerktreffen 2012 setzte sich
das NIMS detailliert mit dem Thema »Soziale
Inklusion von Asylsuchenden« auseinander.
Die Mitglieder arbeiteten die wichtigsten
Handlungsfelder sozialer Inklusion von Asylsuchenden heraus, informierten über konkrete Initiativen und erarbeiteten konkrete
Empfehlungen, die im Folgenden nachzulesen sind.
2.1.1 Soziale Inklusion von
Asylsuchenden
Das NIMS ist ein landesweit agierendes Netzwerk, das sich auf Initiative des Sächsischen
Ausländerbeauftragten vor zwei Jahren gegründet hat und sich halbjährlich trifft. In
seinen Treffen widmet sich das NIMS sächsischen oder überregional relevanten Fachthemen, die auch mit der Unterstützung von
externen Referenten diskutiert werden. Darüber hinaus ist der Austausch wesentlich
für diese Netzwerktreffen, der zu einem
besseren Informationsfluss und der gegenseitigen Stärkung dient. Eingeladen zu den
NIMS-Treffen sind Akteure aus Sachsen, die
sich im Bereich »Integration und Migration«
konstruktiv engagieren. Der Kreis der Teilnehmenden ist immer offen für neue Aktive,
die sich bei Interesse auch gern in der Geschäftsstelle des Sächsischen Ausländerbeauftragten melden können.
36
Asylsuchende sind von den meisten Integrationsmaßnahmen ausgeschlossen. Trotzdem
haben sie Rechte und Pflichten in unserer
Gesellschaft. Sie haben das Recht auf Einhaltung der Menschenrechte und der Menschenwürde, auf Schul- und Bildungszugang bis
zu einem gewissen Alter und auf einen beschränkten Arbeitsmarktzugang. Auf der
anderen Seite haben sie auch Pflichten:
Wir erwarten von ihnen die Einhaltung von
Recht und Gesetz, wir erwarten, dass sie
sich gemäß unserer Alltagsregeln verhalten,
und wir haben die Verpflichtung, ihnen den
Zugang zu diesen Dingen zu vermitteln.
2.1.2 Handlungsfelder sozialer Inklusion
Gleichzeitig sind Asylsuchende auch im
Alltag unsere Mitmenschen: sie sind unsere
Nachbarn, die »Miteltern« unserer Kinder
Jahresbericht 2012
in der Schule, Mitglieder in den Vereinen,
Ratsuchende in Behörden und Beratungsstellen, sie stehen mit uns beim Einkaufen
und teilen sich mit uns öffentliche Räume.
In all diesen Bereichen geht es um ein konstruktives Miteinander aller hier lebenden
Menschen – und dieses Miteinander braucht
aktive Gestaltung: Sowohl von Seiten der
Zivilgesellschaft (Vereine, Projekte, kommunale Initiativen) als auch von Seiten des
Staates (z. B. Bildungsbereich).
Aus Sicht des NIMS sind für die soziale
Inklusion von Asylsuchenden verschiedene
Handlungsfelder relevant, so z. B. die menschenwürdige Unterbringung von Asylsuchenden und die Unterstützung durch
qualifizierte Sozialarbeit, die Unterstützung
beim Spracherwerb und bei der Fortführung
der mitgebrachten Bildung, die Begleitung
der Kinder in Kindertageseinrichtungen
und Schule und die Unterstützung der
Eltern, die Unterstützung beim Übergang
von Schule zu Beruf, die Integration in
den Arbeitsmarkt, die Vermittlung bei
Konflikten und die Orientierung in Gesundheitsfragen. Das Netzwerk arbeitete für
ausgewählte Felder konkrete Handlungsempfehlungen aus, die hier wiedergegeben
werden.
schulzentren – vor allen in den Landkreisen – um mitgebrachte Bildung
weiterführen zu können
• Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen, damit Asylbewerber auch die
Möglichkeit der Teilnahme an staatlich
geförderten Sprachkursen bekommen
• Bessere Ausschöpfung der zur Verfügung
stehenden Mittel aus Europäischem Flüchtlingsfonds (EFF) und Europäischer Sozialfonds (ESF), z. B. durch Vor- und Kofinanzierung auf Bundes- und Landesebene
• Gute Praxisbeispiele bekannt machen
• Workshops zum Erfahrungsaustausch
anbieten
• Kooperation zur Lösung von konkreten
Einzelfällen verstärken
Spracherwerb unterstützen
• Aktive und personenbezogene Sprachvermittlung ab dem ersten Tag anstreben
• Alphabetisierungskurse und Wege zum
zweiten Bildungsweg für gering Beschulte
einrichten
• Unterstützungsmöglichkeiten beim
Spracherwerb sollten auch für die über
27-Jährigen ausgebaut werden, z.B. über
Vereine. Zunehmend bestehen freiwillige
Angebote in größeren Kommunen
• Ausbau der Vorbereitungsklassen mit
berufspraktischen Aspekten an Berufsw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
37
• (Weiter)Entwicklung eines vorhandenen
wirksamen Instruments zur verwertbaren/
anknüpfbaren Kompetenzfeststellung des
Bildungsstandes bei Asylsuchenden
• Kooperation der zuständigen Behörden
sowie Austausch zwischen den Behörden
stärken
• Überregionale Best-Practice bekanntmachen,
z. B. über Newsletter
• Regionale Anpassungsqualifizierungen
anbieten
• Beratungen und umfassende Informationen
über Bildungswege in Deutschland von
Anfang an anbieten
• In Einzelfällen Arbeit mit Bildungsbiographien heranziehen, um Anschluss an das
deutsche Bildungssystem zu ermöglichen
Arbeitsmarktintegration verbessern
Schulische Integration fördern
• Kita-Besuche sollten auch bei Kindern
von Asylsuchenden als Schulvorbereitung
genutzt und gefördert werden
• Hinweise zur Schulpflicht bei der Zuweisung müssen konsequent kommuniziert
werden
• Übergänge z. B. zwischen Schule und
Berufsschule müssen begleitet werden
• Fahrtkosten zu den Vorbereitungsklassen
sollten finanziell unterstützt werden
• Erzieher verstärkt zum Thema interkulturelle Vielfalt weiterbilden
• Mehr Elternberatung anbieten
• Zusammenarbeit zwischen Schule und
Sozialarbeitern verbessern
• Erwachsenenbildung über ESF-Programme
fördern
Fortführung der mitgebrachten
Bildung ermöglichen
• Die mitgebrachte Bildung der Asylsuchenden sollte bei der Zuweisung in die Gemeinschaftsunterkunft beachtet werden, damit weitere Bildung auch sozialräumlich
ermöglicht werden kann
• In der Öffentlichkeit Willen zur Anerkennung und Fortführung der mitgebrachten
Bildung stärken
• Entscheidungsträger ermutigen, ihre Ermessensspielräume im Sinne der Fortführung der mitgebrachten Bildung zu nutzen
38
Jahresbericht 2012
• Förderung über ESF-Programme ausbauen
und deren Mittel aktiv nutzen
• Zugang zu Arbeit von Anfang an ermöglichen
• Einstellung von Personal mit Migrationserfahrung und Fremdsprachenkenntnissen,
z. B. Migranten als Erzieher in Bildungseinrichtungen
• Mehr Schulungen für die Mitarbeitenden
in den zuständigen Regionalinstitutionen
zum Thema Arbeitsmarktzugang für
Asylsuchende und andere Flüchtlinge
Dezentrale Unterbringung
ermöglichen
• Möglichkeiten finden, wie Asylbewerber
bei der Wohnungssuche mitwirken können
• Zeitlich begrenzte zentrale Unterbringung
für max. ein Jahr für alle prüfen
• Sozialpädagogische Begleitung und
Betreuung anbieten
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
• Kooperation zwischen Landkreisen und
kommunalen Wohnungsgesellschaften
ausbauen
• Angemessene Erstausstattung für
Wohnungen gewährleisten
Qualifizierte Betreuung durch Sozialarbeit
• Persönliche Beziehung zu den Bewohnern
der Gemeinschaftsunterkünfte und den
dezentral lebenden Familien aufbauen
• Begleitung bei Behördengängen anbieten
• Angebote zur Einführung in Demokratie,
alltägliche Umgangsregeln und für
gegenseitigen Respekt schaffen
• Angebote für Freizeit in der Stadt und
bei den Netzwerken schaffen
• Heimbeiräte mit Heimbewohnern,
Heimleitung und Sozialarbeiter bilden
• Sprachliche und interkulturelle Kompetenz
bei allen Mitarbeitenden erhöhen
• Sozialarbeiter sollte nicht durch
Heimbetreiber angestellt sein
2.1.3 Die Chance des Gestaltens
Die Teilnehmenden des Netzwerktreffens
plädierten für eine Anerkennung der Realitäten. Für die Kommunen sei das Miteinander von Mehrheitsgesellschaft und Asylsuchenden Lebensrealität – die im eigenen
Interesse gestaltet werden müsse. Die
rechtlich beförderte Separierung halte der
Realität von Alltagskontakten nicht stand.
In der Schule seien Asylsuchende zunächst
einmal Eltern und auch im Alltag könne
man nicht unterscheiden, ob es sich um
Fachkräfte oder Flüchtlinge handele. Es
sei deshalb besser, die Handlungsfelder
aktiv zu gestalten, als sie dem Selbstlauf
zu überlassen.
39
2.2
Ein Inklusionsaspekt:
Wege zur deutschen Sprache
und Wege zur Verständigung
Das Miteinander-Sprechen-können ist einer
der Grundpfeiler eines verständigen Miteinanders. Deshalb gehen wir davon aus, dass
Zuwanderer, die aus verschiedenen Gründen
zu uns kommen, Deutsch lernen. Das ist
richtig und trotzdem nur ein Stück der
ganzen Geschichte.
Verständigung braucht beide Seiten
Denn zu dieser Geschichte gehört auch,
dass wir uns vergegenwärtigen, dass die
derzeitige Praxis unserer Sprachförderung
viele Migranten von Deutschkursen und
40
einer Unterstützung beim Lernen ausschließt. Derzeit hat nur der Ausländer
einen Anspruch auf Sprach- bzw. Integrationskurse, der einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat. Das bedeutet, dass beispielsweise Asylsuchende oder Geduldete keine
Unterstützung beim Erlernen der deutschen
Sprache bekommen.
Auf der anderen Seite erwarten wir im
täglichen Leben, dass sich alle Migranten
gesellschaftskonform verhalten, dass sie
bei Behörden mitwirken und die Amtssprache Deutsch beherrschen. Das schafft eine
schizophrene Situation, die wir im Interesse
eines konstruktiven Zusammenlebens überdenken sollten.
Denn wir sollten daran interessiert sein,
dass alle Zuwanderer und Asylsuchenden eine
Chance bekommen, Deutsch zu lernen. Ihr
Vermögen, Deutsch zu sprechen und unsere
Bereitschaft, mit ihnen zu kommunizieren,
auch wenn sie noch nicht perfekt Deutsch
sprechen, ist die Basis unserer Verständigung
und eines konstruktiven Zusammenlebens.
Wir Deutsche haben häufig überhöhte Erwartungen an die Perfektion dessen, der unsere Sprache lernt. Wenn einer hier lebt, soll
er auch »richtig« Deutsch sprechen können.
Das stimmt dem Grunde nach, aber im Detail
ist es falsch. Denn das Erlernen einer Sprache
ist eine lebenslange Aufgabe. Man ist nie
wirklich fertig damit, man kann aber immer
besser werden. Die wenigsten von uns beherrschen mehrere Sprachen auf muttersprachlichem Niveau. Und warum nehmen
Jahresbericht 2012
wir eigentlich einen Akzent als einen Makel
wahr? Er könnte uns genauso gut als Indiz
dienen, dass jemand nicht nur deutsch, sondern noch mindestens eine andere Sprache
spricht. Mehrsprachigkeit ist ein Potential!
Und echte Verständigung braucht beide Seiten – es braucht den, der Deutsch lernt und
den, der bereit ist, auch das nicht perfekte
Deutsch verstehen zu wollen.
»Deutsch für alle« auf neuen Wegen
Anfang 2012 haben wir in unserer Geschäftsstelle erstmals die Broschüre »Deutsch
für alle – 99 Wege zur deutschen Sprache«
herausgegeben.
Mit dieser Broschüre verfolgen wir zwei
Ziele: Zum einen wollen wir zum Deutschlernen ermutigen und zeigen, dass man
auch ohne professionellen Sprachkurs
aktiv werden kann und nicht warten sollte,
bis man Zugang zu einem solchen Kurs
bekommt. Gleichzeitig wollen wir Verständnis dafür wecken, dass das Erlernen einer
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Sprache nicht von heute auf morgen möglich
ist, sondern Zeit und Unterstützung
braucht.
Die Broschüre richtet sich an Menschen,
die über (Vor-)Kenntnisse der deutschen
Sprache verfügen und sich autodidaktisch
oder gemeinsam mit anderen die deutsche
Sprache aneignen wollen. Sie kann auch als
Ergänzung zu Sprach- und Integrationskursen dienen. Diejenigen, die anderen beim
Spracherwerb helfen oder ihnen Tipps geben
wollen, können von der Broschüre profitieren,
da sie sich Anregungen für alltagspraktische
Tipps und das Üben der Sprache holen können. Sie vermittelt für die Bereiche »Lesen
und Verstehen«, »Hören und Verstehen«,
»Sprechen« und »Schreiben« verschiedene
Hinweise, um diese Fertigkeiten und Fähigkeiten beim Deutschlernen auszubauen und
zu schulen. Darüber hinaus sind Anregungen
zum Spracherwerb im Alltag, in der Öffentlichkeit und im sozialen Miteinander enthalten.
Die Broschüre ist bei Asylsuchenden, Vereinen, Sprachkursträgern, kommunalen Beauftragten und Beratungsstellen auf großes
41
Interesse gestoßen. Die vielen Hinweise auf
mögliche Verbesserungen haben wir in eine
Neuauflage fließen lassen, die wir auch noch
einmal sprachlich vereinfacht haben.
Schritte« sind kostenfrei in der Geschäftsstelle des Sächsischen Ausländerbeauftragten zu beziehen.
Sprachregale in Gemeinschaftsunterkünfte
Unterstützung für die ersten Schritte
Außerdem haben wir 2012 einen zusätzlichen
Flyer entwickelt. »Deutsch für alle: Erste
Schritte« richtet sich an diejenigen, die über
keine oder sehr geringe Deutschkenntnisse
verfügen. Der Flyer enthält fünf Tipps, wie
man mit dem Deutsch lernen anfangen kann.
Er wurde in sechs Sprachen (Vietnamesisch,
Russisch, Arabisch,
Englisch, Französisch
und Farsi) übersetzt,
um von möglichst vielen Menschen, die sich
dem Deutschlernen
annähern wollen, verstanden zu werden.
Die Umsetzung und
das Ausprobieren der
Tipps kann denjenigen, die sich gerade
beginnen zu orientieren, schnelle Wege
und Möglichkeiten
aufzeigen, diesen
»Zauber des Anfangs«
nicht verloren gehen
zu lassen. Denn der erste Enthusiasmus und
die Neugier sollten
im Sinne des Miteinanders aller Menschen in
Sachsen unterstützt
und gefördert werden.
Die Broschüre
»Deutsch für alle –
99 Wege zur deutschen
Sprache« und der Flyer
»Deutsch für alle: Erste
42
Das Klima in den Gemeinschaftsunterkünften hängt unter anderem auch davon ab,
wie gut sich die Bewohner untereinander
und mit dem Heimpersonal verständigen
können. Auch für das konstruktive Miteinander mit den unmittelbaren Nachbarn oder
für die Begleitung der schulpflichtigen Kinder ist das Erlernen der deutschen Sprache
essentiell. Sprachkurse werden nur in einigen Heimen angeboten, das Erlernen der
deutschen Sprache sollte aber bei allen
Asylsuchenden gefördert werden. Deshalb
haben wir 2012 eine Bücheraktion gestartet.
Gemeinsam mit den kommunalen Beauftragten und den Heimbetreibern haben wir
alle sächsischen Gemeinschaftsunterkünfte
mit einem Sprachregal ausgestattet, das
neben der Broschüre »Deutsch für alle –
99 Wege zur deutschen Sprache« auch Wörterbücher in neun Sprachen enthält. Außerdem gibt es für die ersten Lernanfänge ein
Bildwörterbuch, in dem Alltagsgegenstände
abgebildet und benannt sind und ein Kompaktwörterbuch »Deutsch als Fremdsprache«.
Ganz neu hinzugekommen ist ein Gesundheitswörterbuch mit Bildern, welches den
Heimbewohnern den Gang zum Arzt oder zur
Apotheke erleichtern soll. Mit dieser Ausstattung sollen Mindestbedingungen geschaffen
werden, die das Verständigen und das Sprachenlernen erst ermöglichen.
Die ersten Heime, die mit Sprachregalen
ausgestattet wurden, waren die Gemeinschaftsunterkünfte im Landkreis Zwickau.
Hier wurden die Bücher und das Sprachregal
am 16.03.2012 überreicht.
Der Gebrauch und der Umgang mit den
Sprachregalen in den GemeinschaftsunterJahresbericht 2012
künften sind unterschiedlich. In einigen Unterkünften wird die Buchausleihe über eine
Kaution geregelt. Andere Heime arbeiten mit
Ausleihlisten. Wir wissen von den meisten
Unterkünften, dass die Sprachregale gut angenommen und genutzt werden.
Wir freuen uns, dass die Bewohner diese
Chance wahrnehmen, Deutsch zu lernen.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Viele Gemeinschaftsunterkünfte füllen die
Regale auch selber mit weiteren Büchern auf.
Außerdem werden die Bücher in einigen Heimen auch in Sprachkursen genutzt. Deutsch
zu lernen ist ein wichtiger Schritt zur Verständigung – mit dem »Sprachregal« konnten
wir diesen Schritt in den Gemeinschaftsunterkünften nachhaltig unterstützen.
43
2.3
Orientierungshilfe für
Asylsuchende
Kennen Sie das? Sie sind umgezogen und noch
nichts ist so, wie es sein soll? Sie müssen aufs
Amt, sich anmelden, Sie müssen die Post,
Strom und Telefon ummelden. Die Kinder
müssen auf dem neuen Schulweg begleitet
werden, haben neue Mitschüler, neue Lehrer
und damit neue Fragen und Probleme. Sie
kennen Ihre neuen Nachbarn noch nicht und
wissen auch nicht genau, wie Sie auf sie zugehen sollen. Das Essen muss auch noch gekocht werden, aber Sie wissen noch nicht
mal, wo der nächste Laden ist. Alles ist noch
in Kisten oder Taschen verpackt und das Bett
ist auch noch nicht aufgebaut.
Oder erinnern Sie sich an die Wiedervereinigung. Sie kannten weder das neue Geld
noch die Produkte, die in den Regalen standen. Fahrscheine in Bus und Bahn sahen auf
einmal anders aus. Neue Formulare, neue
Begriffe, neue Gesetze, neue Vorgesetzte,
neue Regeln – alles neu.
Und nun versuchen Sie sich vorzustellen,
Sie müssten all das in einem anderen Land,
in das Sie geflohen sind, verstehen. Sie wissen, dass Sie ein ungebetener Gast sind. Sie
kennen weder die Sprache noch die kulturellen Gepflogenheiten des Landes, Sie wissen
nicht, ob Sie bleiben dürfen. Hinter Ihnen
liegen Flucht, Vertreibung, Trennung von
ihrer Familie, von Freunden, Sie haben
Schreckliches erlebt – niemand entwurzelt
sich ohne Grund.
Und nun sind Sie in Deutschland, in
Sachsen. Alles ist neu und unbekannt. Sie
sind wieder ganz auf sich allein gestellt,
44
bekommen ein Dach über den Kopf, etwas
Geld, viele Anweisungen und wenig Erklärungen. Hausordnung, Asylantrag, Mitwirkung, Residenzpflicht, Duldung, Sozialamt,
Schulbehörde, Fahrscheinentwerter, Mülltrennung, Energiesparen – verstehen Sie,
was man von Ihnen will? Sie können kein
Deutsch, sollen es aber auch nicht lernen,
weil ja nicht sicher ist, ob Sie bleiben dürfen.
Können Sie sich richtig verhalten, wenn Sie
weder die Wörter, noch die damit verbundenen Erwartungen verstehen?
Wir haben in den vorigen Kapiteln über
den Stellenwert des Erlernens der deutschen
Sprache gesprochen. »Deutsch für alle« –
das bezieht Asylsuchende ausdrücklich mit
ein und ist aus unserer Sicht eine wesentliche Voraussetzung für die soziale Inklusion
von Asylsuchenden. Eine andere wichtige
Voraussetzung ist die aktive Vermittlung von
adäquaten Informationen.
Viele Asylsuchende wissen nicht genau,
wie sie sich hier in Deutschland »richtig«
verhalten sollen. Sie bringen eigene kulturelle Gepflogenheiten mit, die leicht mit anderen kollidieren können. Vielfach können
sie aufgrund der sprachlichen und kulturellen Barrieren Situationen nicht umfassend
genug verstehen und es kommt zu Missverständnissen oder unangemessenem Handlungsweisen. Das erzeugt leicht schnell Frustrationen auf beiden Seiten und führt häufig
zu eigentlich vermeidbaren Konflikten. Im
schlimmsten Fall machen sich Asylsuchende
aus Unwissenheit strafbar – z. B. wenn sie
Jahresbericht 2012
unwissentlich die Auflagen der »Residenzpflicht« verletzen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln ein Ticket mit dem falschen
Tarif gewählt haben. Auch in Behörden
kommt es immer wieder zu typischen Situationen, die von Asylsuchenden aus Unkenntnis falsch eingeschätzt werden und die Mitarbeitenden überfordern.
Hier lohnt ein präventiver Ansatz, der
einerseits mit gezielter Information Missverständnisse einzudämmen versucht und andererseits die Mitarbeitenden entlastet, weil
sie die einzelne Situation in ihren kulturellen
Kontext stellen können.
Diesen Ansatz verfolgen bereits einige
sächsische Kommunen mit speziellem Informationsmaterial. Die Hinweisblätter beinhalten wichtige Adressen, geben Hinweise zum
alltäglichen Leben und helfen den Asylsuchenden insgesamt, sich besser zurechtzufinden.
Diesem präventiven Ansatz entspricht
auch die »Orientierungshilfe für Asylsuchende«, die die kommunalen Ausländerund Integrationsbeauftragten und der Sächw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
sische Ausländerbeauftragte gemeinsam mit
anderen Akteuren 2012 erarbeitet haben.
Der Impuls für diese Orientierungshilfe
stammt von der Ordnungsamtsleiterin des
Landkreises Sächsische Schweiz – Osterzgebirge, Kerstin Körner. Sie setzt darauf, dass
Information ein wirksamer präventiver Ansatz für die Vermeidung von Konflikten und
von unbeabsichtigten Straftaten ist und auch
die Arbeit ihrer Mitarbeitenden in der Ausländerbehörde erleichtern wird.
Die »Orientierungshilfe für Asylsuchende«
verfolgt deshalb eine doppelte Strategie:
Sie ist eine erste Unterstützung für Asylsuchende und soll ihren Lebensalltag in
Sachsen vereinfachen. Sie ersetzt keine
professionelle Beratung, gibt aber hilfreiche
Tipps und Hinweise.
Gleichzeitig ist sie Teil einer präventiven
Ordnungspolitik, die versucht, Missverständnisse und gesetzwidriges Verhalten zu vermeiden und Konflikte vor ihrem Entstehen
einzudämmen.
Die Orientierungshilfe ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil soll auf die jeweilige
45
interkulturellen »Stolpersteine« und konstruktive Verhaltensweisen, mit denen sie
sich umgehen lassen. Eine kleine Auswahl
finden sie hier.
Region (Landkreis, Kommune) zugeschnitten
sein und die relevanten Adressen von Behörden, Ansprechpartnern und Beratungsstellen vor Ort enthalten.
Der zweite Teil enthält konkrete Hinweise
und Vorschläge für angemessene Verhaltensweisen, die aus Sicht der Praktiker geeignet
sind, Situationen konstruktiv zu gestalten.
Die Ordnung dieser Hinweise folgt den typischen Lebensbereichen von Asylsuchenden
in Sachsen. Dazu zählen zum Beispiel:
• Hinweise zu Wohnen und Unterkunft
• Deutsch lernen
• Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln
• Konstruktive Zusammenarbeit mit
Behörden
• Umgang mit Geld
• Medizinische Versorgung
• Kindergarten und Schulbesuch
• Ausbildung und Beruf
• Rückreise in das Herkunftsland
• Allgemeine Rechte und Pflichten
46
Orientierung in Behörden
Gerade auch die Erwartungen und Anforderungen deutscher Behörden sind Herausforderungen für Asylsuchende, die
in der Regel kein Deutsch sprechen und
die nach geltender Gesetzeslage auch
nicht Deutsch lernen sollen. Deutsch
ist Amtssprache, und es wird von ihnen
erwartet, dass sie sich entsprechend
verständigen können. Gleichzeitig ist
jeder Kontakt auf der Be-hörde ein Kontakt zwischen Vertretern unterschiedlicher Kulturen – und in einem solchen
Kontakt sind interkulturelle Missverständnisse vorprogrammiert. Während
sich auf der einen Seite Behörden weiter
interkulturell öffnen werden und die
Mitarbeitenden zunehmend interkulturelle Kompetenzen aufbauen werden,
sollten auf der anderen Seite Anlässe
für solche Missverständnisse durch gezielte Informationen ausgeräumt werden.
Deshalb enthält die Orientierungshilfe
auch Hin-weise auf solche typischen
Jahresbericht 2012
• Die Amtssprache ist Deutsch. Wenn Sie
Hilfe bei der Sprachmittlung benötigen,
können Sie aber einen Dolmetscher
oder Ihre Vertrauensperson mitnehmen.
• Die typische Anredeform in Behörden
ist die »Siezform«. Bitte verwenden Sie
das höfliche »Sie« den Personen gegenüber, mit denen Sie nicht verwandt und
nicht befreundet sind. Daran sollte sich
auch Ihr Gegenüber orientieren.
• Die Mitarbeiter von Behörden und anderen Einrichtungen dürfen keine
eschenke annehmen. Das wird in
Deutschland bestraft. Bitte haben Sie
Verständnis, wenn Ihr Geschenk nicht
angenommen werden kann.
• Wenn Sie einen Brief mit einer Einladung
oder Vorladung zur Behörde haben, nehmen Sie den Brief zum Termin immer mit.
• Bei Vorladungen in Behörden sollen in
der Regel nur die eingeladenen Personen kommen.
• Pünktlichkeit und die Einhaltung von
Terminen erleichtern unser Zusammenleben.
• Bei allen Fragen zu Ihrem Aufenthalt
können Sie sich jederzeit an die Ausländerbehörde wenden. Haben Sie keine
Angst davor, Fragen zu stellen. Nachfragen dürfen und sollten jederzeit gestellt
werden. Die zuständigen Mitarbeiter
sind gern bereit, Ihnen die Fragen zu
beantworten.
• Sie sind verpflichtet bei der Zusammenarbeit mit Behörden aktiv mitzuarbeiten
und die notwendigen Informationen,
Dokumente und Urkunden vorzulegen.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Orientierung in Gesundheitsfragen
Ein wichtiger Aspekt im Leben eines Asylsuchenden ist auch die medizinische Versorgung, deren Regelungen in der Praxis
oft Schwierigkeiten bereiten. Die derzeitige
Gesetzeslage sieht vor, dass zur Behandlung
von akuten Erkrankungen und Schmerzzustände die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung zu gewähren sind.
Dazu zählen auch die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur
Genesung, zur Besserung oder zur Linderung
von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen.
Damit der Asylbewerber von einem Arzt
behandelt wird, muss er in der Regel zunächst
einen Krankenschein beantragen. Dabei
kann es vorkommen, dass die zuständigen
Behörden Anträge ablehnen oder gar nicht
erst annehmen, weil sie der Meinung sind,
die Krankheit sei nicht akut, sondern chronisch. Probleme gibt es in der Praxis vor allem
mit Heil- und Hilfsmitteln wie Brillen, Hörgeräten, Prothesen, Rollstühlen, aber auch mit
Medikamenten und Operationen.
Ein weiteres Problem kann die Verständigung sein. Wenn sich ein Asylbewerber nicht
richtig verständigen kann oder wenn Familienmitglieder übersetzen müssen, kann es
durch sprachliche Missverständnisse zu
Fehlbehandlungen kommen, im schlimmsten Fall auch dazu, dass der Patient gar
nicht behandelt wird.
Unklar ist auch, inwieweit sich Asylsuchende die Ärzte selber aussuchen dürfen,
obwohl theoretisch freie Arztwahl besteht.
Wenn »Menschen ohne Papiere« erkranken, gehen sie aus Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden, oftmals erst sehr spät
zum Arzt. Das kann in einem medizinischen
Notfall enden. Die Sächsische Landesärztekammer informiert deshalb in einer neuen
Broschüre über die Rechtslage der medizinischen Behandlung von Menschen ohne gesi-
47
cherten Aufenthaltsstatus. Das Heft enthält
ferner Informationen zu den Möglichkeiten
der Kostenerstattung sowie Adressen von
sächsischen Beratungsangeboten zu diesem
Thema.
Neben den allgemeinen Hinweisen zur
ärztlichen Versorgung, zur Gesundheitsvorsorge und zur Behandlung von ansteckenden
Krankheiten geht die Orientierungshilfe auch
auf die Therapiemöglichkeiten bei Traumatisierung und psychischen Problemen ein.
Eine Auswahl der Hinweise finden sie hier:
Wenn Sie oder jemand in Ihrem Umfeld
unter starken Ängsten, Alpträumen,
Depressionen oder Ähnlichem leidet,
wenden Sie sich an einen Arzt Ihres Vertrauens. Er kann Sie an eine geeignete
Psychotherapie weitervermitteln.
In Leipzig, Dresden und Chemnitz
können über Projekte, z. B. den Sprachmittlerpool in Chemnitz, das SprInt Projekt in Leipzig oder den Gemeindedolmetscherdienst in Dresden Sprachmittler
und zum Teil Dolmetscher für die Begleitung zu Therapien in Anspruch genommen werden. In Einzelfällen besteht die
48
Möglichkeit, dass die Kosten von der zuständigen Behörde oder einem Verein
übernommen werden.
Für die Kostenübernahme der Therapiestunden bei einem niedergelassenen
Psychotherapeuten brauchen Sie einen
Krankenschein von der zuständigen Behörde. Es kann sein, dass ein Amtsarzt
zur Beurteilung Ihrer Behandlungsbedürftigkeit hinzugezogen wird. Ebenso
können Sie sich in Dresden
an den Sächsischen Flüchtlingsrat e. V.
und in Leipzig an Caktus e. V. wenden.
Die Menschenrechtsinitiative Medinetz
Dresden e. V. vermittelt anonym und kostenlos medizinische Hilfe für Flüchtlinge
und Migranten ohne Aufenthaltsstatus.
2013: Es geht weiter
Die »Orientierungshilfe für Asylsuchende«
wurde bereits in sechs Sprachen (Englisch,
Französisch, Russisch, Farsi, Arabisch, Vietnamesisch) übersetzt. Der Inhalt der Orientierungshilfe ist derzeit allen kommunalen
Ausländer- und Integrationsbeauftragten
zugänglich.
Jahresbericht 2012
2.4
Die sächsische
Härtefallkommission:
Mitmenschlichkeit zeigen
Bei der Bearbeitung von Ausländerangelegenheiten sind die Verwaltungsbehörden wie in
allen anderen Bereichen auch an Recht und
Gesetz gebunden. Auch wenn die gesetzlichen
Regelungen des Asylverfahrens von ihrer
Grundintention her darauf angelegt sind,
im Interesse aller Beteiligten zügig klare Verhältnisse zu schaffen, also rasch zu entscheiden, wer in Deutschland bleiben kann und
wer ins Herkunftsland zurückkehren muss,
kann gerade die Bindung an Recht und Gesetz diese Entscheidung verzögern.
So gibt es immer wieder Konstellationen,
in denen entweder die Asylverfahren Jahre
dauern oder eine Rückkehr der Betroffenen
aus bestimmten rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist. Im Ergebnis
leben diese Menschen ohne Klarheit über
ihren endgültigen Status viele Jahre bei uns.
Werden die Verfahren für die Antragsteller negativ abgeschlossen oder die
Rückreisehindernisse fallen weg, sind die
Betreffenden zur Ausreise verpflichtet. Die
Durchsetzung der Ausreisepflicht durch
die Behörden kann aber für die Betroffenen
und ihre Familien eine besondere menschliche Härte darstellen.
Ein Beispiel dafür ist, wenn Kinder der
Ausreisepflichtigen während des langjährigen
Aufenthalts in Deutschland geboren worden
sind, mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind, in Schulen und Vereinen fest angebunden sind und weder die Heimat noch die
Sprache der Eltern kennengelernt haben. In
einem solchen Fall wäre es nahezu unzumutw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
bar und deshalb eine außergewöhnliche Härte,
auf der Ausreise der Familie zu bestehen.
Für solche humanitären Konstellationen
hat der Bundesgesetzgeber eine Regelung geschaffen, nach der Menschen in Deutschland
bleiben können, auch wenn das Aufenthaltsrecht das so nicht vorsieht: Die Länder können Härtefallkommissionen einrichten, auf
deren Ersuchen hin das zuständige Landesministerium im Einzelfall abweichend von
den eigentlich dafür festgelegten gesetzlichen Voraussetzungen bestimmen kann,
dass die zuständige Behörde einen Aufenthaltstitel zu erteilen hat.
Im Freistaat Sachen gibt es die Sächsische
Härtefallkommission seit 2005. Die Mitglieder
der Härtefallkommission kommen aus verschiedenen Bereichen; Wohlfahrtsorganisationen, Kirchen und Ausländerinitiativen sind
ebenso vertreten wie die Verwaltung. Die
Härtefallkommission hat den Sächsischen
Ausländerbeauftragten zu ihrem Vorsitzenden gewählt.3
3 Die Mitglieder der Härtefallkommission finden Sie
in der Dokumentation zum Bericht.
49
Verfahren der Härtefallkommission
Grundsätzlich steht es allen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern offen, sich um
eine Behandlung ihres Falles in der Kommission zu bemühen. Da nur ein Mitglied der
Härtefallkommission selbst einen Antrag in
das Gremium einbringen kann, muss es den
Betreffenden oder ihren Unterstützern gelingen, ein Kommissionsmitglied für ihr Anliegen zu gewinnen. Natürlich können die Kommissionsmitglieder, das Einverständnis der
betreffenden Ausländer vorausgesetzt, auch
von sich aus die Initiative ergreifen.
Wichtig dabei ist, dass die Betroffenen
alle Lebensumstände offenlegen, aus denen
humanitäre und persönliche Gründe für den
weiteren Aufenthalt ableitbar sind. Dazu gehören die Identität, Angaben zum bisherigen
Aufenthalt, zur Familiensituation, zum Gesundheitszustand, zur Berufstätigkeit bzw.
beruflichen Qualifikation, zur Ausbildungssituation bzw. zum Besuch von Kindertageseinrichtungen, zu weiteren Familienangehörigen in Deutschland, zur Mitgliedschaft bzw.
50
zum Engagement in Religionsgemeinschaften
und Vereinen und anderem mehr. Die Angaben sollten nach Möglichkeit belegt werden.
Sie werden innerhalb der Kommission
vertraulich behandelt. Im Härtefallantrag
selbst werden nur diejenigen Tatsachen auftauchen, die dafür von Bedeutung sind. Das
tätige Kommissionsmitglied wird kein Härtefallverfahren einleiten, wenn keine Aussicht
auf Erfolg besteht. Gleiches gilt, wenn zwingende Ausschlussgründe nach der geltenden
Rechtsverordnung vorliegen. Das ist z. B. dann
der Fall, wenn der Ausländer gravierende
Straftaten begangen hat. Wenn das Mitglied
einen Härtefallantrag stellt, tritt für die Dauer
des Verfahrens ein Abschiebestopp ein.
Die Kommission beurteilt, ob dringende
humanitäre oder persönliche Gründe vorliegen, die den weiteren Aufenthalt in Deutschland rechtfertigen. Das ist vor allem dann
der Fall, wenn die Ausreise aus Deutschland
eine besondere persönliche Härte darstellen
würde. Die Frage der guten Integration in
unsere Gesellschaft spielt regelmäßig eine
wichtige Rolle.
Jahresbericht 2012
Stellt die Kommission mit der Mehrheit von
zwei Dritteln ihrer Mitglieder solche humanitären oder persönlichen Gründe fest, bittet der
Vorsitzende den Staatsminister des Innern,
eine Aufenthaltserlaubnis zu veranlassen. Die
letzte Entscheidung liegt beim Innenminister.
Seine Entscheidung ist, wie das gesamte Verfahren vor der Härtefallkommission, gerichtlich nicht anfechtbar.
Seit 2005, als die Sächsische Härtefallkommission eingerichtet wurde, haben 300 Personen auf diesem Weg eine Aufenthaltserlaubnis erhalten (Stichtag 07.12.2012). Im Jahr
2012 konnten 11 Anträge positiv beschieden
werden, 20 Personen haben damit eine Aufenthaltserlaubnis bekommen (siehe Tabelle).
Die Zahlen belegen den Erfolg der Härtefallkommission. Das Konzept ist auch bundesweit anerkannt. Es dürfte auch im Fall von
weiteren Lockerungen des Aufenthaltsrechts
seine Bedeutung behalten. Nur in der Härte-
fallkommission werden Einzelschicksale unter vorrangig humanitären Gesichtspunkten
betrachtet. So wird Raum für die Einzelfallgerechtigkeit eröffnet.
Organisatorisches und neue Mitglieder
Die Geschäftsstelle der Härtefallkommission
ist seit dem 01.04.2012 organisatorisch nicht
mehr dem Sächsischen Ausländerbeauftragten, sondern direkt dem Staatsministerium
des Innern zugeordnet und unter folgender
Adresse zu erreichen:
Geschäftsstelle der
Sächsischen Härtefallkommission im
Sächsischen Staatsministerium des Innern
Wilhelm-Buck-Straße 2
01097 Dresden
HFK@smi.sachsen.de
Jahresweise Übersicht (Fälle/Personen):
2005/6
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Befassung
43/120
11/26
16/49
20/61
20/77
26/63 15/33
Härtefallersuchen
25/90
9/23
15/37
15/44
17/61
21/51
Anordnung nach § 23a AufenthG
21/80
9/19
9/19
7/35
20/59
20/68 11/20
15/33
2012 trat Reinhard Boos an die Stelle von
Martin Strunden, und Christoph Hindinger
folgte Christiane Krebs nach. Reinhard Boos
leitet (erneut) das Referat Ausländerangelegenheiten im Staatsministerium des Innern
und gehörte der Härtefallkommission bereits
die ersten zwei Jahre ihres Bestehens an.
Christiane Krebs war stellvertretendes Gründungsmitglied und für das Amt des Sächsischen Ausländerbeauftragten bereits zuvor
maßgeblich an der Einrichtung der Sächsischen Härtefallkommission beteiligt.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
51
3. Willkommensgesellschaft
Sachsen: Was ausländische
Fachkräfte sagen
»You’ve come a long way, Babe«. Du bist
ganz schön weit gekommen, meine Liebe –
so lautete ein berühmter Spruch der Frauenbewegung in den USA. Man könnte das Gleiche über die Entwicklung Dresdens zu einem
erstrangigen internationalen Wirtschaftsund Forschungsstandort sagen, an dem viele
internationale Fachkräfte und Studenten
zeitweise oder auf Dauer studieren, forschen
und arbeiten.
Viele Sachsen empfangen sie mit offenen
Armen, arbeiten und leben ganz selbstverständlich mit ihnen zusammen, freuen sich
über das Stück »weite Welt«, dass die Zuwanderer mit nach Sachsen bringen. Andere sind
skeptisch und wundern sich, warum diese
Menschen eigentlich zu uns kommen müssen oder wollen.
Sie sind zwar stolz darauf, dass Sachsen
auch als internationaler Standort an Attraktivität gewinnt, aber es gelingt ihnen (noch)
nicht, diesen Stolz mit einem echten Willkommen gegenüber Zuwanderern zu verbinden. Das gilt im Übrigen noch für ganz
Deutschland: Nach einer repräsentativen
Studie der TNS Emnid Medien- und Sozialforschung GmbH ist Deutschland nach Ansicht der einheimischen Bevölkerung das
attraktivste Land für hochqualifizierte Zuwanderer. Allerdings glaubt nur jeder zweite
Deutsche, dass Zuwanderer von der örtlichen
Bevölkerung eine freundliche Aufnahme
erfahren.4
Sachsen als Willkommensgesellschaft,
das ist ein Standortvorteil, an dem sich die
52
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Zukunft unseres Landes entscheidet. Die
Öffnung unserer Gesellschaft gegenüber
Menschen unterschiedlicher kultureller
Herkunft macht Sachsen attraktiv – sowohl
für die junge Generation, die wir gern in
Sachsen halten wollen als auch für Zuwanderer aus aller Welt.
Der bisherige wirtschaftliche Erfolg unseres Freistaates beruhte auf politischer Weitsicht, gesellschaftlichem Engagement und
der großzügigen finanziellen Unterstützung
durch Europa und die Bundesrepublik. Diese
finanzielle Unterstützung wird in Zukunft
deutlich geringer ausfallen. Gleichzeitig
stehen wir absehbar vor einem Fachkräfteproblem. Wir sind nicht nur auf qualifizierte
Zuwanderung angewiesen, sondern auch
darauf, denen, die bereits hier leben, den
Zugang in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen
– beispielsweise über eine verbesserte formale und praktische Anerkennung ihrer
Abschlüsse.
Ein wichtiger Schritt dafür ist aus unserer
Sicht, dass wir qualifizierten Zuwanderern
genau zuhören. Was ist ihre Sicht auf die
Dinge? Was sollten wir ihrer Meinung nach
tun, damit Sachsen ein attraktiver Standort
für qualifizierte Fachkräfte aus aller Welt wird?
4 Willkommenskultur in Deutschland, Ergebnisse
einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage in
Deutschland, TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, Dezember 2012
53
Wir haben dafür 2012 eine explorative Studie
initiiert, die sich diesen Fragen aus Sicht
ausländischer Wissenschaftler widmet, die
derzeit in Dresden forschen und arbeiten.
Durchgeführt wurde die Studie in unserem
Auftrag von Malcolm Jackson von der University of Florida, der für sechs Monate in Dresden gelebt und gearbeitet hat.
Malcolm Jackson interviewte für diese
Studie 15 Wissenschaftler des Dresdner
»Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik« (MPI-CBG). Die interviewten Forscher hatten unterschiedliche
familiäre und kulturelle Hintergründe, kamen
aus verschiedenen Ländern der EU ebenso
wie aus Drittstaaten wie Russland, den USA
oder Kolumbien. Die Leitfragen
der Untersuchung waren: Wie willkommen
fühlen sich die ausländischen Fachkräfte
in Dresden? Wie geht es ihnen hier, mit
welchen Hürden haben sie zu kämpfen,
was hat sie positiv überrascht und welche
Verbesserungen würden sie vorschlagen?
Die Interviewten gaben Auskunft zu ihren
Erfahrungen in Sachsen, von den ersten Begegnungen, ihrer Anmeldung im Einwohnermeldeamt bis hin zum heutigen Leben. Die
Interviews erfassten neben Schwierigkeiten
auch die Frage, wie Sachsen seinen Ruf als
Willkommensgesellschaft auf- und ausbauen
könnte und wie ein respektvolles Miteinander möglich ist.
Was sehr erfreulich ist: Grundsätzlich
empfinden alle Interviewten Dresden als
attraktiven Ort zum Arbeiten und zum Leben.
Gleichzeitig gaben sie eine Reihe von Anregungen für Verbesserungen, die das Ankommen und Leben in Sachsen deutlich erleichtern und die Attraktivität des Standortes
weiter erhöhen würden.
Wir sind der Überzeugung, dass die meisten Probleme gelöst werden können, wenn
die entsprechenden Gesetze und Vorschriften wohlwollend und konstruktiv angewendet werden und sich unsere Behörden konse-
54
Anthony
Hyman,
Direktor am
Max-PlanckInstituts für
molekulare
Zellbiologie
und Genetik
»Wir haben einen großartigen Anfang in
diese Richtung gemacht. Wenn wir die
Erfolgsgeschichte weiterschreiben wollen, brauchen wir Top-Leute aus aller
Welt. Damit diese wirklich kommen und
bleiben, braucht Deutschland neues
Denken. Ich bin der Überzeugung, dass
beherztes Handeln bezüglich der gemachten Anregungen dazu führt, dass noch
mehr internationale Wissenschaftler
Sachsen zu ihrer zweiten Heimat machen.«
quent interkulturell öffnen und dienstleistungsorientiert handeln. Glücklicherweise ist
das nur eine Frage des politischen Willens
des Freistaates Sachsen.
Dresden ist ein attraktiver Standort
für internationale Fachkräfte
Die Studie zeigt, dass Sachsen ein attraktiver
und angenehmer Standort für ausländische
Fachkräfte ist, wenn die anfänglichen Barrieren der Anerkennung überwunden sind. Die
Stärken Sachsens als Zielort für internationale Fachkräfte sind unter anderem: Sachsens schöne Natur und seine Erreichbarkeit,
Jahresbericht 2012
sein entspannter Lebensstil mit hoher Lebensqualität, die Wahrnehmung, dass seine
soziale und wirtschaftliche Situation immer
besser wird, und der Eindruck, dass das
Land sehr familienfreundlich ist.
»Für eine kleine Familie ist das hier
der perfekte Ort.«
Dieser Eindruck wurde von allen Interviewpartnern geteilt: Sachsen ist ein attraktiver
Ort zum Leben. Im Vergleich zu anderen
Forschungsorten in Europa bewerten die
Befragten Dresden und Sachsen besonders
gut, und zwar aufgrund der Lebensqualität,
der sich ständig weiter entwickelnden Infrastruktur und Wirtschaft. Dresden bietet alle
Vorzüge einer großen und gleichzeitig die
Vorteile einer kleineren Stadt.
Für Berufstätige ist diese Region ein guter
Ort, um sich hier einen Sitz für die Familie
zu schaffen. Es gibt viele gute Signale: Die
hiesige Forschung und Wirtschaft wird gefördert, das Wachstum der sogenannten »Biopolis« als Forschungs- und Wirtschaftsstandort sowie das »Silicon Saxony« zeigt die Entwicklung. Die Wahrnehmung der Befragten
ist, dass sich Sachsen im langfristigen Aufstieg befindet.
Der eigentliche Grund, nach Dresden zu
kommen, liegt aber in der Attraktivität des
Institutes, an dem die Interviewpartner arbeiten.
»Ich mag Dresden... aber ich kann nicht
sagen, dass ich hier auf lange Sicht bleiben
kann; denn ich habe einen Zeitvertrag.
Wenn der vorbei ist, werde ich nach links
und rechts schauen, ob es dort Arbeit gibt.
Ich werde sein, wo immer ich einen Job
bekomme. Ich weiß nicht, ob das hier
für einen Verlust für Dresden gehalten
wird oder nicht.«
Das Zitat verweist auf eine gewisse Unsicherheit, die auch bei allen Befragten zum Ausdruck kam: Sie fühlen sich wohl hier und
die meisten würden auch gern hier bleiben.
Gleichzeitig sind sie sich unsicher, ob sie
hier auch außerhalb des beruflichen Kontextes »erwünscht« und »willkommen« sind.
Das Gefühl des Nicht-Erwünscht-Seins
ergibt sich im Wesentlichen aus drei Barrieren, die das Ankommen in Sachsen erschweren. Befragt nach Vorschlägen, was man
tun könnte, um diese Barrieren abzubauen,
gaben die Interviewpartner folgende konkrete Empfehlungen und Hinweise.
»In der Zukunft wird es ein Vorteil sein,
in Dresden studiert zu haben … das Land
hat sich … der Entwicklung der Biotechnologie und der Forschung in der Biologie
verschrieben.«
Die Möglichkeit, hier zur arbeiten, entscheidet letztlich auch darüber, ob Fachkräfte in
Dresden bleiben oder nicht – das gilt sowohl
für die Befragten selber, als auch für ihre
Partner.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
55
3.1
Gegenseitige Verständigung
fördern
Ein Großteil der Vorschläge bezog sich auf
den Bereich der Sprache und der gegenseitigen Verständigung.
Die meisten Befragten kamen ohne vorherige Kenntnisse der deutschen Sprache nach
Dresden. Das hat unter anderem auch damit
zu tun, dass die Institutssprache der internationalen Belegschaft des MPI-CBG Englisch
ist. Für die ersten Schritte in Dresden – von
der Anmeldung bei der Ausländerbehörde
bis hin zur Wohnungssuche – unterstützt die
Forschungseinrichtung ihre »Neuzugänge«
durch eine eigene Relocation-Einheit.
sprechen und verstehen können; denn ohne
Deutschkenntnisse sehen sie kaum Möglichkeiten zum Austausch mit Deutschen, und
eine volle Teilhabe an der Gesellschaft ist
unmöglich. Das Beherrschen der deutschen
Sprache ist für sie der Faktor mit dem größten
Einfluss auf ihr eigenes Leben als Ausländer
in Dresden.
»Im Allgemeinen rate ich meinen Freunden,
alles zu tun, um Deutsch zu lernen, weil das
ihre Lebensqualität sehr verbessert. Das ist
einfach so.«
»Wenn du die Sprache nicht sprichst,
dann liegt das auf dir wie ein Gewicht.«
Deutsch lernen ermöglichen
Die Befragten sprechen Deutsch auf sehr verschiedenen Niveaus, aber keiner beherrschte
es ganz. Alle möchten gern besser Deutsch
Das Thema der Sprache zog sich wie ein roter
Faden durch alle Interviews. Von besonderer
Bedeutung war es für die, die Familie und
Kinder hatten.
»Wenn dein Kind krank ist und medizinische
Hilfe braucht … ist es sehr schlimm, nicht
richtig zu verstehen, um was es sich handelt,
und im Augenblick kann ich kein besonders
gutes Deutsch.«
Die Befragten äußerten den Wunsch nach
besserer Information darüber, wo man
Deutsch lernen kann und nach effizienten
Deutschkursen. Viele der angebotenen Kurse
haben aus der Sicht der Teilnehmer verschiedene verhängnisvolle Fehler. Sie können
sehr teuer sein, oder lieblos durchgeführt
werden.
56
Jahresbericht 2012
»Ich habe mit meinem Sprachunterricht
aufgehört, weil Leute einfach nicht zur
Klasse kamen. Und wenn sie dann später
kamen, mussten wir zurück und alles
wiederholen. Ich lernte die Zahlen sehr,
sehr gründlich.«
Besonders ungünstig sind Kurse, die tagsüber angeboten werden. Ein Intensivkurs
mit mehreren Stunden pro Tag ist praktisch
unerreichbar für jemanden, der Vollzeit
und oft sogar mit Überstunden arbeitet und
forscht. Viele der Teilnehmer gaben außerdem an, dass sie erst nach langer Zeit in
Deutschland auf Angebote für die deutsche
Sprache aufmerksam gemacht wurden.
Wenn Sprachkurse ein normaler Bestandteil der Willkommenskultur wären, und jeder
daran teilnehmen könnte, würde das das Erlernen der deutschen Sprache sehr erleichtern.
Und es würde den ausländischen Fachkräften helfen, sich aktiv in die Gemeinschaften
und Nachbarschaften vor Ort einzubringen!
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Sich verständigen – von beiden Seiten
aufeinander zugehen
Auf die Frage, was ihr Leben am meisten
verbessern würde, antworteten viele, dass
es neben besseren Deutschkenntnissen die
besseren Englischkenntnisse der Deutschen
in Sachsen wären.
»… und es war z. B. sehr schwer, mit Immobilienmaklern zu kommunizieren. Die meisten
von ihnen sprechen kein Englisch, und das
war wirklich schwer.«
Die Interviewpartner wünschen sich ein
»Entgegenkommen auf halben Wege«, das
sich unter anderem auch darin äußern kann,
dass die Gesprächspartner Geduld beim
Zuhören und den Willen zum Verstehen
aufbringen. Sie wünschen sich Verständnis
derjenigen, deren Muttersprache Deutsch ist,
gegenüber denjenigen, die sich dieser Sprache
erst ermächtigen müssen. So wird Deutschlernen auch in den Alltagsbegegnungen eine
ermutigende Erfahrung.
57
Internationale Fachkräfte
als Eltern in der Kommunikation
unterstützen
Ein weiterer wichtiger Einfluss der Sprache
auf das Leben der ausländischen Forscher
mit Familien betrifft ihre Kinder in der Schule.
Hier haben die Eltern aufgrund der Sprachbarriere große Probleme, genaue Informationen über ihre Kinder zu erhalten. Eine der
interviewten Personen erklärte das so:
»Ich kenne ein bisschen Deutsch, ich kann
es verstehen, aber für mich ist das Sprechen
sehr schwer. Ich bitte sie, langsamer zu
sprechen »langsamer bitte« … das hilft
normalerweise sehr.«
»Wenn ich mich mit meinem Deutsch
abmühe, dann ist es mir passiert, dass Leute
sich abwenden und weggehen… das ist
wirklich beleidigend, weil ich sie auf halbem
Wege treffen möchte … Du weißt, gerade weil
ich mich sehr bemühe, schenke mir einen
Augenblick Geduld.«
Sich in einer Sprache nicht richtig ausdrücken
zu können, kann sehr verunsichernd und einschüchternd sein. Umso ermutigender ist es,
wenn diese Anstrengung gewürdigt wird.
Diese Erfahrung macht jeder, der eine Fremdsprache erlernt hat. Gleichzeitig macht man
die Erfahrung, dass die eigenen Fremdsprachenkenntnisse nicht immer mit der eigenen
professionellen Kompetenz korrespondieren.
Damit entgeht man leichter dem Irrtum, das
Potential und die Kompetenz eines Ausländers
an seinen Deutschkenntnissen zu messen.
Deshalb lautet eine Empfehlung, wie sich
Sachsen weltoffener und als Willkommensgesellschaft zeigen kann, dass sich auch die
Sachsen selber um mehr Fremdsprachenkenntnisse bemühen und diese im alltäglichen Miteinander anwenden.
58
»Für die Kinder gibt es überhaupt keine
Probleme, aber für uns Erwachsene ist es
schwierig, dort Verbindungen aufzubauen …
Wenn wir um Information bitten, bekomme
ich zuerst die Antwort »Alles in Ordnung.
Kein Problem«. Doch wenn wir etwas ins
Details gehen, dann merken wir, dass die
wirkliche Antwort eher so lautet: »Ja, ABER
… Ja, ABER«. Und dann kommen diese vielen
ABERs, die es letztendlich für uns schwer
machen, die Situation zu verstehen … Dann
fragen wir, ob es ein Problem mit unserem
Kind gibt, ob es auch spricht. Die Antwort
lautet dann »Ja, kein Problem«. Wenn wir
dann weiterfragen, ob es mit anderen Kindern spricht und mit ihnen spielt, dann hören wir »nicht wirklich«. So wurde uns klar,
dass der erste Ansatz der Lehrer war, uns
keine komplizierten Antworten zu geben und
dass die Eltern sich damit schon abfinden
werden. Ich muss sagen, dass mich das
stocksauer machte.«
Niveau in Deutsch wie einsprachige Kinder.
Diese Differenz gleicht sich erst ungefähr mit
14 bzw. 15 Jahren aus. Zweisprachig aufwachsende Kinder haben einen klaren Bildungsvorteil durch ihre Fähigkeit, zwei Sprachen
muttersprachlich zu beherrschen. Doch weil
bereits in der vierten Klasse, also mit neun
oder zehn entschieden wird, wer aufs Gymnasium darf, sind zweisprachige Kinder benachteiligt.
»Ich mache mir Sorgen, dass durch unsere
Entscheidung, hier in Sachsen zu bleiben,
unsere zehnjährige Tochter Einschränkungen in ihren Bildungs- und Karrierechancen
hinnehmen muss, weil sich ihre Deutschkenntnisse nicht schnell genug entwickeln.«
Angesichts der Zweisprachigkeit und der
dafür typischen Sprachentwicklung erweist
sich das deutsche Schulsystem als ernstzunehmende Barriere für die Kinder von
Zuwanderern und vermindert damit die
Attraktivität des Standortes.
Die Sprachbarrieren zwischen internationalen Fachkräften und der einheimischen
Bevölkerung sind real. Aber mit einer
veränderten Einstellungen zur Mehrsprachigkeit, besser strukturierten Sprachlernangeboten und mehr Fremdsprachenkenntnissen z. B. auf Seiten der Behörden
lassen sich auch diese Barrieren überwinden. Die drei zentralen Empfehlungen für
den Bereich der Verständigung lauten:
1. Das Erlernen der deutschen Sprache
sollte für alle Ausländer mit einem
guten Angebot an Sprachkursen und
gezielter Information dazu erleichtert
werden.
2. Ein wichtiger Bestandteil der interkulturellen Öffnung sowohl der Gesellschaft als auch in den Behörden
ist, das Verständnis und die Geduld
gegenüber denjenigen, die die deutsche Sprache erst lernen, und die
aktive Förderung der eigenen Fremdsprachenkenntnisse.
3. Mehrsprachigkeit ist ein Potential
und sollte im sächsischen Bildungssystem z. B. bei den Bildungsempfehlungen entsprechend berücksichtigt
werden.
Mehrsprachigkeit der Kinder bei
Bildungsempfehlungen berücksichtigen
und nutzen
Eine weitere Sorge für Eltern mit Kindern in
deutschen Schulen ist die Bildungsempfehlung zum Gymnasium. Kinder, die zweisprachig aufwachsen, sind im Alter von zehn
Jahren nicht auf dem gleichen sprachlichen
Jahresbericht 2012
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59
3.2
Serviceorientierung der
Behörden erhöhen
Der Kontakt und der Umgang mit Behörden
und Ämtern sorgen bei den meisten Interviewten für Verwirrung und Angst. Das gilt
für aufenthaltsrechtliche Fragen, ebenso wie
für Besuche von Verwandten oder für die
Auto- und Führerscheinanmeldung. Zentral
sind dabei die Ausländerbehörden.
»Du hast das in deinem Gehirn. Oh Mist,
in sechs Monaten muss ich wieder hin ...
psychologisch macht dich das bereit, wegzuziehen. Es gibt dir irgendwie eine Ausrede
zum Abhauen. Denn, du weißt, du hast nur
ein Jahr oder zwei.«
Die Interviewten sehen eine große Diskrepanz
zwischen ihrem Arbeitsleben am Institut
und der Unterstützung, die sie dort erhalten
und ihren Erlebnisse in den verschiedenen
Behörden.
»... sie sprechen darüber, wie international
Dresden sein sollte und dass sie alles tun,
was sie können, und Toleranz, um qualifiziertes Personal anzuziehen … und dann
gehst du und siehst, dass die Realität anders
ist … Sie machen es dir sehr schwer und du
musst äußerst überzeugend sein.«
Das Institut begleitet seine internationalen
Mitarbeitenden bei den wichtigsten Angelegenheiten durch Kollegen einer speziellen
Relocation-Abteilung. Damit werden den
Forschern viele Behördengänge und Formalitäten abgenommen. Bei einigen Verwal-
60
tungsvorgängen ist es allerdings notwendig,
dass sie selber zur Behörde gehen. Aus diesen Erfahrungen speisen sich die Empfehlungen, wie man die Dienstleistungsorientierung der Behörden, vor allem der Ausländerbehörden, deutlich verbessern würde. Einige
Interviewten wiesen aber auch darauf hin,
dass bereits heute Verbesserungen spürbar
seien.
»Ich glaube, sie (die Ordnungsbehörden)
werden zu sehr kritisiert, und sie verhalten
sich auch defensiv und wollen die Zustände
verbessern. Doch ich denke, es ist an der
Zeit, dass sie etwas proaktiver werden und
feststellen: Ja, wir haben Probleme, doch wir
tun etwas dagegen.«
Ein Teil der angesprochenen bürokratischen
Barrieren beruhen auf bundesgesetzlichen
Regelungen und entziehen sich deshalb
dem sächsischen Einflussbereich. Aber die
Interviewten wiesen auch auf ungenutzte
Spielräume in den sächsischen Behörden
hin, deren wohlwollende Nutzung den Eindruck besonders der Ausländerbehörden
deutlich verbessern würde. Hier gibt es
eine Reihe größerer und kleinerer Umstände,
die als erschwerend und ungastlich bewertet
werden.
Ein Interviewter fühlte sich durch die
Einrichtung der Ausländerbehörde an den
»Prozess« von Franz Kafka erinnert. In dem
Flur warten Menschen aus aller Welt. Sie
sprechen viele Sprachen. Englisch ist die
Jahresbericht 2012
Sprache, die sie alle verbindet. Aber mit
ihnen wird nur Deutsch gesprochen, gleichgültig ob sie schon zwei Jahre in Sachsen
leben oder erst zwei Tage.
Fremdsprachenkompetenz in den Behörden
erhöhen und mehrsprachiges Informationsmaterial zur Verfügung stellen
Besonders irritierend fanden die Befragten,
dass viele der Mitarbeitenden in den Ausländerbehörden entweder keine Fremdsprachen
sprechen können oder nur Deutsch sprechen
wollen oder dürfen. Dabei können es die Ausländer verstehen, wenn bei der Anmeldebehörde oder bei der KFZ-Zulassung nur Deutsch
gesprochen wird. Doch bei einer Behörde,
die sich explizit mit Ausländern beschäftigt,
erwartet man zumindest ein wenig Fremdsprachenkompetenz.
»Sie (die Mitarbeiter in der Ausländerbehörde)
haben sich geweigert, Englisch zu sprechen
… das ist unerhört!«
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Angesichts der Tatsache, dass Sachsen versucht, sich der Weltwirtschaft zu öffnen, wäre
es ein absolutes Minimum, zu erwarten, dass
diejenigen, die sich mit Ausländern beschäftigen, auch Englisch sprechen können. Englisch ist mittlerweile zur Weltsprache geworden. Überall erlernen Menschen Englisch:
in China, Afrika, Indien, Südamerika oder
anderen Teilen Europas. Englisch ist eine
grundlegende Voraussetzung, um im Ausland zu arbeiten oder zu studieren.
In diese Richtung geht auch die Empfehlung der Interviewten, dass besonders
die Ausländerbehörden ihre Informationsmaterialien auch auf Englisch präsentieren.
Gerade wenn man sich schon vom Ausland
aus darüber informieren will, welche Unterlagen notwendig sind, um nach Sachsen
zu kommen.
»Ihr würdet wahrscheinlich davon profitieren, einige wichtige Dinge auf einer Webseite
in verschiedenen Sprachen zu haben. Das
würde sicherlich sehr helfen.«
61
Eigene Einstellungen und Bewertungsmuster bewusst machen und ändern
Die Interviewten berichteten über ihren
Eindruck, dass Mitarbeitende deutscher
Behörden scheinbar ganz selbstverständlich
erwarten, dass alle Ausländer sofort nach
ihrer Ankunft Deutsch sprechen können
und über wichtige rechtliche Fragen informiert sind, noch bevor sie in Deutschland
ankommen.
Diese Erwartung ist falsch. Die meisten
der ausländischen Fachkräfte haben eine
Karrierechance in Sachsen genutzt, die sie
nicht auf Jahre hin geplant haben.
»Wir sprachen kein Deutsch, weil wir nie
geplant hatten, in Deutschland zu leben.
Wir haben sehr viel Glück gehabt, so viel
Unterstützung zu bekommen … Ich stelle mir
vor, es könnte sonst sehr schwierig sein.«
»Manchmal sind Leute überrascht, dass
wir kein Deutsch sprechen. Irgendwie glauben sie, dass Deutsch eine einfache Sprache
ist und wir uns noch mehr anstrengen
sollten.«
Bedingungen für
Familienbesuche erleichtern
Das Bleiben fördern – Doppelte Staatsbürgerschaft und Arbeitsmarktintegration
Besonders die Interviewten aus den Drittstaaten berichteten von Schwierigkeiten,
wenn sie ihre Familienangehörigen nach
Dresden einluden. Für solche Besuche
von Familienangehörigen sind in der Regel
Visa und die Zahlung von Kautionen
notwendig.
Eine Reihe langjährig in Sachsen lebender
Forscher und ihre in Deutschland geborenen
Kinder würden gerne die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben – allerdings nicht, wenn
sie gleichzeitig ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufgeben müssten.
»Wenn Du jemanden aus deiner Familie zu
Besuch herholen willst, und du merkst, dass
das sehr schwer wird, wirst du dich hier nie
zuhause fühlen, und du wirst fühlen, dass
die Werbung für eine internationale Atmosphäre eine Lüge ist.«
Ermessenspielräume
wohlwollend prüfen
Einige Interviewte hatten den Eindruck, dass
die Prüfung der Unterlagen von Willkür der
Behörden gekennzeichnet war, und dass ihre
Situation nicht angemessen berücksichtigt
wurde. Dieses Thema ist besonders wichtig,
weil durch willkürliche Entscheidungen
nicht nur die Betroffenen benachteiligt
werden, sondern weil sie auch dem Freistaat
schaden.
»Ich bat die Behörde, mein Visum so lange
zu verlängern, wie mein Arbeitsvertrag
läuft, damit ich meine Eltern einladen
könnte. Das verweigerten sie erst. Nach
einigem Streit waren sie dann bereit, es
doch zu verlängern. Ich musste dreimal hin,
und hatte immer die gleichen Papiere wie
beim ersten Mal.«
»Wie kannst Du Deine ursprüngliche
Nationalität ablehnen? Das ist etwa so, als
wenn ich meinen Eltern sagen würde, okay,
ihr seid nicht mehr meine Eltern.« … »Der
einzige Weg, Deutscher zu werden, ist es,
deiner Staatsbürgerschaft abzuschwören. Ich
müsste zur Botschaft gehen und sagen, dass
ich ab sofort nicht länger ein Bürger meines
Landes sein will. Dann kann ich Deutscher
werden. Das ergibt für mich keinen Sinn.«
Viele der Befragten würden gern in Dresden
bleiben. Dafür brauchen sie aber nicht nur
ein entsprechendes Jobangebot (die Stellen
in der Forschung sind überwiegend befristet), sondern auch die Zuwanderungs- und
Bleiberechtsregeln müssen passen.
»Es gibt zwei Arten, die Niederlassungserlaubnis zu erhalten. Die erste ist, stinkreich
zu sein. Die zweite ist, sie irgendwie zu überzeugen, dass du eine ›notwendige Person‹
bist.«
»Es ist einfach undenkbar, dass jemand,
der z. B. kein Direktor oder so etwas ist, ein
Gehalt von 63.000 Euro erhält. Mir ist bewusst,
dass das jetzt reduziert worden ist, doch
selbst die 40.000 oder so sind für die meisten
Wissenschaftler unerreichbar, es sei denn,
du bist schon in einer hohen Position.«
Auch der Zugang in die Selbstständigkeit
als ein möglicher Weg, in Sachsen zu bleiben, wird als mit hohen Hürden versehen
empfunden. Die Regeln und Vorschriften
für eine Selbständigkeit wurden von einigen
Interviewten als extrem einengend bewertet.
Wenn ein System solche hohen Hürden
gegenüber einer selbständigen Tätigkeit
aufbaut, dann verdient es aus Sicht der Befragten eine Neubewertung.
Ausländerbehörden sind die Visitenkarten
einer Stadt bzw. einer Region, die auf Zuwanderung internationaler Fachkräfte
setzt. Idealerweise verstehen sie sich als
»Welcome-Center«, die Zuwanderer beim
Ankommen in Sachsen begleiten. Sie sind
ein wesentlicher Baustein einer Willkommensgesellschaft, die auf Zuwanderung
setzt.
• In den Behörden sollte der Wandel
des Selbstverständnisses hin zu mehr
Serviceorientierung und zur interkulturellen Öffnung weiter gefördert
werden.
• Die Fremdsprachenkompetenz sollte
besonders in den Ausländerbehörden
erhöht werden. Informationsmaterial
sollte in mehreren Sprachen zur Verfügung stehen.
• Die Ermessensspielräume der gesetzlichen Regelungen sollten wohlwollend im Sinne der Zuwanderer genutzt
werden, z. B. bei Familienbesuchen
und Aufenthaltsregelungen.
Alle Befragten sind bereit, Deutsch zu lernen
bzw. sie lernen es bereits, erhoffen sich aber
mehr Verständnis dafür, dass Deutschlernen
ein lebenslanger Prozess ist und viel Mühe
macht.
62
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
63
3.3
Interkulturelle Öffnung
der Gesellschaft fördern
Der dritte Bereich, für den die Interviewten
Verbesserungen anregten, ist das öffentliche
Bewusstsein und die Einstellung der Menschen in Sachsen zu kultureller und sprachlicher Vielfalt. Der Eindruck vieler Teilnehmer über ihren Umgang mit den Menschen
vor Ort ist ein allgemeines Missverständnis
über die Gründe, warum Menschen aus dem
Ausland nach Sachsen kommen wollen.
Fast alle Befragten beschrieben die Dresdner als freundlich, oft wissbegierig gegenüber anderen Kulturen und hilfsbereit. Um die
Region weltoffener zu machen, sollten die
Einheimischen die Zweifel ablegen, die immer noch existieren. Manche Einheimische
scheinen nach Meinung der Interviewten davon auszugehen, dass Ausländer nur deshalb
nach Sachsen kommen, weil sie einem geringeren Lebensstandard in ihrem Heimatland
entkommen, und nicht, weil sie hier einem
qualifizierten Job nachgehen wollen.
Ein Grund dafür liegt möglicherweise
darin, dass die Einheimischen dazu neigen,
die Sprachkompetenz der Ausländer mit ihrer
beruflichen Kompetenz gleichzusetzen und
sie damit – bewusst oder unbewusst – abzuwerten. Fachkenntnisse sind aber unabhängig davon, ob jemand Deutsch spricht oder
nicht.
Ein weiterer Grund scheint zumindest teilweise an der Unwissenheit der Öffentlichkeit
über die angesehenen Forschungsinstitute in
Dresden, die wachsende wissenschaftliche
Gemeinschaft und die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft zu liegen.
64
Wer nicht weiß, dass sich Dresden zu einer
Forschungsregion mit Weltklasseniveau
entwickelt hat, wird auch nicht verstehen,
dass Top-Wissenschaftler nach Dresden
kommen, weil sie ihre Karriere befördern
wollen und nicht, weil sie der Arbeitslosigkeit entfliehen.
Internationalität der Region zeigen
Vor diesem Hintergrund war eine Empfehlung
der Interviewten, die Internationalität der
Stadt noch stärker zu betonen und vor allem
auch der Bevölkerung die vielen internationalen Institute und Unternehmen Dresdens
bekannt zu machen.
»… sie wissen nicht, warum hier so viele
Ausländer leben. Sie haben immer ein Gefühl, dass Ausländer Menschen sind, die
aus ihren Ländern auswandern, weil sie
es dort schlecht haben … Sie wissen noch
nichts über die Forschungsinstitute hier …
oder dass ein großer Teil der Forschung
durch Ausländer durchgeführt wird.«
»Sie denken nicht ›Was sind unsere Vorteile, ausländische Fachkräfte nach Sachsen
zu bringen.‹ Sie denken: Diese Leute kommen und übernehmen unsere Jobs.«
Dieses Zitat identifiziert den Unterschied
zwischen der Einstellung, dass Ausländer
willkommen sind und einer Einstellung, die
Ausländer als Quelle von Problemen sieht.
Jahresbericht 2012
Vielleicht kann man diese Einstellung
ändern, indem man die Anwesenheit von
Ausländern als Symptom des internationalen
Erfolges statt eines Misserfolges sieht. Ausländer kommen nicht, um Probleme zu bereiten, sie kommen aufgrund unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolges:
Institutionen von Weltrang, schöne Landschaften und Städte ziehen Menschen aus
aller Welt an. Diese Perspektive könnte auch
das Selbstwertgefühl der Sachsen stärken
und dazu führen, dass sich ausländischen
Fachkräften mehr als bisher willkommen
geheißen fühlen.
Interkulturelle Begegnungen
statt Fremdenskepsis
Viele Interviewpartner berichteten, dass
Sachsen anfänglich distanziert und unfreundlich erscheinen, aber sich dann zu guten Freunden und Unterstützern entwickeln.
Die Interviewten waren sich nicht sicher,
ob sich diese anfängliche »Unfreundlichkeit«
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
der Sachsen auf eine grundsätzliche
Fremdenskepsis zurückführen lässt.
»Ich habe manchmal das Gefühl einer
latenten Fremdenfeindlichkeit. Aber es ist
sehr schwer festzunageln, weil du nicht
weißt, ob die Menschen nicht gerade einen
schlechten Tag haben oder ob sie im
Allgemeinen nicht sehr freundlich sind.«
Sie berichteten von eigenen Erfahrungen,
die für sie zwar unangenehm, aber nicht
gravierend waren. Als Ursachen vermuteten
sie eine gewisse Unsicherheit im Umgang
mit Fremden – sei es, weil die Einheimischen
bisher wenige Kontakte mit Ausländern
hatten oder weil sich die Deutschen unsicher waren, wie man sich verständigen
kann.
»Ich hatte hier eine komische Erfahrung,
wo Menschen nicht … mit Ausländern
umgehen konnten … Die Menschen hier
sind nicht so richtig an Ausländer gewöhnt,
… es ein bisschen von einer Neuheit.«
65
»… Auf alle Fälle werden Leute, die
mit einer Vielfalt von Menschen umgehen,
einfach entspannter in diesem Bereich.«
Begegnungen zwischen Menschen aus
unterschiedlichen Kulturen sind der beste
Weg, Skepsis und Vorurteile abzubauen
und Sachsen zu einer echten Willkommensgesellschaft zu machen. Je mehr
Möglichkeiten es gibt, sich mit Menschen
aus anderen Ländern auszutauschen, desto
mehr kann man zusammenwachsen.
Die Befragten empfehlen hier besonders
Kontakte zwischen Ausländern und Einheimischen. Feiern und Feste mit internationalen Kulturen und Vereinen können die Vielfalt und zugleich das verbindende Menschliche zeigen. Ausländer könnten eingeladen
werden, ihre Kulturen zu zeigen und so Deutsche für ihre Kulturen zu interessieren. Das
wäre aus Sicht der Interviewten ein wichtiger
Schritt für eine Willkommensgesellschaft und
würde die Brücken zwischen den Kulturen
stärken.
• Die Kommunen und der Freistaat sollten
auf interkulturelle Begegnungen und
interkulturellen Dialog setzen und die
Internationalität der Region zeigen.
• Ein klares Bekenntnis zur Willkommensgesellschaft ist eine gute Orientierung.
• Offenheit und Neugier gegenüber
Menschen aus anderen Ländern ist
eine gute Grundlage für ein respektvolles Miteinander und nicht nur
Sache der Behörden, sondern jedes
und jeder Einzelnen.
3.4
Willkommensgesellschaft Sachsen:
Eine Frage des guten Willens
Zu guter Letzt sei festzuhalten: Die meisten
Interviewten würden gerne in Dresden bleiben und haben die ersten Hürden mit viel
Anstrengungen und Mühe gemeistert. Ein
weltoffenes Sachsen sollte die Verwaltungsprozesse und die gesellschaftliche Stimmung
so gestalten, dass es sich für Ausländer
weniger so anfühlt, als müssten sie gegen
den Strom schwimmen. Das – so ist unsere
Überzeugung – ist letztlich nur eine Frage
des politischen Willens.
Die Interviews haben vor allem eines
gezeigt: Der einzige echter Unterschied
zwischen den Menschen liegt in ihrem Geburtsort. Ansonsten sind sie ganz normale
Mitglieder unserer Gesellschaft mit vergleichbaren Hoffnungen oder Sorgen: sei
es mit ihren Kindern in der Schule, als Fußballfans, als Fahrgäste in der Straßenbahn
oder als Gäste in einem Café. Das Gemeinsame überwiegt.
Und es überwiegen die »guten Geschichten«. Eine sei hier zum Abschluss erzählt:
»… Ich hatte diesen einen großartigen Moment … in der Straßenbahn, als ich einem
alten Mann meinen Sitzplatz angeboten
habe, weil ich gesehen habe, dass niemand
von den Jüngeren aufstehen wollte. ...Ich bin
aufgestanden, habe ihm meine Hand hingehalten und habe ihn gefragt ›Do you need a
hand?‹…. Ich wusste nicht, wie ich ihn auf
Deutsch fragen sollte, ob er Hilfe benötigt. Es
66
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
gibt einfach keine richtige Übersetzung für
›Do you need a hand?‹, ›Brauchen Sie eine
Hand?‹, er hätte mich ja für verrückt gehalten, wenn ich so gefragt hätte. Also habe ich
einfach meine Hand hingehalten, und er hat
mich sehr fragend angeschaut, dann meine
Hand geschüttelt und sich dann einfach hingesetzt. Das war einer der Momente, in denen es sehr peinlich hätte werden können,
aber dieser Mann nahm es als Chance, mir
einfach die Hand zu schütteln als Dank und
als Zeichen des guten Willens, obwohl er die
Worte nicht verstanden hatte, die ich gesagt
habe. Ich wollte ihm was Gutes tun, und er
ist mir … entgegenkommen. Das war ein
schönes Erlebnis, das mich den ganzen Tag
fröhlich gestimmt hat.«
67
Prof. Dr.
Wolfgang
Donsbach,
Institut für
Kommunikationswissenschaften der
Technischen
Universität
Dresden
Willkommenskultur unter Vorbehalt:
Was ausländische Fachkräfte
in Dresden erleben.
Sachsen ist auf Zuwanderung angewiesen. Schon jetzt stehen den aus Altersgründen aus dem Beruf ausscheidenden
Menschen zu wenige junge Fachkräfte
gegenüber. Darüber hinaus gibt es Fachkenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten,
die in anderen Regionen besser oder häufiger vorzufinden sind. Menschen aus diesen Regionen können Sachsen helfen, im
globalen wirtschaftlichen Wettbewerb
eine Führungsrolle zu spielen.
Weltoffenheit und Willkommenskultur
spielen neben den harten Standortfaktoren bei diesen Herausforderungen eine
entscheidende Rolle. Wie Mobilitäts-Studien deutlich machen, nehmen diese
»weichen« Standortfaktoren an Bedeutung zu. Ihre Wahrnehmung draußen
wird in erster Linie durch Medien und
Erfahrungen Dritter geprägt. Hier hatte
Sachsen und zumal Dresden in den vergangenen Jahren keinen leichten Stand,
weil Ereignisse von Fremdenfeindlichkeit
bis hin zum Mord an einer jungen Ägypterin das Bild prägten. Die mögliche Bedrohung durch Fremdenfeindlichkeit und
das Image einer Stadt spielen also bei der
Entscheidung mitunter eine größere Rolle
68
als die klassischen harten Standortfaktoren wie das Gehalt oder das Renommee
des Arbeitgebers.
Sowohl der Freistaat Sachsen als auch
die Stadt Dresden haben mehrere Programme ins Leben gerufen, um Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus zu
bekämpfen. Auf der lokalen Ebene ist
eines davon das »Lokale Handlungsprogramm für Demokratie und Toleranz und
gegen Extremismus«. Aus Mitteln dieses
LHP-Programms hat das Institut für Kommunikationswissenschaft der Technischen
Universität Dresden unter der Leitung von
Professor Wolfgang Donsbach eine Studie
durchgeführt, die die konkreten Erlebnisse ausländischer Forscher und Fachkräfte in der Stadt ermittelt. Befragt wurden 352 ausländische Mitarbeiter und
61 Personalverantwortliche aus den Bereichen Rekrutierung, Führung und Relocation von 18 Firmen und Forschungseinrichtungen, darunter zum Beispiel
Chiphersteller Globalfoundries, die Elbeflugzeugwerken, die Max-Planck-Institute
und die Technische Universität Dresden.
Die Studie stellt der Stadt Dresden auf
den ersten Blick ein positives Zeugnis
aus: 92 Prozent der ausländischen Fachkräfte fühlen sich in Dresden wohl. »Sehr
wohl« fühlen sich jedoch nur 34 Prozent
und damit im Vergleich zu den Einheimischen nur halb so viele (62 Prozent). Die
Gründe hierfür zeigen sich unter anderem
in den Fragen nach den Erfahrungen mit
den Dresdnern und bei der Wohnungssuche.
Fast jeder zweite Befragte fühlt sich
nach wie vor wie ein Fremder in Dresden.
Rund ein Viertel bis ein Drittel der ausländischen Fachkräfte hat bereits offene
Abneigung, »schiefe Blicke« oder Benachteiligungen aufgrund seines fremden
Aussehens erlebt. In absoluten Zahlen gemessen hat man 15 Befragten in Dresden
Jahresbericht 2012
bereits körperliche Gewalt angedroht und
zehn Befragten gegenüber wurde sie sogar schon ausgeübt. Hinzu kommen noch
entsprechende Erlebnisse von Familienangehörigen und Freunden.
Insgesamt fühlen sich 15 Prozent nicht
wirklich sicher in Dresden, am wenigsten
in öffentlichen Verkehrsmitteln. Dabei haben diejenigen, denen man das »Fremdsein« auch in der Regel ansieht – Befragte
aus Asien, Afrika oder dem Nahen Osten
– nochmal deutlich mehr Angst davor,
wegen ihrer Hautfarbe körperlich angegriffen zu werden (Tabelle). Auch bei
der Wohnungssuche haben die ausländischen Hochqualifizierten negative Erfahrungen gesammelt: 42 Prozent sind
zumindest teilweise schon bei der Wohnungssuche benachteiligt worden.
Insgesamt konstatiert zwar jeder
zweite Befragte, seine Entscheidung für
Dresden nicht zu bereuen. Zufrieden sein
kann die Stadt mit diesem Ergebnis allerdings dennoch nicht. Jeder Einzelne, der
sich hier nicht sicher oder wohl fühlt, ist
einer zu viel – und zwar nicht nur aus
menschlichen Gründen, sondern auch
wegen der Außenwirkung. Denn wie sich
in der Studie herausstellte, sind es neben
den medialen Informationen vor allem
die im Freundes- oder Kollegenkreis
weitergegebenen Informationen, also die
Mund-zu-Mund-Propaganda, aus denen
sich zukünftige potenzielle Fachkräfte informieren, wenn sie ihre Entscheidung
über den Arbeitsort treffen.
Was können wir – was kann die Stadt
nun tun? Fremdenfeindlichkeit hat viele
Facetten. Die größte ist wohl die Unsicherheit, die der »Fremde« durch sein
Aussehen, seine Sprache oder sein Auftreten auslöst. Wohl auch deshalb tritt
dieses Phänomen in Dresden auf, einer
Stadt mit lediglich gut vier Prozent Ausländeranteil. Es bleibt also die Chance in
Form von wachsender Internationalität,
Interkulturalität und Toleranz. Denn von
dieser Vielfalt profitieren nicht nur Wirtschaft, Tourismus und Innovation: es
profitieren die Dresdner.
Herkunft Andere (n = 178)
Ich habe sehr große Angst davor.
1 3 6
25
65
Ich habe eher Angst davor.
Neutral.
6 9
14
51
20
Ich habe eher keine Angst davor.
Ich habe gar keine Angst davor.
Herkunft Asiatisch, Afrikanisch,
Mittlerer und Naher Osten (n = 65)
»Einmal ganz allgemein gefragt, wie sehr haben Sie Angst, in Dresden einmal wegen Ihrer Herkunft körperlich angegriffen zu werden? Kreuzen Sie bitte ganz links an, wenn Sie davor sehr große Angst haben und
kreuzen Sie ganz rechts an, wenn Sie davor gar keine Angst haben. Mit den Kästchen dazwischen können Sie
Ihre Meinung abstufen.«
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
69
4. Zuwanderungsland
Sachsen: Was sächsische
Unternehmen empfehlen
Als Siemens, Volkswagen und AMD in den
neunziger Jahren nach Sachsen kamen und
tausende Arbeitsplätze anboten, konnten die
meisten Stellen von hoch qualifizierten und
engagierten Menschen besetzt werden, denen
Sachsen schon eine Heimat war.
Wenn ein Unternehmen heute ein neues
Werk in Sachsen bauen will und dafür über
tausend fähige Mitarbeiter sucht, dann ist der
Bedarf aus unserem Land allein nicht mehr
zu decken. Die demografische Entwicklung
und die Abwanderung haben das geändert.
Deshalb war es gut und richtig, dass der
Freistaat Sachsen als erstes Bundesland eine
Initiative für Zuwanderung ins Leben rief
»Klugen Köpfen Türen öffnen« – so lautet
der Titel.
Wer Talente aus aller Welt zu uns holen
will, der sollte auch sicherstellen, dass die
Zuwanderer schon bei ihren ersten Schritten
in den Behörden merken, dass sie wirklich
willkommen sind. Deshalb wurde folgerichtig
ein neues Verwaltungsverfahren in ausgewählten Ausländerbehörden eingeführt,
das ausländischen Fachkräften und Absolventen einen schnelleren Zugang zum sächsischen Arbeitsmarkt ermöglicht. Das geht
natürlich nur mit einer echten Dienstleistungsorientierung der Behörden gegenüber
ihren »Klienten«.
Solche strukturellen Veränderungen
werden aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs um internationale Fachkräfte von
immer größerer Bedeutung für den Freistaat.
Sie sind mit einem grundlegenden Mentali-
70
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
tätswechsel verbunden: Bis vor nicht allzu
langer Zeit verstanden sich Ausländerbehörden als Ausführende einer Ordnungspolitik,
zu der auch die Begrenzung von Zuwanderung gehörte. Heute steht sie vor der Aufgabe, qualifizierte Zuwanderung zu gestalten
und dabei gleichzeitig die Willkommenskultur des Freistaates den Zuwanderern
gegenüber sichtbar zu machen.
Ausländerbehörden sind Aushängeschilder für Städte und Kommunen. Sie prägen
von Anfang an den Eindruck, den Ausländer
vom Freistaat Sachsen bekommen. Ja, sie
sind ein wichtiger Faktor für die Standortentscheidungen ausländischer Fachkräfte. Das
bestätigen auch die Personalchefs vieler
Unternehmen in Sachsen, die für die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland zuwanderungsfreundliche Rahmenbedingungen brauchen.
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR)
hat 2011 in einer Studie untersucht, welche
weichen Faktoren die Standortwahl von
ausländischen Fachkräften vor allem beeinflussen. Neben der Bildungsinfrastruktur
gehören demnach der Umgang der Behörden
mit Ausländern und die Offenheit und die
Toleranz der Region gegenüber Ausländern
zu den entscheidenden Faktoren.
Ohne das sächsische Modellprojekt
AKZESS könnte Sachsen nicht den »Klugen
Köpfen Türen öffnen«. Weitere Schritte tun
not. Denn einmal angekommen wollen sich
Zuwanderer in Sachsen wohl und willkom-
71
men fühlen. Sie sollen ja nicht nur ankommen, sondern auch möglichst lange bei uns
bleiben. Und diejenigen, die nur auf Zeit hier
bleiben– so wie beispielsweise Forscher
oder Rotationals – sollen Grund haben, bei
ihren internationalen Kollegen für Sachsen
zu werben.
Viele Studien haben in der letzten Zeit bestätigt, dass wir beim Thema Willkommenskultur zwar auf dem Weg, aber noch lange
nicht angekommen sind. Der Ruf nach mehr
Wertschätzung gegenüber ausländischen
Fachkräften, nach Begleitung im Alltag und
nach den richtigen Schritten für eine Willkommenskultur wird immer lauter.
Das Institut für Kommunikationswissenschaften der Technischen Universität Dresden hat aktuell ausländische Forscher und
Fachkräfte interviewt und nach ihrem Wohlbefinden in Dresden befragt: Das Ergebnis ist
leider eindeutig: Fast jeder zweite Befragte
fühlt sich nach wie vor wie ein Fremder.
Wichtige Ursachen dafür sahen die Befragten
in ihren Erfahrungen mit den sächsischen
Behörden und den Einheimischen.
Welche konkreten Schritte sollten wir also
gehen, damit sich ausländische Fachleute
bei uns wohlfühlen? Was sollte sich ändern
in unseren Behörden und wie können wir
dazu beitragen, das alltägliche Miteinander
zu verbessern? Wie können wir Unternehmen dabei unterstützen, auch ausländische
Fachleute einzustellen?
Wir haben dazu sächsische Unternehmen
befragt, die bereits heute mit ausländischen
Fachleuten arbeiten. Welche Erfahrungen
haben sie bei der Einstellung von ausländischen Fachkräften gemacht? Welche erfolgreichen Ansätze werden aus ihrer Sicht bereits in Sachsen praktiziert? Welche weiteren
Erleichterungen wünschen Sie sich? Welche
eigenen Beiträge leisten Unternehmen für
eine sächsische Willkommenskultur? Und
wie kann die Öffentlichkeit für mehr Weltoffenheit gewonnen werden?
72
Wir fragen die Unternehmen:
Methodik und Zielgruppe unserer
Untersuchung
In der zweiten Jahreshälfte (Juli und
September 2012) haben wir zwölf qualitative
Interviews mit Personalverantwortlichen
aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen
und mit Dienstleistern, die ausländische
Fachkräfte im Auftrag von sächsischen
Firmen bei ihrem Ankommen in Sachsen
begleiten, durchgeführt. Wir haben neben
mittelständischen auch große Unternehmen
befragt, die Mitarbeiterzahlen im vierstelligen Bereich aufweisen und Fachkräfte aus
über 40 Nationen beschäftigen.
Die befragten Unternehmen und Dienstleister sind im Raum Dresden ansässig und
ihre Erfahrungen beziehen sich überwiegend
auf die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden. Einige Befragte konnten aufgrund
anderer Standorte bundesweite und globale
Erfahrungen mit einbringen.
Wir haben die Personalmanager und –
dienstleister in einem persönlichen Interview anhand eines Leitfadens befragt. Die
Fragen zielten darauf ab, positive Ansätze
und noch vorhandene Problembereiche
zu identifizieren und Lösungsansätze
herauszuarbeiten. Folgende Fragen haben
wir gestellt:
1. Wie wichtig sind ausländische
Fachkräfte für den Erfolg Ihrer Firma?
2. Wie sollte idealerweise die Bearbeitung
der Anträge durch die Behörden aussehen?
3. Was läuft schon gut?
4. Wo hakt es bei der gegenwärtigen
Vorgehensweise der Verwaltung?
5. Welche Verbesserungen und Erleichterungen würden Sie sich wünschen?
6. Wie könnten wir die Öffentlichkeit für
mehr Weltoffenheit gewinnen?
Jahresbericht 2012
4.1
Warum wir ausländische
Fachkräfte brauchen –
Unternehmen berichten
über ihre Zukunft
Für alle befragten Organisationen spielt das
Thema »ausländische Fachkräfte« vor dem
Hintergrund der Wettbewerbsfähigkeit und
Innovationskraft eine entscheidende Rolle.
Neben dem grundsätzlichen Fachkräftebedarf nannten die Personalverantwortlichen
vor allem drei Gründe:
• Die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte
erhöht die Internationalität und die Attraktivität des Standortes Sachsen
• Global agierende Unternehmen setzen
auf internationale Fachkräfte für die Arbeit
auf internationalen Märkten
• Unternehmen erhöhen gezielt die Vielfalt
der Belegschaft z. B. durch ausländische
Fachkräfte, um ihre Innovationskraft
zu erhöhen
Internationalität macht Sachsen
attraktiv und zukunftsfähig
Für einen Teil der befragten Unternehmen
sind ausländische Fachkräfte zur Deckung des
eigenen Personalbedarfs derzeit noch nicht
notwendig. Der Bedarf an Neueinsteigern
ließe sich gut über die sächsischen Universitäten decken, einen Mangel gebe es allerdings bei erfahrenen Spezialisten.
Ob dieser Mangel gezielt mit Fachkräften
aus dem Ausland gedeckt werden könne,
entscheide sich auch nach Art der Tätigkeit.
Wenn es sich um Stellen mit direktem Kundenkontakt handele, seien gute Deutschkenntnisse notwendig und damit eine Unterw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
stützung beim Erlernen der deutschen Sprache. In einigen der befragten Einrichtungen
ist Englisch die Verkehrssprache. Damit sind
fehlende Deutschkenntnisse bei der Einstellung kein Nachteil.
Alle Befragten schätzen jedoch ein, dass
die Zuwanderung internationaler Fachkräfte
nach Sachsen zur Zukunftsfähigkeit Sachsens insgesamt beitrage.
Internationales Profil braucht
internationale Fachkräfte
Mehrere der befragten Unternehmen agieren
weltweit und sind für ihre Arbeit existentiell
auf internationale Fachkräfte angewiesen.
Die internationalen Kollegen arbeiten beispielsweise als Vertreter der Unternehmen
73
4.2
Jens Wilde,
Leiter Personalund Sozialwesen
der Linde
Engineering
Dresden GmbH
»Unsere ausländischen Fachkräfte sind
unabdingbar für eine effiziente Bearbeitung unserer weltweiten Märkte und
einen kompetenten Umgang mit unseren
internationalen Kunden. Damit tragen
sie wesentlich zum Erfolg unserer Großprojekte bei.«
Prof. Dr.
Arnold van Zyl,
Rektor der
Technischen
Universität
Chemnitz
direkt bei ausländischen Kunden vor Ort
oder als »Rotationals« aus anderen Unternehmensteilen. Sie sind damit Spezialisten,
deren Fach-, Sprach- und Kulturkenntnis
gefragt ist.
Internationale Vielfalt im Unternehmen
als Wettbewerbsvorteil
Ausländische Fachkräfte sind jedoch keine
»Lückenbüßer« – auch das haben die befragten Unternehmen deutlich gemacht. Im
Gegenteil: Unternehmen besetzen ihre Stellen gezielt mit ausländischen Fachkräften.
Sie besitzen spezielle Sprach- und Kulturkompetenzen, die für die globalisierte Wirtschaft immer wichtiger werden. Außerdem
sind sie durch ihre eigenen Migrationserfahrungen Experten im interkulturell gelingenden Umgang. Nicht zuletzt bringen sie neue
Perspektiven und damit neue Möglichkeiten
ins Unternehmen.
»An der Technischen Universität Chemnitz sind wir überzeugt, dass eine Vielfalt
von Menschen und Ideen eine wichtige
Voraussetzung für die Erzeugung von
exzellentem und gesellschaftlich relevantem Wissen ist«.
74
Willkommenskultur und
Serviceorientierung in den
Behörden verbessern
Fast alle Interviewpartner verfügen über
langjährige Erfahrungen bei der Begleitung
ausländischer Fachkräfte. Sie berichteten
übereinstimmend von deutlichen Fortschritten und einer spürbaren Ausrichtung vor
allem der Ausländerbehörden hin zur Unterstützung der sächsischen Unternehmen bei
der Einstellung ausländischer Fachkräfte.
»Es hat sich unheimlich viel getan in der
Arbeit mit Behörden. Vom englischen Schild,
zur Freundlichkeit der Mitarbeiter, bis hin
zur Kooperationsbereitschaft mit uns.«
Besonders hervorgehoben werden in diesem
Zusammenhang die persönlichen Kontakte,
die über den Zeitraum aufgebaut wurden
und dank derer sich die Zusammenarbeit
mit den Behörden immer erfolgreicher gestaltet.
»Also bei unseren Angelegenheiten wissen
wir immer, an wen wir uns wenden können.
Der Kontakt ist da, also können wir Dinge
ansprechen, ohne befürchten zu müssen,
in ein Fettnäpfchen zu treten.«
Es sei spürbar, dass sich vor allem die Ausländerbehörden zunehmend als Servicestellen verstünden, die die Unternehmen bei den
notwendigen aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten unterstützend begleiten – und das
auch in schwierigen Konstellationen.
Einer der Interviewten berichtete beispielsweise von einem Fall, in dem ein Ingenieur
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
als Flüchtling aus einem nordafrikanischen
Land nach Deutschland gekommen war.
Das Unternehmen habe ihn aufgrund
seiner Qualifikation einstellen wollen, was
sich zu Beginn schwierig darstellte:
»Das Arbeitsgenehmigungsverfahren und
das Asylverfahren beißen sich etwas.«
Die zuständigen Behörden haben dann gemeinsam mit der Personalabteilung eine
Ausnahmereglung erarbeitet. Der Ingenieur
arbeitet seit Juni 2012 im Unternehmen.
Die Befragten unterstützten ausdrücklich
den neuen Kurs, der mit dem Modellprojekt
AKZESS in den Ausländerbehörden eingeschlagen wurde. Man müsse allerdings weitere Schritte gehen, da der Wettbewerb um
die besten Köpfe immer schärfer werde.
75
»Wozu lässt man sich das alles versichern
von den Konzernen oder Institutionen,
wenn man dann doch jedes Blatt Papier
nochmal dreimal umdreht. Man muss sich
dann mehr aufeinander verlassen können,
dann macht es Sinn, dass es eben die
Relocator gibt.«
Für alle Unternehmen ist die Serviceorientierung das wichtigste Thema in Bezug auf
den Behördenkontakt. Dabei kristallisieren
sich vier Bereiche heraus, in denen die
Unternehmen Verbesserungen für notwendig
erachten: das Auftreten der Sachbearbeiter,
deren Kommunikation, die Informationspolitik, sowie Terminwartezeiten und Erreichbarkeit der Behörden.
Verbesserungsbedarf sehen die Befragten
vor allem bei der serviceorientierten Ausrichtung der Behörden, der Schaffung einheitlicher und transparenter Standards und
einer wohlwollenden Nutzung der Spielräume der Gesetze sowie in der Optimierung
der Schnittstellen zwischen verschiedenen
Behörden.
Die überwiegende Mehrzahl der befragten
Organisationen setzt derzeit noch darauf, neue
ausländische Fachkräfte bei ihren Behördengängen zu begleiten oder zumindest zu entlasten. Dafür setzen sie entweder eigene
Mitarbeiter oder externe Dienstleister ein.
Die Begleiter organisieren die notwendigen Papiere, machen Vorabsprachen, regeln
im Vorfeld, was möglich ist und begleiten
die neuen Mitarbeiter zur Ausländerbehörde.
Dabei bauen sie vor allem auch sprachliche
Brücken, denn in der Regel können die wenigsten ausländischen Fachkräfte so gut
Deutsch sprechen, dass sie sich auf einer
Behörde verständigen können.
76
»Wir würden uns selbst gern obsolet
machen [in der Behörde], das wär
der Traum … weil alles so gut läuft.«
Diesen Wunsch formulierte einer der Interviewten auf die Frage, wie die Bearbeitung
der Anträge in der Ausländerbehörde idealweise ablaufen soll. Die bereits skizierten
Verbesserungen seien ein guter Ausgangspunkt, es sei aber noch nicht so, dass sie ihre
ausländischen Kollegen allein auf die Behörde gehen lassen würden. Es mache noch
immer einen Unterschied, ob ein Zuwanderer
allein in die Behörde geht oder von einem
professionellen Betreuer begleitet wird:
»Ich sehe mich auch als Pufferstelle
zu den Behörden, um vieles ab zu glätten,
es einfacher zu machen.«
Einer der Befragten wünscht sich, dass die
Ausländerbehörde mehr auf die Arbeit derer
vertraut, die als Dienstleister für große Firmen alle behördlichen Angelegenheiten für
die ausländische Fachkraft regeln sollen:
Jahresbericht 2012
Einer der Interviewten brachte die bestehende Diskrepanz auf den Punkt:
»Wenn man aber die Blue Card so publik
macht und wir wollen Fachkräfte hier
her holen, dann sollte die Ausländerbehörde als Dienstleister fungieren.
Und nicht noch abschreckend für die
Ausländer sein.«
Ein Interviewter äußerte den Eindruck,
dass einige Mitarbeiter die »Verteidigung
unseres Landes« als vorrangiges Ziel der
Ausländerbehörden ansehen würden.
Wie kann ich Ihnen helfen: Behördenmitarbeiter gehen weltoffen und dienstleistungsorientiert mit ausländischen
Fachkräften um
Alle Befragten äußerten sich lobend über
die Freundlichkeit und das Engagement
ausgewählter Sachbearbeiter in den Ausländerbehörden. Allerdings sei diese Grundhaltung nicht bei allen Mitarbeitenden
anzutreffen.
»Man kann Glück oder Pech haben,
je nachdem an wen man gerät.«
Kritisch berichteten sie davon, dass sie in
ihrem Alltag auf der Behörde immer wieder
eine unterschwellige Abwehrhaltung Ausländern gegenüber beobachten.
»Ich hatte das Gefühl man ist ein Problem
(...) das man jetzt stört«
»Es herrscht eine Mentalität vor (…), dass
die [Ausländer] wie Fremdkörper gesehen
werden und man ihnen gegenüber erst mal
negativ eingestellt ist.«
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Gleichzeitig wurde darauf verwiesen, dass
es auch hier Zeit und die richtigen Erklärungen brauche, und sich dann vielleicht eher
eine Art »Gastfreundschaft« entwickeln
würde. Auf jeden Fall müsse die politische
Botschaft, dass Sachsen auf die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte setzt, auch
eins zu eins in der Verwaltungspraxis erkennbar sein.
Ein anderer Interviewpartner vermutete
als Grund für die ablehnende Haltung mancher Mitarbeitender deren bisherige Erfahrungen:
77
»Als Sachbearbeiter erlebt man viel. Man
erlebt Leute, die immer mit Geschenken
kommen, die wollen sich einschleimen, und
Leute, die sich aufregen, die aggressiv werden. Ich glaube man erlebt so viel, dass man
sich ein bisschen schützt und versucht eine
Distanz zu halten.«
Insbesondere in der Ausländerbehörde haben
die Mitarbeiter täglich Kontakt zu Menschen
mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Damit sind sie regelmäßig mit
interkulturellen Irritationen und Missverständnissen konfrontiert. Wichtig sei jedoch,
damit konstruktiv umzugehen. Interkulturelle Trainings könnten helfen, die Mitarbeitenden in den Behörden in ihrer kulturellen
Kompetenz zu schulen. Ein Interviewpartner
schlug Austauschprogramme für die Sachbearbeiter vor. Denn eigene interkulturelle
Erfahrungen und der Perspektivwechsel können zu einem breiteren Verständnis anderer
Kulturen beitragen.
Alle Interviewpartner betonten, wie wichtig es sei, dass sich die Mitarbeitenden offen,
freundlich und serviceorientiert gegenüber
Ausländern verhalten. Nur so können bei
den Zuwanderern wahrhaftig der Eindruck
vermittelt werden, dass sie in Sachsen willkommen sind.
What can I do for you: Mehrsprachigkeit in
den Ausländerbehörden fördern
Englisch ist in den letzten Jahren zur Weltsprache geworden. Sie ist die Lingua Franca
der Gebildeten in der ganzen Welt. Sogar in
China gilt Englisch als Zweitsprache. Nach
einigen Erhebungen sprechen mehr Chinesen
Englisch als Amerikaner.
Aus diesem Grund haben englischsprachige Länder im internationalen Wettbewerb
um kluge Köpfe einen klaren Vorteil. Deutschland hat dadurch einen relativen Standort-
78
nachteil, denn die Sprache ist wichtiger
Faktor bei der Entscheidung für einen neuen
Arbeitsplatz.
Das können wir aber ändern, wenn wir
Englisch im Umgang mit den Behörden zulassen. Wenn die Behörden und die Gesellschaft den ausländischen Fachkräften entgegenkommen, ihre Fremdsprachkenntnisse
verbessern und sie in die Behördengespräche
einbringen, können sie damit die Einstiegshürden für neue Fachkräfte und für die Ansiedlung neuer Firmen verringern. So wird
Sachsen attraktiver!
»Die meisten haben in ihrem Studium sowieso Englisch gelernt. Die fragen sich dann,
geh ich nach Australien, Großbritannien, in
die USA, wo ich die Sprache schon dreiviertel
kann oder nach Deutschland, wo ich bei der
Sprache bei null anfangen muss.«
Doch selbst wenn eine ausländische Fachkraft
über Grundkenntnisse in Deutsch verfügt, ist
das Deutsch, das auf Behörden gesprochen
wird, schwer verständlich. Selbst einer der
(deutschen) Interviewpartner sah sich dabei
überfordert:
»Die reden in einer irren Geschwindigkeit
und mit Fachbegriffen, man fühlt sich überfahren. Selbst ich habe gedacht, hoffentlich
kapiere ich alles, was die jetzt erzählen.«
Zur Serviceorientierung einer Behörde gehört
die Rücksichtnahme auf die Kunden. Sei es
durch die Anwendung von Fremdsprachenkenntnissen oder durch das Bemühen um
eine einfache und klare Sprache.
»Idealerweise würden die Sachbearbeiter
fließend Englisch sprechen und die Behörde
wäre komplett zweisprachig aufgestellt.«
Diesen Wunsch äußerten viele der Interviewpartner. Zwar sprechen mittlerweile mehr
Jahresbericht 2012
Behördenmitarbeiter Englisch, aber dennoch
sind es nicht viele. Insbesondere die Ausländerbehörde sollte sich mehrsprachig aufstellen, um serviceorientierter zu werden. Dies
ist auch mit einer gewissen Rücksichtnahme
und einem Entgegenkommen verbunden.
Dass nicht jeder Ausländer über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt und diese
für die berufliche Tätigkeit auch nicht zwingend haben muss, verdeutlichen die beiden
Aussagen der Interviewten:
die direkte Kommunikation zwischen den
Behördenmitarbeitenden und den Zuwanderern, es wäre auch für die Unternehmen eine
deutliche Entlastung, weil sich ihr Betreuungsaufwand verringern würde:
»Natürlich ist in Deutschland Deutsch Amtssprache, aber es ist schwierig zu erwarten,
dass jemand, der zum ersten Mal hierher
kommt, fließend Deutsch spricht.«
»Bei uns ist es keine Grundvoraussetzung,
um Ausländer bei uns einzustellen, dass sie
Deutsch sprechen. Es ist völlig okay und
ausreichend, wenn sie Englisch sprechen.«
Gut vorbereitet ins Gespräch:
Die notwendigen Informationen
zugänglich machen
Mehrsprachigkeit in den Behörden ist ein
klares Willkommenssignal. Damit wird die
Kommunikation auf Augenhöhe erleichtert.
Das hat nicht nur positive Auswirkungen für
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
»Es gibt Leute, die können gut Englisch sprechen. (…). Das ist viel wert, wenn wir wissen,
die Leute müssen da hingehen, dann müssen
wir nicht mehr mitgehen.«
Ein wichtiges Thema für dienstleistungsorientierte Behörden ist eine offensive
und transparente Informationspolitik.
Dabei wurden in den Interviews vor allem
zwei Mängel beklagt, zum einen die mangelhafte Information der Unternehmen und
Relocation Services und zum anderen der
unzureichende Informationszugang für die
Zuwanderer.
79
»Man kann durchaus die deutschen Formulare unterschreiben und das Englische liegt
nebenan als Kommentierung.«
Auch Einladungsschreiben sollten mehrsprachig verfasst sein. Dadurch entfällt der
Übersetzungsaufwand für die Betreuer. Zudem sei es wichtig, dass die Hinweisschilder
der Ausländerbehörden mehrsprachig sind.
Den Wunsch nach einem verbesserten Informationszugang äußerte ein Interviewter
wie folgt:
Die Interviewpartner gaben an, dass sie
sich eine verbesserte Informationsweiterleitung bei Gesetzesänderungen wünschen
würden. Konkrete Vorschläge waren die
Teilnahme an Infoveranstaltungen und
Rundschreiben an die Personalabteilungen
der Unternehmen.
Beispielsweise berichtete eine Gesprächspartnerin, dass sie in der Behörde nach
den Gesetzesänderungen der Blue Card
fragte und auf das Internet verwiesen wurde.
Wünschenswert wäre, dass die Behörden
das Potential der Kooperation mit den für
die Betreuung der ausländischen Fachkräfte
zuständigen Mitarbeitern erkennt. Die Befragten gaben an, dass sie die administrativen Prozesse so reibungslos wie möglich
gestalten wollen und deswegen auf eine
gute Zusammenarbeit mit den Behörden
angewiesen sind. Sie arbeiten mit und nicht
gegen die Behörde, und können zu Erleichterungen im Ablauf der Prozesse beitragen.
Dass den Behörden diese Intention oft
nicht bewusst ist, verdeutlicht einer der
Interviewten:
80
»Wenn man versucht an eine Information
ranzukommen, wird man erst mal weit
weg gehalten und erst, wenn der Sachbearbeiter merkt, wir wollen eigentlich
friedlich zusammenarbeiten, wird es angenehmer.«
Von einer kooperativen Zusammenarbeit
profitieren beide Partner, da sie die gleiche
Intention verfolgen: die Verwaltungsaufläufe
so schnell und reibungslos wie möglich zu
gestalten.
Eine verbesserte Informationsweitergabe
wird von den Gesprächspartnern auch in Bezug auf die ausländischen Fachkräfte gefordert. Wichtig sei dabei zum einen, dass die
Informationen leicht zugänglich sind, zum
Beispiel auf Flyern oder im Internet. Zum anderen sollten die notwendigen Informationen
und Formulare auch mehrsprachig vorliegen.
Die Interviewten lobten, dass infolge des
Pilotprojektes AKZESS übersichtliche Merkblätter entworfen und zahlreiche Formulare
übersetzt wurden. Diese Initiative sollte aufgegriffen und weitergeführt werden.
Jahresbericht 2012
»Ich würde mir wünschen, es gäbe Checklisten oder Merkblätter: (...) was muss ich
der Reihe nach machen, wenn ich nach
Deutschland komme. (...) Unterschied zwischen Deutschlandvisum und Schengenvisum, wann krieg ich welches und warum
und wofür befähigt mich das. Wenn sie sich
auskennen, finden sie das alles im Internet,
aber sie müssen erst mal wissen, wonach sie
fragen können.«
Dies verdeutlicht, dass die Ausländer
aktiv über ihre gesetzlichen Ansprüche und
Möglichkeiten informiert werden müssen.
Man kann nicht verlangen, dass jemand,
der kaum Deutsch spricht, die Gesetzesregelungen versteht und entsprechend geltend
machen kann.
Deshalb wurde von den interviewten
Unternehmen neben der Aufbereitung von
Informationen über die gesetzlichen Bestimmungen auch die Einrichtung einer Servicestelle mit kompetenter Beratung gefordert.
Diese soll die Ausländer über ihre möglichen
Optionen und Alternativen beraten. Ein
Interviewpartner beschreibt es wie folgt:
»Warum kann die Ausländerbehörde nicht
sagen, dass geht jetzt nicht, aber Sie können
stattdessen das und das beantragen. Dann
steht in der Rechtfertigung: ›Sie haben erst
das beantragt und dann das. Wissen Sie
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
eigentlich, was Sie wollen?‹ Warum können
die nicht sagen, in ihrem Fall ist das gar
nicht gut, hier würde ich lieber auf das
ausweichen.‹.«
Wenn sich Zuwanderer und Begleiter leicht
über die geltenden Regeln und Gesetze informieren können, können die Prozesse insgesamt transparenter und besser gestaltet
werden. Zusätzliche Behördengänge können
vermieden werden, die Angelegenheiten
können schneller erledigt werden und die
Zuwanderer kommen informierter ins Gespräch – womit sicher auch die Mitarbeitenden in den Ausländerbehörden entlastet
werden würden.
Wir sind für Sie da: Terminmanagement
und Erreichbarkeit verbessern
Ein gutes Terminmanagement und Erreichbarkeit sind wesentliche Kriterien dienstleistungsorientierter Behörden.
Die Interviewpartner berichteten von
zwei verschiedenen Systemen in den Ausländerbehörden: entweder werden Termine
vergeben oder es wird eine Nummer gezogen
und man wartet solange, bis man dran ist.
Die Erfahrungen der Interviewpartner beziehen sich vor allem auf das Terminsystem,
dessen Vor- und Nachteile ein Interviewpartner so beschreibt:
»Durch das Terminsystem müssen sie [die
Ausländer] in der Regel nicht warten. (…)
Auf der anderen Seite versuche ich jetzt
langfristig Termine zu bekommen. Während
ich bisher wöchentliche Termine hatte,
kämpfe ich jetzt drum, dass ich einmal im
Monat einen Termin habe.«
Viele der Interviewten beklagen die langen
Wartezeiten auf einen Termin. Von der Beantragung bis zum eigentlichen Termin dauere
81
es mehrere Wochen, wenn nicht gar Monate.
Die langfristige Beantragung von Terminen
ist besonders bei Wissenschaftlern kaum
möglich:
»Ein Vierteljahr vorher müssen die Verlängerungsanträge eingereicht werden, damit der
Gast ausreichend Zeit hat, bei der Ausländerbehörde alles zu regeln. Das kann nicht sein.
In der Wissenschaft kommt das Projekt fünf
Minuten vor Abfahrt des Zuges …«
Einer der Interviewpartner, der deutschlandweit tätig ist und Erfahrungen mit Ausländerbehörden in anderen Städten hat, erklärte,
dass die Terminwartezeiten hier zu den längsten gehören:
»Frankfurt hat auch eine riesen Anzahl von
Ausländern, dort kriegen wir aber einen
Termin innerhalb von ein bis zwei Wochen.«
Als Grund für die hiesigen langen Wartezeiten vermuteten die Befragten Personalmangel in der Behörde.
Wie sich die Praxis der Terminvergabe auf
das Unternehmen auswirkt, zeigen folgende
Beispiele:
Stammt der zukünftige Arbeitnehmer
aus einem Land, bei dem eine visumsfreie
Einreise möglich ist, darf er erst arbeiten,
nachdem er auf der Ausländerbehörde seinen Aufenthaltstitel beantragt hat. Aufgrund
von langen Terminwartezeiten kommt es vor,
dass die ausländische Fachkraft bereits eingereist ist und noch vier Wochen auf einen
Termin bei der Ausländerbehörde warten
muss, bevor sie arbeiten kann. Dadurch verzögert sich der Arbeitsbeginn unnötigerweise.
Läuft eine Aufenthaltserlaubnis ab, bevor
sie verlängert werden kann, so bekommt der
Ausländer einen vorläufigen Aufenthaltstitel,
eine sogenannte Fiktionsbescheinigung. Das
ist auch häufig bei der Einreise der Fall. Einreisevisa sind meist drei Monate gültig. In
82
diesem Zeitraum muss der Arbeitnehmer einreisen, einen Aufenthaltstitel in der Ausländerbehörde beantragen und abholen. Oft
kann der Titel nicht innerhalb der drei monatigen Gültigkeit des Visums ausgestellt werden, weil die Ausstellung des elektronischen
Aufenthaltstitels laut Aussagen der Teilnehmer vier bis sechs Wochen dauert. Deshalb
bekommen die Betroffenen eine Fiktionsbescheinigung. Das Unternehmen wiederum
hat dadurch einen erhöhten administrativen
Aufwand, weil sie die gültige Aufenthaltsgenehmigung in ihr System einpflegen müssen.
Außerdem werden Fiktionsbescheinigungen
von der Kindergeldkasse nicht anerkannt.
Wünschenswert wäre deshalb eine flexiblere und zeitnahe Vergabe von Terminen. Es
kann nicht sein, dass sich der Arbeitsbeginn
einer aus dem Ausland angeworbenen Fachkraft um mehrere Wochen verzögert, da kein
zeitigerer Termin gefunden werden kann. Zur
Beschleunigung der Verwaltungsabläufe
könnte die Arbeitsteilung innerhalb der Ausländerbehörde beitragen, wie ein Teilnehmer
aus Frankfurt berichtet:
»Frankfurt hat eine interne Aufteilung, (...)
einen Relocation Schalter (...) und eine
Visastelle, das bedeutet es gibt Sachbearbeiter, die ausschließlich für das Visumsverfahren zuständig sind«
Ein weiterer Aspekt, der zur Serviceorientierung gehört, ist die telefonische oder elektronische Erreichbarkeit. Die Unternehmen
wünschen sich, dass Behördenmitarbeiter
zeitnah auf Emails und Anrufe reagieren.
Wir finden eine Lösung: Ermessensspielräume einheitlich und wohlwollend im
Interesse der Unternehmen nutzen
Die Interviewten berichteten über sehr unterschiedliche Erfahrungen, die sie im Umgang
Jahresbericht 2012
mit verschiedenen Ausländerbehörden gemacht haben. Sie schilderten den Eindruck,
dass die Unterschiede auf je unterschiedliche
interne Amtsverständnisse zurückzuführen
sind, die entweder restriktiver oder liberaler
ausgerichtet sind.
Daraus ergeben sich beispielsweise unterschiedliche Anforderungen für den gleichen
Sachverhalt. Für ein und denselben Vorgang
würden teilweise unterschiedliche Dokumente angefordert. Dies sei nicht nur von der
Behörde, sondern auch vom jeweiligen Sachbearbeiter abhängig.
»Man stellt sich vor, die Behörden haben
die gleichen Regeln. Das man das übertragen
kann von einer Behörde auf die andere.
Aber es sind sehr unterschiedliche Anforderungen.«
Die mangelnde Transparenz in den Anforderungen der Behörden hat zur Folge, dass die
Handlungen der Sachbearbeiter teilweise als
willkürlich empfunden werden und für den
Antragsteller nicht nachvollziehbar sind.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Außerdem verwiesen die Interviewpartner
auf eine fehlende Kontinuität bei der Auslegung der geltenden Gesetze.
»Es ist nicht kontinuierlich, wie die Gesetze
ausgelegt werden.«
Die Unternehmen, die mit verschiedenen
Behörden zu tun haben, berichteten von
deutlichen Unterschieden in der Nutzung
des Ermessensspielraumes. In manchen Behörden würden die Gesetze und Bestimmungen »besonders gründlich (…) und katholisch ausgelegt«, andere Behörden seien
»… auch mal bereit, abseits des Weges zu
gehen, also so lange es noch im Rahmen
liegt …« und werden als »kooperativer« eingeschätzt.
»Die Ausländerbehörde X ist oft bereit
dem Visum zuzustimmen, bevor die Originalunterlagen aus dem Ausland angetroffen
sind. Das beschleunigt den Prozess. Dadurch,
dass die Arbeitsgenehmigung beantragt worden ist, hat die Behörde schon eine Kopie
83
Melderegister ermöglicht werden, würde
der zusätzliche Gang zur Ausländerbehörde
entfallen. Vergleichbares gelte für die Beantragung von Kindergeld.
»Weil man kriegt die Haushaltsbescheinigung beim Bürgeramt, also der Meldestelle
und man muss es bei dem Antrag auf Kindergeld wieder einreichen und ich glaube was X
meint, dass man es gleich bei der Anmeldung ausgestellt bekommen kann. Meinetwegen auch später, aber mir wäre es lieber,
wenn wir [das Unternehmen] das machen
können, als Vertreter mit Vollmacht, damit
nicht jedes Mal die Familie dahin gehen
muss mit Pass und sich dann ne Nummer
ziehen und stundenlang wartet, um diesen
Stempel zu bekommen.«
vom Pass und Diplom, sie haben schon die
meisten Unterlagen, die sie brauchen (...)
außerdem haben sie im Visaonlinesystem die
Informationen, Herr XY hat am soundsovielten ein Visum beantragt.«
Dieses Beispiel zeigt, dass eine wohlwollende und dienstleistungsorientierte Auslegung der Ermessenspielräume möglich ist,
die zu einer deutlichen Beschleunigung des
Prozesses führt.
Grundsätzlich wünschen sich die Interviewten klare Anforderungen und einheitliche Standards, beispielsweise anhand von
Checklisten, die für alle Ausländerbehörden
gelten sollten. Dadurch können die behördlichen Prozesse transparenter und effektiver
gestaltet, sowie Frustration vermieden werden. Denn wenn jemand mehrere Stunden
im Wartezimmer verbringt oder mehrere
Wochen auf einen Termin wartet, ist es mehr
als frustrierend, vom Sachbearbeiter zu erfahren, dass ein wichtiges Dokument fehlt.
Außerdem wünschten sie sich eine Nutzung
84
des Ermessensspielraumes im Sinne des
Unternehmens. Das Ziel sollte ein möglichst
schneller und unkomplizierter Verwaltungsablauf sein. Sie regten einen Erfahrungsaustausch unter den Ausländerbehörden
in diesem Sinne an.
Auch beim Nachweis von Krankenversicherungen als notwendiger Bestandteil für einen
Aufenthaltstitel gibt es sich widersprechende
Anforderungen:
»Reisekrankenversicherungen werden für den
Aufenthaltstitel nicht anerkannt, weil die
nur das abdecken, was dringend sein muss
und nichts Prophylaktisches. Die gesetzliche
Krankenversicherung kann aber erst Leute
aufnehmen, wenn sie einen Aufenthaltstitel
von 366 Tagen haben, also über ein Jahr. Da
beißt sich die Katze massiv in den Schwanz.
Ich kriege keinen Aufenthaltstitel ohne eine
Versicherung und ich kriege keine Versicherung ohne einen Aufenthaltstitel.«
Unternehmen müssen hier derzeit aus eigener Kraft alternative Lösungen entwickeln,
die zeit- und kostenaufwändig sind. Für die
ausländischen Fachkräfte sind solch verwirrenden Konstellationen – selbst wenn sie
deutsch sprechen – nicht nachzuvollziehen.
In einem Wettbewerb um die besten Köpfe
sind sie kontraproduktiv.
Probleme gebe es auch an der Schnittstelle zwischen den Prozessen der Ausländerbehörde und der Schulbehörde.
»Schwierig ist, dass erst im Sommer entschieden wird, an welchen Schulen es DaZLehrer geben wird und wenn man ein Kind
anmelden will, kann man nichts machen,
erst dann Ende der Sommerferien. Das ist
schwierig, weil manchmal eine Schulbescheinigung notwendig ist. Für den Aufenthaltstitel braucht die Ausländerbehörde eine
Schulbescheinigung, wenn schulpflichtige
Kinder dabei sind.«
Gemeinsam besser werden:
Behördenabläufe und Schnittstellen
koordinieren und optimieren
Weitere Verbesserungsvorschläge zielen auf
die bessere Koordination zwischen den einzelnen Behörden bzw. zwischen den Anforderungen, die Behörden und Organisationen
an Zuwanderer stellen.
Das betrifft beispielsweise eine bessere
Abstimmung zischen der Führerscheinstelle
und der Ausländerbehörde – zur Beantragung des deutschen Führerscheins ist derzeit
eine zusätzliche Bestätigung der Ausländerbehörde notwendig. Könnte hier stattdessen
der Zugriff der Führerscheinstelle auf das
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
85
4.3
Familien und Partner der
Zuwanderer berücksichtigen
es sich beispielsweise um einen Gastwissenschaftler, der nur wenige Monate hier sein
wird, so kommt er in der Regel allein. Bei
einem Spezialisten mit mehrjähriger Berufserfahrung, der für längere Zeit in Sachsen
arbeiten will, ist es wahrscheinlich, dass er
seine Familie mitbringt.
Allerdings ist die Begleitung oder der
Nachzug der Familie nicht in jedem Fall
problemlos möglich. Ein Gesprächspartner
berichtete von einem Fall, bei dem sich die
Familienzusammenführung sehr schwierig
gestaltete:
»Die Fachkräfte, die sich hier um einen Job
bewerben, sorgen dafür, dass die Familie
nach Sachsen zieht. Ob die Familie in Sachsen bleibt, entscheiden die Frauen.«
Die mitreisenden Familienangehörigen
sind aus Sicht der Befragten ein bisher klar
unterschätzter Faktor der Willkommensgesellschaft. Ihr Wohlbefinden ist ein zentraler
Faktor, der über Gehen oder Bleiben der
Familie entscheidet.
»Es geht nicht nur um die Behandlung der
Person selber, da wird noch oft darüber
nachgedacht, aber es geht um das Gesamtpaket, die kommen mit Familie.«
»Die Lebenspartnerschaft wird nicht anerkannt, obwohl sie zwei Kinder haben und
schon lange Zeit zusammen sind. Jetzt müssen Wege gefunden werden, damit sie hier
das Jahr gemeinsam verbringen können.«
Der Familiennachzug ist derzeit nur jenen
Paaren gestattet, die verheiratet sind. In der
Realität gibt es allerdings auch andere Familienformen. Deshalb fordern die Interviewten
eine Berücksichtigung von alternativen Formen der Partnerschaft bei den Bestimmungen des Familiennachzuges. Kommen Zuwanderer mit ihren Familien zu uns, müssen
auch die Bedürfnisse und Lebenslagen ihrer
Partner und ihrer Kinder berücksichtigt werden. Ein echtes Willkommen gilt ihnen allen.
Ob ausländische Fachkräfte mit Familien
kommen, ist abhängig von der Dauer ihres
Aufenthalts und von ihrem Alter. Handelt
86
Jahresbericht 2012
Beschäftigungssituation und Integration
der Partner verbessern
Die Beschäftigungssituation des mitreisenden Partners ist ein Schlüsselthema für die
Familien. Derzeit ist ihnen der Arbeitsmarktzugang nur beschränkt erlaubt. Viele von
ihnen waren vorher berufstätig und haben
sehr gute Ausbildungen. Mit Inkrafttreten
der Blue Card am 01.08.2012 wurde der Arbeitsmarktzugang für Ehegatten erleichtert.
Allerdings haben nur Hochqualifizierte mit
einem Bruttojahresgehalt von 44.800 Euro
bzw. 34.944 Euro in Mangelberufen einen Anspruch auf eine solche Blue Card. Nach Aussagen der Befragten profitiert derzeit nur ein
ganz kleiner Kreis von diesen Regelungen.
Doch selbst wenn der mitreisende Ehegatte arbeiten darf, gestaltet es sich nicht
immer einfach:
»Wenn er [Partner] arbeiten darf und will,
dann muss er sich entweder selbstständig
machen oder eine Arbeit suchen und diesen
langen Prozess durchmachen und das erschwert die ganze Sache. Wenn jemand
ohnehin nur ein oder eineinhalb Jahre da ist,
sagen die sich, ich bleib zu Hause.«
Hier spielt das Thema der Anerkennung
ausländischer Abschlüsse eine große Rolle:
»Dann hat man es vielleicht für die Fachkraft
selber noch leicht gemacht, aber dann
kommt ein Ehepartner mit und typischerweise sind Akademiker mit Akademikern
verheiratet, und dann wird das Studium
nicht anerkannt und dann gibt es für den
Ehepartner keine Arbeitserlaubnis.«
Es geht also nicht nur darum, ob der Partner
arbeiten darf, sondern ob er seiner Qualifikation entsprechend arbeiten kann.
Ein weiterer Faktor, der die Arbeitsaufnahme des Partners erschwert, sind fehlende
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Sprachkenntnisse. Einer der Interviewpartner
wies darauf hin, dass sein Unternehmen
mittlerweile gezielt darauf achtet, dass die
Partner der ausländischen Fachkräfte in den
Integrationskursen angemeldet werden.
Die Teilnahme an einem solchen Sprachkurs
erleichtert dem Partner nicht nur die Arbeitssuche, sondern auch die Integration in den
Alltag.
Die fehlende Möglichkeit, sich beruflich
angemessen engagieren zu können, führt
zu Spannungen und Problemen.
»Oft sind die Frauen sehr unglücklich, dass
sie hier nichts tun können.«
»Wir haben ganz viele Frauen, die dann
einfach zu Hause hocken. Denen ist langweilig, denen fällt die Decke auf den Kopf.«
Viele der Partner engagieren sich ehrenamtlich. Das dies aber keine wirkliche Alternative zur Berufstätigkeit ist, verdeutlicht
das folgende Zitat:
»Das sind meistens Hochqualifizierte, die
haben alle ihren Beruf aufgegeben (...)
Und das ist ja auch wenig befriedigend,
hier einmal in der Woche freiwillig in einer
internationalen Schule zu arbeiten.«
87
Die Möglichkeit zur adäquaten Berufstätigkeit wirkt sich nach Meinung der Befragten
direkt auf die Chancen aus, ausländische
Fachkräfte in Sachsen zu halten.
»Wenn es einfacher möglich wäre für die
Frauen zu arbeiten, würde das dazu führen,
dass die Familie grundsätzlich länger
bleibt.«
Ein Befragter wies in diesem Kontext auf
den Ansatz eines »Dual Career Service« hin.
Dieses Modell existiert derzeit bereits an
einigen deutschen Universitäten und es
unterstützt auch die Partner von neuen
Wissenschaftlern ganz gezielt bei der Fortsetzung ihrer Karriere.
Sprachliche und schulische Integration
der Kinder optimieren
Kinder von ausländischen Fachkräften brauchen Zugang zu Kindertageseinrichtungen
und Schulen.
Bei den Kindertageseinrichtungen ist das
am meisten angesprochene Thema der akute
Platzmangel. Dabei handelt es sich aber
nicht um ein ausländerspezifisches Problem.
Die Suche nach einem Platz ist sowohl für
die Familien als auch die Dienstleister herausfordernd. Ein Verbesserungsvorschlag,
88
der hier genannt wurde, ist die Einrichtung
einer aktuellen Übersichtsliste mit allen
freien Plätzen. Dies gebe es bereits in einigen
Gemeinden und könne auf andere übertragen
werden. Dies würde die Suche enorm vereinfachen und unnötige Telefonate ersparen.
Grundsätzlich sind die Erfahrungen mit
den Kindertageseinrichtungen ȟberwiegend
positiv«. Den ausländischen Fachkräften sei
die Integration ihrer Kinder in ein deutsches
Umfeld wichtig und außerdem lernen die
Kinder dadurch deutlich schneller die Sprache. Absolut positiv wurde die Offenheit der
Dresdner Kindertageseinrichtungen bewertet, mit der sie ausländische Kinder aufnehmen und wie sie mit ihnen umgehen.
Das Thema Schule dagegen scheint eine
größere Hürde für die ausländischen Fachkräfte darzustellen.
Die erste Schwierigkeit liegt in der Wahl
der geeigneten Schule. Sprechen die Kinder
noch kein Deutsch, dann fühlen sie sich vor
die Wahl gestellt, ihr Kind entweder in der
internationalen Schule anzumelden oder in
einer Schule, in der Deutsch als Zweitsprache gelehrt wird (DaZ-Klassen).
Internationale Schulen sind englischsprachig. Sie bieten ein internationales
Abitur, das weltweit anerkannt wird. Für
ausländische Fachkräfte, für die der regelmäßige Wohnortwechsel zum Alltag gehört,
ist das ein entscheidender Standortfaktor.
Deshalb sind internationale Schulen sehr
beliebt. Allerdings gibt es lange Wartelisten
und Schulgebühren, die sich nicht alle
leisten können.
Viele Eltern wollten ihre Kinder aber
ganz bewusst in normale Schulen einschulen, um den Spracherwerb und den Kindern
das Eingewöhnen in Deutschland zu erleichtern.
»Die ich jetzt neu betreut habe, haben gesagt, wir möchten jetzt erst mal in den Integrationsaspekt haben und möchten unsere
Jahresbericht 2012
Kinder nicht mit ausländischen Kindern
umgeben, sondern mit deutschen, um die
Sprache schneller zu lernen.«
Die Schulen mit DaZ-Klassen sind den Befragten als zweiter möglicher Weg bekannt,
ihre Kinder einzuschulen. In diesen Vorbereitungsklassen sollen die Kinder grundlegende Sprachkenntnisse erwerben, bevor sie
schrittweise in den Regelunterricht integriert
werden.
Die Interviewpartner bemängelten, dass
es schwierig sei, Schulen mit DaZ-Klassen zu
finden. Aus ihrer Sicht gäbe es zu wenige von
diesen Schulen. Die Eltern hätten das berechtigte Interesse, ihre Kinder möglichst
wohnortnah unterzubringen, das sei aber leider häufig nicht möglich und stelle die Familien und vor allem die Kinder vor besondere
Herausforderungen.
Außerdem beklagten die Interviewpartner, dass die DaZ-Klassen ausschließlich
in Grund- und Mittelschulen angeboten
werden. Zuwanderer wollen ihren Kindern
die bestmögliche Bildung vermitteln und
können nicht verstehen, warum Kinder,
die bereits in der Abiturstufe waren, für
mindestens ein Jahr wieder zurück in die
Mittelstufe müssen, um dort Deutsch zu
lernen.
»Integrationsklassen auf Mittelschulniveau
(...), das sind Kinder von Ingenieuren,
die haben alle studiert, die haben einen
Doktortitel, das wird sehr kritisch gesehen«
Dadurch würden die Kinder mindestens
ein Jahr verlieren und es würde Nachteile für
die weitere Schullaufbahn entstehen. Viele
Fachkräfte verstehen nicht, warum ihren
Kindern der sofortige Zugang zum Gymnasium verwehrt bleibt.
Deshalb solle es Intensivdeutschkurse
parallel zum Regelunterricht in allen Schulformen geben, die eine flexible Eingliedew w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
rung der Kinder in den Schulprozess in
allen Stufen ermöglichen.
Mehr Flexibilität fordert ein anderer
Interviewpartner. Er verwies darauf, dass
ausländische Kinder in Sachsen das Recht
auf Herkunftssprachenunterricht haben.
Jedoch gibt es jährlich nur einen Tag, an dem
die Anmeldung zu dieser Unterrichtsart gemacht werden kann. Kommen die Fachkräfte
mit ihren Familien nach diesem Stichtag,
müsste man wieder ein ganzes Jahr warten.
Auch die Anerkennung von Schulabschlüssen wurde als wichtige Schnittstelle
benannt, die kritisch gesehen wurde.
»Die Frage ist, was haben die Abschlüsse
der Kinder für einen Wert? Wenn die Kinder
in der Schule sind, ist das unkritisch, aber
wenn sie fertig sind, und hier studieren
wollen, mit einem ukrainischen Abitur,
na herzlichen Glückwunsch.«
Die Befragten werben auch hier für mehr
Flexibilität. Als Verbesserungsvorschläge
wurden außerdem die Einrichtung bilingualer Schulen bzw. von Klassen mit internationalem Abitur genannt.
89
4.4 Interkulturelle Begegnung
und gegenseitige Wertschätzung
fördern
Bestandteil des Interviews war auch die
Frage danach, was man tun müsse, um die
Willkommensgesellschaft Sachsen insgesamt
weiter zu entwickeln. Die Interviewpartner
stellten heraus, dass Sachsen nur dann ein
attraktives Zuwanderungsland sein könne,
wenn sich die ausländischen Fachkräfte hier
wohl fühlen – nicht nur in ihren Unternehmen, sondern mit ihren Familien in der Gesellschaft. Dafür müsse sich die Gesellschaft
weiter öffnen, die Befragten empfahlen, die
Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Thema zu
intensivieren und ganz bewusst Begegnungsmöglichkeiten zwischen Einheimischen
und Zuwanderern zu schaffen. Es sei wichtig,
dabei auch bewusst das Bild und das Image
des Freistaates Sachsen in Richtung einer
Willkommensgesellschaft zu verändern.
Zuwanderer sind Botschafter für
den Ruf Sachsens in der Welt
Die Befragten wiesen hier nochmals auf den
starken Wettbewerb um hochqualifizierte
Arbeitskräfte hin. Es ginge dabei nicht mehr
darum, welche Nationalität die Arbeitnehmer
hätten, sondern darum, welche Qualifikationen sie mitbrächten.
»Es fehlt nicht an deutschen Fachkräften,
sondern es fehlen zum Teil die Qualifikationen, die dann ausländische Fachkräfte in
unser Unternehmen miteinbringen und
decken können.«
90
China und Indien spielten durch die wirtschaftliche Entwicklung und das enorme
Bevölkerungspotential eine wachsende Rolle
auf dem »Fachkräftemarkt«, wie einer der
Befragten verdeutlichte:
»Am langen Ende entscheidet sich das
Fachkräftethema daran, wer für Chinesen
und Inder attraktiv ist.«
Neben dem internationalen Wettbewerb konkurrieren die Unternehmen auch innerhalb
Deutschlands um die besten Köpfe – dabei
werde die Frage nach der Attraktivität und
der Lebensqualität des Standortes insgesamt
immer wichtiger.
»Ich stehe bereits in einem nationalen
Wettbewerb mit für Ausländer attraktiveren
Städten.«
Sachsen hätte durch seine wirtschaftliche
Entwicklung einen guten Grundstein gelegt.
»Wir werden immer bekannter durch den
Zusammenschluss der Halbleiterindustrie,
das Silicon Saxony. Wir machen Messen
hier und da kommen Leute aus dem Ausland
und sehen, dass man hier gut leben und
arbeiten kann.«
Es käme aber dringend darauf an, die Attraktivität insgesamt zu verbessern. Man müsse
sich bewusst sein, dass sich in Zeiten von
Facebook, E-Mail und Skype jeder schlechte
Jahresbericht 2012
Eindruck rasend schnell verbreiten könne.
Internationale Fachkräfte sind weltweit gut
vernetzt mit ihren Kollegen.
»Also wenn ich mir vorstelle, dass jemand
das Foto vom Gang der Ausländerbehörde,
wo er wartet, online stellt. Und dann von jemand anderem in Australien hört, wo man
aktiv bestimmte skill profile umwirbt und
sagt, komm, wir machen dir das einfach.
Dann macht sich die Fachkraft doch schon
ihren Kopf.«
Deshalb solle man jede Gelegenheit nutzen,
echte Willkommenssignale zu senden und
dafür zur sorgen, dass sich die Leute hier
wohlfühlen.
»Das sind Leute, die sind akademisch ausgebildet, die haben Kontakt mit ihren Kommilitonen, die sind vernetzt, die reden untereinander. Alle sind Multiplikatoren. In Zeiten
von sozialen Medien sowieso.«
Davon profitieren sowohl der Standort
Sachsen als auch die Unternehmen:
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
»Ein guter Ruf von Sachsen hilft uns
eins zu eins.«
Die Interviewpartner berichteten, dass
viele der ankommenden Fachkräfte ängstlich
gegenüber diesem Thema eingestellt sind.
Die Nachfrage, ob die betreuten Arbeitskräfte
Erfahrung mit rassistischen Übergriffen
gemacht haben, verneinten die Unternehmen und Relocation Services und sagten,
dass sich fast alle sehr wohl hier fühlen:
»Unsere ausländischen Fachkräfte haben
in Sachsen keine Probleme, denn sie
wissen im Zweifel gar nichts von den rechtsradikalen Problemen hier. Sie merken es
vielleicht, wenn sie außerhalb der Arbeit
unterwegs sind, wobei wir da auch noch
keine schlechten Erfahrungen gesammelt
haben.«
Gleichzeitig wünschten sich die Befragten
klare Signale und eine offene Kommunikation
über diese Sorgen. Es sei wichtig, klar zu
zeigen, dass Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Sachsen nicht geduldet würden.
91
»Es ist ein riesen Problem, eine Region für
Ausländer attraktiv darzustellen, wenn bei
der Fußball WM ›no go areas‹ announced
werden (...) Und da kann ich einem Ausländer nicht erzählen, nö wir haben hier kein
Problem mit Rechten (...) wenn du googelst,
dann findest du Presseartikel, wo dann wieder anlässlich eines Dorffestes Ausländer
durch die Gegend gejagt wurden. Wie viele
das sind und ob das tatsächlich das größere
Risiko ist, als ob auf dem Zebrastreifen
überfahren zu werden, wer hat denn das
auf dem Schirm?«
Öffentlichkeitsarbeit zu den Themen
Zuwanderung und Willkommensgesellschaft verbessern
Hier war den Interviewten wichtig, dass
nicht nur wirtschaftlicher Nutzen hervorzuheben sei, sondern grundsätzlich der kulturelle Gewinn der Zuwanderung. Zuwanderer
seien immer auch Botschafter ihres Herkunftslandes. Sie sollten auch Botschafter
Sachsens werden. Öffentlichkeitsarbeit
92
solle die Gemeinsamkeiten und nicht die
Unterschiede zwischen Zuwanderern und
Einheimischen in den Fokus rücken:
»Das ist ein Mann und das ist ein Mann, ob
der eine weiß ist und der andere schwarz,
ist dann erst mal egal, denn die haben die
gleichen Interessen. Die haben ganz viel
gemeinsam, da ist es eigentlich egal, wo
einer herkommt. Das man also nicht nur
das Fremde und Besondere kommuniziert,
sondern mehr das Verbindende.«
Wichtig sei nicht nur eine formelle Positionierung zu Vielfalt und Internationalität
in der sächsischen Gesellschaft, sondern
auch der Wille diese zu leben und aktiv
zu vertreten. Einige der Befragten erklärten, dass es zur Beschleunigung der gesellschaftlichen Öffnung mehr Ausländer
brauche:
»Wir brauchen mehr Ausländer, damit sie
[die Gesellschaft] sich mehr dran gewöhnen.
In Berlin würde sich keiner beschweren,
wenn einer mit dem Turban rumläuft und
Jahresbericht 2012
hier in Dresden kriege ich einen Anruf, ob
der den denn immer tragen muss und dass
man sich Sorgen macht.«
Begegnungen und Kontakte
fördern
Das große Potential persönlicher Begegnungen für ein gelingendes Miteinander
von Zuwanderern und Einheimischen veranschaulichte einer der Interviewten mit
dieser Aussage:
»Denjenigen, den man kennt,
den schlägt man nicht.«
Im Unternehmen eines Interviewpartners
baut man deshalb derzeit ein Patenschaftsprogramm auf. Das Unternehmen wolle
Patenschaften für ausländische Studierende
während des Studiums übernehmen, die
den Studierenden helfen können, sich in
Dresden einzuleben und gleichzeitig die
Bindung an das Unternehmen und an
Sachsen fördere.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Ein anderer Interviewpartner berichtete von
guten Erfahrungen in ländlichen Regionen.
Er berichtete von einer Gruppe von thailändischen Spezialisten, die in einer kleinen
Kommune im Erzgebirgskreis untergebracht
worden waren. Trotz eigener anfänglicher
Skepsis berichtete der Betreuer von viel Offenheit, die den Fachkräften dort entgegen
gebracht wurden:
»Die wurden so gut aufgenommen.
Die Leute reden heute noch davon.«
Der Befragte erklärte sich diese positiven
Erfahrungen damit, dass sich in kleineren
Kommunen leichter Kontakte herstellen ließen – Offenheit und Neugier vorausgesetzt.
Die Befragten setzten auch auf die
Möglichkeiten von Kunst und Kultur, hier
seien Begegnungen jenseits der üblichen
Zuschreibungen möglich:
»Es gibt ja so viele Nächte, es gibt die
Nacht der Kirchen, die Nacht der Museen,
da könnte es doch auch eine Nacht der
Kulturen geben.«
93
Eine der Befragten empfahl der Stadt,
ein »World-Café« als Anlaufzentrum für
Zuwanderer einzurichten:
Ein Interviewpartner berichtete von eigenen
Erfahrungen aus den USA. Dort werden
bereits im Kindergarten alle Feiertage der
unterschiedlichsten Religionsgemeinschaften gemeinsam zelebriert. Dadurch lernen
die Kinder bereits im kleinsten Alter mit
Vielfalt umzugehen und die Traditionen
anderer zu respektieren.
»… wäre so was wie ein ›World-Café‹ oder
es gibt ja verschiedene Namen, wo etwas
eigentlich rund um die Uhr betrieben wird,
wo jeder, ob Student, ob Wissenschaftler,
ob Ingenieur oder was, wer da Ausländer ist,
der einen Anlaufpunkt braucht, dahinkommen kann und eben auch die richtigen Hinweise bekommen kann, wo man ein Auto
mieten kann, wo man die Steuerunterlagen
herbekommt usw. … Das müsste eine Anlaufstation sein, die eben solche täglichen Tipps
gibt und die weit über die Leistung der
Ausländerbehörde hinausgeht. Das würde
ich unbedingt machen, das Café könnte
stundenweise durch Relocation Firmen
besetzt werden. Da müsste die Stadt nicht
mal jemanden extra dazu einstellen.«
4.5
Sachsen als attraktives
Zuwanderungsland:
Vorhandene Spielräume
mutig nutzen
Müssen für die angesprochenen Empfehlungen eigentlich neue Gesetze erlassen werden? Die kurze Antwort darauf lautet: NEIN.
Die meisten Empfehlungen könnten
durch eine wohlwollende Interpretation der
heute schon vorhandenen Ermessensspielräume oder durch die Anpassung der entsprechenden sächsischen Verwaltungsvorschriften umgesetzt werden.
Andere Ideen können realisiert werden,
wenn die entsprechenden Regeln eindeutig
kommuniziert und deren Umsetzung
überwacht würden. Das trifft z. B. auf die
Viola Klein,
Mitinhaberin
und Aufsichtsrätin der
Saxonia
Systems AG
»Um ausländische Fachkräfte zu gewinnen, müssen wir als Deutsche beginnen,
über den Tellerrand zu schauen. Damit
wir beginnen zu verstehen, wie es jemandem geht, der in einem anderen Land lebt
oder studiert, und der für den Zeitraum
94
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Bildungsempfehlungen für zweisprachig aufwachsende Kinder zu, die bei entsprechender Begabung auch dann aufs Gymnasium
gehen dürfen sollten, wenn ihre Schulnote
im Unterrichtsfach Deutsch nicht auf der
Höhe ihrer einsprachig aufwachsenden
Mitschüler ist.
Wir sind der Überzeugung, dass die
übergroße Mehrzahl der Empfehlungen in
der Hand des Freistaates Sachsen liegen.
Jetzt liegt es an ihm, ob und wann er diese
vielen Bälle aufgreift und unser Land damit
zukunftsfähiger macht.
seines Aufenthalts auch dort integriert
werden möchte. Nehmen wir die ausländischen Studierenden, die wir ja auch
hier zu uns holen wollen. Ich habe die
Vorstellung, dass Unternehmen Patenschaften für diese jungen Leute übernehmen könnten, die in ihren Fachbereich
passen. Dabei geht es nicht um ein Stipendium, sondern eher um das Gefühl
für den Ausländer, Heimat geboten zu
bekommen, sich hier wohl zu fühlen und
mitarbeiten zu können. Daraus ergibt sich
ganz nebenbei auch ein positiver Effekt
beim Sprachenlernen, denn für die Studierenden ist es wichtig, die deutsche
Sprache zu verstehen und zu sprechen.
In so einer Patenschaft könnten wir auch
was über andere Kulturen lernen – und
damit über unseren Tellerrand schauen.«
95
5. Einigkeit macht stark:
Netzwerke im Bereich
Integration und Migration
In den achtziger Jahren machte ein Buch
Furore: »The Virtual Corporation« – »Das
virtuelle Unternehmen«. Die Vision dieses
Buches: Kleine und kreative Firmen können
sich zusammentun und gemeinsam genauso
stark sein wie ein großer Konzern. Diese
Vision ist heute der normale Alltag. Handwerker bilden eine Bietergemeinschaft und
gewinnen Aufträge, die für jeden Einzelnen
zu groß wären. Zulieferer in der Automobilindustrie können über Bietergemeinschaften
mit den großen Konzernen ins Geschäft
kommen, bei denen sie einzeln nur schwer
eine Chance hätten.
Die Chancen der Vernetzung erkennen
auch viele Initiativen im Bereich Migration
und Integration. Gemeinsam sind sie stärker
und können mehr für Integration erreichen,
z. B. im Dialog mit der Verwaltung, der Politik
und der Öffentlichkeit. Wir stellen ihnen an
dieser Stelle zwei solcher Netzwerke vor: Den
Sächsischen Migrantenbeirat und die Informations- und Anerkennungsstelle Sachsen
(IBAS) als Teil des Netzwerks »Integration
durch Qualifizierung« Sachsen.
96
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Netzwerken ist keine schwarze Kunst, sondern folgt klaren Regeln. Diese Regeln aufzuzeigen und die Vereine und Initiativen bei
der Netzwerkarbeit zu unterstützen, ist Teil
unseres Selbstverständnisses. Gleichzeitig
sind wir selber Initiatoren des Netzwerkes
der kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten und des Netzwerkes Integration
und Migration Sachsen (NIMS). In beiden
Netzwerken bieten wir eine Plattform für den
fachlichen Austausch und den Kontakt mit
Vertretern aus den sächsischen Ministerien
und anderen relevanten Institutionen.
Darüber hinaus sind wir Mitglied in bundesweiten Netzwerken wie z. B. der Bundeskonferenz der Integrations- und Ausländerbeauftragten des Bundes, der Länder und
Kommunen und der Länderkonferenz der Integrations- und Ausländerbeauftragten. Die
Arbeit in diesen Netzwerken ermöglicht uns,
von innovativen Ansätzen aus anderen
Bundesländern zu lernen, die besonderen
Herausforderungen der neuen Länder in die
Bundesdebatte einzubringen und dem Bund
gemeinsame Länderinitiativen vorzuschlagen.
97
5.1
Netzwerk Integration und
Migration Sachsen (NIMS)
In Sachsen ist die Netzwerklandschaft in
den letzten Jahren enorm gewachsen. Dies
tut den Kommunen und dem Freistaat gut.
Denn es zeigt, dass die Themen Migration
und Integration auf eine breite Basis gestellt
werden und ausbaufähig sind. Nur gemeinsam können wir für ein buntes Miteinander,
für »Einheit in Vielfalt« eintreten. Durch
Netzwerke können Informationen besser und
schneller weitergegeben werden, Diskurse
entstehen, Kontakte und Beziehungen verschiedener Akteuren entwickeln sich und
durch das Zusammenwirken verschiedener
Perspektiven entstehen Kreativität und
Professionalität. Daher sind Netzwerke so
wichtig für unsere Arbeit. Gleichzeitig haben
Netzwerke »breitere Schultern« als Einzelakteure und sind besser in der Lage, die vielfältigen Herausforderungen anzunehmen.
98
»Mehr Vernetzung – Mehr Wert?!« – Unter
diesem Motto stand das zweite Treffen des
NIMS 2012.
Im Rahmen des NIMS-Treffens konnten
sich alle Teilnehmenden sowohl einen Überblick zur aktuellen Netzwerklandschaft im
Bereich »Migration und Integration in Sachsen« verschaffen, als auch gemeinsam die
Faktoren für erfolgreiche Netzwerkarbeit
erarbeiten. Diese wollen wir Ihnen im Folgenden vorstellen:
Ausgangspunkt des Treffens waren »Steckbriefe« der bisher bekannten regionalen und
überregionalen Netzwerke im Bereich Migration und Integration. Die aktuelle Übersicht,
die gerne von Ihnen ergänzt werden kann,
befindet sich auf unserer Homepage
www.offenes-sachsen.de.
Struktur und Arbeitsweise der Netzwerke
in Sachsen sind sehr unterschiedlich. Einige
arbeiten kontinuierlich, auf breiten Spektrum und auf der Grundlage verbindlicher
Regeln zusammen. Die Netzwerkteilnehmer
verfolgen gemeinsame Ziele, die über die Arbeit der einzelnen beteiligten Organisationen
hinausgehen. Andere Netzwerke treffen sich
regelmäßig, um sich zum Stand der Arbeit in
den einzelnen Institutionen auszutauschen
und anlassbezogen gemeinsame Aktionen zu
starten.
Jahresbericht 2012
5.1.1 Was Netzwerkarbeit erfolgreich macht
Was macht den Mehrwert dieser Netzwerkarbeit aus? Zunächst mal ist Netzwerkarbeit
ja immer mit Mehrarbeit verbunden – es gibt
zusätzliche Treffen, die vor- und/oder nachbereitet werden müssen, es entstehen Verantwortlichkeiten, die über das eigentliche Tagesgeschäft hinausgehen. Warum also noch zusätzliches Arbeiten in Netzwerken? Und: Wann
ist das Arbeiten in Netzwerken erfolgreich?
Sieben grundlegende Faktoren machen
den Erfolg von Netzwerkarbeit (nicht nur)
im Bereich Migration und Integration aus:
1. Das Selbstverständnis und die Ziele des
Netzwerkes sind geklärt und schriftlich
formuliert.
2. Das Netzwerk hat mindestens ein
»Zugpferd« und/oder hat einen Koordinator/Sprecher des Netzwerkes benannt.
3. Die Kontinuität der Netzwerkarbeit wird
durch ausreichende Ressourcen und die
Motivation aller Netzwerkpartner gesichert.
4. Das Netzwerk pflegt eine regelmäßige,
umfassende und wertschätzende Komw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
munikation innerhalb und auch über
die Netzwerkgrenzen hinaus.
5. Das Netzwerk engagiert sich für eine professionelle Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit.
6. Die Netzwerkteilnehmer nutzen und fördern
die Interdisziplinarität und Fachlichkeit
innerhalb des Netzwerkes.
7. Eine regelmäßige themenspezifische Zusammenarbeit mit »Externen« ermöglicht
das gegenseitige Lernen und erhöht die
Sichtbar- und Fachlichkeit.
Klare Ziele für die Netzwerkarbeit
Dieser Erfolgsfaktor ist nicht nur für die
Gründungsphase, sondern auch für die beständige Weiterentwicklung wichtig. Es geht
um ein gemeinsames Selbstverständnis, das
Grundlage für das Handeln des Netzwerkes
ist. Mit dem Selbstverständnis stellt sich die
Frage nach den Zielen des Netzwerkes. Diese
sollten bei der Gründung gut durchdacht
und schriftlich verbindlich für alle Teilnehmenden formuliert werden. Dabei ist ein erfolgreiches Netzwerk immer eine »Lernende
99
fenster, ein gutes Informationsmanagement
und Organisationstalente mit Blick für die
kleinen und großen Probleme. Beispielsweise kann man die Teilnahme auch von
Ehrenamtlichen organisieren, wenn man
entsprechende Fördermöglichkeiten in Anspruch nimmt.5
Die Motivation der Netzwerkteilnehmenden ist für die Kontinuität der Netzwerkarbeit
von großer Bedeutung, und sie entscheidet
sich daran, ob die Netzwerkarbeit für den
Einzelnen oder die einzelne Organisation
einen Mehrwert hat.
Organisation« – sowohl das Selbstverständnis als auch die Ziele eines Netzwerkes können sich im Laufe der Zeit ändern, müssen
evaluiert und angepasst werden.
Zugpferde für Netzwerke
Erfolgreiche Netzwerke brauchen Initiatoren
und Trendsetter, die die Netzwerkarbeit voranbringen. Das kann eine offizielle Rolle als
Koordinator oder Sprecher sein, die entweder
rotierend vergeben oder dauerhaft wahrgenommen wird. Ebenso ist denkbar, dass sich
inoffiziell ein »Zugpferd« herauskristallisiert,
das mehr Verantwortung als andere Teilnehmende übernimmt und damit das gesamte
Netzwerk weiterbringen kann. Diese offiziellen oder inoffiziellen Führungspersönlichkeiten können für Kontinuität, Professionalität
und personelle Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit im Sinne des Netzwerkes sorgen und sind
meist hilfreich für erfolgreiche Netzwerkarbeit.
Rahmenbedingungen sichern Kontinuität
Die Kontinuität des Netzwerkes braucht auch
entsprechende Ressourcen. Dazu gehören erreichbare Räumlichkeiten, gemeinsame Zeit-
100
Information und Kommunikation
im Netzwerk pflegen
Regelmäßige, wertschätzende und umfassende Kommunikation innerhalb des Netzwerkes motiviert alle Netzwerkmitglieder.
Für die Organisatoren des NIMS beispielsweise gilt »Alle sind eingeladen, einige kommen und arbeiten gemeinsam, alle werden
anschließend über die Ergebnisse informiert
und fühlen sich als geschätzte Mitglieder.«
Das erhöht sowohl die Transparenz innerhalb des Netzwerkes als auch die gemeinsame Fachlichkeit.
Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit für
mehr Sichtbarkeit und Wirkung
Netzwerke im Integrations- und Migrationsbereich brauchen Unterstützung und Öffentlichkeit. Eine erfolgreiche Öffentlichkeitsund Lobbyarbeit macht Netzwerke und ihre
Arbeit sichtbar, wirbt für Unterstützung
der Akteure und vor allem auch für die Ziele
der Arbeit. Außerdem präsentiert sie die
vorhandene Vielfalt und Fachkompetenz
im Netzwerk.
Öffentlichkeitsarbeit kann auf verschiedenen Wegen umgesetzt werden. Wichtig
ist, dass sie dem Thema und dem Netzwerk
angemessen ist und ihr Ziel, eine bestimmte
Öffentlichkeit anzusprechen, erreicht.
Darüber hinaus sollte gezielt Lobbyarbeit
und Interessenvertretung gestaltet und
praktiziert werden, wenn es für die Ziele
und das Selbstverständnis sinnvoll erscheint.
Lobbyarbeit bedeutet neben Vermittlung
von fachlichen Informationen und personeller Kompetenz auch Beziehungspflege und
strategischer Kontaktausbau in verschiedene gesellschaftliche Systeme (Politik,
Wirtschaft o. Ä.).
Offenheit und Vernetzung mit anderen
Akteuren fördern
Netzwerke profitieren von Vielfalt
Netzwerke bestehen aus verschiedenen Teilnehmern, die unterschiedliche Perspektiven,
berufliche Hintergründe und Erfahrungen
mitbringen. Genau durch diese Verschiedenheit und Buntheit werden sie stärker und
erfolgreicher. Die Förderung von Vielfalt,
Interdisziplinarität und Fachlichkeit, sind
wichtige Grundsteine für ein erfolgreiches
Netzwerk.
Schließlich kann der Erfolg der Netzwerkarbeit durch regelmäßigen themenbezogenen
fachlichen Austausch und die Gewinnung
von externen Experten gewährleistet werden.
Dieser Austausch und die Offenheit des Netzwerkes nach außen sind wichtig für sein
Fortbestehen und seine Lernfähigkeit; denn
gegenseitiges Lernen erhöht die Fachlichkeit
und die Kompetenz sowie die Sichtbarkeit
bzw. Strahlkraft hin zu anderen Personen
oder Institutionen.
5.1.2 Starke Netzwerke in Sachsen –
was können wir selber tun?
Was können Netzwerkteilnehmer in ihren
konkreten Netzwerken selber tun, damit ihre
Netzwerkarbeit erfolgreich wird und einen
Mehrwert entfaltet? Wie können neue Netzwerke gegründet bzw. existierende gestärkt
werden? Was können Netzwerke selbst tun,
um ihre Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit zu
verbessern? Wie können Kooperationen/Bietergemeinschaften gefunden oder gebildet
werden, um Fördermittel für gemeinsame
Projekte zu akquirieren?
Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit
intensivieren und verbessern
Öffentlichkeitsarbeit zielt darauf ab, eine
bestimmte Öffentlichkeit auf ein wichtiges
Thema aufmerksam zu machen. Sie wendet
sich an die Öffentlichkeit, die sich vielleicht
zum ersten Mal mit dem Thema beschäftigt.
Lobbyarbeit zielt auf Bewusstseinsbildung
und Vermittlung von neuen Perspektiven
und Sichtweisen von Entscheidungsträgern
ab, die in einem oder mehreren relevanten
gesellschaftlichen Feldern die Ziele des Netzwerkes befördern oder hindern können.
Die Öffentlichkeitsarbeit wird professionalisiert, indem das Thema und die zu erreichende Öffentlichkeit genau definiert werden. Anschließend wird geklärt, welches
geeignete Präsentationsmöglichkeiten sind.
Kontinuität in der Öffentlichkeitsarbeit ist
ebenso wichtig wie den richtigen Zeitpunkt
für die Veröffentlichung eines Themas zu
wählen. Nach Möglichkeit sollten prominente/einflussreiche Botschafter gewonnen
werden, die Multiplikatoren für das Thema
in der Öffentlichkeit sein können.
5 z. B. Förderrichtlinie »Wir für Sachsen«
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
101
Kooperierende Netzwerke/
Bietergemeinschaften bilden
Wie werden aus kooperierenden Netzwerken
Bietergemeinschaften bzw. wie gewinnt ein
Netzwerk einen Träger zur Verwirklichung
bestimmter Projekte?
Zuerst muss geklärt werden, ob eine
Kooperation oder das Finden eines Trägers
angestrebt wird. Dies hängt von der Solvenz
der Interessenten bzw. den potentiellen Partnern und den Zielen bzw. den angestrebten
Projekten ab. Wenn eine Kooperation (von
Netzwerken oder anderen Institutionen) eingegangen werden soll, ist zu klären, ob die
kooperierenden Organisationsformen zueinander passen und welche (neue) Rechtsform
geeignet wäre. Bei der Suche eines passenden Trägers (zur Projektrealisierung) sollten
die Strukturen der Organisationsformen zueinander passen. Innerhalb einer Kooperation
und bei der Eingliederung in einen Träger
sollte schriftlich formuliert werden, wie die
Verantwortlichkeiten und Aufgaben verteilt
werden. Dazu gehören von Beginn an auch
die Klärung und Festlegung der finanziellen
Rahmenbedingungen, um z. B. während
eines Projektes Zahlungsnöte zu vermeiden.
Wesentlich bei beiden Formen der »Erweiterung« sind konstruktiv gestaltete Beziehungen zwischen Kooperationspartner bzw.
102
zwischen Vertretenden des künftigen Trägers
und denjenigen, die sich dem Träger anschließen. Vor allem in strukturschwachen
Gegenden scheint es sinnvoll, sich fachfremde, vor Ort aktive Träger zur Sicherung
der inhaltlichen Arbeit zu suchen bzw. Kooperationen zwischen strukturschwachen
Landkreisen und strukturstärkeren Städten
anzustreben.
Viele Vereine im Bereich Migration und
Integration arbeiten nicht nur an gemeinsamen großen Zielen, sie konkurrieren gleichzeitig auch um Fördermittel. Sie kooperieren
und konkurrieren also zur gleichen Zeit. Diesen scheinbaren Widerspruch fruchtbar zu
machen – auch darum ging es beim NIMSTreffen. In der Wirtschaft nutzt man in diesem
Zusammenhang den Begriff »Coopetition« –
ein Zusammenspiel aus cooperation (Kooperation) und competition (Wettbewerb).
Diese »kooperierende Konkurrenz« braucht
vor allem eines: Vertrauen. Wir als Team
des Sächsischen Ausländerbeauftragten
verstehen es als unsere Aufgabe, mit den
NIMS-Treffen ein Umfeld zu schaffen, in dem
ein solcher Vertrauensaufbau möglich ist.
Ein Nebeneffekt: Netzwerke sind immer
mehr als nur die Summe ihrer Teile – wir
dürfen also auf neue kreative Wege der sächsischen Netzwerke im Bereich Migration und
Integration gespannt sein.
Jahresbericht 2012
Der Sächsische Migrantenbeirat
von Marc Lalonde, Vorsitzender des
Ausländerbeirates der Stadt Dresden;
Sebastian Vogel, Vorsitzender des
Ausländerrates Dresden e. V.
Am 17. Juni 2006 haben sich erstmals
Migrantenselbstorganisationen aus ganz
Sachsen, aber auch einzelne Personen
sowie interessierte Stadträte und kommunale Ausländerbeauftragte zusammen
gefunden, um sich in Fragen der Integrationspolitik besser abzusprechen und den
sächsischen Migrantinnen und Migranten
eine hörbare Stimme zu verleihen.
Denn dieses Netzwerk wollte mehr
sein als nur eine fachliche Austauschplattform. Der »SMB« sah und sieht
sich zuallererst als Interessenvertretung
der in Sachsen lebenden Migrantinnen
und Migranten. Dieser Anspruch beinhaltet ganz konkrete Ziele und Maßnahmen, auf die sich geeinigt wurde, so
zuvorderst:
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
• die Bildung von Ausländer- bzw.
Migrantenbeiräten in den Städten und
Landkreisen Sachsens;
• die Förderung der politischen Beteiligung
von Migrantinnen und Migranten am gesellschaftlichen und politischen Leben;
• der Aufbau von Kontakten und Kooperationsbeziehungen zu Parlamenten,
Politik, Verwaltungen und gesellschaftlichen Organisationen;
• die Anerkennung durch sächsische
Institutionen, insbesondere durch den
Sächsischen Landtag und die Staatsregierung.
Der SMB versteht sich als ein freies
Koordinierungsgremium von Vereinen
und Personen, die in der Integrationsund Flüchtlingsarbeit engagiert sind. Derzeit umfasst er annähernd 50 Mitglieder.
Er ist jederzeit offen für alle interessierten
Menschen und arbeitet transparent für
alle Organisationen. Drei- bis viermal
jährlich trifft er sich in öffentlichen Mitgliederversammlungen. Dazwischen
organisiert ein Koordinierungskreis die
Arbeit und vor allem die Kommunikation
untereinander. Dabei wird darauf geachtet,
dass neben den zivilgesellschaftlichen
Vereinen und Initiativen die bestehenden
Ausländerbeiräte ebenso eingeladen und
angesprochen werden wie die kommunalen Ausländerbeauftragten.
Dass der SMB politisch agieren und
mit seiner großen Vielfalt an Mitgliedern
die Stimme erheben kann, hat er längst
bewiesen – nicht zuletzt mit seinem Positionspapier zum Sächsischen Zuwanderungs- und Integrationskonzept. Der SMB
wird seine Aktivitäten weiter ausbauen
und noch stärker in die Öffentlichkeit tragen. Im Jahr der sächsischen Leitung der
Integrationsministerkonferenz ist das ein
passender Anspruch.
103
Anerkennung ausländischer
Berufsabschlüsse in Sachsen 2012
IBAS – Informations- und Beratungsstelle Anerkennung Sachsen
von Kay Tröger, Claudia Poldrack (IBAS)
Die IBAS blickt auf ein erfolgreiches
Jahr 2012 zurück:
Die Beratungsleistungen rund um das
Thema Anerkennung von ausländischen Abschlüssen wurden oft und gern in Anspruch
genommen.
Nutzung des Fachthemas »Anerkennung«
als ein netzwerküberspannendes Trägerthema für die Stärkung der Interkulturellen
Kompetenzen.
nicht reglementierter
Berufsabschluss
akademischer Abschluss
Hintergrund
Die ANSA-Studie6 hat bereits 2010 eine umfassende Analyse zur Anerkennungssituation in Sachsen vorgelegt. Die Ergebnisse der
Studie bildeten die Grundlage für die Arbeit
der IBAS. Sowohl das gewonnene Know How,
die Netzwerkerweiterung als auch die Handlungsempfehlungen flossen in die Erarbeitung
der Zielstellungen für die IBAS ein.
Berufsabschluss
landesrechtlich
reglementierter Berufsabschluss
Schulabschluss
bundesrechtlich
reglementierter Berufsabschluss
25 %
20 %
Arbeits- und Wirkungsbereich der IBAS
15 %
Ein großer Teil der sächsischen Arbeitsmarktakteure konnte über Veranstaltungen
zu Inhalt und praktischer Anwendung des
neuen Anerkennungsgesetzes erreicht und
auch darüber hinaus beim Ausbau der eigenen interkulturellen Kompetenzen unterstützt werden.
Sachsenweit wurde die Vernetzung mit
Anerkennungsstellen, Arbeitsverwaltungen
und Migrationsberatungsstellen intensiviert
und um zahlreiche Kontakte zu weiteren
Bildungsträgern aus den Schnittstellen Sprache, Qualifizierung und Aufenthalt erweitert.
Die Arbeit der IBAS ist einer der drei
Handlungsschwerpunkte des Netzwerks IQ
Sachsen (www.netzwerk-iq-sachsen.de)
unter der Koordination des EXIS Europa e. V.
104
Information und Beratung
In vier Städten in Sachsen können sich alle
Menschen mit einem ausländischen Abschluss zu den Möglichkeiten der Anerkennung bzw. des freien Berufseinstiegs beraten
lassen. Der Standort der IBAS in Dresden ist
ständig besetzt; in Leipzig, Chemnitz bzw.
Zwickau finden Beratungstage einmal monatlich statt. Dazu kommt die Beantwortung
von telefonischen, postalischen und E-MailAnfragen (auch aus dem Ausland). Insgesamt
konnten über 550 Anfragen von Ratsuchenden
in den letzten 14 Monaten bearbeitet werden.
6 Anerkennung ausländischer Qualifikationen in
Sachsen, eine Situations- und Bedarfsanalyse,
herausgegeben durch den EXIS Europa e. V. im
Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums
für Soziales und Verbraucherschutz sowie des
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Jahresbericht 2012
10 %
5%
0%
sonst. akademische Abschlüsse
Medizin | Pflege
Lehramt | Pädagogik | Erziehung
sonst. Berufsabschlüsse
MINT-Berufe
Sprachwissenschaften
Schon bald nach dem Start der IBAS hat sich
gezeigt, dass eine reine Verweisberatung zur
Anerkennung (Anerkennung nötig bzw. Anerkennung möglich? – Zuständige Stelle –
Verfahren – Kosten – Dauer) nicht ausreicht.
Es sind hingegen fallspezifische Informationen zu beruflichen Alternativen auf dem
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
deutschen Arbeitsmarkt, zu Qualifizierungsangeboten und finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten nötig. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Ratsuchenden genau
wissen, welche Schritte sie als nächstes
gehen können oder müssen, um in qualifikationsadäquate Beschäftigung zu kommen.
105
Aufzeigen alternativer Wege zur Arbeitsmarktintegration im angestrebten Beruf.
Wichtig ist das Verständnis, dass die Verfahren zur Anerkennung keine rein juristischen
Vorgänge sind. Ein Anerkennungsverfahren
ist unter Umständen eine von mehreren Möglichkeiten für den einzelnen Ratsuchenden.
Hier setzt die IBAS auf die Zusammenarbeit
mit und den Verweis an andere Beratungspartner.
Die Nachbefragung der durch die IBAS
Beratenen (Rücklauf 30 %) ergab, dass die
Beratungsarbeit von Anfang an hohe Qualität aufwies sowie als äußerst nützlich und
effektiv bewertet wurde. Insgesamt 50 % derjenigen, die an der Nachbefragung teilnahmen, durchlaufen derzeit ein Anerkennungsverfahren, 30 % haben einen Job gefunden.
Tatsächlich verbesserter Zugang zu
den Anerkennungsverfahren und dem
Arbeitsmarkt ist erreicht … Aber Situation
trotzdem noch nicht zufriedenstellend.
Schulung und Begleitung
Ziel war es zunächst, durch intensive Schulung von Multiplikatoren die IBAS als direkte
Beratungsstelle für Ratsuchende zukünftig
überflüssig zu machen. Da sich aber zunehmend die Komplexität dieses Beratungsfeldes gezeigt hat, erscheint es unrealistisch,
auf die Arbeit einer zentralen Anlaufstelle
mit spezialisierter Beratung zu verzichten.
Oft wurde der Wunsch geäußert, dass IBAS
weiterhin als Ansprechpartner für das Themenfeld bestehen bleibt. Ziel ist daher jetzt,
den Beraterinnen und Beratern einen Überblick über das Thema zu geben und sie zu
einfacher Verweisberatung zu befähigen.
Aber auch das kann nur von Beraterinnen
und Beratern geleistet werden, die regelmäßigen Kontakt zur Zielgruppe haben.
106
Landesverstetigung der Anerkennungsberatung und des Wissensmanagements,
denn Anerkennungsberatung ist eine
spezialisierte Fachberatung, die großes
Know-how erfordert und nicht nebenbei
geleistet werden kann (vgl. K.-H. Kohn,
HdBA, Delphi-Breitband-Studie)
2012 fanden 35 Schulungen sowie zwei
Workshops statt. Neben sächsischen Akteuren zählten auch die Beratungsfachkräfte
der IHK-FOSA und der bundesweiten BAMFHotline zu den 334 Teilnehmerinnen und
Teilnehmer (IHK FOSA: zentrale bundesweite
Anerkennungsstelle für IHK-Abschlüsse).
Regional wurden bereits alle Agenturen für
Arbeit, acht von 13 Jobcenterbezirken sowie
alle Kreise und Kreisfreien Städte Sachsens
(außer Bautzen) im Hinblick auf Beratungsstellen, Bildungsträger und Unternehmen
erreicht. Die Schulungsansätze orientierten
sich an den Hauptzielgruppen Arbeitsverwaltung und Beratungsstellen und wurden in
einer eintägigen Überblicksschulung oder
einer ausführlichen 2-Tages-Schulung angeboten.
Die Schulung informiert über Aufbau,
Gesetzesgrundlagen, Verfahren und Informationsmöglichkeiten zum Thema Anerkennung, richtet sich durch den Einbezug von
Jahresbericht 2012
Praxisfällen aber vor allem an der Anwendung des Wissens aus. Für die Schulungen
wurden spezifische Materialien zur Unterstützung der Beratungsarbeit entwickelt.
Kernstück ist eine einseitige Übersicht, mit
der anhand von wenigen Fragen das richtige
Verfahren im Einzelfall gefunden werden
kann. Darüber hinaus entstand eine Arbeitshilfe, die die Übersicht in Einzelteilen erklärt
und anhand von mehreren Entscheidungsbäumen ebenfalls auf das richtige Verfahren
führt. Außerdem ist Mitte 2012 eine weitere
Arbeitshilfe entstanden, die die Themenfelder Anerkennung und Existenzgründung
miteinander verknüpft.
Vernetzung und Moderation
Über die Schulung zu tätigkeitsbezogenen Fachthemen der Teilnehmer gelingt
die Stärkung der interkulturellen Kompetenz am effektivsten!
Die Netzwerkarbeit mit allen bereits als relevant eingestuften Akteuren aus der ANSAStudie stellte einen besonderen Schwerpunkt
der Arbeit der letzten anderthalb Jahre dar.
Vor allem Ende 2011 und Anfang 2012 wurde
die Arbeit der Informations- und Beratungsstelle Anerkennung Sachsen durch diverse
öffentlichkeitswirksame Aktivitäten und
Materialien bekannt gemacht. Im Verlauf des
Jahres präsentierte sich die IBAS auf Messen,
nahm an bundesweiten Veranstaltungen und
Fachtagen teil und unterstützte verschiedene
Facharbeitsgruppen. Dabei wurde der Blick
auf Fragen der Willkommenskultur und der
Verbesserung der Integration der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund
gelenkt. Auch die Frage der Zuwanderung
als Handlungsfeld langfristiger Demografiestrategien war ein wichtiges Thema.
2013 soll die Arbeit in bereits bestehenden
Netzwerken intensiviert und eine Erweiterung
der Netzwerke im Bereich Migration erreicht
werden. Auch die Wirtschaft mit ihren indiviw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
duellen Fragestellungen und Bedarfen wird
zukünftig stärker in den Blick der IBASArbeit rücken.
Wissensmanagement EU-Bund-Land
Im Fokus der IBAS-Arbeit stehen die zentrale
Recherche, Aufarbeitung, Bereitstellung und
ständige Aktualisierung von Informationen
zum Thema Anerkennung und Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationshintergrund für verfahrensrelevante Partner
des Landes (Behörden, Beratungsstellen etc.)
und politische Entscheidungsgremien. Hintergrund dafür sind die laufenden und zukünftigen Änderungs- und Anpassungsprozesse
im Rahmen der Bundes- und Landesgesetzgebung zur Anerkennung (Anerkennungsgesetz 2012, Länderanerkennungsgesetz voraussichtlich 2013), und der EU-Richtlinie
(2014). Ergänzt wird dieser Wissensbereich
durch das Schnittstellenmanagement zu
Anpassungsqualifizierungen und zu aufenthaltsrechtlichen Aspekten.
Wissensstandgarantie für alle beteiligten
Fachreferate der unterschiedlichen
Landesministerien
Ausblick
Die Arbeit der IBAS wirkt auf verschiedenen
Ebenen, die komplex miteinander verbunden sind (Beratung, Dienstleistung, Wissensund Schnittstellenmanagement, Willkommenskultur). Wichtig ist eine ressortübergreifende Verankerung des Themas in allen
Fachministerien Sachsens.
Beratungs- und Dienstleitungsfunktion
Das bestehende Beratungs- und Schulungsangebot wird wie beschrieben fortgeführt
und ausgebaut. IBAS übernimmt auch zukünftig die Beratung zu Fragen der Anerkennung und angrenzender Themenbereiche.
107
5.2
IBAS ist zusätzlich beratender Partner für
entscheidungsrelevante Fragen der Einstellung bei Arbeitgebern der Wirtschaft und des
öffentlichen Dienstes im Themenkomplex
der Anerkennung. Um den Bedarf und die Erfahrungen der Unternehmen künftig besser
berücksichtigen zu können, setzen wir auf
Austausch und intensive Zusammenarbeit.
Ziel ist es, eine erfolgreiche Begegnung
zwischen Unternehmen und Fach- und
Arbeitskräften mit Migrationshintergrund
zu gestalten.
Arbeitsmarktintegration ist Schlüsselkomponente!
IBAS sieht Anerkennung als thematischen
Verbindungsansatz zur gesamtgesellschaftlichen Integration und Schnittstelle zu den
weiteren Handlungsfeldern der Willkommenskultur (Gesundheit, Soziales, Kultur etc.).
Unterstützung der Entwicklung
und Vermittlung von
Anpassungsqualifizierungen
Ziel ist entsprechend der landesweiten Bedarfslagen und der Anfragesituation die
Entwicklung von Anpassungsqualifizierungen zu unterstützen. Dabei liegt der Fokus
auf Berufen, in denen ein besonderer Bedarf
besteht (z. B. Erzieher). Außerdem werden
individuelle Empfehlungen zu Qualifizierungsangeboten an Arbeitsmarktakteure, Zugewanderte oder Arbeitgeber direkt gegeben.
Die Zusammenarbeit
mit den kommunalen
Ausländerbeauftragten und
Integrationsbeauftragten
Im Freistaat Sachsen arbeiten derzeit 17 kommunale Ausländer- und Integrationsbeauftragte (KAIB) in den Landkreisen, den Kreisfreien Städten und anderen Städten.7
Nach wie vor arbeiten sechs der Beauftragten ehrenamtlich. Von den anderen
elf hauptamtlichen Beauftragten nehmen
vier ihre Aufgabe zusätzlich zu den Aufgaben
Interview
Monika Zenner,
zum 30.09.12
ausgeschiedene
KAIB der
Stadt Zwickau
Was hat Sie ursprünglich motiviert,
diese wichtige Aufgabe anzupacken?
Vor 15 Jahren kam ich aus dem Bereich
der Kindertagesstätten. Als stellvertretende Leiterin einer KITA suchte ich nach
Veränderung. Die Zahl der Kinder wurde
weniger, die Probleme der Eltern nahmen
zu, Arbeitslosigkeit und Unsicherheit waren für viele ständige Begleiter. Ich war in
meiner damaligen Arbeit mit diesen Problemen konfrontiert. Die Situation des
108
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
der Gleichstellungs-, Frauen- und Behindertenbeauftragte wahr. Die Stelle des Ausländerbeauftragten im Landkreis Leipzig wurde
bereits 2011 als ehrenamtliche Position ausgeschrieben. Sie ist bis jetzt unbesetzt.
7 Übersicht siehe Dokumentation
Aufgabenwechsels ergab sich für mich
mit dem Weggang meiner Vorgängerin in
der Funktion der Gleichstellungs- und Ausländerbeauftragte. Als stellvertretende
Frauenbeauftragte bekam ich ein Stück
ihrer Arbeit mit und fand sie interessant,
abwechslungsreich und eine Möglichkeit
etwas zu bewegen.
Getreu dem Zitat von Nelson Mandela:
»Einem Menschen seine Menschenrechte
verweigern bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu missachten«, nahm ich meine
Aufgabe als Ausländerbeauftragte sehr
ernst, um keinem Menschen seine Rechte
zu verweigern und ihn damit nicht als
Mensch zu missachten. Jeden Menschen
in seiner Persönlichkeit annehmen und
respektieren war mir immer oberster
Grundsatz meiner Arbeit. Damit dürfte
die erste Frage schon beantwortet sein.
Wenn Sie auf die Jahre des Engagements
zurückblicken, was hat sich aus Ihrer
Sicht am meisten gelohnt?
109
Aufgaben der kommunalen Beauftragten
Gelohnt hat sich für mich jeder einzelne
Kontakt mit den Menschen, die ich in den
15 Jahren kennenlernen durfte, sei es dass
ich hier weiterhelfen konnte oder ich persönlich für mich neue Erkenntnisse dazu
gewinnen konnte oder meine Sicht auf
manche Dinge verändert habe. Gelohnt hat
sich meine Bemühung um Möglichkeiten
der Berufsanerkennung zu finden, sei es
über das Kennenlernen des Modellprojektes
von Saarbrücken, die Zusammenarbeit
mit EXIS oder der Benedict Schule, die
Mitinitiierung des »Zwickauer Impulses«.
Gelohnt hat sich auch das Rotationsprinzip der Integrationskurse, welches über
mich organisiert und geleitet wurde damit
Menschen schneller die deutsche Sprache
erlernen konnten ohne lange Wartezeiten
und Wege. Ebenfalls gelohnt hat sich die
Mitinitiierung des Interkulturellen Arbeitskreises der Zwickauer Region, die Durchführung der Interkulturellen Wochen über
die vielen Jahre und dass damit das Thema
Migration/Integration bei uns in der Region
mehr in den gesellschaftlichen Mittelpunkt
gerückt ist.
110
Was sollten wir in Sachsen tun, um noch
schneller zur Willkommensgesellschaft
in gegenseitigem Respekt zusammen
zuwachsen?
Hätte ich drei Wünsche frei für eine Willkommensgesellschaft in Sachsen denke
ich an den Abbau bürokratischer Hürden,
konstante Ansprechpartner in Form der
Ausländer – Integrationsbeauftragten vor
Ort und diese nicht im Ehrenamt, und das
Verständnis aller für kulturelle Öffnung
auf allen Ebenen und nicht nur weil wir
mal eben Fachkräfte brauchen. Nun gut,
das sind 3 Wünsche und die 3 Haselnüsse
für die Erfüllung der Wünsche habe ich
eben am Wochenende an meine Enkeltochter verschenkt, die damit eigentlich gar
kein Problem hat. Sie freut sich auf die
Kinder in der KITA, im Urlaub oder im
Haus und auf der Straße, auch wenn diese
anders sprechen oder anders aussehen:
sie spielen gemeinsam. Das ist mein
Wunsch für Sachsen!
Jahresbericht 2012
Die Aufgaben der KAIB umfassen ein breites
Spektrum. In der Stellenbeschreibung für
kommunale Beauftragte, die wir bereits 2010
gemeinsam mit dem NIMS und den Beauftragten entwickelt haben, wurden sechs
wesentliche Felder genannt:
• Kommunale Ausländer- und Integrationsbeauftragte beraten, informieren und
begleiten Menschen mit Migrationshintergrund, Vereine, Institutionen und Migrationsfach- und -regeldienste, um die gleichberechtigte Partizipation von Migranten
voranzubringen.
• Sie engagieren sich für den Auf- und Ausbau lokaler Integrationsnetzwerke und für
die Schaffung örtlicher Migrantenbeiräte,
um die Integrationskräfte in den Kommunen zu bündeln und zu stärken.
• Sie sind Interessenvertreter der Menschen
mit Migrationshintergrund gegenüber der
Verwaltung, den Gremien und Dritten und
vermitteln zwischen den Perspektiven, damit die berechtigten Interessen aller in angemessener Weise berücksichtigt werden.
• Sie initiieren, erarbeiten regionale Integrationskonzepte und begleiten deren Umsetzung und Fortschreibung.
• Regelmäßig informieren sie auf kommunaler Ebene über die Integrationsarbeit und
erhöhen damit die gegenseitige Akzeptanz
und den Respekt zwischen Zugewanderten
und der Mehrheitsgesellschaft.
• Außerdem engagieren sie sich im Umgang
mit den verschiedenen Akteuren im Bereich Migration und Integration präventiv
und deeskalierend für krisenvermeidende
Optionen und sind Ansprechpartner für die
Mehrheitsbevölkerung.
Die Zuwanderung ist ein weiteres wesentliches Arbeitsfeld der kommunalen Beauftragten: Sachsens Wirtschaft ist auf Fachkräfte angewiesen – zunehmend auch auf
solche aus dem Ausland. Fachkräfte komw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
men aber nur dann zu uns, wenn nicht nur
das Arbeitsangebot, sondern vor allem das
Lebensumfeld stimmt. Das Thema Willkommensgesellschaft rückt damit immer mehr
in den Fokus der kommunalen Beauftragten.
Sei es über Integrationsmessen wie in Chemnitz oder über die vielen »bunten« Initiativen
in den sächsischen Landkreisen und Städten.
Sie signalisieren, dass Sachsen eine offene
und respektvolle Heimat für Menschen aus
anderen Ländern ist. Ein Höhepunkt der
Arbeit der kommunalen Beauftragten ist die
Interkulturelle Woche, die in vielen sächsischen Kommunen und Landkreisen stattfinden. Einen Einblick in die Arbeit vor Ort
erhalten Sie im 6. Kapitel »Begegnungen
schaffen: Die Interkulturelle Woche 2012«.
Integrationsmesse Chemnitz
Über den Bedarf von Fachkräften in
Industrie, Dienstleistungsgewerbe und
Handwerk wird gegenwärtig viel diskutiert, häufig im Zusammenhang mit dem
demografischen Wandel und den Möglichkeiten der Beförderung der Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland
und der Nutzung von bereits im Land
befindlichen und bisher nicht umfassend
genutzten Potentialen an ausländischen
Fachkräften.
Gerichtet an den letztgenannten
Personenkreis fand am 18.04.2012 die
erste Integrationsmesse der Stadt
Chemnitz im Kulturzentrum DAStietz
statt.
Ausrichter der unter der Schirmherrschaft des Chemnitzer IHK-Präsidenten
Gunnar Bertram stehenden Messe ist
die Duvier Consult GmbH Chemnitz in
Zusammenarbeit mit dem Integrationsnetzwerk Migration der Stadt Chemnitz.
Vorbereitet wurde die Integrationsmesse
gemeinsam von vielen Partnern und
111
Partnerinnen mit Unterstützung der Ausländerbeauftragten der Stadt Chemnitz
Etelka Kobuß.
Diese sachsenweit erste Integrationsmesse war eine gelungene Veranstaltung.
Insgesamt beteiligten sich an der Messe
über 30 Aussteller und Ausstellerinnen,
zu denen zum Beispiel das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge, die Handwerkskammer Chemnitz, die Industrie- und
Handelskammer Chemnitz, die Agentur
für Arbeit, das Jobcenter, die Bildungswerkstatt, Anbieter und Anbieterinnen von
Integrationskursen, verschiedene Vereine
sowie auch der Sächsische Flüchtlingsrat
gehörten. Mit rund 350 interessierten
Besucherinnen und Besuchern kann von
einem gelungenen Auftakt gesprochen
werden.
Die wichtigsten Ziele der Messe waren
eine Begegnungs- und Kompetenzplattform zu schaffen, sowie die Chancen des
demografischen Wandels stärker in das
Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken.
Mit der Integrationsmesse erhielten
Migrantinnen und Migranten in Chemnitz
die Möglichkeit, sich über den hiesigen
Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, die Mög-
112
lichkeiten eines (Wieder-)Einstiegs in das
Berufsleben, die Angebote der Sprachförderung sowie sonstige Angebote der beruflichen Integrationsförderung zu informieren. Es gab vielfältige Möglichkeiten
der Information und des direkten Kontaktes mit Anbietern und Anbieterinnen
von Sprach- und Ausbildungsförderung,
potentiellen Arbeitgeberinnen und Arbeitergebern, Vertretenden von Kammern,
Branchenverbänden, Unternehmen, Existenzgründungberatungen und anderen
Beratungsstellen.
Die Besucherinnen und Besucher
haben sich während der Messe beispielsweise auch über die Formalitäten und
Standards eines Bewerbungsverfahrens
auf einen Arbeitsplatz und über spezielle
Anforderungen verschiedener Berufszweige und Branchen informieren können.
Außerdem wurde ein Bewerbungsunterlagencheck angeboten.
Die Messe diente darüber hinaus als
Plattform zur Stärkung des Dialogs zwischen Akteuren und Akteurinnen des
Arbeitsmarktes und Migrantinnen und
Migranten. Dieser Dialog und teilweise
die ersten Kontakte fördern gegenseitiges
Verständnis, Toleranz, fachlichen Austausch und tragen zur Kultur des gegenseitigen Verständnisses in der Stadt
Chemnitz bei. Die ersten Früchte der
Integrationsmesse waren bereits während
der Veranstaltung zu beobachten: Schön
war es zu erleben, wie einige von den
Ausstellern und Ausstellerinnen, die
bisher wenig Berührung mit Migrantinnen und Migranten hatten, durch den
direkten Kontakt und das persönliche
Gespräch Informationen über Migranten
und Migrantinnen erhielten. Sie waren
teilweise angenehm überrascht über
diese Begegnungen und wurden mit
jedem Kontakt neugieriger auf ihr Gegenüber. Auch der Austausch und die GeJahresbericht 2012
Ausstattung der Ämter der Beauftragten
spräche zwischen den Ausstellern und
Ausstellerinnen gaben der Messe positive
Synergieeffekte.
Um die sprachlichen Barrieren so gering wie möglich zu halten und allen das
persönliche Gespräch zu ermöglichen,
standen Sprachlotsen in den Sprachen
Englisch, Französisch, Arabisch, Persisch,
Urdu, Russisch und Vietnamesisch unterstützend zur Seite. Die Kinderbetreuung
während des Messebesuches wurde von
den Museumspädagoginnen des Chemnitzer Naturkundemuseums realisiert.
Die Integrationsmesse wurde durch
die finanzielle Förderung des Freistaates
Sachsen (Landesdirektion Sachsen) und
der Stadt Chemnitz realisiert. Die Messe
lädt zum Nachahmen und Weitermachen
ein und ist ein ermutigendes Beispiel für
die Möglichkeiten des Austausches und
der positiven Wirkungen von Begegnungen und dem persönlichen Kontakt von
Migrantinnen bzw. Migranten und Akteurinnen bzw. Akteuren des Arbeitsmarktes
und der Verwaltung.
Die Integrationsmesse soll zukünftig
jährlich in Chemnitz organisiert und
durchgeführt werden.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Die Ämter der Beauftragten sind sehr unterschiedlich ausgestaltet. Einige Beauftragte
sind dem Landrat oder dem Oberbürgermeister zugeordnet, wieder andere werden vom
Kreistag gewählt oder haben keine genaue
administrative Zuordnung. Unterschiedlich
ist auch ihr Budget – während einige Beauftragte mit ihrem Budget maßgeblich zur Gestaltung der Interkulturellen Woche beitragen, haben andere schon Probleme damit,
ihre Reisekosten erstattet zu bekommen.
Solche Arbeitsbedingungen sind vor allem
im ländlichen Raum eine große Herausforderung. Anders als in den Städten erfordert
die Arbeit in den Landkreisen eine besonders
hohe Mobilität. Außerdem gibt es noch immer wenige Migrantenorganisationen oder
Migrantenbeiräte, die als Partner eine kooperative Integrationsarbeit mitgestalten könnten.
Die sozialräumlichen Bedingungen im Ländlichen erschweren auch die effektive Vernetzung der vorhandenen Integrationsakteure.
Gleichzeitig ist die Arbeit der Beauftragten
vor allem dort von herausragender Bedeutung.
Die geringen Ausländerzahlen gehen gewissermaßen Hand in Hand mit Fremdenskepsis
und Ausländerfeindlichkeit. Der Skepsis
gegenüber den »Fremden« kann man aber
am besten damit begegnen, dass Kontakte
und Möglichkeiten entstehen, Menschen aus
anderen Kulturen kennenzulernen.
»In den Köpfen und Herzen muss
klar sein: Rechtsextremismus,
Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit haben in Sachsen keinen Platz!« aus
der Neujahrsansprache des sächsischen
Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich 2013
Offene Ausländerfeindlichkeit findet weniger Nahrung, wenn sich auch in den Regionen, in denen nur wenige Migranten leben,
Vereine und Institutionen dem Thema
113
interkulturelle Öffnung stellen und mit
konkreten Projekten für das respektvolle Miteinander eintreten. Veranstaltungen rund
um die Interkulturelle Woche können dafür
einen Anfang darstellen.
Die kommunalen Beauftragten werden auf
Grundlage der Sächsischen Landkreisordnung (§ 60) bzw. der Sächsischen Gemeindeordnung (§ 64) zur Wahrung der Belange der
im Landkreis lebenden Ausländer bestellt. Ob
sie haupt- oder ehrenamtlich sind, bleibt den
Kreisen bzw. Kreisfreien Städten überlassen.
Austausch mit dem Sächsischen
Staatsministerium für Soziales und
Verbraucherschutz
Das »Gesetz über den Sächsischen Ausländerbeauftragten« sieht die regelmäßige Zusammenarbeit mit den KAIB und die Unterstützung der in Sachsen tätigen Beauftragten
vor. In regelmäßigen Treffen informieren
wir diese über aktuelle Entwicklungen und
Vorhaben auf landespolitischer Ebene sowie
über die Projekte des Sächsischen Ausländerbeauftragten. Außerdem nutzen wir
die Treffen, um die KAIB im gegenseitigen
fachlichen Austausch zu unterstützen.
114
Im Mittelpunkt des Treffens am 25.04.2012
stand das Sächsische Zuwanderungs- und
Integrationskonzept (ZIK). Es wurde von der
Abteilungsleiterin Regina Kraushaar und
dem Referatsleiter Karl Bey vom Sächsischen
Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz vorgestellt, die besonders auf die
Implikationen des Konzeptes für die Arbeit
der KAIB eingingen.
In diesem Zusammenhang betonten sie,
die Staatsregierung begrüße die Ausweitung
der Hauptamtlichkeit der Beauftragten und
unterstütze die KAIB, weil sie entscheidende
Partner für eine gelingende Integrationsarbeit vor Ort seien.
Die Staatsregierung gehe davon aus, dass
die Beauftragten einen wichtigen Beitrag für
die Umsetzung des ZIKs leisten, zum Beispiel
bei der Erstellung regionaler Gesundheitswegweiser, beim Integrationsmonitoring
oder bei der interkulturellen Öffnung der
Verwaltungen. Als Multiplikatoren trügen die
Beauftragten maßgeblich dazu bei, eine Willkommenskultur in der Mehrheitsgesellschaft
zu verankern.
Allerdings sei diese Aufgabe nicht von
ihnen allein zu bewältigen. Dazu brauche
es Unterstützung von den Landkreisen und
Städten.
Rechtlich sollten Daueraufenthaltsberechtigte nicht in die Integrationsmaßnahmen einbezogen werden. Im praktischen
Leben gehe es weniger um derartige formale
Aspekte. Ziel sei vielmehr ein konstruktives
Zusammenleben aller Menschen im Gemeinwesen. »Willkommenskultur ist nicht abhängig vom Aufenthaltsstatus«, so Kraushaar.
Eine stärkere Vernetzung der Integrationsakteure soll die Willkommenskultur in
Sachsen voranbringen. Außerdem solle die
dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden gefördert werden.
Die Beauftragten nutzten die Gelegenheit
für einen intensiven Austausch und gaben
Anregungen. Sie lobten, dass bei der ErstelJahresbericht 2012
lung des Konzeptes zu Beginn Migrantenvertreter und Integrationsakteure einbezogen
waren. Kritisch wurde angemerkt, dass die
Endfassung des Konzeptes jedoch ohne deren Beteiligung erstellt wurde. Das Sächsische
Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz verdeutlichte, dass der Dialog
zum Konzept keineswegs beendet sei und
kündigte an, es auch in den Landkreisen und
Kreisfreien Städten vorzustellen und zu erörtern. Der Sächsische Ausländerbeauftragte
betonte nochmals, das Ziel eines Integra-
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
tionskonzeptes müsse die angemessene gesellschaftliche Inklusion aller Migranten sein,
unabhängig davon, ob sie Eingebürgerte,
Spätaussiedler, Daueraufenthaltsberechtigte,
Fachkräfte, Forscher oder Flüchtlinge sind.
Das Thema der sozialen Inklusion von
Asylsuchenden war ein Schwerpunkt der Zusammenarbeit der Beauftragten im Jahr 2012.
Zwei weitere Treffen wurden von den Beauftragten dafür genutzt, eine Orientierungshilfe
für Asylsuchende zu erarbeiten. Mehr zum
Thema Inklusion finden Sie im 2. Kapitel.
115
5.3
Netzwerke auf Bundesebene:
Für Partizipation und Integration
Der Bundeszuwanderungs- und
Integrationsrat: Sachsen vertreten!
Die jährliche Mitgliederversammlung des
Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates
(BZI) fand 2012 in Dresden statt. Die Delegierten wählten den Saarlouiser Giuseppe
Schillaci zum neuen Vorsitzenden und
Marc Lalonde aus Dresden neu in den
Vorstand des BZI.
Die Dresdner Oberbürgermeisterin Helma
Orosz und der Sächsische Ausländerbeauf-
116
tragte Martin Gillo begrüßten die Delegierten
in Dresden und dankten ihnen für ihr Engagement. Helma Orosz ging in ihrer Begrüßung darauf ein, dass sie sich auch weiter für
ein gelingendes interkulturelles Miteinander
in der Landeshauptstadt Sachsens einsetzen
wird. Dresden wehre sich gegen Intoleranz,
Diskriminierung und Menschenverachtung.
einer gelebten weltoffenen Stadt wird, in der
sich Ausländerinnen und Ausländer und
Menschen mit Migrationshintergrund wohl
und zu Hause fühlen.«
Martin Gillo betonte, entscheidend sei
nicht die Herkunft, sondern dass man sich
gemeinsam engagiere. Die Basis für ein
konstruktives
Zusammenleben seien
gegenseitiger
Respekt und
gemeinsame
Ziele. Deshalb,
so Gillo, sollten
wir mehr darüber reden, was
uns verbindet,
als darüber,
was uns unterscheidet. Er
gratulierte Marc Lalonde zu seiner Wahl
in den Bundesvorstand und erhoffte sich
davon eine Stärkung der sächsischen Migrantenbeiräte. Marc Lalonde ist gebürtiger
Kanadier und lebt seit 1997 in Dresden. Er
engagiert sich seit vielen Jahren für die
Rechte der hierlebenden Migranten, ist seit
2012 Vorsitzender des Ausländerbeirats
Dresden und Koordinator des Sächsischen
Migrantenbeirats.
Der BZI ist ein Zusammenschluss von
Landesarbeitsgemeinschaften und einzelner
kommunaler Ausländer-, Integrations- und
Migrantenbeiräte. Er vertritt über 400 Beiräte
in ganz Deutschland, ist Ansprechpartner der
Bundesregierung, des Deutschen Bundestages und des Bundesrates und arbeitet mit
verschiedenen Organisationen auf Bundesebene zusammen.
Die Bundeskonferenz der Integrationsund Ausländerbeauftragten des Bundes,
der Länder und Kommunen
Die Bundeskonferenz im Jahr 2012 stand unter dem Motto »Von Projekten zu dauerhaften
Strukturen – Integration vor Ort«. Zur Veranstaltung, die von Prof. Dr. Maria Böhmer,
Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin
und Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, organisiert wird, trafen sich die Integrations- und Ausländerbeauftragten von
Bund, Ländern und Kommunen am 21. und
22.05.2012 in Wiesbaden.
Böhmer betonte zum Auftakt der Veranstaltung, dass Integration nachhaltiger gestaltet werden müsse. Sie plädierte für
einen Paradigmenwechsel: von der Projektförderung hin zu den Regelangeboten.
Die Studie »Stand der kommunalen
Integrationspolitik in Deutschland«8 hätte
erfreulicherweise gezeigt, dass immer mehr
Kommunen Integration zur »Chefsache« machen würden. Zudem wird Integration immer
öfter als Querschnittsaufgabe in der Verwaltung verankert: von der Altenhilfe bis zur
Kinderbetreuung. Sie formulierte das klare
Ziel, mehr Menschen aus Zuwandererfamilien für den öffentlichen Dienst zu gewinnen.
Die Bundeskonferenzen finden jährlich
statt und bieten den Beauftragten der Kommunen, Landkreise und Länder Gelegenheiten zum Erfahrungsaustausch und zum
gegenseitigen Lernen.
8 »Stand der kommunalen Integrationspolitik in
Deutschland« Studie des Instituts für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI)
erstellt für das Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung und die Beauftragte
der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge
und Integration, April 2012
»Mit Ausdauer, Hartnäckigkeit, Engagement
und Vertrauen werden wir auch in den nächsten Jahren daran arbeiten, dass Dresden zu
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
117
Staatsministerin
Maria Böhmer,
Beauftragte
der Bundesregierung für
Migration,
Flüchtlinge
und Integration
»Wir brauchen mehr Migranten als Erzieherinnen, als Lehrkräfte, bei der Polizei,
der Feuerwehr und in den Verwaltungen.
Angesichts der wachsenden Vielfalt sind
Migranten wichtige Brückenbauer! Vorfahrt für bessere Chancen von Migranten
auf gleiche Teilhabe. Nur so kann sich
ein Wir-Gefühl von allen Menschen in
unserem Land entwickeln – unabhängig
von ihrer Herkunft.«
Die Konferenz der Integrations- und
Ausländerbeauftragten der Länder
Auch diese Gruppe trifft sich jährlich, um
bundesweit relevante Themen und Trends
zu diskutieren. Die Bundesbeauftragte für
Migration, Flüchtlinge und Integration Maria
Böhmer informiert bei diesen Treffen regelmäßig über Initiativen der Bundesregierung
in den Bereichen Integration. Die Länderbeauftragten präsentieren eigene Initiativen
und werben für Unterstützung bei ihren Länderkollegen und bei der Bundesregierung.
Bei der Jahreskonferenz im Dezember in
Magdeburg brachten wir den Vorschlag ein,
den Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende
zu erleichtern und griffen damit einen Vorschlag wieder auf, den Wolfgang Schäuble
118
bereits 2006 als damaliger Bundesinnenminister gemacht hatte. Bisher begünstigen wir
mit verordneter Untätigkeit Verhaltensmuster,
die wir später kritisieren. Viele Flüchtlinge
bringen Potentiale mit, die sie in unsere Gesellschaft einbringen wollen. Wir sind überzeugt, dass wir als Gesellschaft davon profitieren, wenn wir ihre Partizipationsmöglichkeiten in verschiedenen gesellschaftlichen
Bereichen ermöglichen bzw. erleichtern.
Am Ende der Konferenz sprachen sich die
Integrations- und Ausländerbeauftragten der
Länder dafür aus, dass alle in der Bundesrepublik Deutschland sich legal aufhaltenden
und geduldeten Ausländern nach sechs
Monaten Aufenthalt in Deutschland Zugang
zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen und
Deutsch lernen dürfen. Die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit soll aktiv gefördert, gefordert
und vorbereitet werden, insbesondere durch
Zugang zu Deutschkursen von Anfang an.
Die Konferenz der Integrations- und
Ausländerbeauftragten der neuen
Bundesländer
Auch die Beauftragten der neuen Bundesländer treffen sich regelmäßig und pflegen einen
engen Austausch über die besonderen Herausforderungen in diesen Ländern. Die Zahl
der Migranten, die in den neuen Bundesländern leben, liegt weit unter dem Bundesdurchschnitt. Auch die Herkunftsländer und
die Bildung unterscheiden sich grundlegend:
Die größten Gruppen kommen aus Vietnam
und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
Außerdem haben die hier lebenden Migranten überproportional häufiger gute ausländische Berufs- und akademische Abschlüsse
mitgebracht.
Diese gemeinsamen Besonderheiten stellen die Beauftragten der neuen Länder vor
gemeinsame Herausforderungen. Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse
Jahresbericht 2012
und ihre tatsächliche Integration in den Arbeitsmarkt ist eine davon. Auch hier lohnt
sich die Arbeit in Netzwerken – organisationsund teilweise auch länderübergreifend.
Gleiches gilt für die besondere Herausforderung, eine Willkommensgesellschaft zu
entwickeln. Fremdenskepsis und Fremdenfeindlichkeit gedeihen dort am besten, wo es
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
am wenigsten Fremde gibt. Wie also kann man
die Kontakte zwischen Einheimischen und
Zuwanderern intensivieren, wie kann man
Möglichkeiten zur persönlichen Begegnung
schaffen, damit Vorurteile abgebaut werden
können? Zu diesen Fragen tauschen wir Erfahrungen und gute Beispiele aus und unterstützen uns durch die gemeinsame Arbeit.
119
6. Begegnungen schaffen:
Die Interkulturelle
Woche 2012
Wir haben 2012 mit einer Reihe von Unternehmern gesprochen, die ausländische Fachkräfte in ihrem Unternehmen beschäftigen.
Wir haben sie auch gefragt, was wir tun können, um eine echte Willkommensgesellschaft
zu werden, in der sich Zuwanderer wohl
und geschätzt fühlen. Ein Interviewpartner
brachte es auf den Punkt: »Wen man kennt,
den schlägt man nicht.« Wofür er plädierte,
war klar: Wir sollten Möglichkeiten der Begegnung zwischen Einheimischen und Zuwanderern schaffen, damit sich Menschen
kennenlernen können. Vorurteile lassen sich
so am besten abbauen, Freundschaften und
Respekt am besten aufbauen.
Eine Veranstaltungsreihe, die sich dieses
Rezept auf die Fahnen geschrieben hat,
ist die Interkulturelle Woche. Jedes Jahr im
September findet sie bundesweit statt. Sie ist
eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz, des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland und der Griechisch-Orthodoxen
Metropolie. Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Kommunen, Migrationsbeiräte,
Integrationsbeauftragte und zahlreiche
Gruppen und Vereine wirken unterstützend
mit. Lebendig wird die Woche aber durch
die Begegnungen vor Ort.
120
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Die Interkulturelle Woche wurde ursprünglich als »Tag des ausländischen
Mitbürgers« ins Leben gerufen. Man
wollte darauf aufmerksam machen, dass
ausländische Arbeitskräfte eben nicht
nur Arbeitskräfte waren und sind, sondern Menschen mit eigenen Lebensentwürfen und Bedürfnissen. Dafür fehlten
danach sowohl politische Antworten als
auch soziale und gesellschaftliche Angebote. Aus dieser Situation heraus wurden
gesellschaftliche Diskussionen und Entwicklungen angestoßen, die bis heute
wirken. Schon in den siebziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts bezeichneten
die Initiatoren der Interkulturellen Woche
Deutschland als Einwanderungsland.
1980 wurde der Begriff der multikulturellen Gesellschaft als These veröffentlicht.
Bis heute finden sich beide Aspekte in
der politischen Auseinandersetzung.
Ziel der Interkulturellen Woche ist das
Werben für bessere politische und rechtliche Rahmenbedingungen des Zusammenlebens von Deutschen und Zugewanderten. Persönliche Begegnungen
zwischen Deutschen und Zugewanderten
sollen das gegenseitige Verständnis
fördern und Vorurteile abbauen.
121
Die Interkulturelle Woche 2012 stand unter
dem Motto »Herzlich willkommen – wer immer Du bist«. Die Kirchen betonen in ihrem
Gemeinsamen Wort zur Interkulturellen
Woche 2012: »Wer nach Deutschland einreist – sei es auf der Flucht vor existenziell
bedrohlicher, politischer, religiöser oder
ethnischer Verfolgung, sei es als Arbeitsmigrantin oder Arbeitsmigrant –, soll erfahren,
dass eine andere Kultur oder Religion als
Ausdruck von Identität und Persönlichkeit
akzeptiert wird.«
Bundesweit beteiligten sich etwa
500 Städte und Gemeinden mit weit mehr
als 4.500 Veranstaltungen an der Interkulturellen Woche. Getragen wurden die Programme von Gruppierungen vor Ort, in
denen Kirchgemeinden, Kommunen, Migrantenorganisationen, Wohlfahrtsverbände,
Gewerkschaften, Vereine und Initiativen
und viele Einzelpersonen vertreten sind.
Auch in Sachsen fanden eine Vielzahl
von Veranstaltungen im Rahmen der Interkulturellen Woche statt. Wir haben an zahlreichen ganz unterschiedlichen Ereignissen
teilgenommen und mitgewirkt.
Dabei stellten wir unter anderem fest,
dass sich unsere Gesellschaft im Wandel hin
zu einer offenen und menschlichen Willkommensgesellschaft in einem Land der Vielfalt
befindet. Alle, die hier leben, müssen nach
unserer Überzeugung an der Gesellschaft
teilhaben – angefangen mit der gemeinsamen
Sprache, über Schule und Arbeit, bis hin
zum alltäglichen Lebensumfeld in Nachbarschaft, Verein und Ehrenamt. Wir riefen
alle dazu auf, in diese bunte Zukunft aufzubrechen, hin zu gelebter Einheit in Vielfalt.
Dabei durften wir eine unglaubliche
Begeisterung für die zentralen Anliegen der
Interkulturellen Woche erleben. Auch wir
haben über Begegnungen mit interessanten,
ganz verschiedenen Menschen unseren
Horizont erweitert und sind noch neugieriger
geworden. Ein ganz großes Kompliment und
122
ein herzlicher Dank an alle, die sich beteiligt
haben. Ohne Sie wäre die Interkulturelle
Woche ohne Inhalt geblieben. Sie haben
geholfen, unser Land Sachsen aufgeschlossener und bunter zu machen. Bitte tun Sie
das weiterhin, wir freuen uns über Sie und
auf die Begegnung mit Ihnen.
Auf den folgenden Seiten erwartet Sie
ein Streifzug durch verschiedene Veranstaltungen der Interkulturellen Woche 2012 in
Sachsen – in der überwiegenden Mehrzahl
geschrieben von den kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten Sachsens.
Anna PietakMalinowska,
hauptamtliche
kommunale
Ausländerbeauftragte des
Landkreises
Bautzen
»Perspektiven für migrantische
Kinder und Jugendliche«
Bereits zum dritten Mal fand dieses Jahr
vom 21. bis 28.09.2012 die Interkulturelle
Woche 2012 im Landkreis Bautzen statt.
Den inhaltlichen Schwerpunkt bildeten
erneut das Kennenlernen verschiedener
Kulturen und die Begegnung mit Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Projekte und Veranstaltungen
zahlreicher Vereine und Organisationen
wurden diesem Ziel folgend initiiert und
erfreuten sich bei den Besuchern großer
Beliebtheit. Ein großer Dank geht an alle
Beteiligten, Unterstützer und Helfer, die
zum Gelingen beigetragen haben!
Jahresbericht 2012
Höhepunkte der diesjährigen Interkulturellen Woche waren unter anderem die
Eröffnungsveranstaltung im Stadttheater
Kamenz, ein integratives Sportfest, ein
»Tag der Begegnung slawischer Nachbarkulturen« sowie ein »Markt der Möglichkeiten« in Bautzen.
Bereits zum dritten Mal beteiligte sich
beispielsweise das Jobcenter Bautzen gemeinsam mit verschiedenen Partnern an
der Interkulturellen Woche. Über die Möglichkeiten der Förderung für Personen mit
Migrationshintergrund informierten die
Mitarbeitenden am 26.09.2012 in Bautzen
und Kamenz mit erfreulich großer Resonanz. Interessierte aus unterschiedlichen
Herkunftsländern und Bürger, die sich in
der Migrantenberatung und -förderung
haupt- bzw. ehrenamtlich engagieren,
waren zu Gast. Das Hauptaugenmerk der
Veranstaltung lag in diesem Jahr bei speziellen Fördermöglichkeiten für Kinder
und Jugendliche aus anderen Ländern.
Zentrale Themen waren:
• das Sächsische Bildungssystem
• zusätzlicher Unterricht »Deutsch als
Zweitsprache« an den Schulen durch
Muttersprachler
• Anerkennung von ausländischen
Schul- und Berufsabschlüssen
• Fördermöglichkeiten im Rahmen
des Bildungs- und Teilhabepaketes
• Leistungen zur Eingliederung in
Ausbildung
• und Arbeit nach dem SGB II.
Informationsmaterialien in unterschiedlichen Sprachen wie beispielsweise
Russisch, Türkisch, Englisch, Arabisch
oder Vietnamesisch unterstützten die
Erläuterungen.
Eine weitere interessante Veranstaltung der diesjährigen Interkulturellen
Woche war ein Forum im Sakralmuseum
St. Annen in Kamenz. Organisiert von der
Kirchgemeinde, verschiedenen Organisaw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
tionen und der Kommune kamen Kamenzer und Kamenzerinnen unterschiedlicher Herkunft ins Gespräch. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand, dem Lebensgefühl migrantischer Mitbürgerinnen
und Mitbürger eine Stimme zu geben und
für ein Miteinander und Untereinander zu
sensibilisieren.
Gurjit Singh, Betreiber eines indischen
Restaurants in Kamenz, antwortete auf
die Frage nach seiner Beurteilung des
Streites um Kulturen und Religionen:
»Wenn alle Menschen in der Welt nach
den Regeln und Geboten ihrer Religionen
leben würden, dann gäbe es keine Kriege.«
Jerzy Timm, polnischer Bauunternehmer,
lebt seit 1982 in Sachsen und bezeichnet
sich als gelernten DDR-Bürger. Seine beschwerlichen Erfahrungen mit der Bürokratie konnten von Prof. Dr. Gillo bestätigt
werden. Er berichtete vom langen Weg,
ausländische Abschlüsse anzuerkennen.
Tilo Moritz vom Kamenzer Bündnis für
Toleranz und Koordinator im TrägerverBUNT: »Eine Willkommenskultur unterteilt nicht in nützliche und unnütze Gäste.«
Daran schloss auch Prof. Dr. Gillo an:
»Wir sollten lernen, was uns verbindet,
was uns vereint. Deutschland will Friedensstifter in der Welt sein. Beginnen wir
im eigenen Land.«
123
Etelka Kobuß,
hauptamtliche
kommunale
Ausländerbeauftragte der
Stadt Chemnitz
»Zukunft durch Vielfalt«
Chemnitz ist eine 100-Nationen-Stadt. Wie
bereichernd dies sein kann, wollten Veranstalter und Mitwirkende mit einem vielfältigen Programm der Interkulturellen
Wochen vom 22.09. bis 07.10.2012 in Chemnitz aufzeigen. Eines der zentralen Anliegen
ist es, durch Information sowie persönliche Kontakte und Gespräche ein besseres
gegenseitiges Verständnis zu entwickeln
und zum Abbau von Vorurteilen zwischen
Migrantinnen und Migranten und der
Mehrheitsgesellschaft beizutragen.
Der Chemnitzer Neumarkt wurde seit
2005 auch in diesem Jahr mit der feierlichfröhlichen Auftaktveranstaltung zu den
Interkulturellen Wochen am 22.09.2012, für
einen Tag ein bunter Treffpunkt des internationalen Chemnitz. Die zentrale Verortung entfaltete auch dieses Jahr wieder ihre
gewünschte Wirkung: Statt ausschließlich
Insider waren plötzlich ganz verschiedene
Chemnitzerinnen und Chemnitzer da.
Offiziell stand die diesjährige »Interkulturelle Woche« in Chemnitz unter dem
Motto »Zukunft durch Vielfalt«. Sie wurde
von der Oberbürgermeisterin der Stadt
Chemnitz, Barbara Ludwig, als Schirmherrin und dem Sächsischen Ausländerbeauftragten, Professor Dr. Martin Gillo,
eröffnet.
124
Anschließend luden die AG In- und Ausländer e. V. gemeinsam mit Chemnitzer
Schulen zu einem Vorprogramm und ab
13 Uhr etwa 50 Vereine, Institutionen und
Organisationen zu einer Tagesreise um
die Welt ein. An zahlreichen Info-Ständen
konnten die Besucherinnen und Besucher internationale, landestypische Produkte und kulinarische Leckereien probieren – und vor allem Land und Leute
in persönlichen Begegnungen kennen
lernen. Auch diesmal hatten wir uns
etwas Besonderes ausgedacht. Die Initiativgruppe »save me« und der Sächsische
Flüchtlingsrat haben gemeinsam ein
Flüchtlingszelt inklusive Ausstattung
und Informationen aufgebaut, um auf
die Notlage der Flüchtlinge weltweit aufmerksam zu machen.
Das Bühnenprogramm auf dem Neumarkt war wieder so vielfältig wie seine
Künstlerinnen und Künstler: Laiendarstellende hatten ein Programm mit afrikanischen Rhythmen, orientalischen Tänzen
und asiatischen Klängen einstudiert, die
Menschen verschiedener Nationalitäten,
Kulturen und Religionen zusammen führen sollen. Mit den Interkulturellen Wochen bekamen Bürgerinnen und Bürger
Einblicke in den Alltag anderer Kulturen
vor allem durch die persönlichen Begeg-
nungen. Sie wurden gleichzeitig sensibilisiert für Lebenswege von Menschen, die
aus anderen Teilen der Welt nach Chemnitz kommen. So sollen die Veranstaltungen auch zu einer Entwicklung der demokratischen Gesamtkultur und zum Abbau
von Rechtsextremismus und Rassismus
beitragen. Insgesamt war diese Auftaktveranstaltung sehr gelungen. Der Eröffnung folgten zwei »Interkulturelle Wochen« in Chemnitz voller verschiedener
Angebote und Veranstaltungen wie Ausstellungen, Konzerte, informative Abende
oder Vorträge und Veranstaltungen, die
dem gegenseitigen Kennenlernen und
der Begegnung gewidmet waren.
Dr. Uta Kruse,
hauptamtliche
kommunale
Integrationsund Ausländerbeauftragte der
Stadt Dresden
»Buntes – nicht nur auf der Straße«
»Herzlich willkommen – wer immer Du
bist« – So lautete das Motto der Interkulturellen Woche 2012 in über 450 Städten
und Gemeinden der Bundesrepublik
Deutschland. Auch die 22. Interkulturellen Tage in Dresden vom 23.09. bis
07.10.2012 standen unter diesem Motto.
Dieses Motto soll nicht nur für die Interkulturellen Tage gelten, sondern an jedem
Tag im Jahr, in unserer Stadt Menschen
aus aller Welt willkommen heißen. Ob
sie von Dresden als Forschungsstandort
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
angezogen werden, hier Schutz vor Verfolgung und eine neue Heimat suchen,
oder andere Beweggründe haben, ist
gleich viel wert.
Im Auftrag der Integrations- und Ausländerbeauftragten der Landeshauptstadt
Dresden, Frau Dr. Uta Kruse, koordinierte
der Ausländerrat Dresden e. V. die 72 verschiedenen Veranstaltungen.
64 Migrationsvereine und Initiativen
präsentierten sich und boten Einblicke in
das Leben ihrer Herkunftskultur und auch
in ihr Leben hier in Dresden. So gab es
verschiedene Ausstellungen, Lesungen,
Konzerte, Tanzdarbietungen, Filmvorführungen und vieles mehr, die Dresden als
»Ort der Vielfalt« bestätigen und Anregungen zu neuen Perspektiven bieten.
Die Interkulturellen Tage in Dresden
beinhalten jedes Jahr Höhepunkte, so
die Eröffnungsveranstaltung mit dem
Ratsschmaus der Oberbürgermeisterin,
das Interkulturelle Straßenfest, ein Familiensportfest und die Abschlussveranstaltung. Die Eröffnungsveranstaltung fand
eine große Resonanz, der Clara-Schumann-Saal im Kulturrathaus mit seinen
200 Sitzgelegenheiten war bis auf fünf
Plätze gefüllt.
Insbesondere das Straßenfest am
29.09.2012 auf dem Jorge-Gomondai-Platz
ist der Beweis, dass Dresden international
und bunt ist. Das Miteinander der vielen
Vereine und Gruppen, Verbände und Religionsgemeinschaften, die mit viel Spaß und
großem Engagement das bunte Bühnenprogramm gestalteten und ihre Herkunftsländer vorstellten, bot den Gästen die
Möglichkeit, Neues zu entdecken und so
noch bestehende Barrieren zu überwinden.
Etwa 800 von ca. 1.000 Personen, die
über die Straßenmeile gelaufen sind, haben das Straßenfest besucht. Spielangebote für Kinder, Kreativangebote an den
über 36 Ständen von unterschiedlichen
125
Vereinen und internationale Köstlichkeiten fanden vor allem bei Familien mit
Kindern großen Zuspruch.
Das vom Verein der Vietnamesen organisierte Vollmondfest (in Asien ein großes
Fest) wurde mit ca. 200 Gästen gefeiert.
Am Tag der Deutschen Einheit hatten
alle drei muslimischen Gemeinden ihre
Häuser für interessierte Besucherinnen
und Besucher geöffnet. Die Resonanz
auf die Einladung mit Hilfe einer bundesweiten Medienkampagne war sehr groß.
Die Abschlussveranstaltung der Interkulturellen Tage 2012 am 07.10.2012 entführte die Besucherinnen und Besucher
in den »Indischen Monsunzauber«. Der
Verein SANSKRITI e. V. bot neben indischer Folklore auch moderne Bollywoodmusik und kulinarischen Genuss.
Stojan
Gugutschkow,
Referat für
Migration und
Integration und
hauptamtlicher
Ausländerbeauftragter der
Stadt Leipzig.
»Ein bunter Teller«
Das Motto der diesjährigen Interkulturellen
Wochen in Leipzig rückte die Weltoffenheit
und gute Nachbarschaft in den Mittelpunkt. Die Interkulturellen Wochen Leipzig
begannen offiziell mit dem Ökumenischen
Eröffnungsgottesdienst am 24.09.2012
um 17 Uhr in der Nikolaikirche. An der
Gestaltung beteiligten sich Angehörige
verschiedener christlicher Gemeinden.
126
Bereits am Vormittag dieses Tages eröffnete der US-Generalkonsul in Leipzig,
Mark J. Powell, im Neuen Rathaus die
Foto-Ausstellung »Moscheen in den USA
und Kanada«. Der Sächsische Ausländerbeauftragte, Prof. Dr. Martin Gillo,
benannte in seinem Grußwort den interreligiösen Dialog und den Respekt vor
allen Religionen als wichtige Anliegen
der Interkulturellen Wochen.
Ein weiterer Höhepunkt war das Interkulturelle Aktionszelt auf dem Augustusplatz mitten in der Stadt. Dieses Aktionszelt wollte eine Gelegenheit bieten, mit
Migrantinnen und Migranten und ihren
Organisationen direkt ins Gespräch zu
kommen. Großes Interesse des Laufpublikums fanden vor allem die Darbietungen
verschiedener Vereine im Rahmen des
Programms »Integration durch Sport«
des Landessportbundes Sachsen e. V..
Der Interkulturelle Frauentreff des
Mütterzentrums e. V. Leipzig veranstaltete
ein großes Interkulturelles Familienfest
mit Liedern, Spielen und Geschichtenerzählenden. Viele Kinder, Eltern und Großeltern, ob mit binationalem, deutschem
oder migrantischem Hintergrund folgten
der Einladung gern und erlebten gemeinsam ein rundum gelungenes Fest.
Eigens für die Interkulturellen Wochen
gab es sowohl eine Führung durch das
Asisi-Panometer in Leipzig als auch eine
Premiere im Spinnwerk – dort erlebte das
Publikum im ausverkauften Saal das Stück
»Biskra. On Stage« über das Schicksal eines
jungen Algeriers, der nach dem Mauerbau
in Deutschland eine Familie gründet.
Feste Bestandteile der Interkulturellen
Wochen in Leipzig waren auch in diesem
Jahr der Tag der offenen Moschee und
das Interkulturelle Fest »Einheit in
Vielfalt«, zu denen die Leipzigerinnen
und Leipziger am 03.10.2012 eingeladen
waren.
Jahresbericht 2012
Insgesamt hielt das Programm bis zum
07.10.2012 rund 130 Veranstaltungen bereit.
Zu den Angeboten gehörten Podiumsdiskussionen, Filme, Konzerte, religiöse
Feiern, Ausstellungen, sportliche Aktivitäten und auch kulinarische Genüsse.
Beachtliche 90 Einrichtungen beteiligten
sich als Veranstaltende der Interkulturellen
Wochen Leipzig, unter ihnen Jugend- und
Kulturzentren, Vereine, städtische Ämter
und Einrichtungen, Unternehmen sowie
Religionsgemeinschaften. Schirmherr der
Interkulturellen Wochen war auch in diesem Jahr der Oberbürgermeister der Stadt,
Burkhard Jung.
Ilse Rose,
hauptamtliche
kommunale
Ausländerbeauftragte des
Landkreises
Mittelsachsen
»Willkommen in Mittelsachsen!«
In unserem Landkreis organisierten auch in
diesem Jahr anlässlich der Interkulturellen Woche neben der von der Kommune
organisierten Auftaktveranstaltung viele
Vereine, die sich mit dem Thema Integration und Migration beschäftigen, eigenverantwortlich Aktivitäten. Im Weiteren
schildere ich meine Eindrücke und die
Aktivitäten im Rahmen der Auftaktveranstaltung:
Der Auftakt der Interkulturellen Woche
2012 fand in diesem Jahr in der Großen
Kreisstadt Flöha unter dem Motto: »Willw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
kommen in Mittelsachsen – gemeinsam
für unsere Zukunft« statt. Aus allen Teilen
des Landkreises trafen in- und ausländische Gäste mit kostenfreien Bussen der
Regiobus Mittelsachsen GmbH in Flöha
ein. Unter ihnen befanden sich viele
Asylbewerberinnen und Asylbewerber
aus den drei Gemeinschaftsunterkünften.
Die Fahrten begleiteten Mitglieder des
Netzwerkes Migration Mittelsachsen und
des Sächsischen Migrantenbeirats. Auf
dem Weg nach Flöha wurden bereits Kontakte geknüpft, so dass die Gäste beim
Eintreffen fröhlich und guter Stimmung
waren. Dazu passte die Begrüßungsmusik
des ortsansässigen Blasorchesters.
Die Feierstunde wurde mit einem
Geigensolo der 13-jährigen Inka Marcas
Menz eröffnet. Zwischen den Redebeiträgen
spielte Nikita Dimidov, ein achtjähriger
Sohn einer Spätaussiedlerin, Akkordeon
und der Internationale Chor der Freiberger Agenda 21 e. V. gab Lieder aus seinem
reichhaltigen Repertoire zum Besten.
Frau Leeder-Kamanda trug das Gedicht
›Leisure‹ in der Sprache Krio – auf Deutsch
›Freizeit‹ – vor. Die Zuhörerinnen und
Zuhörer lauschten gespannt.
Als gutes Beispiel für Integration wurde
im Anschluss der Film mit dem Titel: »Du
und ich – wir« über das Leben des jungen
127
Inders Arun Sony, der in Burgstädt lebt
und arbeitet und zugleich in Chemnitz
studiert, gezeigt. Am Vortag kam er von der
»Lauf-Kultour« – dem längsten Staffellauf
einmal um Deutschland – mit neuen Eindrücken aus dem großen Deutschland
zurück. Mit Hilfe seines Arbeitgebers, der
Firma SensDev in Burgstädt, die in vorbildlicher Weise als Pate fungierte, fand er
Anschluss an das gesellschaftliche Leben
im Ort. So ist er aktiv im Laufverein e. V.,
spielt Tennis und singt im Kirchenchor
mit. In einem Kurzinterview machte er
deutlich, dass es wichtig ist, aufeinander
zuzugehen und nicht auf den 1. Schritt
des anderen zu warten.
Mit Hilfe des Paten und des gesamten
Arbeitsteams wurde die Brücke in das
Burgstädter Leben erleichtert, jedoch
diese zu nutzen lag allein bei ihm.
Als weiterer Höhepunkt wurden Aljin
Essu (Syrien), Michelle Bauer (Deutschland) und Dang Ngoc Minh (Vietnam) für
ihre Beiträge am Schreibwettbewerb »Jugend schreibt – Erzähl deine Geschichte
von den Begegnungen und Erlebnissen
mit Menschen anderer Nationalitäten«,
ausgezeichnet.
Nach der Feierstunde konnten persönliche Wünsche für ein friedliches Miteinander an Luftballons angebracht und in
den Himmel geschickt werden. Viel Freude
bereiteten auch die Stadtrundfahrten mit
einem Oldtimerbus, die mit südamerikanischer Musik aus den Anden, gespielt
von der Familie Marcas Menz aus Falkenberg, begleitet wurden.
Selbst die Jugendfeuerwehr Flöha
lockte interessierte Jugendliche, die
sich die Technik eines Löschfahrzeugs
erklären ließen. Die Kinder nutzten die
Gelegenheit, an einer Malwand des Jugendzentrums Ufo e. V. Flöha, Symbole
für eine gemeinsame Zukunft farblich
zu gestalten.
128
Mit Gesprächen bei türkischen Dönern,
russischen Piroggen, deutschen Brötchen
und selbstgebackenen internationalen
Kuchen klang der Nachmittag aus. Besonders wichtig war, dass Akteure aus
vielen unterschiedlichen Städten und Gemeinden des Landkreises diese Veranstaltung vorbereiteten und aktiv an ihr teilnahmen. Ich freue mich auf die nächsten
Interkulturellen Wochen!
Heidrun Weigel,
ehrenamtliche
kommunale
Beauftragte für
Migration und
Integration
des Landkreises
Sächsische
Schweiz –
Osterzgebirge
»Hallo Nachbar«
Zum achten Mal fand das beliebte Nachbarschaftsfest »Hallo Nachbar« am 29.09.2012
im Rahmen der Interkulturellen Woche in
der großen Kreisstadt Freital statt. Während das Fest in den ersten Jahren in verJahresbericht 2012
schiedenen Stadtteilen stattfand, wird es
seit vier Jahren im größten Neubauviertel
der Stadt, in Freital-Zockerode, gefeiert.
Es stellt neben dem traditionellen Stadtfest auf dem Festplatz in Freital einen
weiteren gesellschaftlichen und kulturellen Höhepunkt für Einheimische und
Migranten in Freital und dem Landkreis
Sächsische Schweiz – Osterzgebirge dar.
Erstmals eröffnete Frau Köhler, Mitarbeiterin des »Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge« und Sprecherin des
»Netzwerkes Migration Freital«, die Veranstaltung bereits am Vormittag. Der
Oberbürgermeister, Herr Klaus Mättig,
und die Ausländerbeauftragte des Landkreises, Frau Heidrun Weigel, begrüßten
ebenfalls die zahlreich erschienen Gäste.
Den ganzen Tag gab es auf den zwei aufgebauten Bühnen ein buntes abwechslungsreiches Kulturprogramm für Jung
und Alt. Zu den Darbietenden gehörten
der beliebte »Meister Klecks« für die
Kinder, aber auch exotische Tänze mit
Schlangen und lustige Lieder waren zu
sehen und zu hören. Abgerundet wurde
das Ganze mit einem bunten Rahmenprogramm, wo sich an Infoständen verschiedene regionale Vereine und Institutionen
präsentierten. Hier konnte man sich über
gemeinnützige Arbeit, Aufgaben der Pflegedienste und andere Projekte informieren.
Für unsere Kleinen gab es kostenlose
Angebote wie Ponyreiten, Bogenschießen,
Schminken, Basteln und Klettern. Ein
internationales Catering mit Süßspeisen
und Getränken sorgten für das leibliche
Wohl. Im Nachbarschaftsgelände um den
Brunnen fanden ein Flohmarkt und ein
Kuchenbasar statt. Es wurden Eis- und
Salat-Spezialitäten angeboten.
Abgerundet wurde dieses interkulturelle
Straßenfest durch bewährte sportliche
Aktivitäten wie Volleyball- und Schachturniere, wo es im sportlichen Wettstreit
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
um den Pokal des Oberbürgermeisters
ging. Sportler des Vereins Zusammenleben e. V. waren diesmal die Sieger.
Das ganze Fest wird jedes Jahr von
einer Arbeitsgruppe vorbereitet, der
Vertreter aus folgenden Vereinen und
Organisationen angehören: Zusammenleben e. V., Jugendhilfestation Oppelschacht, das Netzwerk Migration Freital
und die Wohnungsgesellschaft
Freital (WGF).
Das tolle Wetter mit reichlich Sonnenschein trug bei der Veranstaltungsdurchführung noch einen letzten positiven
Akzent zum Gelingen des Festes bei,
sodass es für alle Teilnehmer und Organisatoren wieder ein sehr gelungener Höhepunkt im interkulturellen Leben der Stadt
Freital und ihrer Gäste gewesen ist.
Veronika
Glitzner,
hauptamtliche
kommunale
Ausländerbeauftragte des
Vogtlandkreises
»Voneinander lernen –
füreinander da sein«
»Herzlich willkommen – wer immer
Du bist«. Wer nach Deutschland einreist – sei es auf der Flucht vor existentiell bedrohlicher, politischer, religiöser
oder ethnischer Verfolgung, sei es als
Arbeitsmigrantin oder Arbeitsmigrant –,
soll erfahren, dass eine andere Kultur
oder Religion als Ausdruck von Identität
und Persönlichkeit akzeptiert wird.
129
Die Interkulturelle Woche wurde mit einem ökumenischen Gottesdienst in der
Katholischen »Herz – Jesu – Kirche« in
Plauen eröffnet. Der Erlös der Kollekte
kam dem Übergangswohnheim für Asylbewerberinnen, Asylbewerber und Geduldete in Plauen zu Gute. Für die Bewohnerinnen und Bewohner konnte ein defekter
Herd durch einen neuen ersetzt werden.
Herr Landrat Dr. Tassilo Lenk übernahm
zum 3. Integrationscup im Boxen wie bereits in den Jahren zuvor die Schirmherrschaft und stiftete vier Einzelpokale und
unterstützte finanziell die Veranstaltung.
Auch das Diskussionsforum »Integration« fand reges Interesse. Als Gast konnte
der Sächsische Ausländerbeauftragte,
Herr Prof. Dr. Martin Gillo, begrüßt werden. Er lobte die gute Integrationsarbeit
im Vogtlandkreis, die Aktivitäten der
Partner im Netzwerk »Migration«, die
Schulprojekte der Jugendmigrationsberatungsstelle des Diakonischen Werkes,
Stadtmission Plauen e. V. sowie die hervorragende Koordination und Durchführung von Integrations- und Sprachkursen.
Er wies auf die Orientierungsbroschüre
für Asylbewerbende hin, die zurzeit entwickelt wird und an der alle Ausländerund Integrationsbeauftragten der Städte
und Landkreise mitwirken.
Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen e. V. präsentierte eine interaktive Ausstellung mit dem Titel »Unterschiede, die
einen Unterschied machen« in der Sparkasse Vogtland in Plauen. Eröffnet wurde
diese Ausstellung durch den 1. Beigeordneten des Vogtlandkreises Herrn Rolf Keil.
Die Ausstellung irritiert bewusst viele gewohnte Sicht - und Denkweisen. Sie schlägt
eine Brücke zwischen Fachwelt und breiter Öffentlichkeit, indem sie die mitunter
komplexen Inhalte und Debatten erlebnisnah und anschaulich aufbereitet. Interessierte einheimische und zugewan-
130
derte Bürgerinnen und Bürger zeigten
Interesse und besichtigten die Ausstellung. Den Abschluss bildete der Workshop »Diskriminierung erkennen und handeln«. Er vermittelte praxisorientiertes
Wissen, konkrete Handlungsanleitungen
sowie Umsetzungsstrategien.
Der Interkulturelle Familientag am
26.09.2012 auf dem Altmarkt in Plauen
stand unter dem bundesweiten Motto
»Voneinander lernen – füreinander da
sein«, eine Initiative der »Aktion zusammen wachsen«. Er bildete den Höhepunkt
der Veranstaltungen: Die Gruppe Canto –
Social, drei chilenische Künstler aus Dresden, eröffneten mit sozialkritischer Musik
aus Lateinamerika das Bühnenprogramm. Tanz- und Showauftritte folgten.
Neben kulinarischen Angeboten aus
Russland, Ungarn, Iran und Deutschland
präsentierten sich die Netzwerkpartner
mit Info- und Kreativständen sowie
einer Street-Soccer-Anlage und einem
Sportmobil. Moderiert wurde der Interkulturelle Familientag durch Herrn
Andreas Bachmann.
»Herzlich willkommen – wer immer
Du bist.« Das ist eine starke Aussage auch
gegenüber aktuellen rassistischen und
rechtsextremistischen Gedanken. Wir
müssen jeder Äußerung von Menschenfeindlichkeit mit Zivilcourage entgegentreten!
Die interkulturellen Tage im Vogtlandkreis mit ihren zahlreichen Veranstaltungen sind jedes Jahr ein lebendiges Zeichen
dafür, dass wir uns auf einem guten Weg
zu einer echten Willkommenskultur befinden.
Jahresbericht 2012
Birgit Riedel,
hauptamtliche
kommunale
Ausländerbeauftragte
des Landkreises
Zwickau
»Sind wirklich alle willkommen?«
»Herzlich willkommen – wer immer Du
bist« lautet das diesjährige Motto der
Interkulturellen Woche. Angesichts des
fremdenfeindlichen Überfalls im August
auf mehrere Ausländer vor einem Tanzlokal in Zwickau können das die Opfer der
Gewalttaten wohl nicht sagen! Und sagen
wir es? Meinen wir es wirklich ehrlich damit? Bei genauer Betrachtung ist dieses
Motto mehr als provokativ. Wer ist heute
wirklich willkommen? Wer ist integrativer
Bestandteil der Bevölkerung, ausgestattet
mit allen Möglichkeiten der Mitgestaltung?
Ob kommunales Wahlrecht oder Kettenduldungen – die Art, wie mit Menschen
in unserem Land umgegangen wird, zeugt
nicht gerade von einer ausgeprägten Willkommenskultur. Die Aufteilung in nützliche und scheinbar »unbrauchbare«
Bevölkerungsgruppen, in begehrte Fachkräfte, die uns einen Zugewinn bringen
und humanitäre »Altlasten« widerspricht
den Grundwerten unserer Gesellschaft.
Herzlich willkommen – wer immer
Du bist – ist eine direkte und vertraute
Ansprache, die zum Nachdenken anregt.
Wie nehmen wir die Menschen auf, die
in unser Land kommen? Wie wollen wir
aufgenommen werden, wenn wir in ein
anderes Land gehen? Wie leben wir zuw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
sammen? Welche Erfahrungen haben
wir gemacht? Auf welchen gemeinsamen
Wertvorstellungen ruht unser Zusammenleben? Wie treten wir dafür ein? Diese und
andere Fragen wurden in den Veranstaltungen der Interkulturellen Woche angesprochen:
Mit einem Ökumenischen Gottesdienst
in der Zwickauer Manufaktur startete die
Woche mit 130 Besucherinnen und Besuchern aus vielen verschiedenen Nationen.
Gestaltet wurde er von Migrantinnen und
Migranten, die im Landkreis Zwickau
wohnen, dem Interkulturellen Arbeitskreis Zwickau und den Kirchen.
Das Mütterzentrum Zwickau platzte
aus »allen Nähten«, als es zur Veranstaltung zum Thema »Chancen, Probleme und
Unterstützungsbedarf einer älter werdenden Gesellschaft«, das Migranten gleichermaßen betrifft, einlud. Sie leben seit
langer Zeit in Deutschland und sind jetzt
mit dem Thema Pflege konfrontiert. Für
das Gesundheitswesen, den professionellen Pflegebereich aber auch für Mitmenschen ist dies eine Herausforderung.
Ein Highlight, neben insgesamt 25 Veranstaltungen im Landkreis Zwickau, war
der Besuch der KinderKulturKarawane.
Neun Jugendliche aus Südafrika hatten
nicht nur eine große Portion Neugier im
Gepäck, sondern auch ein selbst geschriebenes Theaterstück mit dem Titel »Noch
nicht frei«, welches im Alten Gasometer
aufgeführt wurde. Im Stück verarbeiten
sie ihre eigene Geschichte in Südafrika,
geprägt vom Leben in den sogenannten
»Squatter Camps«. Ein hartes Stück Arbeit für Schauspielende und Publikum.
Im Rahmen der Kinderkulturkarawane
waren die südafrikanischen Jugendlichen
in Gastfamilien von Schülern in Crimmitschau untergebracht und erlebten drei
gemeinsame Tage, darunter zwei Workshops mit Schülerinnen und Schülern. In
131
kürzester Zeit wurden Adressen zwischen
den Jugendlichen ausgetauscht. So hinterließ die Veranstaltung zumindest bei mir
ein nachhaltiges Gefühl von Gemeinschaft
und Freude.
Johannes
Roscher,
ehrenamtlicher
kommunaler
Integrationsbeauftragter
des Erzgebirgskreises
»Flucht ist kein Verbrechen«
Bereits seit einigen Jahren lädt der Integrationsbeauftragte des Erzgebirgskreises,
Johannes Roscher, zu einem kulturell und
politisch gestalteten Nachmittag ein. Das
diesjährige Treffen zum »Tag des Flüchtlings« für die im Erzgebirgskreis lebenden
Flüchtlinge und Asylbewerbende, die in
einer Gemeinschaftsunterkunft oder in
Wohnungen leben, fand am 27.09.2012
von 15:30 Uhr bis etwa 18:30 Uhr statt. Es
kamen viele Menschen unterschiedlichster
Herkunft und unterschiedlichsten Alters
im Gemeinschaftsraum der Erwerbsloseninitiative in Zschopau zusammen, um
gemeinsam zu essen, zu trinken und ins
Gespräch zu kommen.
Während des gemeinsamen Kaffeetrinkens begleitete ein Frauentrio, das
sich bereits in der Schulzeit musikalisch
zusammengetan hatte und das noch
immer gemeinsam auftritt, den Nachmittag. Die drei jungen Frauen spielten
verschiedene populäre und selbst komponierte Lieder, die die Zuhörenden be-
132
geisterten und zum Mitwippen
animierten.
Im Anschluss begrüßten und sprachen
anlässlich des »Tags des Flüchtlings« unter anderem Oberbürgermeister Klaus
Baumann, der Integrationsbeauftragte
des Erzgebirgskreises, Johannes Roscher,
und der Sächsische Ausländerbeauftragte,
Prof. Dr. Martin Gillo, zu den Anwesenden. Der Nachmittag stand unter dem
Motto »Flucht ist kein Verbrechen«. Für
die zahlreichen Kinder wurde gleichzeitig
ein Programm gestaltet.
Klaus Baumann begrüßte die Gäste
und bekundete sein Anliegen für eine
weltoffene Stadt Zschopau einzutreten
und den Flüchtlingen bessere Lebensbedingungen zu schaffen.
Prof. Dr. Gillo begrüßte vor allem alle
Migrantinnen und Migranten. Gillo betonte, dass auch, wenn es um die Belange
von Flüchtlingen geht, stets die Menschenwürde im Zentrum stehen sollte. Die Menschenwürde ist ein universales Grundrecht, das jedem gewährleistet werden
sollte. Sie ist unteilbar und nicht quantitativ einschränkbar. Sie ist im Grundgesetz eindeutig verankert und gilt auch für
alle Flüchtlinge. Menschenwürde für
Flüchtlinge bedeutet soziale Inklusion.
Die sollten wir – so lautete Gillos zukunftsweisender Aufruf – alle anstreben.
In seinem Redebeitrag fragte er weiter:
Was bedeutet soziale Inklusion für alle
Flüchtlinge? Sie bedeutet zum einen
schulische Integration für alle Kinder.
Sie meint auch, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus
Deutschkurse bezahlt bekommen müssten
und nach spätestens einem oder einem
halben Jahr Aufenthalt in Deutschland
freien Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten
sollten. Darüber hinaus können Vereine
und ehrenamtliche Tätigkeiten bzw. das
Miteinander im Lebensumfeld wesentlich
Jahresbericht 2012
zur Inklusion beitragen. Wir alle sollten
uns in Sachsen für eine bunte und lebenswerte Zukunft einsetzen und alle unseren
Beitrag für eine solche leisten.
Höhepunkt und Abschluss der Veranstaltung war ein gemeinsames Abendessen mit verschiedenen kulinarischen
internationalen Leckereien, die die
Migrantinnen und Migranten für alle
vorbereitet hatten.
»Verständigung geht in Spröda
durch den Magen«
von Kay Würker, Leipziger Volkszeitung
Spezialitäten statt vieler Worte in der Asylbewerberunterkunft: Bewohner und Gäste
zelebrierten erstmals Basar der Nationen
Spröda. So viele Gäste hat es auf dem Gelände wohl noch nie gegeben. Politiker,
Vereinsleute, Kirchenvertreter und Anwohner gaben sich gestern ein Stelldichein in
der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber im Delitzscher Ortsteil Spröda. Zusammen mit Bewohnern zelebrierten sie
einen Basar der Nationen – sportlich,
kulinarisch, unterhaltsam. Eine Premiere
für die Einrichtung. Und für Delitzsch:
Die Stadt beteiligte sich damit erstmals an
der bundesweiten Interkulturellen Woche.
Scharf ist sie, die pakistanische Küche,
aber die nordafrikanische steht ihr in dieser Hinsicht kaum nach. Und die Gewürze
sind in beiden Weltregionen ein Erlebnis.
An dieser Erfahrung kam kaum ein Besucher vorbei. Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft hatten eigens für den Basar gekocht, wie sie es aus ihrer Heimat kennen.
Große Töpfe und Bleche mit Spezialitäten
schleppten sie aus der Küche. Das Lob
der Gäste folgte prompt. Da brauchte es
keinen Dolmetscher.
Überhaupt war der Basar der Nationen
weniger ein Markt der Worte als ein Platz
gesten- und mimikreicher Begegnungen.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Und sportlicher Interaktion: Beim Volleyball spielten Pakistaner und Inder gegen
die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde
Delitzsch, beim Fußball traten Marokkaner,
Tunesier und Algerier gegen ein Team des
Berufsschulzentrums an. Rund 190 Personen – vor allem aus Nordafrika und dem
Nahen Osten – leben derzeit am Rande
von Delitzsch. »Wir wollen ein Klima der
Offenheit schaffen«, erklärte Antje Vogel,
Ordnungsamtsleiterin im Landratsamt
und Mitorganisatorin, das Anliegen des
Festes. Wilfried Pohl, Geschäftsführer
des Unterkunftsbetreibers ITB Dresden,
unterstrich die Verbundenheit, die ihm
am Herzen liege – zwischen Flüchtlingen
und Asylbewerbern auf der einen Seite
und Einheimischen auf der anderen.
Seit die ITB das Heimgelände vergangenes Jahr erworben hat, sei eine umfassende
Sanierung in Gang gekommen, berichtete
Pohl und führte die Gäste durch den
Komplex. Neue sanitäre Anlagen, neue
Küchen, neue Fenster. »Wir haben noch
nicht alles geschafft, aber schon eine
ganze Menge.« Trotzdem seien Hilfsangebote von außen immer willkommen.
Fahrräder zum Beispiel, damit die Bewohner ihre weit außerhalb der Stadtgrenze
gelegene Einrichtung zu Ausflügen verlassen können. Denn obwohl das Gelände
weitläufig ist, ist der nächste Zaun immer
in Sichtweite.
Und viele bleiben lange. Wie Mubarik
Joyia, ein 25-jähriger Landwirt aus Pakistan.
Bereits seit einem Jahr ist er da, flüchtete
als Mitglied einer verfolgten religiösen
Minderheit aus der Heimat. Gestern hat
er beim Kochen geholfen – und dank
Deutschkurs freudig davon erzählt.
»Es ist schön, heute mal nicht alleine zu
sein«, begrüßte er die Besucher. Oberbürgermeister Manfred Wilde machte
Hoffnung auf ein Wiedersehen: »Dieser
Nachmittag soll nicht einmalig bleiben.«
133
7. Vielfalt im Ehrenamt:
Interkulturelle Öffnung
als Chance
»Stell Dir vor es ist Sturm und keiner räumt
auf!« Dieser Werbeslogan des Technischen
Hilfswerkes (THW) beschreibt eine der großen Herausforderungen des ehrenamtlichen
Engagements in Sachsen: Wo sind die, die
sich engagieren und anpacken wollen? Wie
gewinnen wir Nachwuchs? Wer übernimmt
morgen die Vereinsleitung?
Vereine und Jugendorganisationen klagen
schon seit Jahren. Im Sportverein mitspielen – okay. Im Verein Verantwortung übernehmen – mal sehen. Sich im Heimatverein
außerhalb von Festen engagieren, die Grundschule im Schulverein zu stärken, Woche für
Woche den Tanznachwuchs zu animieren –
das hat merklich nachgelassen.
Die Zeiten, in denen junge Menschen von
der Nachwuchsgruppe aus in die Vereinsarbeit hineinwuchsen und später automatisch
die Verantwortung im Verein übernahmen,
sind vorbei. Heute stehen sie vor einer zunehmenden Zahl von leicht erreichbaren
Konkurrenzprojekten, häufig ohne feste
Struktur und feste Verbindlichkeit. Man
engagiert sich punktuell, für Initiativen,
in festumrissenen Zeitfenstern.
So beschreiben es die Trendforscher
und die Realität gibt ihnen Recht. Der Wille
zur Bindung sinkt, sagen die Vereinsvorstände. Ehrenamt braucht neue Formen,
sagen die Praktiker. Projektarbeit statt langfristige Bindung ist angesagt. Das bürgerschaftliche Engagement steckt im Umbruch – weil sich Menschen heute anders
engagieren und weil man heute auf andere
134
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Menschen aufmerksam wird, die man bisher
übersehen hat.
Viele Zuwanderer beispielsweise, die
schon lange bei uns leben, engagieren sich
sehr häufig freiwillig und unentgeltlich – im
Rahmen ihrer Community, aber zunehmend
auch darüber hinaus.
Ihr freiwilliges Engagement haben wir
lange nicht wahrgenommen, vielleicht weil
wir glaubten, dass ihre Hilfe zur Selbsthilfe
die Gesellschaft als Ganzes nichts angeht.
Weit gefehlt – denn auch dieses Engagement
wirkt sich positiv auf unser Gemeinwesen
aus. Davon zeugen die vielen Initiativen von
Migranten in Sachsen, die Angebote für alle
Menschen in Sachsen machen – wir haben
einige von ihnen beim Sächsischen Integrationspreis 2012 ausgezeichnet und werden
sie im folgenden Kapitel vorstellen.
Und wie sieht es mit dem Engagement von
Zuwanderern in den klassischen Engagementbereichen aus: im Sport, im Rettungswesen,
beim Katastrophenschutz, der Freiwilligen
Feuerwehr? Auch hier gibt es Erfreuliches zu
berichten, denn immer mehr Vereine erkennen die Notwendigkeit und vor allem die
Chancen, die in der interkulturellen Öffnung
ihrer Vereine liegen.
Der unmittelbare »Nutzen« liegt auf der
Hand: Die Vereine können neue Mitglieder
gewinnen und die Zuwanderer Anbindung.
Integration und interkulturelle Begegnung
»en passant«.
Vor dem Hintergrund des demografischen
und des soziokulturellen Wandels ist das
135
ches Engagement ist ein Weg der sozialen Inklusion von Asylsuchenden, von dem beide
Seiten profitieren.
Gewinn für beide Seiten
Thema Mitgliedergewinnung kein einfaches
für die Vereine – vor allem nicht in den
kleineren Kommunen.
In manchen Dörfern gibt es zwar noch
einen Fußballverein, aber weder eine Kindermannschaft, noch genügend Tanzpartnerinnen für den Sportlerball. Landstriche werden
leerer, die Bevölkerungsstruktur hat sich
drastisch verändert, alte Strukturen greifen
nicht mehr. Selbst staatlich geförderte Leistungen wie die Hilfsdienste bei den medizinischen Rettungsdiensten, der Feuerwehr oder
dem Katastrophenschutz klagen über existentielle Personalnot.
Gemeinsam engagiert!
Doch der »Nutzen« der interkulturellen Öffnung von Vereinen für unsere Gesellschaft
geht weit darüber hinaus. Gemeinsam engagiert – diese kurze Formel bringt die Vorteile
der interkulturellen Öffnung des Ehrenamtes
auf den Punkt. Gemeinsam engagieren wir
uns für unsere Gesellschaft – ohne dass es
136
dabei eine Rolle spielt, ob einer einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Gemeinsame Ziele schweißen zusammen. Herkunft
wird nebensächlich und Verständnisprobleme lassen sich von beiden Seiten leichter
überwinden.
Gemeinsames Engagement ist gelebte
Einheit in Vielfalt und eine wunderbare
Gelegenheit, sich auf das zu konzentrieren,
was uns verbindet.
Mit interkultureller Öffnung gewinnt das
klassische deutsche Ehrenamt ein neues
Format: Hin zu einem bürgerschaftlichen
Engagement, bei dem zählt, was man gemeinsam erreichen kann und das dadurch
neue Bindungskräfte für unsere Gesellschaft
entwickelt.
Damit wird bürgerschaftliches Engagement auch eine Brücke für die soziale Inklusion und Partizipation von Zuwanderern –
unabhängig davon, warum sie bei uns sind.
Denn auch viele Asylsuchende würden sich
gern einbringen. Noch dürfen die meisten
von ihnen nicht arbeiten – was nicht heißt,
dass sie nichts tun wollen. BürgerschaftliJahresbericht 2012
Migranten möchten sich engagieren und sie
haben gute Gründe dafür: Sie können etwas
»auf die Beine stellen« und erfahren Anerkennung dafür – gemeinsam mit Einheimischen. Sie lernen neue Menschen kennen,
erfahren viel über Werte und Kultur und
ganz nebenbei können sie auch ihre Sprachkenntnisse verbessern.
Untersuchungen haben gezeigt, dass
viele Migranten den Weg in die Freiwilligendienste auch deshalb suchen, weil sie sich
davon neue Kenntnisse und Fertigkeiten versprechen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt
verbessern.
Wir können davon nur profitieren, denn
natürlich bringen Migranten etwas mit: Ihre
Erfahrungen, neue Herangehensweisen, neue
Ideen, neue Perspektiven – kurz Vielfalt.
Und Vielfalt ist einer der wichtigsten Antriebsmotoren für Kreativität und Innovation.
Öffnen wir uns!
Also öffnen wir uns! Viele Vereine und Freiwilligendienste in Sachsen haben das bereits
getan, und wir wollen an dieser Stelle einige
davon vorstellen. Beispielhaft ist das Engagement des Sächsischen Sportbundes, der
dieses Thema schon seit Jahren vorantreibt.
Aber auch die Initiativen innerhalb des
Deutschen Roten Kreuzes (DRK), des THW
oder der Sächsischen Mehrgenerationenhäuser sind nachahmenswert. Diese drei
Organisationen nutzten im Jahr 2012 die
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Möglichkeit, im Rahmen des Einbürgerungsfestes im Sächsischen Landtag mit den
Gästen ins Gespräch zu kommen. Sie wollten
wissen, welche Zugangshürden und Barrieren abgebaut werden müssen, damit die
Freiwilligendienste auch für Menschen mit
Migrationshintergrund attraktiv werden.
Sie berichten hier davon, wie sie den
Prozess der interkulturellen Öffnung in ihren
Strukturen angestoßen haben und welche
Chancen sie in dieser Öffnung sehen.
Machen wir uns verständlich!
Übrigens: Zur interkulturellen Öffnung einer
Organisation gehört, dass man sich selbst neu
reflektiert. Wussten Sie, dass das deutsche
Vereinswesen seinesgleichen in anderen
Ländern sucht? Wir kennen Wissenschaftler
aus anderen Ländern, die das deutsche
Vereinswesen als typisch deutsche Form
der Gemeinschaft untersuchen.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Zuwanderer müssen diese Strukturen erst kennenlernen – so wie sie unsere Sprache erlernen
müssen. Helfen wir ihnen also, und kommen
wir ihnen entgegen, indem wir mehr über
die speziellen Perspektiven der Zuwanderer
lernen. Wenn wir beispielsweise für ein Engagement von Zuwanderern in Rettungsdiensten oder bei der Feuerwehr werben, sollten
wir wissen, dass vergleichbare Dienste in
anderen Ländern ganz anders funktionieren
und teilweise sogar beim Militär angebunden
sind.
Unsere Vereinsstrukturen sind nicht
selbstverständlich – sondern ein ganz besonderer Teil unserer Kultur, für den es sich
zu werben lohnt. Werbung aber muss Zielgruppen im Blick haben, damit sie ankommt.
Auch das gehört zur interkulturellen Öffnung.
137
7.1
Lernen offen zu sein –
Das Einbürgerungsfest
am 16.06.2012
Typisch deutsch: Das ist neben Fußball,
Sauerkraut und Schweinebraten, Wanderwaden und Made in Germany das Engagement
in Vereinen. Leicht mal abgetan als Vereinsmeierei, ist das bürgerschaftliche Engagement doch unverzichtbar, wenn es um das
gesellschaftliche Leben, die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft oder die Absicherung von Notdiensten geht. Doch die meisten
der Vereine beklagen einen rasanten Mitgliederschwund, fehlenden Nachwuchs oder die
mangelnde Bereitschaft zu langfristigen verbindlichen Engagement. Der deutsche Verein
ist bedroht – das ist typisch.
Wie wird man heimisch in der neuen
Heimat? Hier rät man neuen Einwohnern,
Zugereisten und Zuwanderern zur Mitarbeit
in Vereinen. Das Engagement in Elternvertretungen, das Kuchenbacken beim Feuerwehrfest, die Sicherheitsdienste bei Konzerten
138
oder der Gesang im Gemeindechor bestärken
das Heimatgefühl. Beschränkungen sind
keine bekannt – trotzdem funktioniert das
Mitmachen nicht so einfach, obwohl es nahe
liegt und allen helfen würde.
Eigentlich könnte das einfach so zusammengehen. Der Migrationshintergrund
spielt keine Rolle, wichtig ist nur, dass
man sich engagieren will. Herzlich willkommen also in den Vereinen oder bei
den Freiwilligendiensten.
Doch leider geht das nicht so automatisch, denn zuerst müssen einige gegenseitige Unsicherheiten beseitigt werden.
Voneinander wissen reicht allein nicht aus.
Die neuen Bürger müssen erfahren, was
sie in einem Verein erwartet und was von
ihnen – manchmal auch unausgesprochen –
erwartet wird. Und die Vereine müssen
lernen, wie sie auf Migranten zugehen können. Brücken müssen gebaut werden –
nicht nur, um die Verständigung zu ermöglichen, sondern um die Grundlage dafür
zu schaffen, sich für ein gemeinsames Ziel
zu engagieren, unabhängig von Herkunft,
Religion und Hautfarbe.
Die Vielfalt des deutschen Vereinswesens
ist sprichwörtlich: Clubs, Vereine und Gruppen, gefördert, kommerziell, zur reinen Freude
oder zur Unterstützung der staatlichen Strukturen. Vom Angelverband bis zum Zenclub
ist alles dabei. Und es ist einmalig in der
Welt. Das bedeutet letztlich: Woher sollen
Zuwanderer eigentlich wissen, was das ist,
ein deutscher Verein?
Jahresbericht 2012
Informieren, öffnen, wissen
Drei sächsische Freiwilligendienste nutzten
deshalb am 16.06.2012 die Chance, direkt mit
neuen Staatsbürgern ins Gespräch zu kommen, die eigene Arbeit zu präsentieren und
ihnen Zuzuhören. Den Vertretern des THW,
des DRK und von den sächsischen Mehrgenerationenhäusern war es wichtig zu verstehen, wo Hindernisse und Missverständnisse
entstehen können und wo es Zugangshürden
gibt, die den Freiwilligendiensten bisher
nicht bewusst waren. Das Einbürgerungsfest
im Sächsischen Landtag bot dazu einen geeigneten Rahmen.
Michael Sehrt, Koordinator des Projektes
»Integration im ehrenamtlichen Rettungswesen« des DRK Torgau-Oschatz e. V. schätzte
die Teilnahme seines Teams zur Präsentation
als erfolgreich ein.
»Es war gut, mit den Menschen ins
Gespräch zu kommen und von ihren Vorstellungen, Wünschen und Erfahrungen
zu lernen.«
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
So führte er beispielsweise ein Gespräch
mit einer jungen Frau, die gern Krankenschwester werden will. Sie will sich nun
freiwillig beim DRK engagieren und so
praktische Erfahrungen im sanitätsdienstlichen Rettungsdienst sammeln.
Auch Kathrin Wiemer, Ansprechpartnerin
für interkulturelle Arbeit im Ortsverband
Leipzig des THW, berichtete vom großen
Interesse der Neubürger.
»Viele wollen ihre Fähigkeiten in ihrer
neuen Heimat einbringen. Das können
sie ehrenamtlich beim THW, denn bei
uns zählen allein Interesse und Engagement.«
Die dafür notwendigen Ausbildungen erfolgen alle direkt im THW. Darüber hinaus
werden Lehrgänge angeboten, die einen
Doppelnutzen für den freiwilligen Einsatz
und auf dem Arbeitsmarkt bringen. Die Begegnungen, so Wiemer, seien in jedem Fall
ein Erfolg gewesen:
139
»Wir haben interessante Gespräche geführt
und viel dazugelernt. Es würde mich freuen,
wenn wir darüber auch neue Mitstreiter gewinnen konnten.«
So wurde aus dem ergänzenden Rahmenangebot zum Einbürgerungsfest ein Programmpunkt, der über den Tag hinaus
Früchte trägt.
Einbürgerungsfest –
Eine zukunftsfähige Atmosphäre
tungsfroh und augenscheinlich bewegt
im sonnendurchfluteten Plenarsaal.
Für den feierlichen Beginn sorgte Thuy
My Pham. Die junge Frau hat gerade ihr Abitur am Dresdner Bennogymnasium abgelegt.
Leistungskurs Musik versteht sich und das
hört man. Sie spielte und sang vietnamesisch, englisch und deutsch; ihre Stimme
berührte die Zuhörer.
Landtagsvizepräsidentin Andrea Dombois, Innenminister Markus Ulbig und Ausländerbeauftragter Martin Gillo sprachen
aus, was ihnen am Herzen lag »Herzlich
willkommen in unserer Gesellschaft!«
Die Erste Vizepräsidentin betonte das
Potential der Zuwanderer. »Sie gehören vor
allem auch deshalb in dieses Land, weil ihre
Fähigkeiten und Begabungen, Erfahrungen
und Vorstellungen, die Sie aus Ihren Heimatländern mit hierher gebracht haben, ein
Gewinn für unsere Gemeinschaft sind.«
Der Innenminister ermutigt die Eingebürgerten, aktive deutsche Staatsbürger zu
werden, die politisch mitwirken oder sich
ehrenamtlich engagieren. Ulbig bestärkte die
Zuwanderer, ihre Muttersprache und eigenen
Traditionen zu pflegen und sagte: »Kulturelle
Vielfalt tut unserer Gesellschaft gut.«
Sachsen ist neben Brandenburg und Hamburg eines der wenigen Bundesländer, das
eine zentrale Einbürgerungsfeier ausrichtet.
Im Jahr 2011 wurden in Sachsen insgesamt
911 Männer, Frauen und Kinder eingebürgert, das sind 54 Personen mehr als 2010.
Zum Einbürgerungsfest 2012 hatten Sachsens
Innenminister Markus Ulbig und der Ausländerbeauftragter Martin Gillo eingeladen.
Etwa 300 Gäste folgten ihrer Einladung in
den Landtag. Jedes Jahr kommen andere
Gäste zum Einbürgerungsfest und trotzdem
ist die Atmosphäre fast identisch: festlich,
unbeschwert und hoffnungsvoll. Ganze
Familien sitzen festlich gekleidet, erwar-
140
Jahresbericht 2012
Brückenbauer mit Herz
Mit Herz sprach auch Martin Gillo. Identität
sei vielfältig. Er selbst verstehe sich als
Weltbürger, Deutscher, Amerikaner, Sachse,
Leipziger, Familienvater, Abgeordneter,
Sächsischer Ausländerbeauftragter und
vieles mehr. In dieser Vielfalt der eigenen
Identität liege eine große Stärke. Deshalb
regte er die Gäste an, auf ihr vielfältiges
Selbstverständnis stolz zu sein. Er betonte,
dass die neuen Staatsbürger eine Brücke
zwischen ihrer ersten und ihrer zweiten
Heimat Deutschland herstellen können.
Gillo nahm auch Bezug zu den Angeboten
der Freiwilligendienste, die er ermutigte
sich weiter interkulturell zu öffnen. Darin
lägen große Chancen für Begegnung und
Bereicherung und letztlich auch für das
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
erfolgreiche Weiterbestehen der Freiwilligendienste.
Ein besonderer Festredner war Sebastian
Krumbiegel. Der Sänger, dessen Name eng
mit den Leipziger Prinzen verbunden ist, engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich für die
Rechte von Menschen mit Migrationshintergrund. Seine musikalische Festrede stand
unter dem Titel »Meine Nation sind die Liebenden«, und enthielt bewegende Geschichten und Lieder über Flucht, Heimat, Schicksale, Freude und Hoffnung. Krumbiegel textet
und musiziert mit Herz, das war spürbar.
Das Einbürgerungsfest 2012 war rundherum gelungen. Die Mitwirkung der Freiwilligendienste war ein echter Gewinn.
Sie haben deutlich gemacht, dass die Willkommensgesellschaft Sachsen immer mehr
Mitstreiter gewinnt!
141
7.2
Integration durch Sport –
Wegbereiter der
interkulturellen Öffnung
Nirgendwo sei Integration einfacher zu beginnen als beim Sport. Das stimmt, denn gemeinsame Bewegung, Spaß und Wettkampf
bauen Hemmschwellen ab, fördern die Begegnung und Anerkennung. Dennoch benötigt Integration durch Sport in Sportvereinen
oder bei anderen Anlässen eine fundierte
Organisation, fachliche Beratung Anleitung
und einen langen Atem. Auch das Bundesprogramm »Integration durch Sport« kann
vor Ort nur durch ehrenamtliches Engagement mit Leben erfüllt werden. An den
Schnittstellen der Vereine sind es überwiegend die ehrenamtlichen Sportler, Übungsleiter oder Vereinsvorstände die die Hauptlast der Arbeit tragen. Sie motivieren die
Akteure, organisieren Training, Wettkämpfe,
das Vereinsleben an sich und sie sind auf
Rahmenbedingungen angewiesen. Dazu gehören Beratungen, Förderungen, Anleitungen, Räume oder Trainingszeiten. Geplante
Integration gibt aber auch Bedingungen,
Qualifikationen und Kriterien vor.
Ein stabiles System hat der Landessportbund Sachsen aufgebaut, der mittlerweile
über jahrzehntelange Erfahrungen verfügt.
Er arbeitet mit seinen Mitgliedsorganisationen eng zusammen, um die Integration
stetig voran zu treiben. Die Zusammenarbeit
mit Kooperationspartnern außerhalb des
organisierten Sports und die Mitarbeit in
Netzwerken sind für eine erfolgreiche Integrationsarbeit unerlässlich. Das Programm
»Integration durch Sport« des Deutschen
Olympischen Sportbundes (DOSB) wird auf
142
Landesebene eigenverantwortlich von Landes- und Regionalkoordinatoren umgesetzt.
Sie unterstützen die Sportvereine, Netzwerkpartner und freiwillig Engagierten an der Basis in ihrer Integrationsarbeit konzeptionell,
planerisch und organisatorisch.
Information – Begegnung –
Betreuung – Beteiligung
Die in vier Phasen gegliederte Integrationsarbeit in Sachsen sichert Teilnahme- und
Teilhabestrukturen. Auf diese Weise leistet
der organisierte Sport einen Beitrag zum
Abbau von kulturellen Vorbehalten, Sprachbarrieren und zur Gewaltprävention.
Das Bundesministerium des Innern und
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stehen dem Programm als
Zuwendungsgeber und Partner im fortlaufenden Prozess der Programmoptimierung
begleitend zur Seite.
Respektieren und bewahren
Das Programm soll die gleichberechtigte
Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund am gesellschaftlichen Leben stärken und damit auch die sportweltlichen Teilnahme- und Teilhabestrukturen. Die kulturelle Vielfalt zu respektieren und zu wahren
ist dabei von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig ist der Anspruch aller, sich an rechtsstaatJahresbericht 2012
lichen und demokratischen Grundpositionen
zu orientieren. Ein Schwerpunkt der Arbeit
liegt auf bislang im Sport unterrepräsentierten Gruppen, wie zum Beispiel Mädchen und
Frauen, Personen im mittleren Erwachsenenalter, Ältere sowie sozial Benachteiligte.
Der Landessportbund setzt auf ein System aus ehrenamtlichen Übungsleitern und
Integrationsbeauftragten, Stützpunkten und
Maßnahmen. Die Integrationsbeauftragten
stellen den Kontakt zur Zielgruppe her und
bauen ein Sportangebot auf. Sie kooperieren
mit den örtlichen Trägern der öffentlichen
und freien Jugendhilfe, den Verbänden und
Institutionen. Sie vermitteln zwischen Verein, Programmleitung und der Zielgruppe.
Für die aktive Mitgestaltung ist es hilfreich,
wenn Menschen mit Migrationshintergrund
als Übungsleiter, Integrationsbeauftragte
oder für die Vorstandsarbeit gewonnen werden können.
Integration durch Sport bietet Ein- und
Mehrtagesveranstaltungen und Großveranstaltungen an. Tagesveranstaltungen werden
in der Regel von Stützpunktvereinen, Prow w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
jektpartnern oder Teilnehmern aus Sonderprogrammen organisiert. Typisch sind Sportund Spielfeste, Schnupperkurse, Turniere
und Tagesausflüge. Höhepunkte der Arbeit
sind landesweite Fußball- oder Volleyballturniere. Stützpunktvereine gestalten außerdem
eigene Veranstaltungen, um das Programm
der Öffentlichkeit zu präsentieren und bei
allen Altersgruppen Interesse am Sport zu
wecken.
Stützen unter besonderen Bedingungen
Sportvereine, die sich im Rahmen des Programms »Integration durch Sport« für die
Integrationsarbeit engagieren, werden als
Stützpunktvereine bezeichnet und gehören
damit zur Programmstruktur. Sie besitzen für
die Programmumsetzung einen zentralen
Stellenwert, da sie eine regelmäßige, langfristige und kontinuierliche Arbeit vor Ort
gewährleisten und Integrationsstrukturen
unter Einbindung des organisierten Sports
schaffen und fördern.
143
7.3
Aus Liebe zum Menschen –
Integration im ehrenamtlichen
Rettungswesen
von Michael Bagusat-Sehrt9
Für die Stützpunktvereine im Programm
»Integration durch Sport« gelten besondere
Kriterien. So muss der Sportverein einen
erkennbaren Integrationsbedarf aufweisen,
beispielsweise bedingt durch Sozialraumstruktur oder besondere Problemlagen. Der
Sportverein muss bedarfsorientierte Maßnahmen zur Umsetzung der Zielsetzungen
entwickeln und durchführen, so z. B.:
• niedrigschwellige, zielgruppenorientierte
Angebote zur Einbindung der Zielgruppen
(aufsuchende/nachgehende Angebotsformen, ermäßigte Teilnehmerbeiträge etc.)
• über das Regelangebot der Vereine hinausgehende, außersportliche Angebote (z. B.
Sport + X, Projekte, pädagogische Angebote, kulturelle Angebote, Bildung,
Beratung, Sprachförderung)
• Schaffung von Beteiligungsmöglichkeiten
für die Zielgruppen, Einbindung in Ausführungs- und Entscheidungspositionen
• Förderung des freiwilligen Engagements
der Zielgruppen
• Verankerung von Integrationsarbeit in
Vereinsstrukturen und Vorstandsarbeit
• Vernetzung/Kooperation mit Partnern
vor Ort interkulturelle Qualifizierung
(z. B. durch »Sport Interkulturell«)
• der Sportverein akzeptiert das Integrationsverständnis und die Ziele und orientiert
sich an den Zielgruppen des Programms
• der Sportverein zeigt die Bereitschaft zur
Zusammenarbeit mit »Integration durch
Sport (Teilnahme an Fortbildungen, interkulturelle Öffnung, Öffentlichkeitsarbeit,
Kompetenzerweiterung)
Die Art der Zusammenarbeit des Programms mit den einzelnen Stützpunktvereinen ist unterschiedlich. Sie kann in Form
von Beratung und Begleitung ideell sein oder
eine materiell bzw. finanzielle Förderung.
Vereine, die eine Förderung im Rahmen
des Programms erhalten möchten, nehmen
Kontakt mit der zuständigen Landeskoordination von »Integration durch Sport« auf.
In einem Beratungsgespräch werden die
Möglichkeiten und formalen Anforderungen
einer Zusammenarbeit geklärt.
Eine Übersicht über die Stützpunktvereine in Sachsen enthält die Dokumentation.
Der Slogan des Deutschen Roten Kreuzes
sagt bereits viel aus, je nachdem wie ihn
der Mensch, der ihn liest, interpretiert. Dass
das DRK für medizinische Rettung in allen
Bereichen und Gebieten tätig ist, in denen
menschliches Leid entstehen kann, ist allgemein bekannt. Viel weniger ist jedoch
bekannt, dass über die Hälfte der Einsätze,
gerade bei schweren Katastrophenfällen oder
Vorkommnisse mit vielen Verletzten, durch
ehrenamtliche Retter abgedeckt wird.
Das Ehrenamt ist in Deutschland sehr
verbreitet und eine grundlegende Säule im
kulturellen und sportlichen Bereich. Im Rettungsdienst ist es nicht mehr wegzudenken.
Unterschiedlichste Möglichkeiten und Arbeitsfelder bietet das Deutsche Rote Kreuz.
Sanitätsdienstliche Absicherung, Wasserwacht, Bergrettung, Katastrophenschutz
und Schnelle medizinische Einsatzgruppe
sind nur einige Leistungen, die von Menschen im Ehrenamt erbracht werden.
In vielen anderen Ländern sind solche
Strukturen nicht bekannt, beziehungsweise
ganz anders aufgebaut. Menschen, die aus
diesen anderen Ländern zu uns nach Deutschland kommen – hier arbeiten und leben wollen – können die vielfältigen Möglichkeiten
nicht kennen, für die Gesellschaft tätig zu
werden und anderen Menschen zu helfen.
Hier kann Integration ansetzen. Den Zuwanderer muss die Möglichkeit gegeben werden,
die Tätigkeiten und Einsatzgebiete kennen
zu lernen. Sie benötigen theoretische Kenntnisse und praktische Erlebnisse. Das DRK
bietet dies in den vielen Facetten. Ob durch
Vorführungen, auf Messen, bei ausgewählten
Veranstaltungen oder den Schulsanitätsdienst auf der Kinder- und Jugendebene –
wir versuchen dorthin zu kommen, wo die
Menschen leben und agieren. Wir spornen
Menschen zum Mitmachen an und versuchen Akteure als Multiplikatoren zu gewinnen. Die sollen über ihre Erfahrungen und
Erlebnisse in ihrem Umfeld und
Wirkungskreis weitererzählen.
Gern vermitteln wir einen weiteren
Aspekt, denn für manche Migrantinnen und
Migranten bietet sich vielleicht auch eine
berufliche Möglichkeit. Mit einer Arbeit am
9 Projektkoordinator beim DRK Torgau-Oschatz e. V.
»Integration im ehrenamtlichen Rettungswesen«– ein Projekt des Lokalen Aktionsplans
Nordsachsen 2011
144
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
145
Menschen, die Spaß macht und noch den
Lebensunterhalt sichern kann, ist vielen
Menschen, die neu in unserer Gesellschaft
ankommen möchten, schon eine große
Bürde genommen.
Doch oftmals stoßen Menschen mit
Migrationshintergrund, die sich in einer
gewachsenen Struktur engagieren möchten,
auf Unverständnis und Nichtbeachtung. Wir
beobachten weniger eine Ablehnung ihrer
Person, sondern eher die Ablehnung der andersartigen Kultur, des andersartigen Denkens, Handelns und ihres anderen Glaubens.
Andere Erfahrungen und Sozialisationen, die
Menschen nicht kennen, machen Angst und
bringen eine Ablehnung oder ein falsches
Handeln hervor.
Ein wichtiger Bestandteil für eine erfolgreiche Integration von Menschen mit einer
anderen Herkunft im ehrenamtlichen Rettungswesen ist deshalb die interkulturelle
Öffnung der Vereine bzw. einzelner Strukturen. Verständnis für anderes Denken, Handeln,
andere Gefühle und einen anderen Glauben
146
müssen nicht nur in den Führungsebenen erreicht werden. Sondern jeder einzelne Helfer
muss die Gelegenheit bekommen, das Andere wahrzunehmen und kennen zu lernen.
Gespräche, Seminare, Workshops und ein
praktisches Miteinander können hierbei die
Grundlagen für eine akzeptierte interkulturelle Öffnung sein.
Sich interkulturell zu öffnen, soll ja nicht
heißen, dass ein Glauben, eine bestimmte
Ernährung oder eine bestimmte Lebensregel
angenommen werden muss. Es heißt nur,
sie zu tolerieren und zu akzeptieren. Das
muss jeder Helfer, jede Führungskraft verstehen und lernen. Gerade im ehrenamtlichen
Rettungswesen ist immer nur die gesamte
Gruppe stark und kann effektiv gute Hilfe
leisten.
Eine bewusste und gezielte interkulturelle
Öffnung bedeutet für beide Seiten eine große
Bereicherung. Ob es die personelle Verstärkung und Verbesserung der Einsatzbereitschaft auf der einen Seite ist, so ist es auch
das Voneinander-Lernen, der Austausch von
Erfahrungen und die Akzeptanz in der Gesellschaft auf der anderen bzw. auf beiden
Seiten.
Auch die Hilfesuchenden und Verletzten
haben in vielen Situationen einen großen
Vorteil, wenn Menschen anderer Herkunft
in den Strukturen aktiv sind. So können
Sprachschwierigkeiten überwunden, manches Verhalten aus Glaubensgründen besser
erklärt und damit schnellere Hilfe geleistet
werden.
Eine erfolgreiche Integration wird immer
ein aktives Handeln benötigen. Mit Menschen
reden, für Akzeptanz werben und somit die
Ängste voreinander abzubauen, sind die
wichtigsten Aufgaben, heute und künftig,
damit das Ehrenamt im Bevölkerungsschutz
und in allen anderen Bereichen gestärkt
seine Aufgaben für die Menschen und die
Gesellschaft erfüllen kann – Aus Liebe zum
Menschen!
Jahresbericht 2012
7.4
Mehrgenerationenhäuser als
Orte interkultureller Begegnung
und Angebote zum Engagement
von Migranten
von Susanne Hartzsch-Trauer10
Mehrgenerationenhäuser (kurz MGH) werden
als Orte der Begegnung und des Austausches
zwischen Menschen verschiedener Lebensalter, sozialer und kultureller Hintergründe
gestaltet. Sie arbeiten selbsthilfeorientiert
und entwickeln aus den Bedürfnissen ihrer
Nutzer heraus Unterstützungsangebote
und Dienstleistungen, die den sozialen Zusammenhalt stärken und lebendige Nachbarschaften entwickeln helfen. Gleichzeitig
engagieren sie sich in vielfältigen Zusammenhängen in ihrer Kommune und bauen
damit ein umfangreiches Netz zur Unterstütw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
zung von Menschen in unterschiedlichsten
Bedürfnislagen auf. Die Unterstützung und
Einbeziehung von Zuwanderern ist konzeptionell verankert.
Sachsen verfügt über 38 Mehrgenerationenhäuser, 60 Prozent von ihnen sind im
ländlichen Bereich angesiedelt, 40 Prozent
in mittelgroßen Städten oder Großstädten.
Wesentlich für die Struktur der MGH ist ein
10 Projektkoordinatorin SOS-Mütterzentrum/
Mehrgenerationenhaus Zwickau und Mitglied
im Interessenverbund sächsischer Mehrgenerationenhäuser
147
7.5
offener Treff, der täglich ohne Zugangsvoraussetzungen Begegnung und Austausch
im Alltag ermöglicht. Wer sich kennen lernt
und gemeinsam etwas tut, ist sich bald nicht
mehr fremd. Über ein umfangreiches Angebot zur Unterstützung, wie Essensangebote,
Hausaufgabenhilfe oder offene Kinderbetreuung und Beratung finden besonders Familien
mit Migrationshintergrund leicht Anschluss
an das MGH. Auch Migranten, die keinen Zugang zu Sprachkursen haben, können hier
im Alltag die deutsche Sprache lernen und
üben.
Je nach regionalem Ausländeranteil und
vorhandenem Bedarf werden häufig spezielle
Angebote für Migranten entwickelt. Ein
Großteil der Arbeit basiert auf freiwilligem
Engagement. Über 1.000 Menschen arbeiten
zurzeit in Sachsen täglich ehrenamtlich in
Mehrgenerationenhäusern. »Zusehen-Mithelfen-Selbermachen« ist ein bewährtes
Prinzip der Arbeit. Hier bietet sich eine
Chance für Migranten, »anzudocken«, eigene
Fähigkeiten zu entwickeln und in die Arbeit
der Häuser einzubringen. Aktuell bieten
Menschen mit Migrationshintergrund in
Sachsen Sprachkurse und Beratung in ihrer
148
Muttersprache an, bereichern mit Gerichten
aus ihren Heimaten die Essensangebote der
Häuser und bieten Tanz- und Sportkurse an.
Sie arbeiten als mehrsprachige Tagespflegepersonen und Erzieherinnen oder beteiligen
sich musikalisch und kulinarisch an regionalen Festen in der Öffentlichkeit.
Andere Menschen kennenzulernen und
mit ihnen gemeinsam etwas zu tun und zu
erleben, schafft Zugehörigkeitsgefühl, Nachbarschaftsbezüge und Gemeinschaft. Die
Heterogenität des Mehrgenerationenhauses
erweitert das Verständnis für andere und
spiegelt eigene Verhaltensmuster. Daraus
wachsen Lernen, Alltagssolidarität und Toleranz (»helping people and change«) bei allen
Besuchern. Die Veränderung Deutschlands
hin zu einer Einwanderungsgesellschaft –
wer ein Mehrgenerationenhaus besucht,
kann heute schon erleben, wie das aussehen
könnte.
Jahresbericht 2012
Einsatz braucht Vielfalt –
Vielfalt braucht Ihren Einsatz:
Interkulturelle Öffnung des
Deutschen Feuerwehrverbandes
Der klassische Feuerwehrangehörige ist
männlich und ohne Migrationshintergrund.
Besonders stark ausgeprägt zeigt sich diese
Monokultur im Bereich der (mangelnden)
Vielfalt der ethnischen Hintergründe, die
Feuerwehrangehörige mitbringen. Grundsätzlich wollen die Feuerwehren jedoch einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen,
die sie beschützen. Bislang liegen keinerlei
statistisch belastbare Zahlen zum Anteil von
Migrantinnen und Migranten in den Feuerwehren auf bundesweiter Ebene vor. Die Studie »Freiwilliges Engagement in Deutschland
1999–2004« beziffert den Anteil der in der
Feuerwehr und den Rettungsdiensten engagierten Migrantinnen und Migranten auf ein
Prozent, wobei jedoch nicht zwischen Feuerwehren und Rettungsdiensten differenziert
wird.
Demnach sind Migrantinnen und Migranten in den Feuerwehren sehr stark unterrepräsentiert. Für mehr als 99 Prozent der Migrantinnen und Migranten ist die Feuerwehr
eine unbekannte Organisation, mit der sie
nur in Schadensfällen und persönlichen
Notsituation konfrontiert sind.
Geht es nach den Beschlüssen des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), soll sich
das in den nächsten Jahren gezielt ändern.
Kontakte fördern, interkulturelle Kompetenz
stärken – dies sind Kernpunkte der DFVIntegrationsprojekte. Im Focus des neuen,
am 01.01.2013 begonnenen, Projektes »Miteinander reden!« steht der Interkulturelle
Dialog. Es ist auf ein Jahr angelegt und hat
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
engere Kontakte sowie eine Zusammenarbeit
zwischen Feuerwehr und Migrantinnen und
Migranten in den Städten und Gemeinden
zum Ziel. »Wir wollen und müssen miteinander ins Gespräch kommen.« sagt DFV-Referentin Silvia Darmstädter. Das Problembewusstsein soll bei den Feuerwehren verdeutlicht, die interkulturelle Kompetenz erhöht
und Vertrauen von Migrantinnen und Migranten erworben werden. In Migrantencommunitys soll besonders über das System der
Freiwilligen Feuerwehren aufgeklärt werden.
Darmstädter nennt viele Gründe, warum
sich der Verband in den letzten Jahren so intensiv mit der interkulturellen Verständigung
auseinandersetzt: »Ausschlaggebend war ein
großer Brand in Ludwigshafen im Jahr 2007.
Damals traten Verständigungs- und Verständnisprobleme offen zu Tage.« Mit den
Kommunikationsangeboten an die örtlichen
149
Wehren sollen zuerst der Dialog und die
Kompetenz gestärkt werden. Außerdem
gelte es, mit zahlreichen Missverständnissen
aufzuräumen. So sei in vielen Ländern wie
beispielsweise Italien die Feuerwehrstruktur
militärisch organisiert. »Ein ehemaliger Gastarbeiter verbot beispielswiese seinem Sohn,
zur Freiwilligen Feuerwehr zu gehen: ›Du
gehst mir nicht zum Militär!‹ Da gibt es viel
Aufklärungsbedarf.«, so die Pressereferentin
des Verbandes. Ganz einfach komme es aber
auch darauf an, dass im Einsatzfall eine Verständigung möglich ist. Wichtig sei zu klären,
was man von einer Freiwilligen Feuerwehr
erwarten könne, aber auch, welche Vorteile
ein ehrenamtliches Engagement für die Einzelnen habe.
Damit Integration dauerhaft gelingt, will
sie der Verband aktiv fördern und unterstützen. Integration braucht die Bereitschaft,
den anderen in seiner Verschiedenheit anzunehmen und Unterschiede als Bereicherung
und nicht als Mangel zu begreifen. Sie erfordert auch die Anstrengung, Teilhabemöglichkeiten für alle zu schaffen. Und Integration
benötigt Ausdauer, um gemeinsam Regeln
des Miteinanders zu entwickeln und auch
auf ihre Einhaltung zu achten. Dies ist wichtig für das gegenseitige Verstehen der jeweiligen Standpunkte und Arbeitsweisen, für
die Prävention und auch langfristig für eine
ehrenamtliche Tätigkeit.
150
Das Projekt wird aus Mitteln des Europäischen Integrationsfonds kofinanziert; für
die Verwaltung des Fonds ist das BAMF zuständig. »Miteinander reden!« knüpft sehr
stark an das vorangegangene Projekt »Deine
Feuerwehr – Unsere Feuerwehr! Für ein
offenes Miteinander« an. Mit dem Vorgängerprojekt stellte der Deutsche Feuerwehrverband die Vorteile in den Vordergrund, die
jede einzelne Feuerwehr aus einer guten
Integrationsarbeit ziehen kann. Konkret wurden durch den Deutschen Feuerwehrverband
ein Leitfaden zur Interkulturellen Öffnung
erstellt, Schulungen für Feuerwehrangehörige und Multiplikatoren angeboten, ein
Leitbild für die Feuerwehren entwickelt,
Netzwerke geknüpft und Ideen für eine
Feuerwehr-Jahresaktion als Vertrauenskampagne gesammelt.
Im Jahr 2013 soll das bestehende Schulungsmaterial erweitert werden. Vor Ort werden Schulungen zum interkulturellen Dialog
angeboten. Die Landesverbände und interessierte Feuerwehren erhalten ein Materialset
zum Thema »Interkultureller Dialog«, mit
dem zum Beispiel Übungsabende gestaltet
Jahresbericht 2012
werden können. Ein Flyer gibt Praxistipps
für den konkreten interkulturellen Dialog. Im
Zeitraum vom 3. bis 5. Mai 2013 und 27. bis
29. September 2013 können sich Feuerwehrleute mit und ohne Migrationshintergrund
aus ganz Deutschland bei Regionalkonferenzen zum Austausch treffen. Mit einer allgemeinen Kommunikationskampagne wird
zudem Material zu den Schwerpunkten Aufklärung zum Feuerwehrsystem, Prävention
und Mitgliedergewinnung deutschlandweit
zur Verfügung gestellt. Für das erste Dezemberwochenende ist eine Abschlusskonferenz
in Berlin geplant.
Der Verband empfiehlt Fachberater
Der Deutsche Feuerwehrverband empfiehlt
die Einsetzung von Fachberatern oder Fachberaterinnen Integration auf verschiedenen
Ebenen (Kommune, Kreis, Bezirk, Land,
Bund), um die interkulturelle Öffnung und
Integration in die Feuerwehren voranzubringen. In einer Fachempfehlung werden die
Aufgaben und Tätigkeiten für Fachberater/in
Integration in der Feuerwehr beschrieben.
Sie richtet sich an die Vorstände, Präsidien
und sonstige Organisationseinheiten und
soll Fachberater und interessierte Personen
bei der interkulturellen Öffnung unterstützen. Die Fachempfehlung gibt außerdem
Hinweis, wie man mit interkulturellen
Irritationen umgehen kann.
Aktuelle Projektinfos finden Sie
auf der Webseite
www.feuerwehrverband.de/miteinander
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Einer für Alle:
der Deutsche Feuerwehrverband
Rund 1,3 Millionen Angehörige in Freiwilligen, Jugend-, Berufs- und Werkfeuerwehren in bundesweit 32.000 Feuerwachen und Gerätehäusern – damit sind
die Feuerwehren eine starke Gemeinschaft und ein verlässlicher Partner für
Sicherheit. Die flächendeckende Gefahrenabwehr trägt der dichten Besiedlung
Deutschlands Rechnung und bringt den
Bürgern schnelle Hilfe an jedem Ort. Der
Deutsche Feuerwehrverband bündelt und
vertritt die Interessen seiner ordentlichen
Mitglieder: der 16 Landesfeuerwehrverbände und der beiden Bundesgruppen.
Fachlicher Austausch, gemeinsame Aktionen und eine gebündelte Interessenvertretung kennzeichnen die Arbeit
ebenso wie ein hohes Maß an Eigenverantwortung der Feuerwehrangehörigen
und der Träger der Feuerwehren. Die
Verbandsarbeit der Feuerwehren lebt auf
allen Ebenen von Menschen, die sich in
ihrer Freizeit für die Belange der Feuerwehren und ihrer Mitglieder einsetzen.
Ehrenamtlichkeit ist auch das Grundprinzip des Deutschen Feuerwehrverbandes.
151
8. Vielfalt in die
Öffentlichkeit bringen:
Sachsen ist bunt
Wer bin ich, und wenn ja, wie viele? Dieser
Buchtitel des Philosophen Richard David
Precht passt auch haargenau auf unsere
Identität. Wir Menschen haben ein vielfältiges Selbstverständnis. Wir sind Deutsche,
Sachsen, Freiberger, Leipziger, Erzgebirgler,
Eingeheiratete, Oberlausitzer, Städter oder
Bergbewohner. Und dazu außerdem noch
Europäer und natürlich auch Weltbürger,
die sich beispielsweise für das Weltklima
einsetzen. Das alles passt unter einen Hut,
ohne dass uns dabei schwindlig wird. Man
sieht: Wir sind schon bunt.
Diese »unausgesprochene Vielfalt« in uns
ergibt sich aus unsern eigenen individuellen
Entwicklungen, aus den Entscheidungen
unserer Familie, hierhin oder dorthin zu ziehen, aus unserem beruflichen Engagement,
aus Kontakten mit Freunden und Fremden
und auch aus den großen gesellschaftlichen
und globalen Entwicklungen. Wie weltoffen
wären wir heute, wenn es den Mauerfall
nicht gegeben hätte?
Vielfalt macht neugierig. Sie erweitert
die Perspektive. Jeder, der schon einmal die
Gelegenheit hatte, im Ausland zu leben und
zu arbeiten, hat aus seinem Gastland ganz
sicher neue und wichtige Einsichten mit-
152
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
gebracht, die über das hinausgingen, was
er vorher wusste und konnte. Jeder Schritt
in eine andere Kultur, jede Begegnung mit
anderen Menschen macht unser eigenes
Selbstverständnis bunter.
Das wirft uns nicht aus der Bahn, denn
wir haben starke Wurzeln: Unser Land ist
ein Land der Einheit in Vielfalt.
Zu meinen Aufgaben als Ausländerbeauftragter gehört es, jährlich über die Situation
der im Freistaat Sachsen lebenden Ausländer
zu berichten. Diese Aufgabe kann ich nur
erfüllen, wenn ich gleichzeitig über unser
Miteinander berichte. Nur dann kann ich
dem Anspruch »Einheit in Vielfalt« gerecht
werden.
Deshalb stehen im Mittelpunkt dieses
Kapitels über Öffentlichkeitsarbeit Initiativen
und Menschen, die sich für ein konstruktives
Miteinander in Sachsen engagieren.
Dazu gehören die Preisträger des Integrationspreises ebenso wie engagierte Journalistinnen und Journalisten, Kommunen,
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,
Mitglieder in Vereinen und Initiativen und
einzelne Bürgerinnen und Bürger.
Sie alle stehen für die Botschaft: Wir sind
bunt. Und wir gehören zusammen.
153
8.1
Alle Deutschen werden
Brüder – oder:
Wie wird man einer von uns?
Was ist deutsch? Wer ist Deutscher? Ist Deutscher, wer Deutschland »Heimat« nennt? Ist
Deutscher, wer einen deutschen Pass besitzt?
Oder braucht es noch mehr dazu, wie manche meinen? Während die Diskussion über
scheinbar integrationsunwillige Migranten
in unserem Land ganze Säle füllt, wird eine
andere, ebenso wichtige Frage meist nicht
gestellt: Wollen die Bundesbürger deutscher
Herkunft die Integration der Migranten überhaupt? Und wenn ja, führen die vorhandenen
Konzepte tatsächlich zum gewünschten Erfolg eines respektvollen und bereichernden
Miteinanders?
Diese Fragen standen auf dem Programm
einer Sonntagsmatinee des Deutschen Hygienemuseum Dresden im Februar 2012, zu dem
über 80 Gäste gekommen waren, und die von
vier Referenten gestaltet wurde.
Dr. Herbert Lappe, von der Gesellschaft
für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit
Dresden, setzte sich in seinem Statement mit
der Rassentheorie der Nazis auseinander.
Dr. Bernd Rump zeigte anhand der Lebensläufe seiner Vorfahren, welchen Einfluss
beispielsweise Umsiedlungen in deutsche
Wehrdörfer, Völkervertreibungen, politische
und militärische Niederlagen oder auch
Hochzeiten auf die staatsrechtlichen Einordnungen hatten und haben. Er zeigte,
was allein im Laufe der letzten 100 Jahre
154
als deutsch oder nichtdeutsch galt, erklärt
oder hingebogen wurde.
Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler – Berliner
Anwalt und Autor des Buches »Kein schönes
Land in dieser Zeit« – betonte, dass nicht
nur Ausländer in Deutschland unter Ausgrenzungen zu leiden hätten. Auch Behinderungen, die sexuelle Orientierung oder das
Geschlecht führten noch immer dazu, dass
Menschen als »undeutsch« charakterisiert
würden. Daimagüler schlug vor, sich weniger
auf Unterschiede als vielmehr auf das Merkmal »engagierte Bürgerschaft« zu konzentrieren. Sein Plädoyer lautete: Wer sich konstruktiv in Deutschland und in die deutsche
Gesellschaft einbringe, sei Deutscher.
Martin Gillo plädierte für einen Perspektivwechsel und warb für den Begriff des Zukunftsdeutschen. Zukunftsdeutsche seien
Menschen, die sich in und für eine vielfältige
Willkommensgesellschaft engagieren. Als
zukunftsorientiert erwiesen sich auch die
Vorschläge, die vom engagierten Publikum
eingebracht wurden. Besonders hervorzuheben ist der Ansatz, dass es nicht darum
geht, Migranten zu assimilieren, sondern
viel eher darum, dass sich die Migranten und
die deutsche Mehrheitsgesellschaft hin zu
einer immer zukunftsfähigeren Gesellschaft
weiterentwickeln, die von Diversität, Respekt
und Bereicherung geprägt ist.
Jahresbericht 2012
8.2
Der Sächsische Integrationspreis:
Migranten für Sachsen
und Sachsen für Migranten
Sachsen ist die gemeinsame Heimat von
Menschen aus 170 Nationen. Trotz unterschiedlichster Wurzeln haben diese verschiedenen Menschen eine gemeinsame Zukunft
in Sachsen. Viele Menschen in Sachsen
engagieren sich täglich dafür, diese Zukunft
zu gestalten – sei es in ihrer Nachbarschaft,
sei es beim Sport, in Kunst oder Kultur. Viele
Zuwanderer sind unter ihnen. Häufig ist ihr
Engagement nicht bekannt.
Deshalb stand der Integrationspreis 2012
unter dem Motto »Migranten für Sachsen –
Sachsen für Migranten«. Er wurde auch 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
wieder gemeinsam von Christine Clauß,
Sächsische Staatsministerin für Soziales
und Verbraucherschutz, und Martin Gillo
ausgeschrieben.
Wir wollten sichtbar machen, wie sich
Migranten heute schon für ihre neue Heimat
und ein gutes interkulturelles Miteinander
einsetzen. Wie gingen sie konkret auf ihre
Nachbarn und Kollegen, auf die Lehrer und
Erziehern ihrer Kinder zu? Wie haben sie sich
in Gemeinden, Vereinen oder im alltäglichen
Leben für ein respektvolles interkulturelles
Miteinander engagiert?
155
Besonders wichtig war uns zu zeigen, welche
Brücken bei diesem Engagement entstehen:
im Alltag und in der Nachbarschaft, im
Sport, im Arbeits- und Wirtschaftsleben,
in der Kinder- und Jugendarbeit, in den
Medien, in Bildung und Wissenschaft oder
im interreligiösen Bereich.
Vier Preisträger freuten sich letztlich
am 30.11.2012 im Plenarsaal über die
Glückwünsche von Christine Clauß und
Martin Gillo.
Bevor die Moderatoren Luisa Noack und
Duy Tran die Preisträger vorstellen konnten,
musste sich eine Jury für die besten Projekte
von 24 Initiativen und Einzelpersonen aus
ganz Sachsen entscheiden. Kriterien bildeten
beispielweise die Nachhaltigkeit der Projekte
und die Zusammenarbeit von Menschen mit
und ohne Migrationshintergrund. Der siebenköpfigen Jury gehörten die Preisträger
aus den Vorjahren, die Stifter des Preises und
der Ausländerbeauftragte der Technischen
Universität Dresden an.
Staatsministerin Clauß betonte in ihrer
Rede, dass eigentliche alle Initiativen die
Ehrung verdient hätten:
»Migranten gehören in die Mitte der
Gesellschaft, in die Mitte der Politik, in
die Mitte der sächsischen Heimat und Wahlheimat. Nur das gemeinsame Denken, Fühlen und Handeln von Zuwanderern und
Mehrheitsgesellschaft bringt uns weiter.«
Dass auch Bürgermeister, Behördenvertreter und Mandatsträger extra zur Auszeichnung ihrer lokalen Initiativen kamen, zeugte
von der wachsenden Anerkennung für die
Idee des Integrationspreises.
Fortbildungen, Fahrradkurse und Tanz
Geehrt wurde Mehrdad Kalateh Agha
Mohammadi vom Förderverein Jugend-, Kultur- und Sozialzentrum Aue e. V. Er engagiert
sich für Demokratie und setzt auf die Begeg-
156
nung zwischen Zuwanderern und einheimischer Bevölkerung. Auch der Verein ProDialog Leipzig e. V. erhielt einen Preis für seine
interkulturelle Fortbildung für Mitarbeitende
aus öffentlichen Einrichtungen. Die Preisträger vom Kunst- und Tanzstudio »Schöne
Welt« aus Oelsnitz im Vogtland setzen auf
Kunst und Kultur als Bindeglied zwischen
Zuwanderern und Einheimischen.
Den Sonderpreis des Sozialministeriums
erhielt der Verein zur Förderung von Kinderund Jugendsport in Dresden. Er organisierte
gemeinsam mit dem Ausländerrat einen
Fahrradkurs für Migrantinnen, die in ihren
Herkunftsländern nie Radfahren lernen
konnten. Durch die enge Zusammenarbeit
mit Polizei und Verkehrswacht ging das
Empowerment der Frauen Hand in Hand mit
der interkulturellen Öffnung der beteiligten
Organisationen.
Martin Gillo betonte bei der Verleihung,
dass alle Initiativen Anteil daran hätten, dass
Sachsen immer mehr zu einem Land wird, in
dem respektvoll und auf Augenhöhe miteinander umgegangen werde:
»Es ist nicht die Herkunft entscheidend,
sondern ob und wie sich Menschen für unsere
gemeinsame Heimat Sachsen und unsere
gemeinsame Zukunft engagieren. Alle Initiativen, die sich beworben haben, tragen ein
Stück dazu bei, dass Sachsen immer mehr
zu einem Land wird, in dem wir – unabhängig von unserer Herkunft – respektvoll und
auf Augenhöhe miteinander umgehen. Das
ist ein entscheidender Beitrag für unsere
Zukunftsfähigkeit.«
Im Rahmen der Preisverleihung konnten
sich die Gäste über die eingereichten Projekte
informieren und untereinander austauschen.
Eine Ausstellung in der Lobby stellte alle
Projekte vor. Eine Dokumentation aller Projekte ist über die Geschäftsstelle des Ausländerbeauftragten erhältlich.
Jahresbericht 2012
»Zusammenarbeit – tolerant,
kompetent, nachhaltig«
Mehrdad Kalateh Agha Mohammadi,
Förderverein Jugend-, Kultur- und Sozialzentrum Aue e. V.
Die Initiative »Zusammenarbeit – tolerant,
kompetent, nachhaltig« initiiert Begegnungen
zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Gerade in Städten oder
Landkreisen mit sehr geringem Ausländeranteil sind Ängste und die Unsicherheit vor
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Fremden sehr hoch – umso wichtiger sind
persönliche Begegnungen, die die Gemeinsamkeiten erkennen und die Unterschiede
weniger wichtig werden lassen. Im Rahmen
der Initiative werden verschiedene Kleinprojekte im Sport, in der Kinder- und Jugendsowie in der Bildungsarbeit durchgeführt,
bei denen der interkulturelle Ansatz zentral
ist, wie z. B. in den Patenschaften zwischen
Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Darüber werden die interkulturelle
Öffnung und gleichzeitig die demokratische
Bürgergesellschaft in Aue und Umgebung
gestärkt und gefördert. Dieser Ansatz erleichtert Zuwanderern das Ankommen in der Region und schafft Wege in die Gesellschaft
hinein.
Mehrdad Kalateh Agha Mohammadi ist
ein sehr aktives Mitglied im Verein. Er betreut
und begleitet Menschen mit Migrationshintergrund, die in der Region leben und
wendet sich auch ganz aktiv an die einheimische Bevölkerung. So unterstützt er den Geschichtsunterricht an der Auer Mittelschule
und vermittelt Kindern und Erwachsenen
seine Perspektiven als Ausländer in Sachsen
und berichtet von seinen Erfahrungen als
157
Flüchtling, der sein Land verlassen musste.
Er setzt sich bei Fachtagungen und Podiumsdiskussionen mutig und öffentlich für seine
neue Heimat, für Demokratie und ein respektvolles Miteinander ein. Damit ist er ein
wichtiges Beispiel für lebendige und selbstverständliche Interkulturalität in Sachsen.
Interkulturelle Fortbildung
Sarbast Akraui, ProDialog Leipzig e. V.
Das Projekt »Interkulturelle Fortbildung für
Kinder- und Jugendeinrichtungen des Leipziger Ostens« richtete sich an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende der Kinder- und
Jugendarbeit und zeigte Handlungsstrategien
für interkulturelle Fragen auf, die in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verschiedener Herkunft entstehen können. Ziel der
Fortbildungen war es, das alltägliche Zusammenarbeiten und Zusammenleben in
den Kinder- und Jugendeinrichtungen zu
verbessern. Die Mitarbeitenden wurden für
die Belange von Kindern und Jugendlichen
mit Migrationshintergrund sensibilisiert und
erhielten gleichzeitig Anregung für die interkulturelle Öffnung der jeweiligen Ämter und
Einrichtungen. Diese Impulse zur interkulturellen Öffnung und die Konzeption der Fort-
158
bildung als Multiplikatorenschulung machen
die besondere Nachhaltigkeit dieser Initiative
aus.
Das Projekt zielte nicht nur darauf,
Diskriminierungen zu erkennen und zu vermeiden, sondern zeigte mögliche Wege auf,
wie ein respektvolles Miteinander von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher
Herkunft ermöglicht und unterstützt werden
kann.
Dem interkulturellen und multiethnisch
zusammengesetzten Verein »ProDialog« ist
es mit diesem Projekt vorbildlich gelungen,
eigene Erfahrungen aus der Perspektive von
Zuwanderern für die Mehrheitsgesellschaft
nutzbar zu machen. Besonders lobenswert
ist der methodische Ansatz, interkulturelle
Fortbildung nicht nur als Wissenszuwachs
für den Einzelnen zu konzipieren, sondern
gleichzeitig die interkulturelle Öffnung der
beteiligten Institutionen zu fördern.
kulturelles Miteinander einzusetzen. Kunst
und Kultur sind in dieser Initiative nicht nur
Antriebsmotor der Integration, sondern auch
Antriebsmotor für die interkulturelle Öffnung
der sächsischen Gesellschaft. Das ist angesichts der besonderen Herausforderungen
in den kleineren sächsischen Städten besonders lobenswert. Gerade in den Regionen
mit sehr geringem Ausländeranteil sind
Ängste und die Unsicherheit vor Fremden
sehr hoch – umso wichtiger sind gemeinsame Erlebnisse, die die Gemeinsamkeiten
erkennen und die Unterschiede weniger
wichtig werden lassen.
Kunst und Kultur als Antriebsmotor
der Integration
Nadja Grigorenko, Kunst- und
Tanzstudio »Schöne Welt«
Das Kunst- und Tanzstudio »Schöne Welt«
bietet unterschiedliche Projekte für Menschen
mit und ohne Migrationshintergrund an.
Bei der künstlerischen Betätigung steht das
Miteinander im Vordergrund. Hier ist nicht
wesentlich, woher eine oder einer kommt,
sondern entscheidend ist die gemeinsame
künstlerische Arbeit, die so zum Medium
der Verständigung wird.
Mit diesem Ansatz gelingt es der Studioleiterin Nadja Grigorenko nicht nur, Zuwanderer beim Ankommen und Einleben in der
neuen Heimat zu unterstützen.
Sie schafft vor allem Möglichkeiten der
Begegnung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und bietet Gelegenheiten, sich gemeinsam für etwas zu engagieren
Jahresbericht 2012
und zu begeistern. In den von ihr initiierten
Projekten kann man ganz alltäglich erfahren,
wie sich Menschen aus verschiedenen Kulturen ergänzen und bereichern können. Damit
können auch Berührungsängste vor Fremden
besonders nachhaltig abgebaut werden.
Nadja Grigorenko ist es auf beeindruckende Weise gelungen, ihre Fähigkeiten
und Kenntnisse für ein respektvolles interw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Sonderpreis: Fahrradkurs für Migrantinnen
Jürgen Gunkel, Verein zur Förderung
von Kinder- und Jugendsport in Dresden
Der Fahrradkurs für Migrantinnen wurde
durch den Verein zur Förderung von Kinderund Jugendsport in Dresden e. V. und in
Zusammenarbeit mit dem interkulturellen
Frauentreff des Ausländerrates Dresden e. V.
159
realisiert. Die Idee dazu stammt von Frauen
aus Afghanistan, Jemen, Armenien, Iran
und Vietnam, die den großen Wunsch hatten, Fahrradfahren zu lernen. Das ist in
den meisten dieser Länder für Mädchen
und Frauen eher unüblich.
Der Kurs beinhaltete neben der Fahrpraxis
auch theoretische Inhalte zur Verkehrssicherheit und wurde in Zusammenarbeit mit der
Dresdner Polizei durchgeführt. Zum erfolgreichen Abschluss bekamen alle Frauen
neben einem Fahrradpass ein gutes gebrauchtes Fahrrad und einen neuen Helm.
Mit der neuen Fertigkeit sind sie deutlich
mobiler und unabhängiger in ihrer Heimatstadt Dresden.
Herausragend an diesem Projekt sind
die kleinen Brücken, die hier geschlagen
werden konnten. Besonders lobenswert sind
natürlich die Eigeninitiative und der Mut
der Frauen, die damit nicht nur individuelle
Ängste, sondern vor allem auch kulturelle
160
Schranken überwinden konnten. Hervorzuheben ist auch die Bereitschaft der Ehemänner, die in den Zeiten des Kurses selbstverständlich die Kinderbetreuung übernahmen.
Brücken wurden auch durch die breite
Kooperation mit verschiedenen Partnern
gebaut. Neben dem Ausländerrat Dresden
und dem Gemeindedolmetscherdienst Dresden ist besonders die Zusammenarbeit mit
Verkehrswacht und Polizei erwähnenswert.
Darüber konnten auch Barrieren zwischen
Migrantinnen und Behörden abgebaut und
gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden
konnte – ein wichtiger Schritt auch in Richtung interkultureller Öffnung der beteiligten
Institutionen.
Diese Initiative ist Empowerment der
besonderen Art – sie macht in vielfacher
Hinsicht mobil, schafft wichtige Erfolgserlebnisse und kann auch in kleineren Städten
oder ländlichen Regionen leicht nachgeahmt
werden.
8.3
Trimediale Integration
Die MDR-Webdoku »Unsere bunte Heimat« verbindet Reportagen,
Geschichten und Hintergründe zur Migration in Mitteldeutschland
von Louisa Noack
Ein Shaolin-Meister in Quedlinburg, eine
Chilenin in Buchenwald, ein Leipziger Rabbi
mit Smartphone und Facebook-Profil – sie
alle verbindet eine, ihre, eine besondere Geschichte. Sie sind Migranten – wie tausende
andere in Sachsen-Anhalt, Thüringen und
Sachsen. Und sie sind Mitmenschen, sie
leben mit und unter uns, mit ihren interessanten, oft unentdeckten Schicksalen.
Wie viel Integration steckt in Mitteldeutschland? Welche Geschichten verbergen
sich hinter Bergen, in Tälern, Kleinstädten
und Landeshauptstädten? Welche unterJahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
schiedlichen Nationen leben hier und sind
Teil unseres Alltags?
Die zehn MDR-Volontäre des 17. Jahrgangs
bekamen im Frühsommer 2012 eine Aufgabe:
»Entdeckt und erzählt Geschichten von
Migranten in Mitteldeutschland«. Die jungen
Redakteure sollten Menschen finden, die
aus anderen Teilen der Welt kamen, hier eine
neue Heimat fanden, ihrer Arbeit nachgehen
und ihre Probleme wie jeder andere lösen
müssen, den Alltag meistern und gleichzeitig
ihre Eigenheiten und Traditionen erhalten
wollen.
161
Drei Tage Alltag
Acht Volontäre gingen mit Kameramann oder
-frau und Tonassistent in die Landkreise,
Städte und Häuser der Protagonisten. Sie
begleiteten sie drei Tage; erlebten deren
Alltag, führten Interviews und Hintergrundgespräche.
Die Geschichte des Sternekochs in Weimar,
Italiener, Gourmet. Die Arbeit in der Küche
des Hotels organisiert er professionell. Seine
Angestellten arbeiten im Akkord, er hat den
Laden im Griff. Wir sehen ihn beim Kochen,
beim Kosten – über die Schulter oder vom
Beifahrersitz aus.
Benjamin arbeitet im Asylbewerberheim.
Die Schicksale dort bewegen. Der Einkauf
im Supermarkt wird zur Herausforderung.
Am Ende gibt es ein Sommerfest für alle
Bewohner. Wir schauen hinter die Fassade.
So sieht es dort also aus, so ist das Leben
für die Asylbewerber.
Ein anderer betreibt in Chemnitz ein
jüdisches Restaurant. Dass es so etwas
tatsächlich gibt? Hier im Osten? Die Küche,
die Bauarbeiten, der Bruder und die Schulklasse. Milchig und fleischig und auch
noch getrennte Besteckkästen und Kühlschränke.
Da ist der Wetterfrosch, der als junger
Nachwuchsmoderator seine erste Livesendung
bewältigen muss. Er liebt den Vietnamesen
um die Ecke. Dort geht er mit seiner Freundin gern mal essen, wenn er dafür Zeit hat.
Reise nach Jerusalem
Während der Entstehung der Geschichten
recherchierten zwei Volontäre zu allen
Themen ergänzende und vertiefende Inhalte – Statistiken, Zahlen, Fakten, Informationen. Es wurden Artikel geschrieben,
Fotos bearbeitet und Bildergalerien erstellt.
Wie weit ist es eigentlich von Chemnitz
162
Jahresbericht 2012
nach Jeruslaem? Welche jüdische Gemeinde
hat welche Geschichte in welcher europäischen Metropole? Welche Formulare muss
ein Asylbewerber ausfüllen, bevor er einen
Antrag stellen darf? Woher kommt der Song
Kung-Fu Fighting und wie entsteht eigentlich
ein Musikvideo?
Es entstand ein Online-Auftritt, der Geschichten und Zusatzinhalte miteinander
verbindet: Ein Haus mit verschiedenen
Zimmern und (Lebens-)Räumen ist das zentrale Element. Es ist eine animierte Grafik
als Startseite, die die einzelnen Protagonisten und Orte miteinander in Beziehung
bringt. Alle Geschichten sind hinter einer
gemeinsamen Fassade zu finden. Mitteldeutschland als Rahmen und Front des
Hauses mit seinen zahlreichen Zimmern;
jedes davon individuell und einzigartig;
jedes anders gestaltet und dennoch mit
dem Bezug zu den anderen Geschichten.
Wie in einer Nachbarschaft. Seite an Seite
wohnt man nebeneinander. Miteinander?
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Virtuelles Mitteldeutschland
Hinter den Zimmern, hinter jeder Grafik,
liegt ein Video-Player, der den Film per
Mausklick abspielt. Während der Film läuft,
werden rechts Hinweise auf Zusatzinhalte
gegeben. Ein kleiner roter Knopf blinkt auf,
ein weiterer Klick ermöglicht es, die Zusatzinhalte anzuschauen, während der Film
weiterläuft. Es erscheinen Links, zusätzliche
Audio- und Videoinhalte, Texte, Grafiken
und Bilder – also ganz viel Mehrwert für
den Zuschauer.
Die acht Filme liefen im Spätsommer
samstags im Vorabendprogramm des MDR
FERNSEHENS. Die Seite im Internet bleibt
weiter bestehen, dort sind die Filme weiterhin verfügbar. Es gibt viel zu sehen, zu hören
und zu entdecken in »Unserer bunten Heimat«, hier in Sachsen, in der Nachbarschaft,
gleich da drüben.
Alle Informationen und Inhalte unter:
www.mdr.de/unsere-bunte-heimat.
163
8.4 Herzlich willkommen in Chemnitz
Barbara
Ludwig,
Oberbürgermeisterin der
Stadt Chemnitz
Es gibt viele gute Gründe, nach Chemnitz
zu kommen. Die Arbeit bestimmt oft den
Lebensweg, aber auch die eigenen Lebensumstände und die Vorstellungen von
Wohnen, Leben und Kultur. Ich freue
mich, dass viele Menschen zu uns finden.
Für ausländische Bürgerinnen und Bürger
ist ein Neustart aber oft nicht leicht. Die
ersten Wochen in der noch fremden Stadt
sind auch Kampf um Orientierung, Halt
und eine Perspektive. Manchmal sind
auch Behörden nicht die erste Anlaufstelle, an die sich Migranten vertrauensvoll wenden wollen.
Seit dem vergangenen Jahr treffen sich
auf meine Einladung daher verschiedene
Institutionen, die eine bessere Willkommenskultur in Chemnitz schaffen wollen.
Mit dabei sind die Technische Universität,
die Bundesagentur für Arbeit, die IHK
und die Handwerkskammer, der Industrieverein, das Innenministerium,
164
der Sächsische Ausländerbeauftragte,
der Ausländerbeirat, die Ausländerbeauftragte der Stadt und die Jüdische
Gemeinde.
Es geht uns darum, eine Atmosphäre
zu schaffen, in der sich alle in Chemnitz
wohl und aufgehoben fühlen. Erste wichtige Schritte sind wir im Jahr 2012 gegangen. Im Juli 2012 wurde das vereinfachte
Verwaltungsverfahren AKZESS eingeführt,
das ausländischen Fachkräften den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll.
Außerdem haben wir Maßnahmen für
eine bessere Willkommenskultur innerhalb der Stadtverwaltung angeregt. Dazu
zählen Fortbildungen, die die interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter steigern
ebenso wie der Ausbau von Sprachkenntnissen oder die Beschäftigung von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund. Der
Kundenservice soll durch ein Bestellsystem in den Bereichen, die mit Migranten
arbeiten, bürgerfreundlicher gestaltet
werden. Dabei ist es egal, ob Menschen
hier arbeiten wollen oder Asyl suchen,
sie sollen sich willkommen fühlen.
Jahresbericht 2012
8.5
Pirna: Wir feiern Vielfalt!
Klaus Peter
Hanke,
Oberbürgermeister der
Stadt Pirna
In Pirna existiert seit langem ein hohes
zivilgesellschaftliches und kommunales
Engagement für Vielfalt. Die öffentlichen
und bürgerlichen Anstrengungen, den
demokratisch-gleichheitlichen Gedanken
durchzusetzen und ein durch Pluralität
geprägtes städtisches Leben zu entwickeln, haben verschiedenste Formen.
Initiativen und Vereine organisieren
zusammen mit Bürgern, Behörden und
Institutionen des Landkreises Sächsische
Schweiz – Osterzgebirge regelmäßig
Veranstaltungen, erarbeiten Projekte
und informieren die Öffentlichkeit zur
Thematik.
Zusammen mit der Aktion Zivilcourage e. V. und zahlreichen anderen Partnern richtete die Stadt Pirna 2012 bereits
zum zehnten Mal den »Markt der Kulturen« aus. Entsprechend dem Motto »Wir
feiern Vielfalt!« setzen sich Menschen
mit und ohne Migrationshintergrund bei
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
diesem Fest aktiv für ein respektvolles
Zusammenleben in unserer Region ein.
Auf Plakaten trat die Stadt Ende des Jahres zusammen mit Pirnaer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im Rahmen
der Europa-Kampagne für den europäischen Gedanken und die Europäische
Gemeinschaft ein. Patenschaften zwischen Schulen Pirnas und Tschechiens
sowie Städtepartnerschaften wurden
intensiv gepflegt.
All dies sind nur einige unserer vielen
kleinen und großen Aktionen, mit denen
wir vor allem auch andere Kommunen
motivieren möchten, sich zu engagieren.
www.pirna.de
165
8.6
Lessingstadt Kamenz:
Miteinander ist möglich!
Roland Dantz,
Oberbürgermeister der
Lessingstadt
Kamenz
Es hieße sicherlich Eulen nach Athen
tragen, wenn festgestellt wird, dass das
Zusammenleben von Menschen mitunter
eine Herausforderung ist. Dies trifft auf
die Deutschen wie auf jedes andere Volk
zu. Noch etwas komplexer, und vielleicht
auch komplizierter kann es sein, wenn es
um das Zusammenleben von Menschen
aus unterschiedlichen Kulturkreisen geht.
Schon der lessingsche Toleranzgedanke, eingebettet in das aufklärerische
Denken des 18. Jahrhunderts, schloss die
Hin- und Zuwendung zu anderen Menschen ein, forderte auf, Mitmenschlichkeit
zu üben und nach den damit verbundenen
Werten zu streben. Oft wird vergessen,
dass das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen nicht neu ist und schon
im Zeitalter der Aufklärung die Grenzen
durchlässig waren. Lessings Bestreben
richtete sich gegen Vorurteile und dem
daraus entspringenden Handeln.
166
In Kamenz gab es nun schon seit vielen
Jahren ein Asylbewerberheim, dessen
Träger der Landkreis ist. Damit der Landkreis seiner – auch im Grundgesetz verankerten Aufgabe – nachgekommen kann,
angemessene Wohnverhältnisse für diejenigen zu schaffen, die in einem anderen
Land um Asyl bitten (müssen), wurde
unter großer Resonanz der Bevölkerung
im Jahr 2012 ein neu saniertes Asylbewerberheim, welches die verpflichtende
Bezeichnung »Zentrum für Integration«
trägt, eröffnet. Sicher, hier gibt es auch
andere Lösungsansätze, doch konnte für
die Asylbewerber in Kamenz (einschließlich des Landkreises Bautzen), insbesondere für Familien mit Kindern, wesentlich
bessere Wohn- und damit auch Lebensbedingungen realisiert werden. Schon der
Weg dahin war kein leichter, hatte doch
eine von der NPD initiierte Bürgerinitiative
versucht, dieses Vorhaben zu verhindern.
Letztendlich setzte sich der Rechtsstaat
durch, denn das Verwaltungsgericht Dresden stellte fest, dass das Bürgerbegehren
rechtlich unzulässig war, auch weil es
ganz andere Ziele verfolgte. Damit bestätigte das Verwaltungsgericht die Auffassungen sowohl der Stadt Kamenz als
auch des Landkreises Bautzen, die aus
rechtlichen, aber auch ethischen Gründen
die Notwendigkeit eines angemessenen
Asylbewerberheims in Kamenz sahen.
Insgesamt haben sich die durch die NPD
geschürten Ängste nicht bewahrheitet.
Jahresbericht 2012
Auch die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass Kamenz weltoffen und nicht
gewillt ist, Fremdenhass und Unmenschlichkeit zuzulassen. Dies zeigte sich besonders im Februar 2012 als kurz vor der
Eröffnung des neuen Asylbewerberheims
im »alten« Heim Fensterscheiben eingeschlagen wurden. Sicher, es wurde niemand verletzt, doch war es ein deutlicher
Angriff auf die Menschen, die dort in diesem Gebäude schliefen. Überwältigend
war die Reaktion der Kamenzer sowie
der Menschen aus der Umgebung unserer
Stadt. Aufgerufen von den Kamenzer
Kirchen, dem Bündnis für Humanität und
Toleranz, den Vertretern des Landkreises
Bautzen, dem Oberbürgermeister von
Kamenz und den im Stadtrat vertretenen
demokratischen Parteien (Linke, CDU,
FDP, die Wählervereinigungen »Wir für
Kamenz« und »Kamenz und Ortsteile«)
fanden sich am 29. Februar über 300 Menschen zu eine Lichterkette zusammen,
um zu demonstrieren, dass menschenverachtendes Denken und Handeln keinen
Platz hat in Kamenz, und, so konstatierte
der damals anwesende Sächsischen Ausländerbeauftragter des Freistaates, Prof.
Dr. Martin Gillo, auch nicht in Sachsen.
Doch ein Miteinander besteht nicht
nur aus symbolischen Akten der Solidarität und des Mitgefühls. Vielmehr geht es
darum, gemeinsam den Alltag zu gestalten.
Schon die anspruchsvolle Bezeichnung
»Zentrum für Integration« zeigt an, dass
es nicht um Verwahrung, sondern um ein
aktives Miteinander gehen soll, denn Integration ist keine Einbahnstraße. Nicht
Assimilation steht im Vordergrund, sondern der Wille, die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an einer gemeinsamen Gesellschaft zu ermöglichen. Dabei
müssen die einen integrationswillig sein,
die anderen Integration wirklich wollen.
Dass dies dann im Alltag mitunter eine
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Herausforderung ist und Probleme mit
sich bringen kann, ist sicherlich allen
Beteiligten klar.
Besonders das Bündnis für Humanität
und Toleranz widmet sich ehrenamtlich
der Aufgabe des Miteinanders. So bietet es
Sprachangebote für verschiedene Asylbewerbergruppen an, Nachhilfeunterricht
für Schüler und organisiert gemeinsam
mit anderen Partnern, z. B. den Kirchen,
Sozialverbänden und Schulen, zum besseren Kennenlernen Treffen zwischen
Deutschen und Asylbewerbern, sei es
durch Weihnachtsfeiern, Sommerfeste
oder auch bei einer gemeinsamen Wanderung durch die reizvolle Umgebung
von Kamenz. Die Arzt- und Behördenbegleitung ist ein weiterer wichtiger Baustein der Unterstützungsmaßnahmen.
All dies und noch vieles mehr, z. B. die
Veranstaltungen zur »Interkulturellen
Woche« zeigen, dass in der Lessingstadt
Toleranz und Vorurteilsfreiheit an erster
Stelle stehen. Das ist nicht zu verwechseln
mit Blauäugigkeit oder dem sogenannten
Aufsetzen der rosaroten Brille.
Wenn es zu Problemen im Zusammenleben kommt, sollten diese nicht verklärt
werden, auch dies muss ein Credo in der
Geburtsstadt eines der bedeutendsten
Vertreter der deutschen Aufklärung sein,
sondern sie müssen im gemeinsamen
Handeln – und nur gewaltfrei – auf der
Grundlage humanistischer Werte und im
Einklang mit den geltenden Gesetzen gelöst werden. Ganz praktisch bedeutet dies,
dass es z. B. regelmäßige Beratungen zwischen dem Landratsamt und der Stadtverwaltung gibt, dass man sich gegenseitig umgehend informiert und Fragestellungen angesprochen werden, um
diese gemeinsam zu beantworten. Nicht
wegsehen ist gefragt, sondern hinschauen!
Das gilt im Großen wie im Kleinen.
www.kamenz.de
167
8.7
Wir sind Leipzig: Ort der Vielfalt
von Christian Dietz, Europa-Haus Leipzig e. V.
8.8 trägerverBUNT Bautzen:
Mit Aufgeschlossenheit und
Kreativität
von Matthias Klemm, trägerverBUNT Bautzen
In Kooperation mit der Stadt Leipzig und
dem Landespräventionsrat Sachsen startete
der Europa-Haus Leipzig e. V. im Sommer
2012 eine Fotoaktion zum Thema »Leipzig –
Ort der Vielfalt«. Der seit den 1980er Jahren
in Leipzig lebende libanesische Fotograf
Mahmoud Dabdoub machte sich auf, Leipziger nicht-deutscher Herkunft zu fotografieren und bat diese darum, in einem kurzen
Satz zu erläutern, was ihnen die Stadt Leipzig bedeutet.
Die Fotomodelle sind damit zu Botschaftern für Leipzig als Ort der Demokratie und
Toleranz geworden. Neben zehn verschiedenen Postkartenmotiven sind 57 unterschiedliche Plakate entstanden, die im Dezember
2012 flächendeckend in den Fahrzeugen der
Leipziger Verkehrsbetriebe zu sehen waren.
Die Kampagne setzt sich im Januar 2013 mit
dem Aushang von großformatigen Postern
im Stadtgebiet fort. Bereits im Dezember hat
das Europa-Haus Leipzig zahlreiche positive
Rückmeldungen zu der Aktion erhalten.
Es ist gelungen, auf ansprechende Weise
die kulturelle Vielfalt in Leipzig zu zeigen.
Ein Folgeprojekt in Form einer Ausstellung
oder einer Publikation ist angedacht.
Das Projekt wurde im Rahmen des
Landesprogramms »Weltoffenes Sachsen
für Demokratie und Toleranz« gefördert.
www.europa-haus-leipzig.de
168
Der trägerverBUNT ist das Netzwerk für
Demokratie und Vielfalt im Landkreis
Bautzen. Wir wollen in vielfältiger Weise
demokratische Kultur und Bildung fördern.
Dabei leisten wir Aufklärungsarbeit und
möchten Projekte und Veranstaltungen im
Themenspektrum »Demokratie vs. Rechtsextremismus« koordinieren und initiieren,
um menschenfeindliche Einstellungen zurückzudrängen. Zielgruppen sind dabei
insbesondere MultiplikatorInnen in Politik
und Verwaltung, Erziehende, Lehrende und
Jugendliche.
Unsere Vorstellung für ein »Buntes
Sachsen« beinhaltet, dass die Menschen,
egal welcher Herkunft, friedlich und gleichberechtigt zusammenleben können. Aufgeschlossenheit ist wichtig, um andere
Sichtweisen und Kulturen kennenzulernen.
Wir wollen uns nicht mit Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit
abfinden, sondern solidarisch mit den
Betroffenen sein.
www.tvbunt.de
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
169
8.9
Buntes Radebeul:
Für eine offene Gesellschaft
von Martin Oehmichen, Buntes Radebeul
Vielfältig, vielseitig, lebendig und nicht
eintönig. Radebeul wünscht sich, mit diesen
Synonymen des Begriffes »bunt« in Verbindung gebracht zu werden. Was tun wir
dafür?
Als Reaktion auf die »Anti-Islamisierungs- und -Überfremdungs-Tour« der NPD
gründete sich in Radebeul innerhalb kürzester Zeit ein Bündnis, welches zu einer Mahnwache aufrief. Weit über 300 BürgerInnen
sendeten eine friedliche Botschaft gegen die
menschenverachtenden und rassistischen
170
8.10 Riesaer Appell:
Gesicht zeigen für Vielfalt
von Holger Mucke, Sprungbrett Riesa
Hetzreden. Dies war kein einmaliges Zeichen!
Bei einer Weihnachtsfeier wurden an Asylsuchende Wintersachenspenden übergeben.
Die Spendenbereitschaft und damit die
Solidarität der RadebeulerInnen übertrafen
alle Erwartungen. Wir setzen uns weiterhin
ein für eine offene Gesellschaft, in der alle
Menschen, egal woher sie kommen, egal
welche Hautfarbe und egal welcher Religion
sie angehören, gleichberechtigt und würdevoll miteinander leben können.
www.buntes-radebeul.de
Jahresbericht 2012
Die Initiative »Riesaer Appell«, begründet
2010, steht für die Grundwerte Solidarität,
Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Initiiert wurde die Aktion von Trägern
der Jugendhilfe vor dem Hintergrund der
fortwährenden Konfrontation mit rechtsextremem Gedankengut u.a. durch die Ansiedlung des Verlages Deutsche Stimme in Riesa
sowie aufgrund des Engagements von antidemokratischen Kräften im Bereich der freien
Kinder- und Jugendhilfe. Seither hat sich der
anfängliche Appell von einem Dach für das
gemeinsame Einstehen für demokratische
Grundwerte hin zu einem Aktionsbündnis
entwickelt, das über den Einbezug immer
breiterer Personenkreise aus Bürgern, Vereinen, Unternehmen den Versuch unternimmt,
eine regionale Strategie zu entwickeln und
durch die Umsetzung von gezielten Maßnahmen aktuelle Themen zu bedienen. Im Jahr
2012 haben zur Veranstaltung »Riesa ist
bunt!« Kulturschaffende und engagierte Bürger zahlreiche Beiträge im Sinne eines toleranten und offenen Miteinanders gestaltet.
Die Aktion war eine Antwort auf das parallel
stattfindende Sommerfest des Verlages Deut-
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
sche Stimme. Andere Formate, wie das am
9. Dezember durchgeführte Podium mit
Frank Richter, verfolgen gezielt die Anregung
einer öffentlichen Diskussion sowie die
Qualifizierung der Arbeit. Auch 2013 wird
neben der regelmäßigen kooperativen Durchführung von kleineren Aktionen die Öffnung
der Arbeit für eine breite öffentliche Teilhabe
eine bedeutende Rolle einnehmen.
www.sprungbrett-riesa.de
171
8.11 Ausländerfeindlichkeit
ohne Ausländer – Moment mal
von Bettina Ruczynski, Journalistin
Wussten Sie eigentlich, dass Ausländerfeindlichkeit im Osten dort am größten ist, wo es
keine Ausländer gibt? Kaum jemand versteht
dieses Paradoxon. Ich schon. Und kann es
hier erklären: Aufgewachsen bin ich in einem Dorf in Thüringen. Mit Kirche, Kindergarten, Konsum, Krippe, Kulturhaus, Schule,
zwei kleinen Industriebetrieben – der eine
stellte Pinsel und Bürsten her, der andere Nagelfeilen – und einer LPG. Die zahlreichen
Höhepunkte des dörflichen Kalenderjahres
organisierten die Kameraden der Freiwilligen
Feuerwehr, zu denen jeder Mann des Dorfes
gehörte, der Gesangverein »Vorwärts«, in
dem die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr sangen, auch wenn sie unmusikalisch
waren, die Frauen des DFD, zu denen jede
Frau des Dorfes gehörte, der Karnevalsclub
und die Kirmesgesellschaft. Jeder kennt hier
jeden. Das Netz der sozialen Kontrolle ist
engmaschig. Kein Kind könnte unbemerkt
verwahrlosen oder verhungern. Außereheliche Sexualaktivitäten werden nach guter
Mittelaltersitte alljährlich in der Kirmespredigt an den Pranger gestellt, auch wenn der
oder die Gehörnte noch gar nichts von ihrem
unsichtbaren Kopfputz wissen sollten. Und
das Misstrauen Fremden gegenüber ist so
groß wie der Zusammenhalt innerhalb der
Dorfgemeinschaft stark. Zu den düster beäugten Fremden zählen bereits die Einwohner des drei Kilometer entfernten Nachbardorfes. Im frühen 17. Jahrhundert sollen jene
meinen Leuten den Maibaum gestohlen haben – eine Missetat, die bis zum heutigen
172
Tag unvergessen ist und mit immerwährendem Groll geahndet wird. Jedem Mädchen,
dass sich in einen Jungen aus dem Maibaumräuberdorf verliebt, droht ein Schicksal von
Shakespearschen Dimensionen: Romeo und
Julia auf dem Dorfe. Ich weiß, wovon ich
rede. Von den armen Deutschen, die nach
1945 ohne Hab und Gut aus Ostpreußen,
Schlesien und dem Sudetenland fliehen
mussten, kamen einige Familien auch in
meinem Dorf unter. Als »Freeme« (Fremde)
oder »Ratlewack« (unübersetzbar) gelten sie
und ihre Nachfahren bis auf den heutigen
Tag. Meine Leute brauchen keine Ausländer,
um ausländerfeindlich zu sein. Ihre Xenophobie beginnt bereits innerhalb der Ortsgrenzen. Jedem Auto, das mit fremdem
Nummernschild durchs Dorf fährt, starren
sie wie in einem Western lange misstrauisch
bis feindselig hinterher.
Als es die DDR noch gab, lag mein
1500-Seelen-Dorf im äußersten südwestlichen Zipfel des Landes. Jetzt liegt es mitten
in Deutschland. Doch das Leben da fühlt
sich nicht so an. Die beiden kleinen Betriebe
stellen weder Pinsel noch Bürsten und auch
keine Nagelfeilen mehr her. Die Kirche hat
seit Jahren keinen eigenen Seelsorger, das
Pfarrhaus verfällt. Sonntags kommt eine Art
Wanderprediger aus der Stadt, der niemanden von meinen Leuten näher kennt. Der
Konsum ist zu. Die Schule wurde wegen Kindermangels abgerissen, die LPG abgewickelt.
Überlebt haben die Freiwillige Feuerwehr,
der Gesangverein, der noch immer »VorJahresbericht 2012
wärts« heißt, die Frauen des DFD, die sich
jetzt »Landfrauen« nennen und natürlich der
Karnevalsclub samt Kirmesgesellschaft.
Und eines Tages geschieht tatsächlich das
Unvorstellbare: In meinem Dorf siedelt sich
eine echte Ausländerin an. Der Chef der Feuerwehr hat ebenso tapfer wie tollkühn eine
Russin geheiratet. Meine Leute können ihm
das nicht verzeihen und sind so lange passivaggressiv feindselig zur exotischen Fremden,
bis das hübsche Wesen mit der klassischen
Ballettausbildung sich der bis dato erbärm-
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
lichen Choreografie des traditionellen Männerballetts (»Tanz der kleinen Schwäne«)
erbarmt. Nach dessen grandiosem Erfolg
studiert sie mit den Landfrauen schwungvoll
Offenbachs Cancan ein und singt beim großen Gesangvereinskonzert mit schmelzendem Sopran und neckischem Akzent »Sah
ein Knab' ein Röslein stehn«. Alle Frauen des
Dorfes hassen sie jetzt unheimlich. Alle Männer des Dorfes liegen ihr heimlich zu Füßen.
Es wird Zeit, dass sie Verstärkung bekommt,
gern auch aus dem Nachbarort.
173
9. Ausblick: Kurs auf 2035!
Europa wächst zusammen. Menschen aus
aller Welt machen Europa gemeinsam mit
uns zu einer neuen Heimat. So wird unser
Kontinent zu einem Ort der Vielfalt der Nationen, Kulturen und Religionen. Dieser
Wandel bringt gleichermaßen neue Chancen und Herausforderungen, und er muss
intelligent gestaltet werden.
Die Chancen liegen auf der Hand: Die
Vielfalt der Ideen, der Perspektiven und
der Kreativität helfen uns, neue Lösungen
für eine neue Welt zu finden und zu nutzen.
Im internationalen Wettstreit der Ideen und
Produkte erhalten wir so unseren Wohlstand.
Falsches Denken hinter uns lassen
Ängste und Ressentiments gegen Veränderungen rufen die auf den Plan, die »die guten
alten Zeiten« wiederhaben wollen – und
denen dafür auch jedes Mittel recht scheint.
So haben uns im vergangenen Jahr die Mordserie der NSU-Neonazis in Deutschland
und das grausame Massaker in Norwegen
erschüttert.
77 Menschen fielen Anders Breiviks grausamer Ideologie zum Opfer – darunter nicht
nur junge Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch solche, die sich für ein
weltoffenes Norwegen eingesetzt hatten. Die
Reaktion der norwegischen Gesellschaft war
eindeutig. Sie bekannte sich mit Nachdruck
und in beeindruckender Gemeinsamkeit zu
Vielfalt und Weltoffenheit.
174
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Der englische Historiker Timothy Garton Ash
wurde damals gebeten, auf einer Konferenz
die wichtigsten Argumente für ein weltoffenes Europa zusammenzufassen11. Diese Argumente möchten wir hier bezogen auf unseren
Kontext wiedergeben, weil wir überzeugt
sind, dass sie auch für Deutschland gelten
und die richtige Antwort auf die Geisteshaltung all jener sind, die auf Gewalt und Ausgrenzung setzen.
Wir leben in einer neuen Welt und erleben
die Entwicklung eines neuen WIR. Zuwanderer aus aller Welt machen unser Land zu
ihrer neuen Heimat, ohne die Verbindung
mit ihrer alten Heimat zu zertrennen. Satellitenfernsehen aus aller Welt, kostenlose BildTelefonate via Internet rund um die Welt
mit den zurückgebliebenen Verwandten und
Freunden und Flugverbindungen nach Überall lassen die Grenzen zwischen den Ländern
der Welt praktisch verschwinden.
Menschen mit Migrationshintergrund
entwickeln so ein doppeltes Selbstverständnis. Multiple kulturelle Identitäten und Loyalitäten sind heute »normal«. Und Menschen
schaffen es, treu zu ihrer neuen und alten
Heimat zu sein. Die alte Welt des »EntwederOder« weicht zunehmend einer neuen Welt
des »Sowohl-Als-Auch«, die mittelfristig
sicherlich auch unser Denken über Doppelstaatlichkeit beeinflussen wird.
11 Vortrag bei der Konferenz »Challenges to
Multiculturalism. A Conference on Migration,
Citizenship and Free Speech« am 26. Juni 2012
175
Diese Vielfalt muss allerdings auch zu einer
neuen Einheit zusammengebracht werden,
wenn die Gesellschaft nicht auseinanderfallen soll. Bei aller Begeisterung für steigende Vielfalt müssen wir erkennen, dass in
der Vergangenheit bei uns gelegentlich auch
Fehlentwicklungen durch subventionierte
Isolation in parallelen Gesellschaften gefördert worden sind, in denen auch unakzeptable Werthaltungen propagiert wurden und
vielleicht zum Teil immer noch werden.
Doch unser Ziel muss bleiben, unsere gesellschaftliche Einheit und freiheitlichdemokratische Grundordnung bei steigender
Diversität neu zu entdecken und aufrecht
zu erhalten.
Einheit in Vielfalt
Die Grundlage für unsere Gesellschaft muss
die soziale und gesellschaftliche Inklusion
sein. Egal, wo er oder sie herkommt: Jeder,
der da ist, muss Respekt und Menschenrechte
genießen. Das gilt auch für Flüchtlinge, unabhängig von der Dauer des Aufenthaltes.
Es gibt viele Wege dorthin.
Es beginnt mit der gemeinsamen Bildung.
Wenn in Schulen Kinder mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam lernen,
spielen und leben, führt das ganz natürlich
zur gegenseitigen Akzeptanz. Der gemeinsame
Sport verbindet, wie unsere erfolgreichen
Fußballmannschaften zeigen. Die Unterhaltungsmedien leben uns das konstruktive und
interessante Miteinander vor und erreichen
damit unser Herz. Der Arbeitsmarkt muss
noch diskriminierungsfreier werden. Wenn
Menschen mit und ohne Migrationshintergrund an gemeinsamen Zielen arbeiten,
lösen sich Vorurteile im Wohlgefallen auf.
Selbst die Politik wird zukünftig – auch in
Sachsen – immer öfter auch von Menschen
mit Migrationshintergrund mit gestaltet
werden – die sich dann auch nicht nur zu
176
Migrationsthemen, sondern zu allen gesellschaftlich relevanten Themen äußern werden. David McAllister, Cem Özdemir, Lale
Akgün und Philipp Rösler leben uns das
heute schon vor.
Ein Zusammenleben in Vielfalt braucht
eine gemeinsame Basis, zu der alle stehen.
Die EU hat bereits 2004 dazu elf gemeinsame
Prinzipien12 beschrieben und die Grundwerte der Europäischen Union als das Fundament des Zusammenlebens dargestellt.
In Deutschland beziehen wir uns auf
unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung als Basis unseres konstruktiven Miteinanders. Und es braucht mehr. Wenn wir über
den Umgang mit kulturellen und religiösen
Unterschieden sprechen, sollten wir klar
zwischen harten und verhandelbaren Unterschieden trennen. Kopftücher und Minarette
sind nebensächlich, doch die Rechte der
Frauen müssen ausnahmslos für alle Frauen
in Deutschland gelten.
Zum neuen Zusammenleben gehört auch,
dass alle Religionen den gleichen rechtlichen
Schutz genießen müssen. Dabei zeigt sich,
dass es oft einfacher ist, bisherige Privilegien
zu relativieren als weitere neue Maulkörbe zu
verteilen. Großbritannien beispielsweise hat
es vorgezogen, seine Gesetze gegen Gotteslästerung abzuschwächen, anstatt kritische
Diskussionen über die wachsende religiöse
Vielfalt einzuschränken. Auch eine kritische
Auseinandersetzung mit den Religionen
muss erlaubt bleiben. Die entsprechende
Meinungsfreiheit muss für alle Religionen,
auch die neuen, weiter gelten. Wo Autoren
wegen ihrer Kritik an Religionen angegriffen
werden, wie etwa Salman Rushdie, ist es für
die Öffentlichkeit geboten, sich mit ihnen zu
solidarisieren.
12 http://ec.europa.eu/ewsi/de/
EU_actions_integration.cfm
Jahresbericht 2012
Ein Land – ein Gesetz!
Ein Land – ein Gesetz! Dieses Prinzip muss
mit Nachdruck verteidigt werden. Es kann
nicht sein, dass vor einem deutschen Gericht
die Klage einer Frau über Misshandlung
durch ihren Mann von der Richterin mit
dem Satz abgewiesen wird, dass die Klägerin
hätte wissen müssen, dass ihrem islamischen Mann durch die Scharia das Recht
gegeben sei, sie zu schlagen.
Ein Land – ein Gesetz! Vorbildlich erscheint da Großbritannien, das ein Gesetz
gegen Zwangsheirat erließ und eine besondere Polizeieinheit für die Bekämpfung und
Aufklärung von sogenannten »Ehrenmorden« einsetzte.
Die neue Aufklärung
Unsere Aufgeschlossenheit und Vorurteilsfreiheit machen uns neugierig auf andere
Kulturen, Philosophien und Lebensarten.
Wir profitieren davon für unser eigenes
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Denken und Handeln. Warum z. B. nicht
auch von anderen lernen, selbst wenn wir
anderer Meinung sind?
Gottfried Ephraim Lessing hat uns die
Aufklärung nahegebracht. In »Nathan der
Weise« befreit er uns von zerstörerischer
Rechthaberei und legt uns den Respekt vor
dem Anderen nahe. Er hilft uns, im Umgang
mit Anderen immer auch die Möglichkeit
zu bedenken, dass der Andere ebenso Recht
haben kann wie wir. Und das gemeinsam
Richtige findet sich dann auf einer höheren
Ebene des gemeinsamen Verständnisses.
Arbeiten wir daran, besser als bisher Wichtiges als wichtig und Unwichtiges als unwichtig zu erkennen und zu behandeln.
Zu dieser Haltung kommen wir, wenn
wir den konkreten Dialog mit Menschen
unterschiedlicher Perspektiven suchen und
finden. Weltoffen, so Timothy Garton Ash,
wird man nur durch konkrete Begegnungen.
Und dann geschieht etwas Faszinierendes:
Nicht nur wir empfangen die Neuankömmlinge in unserer Gesellschaft, sie empfangen
auch uns in ihrer Welt des Denkens. Beide
177
Seiten gehen aufeinander zu und beide profitieren davon. Diese »neue« Aufgeklärtheit
gilt gleichermaßen für die Mehrheit wie für
die Minderheit.
Anregungen für Partizipation
in Sachsen
Einem solchermaßen aufgeklärten Land
sollte es möglich sein, junge Menschen so
zu bilden, dass ein konstruktiver Umgang
mit kultureller Vielfalt selbstverständlich
ist. Ein solchermaßen aufgeklärtes Land
gewinnt an Attraktivität nicht nur für Zuwanderer, sondern vor allem auch für die junge
Generation, für die es sich dann lohnt, hierzubleiben und sich bei uns einzubringen.
Jeder, der bei uns bleibt, und jeder, den
wir darüber hinaus gewinnen können, zu
uns zu kommen, sollte uns diese Anstrengung wert sein.
Bevölkerungsforscher gehen davon aus,
dass in der kommenden Generation nur noch
etwa ein Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sein wird. Dieses Viertel muss
für die anderen 75 Prozent mitsorgen. Wie
erhalten wir bei diesem gesellschaftlichen
Wandel dennoch unseren Wohlstand und
unsere gesellschaftliche Solidarität?
Hier geht es nicht mehr um ein EntwederOder. Hier brauchen wir jeden Ansatz: Von
der bestmöglichen Schulbildung über Quereinsteigerlösungen und gute Anpassungsqualifizierungen bis hin zur besseren Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf. Wir brauchen jeden und jede, der oder die bereits hier
lebt und seine Talente einbringen will.
Und wir brauchen die Neuzuwanderung
von Ärzten, Ingenieuren und anderen Fachkräften aus dem Ausland. Neben der Erleichterung der qualifizierten Zuwanderung selbst
brauchen wir weitere Maßnahmen, die dazu
beitragen, dass qualifizierte Zuwanderung
nachhaltig sichergestellt wird, dass ausländi-
178
sche Fachkräfte in Sachsen bleiben wollen
und für ihre neue Heimat Sachsen in aller
Welt Werbung machen.
Deshalb wollen wir uns auf Landes- bzw.
Bundesebene für die folgenden Ansätze stark
machen:
• Deutsch ist die Sprache unserer Kultur. Deshalb müssen alle Zuwanderer das Angebot
erhalten, Deutsch zu erlernen. Auf die verschiedenen Angebote für Sprachkurse (Integrationskurse, Volkshochschulangebote,
sonstige Initiativen, u. Ä.) sollte unmittelbar
nach Ankunft in Sachsen von den zentralen
Behörden (z. B. Ausländerbehörde) hingewiesen werden.
• Mit seinem neuen Leitbild für Ausländerbehörden hat Sachsen seine Dienstleistungsorientierung und den Respekt im
Umgang mit ausländischen Fachkräften
in den Vordergrund gestellt. Wir plädieren
dafür, diesen Ansatz auf alle Behörden
auszudehnen.
• Einige Städte und Universitäten haben das
schon aufgegriffen und »Welcome Center«
für Zuwanderer eingerichtet, um sie bei der
Ankunft in Sachsen angemessen zu begleiten. Diese Schritte sollten in allen Regionen
vorgenommen werden.
• Da die meisten internationalen Zuwanderer
Englisch als Zweitsprache sprechen, sollten
sich auch die Behörden darauf einstellen
und die Sprachkompetenz ihrer Mitarbeitenden steigern. Informationsblätter, Anwendungshinweise und Anträge sollten
mehrsprachig ausgefertigt werden, gleiches gilt für die Internetauftritte der Behörden. Das Angebot von Seiten der Behörden, auch auf Englisch zu kommunizieren,
fördert das gegenseitige Verständnis und
kann zu schnelleren Lösungen führen.
Solche Mehrsprachigkeit der Behördenmitarbeiter wird damit zum wichtigen Standortvorteil.
• Das Bundesanerkennungsgesetz von 2012
regelt, wie ausländische Berufe anerkannt
Jahresbericht 2012
werden, die in der Verantwortung des Bundes liegen. Alle grundlegenden Prinzipien
dieses Gesetzes sollten passgenau auch
für die Berufe gelten, die in Länderzuständigkeit liegen, so z. B. Ingenieure, Lehrer,
Erzieher, Architekten.
• Für notwendige Anpassungsqualifizierungen für Menschen mit ausländischen Abschlüssen und die Vermittlung von berufsbezogenen Deutschkenntnissen sollten
geeignete Finanzierungsmöglichkeiten
geschaffen werden. Der Europäische
Sozialfonds (ESF) stellt Mittel für solche
Angebote zur Verfügung.
• Auch für die Anerkennung ausländischer
Schulabschlüsse müssen Angebote für evtl.
notwendige Nachqualifizierungen gemacht
werden. Das beinhaltet die Kompetenzfeststellung und konkrete Zielvereinbarungen
für Nachqualifikationen, die eine Gleichstellung mit den deutschen Abschlüssen
sicherstellen würden.
• Für die Wirtschaft ist die Einstellung
und Integration von ausländischen Fachkräften in ihren Unternehmen oft noch
Neuland. Wir setzen uns dafür ein, kleine
und mittlere Unternehmen dabei zu unterstützen, sich interkulturell zu öffnen und
damit ein konstruktives und bereicherndes
Miteinander in den Unternehmen sicherzustellen.
• Ausländische Fachkräfte kommen meist
zusammen mit ihren Familien nach Sachsen. Ob und wie lange sie bleiben, hängt
sehr davon ab, wie fair und weltoffen sich
die Familien behandelt fühlen:
– Mehrsprachigkeit ist ein großes Potential.
Kinder, die neben der deutschen noch eine
zweite Sprache muttersprachlich erlernen,
brauchen mehr Zeit. Deshalb sind sie zum
Zeitpunkt der Bildungsempfehlungen (mit
etwa zehn Jahren) sprachlich noch nicht
auf der Höhe ihrer einsprachigen Altersgenossen. Bildungsempfehlungen sollten
das angemessen berücksichtigen, um eine
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
systematische Benachteiligung von ausländischen Kindern bei der Schulbildung
zu vermeiden.
– Den Kindern sollte auch der sofortige
Eintritt ins Gymnasium ermöglicht werden.
Deshalb sollten die vorhandenen und
geeignete neue Maßnahmen zur Sprachförderung nicht nur an den Mittelschulen,
sondern auch an den Gymnasien angeboten werden, um die Schüler in ihrer weiteren Bildungskarriere und beim Deutschlernen zu unterstützen.
– Deutschunterricht für Fachkräfte und
ihre erwachsenen Familienangehörigen
sollten auch außerhalb der regulären
Arbeitszeit angeboten werden. Für Berufstätige ist das essentiell, um sich in unsere
Gesellschaft konstruktiv einzubringen.
– Besuche von Familienangehörigen
sollten bei ausländischen Fachkräften
auch ohne Hinterlegung hoher Kautionen
möglich sein.
• Alle Zuwanderer aus dem Nicht-EU Ausland sollten sechs Monate nach ihrer Ankunft in Sachsen die Möglichkeit erhalten,
Arbeit zu suchen und Arbeitsangebote anzunehmen. Das hilft den Betroffenen und
unserer Gesellschaft. Arbeit ist der beste
Weg zur Integration und Partizipation in
Deutschland.
– Familienangehörige von ausländischen
Fachkräften sollten Arbeit aufnehmen
dürfen. Die Ehepartner der angeworbenen
Fachkräfte bringen oft akademische Bildung mit und würden mit ihren Talenten
unsere Gesellschaft bereichern.
– Auch viele Asylsuchende bringen berufliche Talente mit, die in unserer Wirtschaft
gebraucht werden, ob auf akademischem
oder anderem Niveau. Deshalb sollten
die entsprechenden Anregungen von
Wolfgang Schäuble aus dem Jahr 2006
und der Bundeskonferenz der Integrationsbeauftragten aus dem Jahr 2012 aufgegriffen werden.
179
Wir alle sind gefragt
Einheit in Vielfalt, das betrifft uns alle.
Deshalb werben wir für Initiativen, die das
konstruktive Miteinander aller fördern. Denn
erst im persönlichen Kontakt haben wir die
Chance, unsere ausländischen Mitmenschen
auch tatsächlich als unsere Mitmenschen
kennenzulernen. »Wen man kennt, den
schlägt man nicht.« Misstrauen und Skepsis
lösen sich im Miteinander auf.
Wie aber kommen wir zu Einheit in Vielfalt oder Vielfalt in Einheit? Zum Weg gehören
Abholen, Aufnehmen und Integrieren.
Abholen. Es steht Sachsen gut zu Gesicht,
auch aktiv um internationale Fachkräfte zu
werben. Viele sehr gut ausgebildete Südeuropäer suchen ihr Karriereglück in Deutschland.
Die wachsenden Probleme durch fehlende
Fachkräfte könnten schnell behoben werden,
wenn sich Firmen in Sachsen unter dem gemeinsamen Dach der Wirtschaftsförderung
Sachsen für Akquisitionsreisen zusammenschließen und der Freistaat Sachsen mit einer
Kampagne für seine Weltoffenheit wirbt.
Aufnehmen. Die Begrüßung von neuen
Mitbürgern ist auch eine kommunale Aufgabe. Es macht einen guten Eindruck, wenn
z. B. die Stadt Zwickau allen neuen Mitbürgern zu ihrer Ankunft auch kostenlose
Eintrittskarten zu einer kulturellen Veranstaltung übergibt. Damit ebnet sie ihnen
symbolisch und konkret den Weg in die
Mitte der Gesellschaft.
Integrieren. Integration beginnt von unten, auf konkreter Ebene. Patenschaften für
Neuzuwanderer schaffen von Anfang an konkrete menschliche Brücken in unsere attraktive Gesellschaft. Sie helfen den Neuen, sich
bei uns zurechtzufinden und zu entdecken,
wie sie sich konstruktiv einbringen können.
Patenschaften sind ideal, weil hier der Rat
ganz konkret auf den Einzelfall bezogen gegeben werden kann, egal ob es um zwischenmenschliche, kulturelle, fachliche, kommu-
180
nale oder berufliche Fragen geht. Viele Bürger sind dazu bereit. Erfolgreiche Patenschaften sollten koordiniert und mit fachlicher Weiterbildung und Erfahrungsaustausch begleitet werden. Die notwendige
Finanzierung dafür sollten sich die Firmen,
die Kommunen und ggf. der Freistaat teilen.
100.000 Chancen für Sachsen
Ein Forschungsinstitut hat kürzlich gemeldet,
dass in den nächsten Jahren über zwei Millionen junge und gut ausgebildete Menschen
aus Griechenland, Italien, Spanien und Portugal nach Deutschland zuwandern werden,
weil sie in ihren Ländern keine Arbeit finden.
Rein rechnerisch wären das bis zu 100.000 gut
ausgebildete Fachkräfte allein für Sachsen.
Wenn wir es richtig anstellen, könnten das
100.000 Chancen sein, mit denen wir unsere
Wirtschaft und unseren Freistaat voranbringen können.
Tausende Stellen bleiben unbesetzt. Unternehmensnachfolger sind ebenso gesucht
wie Lehrlinge. Praxen müssen schließen, weil
sich keine Ärzte finden. Auch bei Lehrern und
Erziehern wird es knapp. Und in einigen Regionen Sachsens sind Ingenieure und Facharbeiter heute schon echte Mangelware. Ein
Unternehmer aus Ostsachsen klagte kürzlich
verzweifelt, dass er seine Firma wohl verlegen
müsse, weil er keine Fachleute mehr findet.
Die wirtschaftliche Not in Südeuropa stellt
dagegen Millionen junger Menschen vor die
Wahl: Arbeitslosigkeit oder Auswandern?
Welcher junge Mensch voller Enthusiasmus
und Talent will seine Lebenszeit in der Arbeitslosigkeit verbringen, wenn er anderswo
einen Job finden könnte? Wir haben das
in Sachsen selbst erlebt. Viele junge Leute
haben woanders ihr Glück gesucht, weil
sie lange hier keine Arbeit finden konnten.
Heute sieht es bei uns anders aus. Und deshalb sollte uns jedes Talent willkommen sein.
Jahresbericht 2012
Wir sind uns sicher: Nur die Regionen, die ihre
Weltoffenheit deutlich signalisieren, werden
auf Talente aus aller Welt hoffen dürfen.
Die Welt von 2035 beginnt heute
Demoskopen rechnen damit, dass im Jahr 2035
die Mehrheit die Minderheit wird. Im Jahr
2000 machten Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland erst zehn Prozent
der Bevölkerung aus, im Jahr 2010 waren es
schon 20 Prozent. Ab 2035 werden Menschen
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
mit Migrationshintergrund die Mehrheit in
der deutschen Gesellschaft darstellen. Wie
soll diese Gesellschaft aussehen? Attraktiv,
interessant, weltoffen, traditionsbewusst,
vielfältig, geeint durch unsere gemeinsamen
Interessen und Grundwerte. Wie sie so wird,
das liegt an uns – heute und in Zukunft.
Was ich höre, das vergesse ich.
Was ich lese, daran erinnere ich mich.
Was ich tue, das mache ich mir zu Eigen:
Bunt ist beautiful!
181
10. Dokumentation
Sächsische Härtefallkommissionsverordnung ................................................................. 184
Mitglieder der Härtefallkommission ................................................................................. 186
Netzwerke in Sachsen ........................................................................................................ 187
Kommunale Ausländer- und Integrationsbeauftragte in Sachsen.................................... 193
Stellenbeschreibung der kommunalen Ausländer- und
Integrationsbeauftragten in Sachsen................................................................................. 195
Integration durch Sport
Stützpunktvereine in Sachsen 2012 ................................................................................... 197
Mit Herz gesehen ............................................................................................................... 198
182
Jahresbericht 2012
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183
Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt
Nr. 10
31. Juli 2010
Verordnung
der Sächsischen Staatsregierung
über die Härtefallkommission nach dem Aufenthaltsgesetz
(Sächsische Härtefallkommissionsverordnung – SächsHFKVO)
Vom 6. Juli 2010
Aufgrund von § 23a Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern
im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I
S. 162), das zuletzt durch Artikel 4 Abs. 5 des Gesetzes vom
30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2437, 2440) geändert worden ist, wird
verordnet:
§1
Einrichtung
(1) Beim Staatsministerium des Innern ist eine Härtefallkommission nach § 23a Abs. 1 AufenthG eingerichtet.
(2) Der Staatsminister des Innern ernennt nach Prüfung
der Eignung nach Satz 4 acht Mitglieder. Je ein Mitglied wird
auf Vorschlag der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche
Sachsens, des Bistums Dresden-Meißen, des Sächsischen
Flüchtlingsrates e. V., der Liga der Freien Wohlfahrtsverbände
in Sachsen, des Staatsministeriums des Innern, des Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz, des Sächsischen Städte- und Gemeindetages e. V. und des Sächsischen
Landkreistages e. V. ernannt. Für jedes Mitglied ist ein Vertreter
vorzuschlagen und zu ernennen. Die vorgeschlagenen Mitglieder und ihre Vertreter sollen über Kenntnisse des Aufenthaltsund Asylrechts oder über Erfahrungen in der Flüchtlingsberatung verfügen. Die Mitglieder und die Vertreter werden für zwei
Jahre ernannt; Wiederernennungen sind zulässig.
(3) Der Ausländerbeauftragte ist für die Dauer seiner Amtszeit
Mitglied der Härtefallkommission, sofern er schriftlich sein Einverständnis gegenüber dem Staatsministerium des Innern mitgeteilt hat; er benennt einen Vertreter.
(4) Die Mitglieder der Härtefallkommission sind ehrenamtlich
tätig und unterliegen keinen Weisungen. Sie haben auch nach
Beendigung ihrer Tätigkeit über die ihnen dabei bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren.
(5) Die Härtefallkommission wählt aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden und einen stellvertretenden Vorsitzenden.
§2
Aufgaben
Die Härtefallkommission entscheidet, ob das Staatsministerium des Innern ersucht wird, einem Ausländer, der vollziehbar
ausreisepflichtig ist, abweichend von den im Aufenthaltsgesetz
festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen
für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen,
wenn nach ihren Feststellungen dringende humanitäre oder
persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers
in der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen. Dringende
humanitäre oder persönliche Gründe können sich insbesondere aus dem Stand der sprachlichen, wirtschaftlichen, kulturellen
und sozialen Integration in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland ergeben.
§3
Ausschlussgründe
(1) Die Härtefallkommission befasst sich nicht mit Verfahren,
wenn
1. Behörden im Freistaat Sachsen für die Erteilung und Verlängerung eines Aufenthaltstitels nicht zuständig sind oder
ihnen der Aufenthaltsort des Ausländers nicht bekannt ist;
2. nur Gründe geltend gemacht werden, die bereits in einem
Gerichts- oder Petitionsverfahren überprüft wurden;
3. hinsichtlich der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren anhängig ist, soweit nicht
lediglich die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen Gegenstand ist;
4. sich die Sach- oder Rechtslage nicht wesentlich zugunsten
des Ausländers geändert hat, nachdem
a) der Vorsitzende wegen vorliegender Ausschlussgründe
abgelehnt hat (§ 4 Abs. 2 Satz 1) und im Falle des Vorliegens von Regelausschlussgründen nach Absatz 2
hierüber keine Entscheidung der Härtefallkommission
herbeigeführt wurde (§ 4 Abs. 2 Satz 3) oder
b) die Härtefallkommission durch Entscheidung auf Antrag
eines Mitglieds (§ 4 Abs. 2 Satz 3) eine Befassung abgelehnt hat oder
c) die Härtefallkommission bereits über den Fall entschieden hat (§ 4 Abs. 4);
5. der Ausländer laut Bundeszentralregister in den letzten fünf
Jahren eine der folgenden vorsätzlichen Straftaten begangen hat:
a) Straftaten nach dem Ersten, Zweiten, Vierten und
Sechsten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches;
b) Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, § 125a
StGB;
c) Bildung krimineller Vereinigungen, § 129 StGB;
d) Bildung terroristischer Vereinigungen, § 129a StGB;
e) Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland;
Erweiterter Verfall und Einziehung, § 129b StGB;
f) Volksverhetzung, § 130 StGB;
g) Straftaten nach dem Dreizehnten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, mit Ausnahme der
§§ 183 und 183a StGB;
h) Mord, § 211 StGB;
i) Totschlag, § 212 StGB;
j) Minder schwerer Fall des Totschlags, § 213 StGB;
k) Schwere Körperverletzung, § 226 StGB, mit Ausnahme
des § 226 Abs. 3 StGB;
l) Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB;
m) Straftaten nach dem Achtzehnten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, mit Ausnahme der
§§ 238, 240 und 241 StGB oder
n) Raub mit Todesfolge, § 251 StGB oder
6. der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung ein Ausweisungsgrund nach § 54 Nr. 5, 5a oder 6 AufenthG zugrunde lag, der Ausländer nach § 54 Nr. 5, 5a oder 6 AufenthG
bereits ausgewiesen wurde oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG ergangen ist.
31. Juli 2010
Nr. 10
(2) Die Härtefallkommission befasst sich in der Regel nicht mit
Verfahren, wenn
1. der Ausländer laut Bundeszentralregister in den letzten fünf
Jahren eine vorsätzliche Straftat begangen hat, wegen der
er zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens
sechs Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens einhundertundachtzig Tagessätzen verurteilt worden ist;
2. ein Petitionsverfahren anhängig ist oder
3. der Ausländer auf absehbare Zeit nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt einschließlich des ausreichenden
Krankenversicherungsschutzes zu sichern; dabei bleiben
Kindergeld, Elterngeld und Landeserziehungsgeld sowie
öffentliche Mittel, die auf Beitragsleistungen beruhen oder
die gewährt werden, um den Aufenthalt zu ermöglichen,
außer Betracht. Dieser Ausschlussgrund entfällt, wenn der
Träger der öffentlichen Mittel schriftlich sein Einverständnis
in die Behandlung als Härtefall erklärt hat oder eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abgegeben wurde, die den Lebensunterhalt für die Dauer des Aufenthalts,
höchstens bis zu fünf Jahren, sichern kann. Der Verpflichtungsgeber muss über ausreichende finanzielle Mittel zur
Erfüllung der Erstattungspflicht aus der Abgabe dieser Verpflichtungserklärung verfügen.
(3) Gründe, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
zu prüfen sind, berücksichtigt die Härtefallkommission bei ihrer
Entscheidung nicht.
§4
Verfahren
(1) Die Härtefallkommission wird ausschließlich im Wege der
Selbstbefassung tätig. Die Mitglieder können Anträge zur Befassung der Härtefallkommission beim Vorsitzenden stellen.
Dem Antrag ist eine Einwilligung des Ausländers nach § 4 des
Gesetzes zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung
im Freistaat Sachsen (Sächsisches Datenschutzgesetz –
SächsDSG) vom 25. August 2003 (SächsGVBl. S. 330), das
zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 8. Dezember 2008
(SächsGVBl. S. 940, 941) geändert worden ist, in der jeweils
geltenden Fassung, beizufügen. Der Vorsitzende kann bei Bedarf weitere Unterlagen anfordern.
(2) Der Vorsitzende prüft das Vorliegen von Ausschlussgründen
nach § 3 und entscheidet hierüber mit schriftlicher Begründung.
Er unterrichtet die Mitglieder der Härtefallkommission über seine
Entscheidung. Bei Bedenken der Härtefallkommission gegen die
Entscheidung des Vorsitzenden nach Satz 1 kann auf Antrag eines Mitglieds die Annahme zur Befassung hinsichtlich vorliegender Regelausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 mit einfacher Mehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden.
(3) Die Härtefallkommission verhandelt und entscheidet in
nichtöffentlicher Sitzung. Sie kann weitere Personen anhören.
(4) Die Härtefallkommission entscheidet mit Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder darüber, ein Ersuchen nach § 23a
AufenthG an das Staatsministerium des Innern zu richten. Das
Ersuchen ist schriftlich zu begründen, wobei auf eine Entscheidung nach Absatz 2 Satz 3 eingegangen werden muss.
226
184
Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt
(5) Für die Dauer des Verfahrens werden unmittelbare
Rückführungsmaßnahmen des Ausländers ausgesetzt; Vorbereitungshandlungen bleiben davon unberührt.
(6) Das Staatsministerium des Innern unterrichtet die Härtefallkommission über seine Entscheidung mit schriftlicher Begründung. Das Staatsministerium des Innern hat die Anordnung
zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu widerrufen, wenn
der Ausländer nicht umgehend seinen Mitwirkungspflichten
nachkommt.
(7) Das Verfahren endet, wenn
1. der Vorsitzende wegen vorliegender Ausschlussgründe
eine ablehnende Entscheidung getroffen hat (Absatz 2
Satz 1) und im Falle des Vorliegens von Regelausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 hierüber keine Entscheidung der Härtefallkommission herbeigeführt wurde (Absatz 2 Satz 3);
2. die Härtefallkommission durch Entscheidung auf Antrag
eines Mitglieds (Absatz 2 Satz 3) eine Befassung abgelehnt
hat;
3. das Staatsministerium des Innern über ein Ersuchen der
Härtefallkommission entschieden hat oder
4. ein Verfahren länger als drei Monate bei der Härtefallkommission anhängig ist, ohne dass das Vorliegen eines Härtefalles festgestellt wurde.
Aus wichtigem Grund kann die Härtefallkommission mit der
Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder die Drei-Monats-Frist
nach Absatz 7 Satz 1 Nr. 4 um weitere zwei Monate verlängern,
insbesondere wenn die Schwierigkeit des Falles dies erfordert.
(8) Die Härtefallkommission gibt sich eine Geschäftsordnung,
in der insbesondere zu regeln sind:
1. die Aufgaben des Vorsitzenden;
2. das Verfahren, insbesondere Einberufung, Leitung der Sitzung und Beschlussfähigkeit;
3. die Geschäftsführung und Protokollierung und
4. der Umfang der neben der schriftlichen Stellungnahme der
unteren Ausländerbehörde der Härtefallkommission zur
Entscheidungsfindung vorzulegenden Unterlagen.
§5
Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am Tage nach ihrer Verkündung in Kraft.
Dresden, den 6. Juli 2010
Der Ministerpräsident
In Vertretung
Sven Morlok
Staatsminister
Der Staatsminister des Innern
In Vertretung
Prof. Dr. Georg Unland
Staatsminister
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Jahresbericht 2012
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Mitglieder der Härtefallkommission
Netzwerke im Bereich Integration und Migration in Sachsen
Stand Januar 2013
Dezember 2012
Evangelisch-Lutherische
Landeskirche Sachsens
Oberlandeskirchenrat Klaus Schurig
Evangelisch-Lutherisches
Landeskirchenamt Sachsens
Lukasstraße 6 | 01069 Dresden
Tel. 0351 4692120
Fax 0351 4692109
Klaus.Schurig@evlks.de
Bistum Dresden-Meißen
Prälat Hellmut Puschmann
Rungestraße 44 | 01217 Dresden
Tel. 0351 4759752
Hellmut.Puschmann@t-online.de
Sächsischer Flüchtlingsrat e. V.
Herr Ali Moradi
Fetscherstraße 10 | 01307 Dresden
Tel. 0371 903133
Fax 0371 3552105
info@saechsischer-fluechtlingsrat.de
Liga der Spitzenverbände der
Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen
Oberkirchenrat Christian Schönfeld
Diakonisches Werk der Ev.-Luth.
Landeskirche Sachsens e. V.
Obere Bergstraße 1 | 01445 Radebeul
Tel. 0351 8315100
Fax 0351 8315300
direktor@diakonie-sachsen.de
Sächsisches Staatsministerium des Innern
Herr Reinhard Boos
Sächsisches Staatsministerium des Innern
01095 Dresden
Tel. 0351 5643240
Fax 0351 5643249
Reinhard.Boos@smi.sachsen.de
186
Sächsisches Staatsministerium
für Soziales und Verbraucherschutz
Herr Karl Bey
Albertstraße 10
01097 Dresden
Tel. 0351 5645743
Fax 0351 5645784
Karl.Bey@sms.sachsen.de
Sächsischer Städte- und
Gemeindetag e. V.
Herr Detlef Sittel
Bürgermeister
Landeshauptstadt Dresden
Dr.-Külz-Ring 19
01001 Dresden
Tel. 0351 4882261
Fax 0351 4882392
DSittel@dresden.de
Sächsischer Landkreistag e. V.
Herr René Burk
Amtsleiter Ordnungsamt
Landkreis Bautzen
Verwaltungsstandort Kamenz
Macherstraße 55
01917 Kamenz
Tel. 03578 787132000
Fax 03578 787032000
rene.burk@lra-bautzen.de
Der Sächsische Ausländerbeauftragte
Herr Prof. Dr. Martin Gillo MdL
Staatsminister a. D.
Bernhard-von-Lindenau-Platz 1
01067 Dresden
Tel. 0351 4935171
Fax 0351 4935474
saechsab@slt.sachsen.de
Jahresbericht 2012
Sächsischer Flüchtlingsrat e. V.
Unter dem Dach des Sächsischen Flüchtlingsrates arbeiten Vereine, Initiativen und
Einzelpersonen zusammen. Gemeinsames
Anliegen aller Mitglieder ist das Engagement
für Flüchtlingsschutz und menschenwürdige
Unterbringungsbedingungen in Sachsen.
Der Flüchtlingsrat engagiert sich außerdem
für den Aufbau eines psychosozialen Verbundsystems, die Entwicklung von Clearing
für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge
und die Unterstützung bundesweiter, sachsenweiter und lokaler Kampagnen. Im Kooperationsprojekt »Komenco« bietet er gemeinsam
mit der AG In- und Ausländer e. V. Beratungen
für Flüchtlinge an.
Sächsischer Flüchtlingsrat e. V.
Rena Maniry, Ali Moradi
Henriettenstraße 5 | 09112 Chemnitz
Tel. 0371 903133
info@saechsischer-fluechtlingsrat.de
Sächsischer Flüchtlingsrat e. V.
Ngoc Nguyen Hoai, Werner Wendel
Heinrich-Zille-Straße 6 | 01219 Dresden
Tel. 0351 436372
info@saechsischer-fluechtlingsrat.de
Landkreisen Sachsens sowie der Aufbau von
Kooperationsbeziehungen zu Parlamenten,
Politik, Verwaltungen und gesellschaftlichen
Organisationen.
Koordinator: Marc Lalonde
marc.lalonde@auslaenderbeirat-dresden.de
Sprecher: Nabil Yacoub
yacoub@t-online.de
Integrationsnetzwerk Sachsen e. V.
Ziele des Integrationsnetzwerks Sachsen e. V.
sind u. a. der Einsatz für die Realisierung des
Nationalen Integrationsplans, die Förderung
gleichberechtigter Teilhabe von Migranten
am gesellschaftlichen Leben, Öffentlichkeitsund Aufklärungsarbeit, die Stärkung von
Migrantenorganisationen und -beiräten vor
Ort und die Bildung neuer Migrantenbeiräte.
Das Zusammenleben e. V.
Tatjana Jurk und Marina Naudszus
Dresdner Straße 162 | 01705 Freital
Tel. 0351 6489875 oder Tel. 0351 64692138
ins-verband@gmx.de
Sächsischer Migrantenbeirat SMB
Der SMB verbindet als Interessenvertretung
der in Sachsen lebenden Migrantinnen und
Migranten Migrantenselbstorganisationen,
Vereine und Personen aus der Integrationsund Flüchtlingsarbeit aus ganz Sachsen.
Ziele der Arbeit sind die die Förderung der
politischen Beteiligung von Migrantinnen
und Migranten am gesellschaftlichen und
politischen Leben, die Bildung von Ausländerbzw. Migrantenbeiräten in den Städten und
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Netzwerk Integration und
Migration Sachsen (NIMS)
Das NIMS trifft sich als landesweit agierendes
Netzwerk halbjährlich und bietet seinen etwa
170 Mitgliedern aus der sächsischen Migrations- und Integrationsarbeit eine Plattform
für den fachlichen Austausch, die Weiterentwicklung von inhaltlichen Ansätzen, für die
Erarbeitung von gemeinsamen Positionen und
die weitere Vernetzung. Das Netzwerk ist offen
für alle Interessenten, die sich konstruktiv in
diesen Prozess einbringen.
Der Sächsische Ausländerbeauftragte
Prof. Dr. Martin Gillo
Bernhard-von-Lindenau-Platz 1
01067 Dresden
Tel. 0351 4935171
saechsab@slt.sachsen.de
IQ-Netzwerk Sachsen
Das bundesweite Netzwerk »Integration durch
Qualifizierung (IQ)« hat das Ziel, die Arbeitsmarktchancen von erwachsenen Migrantinnen
und Migranten in Deutschland nachhaltig zu
verbessern. Im Mittelpunkt der Aktivitäten des
IQ-Netzwerkes Sachsen stehen dabei die Verzahnung der Unterstützungsleistungen, der
Auf- und Ausbau von Kooperationsstrukturen,
die Interkulturelle Qualifizierung von Arbeitsmarktakteuren und die Anerkennung ausländischer Qualifikationen (IBAS Informationsund Beratungsstelle Anerkennung Sachsen).
EXIS Europa e. V.
Kay Tröger
Am Schwanenteich 4 | 08056 Zwickau
Tel. 0375 3909365
post@exis.de
RESQUE PLUS Sachsen
Das Netzwerk RESQUE PLUS zielt auf die
Förderung der beruflichen Integration von
Flüchtlingen mit Arbeitsmarktzugang und
die Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit
der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am
Programm in ganz Sachsen. Partner im Projekt sind neben dem Aufbauwerk Region
Leipzig GmbH die Stadt Leipzig (Referat
Migration und Integration), die DAA-Deutsche
Angestellten-Akademie GmbH, der Caritasverband Leipzig e. V., der Sächsische Flüchtlingsrat e. V., die INT-Gesellschaft zur Förderung der beruflichen und sozialen Integration mbH.
Aufbauwerk Region Leipzig GmbH
Silvana Rückert, Armin Pfennig
Otto-Schill-Straße 1 | 04109 Leipzig
Tel. 0341 1407790
rueckert@aufbauwerk-leipzig.com
pfennig@aufbauwerk-leipzig.com
Facharbeitsgemeinschaft
Jugendmigrationsdienste Sachsen
Die Facharbeitsgemeinschaft JMD ist die
Interessenvertretung Sächsischer Jugendmigrationsdienste und zielt auf die Verbesserung der Integrationschancen, die Förderung
von Chancengerechtigkeit und Partizipation
junger Migranten.
Jugendmigrationsdienst / Bildungsberatung
Garantiefonds Hochschule
Dirk Felgner
Berliner Straße 18–20 | 04105 Leipzig
Tel. 0341 5614524
Fax 0341 5614526
jmd-felgner@naomi-leipzig.de
Unterausschuss »Migration« der Liga der
Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen
Die Liga Sachsen ist der Zusammenschluss
der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen: Arbeiterwohlfahrt,
Deutscher Caritasverband, der PARITÄTISCHE
Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz,
Diakonisches Werk und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Sowohl auf
Landesebene als auch in den Landkreisen
und den kreisfreien Städten arbeiten sie in
Arbeitsgemeinschaften zusammen. Der Unterausschuss »Migration« widmet sich dabei
besonders den Menschen mit Migrationshintergrund, die auf Hilfe und Unterstützung
angewiesen sind.
Diakonie Sachsen
Albrecht Engelmann
Obere Bergstraße 1 | 01445 Radebeul
Tel. 0351 8315176
albrecht.engelmann@diakonie-sachsen.de
Opferberatung der RAA Sachsen e. V.
Die RAA Sachsen e. V. (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie Sachsen e. V.) engagiert sich u. a. in
den Arbeitsbereichen Gemeinwesenarbeit,
Beratung, offene Jugendarbeit und Demokratiepädagogik. Sie unterhält in Dresden,
Chemnitz und Leipzig Beratungsstellen für
Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer
Gewalttaten in Sachsen.
Beratungsstelle Dresden
Tel. 0351 8894174
opferberatung.dresden@raa-sachsen.de
Beratungsstelle Leipzig
Tel. 0341 2618647
opferberatung.leipzig@raa-sachsen.de
Beratungsstelle Chemnitz
Tel. 0371 4819451
opferberatung.chemnitz@raa-sachsen.de
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Jahresbericht 2012
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Netzwerk Integration
Landkreis Nordsachsen
Ziel des Netzwerkes ist der weitere Ausbau
der Interkulturellen Woche im Landkreis
und der Aufbau eines Ausländerbeirates.
Landratsamt Nordsachsen
Allgemeines und besonderes Ordnungsrecht
Beate Hintzsch
Richard-Wagner-Straße 7a | 04509 Delitzsch
Tel. 034202 9885347
Fax 034202 9885313
beate.hintzsch@lra-nordsachsen.de
Diakonisches Werk Delitzsch Eilenburg e. V.
Jugendmigrationsdienst
Michael Marschall
Postweg 6 | 04849 Bad Düben
Tel. 034243 71170
jmd-bad-dueben@gmx.de
Netzwerk Migration Nordsachsen AG I
Landkreis Nordsachsen
Das Netzwerk zielt auf die Förderung der Partizipation und Teilhabe auf verschiedenen
Ebenen des gesellschaftlichen, kulturellen
und politischen Lebens in Torgau.
Jugendmigrationsdienst
Kerstin Over
Schlossstraße 3 | 04860 Torgau
Tel. 03421 724533
jugendmigrationsdienst@dw-ot.de
AG Asyl Landkreis Nordsachsen
Die AG Asyl setzt sich für eine Verbesserung
der Situation von Asylbewerbern im Landkreis Nordsachsen ein.
Jugendmigrationsdienst
Michael Marschall
Diakonisches Werk Delitzsch Eilenburg e. V.
Postweg 6 | 04849 Bad Düben
Tel. 034243 71170
jmd-bad-dueben@gmx.de
189
Netzwerk Migration Landkreis Meißen
Das Netzwerk zielt darauf, eine effektive
Integrationsarbeit vor Ort zu betreiben,
die Zusammenarbeit der Institutionen zu
fördern, gemeinsame Projekte zu gestalten,
Migranten als Akteure zu gewinnen und
Bildungsarbeit vom Kindergarten bis zum
Erwachsenen zu leisten.
Gerlinde Franke
Diakonie Riesa-Großenhain
Migrationsberatung
Marktgasse 14 | 01558 Großenhain
Tel. 03522 3089908
Migration.mbe@diakonie-grossenhain.de
Arbeitskreis Migration Landkreis Bautzen
Der Arbeitskreis engagiert sich für die Koordinierung und Verbesserung aller Angebote
für Migranten im Landkreis und ermöglicht
den Erfahrungsaustausch z. B. zu Änderungen
der gesetzlichen Grundlagen.
JMD Bautzen
Steffen Deubner
Wilhelm-Ostwald-Straße 35 | 02625 Bautzen
Tel. 03591 276761
jmd-bautzen@internationaler-bund.de
Netzwerk Integration Stadt Görlitz
Ziel der Netzwerkarbeit ist die Gestaltung
von verlässlichen Rahmenbedingungen für
die Integration.
Netzwerk Integration Nord
Weißwasser/ Bad Muskau
Rüdiger Kruner
Bautzener Straße 64 | 02943 Weißwasser
Tel. 03576 205064
jmd-weisswasser@online.de
Netzwerk Integration Löbau-Zittau
Das Netzwerk setzt sich für die Unterstützung und Koordination der Integration,
sowie für die interkulturelle Öffnung der
Gesellschaft in der Region Löbau-Zittau ein.
BAMF Chemnitz
Franziska Köhler
Adalbert-Stifter-Weg 25 | 09131 Chemnitz
Tel. 0371 4901-151 oder Handy 0160 7016637
Franziska.Koehler@bamf.bund.de
Netzwerk Migration Landkreis Mittelsachsen
Ziel der Arbeit im Netzwerk ist die Koordinierung der Arbeit mit Zugewanderten inkl. der
Asylsuchenden in allen Lebensbereichen sowie die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und Chancen zur gleichberechtigten
Teilhabe in der Gesellschaft.
Landratsamt Mittelsachsen
Ausländerbeauftragte Ilse Rose
Frauensteiner Straße 43 | 09599 Freiberg
Tel. 03731 7993240
ilse.rose@landkreis-mittelsachsen.de
BAMF Chemnitz
Franziska Köhler
Adalbert-Stifter-Weg 25 | 09131 Chemnitz
Tel. 0371 4901151 oder Handy 0160 7016637
Franziska.Koehler@bamf.bund.de
190
AG Migration Landkreis Sächsische
Schweiz – Osterzgebirge
Die Arbeitsgruppe Migration im Landkreis
Sächsische Schweiz – Osterzgebirge ist ein
Zusammenschluss von freien Trägern, Regeldiensten, Vereinen und Organisationen, die
im Bereich Integration von Menschen mit
Migrationshintergrund tätig sind.
CJD Jugendmigrationsdienst Pirna
Maria Kolanko
Jacobäerstraße 1 | 01796 Pirna
Tel. 03501 468150
Fax 03501 46813
maria.kolanko@cjd-heidenau.de
Netzwerk Migration Stadt Freital
Das Netzwerk setzt sich für eine Unterstützung
der Integration in der Stadt Freital und die
interkulturelle Öffnung der Gesellschaft ein.
BAMF Chemnitz
Franziska Köhler
Adalbert-Stifter-Weg 25 | 09131 Chemnitz
Tel. 0371 4901-151 oder Handy 0160 7016637
Franziska.Koehler@bamf.bund.de
Netzwerk Migration Aue-Schwarzenberg,
Erzgebirgskreis
Das Netzwerk setzt auf Integration durch
Betreuung, Beratung und Begleitung und
auf den Aufbau eines demokratischen Miteinanders in der Region, geprägt von Toleranz
und Teilhabe.
Kompetenzzentrum für
Gemeinwesenarbeit Erzgebirge
Angela Klier
Postplatz 3 | 08280 Aue
Tel. 03771 499455
protoleranz@puschkinhaus-aue.de
Netzwerk Migration Vogtlandkreis
Das Netzwerk hat sich zum Hauptziel die
Pflege der Willkommenskultur gesetzt.
Landratsamt Vogtlandkreis,
Dienststelle Plauen
Integrationsbeauftragte
Veronika Glitzner
Neundorfer Straße 94 / 96 | 08523 Plauen
Tel. 03741 3921060 oder Handy 0171 7271971
glitzner.veronika@vogtlandkreis.de
Interkultureller Arbeitskreis
Landkreis Zwickau
Der Interkulturelle Arbeitskreis will das Miteinander und Zusammenleben zwischen heimischen und neu zugewanderten Menschen
konstruktiv gestalten. Der Arbeitskreis wirbt
für Toleranz und gegenseitige Akzeptanz und
fördert das friedliche Zusammenleben in der
Region.
Landratsamt Zwickau
Ausländerbeauftragte Birgit Riedel
Robert-Müller-Straße 4–8 | 08056 Zwickau
Tel. 0375 440221051
birgit.riedel@landkreis-zwickau.de
Jahresbericht 2012
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Fach – AG junge Migrantinnen
und Migranten Dresden
Die AG will die Integration junger Migranten
in Dresden auf verschiedenen Gebieten (Sprache, schulische und berufliche Ausbildung,
kulturelle Bildung) unterstützen, zuwanderungsbedingte Nachteile ausgleichen und
sich für Chancengleichheit, unabhängig vom
Status, einsetzen.
Ausländerrat Dresden e. V.
Markus Degenkolb
Tel. 0351 4363730
jukult@auslaenderrat.de
ZMO – Jugend e. V.
Valentina Ohngemach
Tel. 0351 2899276
Jugendmigrationsdienst
des Caritasverband e. V.
Sigrid Kokot
Tel. 0351 4984742
Runder Tisch Integration Dresden
Ziel des Netzwerkes ist die Verbesserung
der Integrationsbedingungen in der Stadt.
BAMF Chemnitz
Franziska Köhler
Adalbert-Stifter-Weg 25 | 09131 Chemnitz
Tel. 0371 4901151 oder Handy 0160 7016637
Franziska.Koehler@bamf.bund.de
Trägertreffen Leipzig
Das Trägertreffen setzt sich für eine teilnehmerorientierte Durchführung und Koordinierung
der Integrationskurse in der Stadt Leipzig ein.
BAMF Chemnitz
Astrid Leidel-Keul
Tel. 0371 4901152
Astrid.Leidel-Keul@bamf.bund.de
bis Mitte 2013 Elternzeitvertretung durch
Franziska Köhler
Tel. 0371 4901-151 oder Handy 0160 7016637
Franziska.Koehler@bamf.bund.de
Integrationsnetzwerk für Migranten/Migrantinnen Chemnitz
Das Integrationsnetzwerk engagiert sich für
die optimale Integration von Migranten
durch Vernetzung aller mit der Integration
und Migration beschäftigten Fachstellen öffentlicher und freier Träger.
Stadtverwaltung Chemnitz – Sozialamt
Heike Steege
Annaberger Straße 93 | 09120 Chemnitz
Tel. 0371 4885040
heike.steege@stadt-chemnitz.de
Harald Schellenberger
Stadtverwaltung Chemnitz – Sozialamt
Tel. 0371 4885504
harald.schellenberger@stadt-chemnitz.de
Netzwerk Integration –
Migranten in Leipzig
Ziel des Netzwerkes ist die stärkere Beteiligung
von Migranten und deren Selbstorganisationen
in die Netzwerkarbeit.
Caritasverband Leipzig e. V.
Gerd Klenk
Elsterstraße 15 | 04109 Leipzig
Tel. 0341 9636158 (nur mittwochs)
g.klenk@caritas-leipzig.de
gerdklenk@web.de
192
Jahresbericht 2012
Kommunale Ausländer- und Integrationsbeauftragte in Sachsen
Landkreis Bautzen
Landratsamt Bautzen
Ausländerbeauftragte
Anna Pietak-Malinowska (hauptamtlich)
Bahnhofstraße 9 | 02625 Bautzen
Besucheradresse:
Tzschirnerstraße 14a | Zimmer 1.5
Tel. 03591 525187700 | Fax 03578 787087700
Macherstraße 55 | 01917 Kamenz
Tel. 03578 787187700 | Fax 03578 787087700
anna.pietak-malinowska@lra-bautzen.de
Stadt Chemnitz
Stadtverwaltung Chemnitz – Sozialamt
Ausländerbeauftragte
Etelka Kobuß (hauptamtlich)
Annaberger Straße 93 | 09120 Chemnitz
Tel. 0371 4885047 | Fax 0371 4885096
auslaenderbeauftragte@stadt-chemnitz.de
Landeshauptstadt Dresden
Stadtverwaltung Dresden
Integrations- und Ausländerbeauftragte
Dr. Uta Kruse (hauptamtlich)
PF 12 00 20 | 01001 Dresden
Tel. 0351 4882376 | Fax 0351 4882709
UKruse@dresden.de
Landkreis Görlitz
Landratsamt Görlitz
Ausländerbeauftragte Olga Schmidt
(hauptamtlich)
Hugo-Keller-Straße 14 | 02826 Görlitz
Tel. 03581 6639007 | Fax 03581 54030907
auslaenderbeauftragte@kreis-gr.de
Stadt Leipzig
Referat für Migration und Integration
Ausländerbeauftragter
Stojan Gugutschkow (hauptamtlich)
04092 Leipzig
Tel. 0341 1232690 | Fax 0341 1232695
migration.integration@leipzig.de
Landkreis Leipzig
Landratsamt Leipziger Land
Ausländerbeauftragte Muldentalkreis
Gülnur Kunadt (ehrenamtlich)
Karl-Marx-Straße 22 | 04668 Grimma
Tel. 03437 9844102 | Fax 03437 98499712
guelnur.kunadt@lk-l.de
Sprechzeit: Donnerstag 08.30–12.00 Uhr
und 13.30–16.00 Uhr
Leipziger Land
N.N.
Landkreis Erzgebirgskreis
Integrationsbeauftragter des Erzgebirgskreises
c/o Kirchliche Erwerbsloseninitiative Zschopau
Johannes Roscher (ehrenamtlich)
Johannisstraße 58 B | 09405 Zschopau
Tel. 03725 80522 | Fax 03725 342780
j.roscher@kez-zschopau.de
Stadtverwaltung Markkleeberg
Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte
Sabine Baldauf (hauptamtlich)
Rathausplatz 1 | 04416 Markkleeberg
Tel. 0341 3533206 | Fax 0341 3533294
sabine.baldauf@markkleeberg.de
Stadtverwaltung Zschopau – Altes Rathaus
Ausländerbeauftragter
Erhard Wirth (ehrenamtlich)
Lindenweg 27 | 09405 Zschopau
Sprechzeit: 1. Die. im Monat: 14 bis 16 Uhr
Landkreis Meißen
Ausländerbeauftragter
Adolf Podhorsky (ehrenamtlich)
Max-Kamprath-Straße 7 | 01651 Meißen
Handy 0173 7627011
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Landkreis Mittelsachsen
Landratsamt Mittelsachsen
Ausländerbeauftragte Ilse Rose (hauptamtlich)
Frauensteiner Straße 43 | 09599 Freiberg
Tel. 03731 7993240
Fax 03731 7993322
Ilse.Rose@landkreis-mittelsachsen.de
Landkreis Nordsachsen
Landratsamt Nordsachsen
Ausländer- und Integrationsbeauftragte
Susann Flathe (ehrenamtlich)
Schlossstraße 27 | 04860 Torgau
Tel. 03421 7580
KABNordsachsen@lra-nordsachsen.de
Stadtverwaltung Torgau
Ausländerbetreuung
Christiane Sparsbrod (hauptamtlich)
Markt 1 | 04860 Torgau
Tel. 03421 748314
Fax 03421 748323
Handy 0174 3409100
c.sparsbrod@torgau.de
Landkreis Sächsische Schweiz –
Osterzgebirge
Beauftragte für Migration und Integration
Heidrun Weigel (ehrenamtlich)
Deubener Weg 25 | 01705 Freital
Tel. 0351 4600014 (privat)
Handy 0178 6140751
HeidrunWeigel@gmx.de
Stadtverwaltung Plauen
Ausländer-, Gleichstellungs- und Behindertenbeauftragte Heidi Seeling (hauptamtlich)
Unterer Graben 1 | 08523 Plauen
Tel. 03741 2911018
Fax 03741 29131018
auslaenderbeauftragte@plauen.de
Sprechzeit: Dienstag 9 bis 12 Uhr und
13 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung
Landkreis Zwickau
Landratsamt Zwickau
Ausländer- und Gleichstellungsbeauftragte
Birgit Riedel (hauptamtlich)
Robert-Müller-Straße 4–8 | 08056 Zwickau
Tel. 0375 440221051
Fax 0375 440221009
Birgit.Riedel@landkreis-zwickau.de
Stadtverwaltung Zwickau
Gleichstellungs- und Ausländerbeauftragte
Ulrike Lehmann (hauptamtlich)
Leipzigerstraße 176 | 08056 Zwickau
Tel. 0375 831834
Fax 0375 831831
Ulrike.Lehmannr@Zwickau.de
Der Sächsische
Ausländerbeauftragte
Stellenbeschreibung der
kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten in Sachsen
I Stellenzweck
Die kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten (KAIB) tragen verantwortlich dazu bei,
dass die drei Ziele der Ausländerpolitik: Innere Sicherheit, Humanität und Zugewinn angemessen
angewendet und verwirklicht werden.
II Sechs Zuständigkeiten
1. Beratungsfunktion
Beratung, Information, Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund,
Vereinen, Institutionen und Migrationsfach- und -regeldiensten, um eine gleichberechtigte Teilhabe
in unserer Gesellschaft voranzubringen und zu realisieren.
2. Netzwerkarbeit
Initiierung, Beförderung, Begleitung und Ausbau eines Integrationsnetzwerkes sowie Unterstützung
bei der Schaffung örtlicher Migrantenbeiräte, um die Integrationskräfte in der Kommune zu bündeln
und zu stärken.
3. Vermittlerfunktion
Interessenvertretung der Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber der Verwaltung, den
Gremien und Dritten, als auch Vermittlung der Perspektive der Verwaltung bei Menschen mit
Migrationshintergrund, damit die berechtigten Interessen aller ausgeglichen berücksichtigt werden.
4. Integrationsfunktion
Initiierung, Erarbeitung und Fortschreibung eines regionalen Integrationskonzeptes und nach
Verabschiedung auch Begleitung des Umsetzungsprozesses in Anlehnung an das nationale und
sächsische Integrationskonzept zur Förderung der Integration in allen Bereichen vor Ort.
Landkreis Vogtlandkreis
Landratsamt Vogtlandkreis
Gleichstellungs-, Integrations- und
Frauenbeauftragte Veronika Glitzner
(hauptamtlich)
Neundorfer Straße 94 / 96 | 08523 Plauen
Tel. 03741 3921060
Fax 03741 39241060
Handy 0171 7271971
Glitzner.Veronika@Vogtlandkreis.de
5. Öffentlichkeitsarbeit
Regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit (d. h. Medienarbeit, Organisation von Veranstaltungen und
Herausgabe von Publikationen), um auf kommunaler Ebene in der Öffentlichkeit und in den
Institutionen über die Entwicklung bei der Integration laufend zu informieren und die gegenseitige
Akzeptanz und den Respekt zu erhöhen.
6. Interventionsfunktion
Im Umgang mit den verschiedenen Akteuren im Bereich Migration und Integration sich für
krisenvermeidende Optionen engagieren, sowie bei migrationsspezifischen Krisen deeskalierend
und schlichtend sichtbar wirken und den Medien klärend zur Seite stehen, um den gesellschaftlichen Konsens zu stärken.
Stand November 2010 - Seite 1
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Jahresbericht 2012
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Integration durch Sport
Der Sächsische
Ausländerbeauftragte
Stützpunktvereine in Sachsen 2012
III Handlungsfelder, Ausgestaltung der Stelle
Um der Querschnittsaufgabe des Amtes angemessen gerecht zu werden, sollte die Stelle des
KAIB ab einer Größe von 20.000 Einwohnern hauptamtlich eingerichtet werden (auch in
Stellenkombination realisierbar). Die unabhängige Ausführung des Amtes der KAIB muss
gewährleistet sein. Die Stelle sollte deshalb in der Regel dem Geschäftsbereich des Landrates
oder des Oberbürgermeisters zugeordnet werden.
Mit der Stelle sind verbunden:
• Initiativrecht des kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten
Aktive Senioren Leipzig e. V.
KFC Leipzig e. V.
Boxring ATLAS Leipzig e. V.
Polizeisportverein Chemnitz e. V.
Box-Sportverein-Dynamo Waldheim 05 e. V.
PSV Crimmitschau e. V.
BSV AOK Leipzig e. V.
Ran ans Brett e. V.
Boxteam Oelsnitz e. V.
Rugby Cricket Dresden e. V.
Boxteam Plauen e. V.
SC Borna e. V.
Bushido Stollberg e. V.
Sportclub Hoyerswerda e. V.
• Einbindung und Anhörung (Rederecht) bei allen allgemeinen Entscheidungen mit
integrationspolitischem Hintergrund
Chemnitzer Freizeit- und
Sportverein Reichenbach e. V.
Wohngebietssportverein e. V.
SSV 1952 Torgau e. V.
• Akteneinsichtsrecht und Informationsrecht zu Sachverhalten mit Integrations- und
Migrationsbezug
Chung Hyo Kampfkunst e. V.
Sport- und Spielverein Heidenau e. V.
Das Zusammenleben e. V.
SSV TEXTIMA Chemnitz e. V.
• Die Stelle sollte lokal als hauptamtlich bestätigt werden.
Döbelner SV »Vorwärts« e. V.
SV 1919 Grimma e. V.
• Haushaltsmittel, die zur Erfüllung der Aufgaben notwendig sind
Dresdner SSV e. V.
SV »Grün-Weiß« Weißwasser e. V.
FSV Empor Löbau e. V.
SV Bad-Düben e. V.
Großenhainer Fitneßclub e. V.
SV Großhartau e. V.
Hainsberger Sportverein e. V.
SV Makkabi Leipzig e. V.
HSG DHfK Leipzig e. V.
SV Viktoria Räckelwitz 92 e. V.
HSG Turbine Zittau e. V. Abt.
SV Witzschdorf e. V.
Boxclub Dreiländereck
Torgauer Ruderverein e. V.
Internationaler Tanzsportverein »Joker« e. V.
TSG Kraftwerk Boxberg Weißwasser e. V.
Judo- und Sportverein Rammenau 1985 e. V.
TV »Vater Jahn« Burgstädt e. V.
Kampfkunstzentrum Zwickau e. V.
Vogtländischer Schachclub Plauen e. V.
Karateverein Bushido Leipzig e. V.
ZMD Schachfestival Dresden e. V.
IV Qualifikationen
• Kenntnisse der Integrationspolitik des Bundes und des Landes
• Kenntnisse der Verwaltungsabläufe und Handlungsmöglichkeiten der Verwaltung
• Methodenkompetenzen
z.B.: Planungs- und Organisationsvermögen bezüglich des Umgangs mit Netzwerken
und Verwaltung
• Soziale und kommunikative Kompetenzen
z. B.: die Fähigkeit, wichtige Konzepte in Netzwerke zu transportieren und deren
Umsetzung zu befördern und Klienten kompetent zu beraten.
Stand November 2010 - Seite 2
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Jahresbericht 2012
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MRR: Das ist mir schon sehr fremd aus einem Grund: Ich bin überhaupt nicht stolz, auf gar nichts
bin ich stolz. … Das Gerede: ›Ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein‹, hat ja einen Hintergrund.
Das sagen ja Leute mit irgendwelchen nationalen Minderwertigkeitskomplexen. Die Engländer sagen
das zum Beispiel nicht. …
Mit Herz gesehen
– von Martin Gillo –
2012
Der deutsche Minderwertigkeitskomplex ist ganz alt. Er kommt noch aus dem 18. Jahrhundert.
Vergessen Sie bitte nicht, eine solche Hymne: ›Deutschland, Deutschland über alles‹«. Warum
hat Hoffmann von Fallersleben das geschrieben? Weil es kein Deutschland gab. Das war zu einem
Zeitpunkt geschrieben, als es kein Deutschland gab.
Reich-Ranicki über Deutschsein und deutsche Leitkultur –
3. Februar
Auszug aus einem Interview mit Michel Friedman am 28. März 2001
(Transkription des Interviews)
Ein schlechter deutscher Dichter, der schon vergessen wurde, Emanuel Geigen, schrieb: ›Am deutschen
Wesen soll die Welt genesen‹. Warum? Das hat er 1861 geschrieben, weil es das Deutsche Reich nicht
gab. Das sind nationale Minderwertigkeitsgefühle, die dann zu solch unverschämten Äußerungen
führten.
MF: Erschreckt es Sie, dass es solche Äußerungen heute wieder gibt und dass sie in der politischen
Diskussion wieder dazugehören?
Michel Friedman: Herr Reich-Ranicki, seit 50 Jahren leben Sie in Deutschland. Sie haben den deutschen
Pass. Sie sprechen die deutsche Sprache. Die Menschen mögen Sie, und die, die Sie nicht mögen,
beachten Sie. Und Sie sagen, Sie sind kein Deutscher?
Marcel Reich-Ranicki: Ich verwende das Wort »deutsch« bezüglich meiner Person oft und gern,
aber immer als Adjektiv. Ich bin ein deutscher Kritiker, ein deutscher Literaturkritiker, vielleicht ein
deutscher Schriftsteller. Ein Deutscher bin ich nicht. Es wird nichts mehr daraus werden.
MRR: Nein, ich empfinde es nur als Armutszeugnis, dass die Leute immer wieder vom deutschen
Nationalstolz reden. Es ist nicht sehr imponierend, nicht sehr überzeugend. …
MF: Was halten Sie von dem Begriff der deutschen Leitkultur?
MF: Warum nicht?
MRR: Da hat mich nur verblüfft, dass die Leute so dumm sind und des Deutschen nicht mächtig
sind. Was heißt denn Leitkultur? Ist das eine Kultur, die jemanden leiten soll? Wen? Europa leiten
soll? Oder Deutschland, oder Bayern leiten soll? Was hat das für einen Sinn?
MRR: Vielleicht ist es der Widerstand dagegen, dass Leute kommen und mir mein Deutschtum aberkennen. Das können sie nicht. Sie können höchstens sagen, dass ich von Kleist oder Thomas Mann
zu wenig verstehe. Das ist aber etwas ganz anderes.
Die Leute gebrauchen das Wort, einer hat es gebraucht, und die anderen haben es nachgeplappert.
Ich verstehe nicht, was damit gemeint ist.
…
MF: Herr Reich-Ranicki, sind Sie noch verwundbar an dieser Stelle? Tut es Ihnen weh, wenn man
Ihnen sagt, Sie gehören nicht dazu?
MF: Wenn Sie heute noch einmal darüber entscheiden sollten, ob Sie in Deutschland leben sollten,
würden Sie sich wieder für Deutschland entscheiden?
MRR: Nein, manches tut mir sehr weh. Natürlich bin ich verwundbar, aber das mit dem Dazugehören
nun nicht. ...
MRR: Ach, ich glaube, ja. …
MF: Warum ließ sich Ignaz Bubis in Israel begraben?
Das Interview ist auf der Plattform Bei Youtube.com anzusehen:
http://www.youtube.com/watch?NR=1&v=4fteRP4a-y4&feature=endscreen
MRR: Das war das Ergebnis eines furchtbaren Missverständnisses. Er hielt sich die ganze Zeit für
einen Deutschen. Und er war immer empört, wenn ihn die Leute fragten: »Verbringen Sie den Urlaub
in Ihrer Heimat?« – womit Israel gemeint war. Oder: »Sehen wir uns bei Ihrem Botschafter?« – womit
der israelische Botschafter damals in Bonn war gemeint.
Der Literaturkritiker und Holocaust-Überlebende Marcel Reich-Ranicki hat am 27.01.2012 als Zeitzeuge im Bundestag über der Deportation der Juden aus dem Warschauer Ghetto berichtet. An diesem Tag wird weltweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.
Das kann mir nicht passieren. Sehen Sie, ich habe diese Illusion nicht, und diese Befürchtungen,
die sie haben, betreffen mich nicht. Deshalb ist ein solcher Satz von mir völlig unmöglich. …
Meine Heimat liegt in der Literatur und in der Musik.«
…
Marcel Reich-Ranicki schloss seine Rede mit den Worten: »Sie [die Deportation] hatte nur ein Ziel, sie
hatte nur einen Zweck: den Tod.«
Die Rede Reich-Ranickis kann ebenfalls bei Youtube.com gesehen oder nachgelesen werden unter
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2012/37432080_kw04_gedenkstunde/rede_ranicki.html
MF: Was geht in Ihnen vor, wenn neuerdings in Deutschland eine Diskussion stattfindet, wo gesagt
wird: »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.«?
www.offenes-sachsen.de
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Jahresbericht 2012
www.offenes-sachsen.de
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Ab 2035 beginnt ein neues Zeitalter in Deutschland –
10. Februar
Wie wird man Bayer? Man erbt in der dritten Generation in Bayern. Wer also in München geboren ist,
aber von Eltern abstammt, die z.B. von Berlin nach Bayern kamen, der ist »ein in München geborener
Preuße«. Wie bitte? Genau. Er sollte zum Oktoberfest besser auf eine bayerische Tracht verzichten
und Lederhosen denen überlassen, die schon seit Generationen in Bayern wohnen.
Wie ist das eigentlich mit denen, die in München geboren wurden, deren Eltern aber aus der Türkei
zugewandert sind? Nach der Preußen-Bezeichnung für unseren in München Geborenen würde man
ihn dann weiterhin einen Türken nennen, obwohl er ja in Bayern geboren wurde. Aber er ist doch
ein Deutscher! Das ist doch Blödsinn!
Ebenso ausgegrenzt bleiben auch diejenigen Zukunftsdeutschen, die einfach nur anders aussehen als
wir. Nehmen wir den Sänger Roberto Blanco (»Ein bisschen Spaß muss sein«). Er ist so beliebt, dass
er es zu schaffen scheint, bei allen Silvesterpartys gleichzeitig im Fernsehen aufzutreten. Auch beim
Semperopernball in Dresden ist er natürlich dabei. Und: Ist er als Zukunftsdeutscher einer von uns?
Wir Herkunftsdeutsche tun gut daran, darüber nachdenken, wie jeder Zukunftsdeutscher möglichst
schnell einer von uns werden kann. Das Thema mag noch etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen.
Doch aufgepasst, liebe Herkunftsdeutsche: Unsere Antworten werden unser Leben prägen. In spätestens
25 Jahren, werden wir fragen, wie wir eine/r von den Zukunftsdeutschen werden können. Oder es gelingt es uns, den unsäglichen Graben zwischen Herkunfts- und Zukunftsdeutschen zu überwinden?
Martin Gillo
Manche haben für dieses Problem bereits eine sprachliche Lösung parat: Sie unterscheiden
Bio-Deutsche und Pass-Deutsche. Ich möchte aber daran erinnern, dass diese Unterscheidung
von den rechten Anti-Demokraten kommt. Und ich möchte daran erinnern, dass dieser sprachlichen
Unterscheidung grässliche Taten folgten: Siehe den selbsternannten Nazi-Untergrund.
Sollten wir nicht endlich aufhören mit der Unterscheidung zwischen Deutschen und Deutschen?
Wenn schon sprachliche Differenzierung, wie wäre es mit Herkunfts- und Zukunftsdeutschen?
Herkunftsdeutsche, das sind wir, die über ihre Familienherkunft von Eltern abstammen, die auch
deutsch sind bzw. waren.
Zukunftsdeutsche, das sind die Zuwanderer, die sich für Deutschland entschieden haben, und
für die unser gemeinsames Land kulturell ihre zweite Heimat ist. Warum Zukunftsdeutsche? Weil
sie zu unserer Zukunft gehören. Und weil sie in der Zukunft die Mehrheit in Deutschland darstellen
werden. Ja, das ist richtig geschrieben.
Nach gegenwärtigen Berechnungen werden Menschen mit Migrationshintergrund schon im Jahr 2035
die Mehrheit in unserer Bevölkerung darstellen. Das ist weniger als eine Generation! Das liegt uns
genauso nahe, wie die friedliche 1989er Revolution von heute, also von 2012 entfernt ist.
Wie unsere Zukunft aussieht –
17. Februar
Wer über die Zukunft spricht, nennt oft Trends, Zahlen, Statistiken. Aber wie kann unsere Zukunft
ganz konkret aussehen? Neulich schrieb ich, dass die Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund in weniger als 25 Jahren die Mehrheit in Deutschland ausmachen würden. Doch wie sieht das
ganz konkret aus? Ist das eine Angstvorstellung? Ist das eine Hoffnung?
Vor einigen Tagen fuhr ich mit dem Frankfurter Zug von Dresden bis Leipzig. In Dresden war er noch
ziemlich leer, und so sah ich, wie ein Großvater, seine Tochter und drei Enkelkinder mit einigen
Koffern in den Zug einstiegen und zwei Vierersitze belegten. Sobald die Koffer abgesetzt waren, verabschiedete sich der Großvater in Türkisch von allen. Die Mutter wies ihre Kinder auf Türkisch an,
sich in einer der Vierersitzgruppe »ordentlich« hinzusetzen. Zumindest taten sie das. Sie selbst nahm
die gegenüber liegenden Vierersitze.
Ab 2035 beginnt ein neues Zeitalter! Es wird ein Zeitalter sein, in dem wir Herkunftsdeutschen in
unserem Land die Minderheit darstellen werden. Wie werden wird dann behandelt sein wollen?
Freundlich, höflich und dazugehörig? Oder werden wir uns damit zufriedengeben, als geschützte
Minderheit zumindest geduldet zu werden? Ist es okay, wenn wir dann so behandelt werden, wie
wir Zuwanderer heute oft behandeln?
Als erstes gab es etwas zu essen. Schließlich begannen sie eine lange Reise, ich vermute nach
Frankfurt. Salat mit weißen Käsebrocken. Die drei Kinder waren ein Junge, etwa zehn, ein Mädchen,
etwa acht und der Benjamin war etwa vier Jahre alt. Die beiden älteren trugen, wie die Mutter, eine
Brille. Während sie mit der Mutter immer auf türkisch sprachen, unterhielten sie sich untereinander
in perfektem Hochdeutsch. Die beiden älteren Geschwister holten bald jeder eine Kladde in Postkartengröße und ein paar Füllfederhalter heraus und begannen miteinander so etwas wie »Schiffe versenken« zu spielen. Der Kleine spielte mit oder beschäftigte sich mit einem einfachen Computerspiel,
in das er ab und zu seinen älteren Bruder mit einbezog.
Schauen wir uns doch einmal an, wie wir heute mit Zuwanderern umgehen. Mein Gefühl ist, dass
es für Zukunftsdeutsche heute gegenwärtig noch fast unmöglich ist, »einer von uns zu werden«. Ich
traf mich im Freiberger Raum vor einigen Monaten mit einer Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern.
Wir diskutierten dabei unter anderem die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört. Bei mittlerweile schon 4,5 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürgern muslimischen Glaubens liegt die Frage
auf der Hand.
Zwischendurch spielten die beiden Älteren mit ihrem kleinen Bruder Schreiben lernen. Sie zeigten
ihm die Buchstaben M und A und brachten ihm langsam bei, das Wort MAMA zu erkennen und
auszusprechen.
Die Mutter hatte inzwischen ihren Laptop ausgepackt und beschäftigte sich damit.
Die Antwort war mehrheitlich ausgrenzend: Muslime gehören nicht zu uns in Deutschland, selbst dann
nicht, wenn sie einen deutschen Pass haben, sich voll in unsere Gesellschaft integriert haben, gute
Bildung vorweisen können und all das erfüllt haben, was selbst die Konservativsten unter uns verlangen. Ihre Religion sei nicht vereinbar mit der christlichen Tradition. Komisch nur, dass die Teilnehmer
kein Problem mit den Säkularen hatten, die auch nicht vereinbar mit der christlichen Tradition sind.
Am Aussehen der Kinder konnte man erkennen, dass der Vater ein Sachse sein könnte.
In genau dieser Familie erkannte ich das Bild der deutschen Zukunft in seiner besten Möglichkeit, eine
Verbindung von Hiesigen und Migranten, nicht nur im Neben- sondern im Miteinander. Die Kinder
sprachen fließend zwei Sprachen und waren im Deutschen perfekt. Sie bildeten sich spielend. Es war
eine Freude, die vier zu beobachten.
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Jahresbericht 2012
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Bevor ich ausstieg, dachte ich kurz darüber nach, ob ich der Mutter sagen sollte, dass sie auf ihre
Kinder und ihre Erziehung stolz sein könne. Ich war dann aber doch zu schüchtern.
Wer diese Kinder mit offenem Herzen ansieht, der freut sich auf unsere Zukunft. Und er oder sie
wird helfen wollen, dass sie hier in Sachsen ein gleichberechtigtes Leben mit voller gesellschaftlicher Inklusion leben können. Sie sollen sich bei uns wohl fühlen, sich mit uns identifizieren.
Das macht all denen Mut, die sich für eine Öffnung unserer Gesellschaft einsetzen, und denen, die erkannt haben, dass Weltoffenheit für eine Zukunft in Wohlstand überlebenswichtig ist. Das muss den
wenigen Ewiggestrigen gezeigt haben, dass die Region Bautzen, dass der Freistaat die Zeichen erkannt
haben, dass sie sehen, wie wichtig es ist, eine Gesellschaft zu schaffen, in der sich Menschen aus
aller Welt als Menschen behandelt fühlen, egal ob sie Flüchtlinge, Fachkräfte oder Forscher sind.
Und dazu gehört natürlich, dass wir ihnen zeigen, dass sie zu uns gehören.
Gehen wir auf diesem Weg weiter. Das Kamenzer Kerzenband war ein Wegweiser in eine bessere
Zukunft.
Diese Familie, diese Zukunft kommt auf uns zu. Öffnen wir ihnen unsere Arme.
Ihr Martin Gillo
Martin Gillo
Sorgen in Sachsen –
16. März
Sächsische Solidarität 2012 in Kamenz –
9. März
Aus meinem Postfach:
Im Landkreis Bautzen befanden sich bis vor kurzem zwei Asylbewerberheime. Eins in der Stadt
Kamenz und eins in einer ehemaligen Kaserne für Mittelstreckenraketen mitten im Wald nahe Seeligstadt. Im »Heim-TÜV« wurden beide Heime »Rot«, also als unangemessen, eingestuft. Der Landrat
reagierte und suchte nach einem Ersatz.
Seine Wahl fiel auf eine ehemalige Offiziersschule beim Kamenzer Flughafen. Die Anlage sollte zuerst
erneuert und dann die Heimbewohner in das neue Haus verlagert werden. Gegen diese Anlage mit
einer Kapazität von bis zu 400 Bewohnern regte sich sofort Fremdenskepsis und Furcht. Eine von der
Rechten aufgelegte Unterschriftensammlung kam auf 1000 Unterschriften.
Die Gerichte erklärten diese Unterschriftensammlung für unwirksam und so konnte das Haus gebaut
werden. Über 3,6 Millionen € wurden in die Sanierung investiert, am 21. Februar wurde das Heim
durch Landrat Michael Harig an den Betreiber übergeben.
Noch in der gleichen Nacht fiel es drei vermummten Jugendlichen ein, das alte und zu schließende
Heim mit Steinen anzugreifen. 24 Fenster wurden zerschlagen. Die Polizei hat die Ermittlungen aufgenommen und wird hoffentlich die Täter über kurz oder lang festnehmen.
Behörden, Institutionen, Vereine und Bürgerinnen und Bürger reagierten sofort. Die Kamenzer Kirchgemeinden, Landrat Michael Harig, das Bündnis für Humanität und Toleranz und Vertreter der Stadtratsfraktionen mit Oberbürgermeister Roland Danz riefen gemeinsam zu einem Kerzenband am Tag
der offenen Tür für das neue Heim am 29. Februar auf.
Über 300 Bürgerinnen und Bürger folgten diesem Aufruf und versammelten sich zuerst mit brennenden Kerzen vor dem neuen Heim. Danach gingen alle Menschen von dort zum alten Asylbewerberheim, das angegriffen worden war. Auch dort formten wir eine Lichterkette.
Welch´ erfreuliche Änderung. 20 Jahre zuvor war es auch zu Übergriffen gegen ein Ausländerheim in
diesem Landkreis gekommen. Damals schauten Menschen tatenlos zu. Zwanzig Jahre haben uns verändert. Wir haben uns den Menschen der Welt geöffnet. Wir zeigen Flagge, wenn es um Mitmenschlichkeit geht.
Sehr geehrter Herr Martin Gillo,
der heutige »Bild«-Artikel »Ausländer willkommen heißen« hat uns schon ganz schön zu schaffen
gemacht insofern, als Sie »für eine noch stärkere Öffnung der Gesellschaft für Ausländer werben,
wir müssen eine Willkommensgesellschaft werden« ... Was soll denn nur das???
Bedeutet es, dass Ihnen weiterhin Ausländer g e n e h m sind? Uns nicht! Teile unserer Stadt bevölkern sich zunehmend - außer Türken - nun schon längst mit Russen, Osteuropäern, Asiaten etc., die
auf Straßen »herumlungern«, die Nacht zum Tag machen, so dass Vermieter es mit Recht ablehnen,
sie aufzunehmen, Forderungen auf Ämtern stellen und dreist werden. Lehrerpersonal hat Probleme
mit Sprache und Schrift der Ausländerkinder, da die Eltern keinen Kontakt suchen und keinen Wert
darauf legen. Die Schule wird's schon regeln etc., etc. Lehrermangel ist zunehmend darauf zurückzuführen. Unterhalten Sie sich bitte mal mit dieser Berufsgruppe. All' diese Behauptungen basieren auf
Geschehnissen!
Muslime (Ausnahmen genehmigt!) gehören und passen nicht zu uns, kann das endlich mal jemand
kapieren oder akzeptieren?!
Schon längst müsste es ein Kopftuch-Verbot geben und, wenn dies nicht eingehalten wird, sollen sie
in ihren Heimatländern bleiben bzw. zurückgehen und uns nicht noch beschimpfen, sowie auf der
Tasche liegen. Wir möchten nicht wissen, wie viele Ausländer sich dazu noch illegal in unserem
schönen Land aufhalten.
Wir wollen keinesfalls verislamisiert werden, was aber zunehmend geschieht, denn unsere Politiker
sind sehr hörig geworden und lassen sich viel zu viel gefallen. Unser Nachwuchs tut uns einfach
Leid, was irgendwann mal auf sie zukommen wird. Sie müssten sich ganz einfach mal die Meinungen aus dem Volk einholen.
Das wollten wir ganz einfach einmal loswerden, auch wenn Ihnen unsere Zeilen nicht so zusagen
werden. Mit freundlichen Grüßen …
www.offenes-sachsen.de
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Und hier die Antwort: Liebe Frau und Herr ...,
Hitlers Sensenmänner? –
29. März
vielen Dank für die E-Mail. Der erste Schritt zum Lernen ist immer die Kommunikation.
Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Es gibt nicht mehr genügend Fachkräfte im eigenen Land.
Wir müssen sie aus dem Ausland zu uns holen, so wie es in den 60er Jahren in Westdeutschland
notwendig war, Gastarbeiter aus anderen Ländern zu uns zu holen.
Warum brauchen wir Ausländer? Ihre Rente, liebe Familie … wird von den heute Beschäftigten und
den Unternehmen durch Steuern bezahlt. Wenn Sie nicht wollen, dass Ihre Renten wie gegenwärtig
in Griechenland stark gekürzt werden, dann wollen Sie, dass viele Menschen aus dem Ausland bei
uns arbeiten. Die Unternehmen müssen die benötigten Fachkräfte auch im Ausland gewinnen können.
Sie beklagen sich über die Ausländer, die bei uns um Asyl nachsuchen und von unserer Solidarität
leben. Wissen Sie, dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die sich darüber aufregen, dass die
Ostdeutschen angemessene Renten bekommen, wo doch die Renteneinzahlungen in der DDR ein
Witz waren im Vergleich zu den jetzigen Renten? Ich stehe zur Solidarität in beiden Fällen, und ich
fände es traurig, wenn die einen Solidaritätsempfänger die anderen bekämpfen.
Neulich sitze ich im roten Bummelzug von Freiberg nach Dresden. Es ist ein Doppeldecker und mich
zieht es immer nach oben. Der Zug setzt sich in Bewegung und ich schaue aus dem Fenster. Von oben
sieht man mehr, und der Anblick der rollenden Hügel um Freiberg und Muldenhütten ist immer
wieder eine Freude. Das Auge schweift über die Weite und ganz von selbst kommt ein Lächeln auf
die Lippen.
Da bemerke ich oberhalb des Fensters einen Aufkleber, den jemand hinterlassen hat. Er ist hässlich
und verkündet: »Die Demokraten bringen uns den Volkstod«, gleich mit Internetadresse, wo man
mehr erfahren kann. Wer mag wohl dahinter stecken? Es liest sich wie eine pessimistische Version
des Völkischen. Soll hier etwa jemand durch einen Todesgedanken motiviert werden?
Unsinn ödet mich an. Deshalb entferne ich den Aufkleber vom Fenster und erfreue mich weiter am
schönen Ausblick.
Im Übrigen bekennen sich mittlerweile über 2 Mio. Deutsche zum Islam. Vor dem Gesetz gehört denen
Deutschland genauso wie Ihnen und mir. Wir sollten alles tun, um konstruktiv zusammenzuleben.
»Einigkeit in Vielfalt«, zu diesem Prinzip hat sich auch unsere Bundeskanzlerin vor einigen Wochen
bei der Trauerfeier für die Opfer der Neonazi-Morde in Berlin bekannt. Sie haben die Übertragung im
Fernsehen sicherlich miterlebt.
Später zuhause am Computer erinnere ich mich an den tumben Spruch und schaue im Internet unter
der angegebenen Internetadresse nach. Dort finde ich auch gleich Selbstinszenierungen der vereinzelten Anhänger, die in schwarzen Kutten mit Sense und weißen Masken durch die Landschaft laufen
und sich dabei selbst filmen, weil in den Ortschaften, in denen sie auftreten, sonst niemand von ihnen
Notiz nimmt.
Der französische Philosoph Blaise Pascal sagte einmal: Vielfalt ohne Einheit ist Chaos. Einheit ohne
Vielfalt ist Tyrannei. Ich hoffe, Sie sehen das auch so. Und Kopftuch tragende Frauen gehören in
Westdeutschland zum täglichen Erscheinungsbild. Solange sie das aus eigenem Anstoß tun, soll uns
das doch recht sein. Wir sollten uns einig sein, dass wir von allen Menschen bei uns ein Bekenntnis
zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung erwarten. Doch unter diesem breiten Dach ist viel
Raum für eigene Vorstellungen darüber, wie man glücklich werden kann.
Die meisten von uns lieben das Leben. Deshalb versuchen wir, dem Tod so weit wie möglich aus
dem Weg zu gehen. Außer in Gruselfilmen, von denen sich mancher gern Angst einjagen lässt, wenn
attraktive Frauen und ahnungslose Männer von kutten- und maskentragenden Ungeheuern mit langen Messern verfolgt werden. Ob irgendjemand solche Figuren auch im richtigen Leben anziehend
genug finden könnte, um ihnen zu folgen, hat sich wohl keiner der Gevatter-Tod-Figuren gefragt.
Was die Freundlichkeit der Ausländer uns gegenüber angeht, so werde ich an den Satz erinnert: Wie
man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück.
Da wir in Sachsen nur einen Ausländeranteil von 2,7 Prozent haben und er selbst in Dresden die
Marke von fünf Prozent nicht erreicht, sollte das Zusammenleben mit Ausländern in Sachsen leichter
sein als in Baden-Württemberg, wo der Ausländeranteil bei über 12 Prozent liegt. Doch die Praxis ist
ganz umgekehrt. Je weniger Ausländer wir haben, desto mehr hat unsere Bevölkerung Angst.
Vielleicht sind sie auch so sehr mit dem Filmen von sich selbst beschäftigt, dass sie nicht bemerken,
dass ihnen niemand folgt?
Die Demokraten? Wen meinen die jungen Leute von rechts eigentlich damit? Sind damit etwa auch die
Leute von der NPD gemeint, die sich ja selbst als Demokraten darzustellen versuchen? Dann wären die
wortlosen Weißgesichter eine Erscheinung, die einem nebulösen rechten Irrgarten zuzuordnen wären.
Volkstod? Wie kann ein Volk sterben, solange Menschen geboren werden?
Am größten ist diese Angst in unseren ländlichen Regionen, wo der Ausländeranteil oft noch unter
einem Prozent liegt. Im Erzgebirge liegt der Anteil der Menschen mit türkischem Hintergrund bei 0,03
Prozent der Bevölkerung. Doch in keinem Landkreis habe ich so viele Ängste über die Türken gehört
wie dort.
Welches Volk? Das deutsche? Dann wären die Blassmasken wohl Anhänger der Rassentheorie der
Nazis und Anhänger des Gedanken der rassischen Überlegenheit eines bestimmten Volkes über ein
anderes. Ist das so? Und wollen sie dann auch, dass der irre Hitler’sche Gedanke von der Überlegenheit des deutschen Volkes bis zu seinem absurden Ende verfolgt wird?
Warum ist das so? Es könnte daran liegen, dass so wenige Sachsen ausländische Bekannte haben. Ohne
solche Kontakte kann man seine Ängste nicht überprüfen. Gibt es ausländische Bekannte in Ihrem
Freundeskreis? Kennen Sie persönlich Muslime? Das würde mich interessieren.
Oder meinen sie gar was anderes? Angesichts des überwältigenden Vormarsches der Roten Armee
und der anderen Alliierten gab Hitler in seinen letzten Tagen im Bunker der Reichskanzlei nicht etwa
auf – nein, er schickte nun auch Kinder und ältere Menschen im »Volkssturm« in den sicheren Tod –
als wären sie angesichts der sicheren Niederlage nicht mehr wert zu leben.
Nochmals vielen Dank für Ihren Mut, Ihre Meinung offen zu sagen. Ich habe versucht, ebenso offen
zu antworten. Vielleicht ergibt sich ja einmal die Gelegenheit zu einem Gespräch.
Martin Gillo
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Meinen die Sensenmänner diese Art von »Volkstod«? Meine Eltern erzählten mir von einer Reihe von
Nazis in ihrer Bekanntschaft, die sich kurz vor Kriegsende selbst das Leben nahmen. Ist das der Tod,
den die Sensenmänner uns heute schmackhaft machen wollen?
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Dann haben sie nicht mitbekommen, dass es ein saftiges Leben nach dem Nazismus gab, gibt und
geben wird. Dieses Leben ist bunt, ermutigend, sozial, solidarisch, kreativ, interessant, vielfältig
und zukunftsorientiert. Historische Reminiszenzen an Reichstagsbunkerrassen-Ideale und VolkstodModer enden unweigerlich in einer Sackgasse.
mitmachen? Denken wir an die Menschen aus anderen Ländern, die unsere freiheitlich-demokratischen
Grundordnung erkennen und respektieren sollen. Ist nicht diese Grundordnung die Basis für ein verträgliches Auskommen miteinander? Doch wer vermittelt ihnen das? Oder wird es ihnen überhaupt
vermittelt? Wo es bisher passiert ist, geschah es spontan. Binden wir sie alle gesellschaftlich ein, öffnen wir uns ihnen gegenüber. Dann erreichen wir, was uns am Herzen liegt: dass sich alle eingebunden und damit mitverantwortlich fühlen. Wir profitieren davon mindestens genauso wie die »Neuen«.
Wir Anderen gestalten stattdessen gemeinsam mit Menschen aus aller Welt auch hier bei uns in
Sachsen eine Zukunft, die für uns und unsere Kinder und Enkelkinder lebenswert ist. In Frieden,
in gegenseitigem Respekt und Stolz.
Respekt
Gegenseitig Respekt zu zeigen, das ist leichter gesagt als getan. Jeder von uns kann leicht unsere
kulturellen Stärken benennen. Genauso fällt es uns leicht, die Schwächen anderer Kulturen zu erkennen. Beim Optiker würden wir für diese klare Sicht Anerkennung erhalten. Wenn es aber um
die Schwächen unserer eigenen Kultur geht, oder um die Stärken in anderen Kulturen geht, sind
wir dagegen von einer bemerkenswerten Blindheit geschlagen.
Martin Gillo
Das ist sicherlich nicht zufällig so. In vergangenen Zeiten, in denen Länder und Kulturen im gegenseitigen Kampf bis hin zu Kriegen verstrickt waren, war es nützlich, die eigenen Stärken zu erkennen
und relativ blind denen der Anderen gegenüber zu sein. Auf diese Weise macht man sich keine
Gedanken darüber, ob man für die »richtige« Seite sein Leben aufs Spiel setzt.
Unser buntes deutsches Dorf –
5. April
Das Leben ist schon manchmal merkwürdig: Es kann durchaus auf Trauerveranstaltungen sein,
dass wir den Beginn einer neuen Idee zum ersten Mal klar erkennen. So auch auf der Gedenkveranstaltung in Berlin zur Erinnerung an die zehn Mordopfer, die auf die braune NSU Terrorzelle zurückgehen.
Die zehn Mordopfer hinterließen viele Familienmitglieder. Sie alle waren in Berlin dabei. Ich nahm
als einer von 1200 Gästen teil. Viele von Ihnen werden die Feier im Fernsehen verfolgt haben. So
durfte ich miterleben, wie Angela Merkel aussprach, worauf viele Menschen seit Jahren gewartet
haben: »Zu Deutschland gehören alle, die hier leben, egal, wo sie hergekommen sind.«
Unsere Bundeskanzlerin sprach dann von Deutschland als Land der Vielfalt.
Auch ein Vater und zwei Töchter der Mordopfer sprachen. Eine der Töchter sprach aus, was zur
Vielfalt gehört: Einigkeit in Vielfalt. Sie, eine Zukunftsdeutsche, sprach sich für Einheit aus. Welch
ein bemerkenswerter Wunsch!
In unserer Zeit geht es darum, ob wir es schaffen, dass alle Völker friedfertig miteinander leben
können. Wir erinnern uns an die 80er Jahre. Deshalb ist uns klar, dass die Alternative zum Miteinander nuklearer Winter heißt. Wir müssen lernen, unsere selektive Blindheit zu überwinden, indem wir
unsere Augen öffnen, aufeinander zuzugehen und uns dafür engagieren, dass wir im gemeinsamen
deutschen, europäischen und Weltdörfchen konstruktiv zusammenleben können.
Goethe konnte noch unwidersprochen schreiben, dass er den roten Wein aus Frankreich zu schätzen
wisse, aber dass jeder rechte Deutsche den Franzmann als Feind hassen würde. Nach zwei Weltkriegen und einer ganz anderen Welt, nach 60 Jahren deutsch-französischer Freundschaft, wissen
wir, dass er zwar beim Rotwein richtig, aber bei seiner Feindseligkeit völlig falsch lag.
Genauso werden wir lernen, auch mit den Menschen aus anderen Kulturen zusammenzuleben, und
zwar auf Grundlage des gegenseitigen Respektes.
Einheit
Einheit und Vielfalt gehören natürlich zusammen. Blaise Pascal, der französische Philosoph, sprach
es schon lange vor uns aus: »Vielfalt ohne Einheit ist Wirrwarr. Einheit, die sich nicht in Vielfalt
gliedert, ist Tyrannei.«
Was heißt Einheit in Vielfalt? Dazu gehören unter anderem drei Prinzipien: Soziale Inklusion,
gegenseitiger Respekt, und das Entdecken der Gemeinsamkeit.
Soziale Inklusion
Soziale Inklusion bedeutet, dass alle Menschen, die bei uns wohnen, an unserer Gesellschaft teilhaben,
ob sie nun Studenten sind, Forscher, Kulturschaffende, Fachkräfte, Familienangehörige oder Flüchtlinge. Viele von ihnen leben bei uns anfänglich »nur« auf Zeit. Doch solange sie hier sind, erwarten
wir von ihnen, dass sie hier gesellschaftlich verantwortlich leben. So wie die Eltern, die mit den Lehrern zusammenarbeiten müssen, um ihrem Kind die beste Schulleistung zu ermöglichen. Sollen sie
nicht mit den Lehrern über ihre Kinder sprechen, mithelfen, dass sie sich integrieren und konstruktiv
Doch was ist mit der Einheit? Ein Land der Vielfalt zerfällt in Wirrwarr, wenn es keine bindenden
Kräfte entdeckt und sie stärkt. Nur so ist Einheit zu erreichen. Und die beginnt, indem wir das
Gemeinsame aufzeigen. Das, was uns als Menschen zusammenhält.
Erinnern wir uns noch an das Lied: »We are the world«? Wir sind alle Menschen, die zusammengehören. Die unterschiedlichsten Kulturen und Religionen haben so viel, was sie verbindet. Daran
erinnern wir uns meist erst in Momenten wie beim Lied. Dabei gehört z.B. das Gebot der Nächstenliebe zu jeder Weltreligion. In der Not zeigen wir das. Und wir nehmen es dankbar in Empfang, wenn
wir in Not sind. Wir brauchen nur an die Flut 2002 zurückzudenken. Wie viel Hilfe bekamen wir aus
aller Welt!
In Notsituationen fällt uns Einheit leichter als im täglichen Leben. Doch auch im Alltag können
wir das Verbindende zum Leben bringen. Auch die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der Menschenwürde und der Weltoffenheit bringen uns und halten uns zusammen.
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Eine der größten Kräfte für Einheit ist die Entdeckung, dass unsere unterschiedlichen kulturellen
Stärken kombiniert werden können. Wo uns das gelingt, entdecken wir im gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich viele Vorteile, die uns auch im internationalen Wettbewerb
konkurrenzfähig bleiben lassen können. Wer das Beste aus den verschiedenen Kulturen kombinieren
kann, der trägt zu unserem Zusammenhalt bei.
Wenn es eine Obergrenze gibt, dann ist sie in unseren Köpfen. Es liegt dann an uns, diese Ängste in
unseren Köpfen zu durchbrechen. Wie können wir das tun? Lernen wir die Menschen aus anderen
Ländern kennen. Machen wir sie zu unseren Freunden. Entdecken wir, wie sie unsere Gesellschaft
bereichern. Dann erkennen wir auch, dass sich unsere frühere Besorgnis langsam wie der Schaum
im Bier auflöst.
Martin Gillo
Einheit in Vielfalt: Setzen wir alle darauf. So wird aus unserem Land ein buntes Dörfchen, das gut
funktioniert und in dem alle Menschen in Frieden, Respekt und Wohlstand zusammenarbeiten und –
leben können.
Gauck: »Deutschsein ist das Miteinander des Verschiedenen« –
27. April
Ihr Martin Gillo
Die Paulskirche ist das symbolträchtigste Haus in Deutschland. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde
es wiederaufgebaut als »Haus aller Deutschen«. Dort hielt Bundespräsident Joachim Gauck eine
Rede zum zehnten Jubiläum der START Stipendien für junge Talente mit Migrationshintergrund.
Wie viele Migranten verträgt unser Land? –
13. April
Immer wieder spreche ich mit Menschen in Sachsen über unsere Zukunft. Zu dieser gehört auch das
konstruktive Miteinander mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen. Spätestens beim zweiten Bier taucht dann meistens die Frage auf: »Wie viel Zuwanderung verträgt eigentlich unser Land?«
Hinter diesem Denken verbirgt sich die Besorgnis, dass es irgendeine obere Grenze geben könnte,
über die der Ausländeranteil nicht steigen darf, ohne dass sich unsere Gesellschaft auflöst.
Wie merkwürdig doch diese Frage ist. Als ob unsere geistigen und moralischen Fähigkeiten nach
oben begrenzt seien. Das sind sie natürlich nicht. Ähnliche Ängste existierten schon öfters in unserer
Geschichte. Als die Eisenbahn erfunden wurde, sorgten sich viele »Experten« darum, dass die hohen
Geschwindigkeiten – ich glaube, sie lagen bei etwa 25 km/h – die Reisenden krank machen könnten.
Heute fliegen wir beinahe mit Schallgeschwindigkeit, und wir leben gesünder als früher. Keiner der
Unkenrufe erwies sich als wahr. Das Reisen in alle Welt hat uns bereichert und gebildet.
Ähnlich ist es bei der Zuwanderung. Es geht nicht darum, wie viele Menschen zu uns kommen.
Es geht darum, dass wir uns ihnen öffnen und sie herzlich bei uns aufnehmen. Je mehr uns das gelingt, desto leichter fällt es den Zuwanderern, sich bei uns wohl zu fühlen und hier ihre neue Heimat
zu finden. Ganz automatisch werden sie auf diesem Wege unsere kulturellen Werte und Gesetze
respektieren und schätzen lernen. Wenn wir schon heute genau hinschauen, werden wir erkennen,
dass wir auf viele von ihnen stolz sein dürfen.
Gauck fragte, was denn das Deutschsein definiere. An Äußerlichkeiten wie Herkunft oder Religion
ließe sich das nicht mehr feststellen. Für ihn ist es die empfundene und tatsächliche Zugehörigkeit
zu Deutschland. Bei aller Vielfalt, die unsere Gesellschaft schon kennzeichnet, ist es das »Streben
der Unterschiedlichen nach Gemeinschaft«.
Danke, Herr Bundespräsident. Sie haben in aller Klarheit und ohne Aufgeregtheit Deutschland auf
seinem Weg zur Willkommensgesellschaft ermutigt. Ihre Worte waren klar und agitationsfrei.
Gemeinschaft in Vielfalt, diese Kräfte des Zusammenhalts wollen wir gern mit befördern und dafür
Mitgestalter finden und ermutigen.
Ihr Martin Gillo
Die soziale Eroberung der Welt –
4. Mai
Als Ausländerbeauftragter beschäftige ich mich unter anderem mit der Frage, wie wir Fremdenfeindlichkeit überwinden und den Weg zur größeren Gemeinsamkeit als bisher finden können. Es scheint
manchmal ein unmögliches Unterfangen. Jetzt hat uns das neue Buch eines bekannten amerikanischen Biologen ein paar Hinweise geliefert.
Meine Frau sah neulich in der Stadt an einem Laternenpfahl einen
Aufkleber zum deutschen Bier und fotografierte ihn spontan.
Nichts ist so deutsch wie unser Bier. Und doch wurde es ursprünglich im Irak erfunden. Es ist zu uns eingewandert, und wir haben
es lieb gewonnen - zu Recht. Als mir meine Frau ihr Foto zeigte,
war ich begeistert.
Edward Osborne Wilsons Buch heißt: Die soziale Eroberung der Welt. Im Original »The Social Conquest
of Earth.« Liveright Publishing, a Division of W. W. Norton & Company, New York & London, 2012. Die
deutsche Übersetzung wird wohl ein Jahr auf sich warten lassen.
Genauso, wie Produkte aus aller Welt unser Leben bereichern, genauso werden das Menschen aus aller Welt tun, wenn wir ihnen
eine Chance dazu geben. Wir machen uns doch auch keine Sorgen
über eine Obergrenze für die Menge an Kaffee oder Tee, die wir nach Deutschland bringen. Machen
wir uns also keine Sorgen über eine Obergrenze an Menschen aus anderen Ländern, die Sachsen zu
ihrer Heimat wählen.
Wilson schreibt, dass sich ein Teil unseres Verhaltens vor drei Millionen Jahren entwickelte. Dieses
Verhalten ist auch heute noch im Althirn – also der Amygdala – festgeschrieben. Wir Menschen brauchen eine Gruppe, einen »Stamm«, dem wir angehören. Innerhalb dieses Stammes wollen wir so
weit wie möglich nach vorn kommen. Und wir wollen, dass unser Stamm der Beste aller Stämme ist
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Wir prüfen alles –
11. Mai
oder wird. Dazu gehört, dass wir emotional alle Stammesmitglieder besser finden, als Angehörige
jedes anderen Stammes. Das Althirn wirkt so in allen Menschen.
Wir können das am Beispiel der Fußballvereine sehen. Jede Fangemeinschaft findet ihren Klub am
besten. Und ist manchmal sogar bereit, gegen die Fans der anderen Klubs körperlich zu kämpfen. Ich
erinnere nur an die »Ultras« von Dynamo Dresden.
In der Politik treibt uns dieses Althirn zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Wie gesagt, das ist
uns allen so mitgegeben. Als angeborener Instinkt oder als Prägung.
Glücklicherweise gibt es noch einen zweiten Bereich im wesentlich neueren Großhirn. Dieses
Neuhirn ermöglicht es uns, die instinktiven Teile unseres Althirns zu beherrschen.
Wie macht es das? Unser Neuhirn schenkt uns durch die Entdeckung des verbindenden Gemeinsamen die Fähigkeit, die Abneigungen gegen Andere aus dem Althirn zu überwinden. So können wir
konstruktiv mit denen zusammenzuleben, die ansonsten unsere Feinde wären. Ohne diese Fähigkeit
in unserem Neuhirn hätte es unter uns Menschen nie große Gesellschaften geben können. Ohne sie
wären die UNO und die Europäische Union Träume geblieben.
Ein kompliziert klingender Anruf in der Geschäftsstelle. Der Anrufer klingt aufgeregt, und es ist schwer,
die wichtigsten Eckdaten zu erfragen. Er betont immer
wieder, wie akzeptiert und fleißig sein Schützling ist.
Es geht um einen jungen EU-Bürger, der in Sachsen einen Ausbildungsvertrag unterschreiben will. Er
möchte, der Ausbildungsbetrieb will ihn, die Finanzierung ist klar und die Fallmanagerin der Arbeitsagentur hat auch alles geregelt, aber: eine Bundesstelle hat
die Arbeitserlaubnis verweigert, die der Anrufer beantragt hatte.
Für den jungen Mann und seine Betreuer ist das schwer verstehbar. Wurde der Antrag falsch gestellt?
An welchen einzelnen Angaben ist das Anliegen gescheitert? Für Laien in Sachen EU-Arbeitsrecht
stellt sich alles sehr widersprüchlich dar.
Europa ist wohl der Erdteil mit den meisten und blutigsten Kriegen der letzten tausend Jahre. Dieses
unser Europa scheint heute als Kriegsgebiet völlig undenkbar. Doch diese neue Identität, diese neue
Gemeinsamkeit, muss immer wieder gelehrt, erlernt und bewusst gemacht werden. Sonst droht das
altmenschliche Erbe uns zu überwältigen und in tödliche Grabenkämpfe zu verwickeln.
Nun gut, miteinander reden hilft ja immer und so
rufen wir bei der Bundesstelle an. Die Damen am anderen Ende der Leitung sind freundlich und erklären, aus welchen Gründen der Antrag abgelehnt werden musste. Sie würden sogar einen erneuten
Antrag bevorzugt bearbeiten.
Ohne Bildung gewinnt unser Althirn Kontrolle über uns. Mit Bildung gewinnen wir mit Hilfe unseres
Neuhirns Freiheit von angeborenen Ressentiments.
Auch wir wollen alles richtig machen, suchen nach Material, und finden ein Merkblatt der Bundesagentur. Und wir sind wieder verwirrt. Im Merkblatt steht, dass für diesen Fall keine Arbeitserlaubnisprüfung erforderlich ist.
Nutzen wir Bildung auch für unser Miteinander in Deutschland. Wir haben heute leider noch
mehrere parallele Deutschlands. Doch wir brauchen keine Deutschlands der Bodenständigen, der
Zugereisten, der Migranten, der Spätaussiedler oder der Forscher und Fachkräfte auf Zeit.
Wir brauchen EIN DEUTSCHLAND FÜR ALLE! Fangen wir an, alle, die bei uns leben, mit Bildung und
mit Herz einzuladen, Teil dieses gemeinsamen Deutschlands zu werden. Lehren und lernen wir es in
unseren Schulen und im täglichen Alltag, ermutigen wir es in unseren Medien: Wer bei uns lebt, ist
eingeladen, Mitbürger zu werden, sich zu uns zu bekennen, Teil von uns zu werden, ob auf Zeit oder
für immer, ob als erste oder zweite Heimat.
So wird uns unser Neuhirn helfen, drohende Gräben in unserer Gesellschaft endlich zu überwinden.
Machen auch Sie mit! Wir alle werden gebraucht!
Also alles wieder auf Null und ran an’s Telefon. Die Dame von der Bundesstelle betont: Prüfung und
Bescheid des gestellten Antrag seien korrekt verlaufen. Aber im offiziellen Merkblatt der BA steht
doch, dass eine Prüfung nicht benötigt wird. »Dann ist das wohl so.«, ist die Auskunft.
So langsam dämmert es uns: Der Bescheid auf den Antrag war zwar vollkommen korrekt, aber der
Antrag selber war vollkommen unnötig. Das hat die Behörde nicht im Blick, sie prüft alle Anträge,
egal ob sie notwendig sind oder nicht. Wir haben vier Stunden benötigt, dass korrekt beschiedene
Missverständnis zu klären.
Es wird geprüft, was auf den Tisch kommt.
Soviel ist schon sicher; alles wird gut werden mit der Lehre des jungen Mannes. Deutlich wird aber
auch: Im System aus Beratung und Verwaltung ist noch viel Potential drin.
Ihr Martin Gillo
Ihr Martin Gillo
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Alte Migrationszöpfe abschneiden –
25. Mai
Manchmal erkennt man wichtige Chancen für gesellschaftliche Verbesserungen bei Veranstaltungen.
So war das auch am vergangenen Mittwoch in Dresden. Dort fand die bisher größte deutsche Konferenz für Zuwanderung statt. Sven Morlok, der sächsische Wirtschaftsminister und der sächsische
Innenminister Markus Ulbig werben schon seit über einem Jahr für die erleichterte Zuwanderung
von Fachkräften aus aller Welt.
Dazu gehört z.B. der erleichterte Arbeitsmarktzugang und die neu geregelten Aufenthaltsrechte
für Hochqualifizierte – Verbesserungen, die besonders der Initiative des Freistaates Sachsen zu
verdanken sind.
Dazu gehört aber auch mehr Weltoffenheit in unserer Gesellschaft. Dass dabei auch alte Zöpfe in
Frage gestellt und abgeschnitten werden können, versteht sich von selbst.
Armin Laschet, ehemaliger Integrationsminister Nordrhein-Westfalens, sprach offen an, wie falsch
Politik und Öffentlichkeit in der Vergangenheit mit dem Thema »Gastarbeiter« umgegangen sind.
Und überhaupt, was für ein Wort: »Gastarbeiter«! Laschet kommentierte, dass nur den Deutschen
einfallen würde, ihre Gäste arbeiten zu lassen.
Über Jahrzehnte hinweg signalisierte Westdeutschland seiner Bevölkerung, dass die Gastarbeiter nur
auf Zeit hier wären und deshalb nicht Teil der Gesellschaft werden sollten, weil sie ja »irgendwann«
wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Die westdeutsche Gesellschaft hat sich dabei selbst getäuscht. Auch viele Gastarbeiter sagten sich, dass sie »vielleicht schon nächstes Jahr« wieder nach
Hause gingen. Nur ihre Kinder lebten und fühlten das ganz anders. Sie wollten sich Deutschland zur
Heimat machen. Das stritt man ihnen lange ab. Wo sind zu nun zu Hause? Wo liegt ihre Zukunft?
Heute suchen wir Arbeitskräfte mit Köpfchen und laden sie zu uns nach Sachsen ein. Viele kommen
auch zu uns, forschen an unseren Instituten, bereichern unsere Unternehmen mit internationalem
Know-how.
Aber kluge Köpfe wollen sich eine berechenbare Zukunft aufbauen. Wir wünschen uns, dass sie das
in Sachsen tun. Aber sie könnten auch nach einiger Zeit in ein anderes Land weiterziehen. In jedem
Fall aber wollen sie das selber tun – und ihre Zukunftsplanung nicht den lokalen Behörden überlassen. Zuwanderung fördern heißt also auch, als offene, respektvolle und interkulturell kompetente
Gesellschaft dafür zu werben, das Zugewanderte auch bei uns bleiben.
Eine solche Gesellschaft ist für mich eine Willkommensgesellschaft. Die wollen wir in Sachsen verwirklichen: mit erleichterten Zuwanderungsbedingungen, mit erleichtertem Zugang zu Daueraufenthaltsgarantien, mit menschenwürdigen, weltoffenen und respektvollen Umgangsregeln in unserer
Gesellschaft.
Auf der Konferenz wurden zwei alte Zöpfe benannt, die aus Sicht der Experten abgeschnitten werden
sollten, wenn wir wirklich zur Willkommensgesellschaft werden wollen.
Prof. Klaus Bade, Vorsitzender des deutschen Sachverständigenrates für Integration und Migration,
forderte, dass zukünftig Integrationsangebote und -initiativen für alle in Deutschland lebenden
Menschen gelten müssen, nicht nur für die mit Daueraufenthaltsberechtigung. Die Forscher, die
Studenten, die Flüchtlinge, sie alle leben bei uns. Sollen sie wirklich auf Dauer nicht in unsere Gesellschaft integriert werden? Wollen wir wirklich so tun, als wären sie kein Teil unserer Gesellschaft?
Sollen die sich wie die Gastarbeiter früher in Westdeutschland behandelt fühlen?
Als Zweites ermutigte Prof. Tony Hyman die Politik während der Konferenz, in Deutschland endlich
die doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen. Der Chef des Max-Planck-Instituts in Dresden warb
mit viel Herz dafür, sich zur Heimat Deutschland zu bekennen, ohne sich von seiner anderen Heimat
lossagen zu müssen. Seine Kinder sind in Deutschland geboren und haben hier ihre Heimat, doch
ihre amerikanische Mutter könnte nie damit leben, dass sie gleichzeitig ihre amerikanische Staatsbürgerschaft aufgeben müssten.
Die Kinder von Prof Hyman dürften die doppelte Staatsbürgerschaft erwerben, aber nur,
bis sie 25 Jahre alt sind. Danach müssten sie sich von einer Heimat lossagen.
Dieses Lossagen ist nicht in allen Ländern möglich – Marokko z.B. entlässt niemanden aus der
Staatsbürgerschaft. Wollen wir wirklich, dass ein anderes Land die Entscheidung darüber treffen
kann, wer zu uns gehört? Natürlich nicht.
Zuletzt noch ein Wort in eigener Sache: Am 14. Mai 2012 wurde das Amt des Sächsischen Ausländerbeauftragten zwanzig Jahre alt.
Wie in den meisten anderen Bundesländern soll das Amt in Sachsen umbenannt werden: Aus dem
Ausländerbeauftragten soll ein Integrationsbeauftragter werden.
Anfangs fand ich diese Idee toll – bis mir klar wurde, dass damit nach gegenwärtiger Definition viele
ausländische Mitmenschen ausgeblendet werden könnten. Forscher und Fachkräfte z.B. sehen sich
weder als Migranten, noch als zu integrieren nach den jetzigen Definitionen. Trotzdem leben sie mit
uns und möchten bei uns anerkannt und respektiert werden. Deshalb freue ich mich über meinen
jetzigen Titel, so wie er ist.
Ihr Martin Gillo
Benachteiligt Sachsen seine Forscherkinder? –
1. Juni
Die bisher größte Zuwanderungskonferenz in Deutschland fand am 15. Mai 2012 in Dresden statt.
Die Staatsregierung hatte eingeladen und über 350 Teilnehmer kamen. Dabei waren Mitarbeitende
aus Ministerien, kommunale Ausländerbeauftragte, Vereine, Initiativen und Wirtschafts- und Forschungsunternehmen.
In Vorträgen, auf Podiumsdiskussionen und in Gruppenarbeit stellten sich die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer den Fragen, wie wir die Zuwanderung von Talenten aus aller Welt erfolgreich unterstützen können.
Bei den Zuwanderungsgesetzen hat sich auch durch das sächsische Engagement viel getan. Ebenso
wichtig ist die Öffnung unserer Bevölkerung gegenüber Menschen aus anderen Ländern, die bei
uns leben. Die Anerkennung und der Respekt im Umgang mit allen bei uns lebenden Ausländern
gehören ebenso dazu. Doch auch das genügt nicht. Auch viele Regelungen in Sachsen spielen eine
wichtige Rolle. Diese Regeln müssen wir durchforsten.
Ein Beispiel sind die Bildungsempfehlungen, die in Sachsen schon im vierten Schuljahr darüber
entscheiden, ob ein Kind auf das Gymnasium darf oder nicht. Eine Bildungsempfehlung erhält ein
Kind in Sachsen nur, wenn es sowohl in Deutsch als auch Mathematik eine »Zwei« erhält.
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Was hat dieses »bewährte« System nun mit Zuwanderung von ausländischen Fachkräften zu tun?
Ganz einfach: Die Sprachentwicklung von bilingualen Kindern ist bis ins Teenager-Alter langsamer
als die einsprachiger Kinder. Das liegt an der Schwierigkeit, gleichzeitig zwei Sprachen auf Muttersprachenbasis zu erlernen. Ein Forscher beschrieb auf der Konferenz, welche Probleme das schaffen
kann. Sein ältester Sohn bekam in der Grundschule eine Drei in Deutsch und die Lehrer verweigerten
ihm „völlig korrekt“ die Bildungsempfehlung für das Gymnasium.
Was tat der Forscher, um seinem Sohn dennoch das Gymnasium und das spätere Studium zu ermöglichen? In seiner Not ließ er die Intelligenz seines Sohnes an der TU Dresden feststellen. Die war sehr
hoch. Mit dieser Bescheinigung bekam der Sohn dann doch die Bildungsempfehlung. Wir sehen
also, dass unser System der Bildungsempfehlungen bei bilingualen Kindern scheitert.
Was ist zu tun? Forscher mit Kindern werden versuchen, ihre Kinder in die beiden internationalen
Schulen in Dresden und Leipzig zu schicken, mit entsprechenden Schulgebühren. Doch was macht
ein Forscher mit Familie, der ein Angebot nach Chemnitz oder Zittau hat? Muss er – oder sie – notgedrungen mit der Familie in die Nähe der internationalen Schulen in Dresden oder Leipzig ziehen und
täglich zur Arbeit mit dem Auto fahren?
Auf der Konferenz empfahl der Forscher längeres gemeinsames Lernen bis zur sechsten Klasse – damit
die bilingualen Kinder Zeit haben, aufzuholen. Gute Ergebnisse im Intelligenztest als Alternative zur
deutschen »Zwei« wären ein zweiter Ansatz. Es gibt sicherlich noch viele andere Optionen. Finden
wir sie. Eine erfolgreiche Fachkräftezuwanderungspolitik braucht die Abstimmung mit allen Ministerien. Auf geht’s.
»Habe Mut, dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen.« Das ist einer der Kernsätze der deutschen
Aufklärung. Moses Mendelssohn war einer ihrer wichtigen Denker. Sein Freund Gottfried Ephraim
Lessings hat ihn als »Nathan der Weise« im gleichnamigen Stück verewigt und so auch die Vielfalt
unserer eigenen kulturellen Wurzeln gewürdigt.
Wollen wir weiterhin ein Land sein, das erstklassige Bildung, Kultur, Lebensqualität und Solidarität
mit Älteren und Schwächeren garantiert? Dann müssen wir uns den Talenten und Perspektiven aus
aller Welt öffnen. Und mit ihnen werden nicht nur Kompetenzen, sondern auch Kreativität, Offenheit
für neue Lebensstile, neues Denken kommen. All das wird unser Leben und unsere Gesellschaft vielfältiger, stärker und innovativer machen.
Und was ist mit unserer eigenen Identität? Erinnern wir uns nur, dass wir schon jetzt mehrere Identitäten gleichzeitig haben. Manche sehen sich gleichzeitig als Weltbürger, Europäer, Deutsche, Sachsen,
Leipziger, Evangelische usw.
Zu einer solchen Bestimmung der eigenen Identität gehört eine Gesellschaft, die diese Vielfalt allen
zugesteht – und die dabei durch die Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zusammengehalten wird.
Von der obigen Liste hätten die Nazis übrigens nur das Deutsche toleriert: Wie öde und wirklichkeitsfremd. Stattdessen gilt jetzt: Sei all das, was Du bist – und gestehe das auch Anderen zu.
Ihr Martin Gillo
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Was ist unsere Gesellschaft und wenn ja, wie viele? –
15. Juni
Den Ewig-Vorgestrigen bin ich ein Dorn im Auge. Warum eigentlich?
Ich werbe mit ganzem Herzen für Weltoffenheit und eine Willkommensgesellschaft in Sachsen.
Das ist denen nicht Recht, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen. Die Nazis träumten
im letzten Jahrhundert von Rassenreinheit, von Deutschen mit blonden Haaren und blauen Augen.
Zu dumm nur, dass Hitler, Goebbels und Co. ihren eigenen Rassenkriterien nicht entsprachen.
Deutschland ist schon seit Jahrtausenden eine Region, in der viele Stämme und Völker – vornehmlich aus Osteuropa kommend – ihr Glück gesucht haben. Das Ergebnis war und ist ein ständiger
Wandel, eine ständige Bereicherung der hiesigen Bevölkerung und: ein erfolgreiches Land!
In einer solch vielfältigen Region kann Homogenität nur sehen, wer selektiv wahrnimmt: Wer das
Vielfältige ausblendet und von Zuwandernden die sofortige Assimilation fordert. Die Nationalsozialisten haben aus dieser selektiven Wahrnehmung eine grausame menschliche Selektion gemacht.
Millionen Menschen wurden einer fanatischen Reinheitsidee geopfert.
Welch unfassbares Verbrechen. Welche Schande. Und welch unglaublicher Verlust für unsere eigene
Kultur – denken wir nur an die vielen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die unsere Kultur,
Gesellschaft und Wissenschaft bereichert haben und ohne die wir heute nicht wären, wer wir sind.
Was tun, wenn gesuchte Fachkräfte als
Flüchtlinge zu uns kommen? –
6. Juli
In der letzten Woche besuchte ich wieder einige Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende in
Sachsen. Mit solchen Besuchen wollen wir erfassen, wie die Unterbringung aussieht. Dabei beurteilen
wir die Unterkünfte nach dem »Heim-TÜV«, der anhand von zehn Faktoren mit knapp 50 Einzelaspekten zu einer Einstufung von rot, gelb oder grün kommt.
Bei diesen Besuchen sprechen wir auch mit den Asylbewerbern. Dieses Mal traf ich auf eine Reihe
von Flüchtlingen aus einem asiatischen Land. Sie haben mich in ihre Wohnung eingeladen. Sie war,
bei aller Dürftigkeit der Ausstattung, ordentlich und gepflegt. Die jungen Männer waren alle sauber
gekleidet, sie waren höflich und aufgeschlossen.
Es stellte sich heraus, dass einer der Flüchtlinge ein abgeschlossenes Technikstudium hatte. Einer
war Automechaniker. Die anderen hatten Abitur. Alle strahlten eine ermutigende Offenheit aus.
Eigentlich sind das doch Menschen, um deren Zuwanderung wir hier in Sachsen werben, oder?
Aber auch diese acht Flüchtlinge sind bei uns zum Nichtstun verurteilt – die meisten von ihnen seit
fast einem Jahr, und wahrscheinlich auch weiterhin. In dieser (Warte)zeit könnten wir ihnen doch
sinnvolle Aufgaben übertragen, unabhängig von ihrem Status, einfach solange sie bei uns leben, oder?
Gehören Flüchtlinge nicht dorthin, wo sie ihre Talente für und mit uns einbringen können?
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Das würde den Flüchtlingen durch konstruktive Beschäftigungsangebote eine Chance für mehr Sinn
in ihrem Leben geben. Das würde uns Geld sparen. Das würde auch zu weniger Konflikten mit der
Nachbarschaft führen. Und das würde die öffentliche Meinung über Asylsuchende ändern: Kaum
einer will sich nämlich in die »soziale Hängematte« legen.
Sie müssen gezwungenermaßen auf unsere Kosten leben und würden lieber ihre Talente einbringen.
Aber kaum einer bekommt die Chance dazu.
Vor 20 Jahren hatte jemand die Idee der Vergrämung. Das heißt, Flüchtlinge sollten es bei uns möglichst
unangenehm haben, in der Annahme, dass sie mit der Zeit bereit sein würden, nach Hause zurückzukehren. Doch was bedeutet das? Die Flüchtlinge sollten es bei uns schlechter haben, als in der Gesellschaft, aus der sie zu uns flohen. Diesen Gedanken sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Die Asylbewerber wurden zunächst in Gemeinschaftsunterkünften zusammengefasst. Nicht nur
ein Bewohner einer dieser Heime bezeichnete sie als »Gefängnis ohne Gitter«. Die Lebensmittel wurden eingeschränkt. So sehr, dass sich jetzt das Bundesverfassungsgericht mit der Frage auseinandersetzte, ob das noch mit unserem Grundgesetz vereinbar ist.
Vielleicht ist es jetzt an der Zeit umzudenken?
Glücklicherweise gibt es jetzt auch außerhalb Sachsens eine Reihe von Initiativen in dieser Richtung.
Ich wünschte mir, dass der Vorschlag des ehemaligen Innenministers Wolfgang Schäuble aus dem
Jahr 2006 wieder aufgegriffen wird, der allen Asylsuchenden nach einjährigem Aufenthalt den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen wollte.
Der konservative niedersächsische Innenminister Schünemann hat das jetzt aufgegriffen und schlägt
außerdem vor, dass den Flüchtlingen nach einem Jahr Zugang zu Sprachkursen und einer Integrationsvereinbarung gegeben werden sollte.
Vielen Dank, Herr Schünemann! Wir wünschen Ihnen damit viel Erfolg, vielleicht auch bald mit
Unterstützung des Freistaates Sachsen.
Martin Gillo
Versuchte Abschreckung von Flüchtlingen oder
zwanzig Jahre deutsche Selbsttäuschung –
20. Juli
Die Flüchtlingszahlen in Europa steigen wieder an. Im letzten Jahr waren es zehn Prozent Flüchtlinge, die mehr kamen. Für dieses Jahr rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
mit etwa 2.300 Flüchtlingen, die Sachsen zugewiesen werden. Ja, vom Bundesamt zugewiesen; denn
es kommt praktisch kein Flüchtling nach Sachsen selbst.
Wodurch mag dieser Anstieg begründet sein? Wie immer, gibt es verschiedene Ursachen. Da sind
einmal die großen gewaltsamen gesellschaftlichen Umwälzungen im Nahen Osten oder Asien. Im
Mai 2012 führten Afghanistan, Syrien und der Irak die Statistik der Herkunftsländer an.
Ich vermute, dass auch die Krise in Europa mehr Flüchtlinge über ihre Außengrenze hineinströmen
lässt. Griechenland hat momentan ganz andere Probleme. Da stören Flüchtlinge nur. Ich habe von
Flüchtlingen gehört, die einfach auf der Straße als Obdachlose ausgesetzt wurden. Die Medien berichteten, dass rechtsradikale Gruppen auf Flüchtlinge in den griechischen Straßen Jagd machen.
Kein Wunder, dass diese versuchen, in anderen europäischen Ländern Schutz zu finden. Natürlich
auch in Deutschland. Wir sind in Europa nicht das Ziel Nr. 1 für die Flüchtlinge, doch wir sind unter
den ersten fünf Ländern.
Zum Teil sind die Heime weit abgelegen und machen es für die Bewohner sehr schwer, unsere
Gesellschaft kennenzulernen und zu respektieren. Schließlich sollten wir unsere Augen nicht davor
verschließen, dass sich in Heimen, in denen keine Sozialbetreuung angeboten wird, repressive
Hierarchien entwickeln können: Einige wenige Bewohner tyrannisieren dann die Mehrheit, die sich
anpassen muss.
Geduldete dürfen auch nicht arbeiten. Wir bezahlen also ihren Lebensunterhalt, solange sie bei
uns leben. Wir ärgern uns darüber, dass sie uns »auf der Tasche liegen«. Wir beklagen uns, dass
die Geduldeten nur faul seien und vergessen dabei aber, dass wir selbst dafür verantwortlich sind.
Wie schön kann doch selbst verursachte Schizophrenie sein.
Absicht der Vergrämung ist auch, dass Flüchtlinge andere potenzielle Flüchtlinge in ihrer alten
Heimat davor warnen, nach Deutschland zu kommen. Das funktioniert nicht, denn die Flüchtlinge
schämen sich für ihr Pech und senden nur positive Nachrichten in die Heimat. Das Geld für die
Flucht kommt oft von der eigenen Verwandtschaft, die man nicht enttäuschen möchte. Auch die
Schlepper werden es tunlichst vermeiden, jemandem Deutschland auszureden.
So leben viele der Asylbewerber oder Geduldeten über viele Jahre unter traurigen Umständen. Ohne
Zugang zu unserer Sprache reicht es oft nur bis zum Radebrechen in Deutsch. Ihre hauptsächlichen
Kontakte sind innerhalb des Heimes, wo sie sich in die wechselnden Hierarchien einfügen, um zu
überleben. Wie entkommt man dem verordneten Nichtstun? Natürlich erfüllt diese Art Vergrämung
nicht ihren Zweck.
Die Vergrämungsstrategie gegenüber Flüchtlingen führt zu unserer selbst verursachten Schizophrenie.
Auf der einen Seite verlangen wir, dass sich die Asylbewerber als dankbare und ordnungsliebende
Mitbürger und Miteinwohner verhalten. Auf der anderen Seite versperren wir ihnen die Chancen,
genau das zu tun.
Glücklicherweise ist Sachsen auf dem Weg aus dieser Sackgasse. Familien sollen dezentral wohnen,
Kinder werden vom ersten Tag an schulisch integriert. Wir haben eine Kronzeugenregelung, die es
Flüchtlingen erlaubt, auch nach der Verurteilung von Verbrechern bei uns zu leben.
Es gilt noch mehr zu tun. Das konservative Niedersachsen schlägt jetzt vor, auch Geduldeten einen
Weg zur vollen gesellschaftlichen Integration zu eröffnen. Bravo.
Bleibt zu hoffen, dass wir bald zu einem Umgang mit Asylsuchenden kommen, der unseren eigenen
Werten von Ordnungsstaatlichkeit und Menschenwürde wirklich gerecht wird.
Martin Gillo
Wie gehen wir damit um?
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Fremdenfeindlichkeit gleich Dummheit? –
27. August
Meine klare Antwort lautet nein. Das sage ich auch aus der Erinnerung an den hohen Respekt, den
wir früher unserer eigenen Religion entgegengebracht haben.
Anfang August erschütterte eine furchtbare Schreckensnachricht die Welt. In den USA stürmte ein
Nazi einen Sikh-Tempel. Er erschoss und verwundete dort eine große Zahl von Gläubigen. Die Polizei
kam zu Hilfe und musste den Amokläufer erschießen, um das Morden zu beenden. Der Täter war am
ganzen Körper tätowiert, unter anderem mit Hakenkreuzen. Es stellte sich heraus, dass er Muslime
töten wollte, aus Rache für die Attacken der Al Kaida Terroristen. Nun ist es grundsätzlich falsch,
unschuldige und unbeteiligte Menschen wegen verbrecherischer Handlungen anderer anzugreifen.
Diese Art von selbst ernannter Selbstjustiz gehört in das Denken der Steinzeit, nicht ins Heute.
Das allein wäre schon verabscheuenswürdig. Doch es wird noch abstoßender durch die schiere
Dummheit des Täters, der die Sikhs mit Muslimen verwechselte. Sikhs glauben an die Gleichheit
aller Menschen und an die universelle Einheit aller Menschen mit Gott. Sikhs werden in einigen
Regionen der Welt verfolgt. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass es auch unter den Flüchtlingen
die in Sachsen leben, eine Reihe von Sikhs gibt. Könnte es sein, dass Fremdenfeindlichkeit mit einer
gewissen Art von Dummheit gleichgesetzt werden kann, wie es in diesem krassen Fall in Wisconsin
offensichtlich wurde?
Wir sollten uns grundsätzlich von Verallgemeinerungen fern halten. Doch ich bin mir über eins
sicher: Fremdenfeindlichkeit ist oft mit fehlendem Wissen gepaart. Es fehlt das Wissen über die
vielen kulturellen Reichtümer, die es in anderen Ländern und Kulturen gibt. Und dann fehlt die
Bereitschaft, sich für Neues zu öffnen. Das erinnert mich an einen Spruch im Amerikanischen:
Verwirre mich nicht mit Fakten. Meine Meinung habe ich schon festgelegt.
Das Gleiche gilt natürlich auch für unseren Umgang mit anderen Religionen, z.B. dem Islam oder
dem Buddhismus. Es kann nicht sein, dass wir die Herabschätzung, Beleidigung, Verunglimpfung
anderer Religionen als Zeichen unserer offenen Gesellschaft ansehen.
Deutschland ist ein Land der Vielfalt. Das hat Angela Merkel dieses Jahr klargestellt, ohne Wenn und
Aber. Der gegenseitige Respekt gehört untrennbar dazu. Egal, welcher Religion ich selbst angehöre,
egal ob ich mich als religionsfern und säkular sehe: Grundlage unseres Zusammenlebens ist, dass
wir einander respektieren anstatt uns zu provozieren.
Wenn es Einzelgruppen gibt, die die Freiheiten unserer offenen Gesellschaft zu solcherart extremen
Respektlosigkeit missbrauchen wollen, dann sollten wir dagegen sichtbar protestieren und zeigen,
dass wir das nicht akzeptieren. In dieser Atmosphäre der Gemeinsamkeit könnten wir uns dann auch
an die Werte der Aufklärung erinnern, die zu unserem europäischen Wertekanon dazugehören. Und
wir könnten bemerken, dass sich Judentum, Christentum und Islam zum gleichen Gott bekennen,
den Gott Abrahams. Wir benutzen nur andere Namen für ihn: Gott, Allah, Jahwe, Elohim.
An eben diese Gemeinsamkeit erinnerte uns auch eine muslimische Ministerin, die bei ihrem
Amtseid den Zusatz gesprochen hat: »So wahr mir Gott helfe.«
Verteidigen wir unsere Gemeinsamkeiten, dann führt unser Zusammenleben zum Zusammenwachsen.
Martin Gillo
Im Heim mutterseelenallein –
15. Oktober
Religionen – Respektieren statt Provozieren –
21. September
Bei meinen Besuchen der Asylbewerberheime Sachsens treffe ich immer wieder auch auf Menschen,
die dort mutterseelenallein sind.
Gehört es zum richtigen Verständnis der demokratischen Freiheiten, dass man Institutionen und
Religionen verunglimpfen und mit Zynismus überschütten darf?
Wenn wir uns den Umgang der Medien mit der christlichen Religion und seinen Würdenträgern in
den letzten 30 Jahren anschauen, dann müsste man eigentlich erschüttert sein, wie respektlos unser
Umgang mit ihnen geworden ist.
Deutschland scheint auf dem Weg zur Säkularisierung zu sein. Über 300.000 Kirchenaustritte verzeichneten die beiden großen Kirchen im Jahre 2011. Kirchengebäude werden geschlossen, weil sie
bei sinkenden Mitgliederzahlen nicht aufrechterhalten werden können. Sie werden in Restaurants,
Kaufhäuser oder Kletterburgen umfunktioniert.
Diese Säkularisierung geht einher mit einem respektloseren Umgang mit den Institutionen und
Personen. Der Papst wird in beleidigender Manier dargestellt, und das scheint fast jedem in unserer
Gesellschaft wegen der demokratischen Meinungsfreiheit total akzeptabel zu sein.
Dass solche Extrem-Respektlosigkeit bisher gesetzlich erlaubt ist, steht außer Frage. Aber sollten wir
diese Extrem-Respektlosigkeit gegenüber Religionen auch als gesellschaftlich akzeptabel ansehen?
Menschen kommen aus aller Welt zu uns und suchen Hilfe aus ihrer Not. Sie kommen meist ohne
Deutschkenntnisse. Auch Fremdsprachen sind für sie oft verschlossene Bücher mit sieben Siegeln.
Und was, wenn es doch Gemeinsamkeiten gibt, die aber aus Sprachgründen verschlossen bleiben?
Anfang Oktober besuchte ich das Asylbewerberheim in Elbisbach im Leipziger Land. Als Ausländerbeauftragter nehme ich immer zwei meiner Mitarbeiter mit, sowie eine Person mit besonderen Sprachkenntnissen. Diesmal hatten wir eine Frau dabei, die sowohl Persisch als auch Arabisch sprach.
Just an dem Tag trafen wir im Heim auf einen evangelischen Pfarrer, der regelmäßig das Heim besucht und mit Christen dort Gottesdienste abhält. Wie es der Zufall so will, waren etwa acht seiner
Kollegen aus der ganzen Bundesrepublik angereist und hatten eine Nacht im Heim verbracht. Sie
wollten am Vormittag einen Gottesdienst mit einigen Heimbewohnern halten.
Im selben Heim trafen wir auch auf eine alleinstehende Frau aus dem Irak, die nur Arabisch sprach.
Sie trug ein Kettchen mit einem Kreuz am Hals. Niemand sonst im Heim konnte mit ihr in ihrer Sprache korrekt kommunizieren. Es stellte sich heraus, dass sie eine Katholikin aus dem Irak war. Jemand
hatte ihr zu verstehen gegeben, dass eine Teilnahme am evangelischen Gottesdienst für sie verboten
sei. Mit ein paar kurzen Sätzen konnten wir den Irrtum aufklären und sie dem Pfarrer vorstellen.
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Selbstverständlich nahm sie dann auch am anschließenden Gottesdienst teil.
leicht anfänglich auch nur auf Zeit? Denn wo ein Wille ist, da werden sich auch Wege finden.
Auch das ist die Realität in unseren Asylbewerberheimen.
»A mind is a terrible thing to waste.« Zu Deutsch: Menschliches Potenzial zu vergeuden ist eine
schreckliche Verschwendung.
Ich denke, dass es sich lohnt, auch in entlegenen Heimen die Dienste von Dolmetschern zu Rate zu
ziehen, damit die Isolation der Asylsuchenden nicht noch ausgeprägter wird, als sie es schon ist.
Vielleicht gibt es im Leipziger Land auch eine katholische Gemeinde, die unsere irakische Flüchtlingsfrau gelegentlich in ihre Gottesdienste einbeziehen möchte?
Mit anderen Worten: Es gibt in den ländlichen Regionen echten Fachkräftemangel. Es gibt in den
ländlichen Regionen akademisch gebildete Flüchtlinge, die auf Jahre nur herumsitzen sollen.
Glaubt wirklich jemand, dass das gut so ist?
Martin Gillo
Martin Gillo
Wieder einmal machtlos gegen Neonazis in Hoyerswerda? –
16. November
Wenn Akademiker auch Flüchtlinge sind –
19. Oktober
Flüchtlinge sind wie ungebetene Gäste. Wir haben sie nicht nach Sachsen gebeten. Sie sind in der
Regel auch nicht von sich aus nach Sachsen gekommen, sondern meist in ein westdeutsches Bundesland, das sie uns weitergereicht hat. Doch sie sind nun einmal hier. So behandeln wir sie anfangs
eher zurückhaltend.
Einige von ihnen kommen als akademisch ausgebildete Menschen zu uns. Wir verteilen sie nach
Zufallsprinzip auf über 30 Heime in unserem Bundesland. Wenn sie in eine unserer drei großen
Städte kommen, dann ist das so, als wenn sie in der Lotterie gewonnen hätten, weil sie Zugang zu
den vielen Verbänden und Vereinen und einer offenen Gesellschaft bekommen.
Doch auch wir könnten von ihnen profitieren. So erfuhr ich vor kurzem, dass in der Dresdner Region
ein akademisch gebildeter Flüchtling aus einem Bürgerkriegsland nach kurzer Zeit eine Stelle als
Projektmanager bei einer internationalen Firma bekommen hat.
Das nenne ich sinnvolles Handeln. Auf der einen Seite klagen wir über Mangel an Fachkräften. Auf
der anderen Seite leben einige von ihnen schon in unserer Mitte. Sicher, sie kamen auf ungewöhnlichen Wegen. Und wir schauen einfach nicht hin. Das Dresdner Beispiel zeigt, dass es auch anders
geht. Nehmen wir es doch als guten Weckruf für unsere Gesellschaft und für unsere Unternehmen.
Wer über das typische Schicksal der bei uns lebenden akademisch gebildeten Flüchtlinge nachdenkt, könnte schnell auf die Idee kommen, sie alle in eine unserer drei großen Städte zu verlegen,
statt in ländliche Gebiete.
Doch auf den zweiten Blick wird man sich schnell bewusst, dass gerade die Firmen in ländlichen
Regionen an Fachkräftemangel leiden. Wer also Flüchtlings-Akademiker nur in die großen Städte
verlegen will, enthält der Wirtschaft in den ländlichen Regionen wichtige potenzielle Fachkräfte vor,
die anderweitig vielleicht nie dorthin zu bekommen wären.
Ich weiß von einem internationalen Unternehmen in Ostsachsen, das händeringend nach akademisch
gebildeten Talenten sucht. Ich kenne auch eine Gruppe von akademisch gebildeten Flüchtlingen, die
dort in der Region in Asylbewerberheimen leben.
Wie wäre es, wenn sich die örtlichen Politiker, die Verwaltung und die lokalen Unternehmensverbände zusammentun und darüber nachdenken, in wieweit akademisch gebildete Flüchtlinge in
ihrer Region der Gesellschaft – und den Unternehmen – mit ihren Talenten helfen könnten. Viel-
Zwanzig Jahre ist es her, dass Neonazis in Hoyerswerda unter Beifall der Bevölkerung tagelang Ausländer verfolgten und Asylbewerberheime mit Molotowcocktails angriffen. Der Schock der Nation
war groß. Die Weltöffentlichkeit hatte solche Vorkommnisse bis dahin nicht für möglich gehalten.
Der Freistaat wehrte sich, so gut er konnte. Er rief eine Sonderkommission der Polizei gegen Rechtsextremismus (Soko REX) ins Leben. Der Landtag erließ ein Gesetz für einen unabhängigen Ausländerbeauftragten und der damalige Landtagsvizepräsident Heiner Sandig begann seine Arbeit vor genau
20 Jahren.
Aber der Schaden für die Region und den Freistaat war gemacht und ist in der Zwischenzeit trotz
aller Bemühungen bis heute noch nicht völlig überwunden. Immer noch hat das Image von Sachsen
einen Hauch von Fremdenfeindlichkeit.
Zum zwanzigsten Jahrestag der traurigen Wiederkehr der Unruhen gab es viele Menschen in der
Region Hoyerswerda, die sich für Weltoffenheit einsetzten und dafür auch öffentlich auftraten.
Diese Aktivitäten waren ein gutes Signal für die Region, für Sachsen, ja für ganz Deutschland.
Und da platzt eine hässliche Nachricht aus Hoyerswerda herein, die angetan ist, den Ruf der Stadt,
aber auch des Freistaates um zwanzig Jahre zurückzuwerfen.
Nach einer Nachricht im MDR/dpa/Sächsischen Zeitung vom 15. November 2012 gehörte zu den engagierten Menschen für ein weltoffenes Hoyerswerda auch ein junges Pärchen, das Nazi-Aufkleber von
dortigen Gebäuden entfernte. Das junge Paar wurde in seinem Haus von 15 Rechtsradikalen massiv
bedroht. Anstatt dies zum Anlass zu nehmen, den Neonazis auf die Pelle zu rücken und das Pärchen
effektiv zu schützen, scheint die Polizei dem Pärchen vorgeschlagen zu haben, Hoyerswerda zu verlassen, weil die Polizei sie in Hoyerswerda nicht beschützen könne.
Dieser Vorschlag legt verschiedene Vermutungen nahe, die alle nicht mehr in unsere Zeit passen sollten. Sollte die Polizei des Freistaates wirklich nicht in der Lage, engagierte Anti-Nazis zu schützen?
Ich denke, nicht nur der Freistaat ist hier gefordert, den Rechtsextremen wie auch der Bevölkerung
deutlich zu machen, dass rechte Einschüchterung und Bedrohung im Freistaat keinen Raum erhält.
Gefordert sind jetzt alle in Hoyerswerda. Wäre es nicht spätestens jetzt an der Zeit, dass sich Bürgermeister, Landrat und verschiedene Vereine und Initiativen hinter bzw. vor die Angegriffenen stellen
und sich für die Solidarität der Bürgerinnen und Bürger mit ihnen einsetzen? Hier sind die Menschen
in Hoyerswerda gefragt. Wollen sie sich gefallen lassen, dass einige Wenige den Ruf ihrer Stadt und
damit auch ihrer selbst schädigen dürfen?
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Offener Gruß an einen Prinzen –
14. Dezember
Jetzt ist die Zeit für Solidarität! Wir wollen keine Region in unserem Land, das zu einer verbotenen
»No-Go Area« für Demokraten wird und damit seine Zukunftschancen zerstört. Kein Hoyerswerda 2.0!
Martin Gillo
Lieber Sebastian Krumbiegel,
wir kennen uns seit drei Jahren. Bewundert habe ich Deine Band seit der Wende. Ich habe damals
Eure Platten meinen Freunden in den USA geschenkt. Ich wollte ihnen damit zeigen, dass auch
Bands aus Deutschland echt gute Musik mit Lebensfreude und Biss machen können.
Gleiche Chancen für Migranten –
30. November
In vielen Bundesländern war es eine traurige Tradition, dass sich Migranten bei der Jobsuche hinten
anstellen mussten. Bei der Vergabe von Arbeitsgelegenheiten wurde den Kandidaten vor Ort der
Vorzug gegeben, oder Kandidaten, die über Bekanntschaften an den Job kamen. Das galt für die
Arbeit in der Wirtschaft ebenso wie für Einstellungen im öffentlichen Dienst. Wie sonst kann man
sich erklären, dass in Regionen, in denen Migranten über zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen,
der Prozentsatz der Migranten im öffentlichen Dienst weit niedriger ist?
Wir Politiker brauchen da gar nicht erst den Finger des Vorwurfes heben: Seit 2010 sind 20 Prozent
der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund. Doch wie
sieht dieser Prozentsatz bei den Bundestagsabgeordneten aus?
Der Sächsische Landtag hat derzeit 134 Sitze. Nach Schätzungen des Leipziger Leibnitz-Instituts
stellen Menschen mit Migrationshintergrund in Sachsen etwa vier Prozent der Bevölkerung. Und wie
hoch ist der Prozentsatz bei den Landtagsabgeordneten?
Du bist nicht nur Deiner Musik treu geblieben. Du engagierst Dich auch mit Herz und Hand für ein
weltoffenes Deutschland. Ob bei unserem Einbürgerungsfest oder beim Treffen der START-Stiftung
für die Bildungsförderung junger Migranten. Du hast den jungen und den neuen Deutschen gezeigt,
wie willkommen sie bei uns sind. Deine Offenheit für Menschen aus aller Welt – ja, auch für Flüchtlinge – findet man auch in Deinen Liedern.
Im Augenblick steigen die Flüchtlingszahlen auch in Deutschland wieder. Das fordert unsere Solidarität und unsere Mitmenschlichkeit: Wir müssen Plätze schaffen, an denen die Flüchtlinge leben
können. Das ruft nicht nur Verständnis hervor: Wir erleben besorgte und ärgerliche Reaktionen der
einheimischen Nachbarn, aber wir erleben auch unverhohlenen Fremdenhass. Du hast in diesem Zusammenhang in Deiner Heimatstadt ganz offen an die Mitmenschlichkeit appelliert und angeboten,
in den Gesprächen um neue Unterkünfte für Asylsuchende dabei zu sein.
Das ist bemerkenswert. Der Sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat sich gerade im
Landtag offen bekannt: »Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit haben
in Sachsen keinen Platz!« Deine Initiative illustriert, was das praktisch bedeutet.
Um im Bereich des Arbeitslebens zu mehr Fairness zu kommen, empfiehlt es sich, bei Stellenangeboten immer zu signalisieren, dass auch Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund
gewünscht sind. Die Stadt Dresden macht genau das vor. Bei allen Ausschreibungen steht immer dabei: »Wir freuen uns über Bewerbungen von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund.«
Jetzt hast Du von Bundespräsident Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Herzlichen Glückwunsch!
Es wäre schön, wenn alle öffentlichen Ausschreibungen im Freistaat diesen Satz enthalten würden. Und
natürlich auch, wenn er bei allen Stellenausschreibungen der Wirtschaft in Sachsen verwendet würde.
Wir brauchen Dich auf unserer Reise in die Zukunft. Schon im Jahre 2036 wird die gegenwärtige
Mehrheit der Herkunftsdeutschen bei uns die Minderheit darstellen. Da ist es ratsam, Deine
Offenheit schon heute allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ans Herz zu legen. Was ich hiermit
tun möchte.
Wo das nicht genügt, entscheiden sich Institutionen bei Einstellungsverfahren für Kandidaten bzw.
Kandidatinnen mit Migrationshintergrund, wenn ein Migrant und ein Nicht-Migrant gleich qualifiziert sind.
Dein Martin Gillo
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in Extremfällen von historischer Diskriminierung zum
Beispiel in den USA Einstellungen nach Quote geschehen, um die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit zu überwinden. Das käme der deutschen Diskussion um Frauenquoten bei Einstellungen gleich.
Ich könnte mir jedoch gut vorstellen, dass nach erfolgreicher Einführung von Frauenquoten auch der
Ruf nach Migrantenquoten erhoben würde.
Davon sind wir in Sachsen meilenweit entfernt. Die Stadt Dresden zeigt uns, wie ein empfehlenswerter Ansatz in Sachsen aussehen kann: »Wir freuen uns über Bewerbungen von Bürgerinnen und
Bürgern mit Migrationshintergrund.«
Warum ich das alles mache –
21. Dezember
Im Mittelalter beobachtet ein Reisender, wie eine Kathedrale gebaut wird. Neugierig mustert er die
vielen Steinmetze und fragt einen von ihnen, was er denn mache.
Der Steinmetz antwortet: »Ich schufte schon seit Sonnenaufgang an diesem Sandstein und muss
mich noch bis zum Abend damit weiter plagen. So geht das tagaus, tagein.«
Nachahmen ausdrücklich gewünscht.
Er fragt einen Zweiten und der antwortet: »Ich bin ziemlich gut in meinem Handwerk, und dieser
Stein hier, den werde ich wohl schon in drei Tagen fertig haben. Danach freue ich mich schon auf ein
noch komplizierteren Stein.«
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Er fragt einen Dritten, und der sagt: »Wir bauen hier eine Kathedrale zu Gottes Ehre. Und ich habe
das Glück, dass ich mit dem, was ich kann, mithelfen darf.«
Konstruktives Zusammenleben in einer weltoffenen Gesellschaft, in der ALLE eine Chance bekommen, ihre Talente zum Wohle der Gesellschaft und sich selbst einzubringen, soweit das möglich ist.
Die Antworten sind alt. Ihr tieferer Sinn aber ist lebendig. Wenn mich jemand fragt, warum ich tue,
was ist tue, dann folge ich dem Sinn der letzten Antwort.
Genau das motiviert mich in meiner Rolle als Ausländerbeauftragter. Ich bin der tiefen Überzeugung,
dass die übergroße Mehrheit aller Menschen sich konstruktiv in die Gemeinschaft einbringen will
und das auch von den anderen annimmt.
Die Welt wächst entweder zusammen – oder sie zerteilt und zerstört sich. In den 80er Jahren während
des Kalten Krieges regte sich auf beiden Seiten Widerstand gegen das ewige Wettrüsten. Der Welt
wurde auf einmal klar, dass die Menschheit sich durch einen nuklearen Winter selbst abschaffen
würde. In dieser Situation erstarkte die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander der Nationen als
Alternative zum nuklearen Tod.
Als Teil dieses weltweiten Miteinanders akzeptieren wir mittlerweile, dass sich alle Länder an universelle Menschenrechte halten müssen. Völkermord am eigenen Volk, wie das in Ruanda oder in
Cambodia geschah und anderen Ländern noch immer geschieht, ist unakzeptabel und muss von der
Völkergemeinschaft geahndet werden.
Doch darauf kann sich die Rolle der verantwortlichen Mitglieder in der Völkergemeinschaft nicht
beschränken. Sie sind auch gefragt, Flüchtlingen Zuflucht zu bieten. Das gilt ganz selbstverständlich
auch für Deutschland und Sachsen.
Nach Schätzungen der UNO sind derzeit weltweit etwa 44 Millionen Menschen auf der Flucht vor
Krieg, Verfolgung, vor Hunger und Umweltkatastrophen. Achtzig Prozent von ihnen finden Zuflucht
in Entwicklungsländern in der unmittelbaren Nachbarschaft. Pakistan ist heute das Land, das derzeit die meisten Flüchtlinge weltweit aufnimmt. In Europa stehen im Augenblick - gemessen an der
Zahl der Flüchtlinge - Großbritannien, Frankreich und Deutschland an der Spitze der Sehnsüchte
nach einem besseren Leben.
Wenige Länder auf der Welt haben es bisher geschafft, Fremde als positive Chance zu erkennen.
Wir stehen auf diesem Weg noch ziemlich am Anfang. Bei Fremden, die sozusagen ungebeten zu uns
gekommen sind, fällt uns das noch viel schwerer.
Ich möchte uns in der Haltung bestärken, dass alle Menschen ein riesiges Potenzial in sich tragen,
und dass es in unserem eigenen Interesse ist, sie zu ermutigen, dies auch bei uns einzubringen.
Wie war das noch mit den Flüchtlingen aus dem Osten, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu uns
kamen? Meine aus Danzig geflohenen Eltern erzählten, dass wir in Delmenhorst in Niedersachsen
einen Vermieter hatten, der einen Zaun um seinen Birnbaum aufstellte. So wollte er verhindern,
dass die Nachbarn – und wir - davon aßen. Er wollte sie alle für sich behalten. Dreimal dürfen Sie
raten, ob ihm das gelungen ist.
Diese Art von Ausgrenzung hat schon damals nicht funktioniert. Probieren wir es doch einfach mit
konstruktivem Miteinander. Was haben wir zu verlieren, außer unseren Ängsten?
Martin Gillo
Und wie sollen wir mit ihnen umgehen, wenn sie bei uns angekommen sind?
Genau hier beginnt meine Rolle. Ich bin der tiefen Überzeugung, das sowohl wir als auch die Flüchtlinge davon profitieren, wenn wir auf Menschenwürde und konstruktives Zusammenleben setzen anstatt auf Verelendung oder Vergrämung.
Zwanzig Jahre hat Deutschland auf Verelendung gesetzt. Dahinter stand eine simple Annahme:
Wenn Asylsuchende in Heimen unter miserablen Bedingungen leben müssen, wenn sie nur Essenspakete bekommen, wenn sie nur in schlimmsten Fällen zum Arzt dürfen, wenn sie nicht arbeiten
und kein Deutsch lernen dürfen und wenn ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist – dann geben
sie auf und gehen freiwillig in ihre Heimat zurück.
Was haben wir mit dieser Strategie erreicht? Ja, viele Asylsuchende sind nach einigen Jahren zermürbt. Ja, manche suchen einen Ausweg in Alkohol oder Drogen. Und ja, eine Minderheit wendet
sich auch der Aggression und der illegalen Arbeit zu. War es das, was wir wollten?
Und was ist mit dem Glauben, die so »behandelten« Menschen würden ihren Familien und Freunden
zu Hause schreiben, wie schlecht es ihnen hier schlecht ginge? Werden sie nicht viel eher um jeden
Preis vermeiden, ihr volles Unglück einzugestehen? Ganz im Gegenteil: Die Meisten werden berichten, dass alles gut ist, um wenigstens ein letztes Stück Würde aufrechtzuerhalten.
Unsere Verelendungstaktik hat versagt. Wenn ein Rezept zwanzig Jahre lang nicht funktioniert, ist es
an der Zeit, ein neues zu finden. Meines heißt:
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11. Statistik
Statistiken bilden häufig die Grundlage für
Entscheidungen in Politik, Verwaltung und
Wirtschaft. Für den Bereich Migration und
Integration gibt es sehr unterschiedliche
und teilweise nicht vergleichbare Statistiken.
Die Ursache dafür liegt in der unterschiedlichen Definition der Zielgruppen der Datenerhebungen: Mal geht es um Einwanderer, mal
um hochqualifizierte Zuwanderer, mal um
Ausländer, Migranten oder Spätaussiedler.
Je nach Definition werden unterschiedliche
Personengruppen analysiert – die aber letztlich zwei Dinge gemeinsam haben: Sie leben
in Deutschland und haben, direkt oder über
Familienangehörige, Wurzeln auch in anderen Kulturen. Diese Gruppen zusammen
zeigen, wie es um Migration und Integration
in Sachsen bestellt ist.
Auf Bundesebene ist der Mikrozensus des
Statistischen Bundesamtes die wichtigste
Datengrundlage im Bereich Migration und
Integration. Hier bezieht das Merkmal
»Migrationshintergrund« alle Menschen
mit ein, die entweder selbst über eine Migrationserfahrung verfügen bzw. deren Eltern
zugewandert sind. Ebenso zählen Personen
mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit,
(Spät-) Aussiedler sowie in Deutschland Eingebürgerte dazu. Außerdem berücksichtigt
der Begriff auch in Deutschland Geborene
mit deutscher Staatsangehörigkeit, die
zumindest einen zugewanderten oder als
Ausländer in Deutschland geborenen
Elternteil haben.
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Leider können wir derzeit für Sachsen
im Wesentlichen nur auf Statistiken zurückgreifen, die auf dem Konzept der Staatsangehörigkeit beruhen und dementsprechend nur
zwischen Ausländern und Deutschen unterscheiden. Gesamtaussagen über Personen
mit Migrationshintergrund sind uns nicht
möglich, weil in Sachsen das Merkmal
»Migrationshintergrund« bis auf eine Ausnahme bis jetzt nicht erfasst wird.
Die Ausnahme bildet der Bereich der
Schulbildung, in dem das Merkmal »Migrationshintergrund« seit 2008 als freiwillige
Angabe berücksichtigt wird. Nach dieser
Statistik liegt ein Migrationshintergrund
dann vor, wenn Kinder zwei- oder mehrsprachig aufwachsen und sie selbst oder
mindestens ein Elternteil oder Großelternteil
nach Deutschland zugewandert sind, ungeachtet ihrer gegenwärtigen Staatsangehörigkeit und ungeachtet des Aufenthaltsstatus.
Präzise Aussagen und Prognosen brauchen vergleichbare und repräsentative Statistiken. Es
wäre deshalb hilfreich, wenn künftige Erhebungen im Migrations- und Integrationsbereich in Sachsen die Definition des Merkmals
»Migrationshintergrund« des Mikrozensus des
Statistischen Bundesamtes verwenden würden.
Zuwanderung
Zum 31.12.2011 lebten im Freistaat Sachsen
118.525 Ausländer, das waren 2,9 Prozent
227
der 4,14 Millionen Einwohner in Sachsen.
Der Ausländeranteil in Sachsen ist damit im
Vergleich zum Bundesdurchschnitt (9 Prozent) sehr gering. Im Vergleich zum Ausländeranteil in anderen Bundesländern belegt
Sachsen den 12. Platz.
Ende 2011 sind in Sachsen etwa 180 Staatsangehörigkeiten1 vertreten. Die größte Gruppe
der 2011 in Sachsen gemeldeten Ausländer
ist mit etwa 9,2 Prozent die Gruppe der Vietnamesen. Stark vertreten sind auch russische
Staatsbürger mit 8,3 Prozent, sowie Polen mit
7,5 Prozent. Knapp jeder dritte Ausländer
in Sachsen besitzt die Staatsangehörigkeit
eines EU-Mitgliedstaates.
2011 kamen 23.290 Ausländer nach Sachsen. Davon zogen 19.671 Ausländer aus dem
Ausland zu uns. 18.222 Ausländer zogen im
gleichen Jahr aus Sachsen weg. Davon gingen 12.830 ins Ausland zurück.2 41,6 Prozent
der Zuwanderer hatten die Staatsbürgerschaft
eines EU-Landes. Die meisten von ihnen
kamen aus Polen (6.710), Ungarn (3.088) und
der Tschechischen Republik (2.928).
Eine Studie des Leibniz-Instituts für
Wirtschaftsforschung untersuchte, inwieweit
sich Ausländer in Grenznähe zu ihrem
Heimatland niederlassen. Obwohl die meisten EU-Zuwanderer in Sachsen aus Polen
kamen, stellt die Studie fest, dass Grenznähe für polnische Einwanderer kein wesentlicher Entscheidungsgrund sei. Die Neuen
Bundesländer sind offensichtlich wenig
attraktiv für Zuwanderer aus den Nachbarländern.3
Altersstruktur
Die Bevölkerung im Freistaat Sachsen war
2011 im Durchschnitt 46,4 Jahre alt.
Das Durchschnittsalter der Ausländer in
Sachsen lag bei 38,8 Jahren. Damit sind Ausländer im Schnitt fast acht Jahre jünger als
die deutsche Bevölkerung. Über 64 Prozent
228
der ausländischen Bevölkerung in Sachsen
war 2011 jünger als 45 Jahre. Der Anteil der
60-jährigen und älteren Ausländer ist mit
12,2 Prozent besonders gering. Im Vergleich:
31,6 Prozent der Sachsen sind älter als
60 Jahre.
Einbürgerungen
Im Berichtsjahr 2011 ließen sich insgesamt
911 Ausländer im Freistaat Sachsen einbürgern. Das entspricht 0,77 Prozent der hier
lebenden Ausländer. Mit dieser Einbürgerungsquote liegt Sachsen auf dem 16. Platz
im Bundesvergleich.
509 Personen lebten vor ihrer Einbürgerung bereits acht bis 15 Jahre in Deutschland.
129 der eingebürgerten Personen waren weniger als acht Jahre in Deutschland ansässig.
91 Personen lebten zum Zeitpunkt ihrer
Einbürgerung bereits 20 Jahre und mehr in
Deutschland.4
Bildung
Im Schuljahr 2011/2012 beendeten insgesamt
22.417 Schüler ihre Schulbildung an allgemeinbildenden Schulen oder Schulen des
zweiten Bildungsweges. Darunter waren
1.266 Schüler mit Migrationshintergrund.
36,5 Prozent von ihnen beendeten das
Schuljahr 2011/2012 mit dem Abitur. Diese
Zahl stieg im Vergleich zum Vorjahr. Von den
deutschen Schüler verließen 29,3 Prozent
die Schule mit diesem Abschluss.
Im Wintersemester 2011/2012 studierten
11.509 ausländische Studierende an den
Hochschulen in Sachsen, fast 1.000 mehr
als im Vorjahr. Das waren 10,3 Prozent der
Studierenden.
Die Mehrheit der ausländischen Studierenden und Studienanfänger kommt aus
Europa. Die meisten ausländischen StudieJahresbericht 2012
rende im Wintersemester waren aus Österreich (1.881 Personen). 1.607 Studierende
kamen aus China.
Im Prüfungsjahr 2011 erwarben 1.968 Absolventen mit ausländischer Staatsangehörigkeit einen Hochschulabschluss an
sächsischen Hochschulen. Damit wurden
fast 9 Prozent Hochschulabschlüsse von ausländischen Absolventen erreicht. Das waren
9 Prozent mehr als im Vorjahr und fünfmal
so viele wie im Jahr 2000. Im Jahr 2011 haben
mehr als 200 ausländische Doktoranden
erfolgreich promoviert. Damit wurde jeder
7. Doktortitel in Sachsen an einen Ausländer
vergeben.5
Migranten im Arbeitsmarkt
Nach Angaben der Sächsischen Landesärztekammer ist die Anzahl ausländischer
Ärzte von 2007 bis 2011 um 13,3 Prozent von
1.061 auf 1.620 gestiegen. Der Anteil der ausländischen Ärzte beträgt in Bezug auf die
15.569 berufstätigen Mediziner in Sachsen
9,2 Prozent6.
Der Anteil von Ausländern im öffentlichen
Dienst in Sachsen lag 2011 bei 0,16 Prozent.
Im Kindertagesstätten- und Vorschulbereich
ist er zwischen 2008 und 2011 um die Hälfte
angestiegen. Daten zu Personen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst
liegen nicht vor.
Das Statistische Landesamt des Freistaates
Sachsen und das Sächsische Existenzgründernetzwerk SEN veröffentlichen gemeinsam
Zahlen und Entwicklungstrends im Gründungsbereich. 12 Prozent der 2.800 Betriebsgründungen von Einzelunternehmen erfolgten 2011 durch Ausländer7. Darunter kamen
u.a. 22,8 Prozent aus Vietnam, 17,7 Prozent
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
aus Polen, 12 Prozent aus der Türkei,
4,2 Prozent aus Tschechien und Ungarn.
Gesellschaftliche Partizipation
Personen mit Migrationshintergrund als Mitglieder politischer Parteien, als Wähler, sowie
als Abgeordnete in Parlamenten werden in
Deudschland bislang kaum erfasst. Es fehlen
insbesondere Daten für die kommunale Ebene.
Freiwilliges und bürgerschaftliches Engagement fördert interkulturelle Lernprozesse
und das Gemeinschaftsgefühl. Der Freiwilligensurvey 2009, eine repräsentative deutschlandweite Bevölkerungsumfrage zum Thema
»Ehrenamt«, hat ermittelt, dass sich in
Deutschland mehr als 36 Prozent der Bürger
im Alter von 14 bis 99 Jahren, ehrenamtlich
engagieren. Auch Personen mit Migrationshintergrund wurden in die Befragung mit
einbezogen. Allerdings fehlen auch hier
statistische Daten für Sachsen.
1 Informationsblatt, Statistisches Landesamt des
Freistaates Sachsen, Ausgabe 2012
2 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen,
Räumliche Bevölkerungsbewegung im Freistaat
Sachsen, 31.12.2011
3 Wo leben welche Migranten? Eine Analyse mit
Kreisdaten, Verf. Robert Lehmann und Wolfgang
Nagl, Doktoranden der Dresdner Niederlassung
des ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.,
Serie ifo Dresden berichtet 6/2012
4 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen,
Einbürgerungen im Freistaat Sachsen, 31.11.2011
5 Statistisches Landesamt, Medieninformation
vom 15.11.2012
6 Ärzteblatt der Ärzteschaft, Weniger niedergelassene Ärzte in Sachsen, 21.02.2012
7 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen,
Betriebsgründungen in Sachsen, Ausgabe 2012
229
1. Bevölkerung in Sachsen
b) Zu- und Fortzüge des Freistaates Sachsen über die Landesgrenze 1990 bis 2011
nach Deutschen und Ausländern
a) Übersicht mit Ausländeranteil1)
Jahr
Überschuss
der Zu- bzw. Fortzüge (-)
gesamt Deutsche Ausländer gesamt Deutsche Ausländer gesamt Deutsche Ausländer
1990
43.473
25.362
18.111
161.038
120.226
40.812
-117.565
-94.864
-22.701
1991
46.935
37.136
9.799
97.954
84.302
13.652
-51.019
-47.166
-3.853
1992
61.523
44.027
17.496
74.377
62.632
11.745
-12.854
-18.605
5.751
1993
68.678
46.200
22.478
65.538
51.863
13.675
3.140
-5.663
8.803
1994
75.951
49.410
26.541
64.279
48.771
15.508
11.672
639
11.033
48.703
36.717
69.952
48.971
20.981
15.468
-268
15.736
48.425
33.673
73.574
46.904
26.670
8.524
1.521
7.003
46.802
29.716
75.421
47.885
27.536
1.097
-1.083
2.180
42.966
23.509
77.721
52.571
25.150
-11.246
-9.605
-1.641
3.143
Zuzüge
Stand
Quelle
4.137.051 (100 %)
Dez 11
StaLa
89.136 (2,15 %)
Dez 11
AZR
118.525 (2,86 %)
Dez 11
StaLa
Asylbewerber
2.178
Dez 11
SMI2)
Geduldete
2.506
Dez 11
SMI2)
1995
85.420
StaLa
1996
82.098
AZR
1997
76.518
1998
66.475
Gesamtbevölkerung
Ausländeranteil
Zusatzinformationen
Ausländische Studierende
Bürger der Europäischen Union
11.509
28.410
WS 2011/2012
Dez 11
Abkürzungen:
AZR
Ausländerzentralregister
BAMF
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
StaLa
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen
SMI
Sächsisches Staatsministerium des Innern
WS
Wintersemester
1)
Die Zahl der Ausländer in Sachsen wird, je nach Quelle, unterschiedlich angegeben. Das Melderegister
des Statistischen Landesamtes Kamenz und das AZR beim Bundesverwaltungsamt in Köln, geführt vom
BAMF, sind zwei unterschiedliche Verwaltungsregister mit eigenständigen Rechtsgrundlagen und Quellen.
Sie enthalten unabhängig voneinander Informationen.
Die Angaben des Statistischen Landesamtes ergeben sich aus den Vorgaben zur Bevölkerungsfortschreibung.
Basis für die jetzige Fortschreibung des Statistischen Landesamtes ist die zum 3. Oktober 1990 aus dem
Zentralen Einwohnerregister für jede Gemeinde ermittelte Anzahl der Einwohner.
Zur Übermittlung von Daten an das AZR sind die Ausländerbehörden, die für die Erteilung von Visa
zuständigen Behörden, die Bundespolizei, das BAMF, die Staatsangehörigkeitsbehörden und andere
Behörden verpflichtet (vgl. § 6 Abs. 1 Ausländerzentralregistergesetz).
Das AZR erfasst Daten der Ausländer, die sich länger als drei Monate in Deutschland aufhalten.
Für die Erfassung in der Bevölkerungsstatistik gilt keine allgemeine Mindestaufenthaltsdauer. Erfasst
werden alle Personen, die sich bei den Meldebehörden angemeldet haben. So werden beispielsweise auch
Personen erfasst, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten wie Besucher, Saisonarbeiter usw.
2)
Daten basieren auf der monatlichen Unterbringungsstatistik des SMI
Fortzüge
1999
65.918
41.123
24.795
76.580
54.928
21.652
-10.662
-13.805
2000
64.737
42.786
21.951
81.630
61.050
20.580
-16.893
-18.264
1.371
2001
64.840
42.339
22.501
88.604
69.893
18.711
-23.764
-27.554
3.790
2002
64.785
41.753
23.032
81.290
63.754
17.536
-16.505
-22.001
5.496
2003
65.650
43.696
21.954
74.648
56.633
18.015
-8.998
-12.937
3.939
2004
64.958
44.073
20.885
75.102
53.965
21.137
-10.144
-9.892
-252
2005
62.607
44.602
18.005
68.860
52.739
16.121
-6.253
-8.137
1.884
1.350
2006
61.799
44.131
17.668
70.109
53.791
16.318
-8.310
-9.660
2007
61.299
44.395
16.904
72.446
56.016
16.430
-11.147
-11.621
474
2008
63.799
46.274
17.525
76.318
57.636
18.682
-12.519
-11.362
-1.157
2009
66.244
46.791
19.453
74.111
53.893
20.218
-7.867
-7.102
-765
2010
67.439
46.919
20.520
70.994
50.961
20.033
-3.555
-4.042
487
2011
74.188
50.898
23.290
70.536
52.314
18.222
3.652
-1.416
5.068
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 01.01.2012
Zu- und Fortzüge über die Landesgrenze 2011
80.000
70.000
60.000
50.000
40.000
30.000
20.000
10.000
0
-10.000
74.188
70.536
50.898
23.290
5.068
-1.416
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen
230
18.222
3.652
Zuzüge
Jahresbericht 2012
Gesamt
Deutsche
Ausländer
52.314
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
Fortzüge
Überschuss der
Zu- bzw. Fortzüge (-)
231
c) Deutsche und ausländische Bevölkerung nach Landkreisen und kreisfreien Städten
2. Ausländer in Sachsen
Kreisfreie Städte
a) Ausländische Bürger nach Herkunftsland
Gesamtbevölkerung
Deutsche
Ausländer
Ausländeranteil in %
Nr.
Gesamt
Anteil in %
1
Herkunftsland
Vietnam
8.197
9,2
8,3
Chemnitz
243.173
231.253
11.920
4,9
2
Russische Föderation
7.417
Dresden
529.781
504.157
25.624
4,9
3
Polen
6.710
7,5
Leipzig
531.809
499.909
31.900
6,0
4
Ukraine
6.223
7,0
5
Türkei
3.829
4,3
6
China
3.571
4,0
7
Ungarn
3.088
3,5
8
Tschechische Republik
2.928
3,3
Indien
2.019
2,3
1.951
2,2
Landkreise
Gesamtbevölkerung
Deutsche
Ausländer
Ausländeranteil in %
Bautzen
318.618
313.398
5.220
1,6
9
Erzgebirgskreis
363.741
359.652
4.089
1,1
10
Irak
Görlitz
273.511
267.376
6.135
2,2
11
Italien
1.874
2,1
Leipzig
265.250
261.290
3.960
1,5
12
Griechenland
1.642
1,8
Meißen
251.328
244.820
6.508
2,6
13
Vereinigte Staaten von Amerika
1.593
1,8
Mittelsachsen
324.904
319.480
5.424
1,7
14
Bulgarien
1.580
1,8
Nordsachsen
204.161
200.094
4.067
2,0
15
Rumänien
1.564
1,8
Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
250.860
246.587
4.273
1,7
16
Kasachstan
1.438
1,6
Vogtlandkreis
241.643
237.933
3.710
1,5
17
Österreich
1.359
1,5
Zwickau
338.272
332.577
5.695
1,7
18
Serbien
1.178
1,3
19
Portugal
1.137
1,3
20
Frankreich
1.123
1,3
21
Pakistan
1.082
1,2
22
Afghanistan
1.071
1,2
23
Slowakei
1.039
1,2
24
Großbritanien, Ver. Königreich
937
1,1
25
Iran
902
1,0
restliche Staaten
23.684
≈ 26.5
Gesamt
89.136
100,0
Direktionsbezirke
Gesamtbevölkerung
Ausländeranteil in %
Deutsche
Ausländer
Chemnitz
1.511.733
1.480.895
30.838
2,0
Dresden
1.624.098
1.576.338
47.760
2,9
Leipzig
1.001.220
961.293
39.927
4,0
Sachsen
4.137.051
4.018.526
118.525
2,9
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 31.12.2011, sowie eigene Berechnungen
Deutsche und ausländische Bevölkerung nach Landesdirektionen
LD Chemnitz
LD Dresden
LD Leipzig
0
232
Deutsche
Ausländerzentralregister, 31.12.2011
1.480.895
30.838
1.576.338
47.760
961.293
39.927
Ausländer
100 %
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
233
b) Bürger der Europäischen Union
Mitgliedstaaten
2005
c) Zuzug jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion (§ 23 Abs. 2 AufenthG)
2006
2007
2008
2009
2010
2011
Jahr
Zugänge
1.051
1.200
121
132
164
138
134
144
155
2002
Bulgarien1)
-
-
1.408
1.380
1.399
1.461
1.580
2003
816
1.000
Dänemark
102
105
108
107
103
103
109
2004
544
800
86
86
102
101
99
111
141
2005
387
600
Belgien
Estland
145
139
150
155
146
148
166
2006
71
400
1.025
1.020
1.170
1.191
1.070
1.041
1.123
2007
267
200
1.642
2008
285
0
2009
84
2010
102
2011
82
Finnland
Frankreich
Griechenland
1.647
1.596
1.551
1.484
1.420
1.482
Großbritanien,
Vereinigtes Königreich
803
809
899
944
902
905
937
Irland
129
134
163
177
141
133
160
Italien
1.874
1.862
1.784
1.877
1.794
1.779
1.884
Lettland
196
204
202
191
211
289
344
Litauen
302
335
373
368
374
422
448
13
15
18
18
18
19
24
3
3
3
4
4
4
6
Luxemburg
Malta
Niederlande
Österreich
523
540
635
664
662
692
722
1.102
1.103
1.178
1.269
1.288
1.355
1.359
Polen
5.647
5.751
Portugal
6.196
5.982
5.994
6.241
6.710
1.282
1.147
1.173
1.177
1.105
1.053
1.137
Rumänien
-
-
1.082
1.072
1.113
1.255
1.564
Schweden
142
154
170
163
894
154
148
Slowakei
824
781
879
849
157
920
1.039
59
69
82
77
72
69
81
599
625
712
709
653
687
723
Slowenien
Spanien
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
Sächsisches Staatsministerium des Innern
d) Alter und Geschlecht
Gesamt
0 bis unter 18 Jahre
Deutsche
Ausländer
Ausländeranteil in %
557.175
545.503
11.672
2,1
1.037.508
982.392
55.116
5,3
40 bis unter 65 Jahre
1.528.118
1.485.476
42.642
2,8
65 Jahre und älter
1.014.250
1.005.155
9.095
0,9
Gesamt
4.137.051
4.018.526
118.525
2,9
18 bis unter 40 Jahre
Statistisches Jahrbuch Sachsen 2012 sowie eigene Berechnungen
Alter
Ausländer
Tschechische
Republik
(inkl. ehemalige
Tschechoslowakei)
2.450
Ungarn
2.795
2.731
2.745
2.722
2.834
3.018
3.088
Zypern
39
34
41
29
31
32
37
21.896
21.685
25.674
25.387
25.258
26.416
28.410
Gesamt
Zuzug judischer Immigranten 2002–2011
2.388
2.593
2.622
2.655
2.794
3.093
Deutsche
0 bis
18 bis
40 bis 65 Jahre
unter
unter
unter und älter
18 Jahre 40 Jahre 65 Jahre
Ausländerzentralregister, 31.12.2011
1)
EU-Beitritt 2007
Statistisches Jahrbuch Sachsen 2012 sowie eigene Berechnungen
234
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
235
Geschlecht
f) Ausgewählte Aufenthaltstitel
50.000
Aufenthaltstitel
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
Niederlassungserlaubnis
3.313
6.723
10.824
14.725
17.287
18.857
20.466
14.538
22.631
25.375
25.656
26.007
25.868
23.556
4.148
3.583
2.965
2.488
2.146
1.838
1.369
Unbefristete
Aufenthaltserlaubnis
nach AuslG 1990
18.802
16.266
13.112
10.208
8.275
6.983
5.769
Befristete
Aufenthaltserlaubnis
nach AuslG 1990
10.755
5.228
2.275
1.466
979
795
672
Aufenthaltsbewilligung
nach AuslG 1990
3.260
1.537
1.205
153
166
183
182
Aufenthaltsbefugnis
nach AuslG 1990
1.397
382
161
15
15
12
12
EU-Aufenthalt2)
3.811
6.480
9.484
10.974
12.166
13.709
15.568
Unbefristete
EG-Aufenthaltserlaubnis nach
AufenthG/ EWG 1980
2.137
2.026
1.911
1.802
1.722
1.660
1.611
Befristete
EG-Aufenthaltserlaubnis nach
AufenthG/ EWG 1980
5.638
4.120
3.389
2.825
1.957
1.522
1.417
Duldung1)
4.045
3.976
3.409
2.916
2.611
2.772
2.824
Aufenthaltsgestattung1)
3.157
2.396
1.899
2.916
1.562
1.375
1.776
40.000
30.000
Aufenthaltserlaubnis
20.000
Aufenthaltsberechtigung
nach AuslG 1990
10.000
0
2006
2007
2008
2009
ausländische Männer
2010
2011
ausländische Frauen
Ausländerzentralregister, 31.12.2011
e) Aufenthaltsdauer ausgewählter Staatsangehörigkeiten
darunter Staatsangehörigkeit
Ausländer
gesamt
Vietnam
Polen
Türkei
Russische
Ukraine
Föderation
unter 1 Jahr
9.437
175
695
223
267
584
1 bis 4 Jahre
16.288
622
1.158
454
701
948
4 bis 6 Jahre
7.420
413
748
267
494
624
6 bis 8 Jahre
7.964
441
712
329
754
1.163
8 bis 10 Jahre
9.233
589
524
439
1.199
1.345
10 bis 15 Jahre
16.965
1.641
818
843
2.259
1.972
15 bis 20 Jahre
9.852
1.561
576
744
501
512
20 Jahre und mehr
11.977
2.755
1.479
530
48
269
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Statistisches Jahrbuch Sachsen 2012
Ausländerzentralregister, Stand jeweils zum 31.12.
1)
Keine Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG
2)
EU-Aufenthaltsrechte nach dem FreizügG/ EU (mit EU-Recht bis 27.08.2007)
236
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
237
g) Ausgewählte Aufenthaltstitel nach Merkmalen in den Kreisfreien Städten
Dresden
Paragraph
Merkmal
18 AufenthG
Beschäftigung
16
14
8
Abs. 3
keine qualifizierte
Beschäftigung1)
67
77
22
Abs. 4
Satz 1
qualifizierte
Beschäftigung nach
Rechtsverordnung2)
758
Leipzig
h) Asylbewerber (Antragstellung, Entscheidung)
378
Chemnitz
83
gestellte Asylanträge
(gesamt)
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
1.826
1.500
1.475
1.353
1.561
2.305
2.475
davon aus
Afrika
244
367
173
188
180
186
643
Europa
736
496
273
232
326
1.126
659
5
1
5
4
3
2
2
823
812
1.012
926
1.046
988
1.162
18
9
12
3
6
3
9
1.323
1.103
941
1.075
1.264
1.940
2.128
503
397
534
278
297
365
347
2.337
1.410
1.376
968
1.297
2.706
2.073
Amerika
18a AufenthG
Abs. 4
Satz 2
qualifizierte
Beschäftigung im
öffentlichen Interesse3)
Abs. 1
Buchstabe a)
qualfizierte Geduldete
mit Abschluss
in Deutschland
5
23
-
Staatenlos/Ungeklärt
davon Erstanträge
-
1
-
77
13
1
19 AufenthG
Hochqualifizierte
20 AufenthG
Forscher
4
48
-
21 AufenthG
selbstständige
Tätigkeit
-
7
-
Abs. 1
selbstständige
Tätigkeit –
wirtschaftliches
Interesse
Abs. 2
selbstständige
Tätigkeit –
völkerrechtliche
Vergünstigung
2
Abs. 4
3 Jahre
selbstständige Tätigkeit
5
50
-
Abs. 5
freiberufliche Tätigkeit
30
89
1
991
749
115
Insgesamt
Asien
27
42
-
davon Folgeanträge
Entscheidungen über
Asylanträge (gesamt)
davon
Anerkennung (Art. 16a GG)
19
10
5
4
4
12
10
Abschiebeschutz
(§ 60 Abs. 1 AufenthG)
58
63
225
303
153
153
143
Abschiebungsverbot
festgestellt (§ 60 AufenthG)
31
34
15
24
50
130
88
Ablehnungen
7
-
1.418
829
677
313
619
1.707
1.228
Sonstige Verfahrenserledigungen (gesamt)
811
474
454
324
471
704
604
Formelle Entscheidungen
(z.B. bei Rücknahme)
311
271
164
154
255
451
310
kein weiteres Verfahren
durchgeführt
500
300
290
170
216
253
282
411
531
642
1.034
1.270
836
1.263
aufgrund
von Folgeanträgen
115
148
201
210
213
184
179
aufgrund
von Erstanträgen
296
383
441
824
1.057
652
1.084
Anhängige Verfahren
(gesamt)
davon
Ausländerzentralregister, 31.12.2011 sowie eigene Berechnungen
1)
Die entsprechenden Berufsgruppen sind in § 17–24 Beschäftigungsverordnung genannt.
2)
Die entsprechenden Berugsgruppen sind in § 26–31 Beschäftigungsverordnung genannt.
3)
Insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
238
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
239
i) Asylbewerberzugänge und Abschiebungen
Jahr
Zugänge
1999
6.537
Binationale Eheschließungen nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten der Ehepartner
Abschiebungen
Ehefrau Ausländerin
Ehemann deutsch
1.576
2000
5.167
2.315
2001
6.320
1.698
2002
5.453
1.162
2003
3.713
1.221
2004
2.779
1.641
2005
1.704
1.421
2006
1.406
1.268
2007
1.117
672
2008
1.302
731
2009
1.686
596
2010
2.517
789
2011
2.695
929
Insgesamt
j) Eheschließungen
Eheschließungen 2007 bis 2011 nach der Staatsangehörigkeit der Ehepartner
Davon
insgesamt
zwischen
Deutschen
absolut
%
zwischen
oder
mit
Ausländern
absolut
%
beide
Ehepartner
Ausländer
absolut
535
darunter
Sächsisches Staatsministerium des Innern, 31.12.2011
Jahr
Eheschließungen
%
Frau
Deutsche,
Mann
Ausländer
absolut
%
Mann
Deutscher,
Frau
Ausländerin
absolut
Ehemann Ausländer
Ehefrau deutsch
Insgesamt
Eheschließungen
358
darunter
Russische Föderation
86
Türkei
46
Polen
56
Österreich
19
Ukraine
53
Indien
20
Tschechische
Republik
35
Vereinigtes
Königreich
11
Thailand
20
Vereinigte Staaten
von Amerika
16
Taiwan
6
Frankreich
13
Vietnam
11
Tunesien
15
Bulgarien
8
Italien
13
Türkei
5
Schweiz
11
Weissrussland,
Belarus
7
Irak
5
Österreich
11
Kosovo
6
Rumänien
11
Russische Föderation
15
China
23
Libanon
7
Slowakei
7
Pakistan
10
Ungarn
3
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 31.12.2011
%
2007
16.965
16.007 94,4
958
5,6
42
4,4
428
44,7
488
50,9
2008
17.397
16.600
95,4
797
4,6
50
6,3
349
43,8
398
49,9
2009
17.585
16.633
94,6
952
5,4
50
5,3
390
41
512
53,8
2010
18.391
17.459
94,9
932
5,1
44
4,7
396
42,5
492
52,8
2011
17.580
16.642
94,7
938
5,3
45
4,8
358
38,2
535
57,0
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Statistisches Jahrbuch 2012
240
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
241
k) Kinder in Kindertageseinrichtungen nach Migrationshintergrund1)
Ausländisches Herkunftsland
mindestens eines Elternteils
151.310
9.829
6,1
105.584
98.949
6.635
6,3
Gesamt
266.723
250.259
16.464
6,2
Gesamt
Freien
Waldorfschulen
161.139
Hort
allgemein
bildenden
Förderschulen
Krippe/ Kindergarten
13.018
12.867
6.367
3.510
2.298
662
30
151
10.714
5.579
2.789
1.812
514
20
93
Anteil in %
Nationalität
Davon an
Gymnasien
ja
Mittelschulen
nein
Grundschulen
Gesamt
Allgemein
bildende Schulen
Merkmal
Schulen des
zweiten Bildungsweges
l) Schüler mit Migrationshintergrund an allgemein bildenden Schulen und Schulen
des zweiten Bildungsweges im Schuljahr 2011/2012
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 01.03.2012, sowie eigene Berechnungen
Europa
davon
10.807
Europäische Union
Anzahl der Kinder mit Migrationshintergrund,
in deren Familie vorranging Deutsch gesprochen wird
8.797
5.193
7.667
Belgien
16
16
2
2
8
-
4
-
Bulgarien
65
65
33
24
7
1
-
-
Dänemark
9
9
4
3
2
-
-
-
9.436
9.364
5.019
2.405
1.511
429
-
72
Estland
9
8
3
2
3
-
-
1
Finnland
4
4
1
2
1
-
-
-
52
49
21
12
16
-
-
3
121
120
46
39
27
6
2
1
77
76
27
7
38
-
4
1
Deutschland
4.636
3.604
3.031
Frankreich
Griechenland
Krippe/Kindergarten
Hort
ja
gesamt
Großbritanien,
Ver. Königreich
nein
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 01.03.2012
1)
Im Bereich Kindertagesstätten gilt die ausländisches Herkunft mindestens eines Elternteils
als Migrationshintergrund des Kindes.
Die aktuelle Staatsangehörigkeit der Eltern ist dabei nicht maßgeblich. Außerdem wird
erhoben, ob in der Familie vorrangig Deutsch oder eine andere Sprache gesprochen wird.
Irland
3
3
2
1
-
-
-
-
Italien
83
83
36
26
18
3
-
-
Lettland
22
22
12
7
3
-
-
-
Litauen
26
26
11
7
8
-
-
-
Luxemburg
4
3
-
1
2
-
-
1
Malta
1
1
1
-
-
-
-
-
Niederlande
51
50
18
7
22
1
2
1
Österreich
33
31
14
2
15
-
-
2
Polen
313
309
103
110
51
38
7
4
Portugal
49
49
18
19
7
5
-
-
Rumänien
59
59
28
19
7
5
-
-
Schweden
10
10
4
1
5
-
-
-
Slowakei
64
63
26
21
8
8
-
1
6
6
4
-
2
-
-
-
Slowenien
242
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
243
Ungarn
Schulen des
zweiten Bildungsweges
Freien
Waldorfschulen
Tschechische
Republik
m) Absolventen / Abgänger an allgemein bildenden Schulen und Schulen
des zweiten Bildungsweges 2011 /2012
allgemein
bildenden
Förderschulen
Spanien
Davon an
48
48
26
8
13
-
1
-
184
182
97
42
25
18
-
2
62
58
23
22
13
-
-
4
Gymnasien
Mittelschulen
Gesamt
Grundschulen
Nationalität
Allgemein
bildende Schulen
(noch: Schüler mit Migrationshintergrund an allgemein bildenden Schulen und Schulen
des zweiten Bildungsweges im Schuljahr 2011/2012)
Abschlussart
Absolventen/Abgänger
darunter mit
Migrationshintergrund
Ohne Hauptschulabschluss
2.259
148
Hauptschulabschluss
2.410
160
Realschulabschluss
11.079
496
Allgemeine Hochschulreife
6.669
462
Insgesamt
22.417
1.266
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen
Schulabschlüsse im Jahr 2011 nach Abschlussarten
davon
übriges Europa
2.211
2.153
788
721
486
148
10
58
Afrika
234
228
105
68
36
19
-
6
Amerika
281
276
96
75
96
6
3
5
2.616
2.537
767
666
961
138
5
79
Australien
16
16
9
1
6
-
-
-
Sonstige1)
33
33
17
10
3
3
-
-
16.198
15.957
7.361
4.330
3.400
828
38
241
Asien
Insgesamt
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen
1)
staatenlos, ungeklärte Staatsangehörigkeit oder ohne Angabe
Absolventen ohne Migrationshintergrund
9,98 %
29,35 %
Realschulabschluss
Allgemeine Hochschulreife
10,64 %
Hauptschulabschluss
50,04 %
ohne Hauptschulabschluss
Absolventen mit Migrationshintergrund
Anmerkung:
Daten zu Schülern mit Migrationshintergrund erfasst das Statistische Landesamt seit dem Schuljahr 2008/2009.
11,7 %
36,5 %
Realschulabschluss
Allgemeine Hochschulreife
12,6 %
Hauptschulabschluss
39,2 %
ohne Hauptschulabschluss
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, eigene Berechnungen
244
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
245
n) Studierende an Hochschulen von 1993 bis 2011
Jahr
insgesamt
o) Studenten im Wintersemester 2011/2012
Ausländer
Anteil in %
Studierende
(gesamt)
Deutsche
Studenten
Ausländische
Studenten
1993
58.746
2.917
5,0
1994
63.549
3.043
4,8
Universitäten
1995
67.231
3.332
5,0
Universität Leipzig
26.401
23.982
2.419
1996
70.574
3.559
5,0
Technische Universität Dresden
34.010
30.482
3.528
1997
73.544
3.825
5,2
Technische Universität Chemnitz
10.631
9.795
836
1998
76.678
4.242
5,5
TU Bergakademie Freiberg
5.502
4.952
550
1999
80.171
4.674
5,8
Internationales Hochschulinstitut Zittau
267
149
118
2000
84.516
5.228
6,2
Handelshochschule Leipzig
365
261
104
2001
90.162
6.151
6,8
Dresden International University
2002
96.241
7.307
7,6
zusammen
2003
103.003
8.303
8,1
2004
106.552
9.092
8,5
2005
107.792
9.518
8,8
2006
106.776
10.024
9,4
2007
107.576
10.115
9,4
2008
107.355
10.083
9,4
2009
109.363
10.506
9,6
2010
109.761
10.734
9,8
2011
111.635
11.509
10,3
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen sowie eigene Berechnungen
1.077
937
140
78.253
70.558
7.695
Hochschule
für Bildende Künste Dresden
613
557
56
Hochschule
für Graphik und Buchkunst Leipzig
571
481
90
Hochschule
für Musik und Theater Leipzig
830
557
273
Hochschule für Musik Dresden
507
330
177
Palucca Schule Dresden –
Hochschule für Tanz
163
105
58
Kunsthochschulen
Hochschule für Kirchenmusik Dresden
24
24
-
2.708
2.054
654
Hochschule
für Technik und Wirtschaft Dresden (FH)
5.339
5.145
194
Hochschule für Technik,
Wirtschaft und Kultur Leipzig (FH)
6.612
5.867
745
Hochschule Mittweida (FH)
6.042
4.438
1.604
Hochschule Zittau/Görlitz (FH)
3.580
3.248
332
Westsächsische Hochschule Zwickau (FH)
5.032
4.892
140
61
61
-
780
719
61
zusammen
Fachhochschulen
(ohne Verwaltungsfachhochschulen)
Europa Fachhochschule Fresenius,
Außenstelle Zwickau
Deutsche Telekom Hochschule
für Telekommunikation Leipzig (FH)
246
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
247
(noch: Studenten im Wintersemester 2011/2012)
Ausländische Studenten nach Fächergruppen
Studierende
(gesamt)
Deutsche
Studenten
Ausländische
Studenten
3.244
Fachhochschulen
(ohne Verwaltungsfachhochschulen)
Evangelische Hochschule
für Soziale Arbeit Dresden (FH)
552
Evangelische Hochschule Moritzburg
88
88
-
Fachhochschule Dresden – Private FH
40
38
2
1.714
1.472
1.420
52
95
29.628
26.468
3.160
Hochschule
der Sächsischen Polizei Rothenburg
406
406
-
Fachhochschule
der Sächsischen Verwaltung Meißen
640
640
-
zusammen
1.046
1.046
-
Insgesamt:
111.635
100.126
11.509
AKAD. Die Privathochschulen.
Fachhochschule Leipzig
zusammen
30
793
582
Verwaltungsfachhochschulen
1.684
Sprach- und Kulturwissenschaften
Mathematik, Naturwissenschaften
Kunst, Kunstwissenschaften
Humanmedizin/
Gesundheitswissenschaften
3.324
Agrar-, Forst- und
Ernährungswissenschaften
Sport
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen,
Wintersemester 2011/2012
Ausländische Studenten nach Kontinenten
Europa
4.068
3
Afrika
Amerika
473
17
6
Ausländische Studenten nach Hochschulen
Ingenieurwissenschaften
Veterinärmedizin
736
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen
41
105
471
Rechts-, Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften
Australien/Ozeanien
Asien
6.206
Staatenlos
Ungeklärt
7.695
654
3.160
Universitäten
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen,
Wintersemester 2011/2012
Fachhochschulen
Kunsthochschulen
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen,
Wintersemester 2011/2012
248
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
249
p) Ausländische Auszubildende nach Herkunft, Ausbildungsbereichen und Geschlecht
q) Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit
Erwerbstätigkeit
davon im Ausbildungsbereich
Kontinent
insgesamt Industrie
und
Handel
Handwerk
Landwirtschaft
Öffentlicher
Dienst
Freie
HausBerufe wirtschaft
insgesamt
Europa
EU-Länder
übriges Europa
Art der Beschäftigung1)
Gesamt
Deutsche
Ausländer
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
19.917
144
Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden
2.402
8
295.878
2.419
46
284
176
83
-
2
23
-
Verarbeitendes Gewerbe
120
73
38
-
-
9
-
Energieversorgung
12.079
-
Wasserversorgung, Abwasser/Abfall, Umweltverschmutzung
15.534
86
100.766
1.452
185.327
1.886
164
103
45
-
2
14
Afrika
16
15
-
-
-
1
-
Baugewerbe
Amerika
19
15
3
-
1
-
-
Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz
-
Verkehr und Lagerei
74.154
809
41.834
2.910
504
Asien
Australien
Übrige1)
Insgesamt
99
72
20
-
-
7
1
-
1
-
-
-
-
Gastgewerbe
10
7
1
-
-
2
-
Information/Kommunikation
32.535
-
Finanz- und Versicherungsdienstleistungen
29.647
122
Grundstücks- und Wohnungswesen
14.145
130
Freiberufl., wissenschaftl. u. techn. Dienstleistungen
69.057
1.444
Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen
110.691
2.411
Öffentl. Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung
94.404
149
Erziehung und Unterricht
81.917
1.479
Gesundheits-/Sozialwesen
429
285
108
-
3
33
männlich
Europa
144
94
49
-
-
1
-
EU-Länder
59
35
24
-
-
-
-
übriges Europa
85
59
25
-
-
1
-
Afrika
7
7
-
-
-
-
-
Amerika
11
8
2
-
1
-
-
Asien
56
43
12
-
-
1
-
Australien
1
-
1
-
-
-
-
Übrige1)
2
2
-
-
-
-
-
221
154
64
-
1
2
-
Zusammen
weiblich
Europa
140
82
34
-
2
22
-
EU-Länder
61
38
14
-
-
9
-
übriges Europa
79
44
20
-
2
13
-
Afrika
9
8
-
-
-
1
-
Amerika
8
7
1
-
-
-
-
43
29
8
-
-
6
-
-
-
-
-
-
-
-
Asien
Australien
Übrige 1)
Zusammen
8
5
1
-
-
2
-
208
131
44
-
2
31
-
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 31.12.2011
1)
ohne Angabe
250
Jahresbericht 2012
187.794
2.336
Kunst, Unterhaltung und Erholung
14.595
725
Erbringung sonstiger Dienstleistungen
44.782
559
522
16
Exterritoriale Organisationen und Körperschaften
13
*
Keine Angabe
13
-
1.753
*
1.429.759
19.635
Private Haushalte mit Hauspersonal, Dienstleistung und
Herstellung von Waren privater Haushalte
keine Zuordnung möglich
Insgesamt
Bundesagentur für Arbeit: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (SvB) nach ausgewählten Merkmalen,
31.12.2011, eigene Berechnungen
*) Aus Datenschutzgründen und Gründen der statistischen Geheimhaltung werden Zahlenwerte <3 und
Daten, aus denen sich rechnerisch eine Differenz ermitteln lässt, mit * anonymisiert. Gleiches gilt,
wenn in einer Region weniger als 3 Betriebe ansässig sind oder einer der Betriebe einen so hohen
Beschäftigungsanteil auf sich vereint, dass die Beschäftigungszahl praktisch eine Einzelangabe über
den Branchenführer darstellt (Dominanzfall). (Bundesagentur für Arbeit)
1) Eine Auswertung der SvB in Arbeitszeit, Qualifikation und Beruf kann seit dem Stichtag 30.06.2011
nicht erfolgen. Grund dafür ist die Umstellung der Meldung zur Sozialversicherung der Arbeitgeber an
die Sozialkassen. Dieser Zustand wird voraussichtlich bis zum Stichtag 31.12.2012 erhalten bleiben.
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
251
Gewerbeanmeldungen für Einzelunternehmen1) 2011
nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte: Erziehung und Unterricht 2008–2011
885
polnisch
rumänisch
326
bulgarisch
322
Gesamt
vietnamesisch
321
Deutsche
lettisch
133
ungarisch
128
0
200
2009
2010
2011
10.378
10.473
10.694
10.890
Kindergärten und Vorschulen
Ausländer
207
türkisch
2008
10.355
10.439
10.647
10.842
23
34
47
48
Grundschulen
400
600
800
1.000
Gesamt
8.295
8.188
8.124
8.397
Deutsche
8.280
8.169
8.105
8.375
15
19
19
22
Gesamt
47.668
44.598
41.570
38.873
Deutsche
47.365
44.284
41.243
38.545
303
314
327
328
Ausländer
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen
1)
Unter Gewerbeanmeldungen zählen Neueinrichtung, Zuzug und Übernahme.
Weiterführende Schulen
Ausländer
Tertiärer1) und post-sekundärer, nicht tertiärer Unterricht
Gesamt
18.414
15.768
16.591
17.135
Deutsche
17.680
14.957
15.736
16.213
734
811
855
922
Gesamt
11.671
11.227
10.630
8.805
Deutsche
11.573
11.130
10.534
8.704
98
97
96
101
Ausländer
Sonstiger Unterricht
Ausländer
Bundesagentur für Arbeit, Stichtag jeweils 30.06. sowie eigene Berechnungen
1)
In der Bundesrepublik Deutschland werden neben den Hochschulen auch die Berufsakademien und
Fachschulen dem tertiären Bereich zugerechnet
252
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
253
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte: Gesundheitswesen 2008–2011
2008
2009
2010
Ausländische Ärzte nach Herkunftsländern 2007–2011
2011
Krankenhäuser
Land
2007
2008
2009
2010
Polen
159
172
174
183
2011
183
Slowakei
121
128
141
159
187
Gesamt
53.618
59.102
60.638
61.743
Tschechien
83
94
116
146
217
Deutsche
52.679
58.034
59.429
60.312
Russland
98
111
104
102
116
939
1.068
1.209
1.431
Österreich
62
77
81
85
85
Bulgarien
63
67
72
82
82
Ukraine
63
66
71
70
73
Rumänien
34
38
53
70
122
Syrien
29
23
k.A.
40
42
Ausländer
Arzt- und Zahnarztpraxen
Gesamt
24.761
25.057
25.481
25.969
Deutsche
24.655
24.959
25.367
25.848
106
98
114
121
Ausländer
Griechenland
Übrige
Gesundheitswesen a.n.g.1)
Gesamt
15.992
16.483
17.377
18.202
Deutsche
15.934
16.407
17.279
18.084
58
76
98
118
Ausländer
Bundesagentur für Arbeit, Stichtag jeweils 30.06. sowie eigene Berechnungen
1)
Unter a.n.g. werden zum Beispiel verstanden: Tätigkeiten von Krankenschwestern, Hebammen,
Physiotherapeuten und anderen Fachkräften der Bereiche Optometrie, Hydrotherapie, medizinische
Massage, Beschäftigungstherapie, Sprachtherapie, medizinische Fußpflege, Homöopathie, Chiropraktik,
Akupunktur
Gesamt
27
27
29
37
37
322
344
408
428
476
1.061
1.147
1.249
1.402
1.620
Sächsische Landesärztekammer, 31.12.2011
Ausländische Ärzte nach ausgewählten Herkunftsländern 2007–2011
250
200
150
100
50
0
Polen
Slowakei
2007
Tschechien
2008
Russland
2009
Österreich
2010
Bulgarien
2011
Sächsische Landesärztekammer, 31.12.2011
254
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
255
Arbeitslosigkeit
Jahr insgesamt
r) Integrationskurse
Arbeitslosenquote1)
Ausländeranteil in % insgesamt in % Ausländer in %
Deutsche Ausländer
2001
399.420
391.901
7.519
1,9
19,0
38,6
2002
405.349
397.413
7.936
2,0
19,3
39,8
2003
403.480
394.716
8.764
2,2
19,4
42,4
2004
396.328
387.073
9.255
2,3
19,4
42,6
2005
402.270
391.055
11.215
2,8
20,0
47,7
2006
371.872
360.468
11.404
3,1
18,8
45,0
40,3
Anzahl der neuen Kursteilnehmer
Bundesland/
Gesamt
Anzahl
im Jahr 2010
Sachsen
Deutschland
322.821
311.898
10.832
3,4
16,4
2008
279.573
269.393
10.064
3,6
14,3
36,7
2009
278.196
268.276
9.920
3,6
14,4
35,6
2010
253.518
243.872
9.646
3,8
13,2
34,2
Kursart
2011
2)
199.350
8.816
4,2
9,8
21,4
Integrationskurs allgemein
Bundesagentur für Arbeit, Jahresdurchschnitt sowie eigene Berechnungen
1)
Die Quote der Arbeitslosen wird nicht auf die Gesamtbevölkerung bezogen, sondern nur auf die
(Arbeitslosen und sozialversicherungspflichten Beschäftigten) zivilen Erwerbspersonen zwischen
15 und 65 Jahren.
2)
Diese Zahl beinhaltet auch 86 Personen, die keine Angaben gemacht haben.
Ausländer
500.000
12.000
400.000
10.000
8.000
300.000
6.000
200.000
4.000
100.000
2.000
0
2003
2005
1.947
2,2
1.933
2,0
100,0
96.857
100,0
Integrationskurse mit Kursbeginn im Jahr 2011 nach Kursart
Sachsen
2007
Deutsche
2009
2011
0
Deutschland
143
5.375
Jugendintegrationskurs
-
154
Eltern- bzw. Frauenintegrationskurs
7
983
27
1.398
Sonstige spezielle Integrationskurse (z. B. für Gehörlose)
1
15
Förderkurs
3
89
Intensivkurs
-
9
181
8.023
Gesamt
Deutsche
in %
88.629
Alphabetisierungskurs
Arbeitslose Deutsche und Ausländer
Anzahl
im Jahr 2011
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2007
208.252
in %
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Verteilung der Kursträger
Bundesland/Gesamt
Anzahl der Kursträger
Sachsen
Deutschland
in %
56
4,0
1.397
100,0
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 31.12.2011
Ausländer
Die Bundesagentur für Arbeit erfasst zur Zeit noch nicht den Migrationshintergrund von Personen
nach den Prinzipien des Mikrozensus.
Damit unterscheidet die Statistik derzeit nur zwischen Personen mit deutscher und ausländischer
Staatsbürgerschaft.
256
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
257
3. Einbürgerungen in Sachsen
Bisherige Staatsangehörigkeit
(noch: Einbürgerungen in Sachsen)
2006
2007
2008
2009
2010
2011
Bisherige Staatsangehörigkeit
Afrika
2006
2007
2008
2009
2010
2011
362
436
350
305
408
390
43
55
52
50
62
54
albanisch
1
6
3
2
6
1
ägyptisch
4
7
3
9
3
4
bosnisch-herzegowinisch
3
2
2
-
2
1
algerisch
11
8
5
6
9
3
angolanisch
-
-
2
1
-
-
Europa
britisch
1
1
-
2
2
-
25
12
10
13
23
26
äthiopisch
1
2
-
1
3
3
estnisch
1
1
-
-
1
-
beninisch
-
-
-
1
-
1
französisch
-
1
1
-
-
2
gabunisch
-
-
-
1
-
-
griechisch
6
7
12
4
3
6
gambisch
-
-
-
-
3
-
italienisch
2
2
4
4
8
8
ghanaisch
1
-
-
1
2
2
jugoslawisch
2
1
-
-
-
-
guineisch
-
-
1
1
-
2
kosovarisch
-
-
1
1
-
-
guineisch-bissauisch
-
-
-
-
-
1
kroatisch
1
-
2
2
-
-
kamerunisch
2
-
3
-
2
6
2
bulgarisch
lettisch
-
1
1
2
5
-
kenianisch
-
-
-
-
1
litauisch
1
2
1
2
3
2
kongolesisch
1
4
1
1
2
1
1
5
3
2
6
2
6
7
9
11
8
-
-
1
-
-
1
libysch
14
10
13
13
12
6
marokkanisch
4
niederländisch
-
-
-
-
-
1
mosambikanisch
6
3
5
2
4
3
österreichisch
-
-
1
2
2
-
nigerianisch
3
7
2
3
4
1
46
64
39
36
58
50
sierra-leonisch
-
-
2
2
-
-
-
1
1
-
-
3
simbabwisch
2
1
-
-
-
-
2
4
8
2
1
3
mazedonisch
moldauisch
polnisch
portugiesisch
rumänisch
13
25
16
24
18
29
sudanesisch
russisch
85
105
78
56
47
68
südafrikanisch
-
-
-
1
1
-
-
-
-
1
-
1
togoisch
-
-
-
-
-
1
schwedisch
schweizerisch
-
1
-
1
-
2
tunesisch
4
7
10
7
10
10
serbisch-montenegrinisch
4
5
6
6
7
7
ugandisch
1
1
-
-
-
1
slowakisch
7
3
1
7
14
3
spanisch
1
-
-
-
1
7
tschechisch
5
7
14
8
11
12
türkisch
23
32
34
23
26
35
ukrainisch
96
120
76
83
136
95
ungarisch
16
19
18
8
14
17
9
8
15
5
9
7
weißrussisch
258
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
259
(noch: Einbürgerungen in Sachsen)
Bisherige Staatsangehörigkeit
Amerika
(noch: Einbürgerungen in Sachsen)
2006
2007
2008
2009
2010
2011
Bisherige Staatsangehörigkeit
2007
2008
2009
2010
2011
39
38
27
29
28
29
162
196
299
317
346
429
argentinisch
1
1
-
-
-
1
afghanisch
4
10
-
21
19
22
bolivianisch
-
-
-
1
-
-
armenisch
-
5
-
1
7
3
brasilianisch
-
1
1
2
5
6
aserbaidschanisch
2
8
13
7
4
2
chilenisch
1
-
1
-
1
-
bangladeschisch
-
-
2
-
2
-
costaricanisch
-
1
-
-
1
-
chinesisch
4
9
3
9
12
14
dominicanisch
1
6
-
2
5
-
georgisch
ecuadorianisch
4
1
1
1
-
5
indisch
elsalvadorianisch
-
-
-
1
-
1
indonesisch
-
-
-
1
3
3
guatemalisch
-
-
-
-
1
-
irakisch
31
55
100
56
35
70
honduranisch
-
-
-
1
-
-
iranisch
15
17
11
29
26
23
kanadisch
-
-
1
-
-
-
israelisch
-
-
2
-
-
2
kolumbianisch
1
3
1
2
1
-
jemenitisch
2
1
3
2
3
2
26
17
10
16
5
9
jordanisch
4
4
3
6
2
3
mexikanisch
1
1
3
1
3
1
kasachisch
26
7
41
22
22
18
nicaraguanisch
-
-
1
1
-
1
kirgisisch
1
1
5
-
1
1
salvadorianisch
-
1
1
-
-
-
koreanisch (Republik-Nord)
-
1
1
4
-
2
10
kubanisch
Asien
2006
1
-
3
2
3
2
10
9
8
18
13
14
panamaisch
-
1
-
-
-
1
libanesisch
3
3
5
13
18
peruanisch
3
5
5
1
3
3
malaysisch
-
1
-
-
1
-
uruguayisch
-
-
-
-
-
1
mongolisch
1
1
-
-
2
4
US-amerikanisch
1
1
1
-
2
-
nepalesisch
-
-
1
5
2
-
venezolanisch
-
-
1
-
1
-
pakistanisch
2
4
10
10
2
12
philippinisch
-
1
3
2
2
2
sri-lankisch
-
-
1
-
2
-
syrisch
9
14
19
12
26
26
tadschikisch
-
4
-
-
-
-
thailändisch
-
-
3
-
2
2
turkmenisch
1
-
2
-
1
-
usbekisch
2
7
6
4
6
1
44
34
54
93
130
191
vietnamesisch
Australien/Ozeanien
-
-
-
1
-
-
Staatenlos/Ungeklärt
6
19
15
11
13
9
612
744
743
713
857
911
Insgesamt:
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen
260
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
261
4. Spätaussiedler in Sachsen 1)
Eingebürgerte nach Landesdirektionen
387
400
350
322
291
300
241
250
288
245
Herkunftsgebiete
2003
GUS
4.702
2005
1.903
2007
307
2009
175
2011
Polen
1
1
-
-
-
Rumänien
-
-
-
-
2
4.703
1.904
307
175
110
108
Landesdirektion Chemnitz, Landesaufnahmestelle für Spätaussiedler
217
184
a) Zuzüge nach Herkunftsgebieten
Gesamt:
216
200
200
313
304
235
384
226
218
214
b) Zuzüge nach Alter und Geschlecht (m=männlich | w=weiblich)
176
176
150
2003
176
183
182
154
116
100
177
126
136
2004
2005
2006
Altersgruppen
2007
Chemnitz
2008
Dresden
2009
2010
2011
Leipzig
Eingebürgerte Personen in Sachsen 2011
nach Landkreisen und Kreisfreien Städten
Direktionsbezirk Chemnitz
Chemnitz, Stadt
214
96
Erzgebirgskreis
13
Mittelsachsen
32
Vogtlandkreis
43
Zwickau
30
Direktionsbezirk Dresden
313
Dresden, Stadt
185
Bautzen
31
Görlitz
38
Meißen
44
Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
15
Direktionsbezirk Leipzig
384
Leipzig, Stadt
340
Leipzig
28
Nordsachsen
16
Sachsen
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen
262
911
2007
2009
2011
m|w
m|w
m|w
172 | 166
56 | 63
10 | 12
13 | 6
6|7
6 bis unter 18 Jahre
455 | 412
152 | 193
17 | 25
12 | 18
12 | 8
18 bis unter 20 Jahre
82 | 98
45 | 31
5|5
4|5
2|0
20 bis unter 25 Jahre
231 | 250
99 | 93
20 | 6
9|6
5|5
25 bis unter 45 Jahre
762 | 796
323 | 312
36 | 51
25 | 27
20 | 21
45 bis unter 60 Jahre
330 | 404
181 | 147
24 | 42
19 | 7
9|5
60 bis unter 65 Jahre
60 | 87
23 | 15
1|8
3|4
2|2
130 | 268
107 | 64
11 | 34
11 | 6
4|2
2.222 | 2.481
986 | 918
124 | 183
96 | 79
60 | 50
4.703
1.904
307
175
110
Gesamt:
Jahresbericht 2012
2005
m|w
bis unter 6 Jahre
65 Jahre und älter
Seite 263:
Landesdirektion Chemnitz, Landesaufnahmestelle für Spätaussiedler
1)
Anmerkung: Zur Vervollständigung und
Information wurde auch die Gruppe der
Spätaussiedler in diesem Jahresbericht
berücksichtigt, wobei diese nicht dem
gesetzlichen Aufgabengebiet des Sächsischen Ausländerbeauftragten zugeordnet ist. Gemäß § 8 Abs. 3 Bundesvertriebenengesetz nimmt Sachsen 5,16 %
(Verteilung nach Königsteiner Schlüssel
für 2011) der nach Deutschland einreisenden Aussiedler auf.
Gemäß der Definition des Mikrozensus
sind auch Spätaussiedler Personen mit
Migrationshintergrund.
2003
m|w
Aussiedler nach Altersgruppen 2011
6
4
13
60 bis unter 65 Jahre
14
20
41
45 bis unter 60 Jahre
25 bis unter 45 Jahre
20 bis unter 25 Jahre
2
10
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
65 Jahre und älter
18 bis unter 20 Jahre
6 bis unter 18 Jahre
bis unter 6 Jahre
263
5. Deutschlandvergleich
Ausländische Bevölkerung nach Bundesländern
Bundesland
5,2 %
2,5 %
Schleswig-Holstein
13,7 %
12,6 %
10,6 %
MecklenburgVorpommern
14,0 %
1,9 %
Niedersachsen
2,8 %
Sachsen-Anhalt
11,4 %
NordrheinWestfalen
7,9 %
Hessen
Brandenburg
2,3 %
2,8 %
Thüringen
Sachsen
Rheinland8,6 % Pfalz
Saarland
Baden-Württemberg
Anteil der ausländischen
Bevölkerung an der
Gesamtbevölkerung
im Bundesland
von 1,9 % bis unter 3,5 %
von 3,5 % bis unter 6,0 %
von 6,0 % bis unter 8,5 %
von 8,5 % bis unter 11,0 %
ab 11,0 %
264
3.490.445
488.680
14,0
1.796.077
245.930
13,7
12,6
660.042
83.430
Baden-Württemberg
10.783.791
1.303.291
12,1
Hessen
6.087.166
695.627
11,4
Nordrhein-Westfalen
17.844.472
1.900.162
10,6
Bayern
12.583.538
1.233.872
9,8
1.014.166
87.420
8,6
Rheinland-Pfalz
4.000.461
314.493
7,9
Niedersachsen
7.920.456
548.344
6,9
Schleswig-Holstein
2.837.738
148.782
5,2
Sachsen
4.137.330
116.888
2,83
Brandenburg
2.497.828
68.691
2,75
MecklenburgVorpommern
1.636.303
40.138
2,5
Thüringen
2.223.610
50.263
2,3
Sachsen-Anhalt
2.317.416
43.898
1,9
81.830.839
7.369.909
9,0
Deutschland
12,1 %
Ausländeranteil in %
Hamburg
Saarland
Berlin
Ausländische
Bevölkerung
Berlin
Bremen
Hamburg
6,9 %
Bremen
Gesamtbevölkerung
Statistisches Bundesamt, Bevölkerungsfortschreibung, 30.09.2011
9,8 %
Bayern
Gesamtbevölkerung
in den Bundesländern
(Angaben in Personen)
10.000.000
5.000.000
1.000.000
Verteilung
der Bevölkerung
im Bundesland
bezogen auf
Gesamtbevölkerung
ausländische
Bevölkerung
deutsche
Bevölkerung
Statistisches Bundesamt, Bevölkerungsfortschreibung, 30.09.2011
Jahresbericht 2012
w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e
265
Bildnachweis:
Titelbild: Steffen Giersch
Archiv SAB 3
Atanassow, Alexander 11, 12 (2)
Ausländerrat Dresden 59
Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat 116
Buntes Radebeul 170
Dao Ngoc Mai 42
Deutscher, René 92, 138, 139, 140 (2), 141, 145, 148, 152
Dresden International Phd Programm 67
DRK 146
Dumke, Claudia 164
Equibilie international 119
Funke, A. 128 (oben)
Friedrich, Maria 8, 41
Füssel, Frank 165
Füssel, Steffen 68
Garbe, Amac ein-satz-zentrale 60
Giersch, Steffen 10, 17, 19 (links), 24, 25, 26, 30, 40, 52,
57, 58, 59, 65, 70, 77, 79, 80, 83, 86, 88, 89, 94, 132, 144,
177, 226, 268 (2)
Guffler, Markus 22, 32, 36, 37(2), 38 (2), 45, 46, 50, 51,
54, 61, 62, 75, 93, 96, 98, 99, 100, 114, 115, 182
Haufe, Jörn 155, 157 (2), 158, 159 (2), 160 (2), 161, 136
IBAS 106, 108
Jugendwerkstätten Umkehrschwung gGmbH Dresden 34
Karateverein Bushido Leipzig e. V. 143
Katrin Neuhauser/DFV 149, 150 (oben)
Kunst- und Tanzstudio »Schöne Welt« 120
266
Impressum
Linde Engineering Dresden GmbH 74 (oben)
Maksoud, Maad 136
Mehrgenerationenhäuser Zwickau 16, 147
Max-Planck-Institut-CBG 55, 56, 66, 84
MDR 162 (3)
privat 43, 109, 117, 122, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 131
Perspektive Dresden e. V. 91
REGIERUNGonline 118
Remestvensky, Dmytrie 103, 124
SALVE Leipzig 19 (rechts)
Saxonia System AG 95
Schwab, Sebastian 18 (2)
Schultz, Sebastian 171
Sozialamt Chemnitz 110, 112, 113
Stadt Kamenz 166
Stadt Leipzig 168
Stadtverwaltung Bautzen 123
Striegler, Frank 20
Teubner, Tom 91
THW/Stefanie Grewe 134
trägerverBunt Bautzen 169
TSV Joker e. V. 173
TU Chemnitz 74 (unten)
TU Dresden 87
Umschwung gGmbH Dresden 15, 17
Fotolia.com:
© Gerhard Seybert 73 | © Adam Gregor 76
© Jan Schuler 174 | © Hans-Jörg Nisch 181
Jahresbericht 2012
Herausgeber
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Maria Friedrich, Malcolm Jackson,
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Christoph Hindinger, Aline Klemm, Jochen Vierheilig
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Fax 0351 4935474
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