Jahresbericht 2012 - Der Sächsische Ausländerbeauftragte
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Jahresbericht 2012 - Der Sächsische Ausländerbeauftragte
www.offenes-sachsen.de Jahresbericht 2012 Sächsischer Landtag 5. Legislaturperiode Der Sächsische Ausländerbeauftragte Martin Gillo Vorbemerkungen zum Sprachgebrauch Im Jahresbericht 2011 werden die Begriffe Mensch mit Migrationshintergrund, Migrant, Zuwanderer und Ausländer verwendet. Der Begriff Migrationshintergrund wurde mit dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2005 eingeführt und bezieht sich auf den gesamten Integrationsprozess, der generationenübergreifend stattfindet. Mit diesem Begriff sind nicht mehr nur Aussagen über Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit möglich. Der Begriff »Migrationshintergrund« schließt vielmehr alle Menschen ein, die entweder selbst über eine Migrationserfahrung verfügen bzw. deren Eltern zugewandert sind. Nach der Definition des Statistischen Bundesamtes zählen zu den Menschen mit Migrationshintergrund Personen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit, (Spät-)Aussiedler sowie in Deutschland Eingebürgerte. Daneben bezieht der Begriff auch in Deutschland Geborene mit deutscher Staatsangehörigkeit ein, die zumindest einen zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil haben.1 Migranten sind Personen mit Migrationshintergrund, die selbst zugewandert sind. Der Begriff Zuwanderer wird synonym zum Begriff Migrant verwendet, betont aber stärker den Prozess einer künftigen oder gerade erfolgten Zuwanderung. Der Begriff Ausländer wird vor allem in rechtlicher und statistischer Hinsicht verwendet und bezieht sich auf alle Menschen, die nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen. Der Jahresbericht 2012 kann überwiegend nur Aussagen zu Ausländern vornehmen, da das Statistische Landesamt außer für den Bereich der Schulbildung noch nicht über Zahlen zu allen Personen mit Migrationshintergrund verfügt. Soweit in diesem Bericht die männliche Form gebraucht wird, werden Männer und Frauen in gleicher Weise angesprochen. 1 Vgl. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2011. Wiesbaden 2012, 5–7. Liebe Leserinnen und Leser, wir freuen uns, dass Sie uns gefunden haben und sich die Zeit nehmen, hier weiterzulesen. Wir möchten, dass möglichst viele Menschen in Sachsen mehr darüber lernen, wie unser Land zukunftsfähiger wird, wie wir bei steigender Vielfalt Zusammenhalt bewahren können und als immer buntere Gesellschaft den künftigen Anforderungen besser gerecht werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte während der Gedenkveranstaltung für die Opfer der Neonazi-Terrorzelle 2012 einen wichtigen und zukunftsweisenden Satz: »Deutschland, das sind alle, die in diesem Land leben, unabhängig davon, wo sie herkommen.« Für diese Einheit in Vielfalt setzen wird uns ein. Vorwort Altmarkt nach Dresden Laubegast ging, fand ich genau eine geöffnete Gaststätte: die »Jägerklause«. Heute gibt es mehr als ein Dutzend internationale Gaststätten allein in der Weißen Gasse neben dem Dresdner Rathaus. Gastronomisch holen wir uns die Welt schon lange nach Sachsen. Und langsam kommen auch immer mehr Menschen aus dem Ausland zu uns. Fast die Hälfte der Zuwanderer aus dem Jahr 2011 kam aus anderen EU-Mitgliedsstaaten. Heute hat etwa vier bis sechs Prozent der sächsischen Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Das sind Menschen, die entweder selbst aus dem Ausland kamen, oder bei denen ein Familienmitglied aus dem Ausland kam. Sie bringen ihre Kulturen mit und geben uns die Chance, ihre Stärken kennen und schätzen zu lernen. Schwarz-weiß war gestern Erinnert sich noch jemand an das Jahr 1969, als das Fernsehen farbig wurde? Ab dem Jahr war niemand mehr mit schwarz-weißen Bildern zufrieden. Wir wollten es bunt. Ähnlich bunt wollen wir es heute. Kaum jemand will noch in einer Gesellschaft leben, in der nur schwarz-weiß oder braun-in-braun die Richtung angeben. Die Welt ist bunt. Sachsen ist bunt. In den letzten zwanzig Jahren ging es mit Siebenmeilenstiefeln in Richtung einer von Offenheit und Vielfalt geprägten Gesellschaft. Als ich im Winter 1994 im Schnee entlang der Straßenbahnlinie 4 zu Fuß vom Dresdner w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Unsere bunte Zukunft Im Kontakt mit ihnen lernen wir, dass man Dinge auf verschiedene Weisen sehen kann. Dieser Perspektivwechsel gibt uns neue Ideen und bereichert so unser Leben. Die Jugend erkennt das meist schneller als die Älteren von uns. Für weltoffene junge Menschen ist das Wort »bunt« schon längst zum Kennzeichen für Weltoffenheit geworden. 2012 ist in Sachsen eine Reihe von Initiativen für mehr Weltoffenheit in den verschiedenen Regionen Sachsens entstanden, wie z. B. Buntes Bautzen oder Buntes Radebeul. Der MDR 3 produzierte eine mehrteilige Sendung unter dem Titel »Unsere bunte Heimat«, die Portraits von Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft zeigte. Nach Berichten des MDR soll diese Serie vor allem bei jungen Menschen überdurchschnittliche Zuschauerquoten erreicht haben. Viele junge Menschen erkennen im täglichen Miteinander, wie bereichernd das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturen sein kann. Kulturen können sich gegenseitig stärken Ich habe es selbst erlebt, als ich nach 30 Jahren aus dem Ausland nach Sachsen zurück kam und hier helfen konnte, eine große Fabrik für einen amerikanischen Konzern aufzubauen. Bei diesem Projekt bauten wir bewusst auf eine konstruktive Kombination der verschiedenen kulturellen Stärken, der deutschen und der Kultur der USA. Jedes Land hat seine eigenen kulturellen Stärken. Die amerikanische Kultur liebt die Risikobereitschaft. Die Pioniere im Westen der Vereinigten Staaten wurden Vorbild für unternehmerisches Risiko. Wo wir Deutschen noch nachrechnen, sind die Amerikaner bereit, auch ohne vollständige Daten eine unternehmerische Entscheidung zu treffen. Wir Deutschen wiederum sind Meister der Präzision und der Gründlichkeit. Das Team bei AMD verstand es, diese Stärken zu kombinieren, und sich damit fast zu früh schon für Innovationen zu entscheiden, während die sprichwörtliche Gründlichkeit sicherstellte, dass die vielen Risiken auf dem Weg zur Umsetzung früh erkannt und gemeistert wurden. Von diesem Erfolg profitiert das Silicon Saxony in der Region Dresden/Freiberg auch heute noch. Doch wie gehen wir mit unserer eigenen Identität um, wenn wir auf Ideen von anderen Kulturen treffen und davon einige Aspekte aufgreifen? Verlieren wir unsere eigene Identität? Vergessen wir, wer wir sind? 4 Meine Antwort ist ein definitives »NEIN«. Niemand vergisst, wer er oder sie ist. Doch wir können dazu lernen. Unsere Identität ist schon jetzt vielfältiger als wir denken. Wir nehmen sie für selbstverständlich. Wir stammen aus einer Familie, aus einer Nachbarschaft. Wir bekennen uns zur Heimatstadt, zum Landkreis, zu Sachsen, zu Deutschland, zu Europa und natürlich auch zur Welt. Und wir schaffen es, alles unter einen Hut zu bekommen. Es raubt niemandem den Schlaf, weil er sein Bekenntnis zu Sachsen und zu Deutschland nicht unter einen Hut bekommt. Und natürlich bekennen wir uns auch zur Welt, sonst wäre die ganze Diskussion über den Klimawandel leeres Gerede. Und wir bekennen uns zur UNO, zum Weltgerichtshof und zu den Menschenrechten, die in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Diese Vielfalt macht unser Potenzial aus. Im Diskurs mit Menschen aus anderen Kulturen in unserem täglichen Umfeld wird unsere Vielfalt größer. Mit anderen Worten: Wir werden als Einzelne und als Gesellschaft bunter, und das ist gut so. zu kommen. Wiederum sehr viel später, manchmal um Generationen verzögert, kommen die Ewig-Gestrigen, die weitermachen wollen wie bisher, auch wenn sie damit der Gesellschaft und sich selbst ins eigene Fleisch schneiden. Wie kommt es zu diesen Verzögerungen? Kann eine Gesellschaft nicht gemeinsam und zur gleichen Zeit Veränderungen akzeptieren und umsetzen? Die kurze Antwort ist »nein«. Viele Menschen möchten den Status Quo, die »alten und bewährten Lösungen« aufrechterhalten, auch wenn sie nicht mehr sinnvoll sind. Gesellschaft als Zeitkarawane Besonders wenn die Veränderung in Gesellschaften langsam vor sich gehen, sind wir versucht, sie nicht wahrzunehmen. Wir ignorieren oder unterschätzen sie. Und häufig müssen wir durch eine Krise, bis wir zu neuen Lebensweisheiten oder Tugenden kommen. In der ersten Phase verdrängen wir die Veränderungen. Wir bestreiten sie. Und vielleicht wählen wir auch den einen oder anderen Politiker, der uns dabei bestärkt. In der zweiten Phase kommt der Widerstand. Wir versuchen, die Veränderungen zu bekämpfen. Der Ruf »Ausländer raus« ist solch ein vergeblicher Versuch. Der Kampf gegen die veränderte Welt ist wie das Reiten von Don Quichote gegen die Windmühlen: ohne Wir- Gesellschaften verändern sich fortwährend. Sie bewegen sich nach vorn wie eine »Zeitkarawane«. An der Spitze befinden sich die Trendsetter, die erkennen, was im Interesse der Gesellschaft ist, wo die nächsten Schritte hingehen könnten. Das sind oftmals nicht mehr als fünf Prozent der Gesellschaft. Ihnen folgen in einigem zeitlichen Abstand die etwa zehn bis 15 Prozent der frühen Trendaufgreifer, die offen für Neues sind und die gerne früh dabei sein möchten. Deutlich später kommt die große Mehrheit hinterher, die bereit zur Weiterreise ist, wenn sie erkennt, dass es in ihrem eigenen und im gesellschaftlichen Interesse ist, voran Jahresbericht 2012 Wie verändern wir uns? Neue Wege zu beschreiten, von Altem abzulassen, das ist schwer. Schon Hermann Hesse wollte uns mit den ersten Zeilen seines Gedichtes »Stufen« dazu ermutigen: »Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.« w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e kung. Erst wer das erkannt hat, ist bereit für die dritte Phase der Veränderung: die Exploration oder die Suche nach neuen Lösungen. Wer gut sucht und neue Ideen ausprobiert, findet dann auch Lösungen. In der vierten Phase heißt es Identifikation mit der neuen Lösung. Diese Reise von Verdrängung zur Identifikation kann kurz sein, oder sie kann bei Einzelnen unmöglich sein. Es liegt an der Offenheit zum Lernen. Die Richtung unserer Reise zu mehr Weltoffenheit ist klar. Deutschland schrumpft demografisch, und zwar um etwa ein Drittel pro Generation. Um unseren Lebensstandard und unsere Lebensqualität aufrecht zu erhalten, brauchen wir Menschen aus aller Welt, die sich mit ihren Talenten bei uns einbringen. Das gilt auch für Sachsen. Die Welt kommt zu uns, und wir werden dadurch bereichert und bunter. Für Deutschland steht ein grundlegender Perspektivwandel bevor. Im Jahre 2035 werden die Menschen mit Migrationshintergrund die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland darstellen. Die Herkunftsdeutschen werden in der Minderheit sein. Auch in Sachsen wird der Anteil der Migranten wesentlich höher liegen. Wie gelingt es uns dann, diese Vielfalt konstruktiv zu leben? Wie stärken wir unsere Einheit in Vielfalt? Welche Schritte müssen wir noch gehen? Dieser Jahresbericht will ermutigen. Er zeigt mit vielen Beispielen, wie wir vorankommen. Aber er ist kein Jubelbericht. Er zeigt verschiedene Bereiche, in denen wir noch besser werden können. Ich möchte nur die Perspektive der ausländischen Forscher und Fachkräfte in Sachsen aufgreifen, über die wir in späteren Kapiteln berichten werden. Die kann man mit dem Satz zusammenfassen: Ermutigendes ist getan, viel bleibt zu tun übrig. Wer sich als Lernender versteht, für den sind Hinweise auf Verbesserungen willkommen. 5 Ich bin überzeugt, dass sich die meisten Institutionen in Sachsen als lernende Organisationen verstehen und unsere Hinweise dankbar aufnehmen werden. Was haben wir von Einheit in Vielfalt? Und was haben wir von einer Willkommensgesellschaft, die sich zu einer Einheit in Vielfalt bekennt? Der britische Historiker Timothy Garton Ash beschrieb es vor einiger Zeit in einer amerikanischen Zeitschrift so: Unsere zukünftige weltoffene Gesellschaft wird von Aufgeschlossenheit und Vorurteilsfreiheit gekennzeichnet sein. Wir werden offen sein, von Anderen zu lernen, auch wenn wir ganz anderer Meinung sein mögen. Von Gottfried Ephraim Lessings Stück »Nathan der Weise« haben wir gelernt, dass es möglich sein kann, dass wir uns irren, auch wenn wir davon überzeugt sind, das wir im Recht sind. Dieses Eingeständnis in unser mögliches Irren erlaubt es uns, mit Menschen aus anderen Kulturen zu leben, die auch um die Möglichkeit des eigenen Irrens wissen. Diese schwere, aber wichtige Bescheidenheit ist die Grundlage für unser Bekenntnis zum Grundgesetz. Ein Land, ein Gesetz. Und das Grundgesetz hat das Primat über alle anderen Bekenntnisse, weil es die Voraussetzung für Werte wie Gleichheit, Freiheit und Toleranz ist. Die zukünftige weltoffene Gesellschaft wird auch Ordnungskräfte haben, die sicherstellen, dass alle Mitmenschen das Recht auf Freiheit, Unversehrtheit, Gleichberechtigung und eigenen Lebensweg haben. Es kann keine 6 Enklaven von eingeschränktem Recht in unserer Gesellschaft geben. Und das heißt, dass wir uns nicht bei nebensächlichen Unterschieden aufhalten, sondern uns auf die Verteidigung der Grundrechte konzentrieren. Unsere weltoffene Gesellschaft wird durch konkrete Begegnungen fortbestehen, in denen Menschen unterschiedlicher Überzeugungen an gleichen Zielen im gemeinsamen Interesse arbeiten. Sie erkennen dann, dass uns bei aller möglichen Verschiedenheit unserer Vorstellungen und Religionen mehr gemeinsam ist, als uns trennt. Wir werden erleben, dass wir nicht nur die Neuankömmlinge in unserer Gesellschaft willkommen heißen und ihnen unsere Werte vermitteln, sondern dass auch die Neuankömmlinge uns empfangen und uns Zugang zu ihren Werten geben, damit wir erkennen, wie wir gemeinsam neue Chancen erkennen und nutzen. Wir hoffen, dass Sie von diesem attraktiven Bild unserer Zukunft ein wenig angesteckt und neugierig gemacht wurden. Schauen Sie in diesen Bericht. Entdecken Sie die neuen Initiativen für ein offeneres Sachsen. Denken Sie an das Vier-Phasen-Modell der Veränderungen. Wo sehen Sie sich? Wir hoffen, auf eine Gesellschaft, in der Einheit durch Vielfalt nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern gelebt wird. Wir würden uns freuen, wenn Sie Möglichkeiten entdecken, zu dieser Zukunft beizutragen. Ihr Martin Gillo Jahresbericht 2012 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 »Heim-TÜV« 2012 .............................................................................................................................. 9 Zur Methode des »Heim-TÜV« .......................................................................................................... 11 Ergebnisse des »Heim-TÜV« ............................................................................................................. 13 Gute Beispiele dienen als Vorbilder ................................................................................................. 14 Noch gibt es viel zu tun .................................................................................................................... 24 »Heim-TÜV« verstetigen und verbreiten ........................................................................................... 28 Ausblick »Heim-TÜV« ....................................................................................................................... 30 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 Soziale Inklusion ermöglichen: Menschenwürde als Maßstab ..................................................... Soziale Inklusion von Asylsuchenden: Empfehlungen des Netzwerkes Integration und Migration Sachsen (NIMS) .................................... Ein Inklusionsaspekt: Wege zur deutschen Sprache und Wege zur Verständigung ......................... Orientierungshilfe für Asylsuchende ............................................................................................... Die sächsische Härtefallkommission: Mitmenschlichkeit zeigen ..................................................... 36 40 44 49 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 Willkommensgesellschaft Sachsen: Was ausländische Fachkräfte sagen ................................... Gegenseitige Verständigung fördern................................................................................................. Serviceorientierung der Behörden erhöhen ..................................................................................... Interkulturelle Öffnung der Gesellschaft fördern ............................................................................. Willkommensgesellschaft Sachsen: Eine Frage des guten Willens ................................................... 53 56 60 64 67 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 Zuwanderungsland Sachsen: Was sächsische Unternehmen empfehlen..................................... 71 Warum wir ausländische Fachkräfte brauchen – Unternehmen berichten über ihre Zukunft .......... 73 Willkommenskultur und Serviceorientierung in den Behörden verbessern .................................... 75 Familien und Partner der Zuwanderer berücksichtigen ................................................................... 86 Interkulturelle Begegnung und gegenseitige Wertschätzung fördern .............................................. 90 Sachsen als attraktives Zuwanderungsland: Vorhandene Spielräume mutig nutzen ............................................................................................. 95 5. 5.1 5.2 5.3 Einigkeit macht stark: Netzwerke im Bereich Integration und Migration .................................... 97 Netzwerk Integration und Migration Sachsen (NIMS) ..................................................................... 98 Die Zusammenarbeit mit den kommunalen Ausländerbeauftragten und Integrationsbeauftragten.......................................................................................................... 109 Netzwerke auf Bundesebene: Für Partizipation und Integration .................................................... 106 6. Begegnungen schaffen: Die Interkulturelle Woche 2012 ............................................................... 121 7. 7.1 7.2 7.3 7.4 Vielfalt im Ehrenamt: Interkulturelle Öffnung als Chance ........................................................... 135 Lernen offen zu sein – Das Einbürgerungsfest am 16.06.2012 .......................................................... 138 Integration durch Sport – Wegbereiter der interkulturellen Öffnung ............................................... 142 Aus Liebe zum Menschen – Integration im ehrenamtlichen Rettungswesen ................................... 145 Mehrgenerationenhäuser als Orte interkultureller Begegnung und Angebote zum Engagement von Migranten .............................................................................. 147 Einsatz braucht Vielfalt – Vielfalt braucht Ihren Einsatz: Interkulturelle Öffnung des Deutschen Feuerwehrverbandes.......................................................... 149 7.5 33 8. 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9 8.10 8.11 Vielfalt in die Öffentlichkeit bringen: Sachsen ist bunt ................................................................ 153 Alle Deutschen werden Brüder – oder: Wie wird maneiner von uns?.............................................. 154 Der Sächsische Integrationspreis: Migranten für Sachsen und Sachsen für Migranten ................... 155 Trimediale Integration ..................................................................................................................... 161 Herzlich willkommen in Chemnitz .................................................................................................. 164 Pirna: Wir feiern Vielfalt! ................................................................................................................ 165 Lessingstadt Kamenz: Miteinander ist möglich ............................................................................... 166 Wir sind Leipzig: Ort der Vielfalt ..................................................................................................... 168 trägerverBUNT Bautzen: Mit Aufgeschlossenheit und Kreativität ................................................... 169 Buntes Radebeul: Für eine offene Gesellschaft ............................................................................... 170 Riesaer Appell: Gesicht zeigen für Vielfalt ....................................................................................... 171 Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer – Moment mal................................................................... 172 9. Ausblick: Kurs auf 2035 .................................................................................................................. 175 10. Dokumentation .............................................................................................................................. 183 11. Statistik .......................................................................................................................................... 227 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 7 1. »Heim-TÜV« 2012 Zur menschenwürdigen Unterbringung von Asylsuchenden in Sachsen Asylsuchende aus aller Welt suchen einen Neuanfang in Freiheit und Frieden. Sie kommen hierher in der Hoffnung, mit ihren Talenten ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können und so ihre Träume zu erfüllen. Ihre Hoffnung scheitert meist an der Realität. Sie werden zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen aufgenommen. Ihre Daten werden geprüft und sie können ihren Antrag auf Asyl stellen. Die Bearbeitung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann sich über Monate, manchmal auch über Jahre hinziehen. Danach haben die Asylsuchenden das Anrecht auf gerichtliche Überprüfung. Auch das dauert meist sehr lange. Nach diesen Verfahren erhält etwa ein Drittel der Antragsteller den ersehnten Status des anerkannten Flüchtlings, auf Dauer oder auf Zeit. Ein Drittel etwa wird ausgewiesen, entweder in das Herkunftsland oder in das europäische Land, in dem die Betreffenden zuerst Asyl beantragt haben. Vier von zehn Antragstellern werden nicht anerkannt, können aber nicht ausgewiesen werden – weil in den Herkunftsländern Krieg herrscht oder es keine Flugverbindungen dorthin gibt. Es kann auch daran liegen, dass sie aus Angst oder anderen Gründen ihre wahre Identität verschleiern und wir sie deshalb nicht in ihre Heimat zurücksenden können. Etwa 70 Prozent der Asylsuchenden leben also über lange Zeit in Deutschland. Sie dürfen nicht arbeiten, sie sollen kein Deutsch lernen. Die Regelungen dazu stammen aus dem parteiübergreifenden Asylkompromiss 8 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e aus dem Jahre 1992. Zusammen mit der Auflage, Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen und ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken, glaubte man, dass viele Asylsuchende nach einiger Zeit Deutschland auf eigenen Wunsch wieder verlassen würden. Diese logisch entwickelten Regeln gelten mittlerweile seit 20 Jahren. In diesen zwei Jahrzehnten haben wir gelernt, dass formale Logik und Psycho-Logik zwei unterschiedliche Dinge sind. Statt zur Rückkehr zu motivieren, können solche Regeln zur Verelendung führen. Menschen, die ihre eigenen Talente nicht einsetzen können, verlieren sie mit der Zeit. Im Englischen sagt man über seinen Körper: »Use it or lose it.« Also: Nutze ihn oder verliere ihn. Wenn wir Thomas Müller zwingen würden, zwei Jahre keinen Fußball zu spielen, dann würde er hinterher bestenfalls ein Zweitligist sein. Und genau dazu zwingen wir Menschen, die bei uns um Asyl bitten. Auch die Sekundärtugenden wie Fleiß, Ordnungsliebe, Motivation gehen verloren, wenn man über Jahre zur Untätigkeit gezwungen wird. Das gilt auch für die Sprache. Ich traf in einem entlegenen Asylbewerberheim einen Studenten aus Nahost, der dort zwei Jahre lang Deutsch am Goethe-Institut gelernt hatte und dann unter Lebensgefahr nach Deutschland floh. Nach zwei Jahren im Heim hatte er fast seine ganzen Deutschkenntnisse verloren. Und seine akademische Karriere war auf dem sächsischen Lande verdorrt. 9 Während dieser erzwungenen Untätigkeit überlassen wir die Flüchtlinge oft ihren eigenen Netzwerken. Wenn es keine Rolle spielt, ob ich um sieben Uhr morgens oder erst nach Mittag aufstehe, dann spielt es auch keine Rolle, ob ich mich dem Alkohol hingebe oder mich konstruktiv in die Gesellschaft einbringe. Kann solch ein Leben in unserem Interesse sein? Beklagen wir uns nicht dauernd, dass die Flüchtlinge auf unsere Kosten leben? Merken wir aber auch, dass wir es sind, die dafür Anreize geschaffen haben? Ich bin überzeugt, dass es an der Zeit ist, unsere Selbsttäuschung aufzugeben. Denken wir darüber nach, wie wir mit den Asylsuchenden auf konstruktive Weise umgehen sollten, und zwar im Interesse der Gesellschaft und der betroffenen Menschen. Aus diesem Grund habe ich im Dezember während der Bundeskonferenz der Integrations- und Ausländerbeauftragten des Bundes, der Länder und Kommunen einen Entschließungsantrag gestellt, der von den anderen Beauftragten und ausdrücklich auch von der Bundesbeauftragten, Prof. Maria Böhmer, unterstützt wurde. Mit dieser Initiative greifen wir einen Vorschlag wieder auf, den Dr. Wolfgang Schäuble bereits 2006 als Bundesinnenminister gemacht hat. Die Integrations- und Ausländerbeauftragten der Länder haben sich im Dezember 2012 dafür ausgesprochen, allen in der Bundesrepublik Deutschland sich legal aufhaltenden und geduldeten Ausländerinnen und Ausländern nach sechs Monaten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit soll aktiv gefördert, gefordert und vorbereitet werden, insbesondere durch Zugang zu Deutschkursen von Anfang an. Wenn 70 Prozent der Asylsuchenden langfristig bei uns bleiben, dann ist es in unserem Interesse, dass sie Teil unserer Gesellschaft werden, dass sie bei uns arbeiten dürfen, dass sie unsere Sprache erlernen und damit unsere Kultur verstehen und respektieren lernen. Unsere Kultur und unser Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung werden auf Deutsch am besten kommuniziert. All das ist in unserem Interesse. Ebenso ist es für uns selbst als eine an den Grund- und Menschenrechten orientierte Gesellschaft wichtig, dass die bei uns lebenden Asylsuchenden menschenwürdig untergebracht werden. Um genau das zu überprüfen, haben wir den sogenannten »Heim-TÜV« für Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende eingeführt. Wir in Sachsen waren damit bundesweit Vorreiter. Mittlerweile – und darüber freuen wir uns – wurde man auch in anderen Bundesländern und im Bund darauf aufmerksam. Stimmen aus der CDU in Sachsen-Anhalt fordern einen solchen TÜV auch für ihr Bundesland. Unsere Nachbarn in Thüringen begannen die Bedingungen in Asylbewerberheimen auf ihre Vereinbarkeit mit der Menschenwürde hin zu überprüfen und Korrekturen vorzunehmen. Auch auf Bundesebene findet der »Heim-TÜV« ein positives Echo. 1.1 Zur Methode des »Heim-TÜV« Die Methode des »Heim-TÜV« ermöglicht es, das Leben in den jeweiligen Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende unter Einbeziehung harter und weicher Faktoren zu erfassen und vergleichbar in ein Bewertungssystem einzuordnen. Die Methode erlaubt, Defizite hinsichtlich einer menschenwürdigen Unterbringung aufzuzeigen und präzise Verbesserungsempfehlungen abzuleiten. Die Ergebnisse werden anhand eines Ampelsystems dargestellt. In den Jahren 2010 und 2011 besuchten wir jeweils alle sächsischen Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende und bewerteten sie nach der von uns entwickelten Methode. 2010 stellten wir unsere Ergebnisse intern den jeweils Verantwortlichen vor, um ihnen Faktor 01 Unterbringung von Familien und Frauen Jahresbericht 2012 Faktor 02 Sicherheit Faktor 03 Betreuung Faktor 04 Frauen- und Familiengerechtheit Faktor 05 Integration von Kindern Faktor 07 Mitwirkungsmöglichkeiten Faktor 08 Lage und Infrastruktur Faktor 09 Zustand und Umfeld Faktor 10 Gesellschaftliche Einbindung Heute: Deutschkurs Faktor 06 Bildungsangebote 10 zunächst Gelegenheit zur Verbesserung bzw. Beseitigung von Missständen zu geben. Im Vergleich zum Jahr 2010 haben sich sieben Heime in der Gesamteinstufung von Rot auf Gelb verbessert. Ein 2010 neu eröffnetes Heim hat die Bewertung Grün bekommen. Zwei der 2010 rot bewerteten Heime wurden 2011 geschlossen. Vor allem bei der dezentralen Unterbringung ließen sich in einigen Landkreisen deutliche Verbesserungen erkennen. Familien werden verstärkt dezentral untergebracht, so dass wir davon ausgehen können, dass der Prozentsatz der dezentral Untergebrachten in ganz Sachsen gestiegen ist. Weitere Verbesserungen ließen sich bei der Einbindung der Bewohner in die Gesell- w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 11 schaft erkennen. Vereine kommen zunehmend auch in relativ weit abgelegene Heime. Auch gibt es Verbesserungen im Angebot von gelegentlichen Sprachkursen und sozialer Betreuung. Ebenso hatten sich Heime im Allgemeinen darin verbessert, dass zumindest einige wenige Bewohner die Möglichkeit zur Wahrnehmung von Arbeitsgelegenheiten erhalten. Positiv ist auch, dass Sanitäranlagen für Frauen und Männer jetzt meist getrennt sind und einige Unterkünfte renoviert und besser ausgestattet worden, wie z. B. mit neuen Fenstern, neuem Mobiliar und neuer Kücheneinrichtung. 2011 haben sich alle Landkreise außer einem für die Bargeldzahlung entschieden. Ein Landkreis hatte von der Magazinverpflegung auf ein Gutscheinsystem gewechselt. Von den 30 im Jahr 2011 besuchten Heimen wurden nach unserem Ampelsystem sechs mit rot, also »unangemessen«, und fünf mit grün »angemessen« bewertet. 19 Gemeinschaftsunterkünfte erhielten die Bewertung gelb. Außerdem enthielt der Bericht konkrete Empfehlungen zur Verbesserung der einzelnen Unterkünfte und darüber hinaus systemische Lösungsvorschläge für eine menschenwürdige Unterbringung, die sich mehrheitlich aus sächsischen »Best Practices« ergeben haben2. Wir konzentrierten unsere Besuche 2012 auf neu eröffnete und solche Heime, die 2011 am Ende der Rangliste standen. Während in den Vorjahren die Ergebnisse den betroffenen Kommunen nach unseren Besuchen jeweils abschließend zur Kenntnis gegeben worden waren, schickten wir 2012 den jeweiligen Entwurf unserer Abschlussbewertung an die betroffene Kommune und gaben ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Auch wenn dies einen leicht erhöhten Aufwand für beide Seiten mit sich brachte, hat sich das Vorgehen bewährt: Die Kommunikation mit den Unterbringungsbehörden hat sich verbessert, die Hinweise aus den Kommunen gaben uns Gelegenheit zur Korrektur von Missverständnissen und trugen so zu präziseren Ergebnissen bei. Die nächste große Besuchsrunde wird 2013 durchgeführt werden. Ergebnisse des »Heim-TÜV« 2012 Erfreulicherweise können wir durchweg eine Tendenz zu leichten, in einigen Fällen auch deutlichen Verbesserungen verzeichnen. Diese Verbesserungen resultieren im Wesentlichen aus baulichen Fortschritten, dem Abbau von Spannungen zwischen Personal und Bewohnern sowie der Möglichkeit für die Bewohner, bei den Alltagsabläufen in den Unterkünften mehr als bisher mitzuwirken. Landkreis – Kreisfreie Stadt Ganz besonders freut uns, dass sich weiter die Einsicht in Politik und Behörden durchgesetzt hat, dass Gemeinschaftsunterkünfte nicht angemessen für Familien und ganz besonders nicht angemessen für Kinder und alleinstehende Frauen sind. Die Erkenntnis zeigt sich darin, dass der Anteil der Familien bzw. Alleinerziehenden, die dezentral untergebracht werden, stetig wächst. Heim Beurteilung 2011 Beurteilung 2012 Niesky – 0,25 + 0,05 Zittau Neu seit 2012. – 0,06 Radebeul – 0,5 – 0,39 Weinböhla – 0,27 – 0,16 Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge Langburkersdorf Die Bewertung basiert auf unseren Einschätzungen von 2010, da das Gebäude 2011 abgebrannt ist. + 0,08 Landkreis Bautzen Kamenz Neu seit 2012 + 0,54 Landkreis Nordsachsen Delitzsch – 0,47 + 0,27 Fichtenstraße Vor 2012 nicht besucht + 0,81 Großenhainer Straße Neu seit 2012. + 0,47 Elbisbach – 0,54 – 0,37 Hopfgarten – 0,48 – 0,44 Thräna – 0,51 – 0,15 (vorläufige Einschätzung) Bahren – 0,37 – 0,21 (vorläufige Einschätzung) Landkreis Görlitz Landkreis Meißen Stadt Dresden 2 Der Bericht »Mitmenschen im Schatten – ›Heim-TÜV‹ 2011 über das Leben in sächsischen Gemeinschaftsunterkünften« kann über die Geschäftsstelle des Sächsischen Ausländerbeauftragten bezogen oder unter www.offenes-sachsen.de eingesehen werden. 12 1.2 Landkreis Leipzig Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 13 1.3 Gute Beispiele dienen als Vorbilder Besonders ermutigend sind die vielen guten Initiativen für die soziale Inklusion von Asylsuchenden in den Landkreisen und Kreisfreien Städten. Diese Beispiele zeigen, was möglich ist. Wir empfehlen diese Vorbilder ausdrücklich zur Nachahmung. Deswegen stellen wir sie an dieser Stelle ausführlich vor: 1.3.1 Bildung ermöglichen und Spracherwerb unterstützen In Deutschland müssen alle Kinder und Jugendlichen zur Schule gehen, wenn sie älter als sechs Jahre sind. Kinder sind ab dem ersten Tag schulpflichtig, egal, ob sie in einer Gemeinschaftsunterkunft oder dezentral untergebracht sind. Generell ist seit unseren letzten Besuchen zu sagen, dass sich die Kooperation zwischen Landkreis- bzw. Stadtverwaltungen und den Mitarbeitern der Sächsischen Bildungsagentur deutlich verbessert hat. An allen Schulen wird von Beginn an eine Schullaufbahnberatung durchgeführt. In jeder Regionalstelle der Sächsischen Bildungsagentur stehen dafür die Koordinatoren für Migration als Ansprechpartner zur Verfügung. Berufsvorbereitungsklassen Der Landkreis Nordsachsen hat eine Empfehlung aus unserem »Heim-TÜV« umge- 14 setzt und 2011 eine Berufsvorbereitungsklasse an einer Berufsschule eingerichtet, in der Asylsuchende zwischen 18 und 27 Jahren aus den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises Deutsch lernen können. Diese Möglichkeit ist vom Gesetzgeber vorgesehen. Im Schuljahr 2011/2012 gab es insgesamt 188 Schüler unter 27 Jahren mit Migrationshintergrund, die an einem Berufsvorbereitungsjahr mit Vorbereitungsklassen mit berufspraktischen Aspekten im Freistaat Sachsen teilnahmen. Besonders hervorheben möchten wir jene Städte und Landkreise, die die Jugendlichen über eine solche Möglichkeit der Fortführung ihrer mitgebrachten Kompetenzen auch informieren. In einigen Landkreisen bzw. Kreisfreien Städten werden diese Schüler auch durch die Gewährung von Zuschüssen zu Fahrtkosten und Schulbedarf unterstützt und begleitet. Die Stadt Leipzig schließt in ihrer Schülerbeförderungssatzung auch Kosten für die Schüler ein, die eine Vorbereitungsklasse mit berufspraktischen Aspekten besuchen. Sprachkurse Der Erwerb der deutschen Sprache ist für alle Migranten die wichtigste Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland. Auch für das Zusammenleben im Heim ist die gemeinsame Sprache essenziell. Der Landkreis Nordsachsen bezuschusst Sprachkurse im Heim aus dem allgemeinen Jahresbericht 2012 Haushalt. Besonders eingerichtete Sprachkursräume zum Beispiel in Nordsachsen oder Zwickau können auch als Leseräume genutzt werden. Seit dem 01.01.2012 besteht die Möglichkeit, dass Flüchtlinge unter bestimmten Bedingungen vor einer Aufenthaltserteilung einen deutschen Sprachkurs besuchen können. Diese Sprachkurse sind vom Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert und sehen eine Kursdauer von sechseinhalb Monaten vor. In Sachsen wurden im Jahr 2012 insgesamt 145 Asylsuchende in den Landkreisen Vogtlandkreis, Sächsische Schweiz – Osterzgebirge, Bautzen, Meißen, Leipzig und in den Kreisfreien Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz in solche Sprachkurse eingebunden. Im Vogtlandkreis wird seit Oktober 2012 der erste berufsbezogene Sprachkurs von der Euro-Schule Plauen angeboten. Für den Aufbau der neuen Sprachklasse haben die Ausländerbehörde des Vogtlandkreises, die Euro-Schule Plauen als Bildungsw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e träger und der Sächsische Flüchtlingsrat e. V. als Vertreter des RESQUE PLUS Projektes eng zusammen gearbeitet. Die Sprachförderkurse enthalten einen praktischen Teil von sechs Wochen, der ein Praktikum beinhalten kann. Weiterhin bestehen die Kurse aus Unterrichtseinheiten mit deutschem Sprachunterricht und Unterrichtseinheiten mit fachtheoretischem Unterricht. Der Sprachförderkurs in Plauen beispielsweise ist im praktischen Teil u. a. in den hauseigenen Werkräumen bei einem Maurerund einem Malermeister tätig. Während die Teilnehmer zu Beginn häufig ein Gemisch aus Englisch und Deutsch gebrauchen, wenden sie zunehmend die deutsche Sprache an. Paten helfen lernen In der Stadt Leipzig engagieren sich Schüler und Studenten, um den Zuwanderern zu helfen, die deutsche Sprache zu erlernen. Sie sammelten unter den Leipziger Bürgern Bücher für eine Bibliothek in einer Asylbe- 15 lich mit der Integrationsmedaille der Bundesregierung ausgezeichnet wurde. Im Erzgebirgskreis gibt es ein Patenschafts-Modell für dezentral untergebrachte Familien. Diese bekommen jeweils einen ehrenamtlichen Paten zur Seite gestellt. Die Paten helfen dann bei Wohnungssuche, Eingewöhnungsprozess, Fragen und Problemen. Insgesamt waren im Sommer 2012 sechs Paten vom Diakonischen Werk und vom Bürgerhaus tätig. Das ist ein ermutigender Anfang. werberunterkunft. Diese soll im Stadtteil Wahren Anfang 2013 eröffnet werden. Sie ist Teil eines Plans der Stadt, Flüchtlinge künftig dezentraler unterzubringen. Besser noch als nur aus Büchern lässt es sich mit persönlicher Hilfe lernen. Diesen Ansatz verfolgt ein anderes Projekt in Leipzig bereits seit acht Jahren. Es heißt »Integration durch Bildung« und ist beim Flüchtlingsrat Leipzig angesiedelt. Vorrangig geht es darum, Migranten beim Erwerb deutscher Schulabschlüsse zu helfen. Diese sind unabdingbar, damit die Zuwanderer Arbeit finden und auf diesem Weg in die deutsche Gesellschaft integriert werden. Die ersten Schülerinnen waren fünf junge Frauen, die noch nie eine Schule besucht hatten und denen beim gemeinsamen Backen Wissen über Maße und Gewichte vermittelt wurde. 150 Migranten werden regelmäßig von etwa 220 Freiwilligen unterrichtet, unter denen viele Studierende sind, daneben aber auch pensionierte Lehrer und Pfarrer, Rentnerinnen und auch Arbeitssuchende. Sie werden für die Flüchtlinge damit zu einer Art Botschafter für ein offenes Land und sind viel mehr als nur Lehrer. Die im Ehrenamt tätigen Lehrer helfen zudem bei Behördengängen und können bei gesundheitlichen oder sozialen Problemen in den Familien professionelle Hilfe organisieren. Das Projekt dürfte dazu beigetragen haben, dass Frau Brogiato vom Leipziger Flüchtlingsrat kürz- 16 1.3.2 Eigenverantwortung fordern und Mitwirkung ermöglichen Heimbeiräte ermöglichen eine Mitwirkung und Mitverantwortung der Bewohner in Angelegenheiten des Heimbetriebs. In zwei Chemnitzer Unterkünften wird dieses Modell sehr erfolgreich angewandt. Mehrere gewählte Heimbewohner arbeiten zusammen in einem Heimbeirat. Auch in der Stadt Dresden wurde dieses Jahr trotz einiger Anlaufschwierigkeiten erstmalig eine Heimsprecherwahl eingeführt. Zukünftig ist geplant, dass die gewählten Heimsprecher als Vertreter der Bewohner an einer Heimleiterberatung zu einzelnen Themenbereichen teilnehmen. Auf diese Weise lernen die Asylsuchenden Demokratie im eigenen Umfeld kennen, und können diese selbst praktizieren. Der Heimbeirat oder Heimsprecher hat die Aufgabe, hausintern auf Sauberkeit und Sicherheit hinzuwirken und das Zusammenleben konstruktiv mitzugestalten. Die Bewohner bekommen so die Möglichkeit, eigenständig zu handeln, sich selbst einzubringen und gemeinsam eine Lösung für alltägliche Probleme des Zusammenlebens zu finden. Der Landkreis Bautzen ist gerade in der Planung eines Heimbeirates. Dabei sollen gezielt vorhandene deutsche Sprachkenntnisse einzelner Bewohner genutzt und so die KomJahresbericht 2012 munikation unter den Bewohnern und den Mitarbeitern verbessert werden. So könnte ein im Herkunftsland studierter Germanist bei der Bildung eines Heimbeirates und dem Herausfinden und Lösen von Problemen der Bewohner hilfreich sein. In einigen Heimen haben die Bewohner Zugang zum Internet. Das ermöglicht die Kommunikation mit dem Herkunftsland und besonders mit der Familie dort. Die Bewohner könnten damit auch Deutsch lernen und andere Recherchen durchführen. Wenn man sich informieren kann, ist das auch eine Form der Emanzipation. In einem anderen Bundesland haben einige Heimbewohner sogar ein eigenes Internetcafé in einer Gemeinschaftsunterkunft eröffnet. 1.3.3 Vernetzung zwischen Heimleitern/Heimpersonal und Vereinen Zur besseren Vernetzung der Einrichtungen untereinander und zum Festlegen gemeinsamer Arbeitsstrukturen und Standards führt die Landeshauptstadt Dresden seit dem Jahr 2009 Heimleiterberatungen durch. Dabei werden die Heimleiter vom Sozialamt über Neuerungen und Änderungen zur Thematik »Unterbringung« (z. B. Informationen des BAMF und des Sächsischen Staatsministerium des Innern, Aufnahmequote, Verfahren, Verwaltungsvorschriften) informiert. Die Beratung bietet den Heimleitern die Möglichkeit, Probleme und Fragen mit den Mitarbeitern des Sozialamtes und mit anderen Heimleitern zu besprechen, um praktikable, auf die Belange der Bewohner zugeschnittene Lösungen zu finden. Die Treffen dienen einerseits dem Erfahrungsaustausch und andererseits als Plattform, um neue Ideen und deren Umsetzung zu diskutieren (z. B. Projekte, Workshops zur sozialen Arbeit). w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 1.3.4 Eigenständige Mobilität der Bewohner unterstützen Mobilität kostet Geld – das gilt gerade für die abgelegenen Unterkünfte. Besonders das Ticket zu einem weit entfernt gelegenen Sprachkurs muss oft vom Taschengeld gespart werden. Außerdem fallen Wege zur Ausländerbehörde, in die Beruflichen Schulzentren, zum Arzt, zum Einkaufen, in die Beratungsstellen oder zu Vereinen an. Ein eigenes Fahrrad hat unter diesen Bedingungen einen hohen Stellenwert. Hier gibt es in Sachsen immer wieder einzelne Spendenaktionen, bei denen Asylsuchenden gebrauchte Fahrräder zur Verfügung gestellt werden. Andere Vereine in Sachsen rufen zu Spendenaktionen für die Übernahme von Tickets zu den Berufsschulzentren auf. 1.3.5 Asylsuchende gesellschaftlich einbinden und Vorurteile abbauen Es gibt in Sachsen Gemeinschaftsunterkünfte, zu denen weder Vereine noch Beratungsstellen der Freien Wohlfahrtspflege noch Menschen aus der Nachbarschaft, die vielleicht ehrenamtlich helfen wollen, Zutritt haben. Das ist unakzeptabel. Völlige Isolation widerspricht nicht nur unserem 17 Bekenntnis zur Menschenwürde, sie verschärft auch Spannungen im Heim selbst und mit der Umgebung. Viele Kommunen setzen deshalb auf die Zusammenarbeit mit Vereinen und Nachbarschaftsinitiativen. Dabei entstehen Kontakte, die dazu beitragen können, Unkenntnis, Misstrauen und Vorurteile abzubauen. Gemein- über das Bankkonto eingezogen werden. Hier gibt es noch Verbesserungsbedarf. In der Stadt Dresden hat die »Faninitiative 1953international der SG Dynamo Dresden« gemeinsam mit der AG Asylsuchende eine Gruppe von Flüchtlingen ins DynamoStadion eingeladen, um gemeinsam das Spiel gegen den VfL Bochum zu erleben. Finan- dere Stütze in ihrer neuen Umgebung ist die gelebte Gemeinschaft. Dazu gehören die persönliche Betreuung durch das Team sowie gemeinsame Mahlzeiten und regelmäßige Ausflüge aller Teilnehmer zu interessanten Orten in und um Dresden, wie z. B. dem Sächsischen Landtag, die Sächsische Schweiz und Bautzen. Bis Ende des Jahres aber auch die Trainerinnen in diesem Projekt erleben konnten. Frauen aus unterschiedlichen Ländern wie Algerien, Afghanistan, Äthiopien, Syrien, Tunesien und dem Irak nahmen teil. Sie hatten als Kinder nicht Fahrradfahren gelernt, zum Teil weil es für Frauen direkt verboten war, teilweise auch, weil es für sie einfach unüblich ist. same Sommerfeste mit der Nachbarschaft oder regelmäßige Tage der offenen Tür sind gute Beispiele, wie der Wille für ein konstruktives Miteinander gestaltet und erlebbar gemacht werden kann. Zum Teil gehen beispielsweise auch Sportvereine gezielt auf Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften zu und werben um ihre Mitgliedschaft im Verein. Zukünftig könnten Vereine motiviert werden, Sonderveranstaltungen oder Sonderbeiträge für Flüchtlinge anzubieten, da sich diese teilweise den Mitgliedsbeitrag nicht leisten können. Schwierigkeiten beim Beitritt in einen Verein können schon so einfache Anforderungen wie ein Bankkonto darstellen. Viele Asylsuchende haben noch keinen Zugang zu einem Bankkonto, doch verlangen viele Vereine, dass die Mitgliedsbeiträge ziert wird das Projekt mit dem Erlös aus der Versteigerung von Sondertrikots. Die Trikots mit der Aufschrift »Love Dynamo – Hate Racism« hatten die Spieler beim Heimspiel gegen Eintracht Braunschweig am 20.10.2012 getragen. Der Verein Dynamo Dresden unterstützt die Initiative öffentlich. Im Mai 2012 ist in den Jugendwerkstätten Umkehrschwung gGmbH in Kooperation mit dem Jugendmigrationsdienst der Caritas Dresden e. V. sowie dem Sächsischen Flüchtlingsrat e. V. ein Projekt für junge Asylbewerber entstanden, die sich im ersten Jahr ihres Aufenthaltes in Deutschland befinden. Die jungen Männer kommen aus Afghanistan bzw. dem Iran. Neben sinnvoller Beschäftigung in den Werkstätten erhalten sie Deutschunterricht (10 Wochenstunden) von einer Lehrerin für »Deutsch als Zweitsprache«. Eine beson- wird die erste Gruppe die Grundstufe (A1) »Deutsch als Fremdsprache« erfolgreich abgeschlossen haben. Ihre deutlich verbesserten Sprach- und Ausdrucksmöglichkeiten legen davon Zeugnis ab. Ihr persönlicher Weg in die deutsche Lebens- und Arbeitswelt ist in diesem halben Jahr vom Team der Umkehrschwung gGmbH begleitet, gefördert und gestärkt worden. Hinzu kommt das gute Miteinander von Asylbewerbern und deutschen Teilnehmern aus anderen Projekten, das das interkulturelle Verständnis fördert und gegenseitigen Vorurteilen entgegenwirkt. »Wir sind alles starke Frauen«. Dieser Satz wurde von einer Teilnehmerin eines Frauen-Fahrradprojekts in Leipzig am Ende einer Übungsstunde mit leuchtenden Augen ausgerufen. Und er drückt sehr gut das Gefühl aus, das die teilnehmenden Frauen, Die Ziele des zweimonatigen Projektes waren verschiedene: Zum einen die sehr praktische Fähigkeit des Fahrradfahrens. Sie erleichtert den Alltag der Teilnehmerinnen, indem innerstädtische Wege selbstständig zurückgelegt werden können und sich somit der Bewegungsradius der Frauen erheblich vergrößert. Zum anderen wurden Kenntnisse der Verkehrsregeln vermittelt. Im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge startete im Juni 2012 unter Schirmherrschaft des Landrates Michael Geisler das Projekt des Pestalozzi-Gymnasiums Heidenau »Begegnung wagen – Zukunft gestalten 2012«. Im Rahmen von vier Veranstaltungen haben sich die Heidenauer Schüler mit der Frage auseinander gesetzt, wie unsere Gesellschaft in Zukunft leben möchte, auf welche Werte eine zukunftsfähige deutsche 18 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 19 Besonders schwierige krankheits- und traumabedingte Fälle brauchen auch eine besondere soziale Betreuung. Wie das konstruktiv gelöst werden kann, zeigt jetzt die Stadt Leipzig. Dort wird ab 2013 ein Heim für besonders schutzbedürftige Menschen entstehen. Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund könnten mit ihrer Lebenserfahrung, ihren Sprach- und Kulturkenntnissen zu einem konstruktiven Leben in der Gemeinschaftsunterkunft beitragen. Sie helfen Brücken zu bauen – sowohl zwischen den Bewohnern und der Heimleitung, als auch zwischen verschiedenen Ethnien in der Unterkunft. In zwei uns bekannten Unterkünften werden bereits Mitarbeiter mit Migrationshintergrund beschäftigt. Gesellschaft aufbauen muss und welche Rolle dabei Menschen aus anderen Kulturkreisen spielen können. So haben die Schüler mit den Bewohnern der Asylbewerberunterkunft in Heidenau Gerichte aus deren Heimat sowie der deutschen Küche gekocht. Auch ein gemeinsames Fußballspiel hat stattgefunden. Ein besonderer Stellenwert wurde den Gesprächen mit Asylbewerbern gewidmet, um mehr über ihre Herkunft, ihre Beweggründe ihre Heimat zu verlassen und ihre Erwartungen an Deutschland zu erfahren. Höhepunkt des Projektes war die Abschlussveranstaltung am 17.07.2012, zu der der frühere Bundespräsident Roman Herzog zu einem Podiumsgespräch eingeladen war. Schüler und Lehrer des Gymnasiums sind überzeugt, dass mit diesem Projekt ein wichtiger Impuls gegeben wurde. »Wir denken, ein Ruck muss auch durch unsere Art und Weise des Umgangs mit den Asylbewerbern gehen. Statt über sie, wollen wir mit ihnen reden.«, so Schülersprecher Sebastian Schwab, der das Projekt geleitet hat. 20 1.3.8 Im Dialog mit der Bevölkerung – für die Gestaltung des Miteinanders Einige Gemeinden und Landkreise haben 2012 neue Lösungen in der Unterbringung von Asylsuchenden gesucht. Einige Heime mussten geschlossen, neue Heime mussten gefunden und saniert werden. Dabei hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, die einheimische Bevölkerung rechtzeitig über solche Planungen zu informieren und wo möglich in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Da, wo es zunächst nicht gelang, die Bürger an- 1.3.7 Sicherheit garantieren 1.3.6 Soziale Betreuung weiter ausbauen In dem Bereich soziale Betreuung waren bisher vor allem die sächsischen Städte gut aufgestellt. So gab es beispielsweise 2012 in der Stadt Dresden soziale Betreuungskonzepte für die Unterkünfte und die dezentralen Wohnungen. Auch Leipzig plant für 2013 die soziale Betreuung für die neuen Unterkünfte auszubauen. Schriftliche soziale Betreuungs- oder Unterbringungskonzepte gibt es bereits in den Landkreisen Zwickau und Sächsische Schweiz – Osterzgebirge sowie in den Kreisfreien Städten Leipzig und in Dresden. Auch in Chemnitz arbeiten die Mitarbeiter der Stadt nach einem Betreuungskonzept. In zwei weiteren Landkreisen sind zukünftig soziale Betreuungskonzepte geplant. In Nordsachsen ist die soziale Betreuung von Asylsuchenden Teil des Konzepts zur Integration von Migranten. Generell sollte sichergestellt sein, dass die Konzepte zur sozialen Betreuung die dezentral untergebrachten Asylsuchenden mit erfassen. Jahresbericht 2012 Das Thema Sicherheit spielt für die Gemeinschaftsunterkünfte, deren Bewohner und die Nachbarschaft eine große Rolle. Von entscheidender Bedeutung für die Sicherheitslage ist die Zusammenarbeit der Unterbringungsbehörden und des Heimpersonals mit den Polizeikräften vor Ort. Diese Zusammenarbeit gelingt umso leichter, je ausgeprägter das Verständnis der Polizeibeamten für die Situation aller Beteiligten ist. Zu diesem Zweck führt das Landeskriminalamt Sachsen einmal jährlich Arbeitstagungen mit Polizeibeamten unter der Überschrift »Vertrauensbildender Dialog zwischen Sicherheitsbehörden und Organisationen für Migranten und Flüchtlinge« durch. In den ganztägigen Veranstaltungen werden unter anderem interkulturelle Kompetenzen vermittelt und die Situation von Migranten in Sachsen beschrieben. So werden theoretische und praxisbezogene Aspekte in Form eines interkulturellen Trainings miteinander verzahnt. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e gemessen zu informieren und ihre Sorgen ernst zu nehmen, engagierten sich Kommunen und Initiativen im Nachgang mit hohem Einsatz, den Dialog wieder aufzunehmen und arbeiteten für eine transparente und solidarische Lösung. In Leipzig, Gröditz und Großenhain reagierten die Verantwortlichen auf die Einwände der Bevölkerung mit Runden Tischen und Bürgerforen. Auch in Chemnitz ging die Kommune offen auf die Bevölkerung zu und veranstaltete Bürgerversammlungen, in denen die betroffenen Bürger die Möglichkeit bekamen, ihre Sorgen und Ängste zum Aus- 21 riefen gemeinsam zu einem Lichterband auf, um den Asylsuchenden ihre Solidarität zu zeigen. Die vielen Bürger Kamenz machten klar, dass menschenverachtendes Handeln und Denken keinen Platz in der sächsischen Gesellschaft haben. Diese gemeinsame Aktion war Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten – so engagiert sich beispielsweise das ansässige Gymnasium dabei, Deutschkurse für die Asylsuchenden anzubieten. In anderen Landkreisen setzt man auf das Konzept des »Tags der offenen Tür«. Diese Veranstaltungen tragen dazu bei, Vorbehalte und Ängste abzubauen und Kontakte herzustellen. Bürger und Heimbewohner druck zu bringen. Außerdem wurde in all diesen Veranstaltungen gemeinsam nach Möglichkeiten gesucht, wie das Miteinander konstruktiv gestaltet werden kann. Dabei wurden viele gute Ansätze gefunden. Die Kirchgemeinde in Großenhain gestaltete beispielsweise ihren Buß- und Bettags-Gottesdienst als Informationsveranstaltung mit Vertretern von Stadt, Landkreis und Diakonie, um sich gemeinsam über den Umgang mit den neuen Mitbürgern auszutauschen. Die Kollekte des Abends wurde für Deutschkurse für die Asylsuchenden gespendet. Die Zivilgesellschaft setzte 2012 gemeinsam mit den sächsischen Landkreisen und Städten deutliche Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. So gab es im Landkreis Bautzen in Reaktion auf die Einrichtung einer neuen Gemeinschaftsunterkunft einen fremdenfeindlich motivierten gewaltsamen Übergriff auf das alte Heim in Kamenz. Behörden, Institutionen, Vereine und die Kamenzer Bürger reagierten sofort. Die Kamenzer Kirchgemeinden, Landrat Michael Harig, Oberbürger- 22 hatten die Möglichkeit, einander kennenzulernen. Zu diesen »Tagen der offenen Tür« wurden auch Kultur-, Sport- und andere Vereine in der Nachbarschaft eingeladen. In Dresden setzten der Ausländerrat Dresden e. V. mit Unterstützung der Stadt Dresden und der GAGFAH ein gemeinsames Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit. Familien aus einem Dresdner Asylbewerberheim wurden zu einem bunten Familienfest in den Johannstädter Kulturtreff eingeladen. Neben Musik und Essen gab es ein fröhliches Programm mit großer Zaubershow, einer Druck- und Holzwerkstatt für Kinder, Breakdance und Lagerfeuer. meister Roland Dantz, das Bündnis für Humanität und Toleranz, die Stadtratsfraktionen und die Ausländerbeauftragte des Landkreises, Anna Pietak-Malinowska, Erklärung der Kirchgemeindevertretung Großenhain in Zusammenhang mit der geplanten Unterbringung von Asylbewerbern in der Stadt: »Wir nehmen die Befürchtungen und Ängste der Menschen unserer Stadt ernst. Wir sind entsetzt über ausländerfeindliche Haltungen in Form von rechtsextremen Äußerungen und Aktivitäten, die in diesem Zusammenhang entstehen. Wir bitten die Einwohner unserer Stadt, die Entwicklungen abzuwarten und in konstruktiver Weise mitzugestalten. Wir vertrauen auf die guten Erfahrungen der Diakonie und sind bereit, uns selbst mit einzubringen.« Großenhain, 13.11.2012 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 23 1.4 Noch gibt es viel zu tun! Leider gibt es in vielen Unterkünften immer noch gravierenden Verbesserungsbedarf hin zu einem angemessenen, an der Menschenwürde orientierten Umgang mit Asylsuchenden. Soziale Betreuung Im Mittelpunkt steht für uns dabei die ausreichende und am konkreten Einzelbedarf orientierte soziale Betreuung der Asylsuchenden. Der Schlüssel qualifizierter Sozialarbeit 24 sollte nicht weniger als eine Vollzeitstelle pro 100 Asylsuchenden betragen. Dabei haben wir ausdrücklich auch die aufsuchende soziale Betreuung der dezentral untergebrachten Asylsuchenden im Blick. In fast allen Fällen der von uns betrachteten Kommunen und Unterkünfte ist dieser Schlüssel weitaus niedriger. Dabei verkennen wir nicht, dass qualifizierte Sozialarbeit zunächst Kosten für die Kommunen verursacht. Wir gehen aber fest davon aus, dass sich diese Kosten binnen kurzer Zeit als lohnende Investitionen herJahresbericht 2012 ausstellen werden, die sich mehr als nur amortisieren. Was bei der sozialen Betreuung eingespart werden mag, wird in der Folge an anderer Stelle, etwa an Folgekosten für Krankheit oder durch Kriminalität, zu einem Mehrfachen wieder ausgegeben. Die soziale Betreuung sollte von Anfang an auch den Zugang zur deutschen Sprache zende Begleitung zu den ersten Vereinsbesuchen Bestandteil des Angebots sein. Aber auch die aktive Einbeziehung in die Kommunikation mit den Nachbarn kann zum Abbau von gegenseitigen Hemmnissen und Vorurteilen beitragen und so ein selbstverständliches Zusammenleben befördern. mit im Blick haben. Wer die deutsche Sprache spricht, wird sich in unserer Gesellschaft selbstverständlich und unbefangen bewegen und unsere Regeln des Zusammenlebens verstehen und mit Inhalt füllen können. Weiterhin kann die Sozialarbeit aktivierend im Sinne einer gesellschaftlichen Einbindung der Asylsuchenden wirken. So können zum Beispiel die Möglichkeiten des Kontakts zu Sport- oder anderen Vereinen sondiert und mit den Asylsuchenden erörtert werden. Um erfolgreich zu sein, sollte darüber hinaus auch die unterstüt- Auszahlung der Mittel w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e In einem Landkreis werden die Mittel zum Lebensunterhalt für die Asylsuchenden noch immer nicht als Bargeld, sondern in Form von Gutscheinen ausgezahlt. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass das Bundesrecht den Vorrang von Sachleistungen festschreibt und Ersatzleistungen wie Wertgutscheine oder Bargeld dann gewährt werden können, wenn die Umstände das erforderlich machen. Natürlich wissen wir auch, dass diese Darstellung des Bundesrechts zutrifft. Wir 25 weiter wachsenden Probleme in der Unterkunft, die den Verantwortlichen über den Kopf zu wachsen drohen. Bei der Eröffnung des Heimes beschrieben wir es als Experiment. Leider entwickelt sich das Heim nicht so, wie es sich die dafür Verantwortlichen wünschen. Deshalb wiederholen wir die ausdrückliche Mahnung, dass Heime einen sozialen Betreuungsschlüssel von einer qualifizierten Sozialarbeiterstelle pro 100 Heimbewohner brauchen. Der Freistaat hat sich bisher noch nicht dazu durchringen können, diese Forderung aufzugreifen, vielleicht auch aus Kostengründen. Wir sind allerdings überzeugt, dass ein Sparen an dieser Stelle zu erheblichen Mehrkosten an anderer Stelle führt, wie z. B. Krankheits- und Sozialkosten. sagen auch ausdrücklich, dass die Entscheidung über die Form der Mittelausreichung ausschließlich im Landkreis selbst liegt. Auf der anderen Seite setzen nur zwei von 16 Bundesländern noch auf Sachleistungen. Die überwiegende Zahl hat sich für Bargeld entschieden, so wie ja auch zwölf von 13 sächsischen Landkreisen bzw. Kreisfreien Städten. Der Landkreis Leipziger Land weicht sicherlich aus gutem Grund vom Vorrang der Sachleistungen ab. Wenn sich der Landkreis nun ohnehin schon im Bereich der Ersatzleistungen bewegt, kann er nach unserer Auffassung auch den Weg zur Bargeldauszahlung gehen. Der Landkreis würde erhebliche Einsparungen in der Verwaltung erreichen, und die Asylsuchenden hätten ein Stück Menschenwürde mehr in ihrem Lebensbereich. Beim Einkauf mit Gutscheinen entstehen in den Supermärkten meist Schlangen, da die Verkäufer die Gutscheine auf ihre Unterschrift kontrollieren und nachzählen müssen. Die wartenden deutschen Käufer sind dadurch frustriert. Besonders verzögernd wirkt dann der Kauf manch anderer Produkte, 26 Doch auch das Gute wollen wir nicht vergessen: Die große Mehrheit der Flüchtlingsfamilien in Sachsen sind mittlerweile dezentral untergebracht. Das ist eine Frage der Humanität, die Sachsen und seine Kommunen auszeichnet. Hier dürfen wir stolz darauf sein. Dezentrale Unterbringung ist nicht nur richtig vom humanitären Standpunkt, die Rückmeldungen zeigen, dass es finanziell ab vier Bewohner eine dezentrale Wohnung billiger kommt als die Unterbringung in einem Heim. Insofern bringt die verstärkte dezentrale Unterbringung auch ein wenig finanzielle Entlastung bei den Kommunen. Deshalb ermutigen wir die sächsischen Unterbringungsbehörden, auf dem Weg zur dezentralen Unterbringung weiter voran zu kommen. z. B. der Körperpflege, die nicht auf der Liste der zugelassenen Produkte stehen und vom Käufer zurückgelegt werden müssen. Wir wiederholen deshalb nachdrücklich unsere Ermutigung, im Interesse der Menschlichkeit und der Kosteneffizienz überall in Sachsen zur Auszahlung von Bargeld überzugehen. Abschließende Hinweise Immer wieder zeigt sich, dass Gemeinschaftsunterkünfte mit einer zu großen Zahl an Bewohnern und ohne qualifizierte soziale Betreuung fast nicht beherrschbar sind. Ein bedenkliches Beispiel haben wir 2012 gesehen. Eine Unterkunft für 400 Bewohner und ohne qualifizierte Sozialbetreuung, die wir kurz nach ihrer Eröffnung besuchten, erzielte mit dem Tag des Besuchs eine Gesamtbewertung von 0,54, also grün. Nur wenige Wochen später begannen große Schwierigkeiten beim Zusammenleben der Bewohner. Mittlerweile erreichen uns Hilferufe angesichts der immer Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 27 1.5 »Heim-TÜV« verstetigen und verbreiten Der in Sachsen begonnene »Heim-TÜV« für Asylbewerberheime stellt einen Weg dar, unser Bekenntnis zu Menschenrechten und Menschenwürde bei der Unterbringung messbar zu machen. Er hat in Sachsen eindeutig zu vielen Verbesserungen bei der Unterbringung geführt. Auch andere Bundesländer und die Wohlfahrtsverbände sehen auf uns. Wir stellen unsere Methode gern zur Verfügung und unterstützen andere gern bei ihrem Weg der Beurteilung und der Einführung dieses Ansatzes. Im Jahr 2012 nutzten wir die Gelegenheit, den »Heim-TÜV« auf folgenden Veranstaltungen vorzustellen: • Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht (in Hohenheim/Stuttgart) • Hauptausschusssitzung der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen (in Dresden) • Bundesfachtagung für Mitarbeitende der Migrationsfachdienste (MBE und JMD) zur Migrationsarbeit im Gemeinwesen (in Dresden) • Fachtagung »Perspektiven der Unterbringung von Flüchtlingen« (in Magdeburg) Besonders gefreut haben wir uns über die Resonanz auch außerhalb von Sachsen. 28 Anregungen des Sächsischen Ausländerbeauftragten für eine menschenwürdige Unterbringung von Asylsuchenden: Für die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Prof. Dr. Maria Böhmer, ist der »Heim-TÜV« ein geeignetes Instrument, die Lebenssituation der Asylsuchenden abzubilden, dessen Einsatz auch bundesweit vorstellbar wäre. Ein CDU-Abgeordneter des Landtags in Sachsen-Anhalt forderte für sein Land die Einführung eines »Heim-TÜV« und Sprachkursangebote für alle Ausländer von Beginn ihres Aufenthalts an. In Thüringen wurde über die Einführung eines »Heim-TÜV« politisch diskutiert, wenn man sich auch letztlich nicht dazu durchringen konnte. Die genannten Beispiele bestärken uns auf dem eingeschlagenen Weg und ermuntern uns, weiter innerhalb und außerhalb des Freistaates Sachsen für unsere Methode und damit für unser Anliegen, Humanität und Menschenwürde voranzubringen, zu werben. Die drei Jahre »Heim-TÜV« haben die Unterbringungssituation von Asylsuchenden in Sachsen nachhaltig verbessert. Wir sind der Überzeugung, dass ein vergleichbares Qualitätsmanagement für die Gemeinschaftsunterkünfte aller Bundesländer Deutschland insgesamt gut zu Gesicht stünde. Jahresbericht 2012 • Konsequent den Weg der dezentralen Unterbringung von Familien, Alleinerziehenden und Anderen, die aus humanitären Gründen geschützt werden sollten, weitergehen. • Angemessene Finanzierung der Unterbringung als Grundlage für ein menschenwürdiges Leben in Gemeinschaftsunterkünften sicherstellen. • Qualifizierte Sozialarbeit in jedem Heim ermöglichen, um damit pro-soziales Verhalten zu fördern und notwendige Unterstützung zu leisten. Dabei sollte eine Vollzeitstelle pro 100 Bewohner zur Verfügung gestellt werden. • Soziale Inklusionsrechte und –pflichten sichtbar machen und Asylbewerbern und Geduldeten darin Orientierung geben. • Adäquate Sicherheit in allen Heimen gewährleisten. • Vorsorgeuntersuchungen für ansteckende Krankheiten und Betreuung von Müttern mit Kleinkindern sicherstellen. • Gesundheitsgefährdenden Schimmel und Ungeziefer ernst nehmen und effektiv beseitigen. • In jedem Heim einen Leseraum mit deutschen Büchern und Zeitschriften einrichten und führen. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e • Sprachenerwerb unterstützen. • Alphabetisierungskurse und Zugang zum zweiten Bildungsweg für gering Beschulte einrichten. • Arbeitsgelegenheiten mit Vergütung nach § 5 AsylbLG für verschiedene Tätigkeiten im Heim schaffen und unterstützen. • Demokratische Regeln bekannt machen durch Einbindung in Heim und Gesellschaft. • Gemeinnützigen Vereinen Zugang zu allen Heimen gewähren, um die gesellschaftliche Inklusion der Heimbewohner zu fördern. • Individuelle Mobilität mit gespendeten Fahrrädern erhöhen. • Jährliche Tage der offenen Tür in allen Asylbewerberheimen einrichten. • Zur Einrichtung von Gemeinschaftsunterkünften in Wohnhäusern mit einer Belegung zwischen 50 und 100 Bewohnern ermutigen. • Dezentrale Unterbringung von Menschen aus humanitären Gründen ermöglichen, wenn erkennbar wird, dass sie an den Konsequenzen des Heimlebens menschlich zu zerbrechen drohen. Heimleben ist zur Dauerunterbringung ungeeignet. • Nach sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnen, vorbereitet durch Erwerb der deutschen Sprache von Beginn des Aufenthalts an. 29 1.6 Ausblick »Heim-TÜV« Auch wenn wir, wie gerade beschrieben, von unserem Ansatz überzeugt sind, wissen wir sehr wohl, dass nichts so gut ist, dass es nicht noch besser werden könnte. In diesem Sinne sind wir immer bemüht, den »Heim-TÜV« zu verbessern. In einem ersten Schritt wollen wir Anfang 2013 auf der Basis unserer Erfahrungen aus den letzten Jahren die Fragestellungen und Bewertungsmaßstäbe mit dem Ziel verfeinern, die Lebenswirklichkeit der Asylsuchenden noch treffender widerzuspiegeln. Unser »Heim-TÜV« ist als pragmatische Methode entwickelt worden und erhebt keinen wissenschaftlichen Forschungsanspruch. Wir würden uns aber freuen, wenn sich Sozialwissenschaftler finden würden, die sich bei Unterstützung durch eine entsprechende Förderungsquelle in die Weiterentwicklung des »Heim-TÜV« einbringen würden. 30 Bei solch einer Weiterentwicklung könnten auch die Perspektiven der verschiedenen Interessengruppen berücksichtigt werden, möglicherweise auch die Sicht der Asylsuchenden selbst. Ein Journalist wies uns darauf hin, dass es unabhängig vom »Heim-TÜV« auch ein ganz anderes Beurteilungsinstrument geben könnte, nämlich eine Befragung der Bewohner im Umfeld der Asylbewerberheime. Die Heime liegen meist in unmittelbarer Umgebung von Wohn- oder Mischgebieten. Warum nicht diese Bewohner befragen, wie sich das nachbarschaftliche Zusammenleben mit den Neuzuzügen aus aller Welt gestalten lässt? Solch ein Ansatz wäre sehr im Interesse der Gesellschaft. Er würde zeigen, was im Zusammenleben gut klappt. Er würde auch aufzeigen, wo sich Entwicklungen anbahnen, die auf das Entstehen von sozialen Problemen hinweisen könnten. Diese Erhebungen wären ein gutes Steuerungsinstrument für die Kommunen und für die Sozialarbeit mit den Asylsuchenden. So interessant dieser Ansatz auch ist, er liegt außerhalb der Aufgabenstellung des Ausländerbeauftragten. Doch dieser Ansatz wäre für die Ordnungsbehörden, ein sinnvoller Ansatz. Die Rolle des Ausländerbeauftragten ist vielfältig. Er berät. Er ermutigt. Er schreitet in Fällen ein, wo konkret gehandelt werden muss, und wo das durch den gesetzlichen Auftrag gedeckt ist. Beim »Heim-TÜV« agieren wir, d.h. ich als Sächsischer AusJahresbericht 2012 länderbeauftragter mit der gesamten Mannschaft, die mich unterstützt, auch als Qualitätskontrolle, etwa äquivalent dem Rechnungshof. Das ist eine große Herausforderung, und der stellen wir uns auch gern. Doch ähnlich wie der Rechnungshof können wir nur Empfehlungen aussprechen und an das gesellschaftliche Gewissen appellieren. Wir können keine Anweisungen geben. Deshalb freuen wir uns, wenn unsere Empfehlungen und Anregungen umgesetzt werden. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Es ist kein angenehmes Gefühl, wenn man in das eine oder andere Heim kommt, und auf Asylsuchende trifft, die man schon im vorangegangenen Jahr getroffen hat, und diese sich beklagen, das sich nichts Wesentliches geändert hat. Was sagen wir jemandem, der uns fragt, warum sich nichts geändert hat? Wir erklären unsere Rolle als Berater und Ermahner, dass wir empfehlen, aber nicht anordnen. Der deutsche Soziologe Max Weber bezeichnete Politik als die Kunst des Bohrens dicker Bretter. In dem Bild erkennen wir unsere Rolle. 31 2. Soziale Inklusion ermöglichen: Menschenwürde als Maßstab »Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.« – dieser Satz des Schweizer Schriftstellers Max Frisch bringt den Wandel auf den Punkt, den wir in der Einwanderungsdebatte in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland erlebt haben. Blicken wir zurück. Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die DDR verankerten nach 1945 das Grundrecht auf Asyl im Grundgesetz bzw. in der Verfassung. In den fünfziger Jahren beginnt die Arbeitsmigration nach Deutschland: die Bundesrepublik wirbt um Gastarbeiter aus Italien und der Türkei und die DDR holt Vertragsarbeiter z. B. aus Vietnam oder aus Mosambique. An Integration denkt noch keiner, im Gegenteil, die Vertragsarbeiter werden abgeschottet und die Gastarbeiter werden nicht nur in extra Vierteln untergebracht, es werden sogar türkische Lehrer für die Schulen gesucht, damit die Kinder nicht Deutsch lernen müssen. Jeder geht davon aus, dass die »Gäste« irgendwann wieder in ihre Heimat gehen. Die siebziger und achtziger Jahre pendeln in den Diskussionen zwischen Anwerbestopp, Rückkehrförderung und Multi-Kulti. »Deutschland ist kein Einwanderungsland«, dieser Satz spiegelte vor 30 Jahren die Sicht vieler Politiker. Heute wissen wir, wie grundfalsch dieser Satz war. Erst im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wird Integration als staatliche Aufgabe verstanden – und mit den seit 2005 eingeführten Integrationskursen umgesetzt, die Ausländern, die daueraufenthaltsberechtigt 32 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e sind, deutsche Sprach- und Gesellschaftskenntnisse vermitteln sollen. Deutschland beginnt sich zaghaft als »Einwanderungsland« zu verstehen. Die »Migrationsrealität« in Deutschland wird über die Jahre immer differenzierter, Deutschland wird internationaler, interkultureller, transkultureller. Die Bundesregierung erarbeitet gemeinsam mit vielen gesellschaftlichen Akteuren einen Nationalen Aktionsplan Integration, es geht um den Dialog mit Migranten. Man debattiert darüber, wie man »Menschen mit Migrationshintergrund« statistisch erfassen kann und auch darüber, dass dieser Begriff den Realitäten nicht mehr gerecht wird, denn ein Großteil der hier lebenden Migranten versteht sich als Deutsche – weil sie hier geboren, eingebürgert oder tief verwurzelt sind. Wir sind ein Land der Vielfalt geworden und die Politik ist bereit, das auch so beim Namen zu nennen. Auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer der Neonazi-Terrorzelle schlug die Tochter eines der Opfer folgenden Begriff dafür vor: »Einheit in Vielfalt«. Diese Einheit ist es, die uns verbindet. Unser Land besteht aus Menschen, die aus vielen Kulturen kommen. Gleichzeitig wissen wir, dass wir zusammengehören. Unsere Gemeinsamkeiten sind größer als das, was uns unterscheidet. Das, was uns eint, ist stärker als die immer noch vorhandenen Tendenzen zur Trennung, Absonderung und Fremdenfeindlichkeit. 33 Trotzdem beschränken sich staatliche Integrationsmaßnahmen bisher leider noch immer in der Regel auf Migranten, die daueraufenthaltsberechtigt sind – also auf lange Sicht bei uns leben werden. Dabei schließen wir viele aus. Studierende, Fachkräfte oder Forscher zum Beispiel, die nur für eine bestimmte Zeit bei uns leben, und um die wir auf der anderen Seite aktiv werben. Und auch Asylsuchende sind noch immer ausgeschlossen von Integrationsmaßnahmen, selbst wenn sie über Jahre bei uns leben und unsere Gesellschaft und die Regeln des Zusammenlebens kennen und respektieren sollen. Könnte es sein, dass die einen übersehen werden, weil sie bisher in unserem Denken eine zu geringe Rolle spielen und die anderen, weil wir der falschen Vorstellung nachlaufen, dass Menschen in Not lieber in ihre Not zurückkehren als bei uns bescheiden zu leben? Wer dieser Sichtweise folgt, verkennt, dass die Zeit und unsere Gesellschaft schon weitervoran geschritten sind. Denn es geht darum, die soziale und kulturelle Vielfalt in unserer Gesellschaft zu bejahen und 34 konstruktiv für eine attraktive Zukunft zu gestalten. In den Kommunen und Gemeinden ist schon längst klar, dass die Trennung in solche, die dazugehören und solche, die nicht dazugehören sollen, schon lange nicht mehr trägt. Deshalb ist es Zeit für den Begriff der sozialen Inklusion: Dabei geht es uns um ein konstruktives Zusammenleben aller bei uns lebenden Menschen, ob das nun dauerhaft oder vorübergehend sein mag. Alle bei uns lebenden Menschen sollten in unsere Gesellschaft einbezogen werden und Partizipationschancen erhalten. Wir fügen das Wort sozial an das Wort Inklusion, um zu verdeutlichen, dass es uns eher um die grundsätzliche Haltung der Zugehörigkeit geht, die die gesamte Gesellschaft angeht, als um die »Inklusion« oder »Integration« einzelner Personengruppen. Soziale Inklusion entsteht nicht von selbst. Sie braucht Fürsprecher und muss Wege in die Gesellschaft ebnen. Einige dieser Fürsprecher und Wege wollen wir im Folgenden vorstellen. Dazu zählt zunächst das Netzwerk Jahresbericht 2012 für Integration und Migration in Sachsen (NIMS), das im vergangenen Jahr detailliert zum Thema »Inklusion« gearbeitet hat. Viele Initiativen und Akteure des Netzwerkes verfolgen bereits aktiv einen inklusiven Ansatz bei ihrer Arbeit. Verständigung und der Zugang zum Spracherwerb sind wichtige Grundlagen sozialer Inklusion. Das gilt aus unserer Sicht auch für Asylbewerber und Geduldete, die keinen Anspruch auf Integrations- oder Sprachkurse haben. Aus diesem Grund haben wir allen Asylbewerberheimen Sprachregale mit Wörterbüchern in verschiedenen Sprachen zur Verfügung gestellt. Außerdem haben wir unsere Broschüre »Deutsch für alle – 99 Wege zur deutschen Sprache« neu aufgelegt und mit einer Kurzfassung in verschiedenen Sprachen ergänzt. Wir haben gemeinsam mit den kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten (KAIB) und anderen Akteuren eine Orientierungshilfe zusammengestellt, die zeigt, wie sich Asylsuchende von Beginn an bei uns zurechtfinden können. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Des Weiteren finden Sie in diesem Kapitel die Ergebnisse der Arbeit der Sächsischen Härtefallkommission. »Mitmenschlichkeit zeigen« – unter dieser Überschrift sehen wir die Arbeit dieser Kommission, für deren Wirken wir hiermit werben wollen. 35 2.1 Soziale Inklusion von Asylsuchenden: Empfehlungen des Netzwerkes Integration und Migration Sachsen (NIMS) Beim ersten Netzwerktreffen 2012 setzte sich das NIMS detailliert mit dem Thema »Soziale Inklusion von Asylsuchenden« auseinander. Die Mitglieder arbeiteten die wichtigsten Handlungsfelder sozialer Inklusion von Asylsuchenden heraus, informierten über konkrete Initiativen und erarbeiteten konkrete Empfehlungen, die im Folgenden nachzulesen sind. 2.1.1 Soziale Inklusion von Asylsuchenden Das NIMS ist ein landesweit agierendes Netzwerk, das sich auf Initiative des Sächsischen Ausländerbeauftragten vor zwei Jahren gegründet hat und sich halbjährlich trifft. In seinen Treffen widmet sich das NIMS sächsischen oder überregional relevanten Fachthemen, die auch mit der Unterstützung von externen Referenten diskutiert werden. Darüber hinaus ist der Austausch wesentlich für diese Netzwerktreffen, der zu einem besseren Informationsfluss und der gegenseitigen Stärkung dient. Eingeladen zu den NIMS-Treffen sind Akteure aus Sachsen, die sich im Bereich »Integration und Migration« konstruktiv engagieren. Der Kreis der Teilnehmenden ist immer offen für neue Aktive, die sich bei Interesse auch gern in der Geschäftsstelle des Sächsischen Ausländerbeauftragten melden können. 36 Asylsuchende sind von den meisten Integrationsmaßnahmen ausgeschlossen. Trotzdem haben sie Rechte und Pflichten in unserer Gesellschaft. Sie haben das Recht auf Einhaltung der Menschenrechte und der Menschenwürde, auf Schul- und Bildungszugang bis zu einem gewissen Alter und auf einen beschränkten Arbeitsmarktzugang. Auf der anderen Seite haben sie auch Pflichten: Wir erwarten von ihnen die Einhaltung von Recht und Gesetz, wir erwarten, dass sie sich gemäß unserer Alltagsregeln verhalten, und wir haben die Verpflichtung, ihnen den Zugang zu diesen Dingen zu vermitteln. 2.1.2 Handlungsfelder sozialer Inklusion Gleichzeitig sind Asylsuchende auch im Alltag unsere Mitmenschen: sie sind unsere Nachbarn, die »Miteltern« unserer Kinder Jahresbericht 2012 in der Schule, Mitglieder in den Vereinen, Ratsuchende in Behörden und Beratungsstellen, sie stehen mit uns beim Einkaufen und teilen sich mit uns öffentliche Räume. In all diesen Bereichen geht es um ein konstruktives Miteinander aller hier lebenden Menschen – und dieses Miteinander braucht aktive Gestaltung: Sowohl von Seiten der Zivilgesellschaft (Vereine, Projekte, kommunale Initiativen) als auch von Seiten des Staates (z. B. Bildungsbereich). Aus Sicht des NIMS sind für die soziale Inklusion von Asylsuchenden verschiedene Handlungsfelder relevant, so z. B. die menschenwürdige Unterbringung von Asylsuchenden und die Unterstützung durch qualifizierte Sozialarbeit, die Unterstützung beim Spracherwerb und bei der Fortführung der mitgebrachten Bildung, die Begleitung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Schule und die Unterstützung der Eltern, die Unterstützung beim Übergang von Schule zu Beruf, die Integration in den Arbeitsmarkt, die Vermittlung bei Konflikten und die Orientierung in Gesundheitsfragen. Das Netzwerk arbeitete für ausgewählte Felder konkrete Handlungsempfehlungen aus, die hier wiedergegeben werden. schulzentren – vor allen in den Landkreisen – um mitgebrachte Bildung weiterführen zu können • Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen, damit Asylbewerber auch die Möglichkeit der Teilnahme an staatlich geförderten Sprachkursen bekommen • Bessere Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Mittel aus Europäischem Flüchtlingsfonds (EFF) und Europäischer Sozialfonds (ESF), z. B. durch Vor- und Kofinanzierung auf Bundes- und Landesebene • Gute Praxisbeispiele bekannt machen • Workshops zum Erfahrungsaustausch anbieten • Kooperation zur Lösung von konkreten Einzelfällen verstärken Spracherwerb unterstützen • Aktive und personenbezogene Sprachvermittlung ab dem ersten Tag anstreben • Alphabetisierungskurse und Wege zum zweiten Bildungsweg für gering Beschulte einrichten • Unterstützungsmöglichkeiten beim Spracherwerb sollten auch für die über 27-Jährigen ausgebaut werden, z.B. über Vereine. Zunehmend bestehen freiwillige Angebote in größeren Kommunen • Ausbau der Vorbereitungsklassen mit berufspraktischen Aspekten an Berufsw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 37 • (Weiter)Entwicklung eines vorhandenen wirksamen Instruments zur verwertbaren/ anknüpfbaren Kompetenzfeststellung des Bildungsstandes bei Asylsuchenden • Kooperation der zuständigen Behörden sowie Austausch zwischen den Behörden stärken • Überregionale Best-Practice bekanntmachen, z. B. über Newsletter • Regionale Anpassungsqualifizierungen anbieten • Beratungen und umfassende Informationen über Bildungswege in Deutschland von Anfang an anbieten • In Einzelfällen Arbeit mit Bildungsbiographien heranziehen, um Anschluss an das deutsche Bildungssystem zu ermöglichen Arbeitsmarktintegration verbessern Schulische Integration fördern • Kita-Besuche sollten auch bei Kindern von Asylsuchenden als Schulvorbereitung genutzt und gefördert werden • Hinweise zur Schulpflicht bei der Zuweisung müssen konsequent kommuniziert werden • Übergänge z. B. zwischen Schule und Berufsschule müssen begleitet werden • Fahrtkosten zu den Vorbereitungsklassen sollten finanziell unterstützt werden • Erzieher verstärkt zum Thema interkulturelle Vielfalt weiterbilden • Mehr Elternberatung anbieten • Zusammenarbeit zwischen Schule und Sozialarbeitern verbessern • Erwachsenenbildung über ESF-Programme fördern Fortführung der mitgebrachten Bildung ermöglichen • Die mitgebrachte Bildung der Asylsuchenden sollte bei der Zuweisung in die Gemeinschaftsunterkunft beachtet werden, damit weitere Bildung auch sozialräumlich ermöglicht werden kann • In der Öffentlichkeit Willen zur Anerkennung und Fortführung der mitgebrachten Bildung stärken • Entscheidungsträger ermutigen, ihre Ermessensspielräume im Sinne der Fortführung der mitgebrachten Bildung zu nutzen 38 Jahresbericht 2012 • Förderung über ESF-Programme ausbauen und deren Mittel aktiv nutzen • Zugang zu Arbeit von Anfang an ermöglichen • Einstellung von Personal mit Migrationserfahrung und Fremdsprachenkenntnissen, z. B. Migranten als Erzieher in Bildungseinrichtungen • Mehr Schulungen für die Mitarbeitenden in den zuständigen Regionalinstitutionen zum Thema Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende und andere Flüchtlinge Dezentrale Unterbringung ermöglichen • Möglichkeiten finden, wie Asylbewerber bei der Wohnungssuche mitwirken können • Zeitlich begrenzte zentrale Unterbringung für max. ein Jahr für alle prüfen • Sozialpädagogische Begleitung und Betreuung anbieten w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e • Kooperation zwischen Landkreisen und kommunalen Wohnungsgesellschaften ausbauen • Angemessene Erstausstattung für Wohnungen gewährleisten Qualifizierte Betreuung durch Sozialarbeit • Persönliche Beziehung zu den Bewohnern der Gemeinschaftsunterkünfte und den dezentral lebenden Familien aufbauen • Begleitung bei Behördengängen anbieten • Angebote zur Einführung in Demokratie, alltägliche Umgangsregeln und für gegenseitigen Respekt schaffen • Angebote für Freizeit in der Stadt und bei den Netzwerken schaffen • Heimbeiräte mit Heimbewohnern, Heimleitung und Sozialarbeiter bilden • Sprachliche und interkulturelle Kompetenz bei allen Mitarbeitenden erhöhen • Sozialarbeiter sollte nicht durch Heimbetreiber angestellt sein 2.1.3 Die Chance des Gestaltens Die Teilnehmenden des Netzwerktreffens plädierten für eine Anerkennung der Realitäten. Für die Kommunen sei das Miteinander von Mehrheitsgesellschaft und Asylsuchenden Lebensrealität – die im eigenen Interesse gestaltet werden müsse. Die rechtlich beförderte Separierung halte der Realität von Alltagskontakten nicht stand. In der Schule seien Asylsuchende zunächst einmal Eltern und auch im Alltag könne man nicht unterscheiden, ob es sich um Fachkräfte oder Flüchtlinge handele. Es sei deshalb besser, die Handlungsfelder aktiv zu gestalten, als sie dem Selbstlauf zu überlassen. 39 2.2 Ein Inklusionsaspekt: Wege zur deutschen Sprache und Wege zur Verständigung Das Miteinander-Sprechen-können ist einer der Grundpfeiler eines verständigen Miteinanders. Deshalb gehen wir davon aus, dass Zuwanderer, die aus verschiedenen Gründen zu uns kommen, Deutsch lernen. Das ist richtig und trotzdem nur ein Stück der ganzen Geschichte. Verständigung braucht beide Seiten Denn zu dieser Geschichte gehört auch, dass wir uns vergegenwärtigen, dass die derzeitige Praxis unserer Sprachförderung viele Migranten von Deutschkursen und 40 einer Unterstützung beim Lernen ausschließt. Derzeit hat nur der Ausländer einen Anspruch auf Sprach- bzw. Integrationskurse, der einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat. Das bedeutet, dass beispielsweise Asylsuchende oder Geduldete keine Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache bekommen. Auf der anderen Seite erwarten wir im täglichen Leben, dass sich alle Migranten gesellschaftskonform verhalten, dass sie bei Behörden mitwirken und die Amtssprache Deutsch beherrschen. Das schafft eine schizophrene Situation, die wir im Interesse eines konstruktiven Zusammenlebens überdenken sollten. Denn wir sollten daran interessiert sein, dass alle Zuwanderer und Asylsuchenden eine Chance bekommen, Deutsch zu lernen. Ihr Vermögen, Deutsch zu sprechen und unsere Bereitschaft, mit ihnen zu kommunizieren, auch wenn sie noch nicht perfekt Deutsch sprechen, ist die Basis unserer Verständigung und eines konstruktiven Zusammenlebens. Wir Deutsche haben häufig überhöhte Erwartungen an die Perfektion dessen, der unsere Sprache lernt. Wenn einer hier lebt, soll er auch »richtig« Deutsch sprechen können. Das stimmt dem Grunde nach, aber im Detail ist es falsch. Denn das Erlernen einer Sprache ist eine lebenslange Aufgabe. Man ist nie wirklich fertig damit, man kann aber immer besser werden. Die wenigsten von uns beherrschen mehrere Sprachen auf muttersprachlichem Niveau. Und warum nehmen Jahresbericht 2012 wir eigentlich einen Akzent als einen Makel wahr? Er könnte uns genauso gut als Indiz dienen, dass jemand nicht nur deutsch, sondern noch mindestens eine andere Sprache spricht. Mehrsprachigkeit ist ein Potential! Und echte Verständigung braucht beide Seiten – es braucht den, der Deutsch lernt und den, der bereit ist, auch das nicht perfekte Deutsch verstehen zu wollen. »Deutsch für alle« auf neuen Wegen Anfang 2012 haben wir in unserer Geschäftsstelle erstmals die Broschüre »Deutsch für alle – 99 Wege zur deutschen Sprache« herausgegeben. Mit dieser Broschüre verfolgen wir zwei Ziele: Zum einen wollen wir zum Deutschlernen ermutigen und zeigen, dass man auch ohne professionellen Sprachkurs aktiv werden kann und nicht warten sollte, bis man Zugang zu einem solchen Kurs bekommt. Gleichzeitig wollen wir Verständnis dafür wecken, dass das Erlernen einer w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Sprache nicht von heute auf morgen möglich ist, sondern Zeit und Unterstützung braucht. Die Broschüre richtet sich an Menschen, die über (Vor-)Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und sich autodidaktisch oder gemeinsam mit anderen die deutsche Sprache aneignen wollen. Sie kann auch als Ergänzung zu Sprach- und Integrationskursen dienen. Diejenigen, die anderen beim Spracherwerb helfen oder ihnen Tipps geben wollen, können von der Broschüre profitieren, da sie sich Anregungen für alltagspraktische Tipps und das Üben der Sprache holen können. Sie vermittelt für die Bereiche »Lesen und Verstehen«, »Hören und Verstehen«, »Sprechen« und »Schreiben« verschiedene Hinweise, um diese Fertigkeiten und Fähigkeiten beim Deutschlernen auszubauen und zu schulen. Darüber hinaus sind Anregungen zum Spracherwerb im Alltag, in der Öffentlichkeit und im sozialen Miteinander enthalten. Die Broschüre ist bei Asylsuchenden, Vereinen, Sprachkursträgern, kommunalen Beauftragten und Beratungsstellen auf großes 41 Interesse gestoßen. Die vielen Hinweise auf mögliche Verbesserungen haben wir in eine Neuauflage fließen lassen, die wir auch noch einmal sprachlich vereinfacht haben. Schritte« sind kostenfrei in der Geschäftsstelle des Sächsischen Ausländerbeauftragten zu beziehen. Sprachregale in Gemeinschaftsunterkünfte Unterstützung für die ersten Schritte Außerdem haben wir 2012 einen zusätzlichen Flyer entwickelt. »Deutsch für alle: Erste Schritte« richtet sich an diejenigen, die über keine oder sehr geringe Deutschkenntnisse verfügen. Der Flyer enthält fünf Tipps, wie man mit dem Deutsch lernen anfangen kann. Er wurde in sechs Sprachen (Vietnamesisch, Russisch, Arabisch, Englisch, Französisch und Farsi) übersetzt, um von möglichst vielen Menschen, die sich dem Deutschlernen annähern wollen, verstanden zu werden. Die Umsetzung und das Ausprobieren der Tipps kann denjenigen, die sich gerade beginnen zu orientieren, schnelle Wege und Möglichkeiten aufzeigen, diesen »Zauber des Anfangs« nicht verloren gehen zu lassen. Denn der erste Enthusiasmus und die Neugier sollten im Sinne des Miteinanders aller Menschen in Sachsen unterstützt und gefördert werden. Die Broschüre »Deutsch für alle – 99 Wege zur deutschen Sprache« und der Flyer »Deutsch für alle: Erste 42 Das Klima in den Gemeinschaftsunterkünften hängt unter anderem auch davon ab, wie gut sich die Bewohner untereinander und mit dem Heimpersonal verständigen können. Auch für das konstruktive Miteinander mit den unmittelbaren Nachbarn oder für die Begleitung der schulpflichtigen Kinder ist das Erlernen der deutschen Sprache essentiell. Sprachkurse werden nur in einigen Heimen angeboten, das Erlernen der deutschen Sprache sollte aber bei allen Asylsuchenden gefördert werden. Deshalb haben wir 2012 eine Bücheraktion gestartet. Gemeinsam mit den kommunalen Beauftragten und den Heimbetreibern haben wir alle sächsischen Gemeinschaftsunterkünfte mit einem Sprachregal ausgestattet, das neben der Broschüre »Deutsch für alle – 99 Wege zur deutschen Sprache« auch Wörterbücher in neun Sprachen enthält. Außerdem gibt es für die ersten Lernanfänge ein Bildwörterbuch, in dem Alltagsgegenstände abgebildet und benannt sind und ein Kompaktwörterbuch »Deutsch als Fremdsprache«. Ganz neu hinzugekommen ist ein Gesundheitswörterbuch mit Bildern, welches den Heimbewohnern den Gang zum Arzt oder zur Apotheke erleichtern soll. Mit dieser Ausstattung sollen Mindestbedingungen geschaffen werden, die das Verständigen und das Sprachenlernen erst ermöglichen. Die ersten Heime, die mit Sprachregalen ausgestattet wurden, waren die Gemeinschaftsunterkünfte im Landkreis Zwickau. Hier wurden die Bücher und das Sprachregal am 16.03.2012 überreicht. Der Gebrauch und der Umgang mit den Sprachregalen in den GemeinschaftsunterJahresbericht 2012 künften sind unterschiedlich. In einigen Unterkünften wird die Buchausleihe über eine Kaution geregelt. Andere Heime arbeiten mit Ausleihlisten. Wir wissen von den meisten Unterkünften, dass die Sprachregale gut angenommen und genutzt werden. Wir freuen uns, dass die Bewohner diese Chance wahrnehmen, Deutsch zu lernen. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Viele Gemeinschaftsunterkünfte füllen die Regale auch selber mit weiteren Büchern auf. Außerdem werden die Bücher in einigen Heimen auch in Sprachkursen genutzt. Deutsch zu lernen ist ein wichtiger Schritt zur Verständigung – mit dem »Sprachregal« konnten wir diesen Schritt in den Gemeinschaftsunterkünften nachhaltig unterstützen. 43 2.3 Orientierungshilfe für Asylsuchende Kennen Sie das? Sie sind umgezogen und noch nichts ist so, wie es sein soll? Sie müssen aufs Amt, sich anmelden, Sie müssen die Post, Strom und Telefon ummelden. Die Kinder müssen auf dem neuen Schulweg begleitet werden, haben neue Mitschüler, neue Lehrer und damit neue Fragen und Probleme. Sie kennen Ihre neuen Nachbarn noch nicht und wissen auch nicht genau, wie Sie auf sie zugehen sollen. Das Essen muss auch noch gekocht werden, aber Sie wissen noch nicht mal, wo der nächste Laden ist. Alles ist noch in Kisten oder Taschen verpackt und das Bett ist auch noch nicht aufgebaut. Oder erinnern Sie sich an die Wiedervereinigung. Sie kannten weder das neue Geld noch die Produkte, die in den Regalen standen. Fahrscheine in Bus und Bahn sahen auf einmal anders aus. Neue Formulare, neue Begriffe, neue Gesetze, neue Vorgesetzte, neue Regeln – alles neu. Und nun versuchen Sie sich vorzustellen, Sie müssten all das in einem anderen Land, in das Sie geflohen sind, verstehen. Sie wissen, dass Sie ein ungebetener Gast sind. Sie kennen weder die Sprache noch die kulturellen Gepflogenheiten des Landes, Sie wissen nicht, ob Sie bleiben dürfen. Hinter Ihnen liegen Flucht, Vertreibung, Trennung von ihrer Familie, von Freunden, Sie haben Schreckliches erlebt – niemand entwurzelt sich ohne Grund. Und nun sind Sie in Deutschland, in Sachsen. Alles ist neu und unbekannt. Sie sind wieder ganz auf sich allein gestellt, 44 bekommen ein Dach über den Kopf, etwas Geld, viele Anweisungen und wenig Erklärungen. Hausordnung, Asylantrag, Mitwirkung, Residenzpflicht, Duldung, Sozialamt, Schulbehörde, Fahrscheinentwerter, Mülltrennung, Energiesparen – verstehen Sie, was man von Ihnen will? Sie können kein Deutsch, sollen es aber auch nicht lernen, weil ja nicht sicher ist, ob Sie bleiben dürfen. Können Sie sich richtig verhalten, wenn Sie weder die Wörter, noch die damit verbundenen Erwartungen verstehen? Wir haben in den vorigen Kapiteln über den Stellenwert des Erlernens der deutschen Sprache gesprochen. »Deutsch für alle« – das bezieht Asylsuchende ausdrücklich mit ein und ist aus unserer Sicht eine wesentliche Voraussetzung für die soziale Inklusion von Asylsuchenden. Eine andere wichtige Voraussetzung ist die aktive Vermittlung von adäquaten Informationen. Viele Asylsuchende wissen nicht genau, wie sie sich hier in Deutschland »richtig« verhalten sollen. Sie bringen eigene kulturelle Gepflogenheiten mit, die leicht mit anderen kollidieren können. Vielfach können sie aufgrund der sprachlichen und kulturellen Barrieren Situationen nicht umfassend genug verstehen und es kommt zu Missverständnissen oder unangemessenem Handlungsweisen. Das erzeugt leicht schnell Frustrationen auf beiden Seiten und führt häufig zu eigentlich vermeidbaren Konflikten. Im schlimmsten Fall machen sich Asylsuchende aus Unwissenheit strafbar – z. B. wenn sie Jahresbericht 2012 unwissentlich die Auflagen der »Residenzpflicht« verletzen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln ein Ticket mit dem falschen Tarif gewählt haben. Auch in Behörden kommt es immer wieder zu typischen Situationen, die von Asylsuchenden aus Unkenntnis falsch eingeschätzt werden und die Mitarbeitenden überfordern. Hier lohnt ein präventiver Ansatz, der einerseits mit gezielter Information Missverständnisse einzudämmen versucht und andererseits die Mitarbeitenden entlastet, weil sie die einzelne Situation in ihren kulturellen Kontext stellen können. Diesen Ansatz verfolgen bereits einige sächsische Kommunen mit speziellem Informationsmaterial. Die Hinweisblätter beinhalten wichtige Adressen, geben Hinweise zum alltäglichen Leben und helfen den Asylsuchenden insgesamt, sich besser zurechtzufinden. Diesem präventiven Ansatz entspricht auch die »Orientierungshilfe für Asylsuchende«, die die kommunalen Ausländerund Integrationsbeauftragten und der Sächw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e sische Ausländerbeauftragte gemeinsam mit anderen Akteuren 2012 erarbeitet haben. Der Impuls für diese Orientierungshilfe stammt von der Ordnungsamtsleiterin des Landkreises Sächsische Schweiz – Osterzgebirge, Kerstin Körner. Sie setzt darauf, dass Information ein wirksamer präventiver Ansatz für die Vermeidung von Konflikten und von unbeabsichtigten Straftaten ist und auch die Arbeit ihrer Mitarbeitenden in der Ausländerbehörde erleichtern wird. Die »Orientierungshilfe für Asylsuchende« verfolgt deshalb eine doppelte Strategie: Sie ist eine erste Unterstützung für Asylsuchende und soll ihren Lebensalltag in Sachsen vereinfachen. Sie ersetzt keine professionelle Beratung, gibt aber hilfreiche Tipps und Hinweise. Gleichzeitig ist sie Teil einer präventiven Ordnungspolitik, die versucht, Missverständnisse und gesetzwidriges Verhalten zu vermeiden und Konflikte vor ihrem Entstehen einzudämmen. Die Orientierungshilfe ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil soll auf die jeweilige 45 interkulturellen »Stolpersteine« und konstruktive Verhaltensweisen, mit denen sie sich umgehen lassen. Eine kleine Auswahl finden sie hier. Region (Landkreis, Kommune) zugeschnitten sein und die relevanten Adressen von Behörden, Ansprechpartnern und Beratungsstellen vor Ort enthalten. Der zweite Teil enthält konkrete Hinweise und Vorschläge für angemessene Verhaltensweisen, die aus Sicht der Praktiker geeignet sind, Situationen konstruktiv zu gestalten. Die Ordnung dieser Hinweise folgt den typischen Lebensbereichen von Asylsuchenden in Sachsen. Dazu zählen zum Beispiel: • Hinweise zu Wohnen und Unterkunft • Deutsch lernen • Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln • Konstruktive Zusammenarbeit mit Behörden • Umgang mit Geld • Medizinische Versorgung • Kindergarten und Schulbesuch • Ausbildung und Beruf • Rückreise in das Herkunftsland • Allgemeine Rechte und Pflichten 46 Orientierung in Behörden Gerade auch die Erwartungen und Anforderungen deutscher Behörden sind Herausforderungen für Asylsuchende, die in der Regel kein Deutsch sprechen und die nach geltender Gesetzeslage auch nicht Deutsch lernen sollen. Deutsch ist Amtssprache, und es wird von ihnen erwartet, dass sie sich entsprechend verständigen können. Gleichzeitig ist jeder Kontakt auf der Be-hörde ein Kontakt zwischen Vertretern unterschiedlicher Kulturen – und in einem solchen Kontakt sind interkulturelle Missverständnisse vorprogrammiert. Während sich auf der einen Seite Behörden weiter interkulturell öffnen werden und die Mitarbeitenden zunehmend interkulturelle Kompetenzen aufbauen werden, sollten auf der anderen Seite Anlässe für solche Missverständnisse durch gezielte Informationen ausgeräumt werden. Deshalb enthält die Orientierungshilfe auch Hin-weise auf solche typischen Jahresbericht 2012 • Die Amtssprache ist Deutsch. Wenn Sie Hilfe bei der Sprachmittlung benötigen, können Sie aber einen Dolmetscher oder Ihre Vertrauensperson mitnehmen. • Die typische Anredeform in Behörden ist die »Siezform«. Bitte verwenden Sie das höfliche »Sie« den Personen gegenüber, mit denen Sie nicht verwandt und nicht befreundet sind. Daran sollte sich auch Ihr Gegenüber orientieren. • Die Mitarbeiter von Behörden und anderen Einrichtungen dürfen keine eschenke annehmen. Das wird in Deutschland bestraft. Bitte haben Sie Verständnis, wenn Ihr Geschenk nicht angenommen werden kann. • Wenn Sie einen Brief mit einer Einladung oder Vorladung zur Behörde haben, nehmen Sie den Brief zum Termin immer mit. • Bei Vorladungen in Behörden sollen in der Regel nur die eingeladenen Personen kommen. • Pünktlichkeit und die Einhaltung von Terminen erleichtern unser Zusammenleben. • Bei allen Fragen zu Ihrem Aufenthalt können Sie sich jederzeit an die Ausländerbehörde wenden. Haben Sie keine Angst davor, Fragen zu stellen. Nachfragen dürfen und sollten jederzeit gestellt werden. Die zuständigen Mitarbeiter sind gern bereit, Ihnen die Fragen zu beantworten. • Sie sind verpflichtet bei der Zusammenarbeit mit Behörden aktiv mitzuarbeiten und die notwendigen Informationen, Dokumente und Urkunden vorzulegen. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Orientierung in Gesundheitsfragen Ein wichtiger Aspekt im Leben eines Asylsuchenden ist auch die medizinische Versorgung, deren Regelungen in der Praxis oft Schwierigkeiten bereiten. Die derzeitige Gesetzeslage sieht vor, dass zur Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzustände die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung zu gewähren sind. Dazu zählen auch die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen. Damit der Asylbewerber von einem Arzt behandelt wird, muss er in der Regel zunächst einen Krankenschein beantragen. Dabei kann es vorkommen, dass die zuständigen Behörden Anträge ablehnen oder gar nicht erst annehmen, weil sie der Meinung sind, die Krankheit sei nicht akut, sondern chronisch. Probleme gibt es in der Praxis vor allem mit Heil- und Hilfsmitteln wie Brillen, Hörgeräten, Prothesen, Rollstühlen, aber auch mit Medikamenten und Operationen. Ein weiteres Problem kann die Verständigung sein. Wenn sich ein Asylbewerber nicht richtig verständigen kann oder wenn Familienmitglieder übersetzen müssen, kann es durch sprachliche Missverständnisse zu Fehlbehandlungen kommen, im schlimmsten Fall auch dazu, dass der Patient gar nicht behandelt wird. Unklar ist auch, inwieweit sich Asylsuchende die Ärzte selber aussuchen dürfen, obwohl theoretisch freie Arztwahl besteht. Wenn »Menschen ohne Papiere« erkranken, gehen sie aus Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden, oftmals erst sehr spät zum Arzt. Das kann in einem medizinischen Notfall enden. Die Sächsische Landesärztekammer informiert deshalb in einer neuen Broschüre über die Rechtslage der medizinischen Behandlung von Menschen ohne gesi- 47 cherten Aufenthaltsstatus. Das Heft enthält ferner Informationen zu den Möglichkeiten der Kostenerstattung sowie Adressen von sächsischen Beratungsangeboten zu diesem Thema. Neben den allgemeinen Hinweisen zur ärztlichen Versorgung, zur Gesundheitsvorsorge und zur Behandlung von ansteckenden Krankheiten geht die Orientierungshilfe auch auf die Therapiemöglichkeiten bei Traumatisierung und psychischen Problemen ein. Eine Auswahl der Hinweise finden sie hier: Wenn Sie oder jemand in Ihrem Umfeld unter starken Ängsten, Alpträumen, Depressionen oder Ähnlichem leidet, wenden Sie sich an einen Arzt Ihres Vertrauens. Er kann Sie an eine geeignete Psychotherapie weitervermitteln. In Leipzig, Dresden und Chemnitz können über Projekte, z. B. den Sprachmittlerpool in Chemnitz, das SprInt Projekt in Leipzig oder den Gemeindedolmetscherdienst in Dresden Sprachmittler und zum Teil Dolmetscher für die Begleitung zu Therapien in Anspruch genommen werden. In Einzelfällen besteht die 48 Möglichkeit, dass die Kosten von der zuständigen Behörde oder einem Verein übernommen werden. Für die Kostenübernahme der Therapiestunden bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten brauchen Sie einen Krankenschein von der zuständigen Behörde. Es kann sein, dass ein Amtsarzt zur Beurteilung Ihrer Behandlungsbedürftigkeit hinzugezogen wird. Ebenso können Sie sich in Dresden an den Sächsischen Flüchtlingsrat e. V. und in Leipzig an Caktus e. V. wenden. Die Menschenrechtsinitiative Medinetz Dresden e. V. vermittelt anonym und kostenlos medizinische Hilfe für Flüchtlinge und Migranten ohne Aufenthaltsstatus. 2013: Es geht weiter Die »Orientierungshilfe für Asylsuchende« wurde bereits in sechs Sprachen (Englisch, Französisch, Russisch, Farsi, Arabisch, Vietnamesisch) übersetzt. Der Inhalt der Orientierungshilfe ist derzeit allen kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten zugänglich. Jahresbericht 2012 2.4 Die sächsische Härtefallkommission: Mitmenschlichkeit zeigen Bei der Bearbeitung von Ausländerangelegenheiten sind die Verwaltungsbehörden wie in allen anderen Bereichen auch an Recht und Gesetz gebunden. Auch wenn die gesetzlichen Regelungen des Asylverfahrens von ihrer Grundintention her darauf angelegt sind, im Interesse aller Beteiligten zügig klare Verhältnisse zu schaffen, also rasch zu entscheiden, wer in Deutschland bleiben kann und wer ins Herkunftsland zurückkehren muss, kann gerade die Bindung an Recht und Gesetz diese Entscheidung verzögern. So gibt es immer wieder Konstellationen, in denen entweder die Asylverfahren Jahre dauern oder eine Rückkehr der Betroffenen aus bestimmten rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist. Im Ergebnis leben diese Menschen ohne Klarheit über ihren endgültigen Status viele Jahre bei uns. Werden die Verfahren für die Antragsteller negativ abgeschlossen oder die Rückreisehindernisse fallen weg, sind die Betreffenden zur Ausreise verpflichtet. Die Durchsetzung der Ausreisepflicht durch die Behörden kann aber für die Betroffenen und ihre Familien eine besondere menschliche Härte darstellen. Ein Beispiel dafür ist, wenn Kinder der Ausreisepflichtigen während des langjährigen Aufenthalts in Deutschland geboren worden sind, mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind, in Schulen und Vereinen fest angebunden sind und weder die Heimat noch die Sprache der Eltern kennengelernt haben. In einem solchen Fall wäre es nahezu unzumutw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e bar und deshalb eine außergewöhnliche Härte, auf der Ausreise der Familie zu bestehen. Für solche humanitären Konstellationen hat der Bundesgesetzgeber eine Regelung geschaffen, nach der Menschen in Deutschland bleiben können, auch wenn das Aufenthaltsrecht das so nicht vorsieht: Die Länder können Härtefallkommissionen einrichten, auf deren Ersuchen hin das zuständige Landesministerium im Einzelfall abweichend von den eigentlich dafür festgelegten gesetzlichen Voraussetzungen bestimmen kann, dass die zuständige Behörde einen Aufenthaltstitel zu erteilen hat. Im Freistaat Sachen gibt es die Sächsische Härtefallkommission seit 2005. Die Mitglieder der Härtefallkommission kommen aus verschiedenen Bereichen; Wohlfahrtsorganisationen, Kirchen und Ausländerinitiativen sind ebenso vertreten wie die Verwaltung. Die Härtefallkommission hat den Sächsischen Ausländerbeauftragten zu ihrem Vorsitzenden gewählt.3 3 Die Mitglieder der Härtefallkommission finden Sie in der Dokumentation zum Bericht. 49 Verfahren der Härtefallkommission Grundsätzlich steht es allen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern offen, sich um eine Behandlung ihres Falles in der Kommission zu bemühen. Da nur ein Mitglied der Härtefallkommission selbst einen Antrag in das Gremium einbringen kann, muss es den Betreffenden oder ihren Unterstützern gelingen, ein Kommissionsmitglied für ihr Anliegen zu gewinnen. Natürlich können die Kommissionsmitglieder, das Einverständnis der betreffenden Ausländer vorausgesetzt, auch von sich aus die Initiative ergreifen. Wichtig dabei ist, dass die Betroffenen alle Lebensumstände offenlegen, aus denen humanitäre und persönliche Gründe für den weiteren Aufenthalt ableitbar sind. Dazu gehören die Identität, Angaben zum bisherigen Aufenthalt, zur Familiensituation, zum Gesundheitszustand, zur Berufstätigkeit bzw. beruflichen Qualifikation, zur Ausbildungssituation bzw. zum Besuch von Kindertageseinrichtungen, zu weiteren Familienangehörigen in Deutschland, zur Mitgliedschaft bzw. 50 zum Engagement in Religionsgemeinschaften und Vereinen und anderem mehr. Die Angaben sollten nach Möglichkeit belegt werden. Sie werden innerhalb der Kommission vertraulich behandelt. Im Härtefallantrag selbst werden nur diejenigen Tatsachen auftauchen, die dafür von Bedeutung sind. Das tätige Kommissionsmitglied wird kein Härtefallverfahren einleiten, wenn keine Aussicht auf Erfolg besteht. Gleiches gilt, wenn zwingende Ausschlussgründe nach der geltenden Rechtsverordnung vorliegen. Das ist z. B. dann der Fall, wenn der Ausländer gravierende Straftaten begangen hat. Wenn das Mitglied einen Härtefallantrag stellt, tritt für die Dauer des Verfahrens ein Abschiebestopp ein. Die Kommission beurteilt, ob dringende humanitäre oder persönliche Gründe vorliegen, die den weiteren Aufenthalt in Deutschland rechtfertigen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Ausreise aus Deutschland eine besondere persönliche Härte darstellen würde. Die Frage der guten Integration in unsere Gesellschaft spielt regelmäßig eine wichtige Rolle. Jahresbericht 2012 Stellt die Kommission mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder solche humanitären oder persönlichen Gründe fest, bittet der Vorsitzende den Staatsminister des Innern, eine Aufenthaltserlaubnis zu veranlassen. Die letzte Entscheidung liegt beim Innenminister. Seine Entscheidung ist, wie das gesamte Verfahren vor der Härtefallkommission, gerichtlich nicht anfechtbar. Seit 2005, als die Sächsische Härtefallkommission eingerichtet wurde, haben 300 Personen auf diesem Weg eine Aufenthaltserlaubnis erhalten (Stichtag 07.12.2012). Im Jahr 2012 konnten 11 Anträge positiv beschieden werden, 20 Personen haben damit eine Aufenthaltserlaubnis bekommen (siehe Tabelle). Die Zahlen belegen den Erfolg der Härtefallkommission. Das Konzept ist auch bundesweit anerkannt. Es dürfte auch im Fall von weiteren Lockerungen des Aufenthaltsrechts seine Bedeutung behalten. Nur in der Härte- fallkommission werden Einzelschicksale unter vorrangig humanitären Gesichtspunkten betrachtet. So wird Raum für die Einzelfallgerechtigkeit eröffnet. Organisatorisches und neue Mitglieder Die Geschäftsstelle der Härtefallkommission ist seit dem 01.04.2012 organisatorisch nicht mehr dem Sächsischen Ausländerbeauftragten, sondern direkt dem Staatsministerium des Innern zugeordnet und unter folgender Adresse zu erreichen: Geschäftsstelle der Sächsischen Härtefallkommission im Sächsischen Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Straße 2 01097 Dresden HFK@smi.sachsen.de Jahresweise Übersicht (Fälle/Personen): 2005/6 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Befassung 43/120 11/26 16/49 20/61 20/77 26/63 15/33 Härtefallersuchen 25/90 9/23 15/37 15/44 17/61 21/51 Anordnung nach § 23a AufenthG 21/80 9/19 9/19 7/35 20/59 20/68 11/20 15/33 2012 trat Reinhard Boos an die Stelle von Martin Strunden, und Christoph Hindinger folgte Christiane Krebs nach. Reinhard Boos leitet (erneut) das Referat Ausländerangelegenheiten im Staatsministerium des Innern und gehörte der Härtefallkommission bereits die ersten zwei Jahre ihres Bestehens an. Christiane Krebs war stellvertretendes Gründungsmitglied und für das Amt des Sächsischen Ausländerbeauftragten bereits zuvor maßgeblich an der Einrichtung der Sächsischen Härtefallkommission beteiligt. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 51 3. Willkommensgesellschaft Sachsen: Was ausländische Fachkräfte sagen »You’ve come a long way, Babe«. Du bist ganz schön weit gekommen, meine Liebe – so lautete ein berühmter Spruch der Frauenbewegung in den USA. Man könnte das Gleiche über die Entwicklung Dresdens zu einem erstrangigen internationalen Wirtschaftsund Forschungsstandort sagen, an dem viele internationale Fachkräfte und Studenten zeitweise oder auf Dauer studieren, forschen und arbeiten. Viele Sachsen empfangen sie mit offenen Armen, arbeiten und leben ganz selbstverständlich mit ihnen zusammen, freuen sich über das Stück »weite Welt«, dass die Zuwanderer mit nach Sachsen bringen. Andere sind skeptisch und wundern sich, warum diese Menschen eigentlich zu uns kommen müssen oder wollen. Sie sind zwar stolz darauf, dass Sachsen auch als internationaler Standort an Attraktivität gewinnt, aber es gelingt ihnen (noch) nicht, diesen Stolz mit einem echten Willkommen gegenüber Zuwanderern zu verbinden. Das gilt im Übrigen noch für ganz Deutschland: Nach einer repräsentativen Studie der TNS Emnid Medien- und Sozialforschung GmbH ist Deutschland nach Ansicht der einheimischen Bevölkerung das attraktivste Land für hochqualifizierte Zuwanderer. Allerdings glaubt nur jeder zweite Deutsche, dass Zuwanderer von der örtlichen Bevölkerung eine freundliche Aufnahme erfahren.4 Sachsen als Willkommensgesellschaft, das ist ein Standortvorteil, an dem sich die 52 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Zukunft unseres Landes entscheidet. Die Öffnung unserer Gesellschaft gegenüber Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft macht Sachsen attraktiv – sowohl für die junge Generation, die wir gern in Sachsen halten wollen als auch für Zuwanderer aus aller Welt. Der bisherige wirtschaftliche Erfolg unseres Freistaates beruhte auf politischer Weitsicht, gesellschaftlichem Engagement und der großzügigen finanziellen Unterstützung durch Europa und die Bundesrepublik. Diese finanzielle Unterstützung wird in Zukunft deutlich geringer ausfallen. Gleichzeitig stehen wir absehbar vor einem Fachkräfteproblem. Wir sind nicht nur auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen, sondern auch darauf, denen, die bereits hier leben, den Zugang in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen – beispielsweise über eine verbesserte formale und praktische Anerkennung ihrer Abschlüsse. Ein wichtiger Schritt dafür ist aus unserer Sicht, dass wir qualifizierten Zuwanderern genau zuhören. Was ist ihre Sicht auf die Dinge? Was sollten wir ihrer Meinung nach tun, damit Sachsen ein attraktiver Standort für qualifizierte Fachkräfte aus aller Welt wird? 4 Willkommenskultur in Deutschland, Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage in Deutschland, TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, Dezember 2012 53 Wir haben dafür 2012 eine explorative Studie initiiert, die sich diesen Fragen aus Sicht ausländischer Wissenschaftler widmet, die derzeit in Dresden forschen und arbeiten. Durchgeführt wurde die Studie in unserem Auftrag von Malcolm Jackson von der University of Florida, der für sechs Monate in Dresden gelebt und gearbeitet hat. Malcolm Jackson interviewte für diese Studie 15 Wissenschaftler des Dresdner »Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik« (MPI-CBG). Die interviewten Forscher hatten unterschiedliche familiäre und kulturelle Hintergründe, kamen aus verschiedenen Ländern der EU ebenso wie aus Drittstaaten wie Russland, den USA oder Kolumbien. Die Leitfragen der Untersuchung waren: Wie willkommen fühlen sich die ausländischen Fachkräfte in Dresden? Wie geht es ihnen hier, mit welchen Hürden haben sie zu kämpfen, was hat sie positiv überrascht und welche Verbesserungen würden sie vorschlagen? Die Interviewten gaben Auskunft zu ihren Erfahrungen in Sachsen, von den ersten Begegnungen, ihrer Anmeldung im Einwohnermeldeamt bis hin zum heutigen Leben. Die Interviews erfassten neben Schwierigkeiten auch die Frage, wie Sachsen seinen Ruf als Willkommensgesellschaft auf- und ausbauen könnte und wie ein respektvolles Miteinander möglich ist. Was sehr erfreulich ist: Grundsätzlich empfinden alle Interviewten Dresden als attraktiven Ort zum Arbeiten und zum Leben. Gleichzeitig gaben sie eine Reihe von Anregungen für Verbesserungen, die das Ankommen und Leben in Sachsen deutlich erleichtern und die Attraktivität des Standortes weiter erhöhen würden. Wir sind der Überzeugung, dass die meisten Probleme gelöst werden können, wenn die entsprechenden Gesetze und Vorschriften wohlwollend und konstruktiv angewendet werden und sich unsere Behörden konse- 54 Anthony Hyman, Direktor am Max-PlanckInstituts für molekulare Zellbiologie und Genetik »Wir haben einen großartigen Anfang in diese Richtung gemacht. Wenn wir die Erfolgsgeschichte weiterschreiben wollen, brauchen wir Top-Leute aus aller Welt. Damit diese wirklich kommen und bleiben, braucht Deutschland neues Denken. Ich bin der Überzeugung, dass beherztes Handeln bezüglich der gemachten Anregungen dazu führt, dass noch mehr internationale Wissenschaftler Sachsen zu ihrer zweiten Heimat machen.« quent interkulturell öffnen und dienstleistungsorientiert handeln. Glücklicherweise ist das nur eine Frage des politischen Willens des Freistaates Sachsen. Dresden ist ein attraktiver Standort für internationale Fachkräfte Die Studie zeigt, dass Sachsen ein attraktiver und angenehmer Standort für ausländische Fachkräfte ist, wenn die anfänglichen Barrieren der Anerkennung überwunden sind. Die Stärken Sachsens als Zielort für internationale Fachkräfte sind unter anderem: Sachsens schöne Natur und seine Erreichbarkeit, Jahresbericht 2012 sein entspannter Lebensstil mit hoher Lebensqualität, die Wahrnehmung, dass seine soziale und wirtschaftliche Situation immer besser wird, und der Eindruck, dass das Land sehr familienfreundlich ist. »Für eine kleine Familie ist das hier der perfekte Ort.« Dieser Eindruck wurde von allen Interviewpartnern geteilt: Sachsen ist ein attraktiver Ort zum Leben. Im Vergleich zu anderen Forschungsorten in Europa bewerten die Befragten Dresden und Sachsen besonders gut, und zwar aufgrund der Lebensqualität, der sich ständig weiter entwickelnden Infrastruktur und Wirtschaft. Dresden bietet alle Vorzüge einer großen und gleichzeitig die Vorteile einer kleineren Stadt. Für Berufstätige ist diese Region ein guter Ort, um sich hier einen Sitz für die Familie zu schaffen. Es gibt viele gute Signale: Die hiesige Forschung und Wirtschaft wird gefördert, das Wachstum der sogenannten »Biopolis« als Forschungs- und Wirtschaftsstandort sowie das »Silicon Saxony« zeigt die Entwicklung. Die Wahrnehmung der Befragten ist, dass sich Sachsen im langfristigen Aufstieg befindet. Der eigentliche Grund, nach Dresden zu kommen, liegt aber in der Attraktivität des Institutes, an dem die Interviewpartner arbeiten. »Ich mag Dresden... aber ich kann nicht sagen, dass ich hier auf lange Sicht bleiben kann; denn ich habe einen Zeitvertrag. Wenn der vorbei ist, werde ich nach links und rechts schauen, ob es dort Arbeit gibt. Ich werde sein, wo immer ich einen Job bekomme. Ich weiß nicht, ob das hier für einen Verlust für Dresden gehalten wird oder nicht.« Das Zitat verweist auf eine gewisse Unsicherheit, die auch bei allen Befragten zum Ausdruck kam: Sie fühlen sich wohl hier und die meisten würden auch gern hier bleiben. Gleichzeitig sind sie sich unsicher, ob sie hier auch außerhalb des beruflichen Kontextes »erwünscht« und »willkommen« sind. Das Gefühl des Nicht-Erwünscht-Seins ergibt sich im Wesentlichen aus drei Barrieren, die das Ankommen in Sachsen erschweren. Befragt nach Vorschlägen, was man tun könnte, um diese Barrieren abzubauen, gaben die Interviewpartner folgende konkrete Empfehlungen und Hinweise. »In der Zukunft wird es ein Vorteil sein, in Dresden studiert zu haben … das Land hat sich … der Entwicklung der Biotechnologie und der Forschung in der Biologie verschrieben.« Die Möglichkeit, hier zur arbeiten, entscheidet letztlich auch darüber, ob Fachkräfte in Dresden bleiben oder nicht – das gilt sowohl für die Befragten selber, als auch für ihre Partner. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 55 3.1 Gegenseitige Verständigung fördern Ein Großteil der Vorschläge bezog sich auf den Bereich der Sprache und der gegenseitigen Verständigung. Die meisten Befragten kamen ohne vorherige Kenntnisse der deutschen Sprache nach Dresden. Das hat unter anderem auch damit zu tun, dass die Institutssprache der internationalen Belegschaft des MPI-CBG Englisch ist. Für die ersten Schritte in Dresden – von der Anmeldung bei der Ausländerbehörde bis hin zur Wohnungssuche – unterstützt die Forschungseinrichtung ihre »Neuzugänge« durch eine eigene Relocation-Einheit. sprechen und verstehen können; denn ohne Deutschkenntnisse sehen sie kaum Möglichkeiten zum Austausch mit Deutschen, und eine volle Teilhabe an der Gesellschaft ist unmöglich. Das Beherrschen der deutschen Sprache ist für sie der Faktor mit dem größten Einfluss auf ihr eigenes Leben als Ausländer in Dresden. »Im Allgemeinen rate ich meinen Freunden, alles zu tun, um Deutsch zu lernen, weil das ihre Lebensqualität sehr verbessert. Das ist einfach so.« »Wenn du die Sprache nicht sprichst, dann liegt das auf dir wie ein Gewicht.« Deutsch lernen ermöglichen Die Befragten sprechen Deutsch auf sehr verschiedenen Niveaus, aber keiner beherrschte es ganz. Alle möchten gern besser Deutsch Das Thema der Sprache zog sich wie ein roter Faden durch alle Interviews. Von besonderer Bedeutung war es für die, die Familie und Kinder hatten. »Wenn dein Kind krank ist und medizinische Hilfe braucht … ist es sehr schlimm, nicht richtig zu verstehen, um was es sich handelt, und im Augenblick kann ich kein besonders gutes Deutsch.« Die Befragten äußerten den Wunsch nach besserer Information darüber, wo man Deutsch lernen kann und nach effizienten Deutschkursen. Viele der angebotenen Kurse haben aus der Sicht der Teilnehmer verschiedene verhängnisvolle Fehler. Sie können sehr teuer sein, oder lieblos durchgeführt werden. 56 Jahresbericht 2012 »Ich habe mit meinem Sprachunterricht aufgehört, weil Leute einfach nicht zur Klasse kamen. Und wenn sie dann später kamen, mussten wir zurück und alles wiederholen. Ich lernte die Zahlen sehr, sehr gründlich.« Besonders ungünstig sind Kurse, die tagsüber angeboten werden. Ein Intensivkurs mit mehreren Stunden pro Tag ist praktisch unerreichbar für jemanden, der Vollzeit und oft sogar mit Überstunden arbeitet und forscht. Viele der Teilnehmer gaben außerdem an, dass sie erst nach langer Zeit in Deutschland auf Angebote für die deutsche Sprache aufmerksam gemacht wurden. Wenn Sprachkurse ein normaler Bestandteil der Willkommenskultur wären, und jeder daran teilnehmen könnte, würde das das Erlernen der deutschen Sprache sehr erleichtern. Und es würde den ausländischen Fachkräften helfen, sich aktiv in die Gemeinschaften und Nachbarschaften vor Ort einzubringen! w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Sich verständigen – von beiden Seiten aufeinander zugehen Auf die Frage, was ihr Leben am meisten verbessern würde, antworteten viele, dass es neben besseren Deutschkenntnissen die besseren Englischkenntnisse der Deutschen in Sachsen wären. »… und es war z. B. sehr schwer, mit Immobilienmaklern zu kommunizieren. Die meisten von ihnen sprechen kein Englisch, und das war wirklich schwer.« Die Interviewpartner wünschen sich ein »Entgegenkommen auf halben Wege«, das sich unter anderem auch darin äußern kann, dass die Gesprächspartner Geduld beim Zuhören und den Willen zum Verstehen aufbringen. Sie wünschen sich Verständnis derjenigen, deren Muttersprache Deutsch ist, gegenüber denjenigen, die sich dieser Sprache erst ermächtigen müssen. So wird Deutschlernen auch in den Alltagsbegegnungen eine ermutigende Erfahrung. 57 Internationale Fachkräfte als Eltern in der Kommunikation unterstützen Ein weiterer wichtiger Einfluss der Sprache auf das Leben der ausländischen Forscher mit Familien betrifft ihre Kinder in der Schule. Hier haben die Eltern aufgrund der Sprachbarriere große Probleme, genaue Informationen über ihre Kinder zu erhalten. Eine der interviewten Personen erklärte das so: »Ich kenne ein bisschen Deutsch, ich kann es verstehen, aber für mich ist das Sprechen sehr schwer. Ich bitte sie, langsamer zu sprechen »langsamer bitte« … das hilft normalerweise sehr.« »Wenn ich mich mit meinem Deutsch abmühe, dann ist es mir passiert, dass Leute sich abwenden und weggehen… das ist wirklich beleidigend, weil ich sie auf halbem Wege treffen möchte … Du weißt, gerade weil ich mich sehr bemühe, schenke mir einen Augenblick Geduld.« Sich in einer Sprache nicht richtig ausdrücken zu können, kann sehr verunsichernd und einschüchternd sein. Umso ermutigender ist es, wenn diese Anstrengung gewürdigt wird. Diese Erfahrung macht jeder, der eine Fremdsprache erlernt hat. Gleichzeitig macht man die Erfahrung, dass die eigenen Fremdsprachenkenntnisse nicht immer mit der eigenen professionellen Kompetenz korrespondieren. Damit entgeht man leichter dem Irrtum, das Potential und die Kompetenz eines Ausländers an seinen Deutschkenntnissen zu messen. Deshalb lautet eine Empfehlung, wie sich Sachsen weltoffener und als Willkommensgesellschaft zeigen kann, dass sich auch die Sachsen selber um mehr Fremdsprachenkenntnisse bemühen und diese im alltäglichen Miteinander anwenden. 58 »Für die Kinder gibt es überhaupt keine Probleme, aber für uns Erwachsene ist es schwierig, dort Verbindungen aufzubauen … Wenn wir um Information bitten, bekomme ich zuerst die Antwort »Alles in Ordnung. Kein Problem«. Doch wenn wir etwas ins Details gehen, dann merken wir, dass die wirkliche Antwort eher so lautet: »Ja, ABER … Ja, ABER«. Und dann kommen diese vielen ABERs, die es letztendlich für uns schwer machen, die Situation zu verstehen … Dann fragen wir, ob es ein Problem mit unserem Kind gibt, ob es auch spricht. Die Antwort lautet dann »Ja, kein Problem«. Wenn wir dann weiterfragen, ob es mit anderen Kindern spricht und mit ihnen spielt, dann hören wir »nicht wirklich«. So wurde uns klar, dass der erste Ansatz der Lehrer war, uns keine komplizierten Antworten zu geben und dass die Eltern sich damit schon abfinden werden. Ich muss sagen, dass mich das stocksauer machte.« Niveau in Deutsch wie einsprachige Kinder. Diese Differenz gleicht sich erst ungefähr mit 14 bzw. 15 Jahren aus. Zweisprachig aufwachsende Kinder haben einen klaren Bildungsvorteil durch ihre Fähigkeit, zwei Sprachen muttersprachlich zu beherrschen. Doch weil bereits in der vierten Klasse, also mit neun oder zehn entschieden wird, wer aufs Gymnasium darf, sind zweisprachige Kinder benachteiligt. »Ich mache mir Sorgen, dass durch unsere Entscheidung, hier in Sachsen zu bleiben, unsere zehnjährige Tochter Einschränkungen in ihren Bildungs- und Karrierechancen hinnehmen muss, weil sich ihre Deutschkenntnisse nicht schnell genug entwickeln.« Angesichts der Zweisprachigkeit und der dafür typischen Sprachentwicklung erweist sich das deutsche Schulsystem als ernstzunehmende Barriere für die Kinder von Zuwanderern und vermindert damit die Attraktivität des Standortes. Die Sprachbarrieren zwischen internationalen Fachkräften und der einheimischen Bevölkerung sind real. Aber mit einer veränderten Einstellungen zur Mehrsprachigkeit, besser strukturierten Sprachlernangeboten und mehr Fremdsprachenkenntnissen z. B. auf Seiten der Behörden lassen sich auch diese Barrieren überwinden. Die drei zentralen Empfehlungen für den Bereich der Verständigung lauten: 1. Das Erlernen der deutschen Sprache sollte für alle Ausländer mit einem guten Angebot an Sprachkursen und gezielter Information dazu erleichtert werden. 2. Ein wichtiger Bestandteil der interkulturellen Öffnung sowohl der Gesellschaft als auch in den Behörden ist, das Verständnis und die Geduld gegenüber denjenigen, die die deutsche Sprache erst lernen, und die aktive Förderung der eigenen Fremdsprachenkenntnisse. 3. Mehrsprachigkeit ist ein Potential und sollte im sächsischen Bildungssystem z. B. bei den Bildungsempfehlungen entsprechend berücksichtigt werden. Mehrsprachigkeit der Kinder bei Bildungsempfehlungen berücksichtigen und nutzen Eine weitere Sorge für Eltern mit Kindern in deutschen Schulen ist die Bildungsempfehlung zum Gymnasium. Kinder, die zweisprachig aufwachsen, sind im Alter von zehn Jahren nicht auf dem gleichen sprachlichen Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 59 3.2 Serviceorientierung der Behörden erhöhen Der Kontakt und der Umgang mit Behörden und Ämtern sorgen bei den meisten Interviewten für Verwirrung und Angst. Das gilt für aufenthaltsrechtliche Fragen, ebenso wie für Besuche von Verwandten oder für die Auto- und Führerscheinanmeldung. Zentral sind dabei die Ausländerbehörden. »Du hast das in deinem Gehirn. Oh Mist, in sechs Monaten muss ich wieder hin ... psychologisch macht dich das bereit, wegzuziehen. Es gibt dir irgendwie eine Ausrede zum Abhauen. Denn, du weißt, du hast nur ein Jahr oder zwei.« Die Interviewten sehen eine große Diskrepanz zwischen ihrem Arbeitsleben am Institut und der Unterstützung, die sie dort erhalten und ihren Erlebnisse in den verschiedenen Behörden. »... sie sprechen darüber, wie international Dresden sein sollte und dass sie alles tun, was sie können, und Toleranz, um qualifiziertes Personal anzuziehen … und dann gehst du und siehst, dass die Realität anders ist … Sie machen es dir sehr schwer und du musst äußerst überzeugend sein.« Das Institut begleitet seine internationalen Mitarbeitenden bei den wichtigsten Angelegenheiten durch Kollegen einer speziellen Relocation-Abteilung. Damit werden den Forschern viele Behördengänge und Formalitäten abgenommen. Bei einigen Verwal- 60 tungsvorgängen ist es allerdings notwendig, dass sie selber zur Behörde gehen. Aus diesen Erfahrungen speisen sich die Empfehlungen, wie man die Dienstleistungsorientierung der Behörden, vor allem der Ausländerbehörden, deutlich verbessern würde. Einige Interviewten wiesen aber auch darauf hin, dass bereits heute Verbesserungen spürbar seien. »Ich glaube, sie (die Ordnungsbehörden) werden zu sehr kritisiert, und sie verhalten sich auch defensiv und wollen die Zustände verbessern. Doch ich denke, es ist an der Zeit, dass sie etwas proaktiver werden und feststellen: Ja, wir haben Probleme, doch wir tun etwas dagegen.« Ein Teil der angesprochenen bürokratischen Barrieren beruhen auf bundesgesetzlichen Regelungen und entziehen sich deshalb dem sächsischen Einflussbereich. Aber die Interviewten wiesen auch auf ungenutzte Spielräume in den sächsischen Behörden hin, deren wohlwollende Nutzung den Eindruck besonders der Ausländerbehörden deutlich verbessern würde. Hier gibt es eine Reihe größerer und kleinerer Umstände, die als erschwerend und ungastlich bewertet werden. Ein Interviewter fühlte sich durch die Einrichtung der Ausländerbehörde an den »Prozess« von Franz Kafka erinnert. In dem Flur warten Menschen aus aller Welt. Sie sprechen viele Sprachen. Englisch ist die Jahresbericht 2012 Sprache, die sie alle verbindet. Aber mit ihnen wird nur Deutsch gesprochen, gleichgültig ob sie schon zwei Jahre in Sachsen leben oder erst zwei Tage. Fremdsprachenkompetenz in den Behörden erhöhen und mehrsprachiges Informationsmaterial zur Verfügung stellen Besonders irritierend fanden die Befragten, dass viele der Mitarbeitenden in den Ausländerbehörden entweder keine Fremdsprachen sprechen können oder nur Deutsch sprechen wollen oder dürfen. Dabei können es die Ausländer verstehen, wenn bei der Anmeldebehörde oder bei der KFZ-Zulassung nur Deutsch gesprochen wird. Doch bei einer Behörde, die sich explizit mit Ausländern beschäftigt, erwartet man zumindest ein wenig Fremdsprachenkompetenz. »Sie (die Mitarbeiter in der Ausländerbehörde) haben sich geweigert, Englisch zu sprechen … das ist unerhört!« w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Angesichts der Tatsache, dass Sachsen versucht, sich der Weltwirtschaft zu öffnen, wäre es ein absolutes Minimum, zu erwarten, dass diejenigen, die sich mit Ausländern beschäftigen, auch Englisch sprechen können. Englisch ist mittlerweile zur Weltsprache geworden. Überall erlernen Menschen Englisch: in China, Afrika, Indien, Südamerika oder anderen Teilen Europas. Englisch ist eine grundlegende Voraussetzung, um im Ausland zu arbeiten oder zu studieren. In diese Richtung geht auch die Empfehlung der Interviewten, dass besonders die Ausländerbehörden ihre Informationsmaterialien auch auf Englisch präsentieren. Gerade wenn man sich schon vom Ausland aus darüber informieren will, welche Unterlagen notwendig sind, um nach Sachsen zu kommen. »Ihr würdet wahrscheinlich davon profitieren, einige wichtige Dinge auf einer Webseite in verschiedenen Sprachen zu haben. Das würde sicherlich sehr helfen.« 61 Eigene Einstellungen und Bewertungsmuster bewusst machen und ändern Die Interviewten berichteten über ihren Eindruck, dass Mitarbeitende deutscher Behörden scheinbar ganz selbstverständlich erwarten, dass alle Ausländer sofort nach ihrer Ankunft Deutsch sprechen können und über wichtige rechtliche Fragen informiert sind, noch bevor sie in Deutschland ankommen. Diese Erwartung ist falsch. Die meisten der ausländischen Fachkräfte haben eine Karrierechance in Sachsen genutzt, die sie nicht auf Jahre hin geplant haben. »Wir sprachen kein Deutsch, weil wir nie geplant hatten, in Deutschland zu leben. Wir haben sehr viel Glück gehabt, so viel Unterstützung zu bekommen … Ich stelle mir vor, es könnte sonst sehr schwierig sein.« »Manchmal sind Leute überrascht, dass wir kein Deutsch sprechen. Irgendwie glauben sie, dass Deutsch eine einfache Sprache ist und wir uns noch mehr anstrengen sollten.« Bedingungen für Familienbesuche erleichtern Das Bleiben fördern – Doppelte Staatsbürgerschaft und Arbeitsmarktintegration Besonders die Interviewten aus den Drittstaaten berichteten von Schwierigkeiten, wenn sie ihre Familienangehörigen nach Dresden einluden. Für solche Besuche von Familienangehörigen sind in der Regel Visa und die Zahlung von Kautionen notwendig. Eine Reihe langjährig in Sachsen lebender Forscher und ihre in Deutschland geborenen Kinder würden gerne die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben – allerdings nicht, wenn sie gleichzeitig ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufgeben müssten. »Wenn Du jemanden aus deiner Familie zu Besuch herholen willst, und du merkst, dass das sehr schwer wird, wirst du dich hier nie zuhause fühlen, und du wirst fühlen, dass die Werbung für eine internationale Atmosphäre eine Lüge ist.« Ermessenspielräume wohlwollend prüfen Einige Interviewte hatten den Eindruck, dass die Prüfung der Unterlagen von Willkür der Behörden gekennzeichnet war, und dass ihre Situation nicht angemessen berücksichtigt wurde. Dieses Thema ist besonders wichtig, weil durch willkürliche Entscheidungen nicht nur die Betroffenen benachteiligt werden, sondern weil sie auch dem Freistaat schaden. »Ich bat die Behörde, mein Visum so lange zu verlängern, wie mein Arbeitsvertrag läuft, damit ich meine Eltern einladen könnte. Das verweigerten sie erst. Nach einigem Streit waren sie dann bereit, es doch zu verlängern. Ich musste dreimal hin, und hatte immer die gleichen Papiere wie beim ersten Mal.« »Wie kannst Du Deine ursprüngliche Nationalität ablehnen? Das ist etwa so, als wenn ich meinen Eltern sagen würde, okay, ihr seid nicht mehr meine Eltern.« … »Der einzige Weg, Deutscher zu werden, ist es, deiner Staatsbürgerschaft abzuschwören. Ich müsste zur Botschaft gehen und sagen, dass ich ab sofort nicht länger ein Bürger meines Landes sein will. Dann kann ich Deutscher werden. Das ergibt für mich keinen Sinn.« Viele der Befragten würden gern in Dresden bleiben. Dafür brauchen sie aber nicht nur ein entsprechendes Jobangebot (die Stellen in der Forschung sind überwiegend befristet), sondern auch die Zuwanderungs- und Bleiberechtsregeln müssen passen. »Es gibt zwei Arten, die Niederlassungserlaubnis zu erhalten. Die erste ist, stinkreich zu sein. Die zweite ist, sie irgendwie zu überzeugen, dass du eine ›notwendige Person‹ bist.« »Es ist einfach undenkbar, dass jemand, der z. B. kein Direktor oder so etwas ist, ein Gehalt von 63.000 Euro erhält. Mir ist bewusst, dass das jetzt reduziert worden ist, doch selbst die 40.000 oder so sind für die meisten Wissenschaftler unerreichbar, es sei denn, du bist schon in einer hohen Position.« Auch der Zugang in die Selbstständigkeit als ein möglicher Weg, in Sachsen zu bleiben, wird als mit hohen Hürden versehen empfunden. Die Regeln und Vorschriften für eine Selbständigkeit wurden von einigen Interviewten als extrem einengend bewertet. Wenn ein System solche hohen Hürden gegenüber einer selbständigen Tätigkeit aufbaut, dann verdient es aus Sicht der Befragten eine Neubewertung. Ausländerbehörden sind die Visitenkarten einer Stadt bzw. einer Region, die auf Zuwanderung internationaler Fachkräfte setzt. Idealerweise verstehen sie sich als »Welcome-Center«, die Zuwanderer beim Ankommen in Sachsen begleiten. Sie sind ein wesentlicher Baustein einer Willkommensgesellschaft, die auf Zuwanderung setzt. • In den Behörden sollte der Wandel des Selbstverständnisses hin zu mehr Serviceorientierung und zur interkulturellen Öffnung weiter gefördert werden. • Die Fremdsprachenkompetenz sollte besonders in den Ausländerbehörden erhöht werden. Informationsmaterial sollte in mehreren Sprachen zur Verfügung stehen. • Die Ermessensspielräume der gesetzlichen Regelungen sollten wohlwollend im Sinne der Zuwanderer genutzt werden, z. B. bei Familienbesuchen und Aufenthaltsregelungen. Alle Befragten sind bereit, Deutsch zu lernen bzw. sie lernen es bereits, erhoffen sich aber mehr Verständnis dafür, dass Deutschlernen ein lebenslanger Prozess ist und viel Mühe macht. 62 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 63 3.3 Interkulturelle Öffnung der Gesellschaft fördern Der dritte Bereich, für den die Interviewten Verbesserungen anregten, ist das öffentliche Bewusstsein und die Einstellung der Menschen in Sachsen zu kultureller und sprachlicher Vielfalt. Der Eindruck vieler Teilnehmer über ihren Umgang mit den Menschen vor Ort ist ein allgemeines Missverständnis über die Gründe, warum Menschen aus dem Ausland nach Sachsen kommen wollen. Fast alle Befragten beschrieben die Dresdner als freundlich, oft wissbegierig gegenüber anderen Kulturen und hilfsbereit. Um die Region weltoffener zu machen, sollten die Einheimischen die Zweifel ablegen, die immer noch existieren. Manche Einheimische scheinen nach Meinung der Interviewten davon auszugehen, dass Ausländer nur deshalb nach Sachsen kommen, weil sie einem geringeren Lebensstandard in ihrem Heimatland entkommen, und nicht, weil sie hier einem qualifizierten Job nachgehen wollen. Ein Grund dafür liegt möglicherweise darin, dass die Einheimischen dazu neigen, die Sprachkompetenz der Ausländer mit ihrer beruflichen Kompetenz gleichzusetzen und sie damit – bewusst oder unbewusst – abzuwerten. Fachkenntnisse sind aber unabhängig davon, ob jemand Deutsch spricht oder nicht. Ein weiterer Grund scheint zumindest teilweise an der Unwissenheit der Öffentlichkeit über die angesehenen Forschungsinstitute in Dresden, die wachsende wissenschaftliche Gemeinschaft und die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft zu liegen. 64 Wer nicht weiß, dass sich Dresden zu einer Forschungsregion mit Weltklasseniveau entwickelt hat, wird auch nicht verstehen, dass Top-Wissenschaftler nach Dresden kommen, weil sie ihre Karriere befördern wollen und nicht, weil sie der Arbeitslosigkeit entfliehen. Internationalität der Region zeigen Vor diesem Hintergrund war eine Empfehlung der Interviewten, die Internationalität der Stadt noch stärker zu betonen und vor allem auch der Bevölkerung die vielen internationalen Institute und Unternehmen Dresdens bekannt zu machen. »… sie wissen nicht, warum hier so viele Ausländer leben. Sie haben immer ein Gefühl, dass Ausländer Menschen sind, die aus ihren Ländern auswandern, weil sie es dort schlecht haben … Sie wissen noch nichts über die Forschungsinstitute hier … oder dass ein großer Teil der Forschung durch Ausländer durchgeführt wird.« »Sie denken nicht ›Was sind unsere Vorteile, ausländische Fachkräfte nach Sachsen zu bringen.‹ Sie denken: Diese Leute kommen und übernehmen unsere Jobs.« Dieses Zitat identifiziert den Unterschied zwischen der Einstellung, dass Ausländer willkommen sind und einer Einstellung, die Ausländer als Quelle von Problemen sieht. Jahresbericht 2012 Vielleicht kann man diese Einstellung ändern, indem man die Anwesenheit von Ausländern als Symptom des internationalen Erfolges statt eines Misserfolges sieht. Ausländer kommen nicht, um Probleme zu bereiten, sie kommen aufgrund unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolges: Institutionen von Weltrang, schöne Landschaften und Städte ziehen Menschen aus aller Welt an. Diese Perspektive könnte auch das Selbstwertgefühl der Sachsen stärken und dazu führen, dass sich ausländischen Fachkräften mehr als bisher willkommen geheißen fühlen. Interkulturelle Begegnungen statt Fremdenskepsis Viele Interviewpartner berichteten, dass Sachsen anfänglich distanziert und unfreundlich erscheinen, aber sich dann zu guten Freunden und Unterstützern entwickeln. Die Interviewten waren sich nicht sicher, ob sich diese anfängliche »Unfreundlichkeit« w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e der Sachsen auf eine grundsätzliche Fremdenskepsis zurückführen lässt. »Ich habe manchmal das Gefühl einer latenten Fremdenfeindlichkeit. Aber es ist sehr schwer festzunageln, weil du nicht weißt, ob die Menschen nicht gerade einen schlechten Tag haben oder ob sie im Allgemeinen nicht sehr freundlich sind.« Sie berichteten von eigenen Erfahrungen, die für sie zwar unangenehm, aber nicht gravierend waren. Als Ursachen vermuteten sie eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit Fremden – sei es, weil die Einheimischen bisher wenige Kontakte mit Ausländern hatten oder weil sich die Deutschen unsicher waren, wie man sich verständigen kann. »Ich hatte hier eine komische Erfahrung, wo Menschen nicht … mit Ausländern umgehen konnten … Die Menschen hier sind nicht so richtig an Ausländer gewöhnt, … es ein bisschen von einer Neuheit.« 65 »… Auf alle Fälle werden Leute, die mit einer Vielfalt von Menschen umgehen, einfach entspannter in diesem Bereich.« Begegnungen zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen sind der beste Weg, Skepsis und Vorurteile abzubauen und Sachsen zu einer echten Willkommensgesellschaft zu machen. Je mehr Möglichkeiten es gibt, sich mit Menschen aus anderen Ländern auszutauschen, desto mehr kann man zusammenwachsen. Die Befragten empfehlen hier besonders Kontakte zwischen Ausländern und Einheimischen. Feiern und Feste mit internationalen Kulturen und Vereinen können die Vielfalt und zugleich das verbindende Menschliche zeigen. Ausländer könnten eingeladen werden, ihre Kulturen zu zeigen und so Deutsche für ihre Kulturen zu interessieren. Das wäre aus Sicht der Interviewten ein wichtiger Schritt für eine Willkommensgesellschaft und würde die Brücken zwischen den Kulturen stärken. • Die Kommunen und der Freistaat sollten auf interkulturelle Begegnungen und interkulturellen Dialog setzen und die Internationalität der Region zeigen. • Ein klares Bekenntnis zur Willkommensgesellschaft ist eine gute Orientierung. • Offenheit und Neugier gegenüber Menschen aus anderen Ländern ist eine gute Grundlage für ein respektvolles Miteinander und nicht nur Sache der Behörden, sondern jedes und jeder Einzelnen. 3.4 Willkommensgesellschaft Sachsen: Eine Frage des guten Willens Zu guter Letzt sei festzuhalten: Die meisten Interviewten würden gerne in Dresden bleiben und haben die ersten Hürden mit viel Anstrengungen und Mühe gemeistert. Ein weltoffenes Sachsen sollte die Verwaltungsprozesse und die gesellschaftliche Stimmung so gestalten, dass es sich für Ausländer weniger so anfühlt, als müssten sie gegen den Strom schwimmen. Das – so ist unsere Überzeugung – ist letztlich nur eine Frage des politischen Willens. Die Interviews haben vor allem eines gezeigt: Der einzige echter Unterschied zwischen den Menschen liegt in ihrem Geburtsort. Ansonsten sind sie ganz normale Mitglieder unserer Gesellschaft mit vergleichbaren Hoffnungen oder Sorgen: sei es mit ihren Kindern in der Schule, als Fußballfans, als Fahrgäste in der Straßenbahn oder als Gäste in einem Café. Das Gemeinsame überwiegt. Und es überwiegen die »guten Geschichten«. Eine sei hier zum Abschluss erzählt: »… Ich hatte diesen einen großartigen Moment … in der Straßenbahn, als ich einem alten Mann meinen Sitzplatz angeboten habe, weil ich gesehen habe, dass niemand von den Jüngeren aufstehen wollte. ...Ich bin aufgestanden, habe ihm meine Hand hingehalten und habe ihn gefragt ›Do you need a hand?‹…. Ich wusste nicht, wie ich ihn auf Deutsch fragen sollte, ob er Hilfe benötigt. Es 66 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e gibt einfach keine richtige Übersetzung für ›Do you need a hand?‹, ›Brauchen Sie eine Hand?‹, er hätte mich ja für verrückt gehalten, wenn ich so gefragt hätte. Also habe ich einfach meine Hand hingehalten, und er hat mich sehr fragend angeschaut, dann meine Hand geschüttelt und sich dann einfach hingesetzt. Das war einer der Momente, in denen es sehr peinlich hätte werden können, aber dieser Mann nahm es als Chance, mir einfach die Hand zu schütteln als Dank und als Zeichen des guten Willens, obwohl er die Worte nicht verstanden hatte, die ich gesagt habe. Ich wollte ihm was Gutes tun, und er ist mir … entgegenkommen. Das war ein schönes Erlebnis, das mich den ganzen Tag fröhlich gestimmt hat.« 67 Prof. Dr. Wolfgang Donsbach, Institut für Kommunikationswissenschaften der Technischen Universität Dresden Willkommenskultur unter Vorbehalt: Was ausländische Fachkräfte in Dresden erleben. Sachsen ist auf Zuwanderung angewiesen. Schon jetzt stehen den aus Altersgründen aus dem Beruf ausscheidenden Menschen zu wenige junge Fachkräfte gegenüber. Darüber hinaus gibt es Fachkenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die in anderen Regionen besser oder häufiger vorzufinden sind. Menschen aus diesen Regionen können Sachsen helfen, im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb eine Führungsrolle zu spielen. Weltoffenheit und Willkommenskultur spielen neben den harten Standortfaktoren bei diesen Herausforderungen eine entscheidende Rolle. Wie Mobilitäts-Studien deutlich machen, nehmen diese »weichen« Standortfaktoren an Bedeutung zu. Ihre Wahrnehmung draußen wird in erster Linie durch Medien und Erfahrungen Dritter geprägt. Hier hatte Sachsen und zumal Dresden in den vergangenen Jahren keinen leichten Stand, weil Ereignisse von Fremdenfeindlichkeit bis hin zum Mord an einer jungen Ägypterin das Bild prägten. Die mögliche Bedrohung durch Fremdenfeindlichkeit und das Image einer Stadt spielen also bei der Entscheidung mitunter eine größere Rolle 68 als die klassischen harten Standortfaktoren wie das Gehalt oder das Renommee des Arbeitgebers. Sowohl der Freistaat Sachsen als auch die Stadt Dresden haben mehrere Programme ins Leben gerufen, um Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus zu bekämpfen. Auf der lokalen Ebene ist eines davon das »Lokale Handlungsprogramm für Demokratie und Toleranz und gegen Extremismus«. Aus Mitteln dieses LHP-Programms hat das Institut für Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Dresden unter der Leitung von Professor Wolfgang Donsbach eine Studie durchgeführt, die die konkreten Erlebnisse ausländischer Forscher und Fachkräfte in der Stadt ermittelt. Befragt wurden 352 ausländische Mitarbeiter und 61 Personalverantwortliche aus den Bereichen Rekrutierung, Führung und Relocation von 18 Firmen und Forschungseinrichtungen, darunter zum Beispiel Chiphersteller Globalfoundries, die Elbeflugzeugwerken, die Max-Planck-Institute und die Technische Universität Dresden. Die Studie stellt der Stadt Dresden auf den ersten Blick ein positives Zeugnis aus: 92 Prozent der ausländischen Fachkräfte fühlen sich in Dresden wohl. »Sehr wohl« fühlen sich jedoch nur 34 Prozent und damit im Vergleich zu den Einheimischen nur halb so viele (62 Prozent). Die Gründe hierfür zeigen sich unter anderem in den Fragen nach den Erfahrungen mit den Dresdnern und bei der Wohnungssuche. Fast jeder zweite Befragte fühlt sich nach wie vor wie ein Fremder in Dresden. Rund ein Viertel bis ein Drittel der ausländischen Fachkräfte hat bereits offene Abneigung, »schiefe Blicke« oder Benachteiligungen aufgrund seines fremden Aussehens erlebt. In absoluten Zahlen gemessen hat man 15 Befragten in Dresden Jahresbericht 2012 bereits körperliche Gewalt angedroht und zehn Befragten gegenüber wurde sie sogar schon ausgeübt. Hinzu kommen noch entsprechende Erlebnisse von Familienangehörigen und Freunden. Insgesamt fühlen sich 15 Prozent nicht wirklich sicher in Dresden, am wenigsten in öffentlichen Verkehrsmitteln. Dabei haben diejenigen, denen man das »Fremdsein« auch in der Regel ansieht – Befragte aus Asien, Afrika oder dem Nahen Osten – nochmal deutlich mehr Angst davor, wegen ihrer Hautfarbe körperlich angegriffen zu werden (Tabelle). Auch bei der Wohnungssuche haben die ausländischen Hochqualifizierten negative Erfahrungen gesammelt: 42 Prozent sind zumindest teilweise schon bei der Wohnungssuche benachteiligt worden. Insgesamt konstatiert zwar jeder zweite Befragte, seine Entscheidung für Dresden nicht zu bereuen. Zufrieden sein kann die Stadt mit diesem Ergebnis allerdings dennoch nicht. Jeder Einzelne, der sich hier nicht sicher oder wohl fühlt, ist einer zu viel – und zwar nicht nur aus menschlichen Gründen, sondern auch wegen der Außenwirkung. Denn wie sich in der Studie herausstellte, sind es neben den medialen Informationen vor allem die im Freundes- oder Kollegenkreis weitergegebenen Informationen, also die Mund-zu-Mund-Propaganda, aus denen sich zukünftige potenzielle Fachkräfte informieren, wenn sie ihre Entscheidung über den Arbeitsort treffen. Was können wir – was kann die Stadt nun tun? Fremdenfeindlichkeit hat viele Facetten. Die größte ist wohl die Unsicherheit, die der »Fremde« durch sein Aussehen, seine Sprache oder sein Auftreten auslöst. Wohl auch deshalb tritt dieses Phänomen in Dresden auf, einer Stadt mit lediglich gut vier Prozent Ausländeranteil. Es bleibt also die Chance in Form von wachsender Internationalität, Interkulturalität und Toleranz. Denn von dieser Vielfalt profitieren nicht nur Wirtschaft, Tourismus und Innovation: es profitieren die Dresdner. Herkunft Andere (n = 178) Ich habe sehr große Angst davor. 1 3 6 25 65 Ich habe eher Angst davor. Neutral. 6 9 14 51 20 Ich habe eher keine Angst davor. Ich habe gar keine Angst davor. Herkunft Asiatisch, Afrikanisch, Mittlerer und Naher Osten (n = 65) »Einmal ganz allgemein gefragt, wie sehr haben Sie Angst, in Dresden einmal wegen Ihrer Herkunft körperlich angegriffen zu werden? Kreuzen Sie bitte ganz links an, wenn Sie davor sehr große Angst haben und kreuzen Sie ganz rechts an, wenn Sie davor gar keine Angst haben. Mit den Kästchen dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen.« w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 69 4. Zuwanderungsland Sachsen: Was sächsische Unternehmen empfehlen Als Siemens, Volkswagen und AMD in den neunziger Jahren nach Sachsen kamen und tausende Arbeitsplätze anboten, konnten die meisten Stellen von hoch qualifizierten und engagierten Menschen besetzt werden, denen Sachsen schon eine Heimat war. Wenn ein Unternehmen heute ein neues Werk in Sachsen bauen will und dafür über tausend fähige Mitarbeiter sucht, dann ist der Bedarf aus unserem Land allein nicht mehr zu decken. Die demografische Entwicklung und die Abwanderung haben das geändert. Deshalb war es gut und richtig, dass der Freistaat Sachsen als erstes Bundesland eine Initiative für Zuwanderung ins Leben rief »Klugen Köpfen Türen öffnen« – so lautet der Titel. Wer Talente aus aller Welt zu uns holen will, der sollte auch sicherstellen, dass die Zuwanderer schon bei ihren ersten Schritten in den Behörden merken, dass sie wirklich willkommen sind. Deshalb wurde folgerichtig ein neues Verwaltungsverfahren in ausgewählten Ausländerbehörden eingeführt, das ausländischen Fachkräften und Absolventen einen schnelleren Zugang zum sächsischen Arbeitsmarkt ermöglicht. Das geht natürlich nur mit einer echten Dienstleistungsorientierung der Behörden gegenüber ihren »Klienten«. Solche strukturellen Veränderungen werden aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs um internationale Fachkräfte von immer größerer Bedeutung für den Freistaat. Sie sind mit einem grundlegenden Mentali- 70 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e tätswechsel verbunden: Bis vor nicht allzu langer Zeit verstanden sich Ausländerbehörden als Ausführende einer Ordnungspolitik, zu der auch die Begrenzung von Zuwanderung gehörte. Heute steht sie vor der Aufgabe, qualifizierte Zuwanderung zu gestalten und dabei gleichzeitig die Willkommenskultur des Freistaates den Zuwanderern gegenüber sichtbar zu machen. Ausländerbehörden sind Aushängeschilder für Städte und Kommunen. Sie prägen von Anfang an den Eindruck, den Ausländer vom Freistaat Sachsen bekommen. Ja, sie sind ein wichtiger Faktor für die Standortentscheidungen ausländischer Fachkräfte. Das bestätigen auch die Personalchefs vieler Unternehmen in Sachsen, die für die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland zuwanderungsfreundliche Rahmenbedingungen brauchen. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hat 2011 in einer Studie untersucht, welche weichen Faktoren die Standortwahl von ausländischen Fachkräften vor allem beeinflussen. Neben der Bildungsinfrastruktur gehören demnach der Umgang der Behörden mit Ausländern und die Offenheit und die Toleranz der Region gegenüber Ausländern zu den entscheidenden Faktoren. Ohne das sächsische Modellprojekt AKZESS könnte Sachsen nicht den »Klugen Köpfen Türen öffnen«. Weitere Schritte tun not. Denn einmal angekommen wollen sich Zuwanderer in Sachsen wohl und willkom- 71 men fühlen. Sie sollen ja nicht nur ankommen, sondern auch möglichst lange bei uns bleiben. Und diejenigen, die nur auf Zeit hier bleiben– so wie beispielsweise Forscher oder Rotationals – sollen Grund haben, bei ihren internationalen Kollegen für Sachsen zu werben. Viele Studien haben in der letzten Zeit bestätigt, dass wir beim Thema Willkommenskultur zwar auf dem Weg, aber noch lange nicht angekommen sind. Der Ruf nach mehr Wertschätzung gegenüber ausländischen Fachkräften, nach Begleitung im Alltag und nach den richtigen Schritten für eine Willkommenskultur wird immer lauter. Das Institut für Kommunikationswissenschaften der Technischen Universität Dresden hat aktuell ausländische Forscher und Fachkräfte interviewt und nach ihrem Wohlbefinden in Dresden befragt: Das Ergebnis ist leider eindeutig: Fast jeder zweite Befragte fühlt sich nach wie vor wie ein Fremder. Wichtige Ursachen dafür sahen die Befragten in ihren Erfahrungen mit den sächsischen Behörden und den Einheimischen. Welche konkreten Schritte sollten wir also gehen, damit sich ausländische Fachleute bei uns wohlfühlen? Was sollte sich ändern in unseren Behörden und wie können wir dazu beitragen, das alltägliche Miteinander zu verbessern? Wie können wir Unternehmen dabei unterstützen, auch ausländische Fachleute einzustellen? Wir haben dazu sächsische Unternehmen befragt, die bereits heute mit ausländischen Fachleuten arbeiten. Welche Erfahrungen haben sie bei der Einstellung von ausländischen Fachkräften gemacht? Welche erfolgreichen Ansätze werden aus ihrer Sicht bereits in Sachsen praktiziert? Welche weiteren Erleichterungen wünschen Sie sich? Welche eigenen Beiträge leisten Unternehmen für eine sächsische Willkommenskultur? Und wie kann die Öffentlichkeit für mehr Weltoffenheit gewonnen werden? 72 Wir fragen die Unternehmen: Methodik und Zielgruppe unserer Untersuchung In der zweiten Jahreshälfte (Juli und September 2012) haben wir zwölf qualitative Interviews mit Personalverantwortlichen aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen und mit Dienstleistern, die ausländische Fachkräfte im Auftrag von sächsischen Firmen bei ihrem Ankommen in Sachsen begleiten, durchgeführt. Wir haben neben mittelständischen auch große Unternehmen befragt, die Mitarbeiterzahlen im vierstelligen Bereich aufweisen und Fachkräfte aus über 40 Nationen beschäftigen. Die befragten Unternehmen und Dienstleister sind im Raum Dresden ansässig und ihre Erfahrungen beziehen sich überwiegend auf die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden. Einige Befragte konnten aufgrund anderer Standorte bundesweite und globale Erfahrungen mit einbringen. Wir haben die Personalmanager und – dienstleister in einem persönlichen Interview anhand eines Leitfadens befragt. Die Fragen zielten darauf ab, positive Ansätze und noch vorhandene Problembereiche zu identifizieren und Lösungsansätze herauszuarbeiten. Folgende Fragen haben wir gestellt: 1. Wie wichtig sind ausländische Fachkräfte für den Erfolg Ihrer Firma? 2. Wie sollte idealerweise die Bearbeitung der Anträge durch die Behörden aussehen? 3. Was läuft schon gut? 4. Wo hakt es bei der gegenwärtigen Vorgehensweise der Verwaltung? 5. Welche Verbesserungen und Erleichterungen würden Sie sich wünschen? 6. Wie könnten wir die Öffentlichkeit für mehr Weltoffenheit gewinnen? Jahresbericht 2012 4.1 Warum wir ausländische Fachkräfte brauchen – Unternehmen berichten über ihre Zukunft Für alle befragten Organisationen spielt das Thema »ausländische Fachkräfte« vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft eine entscheidende Rolle. Neben dem grundsätzlichen Fachkräftebedarf nannten die Personalverantwortlichen vor allem drei Gründe: • Die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte erhöht die Internationalität und die Attraktivität des Standortes Sachsen • Global agierende Unternehmen setzen auf internationale Fachkräfte für die Arbeit auf internationalen Märkten • Unternehmen erhöhen gezielt die Vielfalt der Belegschaft z. B. durch ausländische Fachkräfte, um ihre Innovationskraft zu erhöhen Internationalität macht Sachsen attraktiv und zukunftsfähig Für einen Teil der befragten Unternehmen sind ausländische Fachkräfte zur Deckung des eigenen Personalbedarfs derzeit noch nicht notwendig. Der Bedarf an Neueinsteigern ließe sich gut über die sächsischen Universitäten decken, einen Mangel gebe es allerdings bei erfahrenen Spezialisten. Ob dieser Mangel gezielt mit Fachkräften aus dem Ausland gedeckt werden könne, entscheide sich auch nach Art der Tätigkeit. Wenn es sich um Stellen mit direktem Kundenkontakt handele, seien gute Deutschkenntnisse notwendig und damit eine Unterw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e stützung beim Erlernen der deutschen Sprache. In einigen der befragten Einrichtungen ist Englisch die Verkehrssprache. Damit sind fehlende Deutschkenntnisse bei der Einstellung kein Nachteil. Alle Befragten schätzen jedoch ein, dass die Zuwanderung internationaler Fachkräfte nach Sachsen zur Zukunftsfähigkeit Sachsens insgesamt beitrage. Internationales Profil braucht internationale Fachkräfte Mehrere der befragten Unternehmen agieren weltweit und sind für ihre Arbeit existentiell auf internationale Fachkräfte angewiesen. Die internationalen Kollegen arbeiten beispielsweise als Vertreter der Unternehmen 73 4.2 Jens Wilde, Leiter Personalund Sozialwesen der Linde Engineering Dresden GmbH »Unsere ausländischen Fachkräfte sind unabdingbar für eine effiziente Bearbeitung unserer weltweiten Märkte und einen kompetenten Umgang mit unseren internationalen Kunden. Damit tragen sie wesentlich zum Erfolg unserer Großprojekte bei.« Prof. Dr. Arnold van Zyl, Rektor der Technischen Universität Chemnitz direkt bei ausländischen Kunden vor Ort oder als »Rotationals« aus anderen Unternehmensteilen. Sie sind damit Spezialisten, deren Fach-, Sprach- und Kulturkenntnis gefragt ist. Internationale Vielfalt im Unternehmen als Wettbewerbsvorteil Ausländische Fachkräfte sind jedoch keine »Lückenbüßer« – auch das haben die befragten Unternehmen deutlich gemacht. Im Gegenteil: Unternehmen besetzen ihre Stellen gezielt mit ausländischen Fachkräften. Sie besitzen spezielle Sprach- und Kulturkompetenzen, die für die globalisierte Wirtschaft immer wichtiger werden. Außerdem sind sie durch ihre eigenen Migrationserfahrungen Experten im interkulturell gelingenden Umgang. Nicht zuletzt bringen sie neue Perspektiven und damit neue Möglichkeiten ins Unternehmen. »An der Technischen Universität Chemnitz sind wir überzeugt, dass eine Vielfalt von Menschen und Ideen eine wichtige Voraussetzung für die Erzeugung von exzellentem und gesellschaftlich relevantem Wissen ist«. 74 Willkommenskultur und Serviceorientierung in den Behörden verbessern Fast alle Interviewpartner verfügen über langjährige Erfahrungen bei der Begleitung ausländischer Fachkräfte. Sie berichteten übereinstimmend von deutlichen Fortschritten und einer spürbaren Ausrichtung vor allem der Ausländerbehörden hin zur Unterstützung der sächsischen Unternehmen bei der Einstellung ausländischer Fachkräfte. »Es hat sich unheimlich viel getan in der Arbeit mit Behörden. Vom englischen Schild, zur Freundlichkeit der Mitarbeiter, bis hin zur Kooperationsbereitschaft mit uns.« Besonders hervorgehoben werden in diesem Zusammenhang die persönlichen Kontakte, die über den Zeitraum aufgebaut wurden und dank derer sich die Zusammenarbeit mit den Behörden immer erfolgreicher gestaltet. »Also bei unseren Angelegenheiten wissen wir immer, an wen wir uns wenden können. Der Kontakt ist da, also können wir Dinge ansprechen, ohne befürchten zu müssen, in ein Fettnäpfchen zu treten.« Es sei spürbar, dass sich vor allem die Ausländerbehörden zunehmend als Servicestellen verstünden, die die Unternehmen bei den notwendigen aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten unterstützend begleiten – und das auch in schwierigen Konstellationen. Einer der Interviewten berichtete beispielsweise von einem Fall, in dem ein Ingenieur Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e als Flüchtling aus einem nordafrikanischen Land nach Deutschland gekommen war. Das Unternehmen habe ihn aufgrund seiner Qualifikation einstellen wollen, was sich zu Beginn schwierig darstellte: »Das Arbeitsgenehmigungsverfahren und das Asylverfahren beißen sich etwas.« Die zuständigen Behörden haben dann gemeinsam mit der Personalabteilung eine Ausnahmereglung erarbeitet. Der Ingenieur arbeitet seit Juni 2012 im Unternehmen. Die Befragten unterstützten ausdrücklich den neuen Kurs, der mit dem Modellprojekt AKZESS in den Ausländerbehörden eingeschlagen wurde. Man müsse allerdings weitere Schritte gehen, da der Wettbewerb um die besten Köpfe immer schärfer werde. 75 »Wozu lässt man sich das alles versichern von den Konzernen oder Institutionen, wenn man dann doch jedes Blatt Papier nochmal dreimal umdreht. Man muss sich dann mehr aufeinander verlassen können, dann macht es Sinn, dass es eben die Relocator gibt.« Für alle Unternehmen ist die Serviceorientierung das wichtigste Thema in Bezug auf den Behördenkontakt. Dabei kristallisieren sich vier Bereiche heraus, in denen die Unternehmen Verbesserungen für notwendig erachten: das Auftreten der Sachbearbeiter, deren Kommunikation, die Informationspolitik, sowie Terminwartezeiten und Erreichbarkeit der Behörden. Verbesserungsbedarf sehen die Befragten vor allem bei der serviceorientierten Ausrichtung der Behörden, der Schaffung einheitlicher und transparenter Standards und einer wohlwollenden Nutzung der Spielräume der Gesetze sowie in der Optimierung der Schnittstellen zwischen verschiedenen Behörden. Die überwiegende Mehrzahl der befragten Organisationen setzt derzeit noch darauf, neue ausländische Fachkräfte bei ihren Behördengängen zu begleiten oder zumindest zu entlasten. Dafür setzen sie entweder eigene Mitarbeiter oder externe Dienstleister ein. Die Begleiter organisieren die notwendigen Papiere, machen Vorabsprachen, regeln im Vorfeld, was möglich ist und begleiten die neuen Mitarbeiter zur Ausländerbehörde. Dabei bauen sie vor allem auch sprachliche Brücken, denn in der Regel können die wenigsten ausländischen Fachkräfte so gut Deutsch sprechen, dass sie sich auf einer Behörde verständigen können. 76 »Wir würden uns selbst gern obsolet machen [in der Behörde], das wär der Traum … weil alles so gut läuft.« Diesen Wunsch formulierte einer der Interviewten auf die Frage, wie die Bearbeitung der Anträge in der Ausländerbehörde idealweise ablaufen soll. Die bereits skizierten Verbesserungen seien ein guter Ausgangspunkt, es sei aber noch nicht so, dass sie ihre ausländischen Kollegen allein auf die Behörde gehen lassen würden. Es mache noch immer einen Unterschied, ob ein Zuwanderer allein in die Behörde geht oder von einem professionellen Betreuer begleitet wird: »Ich sehe mich auch als Pufferstelle zu den Behörden, um vieles ab zu glätten, es einfacher zu machen.« Einer der Befragten wünscht sich, dass die Ausländerbehörde mehr auf die Arbeit derer vertraut, die als Dienstleister für große Firmen alle behördlichen Angelegenheiten für die ausländische Fachkraft regeln sollen: Jahresbericht 2012 Einer der Interviewten brachte die bestehende Diskrepanz auf den Punkt: »Wenn man aber die Blue Card so publik macht und wir wollen Fachkräfte hier her holen, dann sollte die Ausländerbehörde als Dienstleister fungieren. Und nicht noch abschreckend für die Ausländer sein.« Ein Interviewter äußerte den Eindruck, dass einige Mitarbeiter die »Verteidigung unseres Landes« als vorrangiges Ziel der Ausländerbehörden ansehen würden. Wie kann ich Ihnen helfen: Behördenmitarbeiter gehen weltoffen und dienstleistungsorientiert mit ausländischen Fachkräften um Alle Befragten äußerten sich lobend über die Freundlichkeit und das Engagement ausgewählter Sachbearbeiter in den Ausländerbehörden. Allerdings sei diese Grundhaltung nicht bei allen Mitarbeitenden anzutreffen. »Man kann Glück oder Pech haben, je nachdem an wen man gerät.« Kritisch berichteten sie davon, dass sie in ihrem Alltag auf der Behörde immer wieder eine unterschwellige Abwehrhaltung Ausländern gegenüber beobachten. »Ich hatte das Gefühl man ist ein Problem (...) das man jetzt stört« »Es herrscht eine Mentalität vor (…), dass die [Ausländer] wie Fremdkörper gesehen werden und man ihnen gegenüber erst mal negativ eingestellt ist.« w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Gleichzeitig wurde darauf verwiesen, dass es auch hier Zeit und die richtigen Erklärungen brauche, und sich dann vielleicht eher eine Art »Gastfreundschaft« entwickeln würde. Auf jeden Fall müsse die politische Botschaft, dass Sachsen auf die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte setzt, auch eins zu eins in der Verwaltungspraxis erkennbar sein. Ein anderer Interviewpartner vermutete als Grund für die ablehnende Haltung mancher Mitarbeitender deren bisherige Erfahrungen: 77 »Als Sachbearbeiter erlebt man viel. Man erlebt Leute, die immer mit Geschenken kommen, die wollen sich einschleimen, und Leute, die sich aufregen, die aggressiv werden. Ich glaube man erlebt so viel, dass man sich ein bisschen schützt und versucht eine Distanz zu halten.« Insbesondere in der Ausländerbehörde haben die Mitarbeiter täglich Kontakt zu Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Damit sind sie regelmäßig mit interkulturellen Irritationen und Missverständnissen konfrontiert. Wichtig sei jedoch, damit konstruktiv umzugehen. Interkulturelle Trainings könnten helfen, die Mitarbeitenden in den Behörden in ihrer kulturellen Kompetenz zu schulen. Ein Interviewpartner schlug Austauschprogramme für die Sachbearbeiter vor. Denn eigene interkulturelle Erfahrungen und der Perspektivwechsel können zu einem breiteren Verständnis anderer Kulturen beitragen. Alle Interviewpartner betonten, wie wichtig es sei, dass sich die Mitarbeitenden offen, freundlich und serviceorientiert gegenüber Ausländern verhalten. Nur so können bei den Zuwanderern wahrhaftig der Eindruck vermittelt werden, dass sie in Sachsen willkommen sind. What can I do for you: Mehrsprachigkeit in den Ausländerbehörden fördern Englisch ist in den letzten Jahren zur Weltsprache geworden. Sie ist die Lingua Franca der Gebildeten in der ganzen Welt. Sogar in China gilt Englisch als Zweitsprache. Nach einigen Erhebungen sprechen mehr Chinesen Englisch als Amerikaner. Aus diesem Grund haben englischsprachige Länder im internationalen Wettbewerb um kluge Köpfe einen klaren Vorteil. Deutschland hat dadurch einen relativen Standort- 78 nachteil, denn die Sprache ist wichtiger Faktor bei der Entscheidung für einen neuen Arbeitsplatz. Das können wir aber ändern, wenn wir Englisch im Umgang mit den Behörden zulassen. Wenn die Behörden und die Gesellschaft den ausländischen Fachkräften entgegenkommen, ihre Fremdsprachkenntnisse verbessern und sie in die Behördengespräche einbringen, können sie damit die Einstiegshürden für neue Fachkräfte und für die Ansiedlung neuer Firmen verringern. So wird Sachsen attraktiver! »Die meisten haben in ihrem Studium sowieso Englisch gelernt. Die fragen sich dann, geh ich nach Australien, Großbritannien, in die USA, wo ich die Sprache schon dreiviertel kann oder nach Deutschland, wo ich bei der Sprache bei null anfangen muss.« Doch selbst wenn eine ausländische Fachkraft über Grundkenntnisse in Deutsch verfügt, ist das Deutsch, das auf Behörden gesprochen wird, schwer verständlich. Selbst einer der (deutschen) Interviewpartner sah sich dabei überfordert: »Die reden in einer irren Geschwindigkeit und mit Fachbegriffen, man fühlt sich überfahren. Selbst ich habe gedacht, hoffentlich kapiere ich alles, was die jetzt erzählen.« Zur Serviceorientierung einer Behörde gehört die Rücksichtnahme auf die Kunden. Sei es durch die Anwendung von Fremdsprachenkenntnissen oder durch das Bemühen um eine einfache und klare Sprache. »Idealerweise würden die Sachbearbeiter fließend Englisch sprechen und die Behörde wäre komplett zweisprachig aufgestellt.« Diesen Wunsch äußerten viele der Interviewpartner. Zwar sprechen mittlerweile mehr Jahresbericht 2012 Behördenmitarbeiter Englisch, aber dennoch sind es nicht viele. Insbesondere die Ausländerbehörde sollte sich mehrsprachig aufstellen, um serviceorientierter zu werden. Dies ist auch mit einer gewissen Rücksichtnahme und einem Entgegenkommen verbunden. Dass nicht jeder Ausländer über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt und diese für die berufliche Tätigkeit auch nicht zwingend haben muss, verdeutlichen die beiden Aussagen der Interviewten: die direkte Kommunikation zwischen den Behördenmitarbeitenden und den Zuwanderern, es wäre auch für die Unternehmen eine deutliche Entlastung, weil sich ihr Betreuungsaufwand verringern würde: »Natürlich ist in Deutschland Deutsch Amtssprache, aber es ist schwierig zu erwarten, dass jemand, der zum ersten Mal hierher kommt, fließend Deutsch spricht.« »Bei uns ist es keine Grundvoraussetzung, um Ausländer bei uns einzustellen, dass sie Deutsch sprechen. Es ist völlig okay und ausreichend, wenn sie Englisch sprechen.« Gut vorbereitet ins Gespräch: Die notwendigen Informationen zugänglich machen Mehrsprachigkeit in den Behörden ist ein klares Willkommenssignal. Damit wird die Kommunikation auf Augenhöhe erleichtert. Das hat nicht nur positive Auswirkungen für w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e »Es gibt Leute, die können gut Englisch sprechen. (…). Das ist viel wert, wenn wir wissen, die Leute müssen da hingehen, dann müssen wir nicht mehr mitgehen.« Ein wichtiges Thema für dienstleistungsorientierte Behörden ist eine offensive und transparente Informationspolitik. Dabei wurden in den Interviews vor allem zwei Mängel beklagt, zum einen die mangelhafte Information der Unternehmen und Relocation Services und zum anderen der unzureichende Informationszugang für die Zuwanderer. 79 »Man kann durchaus die deutschen Formulare unterschreiben und das Englische liegt nebenan als Kommentierung.« Auch Einladungsschreiben sollten mehrsprachig verfasst sein. Dadurch entfällt der Übersetzungsaufwand für die Betreuer. Zudem sei es wichtig, dass die Hinweisschilder der Ausländerbehörden mehrsprachig sind. Den Wunsch nach einem verbesserten Informationszugang äußerte ein Interviewter wie folgt: Die Interviewpartner gaben an, dass sie sich eine verbesserte Informationsweiterleitung bei Gesetzesänderungen wünschen würden. Konkrete Vorschläge waren die Teilnahme an Infoveranstaltungen und Rundschreiben an die Personalabteilungen der Unternehmen. Beispielsweise berichtete eine Gesprächspartnerin, dass sie in der Behörde nach den Gesetzesänderungen der Blue Card fragte und auf das Internet verwiesen wurde. Wünschenswert wäre, dass die Behörden das Potential der Kooperation mit den für die Betreuung der ausländischen Fachkräfte zuständigen Mitarbeitern erkennt. Die Befragten gaben an, dass sie die administrativen Prozesse so reibungslos wie möglich gestalten wollen und deswegen auf eine gute Zusammenarbeit mit den Behörden angewiesen sind. Sie arbeiten mit und nicht gegen die Behörde, und können zu Erleichterungen im Ablauf der Prozesse beitragen. Dass den Behörden diese Intention oft nicht bewusst ist, verdeutlicht einer der Interviewten: 80 »Wenn man versucht an eine Information ranzukommen, wird man erst mal weit weg gehalten und erst, wenn der Sachbearbeiter merkt, wir wollen eigentlich friedlich zusammenarbeiten, wird es angenehmer.« Von einer kooperativen Zusammenarbeit profitieren beide Partner, da sie die gleiche Intention verfolgen: die Verwaltungsaufläufe so schnell und reibungslos wie möglich zu gestalten. Eine verbesserte Informationsweitergabe wird von den Gesprächspartnern auch in Bezug auf die ausländischen Fachkräfte gefordert. Wichtig sei dabei zum einen, dass die Informationen leicht zugänglich sind, zum Beispiel auf Flyern oder im Internet. Zum anderen sollten die notwendigen Informationen und Formulare auch mehrsprachig vorliegen. Die Interviewten lobten, dass infolge des Pilotprojektes AKZESS übersichtliche Merkblätter entworfen und zahlreiche Formulare übersetzt wurden. Diese Initiative sollte aufgegriffen und weitergeführt werden. Jahresbericht 2012 »Ich würde mir wünschen, es gäbe Checklisten oder Merkblätter: (...) was muss ich der Reihe nach machen, wenn ich nach Deutschland komme. (...) Unterschied zwischen Deutschlandvisum und Schengenvisum, wann krieg ich welches und warum und wofür befähigt mich das. Wenn sie sich auskennen, finden sie das alles im Internet, aber sie müssen erst mal wissen, wonach sie fragen können.« Dies verdeutlicht, dass die Ausländer aktiv über ihre gesetzlichen Ansprüche und Möglichkeiten informiert werden müssen. Man kann nicht verlangen, dass jemand, der kaum Deutsch spricht, die Gesetzesregelungen versteht und entsprechend geltend machen kann. Deshalb wurde von den interviewten Unternehmen neben der Aufbereitung von Informationen über die gesetzlichen Bestimmungen auch die Einrichtung einer Servicestelle mit kompetenter Beratung gefordert. Diese soll die Ausländer über ihre möglichen Optionen und Alternativen beraten. Ein Interviewpartner beschreibt es wie folgt: »Warum kann die Ausländerbehörde nicht sagen, dass geht jetzt nicht, aber Sie können stattdessen das und das beantragen. Dann steht in der Rechtfertigung: ›Sie haben erst das beantragt und dann das. Wissen Sie w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e eigentlich, was Sie wollen?‹ Warum können die nicht sagen, in ihrem Fall ist das gar nicht gut, hier würde ich lieber auf das ausweichen.‹.« Wenn sich Zuwanderer und Begleiter leicht über die geltenden Regeln und Gesetze informieren können, können die Prozesse insgesamt transparenter und besser gestaltet werden. Zusätzliche Behördengänge können vermieden werden, die Angelegenheiten können schneller erledigt werden und die Zuwanderer kommen informierter ins Gespräch – womit sicher auch die Mitarbeitenden in den Ausländerbehörden entlastet werden würden. Wir sind für Sie da: Terminmanagement und Erreichbarkeit verbessern Ein gutes Terminmanagement und Erreichbarkeit sind wesentliche Kriterien dienstleistungsorientierter Behörden. Die Interviewpartner berichteten von zwei verschiedenen Systemen in den Ausländerbehörden: entweder werden Termine vergeben oder es wird eine Nummer gezogen und man wartet solange, bis man dran ist. Die Erfahrungen der Interviewpartner beziehen sich vor allem auf das Terminsystem, dessen Vor- und Nachteile ein Interviewpartner so beschreibt: »Durch das Terminsystem müssen sie [die Ausländer] in der Regel nicht warten. (…) Auf der anderen Seite versuche ich jetzt langfristig Termine zu bekommen. Während ich bisher wöchentliche Termine hatte, kämpfe ich jetzt drum, dass ich einmal im Monat einen Termin habe.« Viele der Interviewten beklagen die langen Wartezeiten auf einen Termin. Von der Beantragung bis zum eigentlichen Termin dauere 81 es mehrere Wochen, wenn nicht gar Monate. Die langfristige Beantragung von Terminen ist besonders bei Wissenschaftlern kaum möglich: »Ein Vierteljahr vorher müssen die Verlängerungsanträge eingereicht werden, damit der Gast ausreichend Zeit hat, bei der Ausländerbehörde alles zu regeln. Das kann nicht sein. In der Wissenschaft kommt das Projekt fünf Minuten vor Abfahrt des Zuges …« Einer der Interviewpartner, der deutschlandweit tätig ist und Erfahrungen mit Ausländerbehörden in anderen Städten hat, erklärte, dass die Terminwartezeiten hier zu den längsten gehören: »Frankfurt hat auch eine riesen Anzahl von Ausländern, dort kriegen wir aber einen Termin innerhalb von ein bis zwei Wochen.« Als Grund für die hiesigen langen Wartezeiten vermuteten die Befragten Personalmangel in der Behörde. Wie sich die Praxis der Terminvergabe auf das Unternehmen auswirkt, zeigen folgende Beispiele: Stammt der zukünftige Arbeitnehmer aus einem Land, bei dem eine visumsfreie Einreise möglich ist, darf er erst arbeiten, nachdem er auf der Ausländerbehörde seinen Aufenthaltstitel beantragt hat. Aufgrund von langen Terminwartezeiten kommt es vor, dass die ausländische Fachkraft bereits eingereist ist und noch vier Wochen auf einen Termin bei der Ausländerbehörde warten muss, bevor sie arbeiten kann. Dadurch verzögert sich der Arbeitsbeginn unnötigerweise. Läuft eine Aufenthaltserlaubnis ab, bevor sie verlängert werden kann, so bekommt der Ausländer einen vorläufigen Aufenthaltstitel, eine sogenannte Fiktionsbescheinigung. Das ist auch häufig bei der Einreise der Fall. Einreisevisa sind meist drei Monate gültig. In 82 diesem Zeitraum muss der Arbeitnehmer einreisen, einen Aufenthaltstitel in der Ausländerbehörde beantragen und abholen. Oft kann der Titel nicht innerhalb der drei monatigen Gültigkeit des Visums ausgestellt werden, weil die Ausstellung des elektronischen Aufenthaltstitels laut Aussagen der Teilnehmer vier bis sechs Wochen dauert. Deshalb bekommen die Betroffenen eine Fiktionsbescheinigung. Das Unternehmen wiederum hat dadurch einen erhöhten administrativen Aufwand, weil sie die gültige Aufenthaltsgenehmigung in ihr System einpflegen müssen. Außerdem werden Fiktionsbescheinigungen von der Kindergeldkasse nicht anerkannt. Wünschenswert wäre deshalb eine flexiblere und zeitnahe Vergabe von Terminen. Es kann nicht sein, dass sich der Arbeitsbeginn einer aus dem Ausland angeworbenen Fachkraft um mehrere Wochen verzögert, da kein zeitigerer Termin gefunden werden kann. Zur Beschleunigung der Verwaltungsabläufe könnte die Arbeitsteilung innerhalb der Ausländerbehörde beitragen, wie ein Teilnehmer aus Frankfurt berichtet: »Frankfurt hat eine interne Aufteilung, (...) einen Relocation Schalter (...) und eine Visastelle, das bedeutet es gibt Sachbearbeiter, die ausschließlich für das Visumsverfahren zuständig sind« Ein weiterer Aspekt, der zur Serviceorientierung gehört, ist die telefonische oder elektronische Erreichbarkeit. Die Unternehmen wünschen sich, dass Behördenmitarbeiter zeitnah auf Emails und Anrufe reagieren. Wir finden eine Lösung: Ermessensspielräume einheitlich und wohlwollend im Interesse der Unternehmen nutzen Die Interviewten berichteten über sehr unterschiedliche Erfahrungen, die sie im Umgang Jahresbericht 2012 mit verschiedenen Ausländerbehörden gemacht haben. Sie schilderten den Eindruck, dass die Unterschiede auf je unterschiedliche interne Amtsverständnisse zurückzuführen sind, die entweder restriktiver oder liberaler ausgerichtet sind. Daraus ergeben sich beispielsweise unterschiedliche Anforderungen für den gleichen Sachverhalt. Für ein und denselben Vorgang würden teilweise unterschiedliche Dokumente angefordert. Dies sei nicht nur von der Behörde, sondern auch vom jeweiligen Sachbearbeiter abhängig. »Man stellt sich vor, die Behörden haben die gleichen Regeln. Das man das übertragen kann von einer Behörde auf die andere. Aber es sind sehr unterschiedliche Anforderungen.« Die mangelnde Transparenz in den Anforderungen der Behörden hat zur Folge, dass die Handlungen der Sachbearbeiter teilweise als willkürlich empfunden werden und für den Antragsteller nicht nachvollziehbar sind. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Außerdem verwiesen die Interviewpartner auf eine fehlende Kontinuität bei der Auslegung der geltenden Gesetze. »Es ist nicht kontinuierlich, wie die Gesetze ausgelegt werden.« Die Unternehmen, die mit verschiedenen Behörden zu tun haben, berichteten von deutlichen Unterschieden in der Nutzung des Ermessensspielraumes. In manchen Behörden würden die Gesetze und Bestimmungen »besonders gründlich (…) und katholisch ausgelegt«, andere Behörden seien »… auch mal bereit, abseits des Weges zu gehen, also so lange es noch im Rahmen liegt …« und werden als »kooperativer« eingeschätzt. »Die Ausländerbehörde X ist oft bereit dem Visum zuzustimmen, bevor die Originalunterlagen aus dem Ausland angetroffen sind. Das beschleunigt den Prozess. Dadurch, dass die Arbeitsgenehmigung beantragt worden ist, hat die Behörde schon eine Kopie 83 Melderegister ermöglicht werden, würde der zusätzliche Gang zur Ausländerbehörde entfallen. Vergleichbares gelte für die Beantragung von Kindergeld. »Weil man kriegt die Haushaltsbescheinigung beim Bürgeramt, also der Meldestelle und man muss es bei dem Antrag auf Kindergeld wieder einreichen und ich glaube was X meint, dass man es gleich bei der Anmeldung ausgestellt bekommen kann. Meinetwegen auch später, aber mir wäre es lieber, wenn wir [das Unternehmen] das machen können, als Vertreter mit Vollmacht, damit nicht jedes Mal die Familie dahin gehen muss mit Pass und sich dann ne Nummer ziehen und stundenlang wartet, um diesen Stempel zu bekommen.« vom Pass und Diplom, sie haben schon die meisten Unterlagen, die sie brauchen (...) außerdem haben sie im Visaonlinesystem die Informationen, Herr XY hat am soundsovielten ein Visum beantragt.« Dieses Beispiel zeigt, dass eine wohlwollende und dienstleistungsorientierte Auslegung der Ermessenspielräume möglich ist, die zu einer deutlichen Beschleunigung des Prozesses führt. Grundsätzlich wünschen sich die Interviewten klare Anforderungen und einheitliche Standards, beispielsweise anhand von Checklisten, die für alle Ausländerbehörden gelten sollten. Dadurch können die behördlichen Prozesse transparenter und effektiver gestaltet, sowie Frustration vermieden werden. Denn wenn jemand mehrere Stunden im Wartezimmer verbringt oder mehrere Wochen auf einen Termin wartet, ist es mehr als frustrierend, vom Sachbearbeiter zu erfahren, dass ein wichtiges Dokument fehlt. Außerdem wünschten sie sich eine Nutzung 84 des Ermessensspielraumes im Sinne des Unternehmens. Das Ziel sollte ein möglichst schneller und unkomplizierter Verwaltungsablauf sein. Sie regten einen Erfahrungsaustausch unter den Ausländerbehörden in diesem Sinne an. Auch beim Nachweis von Krankenversicherungen als notwendiger Bestandteil für einen Aufenthaltstitel gibt es sich widersprechende Anforderungen: »Reisekrankenversicherungen werden für den Aufenthaltstitel nicht anerkannt, weil die nur das abdecken, was dringend sein muss und nichts Prophylaktisches. Die gesetzliche Krankenversicherung kann aber erst Leute aufnehmen, wenn sie einen Aufenthaltstitel von 366 Tagen haben, also über ein Jahr. Da beißt sich die Katze massiv in den Schwanz. Ich kriege keinen Aufenthaltstitel ohne eine Versicherung und ich kriege keine Versicherung ohne einen Aufenthaltstitel.« Unternehmen müssen hier derzeit aus eigener Kraft alternative Lösungen entwickeln, die zeit- und kostenaufwändig sind. Für die ausländischen Fachkräfte sind solch verwirrenden Konstellationen – selbst wenn sie deutsch sprechen – nicht nachzuvollziehen. In einem Wettbewerb um die besten Köpfe sind sie kontraproduktiv. Probleme gebe es auch an der Schnittstelle zwischen den Prozessen der Ausländerbehörde und der Schulbehörde. »Schwierig ist, dass erst im Sommer entschieden wird, an welchen Schulen es DaZLehrer geben wird und wenn man ein Kind anmelden will, kann man nichts machen, erst dann Ende der Sommerferien. Das ist schwierig, weil manchmal eine Schulbescheinigung notwendig ist. Für den Aufenthaltstitel braucht die Ausländerbehörde eine Schulbescheinigung, wenn schulpflichtige Kinder dabei sind.« Gemeinsam besser werden: Behördenabläufe und Schnittstellen koordinieren und optimieren Weitere Verbesserungsvorschläge zielen auf die bessere Koordination zwischen den einzelnen Behörden bzw. zwischen den Anforderungen, die Behörden und Organisationen an Zuwanderer stellen. Das betrifft beispielsweise eine bessere Abstimmung zischen der Führerscheinstelle und der Ausländerbehörde – zur Beantragung des deutschen Führerscheins ist derzeit eine zusätzliche Bestätigung der Ausländerbehörde notwendig. Könnte hier stattdessen der Zugriff der Führerscheinstelle auf das Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 85 4.3 Familien und Partner der Zuwanderer berücksichtigen es sich beispielsweise um einen Gastwissenschaftler, der nur wenige Monate hier sein wird, so kommt er in der Regel allein. Bei einem Spezialisten mit mehrjähriger Berufserfahrung, der für längere Zeit in Sachsen arbeiten will, ist es wahrscheinlich, dass er seine Familie mitbringt. Allerdings ist die Begleitung oder der Nachzug der Familie nicht in jedem Fall problemlos möglich. Ein Gesprächspartner berichtete von einem Fall, bei dem sich die Familienzusammenführung sehr schwierig gestaltete: »Die Fachkräfte, die sich hier um einen Job bewerben, sorgen dafür, dass die Familie nach Sachsen zieht. Ob die Familie in Sachsen bleibt, entscheiden die Frauen.« Die mitreisenden Familienangehörigen sind aus Sicht der Befragten ein bisher klar unterschätzter Faktor der Willkommensgesellschaft. Ihr Wohlbefinden ist ein zentraler Faktor, der über Gehen oder Bleiben der Familie entscheidet. »Es geht nicht nur um die Behandlung der Person selber, da wird noch oft darüber nachgedacht, aber es geht um das Gesamtpaket, die kommen mit Familie.« »Die Lebenspartnerschaft wird nicht anerkannt, obwohl sie zwei Kinder haben und schon lange Zeit zusammen sind. Jetzt müssen Wege gefunden werden, damit sie hier das Jahr gemeinsam verbringen können.« Der Familiennachzug ist derzeit nur jenen Paaren gestattet, die verheiratet sind. In der Realität gibt es allerdings auch andere Familienformen. Deshalb fordern die Interviewten eine Berücksichtigung von alternativen Formen der Partnerschaft bei den Bestimmungen des Familiennachzuges. Kommen Zuwanderer mit ihren Familien zu uns, müssen auch die Bedürfnisse und Lebenslagen ihrer Partner und ihrer Kinder berücksichtigt werden. Ein echtes Willkommen gilt ihnen allen. Ob ausländische Fachkräfte mit Familien kommen, ist abhängig von der Dauer ihres Aufenthalts und von ihrem Alter. Handelt 86 Jahresbericht 2012 Beschäftigungssituation und Integration der Partner verbessern Die Beschäftigungssituation des mitreisenden Partners ist ein Schlüsselthema für die Familien. Derzeit ist ihnen der Arbeitsmarktzugang nur beschränkt erlaubt. Viele von ihnen waren vorher berufstätig und haben sehr gute Ausbildungen. Mit Inkrafttreten der Blue Card am 01.08.2012 wurde der Arbeitsmarktzugang für Ehegatten erleichtert. Allerdings haben nur Hochqualifizierte mit einem Bruttojahresgehalt von 44.800 Euro bzw. 34.944 Euro in Mangelberufen einen Anspruch auf eine solche Blue Card. Nach Aussagen der Befragten profitiert derzeit nur ein ganz kleiner Kreis von diesen Regelungen. Doch selbst wenn der mitreisende Ehegatte arbeiten darf, gestaltet es sich nicht immer einfach: »Wenn er [Partner] arbeiten darf und will, dann muss er sich entweder selbstständig machen oder eine Arbeit suchen und diesen langen Prozess durchmachen und das erschwert die ganze Sache. Wenn jemand ohnehin nur ein oder eineinhalb Jahre da ist, sagen die sich, ich bleib zu Hause.« Hier spielt das Thema der Anerkennung ausländischer Abschlüsse eine große Rolle: »Dann hat man es vielleicht für die Fachkraft selber noch leicht gemacht, aber dann kommt ein Ehepartner mit und typischerweise sind Akademiker mit Akademikern verheiratet, und dann wird das Studium nicht anerkannt und dann gibt es für den Ehepartner keine Arbeitserlaubnis.« Es geht also nicht nur darum, ob der Partner arbeiten darf, sondern ob er seiner Qualifikation entsprechend arbeiten kann. Ein weiterer Faktor, der die Arbeitsaufnahme des Partners erschwert, sind fehlende w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Sprachkenntnisse. Einer der Interviewpartner wies darauf hin, dass sein Unternehmen mittlerweile gezielt darauf achtet, dass die Partner der ausländischen Fachkräfte in den Integrationskursen angemeldet werden. Die Teilnahme an einem solchen Sprachkurs erleichtert dem Partner nicht nur die Arbeitssuche, sondern auch die Integration in den Alltag. Die fehlende Möglichkeit, sich beruflich angemessen engagieren zu können, führt zu Spannungen und Problemen. »Oft sind die Frauen sehr unglücklich, dass sie hier nichts tun können.« »Wir haben ganz viele Frauen, die dann einfach zu Hause hocken. Denen ist langweilig, denen fällt die Decke auf den Kopf.« Viele der Partner engagieren sich ehrenamtlich. Das dies aber keine wirkliche Alternative zur Berufstätigkeit ist, verdeutlicht das folgende Zitat: »Das sind meistens Hochqualifizierte, die haben alle ihren Beruf aufgegeben (...) Und das ist ja auch wenig befriedigend, hier einmal in der Woche freiwillig in einer internationalen Schule zu arbeiten.« 87 Die Möglichkeit zur adäquaten Berufstätigkeit wirkt sich nach Meinung der Befragten direkt auf die Chancen aus, ausländische Fachkräfte in Sachsen zu halten. »Wenn es einfacher möglich wäre für die Frauen zu arbeiten, würde das dazu führen, dass die Familie grundsätzlich länger bleibt.« Ein Befragter wies in diesem Kontext auf den Ansatz eines »Dual Career Service« hin. Dieses Modell existiert derzeit bereits an einigen deutschen Universitäten und es unterstützt auch die Partner von neuen Wissenschaftlern ganz gezielt bei der Fortsetzung ihrer Karriere. Sprachliche und schulische Integration der Kinder optimieren Kinder von ausländischen Fachkräften brauchen Zugang zu Kindertageseinrichtungen und Schulen. Bei den Kindertageseinrichtungen ist das am meisten angesprochene Thema der akute Platzmangel. Dabei handelt es sich aber nicht um ein ausländerspezifisches Problem. Die Suche nach einem Platz ist sowohl für die Familien als auch die Dienstleister herausfordernd. Ein Verbesserungsvorschlag, 88 der hier genannt wurde, ist die Einrichtung einer aktuellen Übersichtsliste mit allen freien Plätzen. Dies gebe es bereits in einigen Gemeinden und könne auf andere übertragen werden. Dies würde die Suche enorm vereinfachen und unnötige Telefonate ersparen. Grundsätzlich sind die Erfahrungen mit den Kindertageseinrichtungen »überwiegend positiv«. Den ausländischen Fachkräften sei die Integration ihrer Kinder in ein deutsches Umfeld wichtig und außerdem lernen die Kinder dadurch deutlich schneller die Sprache. Absolut positiv wurde die Offenheit der Dresdner Kindertageseinrichtungen bewertet, mit der sie ausländische Kinder aufnehmen und wie sie mit ihnen umgehen. Das Thema Schule dagegen scheint eine größere Hürde für die ausländischen Fachkräfte darzustellen. Die erste Schwierigkeit liegt in der Wahl der geeigneten Schule. Sprechen die Kinder noch kein Deutsch, dann fühlen sie sich vor die Wahl gestellt, ihr Kind entweder in der internationalen Schule anzumelden oder in einer Schule, in der Deutsch als Zweitsprache gelehrt wird (DaZ-Klassen). Internationale Schulen sind englischsprachig. Sie bieten ein internationales Abitur, das weltweit anerkannt wird. Für ausländische Fachkräfte, für die der regelmäßige Wohnortwechsel zum Alltag gehört, ist das ein entscheidender Standortfaktor. Deshalb sind internationale Schulen sehr beliebt. Allerdings gibt es lange Wartelisten und Schulgebühren, die sich nicht alle leisten können. Viele Eltern wollten ihre Kinder aber ganz bewusst in normale Schulen einschulen, um den Spracherwerb und den Kindern das Eingewöhnen in Deutschland zu erleichtern. »Die ich jetzt neu betreut habe, haben gesagt, wir möchten jetzt erst mal in den Integrationsaspekt haben und möchten unsere Jahresbericht 2012 Kinder nicht mit ausländischen Kindern umgeben, sondern mit deutschen, um die Sprache schneller zu lernen.« Die Schulen mit DaZ-Klassen sind den Befragten als zweiter möglicher Weg bekannt, ihre Kinder einzuschulen. In diesen Vorbereitungsklassen sollen die Kinder grundlegende Sprachkenntnisse erwerben, bevor sie schrittweise in den Regelunterricht integriert werden. Die Interviewpartner bemängelten, dass es schwierig sei, Schulen mit DaZ-Klassen zu finden. Aus ihrer Sicht gäbe es zu wenige von diesen Schulen. Die Eltern hätten das berechtigte Interesse, ihre Kinder möglichst wohnortnah unterzubringen, das sei aber leider häufig nicht möglich und stelle die Familien und vor allem die Kinder vor besondere Herausforderungen. Außerdem beklagten die Interviewpartner, dass die DaZ-Klassen ausschließlich in Grund- und Mittelschulen angeboten werden. Zuwanderer wollen ihren Kindern die bestmögliche Bildung vermitteln und können nicht verstehen, warum Kinder, die bereits in der Abiturstufe waren, für mindestens ein Jahr wieder zurück in die Mittelstufe müssen, um dort Deutsch zu lernen. »Integrationsklassen auf Mittelschulniveau (...), das sind Kinder von Ingenieuren, die haben alle studiert, die haben einen Doktortitel, das wird sehr kritisch gesehen« Dadurch würden die Kinder mindestens ein Jahr verlieren und es würde Nachteile für die weitere Schullaufbahn entstehen. Viele Fachkräfte verstehen nicht, warum ihren Kindern der sofortige Zugang zum Gymnasium verwehrt bleibt. Deshalb solle es Intensivdeutschkurse parallel zum Regelunterricht in allen Schulformen geben, die eine flexible Eingliedew w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e rung der Kinder in den Schulprozess in allen Stufen ermöglichen. Mehr Flexibilität fordert ein anderer Interviewpartner. Er verwies darauf, dass ausländische Kinder in Sachsen das Recht auf Herkunftssprachenunterricht haben. Jedoch gibt es jährlich nur einen Tag, an dem die Anmeldung zu dieser Unterrichtsart gemacht werden kann. Kommen die Fachkräfte mit ihren Familien nach diesem Stichtag, müsste man wieder ein ganzes Jahr warten. Auch die Anerkennung von Schulabschlüssen wurde als wichtige Schnittstelle benannt, die kritisch gesehen wurde. »Die Frage ist, was haben die Abschlüsse der Kinder für einen Wert? Wenn die Kinder in der Schule sind, ist das unkritisch, aber wenn sie fertig sind, und hier studieren wollen, mit einem ukrainischen Abitur, na herzlichen Glückwunsch.« Die Befragten werben auch hier für mehr Flexibilität. Als Verbesserungsvorschläge wurden außerdem die Einrichtung bilingualer Schulen bzw. von Klassen mit internationalem Abitur genannt. 89 4.4 Interkulturelle Begegnung und gegenseitige Wertschätzung fördern Bestandteil des Interviews war auch die Frage danach, was man tun müsse, um die Willkommensgesellschaft Sachsen insgesamt weiter zu entwickeln. Die Interviewpartner stellten heraus, dass Sachsen nur dann ein attraktives Zuwanderungsland sein könne, wenn sich die ausländischen Fachkräfte hier wohl fühlen – nicht nur in ihren Unternehmen, sondern mit ihren Familien in der Gesellschaft. Dafür müsse sich die Gesellschaft weiter öffnen, die Befragten empfahlen, die Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Thema zu intensivieren und ganz bewusst Begegnungsmöglichkeiten zwischen Einheimischen und Zuwanderern zu schaffen. Es sei wichtig, dabei auch bewusst das Bild und das Image des Freistaates Sachsen in Richtung einer Willkommensgesellschaft zu verändern. Zuwanderer sind Botschafter für den Ruf Sachsens in der Welt Die Befragten wiesen hier nochmals auf den starken Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte hin. Es ginge dabei nicht mehr darum, welche Nationalität die Arbeitnehmer hätten, sondern darum, welche Qualifikationen sie mitbrächten. »Es fehlt nicht an deutschen Fachkräften, sondern es fehlen zum Teil die Qualifikationen, die dann ausländische Fachkräfte in unser Unternehmen miteinbringen und decken können.« 90 China und Indien spielten durch die wirtschaftliche Entwicklung und das enorme Bevölkerungspotential eine wachsende Rolle auf dem »Fachkräftemarkt«, wie einer der Befragten verdeutlichte: »Am langen Ende entscheidet sich das Fachkräftethema daran, wer für Chinesen und Inder attraktiv ist.« Neben dem internationalen Wettbewerb konkurrieren die Unternehmen auch innerhalb Deutschlands um die besten Köpfe – dabei werde die Frage nach der Attraktivität und der Lebensqualität des Standortes insgesamt immer wichtiger. »Ich stehe bereits in einem nationalen Wettbewerb mit für Ausländer attraktiveren Städten.« Sachsen hätte durch seine wirtschaftliche Entwicklung einen guten Grundstein gelegt. »Wir werden immer bekannter durch den Zusammenschluss der Halbleiterindustrie, das Silicon Saxony. Wir machen Messen hier und da kommen Leute aus dem Ausland und sehen, dass man hier gut leben und arbeiten kann.« Es käme aber dringend darauf an, die Attraktivität insgesamt zu verbessern. Man müsse sich bewusst sein, dass sich in Zeiten von Facebook, E-Mail und Skype jeder schlechte Jahresbericht 2012 Eindruck rasend schnell verbreiten könne. Internationale Fachkräfte sind weltweit gut vernetzt mit ihren Kollegen. »Also wenn ich mir vorstelle, dass jemand das Foto vom Gang der Ausländerbehörde, wo er wartet, online stellt. Und dann von jemand anderem in Australien hört, wo man aktiv bestimmte skill profile umwirbt und sagt, komm, wir machen dir das einfach. Dann macht sich die Fachkraft doch schon ihren Kopf.« Deshalb solle man jede Gelegenheit nutzen, echte Willkommenssignale zu senden und dafür zur sorgen, dass sich die Leute hier wohlfühlen. »Das sind Leute, die sind akademisch ausgebildet, die haben Kontakt mit ihren Kommilitonen, die sind vernetzt, die reden untereinander. Alle sind Multiplikatoren. In Zeiten von sozialen Medien sowieso.« Davon profitieren sowohl der Standort Sachsen als auch die Unternehmen: w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e »Ein guter Ruf von Sachsen hilft uns eins zu eins.« Die Interviewpartner berichteten, dass viele der ankommenden Fachkräfte ängstlich gegenüber diesem Thema eingestellt sind. Die Nachfrage, ob die betreuten Arbeitskräfte Erfahrung mit rassistischen Übergriffen gemacht haben, verneinten die Unternehmen und Relocation Services und sagten, dass sich fast alle sehr wohl hier fühlen: »Unsere ausländischen Fachkräfte haben in Sachsen keine Probleme, denn sie wissen im Zweifel gar nichts von den rechtsradikalen Problemen hier. Sie merken es vielleicht, wenn sie außerhalb der Arbeit unterwegs sind, wobei wir da auch noch keine schlechten Erfahrungen gesammelt haben.« Gleichzeitig wünschten sich die Befragten klare Signale und eine offene Kommunikation über diese Sorgen. Es sei wichtig, klar zu zeigen, dass Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Sachsen nicht geduldet würden. 91 »Es ist ein riesen Problem, eine Region für Ausländer attraktiv darzustellen, wenn bei der Fußball WM ›no go areas‹ announced werden (...) Und da kann ich einem Ausländer nicht erzählen, nö wir haben hier kein Problem mit Rechten (...) wenn du googelst, dann findest du Presseartikel, wo dann wieder anlässlich eines Dorffestes Ausländer durch die Gegend gejagt wurden. Wie viele das sind und ob das tatsächlich das größere Risiko ist, als ob auf dem Zebrastreifen überfahren zu werden, wer hat denn das auf dem Schirm?« Öffentlichkeitsarbeit zu den Themen Zuwanderung und Willkommensgesellschaft verbessern Hier war den Interviewten wichtig, dass nicht nur wirtschaftlicher Nutzen hervorzuheben sei, sondern grundsätzlich der kulturelle Gewinn der Zuwanderung. Zuwanderer seien immer auch Botschafter ihres Herkunftslandes. Sie sollten auch Botschafter Sachsens werden. Öffentlichkeitsarbeit 92 solle die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede zwischen Zuwanderern und Einheimischen in den Fokus rücken: »Das ist ein Mann und das ist ein Mann, ob der eine weiß ist und der andere schwarz, ist dann erst mal egal, denn die haben die gleichen Interessen. Die haben ganz viel gemeinsam, da ist es eigentlich egal, wo einer herkommt. Das man also nicht nur das Fremde und Besondere kommuniziert, sondern mehr das Verbindende.« Wichtig sei nicht nur eine formelle Positionierung zu Vielfalt und Internationalität in der sächsischen Gesellschaft, sondern auch der Wille diese zu leben und aktiv zu vertreten. Einige der Befragten erklärten, dass es zur Beschleunigung der gesellschaftlichen Öffnung mehr Ausländer brauche: »Wir brauchen mehr Ausländer, damit sie [die Gesellschaft] sich mehr dran gewöhnen. In Berlin würde sich keiner beschweren, wenn einer mit dem Turban rumläuft und Jahresbericht 2012 hier in Dresden kriege ich einen Anruf, ob der den denn immer tragen muss und dass man sich Sorgen macht.« Begegnungen und Kontakte fördern Das große Potential persönlicher Begegnungen für ein gelingendes Miteinander von Zuwanderern und Einheimischen veranschaulichte einer der Interviewten mit dieser Aussage: »Denjenigen, den man kennt, den schlägt man nicht.« Im Unternehmen eines Interviewpartners baut man deshalb derzeit ein Patenschaftsprogramm auf. Das Unternehmen wolle Patenschaften für ausländische Studierende während des Studiums übernehmen, die den Studierenden helfen können, sich in Dresden einzuleben und gleichzeitig die Bindung an das Unternehmen und an Sachsen fördere. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Ein anderer Interviewpartner berichtete von guten Erfahrungen in ländlichen Regionen. Er berichtete von einer Gruppe von thailändischen Spezialisten, die in einer kleinen Kommune im Erzgebirgskreis untergebracht worden waren. Trotz eigener anfänglicher Skepsis berichtete der Betreuer von viel Offenheit, die den Fachkräften dort entgegen gebracht wurden: »Die wurden so gut aufgenommen. Die Leute reden heute noch davon.« Der Befragte erklärte sich diese positiven Erfahrungen damit, dass sich in kleineren Kommunen leichter Kontakte herstellen ließen – Offenheit und Neugier vorausgesetzt. Die Befragten setzten auch auf die Möglichkeiten von Kunst und Kultur, hier seien Begegnungen jenseits der üblichen Zuschreibungen möglich: »Es gibt ja so viele Nächte, es gibt die Nacht der Kirchen, die Nacht der Museen, da könnte es doch auch eine Nacht der Kulturen geben.« 93 Eine der Befragten empfahl der Stadt, ein »World-Café« als Anlaufzentrum für Zuwanderer einzurichten: Ein Interviewpartner berichtete von eigenen Erfahrungen aus den USA. Dort werden bereits im Kindergarten alle Feiertage der unterschiedlichsten Religionsgemeinschaften gemeinsam zelebriert. Dadurch lernen die Kinder bereits im kleinsten Alter mit Vielfalt umzugehen und die Traditionen anderer zu respektieren. »… wäre so was wie ein ›World-Café‹ oder es gibt ja verschiedene Namen, wo etwas eigentlich rund um die Uhr betrieben wird, wo jeder, ob Student, ob Wissenschaftler, ob Ingenieur oder was, wer da Ausländer ist, der einen Anlaufpunkt braucht, dahinkommen kann und eben auch die richtigen Hinweise bekommen kann, wo man ein Auto mieten kann, wo man die Steuerunterlagen herbekommt usw. … Das müsste eine Anlaufstation sein, die eben solche täglichen Tipps gibt und die weit über die Leistung der Ausländerbehörde hinausgeht. Das würde ich unbedingt machen, das Café könnte stundenweise durch Relocation Firmen besetzt werden. Da müsste die Stadt nicht mal jemanden extra dazu einstellen.« 4.5 Sachsen als attraktives Zuwanderungsland: Vorhandene Spielräume mutig nutzen Müssen für die angesprochenen Empfehlungen eigentlich neue Gesetze erlassen werden? Die kurze Antwort darauf lautet: NEIN. Die meisten Empfehlungen könnten durch eine wohlwollende Interpretation der heute schon vorhandenen Ermessensspielräume oder durch die Anpassung der entsprechenden sächsischen Verwaltungsvorschriften umgesetzt werden. Andere Ideen können realisiert werden, wenn die entsprechenden Regeln eindeutig kommuniziert und deren Umsetzung überwacht würden. Das trifft z. B. auf die Viola Klein, Mitinhaberin und Aufsichtsrätin der Saxonia Systems AG »Um ausländische Fachkräfte zu gewinnen, müssen wir als Deutsche beginnen, über den Tellerrand zu schauen. Damit wir beginnen zu verstehen, wie es jemandem geht, der in einem anderen Land lebt oder studiert, und der für den Zeitraum 94 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Bildungsempfehlungen für zweisprachig aufwachsende Kinder zu, die bei entsprechender Begabung auch dann aufs Gymnasium gehen dürfen sollten, wenn ihre Schulnote im Unterrichtsfach Deutsch nicht auf der Höhe ihrer einsprachig aufwachsenden Mitschüler ist. Wir sind der Überzeugung, dass die übergroße Mehrzahl der Empfehlungen in der Hand des Freistaates Sachsen liegen. Jetzt liegt es an ihm, ob und wann er diese vielen Bälle aufgreift und unser Land damit zukunftsfähiger macht. seines Aufenthalts auch dort integriert werden möchte. Nehmen wir die ausländischen Studierenden, die wir ja auch hier zu uns holen wollen. Ich habe die Vorstellung, dass Unternehmen Patenschaften für diese jungen Leute übernehmen könnten, die in ihren Fachbereich passen. Dabei geht es nicht um ein Stipendium, sondern eher um das Gefühl für den Ausländer, Heimat geboten zu bekommen, sich hier wohl zu fühlen und mitarbeiten zu können. Daraus ergibt sich ganz nebenbei auch ein positiver Effekt beim Sprachenlernen, denn für die Studierenden ist es wichtig, die deutsche Sprache zu verstehen und zu sprechen. In so einer Patenschaft könnten wir auch was über andere Kulturen lernen – und damit über unseren Tellerrand schauen.« 95 5. Einigkeit macht stark: Netzwerke im Bereich Integration und Migration In den achtziger Jahren machte ein Buch Furore: »The Virtual Corporation« – »Das virtuelle Unternehmen«. Die Vision dieses Buches: Kleine und kreative Firmen können sich zusammentun und gemeinsam genauso stark sein wie ein großer Konzern. Diese Vision ist heute der normale Alltag. Handwerker bilden eine Bietergemeinschaft und gewinnen Aufträge, die für jeden Einzelnen zu groß wären. Zulieferer in der Automobilindustrie können über Bietergemeinschaften mit den großen Konzernen ins Geschäft kommen, bei denen sie einzeln nur schwer eine Chance hätten. Die Chancen der Vernetzung erkennen auch viele Initiativen im Bereich Migration und Integration. Gemeinsam sind sie stärker und können mehr für Integration erreichen, z. B. im Dialog mit der Verwaltung, der Politik und der Öffentlichkeit. Wir stellen ihnen an dieser Stelle zwei solcher Netzwerke vor: Den Sächsischen Migrantenbeirat und die Informations- und Anerkennungsstelle Sachsen (IBAS) als Teil des Netzwerks »Integration durch Qualifizierung« Sachsen. 96 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Netzwerken ist keine schwarze Kunst, sondern folgt klaren Regeln. Diese Regeln aufzuzeigen und die Vereine und Initiativen bei der Netzwerkarbeit zu unterstützen, ist Teil unseres Selbstverständnisses. Gleichzeitig sind wir selber Initiatoren des Netzwerkes der kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten und des Netzwerkes Integration und Migration Sachsen (NIMS). In beiden Netzwerken bieten wir eine Plattform für den fachlichen Austausch und den Kontakt mit Vertretern aus den sächsischen Ministerien und anderen relevanten Institutionen. Darüber hinaus sind wir Mitglied in bundesweiten Netzwerken wie z. B. der Bundeskonferenz der Integrations- und Ausländerbeauftragten des Bundes, der Länder und Kommunen und der Länderkonferenz der Integrations- und Ausländerbeauftragten. Die Arbeit in diesen Netzwerken ermöglicht uns, von innovativen Ansätzen aus anderen Bundesländern zu lernen, die besonderen Herausforderungen der neuen Länder in die Bundesdebatte einzubringen und dem Bund gemeinsame Länderinitiativen vorzuschlagen. 97 5.1 Netzwerk Integration und Migration Sachsen (NIMS) In Sachsen ist die Netzwerklandschaft in den letzten Jahren enorm gewachsen. Dies tut den Kommunen und dem Freistaat gut. Denn es zeigt, dass die Themen Migration und Integration auf eine breite Basis gestellt werden und ausbaufähig sind. Nur gemeinsam können wir für ein buntes Miteinander, für »Einheit in Vielfalt« eintreten. Durch Netzwerke können Informationen besser und schneller weitergegeben werden, Diskurse entstehen, Kontakte und Beziehungen verschiedener Akteuren entwickeln sich und durch das Zusammenwirken verschiedener Perspektiven entstehen Kreativität und Professionalität. Daher sind Netzwerke so wichtig für unsere Arbeit. Gleichzeitig haben Netzwerke »breitere Schultern« als Einzelakteure und sind besser in der Lage, die vielfältigen Herausforderungen anzunehmen. 98 »Mehr Vernetzung – Mehr Wert?!« – Unter diesem Motto stand das zweite Treffen des NIMS 2012. Im Rahmen des NIMS-Treffens konnten sich alle Teilnehmenden sowohl einen Überblick zur aktuellen Netzwerklandschaft im Bereich »Migration und Integration in Sachsen« verschaffen, als auch gemeinsam die Faktoren für erfolgreiche Netzwerkarbeit erarbeiten. Diese wollen wir Ihnen im Folgenden vorstellen: Ausgangspunkt des Treffens waren »Steckbriefe« der bisher bekannten regionalen und überregionalen Netzwerke im Bereich Migration und Integration. Die aktuelle Übersicht, die gerne von Ihnen ergänzt werden kann, befindet sich auf unserer Homepage www.offenes-sachsen.de. Struktur und Arbeitsweise der Netzwerke in Sachsen sind sehr unterschiedlich. Einige arbeiten kontinuierlich, auf breiten Spektrum und auf der Grundlage verbindlicher Regeln zusammen. Die Netzwerkteilnehmer verfolgen gemeinsame Ziele, die über die Arbeit der einzelnen beteiligten Organisationen hinausgehen. Andere Netzwerke treffen sich regelmäßig, um sich zum Stand der Arbeit in den einzelnen Institutionen auszutauschen und anlassbezogen gemeinsame Aktionen zu starten. Jahresbericht 2012 5.1.1 Was Netzwerkarbeit erfolgreich macht Was macht den Mehrwert dieser Netzwerkarbeit aus? Zunächst mal ist Netzwerkarbeit ja immer mit Mehrarbeit verbunden – es gibt zusätzliche Treffen, die vor- und/oder nachbereitet werden müssen, es entstehen Verantwortlichkeiten, die über das eigentliche Tagesgeschäft hinausgehen. Warum also noch zusätzliches Arbeiten in Netzwerken? Und: Wann ist das Arbeiten in Netzwerken erfolgreich? Sieben grundlegende Faktoren machen den Erfolg von Netzwerkarbeit (nicht nur) im Bereich Migration und Integration aus: 1. Das Selbstverständnis und die Ziele des Netzwerkes sind geklärt und schriftlich formuliert. 2. Das Netzwerk hat mindestens ein »Zugpferd« und/oder hat einen Koordinator/Sprecher des Netzwerkes benannt. 3. Die Kontinuität der Netzwerkarbeit wird durch ausreichende Ressourcen und die Motivation aller Netzwerkpartner gesichert. 4. Das Netzwerk pflegt eine regelmäßige, umfassende und wertschätzende Komw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e munikation innerhalb und auch über die Netzwerkgrenzen hinaus. 5. Das Netzwerk engagiert sich für eine professionelle Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit. 6. Die Netzwerkteilnehmer nutzen und fördern die Interdisziplinarität und Fachlichkeit innerhalb des Netzwerkes. 7. Eine regelmäßige themenspezifische Zusammenarbeit mit »Externen« ermöglicht das gegenseitige Lernen und erhöht die Sichtbar- und Fachlichkeit. Klare Ziele für die Netzwerkarbeit Dieser Erfolgsfaktor ist nicht nur für die Gründungsphase, sondern auch für die beständige Weiterentwicklung wichtig. Es geht um ein gemeinsames Selbstverständnis, das Grundlage für das Handeln des Netzwerkes ist. Mit dem Selbstverständnis stellt sich die Frage nach den Zielen des Netzwerkes. Diese sollten bei der Gründung gut durchdacht und schriftlich verbindlich für alle Teilnehmenden formuliert werden. Dabei ist ein erfolgreiches Netzwerk immer eine »Lernende 99 fenster, ein gutes Informationsmanagement und Organisationstalente mit Blick für die kleinen und großen Probleme. Beispielsweise kann man die Teilnahme auch von Ehrenamtlichen organisieren, wenn man entsprechende Fördermöglichkeiten in Anspruch nimmt.5 Die Motivation der Netzwerkteilnehmenden ist für die Kontinuität der Netzwerkarbeit von großer Bedeutung, und sie entscheidet sich daran, ob die Netzwerkarbeit für den Einzelnen oder die einzelne Organisation einen Mehrwert hat. Organisation« – sowohl das Selbstverständnis als auch die Ziele eines Netzwerkes können sich im Laufe der Zeit ändern, müssen evaluiert und angepasst werden. Zugpferde für Netzwerke Erfolgreiche Netzwerke brauchen Initiatoren und Trendsetter, die die Netzwerkarbeit voranbringen. Das kann eine offizielle Rolle als Koordinator oder Sprecher sein, die entweder rotierend vergeben oder dauerhaft wahrgenommen wird. Ebenso ist denkbar, dass sich inoffiziell ein »Zugpferd« herauskristallisiert, das mehr Verantwortung als andere Teilnehmende übernimmt und damit das gesamte Netzwerk weiterbringen kann. Diese offiziellen oder inoffiziellen Führungspersönlichkeiten können für Kontinuität, Professionalität und personelle Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit im Sinne des Netzwerkes sorgen und sind meist hilfreich für erfolgreiche Netzwerkarbeit. Rahmenbedingungen sichern Kontinuität Die Kontinuität des Netzwerkes braucht auch entsprechende Ressourcen. Dazu gehören erreichbare Räumlichkeiten, gemeinsame Zeit- 100 Information und Kommunikation im Netzwerk pflegen Regelmäßige, wertschätzende und umfassende Kommunikation innerhalb des Netzwerkes motiviert alle Netzwerkmitglieder. Für die Organisatoren des NIMS beispielsweise gilt »Alle sind eingeladen, einige kommen und arbeiten gemeinsam, alle werden anschließend über die Ergebnisse informiert und fühlen sich als geschätzte Mitglieder.« Das erhöht sowohl die Transparenz innerhalb des Netzwerkes als auch die gemeinsame Fachlichkeit. Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit für mehr Sichtbarkeit und Wirkung Netzwerke im Integrations- und Migrationsbereich brauchen Unterstützung und Öffentlichkeit. Eine erfolgreiche Öffentlichkeitsund Lobbyarbeit macht Netzwerke und ihre Arbeit sichtbar, wirbt für Unterstützung der Akteure und vor allem auch für die Ziele der Arbeit. Außerdem präsentiert sie die vorhandene Vielfalt und Fachkompetenz im Netzwerk. Öffentlichkeitsarbeit kann auf verschiedenen Wegen umgesetzt werden. Wichtig ist, dass sie dem Thema und dem Netzwerk angemessen ist und ihr Ziel, eine bestimmte Öffentlichkeit anzusprechen, erreicht. Darüber hinaus sollte gezielt Lobbyarbeit und Interessenvertretung gestaltet und praktiziert werden, wenn es für die Ziele und das Selbstverständnis sinnvoll erscheint. Lobbyarbeit bedeutet neben Vermittlung von fachlichen Informationen und personeller Kompetenz auch Beziehungspflege und strategischer Kontaktausbau in verschiedene gesellschaftliche Systeme (Politik, Wirtschaft o. Ä.). Offenheit und Vernetzung mit anderen Akteuren fördern Netzwerke profitieren von Vielfalt Netzwerke bestehen aus verschiedenen Teilnehmern, die unterschiedliche Perspektiven, berufliche Hintergründe und Erfahrungen mitbringen. Genau durch diese Verschiedenheit und Buntheit werden sie stärker und erfolgreicher. Die Förderung von Vielfalt, Interdisziplinarität und Fachlichkeit, sind wichtige Grundsteine für ein erfolgreiches Netzwerk. Schließlich kann der Erfolg der Netzwerkarbeit durch regelmäßigen themenbezogenen fachlichen Austausch und die Gewinnung von externen Experten gewährleistet werden. Dieser Austausch und die Offenheit des Netzwerkes nach außen sind wichtig für sein Fortbestehen und seine Lernfähigkeit; denn gegenseitiges Lernen erhöht die Fachlichkeit und die Kompetenz sowie die Sichtbarkeit bzw. Strahlkraft hin zu anderen Personen oder Institutionen. 5.1.2 Starke Netzwerke in Sachsen – was können wir selber tun? Was können Netzwerkteilnehmer in ihren konkreten Netzwerken selber tun, damit ihre Netzwerkarbeit erfolgreich wird und einen Mehrwert entfaltet? Wie können neue Netzwerke gegründet bzw. existierende gestärkt werden? Was können Netzwerke selbst tun, um ihre Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit zu verbessern? Wie können Kooperationen/Bietergemeinschaften gefunden oder gebildet werden, um Fördermittel für gemeinsame Projekte zu akquirieren? Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit intensivieren und verbessern Öffentlichkeitsarbeit zielt darauf ab, eine bestimmte Öffentlichkeit auf ein wichtiges Thema aufmerksam zu machen. Sie wendet sich an die Öffentlichkeit, die sich vielleicht zum ersten Mal mit dem Thema beschäftigt. Lobbyarbeit zielt auf Bewusstseinsbildung und Vermittlung von neuen Perspektiven und Sichtweisen von Entscheidungsträgern ab, die in einem oder mehreren relevanten gesellschaftlichen Feldern die Ziele des Netzwerkes befördern oder hindern können. Die Öffentlichkeitsarbeit wird professionalisiert, indem das Thema und die zu erreichende Öffentlichkeit genau definiert werden. Anschließend wird geklärt, welches geeignete Präsentationsmöglichkeiten sind. Kontinuität in der Öffentlichkeitsarbeit ist ebenso wichtig wie den richtigen Zeitpunkt für die Veröffentlichung eines Themas zu wählen. Nach Möglichkeit sollten prominente/einflussreiche Botschafter gewonnen werden, die Multiplikatoren für das Thema in der Öffentlichkeit sein können. 5 z. B. Förderrichtlinie »Wir für Sachsen« Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 101 Kooperierende Netzwerke/ Bietergemeinschaften bilden Wie werden aus kooperierenden Netzwerken Bietergemeinschaften bzw. wie gewinnt ein Netzwerk einen Träger zur Verwirklichung bestimmter Projekte? Zuerst muss geklärt werden, ob eine Kooperation oder das Finden eines Trägers angestrebt wird. Dies hängt von der Solvenz der Interessenten bzw. den potentiellen Partnern und den Zielen bzw. den angestrebten Projekten ab. Wenn eine Kooperation (von Netzwerken oder anderen Institutionen) eingegangen werden soll, ist zu klären, ob die kooperierenden Organisationsformen zueinander passen und welche (neue) Rechtsform geeignet wäre. Bei der Suche eines passenden Trägers (zur Projektrealisierung) sollten die Strukturen der Organisationsformen zueinander passen. Innerhalb einer Kooperation und bei der Eingliederung in einen Träger sollte schriftlich formuliert werden, wie die Verantwortlichkeiten und Aufgaben verteilt werden. Dazu gehören von Beginn an auch die Klärung und Festlegung der finanziellen Rahmenbedingungen, um z. B. während eines Projektes Zahlungsnöte zu vermeiden. Wesentlich bei beiden Formen der »Erweiterung« sind konstruktiv gestaltete Beziehungen zwischen Kooperationspartner bzw. 102 zwischen Vertretenden des künftigen Trägers und denjenigen, die sich dem Träger anschließen. Vor allem in strukturschwachen Gegenden scheint es sinnvoll, sich fachfremde, vor Ort aktive Träger zur Sicherung der inhaltlichen Arbeit zu suchen bzw. Kooperationen zwischen strukturschwachen Landkreisen und strukturstärkeren Städten anzustreben. Viele Vereine im Bereich Migration und Integration arbeiten nicht nur an gemeinsamen großen Zielen, sie konkurrieren gleichzeitig auch um Fördermittel. Sie kooperieren und konkurrieren also zur gleichen Zeit. Diesen scheinbaren Widerspruch fruchtbar zu machen – auch darum ging es beim NIMSTreffen. In der Wirtschaft nutzt man in diesem Zusammenhang den Begriff »Coopetition« – ein Zusammenspiel aus cooperation (Kooperation) und competition (Wettbewerb). Diese »kooperierende Konkurrenz« braucht vor allem eines: Vertrauen. Wir als Team des Sächsischen Ausländerbeauftragten verstehen es als unsere Aufgabe, mit den NIMS-Treffen ein Umfeld zu schaffen, in dem ein solcher Vertrauensaufbau möglich ist. Ein Nebeneffekt: Netzwerke sind immer mehr als nur die Summe ihrer Teile – wir dürfen also auf neue kreative Wege der sächsischen Netzwerke im Bereich Migration und Integration gespannt sein. Jahresbericht 2012 Der Sächsische Migrantenbeirat von Marc Lalonde, Vorsitzender des Ausländerbeirates der Stadt Dresden; Sebastian Vogel, Vorsitzender des Ausländerrates Dresden e. V. Am 17. Juni 2006 haben sich erstmals Migrantenselbstorganisationen aus ganz Sachsen, aber auch einzelne Personen sowie interessierte Stadträte und kommunale Ausländerbeauftragte zusammen gefunden, um sich in Fragen der Integrationspolitik besser abzusprechen und den sächsischen Migrantinnen und Migranten eine hörbare Stimme zu verleihen. Denn dieses Netzwerk wollte mehr sein als nur eine fachliche Austauschplattform. Der »SMB« sah und sieht sich zuallererst als Interessenvertretung der in Sachsen lebenden Migrantinnen und Migranten. Dieser Anspruch beinhaltet ganz konkrete Ziele und Maßnahmen, auf die sich geeinigt wurde, so zuvorderst: w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e • die Bildung von Ausländer- bzw. Migrantenbeiräten in den Städten und Landkreisen Sachsens; • die Förderung der politischen Beteiligung von Migrantinnen und Migranten am gesellschaftlichen und politischen Leben; • der Aufbau von Kontakten und Kooperationsbeziehungen zu Parlamenten, Politik, Verwaltungen und gesellschaftlichen Organisationen; • die Anerkennung durch sächsische Institutionen, insbesondere durch den Sächsischen Landtag und die Staatsregierung. Der SMB versteht sich als ein freies Koordinierungsgremium von Vereinen und Personen, die in der Integrationsund Flüchtlingsarbeit engagiert sind. Derzeit umfasst er annähernd 50 Mitglieder. Er ist jederzeit offen für alle interessierten Menschen und arbeitet transparent für alle Organisationen. Drei- bis viermal jährlich trifft er sich in öffentlichen Mitgliederversammlungen. Dazwischen organisiert ein Koordinierungskreis die Arbeit und vor allem die Kommunikation untereinander. Dabei wird darauf geachtet, dass neben den zivilgesellschaftlichen Vereinen und Initiativen die bestehenden Ausländerbeiräte ebenso eingeladen und angesprochen werden wie die kommunalen Ausländerbeauftragten. Dass der SMB politisch agieren und mit seiner großen Vielfalt an Mitgliedern die Stimme erheben kann, hat er längst bewiesen – nicht zuletzt mit seinem Positionspapier zum Sächsischen Zuwanderungs- und Integrationskonzept. Der SMB wird seine Aktivitäten weiter ausbauen und noch stärker in die Öffentlichkeit tragen. Im Jahr der sächsischen Leitung der Integrationsministerkonferenz ist das ein passender Anspruch. 103 Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse in Sachsen 2012 IBAS – Informations- und Beratungsstelle Anerkennung Sachsen von Kay Tröger, Claudia Poldrack (IBAS) Die IBAS blickt auf ein erfolgreiches Jahr 2012 zurück: Die Beratungsleistungen rund um das Thema Anerkennung von ausländischen Abschlüssen wurden oft und gern in Anspruch genommen. Nutzung des Fachthemas »Anerkennung« als ein netzwerküberspannendes Trägerthema für die Stärkung der Interkulturellen Kompetenzen. nicht reglementierter Berufsabschluss akademischer Abschluss Hintergrund Die ANSA-Studie6 hat bereits 2010 eine umfassende Analyse zur Anerkennungssituation in Sachsen vorgelegt. Die Ergebnisse der Studie bildeten die Grundlage für die Arbeit der IBAS. Sowohl das gewonnene Know How, die Netzwerkerweiterung als auch die Handlungsempfehlungen flossen in die Erarbeitung der Zielstellungen für die IBAS ein. Berufsabschluss landesrechtlich reglementierter Berufsabschluss Schulabschluss bundesrechtlich reglementierter Berufsabschluss 25 % 20 % Arbeits- und Wirkungsbereich der IBAS 15 % Ein großer Teil der sächsischen Arbeitsmarktakteure konnte über Veranstaltungen zu Inhalt und praktischer Anwendung des neuen Anerkennungsgesetzes erreicht und auch darüber hinaus beim Ausbau der eigenen interkulturellen Kompetenzen unterstützt werden. Sachsenweit wurde die Vernetzung mit Anerkennungsstellen, Arbeitsverwaltungen und Migrationsberatungsstellen intensiviert und um zahlreiche Kontakte zu weiteren Bildungsträgern aus den Schnittstellen Sprache, Qualifizierung und Aufenthalt erweitert. Die Arbeit der IBAS ist einer der drei Handlungsschwerpunkte des Netzwerks IQ Sachsen (www.netzwerk-iq-sachsen.de) unter der Koordination des EXIS Europa e. V. 104 Information und Beratung In vier Städten in Sachsen können sich alle Menschen mit einem ausländischen Abschluss zu den Möglichkeiten der Anerkennung bzw. des freien Berufseinstiegs beraten lassen. Der Standort der IBAS in Dresden ist ständig besetzt; in Leipzig, Chemnitz bzw. Zwickau finden Beratungstage einmal monatlich statt. Dazu kommt die Beantwortung von telefonischen, postalischen und E-MailAnfragen (auch aus dem Ausland). Insgesamt konnten über 550 Anfragen von Ratsuchenden in den letzten 14 Monaten bearbeitet werden. 6 Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen, eine Situations- und Bedarfsanalyse, herausgegeben durch den EXIS Europa e. V. im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz sowie des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Jahresbericht 2012 10 % 5% 0% sonst. akademische Abschlüsse Medizin | Pflege Lehramt | Pädagogik | Erziehung sonst. Berufsabschlüsse MINT-Berufe Sprachwissenschaften Schon bald nach dem Start der IBAS hat sich gezeigt, dass eine reine Verweisberatung zur Anerkennung (Anerkennung nötig bzw. Anerkennung möglich? – Zuständige Stelle – Verfahren – Kosten – Dauer) nicht ausreicht. Es sind hingegen fallspezifische Informationen zu beruflichen Alternativen auf dem w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e deutschen Arbeitsmarkt, zu Qualifizierungsangeboten und finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten nötig. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Ratsuchenden genau wissen, welche Schritte sie als nächstes gehen können oder müssen, um in qualifikationsadäquate Beschäftigung zu kommen. 105 Aufzeigen alternativer Wege zur Arbeitsmarktintegration im angestrebten Beruf. Wichtig ist das Verständnis, dass die Verfahren zur Anerkennung keine rein juristischen Vorgänge sind. Ein Anerkennungsverfahren ist unter Umständen eine von mehreren Möglichkeiten für den einzelnen Ratsuchenden. Hier setzt die IBAS auf die Zusammenarbeit mit und den Verweis an andere Beratungspartner. Die Nachbefragung der durch die IBAS Beratenen (Rücklauf 30 %) ergab, dass die Beratungsarbeit von Anfang an hohe Qualität aufwies sowie als äußerst nützlich und effektiv bewertet wurde. Insgesamt 50 % derjenigen, die an der Nachbefragung teilnahmen, durchlaufen derzeit ein Anerkennungsverfahren, 30 % haben einen Job gefunden. Tatsächlich verbesserter Zugang zu den Anerkennungsverfahren und dem Arbeitsmarkt ist erreicht … Aber Situation trotzdem noch nicht zufriedenstellend. Schulung und Begleitung Ziel war es zunächst, durch intensive Schulung von Multiplikatoren die IBAS als direkte Beratungsstelle für Ratsuchende zukünftig überflüssig zu machen. Da sich aber zunehmend die Komplexität dieses Beratungsfeldes gezeigt hat, erscheint es unrealistisch, auf die Arbeit einer zentralen Anlaufstelle mit spezialisierter Beratung zu verzichten. Oft wurde der Wunsch geäußert, dass IBAS weiterhin als Ansprechpartner für das Themenfeld bestehen bleibt. Ziel ist daher jetzt, den Beraterinnen und Beratern einen Überblick über das Thema zu geben und sie zu einfacher Verweisberatung zu befähigen. Aber auch das kann nur von Beraterinnen und Beratern geleistet werden, die regelmäßigen Kontakt zur Zielgruppe haben. 106 Landesverstetigung der Anerkennungsberatung und des Wissensmanagements, denn Anerkennungsberatung ist eine spezialisierte Fachberatung, die großes Know-how erfordert und nicht nebenbei geleistet werden kann (vgl. K.-H. Kohn, HdBA, Delphi-Breitband-Studie) 2012 fanden 35 Schulungen sowie zwei Workshops statt. Neben sächsischen Akteuren zählten auch die Beratungsfachkräfte der IHK-FOSA und der bundesweiten BAMFHotline zu den 334 Teilnehmerinnen und Teilnehmer (IHK FOSA: zentrale bundesweite Anerkennungsstelle für IHK-Abschlüsse). Regional wurden bereits alle Agenturen für Arbeit, acht von 13 Jobcenterbezirken sowie alle Kreise und Kreisfreien Städte Sachsens (außer Bautzen) im Hinblick auf Beratungsstellen, Bildungsträger und Unternehmen erreicht. Die Schulungsansätze orientierten sich an den Hauptzielgruppen Arbeitsverwaltung und Beratungsstellen und wurden in einer eintägigen Überblicksschulung oder einer ausführlichen 2-Tages-Schulung angeboten. Die Schulung informiert über Aufbau, Gesetzesgrundlagen, Verfahren und Informationsmöglichkeiten zum Thema Anerkennung, richtet sich durch den Einbezug von Jahresbericht 2012 Praxisfällen aber vor allem an der Anwendung des Wissens aus. Für die Schulungen wurden spezifische Materialien zur Unterstützung der Beratungsarbeit entwickelt. Kernstück ist eine einseitige Übersicht, mit der anhand von wenigen Fragen das richtige Verfahren im Einzelfall gefunden werden kann. Darüber hinaus entstand eine Arbeitshilfe, die die Übersicht in Einzelteilen erklärt und anhand von mehreren Entscheidungsbäumen ebenfalls auf das richtige Verfahren führt. Außerdem ist Mitte 2012 eine weitere Arbeitshilfe entstanden, die die Themenfelder Anerkennung und Existenzgründung miteinander verknüpft. Vernetzung und Moderation Über die Schulung zu tätigkeitsbezogenen Fachthemen der Teilnehmer gelingt die Stärkung der interkulturellen Kompetenz am effektivsten! Die Netzwerkarbeit mit allen bereits als relevant eingestuften Akteuren aus der ANSAStudie stellte einen besonderen Schwerpunkt der Arbeit der letzten anderthalb Jahre dar. Vor allem Ende 2011 und Anfang 2012 wurde die Arbeit der Informations- und Beratungsstelle Anerkennung Sachsen durch diverse öffentlichkeitswirksame Aktivitäten und Materialien bekannt gemacht. Im Verlauf des Jahres präsentierte sich die IBAS auf Messen, nahm an bundesweiten Veranstaltungen und Fachtagen teil und unterstützte verschiedene Facharbeitsgruppen. Dabei wurde der Blick auf Fragen der Willkommenskultur und der Verbesserung der Integration der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund gelenkt. Auch die Frage der Zuwanderung als Handlungsfeld langfristiger Demografiestrategien war ein wichtiges Thema. 2013 soll die Arbeit in bereits bestehenden Netzwerken intensiviert und eine Erweiterung der Netzwerke im Bereich Migration erreicht werden. Auch die Wirtschaft mit ihren indiviw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e duellen Fragestellungen und Bedarfen wird zukünftig stärker in den Blick der IBASArbeit rücken. Wissensmanagement EU-Bund-Land Im Fokus der IBAS-Arbeit stehen die zentrale Recherche, Aufarbeitung, Bereitstellung und ständige Aktualisierung von Informationen zum Thema Anerkennung und Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationshintergrund für verfahrensrelevante Partner des Landes (Behörden, Beratungsstellen etc.) und politische Entscheidungsgremien. Hintergrund dafür sind die laufenden und zukünftigen Änderungs- und Anpassungsprozesse im Rahmen der Bundes- und Landesgesetzgebung zur Anerkennung (Anerkennungsgesetz 2012, Länderanerkennungsgesetz voraussichtlich 2013), und der EU-Richtlinie (2014). Ergänzt wird dieser Wissensbereich durch das Schnittstellenmanagement zu Anpassungsqualifizierungen und zu aufenthaltsrechtlichen Aspekten. Wissensstandgarantie für alle beteiligten Fachreferate der unterschiedlichen Landesministerien Ausblick Die Arbeit der IBAS wirkt auf verschiedenen Ebenen, die komplex miteinander verbunden sind (Beratung, Dienstleistung, Wissensund Schnittstellenmanagement, Willkommenskultur). Wichtig ist eine ressortübergreifende Verankerung des Themas in allen Fachministerien Sachsens. Beratungs- und Dienstleitungsfunktion Das bestehende Beratungs- und Schulungsangebot wird wie beschrieben fortgeführt und ausgebaut. IBAS übernimmt auch zukünftig die Beratung zu Fragen der Anerkennung und angrenzender Themenbereiche. 107 5.2 IBAS ist zusätzlich beratender Partner für entscheidungsrelevante Fragen der Einstellung bei Arbeitgebern der Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes im Themenkomplex der Anerkennung. Um den Bedarf und die Erfahrungen der Unternehmen künftig besser berücksichtigen zu können, setzen wir auf Austausch und intensive Zusammenarbeit. Ziel ist es, eine erfolgreiche Begegnung zwischen Unternehmen und Fach- und Arbeitskräften mit Migrationshintergrund zu gestalten. Arbeitsmarktintegration ist Schlüsselkomponente! IBAS sieht Anerkennung als thematischen Verbindungsansatz zur gesamtgesellschaftlichen Integration und Schnittstelle zu den weiteren Handlungsfeldern der Willkommenskultur (Gesundheit, Soziales, Kultur etc.). Unterstützung der Entwicklung und Vermittlung von Anpassungsqualifizierungen Ziel ist entsprechend der landesweiten Bedarfslagen und der Anfragesituation die Entwicklung von Anpassungsqualifizierungen zu unterstützen. Dabei liegt der Fokus auf Berufen, in denen ein besonderer Bedarf besteht (z. B. Erzieher). Außerdem werden individuelle Empfehlungen zu Qualifizierungsangeboten an Arbeitsmarktakteure, Zugewanderte oder Arbeitgeber direkt gegeben. Die Zusammenarbeit mit den kommunalen Ausländerbeauftragten und Integrationsbeauftragten Im Freistaat Sachsen arbeiten derzeit 17 kommunale Ausländer- und Integrationsbeauftragte (KAIB) in den Landkreisen, den Kreisfreien Städten und anderen Städten.7 Nach wie vor arbeiten sechs der Beauftragten ehrenamtlich. Von den anderen elf hauptamtlichen Beauftragten nehmen vier ihre Aufgabe zusätzlich zu den Aufgaben Interview Monika Zenner, zum 30.09.12 ausgeschiedene KAIB der Stadt Zwickau Was hat Sie ursprünglich motiviert, diese wichtige Aufgabe anzupacken? Vor 15 Jahren kam ich aus dem Bereich der Kindertagesstätten. Als stellvertretende Leiterin einer KITA suchte ich nach Veränderung. Die Zahl der Kinder wurde weniger, die Probleme der Eltern nahmen zu, Arbeitslosigkeit und Unsicherheit waren für viele ständige Begleiter. Ich war in meiner damaligen Arbeit mit diesen Problemen konfrontiert. Die Situation des 108 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e der Gleichstellungs-, Frauen- und Behindertenbeauftragte wahr. Die Stelle des Ausländerbeauftragten im Landkreis Leipzig wurde bereits 2011 als ehrenamtliche Position ausgeschrieben. Sie ist bis jetzt unbesetzt. 7 Übersicht siehe Dokumentation Aufgabenwechsels ergab sich für mich mit dem Weggang meiner Vorgängerin in der Funktion der Gleichstellungs- und Ausländerbeauftragte. Als stellvertretende Frauenbeauftragte bekam ich ein Stück ihrer Arbeit mit und fand sie interessant, abwechslungsreich und eine Möglichkeit etwas zu bewegen. Getreu dem Zitat von Nelson Mandela: »Einem Menschen seine Menschenrechte verweigern bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu missachten«, nahm ich meine Aufgabe als Ausländerbeauftragte sehr ernst, um keinem Menschen seine Rechte zu verweigern und ihn damit nicht als Mensch zu missachten. Jeden Menschen in seiner Persönlichkeit annehmen und respektieren war mir immer oberster Grundsatz meiner Arbeit. Damit dürfte die erste Frage schon beantwortet sein. Wenn Sie auf die Jahre des Engagements zurückblicken, was hat sich aus Ihrer Sicht am meisten gelohnt? 109 Aufgaben der kommunalen Beauftragten Gelohnt hat sich für mich jeder einzelne Kontakt mit den Menschen, die ich in den 15 Jahren kennenlernen durfte, sei es dass ich hier weiterhelfen konnte oder ich persönlich für mich neue Erkenntnisse dazu gewinnen konnte oder meine Sicht auf manche Dinge verändert habe. Gelohnt hat sich meine Bemühung um Möglichkeiten der Berufsanerkennung zu finden, sei es über das Kennenlernen des Modellprojektes von Saarbrücken, die Zusammenarbeit mit EXIS oder der Benedict Schule, die Mitinitiierung des »Zwickauer Impulses«. Gelohnt hat sich auch das Rotationsprinzip der Integrationskurse, welches über mich organisiert und geleitet wurde damit Menschen schneller die deutsche Sprache erlernen konnten ohne lange Wartezeiten und Wege. Ebenfalls gelohnt hat sich die Mitinitiierung des Interkulturellen Arbeitskreises der Zwickauer Region, die Durchführung der Interkulturellen Wochen über die vielen Jahre und dass damit das Thema Migration/Integration bei uns in der Region mehr in den gesellschaftlichen Mittelpunkt gerückt ist. 110 Was sollten wir in Sachsen tun, um noch schneller zur Willkommensgesellschaft in gegenseitigem Respekt zusammen zuwachsen? Hätte ich drei Wünsche frei für eine Willkommensgesellschaft in Sachsen denke ich an den Abbau bürokratischer Hürden, konstante Ansprechpartner in Form der Ausländer – Integrationsbeauftragten vor Ort und diese nicht im Ehrenamt, und das Verständnis aller für kulturelle Öffnung auf allen Ebenen und nicht nur weil wir mal eben Fachkräfte brauchen. Nun gut, das sind 3 Wünsche und die 3 Haselnüsse für die Erfüllung der Wünsche habe ich eben am Wochenende an meine Enkeltochter verschenkt, die damit eigentlich gar kein Problem hat. Sie freut sich auf die Kinder in der KITA, im Urlaub oder im Haus und auf der Straße, auch wenn diese anders sprechen oder anders aussehen: sie spielen gemeinsam. Das ist mein Wunsch für Sachsen! Jahresbericht 2012 Die Aufgaben der KAIB umfassen ein breites Spektrum. In der Stellenbeschreibung für kommunale Beauftragte, die wir bereits 2010 gemeinsam mit dem NIMS und den Beauftragten entwickelt haben, wurden sechs wesentliche Felder genannt: • Kommunale Ausländer- und Integrationsbeauftragte beraten, informieren und begleiten Menschen mit Migrationshintergrund, Vereine, Institutionen und Migrationsfach- und -regeldienste, um die gleichberechtigte Partizipation von Migranten voranzubringen. • Sie engagieren sich für den Auf- und Ausbau lokaler Integrationsnetzwerke und für die Schaffung örtlicher Migrantenbeiräte, um die Integrationskräfte in den Kommunen zu bündeln und zu stärken. • Sie sind Interessenvertreter der Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber der Verwaltung, den Gremien und Dritten und vermitteln zwischen den Perspektiven, damit die berechtigten Interessen aller in angemessener Weise berücksichtigt werden. • Sie initiieren, erarbeiten regionale Integrationskonzepte und begleiten deren Umsetzung und Fortschreibung. • Regelmäßig informieren sie auf kommunaler Ebene über die Integrationsarbeit und erhöhen damit die gegenseitige Akzeptanz und den Respekt zwischen Zugewanderten und der Mehrheitsgesellschaft. • Außerdem engagieren sie sich im Umgang mit den verschiedenen Akteuren im Bereich Migration und Integration präventiv und deeskalierend für krisenvermeidende Optionen und sind Ansprechpartner für die Mehrheitsbevölkerung. Die Zuwanderung ist ein weiteres wesentliches Arbeitsfeld der kommunalen Beauftragten: Sachsens Wirtschaft ist auf Fachkräfte angewiesen – zunehmend auch auf solche aus dem Ausland. Fachkräfte komw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e men aber nur dann zu uns, wenn nicht nur das Arbeitsangebot, sondern vor allem das Lebensumfeld stimmt. Das Thema Willkommensgesellschaft rückt damit immer mehr in den Fokus der kommunalen Beauftragten. Sei es über Integrationsmessen wie in Chemnitz oder über die vielen »bunten« Initiativen in den sächsischen Landkreisen und Städten. Sie signalisieren, dass Sachsen eine offene und respektvolle Heimat für Menschen aus anderen Ländern ist. Ein Höhepunkt der Arbeit der kommunalen Beauftragten ist die Interkulturelle Woche, die in vielen sächsischen Kommunen und Landkreisen stattfinden. Einen Einblick in die Arbeit vor Ort erhalten Sie im 6. Kapitel »Begegnungen schaffen: Die Interkulturelle Woche 2012«. Integrationsmesse Chemnitz Über den Bedarf von Fachkräften in Industrie, Dienstleistungsgewerbe und Handwerk wird gegenwärtig viel diskutiert, häufig im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und den Möglichkeiten der Beförderung der Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland und der Nutzung von bereits im Land befindlichen und bisher nicht umfassend genutzten Potentialen an ausländischen Fachkräften. Gerichtet an den letztgenannten Personenkreis fand am 18.04.2012 die erste Integrationsmesse der Stadt Chemnitz im Kulturzentrum DAStietz statt. Ausrichter der unter der Schirmherrschaft des Chemnitzer IHK-Präsidenten Gunnar Bertram stehenden Messe ist die Duvier Consult GmbH Chemnitz in Zusammenarbeit mit dem Integrationsnetzwerk Migration der Stadt Chemnitz. Vorbereitet wurde die Integrationsmesse gemeinsam von vielen Partnern und 111 Partnerinnen mit Unterstützung der Ausländerbeauftragten der Stadt Chemnitz Etelka Kobuß. Diese sachsenweit erste Integrationsmesse war eine gelungene Veranstaltung. Insgesamt beteiligten sich an der Messe über 30 Aussteller und Ausstellerinnen, zu denen zum Beispiel das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Handwerkskammer Chemnitz, die Industrie- und Handelskammer Chemnitz, die Agentur für Arbeit, das Jobcenter, die Bildungswerkstatt, Anbieter und Anbieterinnen von Integrationskursen, verschiedene Vereine sowie auch der Sächsische Flüchtlingsrat gehörten. Mit rund 350 interessierten Besucherinnen und Besuchern kann von einem gelungenen Auftakt gesprochen werden. Die wichtigsten Ziele der Messe waren eine Begegnungs- und Kompetenzplattform zu schaffen, sowie die Chancen des demografischen Wandels stärker in das Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. Mit der Integrationsmesse erhielten Migrantinnen und Migranten in Chemnitz die Möglichkeit, sich über den hiesigen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, die Mög- 112 lichkeiten eines (Wieder-)Einstiegs in das Berufsleben, die Angebote der Sprachförderung sowie sonstige Angebote der beruflichen Integrationsförderung zu informieren. Es gab vielfältige Möglichkeiten der Information und des direkten Kontaktes mit Anbietern und Anbieterinnen von Sprach- und Ausbildungsförderung, potentiellen Arbeitgeberinnen und Arbeitergebern, Vertretenden von Kammern, Branchenverbänden, Unternehmen, Existenzgründungberatungen und anderen Beratungsstellen. Die Besucherinnen und Besucher haben sich während der Messe beispielsweise auch über die Formalitäten und Standards eines Bewerbungsverfahrens auf einen Arbeitsplatz und über spezielle Anforderungen verschiedener Berufszweige und Branchen informieren können. Außerdem wurde ein Bewerbungsunterlagencheck angeboten. Die Messe diente darüber hinaus als Plattform zur Stärkung des Dialogs zwischen Akteuren und Akteurinnen des Arbeitsmarktes und Migrantinnen und Migranten. Dieser Dialog und teilweise die ersten Kontakte fördern gegenseitiges Verständnis, Toleranz, fachlichen Austausch und tragen zur Kultur des gegenseitigen Verständnisses in der Stadt Chemnitz bei. Die ersten Früchte der Integrationsmesse waren bereits während der Veranstaltung zu beobachten: Schön war es zu erleben, wie einige von den Ausstellern und Ausstellerinnen, die bisher wenig Berührung mit Migrantinnen und Migranten hatten, durch den direkten Kontakt und das persönliche Gespräch Informationen über Migranten und Migrantinnen erhielten. Sie waren teilweise angenehm überrascht über diese Begegnungen und wurden mit jedem Kontakt neugieriger auf ihr Gegenüber. Auch der Austausch und die GeJahresbericht 2012 Ausstattung der Ämter der Beauftragten spräche zwischen den Ausstellern und Ausstellerinnen gaben der Messe positive Synergieeffekte. Um die sprachlichen Barrieren so gering wie möglich zu halten und allen das persönliche Gespräch zu ermöglichen, standen Sprachlotsen in den Sprachen Englisch, Französisch, Arabisch, Persisch, Urdu, Russisch und Vietnamesisch unterstützend zur Seite. Die Kinderbetreuung während des Messebesuches wurde von den Museumspädagoginnen des Chemnitzer Naturkundemuseums realisiert. Die Integrationsmesse wurde durch die finanzielle Förderung des Freistaates Sachsen (Landesdirektion Sachsen) und der Stadt Chemnitz realisiert. Die Messe lädt zum Nachahmen und Weitermachen ein und ist ein ermutigendes Beispiel für die Möglichkeiten des Austausches und der positiven Wirkungen von Begegnungen und dem persönlichen Kontakt von Migrantinnen bzw. Migranten und Akteurinnen bzw. Akteuren des Arbeitsmarktes und der Verwaltung. Die Integrationsmesse soll zukünftig jährlich in Chemnitz organisiert und durchgeführt werden. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Die Ämter der Beauftragten sind sehr unterschiedlich ausgestaltet. Einige Beauftragte sind dem Landrat oder dem Oberbürgermeister zugeordnet, wieder andere werden vom Kreistag gewählt oder haben keine genaue administrative Zuordnung. Unterschiedlich ist auch ihr Budget – während einige Beauftragte mit ihrem Budget maßgeblich zur Gestaltung der Interkulturellen Woche beitragen, haben andere schon Probleme damit, ihre Reisekosten erstattet zu bekommen. Solche Arbeitsbedingungen sind vor allem im ländlichen Raum eine große Herausforderung. Anders als in den Städten erfordert die Arbeit in den Landkreisen eine besonders hohe Mobilität. Außerdem gibt es noch immer wenige Migrantenorganisationen oder Migrantenbeiräte, die als Partner eine kooperative Integrationsarbeit mitgestalten könnten. Die sozialräumlichen Bedingungen im Ländlichen erschweren auch die effektive Vernetzung der vorhandenen Integrationsakteure. Gleichzeitig ist die Arbeit der Beauftragten vor allem dort von herausragender Bedeutung. Die geringen Ausländerzahlen gehen gewissermaßen Hand in Hand mit Fremdenskepsis und Ausländerfeindlichkeit. Der Skepsis gegenüber den »Fremden« kann man aber am besten damit begegnen, dass Kontakte und Möglichkeiten entstehen, Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen. »In den Köpfen und Herzen muss klar sein: Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit haben in Sachsen keinen Platz!« aus der Neujahrsansprache des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich 2013 Offene Ausländerfeindlichkeit findet weniger Nahrung, wenn sich auch in den Regionen, in denen nur wenige Migranten leben, Vereine und Institutionen dem Thema 113 interkulturelle Öffnung stellen und mit konkreten Projekten für das respektvolle Miteinander eintreten. Veranstaltungen rund um die Interkulturelle Woche können dafür einen Anfang darstellen. Die kommunalen Beauftragten werden auf Grundlage der Sächsischen Landkreisordnung (§ 60) bzw. der Sächsischen Gemeindeordnung (§ 64) zur Wahrung der Belange der im Landkreis lebenden Ausländer bestellt. Ob sie haupt- oder ehrenamtlich sind, bleibt den Kreisen bzw. Kreisfreien Städten überlassen. Austausch mit dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz Das »Gesetz über den Sächsischen Ausländerbeauftragten« sieht die regelmäßige Zusammenarbeit mit den KAIB und die Unterstützung der in Sachsen tätigen Beauftragten vor. In regelmäßigen Treffen informieren wir diese über aktuelle Entwicklungen und Vorhaben auf landespolitischer Ebene sowie über die Projekte des Sächsischen Ausländerbeauftragten. Außerdem nutzen wir die Treffen, um die KAIB im gegenseitigen fachlichen Austausch zu unterstützen. 114 Im Mittelpunkt des Treffens am 25.04.2012 stand das Sächsische Zuwanderungs- und Integrationskonzept (ZIK). Es wurde von der Abteilungsleiterin Regina Kraushaar und dem Referatsleiter Karl Bey vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz vorgestellt, die besonders auf die Implikationen des Konzeptes für die Arbeit der KAIB eingingen. In diesem Zusammenhang betonten sie, die Staatsregierung begrüße die Ausweitung der Hauptamtlichkeit der Beauftragten und unterstütze die KAIB, weil sie entscheidende Partner für eine gelingende Integrationsarbeit vor Ort seien. Die Staatsregierung gehe davon aus, dass die Beauftragten einen wichtigen Beitrag für die Umsetzung des ZIKs leisten, zum Beispiel bei der Erstellung regionaler Gesundheitswegweiser, beim Integrationsmonitoring oder bei der interkulturellen Öffnung der Verwaltungen. Als Multiplikatoren trügen die Beauftragten maßgeblich dazu bei, eine Willkommenskultur in der Mehrheitsgesellschaft zu verankern. Allerdings sei diese Aufgabe nicht von ihnen allein zu bewältigen. Dazu brauche es Unterstützung von den Landkreisen und Städten. Rechtlich sollten Daueraufenthaltsberechtigte nicht in die Integrationsmaßnahmen einbezogen werden. Im praktischen Leben gehe es weniger um derartige formale Aspekte. Ziel sei vielmehr ein konstruktives Zusammenleben aller Menschen im Gemeinwesen. »Willkommenskultur ist nicht abhängig vom Aufenthaltsstatus«, so Kraushaar. Eine stärkere Vernetzung der Integrationsakteure soll die Willkommenskultur in Sachsen voranbringen. Außerdem solle die dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden gefördert werden. Die Beauftragten nutzten die Gelegenheit für einen intensiven Austausch und gaben Anregungen. Sie lobten, dass bei der ErstelJahresbericht 2012 lung des Konzeptes zu Beginn Migrantenvertreter und Integrationsakteure einbezogen waren. Kritisch wurde angemerkt, dass die Endfassung des Konzeptes jedoch ohne deren Beteiligung erstellt wurde. Das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz verdeutlichte, dass der Dialog zum Konzept keineswegs beendet sei und kündigte an, es auch in den Landkreisen und Kreisfreien Städten vorzustellen und zu erörtern. Der Sächsische Ausländerbeauftragte betonte nochmals, das Ziel eines Integra- w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e tionskonzeptes müsse die angemessene gesellschaftliche Inklusion aller Migranten sein, unabhängig davon, ob sie Eingebürgerte, Spätaussiedler, Daueraufenthaltsberechtigte, Fachkräfte, Forscher oder Flüchtlinge sind. Das Thema der sozialen Inklusion von Asylsuchenden war ein Schwerpunkt der Zusammenarbeit der Beauftragten im Jahr 2012. Zwei weitere Treffen wurden von den Beauftragten dafür genutzt, eine Orientierungshilfe für Asylsuchende zu erarbeiten. Mehr zum Thema Inklusion finden Sie im 2. Kapitel. 115 5.3 Netzwerke auf Bundesebene: Für Partizipation und Integration Der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat: Sachsen vertreten! Die jährliche Mitgliederversammlung des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates (BZI) fand 2012 in Dresden statt. Die Delegierten wählten den Saarlouiser Giuseppe Schillaci zum neuen Vorsitzenden und Marc Lalonde aus Dresden neu in den Vorstand des BZI. Die Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz und der Sächsische Ausländerbeauf- 116 tragte Martin Gillo begrüßten die Delegierten in Dresden und dankten ihnen für ihr Engagement. Helma Orosz ging in ihrer Begrüßung darauf ein, dass sie sich auch weiter für ein gelingendes interkulturelles Miteinander in der Landeshauptstadt Sachsens einsetzen wird. Dresden wehre sich gegen Intoleranz, Diskriminierung und Menschenverachtung. einer gelebten weltoffenen Stadt wird, in der sich Ausländerinnen und Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund wohl und zu Hause fühlen.« Martin Gillo betonte, entscheidend sei nicht die Herkunft, sondern dass man sich gemeinsam engagiere. Die Basis für ein konstruktives Zusammenleben seien gegenseitiger Respekt und gemeinsame Ziele. Deshalb, so Gillo, sollten wir mehr darüber reden, was uns verbindet, als darüber, was uns unterscheidet. Er gratulierte Marc Lalonde zu seiner Wahl in den Bundesvorstand und erhoffte sich davon eine Stärkung der sächsischen Migrantenbeiräte. Marc Lalonde ist gebürtiger Kanadier und lebt seit 1997 in Dresden. Er engagiert sich seit vielen Jahren für die Rechte der hierlebenden Migranten, ist seit 2012 Vorsitzender des Ausländerbeirats Dresden und Koordinator des Sächsischen Migrantenbeirats. Der BZI ist ein Zusammenschluss von Landesarbeitsgemeinschaften und einzelner kommunaler Ausländer-, Integrations- und Migrantenbeiräte. Er vertritt über 400 Beiräte in ganz Deutschland, ist Ansprechpartner der Bundesregierung, des Deutschen Bundestages und des Bundesrates und arbeitet mit verschiedenen Organisationen auf Bundesebene zusammen. Die Bundeskonferenz der Integrationsund Ausländerbeauftragten des Bundes, der Länder und Kommunen Die Bundeskonferenz im Jahr 2012 stand unter dem Motto »Von Projekten zu dauerhaften Strukturen – Integration vor Ort«. Zur Veranstaltung, die von Prof. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, organisiert wird, trafen sich die Integrations- und Ausländerbeauftragten von Bund, Ländern und Kommunen am 21. und 22.05.2012 in Wiesbaden. Böhmer betonte zum Auftakt der Veranstaltung, dass Integration nachhaltiger gestaltet werden müsse. Sie plädierte für einen Paradigmenwechsel: von der Projektförderung hin zu den Regelangeboten. Die Studie »Stand der kommunalen Integrationspolitik in Deutschland«8 hätte erfreulicherweise gezeigt, dass immer mehr Kommunen Integration zur »Chefsache« machen würden. Zudem wird Integration immer öfter als Querschnittsaufgabe in der Verwaltung verankert: von der Altenhilfe bis zur Kinderbetreuung. Sie formulierte das klare Ziel, mehr Menschen aus Zuwandererfamilien für den öffentlichen Dienst zu gewinnen. Die Bundeskonferenzen finden jährlich statt und bieten den Beauftragten der Kommunen, Landkreise und Länder Gelegenheiten zum Erfahrungsaustausch und zum gegenseitigen Lernen. 8 »Stand der kommunalen Integrationspolitik in Deutschland« Studie des Instituts für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI) erstellt für das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, April 2012 »Mit Ausdauer, Hartnäckigkeit, Engagement und Vertrauen werden wir auch in den nächsten Jahren daran arbeiten, dass Dresden zu Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 117 Staatsministerin Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration »Wir brauchen mehr Migranten als Erzieherinnen, als Lehrkräfte, bei der Polizei, der Feuerwehr und in den Verwaltungen. Angesichts der wachsenden Vielfalt sind Migranten wichtige Brückenbauer! Vorfahrt für bessere Chancen von Migranten auf gleiche Teilhabe. Nur so kann sich ein Wir-Gefühl von allen Menschen in unserem Land entwickeln – unabhängig von ihrer Herkunft.« Die Konferenz der Integrations- und Ausländerbeauftragten der Länder Auch diese Gruppe trifft sich jährlich, um bundesweit relevante Themen und Trends zu diskutieren. Die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration Maria Böhmer informiert bei diesen Treffen regelmäßig über Initiativen der Bundesregierung in den Bereichen Integration. Die Länderbeauftragten präsentieren eigene Initiativen und werben für Unterstützung bei ihren Länderkollegen und bei der Bundesregierung. Bei der Jahreskonferenz im Dezember in Magdeburg brachten wir den Vorschlag ein, den Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende zu erleichtern und griffen damit einen Vorschlag wieder auf, den Wolfgang Schäuble 118 bereits 2006 als damaliger Bundesinnenminister gemacht hatte. Bisher begünstigen wir mit verordneter Untätigkeit Verhaltensmuster, die wir später kritisieren. Viele Flüchtlinge bringen Potentiale mit, die sie in unsere Gesellschaft einbringen wollen. Wir sind überzeugt, dass wir als Gesellschaft davon profitieren, wenn wir ihre Partizipationsmöglichkeiten in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ermöglichen bzw. erleichtern. Am Ende der Konferenz sprachen sich die Integrations- und Ausländerbeauftragten der Länder dafür aus, dass alle in der Bundesrepublik Deutschland sich legal aufhaltenden und geduldeten Ausländern nach sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen und Deutsch lernen dürfen. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit soll aktiv gefördert, gefordert und vorbereitet werden, insbesondere durch Zugang zu Deutschkursen von Anfang an. Die Konferenz der Integrations- und Ausländerbeauftragten der neuen Bundesländer Auch die Beauftragten der neuen Bundesländer treffen sich regelmäßig und pflegen einen engen Austausch über die besonderen Herausforderungen in diesen Ländern. Die Zahl der Migranten, die in den neuen Bundesländern leben, liegt weit unter dem Bundesdurchschnitt. Auch die Herkunftsländer und die Bildung unterscheiden sich grundlegend: Die größten Gruppen kommen aus Vietnam und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Außerdem haben die hier lebenden Migranten überproportional häufiger gute ausländische Berufs- und akademische Abschlüsse mitgebracht. Diese gemeinsamen Besonderheiten stellen die Beauftragten der neuen Länder vor gemeinsame Herausforderungen. Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse Jahresbericht 2012 und ihre tatsächliche Integration in den Arbeitsmarkt ist eine davon. Auch hier lohnt sich die Arbeit in Netzwerken – organisationsund teilweise auch länderübergreifend. Gleiches gilt für die besondere Herausforderung, eine Willkommensgesellschaft zu entwickeln. Fremdenskepsis und Fremdenfeindlichkeit gedeihen dort am besten, wo es w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e am wenigsten Fremde gibt. Wie also kann man die Kontakte zwischen Einheimischen und Zuwanderern intensivieren, wie kann man Möglichkeiten zur persönlichen Begegnung schaffen, damit Vorurteile abgebaut werden können? Zu diesen Fragen tauschen wir Erfahrungen und gute Beispiele aus und unterstützen uns durch die gemeinsame Arbeit. 119 6. Begegnungen schaffen: Die Interkulturelle Woche 2012 Wir haben 2012 mit einer Reihe von Unternehmern gesprochen, die ausländische Fachkräfte in ihrem Unternehmen beschäftigen. Wir haben sie auch gefragt, was wir tun können, um eine echte Willkommensgesellschaft zu werden, in der sich Zuwanderer wohl und geschätzt fühlen. Ein Interviewpartner brachte es auf den Punkt: »Wen man kennt, den schlägt man nicht.« Wofür er plädierte, war klar: Wir sollten Möglichkeiten der Begegnung zwischen Einheimischen und Zuwanderern schaffen, damit sich Menschen kennenlernen können. Vorurteile lassen sich so am besten abbauen, Freundschaften und Respekt am besten aufbauen. Eine Veranstaltungsreihe, die sich dieses Rezept auf die Fahnen geschrieben hat, ist die Interkulturelle Woche. Jedes Jahr im September findet sie bundesweit statt. Sie ist eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz, des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Griechisch-Orthodoxen Metropolie. Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Kommunen, Migrationsbeiräte, Integrationsbeauftragte und zahlreiche Gruppen und Vereine wirken unterstützend mit. Lebendig wird die Woche aber durch die Begegnungen vor Ort. 120 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Die Interkulturelle Woche wurde ursprünglich als »Tag des ausländischen Mitbürgers« ins Leben gerufen. Man wollte darauf aufmerksam machen, dass ausländische Arbeitskräfte eben nicht nur Arbeitskräfte waren und sind, sondern Menschen mit eigenen Lebensentwürfen und Bedürfnissen. Dafür fehlten danach sowohl politische Antworten als auch soziale und gesellschaftliche Angebote. Aus dieser Situation heraus wurden gesellschaftliche Diskussionen und Entwicklungen angestoßen, die bis heute wirken. Schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bezeichneten die Initiatoren der Interkulturellen Woche Deutschland als Einwanderungsland. 1980 wurde der Begriff der multikulturellen Gesellschaft als These veröffentlicht. Bis heute finden sich beide Aspekte in der politischen Auseinandersetzung. Ziel der Interkulturellen Woche ist das Werben für bessere politische und rechtliche Rahmenbedingungen des Zusammenlebens von Deutschen und Zugewanderten. Persönliche Begegnungen zwischen Deutschen und Zugewanderten sollen das gegenseitige Verständnis fördern und Vorurteile abbauen. 121 Die Interkulturelle Woche 2012 stand unter dem Motto »Herzlich willkommen – wer immer Du bist«. Die Kirchen betonen in ihrem Gemeinsamen Wort zur Interkulturellen Woche 2012: »Wer nach Deutschland einreist – sei es auf der Flucht vor existenziell bedrohlicher, politischer, religiöser oder ethnischer Verfolgung, sei es als Arbeitsmigrantin oder Arbeitsmigrant –, soll erfahren, dass eine andere Kultur oder Religion als Ausdruck von Identität und Persönlichkeit akzeptiert wird.« Bundesweit beteiligten sich etwa 500 Städte und Gemeinden mit weit mehr als 4.500 Veranstaltungen an der Interkulturellen Woche. Getragen wurden die Programme von Gruppierungen vor Ort, in denen Kirchgemeinden, Kommunen, Migrantenorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Vereine und Initiativen und viele Einzelpersonen vertreten sind. Auch in Sachsen fanden eine Vielzahl von Veranstaltungen im Rahmen der Interkulturellen Woche statt. Wir haben an zahlreichen ganz unterschiedlichen Ereignissen teilgenommen und mitgewirkt. Dabei stellten wir unter anderem fest, dass sich unsere Gesellschaft im Wandel hin zu einer offenen und menschlichen Willkommensgesellschaft in einem Land der Vielfalt befindet. Alle, die hier leben, müssen nach unserer Überzeugung an der Gesellschaft teilhaben – angefangen mit der gemeinsamen Sprache, über Schule und Arbeit, bis hin zum alltäglichen Lebensumfeld in Nachbarschaft, Verein und Ehrenamt. Wir riefen alle dazu auf, in diese bunte Zukunft aufzubrechen, hin zu gelebter Einheit in Vielfalt. Dabei durften wir eine unglaubliche Begeisterung für die zentralen Anliegen der Interkulturellen Woche erleben. Auch wir haben über Begegnungen mit interessanten, ganz verschiedenen Menschen unseren Horizont erweitert und sind noch neugieriger geworden. Ein ganz großes Kompliment und 122 ein herzlicher Dank an alle, die sich beteiligt haben. Ohne Sie wäre die Interkulturelle Woche ohne Inhalt geblieben. Sie haben geholfen, unser Land Sachsen aufgeschlossener und bunter zu machen. Bitte tun Sie das weiterhin, wir freuen uns über Sie und auf die Begegnung mit Ihnen. Auf den folgenden Seiten erwartet Sie ein Streifzug durch verschiedene Veranstaltungen der Interkulturellen Woche 2012 in Sachsen – in der überwiegenden Mehrzahl geschrieben von den kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten Sachsens. Anna PietakMalinowska, hauptamtliche kommunale Ausländerbeauftragte des Landkreises Bautzen »Perspektiven für migrantische Kinder und Jugendliche« Bereits zum dritten Mal fand dieses Jahr vom 21. bis 28.09.2012 die Interkulturelle Woche 2012 im Landkreis Bautzen statt. Den inhaltlichen Schwerpunkt bildeten erneut das Kennenlernen verschiedener Kulturen und die Begegnung mit Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Projekte und Veranstaltungen zahlreicher Vereine und Organisationen wurden diesem Ziel folgend initiiert und erfreuten sich bei den Besuchern großer Beliebtheit. Ein großer Dank geht an alle Beteiligten, Unterstützer und Helfer, die zum Gelingen beigetragen haben! Jahresbericht 2012 Höhepunkte der diesjährigen Interkulturellen Woche waren unter anderem die Eröffnungsveranstaltung im Stadttheater Kamenz, ein integratives Sportfest, ein »Tag der Begegnung slawischer Nachbarkulturen« sowie ein »Markt der Möglichkeiten« in Bautzen. Bereits zum dritten Mal beteiligte sich beispielsweise das Jobcenter Bautzen gemeinsam mit verschiedenen Partnern an der Interkulturellen Woche. Über die Möglichkeiten der Förderung für Personen mit Migrationshintergrund informierten die Mitarbeitenden am 26.09.2012 in Bautzen und Kamenz mit erfreulich großer Resonanz. Interessierte aus unterschiedlichen Herkunftsländern und Bürger, die sich in der Migrantenberatung und -förderung haupt- bzw. ehrenamtlich engagieren, waren zu Gast. Das Hauptaugenmerk der Veranstaltung lag in diesem Jahr bei speziellen Fördermöglichkeiten für Kinder und Jugendliche aus anderen Ländern. Zentrale Themen waren: • das Sächsische Bildungssystem • zusätzlicher Unterricht »Deutsch als Zweitsprache« an den Schulen durch Muttersprachler • Anerkennung von ausländischen Schul- und Berufsabschlüssen • Fördermöglichkeiten im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes • Leistungen zur Eingliederung in Ausbildung • und Arbeit nach dem SGB II. Informationsmaterialien in unterschiedlichen Sprachen wie beispielsweise Russisch, Türkisch, Englisch, Arabisch oder Vietnamesisch unterstützten die Erläuterungen. Eine weitere interessante Veranstaltung der diesjährigen Interkulturellen Woche war ein Forum im Sakralmuseum St. Annen in Kamenz. Organisiert von der Kirchgemeinde, verschiedenen Organisaw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e tionen und der Kommune kamen Kamenzer und Kamenzerinnen unterschiedlicher Herkunft ins Gespräch. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand, dem Lebensgefühl migrantischer Mitbürgerinnen und Mitbürger eine Stimme zu geben und für ein Miteinander und Untereinander zu sensibilisieren. Gurjit Singh, Betreiber eines indischen Restaurants in Kamenz, antwortete auf die Frage nach seiner Beurteilung des Streites um Kulturen und Religionen: »Wenn alle Menschen in der Welt nach den Regeln und Geboten ihrer Religionen leben würden, dann gäbe es keine Kriege.« Jerzy Timm, polnischer Bauunternehmer, lebt seit 1982 in Sachsen und bezeichnet sich als gelernten DDR-Bürger. Seine beschwerlichen Erfahrungen mit der Bürokratie konnten von Prof. Dr. Gillo bestätigt werden. Er berichtete vom langen Weg, ausländische Abschlüsse anzuerkennen. Tilo Moritz vom Kamenzer Bündnis für Toleranz und Koordinator im TrägerverBUNT: »Eine Willkommenskultur unterteilt nicht in nützliche und unnütze Gäste.« Daran schloss auch Prof. Dr. Gillo an: »Wir sollten lernen, was uns verbindet, was uns vereint. Deutschland will Friedensstifter in der Welt sein. Beginnen wir im eigenen Land.« 123 Etelka Kobuß, hauptamtliche kommunale Ausländerbeauftragte der Stadt Chemnitz »Zukunft durch Vielfalt« Chemnitz ist eine 100-Nationen-Stadt. Wie bereichernd dies sein kann, wollten Veranstalter und Mitwirkende mit einem vielfältigen Programm der Interkulturellen Wochen vom 22.09. bis 07.10.2012 in Chemnitz aufzeigen. Eines der zentralen Anliegen ist es, durch Information sowie persönliche Kontakte und Gespräche ein besseres gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und zum Abbau von Vorurteilen zwischen Migrantinnen und Migranten und der Mehrheitsgesellschaft beizutragen. Der Chemnitzer Neumarkt wurde seit 2005 auch in diesem Jahr mit der feierlichfröhlichen Auftaktveranstaltung zu den Interkulturellen Wochen am 22.09.2012, für einen Tag ein bunter Treffpunkt des internationalen Chemnitz. Die zentrale Verortung entfaltete auch dieses Jahr wieder ihre gewünschte Wirkung: Statt ausschließlich Insider waren plötzlich ganz verschiedene Chemnitzerinnen und Chemnitzer da. Offiziell stand die diesjährige »Interkulturelle Woche« in Chemnitz unter dem Motto »Zukunft durch Vielfalt«. Sie wurde von der Oberbürgermeisterin der Stadt Chemnitz, Barbara Ludwig, als Schirmherrin und dem Sächsischen Ausländerbeauftragten, Professor Dr. Martin Gillo, eröffnet. 124 Anschließend luden die AG In- und Ausländer e. V. gemeinsam mit Chemnitzer Schulen zu einem Vorprogramm und ab 13 Uhr etwa 50 Vereine, Institutionen und Organisationen zu einer Tagesreise um die Welt ein. An zahlreichen Info-Ständen konnten die Besucherinnen und Besucher internationale, landestypische Produkte und kulinarische Leckereien probieren – und vor allem Land und Leute in persönlichen Begegnungen kennen lernen. Auch diesmal hatten wir uns etwas Besonderes ausgedacht. Die Initiativgruppe »save me« und der Sächsische Flüchtlingsrat haben gemeinsam ein Flüchtlingszelt inklusive Ausstattung und Informationen aufgebaut, um auf die Notlage der Flüchtlinge weltweit aufmerksam zu machen. Das Bühnenprogramm auf dem Neumarkt war wieder so vielfältig wie seine Künstlerinnen und Künstler: Laiendarstellende hatten ein Programm mit afrikanischen Rhythmen, orientalischen Tänzen und asiatischen Klängen einstudiert, die Menschen verschiedener Nationalitäten, Kulturen und Religionen zusammen führen sollen. Mit den Interkulturellen Wochen bekamen Bürgerinnen und Bürger Einblicke in den Alltag anderer Kulturen vor allem durch die persönlichen Begeg- nungen. Sie wurden gleichzeitig sensibilisiert für Lebenswege von Menschen, die aus anderen Teilen der Welt nach Chemnitz kommen. So sollen die Veranstaltungen auch zu einer Entwicklung der demokratischen Gesamtkultur und zum Abbau von Rechtsextremismus und Rassismus beitragen. Insgesamt war diese Auftaktveranstaltung sehr gelungen. Der Eröffnung folgten zwei »Interkulturelle Wochen« in Chemnitz voller verschiedener Angebote und Veranstaltungen wie Ausstellungen, Konzerte, informative Abende oder Vorträge und Veranstaltungen, die dem gegenseitigen Kennenlernen und der Begegnung gewidmet waren. Dr. Uta Kruse, hauptamtliche kommunale Integrationsund Ausländerbeauftragte der Stadt Dresden »Buntes – nicht nur auf der Straße« »Herzlich willkommen – wer immer Du bist« – So lautete das Motto der Interkulturellen Woche 2012 in über 450 Städten und Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland. Auch die 22. Interkulturellen Tage in Dresden vom 23.09. bis 07.10.2012 standen unter diesem Motto. Dieses Motto soll nicht nur für die Interkulturellen Tage gelten, sondern an jedem Tag im Jahr, in unserer Stadt Menschen aus aller Welt willkommen heißen. Ob sie von Dresden als Forschungsstandort Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e angezogen werden, hier Schutz vor Verfolgung und eine neue Heimat suchen, oder andere Beweggründe haben, ist gleich viel wert. Im Auftrag der Integrations- und Ausländerbeauftragten der Landeshauptstadt Dresden, Frau Dr. Uta Kruse, koordinierte der Ausländerrat Dresden e. V. die 72 verschiedenen Veranstaltungen. 64 Migrationsvereine und Initiativen präsentierten sich und boten Einblicke in das Leben ihrer Herkunftskultur und auch in ihr Leben hier in Dresden. So gab es verschiedene Ausstellungen, Lesungen, Konzerte, Tanzdarbietungen, Filmvorführungen und vieles mehr, die Dresden als »Ort der Vielfalt« bestätigen und Anregungen zu neuen Perspektiven bieten. Die Interkulturellen Tage in Dresden beinhalten jedes Jahr Höhepunkte, so die Eröffnungsveranstaltung mit dem Ratsschmaus der Oberbürgermeisterin, das Interkulturelle Straßenfest, ein Familiensportfest und die Abschlussveranstaltung. Die Eröffnungsveranstaltung fand eine große Resonanz, der Clara-Schumann-Saal im Kulturrathaus mit seinen 200 Sitzgelegenheiten war bis auf fünf Plätze gefüllt. Insbesondere das Straßenfest am 29.09.2012 auf dem Jorge-Gomondai-Platz ist der Beweis, dass Dresden international und bunt ist. Das Miteinander der vielen Vereine und Gruppen, Verbände und Religionsgemeinschaften, die mit viel Spaß und großem Engagement das bunte Bühnenprogramm gestalteten und ihre Herkunftsländer vorstellten, bot den Gästen die Möglichkeit, Neues zu entdecken und so noch bestehende Barrieren zu überwinden. Etwa 800 von ca. 1.000 Personen, die über die Straßenmeile gelaufen sind, haben das Straßenfest besucht. Spielangebote für Kinder, Kreativangebote an den über 36 Ständen von unterschiedlichen 125 Vereinen und internationale Köstlichkeiten fanden vor allem bei Familien mit Kindern großen Zuspruch. Das vom Verein der Vietnamesen organisierte Vollmondfest (in Asien ein großes Fest) wurde mit ca. 200 Gästen gefeiert. Am Tag der Deutschen Einheit hatten alle drei muslimischen Gemeinden ihre Häuser für interessierte Besucherinnen und Besucher geöffnet. Die Resonanz auf die Einladung mit Hilfe einer bundesweiten Medienkampagne war sehr groß. Die Abschlussveranstaltung der Interkulturellen Tage 2012 am 07.10.2012 entführte die Besucherinnen und Besucher in den »Indischen Monsunzauber«. Der Verein SANSKRITI e. V. bot neben indischer Folklore auch moderne Bollywoodmusik und kulinarischen Genuss. Stojan Gugutschkow, Referat für Migration und Integration und hauptamtlicher Ausländerbeauftragter der Stadt Leipzig. »Ein bunter Teller« Das Motto der diesjährigen Interkulturellen Wochen in Leipzig rückte die Weltoffenheit und gute Nachbarschaft in den Mittelpunkt. Die Interkulturellen Wochen Leipzig begannen offiziell mit dem Ökumenischen Eröffnungsgottesdienst am 24.09.2012 um 17 Uhr in der Nikolaikirche. An der Gestaltung beteiligten sich Angehörige verschiedener christlicher Gemeinden. 126 Bereits am Vormittag dieses Tages eröffnete der US-Generalkonsul in Leipzig, Mark J. Powell, im Neuen Rathaus die Foto-Ausstellung »Moscheen in den USA und Kanada«. Der Sächsische Ausländerbeauftragte, Prof. Dr. Martin Gillo, benannte in seinem Grußwort den interreligiösen Dialog und den Respekt vor allen Religionen als wichtige Anliegen der Interkulturellen Wochen. Ein weiterer Höhepunkt war das Interkulturelle Aktionszelt auf dem Augustusplatz mitten in der Stadt. Dieses Aktionszelt wollte eine Gelegenheit bieten, mit Migrantinnen und Migranten und ihren Organisationen direkt ins Gespräch zu kommen. Großes Interesse des Laufpublikums fanden vor allem die Darbietungen verschiedener Vereine im Rahmen des Programms »Integration durch Sport« des Landessportbundes Sachsen e. V.. Der Interkulturelle Frauentreff des Mütterzentrums e. V. Leipzig veranstaltete ein großes Interkulturelles Familienfest mit Liedern, Spielen und Geschichtenerzählenden. Viele Kinder, Eltern und Großeltern, ob mit binationalem, deutschem oder migrantischem Hintergrund folgten der Einladung gern und erlebten gemeinsam ein rundum gelungenes Fest. Eigens für die Interkulturellen Wochen gab es sowohl eine Führung durch das Asisi-Panometer in Leipzig als auch eine Premiere im Spinnwerk – dort erlebte das Publikum im ausverkauften Saal das Stück »Biskra. On Stage« über das Schicksal eines jungen Algeriers, der nach dem Mauerbau in Deutschland eine Familie gründet. Feste Bestandteile der Interkulturellen Wochen in Leipzig waren auch in diesem Jahr der Tag der offenen Moschee und das Interkulturelle Fest »Einheit in Vielfalt«, zu denen die Leipzigerinnen und Leipziger am 03.10.2012 eingeladen waren. Jahresbericht 2012 Insgesamt hielt das Programm bis zum 07.10.2012 rund 130 Veranstaltungen bereit. Zu den Angeboten gehörten Podiumsdiskussionen, Filme, Konzerte, religiöse Feiern, Ausstellungen, sportliche Aktivitäten und auch kulinarische Genüsse. Beachtliche 90 Einrichtungen beteiligten sich als Veranstaltende der Interkulturellen Wochen Leipzig, unter ihnen Jugend- und Kulturzentren, Vereine, städtische Ämter und Einrichtungen, Unternehmen sowie Religionsgemeinschaften. Schirmherr der Interkulturellen Wochen war auch in diesem Jahr der Oberbürgermeister der Stadt, Burkhard Jung. Ilse Rose, hauptamtliche kommunale Ausländerbeauftragte des Landkreises Mittelsachsen »Willkommen in Mittelsachsen!« In unserem Landkreis organisierten auch in diesem Jahr anlässlich der Interkulturellen Woche neben der von der Kommune organisierten Auftaktveranstaltung viele Vereine, die sich mit dem Thema Integration und Migration beschäftigen, eigenverantwortlich Aktivitäten. Im Weiteren schildere ich meine Eindrücke und die Aktivitäten im Rahmen der Auftaktveranstaltung: Der Auftakt der Interkulturellen Woche 2012 fand in diesem Jahr in der Großen Kreisstadt Flöha unter dem Motto: »Willw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e kommen in Mittelsachsen – gemeinsam für unsere Zukunft« statt. Aus allen Teilen des Landkreises trafen in- und ausländische Gäste mit kostenfreien Bussen der Regiobus Mittelsachsen GmbH in Flöha ein. Unter ihnen befanden sich viele Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus den drei Gemeinschaftsunterkünften. Die Fahrten begleiteten Mitglieder des Netzwerkes Migration Mittelsachsen und des Sächsischen Migrantenbeirats. Auf dem Weg nach Flöha wurden bereits Kontakte geknüpft, so dass die Gäste beim Eintreffen fröhlich und guter Stimmung waren. Dazu passte die Begrüßungsmusik des ortsansässigen Blasorchesters. Die Feierstunde wurde mit einem Geigensolo der 13-jährigen Inka Marcas Menz eröffnet. Zwischen den Redebeiträgen spielte Nikita Dimidov, ein achtjähriger Sohn einer Spätaussiedlerin, Akkordeon und der Internationale Chor der Freiberger Agenda 21 e. V. gab Lieder aus seinem reichhaltigen Repertoire zum Besten. Frau Leeder-Kamanda trug das Gedicht ›Leisure‹ in der Sprache Krio – auf Deutsch ›Freizeit‹ – vor. Die Zuhörerinnen und Zuhörer lauschten gespannt. Als gutes Beispiel für Integration wurde im Anschluss der Film mit dem Titel: »Du und ich – wir« über das Leben des jungen 127 Inders Arun Sony, der in Burgstädt lebt und arbeitet und zugleich in Chemnitz studiert, gezeigt. Am Vortag kam er von der »Lauf-Kultour« – dem längsten Staffellauf einmal um Deutschland – mit neuen Eindrücken aus dem großen Deutschland zurück. Mit Hilfe seines Arbeitgebers, der Firma SensDev in Burgstädt, die in vorbildlicher Weise als Pate fungierte, fand er Anschluss an das gesellschaftliche Leben im Ort. So ist er aktiv im Laufverein e. V., spielt Tennis und singt im Kirchenchor mit. In einem Kurzinterview machte er deutlich, dass es wichtig ist, aufeinander zuzugehen und nicht auf den 1. Schritt des anderen zu warten. Mit Hilfe des Paten und des gesamten Arbeitsteams wurde die Brücke in das Burgstädter Leben erleichtert, jedoch diese zu nutzen lag allein bei ihm. Als weiterer Höhepunkt wurden Aljin Essu (Syrien), Michelle Bauer (Deutschland) und Dang Ngoc Minh (Vietnam) für ihre Beiträge am Schreibwettbewerb »Jugend schreibt – Erzähl deine Geschichte von den Begegnungen und Erlebnissen mit Menschen anderer Nationalitäten«, ausgezeichnet. Nach der Feierstunde konnten persönliche Wünsche für ein friedliches Miteinander an Luftballons angebracht und in den Himmel geschickt werden. Viel Freude bereiteten auch die Stadtrundfahrten mit einem Oldtimerbus, die mit südamerikanischer Musik aus den Anden, gespielt von der Familie Marcas Menz aus Falkenberg, begleitet wurden. Selbst die Jugendfeuerwehr Flöha lockte interessierte Jugendliche, die sich die Technik eines Löschfahrzeugs erklären ließen. Die Kinder nutzten die Gelegenheit, an einer Malwand des Jugendzentrums Ufo e. V. Flöha, Symbole für eine gemeinsame Zukunft farblich zu gestalten. 128 Mit Gesprächen bei türkischen Dönern, russischen Piroggen, deutschen Brötchen und selbstgebackenen internationalen Kuchen klang der Nachmittag aus. Besonders wichtig war, dass Akteure aus vielen unterschiedlichen Städten und Gemeinden des Landkreises diese Veranstaltung vorbereiteten und aktiv an ihr teilnahmen. Ich freue mich auf die nächsten Interkulturellen Wochen! Heidrun Weigel, ehrenamtliche kommunale Beauftragte für Migration und Integration des Landkreises Sächsische Schweiz – Osterzgebirge »Hallo Nachbar« Zum achten Mal fand das beliebte Nachbarschaftsfest »Hallo Nachbar« am 29.09.2012 im Rahmen der Interkulturellen Woche in der großen Kreisstadt Freital statt. Während das Fest in den ersten Jahren in verJahresbericht 2012 schiedenen Stadtteilen stattfand, wird es seit vier Jahren im größten Neubauviertel der Stadt, in Freital-Zockerode, gefeiert. Es stellt neben dem traditionellen Stadtfest auf dem Festplatz in Freital einen weiteren gesellschaftlichen und kulturellen Höhepunkt für Einheimische und Migranten in Freital und dem Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge dar. Erstmals eröffnete Frau Köhler, Mitarbeiterin des »Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge« und Sprecherin des »Netzwerkes Migration Freital«, die Veranstaltung bereits am Vormittag. Der Oberbürgermeister, Herr Klaus Mättig, und die Ausländerbeauftragte des Landkreises, Frau Heidrun Weigel, begrüßten ebenfalls die zahlreich erschienen Gäste. Den ganzen Tag gab es auf den zwei aufgebauten Bühnen ein buntes abwechslungsreiches Kulturprogramm für Jung und Alt. Zu den Darbietenden gehörten der beliebte »Meister Klecks« für die Kinder, aber auch exotische Tänze mit Schlangen und lustige Lieder waren zu sehen und zu hören. Abgerundet wurde das Ganze mit einem bunten Rahmenprogramm, wo sich an Infoständen verschiedene regionale Vereine und Institutionen präsentierten. Hier konnte man sich über gemeinnützige Arbeit, Aufgaben der Pflegedienste und andere Projekte informieren. Für unsere Kleinen gab es kostenlose Angebote wie Ponyreiten, Bogenschießen, Schminken, Basteln und Klettern. Ein internationales Catering mit Süßspeisen und Getränken sorgten für das leibliche Wohl. Im Nachbarschaftsgelände um den Brunnen fanden ein Flohmarkt und ein Kuchenbasar statt. Es wurden Eis- und Salat-Spezialitäten angeboten. Abgerundet wurde dieses interkulturelle Straßenfest durch bewährte sportliche Aktivitäten wie Volleyball- und Schachturniere, wo es im sportlichen Wettstreit w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e um den Pokal des Oberbürgermeisters ging. Sportler des Vereins Zusammenleben e. V. waren diesmal die Sieger. Das ganze Fest wird jedes Jahr von einer Arbeitsgruppe vorbereitet, der Vertreter aus folgenden Vereinen und Organisationen angehören: Zusammenleben e. V., Jugendhilfestation Oppelschacht, das Netzwerk Migration Freital und die Wohnungsgesellschaft Freital (WGF). Das tolle Wetter mit reichlich Sonnenschein trug bei der Veranstaltungsdurchführung noch einen letzten positiven Akzent zum Gelingen des Festes bei, sodass es für alle Teilnehmer und Organisatoren wieder ein sehr gelungener Höhepunkt im interkulturellen Leben der Stadt Freital und ihrer Gäste gewesen ist. Veronika Glitzner, hauptamtliche kommunale Ausländerbeauftragte des Vogtlandkreises »Voneinander lernen – füreinander da sein« »Herzlich willkommen – wer immer Du bist«. Wer nach Deutschland einreist – sei es auf der Flucht vor existentiell bedrohlicher, politischer, religiöser oder ethnischer Verfolgung, sei es als Arbeitsmigrantin oder Arbeitsmigrant –, soll erfahren, dass eine andere Kultur oder Religion als Ausdruck von Identität und Persönlichkeit akzeptiert wird. 129 Die Interkulturelle Woche wurde mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Katholischen »Herz – Jesu – Kirche« in Plauen eröffnet. Der Erlös der Kollekte kam dem Übergangswohnheim für Asylbewerberinnen, Asylbewerber und Geduldete in Plauen zu Gute. Für die Bewohnerinnen und Bewohner konnte ein defekter Herd durch einen neuen ersetzt werden. Herr Landrat Dr. Tassilo Lenk übernahm zum 3. Integrationscup im Boxen wie bereits in den Jahren zuvor die Schirmherrschaft und stiftete vier Einzelpokale und unterstützte finanziell die Veranstaltung. Auch das Diskussionsforum »Integration« fand reges Interesse. Als Gast konnte der Sächsische Ausländerbeauftragte, Herr Prof. Dr. Martin Gillo, begrüßt werden. Er lobte die gute Integrationsarbeit im Vogtlandkreis, die Aktivitäten der Partner im Netzwerk »Migration«, die Schulprojekte der Jugendmigrationsberatungsstelle des Diakonischen Werkes, Stadtmission Plauen e. V. sowie die hervorragende Koordination und Durchführung von Integrations- und Sprachkursen. Er wies auf die Orientierungsbroschüre für Asylbewerbende hin, die zurzeit entwickelt wird und an der alle Ausländerund Integrationsbeauftragten der Städte und Landkreise mitwirken. Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen e. V. präsentierte eine interaktive Ausstellung mit dem Titel »Unterschiede, die einen Unterschied machen« in der Sparkasse Vogtland in Plauen. Eröffnet wurde diese Ausstellung durch den 1. Beigeordneten des Vogtlandkreises Herrn Rolf Keil. Die Ausstellung irritiert bewusst viele gewohnte Sicht - und Denkweisen. Sie schlägt eine Brücke zwischen Fachwelt und breiter Öffentlichkeit, indem sie die mitunter komplexen Inhalte und Debatten erlebnisnah und anschaulich aufbereitet. Interessierte einheimische und zugewan- 130 derte Bürgerinnen und Bürger zeigten Interesse und besichtigten die Ausstellung. Den Abschluss bildete der Workshop »Diskriminierung erkennen und handeln«. Er vermittelte praxisorientiertes Wissen, konkrete Handlungsanleitungen sowie Umsetzungsstrategien. Der Interkulturelle Familientag am 26.09.2012 auf dem Altmarkt in Plauen stand unter dem bundesweiten Motto »Voneinander lernen – füreinander da sein«, eine Initiative der »Aktion zusammen wachsen«. Er bildete den Höhepunkt der Veranstaltungen: Die Gruppe Canto – Social, drei chilenische Künstler aus Dresden, eröffneten mit sozialkritischer Musik aus Lateinamerika das Bühnenprogramm. Tanz- und Showauftritte folgten. Neben kulinarischen Angeboten aus Russland, Ungarn, Iran und Deutschland präsentierten sich die Netzwerkpartner mit Info- und Kreativständen sowie einer Street-Soccer-Anlage und einem Sportmobil. Moderiert wurde der Interkulturelle Familientag durch Herrn Andreas Bachmann. »Herzlich willkommen – wer immer Du bist.« Das ist eine starke Aussage auch gegenüber aktuellen rassistischen und rechtsextremistischen Gedanken. Wir müssen jeder Äußerung von Menschenfeindlichkeit mit Zivilcourage entgegentreten! Die interkulturellen Tage im Vogtlandkreis mit ihren zahlreichen Veranstaltungen sind jedes Jahr ein lebendiges Zeichen dafür, dass wir uns auf einem guten Weg zu einer echten Willkommenskultur befinden. Jahresbericht 2012 Birgit Riedel, hauptamtliche kommunale Ausländerbeauftragte des Landkreises Zwickau »Sind wirklich alle willkommen?« »Herzlich willkommen – wer immer Du bist« lautet das diesjährige Motto der Interkulturellen Woche. Angesichts des fremdenfeindlichen Überfalls im August auf mehrere Ausländer vor einem Tanzlokal in Zwickau können das die Opfer der Gewalttaten wohl nicht sagen! Und sagen wir es? Meinen wir es wirklich ehrlich damit? Bei genauer Betrachtung ist dieses Motto mehr als provokativ. Wer ist heute wirklich willkommen? Wer ist integrativer Bestandteil der Bevölkerung, ausgestattet mit allen Möglichkeiten der Mitgestaltung? Ob kommunales Wahlrecht oder Kettenduldungen – die Art, wie mit Menschen in unserem Land umgegangen wird, zeugt nicht gerade von einer ausgeprägten Willkommenskultur. Die Aufteilung in nützliche und scheinbar »unbrauchbare« Bevölkerungsgruppen, in begehrte Fachkräfte, die uns einen Zugewinn bringen und humanitäre »Altlasten« widerspricht den Grundwerten unserer Gesellschaft. Herzlich willkommen – wer immer Du bist – ist eine direkte und vertraute Ansprache, die zum Nachdenken anregt. Wie nehmen wir die Menschen auf, die in unser Land kommen? Wie wollen wir aufgenommen werden, wenn wir in ein anderes Land gehen? Wie leben wir zuw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e sammen? Welche Erfahrungen haben wir gemacht? Auf welchen gemeinsamen Wertvorstellungen ruht unser Zusammenleben? Wie treten wir dafür ein? Diese und andere Fragen wurden in den Veranstaltungen der Interkulturellen Woche angesprochen: Mit einem Ökumenischen Gottesdienst in der Zwickauer Manufaktur startete die Woche mit 130 Besucherinnen und Besuchern aus vielen verschiedenen Nationen. Gestaltet wurde er von Migrantinnen und Migranten, die im Landkreis Zwickau wohnen, dem Interkulturellen Arbeitskreis Zwickau und den Kirchen. Das Mütterzentrum Zwickau platzte aus »allen Nähten«, als es zur Veranstaltung zum Thema »Chancen, Probleme und Unterstützungsbedarf einer älter werdenden Gesellschaft«, das Migranten gleichermaßen betrifft, einlud. Sie leben seit langer Zeit in Deutschland und sind jetzt mit dem Thema Pflege konfrontiert. Für das Gesundheitswesen, den professionellen Pflegebereich aber auch für Mitmenschen ist dies eine Herausforderung. Ein Highlight, neben insgesamt 25 Veranstaltungen im Landkreis Zwickau, war der Besuch der KinderKulturKarawane. Neun Jugendliche aus Südafrika hatten nicht nur eine große Portion Neugier im Gepäck, sondern auch ein selbst geschriebenes Theaterstück mit dem Titel »Noch nicht frei«, welches im Alten Gasometer aufgeführt wurde. Im Stück verarbeiten sie ihre eigene Geschichte in Südafrika, geprägt vom Leben in den sogenannten »Squatter Camps«. Ein hartes Stück Arbeit für Schauspielende und Publikum. Im Rahmen der Kinderkulturkarawane waren die südafrikanischen Jugendlichen in Gastfamilien von Schülern in Crimmitschau untergebracht und erlebten drei gemeinsame Tage, darunter zwei Workshops mit Schülerinnen und Schülern. In 131 kürzester Zeit wurden Adressen zwischen den Jugendlichen ausgetauscht. So hinterließ die Veranstaltung zumindest bei mir ein nachhaltiges Gefühl von Gemeinschaft und Freude. Johannes Roscher, ehrenamtlicher kommunaler Integrationsbeauftragter des Erzgebirgskreises »Flucht ist kein Verbrechen« Bereits seit einigen Jahren lädt der Integrationsbeauftragte des Erzgebirgskreises, Johannes Roscher, zu einem kulturell und politisch gestalteten Nachmittag ein. Das diesjährige Treffen zum »Tag des Flüchtlings« für die im Erzgebirgskreis lebenden Flüchtlinge und Asylbewerbende, die in einer Gemeinschaftsunterkunft oder in Wohnungen leben, fand am 27.09.2012 von 15:30 Uhr bis etwa 18:30 Uhr statt. Es kamen viele Menschen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichsten Alters im Gemeinschaftsraum der Erwerbsloseninitiative in Zschopau zusammen, um gemeinsam zu essen, zu trinken und ins Gespräch zu kommen. Während des gemeinsamen Kaffeetrinkens begleitete ein Frauentrio, das sich bereits in der Schulzeit musikalisch zusammengetan hatte und das noch immer gemeinsam auftritt, den Nachmittag. Die drei jungen Frauen spielten verschiedene populäre und selbst komponierte Lieder, die die Zuhörenden be- 132 geisterten und zum Mitwippen animierten. Im Anschluss begrüßten und sprachen anlässlich des »Tags des Flüchtlings« unter anderem Oberbürgermeister Klaus Baumann, der Integrationsbeauftragte des Erzgebirgskreises, Johannes Roscher, und der Sächsische Ausländerbeauftragte, Prof. Dr. Martin Gillo, zu den Anwesenden. Der Nachmittag stand unter dem Motto »Flucht ist kein Verbrechen«. Für die zahlreichen Kinder wurde gleichzeitig ein Programm gestaltet. Klaus Baumann begrüßte die Gäste und bekundete sein Anliegen für eine weltoffene Stadt Zschopau einzutreten und den Flüchtlingen bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Prof. Dr. Gillo begrüßte vor allem alle Migrantinnen und Migranten. Gillo betonte, dass auch, wenn es um die Belange von Flüchtlingen geht, stets die Menschenwürde im Zentrum stehen sollte. Die Menschenwürde ist ein universales Grundrecht, das jedem gewährleistet werden sollte. Sie ist unteilbar und nicht quantitativ einschränkbar. Sie ist im Grundgesetz eindeutig verankert und gilt auch für alle Flüchtlinge. Menschenwürde für Flüchtlinge bedeutet soziale Inklusion. Die sollten wir – so lautete Gillos zukunftsweisender Aufruf – alle anstreben. In seinem Redebeitrag fragte er weiter: Was bedeutet soziale Inklusion für alle Flüchtlinge? Sie bedeutet zum einen schulische Integration für alle Kinder. Sie meint auch, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus Deutschkurse bezahlt bekommen müssten und nach spätestens einem oder einem halben Jahr Aufenthalt in Deutschland freien Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten sollten. Darüber hinaus können Vereine und ehrenamtliche Tätigkeiten bzw. das Miteinander im Lebensumfeld wesentlich Jahresbericht 2012 zur Inklusion beitragen. Wir alle sollten uns in Sachsen für eine bunte und lebenswerte Zukunft einsetzen und alle unseren Beitrag für eine solche leisten. Höhepunkt und Abschluss der Veranstaltung war ein gemeinsames Abendessen mit verschiedenen kulinarischen internationalen Leckereien, die die Migrantinnen und Migranten für alle vorbereitet hatten. »Verständigung geht in Spröda durch den Magen« von Kay Würker, Leipziger Volkszeitung Spezialitäten statt vieler Worte in der Asylbewerberunterkunft: Bewohner und Gäste zelebrierten erstmals Basar der Nationen Spröda. So viele Gäste hat es auf dem Gelände wohl noch nie gegeben. Politiker, Vereinsleute, Kirchenvertreter und Anwohner gaben sich gestern ein Stelldichein in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber im Delitzscher Ortsteil Spröda. Zusammen mit Bewohnern zelebrierten sie einen Basar der Nationen – sportlich, kulinarisch, unterhaltsam. Eine Premiere für die Einrichtung. Und für Delitzsch: Die Stadt beteiligte sich damit erstmals an der bundesweiten Interkulturellen Woche. Scharf ist sie, die pakistanische Küche, aber die nordafrikanische steht ihr in dieser Hinsicht kaum nach. Und die Gewürze sind in beiden Weltregionen ein Erlebnis. An dieser Erfahrung kam kaum ein Besucher vorbei. Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft hatten eigens für den Basar gekocht, wie sie es aus ihrer Heimat kennen. Große Töpfe und Bleche mit Spezialitäten schleppten sie aus der Küche. Das Lob der Gäste folgte prompt. Da brauchte es keinen Dolmetscher. Überhaupt war der Basar der Nationen weniger ein Markt der Worte als ein Platz gesten- und mimikreicher Begegnungen. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Und sportlicher Interaktion: Beim Volleyball spielten Pakistaner und Inder gegen die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Delitzsch, beim Fußball traten Marokkaner, Tunesier und Algerier gegen ein Team des Berufsschulzentrums an. Rund 190 Personen – vor allem aus Nordafrika und dem Nahen Osten – leben derzeit am Rande von Delitzsch. »Wir wollen ein Klima der Offenheit schaffen«, erklärte Antje Vogel, Ordnungsamtsleiterin im Landratsamt und Mitorganisatorin, das Anliegen des Festes. Wilfried Pohl, Geschäftsführer des Unterkunftsbetreibers ITB Dresden, unterstrich die Verbundenheit, die ihm am Herzen liege – zwischen Flüchtlingen und Asylbewerbern auf der einen Seite und Einheimischen auf der anderen. Seit die ITB das Heimgelände vergangenes Jahr erworben hat, sei eine umfassende Sanierung in Gang gekommen, berichtete Pohl und führte die Gäste durch den Komplex. Neue sanitäre Anlagen, neue Küchen, neue Fenster. »Wir haben noch nicht alles geschafft, aber schon eine ganze Menge.« Trotzdem seien Hilfsangebote von außen immer willkommen. Fahrräder zum Beispiel, damit die Bewohner ihre weit außerhalb der Stadtgrenze gelegene Einrichtung zu Ausflügen verlassen können. Denn obwohl das Gelände weitläufig ist, ist der nächste Zaun immer in Sichtweite. Und viele bleiben lange. Wie Mubarik Joyia, ein 25-jähriger Landwirt aus Pakistan. Bereits seit einem Jahr ist er da, flüchtete als Mitglied einer verfolgten religiösen Minderheit aus der Heimat. Gestern hat er beim Kochen geholfen – und dank Deutschkurs freudig davon erzählt. »Es ist schön, heute mal nicht alleine zu sein«, begrüßte er die Besucher. Oberbürgermeister Manfred Wilde machte Hoffnung auf ein Wiedersehen: »Dieser Nachmittag soll nicht einmalig bleiben.« 133 7. Vielfalt im Ehrenamt: Interkulturelle Öffnung als Chance »Stell Dir vor es ist Sturm und keiner räumt auf!« Dieser Werbeslogan des Technischen Hilfswerkes (THW) beschreibt eine der großen Herausforderungen des ehrenamtlichen Engagements in Sachsen: Wo sind die, die sich engagieren und anpacken wollen? Wie gewinnen wir Nachwuchs? Wer übernimmt morgen die Vereinsleitung? Vereine und Jugendorganisationen klagen schon seit Jahren. Im Sportverein mitspielen – okay. Im Verein Verantwortung übernehmen – mal sehen. Sich im Heimatverein außerhalb von Festen engagieren, die Grundschule im Schulverein zu stärken, Woche für Woche den Tanznachwuchs zu animieren – das hat merklich nachgelassen. Die Zeiten, in denen junge Menschen von der Nachwuchsgruppe aus in die Vereinsarbeit hineinwuchsen und später automatisch die Verantwortung im Verein übernahmen, sind vorbei. Heute stehen sie vor einer zunehmenden Zahl von leicht erreichbaren Konkurrenzprojekten, häufig ohne feste Struktur und feste Verbindlichkeit. Man engagiert sich punktuell, für Initiativen, in festumrissenen Zeitfenstern. So beschreiben es die Trendforscher und die Realität gibt ihnen Recht. Der Wille zur Bindung sinkt, sagen die Vereinsvorstände. Ehrenamt braucht neue Formen, sagen die Praktiker. Projektarbeit statt langfristige Bindung ist angesagt. Das bürgerschaftliche Engagement steckt im Umbruch – weil sich Menschen heute anders engagieren und weil man heute auf andere 134 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Menschen aufmerksam wird, die man bisher übersehen hat. Viele Zuwanderer beispielsweise, die schon lange bei uns leben, engagieren sich sehr häufig freiwillig und unentgeltlich – im Rahmen ihrer Community, aber zunehmend auch darüber hinaus. Ihr freiwilliges Engagement haben wir lange nicht wahrgenommen, vielleicht weil wir glaubten, dass ihre Hilfe zur Selbsthilfe die Gesellschaft als Ganzes nichts angeht. Weit gefehlt – denn auch dieses Engagement wirkt sich positiv auf unser Gemeinwesen aus. Davon zeugen die vielen Initiativen von Migranten in Sachsen, die Angebote für alle Menschen in Sachsen machen – wir haben einige von ihnen beim Sächsischen Integrationspreis 2012 ausgezeichnet und werden sie im folgenden Kapitel vorstellen. Und wie sieht es mit dem Engagement von Zuwanderern in den klassischen Engagementbereichen aus: im Sport, im Rettungswesen, beim Katastrophenschutz, der Freiwilligen Feuerwehr? Auch hier gibt es Erfreuliches zu berichten, denn immer mehr Vereine erkennen die Notwendigkeit und vor allem die Chancen, die in der interkulturellen Öffnung ihrer Vereine liegen. Der unmittelbare »Nutzen« liegt auf der Hand: Die Vereine können neue Mitglieder gewinnen und die Zuwanderer Anbindung. Integration und interkulturelle Begegnung »en passant«. Vor dem Hintergrund des demografischen und des soziokulturellen Wandels ist das 135 ches Engagement ist ein Weg der sozialen Inklusion von Asylsuchenden, von dem beide Seiten profitieren. Gewinn für beide Seiten Thema Mitgliedergewinnung kein einfaches für die Vereine – vor allem nicht in den kleineren Kommunen. In manchen Dörfern gibt es zwar noch einen Fußballverein, aber weder eine Kindermannschaft, noch genügend Tanzpartnerinnen für den Sportlerball. Landstriche werden leerer, die Bevölkerungsstruktur hat sich drastisch verändert, alte Strukturen greifen nicht mehr. Selbst staatlich geförderte Leistungen wie die Hilfsdienste bei den medizinischen Rettungsdiensten, der Feuerwehr oder dem Katastrophenschutz klagen über existentielle Personalnot. Gemeinsam engagiert! Doch der »Nutzen« der interkulturellen Öffnung von Vereinen für unsere Gesellschaft geht weit darüber hinaus. Gemeinsam engagiert – diese kurze Formel bringt die Vorteile der interkulturellen Öffnung des Ehrenamtes auf den Punkt. Gemeinsam engagieren wir uns für unsere Gesellschaft – ohne dass es 136 dabei eine Rolle spielt, ob einer einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Gemeinsame Ziele schweißen zusammen. Herkunft wird nebensächlich und Verständnisprobleme lassen sich von beiden Seiten leichter überwinden. Gemeinsames Engagement ist gelebte Einheit in Vielfalt und eine wunderbare Gelegenheit, sich auf das zu konzentrieren, was uns verbindet. Mit interkultureller Öffnung gewinnt das klassische deutsche Ehrenamt ein neues Format: Hin zu einem bürgerschaftlichen Engagement, bei dem zählt, was man gemeinsam erreichen kann und das dadurch neue Bindungskräfte für unsere Gesellschaft entwickelt. Damit wird bürgerschaftliches Engagement auch eine Brücke für die soziale Inklusion und Partizipation von Zuwanderern – unabhängig davon, warum sie bei uns sind. Denn auch viele Asylsuchende würden sich gern einbringen. Noch dürfen die meisten von ihnen nicht arbeiten – was nicht heißt, dass sie nichts tun wollen. BürgerschaftliJahresbericht 2012 Migranten möchten sich engagieren und sie haben gute Gründe dafür: Sie können etwas »auf die Beine stellen« und erfahren Anerkennung dafür – gemeinsam mit Einheimischen. Sie lernen neue Menschen kennen, erfahren viel über Werte und Kultur und ganz nebenbei können sie auch ihre Sprachkenntnisse verbessern. Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Migranten den Weg in die Freiwilligendienste auch deshalb suchen, weil sie sich davon neue Kenntnisse und Fertigkeiten versprechen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt verbessern. Wir können davon nur profitieren, denn natürlich bringen Migranten etwas mit: Ihre Erfahrungen, neue Herangehensweisen, neue Ideen, neue Perspektiven – kurz Vielfalt. Und Vielfalt ist einer der wichtigsten Antriebsmotoren für Kreativität und Innovation. Öffnen wir uns! Also öffnen wir uns! Viele Vereine und Freiwilligendienste in Sachsen haben das bereits getan, und wir wollen an dieser Stelle einige davon vorstellen. Beispielhaft ist das Engagement des Sächsischen Sportbundes, der dieses Thema schon seit Jahren vorantreibt. Aber auch die Initiativen innerhalb des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), des THW oder der Sächsischen Mehrgenerationenhäuser sind nachahmenswert. Diese drei Organisationen nutzten im Jahr 2012 die w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Möglichkeit, im Rahmen des Einbürgerungsfestes im Sächsischen Landtag mit den Gästen ins Gespräch zu kommen. Sie wollten wissen, welche Zugangshürden und Barrieren abgebaut werden müssen, damit die Freiwilligendienste auch für Menschen mit Migrationshintergrund attraktiv werden. Sie berichten hier davon, wie sie den Prozess der interkulturellen Öffnung in ihren Strukturen angestoßen haben und welche Chancen sie in dieser Öffnung sehen. Machen wir uns verständlich! Übrigens: Zur interkulturellen Öffnung einer Organisation gehört, dass man sich selbst neu reflektiert. Wussten Sie, dass das deutsche Vereinswesen seinesgleichen in anderen Ländern sucht? Wir kennen Wissenschaftler aus anderen Ländern, die das deutsche Vereinswesen als typisch deutsche Form der Gemeinschaft untersuchen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Zuwanderer müssen diese Strukturen erst kennenlernen – so wie sie unsere Sprache erlernen müssen. Helfen wir ihnen also, und kommen wir ihnen entgegen, indem wir mehr über die speziellen Perspektiven der Zuwanderer lernen. Wenn wir beispielsweise für ein Engagement von Zuwanderern in Rettungsdiensten oder bei der Feuerwehr werben, sollten wir wissen, dass vergleichbare Dienste in anderen Ländern ganz anders funktionieren und teilweise sogar beim Militär angebunden sind. Unsere Vereinsstrukturen sind nicht selbstverständlich – sondern ein ganz besonderer Teil unserer Kultur, für den es sich zu werben lohnt. Werbung aber muss Zielgruppen im Blick haben, damit sie ankommt. Auch das gehört zur interkulturellen Öffnung. 137 7.1 Lernen offen zu sein – Das Einbürgerungsfest am 16.06.2012 Typisch deutsch: Das ist neben Fußball, Sauerkraut und Schweinebraten, Wanderwaden und Made in Germany das Engagement in Vereinen. Leicht mal abgetan als Vereinsmeierei, ist das bürgerschaftliche Engagement doch unverzichtbar, wenn es um das gesellschaftliche Leben, die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft oder die Absicherung von Notdiensten geht. Doch die meisten der Vereine beklagen einen rasanten Mitgliederschwund, fehlenden Nachwuchs oder die mangelnde Bereitschaft zu langfristigen verbindlichen Engagement. Der deutsche Verein ist bedroht – das ist typisch. Wie wird man heimisch in der neuen Heimat? Hier rät man neuen Einwohnern, Zugereisten und Zuwanderern zur Mitarbeit in Vereinen. Das Engagement in Elternvertretungen, das Kuchenbacken beim Feuerwehrfest, die Sicherheitsdienste bei Konzerten 138 oder der Gesang im Gemeindechor bestärken das Heimatgefühl. Beschränkungen sind keine bekannt – trotzdem funktioniert das Mitmachen nicht so einfach, obwohl es nahe liegt und allen helfen würde. Eigentlich könnte das einfach so zusammengehen. Der Migrationshintergrund spielt keine Rolle, wichtig ist nur, dass man sich engagieren will. Herzlich willkommen also in den Vereinen oder bei den Freiwilligendiensten. Doch leider geht das nicht so automatisch, denn zuerst müssen einige gegenseitige Unsicherheiten beseitigt werden. Voneinander wissen reicht allein nicht aus. Die neuen Bürger müssen erfahren, was sie in einem Verein erwartet und was von ihnen – manchmal auch unausgesprochen – erwartet wird. Und die Vereine müssen lernen, wie sie auf Migranten zugehen können. Brücken müssen gebaut werden – nicht nur, um die Verständigung zu ermöglichen, sondern um die Grundlage dafür zu schaffen, sich für ein gemeinsames Ziel zu engagieren, unabhängig von Herkunft, Religion und Hautfarbe. Die Vielfalt des deutschen Vereinswesens ist sprichwörtlich: Clubs, Vereine und Gruppen, gefördert, kommerziell, zur reinen Freude oder zur Unterstützung der staatlichen Strukturen. Vom Angelverband bis zum Zenclub ist alles dabei. Und es ist einmalig in der Welt. Das bedeutet letztlich: Woher sollen Zuwanderer eigentlich wissen, was das ist, ein deutscher Verein? Jahresbericht 2012 Informieren, öffnen, wissen Drei sächsische Freiwilligendienste nutzten deshalb am 16.06.2012 die Chance, direkt mit neuen Staatsbürgern ins Gespräch zu kommen, die eigene Arbeit zu präsentieren und ihnen Zuzuhören. Den Vertretern des THW, des DRK und von den sächsischen Mehrgenerationenhäusern war es wichtig zu verstehen, wo Hindernisse und Missverständnisse entstehen können und wo es Zugangshürden gibt, die den Freiwilligendiensten bisher nicht bewusst waren. Das Einbürgerungsfest im Sächsischen Landtag bot dazu einen geeigneten Rahmen. Michael Sehrt, Koordinator des Projektes »Integration im ehrenamtlichen Rettungswesen« des DRK Torgau-Oschatz e. V. schätzte die Teilnahme seines Teams zur Präsentation als erfolgreich ein. »Es war gut, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und von ihren Vorstellungen, Wünschen und Erfahrungen zu lernen.« w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e So führte er beispielsweise ein Gespräch mit einer jungen Frau, die gern Krankenschwester werden will. Sie will sich nun freiwillig beim DRK engagieren und so praktische Erfahrungen im sanitätsdienstlichen Rettungsdienst sammeln. Auch Kathrin Wiemer, Ansprechpartnerin für interkulturelle Arbeit im Ortsverband Leipzig des THW, berichtete vom großen Interesse der Neubürger. »Viele wollen ihre Fähigkeiten in ihrer neuen Heimat einbringen. Das können sie ehrenamtlich beim THW, denn bei uns zählen allein Interesse und Engagement.« Die dafür notwendigen Ausbildungen erfolgen alle direkt im THW. Darüber hinaus werden Lehrgänge angeboten, die einen Doppelnutzen für den freiwilligen Einsatz und auf dem Arbeitsmarkt bringen. Die Begegnungen, so Wiemer, seien in jedem Fall ein Erfolg gewesen: 139 »Wir haben interessante Gespräche geführt und viel dazugelernt. Es würde mich freuen, wenn wir darüber auch neue Mitstreiter gewinnen konnten.« So wurde aus dem ergänzenden Rahmenangebot zum Einbürgerungsfest ein Programmpunkt, der über den Tag hinaus Früchte trägt. Einbürgerungsfest – Eine zukunftsfähige Atmosphäre tungsfroh und augenscheinlich bewegt im sonnendurchfluteten Plenarsaal. Für den feierlichen Beginn sorgte Thuy My Pham. Die junge Frau hat gerade ihr Abitur am Dresdner Bennogymnasium abgelegt. Leistungskurs Musik versteht sich und das hört man. Sie spielte und sang vietnamesisch, englisch und deutsch; ihre Stimme berührte die Zuhörer. Landtagsvizepräsidentin Andrea Dombois, Innenminister Markus Ulbig und Ausländerbeauftragter Martin Gillo sprachen aus, was ihnen am Herzen lag »Herzlich willkommen in unserer Gesellschaft!« Die Erste Vizepräsidentin betonte das Potential der Zuwanderer. »Sie gehören vor allem auch deshalb in dieses Land, weil ihre Fähigkeiten und Begabungen, Erfahrungen und Vorstellungen, die Sie aus Ihren Heimatländern mit hierher gebracht haben, ein Gewinn für unsere Gemeinschaft sind.« Der Innenminister ermutigt die Eingebürgerten, aktive deutsche Staatsbürger zu werden, die politisch mitwirken oder sich ehrenamtlich engagieren. Ulbig bestärkte die Zuwanderer, ihre Muttersprache und eigenen Traditionen zu pflegen und sagte: »Kulturelle Vielfalt tut unserer Gesellschaft gut.« Sachsen ist neben Brandenburg und Hamburg eines der wenigen Bundesländer, das eine zentrale Einbürgerungsfeier ausrichtet. Im Jahr 2011 wurden in Sachsen insgesamt 911 Männer, Frauen und Kinder eingebürgert, das sind 54 Personen mehr als 2010. Zum Einbürgerungsfest 2012 hatten Sachsens Innenminister Markus Ulbig und der Ausländerbeauftragter Martin Gillo eingeladen. Etwa 300 Gäste folgten ihrer Einladung in den Landtag. Jedes Jahr kommen andere Gäste zum Einbürgerungsfest und trotzdem ist die Atmosphäre fast identisch: festlich, unbeschwert und hoffnungsvoll. Ganze Familien sitzen festlich gekleidet, erwar- 140 Jahresbericht 2012 Brückenbauer mit Herz Mit Herz sprach auch Martin Gillo. Identität sei vielfältig. Er selbst verstehe sich als Weltbürger, Deutscher, Amerikaner, Sachse, Leipziger, Familienvater, Abgeordneter, Sächsischer Ausländerbeauftragter und vieles mehr. In dieser Vielfalt der eigenen Identität liege eine große Stärke. Deshalb regte er die Gäste an, auf ihr vielfältiges Selbstverständnis stolz zu sein. Er betonte, dass die neuen Staatsbürger eine Brücke zwischen ihrer ersten und ihrer zweiten Heimat Deutschland herstellen können. Gillo nahm auch Bezug zu den Angeboten der Freiwilligendienste, die er ermutigte sich weiter interkulturell zu öffnen. Darin lägen große Chancen für Begegnung und Bereicherung und letztlich auch für das w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e erfolgreiche Weiterbestehen der Freiwilligendienste. Ein besonderer Festredner war Sebastian Krumbiegel. Der Sänger, dessen Name eng mit den Leipziger Prinzen verbunden ist, engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich für die Rechte von Menschen mit Migrationshintergrund. Seine musikalische Festrede stand unter dem Titel »Meine Nation sind die Liebenden«, und enthielt bewegende Geschichten und Lieder über Flucht, Heimat, Schicksale, Freude und Hoffnung. Krumbiegel textet und musiziert mit Herz, das war spürbar. Das Einbürgerungsfest 2012 war rundherum gelungen. Die Mitwirkung der Freiwilligendienste war ein echter Gewinn. Sie haben deutlich gemacht, dass die Willkommensgesellschaft Sachsen immer mehr Mitstreiter gewinnt! 141 7.2 Integration durch Sport – Wegbereiter der interkulturellen Öffnung Nirgendwo sei Integration einfacher zu beginnen als beim Sport. Das stimmt, denn gemeinsame Bewegung, Spaß und Wettkampf bauen Hemmschwellen ab, fördern die Begegnung und Anerkennung. Dennoch benötigt Integration durch Sport in Sportvereinen oder bei anderen Anlässen eine fundierte Organisation, fachliche Beratung Anleitung und einen langen Atem. Auch das Bundesprogramm »Integration durch Sport« kann vor Ort nur durch ehrenamtliches Engagement mit Leben erfüllt werden. An den Schnittstellen der Vereine sind es überwiegend die ehrenamtlichen Sportler, Übungsleiter oder Vereinsvorstände die die Hauptlast der Arbeit tragen. Sie motivieren die Akteure, organisieren Training, Wettkämpfe, das Vereinsleben an sich und sie sind auf Rahmenbedingungen angewiesen. Dazu gehören Beratungen, Förderungen, Anleitungen, Räume oder Trainingszeiten. Geplante Integration gibt aber auch Bedingungen, Qualifikationen und Kriterien vor. Ein stabiles System hat der Landessportbund Sachsen aufgebaut, der mittlerweile über jahrzehntelange Erfahrungen verfügt. Er arbeitet mit seinen Mitgliedsorganisationen eng zusammen, um die Integration stetig voran zu treiben. Die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern außerhalb des organisierten Sports und die Mitarbeit in Netzwerken sind für eine erfolgreiche Integrationsarbeit unerlässlich. Das Programm »Integration durch Sport« des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) wird auf 142 Landesebene eigenverantwortlich von Landes- und Regionalkoordinatoren umgesetzt. Sie unterstützen die Sportvereine, Netzwerkpartner und freiwillig Engagierten an der Basis in ihrer Integrationsarbeit konzeptionell, planerisch und organisatorisch. Information – Begegnung – Betreuung – Beteiligung Die in vier Phasen gegliederte Integrationsarbeit in Sachsen sichert Teilnahme- und Teilhabestrukturen. Auf diese Weise leistet der organisierte Sport einen Beitrag zum Abbau von kulturellen Vorbehalten, Sprachbarrieren und zur Gewaltprävention. Das Bundesministerium des Innern und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stehen dem Programm als Zuwendungsgeber und Partner im fortlaufenden Prozess der Programmoptimierung begleitend zur Seite. Respektieren und bewahren Das Programm soll die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund am gesellschaftlichen Leben stärken und damit auch die sportweltlichen Teilnahme- und Teilhabestrukturen. Die kulturelle Vielfalt zu respektieren und zu wahren ist dabei von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig ist der Anspruch aller, sich an rechtsstaatJahresbericht 2012 lichen und demokratischen Grundpositionen zu orientieren. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt auf bislang im Sport unterrepräsentierten Gruppen, wie zum Beispiel Mädchen und Frauen, Personen im mittleren Erwachsenenalter, Ältere sowie sozial Benachteiligte. Der Landessportbund setzt auf ein System aus ehrenamtlichen Übungsleitern und Integrationsbeauftragten, Stützpunkten und Maßnahmen. Die Integrationsbeauftragten stellen den Kontakt zur Zielgruppe her und bauen ein Sportangebot auf. Sie kooperieren mit den örtlichen Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe, den Verbänden und Institutionen. Sie vermitteln zwischen Verein, Programmleitung und der Zielgruppe. Für die aktive Mitgestaltung ist es hilfreich, wenn Menschen mit Migrationshintergrund als Übungsleiter, Integrationsbeauftragte oder für die Vorstandsarbeit gewonnen werden können. Integration durch Sport bietet Ein- und Mehrtagesveranstaltungen und Großveranstaltungen an. Tagesveranstaltungen werden in der Regel von Stützpunktvereinen, Prow w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e jektpartnern oder Teilnehmern aus Sonderprogrammen organisiert. Typisch sind Sportund Spielfeste, Schnupperkurse, Turniere und Tagesausflüge. Höhepunkte der Arbeit sind landesweite Fußball- oder Volleyballturniere. Stützpunktvereine gestalten außerdem eigene Veranstaltungen, um das Programm der Öffentlichkeit zu präsentieren und bei allen Altersgruppen Interesse am Sport zu wecken. Stützen unter besonderen Bedingungen Sportvereine, die sich im Rahmen des Programms »Integration durch Sport« für die Integrationsarbeit engagieren, werden als Stützpunktvereine bezeichnet und gehören damit zur Programmstruktur. Sie besitzen für die Programmumsetzung einen zentralen Stellenwert, da sie eine regelmäßige, langfristige und kontinuierliche Arbeit vor Ort gewährleisten und Integrationsstrukturen unter Einbindung des organisierten Sports schaffen und fördern. 143 7.3 Aus Liebe zum Menschen – Integration im ehrenamtlichen Rettungswesen von Michael Bagusat-Sehrt9 Für die Stützpunktvereine im Programm »Integration durch Sport« gelten besondere Kriterien. So muss der Sportverein einen erkennbaren Integrationsbedarf aufweisen, beispielsweise bedingt durch Sozialraumstruktur oder besondere Problemlagen. Der Sportverein muss bedarfsorientierte Maßnahmen zur Umsetzung der Zielsetzungen entwickeln und durchführen, so z. B.: • niedrigschwellige, zielgruppenorientierte Angebote zur Einbindung der Zielgruppen (aufsuchende/nachgehende Angebotsformen, ermäßigte Teilnehmerbeiträge etc.) • über das Regelangebot der Vereine hinausgehende, außersportliche Angebote (z. B. Sport + X, Projekte, pädagogische Angebote, kulturelle Angebote, Bildung, Beratung, Sprachförderung) • Schaffung von Beteiligungsmöglichkeiten für die Zielgruppen, Einbindung in Ausführungs- und Entscheidungspositionen • Förderung des freiwilligen Engagements der Zielgruppen • Verankerung von Integrationsarbeit in Vereinsstrukturen und Vorstandsarbeit • Vernetzung/Kooperation mit Partnern vor Ort interkulturelle Qualifizierung (z. B. durch »Sport Interkulturell«) • der Sportverein akzeptiert das Integrationsverständnis und die Ziele und orientiert sich an den Zielgruppen des Programms • der Sportverein zeigt die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit »Integration durch Sport (Teilnahme an Fortbildungen, interkulturelle Öffnung, Öffentlichkeitsarbeit, Kompetenzerweiterung) Die Art der Zusammenarbeit des Programms mit den einzelnen Stützpunktvereinen ist unterschiedlich. Sie kann in Form von Beratung und Begleitung ideell sein oder eine materiell bzw. finanzielle Förderung. Vereine, die eine Förderung im Rahmen des Programms erhalten möchten, nehmen Kontakt mit der zuständigen Landeskoordination von »Integration durch Sport« auf. In einem Beratungsgespräch werden die Möglichkeiten und formalen Anforderungen einer Zusammenarbeit geklärt. Eine Übersicht über die Stützpunktvereine in Sachsen enthält die Dokumentation. Der Slogan des Deutschen Roten Kreuzes sagt bereits viel aus, je nachdem wie ihn der Mensch, der ihn liest, interpretiert. Dass das DRK für medizinische Rettung in allen Bereichen und Gebieten tätig ist, in denen menschliches Leid entstehen kann, ist allgemein bekannt. Viel weniger ist jedoch bekannt, dass über die Hälfte der Einsätze, gerade bei schweren Katastrophenfällen oder Vorkommnisse mit vielen Verletzten, durch ehrenamtliche Retter abgedeckt wird. Das Ehrenamt ist in Deutschland sehr verbreitet und eine grundlegende Säule im kulturellen und sportlichen Bereich. Im Rettungsdienst ist es nicht mehr wegzudenken. Unterschiedlichste Möglichkeiten und Arbeitsfelder bietet das Deutsche Rote Kreuz. Sanitätsdienstliche Absicherung, Wasserwacht, Bergrettung, Katastrophenschutz und Schnelle medizinische Einsatzgruppe sind nur einige Leistungen, die von Menschen im Ehrenamt erbracht werden. In vielen anderen Ländern sind solche Strukturen nicht bekannt, beziehungsweise ganz anders aufgebaut. Menschen, die aus diesen anderen Ländern zu uns nach Deutschland kommen – hier arbeiten und leben wollen – können die vielfältigen Möglichkeiten nicht kennen, für die Gesellschaft tätig zu werden und anderen Menschen zu helfen. Hier kann Integration ansetzen. Den Zuwanderer muss die Möglichkeit gegeben werden, die Tätigkeiten und Einsatzgebiete kennen zu lernen. Sie benötigen theoretische Kenntnisse und praktische Erlebnisse. Das DRK bietet dies in den vielen Facetten. Ob durch Vorführungen, auf Messen, bei ausgewählten Veranstaltungen oder den Schulsanitätsdienst auf der Kinder- und Jugendebene – wir versuchen dorthin zu kommen, wo die Menschen leben und agieren. Wir spornen Menschen zum Mitmachen an und versuchen Akteure als Multiplikatoren zu gewinnen. Die sollen über ihre Erfahrungen und Erlebnisse in ihrem Umfeld und Wirkungskreis weitererzählen. Gern vermitteln wir einen weiteren Aspekt, denn für manche Migrantinnen und Migranten bietet sich vielleicht auch eine berufliche Möglichkeit. Mit einer Arbeit am 9 Projektkoordinator beim DRK Torgau-Oschatz e. V. »Integration im ehrenamtlichen Rettungswesen«– ein Projekt des Lokalen Aktionsplans Nordsachsen 2011 144 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 145 Menschen, die Spaß macht und noch den Lebensunterhalt sichern kann, ist vielen Menschen, die neu in unserer Gesellschaft ankommen möchten, schon eine große Bürde genommen. Doch oftmals stoßen Menschen mit Migrationshintergrund, die sich in einer gewachsenen Struktur engagieren möchten, auf Unverständnis und Nichtbeachtung. Wir beobachten weniger eine Ablehnung ihrer Person, sondern eher die Ablehnung der andersartigen Kultur, des andersartigen Denkens, Handelns und ihres anderen Glaubens. Andere Erfahrungen und Sozialisationen, die Menschen nicht kennen, machen Angst und bringen eine Ablehnung oder ein falsches Handeln hervor. Ein wichtiger Bestandteil für eine erfolgreiche Integration von Menschen mit einer anderen Herkunft im ehrenamtlichen Rettungswesen ist deshalb die interkulturelle Öffnung der Vereine bzw. einzelner Strukturen. Verständnis für anderes Denken, Handeln, andere Gefühle und einen anderen Glauben 146 müssen nicht nur in den Führungsebenen erreicht werden. Sondern jeder einzelne Helfer muss die Gelegenheit bekommen, das Andere wahrzunehmen und kennen zu lernen. Gespräche, Seminare, Workshops und ein praktisches Miteinander können hierbei die Grundlagen für eine akzeptierte interkulturelle Öffnung sein. Sich interkulturell zu öffnen, soll ja nicht heißen, dass ein Glauben, eine bestimmte Ernährung oder eine bestimmte Lebensregel angenommen werden muss. Es heißt nur, sie zu tolerieren und zu akzeptieren. Das muss jeder Helfer, jede Führungskraft verstehen und lernen. Gerade im ehrenamtlichen Rettungswesen ist immer nur die gesamte Gruppe stark und kann effektiv gute Hilfe leisten. Eine bewusste und gezielte interkulturelle Öffnung bedeutet für beide Seiten eine große Bereicherung. Ob es die personelle Verstärkung und Verbesserung der Einsatzbereitschaft auf der einen Seite ist, so ist es auch das Voneinander-Lernen, der Austausch von Erfahrungen und die Akzeptanz in der Gesellschaft auf der anderen bzw. auf beiden Seiten. Auch die Hilfesuchenden und Verletzten haben in vielen Situationen einen großen Vorteil, wenn Menschen anderer Herkunft in den Strukturen aktiv sind. So können Sprachschwierigkeiten überwunden, manches Verhalten aus Glaubensgründen besser erklärt und damit schnellere Hilfe geleistet werden. Eine erfolgreiche Integration wird immer ein aktives Handeln benötigen. Mit Menschen reden, für Akzeptanz werben und somit die Ängste voreinander abzubauen, sind die wichtigsten Aufgaben, heute und künftig, damit das Ehrenamt im Bevölkerungsschutz und in allen anderen Bereichen gestärkt seine Aufgaben für die Menschen und die Gesellschaft erfüllen kann – Aus Liebe zum Menschen! Jahresbericht 2012 7.4 Mehrgenerationenhäuser als Orte interkultureller Begegnung und Angebote zum Engagement von Migranten von Susanne Hartzsch-Trauer10 Mehrgenerationenhäuser (kurz MGH) werden als Orte der Begegnung und des Austausches zwischen Menschen verschiedener Lebensalter, sozialer und kultureller Hintergründe gestaltet. Sie arbeiten selbsthilfeorientiert und entwickeln aus den Bedürfnissen ihrer Nutzer heraus Unterstützungsangebote und Dienstleistungen, die den sozialen Zusammenhalt stärken und lebendige Nachbarschaften entwickeln helfen. Gleichzeitig engagieren sie sich in vielfältigen Zusammenhängen in ihrer Kommune und bauen damit ein umfangreiches Netz zur Unterstütw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e zung von Menschen in unterschiedlichsten Bedürfnislagen auf. Die Unterstützung und Einbeziehung von Zuwanderern ist konzeptionell verankert. Sachsen verfügt über 38 Mehrgenerationenhäuser, 60 Prozent von ihnen sind im ländlichen Bereich angesiedelt, 40 Prozent in mittelgroßen Städten oder Großstädten. Wesentlich für die Struktur der MGH ist ein 10 Projektkoordinatorin SOS-Mütterzentrum/ Mehrgenerationenhaus Zwickau und Mitglied im Interessenverbund sächsischer Mehrgenerationenhäuser 147 7.5 offener Treff, der täglich ohne Zugangsvoraussetzungen Begegnung und Austausch im Alltag ermöglicht. Wer sich kennen lernt und gemeinsam etwas tut, ist sich bald nicht mehr fremd. Über ein umfangreiches Angebot zur Unterstützung, wie Essensangebote, Hausaufgabenhilfe oder offene Kinderbetreuung und Beratung finden besonders Familien mit Migrationshintergrund leicht Anschluss an das MGH. Auch Migranten, die keinen Zugang zu Sprachkursen haben, können hier im Alltag die deutsche Sprache lernen und üben. Je nach regionalem Ausländeranteil und vorhandenem Bedarf werden häufig spezielle Angebote für Migranten entwickelt. Ein Großteil der Arbeit basiert auf freiwilligem Engagement. Über 1.000 Menschen arbeiten zurzeit in Sachsen täglich ehrenamtlich in Mehrgenerationenhäusern. »Zusehen-Mithelfen-Selbermachen« ist ein bewährtes Prinzip der Arbeit. Hier bietet sich eine Chance für Migranten, »anzudocken«, eigene Fähigkeiten zu entwickeln und in die Arbeit der Häuser einzubringen. Aktuell bieten Menschen mit Migrationshintergrund in Sachsen Sprachkurse und Beratung in ihrer 148 Muttersprache an, bereichern mit Gerichten aus ihren Heimaten die Essensangebote der Häuser und bieten Tanz- und Sportkurse an. Sie arbeiten als mehrsprachige Tagespflegepersonen und Erzieherinnen oder beteiligen sich musikalisch und kulinarisch an regionalen Festen in der Öffentlichkeit. Andere Menschen kennenzulernen und mit ihnen gemeinsam etwas zu tun und zu erleben, schafft Zugehörigkeitsgefühl, Nachbarschaftsbezüge und Gemeinschaft. Die Heterogenität des Mehrgenerationenhauses erweitert das Verständnis für andere und spiegelt eigene Verhaltensmuster. Daraus wachsen Lernen, Alltagssolidarität und Toleranz (»helping people and change«) bei allen Besuchern. Die Veränderung Deutschlands hin zu einer Einwanderungsgesellschaft – wer ein Mehrgenerationenhaus besucht, kann heute schon erleben, wie das aussehen könnte. Jahresbericht 2012 Einsatz braucht Vielfalt – Vielfalt braucht Ihren Einsatz: Interkulturelle Öffnung des Deutschen Feuerwehrverbandes Der klassische Feuerwehrangehörige ist männlich und ohne Migrationshintergrund. Besonders stark ausgeprägt zeigt sich diese Monokultur im Bereich der (mangelnden) Vielfalt der ethnischen Hintergründe, die Feuerwehrangehörige mitbringen. Grundsätzlich wollen die Feuerwehren jedoch einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen, die sie beschützen. Bislang liegen keinerlei statistisch belastbare Zahlen zum Anteil von Migrantinnen und Migranten in den Feuerwehren auf bundesweiter Ebene vor. Die Studie »Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999–2004« beziffert den Anteil der in der Feuerwehr und den Rettungsdiensten engagierten Migrantinnen und Migranten auf ein Prozent, wobei jedoch nicht zwischen Feuerwehren und Rettungsdiensten differenziert wird. Demnach sind Migrantinnen und Migranten in den Feuerwehren sehr stark unterrepräsentiert. Für mehr als 99 Prozent der Migrantinnen und Migranten ist die Feuerwehr eine unbekannte Organisation, mit der sie nur in Schadensfällen und persönlichen Notsituation konfrontiert sind. Geht es nach den Beschlüssen des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), soll sich das in den nächsten Jahren gezielt ändern. Kontakte fördern, interkulturelle Kompetenz stärken – dies sind Kernpunkte der DFVIntegrationsprojekte. Im Focus des neuen, am 01.01.2013 begonnenen, Projektes »Miteinander reden!« steht der Interkulturelle Dialog. Es ist auf ein Jahr angelegt und hat w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e engere Kontakte sowie eine Zusammenarbeit zwischen Feuerwehr und Migrantinnen und Migranten in den Städten und Gemeinden zum Ziel. »Wir wollen und müssen miteinander ins Gespräch kommen.« sagt DFV-Referentin Silvia Darmstädter. Das Problembewusstsein soll bei den Feuerwehren verdeutlicht, die interkulturelle Kompetenz erhöht und Vertrauen von Migrantinnen und Migranten erworben werden. In Migrantencommunitys soll besonders über das System der Freiwilligen Feuerwehren aufgeklärt werden. Darmstädter nennt viele Gründe, warum sich der Verband in den letzten Jahren so intensiv mit der interkulturellen Verständigung auseinandersetzt: »Ausschlaggebend war ein großer Brand in Ludwigshafen im Jahr 2007. Damals traten Verständigungs- und Verständnisprobleme offen zu Tage.« Mit den Kommunikationsangeboten an die örtlichen 149 Wehren sollen zuerst der Dialog und die Kompetenz gestärkt werden. Außerdem gelte es, mit zahlreichen Missverständnissen aufzuräumen. So sei in vielen Ländern wie beispielsweise Italien die Feuerwehrstruktur militärisch organisiert. »Ein ehemaliger Gastarbeiter verbot beispielswiese seinem Sohn, zur Freiwilligen Feuerwehr zu gehen: ›Du gehst mir nicht zum Militär!‹ Da gibt es viel Aufklärungsbedarf.«, so die Pressereferentin des Verbandes. Ganz einfach komme es aber auch darauf an, dass im Einsatzfall eine Verständigung möglich ist. Wichtig sei zu klären, was man von einer Freiwilligen Feuerwehr erwarten könne, aber auch, welche Vorteile ein ehrenamtliches Engagement für die Einzelnen habe. Damit Integration dauerhaft gelingt, will sie der Verband aktiv fördern und unterstützen. Integration braucht die Bereitschaft, den anderen in seiner Verschiedenheit anzunehmen und Unterschiede als Bereicherung und nicht als Mangel zu begreifen. Sie erfordert auch die Anstrengung, Teilhabemöglichkeiten für alle zu schaffen. Und Integration benötigt Ausdauer, um gemeinsam Regeln des Miteinanders zu entwickeln und auch auf ihre Einhaltung zu achten. Dies ist wichtig für das gegenseitige Verstehen der jeweiligen Standpunkte und Arbeitsweisen, für die Prävention und auch langfristig für eine ehrenamtliche Tätigkeit. 150 Das Projekt wird aus Mitteln des Europäischen Integrationsfonds kofinanziert; für die Verwaltung des Fonds ist das BAMF zuständig. »Miteinander reden!« knüpft sehr stark an das vorangegangene Projekt »Deine Feuerwehr – Unsere Feuerwehr! Für ein offenes Miteinander« an. Mit dem Vorgängerprojekt stellte der Deutsche Feuerwehrverband die Vorteile in den Vordergrund, die jede einzelne Feuerwehr aus einer guten Integrationsarbeit ziehen kann. Konkret wurden durch den Deutschen Feuerwehrverband ein Leitfaden zur Interkulturellen Öffnung erstellt, Schulungen für Feuerwehrangehörige und Multiplikatoren angeboten, ein Leitbild für die Feuerwehren entwickelt, Netzwerke geknüpft und Ideen für eine Feuerwehr-Jahresaktion als Vertrauenskampagne gesammelt. Im Jahr 2013 soll das bestehende Schulungsmaterial erweitert werden. Vor Ort werden Schulungen zum interkulturellen Dialog angeboten. Die Landesverbände und interessierte Feuerwehren erhalten ein Materialset zum Thema »Interkultureller Dialog«, mit dem zum Beispiel Übungsabende gestaltet Jahresbericht 2012 werden können. Ein Flyer gibt Praxistipps für den konkreten interkulturellen Dialog. Im Zeitraum vom 3. bis 5. Mai 2013 und 27. bis 29. September 2013 können sich Feuerwehrleute mit und ohne Migrationshintergrund aus ganz Deutschland bei Regionalkonferenzen zum Austausch treffen. Mit einer allgemeinen Kommunikationskampagne wird zudem Material zu den Schwerpunkten Aufklärung zum Feuerwehrsystem, Prävention und Mitgliedergewinnung deutschlandweit zur Verfügung gestellt. Für das erste Dezemberwochenende ist eine Abschlusskonferenz in Berlin geplant. Der Verband empfiehlt Fachberater Der Deutsche Feuerwehrverband empfiehlt die Einsetzung von Fachberatern oder Fachberaterinnen Integration auf verschiedenen Ebenen (Kommune, Kreis, Bezirk, Land, Bund), um die interkulturelle Öffnung und Integration in die Feuerwehren voranzubringen. In einer Fachempfehlung werden die Aufgaben und Tätigkeiten für Fachberater/in Integration in der Feuerwehr beschrieben. Sie richtet sich an die Vorstände, Präsidien und sonstige Organisationseinheiten und soll Fachberater und interessierte Personen bei der interkulturellen Öffnung unterstützen. Die Fachempfehlung gibt außerdem Hinweis, wie man mit interkulturellen Irritationen umgehen kann. Aktuelle Projektinfos finden Sie auf der Webseite www.feuerwehrverband.de/miteinander w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Einer für Alle: der Deutsche Feuerwehrverband Rund 1,3 Millionen Angehörige in Freiwilligen, Jugend-, Berufs- und Werkfeuerwehren in bundesweit 32.000 Feuerwachen und Gerätehäusern – damit sind die Feuerwehren eine starke Gemeinschaft und ein verlässlicher Partner für Sicherheit. Die flächendeckende Gefahrenabwehr trägt der dichten Besiedlung Deutschlands Rechnung und bringt den Bürgern schnelle Hilfe an jedem Ort. Der Deutsche Feuerwehrverband bündelt und vertritt die Interessen seiner ordentlichen Mitglieder: der 16 Landesfeuerwehrverbände und der beiden Bundesgruppen. Fachlicher Austausch, gemeinsame Aktionen und eine gebündelte Interessenvertretung kennzeichnen die Arbeit ebenso wie ein hohes Maß an Eigenverantwortung der Feuerwehrangehörigen und der Träger der Feuerwehren. Die Verbandsarbeit der Feuerwehren lebt auf allen Ebenen von Menschen, die sich in ihrer Freizeit für die Belange der Feuerwehren und ihrer Mitglieder einsetzen. Ehrenamtlichkeit ist auch das Grundprinzip des Deutschen Feuerwehrverbandes. 151 8. Vielfalt in die Öffentlichkeit bringen: Sachsen ist bunt Wer bin ich, und wenn ja, wie viele? Dieser Buchtitel des Philosophen Richard David Precht passt auch haargenau auf unsere Identität. Wir Menschen haben ein vielfältiges Selbstverständnis. Wir sind Deutsche, Sachsen, Freiberger, Leipziger, Erzgebirgler, Eingeheiratete, Oberlausitzer, Städter oder Bergbewohner. Und dazu außerdem noch Europäer und natürlich auch Weltbürger, die sich beispielsweise für das Weltklima einsetzen. Das alles passt unter einen Hut, ohne dass uns dabei schwindlig wird. Man sieht: Wir sind schon bunt. Diese »unausgesprochene Vielfalt« in uns ergibt sich aus unsern eigenen individuellen Entwicklungen, aus den Entscheidungen unserer Familie, hierhin oder dorthin zu ziehen, aus unserem beruflichen Engagement, aus Kontakten mit Freunden und Fremden und auch aus den großen gesellschaftlichen und globalen Entwicklungen. Wie weltoffen wären wir heute, wenn es den Mauerfall nicht gegeben hätte? Vielfalt macht neugierig. Sie erweitert die Perspektive. Jeder, der schon einmal die Gelegenheit hatte, im Ausland zu leben und zu arbeiten, hat aus seinem Gastland ganz sicher neue und wichtige Einsichten mit- 152 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e gebracht, die über das hinausgingen, was er vorher wusste und konnte. Jeder Schritt in eine andere Kultur, jede Begegnung mit anderen Menschen macht unser eigenes Selbstverständnis bunter. Das wirft uns nicht aus der Bahn, denn wir haben starke Wurzeln: Unser Land ist ein Land der Einheit in Vielfalt. Zu meinen Aufgaben als Ausländerbeauftragter gehört es, jährlich über die Situation der im Freistaat Sachsen lebenden Ausländer zu berichten. Diese Aufgabe kann ich nur erfüllen, wenn ich gleichzeitig über unser Miteinander berichte. Nur dann kann ich dem Anspruch »Einheit in Vielfalt« gerecht werden. Deshalb stehen im Mittelpunkt dieses Kapitels über Öffentlichkeitsarbeit Initiativen und Menschen, die sich für ein konstruktives Miteinander in Sachsen engagieren. Dazu gehören die Preisträger des Integrationspreises ebenso wie engagierte Journalistinnen und Journalisten, Kommunen, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Mitglieder in Vereinen und Initiativen und einzelne Bürgerinnen und Bürger. Sie alle stehen für die Botschaft: Wir sind bunt. Und wir gehören zusammen. 153 8.1 Alle Deutschen werden Brüder – oder: Wie wird man einer von uns? Was ist deutsch? Wer ist Deutscher? Ist Deutscher, wer Deutschland »Heimat« nennt? Ist Deutscher, wer einen deutschen Pass besitzt? Oder braucht es noch mehr dazu, wie manche meinen? Während die Diskussion über scheinbar integrationsunwillige Migranten in unserem Land ganze Säle füllt, wird eine andere, ebenso wichtige Frage meist nicht gestellt: Wollen die Bundesbürger deutscher Herkunft die Integration der Migranten überhaupt? Und wenn ja, führen die vorhandenen Konzepte tatsächlich zum gewünschten Erfolg eines respektvollen und bereichernden Miteinanders? Diese Fragen standen auf dem Programm einer Sonntagsmatinee des Deutschen Hygienemuseum Dresden im Februar 2012, zu dem über 80 Gäste gekommen waren, und die von vier Referenten gestaltet wurde. Dr. Herbert Lappe, von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden, setzte sich in seinem Statement mit der Rassentheorie der Nazis auseinander. Dr. Bernd Rump zeigte anhand der Lebensläufe seiner Vorfahren, welchen Einfluss beispielsweise Umsiedlungen in deutsche Wehrdörfer, Völkervertreibungen, politische und militärische Niederlagen oder auch Hochzeiten auf die staatsrechtlichen Einordnungen hatten und haben. Er zeigte, was allein im Laufe der letzten 100 Jahre 154 als deutsch oder nichtdeutsch galt, erklärt oder hingebogen wurde. Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler – Berliner Anwalt und Autor des Buches »Kein schönes Land in dieser Zeit« – betonte, dass nicht nur Ausländer in Deutschland unter Ausgrenzungen zu leiden hätten. Auch Behinderungen, die sexuelle Orientierung oder das Geschlecht führten noch immer dazu, dass Menschen als »undeutsch« charakterisiert würden. Daimagüler schlug vor, sich weniger auf Unterschiede als vielmehr auf das Merkmal »engagierte Bürgerschaft« zu konzentrieren. Sein Plädoyer lautete: Wer sich konstruktiv in Deutschland und in die deutsche Gesellschaft einbringe, sei Deutscher. Martin Gillo plädierte für einen Perspektivwechsel und warb für den Begriff des Zukunftsdeutschen. Zukunftsdeutsche seien Menschen, die sich in und für eine vielfältige Willkommensgesellschaft engagieren. Als zukunftsorientiert erwiesen sich auch die Vorschläge, die vom engagierten Publikum eingebracht wurden. Besonders hervorzuheben ist der Ansatz, dass es nicht darum geht, Migranten zu assimilieren, sondern viel eher darum, dass sich die Migranten und die deutsche Mehrheitsgesellschaft hin zu einer immer zukunftsfähigeren Gesellschaft weiterentwickeln, die von Diversität, Respekt und Bereicherung geprägt ist. Jahresbericht 2012 8.2 Der Sächsische Integrationspreis: Migranten für Sachsen und Sachsen für Migranten Sachsen ist die gemeinsame Heimat von Menschen aus 170 Nationen. Trotz unterschiedlichster Wurzeln haben diese verschiedenen Menschen eine gemeinsame Zukunft in Sachsen. Viele Menschen in Sachsen engagieren sich täglich dafür, diese Zukunft zu gestalten – sei es in ihrer Nachbarschaft, sei es beim Sport, in Kunst oder Kultur. Viele Zuwanderer sind unter ihnen. Häufig ist ihr Engagement nicht bekannt. Deshalb stand der Integrationspreis 2012 unter dem Motto »Migranten für Sachsen – Sachsen für Migranten«. Er wurde auch 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e wieder gemeinsam von Christine Clauß, Sächsische Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz, und Martin Gillo ausgeschrieben. Wir wollten sichtbar machen, wie sich Migranten heute schon für ihre neue Heimat und ein gutes interkulturelles Miteinander einsetzen. Wie gingen sie konkret auf ihre Nachbarn und Kollegen, auf die Lehrer und Erziehern ihrer Kinder zu? Wie haben sie sich in Gemeinden, Vereinen oder im alltäglichen Leben für ein respektvolles interkulturelles Miteinander engagiert? 155 Besonders wichtig war uns zu zeigen, welche Brücken bei diesem Engagement entstehen: im Alltag und in der Nachbarschaft, im Sport, im Arbeits- und Wirtschaftsleben, in der Kinder- und Jugendarbeit, in den Medien, in Bildung und Wissenschaft oder im interreligiösen Bereich. Vier Preisträger freuten sich letztlich am 30.11.2012 im Plenarsaal über die Glückwünsche von Christine Clauß und Martin Gillo. Bevor die Moderatoren Luisa Noack und Duy Tran die Preisträger vorstellen konnten, musste sich eine Jury für die besten Projekte von 24 Initiativen und Einzelpersonen aus ganz Sachsen entscheiden. Kriterien bildeten beispielweise die Nachhaltigkeit der Projekte und die Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Der siebenköpfigen Jury gehörten die Preisträger aus den Vorjahren, die Stifter des Preises und der Ausländerbeauftragte der Technischen Universität Dresden an. Staatsministerin Clauß betonte in ihrer Rede, dass eigentliche alle Initiativen die Ehrung verdient hätten: »Migranten gehören in die Mitte der Gesellschaft, in die Mitte der Politik, in die Mitte der sächsischen Heimat und Wahlheimat. Nur das gemeinsame Denken, Fühlen und Handeln von Zuwanderern und Mehrheitsgesellschaft bringt uns weiter.« Dass auch Bürgermeister, Behördenvertreter und Mandatsträger extra zur Auszeichnung ihrer lokalen Initiativen kamen, zeugte von der wachsenden Anerkennung für die Idee des Integrationspreises. Fortbildungen, Fahrradkurse und Tanz Geehrt wurde Mehrdad Kalateh Agha Mohammadi vom Förderverein Jugend-, Kultur- und Sozialzentrum Aue e. V. Er engagiert sich für Demokratie und setzt auf die Begeg- 156 nung zwischen Zuwanderern und einheimischer Bevölkerung. Auch der Verein ProDialog Leipzig e. V. erhielt einen Preis für seine interkulturelle Fortbildung für Mitarbeitende aus öffentlichen Einrichtungen. Die Preisträger vom Kunst- und Tanzstudio »Schöne Welt« aus Oelsnitz im Vogtland setzen auf Kunst und Kultur als Bindeglied zwischen Zuwanderern und Einheimischen. Den Sonderpreis des Sozialministeriums erhielt der Verein zur Förderung von Kinderund Jugendsport in Dresden. Er organisierte gemeinsam mit dem Ausländerrat einen Fahrradkurs für Migrantinnen, die in ihren Herkunftsländern nie Radfahren lernen konnten. Durch die enge Zusammenarbeit mit Polizei und Verkehrswacht ging das Empowerment der Frauen Hand in Hand mit der interkulturellen Öffnung der beteiligten Organisationen. Martin Gillo betonte bei der Verleihung, dass alle Initiativen Anteil daran hätten, dass Sachsen immer mehr zu einem Land wird, in dem respektvoll und auf Augenhöhe miteinander umgegangen werde: »Es ist nicht die Herkunft entscheidend, sondern ob und wie sich Menschen für unsere gemeinsame Heimat Sachsen und unsere gemeinsame Zukunft engagieren. Alle Initiativen, die sich beworben haben, tragen ein Stück dazu bei, dass Sachsen immer mehr zu einem Land wird, in dem wir – unabhängig von unserer Herkunft – respektvoll und auf Augenhöhe miteinander umgehen. Das ist ein entscheidender Beitrag für unsere Zukunftsfähigkeit.« Im Rahmen der Preisverleihung konnten sich die Gäste über die eingereichten Projekte informieren und untereinander austauschen. Eine Ausstellung in der Lobby stellte alle Projekte vor. Eine Dokumentation aller Projekte ist über die Geschäftsstelle des Ausländerbeauftragten erhältlich. Jahresbericht 2012 »Zusammenarbeit – tolerant, kompetent, nachhaltig« Mehrdad Kalateh Agha Mohammadi, Förderverein Jugend-, Kultur- und Sozialzentrum Aue e. V. Die Initiative »Zusammenarbeit – tolerant, kompetent, nachhaltig« initiiert Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Gerade in Städten oder Landkreisen mit sehr geringem Ausländeranteil sind Ängste und die Unsicherheit vor w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Fremden sehr hoch – umso wichtiger sind persönliche Begegnungen, die die Gemeinsamkeiten erkennen und die Unterschiede weniger wichtig werden lassen. Im Rahmen der Initiative werden verschiedene Kleinprojekte im Sport, in der Kinder- und Jugendsowie in der Bildungsarbeit durchgeführt, bei denen der interkulturelle Ansatz zentral ist, wie z. B. in den Patenschaften zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Darüber werden die interkulturelle Öffnung und gleichzeitig die demokratische Bürgergesellschaft in Aue und Umgebung gestärkt und gefördert. Dieser Ansatz erleichtert Zuwanderern das Ankommen in der Region und schafft Wege in die Gesellschaft hinein. Mehrdad Kalateh Agha Mohammadi ist ein sehr aktives Mitglied im Verein. Er betreut und begleitet Menschen mit Migrationshintergrund, die in der Region leben und wendet sich auch ganz aktiv an die einheimische Bevölkerung. So unterstützt er den Geschichtsunterricht an der Auer Mittelschule und vermittelt Kindern und Erwachsenen seine Perspektiven als Ausländer in Sachsen und berichtet von seinen Erfahrungen als 157 Flüchtling, der sein Land verlassen musste. Er setzt sich bei Fachtagungen und Podiumsdiskussionen mutig und öffentlich für seine neue Heimat, für Demokratie und ein respektvolles Miteinander ein. Damit ist er ein wichtiges Beispiel für lebendige und selbstverständliche Interkulturalität in Sachsen. Interkulturelle Fortbildung Sarbast Akraui, ProDialog Leipzig e. V. Das Projekt »Interkulturelle Fortbildung für Kinder- und Jugendeinrichtungen des Leipziger Ostens« richtete sich an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende der Kinder- und Jugendarbeit und zeigte Handlungsstrategien für interkulturelle Fragen auf, die in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verschiedener Herkunft entstehen können. Ziel der Fortbildungen war es, das alltägliche Zusammenarbeiten und Zusammenleben in den Kinder- und Jugendeinrichtungen zu verbessern. Die Mitarbeitenden wurden für die Belange von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sensibilisiert und erhielten gleichzeitig Anregung für die interkulturelle Öffnung der jeweiligen Ämter und Einrichtungen. Diese Impulse zur interkulturellen Öffnung und die Konzeption der Fort- 158 bildung als Multiplikatorenschulung machen die besondere Nachhaltigkeit dieser Initiative aus. Das Projekt zielte nicht nur darauf, Diskriminierungen zu erkennen und zu vermeiden, sondern zeigte mögliche Wege auf, wie ein respektvolles Miteinander von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft ermöglicht und unterstützt werden kann. Dem interkulturellen und multiethnisch zusammengesetzten Verein »ProDialog« ist es mit diesem Projekt vorbildlich gelungen, eigene Erfahrungen aus der Perspektive von Zuwanderern für die Mehrheitsgesellschaft nutzbar zu machen. Besonders lobenswert ist der methodische Ansatz, interkulturelle Fortbildung nicht nur als Wissenszuwachs für den Einzelnen zu konzipieren, sondern gleichzeitig die interkulturelle Öffnung der beteiligten Institutionen zu fördern. kulturelles Miteinander einzusetzen. Kunst und Kultur sind in dieser Initiative nicht nur Antriebsmotor der Integration, sondern auch Antriebsmotor für die interkulturelle Öffnung der sächsischen Gesellschaft. Das ist angesichts der besonderen Herausforderungen in den kleineren sächsischen Städten besonders lobenswert. Gerade in den Regionen mit sehr geringem Ausländeranteil sind Ängste und die Unsicherheit vor Fremden sehr hoch – umso wichtiger sind gemeinsame Erlebnisse, die die Gemeinsamkeiten erkennen und die Unterschiede weniger wichtig werden lassen. Kunst und Kultur als Antriebsmotor der Integration Nadja Grigorenko, Kunst- und Tanzstudio »Schöne Welt« Das Kunst- und Tanzstudio »Schöne Welt« bietet unterschiedliche Projekte für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund an. Bei der künstlerischen Betätigung steht das Miteinander im Vordergrund. Hier ist nicht wesentlich, woher eine oder einer kommt, sondern entscheidend ist die gemeinsame künstlerische Arbeit, die so zum Medium der Verständigung wird. Mit diesem Ansatz gelingt es der Studioleiterin Nadja Grigorenko nicht nur, Zuwanderer beim Ankommen und Einleben in der neuen Heimat zu unterstützen. Sie schafft vor allem Möglichkeiten der Begegnung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und bietet Gelegenheiten, sich gemeinsam für etwas zu engagieren Jahresbericht 2012 und zu begeistern. In den von ihr initiierten Projekten kann man ganz alltäglich erfahren, wie sich Menschen aus verschiedenen Kulturen ergänzen und bereichern können. Damit können auch Berührungsängste vor Fremden besonders nachhaltig abgebaut werden. Nadja Grigorenko ist es auf beeindruckende Weise gelungen, ihre Fähigkeiten und Kenntnisse für ein respektvolles interw w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Sonderpreis: Fahrradkurs für Migrantinnen Jürgen Gunkel, Verein zur Förderung von Kinder- und Jugendsport in Dresden Der Fahrradkurs für Migrantinnen wurde durch den Verein zur Förderung von Kinderund Jugendsport in Dresden e. V. und in Zusammenarbeit mit dem interkulturellen Frauentreff des Ausländerrates Dresden e. V. 159 realisiert. Die Idee dazu stammt von Frauen aus Afghanistan, Jemen, Armenien, Iran und Vietnam, die den großen Wunsch hatten, Fahrradfahren zu lernen. Das ist in den meisten dieser Länder für Mädchen und Frauen eher unüblich. Der Kurs beinhaltete neben der Fahrpraxis auch theoretische Inhalte zur Verkehrssicherheit und wurde in Zusammenarbeit mit der Dresdner Polizei durchgeführt. Zum erfolgreichen Abschluss bekamen alle Frauen neben einem Fahrradpass ein gutes gebrauchtes Fahrrad und einen neuen Helm. Mit der neuen Fertigkeit sind sie deutlich mobiler und unabhängiger in ihrer Heimatstadt Dresden. Herausragend an diesem Projekt sind die kleinen Brücken, die hier geschlagen werden konnten. Besonders lobenswert sind natürlich die Eigeninitiative und der Mut der Frauen, die damit nicht nur individuelle Ängste, sondern vor allem auch kulturelle 160 Schranken überwinden konnten. Hervorzuheben ist auch die Bereitschaft der Ehemänner, die in den Zeiten des Kurses selbstverständlich die Kinderbetreuung übernahmen. Brücken wurden auch durch die breite Kooperation mit verschiedenen Partnern gebaut. Neben dem Ausländerrat Dresden und dem Gemeindedolmetscherdienst Dresden ist besonders die Zusammenarbeit mit Verkehrswacht und Polizei erwähnenswert. Darüber konnten auch Barrieren zwischen Migrantinnen und Behörden abgebaut und gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden konnte – ein wichtiger Schritt auch in Richtung interkultureller Öffnung der beteiligten Institutionen. Diese Initiative ist Empowerment der besonderen Art – sie macht in vielfacher Hinsicht mobil, schafft wichtige Erfolgserlebnisse und kann auch in kleineren Städten oder ländlichen Regionen leicht nachgeahmt werden. 8.3 Trimediale Integration Die MDR-Webdoku »Unsere bunte Heimat« verbindet Reportagen, Geschichten und Hintergründe zur Migration in Mitteldeutschland von Louisa Noack Ein Shaolin-Meister in Quedlinburg, eine Chilenin in Buchenwald, ein Leipziger Rabbi mit Smartphone und Facebook-Profil – sie alle verbindet eine, ihre, eine besondere Geschichte. Sie sind Migranten – wie tausende andere in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen. Und sie sind Mitmenschen, sie leben mit und unter uns, mit ihren interessanten, oft unentdeckten Schicksalen. Wie viel Integration steckt in Mitteldeutschland? Welche Geschichten verbergen sich hinter Bergen, in Tälern, Kleinstädten und Landeshauptstädten? Welche unterJahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e schiedlichen Nationen leben hier und sind Teil unseres Alltags? Die zehn MDR-Volontäre des 17. Jahrgangs bekamen im Frühsommer 2012 eine Aufgabe: »Entdeckt und erzählt Geschichten von Migranten in Mitteldeutschland«. Die jungen Redakteure sollten Menschen finden, die aus anderen Teilen der Welt kamen, hier eine neue Heimat fanden, ihrer Arbeit nachgehen und ihre Probleme wie jeder andere lösen müssen, den Alltag meistern und gleichzeitig ihre Eigenheiten und Traditionen erhalten wollen. 161 Drei Tage Alltag Acht Volontäre gingen mit Kameramann oder -frau und Tonassistent in die Landkreise, Städte und Häuser der Protagonisten. Sie begleiteten sie drei Tage; erlebten deren Alltag, führten Interviews und Hintergrundgespräche. Die Geschichte des Sternekochs in Weimar, Italiener, Gourmet. Die Arbeit in der Küche des Hotels organisiert er professionell. Seine Angestellten arbeiten im Akkord, er hat den Laden im Griff. Wir sehen ihn beim Kochen, beim Kosten – über die Schulter oder vom Beifahrersitz aus. Benjamin arbeitet im Asylbewerberheim. Die Schicksale dort bewegen. Der Einkauf im Supermarkt wird zur Herausforderung. Am Ende gibt es ein Sommerfest für alle Bewohner. Wir schauen hinter die Fassade. So sieht es dort also aus, so ist das Leben für die Asylbewerber. Ein anderer betreibt in Chemnitz ein jüdisches Restaurant. Dass es so etwas tatsächlich gibt? Hier im Osten? Die Küche, die Bauarbeiten, der Bruder und die Schulklasse. Milchig und fleischig und auch noch getrennte Besteckkästen und Kühlschränke. Da ist der Wetterfrosch, der als junger Nachwuchsmoderator seine erste Livesendung bewältigen muss. Er liebt den Vietnamesen um die Ecke. Dort geht er mit seiner Freundin gern mal essen, wenn er dafür Zeit hat. Reise nach Jerusalem Während der Entstehung der Geschichten recherchierten zwei Volontäre zu allen Themen ergänzende und vertiefende Inhalte – Statistiken, Zahlen, Fakten, Informationen. Es wurden Artikel geschrieben, Fotos bearbeitet und Bildergalerien erstellt. Wie weit ist es eigentlich von Chemnitz 162 Jahresbericht 2012 nach Jeruslaem? Welche jüdische Gemeinde hat welche Geschichte in welcher europäischen Metropole? Welche Formulare muss ein Asylbewerber ausfüllen, bevor er einen Antrag stellen darf? Woher kommt der Song Kung-Fu Fighting und wie entsteht eigentlich ein Musikvideo? Es entstand ein Online-Auftritt, der Geschichten und Zusatzinhalte miteinander verbindet: Ein Haus mit verschiedenen Zimmern und (Lebens-)Räumen ist das zentrale Element. Es ist eine animierte Grafik als Startseite, die die einzelnen Protagonisten und Orte miteinander in Beziehung bringt. Alle Geschichten sind hinter einer gemeinsamen Fassade zu finden. Mitteldeutschland als Rahmen und Front des Hauses mit seinen zahlreichen Zimmern; jedes davon individuell und einzigartig; jedes anders gestaltet und dennoch mit dem Bezug zu den anderen Geschichten. Wie in einer Nachbarschaft. Seite an Seite wohnt man nebeneinander. Miteinander? w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Virtuelles Mitteldeutschland Hinter den Zimmern, hinter jeder Grafik, liegt ein Video-Player, der den Film per Mausklick abspielt. Während der Film läuft, werden rechts Hinweise auf Zusatzinhalte gegeben. Ein kleiner roter Knopf blinkt auf, ein weiterer Klick ermöglicht es, die Zusatzinhalte anzuschauen, während der Film weiterläuft. Es erscheinen Links, zusätzliche Audio- und Videoinhalte, Texte, Grafiken und Bilder – also ganz viel Mehrwert für den Zuschauer. Die acht Filme liefen im Spätsommer samstags im Vorabendprogramm des MDR FERNSEHENS. Die Seite im Internet bleibt weiter bestehen, dort sind die Filme weiterhin verfügbar. Es gibt viel zu sehen, zu hören und zu entdecken in »Unserer bunten Heimat«, hier in Sachsen, in der Nachbarschaft, gleich da drüben. Alle Informationen und Inhalte unter: www.mdr.de/unsere-bunte-heimat. 163 8.4 Herzlich willkommen in Chemnitz Barbara Ludwig, Oberbürgermeisterin der Stadt Chemnitz Es gibt viele gute Gründe, nach Chemnitz zu kommen. Die Arbeit bestimmt oft den Lebensweg, aber auch die eigenen Lebensumstände und die Vorstellungen von Wohnen, Leben und Kultur. Ich freue mich, dass viele Menschen zu uns finden. Für ausländische Bürgerinnen und Bürger ist ein Neustart aber oft nicht leicht. Die ersten Wochen in der noch fremden Stadt sind auch Kampf um Orientierung, Halt und eine Perspektive. Manchmal sind auch Behörden nicht die erste Anlaufstelle, an die sich Migranten vertrauensvoll wenden wollen. Seit dem vergangenen Jahr treffen sich auf meine Einladung daher verschiedene Institutionen, die eine bessere Willkommenskultur in Chemnitz schaffen wollen. Mit dabei sind die Technische Universität, die Bundesagentur für Arbeit, die IHK und die Handwerkskammer, der Industrieverein, das Innenministerium, 164 der Sächsische Ausländerbeauftragte, der Ausländerbeirat, die Ausländerbeauftragte der Stadt und die Jüdische Gemeinde. Es geht uns darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle in Chemnitz wohl und aufgehoben fühlen. Erste wichtige Schritte sind wir im Jahr 2012 gegangen. Im Juli 2012 wurde das vereinfachte Verwaltungsverfahren AKZESS eingeführt, das ausländischen Fachkräften den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Außerdem haben wir Maßnahmen für eine bessere Willkommenskultur innerhalb der Stadtverwaltung angeregt. Dazu zählen Fortbildungen, die die interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter steigern ebenso wie der Ausbau von Sprachkenntnissen oder die Beschäftigung von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund. Der Kundenservice soll durch ein Bestellsystem in den Bereichen, die mit Migranten arbeiten, bürgerfreundlicher gestaltet werden. Dabei ist es egal, ob Menschen hier arbeiten wollen oder Asyl suchen, sie sollen sich willkommen fühlen. Jahresbericht 2012 8.5 Pirna: Wir feiern Vielfalt! Klaus Peter Hanke, Oberbürgermeister der Stadt Pirna In Pirna existiert seit langem ein hohes zivilgesellschaftliches und kommunales Engagement für Vielfalt. Die öffentlichen und bürgerlichen Anstrengungen, den demokratisch-gleichheitlichen Gedanken durchzusetzen und ein durch Pluralität geprägtes städtisches Leben zu entwickeln, haben verschiedenste Formen. Initiativen und Vereine organisieren zusammen mit Bürgern, Behörden und Institutionen des Landkreises Sächsische Schweiz – Osterzgebirge regelmäßig Veranstaltungen, erarbeiten Projekte und informieren die Öffentlichkeit zur Thematik. Zusammen mit der Aktion Zivilcourage e. V. und zahlreichen anderen Partnern richtete die Stadt Pirna 2012 bereits zum zehnten Mal den »Markt der Kulturen« aus. Entsprechend dem Motto »Wir feiern Vielfalt!« setzen sich Menschen mit und ohne Migrationshintergrund bei w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e diesem Fest aktiv für ein respektvolles Zusammenleben in unserer Region ein. Auf Plakaten trat die Stadt Ende des Jahres zusammen mit Pirnaer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im Rahmen der Europa-Kampagne für den europäischen Gedanken und die Europäische Gemeinschaft ein. Patenschaften zwischen Schulen Pirnas und Tschechiens sowie Städtepartnerschaften wurden intensiv gepflegt. All dies sind nur einige unserer vielen kleinen und großen Aktionen, mit denen wir vor allem auch andere Kommunen motivieren möchten, sich zu engagieren. www.pirna.de 165 8.6 Lessingstadt Kamenz: Miteinander ist möglich! Roland Dantz, Oberbürgermeister der Lessingstadt Kamenz Es hieße sicherlich Eulen nach Athen tragen, wenn festgestellt wird, dass das Zusammenleben von Menschen mitunter eine Herausforderung ist. Dies trifft auf die Deutschen wie auf jedes andere Volk zu. Noch etwas komplexer, und vielleicht auch komplizierter kann es sein, wenn es um das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen geht. Schon der lessingsche Toleranzgedanke, eingebettet in das aufklärerische Denken des 18. Jahrhunderts, schloss die Hin- und Zuwendung zu anderen Menschen ein, forderte auf, Mitmenschlichkeit zu üben und nach den damit verbundenen Werten zu streben. Oft wird vergessen, dass das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen nicht neu ist und schon im Zeitalter der Aufklärung die Grenzen durchlässig waren. Lessings Bestreben richtete sich gegen Vorurteile und dem daraus entspringenden Handeln. 166 In Kamenz gab es nun schon seit vielen Jahren ein Asylbewerberheim, dessen Träger der Landkreis ist. Damit der Landkreis seiner – auch im Grundgesetz verankerten Aufgabe – nachgekommen kann, angemessene Wohnverhältnisse für diejenigen zu schaffen, die in einem anderen Land um Asyl bitten (müssen), wurde unter großer Resonanz der Bevölkerung im Jahr 2012 ein neu saniertes Asylbewerberheim, welches die verpflichtende Bezeichnung »Zentrum für Integration« trägt, eröffnet. Sicher, hier gibt es auch andere Lösungsansätze, doch konnte für die Asylbewerber in Kamenz (einschließlich des Landkreises Bautzen), insbesondere für Familien mit Kindern, wesentlich bessere Wohn- und damit auch Lebensbedingungen realisiert werden. Schon der Weg dahin war kein leichter, hatte doch eine von der NPD initiierte Bürgerinitiative versucht, dieses Vorhaben zu verhindern. Letztendlich setzte sich der Rechtsstaat durch, denn das Verwaltungsgericht Dresden stellte fest, dass das Bürgerbegehren rechtlich unzulässig war, auch weil es ganz andere Ziele verfolgte. Damit bestätigte das Verwaltungsgericht die Auffassungen sowohl der Stadt Kamenz als auch des Landkreises Bautzen, die aus rechtlichen, aber auch ethischen Gründen die Notwendigkeit eines angemessenen Asylbewerberheims in Kamenz sahen. Insgesamt haben sich die durch die NPD geschürten Ängste nicht bewahrheitet. Jahresbericht 2012 Auch die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass Kamenz weltoffen und nicht gewillt ist, Fremdenhass und Unmenschlichkeit zuzulassen. Dies zeigte sich besonders im Februar 2012 als kurz vor der Eröffnung des neuen Asylbewerberheims im »alten« Heim Fensterscheiben eingeschlagen wurden. Sicher, es wurde niemand verletzt, doch war es ein deutlicher Angriff auf die Menschen, die dort in diesem Gebäude schliefen. Überwältigend war die Reaktion der Kamenzer sowie der Menschen aus der Umgebung unserer Stadt. Aufgerufen von den Kamenzer Kirchen, dem Bündnis für Humanität und Toleranz, den Vertretern des Landkreises Bautzen, dem Oberbürgermeister von Kamenz und den im Stadtrat vertretenen demokratischen Parteien (Linke, CDU, FDP, die Wählervereinigungen »Wir für Kamenz« und »Kamenz und Ortsteile«) fanden sich am 29. Februar über 300 Menschen zu eine Lichterkette zusammen, um zu demonstrieren, dass menschenverachtendes Denken und Handeln keinen Platz hat in Kamenz, und, so konstatierte der damals anwesende Sächsischen Ausländerbeauftragter des Freistaates, Prof. Dr. Martin Gillo, auch nicht in Sachsen. Doch ein Miteinander besteht nicht nur aus symbolischen Akten der Solidarität und des Mitgefühls. Vielmehr geht es darum, gemeinsam den Alltag zu gestalten. Schon die anspruchsvolle Bezeichnung »Zentrum für Integration« zeigt an, dass es nicht um Verwahrung, sondern um ein aktives Miteinander gehen soll, denn Integration ist keine Einbahnstraße. Nicht Assimilation steht im Vordergrund, sondern der Wille, die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an einer gemeinsamen Gesellschaft zu ermöglichen. Dabei müssen die einen integrationswillig sein, die anderen Integration wirklich wollen. Dass dies dann im Alltag mitunter eine w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Herausforderung ist und Probleme mit sich bringen kann, ist sicherlich allen Beteiligten klar. Besonders das Bündnis für Humanität und Toleranz widmet sich ehrenamtlich der Aufgabe des Miteinanders. So bietet es Sprachangebote für verschiedene Asylbewerbergruppen an, Nachhilfeunterricht für Schüler und organisiert gemeinsam mit anderen Partnern, z. B. den Kirchen, Sozialverbänden und Schulen, zum besseren Kennenlernen Treffen zwischen Deutschen und Asylbewerbern, sei es durch Weihnachtsfeiern, Sommerfeste oder auch bei einer gemeinsamen Wanderung durch die reizvolle Umgebung von Kamenz. Die Arzt- und Behördenbegleitung ist ein weiterer wichtiger Baustein der Unterstützungsmaßnahmen. All dies und noch vieles mehr, z. B. die Veranstaltungen zur »Interkulturellen Woche« zeigen, dass in der Lessingstadt Toleranz und Vorurteilsfreiheit an erster Stelle stehen. Das ist nicht zu verwechseln mit Blauäugigkeit oder dem sogenannten Aufsetzen der rosaroten Brille. Wenn es zu Problemen im Zusammenleben kommt, sollten diese nicht verklärt werden, auch dies muss ein Credo in der Geburtsstadt eines der bedeutendsten Vertreter der deutschen Aufklärung sein, sondern sie müssen im gemeinsamen Handeln – und nur gewaltfrei – auf der Grundlage humanistischer Werte und im Einklang mit den geltenden Gesetzen gelöst werden. Ganz praktisch bedeutet dies, dass es z. B. regelmäßige Beratungen zwischen dem Landratsamt und der Stadtverwaltung gibt, dass man sich gegenseitig umgehend informiert und Fragestellungen angesprochen werden, um diese gemeinsam zu beantworten. Nicht wegsehen ist gefragt, sondern hinschauen! Das gilt im Großen wie im Kleinen. www.kamenz.de 167 8.7 Wir sind Leipzig: Ort der Vielfalt von Christian Dietz, Europa-Haus Leipzig e. V. 8.8 trägerverBUNT Bautzen: Mit Aufgeschlossenheit und Kreativität von Matthias Klemm, trägerverBUNT Bautzen In Kooperation mit der Stadt Leipzig und dem Landespräventionsrat Sachsen startete der Europa-Haus Leipzig e. V. im Sommer 2012 eine Fotoaktion zum Thema »Leipzig – Ort der Vielfalt«. Der seit den 1980er Jahren in Leipzig lebende libanesische Fotograf Mahmoud Dabdoub machte sich auf, Leipziger nicht-deutscher Herkunft zu fotografieren und bat diese darum, in einem kurzen Satz zu erläutern, was ihnen die Stadt Leipzig bedeutet. Die Fotomodelle sind damit zu Botschaftern für Leipzig als Ort der Demokratie und Toleranz geworden. Neben zehn verschiedenen Postkartenmotiven sind 57 unterschiedliche Plakate entstanden, die im Dezember 2012 flächendeckend in den Fahrzeugen der Leipziger Verkehrsbetriebe zu sehen waren. Die Kampagne setzt sich im Januar 2013 mit dem Aushang von großformatigen Postern im Stadtgebiet fort. Bereits im Dezember hat das Europa-Haus Leipzig zahlreiche positive Rückmeldungen zu der Aktion erhalten. Es ist gelungen, auf ansprechende Weise die kulturelle Vielfalt in Leipzig zu zeigen. Ein Folgeprojekt in Form einer Ausstellung oder einer Publikation ist angedacht. Das Projekt wurde im Rahmen des Landesprogramms »Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz« gefördert. www.europa-haus-leipzig.de 168 Der trägerverBUNT ist das Netzwerk für Demokratie und Vielfalt im Landkreis Bautzen. Wir wollen in vielfältiger Weise demokratische Kultur und Bildung fördern. Dabei leisten wir Aufklärungsarbeit und möchten Projekte und Veranstaltungen im Themenspektrum »Demokratie vs. Rechtsextremismus« koordinieren und initiieren, um menschenfeindliche Einstellungen zurückzudrängen. Zielgruppen sind dabei insbesondere MultiplikatorInnen in Politik und Verwaltung, Erziehende, Lehrende und Jugendliche. Unsere Vorstellung für ein »Buntes Sachsen« beinhaltet, dass die Menschen, egal welcher Herkunft, friedlich und gleichberechtigt zusammenleben können. Aufgeschlossenheit ist wichtig, um andere Sichtweisen und Kulturen kennenzulernen. Wir wollen uns nicht mit Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit abfinden, sondern solidarisch mit den Betroffenen sein. www.tvbunt.de Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 169 8.9 Buntes Radebeul: Für eine offene Gesellschaft von Martin Oehmichen, Buntes Radebeul Vielfältig, vielseitig, lebendig und nicht eintönig. Radebeul wünscht sich, mit diesen Synonymen des Begriffes »bunt« in Verbindung gebracht zu werden. Was tun wir dafür? Als Reaktion auf die »Anti-Islamisierungs- und -Überfremdungs-Tour« der NPD gründete sich in Radebeul innerhalb kürzester Zeit ein Bündnis, welches zu einer Mahnwache aufrief. Weit über 300 BürgerInnen sendeten eine friedliche Botschaft gegen die menschenverachtenden und rassistischen 170 8.10 Riesaer Appell: Gesicht zeigen für Vielfalt von Holger Mucke, Sprungbrett Riesa Hetzreden. Dies war kein einmaliges Zeichen! Bei einer Weihnachtsfeier wurden an Asylsuchende Wintersachenspenden übergeben. Die Spendenbereitschaft und damit die Solidarität der RadebeulerInnen übertrafen alle Erwartungen. Wir setzen uns weiterhin ein für eine offene Gesellschaft, in der alle Menschen, egal woher sie kommen, egal welche Hautfarbe und egal welcher Religion sie angehören, gleichberechtigt und würdevoll miteinander leben können. www.buntes-radebeul.de Jahresbericht 2012 Die Initiative »Riesaer Appell«, begründet 2010, steht für die Grundwerte Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Initiiert wurde die Aktion von Trägern der Jugendhilfe vor dem Hintergrund der fortwährenden Konfrontation mit rechtsextremem Gedankengut u.a. durch die Ansiedlung des Verlages Deutsche Stimme in Riesa sowie aufgrund des Engagements von antidemokratischen Kräften im Bereich der freien Kinder- und Jugendhilfe. Seither hat sich der anfängliche Appell von einem Dach für das gemeinsame Einstehen für demokratische Grundwerte hin zu einem Aktionsbündnis entwickelt, das über den Einbezug immer breiterer Personenkreise aus Bürgern, Vereinen, Unternehmen den Versuch unternimmt, eine regionale Strategie zu entwickeln und durch die Umsetzung von gezielten Maßnahmen aktuelle Themen zu bedienen. Im Jahr 2012 haben zur Veranstaltung »Riesa ist bunt!« Kulturschaffende und engagierte Bürger zahlreiche Beiträge im Sinne eines toleranten und offenen Miteinanders gestaltet. Die Aktion war eine Antwort auf das parallel stattfindende Sommerfest des Verlages Deut- w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e sche Stimme. Andere Formate, wie das am 9. Dezember durchgeführte Podium mit Frank Richter, verfolgen gezielt die Anregung einer öffentlichen Diskussion sowie die Qualifizierung der Arbeit. Auch 2013 wird neben der regelmäßigen kooperativen Durchführung von kleineren Aktionen die Öffnung der Arbeit für eine breite öffentliche Teilhabe eine bedeutende Rolle einnehmen. www.sprungbrett-riesa.de 171 8.11 Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer – Moment mal von Bettina Ruczynski, Journalistin Wussten Sie eigentlich, dass Ausländerfeindlichkeit im Osten dort am größten ist, wo es keine Ausländer gibt? Kaum jemand versteht dieses Paradoxon. Ich schon. Und kann es hier erklären: Aufgewachsen bin ich in einem Dorf in Thüringen. Mit Kirche, Kindergarten, Konsum, Krippe, Kulturhaus, Schule, zwei kleinen Industriebetrieben – der eine stellte Pinsel und Bürsten her, der andere Nagelfeilen – und einer LPG. Die zahlreichen Höhepunkte des dörflichen Kalenderjahres organisierten die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr, zu denen jeder Mann des Dorfes gehörte, der Gesangverein »Vorwärts«, in dem die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr sangen, auch wenn sie unmusikalisch waren, die Frauen des DFD, zu denen jede Frau des Dorfes gehörte, der Karnevalsclub und die Kirmesgesellschaft. Jeder kennt hier jeden. Das Netz der sozialen Kontrolle ist engmaschig. Kein Kind könnte unbemerkt verwahrlosen oder verhungern. Außereheliche Sexualaktivitäten werden nach guter Mittelaltersitte alljährlich in der Kirmespredigt an den Pranger gestellt, auch wenn der oder die Gehörnte noch gar nichts von ihrem unsichtbaren Kopfputz wissen sollten. Und das Misstrauen Fremden gegenüber ist so groß wie der Zusammenhalt innerhalb der Dorfgemeinschaft stark. Zu den düster beäugten Fremden zählen bereits die Einwohner des drei Kilometer entfernten Nachbardorfes. Im frühen 17. Jahrhundert sollen jene meinen Leuten den Maibaum gestohlen haben – eine Missetat, die bis zum heutigen 172 Tag unvergessen ist und mit immerwährendem Groll geahndet wird. Jedem Mädchen, dass sich in einen Jungen aus dem Maibaumräuberdorf verliebt, droht ein Schicksal von Shakespearschen Dimensionen: Romeo und Julia auf dem Dorfe. Ich weiß, wovon ich rede. Von den armen Deutschen, die nach 1945 ohne Hab und Gut aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland fliehen mussten, kamen einige Familien auch in meinem Dorf unter. Als »Freeme« (Fremde) oder »Ratlewack« (unübersetzbar) gelten sie und ihre Nachfahren bis auf den heutigen Tag. Meine Leute brauchen keine Ausländer, um ausländerfeindlich zu sein. Ihre Xenophobie beginnt bereits innerhalb der Ortsgrenzen. Jedem Auto, das mit fremdem Nummernschild durchs Dorf fährt, starren sie wie in einem Western lange misstrauisch bis feindselig hinterher. Als es die DDR noch gab, lag mein 1500-Seelen-Dorf im äußersten südwestlichen Zipfel des Landes. Jetzt liegt es mitten in Deutschland. Doch das Leben da fühlt sich nicht so an. Die beiden kleinen Betriebe stellen weder Pinsel noch Bürsten und auch keine Nagelfeilen mehr her. Die Kirche hat seit Jahren keinen eigenen Seelsorger, das Pfarrhaus verfällt. Sonntags kommt eine Art Wanderprediger aus der Stadt, der niemanden von meinen Leuten näher kennt. Der Konsum ist zu. Die Schule wurde wegen Kindermangels abgerissen, die LPG abgewickelt. Überlebt haben die Freiwillige Feuerwehr, der Gesangverein, der noch immer »VorJahresbericht 2012 wärts« heißt, die Frauen des DFD, die sich jetzt »Landfrauen« nennen und natürlich der Karnevalsclub samt Kirmesgesellschaft. Und eines Tages geschieht tatsächlich das Unvorstellbare: In meinem Dorf siedelt sich eine echte Ausländerin an. Der Chef der Feuerwehr hat ebenso tapfer wie tollkühn eine Russin geheiratet. Meine Leute können ihm das nicht verzeihen und sind so lange passivaggressiv feindselig zur exotischen Fremden, bis das hübsche Wesen mit der klassischen Ballettausbildung sich der bis dato erbärm- w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e lichen Choreografie des traditionellen Männerballetts (»Tanz der kleinen Schwäne«) erbarmt. Nach dessen grandiosem Erfolg studiert sie mit den Landfrauen schwungvoll Offenbachs Cancan ein und singt beim großen Gesangvereinskonzert mit schmelzendem Sopran und neckischem Akzent »Sah ein Knab' ein Röslein stehn«. Alle Frauen des Dorfes hassen sie jetzt unheimlich. Alle Männer des Dorfes liegen ihr heimlich zu Füßen. Es wird Zeit, dass sie Verstärkung bekommt, gern auch aus dem Nachbarort. 173 9. Ausblick: Kurs auf 2035! Europa wächst zusammen. Menschen aus aller Welt machen Europa gemeinsam mit uns zu einer neuen Heimat. So wird unser Kontinent zu einem Ort der Vielfalt der Nationen, Kulturen und Religionen. Dieser Wandel bringt gleichermaßen neue Chancen und Herausforderungen, und er muss intelligent gestaltet werden. Die Chancen liegen auf der Hand: Die Vielfalt der Ideen, der Perspektiven und der Kreativität helfen uns, neue Lösungen für eine neue Welt zu finden und zu nutzen. Im internationalen Wettstreit der Ideen und Produkte erhalten wir so unseren Wohlstand. Falsches Denken hinter uns lassen Ängste und Ressentiments gegen Veränderungen rufen die auf den Plan, die »die guten alten Zeiten« wiederhaben wollen – und denen dafür auch jedes Mittel recht scheint. So haben uns im vergangenen Jahr die Mordserie der NSU-Neonazis in Deutschland und das grausame Massaker in Norwegen erschüttert. 77 Menschen fielen Anders Breiviks grausamer Ideologie zum Opfer – darunter nicht nur junge Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch solche, die sich für ein weltoffenes Norwegen eingesetzt hatten. Die Reaktion der norwegischen Gesellschaft war eindeutig. Sie bekannte sich mit Nachdruck und in beeindruckender Gemeinsamkeit zu Vielfalt und Weltoffenheit. 174 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Der englische Historiker Timothy Garton Ash wurde damals gebeten, auf einer Konferenz die wichtigsten Argumente für ein weltoffenes Europa zusammenzufassen11. Diese Argumente möchten wir hier bezogen auf unseren Kontext wiedergeben, weil wir überzeugt sind, dass sie auch für Deutschland gelten und die richtige Antwort auf die Geisteshaltung all jener sind, die auf Gewalt und Ausgrenzung setzen. Wir leben in einer neuen Welt und erleben die Entwicklung eines neuen WIR. Zuwanderer aus aller Welt machen unser Land zu ihrer neuen Heimat, ohne die Verbindung mit ihrer alten Heimat zu zertrennen. Satellitenfernsehen aus aller Welt, kostenlose BildTelefonate via Internet rund um die Welt mit den zurückgebliebenen Verwandten und Freunden und Flugverbindungen nach Überall lassen die Grenzen zwischen den Ländern der Welt praktisch verschwinden. Menschen mit Migrationshintergrund entwickeln so ein doppeltes Selbstverständnis. Multiple kulturelle Identitäten und Loyalitäten sind heute »normal«. Und Menschen schaffen es, treu zu ihrer neuen und alten Heimat zu sein. Die alte Welt des »EntwederOder« weicht zunehmend einer neuen Welt des »Sowohl-Als-Auch«, die mittelfristig sicherlich auch unser Denken über Doppelstaatlichkeit beeinflussen wird. 11 Vortrag bei der Konferenz »Challenges to Multiculturalism. A Conference on Migration, Citizenship and Free Speech« am 26. Juni 2012 175 Diese Vielfalt muss allerdings auch zu einer neuen Einheit zusammengebracht werden, wenn die Gesellschaft nicht auseinanderfallen soll. Bei aller Begeisterung für steigende Vielfalt müssen wir erkennen, dass in der Vergangenheit bei uns gelegentlich auch Fehlentwicklungen durch subventionierte Isolation in parallelen Gesellschaften gefördert worden sind, in denen auch unakzeptable Werthaltungen propagiert wurden und vielleicht zum Teil immer noch werden. Doch unser Ziel muss bleiben, unsere gesellschaftliche Einheit und freiheitlichdemokratische Grundordnung bei steigender Diversität neu zu entdecken und aufrecht zu erhalten. Einheit in Vielfalt Die Grundlage für unsere Gesellschaft muss die soziale und gesellschaftliche Inklusion sein. Egal, wo er oder sie herkommt: Jeder, der da ist, muss Respekt und Menschenrechte genießen. Das gilt auch für Flüchtlinge, unabhängig von der Dauer des Aufenthaltes. Es gibt viele Wege dorthin. Es beginnt mit der gemeinsamen Bildung. Wenn in Schulen Kinder mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam lernen, spielen und leben, führt das ganz natürlich zur gegenseitigen Akzeptanz. Der gemeinsame Sport verbindet, wie unsere erfolgreichen Fußballmannschaften zeigen. Die Unterhaltungsmedien leben uns das konstruktive und interessante Miteinander vor und erreichen damit unser Herz. Der Arbeitsmarkt muss noch diskriminierungsfreier werden. Wenn Menschen mit und ohne Migrationshintergrund an gemeinsamen Zielen arbeiten, lösen sich Vorurteile im Wohlgefallen auf. Selbst die Politik wird zukünftig – auch in Sachsen – immer öfter auch von Menschen mit Migrationshintergrund mit gestaltet werden – die sich dann auch nicht nur zu 176 Migrationsthemen, sondern zu allen gesellschaftlich relevanten Themen äußern werden. David McAllister, Cem Özdemir, Lale Akgün und Philipp Rösler leben uns das heute schon vor. Ein Zusammenleben in Vielfalt braucht eine gemeinsame Basis, zu der alle stehen. Die EU hat bereits 2004 dazu elf gemeinsame Prinzipien12 beschrieben und die Grundwerte der Europäischen Union als das Fundament des Zusammenlebens dargestellt. In Deutschland beziehen wir uns auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung als Basis unseres konstruktiven Miteinanders. Und es braucht mehr. Wenn wir über den Umgang mit kulturellen und religiösen Unterschieden sprechen, sollten wir klar zwischen harten und verhandelbaren Unterschieden trennen. Kopftücher und Minarette sind nebensächlich, doch die Rechte der Frauen müssen ausnahmslos für alle Frauen in Deutschland gelten. Zum neuen Zusammenleben gehört auch, dass alle Religionen den gleichen rechtlichen Schutz genießen müssen. Dabei zeigt sich, dass es oft einfacher ist, bisherige Privilegien zu relativieren als weitere neue Maulkörbe zu verteilen. Großbritannien beispielsweise hat es vorgezogen, seine Gesetze gegen Gotteslästerung abzuschwächen, anstatt kritische Diskussionen über die wachsende religiöse Vielfalt einzuschränken. Auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Religionen muss erlaubt bleiben. Die entsprechende Meinungsfreiheit muss für alle Religionen, auch die neuen, weiter gelten. Wo Autoren wegen ihrer Kritik an Religionen angegriffen werden, wie etwa Salman Rushdie, ist es für die Öffentlichkeit geboten, sich mit ihnen zu solidarisieren. 12 http://ec.europa.eu/ewsi/de/ EU_actions_integration.cfm Jahresbericht 2012 Ein Land – ein Gesetz! Ein Land – ein Gesetz! Dieses Prinzip muss mit Nachdruck verteidigt werden. Es kann nicht sein, dass vor einem deutschen Gericht die Klage einer Frau über Misshandlung durch ihren Mann von der Richterin mit dem Satz abgewiesen wird, dass die Klägerin hätte wissen müssen, dass ihrem islamischen Mann durch die Scharia das Recht gegeben sei, sie zu schlagen. Ein Land – ein Gesetz! Vorbildlich erscheint da Großbritannien, das ein Gesetz gegen Zwangsheirat erließ und eine besondere Polizeieinheit für die Bekämpfung und Aufklärung von sogenannten »Ehrenmorden« einsetzte. Die neue Aufklärung Unsere Aufgeschlossenheit und Vorurteilsfreiheit machen uns neugierig auf andere Kulturen, Philosophien und Lebensarten. Wir profitieren davon für unser eigenes w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Denken und Handeln. Warum z. B. nicht auch von anderen lernen, selbst wenn wir anderer Meinung sind? Gottfried Ephraim Lessing hat uns die Aufklärung nahegebracht. In »Nathan der Weise« befreit er uns von zerstörerischer Rechthaberei und legt uns den Respekt vor dem Anderen nahe. Er hilft uns, im Umgang mit Anderen immer auch die Möglichkeit zu bedenken, dass der Andere ebenso Recht haben kann wie wir. Und das gemeinsam Richtige findet sich dann auf einer höheren Ebene des gemeinsamen Verständnisses. Arbeiten wir daran, besser als bisher Wichtiges als wichtig und Unwichtiges als unwichtig zu erkennen und zu behandeln. Zu dieser Haltung kommen wir, wenn wir den konkreten Dialog mit Menschen unterschiedlicher Perspektiven suchen und finden. Weltoffen, so Timothy Garton Ash, wird man nur durch konkrete Begegnungen. Und dann geschieht etwas Faszinierendes: Nicht nur wir empfangen die Neuankömmlinge in unserer Gesellschaft, sie empfangen auch uns in ihrer Welt des Denkens. Beide 177 Seiten gehen aufeinander zu und beide profitieren davon. Diese »neue« Aufgeklärtheit gilt gleichermaßen für die Mehrheit wie für die Minderheit. Anregungen für Partizipation in Sachsen Einem solchermaßen aufgeklärten Land sollte es möglich sein, junge Menschen so zu bilden, dass ein konstruktiver Umgang mit kultureller Vielfalt selbstverständlich ist. Ein solchermaßen aufgeklärtes Land gewinnt an Attraktivität nicht nur für Zuwanderer, sondern vor allem auch für die junge Generation, für die es sich dann lohnt, hierzubleiben und sich bei uns einzubringen. Jeder, der bei uns bleibt, und jeder, den wir darüber hinaus gewinnen können, zu uns zu kommen, sollte uns diese Anstrengung wert sein. Bevölkerungsforscher gehen davon aus, dass in der kommenden Generation nur noch etwa ein Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sein wird. Dieses Viertel muss für die anderen 75 Prozent mitsorgen. Wie erhalten wir bei diesem gesellschaftlichen Wandel dennoch unseren Wohlstand und unsere gesellschaftliche Solidarität? Hier geht es nicht mehr um ein EntwederOder. Hier brauchen wir jeden Ansatz: Von der bestmöglichen Schulbildung über Quereinsteigerlösungen und gute Anpassungsqualifizierungen bis hin zur besseren Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf. Wir brauchen jeden und jede, der oder die bereits hier lebt und seine Talente einbringen will. Und wir brauchen die Neuzuwanderung von Ärzten, Ingenieuren und anderen Fachkräften aus dem Ausland. Neben der Erleichterung der qualifizierten Zuwanderung selbst brauchen wir weitere Maßnahmen, die dazu beitragen, dass qualifizierte Zuwanderung nachhaltig sichergestellt wird, dass ausländi- 178 sche Fachkräfte in Sachsen bleiben wollen und für ihre neue Heimat Sachsen in aller Welt Werbung machen. Deshalb wollen wir uns auf Landes- bzw. Bundesebene für die folgenden Ansätze stark machen: • Deutsch ist die Sprache unserer Kultur. Deshalb müssen alle Zuwanderer das Angebot erhalten, Deutsch zu erlernen. Auf die verschiedenen Angebote für Sprachkurse (Integrationskurse, Volkshochschulangebote, sonstige Initiativen, u. Ä.) sollte unmittelbar nach Ankunft in Sachsen von den zentralen Behörden (z. B. Ausländerbehörde) hingewiesen werden. • Mit seinem neuen Leitbild für Ausländerbehörden hat Sachsen seine Dienstleistungsorientierung und den Respekt im Umgang mit ausländischen Fachkräften in den Vordergrund gestellt. Wir plädieren dafür, diesen Ansatz auf alle Behörden auszudehnen. • Einige Städte und Universitäten haben das schon aufgegriffen und »Welcome Center« für Zuwanderer eingerichtet, um sie bei der Ankunft in Sachsen angemessen zu begleiten. Diese Schritte sollten in allen Regionen vorgenommen werden. • Da die meisten internationalen Zuwanderer Englisch als Zweitsprache sprechen, sollten sich auch die Behörden darauf einstellen und die Sprachkompetenz ihrer Mitarbeitenden steigern. Informationsblätter, Anwendungshinweise und Anträge sollten mehrsprachig ausgefertigt werden, gleiches gilt für die Internetauftritte der Behörden. Das Angebot von Seiten der Behörden, auch auf Englisch zu kommunizieren, fördert das gegenseitige Verständnis und kann zu schnelleren Lösungen führen. Solche Mehrsprachigkeit der Behördenmitarbeiter wird damit zum wichtigen Standortvorteil. • Das Bundesanerkennungsgesetz von 2012 regelt, wie ausländische Berufe anerkannt Jahresbericht 2012 werden, die in der Verantwortung des Bundes liegen. Alle grundlegenden Prinzipien dieses Gesetzes sollten passgenau auch für die Berufe gelten, die in Länderzuständigkeit liegen, so z. B. Ingenieure, Lehrer, Erzieher, Architekten. • Für notwendige Anpassungsqualifizierungen für Menschen mit ausländischen Abschlüssen und die Vermittlung von berufsbezogenen Deutschkenntnissen sollten geeignete Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden. Der Europäische Sozialfonds (ESF) stellt Mittel für solche Angebote zur Verfügung. • Auch für die Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse müssen Angebote für evtl. notwendige Nachqualifizierungen gemacht werden. Das beinhaltet die Kompetenzfeststellung und konkrete Zielvereinbarungen für Nachqualifikationen, die eine Gleichstellung mit den deutschen Abschlüssen sicherstellen würden. • Für die Wirtschaft ist die Einstellung und Integration von ausländischen Fachkräften in ihren Unternehmen oft noch Neuland. Wir setzen uns dafür ein, kleine und mittlere Unternehmen dabei zu unterstützen, sich interkulturell zu öffnen und damit ein konstruktives und bereicherndes Miteinander in den Unternehmen sicherzustellen. • Ausländische Fachkräfte kommen meist zusammen mit ihren Familien nach Sachsen. Ob und wie lange sie bleiben, hängt sehr davon ab, wie fair und weltoffen sich die Familien behandelt fühlen: – Mehrsprachigkeit ist ein großes Potential. Kinder, die neben der deutschen noch eine zweite Sprache muttersprachlich erlernen, brauchen mehr Zeit. Deshalb sind sie zum Zeitpunkt der Bildungsempfehlungen (mit etwa zehn Jahren) sprachlich noch nicht auf der Höhe ihrer einsprachigen Altersgenossen. Bildungsempfehlungen sollten das angemessen berücksichtigen, um eine w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e systematische Benachteiligung von ausländischen Kindern bei der Schulbildung zu vermeiden. – Den Kindern sollte auch der sofortige Eintritt ins Gymnasium ermöglicht werden. Deshalb sollten die vorhandenen und geeignete neue Maßnahmen zur Sprachförderung nicht nur an den Mittelschulen, sondern auch an den Gymnasien angeboten werden, um die Schüler in ihrer weiteren Bildungskarriere und beim Deutschlernen zu unterstützen. – Deutschunterricht für Fachkräfte und ihre erwachsenen Familienangehörigen sollten auch außerhalb der regulären Arbeitszeit angeboten werden. Für Berufstätige ist das essentiell, um sich in unsere Gesellschaft konstruktiv einzubringen. – Besuche von Familienangehörigen sollten bei ausländischen Fachkräften auch ohne Hinterlegung hoher Kautionen möglich sein. • Alle Zuwanderer aus dem Nicht-EU Ausland sollten sechs Monate nach ihrer Ankunft in Sachsen die Möglichkeit erhalten, Arbeit zu suchen und Arbeitsangebote anzunehmen. Das hilft den Betroffenen und unserer Gesellschaft. Arbeit ist der beste Weg zur Integration und Partizipation in Deutschland. – Familienangehörige von ausländischen Fachkräften sollten Arbeit aufnehmen dürfen. Die Ehepartner der angeworbenen Fachkräfte bringen oft akademische Bildung mit und würden mit ihren Talenten unsere Gesellschaft bereichern. – Auch viele Asylsuchende bringen berufliche Talente mit, die in unserer Wirtschaft gebraucht werden, ob auf akademischem oder anderem Niveau. Deshalb sollten die entsprechenden Anregungen von Wolfgang Schäuble aus dem Jahr 2006 und der Bundeskonferenz der Integrationsbeauftragten aus dem Jahr 2012 aufgegriffen werden. 179 Wir alle sind gefragt Einheit in Vielfalt, das betrifft uns alle. Deshalb werben wir für Initiativen, die das konstruktive Miteinander aller fördern. Denn erst im persönlichen Kontakt haben wir die Chance, unsere ausländischen Mitmenschen auch tatsächlich als unsere Mitmenschen kennenzulernen. »Wen man kennt, den schlägt man nicht.« Misstrauen und Skepsis lösen sich im Miteinander auf. Wie aber kommen wir zu Einheit in Vielfalt oder Vielfalt in Einheit? Zum Weg gehören Abholen, Aufnehmen und Integrieren. Abholen. Es steht Sachsen gut zu Gesicht, auch aktiv um internationale Fachkräfte zu werben. Viele sehr gut ausgebildete Südeuropäer suchen ihr Karriereglück in Deutschland. Die wachsenden Probleme durch fehlende Fachkräfte könnten schnell behoben werden, wenn sich Firmen in Sachsen unter dem gemeinsamen Dach der Wirtschaftsförderung Sachsen für Akquisitionsreisen zusammenschließen und der Freistaat Sachsen mit einer Kampagne für seine Weltoffenheit wirbt. Aufnehmen. Die Begrüßung von neuen Mitbürgern ist auch eine kommunale Aufgabe. Es macht einen guten Eindruck, wenn z. B. die Stadt Zwickau allen neuen Mitbürgern zu ihrer Ankunft auch kostenlose Eintrittskarten zu einer kulturellen Veranstaltung übergibt. Damit ebnet sie ihnen symbolisch und konkret den Weg in die Mitte der Gesellschaft. Integrieren. Integration beginnt von unten, auf konkreter Ebene. Patenschaften für Neuzuwanderer schaffen von Anfang an konkrete menschliche Brücken in unsere attraktive Gesellschaft. Sie helfen den Neuen, sich bei uns zurechtzufinden und zu entdecken, wie sie sich konstruktiv einbringen können. Patenschaften sind ideal, weil hier der Rat ganz konkret auf den Einzelfall bezogen gegeben werden kann, egal ob es um zwischenmenschliche, kulturelle, fachliche, kommu- 180 nale oder berufliche Fragen geht. Viele Bürger sind dazu bereit. Erfolgreiche Patenschaften sollten koordiniert und mit fachlicher Weiterbildung und Erfahrungsaustausch begleitet werden. Die notwendige Finanzierung dafür sollten sich die Firmen, die Kommunen und ggf. der Freistaat teilen. 100.000 Chancen für Sachsen Ein Forschungsinstitut hat kürzlich gemeldet, dass in den nächsten Jahren über zwei Millionen junge und gut ausgebildete Menschen aus Griechenland, Italien, Spanien und Portugal nach Deutschland zuwandern werden, weil sie in ihren Ländern keine Arbeit finden. Rein rechnerisch wären das bis zu 100.000 gut ausgebildete Fachkräfte allein für Sachsen. Wenn wir es richtig anstellen, könnten das 100.000 Chancen sein, mit denen wir unsere Wirtschaft und unseren Freistaat voranbringen können. Tausende Stellen bleiben unbesetzt. Unternehmensnachfolger sind ebenso gesucht wie Lehrlinge. Praxen müssen schließen, weil sich keine Ärzte finden. Auch bei Lehrern und Erziehern wird es knapp. Und in einigen Regionen Sachsens sind Ingenieure und Facharbeiter heute schon echte Mangelware. Ein Unternehmer aus Ostsachsen klagte kürzlich verzweifelt, dass er seine Firma wohl verlegen müsse, weil er keine Fachleute mehr findet. Die wirtschaftliche Not in Südeuropa stellt dagegen Millionen junger Menschen vor die Wahl: Arbeitslosigkeit oder Auswandern? Welcher junge Mensch voller Enthusiasmus und Talent will seine Lebenszeit in der Arbeitslosigkeit verbringen, wenn er anderswo einen Job finden könnte? Wir haben das in Sachsen selbst erlebt. Viele junge Leute haben woanders ihr Glück gesucht, weil sie lange hier keine Arbeit finden konnten. Heute sieht es bei uns anders aus. Und deshalb sollte uns jedes Talent willkommen sein. Jahresbericht 2012 Wir sind uns sicher: Nur die Regionen, die ihre Weltoffenheit deutlich signalisieren, werden auf Talente aus aller Welt hoffen dürfen. Die Welt von 2035 beginnt heute Demoskopen rechnen damit, dass im Jahr 2035 die Mehrheit die Minderheit wird. Im Jahr 2000 machten Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland erst zehn Prozent der Bevölkerung aus, im Jahr 2010 waren es schon 20 Prozent. Ab 2035 werden Menschen w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e mit Migrationshintergrund die Mehrheit in der deutschen Gesellschaft darstellen. Wie soll diese Gesellschaft aussehen? Attraktiv, interessant, weltoffen, traditionsbewusst, vielfältig, geeint durch unsere gemeinsamen Interessen und Grundwerte. Wie sie so wird, das liegt an uns – heute und in Zukunft. Was ich höre, das vergesse ich. Was ich lese, daran erinnere ich mich. Was ich tue, das mache ich mir zu Eigen: Bunt ist beautiful! 181 10. Dokumentation Sächsische Härtefallkommissionsverordnung ................................................................. 184 Mitglieder der Härtefallkommission ................................................................................. 186 Netzwerke in Sachsen ........................................................................................................ 187 Kommunale Ausländer- und Integrationsbeauftragte in Sachsen.................................... 193 Stellenbeschreibung der kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten in Sachsen................................................................................. 195 Integration durch Sport Stützpunktvereine in Sachsen 2012 ................................................................................... 197 Mit Herz gesehen ............................................................................................................... 198 182 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 183 Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 10 31. Juli 2010 Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über die Härtefallkommission nach dem Aufenthaltsgesetz (Sächsische Härtefallkommissionsverordnung – SächsHFKVO) Vom 6. Juli 2010 Aufgrund von § 23a Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt durch Artikel 4 Abs. 5 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2437, 2440) geändert worden ist, wird verordnet: §1 Einrichtung (1) Beim Staatsministerium des Innern ist eine Härtefallkommission nach § 23a Abs. 1 AufenthG eingerichtet. (2) Der Staatsminister des Innern ernennt nach Prüfung der Eignung nach Satz 4 acht Mitglieder. Je ein Mitglied wird auf Vorschlag der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, des Bistums Dresden-Meißen, des Sächsischen Flüchtlingsrates e. V., der Liga der Freien Wohlfahrtsverbände in Sachsen, des Staatsministeriums des Innern, des Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz, des Sächsischen Städte- und Gemeindetages e. V. und des Sächsischen Landkreistages e. V. ernannt. Für jedes Mitglied ist ein Vertreter vorzuschlagen und zu ernennen. Die vorgeschlagenen Mitglieder und ihre Vertreter sollen über Kenntnisse des Aufenthaltsund Asylrechts oder über Erfahrungen in der Flüchtlingsberatung verfügen. Die Mitglieder und die Vertreter werden für zwei Jahre ernannt; Wiederernennungen sind zulässig. (3) Der Ausländerbeauftragte ist für die Dauer seiner Amtszeit Mitglied der Härtefallkommission, sofern er schriftlich sein Einverständnis gegenüber dem Staatsministerium des Innern mitgeteilt hat; er benennt einen Vertreter. (4) Die Mitglieder der Härtefallkommission sind ehrenamtlich tätig und unterliegen keinen Weisungen. Sie haben auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit über die ihnen dabei bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. (5) Die Härtefallkommission wählt aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden und einen stellvertretenden Vorsitzenden. §2 Aufgaben Die Härtefallkommission entscheidet, ob das Staatsministerium des Innern ersucht wird, einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von den im Aufenthaltsgesetz festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn nach ihren Feststellungen dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen. Dringende humanitäre oder persönliche Gründe können sich insbesondere aus dem Stand der sprachlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Integration in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland ergeben. §3 Ausschlussgründe (1) Die Härtefallkommission befasst sich nicht mit Verfahren, wenn 1. Behörden im Freistaat Sachsen für die Erteilung und Verlängerung eines Aufenthaltstitels nicht zuständig sind oder ihnen der Aufenthaltsort des Ausländers nicht bekannt ist; 2. nur Gründe geltend gemacht werden, die bereits in einem Gerichts- oder Petitionsverfahren überprüft wurden; 3. hinsichtlich der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren anhängig ist, soweit nicht lediglich die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen Gegenstand ist; 4. sich die Sach- oder Rechtslage nicht wesentlich zugunsten des Ausländers geändert hat, nachdem a) der Vorsitzende wegen vorliegender Ausschlussgründe abgelehnt hat (§ 4 Abs. 2 Satz 1) und im Falle des Vorliegens von Regelausschlussgründen nach Absatz 2 hierüber keine Entscheidung der Härtefallkommission herbeigeführt wurde (§ 4 Abs. 2 Satz 3) oder b) die Härtefallkommission durch Entscheidung auf Antrag eines Mitglieds (§ 4 Abs. 2 Satz 3) eine Befassung abgelehnt hat oder c) die Härtefallkommission bereits über den Fall entschieden hat (§ 4 Abs. 4); 5. der Ausländer laut Bundeszentralregister in den letzten fünf Jahren eine der folgenden vorsätzlichen Straftaten begangen hat: a) Straftaten nach dem Ersten, Zweiten, Vierten und Sechsten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches; b) Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, § 125a StGB; c) Bildung krimineller Vereinigungen, § 129 StGB; d) Bildung terroristischer Vereinigungen, § 129a StGB; e) Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Erweiterter Verfall und Einziehung, § 129b StGB; f) Volksverhetzung, § 130 StGB; g) Straftaten nach dem Dreizehnten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, mit Ausnahme der §§ 183 und 183a StGB; h) Mord, § 211 StGB; i) Totschlag, § 212 StGB; j) Minder schwerer Fall des Totschlags, § 213 StGB; k) Schwere Körperverletzung, § 226 StGB, mit Ausnahme des § 226 Abs. 3 StGB; l) Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB; m) Straftaten nach dem Achtzehnten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, mit Ausnahme der §§ 238, 240 und 241 StGB oder n) Raub mit Todesfolge, § 251 StGB oder 6. der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung ein Ausweisungsgrund nach § 54 Nr. 5, 5a oder 6 AufenthG zugrunde lag, der Ausländer nach § 54 Nr. 5, 5a oder 6 AufenthG bereits ausgewiesen wurde oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG ergangen ist. 31. Juli 2010 Nr. 10 (2) Die Härtefallkommission befasst sich in der Regel nicht mit Verfahren, wenn 1. der Ausländer laut Bundeszentralregister in den letzten fünf Jahren eine vorsätzliche Straftat begangen hat, wegen der er zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens einhundertundachtzig Tagessätzen verurteilt worden ist; 2. ein Petitionsverfahren anhängig ist oder 3. der Ausländer auf absehbare Zeit nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt einschließlich des ausreichenden Krankenversicherungsschutzes zu sichern; dabei bleiben Kindergeld, Elterngeld und Landeserziehungsgeld sowie öffentliche Mittel, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt zu ermöglichen, außer Betracht. Dieser Ausschlussgrund entfällt, wenn der Träger der öffentlichen Mittel schriftlich sein Einverständnis in die Behandlung als Härtefall erklärt hat oder eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abgegeben wurde, die den Lebensunterhalt für die Dauer des Aufenthalts, höchstens bis zu fünf Jahren, sichern kann. Der Verpflichtungsgeber muss über ausreichende finanzielle Mittel zur Erfüllung der Erstattungspflicht aus der Abgabe dieser Verpflichtungserklärung verfügen. (3) Gründe, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu prüfen sind, berücksichtigt die Härtefallkommission bei ihrer Entscheidung nicht. §4 Verfahren (1) Die Härtefallkommission wird ausschließlich im Wege der Selbstbefassung tätig. Die Mitglieder können Anträge zur Befassung der Härtefallkommission beim Vorsitzenden stellen. Dem Antrag ist eine Einwilligung des Ausländers nach § 4 des Gesetzes zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung im Freistaat Sachsen (Sächsisches Datenschutzgesetz – SächsDSG) vom 25. August 2003 (SächsGVBl. S. 330), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 8. Dezember 2008 (SächsGVBl. S. 940, 941) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, beizufügen. Der Vorsitzende kann bei Bedarf weitere Unterlagen anfordern. (2) Der Vorsitzende prüft das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 3 und entscheidet hierüber mit schriftlicher Begründung. Er unterrichtet die Mitglieder der Härtefallkommission über seine Entscheidung. Bei Bedenken der Härtefallkommission gegen die Entscheidung des Vorsitzenden nach Satz 1 kann auf Antrag eines Mitglieds die Annahme zur Befassung hinsichtlich vorliegender Regelausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 mit einfacher Mehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. (3) Die Härtefallkommission verhandelt und entscheidet in nichtöffentlicher Sitzung. Sie kann weitere Personen anhören. (4) Die Härtefallkommission entscheidet mit Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder darüber, ein Ersuchen nach § 23a AufenthG an das Staatsministerium des Innern zu richten. Das Ersuchen ist schriftlich zu begründen, wobei auf eine Entscheidung nach Absatz 2 Satz 3 eingegangen werden muss. 226 184 Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt (5) Für die Dauer des Verfahrens werden unmittelbare Rückführungsmaßnahmen des Ausländers ausgesetzt; Vorbereitungshandlungen bleiben davon unberührt. (6) Das Staatsministerium des Innern unterrichtet die Härtefallkommission über seine Entscheidung mit schriftlicher Begründung. Das Staatsministerium des Innern hat die Anordnung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu widerrufen, wenn der Ausländer nicht umgehend seinen Mitwirkungspflichten nachkommt. (7) Das Verfahren endet, wenn 1. der Vorsitzende wegen vorliegender Ausschlussgründe eine ablehnende Entscheidung getroffen hat (Absatz 2 Satz 1) und im Falle des Vorliegens von Regelausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 hierüber keine Entscheidung der Härtefallkommission herbeigeführt wurde (Absatz 2 Satz 3); 2. die Härtefallkommission durch Entscheidung auf Antrag eines Mitglieds (Absatz 2 Satz 3) eine Befassung abgelehnt hat; 3. das Staatsministerium des Innern über ein Ersuchen der Härtefallkommission entschieden hat oder 4. ein Verfahren länger als drei Monate bei der Härtefallkommission anhängig ist, ohne dass das Vorliegen eines Härtefalles festgestellt wurde. Aus wichtigem Grund kann die Härtefallkommission mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder die Drei-Monats-Frist nach Absatz 7 Satz 1 Nr. 4 um weitere zwei Monate verlängern, insbesondere wenn die Schwierigkeit des Falles dies erfordert. (8) Die Härtefallkommission gibt sich eine Geschäftsordnung, in der insbesondere zu regeln sind: 1. die Aufgaben des Vorsitzenden; 2. das Verfahren, insbesondere Einberufung, Leitung der Sitzung und Beschlussfähigkeit; 3. die Geschäftsführung und Protokollierung und 4. der Umfang der neben der schriftlichen Stellungnahme der unteren Ausländerbehörde der Härtefallkommission zur Entscheidungsfindung vorzulegenden Unterlagen. §5 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am Tage nach ihrer Verkündung in Kraft. Dresden, den 6. Juli 2010 Der Ministerpräsident In Vertretung Sven Morlok Staatsminister Der Staatsminister des Innern In Vertretung Prof. Dr. Georg Unland Staatsminister 227 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 185 Mitglieder der Härtefallkommission Netzwerke im Bereich Integration und Migration in Sachsen Stand Januar 2013 Dezember 2012 Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens Oberlandeskirchenrat Klaus Schurig Evangelisch-Lutherisches Landeskirchenamt Sachsens Lukasstraße 6 | 01069 Dresden Tel. 0351 4692120 Fax 0351 4692109 Klaus.Schurig@evlks.de Bistum Dresden-Meißen Prälat Hellmut Puschmann Rungestraße 44 | 01217 Dresden Tel. 0351 4759752 Hellmut.Puschmann@t-online.de Sächsischer Flüchtlingsrat e. V. Herr Ali Moradi Fetscherstraße 10 | 01307 Dresden Tel. 0371 903133 Fax 0371 3552105 info@saechsischer-fluechtlingsrat.de Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen Oberkirchenrat Christian Schönfeld Diakonisches Werk der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens e. V. Obere Bergstraße 1 | 01445 Radebeul Tel. 0351 8315100 Fax 0351 8315300 direktor@diakonie-sachsen.de Sächsisches Staatsministerium des Innern Herr Reinhard Boos Sächsisches Staatsministerium des Innern 01095 Dresden Tel. 0351 5643240 Fax 0351 5643249 Reinhard.Boos@smi.sachsen.de 186 Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz Herr Karl Bey Albertstraße 10 01097 Dresden Tel. 0351 5645743 Fax 0351 5645784 Karl.Bey@sms.sachsen.de Sächsischer Städte- und Gemeindetag e. V. Herr Detlef Sittel Bürgermeister Landeshauptstadt Dresden Dr.-Külz-Ring 19 01001 Dresden Tel. 0351 4882261 Fax 0351 4882392 DSittel@dresden.de Sächsischer Landkreistag e. V. Herr René Burk Amtsleiter Ordnungsamt Landkreis Bautzen Verwaltungsstandort Kamenz Macherstraße 55 01917 Kamenz Tel. 03578 787132000 Fax 03578 787032000 rene.burk@lra-bautzen.de Der Sächsische Ausländerbeauftragte Herr Prof. Dr. Martin Gillo MdL Staatsminister a. D. Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Tel. 0351 4935171 Fax 0351 4935474 saechsab@slt.sachsen.de Jahresbericht 2012 Sächsischer Flüchtlingsrat e. V. Unter dem Dach des Sächsischen Flüchtlingsrates arbeiten Vereine, Initiativen und Einzelpersonen zusammen. Gemeinsames Anliegen aller Mitglieder ist das Engagement für Flüchtlingsschutz und menschenwürdige Unterbringungsbedingungen in Sachsen. Der Flüchtlingsrat engagiert sich außerdem für den Aufbau eines psychosozialen Verbundsystems, die Entwicklung von Clearing für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge und die Unterstützung bundesweiter, sachsenweiter und lokaler Kampagnen. Im Kooperationsprojekt »Komenco« bietet er gemeinsam mit der AG In- und Ausländer e. V. Beratungen für Flüchtlinge an. Sächsischer Flüchtlingsrat e. V. Rena Maniry, Ali Moradi Henriettenstraße 5 | 09112 Chemnitz Tel. 0371 903133 info@saechsischer-fluechtlingsrat.de Sächsischer Flüchtlingsrat e. V. Ngoc Nguyen Hoai, Werner Wendel Heinrich-Zille-Straße 6 | 01219 Dresden Tel. 0351 436372 info@saechsischer-fluechtlingsrat.de Landkreisen Sachsens sowie der Aufbau von Kooperationsbeziehungen zu Parlamenten, Politik, Verwaltungen und gesellschaftlichen Organisationen. Koordinator: Marc Lalonde marc.lalonde@auslaenderbeirat-dresden.de Sprecher: Nabil Yacoub yacoub@t-online.de Integrationsnetzwerk Sachsen e. V. Ziele des Integrationsnetzwerks Sachsen e. V. sind u. a. der Einsatz für die Realisierung des Nationalen Integrationsplans, die Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Migranten am gesellschaftlichen Leben, Öffentlichkeitsund Aufklärungsarbeit, die Stärkung von Migrantenorganisationen und -beiräten vor Ort und die Bildung neuer Migrantenbeiräte. Das Zusammenleben e. V. Tatjana Jurk und Marina Naudszus Dresdner Straße 162 | 01705 Freital Tel. 0351 6489875 oder Tel. 0351 64692138 ins-verband@gmx.de Sächsischer Migrantenbeirat SMB Der SMB verbindet als Interessenvertretung der in Sachsen lebenden Migrantinnen und Migranten Migrantenselbstorganisationen, Vereine und Personen aus der Integrationsund Flüchtlingsarbeit aus ganz Sachsen. Ziele der Arbeit sind die die Förderung der politischen Beteiligung von Migrantinnen und Migranten am gesellschaftlichen und politischen Leben, die Bildung von Ausländerbzw. Migrantenbeiräten in den Städten und w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 187 Netzwerk Integration und Migration Sachsen (NIMS) Das NIMS trifft sich als landesweit agierendes Netzwerk halbjährlich und bietet seinen etwa 170 Mitgliedern aus der sächsischen Migrations- und Integrationsarbeit eine Plattform für den fachlichen Austausch, die Weiterentwicklung von inhaltlichen Ansätzen, für die Erarbeitung von gemeinsamen Positionen und die weitere Vernetzung. Das Netzwerk ist offen für alle Interessenten, die sich konstruktiv in diesen Prozess einbringen. Der Sächsische Ausländerbeauftragte Prof. Dr. Martin Gillo Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Tel. 0351 4935171 saechsab@slt.sachsen.de IQ-Netzwerk Sachsen Das bundesweite Netzwerk »Integration durch Qualifizierung (IQ)« hat das Ziel, die Arbeitsmarktchancen von erwachsenen Migrantinnen und Migranten in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Im Mittelpunkt der Aktivitäten des IQ-Netzwerkes Sachsen stehen dabei die Verzahnung der Unterstützungsleistungen, der Auf- und Ausbau von Kooperationsstrukturen, die Interkulturelle Qualifizierung von Arbeitsmarktakteuren und die Anerkennung ausländischer Qualifikationen (IBAS Informationsund Beratungsstelle Anerkennung Sachsen). EXIS Europa e. V. Kay Tröger Am Schwanenteich 4 | 08056 Zwickau Tel. 0375 3909365 post@exis.de RESQUE PLUS Sachsen Das Netzwerk RESQUE PLUS zielt auf die Förderung der beruflichen Integration von Flüchtlingen mit Arbeitsmarktzugang und die Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Programm in ganz Sachsen. Partner im Projekt sind neben dem Aufbauwerk Region Leipzig GmbH die Stadt Leipzig (Referat Migration und Integration), die DAA-Deutsche Angestellten-Akademie GmbH, der Caritasverband Leipzig e. V., der Sächsische Flüchtlingsrat e. V., die INT-Gesellschaft zur Förderung der beruflichen und sozialen Integration mbH. Aufbauwerk Region Leipzig GmbH Silvana Rückert, Armin Pfennig Otto-Schill-Straße 1 | 04109 Leipzig Tel. 0341 1407790 rueckert@aufbauwerk-leipzig.com pfennig@aufbauwerk-leipzig.com Facharbeitsgemeinschaft Jugendmigrationsdienste Sachsen Die Facharbeitsgemeinschaft JMD ist die Interessenvertretung Sächsischer Jugendmigrationsdienste und zielt auf die Verbesserung der Integrationschancen, die Förderung von Chancengerechtigkeit und Partizipation junger Migranten. Jugendmigrationsdienst / Bildungsberatung Garantiefonds Hochschule Dirk Felgner Berliner Straße 18–20 | 04105 Leipzig Tel. 0341 5614524 Fax 0341 5614526 jmd-felgner@naomi-leipzig.de Unterausschuss »Migration« der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen Die Liga Sachsen ist der Zusammenschluss der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen: Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Caritasverband, der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Sowohl auf Landesebene als auch in den Landkreisen und den kreisfreien Städten arbeiten sie in Arbeitsgemeinschaften zusammen. Der Unterausschuss »Migration« widmet sich dabei besonders den Menschen mit Migrationshintergrund, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Diakonie Sachsen Albrecht Engelmann Obere Bergstraße 1 | 01445 Radebeul Tel. 0351 8315176 albrecht.engelmann@diakonie-sachsen.de Opferberatung der RAA Sachsen e. V. Die RAA Sachsen e. V. (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie Sachsen e. V.) engagiert sich u. a. in den Arbeitsbereichen Gemeinwesenarbeit, Beratung, offene Jugendarbeit und Demokratiepädagogik. Sie unterhält in Dresden, Chemnitz und Leipzig Beratungsstellen für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalttaten in Sachsen. Beratungsstelle Dresden Tel. 0351 8894174 opferberatung.dresden@raa-sachsen.de Beratungsstelle Leipzig Tel. 0341 2618647 opferberatung.leipzig@raa-sachsen.de Beratungsstelle Chemnitz Tel. 0371 4819451 opferberatung.chemnitz@raa-sachsen.de 188 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Netzwerk Integration Landkreis Nordsachsen Ziel des Netzwerkes ist der weitere Ausbau der Interkulturellen Woche im Landkreis und der Aufbau eines Ausländerbeirates. Landratsamt Nordsachsen Allgemeines und besonderes Ordnungsrecht Beate Hintzsch Richard-Wagner-Straße 7a | 04509 Delitzsch Tel. 034202 9885347 Fax 034202 9885313 beate.hintzsch@lra-nordsachsen.de Diakonisches Werk Delitzsch Eilenburg e. V. Jugendmigrationsdienst Michael Marschall Postweg 6 | 04849 Bad Düben Tel. 034243 71170 jmd-bad-dueben@gmx.de Netzwerk Migration Nordsachsen AG I Landkreis Nordsachsen Das Netzwerk zielt auf die Förderung der Partizipation und Teilhabe auf verschiedenen Ebenen des gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens in Torgau. Jugendmigrationsdienst Kerstin Over Schlossstraße 3 | 04860 Torgau Tel. 03421 724533 jugendmigrationsdienst@dw-ot.de AG Asyl Landkreis Nordsachsen Die AG Asyl setzt sich für eine Verbesserung der Situation von Asylbewerbern im Landkreis Nordsachsen ein. Jugendmigrationsdienst Michael Marschall Diakonisches Werk Delitzsch Eilenburg e. V. Postweg 6 | 04849 Bad Düben Tel. 034243 71170 jmd-bad-dueben@gmx.de 189 Netzwerk Migration Landkreis Meißen Das Netzwerk zielt darauf, eine effektive Integrationsarbeit vor Ort zu betreiben, die Zusammenarbeit der Institutionen zu fördern, gemeinsame Projekte zu gestalten, Migranten als Akteure zu gewinnen und Bildungsarbeit vom Kindergarten bis zum Erwachsenen zu leisten. Gerlinde Franke Diakonie Riesa-Großenhain Migrationsberatung Marktgasse 14 | 01558 Großenhain Tel. 03522 3089908 Migration.mbe@diakonie-grossenhain.de Arbeitskreis Migration Landkreis Bautzen Der Arbeitskreis engagiert sich für die Koordinierung und Verbesserung aller Angebote für Migranten im Landkreis und ermöglicht den Erfahrungsaustausch z. B. zu Änderungen der gesetzlichen Grundlagen. JMD Bautzen Steffen Deubner Wilhelm-Ostwald-Straße 35 | 02625 Bautzen Tel. 03591 276761 jmd-bautzen@internationaler-bund.de Netzwerk Integration Stadt Görlitz Ziel der Netzwerkarbeit ist die Gestaltung von verlässlichen Rahmenbedingungen für die Integration. Netzwerk Integration Nord Weißwasser/ Bad Muskau Rüdiger Kruner Bautzener Straße 64 | 02943 Weißwasser Tel. 03576 205064 jmd-weisswasser@online.de Netzwerk Integration Löbau-Zittau Das Netzwerk setzt sich für die Unterstützung und Koordination der Integration, sowie für die interkulturelle Öffnung der Gesellschaft in der Region Löbau-Zittau ein. BAMF Chemnitz Franziska Köhler Adalbert-Stifter-Weg 25 | 09131 Chemnitz Tel. 0371 4901-151 oder Handy 0160 7016637 Franziska.Koehler@bamf.bund.de Netzwerk Migration Landkreis Mittelsachsen Ziel der Arbeit im Netzwerk ist die Koordinierung der Arbeit mit Zugewanderten inkl. der Asylsuchenden in allen Lebensbereichen sowie die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und Chancen zur gleichberechtigten Teilhabe in der Gesellschaft. Landratsamt Mittelsachsen Ausländerbeauftragte Ilse Rose Frauensteiner Straße 43 | 09599 Freiberg Tel. 03731 7993240 ilse.rose@landkreis-mittelsachsen.de BAMF Chemnitz Franziska Köhler Adalbert-Stifter-Weg 25 | 09131 Chemnitz Tel. 0371 4901151 oder Handy 0160 7016637 Franziska.Koehler@bamf.bund.de 190 AG Migration Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge Die Arbeitsgruppe Migration im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge ist ein Zusammenschluss von freien Trägern, Regeldiensten, Vereinen und Organisationen, die im Bereich Integration von Menschen mit Migrationshintergrund tätig sind. CJD Jugendmigrationsdienst Pirna Maria Kolanko Jacobäerstraße 1 | 01796 Pirna Tel. 03501 468150 Fax 03501 46813 maria.kolanko@cjd-heidenau.de Netzwerk Migration Stadt Freital Das Netzwerk setzt sich für eine Unterstützung der Integration in der Stadt Freital und die interkulturelle Öffnung der Gesellschaft ein. BAMF Chemnitz Franziska Köhler Adalbert-Stifter-Weg 25 | 09131 Chemnitz Tel. 0371 4901-151 oder Handy 0160 7016637 Franziska.Koehler@bamf.bund.de Netzwerk Migration Aue-Schwarzenberg, Erzgebirgskreis Das Netzwerk setzt auf Integration durch Betreuung, Beratung und Begleitung und auf den Aufbau eines demokratischen Miteinanders in der Region, geprägt von Toleranz und Teilhabe. Kompetenzzentrum für Gemeinwesenarbeit Erzgebirge Angela Klier Postplatz 3 | 08280 Aue Tel. 03771 499455 protoleranz@puschkinhaus-aue.de Netzwerk Migration Vogtlandkreis Das Netzwerk hat sich zum Hauptziel die Pflege der Willkommenskultur gesetzt. Landratsamt Vogtlandkreis, Dienststelle Plauen Integrationsbeauftragte Veronika Glitzner Neundorfer Straße 94 / 96 | 08523 Plauen Tel. 03741 3921060 oder Handy 0171 7271971 glitzner.veronika@vogtlandkreis.de Interkultureller Arbeitskreis Landkreis Zwickau Der Interkulturelle Arbeitskreis will das Miteinander und Zusammenleben zwischen heimischen und neu zugewanderten Menschen konstruktiv gestalten. Der Arbeitskreis wirbt für Toleranz und gegenseitige Akzeptanz und fördert das friedliche Zusammenleben in der Region. Landratsamt Zwickau Ausländerbeauftragte Birgit Riedel Robert-Müller-Straße 4–8 | 08056 Zwickau Tel. 0375 440221051 birgit.riedel@landkreis-zwickau.de Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 191 Fach – AG junge Migrantinnen und Migranten Dresden Die AG will die Integration junger Migranten in Dresden auf verschiedenen Gebieten (Sprache, schulische und berufliche Ausbildung, kulturelle Bildung) unterstützen, zuwanderungsbedingte Nachteile ausgleichen und sich für Chancengleichheit, unabhängig vom Status, einsetzen. Ausländerrat Dresden e. V. Markus Degenkolb Tel. 0351 4363730 jukult@auslaenderrat.de ZMO – Jugend e. V. Valentina Ohngemach Tel. 0351 2899276 Jugendmigrationsdienst des Caritasverband e. V. Sigrid Kokot Tel. 0351 4984742 Runder Tisch Integration Dresden Ziel des Netzwerkes ist die Verbesserung der Integrationsbedingungen in der Stadt. BAMF Chemnitz Franziska Köhler Adalbert-Stifter-Weg 25 | 09131 Chemnitz Tel. 0371 4901151 oder Handy 0160 7016637 Franziska.Koehler@bamf.bund.de Trägertreffen Leipzig Das Trägertreffen setzt sich für eine teilnehmerorientierte Durchführung und Koordinierung der Integrationskurse in der Stadt Leipzig ein. BAMF Chemnitz Astrid Leidel-Keul Tel. 0371 4901152 Astrid.Leidel-Keul@bamf.bund.de bis Mitte 2013 Elternzeitvertretung durch Franziska Köhler Tel. 0371 4901-151 oder Handy 0160 7016637 Franziska.Koehler@bamf.bund.de Integrationsnetzwerk für Migranten/Migrantinnen Chemnitz Das Integrationsnetzwerk engagiert sich für die optimale Integration von Migranten durch Vernetzung aller mit der Integration und Migration beschäftigten Fachstellen öffentlicher und freier Träger. Stadtverwaltung Chemnitz – Sozialamt Heike Steege Annaberger Straße 93 | 09120 Chemnitz Tel. 0371 4885040 heike.steege@stadt-chemnitz.de Harald Schellenberger Stadtverwaltung Chemnitz – Sozialamt Tel. 0371 4885504 harald.schellenberger@stadt-chemnitz.de Netzwerk Integration – Migranten in Leipzig Ziel des Netzwerkes ist die stärkere Beteiligung von Migranten und deren Selbstorganisationen in die Netzwerkarbeit. Caritasverband Leipzig e. V. Gerd Klenk Elsterstraße 15 | 04109 Leipzig Tel. 0341 9636158 (nur mittwochs) g.klenk@caritas-leipzig.de gerdklenk@web.de 192 Jahresbericht 2012 Kommunale Ausländer- und Integrationsbeauftragte in Sachsen Landkreis Bautzen Landratsamt Bautzen Ausländerbeauftragte Anna Pietak-Malinowska (hauptamtlich) Bahnhofstraße 9 | 02625 Bautzen Besucheradresse: Tzschirnerstraße 14a | Zimmer 1.5 Tel. 03591 525187700 | Fax 03578 787087700 Macherstraße 55 | 01917 Kamenz Tel. 03578 787187700 | Fax 03578 787087700 anna.pietak-malinowska@lra-bautzen.de Stadt Chemnitz Stadtverwaltung Chemnitz – Sozialamt Ausländerbeauftragte Etelka Kobuß (hauptamtlich) Annaberger Straße 93 | 09120 Chemnitz Tel. 0371 4885047 | Fax 0371 4885096 auslaenderbeauftragte@stadt-chemnitz.de Landeshauptstadt Dresden Stadtverwaltung Dresden Integrations- und Ausländerbeauftragte Dr. Uta Kruse (hauptamtlich) PF 12 00 20 | 01001 Dresden Tel. 0351 4882376 | Fax 0351 4882709 UKruse@dresden.de Landkreis Görlitz Landratsamt Görlitz Ausländerbeauftragte Olga Schmidt (hauptamtlich) Hugo-Keller-Straße 14 | 02826 Görlitz Tel. 03581 6639007 | Fax 03581 54030907 auslaenderbeauftragte@kreis-gr.de Stadt Leipzig Referat für Migration und Integration Ausländerbeauftragter Stojan Gugutschkow (hauptamtlich) 04092 Leipzig Tel. 0341 1232690 | Fax 0341 1232695 migration.integration@leipzig.de Landkreis Leipzig Landratsamt Leipziger Land Ausländerbeauftragte Muldentalkreis Gülnur Kunadt (ehrenamtlich) Karl-Marx-Straße 22 | 04668 Grimma Tel. 03437 9844102 | Fax 03437 98499712 guelnur.kunadt@lk-l.de Sprechzeit: Donnerstag 08.30–12.00 Uhr und 13.30–16.00 Uhr Leipziger Land N.N. Landkreis Erzgebirgskreis Integrationsbeauftragter des Erzgebirgskreises c/o Kirchliche Erwerbsloseninitiative Zschopau Johannes Roscher (ehrenamtlich) Johannisstraße 58 B | 09405 Zschopau Tel. 03725 80522 | Fax 03725 342780 j.roscher@kez-zschopau.de Stadtverwaltung Markkleeberg Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte Sabine Baldauf (hauptamtlich) Rathausplatz 1 | 04416 Markkleeberg Tel. 0341 3533206 | Fax 0341 3533294 sabine.baldauf@markkleeberg.de Stadtverwaltung Zschopau – Altes Rathaus Ausländerbeauftragter Erhard Wirth (ehrenamtlich) Lindenweg 27 | 09405 Zschopau Sprechzeit: 1. Die. im Monat: 14 bis 16 Uhr Landkreis Meißen Ausländerbeauftragter Adolf Podhorsky (ehrenamtlich) Max-Kamprath-Straße 7 | 01651 Meißen Handy 0173 7627011 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 193 Landkreis Mittelsachsen Landratsamt Mittelsachsen Ausländerbeauftragte Ilse Rose (hauptamtlich) Frauensteiner Straße 43 | 09599 Freiberg Tel. 03731 7993240 Fax 03731 7993322 Ilse.Rose@landkreis-mittelsachsen.de Landkreis Nordsachsen Landratsamt Nordsachsen Ausländer- und Integrationsbeauftragte Susann Flathe (ehrenamtlich) Schlossstraße 27 | 04860 Torgau Tel. 03421 7580 KABNordsachsen@lra-nordsachsen.de Stadtverwaltung Torgau Ausländerbetreuung Christiane Sparsbrod (hauptamtlich) Markt 1 | 04860 Torgau Tel. 03421 748314 Fax 03421 748323 Handy 0174 3409100 c.sparsbrod@torgau.de Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge Beauftragte für Migration und Integration Heidrun Weigel (ehrenamtlich) Deubener Weg 25 | 01705 Freital Tel. 0351 4600014 (privat) Handy 0178 6140751 HeidrunWeigel@gmx.de Stadtverwaltung Plauen Ausländer-, Gleichstellungs- und Behindertenbeauftragte Heidi Seeling (hauptamtlich) Unterer Graben 1 | 08523 Plauen Tel. 03741 2911018 Fax 03741 29131018 auslaenderbeauftragte@plauen.de Sprechzeit: Dienstag 9 bis 12 Uhr und 13 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung Landkreis Zwickau Landratsamt Zwickau Ausländer- und Gleichstellungsbeauftragte Birgit Riedel (hauptamtlich) Robert-Müller-Straße 4–8 | 08056 Zwickau Tel. 0375 440221051 Fax 0375 440221009 Birgit.Riedel@landkreis-zwickau.de Stadtverwaltung Zwickau Gleichstellungs- und Ausländerbeauftragte Ulrike Lehmann (hauptamtlich) Leipzigerstraße 176 | 08056 Zwickau Tel. 0375 831834 Fax 0375 831831 Ulrike.Lehmannr@Zwickau.de Der Sächsische Ausländerbeauftragte Stellenbeschreibung der kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten in Sachsen I Stellenzweck Die kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten (KAIB) tragen verantwortlich dazu bei, dass die drei Ziele der Ausländerpolitik: Innere Sicherheit, Humanität und Zugewinn angemessen angewendet und verwirklicht werden. II Sechs Zuständigkeiten 1. Beratungsfunktion Beratung, Information, Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund, Vereinen, Institutionen und Migrationsfach- und -regeldiensten, um eine gleichberechtigte Teilhabe in unserer Gesellschaft voranzubringen und zu realisieren. 2. Netzwerkarbeit Initiierung, Beförderung, Begleitung und Ausbau eines Integrationsnetzwerkes sowie Unterstützung bei der Schaffung örtlicher Migrantenbeiräte, um die Integrationskräfte in der Kommune zu bündeln und zu stärken. 3. Vermittlerfunktion Interessenvertretung der Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber der Verwaltung, den Gremien und Dritten, als auch Vermittlung der Perspektive der Verwaltung bei Menschen mit Migrationshintergrund, damit die berechtigten Interessen aller ausgeglichen berücksichtigt werden. 4. Integrationsfunktion Initiierung, Erarbeitung und Fortschreibung eines regionalen Integrationskonzeptes und nach Verabschiedung auch Begleitung des Umsetzungsprozesses in Anlehnung an das nationale und sächsische Integrationskonzept zur Förderung der Integration in allen Bereichen vor Ort. Landkreis Vogtlandkreis Landratsamt Vogtlandkreis Gleichstellungs-, Integrations- und Frauenbeauftragte Veronika Glitzner (hauptamtlich) Neundorfer Straße 94 / 96 | 08523 Plauen Tel. 03741 3921060 Fax 03741 39241060 Handy 0171 7271971 Glitzner.Veronika@Vogtlandkreis.de 5. Öffentlichkeitsarbeit Regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit (d. h. Medienarbeit, Organisation von Veranstaltungen und Herausgabe von Publikationen), um auf kommunaler Ebene in der Öffentlichkeit und in den Institutionen über die Entwicklung bei der Integration laufend zu informieren und die gegenseitige Akzeptanz und den Respekt zu erhöhen. 6. Interventionsfunktion Im Umgang mit den verschiedenen Akteuren im Bereich Migration und Integration sich für krisenvermeidende Optionen engagieren, sowie bei migrationsspezifischen Krisen deeskalierend und schlichtend sichtbar wirken und den Medien klärend zur Seite stehen, um den gesellschaftlichen Konsens zu stärken. Stand November 2010 - Seite 1 194 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 195 Integration durch Sport Der Sächsische Ausländerbeauftragte Stützpunktvereine in Sachsen 2012 III Handlungsfelder, Ausgestaltung der Stelle Um der Querschnittsaufgabe des Amtes angemessen gerecht zu werden, sollte die Stelle des KAIB ab einer Größe von 20.000 Einwohnern hauptamtlich eingerichtet werden (auch in Stellenkombination realisierbar). Die unabhängige Ausführung des Amtes der KAIB muss gewährleistet sein. Die Stelle sollte deshalb in der Regel dem Geschäftsbereich des Landrates oder des Oberbürgermeisters zugeordnet werden. Mit der Stelle sind verbunden: • Initiativrecht des kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten Aktive Senioren Leipzig e. V. KFC Leipzig e. V. Boxring ATLAS Leipzig e. V. Polizeisportverein Chemnitz e. V. Box-Sportverein-Dynamo Waldheim 05 e. V. PSV Crimmitschau e. V. BSV AOK Leipzig e. V. Ran ans Brett e. V. Boxteam Oelsnitz e. V. Rugby Cricket Dresden e. V. Boxteam Plauen e. V. SC Borna e. V. Bushido Stollberg e. V. Sportclub Hoyerswerda e. V. • Einbindung und Anhörung (Rederecht) bei allen allgemeinen Entscheidungen mit integrationspolitischem Hintergrund Chemnitzer Freizeit- und Sportverein Reichenbach e. V. Wohngebietssportverein e. V. SSV 1952 Torgau e. V. • Akteneinsichtsrecht und Informationsrecht zu Sachverhalten mit Integrations- und Migrationsbezug Chung Hyo Kampfkunst e. V. Sport- und Spielverein Heidenau e. V. Das Zusammenleben e. V. SSV TEXTIMA Chemnitz e. V. • Die Stelle sollte lokal als hauptamtlich bestätigt werden. Döbelner SV »Vorwärts« e. V. SV 1919 Grimma e. V. • Haushaltsmittel, die zur Erfüllung der Aufgaben notwendig sind Dresdner SSV e. V. SV »Grün-Weiß« Weißwasser e. V. FSV Empor Löbau e. V. SV Bad-Düben e. V. Großenhainer Fitneßclub e. V. SV Großhartau e. V. Hainsberger Sportverein e. V. SV Makkabi Leipzig e. V. HSG DHfK Leipzig e. V. SV Viktoria Räckelwitz 92 e. V. HSG Turbine Zittau e. V. Abt. SV Witzschdorf e. V. Boxclub Dreiländereck Torgauer Ruderverein e. V. Internationaler Tanzsportverein »Joker« e. V. TSG Kraftwerk Boxberg Weißwasser e. V. Judo- und Sportverein Rammenau 1985 e. V. TV »Vater Jahn« Burgstädt e. V. Kampfkunstzentrum Zwickau e. V. Vogtländischer Schachclub Plauen e. V. Karateverein Bushido Leipzig e. V. ZMD Schachfestival Dresden e. V. IV Qualifikationen • Kenntnisse der Integrationspolitik des Bundes und des Landes • Kenntnisse der Verwaltungsabläufe und Handlungsmöglichkeiten der Verwaltung • Methodenkompetenzen z.B.: Planungs- und Organisationsvermögen bezüglich des Umgangs mit Netzwerken und Verwaltung • Soziale und kommunikative Kompetenzen z. B.: die Fähigkeit, wichtige Konzepte in Netzwerke zu transportieren und deren Umsetzung zu befördern und Klienten kompetent zu beraten. Stand November 2010 - Seite 2 196 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 197 MRR: Das ist mir schon sehr fremd aus einem Grund: Ich bin überhaupt nicht stolz, auf gar nichts bin ich stolz. … Das Gerede: ›Ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein‹, hat ja einen Hintergrund. Das sagen ja Leute mit irgendwelchen nationalen Minderwertigkeitskomplexen. Die Engländer sagen das zum Beispiel nicht. … Mit Herz gesehen – von Martin Gillo – 2012 Der deutsche Minderwertigkeitskomplex ist ganz alt. Er kommt noch aus dem 18. Jahrhundert. Vergessen Sie bitte nicht, eine solche Hymne: ›Deutschland, Deutschland über alles‹«. Warum hat Hoffmann von Fallersleben das geschrieben? Weil es kein Deutschland gab. Das war zu einem Zeitpunkt geschrieben, als es kein Deutschland gab. Reich-Ranicki über Deutschsein und deutsche Leitkultur – 3. Februar Auszug aus einem Interview mit Michel Friedman am 28. März 2001 (Transkription des Interviews) Ein schlechter deutscher Dichter, der schon vergessen wurde, Emanuel Geigen, schrieb: ›Am deutschen Wesen soll die Welt genesen‹. Warum? Das hat er 1861 geschrieben, weil es das Deutsche Reich nicht gab. Das sind nationale Minderwertigkeitsgefühle, die dann zu solch unverschämten Äußerungen führten. MF: Erschreckt es Sie, dass es solche Äußerungen heute wieder gibt und dass sie in der politischen Diskussion wieder dazugehören? Michel Friedman: Herr Reich-Ranicki, seit 50 Jahren leben Sie in Deutschland. Sie haben den deutschen Pass. Sie sprechen die deutsche Sprache. Die Menschen mögen Sie, und die, die Sie nicht mögen, beachten Sie. Und Sie sagen, Sie sind kein Deutscher? Marcel Reich-Ranicki: Ich verwende das Wort »deutsch« bezüglich meiner Person oft und gern, aber immer als Adjektiv. Ich bin ein deutscher Kritiker, ein deutscher Literaturkritiker, vielleicht ein deutscher Schriftsteller. Ein Deutscher bin ich nicht. Es wird nichts mehr daraus werden. MRR: Nein, ich empfinde es nur als Armutszeugnis, dass die Leute immer wieder vom deutschen Nationalstolz reden. Es ist nicht sehr imponierend, nicht sehr überzeugend. … MF: Was halten Sie von dem Begriff der deutschen Leitkultur? MF: Warum nicht? MRR: Da hat mich nur verblüfft, dass die Leute so dumm sind und des Deutschen nicht mächtig sind. Was heißt denn Leitkultur? Ist das eine Kultur, die jemanden leiten soll? Wen? Europa leiten soll? Oder Deutschland, oder Bayern leiten soll? Was hat das für einen Sinn? MRR: Vielleicht ist es der Widerstand dagegen, dass Leute kommen und mir mein Deutschtum aberkennen. Das können sie nicht. Sie können höchstens sagen, dass ich von Kleist oder Thomas Mann zu wenig verstehe. Das ist aber etwas ganz anderes. Die Leute gebrauchen das Wort, einer hat es gebraucht, und die anderen haben es nachgeplappert. Ich verstehe nicht, was damit gemeint ist. … MF: Herr Reich-Ranicki, sind Sie noch verwundbar an dieser Stelle? Tut es Ihnen weh, wenn man Ihnen sagt, Sie gehören nicht dazu? MF: Wenn Sie heute noch einmal darüber entscheiden sollten, ob Sie in Deutschland leben sollten, würden Sie sich wieder für Deutschland entscheiden? MRR: Nein, manches tut mir sehr weh. Natürlich bin ich verwundbar, aber das mit dem Dazugehören nun nicht. ... MRR: Ach, ich glaube, ja. … MF: Warum ließ sich Ignaz Bubis in Israel begraben? Das Interview ist auf der Plattform Bei Youtube.com anzusehen: http://www.youtube.com/watch?NR=1&v=4fteRP4a-y4&feature=endscreen MRR: Das war das Ergebnis eines furchtbaren Missverständnisses. Er hielt sich die ganze Zeit für einen Deutschen. Und er war immer empört, wenn ihn die Leute fragten: »Verbringen Sie den Urlaub in Ihrer Heimat?« – womit Israel gemeint war. Oder: »Sehen wir uns bei Ihrem Botschafter?« – womit der israelische Botschafter damals in Bonn war gemeint. Der Literaturkritiker und Holocaust-Überlebende Marcel Reich-Ranicki hat am 27.01.2012 als Zeitzeuge im Bundestag über der Deportation der Juden aus dem Warschauer Ghetto berichtet. An diesem Tag wird weltweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Das kann mir nicht passieren. Sehen Sie, ich habe diese Illusion nicht, und diese Befürchtungen, die sie haben, betreffen mich nicht. Deshalb ist ein solcher Satz von mir völlig unmöglich. … Meine Heimat liegt in der Literatur und in der Musik.« … Marcel Reich-Ranicki schloss seine Rede mit den Worten: »Sie [die Deportation] hatte nur ein Ziel, sie hatte nur einen Zweck: den Tod.« Die Rede Reich-Ranickis kann ebenfalls bei Youtube.com gesehen oder nachgelesen werden unter http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2012/37432080_kw04_gedenkstunde/rede_ranicki.html MF: Was geht in Ihnen vor, wenn neuerdings in Deutschland eine Diskussion stattfindet, wo gesagt wird: »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.«? www.offenes-sachsen.de 198 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 199 Ab 2035 beginnt ein neues Zeitalter in Deutschland – 10. Februar Wie wird man Bayer? Man erbt in der dritten Generation in Bayern. Wer also in München geboren ist, aber von Eltern abstammt, die z.B. von Berlin nach Bayern kamen, der ist »ein in München geborener Preuße«. Wie bitte? Genau. Er sollte zum Oktoberfest besser auf eine bayerische Tracht verzichten und Lederhosen denen überlassen, die schon seit Generationen in Bayern wohnen. Wie ist das eigentlich mit denen, die in München geboren wurden, deren Eltern aber aus der Türkei zugewandert sind? Nach der Preußen-Bezeichnung für unseren in München Geborenen würde man ihn dann weiterhin einen Türken nennen, obwohl er ja in Bayern geboren wurde. Aber er ist doch ein Deutscher! Das ist doch Blödsinn! Ebenso ausgegrenzt bleiben auch diejenigen Zukunftsdeutschen, die einfach nur anders aussehen als wir. Nehmen wir den Sänger Roberto Blanco (»Ein bisschen Spaß muss sein«). Er ist so beliebt, dass er es zu schaffen scheint, bei allen Silvesterpartys gleichzeitig im Fernsehen aufzutreten. Auch beim Semperopernball in Dresden ist er natürlich dabei. Und: Ist er als Zukunftsdeutscher einer von uns? Wir Herkunftsdeutsche tun gut daran, darüber nachdenken, wie jeder Zukunftsdeutscher möglichst schnell einer von uns werden kann. Das Thema mag noch etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen. Doch aufgepasst, liebe Herkunftsdeutsche: Unsere Antworten werden unser Leben prägen. In spätestens 25 Jahren, werden wir fragen, wie wir eine/r von den Zukunftsdeutschen werden können. Oder es gelingt es uns, den unsäglichen Graben zwischen Herkunfts- und Zukunftsdeutschen zu überwinden? Martin Gillo Manche haben für dieses Problem bereits eine sprachliche Lösung parat: Sie unterscheiden Bio-Deutsche und Pass-Deutsche. Ich möchte aber daran erinnern, dass diese Unterscheidung von den rechten Anti-Demokraten kommt. Und ich möchte daran erinnern, dass dieser sprachlichen Unterscheidung grässliche Taten folgten: Siehe den selbsternannten Nazi-Untergrund. Sollten wir nicht endlich aufhören mit der Unterscheidung zwischen Deutschen und Deutschen? Wenn schon sprachliche Differenzierung, wie wäre es mit Herkunfts- und Zukunftsdeutschen? Herkunftsdeutsche, das sind wir, die über ihre Familienherkunft von Eltern abstammen, die auch deutsch sind bzw. waren. Zukunftsdeutsche, das sind die Zuwanderer, die sich für Deutschland entschieden haben, und für die unser gemeinsames Land kulturell ihre zweite Heimat ist. Warum Zukunftsdeutsche? Weil sie zu unserer Zukunft gehören. Und weil sie in der Zukunft die Mehrheit in Deutschland darstellen werden. Ja, das ist richtig geschrieben. Nach gegenwärtigen Berechnungen werden Menschen mit Migrationshintergrund schon im Jahr 2035 die Mehrheit in unserer Bevölkerung darstellen. Das ist weniger als eine Generation! Das liegt uns genauso nahe, wie die friedliche 1989er Revolution von heute, also von 2012 entfernt ist. Wie unsere Zukunft aussieht – 17. Februar Wer über die Zukunft spricht, nennt oft Trends, Zahlen, Statistiken. Aber wie kann unsere Zukunft ganz konkret aussehen? Neulich schrieb ich, dass die Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund in weniger als 25 Jahren die Mehrheit in Deutschland ausmachen würden. Doch wie sieht das ganz konkret aus? Ist das eine Angstvorstellung? Ist das eine Hoffnung? Vor einigen Tagen fuhr ich mit dem Frankfurter Zug von Dresden bis Leipzig. In Dresden war er noch ziemlich leer, und so sah ich, wie ein Großvater, seine Tochter und drei Enkelkinder mit einigen Koffern in den Zug einstiegen und zwei Vierersitze belegten. Sobald die Koffer abgesetzt waren, verabschiedete sich der Großvater in Türkisch von allen. Die Mutter wies ihre Kinder auf Türkisch an, sich in einer der Vierersitzgruppe »ordentlich« hinzusetzen. Zumindest taten sie das. Sie selbst nahm die gegenüber liegenden Vierersitze. Ab 2035 beginnt ein neues Zeitalter! Es wird ein Zeitalter sein, in dem wir Herkunftsdeutschen in unserem Land die Minderheit darstellen werden. Wie werden wird dann behandelt sein wollen? Freundlich, höflich und dazugehörig? Oder werden wir uns damit zufriedengeben, als geschützte Minderheit zumindest geduldet zu werden? Ist es okay, wenn wir dann so behandelt werden, wie wir Zuwanderer heute oft behandeln? Als erstes gab es etwas zu essen. Schließlich begannen sie eine lange Reise, ich vermute nach Frankfurt. Salat mit weißen Käsebrocken. Die drei Kinder waren ein Junge, etwa zehn, ein Mädchen, etwa acht und der Benjamin war etwa vier Jahre alt. Die beiden älteren trugen, wie die Mutter, eine Brille. Während sie mit der Mutter immer auf türkisch sprachen, unterhielten sie sich untereinander in perfektem Hochdeutsch. Die beiden älteren Geschwister holten bald jeder eine Kladde in Postkartengröße und ein paar Füllfederhalter heraus und begannen miteinander so etwas wie »Schiffe versenken« zu spielen. Der Kleine spielte mit oder beschäftigte sich mit einem einfachen Computerspiel, in das er ab und zu seinen älteren Bruder mit einbezog. Schauen wir uns doch einmal an, wie wir heute mit Zuwanderern umgehen. Mein Gefühl ist, dass es für Zukunftsdeutsche heute gegenwärtig noch fast unmöglich ist, »einer von uns zu werden«. Ich traf mich im Freiberger Raum vor einigen Monaten mit einer Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern. Wir diskutierten dabei unter anderem die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört. Bei mittlerweile schon 4,5 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürgern muslimischen Glaubens liegt die Frage auf der Hand. Zwischendurch spielten die beiden Älteren mit ihrem kleinen Bruder Schreiben lernen. Sie zeigten ihm die Buchstaben M und A und brachten ihm langsam bei, das Wort MAMA zu erkennen und auszusprechen. Die Mutter hatte inzwischen ihren Laptop ausgepackt und beschäftigte sich damit. Die Antwort war mehrheitlich ausgrenzend: Muslime gehören nicht zu uns in Deutschland, selbst dann nicht, wenn sie einen deutschen Pass haben, sich voll in unsere Gesellschaft integriert haben, gute Bildung vorweisen können und all das erfüllt haben, was selbst die Konservativsten unter uns verlangen. Ihre Religion sei nicht vereinbar mit der christlichen Tradition. Komisch nur, dass die Teilnehmer kein Problem mit den Säkularen hatten, die auch nicht vereinbar mit der christlichen Tradition sind. Am Aussehen der Kinder konnte man erkennen, dass der Vater ein Sachse sein könnte. In genau dieser Familie erkannte ich das Bild der deutschen Zukunft in seiner besten Möglichkeit, eine Verbindung von Hiesigen und Migranten, nicht nur im Neben- sondern im Miteinander. Die Kinder sprachen fließend zwei Sprachen und waren im Deutschen perfekt. Sie bildeten sich spielend. Es war eine Freude, die vier zu beobachten. www.offenes-sachsen.de 200 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 201 Bevor ich ausstieg, dachte ich kurz darüber nach, ob ich der Mutter sagen sollte, dass sie auf ihre Kinder und ihre Erziehung stolz sein könne. Ich war dann aber doch zu schüchtern. Wer diese Kinder mit offenem Herzen ansieht, der freut sich auf unsere Zukunft. Und er oder sie wird helfen wollen, dass sie hier in Sachsen ein gleichberechtigtes Leben mit voller gesellschaftlicher Inklusion leben können. Sie sollen sich bei uns wohl fühlen, sich mit uns identifizieren. Das macht all denen Mut, die sich für eine Öffnung unserer Gesellschaft einsetzen, und denen, die erkannt haben, dass Weltoffenheit für eine Zukunft in Wohlstand überlebenswichtig ist. Das muss den wenigen Ewiggestrigen gezeigt haben, dass die Region Bautzen, dass der Freistaat die Zeichen erkannt haben, dass sie sehen, wie wichtig es ist, eine Gesellschaft zu schaffen, in der sich Menschen aus aller Welt als Menschen behandelt fühlen, egal ob sie Flüchtlinge, Fachkräfte oder Forscher sind. Und dazu gehört natürlich, dass wir ihnen zeigen, dass sie zu uns gehören. Gehen wir auf diesem Weg weiter. Das Kamenzer Kerzenband war ein Wegweiser in eine bessere Zukunft. Diese Familie, diese Zukunft kommt auf uns zu. Öffnen wir ihnen unsere Arme. Ihr Martin Gillo Martin Gillo Sorgen in Sachsen – 16. März Sächsische Solidarität 2012 in Kamenz – 9. März Aus meinem Postfach: Im Landkreis Bautzen befanden sich bis vor kurzem zwei Asylbewerberheime. Eins in der Stadt Kamenz und eins in einer ehemaligen Kaserne für Mittelstreckenraketen mitten im Wald nahe Seeligstadt. Im »Heim-TÜV« wurden beide Heime »Rot«, also als unangemessen, eingestuft. Der Landrat reagierte und suchte nach einem Ersatz. Seine Wahl fiel auf eine ehemalige Offiziersschule beim Kamenzer Flughafen. Die Anlage sollte zuerst erneuert und dann die Heimbewohner in das neue Haus verlagert werden. Gegen diese Anlage mit einer Kapazität von bis zu 400 Bewohnern regte sich sofort Fremdenskepsis und Furcht. Eine von der Rechten aufgelegte Unterschriftensammlung kam auf 1000 Unterschriften. Die Gerichte erklärten diese Unterschriftensammlung für unwirksam und so konnte das Haus gebaut werden. Über 3,6 Millionen € wurden in die Sanierung investiert, am 21. Februar wurde das Heim durch Landrat Michael Harig an den Betreiber übergeben. Noch in der gleichen Nacht fiel es drei vermummten Jugendlichen ein, das alte und zu schließende Heim mit Steinen anzugreifen. 24 Fenster wurden zerschlagen. Die Polizei hat die Ermittlungen aufgenommen und wird hoffentlich die Täter über kurz oder lang festnehmen. Behörden, Institutionen, Vereine und Bürgerinnen und Bürger reagierten sofort. Die Kamenzer Kirchgemeinden, Landrat Michael Harig, das Bündnis für Humanität und Toleranz und Vertreter der Stadtratsfraktionen mit Oberbürgermeister Roland Danz riefen gemeinsam zu einem Kerzenband am Tag der offenen Tür für das neue Heim am 29. Februar auf. Über 300 Bürgerinnen und Bürger folgten diesem Aufruf und versammelten sich zuerst mit brennenden Kerzen vor dem neuen Heim. Danach gingen alle Menschen von dort zum alten Asylbewerberheim, das angegriffen worden war. Auch dort formten wir eine Lichterkette. Welch´ erfreuliche Änderung. 20 Jahre zuvor war es auch zu Übergriffen gegen ein Ausländerheim in diesem Landkreis gekommen. Damals schauten Menschen tatenlos zu. Zwanzig Jahre haben uns verändert. Wir haben uns den Menschen der Welt geöffnet. Wir zeigen Flagge, wenn es um Mitmenschlichkeit geht. Sehr geehrter Herr Martin Gillo, der heutige »Bild«-Artikel »Ausländer willkommen heißen« hat uns schon ganz schön zu schaffen gemacht insofern, als Sie »für eine noch stärkere Öffnung der Gesellschaft für Ausländer werben, wir müssen eine Willkommensgesellschaft werden« ... Was soll denn nur das??? Bedeutet es, dass Ihnen weiterhin Ausländer g e n e h m sind? Uns nicht! Teile unserer Stadt bevölkern sich zunehmend - außer Türken - nun schon längst mit Russen, Osteuropäern, Asiaten etc., die auf Straßen »herumlungern«, die Nacht zum Tag machen, so dass Vermieter es mit Recht ablehnen, sie aufzunehmen, Forderungen auf Ämtern stellen und dreist werden. Lehrerpersonal hat Probleme mit Sprache und Schrift der Ausländerkinder, da die Eltern keinen Kontakt suchen und keinen Wert darauf legen. Die Schule wird's schon regeln etc., etc. Lehrermangel ist zunehmend darauf zurückzuführen. Unterhalten Sie sich bitte mal mit dieser Berufsgruppe. All' diese Behauptungen basieren auf Geschehnissen! Muslime (Ausnahmen genehmigt!) gehören und passen nicht zu uns, kann das endlich mal jemand kapieren oder akzeptieren?! Schon längst müsste es ein Kopftuch-Verbot geben und, wenn dies nicht eingehalten wird, sollen sie in ihren Heimatländern bleiben bzw. zurückgehen und uns nicht noch beschimpfen, sowie auf der Tasche liegen. Wir möchten nicht wissen, wie viele Ausländer sich dazu noch illegal in unserem schönen Land aufhalten. Wir wollen keinesfalls verislamisiert werden, was aber zunehmend geschieht, denn unsere Politiker sind sehr hörig geworden und lassen sich viel zu viel gefallen. Unser Nachwuchs tut uns einfach Leid, was irgendwann mal auf sie zukommen wird. Sie müssten sich ganz einfach mal die Meinungen aus dem Volk einholen. Das wollten wir ganz einfach einmal loswerden, auch wenn Ihnen unsere Zeilen nicht so zusagen werden. Mit freundlichen Grüßen … www.offenes-sachsen.de 202 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 203 Und hier die Antwort: Liebe Frau und Herr ..., Hitlers Sensenmänner? – 29. März vielen Dank für die E-Mail. Der erste Schritt zum Lernen ist immer die Kommunikation. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Es gibt nicht mehr genügend Fachkräfte im eigenen Land. Wir müssen sie aus dem Ausland zu uns holen, so wie es in den 60er Jahren in Westdeutschland notwendig war, Gastarbeiter aus anderen Ländern zu uns zu holen. Warum brauchen wir Ausländer? Ihre Rente, liebe Familie … wird von den heute Beschäftigten und den Unternehmen durch Steuern bezahlt. Wenn Sie nicht wollen, dass Ihre Renten wie gegenwärtig in Griechenland stark gekürzt werden, dann wollen Sie, dass viele Menschen aus dem Ausland bei uns arbeiten. Die Unternehmen müssen die benötigten Fachkräfte auch im Ausland gewinnen können. Sie beklagen sich über die Ausländer, die bei uns um Asyl nachsuchen und von unserer Solidarität leben. Wissen Sie, dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die sich darüber aufregen, dass die Ostdeutschen angemessene Renten bekommen, wo doch die Renteneinzahlungen in der DDR ein Witz waren im Vergleich zu den jetzigen Renten? Ich stehe zur Solidarität in beiden Fällen, und ich fände es traurig, wenn die einen Solidaritätsempfänger die anderen bekämpfen. Neulich sitze ich im roten Bummelzug von Freiberg nach Dresden. Es ist ein Doppeldecker und mich zieht es immer nach oben. Der Zug setzt sich in Bewegung und ich schaue aus dem Fenster. Von oben sieht man mehr, und der Anblick der rollenden Hügel um Freiberg und Muldenhütten ist immer wieder eine Freude. Das Auge schweift über die Weite und ganz von selbst kommt ein Lächeln auf die Lippen. Da bemerke ich oberhalb des Fensters einen Aufkleber, den jemand hinterlassen hat. Er ist hässlich und verkündet: »Die Demokraten bringen uns den Volkstod«, gleich mit Internetadresse, wo man mehr erfahren kann. Wer mag wohl dahinter stecken? Es liest sich wie eine pessimistische Version des Völkischen. Soll hier etwa jemand durch einen Todesgedanken motiviert werden? Unsinn ödet mich an. Deshalb entferne ich den Aufkleber vom Fenster und erfreue mich weiter am schönen Ausblick. Im Übrigen bekennen sich mittlerweile über 2 Mio. Deutsche zum Islam. Vor dem Gesetz gehört denen Deutschland genauso wie Ihnen und mir. Wir sollten alles tun, um konstruktiv zusammenzuleben. »Einigkeit in Vielfalt«, zu diesem Prinzip hat sich auch unsere Bundeskanzlerin vor einigen Wochen bei der Trauerfeier für die Opfer der Neonazi-Morde in Berlin bekannt. Sie haben die Übertragung im Fernsehen sicherlich miterlebt. Später zuhause am Computer erinnere ich mich an den tumben Spruch und schaue im Internet unter der angegebenen Internetadresse nach. Dort finde ich auch gleich Selbstinszenierungen der vereinzelten Anhänger, die in schwarzen Kutten mit Sense und weißen Masken durch die Landschaft laufen und sich dabei selbst filmen, weil in den Ortschaften, in denen sie auftreten, sonst niemand von ihnen Notiz nimmt. Der französische Philosoph Blaise Pascal sagte einmal: Vielfalt ohne Einheit ist Chaos. Einheit ohne Vielfalt ist Tyrannei. Ich hoffe, Sie sehen das auch so. Und Kopftuch tragende Frauen gehören in Westdeutschland zum täglichen Erscheinungsbild. Solange sie das aus eigenem Anstoß tun, soll uns das doch recht sein. Wir sollten uns einig sein, dass wir von allen Menschen bei uns ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung erwarten. Doch unter diesem breiten Dach ist viel Raum für eigene Vorstellungen darüber, wie man glücklich werden kann. Die meisten von uns lieben das Leben. Deshalb versuchen wir, dem Tod so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Außer in Gruselfilmen, von denen sich mancher gern Angst einjagen lässt, wenn attraktive Frauen und ahnungslose Männer von kutten- und maskentragenden Ungeheuern mit langen Messern verfolgt werden. Ob irgendjemand solche Figuren auch im richtigen Leben anziehend genug finden könnte, um ihnen zu folgen, hat sich wohl keiner der Gevatter-Tod-Figuren gefragt. Was die Freundlichkeit der Ausländer uns gegenüber angeht, so werde ich an den Satz erinnert: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Da wir in Sachsen nur einen Ausländeranteil von 2,7 Prozent haben und er selbst in Dresden die Marke von fünf Prozent nicht erreicht, sollte das Zusammenleben mit Ausländern in Sachsen leichter sein als in Baden-Württemberg, wo der Ausländeranteil bei über 12 Prozent liegt. Doch die Praxis ist ganz umgekehrt. Je weniger Ausländer wir haben, desto mehr hat unsere Bevölkerung Angst. Vielleicht sind sie auch so sehr mit dem Filmen von sich selbst beschäftigt, dass sie nicht bemerken, dass ihnen niemand folgt? Die Demokraten? Wen meinen die jungen Leute von rechts eigentlich damit? Sind damit etwa auch die Leute von der NPD gemeint, die sich ja selbst als Demokraten darzustellen versuchen? Dann wären die wortlosen Weißgesichter eine Erscheinung, die einem nebulösen rechten Irrgarten zuzuordnen wären. Volkstod? Wie kann ein Volk sterben, solange Menschen geboren werden? Am größten ist diese Angst in unseren ländlichen Regionen, wo der Ausländeranteil oft noch unter einem Prozent liegt. Im Erzgebirge liegt der Anteil der Menschen mit türkischem Hintergrund bei 0,03 Prozent der Bevölkerung. Doch in keinem Landkreis habe ich so viele Ängste über die Türken gehört wie dort. Welches Volk? Das deutsche? Dann wären die Blassmasken wohl Anhänger der Rassentheorie der Nazis und Anhänger des Gedanken der rassischen Überlegenheit eines bestimmten Volkes über ein anderes. Ist das so? Und wollen sie dann auch, dass der irre Hitler’sche Gedanke von der Überlegenheit des deutschen Volkes bis zu seinem absurden Ende verfolgt wird? Warum ist das so? Es könnte daran liegen, dass so wenige Sachsen ausländische Bekannte haben. Ohne solche Kontakte kann man seine Ängste nicht überprüfen. Gibt es ausländische Bekannte in Ihrem Freundeskreis? Kennen Sie persönlich Muslime? Das würde mich interessieren. Oder meinen sie gar was anderes? Angesichts des überwältigenden Vormarsches der Roten Armee und der anderen Alliierten gab Hitler in seinen letzten Tagen im Bunker der Reichskanzlei nicht etwa auf – nein, er schickte nun auch Kinder und ältere Menschen im »Volkssturm« in den sicheren Tod – als wären sie angesichts der sicheren Niederlage nicht mehr wert zu leben. Nochmals vielen Dank für Ihren Mut, Ihre Meinung offen zu sagen. Ich habe versucht, ebenso offen zu antworten. Vielleicht ergibt sich ja einmal die Gelegenheit zu einem Gespräch. Martin Gillo 204 Meinen die Sensenmänner diese Art von »Volkstod«? Meine Eltern erzählten mir von einer Reihe von Nazis in ihrer Bekanntschaft, die sich kurz vor Kriegsende selbst das Leben nahmen. Ist das der Tod, den die Sensenmänner uns heute schmackhaft machen wollen? www.offenes-sachsen.de Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 205 Dann haben sie nicht mitbekommen, dass es ein saftiges Leben nach dem Nazismus gab, gibt und geben wird. Dieses Leben ist bunt, ermutigend, sozial, solidarisch, kreativ, interessant, vielfältig und zukunftsorientiert. Historische Reminiszenzen an Reichstagsbunkerrassen-Ideale und VolkstodModer enden unweigerlich in einer Sackgasse. mitmachen? Denken wir an die Menschen aus anderen Ländern, die unsere freiheitlich-demokratischen Grundordnung erkennen und respektieren sollen. Ist nicht diese Grundordnung die Basis für ein verträgliches Auskommen miteinander? Doch wer vermittelt ihnen das? Oder wird es ihnen überhaupt vermittelt? Wo es bisher passiert ist, geschah es spontan. Binden wir sie alle gesellschaftlich ein, öffnen wir uns ihnen gegenüber. Dann erreichen wir, was uns am Herzen liegt: dass sich alle eingebunden und damit mitverantwortlich fühlen. Wir profitieren davon mindestens genauso wie die »Neuen«. Wir Anderen gestalten stattdessen gemeinsam mit Menschen aus aller Welt auch hier bei uns in Sachsen eine Zukunft, die für uns und unsere Kinder und Enkelkinder lebenswert ist. In Frieden, in gegenseitigem Respekt und Stolz. Respekt Gegenseitig Respekt zu zeigen, das ist leichter gesagt als getan. Jeder von uns kann leicht unsere kulturellen Stärken benennen. Genauso fällt es uns leicht, die Schwächen anderer Kulturen zu erkennen. Beim Optiker würden wir für diese klare Sicht Anerkennung erhalten. Wenn es aber um die Schwächen unserer eigenen Kultur geht, oder um die Stärken in anderen Kulturen geht, sind wir dagegen von einer bemerkenswerten Blindheit geschlagen. Martin Gillo Das ist sicherlich nicht zufällig so. In vergangenen Zeiten, in denen Länder und Kulturen im gegenseitigen Kampf bis hin zu Kriegen verstrickt waren, war es nützlich, die eigenen Stärken zu erkennen und relativ blind denen der Anderen gegenüber zu sein. Auf diese Weise macht man sich keine Gedanken darüber, ob man für die »richtige« Seite sein Leben aufs Spiel setzt. Unser buntes deutsches Dorf – 5. April Das Leben ist schon manchmal merkwürdig: Es kann durchaus auf Trauerveranstaltungen sein, dass wir den Beginn einer neuen Idee zum ersten Mal klar erkennen. So auch auf der Gedenkveranstaltung in Berlin zur Erinnerung an die zehn Mordopfer, die auf die braune NSU Terrorzelle zurückgehen. Die zehn Mordopfer hinterließen viele Familienmitglieder. Sie alle waren in Berlin dabei. Ich nahm als einer von 1200 Gästen teil. Viele von Ihnen werden die Feier im Fernsehen verfolgt haben. So durfte ich miterleben, wie Angela Merkel aussprach, worauf viele Menschen seit Jahren gewartet haben: »Zu Deutschland gehören alle, die hier leben, egal, wo sie hergekommen sind.« Unsere Bundeskanzlerin sprach dann von Deutschland als Land der Vielfalt. Auch ein Vater und zwei Töchter der Mordopfer sprachen. Eine der Töchter sprach aus, was zur Vielfalt gehört: Einigkeit in Vielfalt. Sie, eine Zukunftsdeutsche, sprach sich für Einheit aus. Welch ein bemerkenswerter Wunsch! In unserer Zeit geht es darum, ob wir es schaffen, dass alle Völker friedfertig miteinander leben können. Wir erinnern uns an die 80er Jahre. Deshalb ist uns klar, dass die Alternative zum Miteinander nuklearer Winter heißt. Wir müssen lernen, unsere selektive Blindheit zu überwinden, indem wir unsere Augen öffnen, aufeinander zuzugehen und uns dafür engagieren, dass wir im gemeinsamen deutschen, europäischen und Weltdörfchen konstruktiv zusammenleben können. Goethe konnte noch unwidersprochen schreiben, dass er den roten Wein aus Frankreich zu schätzen wisse, aber dass jeder rechte Deutsche den Franzmann als Feind hassen würde. Nach zwei Weltkriegen und einer ganz anderen Welt, nach 60 Jahren deutsch-französischer Freundschaft, wissen wir, dass er zwar beim Rotwein richtig, aber bei seiner Feindseligkeit völlig falsch lag. Genauso werden wir lernen, auch mit den Menschen aus anderen Kulturen zusammenzuleben, und zwar auf Grundlage des gegenseitigen Respektes. Einheit Einheit und Vielfalt gehören natürlich zusammen. Blaise Pascal, der französische Philosoph, sprach es schon lange vor uns aus: »Vielfalt ohne Einheit ist Wirrwarr. Einheit, die sich nicht in Vielfalt gliedert, ist Tyrannei.« Was heißt Einheit in Vielfalt? Dazu gehören unter anderem drei Prinzipien: Soziale Inklusion, gegenseitiger Respekt, und das Entdecken der Gemeinsamkeit. Soziale Inklusion Soziale Inklusion bedeutet, dass alle Menschen, die bei uns wohnen, an unserer Gesellschaft teilhaben, ob sie nun Studenten sind, Forscher, Kulturschaffende, Fachkräfte, Familienangehörige oder Flüchtlinge. Viele von ihnen leben bei uns anfänglich »nur« auf Zeit. Doch solange sie hier sind, erwarten wir von ihnen, dass sie hier gesellschaftlich verantwortlich leben. So wie die Eltern, die mit den Lehrern zusammenarbeiten müssen, um ihrem Kind die beste Schulleistung zu ermöglichen. Sollen sie nicht mit den Lehrern über ihre Kinder sprechen, mithelfen, dass sie sich integrieren und konstruktiv Doch was ist mit der Einheit? Ein Land der Vielfalt zerfällt in Wirrwarr, wenn es keine bindenden Kräfte entdeckt und sie stärkt. Nur so ist Einheit zu erreichen. Und die beginnt, indem wir das Gemeinsame aufzeigen. Das, was uns als Menschen zusammenhält. Erinnern wir uns noch an das Lied: »We are the world«? Wir sind alle Menschen, die zusammengehören. Die unterschiedlichsten Kulturen und Religionen haben so viel, was sie verbindet. Daran erinnern wir uns meist erst in Momenten wie beim Lied. Dabei gehört z.B. das Gebot der Nächstenliebe zu jeder Weltreligion. In der Not zeigen wir das. Und wir nehmen es dankbar in Empfang, wenn wir in Not sind. Wir brauchen nur an die Flut 2002 zurückzudenken. Wie viel Hilfe bekamen wir aus aller Welt! In Notsituationen fällt uns Einheit leichter als im täglichen Leben. Doch auch im Alltag können wir das Verbindende zum Leben bringen. Auch die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der Menschenwürde und der Weltoffenheit bringen uns und halten uns zusammen. www.offenes-sachsen.de 206 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 207 Eine der größten Kräfte für Einheit ist die Entdeckung, dass unsere unterschiedlichen kulturellen Stärken kombiniert werden können. Wo uns das gelingt, entdecken wir im gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich viele Vorteile, die uns auch im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben lassen können. Wer das Beste aus den verschiedenen Kulturen kombinieren kann, der trägt zu unserem Zusammenhalt bei. Wenn es eine Obergrenze gibt, dann ist sie in unseren Köpfen. Es liegt dann an uns, diese Ängste in unseren Köpfen zu durchbrechen. Wie können wir das tun? Lernen wir die Menschen aus anderen Ländern kennen. Machen wir sie zu unseren Freunden. Entdecken wir, wie sie unsere Gesellschaft bereichern. Dann erkennen wir auch, dass sich unsere frühere Besorgnis langsam wie der Schaum im Bier auflöst. Martin Gillo Einheit in Vielfalt: Setzen wir alle darauf. So wird aus unserem Land ein buntes Dörfchen, das gut funktioniert und in dem alle Menschen in Frieden, Respekt und Wohlstand zusammenarbeiten und – leben können. Gauck: »Deutschsein ist das Miteinander des Verschiedenen« – 27. April Ihr Martin Gillo Die Paulskirche ist das symbolträchtigste Haus in Deutschland. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es wiederaufgebaut als »Haus aller Deutschen«. Dort hielt Bundespräsident Joachim Gauck eine Rede zum zehnten Jubiläum der START Stipendien für junge Talente mit Migrationshintergrund. Wie viele Migranten verträgt unser Land? – 13. April Immer wieder spreche ich mit Menschen in Sachsen über unsere Zukunft. Zu dieser gehört auch das konstruktive Miteinander mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen. Spätestens beim zweiten Bier taucht dann meistens die Frage auf: »Wie viel Zuwanderung verträgt eigentlich unser Land?« Hinter diesem Denken verbirgt sich die Besorgnis, dass es irgendeine obere Grenze geben könnte, über die der Ausländeranteil nicht steigen darf, ohne dass sich unsere Gesellschaft auflöst. Wie merkwürdig doch diese Frage ist. Als ob unsere geistigen und moralischen Fähigkeiten nach oben begrenzt seien. Das sind sie natürlich nicht. Ähnliche Ängste existierten schon öfters in unserer Geschichte. Als die Eisenbahn erfunden wurde, sorgten sich viele »Experten« darum, dass die hohen Geschwindigkeiten – ich glaube, sie lagen bei etwa 25 km/h – die Reisenden krank machen könnten. Heute fliegen wir beinahe mit Schallgeschwindigkeit, und wir leben gesünder als früher. Keiner der Unkenrufe erwies sich als wahr. Das Reisen in alle Welt hat uns bereichert und gebildet. Ähnlich ist es bei der Zuwanderung. Es geht nicht darum, wie viele Menschen zu uns kommen. Es geht darum, dass wir uns ihnen öffnen und sie herzlich bei uns aufnehmen. Je mehr uns das gelingt, desto leichter fällt es den Zuwanderern, sich bei uns wohl zu fühlen und hier ihre neue Heimat zu finden. Ganz automatisch werden sie auf diesem Wege unsere kulturellen Werte und Gesetze respektieren und schätzen lernen. Wenn wir schon heute genau hinschauen, werden wir erkennen, dass wir auf viele von ihnen stolz sein dürfen. Gauck fragte, was denn das Deutschsein definiere. An Äußerlichkeiten wie Herkunft oder Religion ließe sich das nicht mehr feststellen. Für ihn ist es die empfundene und tatsächliche Zugehörigkeit zu Deutschland. Bei aller Vielfalt, die unsere Gesellschaft schon kennzeichnet, ist es das »Streben der Unterschiedlichen nach Gemeinschaft«. Danke, Herr Bundespräsident. Sie haben in aller Klarheit und ohne Aufgeregtheit Deutschland auf seinem Weg zur Willkommensgesellschaft ermutigt. Ihre Worte waren klar und agitationsfrei. Gemeinschaft in Vielfalt, diese Kräfte des Zusammenhalts wollen wir gern mit befördern und dafür Mitgestalter finden und ermutigen. Ihr Martin Gillo Die soziale Eroberung der Welt – 4. Mai Als Ausländerbeauftragter beschäftige ich mich unter anderem mit der Frage, wie wir Fremdenfeindlichkeit überwinden und den Weg zur größeren Gemeinsamkeit als bisher finden können. Es scheint manchmal ein unmögliches Unterfangen. Jetzt hat uns das neue Buch eines bekannten amerikanischen Biologen ein paar Hinweise geliefert. Meine Frau sah neulich in der Stadt an einem Laternenpfahl einen Aufkleber zum deutschen Bier und fotografierte ihn spontan. Nichts ist so deutsch wie unser Bier. Und doch wurde es ursprünglich im Irak erfunden. Es ist zu uns eingewandert, und wir haben es lieb gewonnen - zu Recht. Als mir meine Frau ihr Foto zeigte, war ich begeistert. Edward Osborne Wilsons Buch heißt: Die soziale Eroberung der Welt. Im Original »The Social Conquest of Earth.« Liveright Publishing, a Division of W. W. Norton & Company, New York & London, 2012. Die deutsche Übersetzung wird wohl ein Jahr auf sich warten lassen. Genauso, wie Produkte aus aller Welt unser Leben bereichern, genauso werden das Menschen aus aller Welt tun, wenn wir ihnen eine Chance dazu geben. Wir machen uns doch auch keine Sorgen über eine Obergrenze für die Menge an Kaffee oder Tee, die wir nach Deutschland bringen. Machen wir uns also keine Sorgen über eine Obergrenze an Menschen aus anderen Ländern, die Sachsen zu ihrer Heimat wählen. Wilson schreibt, dass sich ein Teil unseres Verhaltens vor drei Millionen Jahren entwickelte. Dieses Verhalten ist auch heute noch im Althirn – also der Amygdala – festgeschrieben. Wir Menschen brauchen eine Gruppe, einen »Stamm«, dem wir angehören. Innerhalb dieses Stammes wollen wir so weit wie möglich nach vorn kommen. Und wir wollen, dass unser Stamm der Beste aller Stämme ist www.offenes-sachsen.de 208 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 209 Wir prüfen alles – 11. Mai oder wird. Dazu gehört, dass wir emotional alle Stammesmitglieder besser finden, als Angehörige jedes anderen Stammes. Das Althirn wirkt so in allen Menschen. Wir können das am Beispiel der Fußballvereine sehen. Jede Fangemeinschaft findet ihren Klub am besten. Und ist manchmal sogar bereit, gegen die Fans der anderen Klubs körperlich zu kämpfen. Ich erinnere nur an die »Ultras« von Dynamo Dresden. In der Politik treibt uns dieses Althirn zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Wie gesagt, das ist uns allen so mitgegeben. Als angeborener Instinkt oder als Prägung. Glücklicherweise gibt es noch einen zweiten Bereich im wesentlich neueren Großhirn. Dieses Neuhirn ermöglicht es uns, die instinktiven Teile unseres Althirns zu beherrschen. Wie macht es das? Unser Neuhirn schenkt uns durch die Entdeckung des verbindenden Gemeinsamen die Fähigkeit, die Abneigungen gegen Andere aus dem Althirn zu überwinden. So können wir konstruktiv mit denen zusammenzuleben, die ansonsten unsere Feinde wären. Ohne diese Fähigkeit in unserem Neuhirn hätte es unter uns Menschen nie große Gesellschaften geben können. Ohne sie wären die UNO und die Europäische Union Träume geblieben. Ein kompliziert klingender Anruf in der Geschäftsstelle. Der Anrufer klingt aufgeregt, und es ist schwer, die wichtigsten Eckdaten zu erfragen. Er betont immer wieder, wie akzeptiert und fleißig sein Schützling ist. Es geht um einen jungen EU-Bürger, der in Sachsen einen Ausbildungsvertrag unterschreiben will. Er möchte, der Ausbildungsbetrieb will ihn, die Finanzierung ist klar und die Fallmanagerin der Arbeitsagentur hat auch alles geregelt, aber: eine Bundesstelle hat die Arbeitserlaubnis verweigert, die der Anrufer beantragt hatte. Für den jungen Mann und seine Betreuer ist das schwer verstehbar. Wurde der Antrag falsch gestellt? An welchen einzelnen Angaben ist das Anliegen gescheitert? Für Laien in Sachen EU-Arbeitsrecht stellt sich alles sehr widersprüchlich dar. Europa ist wohl der Erdteil mit den meisten und blutigsten Kriegen der letzten tausend Jahre. Dieses unser Europa scheint heute als Kriegsgebiet völlig undenkbar. Doch diese neue Identität, diese neue Gemeinsamkeit, muss immer wieder gelehrt, erlernt und bewusst gemacht werden. Sonst droht das altmenschliche Erbe uns zu überwältigen und in tödliche Grabenkämpfe zu verwickeln. Nun gut, miteinander reden hilft ja immer und so rufen wir bei der Bundesstelle an. Die Damen am anderen Ende der Leitung sind freundlich und erklären, aus welchen Gründen der Antrag abgelehnt werden musste. Sie würden sogar einen erneuten Antrag bevorzugt bearbeiten. Ohne Bildung gewinnt unser Althirn Kontrolle über uns. Mit Bildung gewinnen wir mit Hilfe unseres Neuhirns Freiheit von angeborenen Ressentiments. Auch wir wollen alles richtig machen, suchen nach Material, und finden ein Merkblatt der Bundesagentur. Und wir sind wieder verwirrt. Im Merkblatt steht, dass für diesen Fall keine Arbeitserlaubnisprüfung erforderlich ist. Nutzen wir Bildung auch für unser Miteinander in Deutschland. Wir haben heute leider noch mehrere parallele Deutschlands. Doch wir brauchen keine Deutschlands der Bodenständigen, der Zugereisten, der Migranten, der Spätaussiedler oder der Forscher und Fachkräfte auf Zeit. Wir brauchen EIN DEUTSCHLAND FÜR ALLE! Fangen wir an, alle, die bei uns leben, mit Bildung und mit Herz einzuladen, Teil dieses gemeinsamen Deutschlands zu werden. Lehren und lernen wir es in unseren Schulen und im täglichen Alltag, ermutigen wir es in unseren Medien: Wer bei uns lebt, ist eingeladen, Mitbürger zu werden, sich zu uns zu bekennen, Teil von uns zu werden, ob auf Zeit oder für immer, ob als erste oder zweite Heimat. So wird uns unser Neuhirn helfen, drohende Gräben in unserer Gesellschaft endlich zu überwinden. Machen auch Sie mit! Wir alle werden gebraucht! Also alles wieder auf Null und ran an’s Telefon. Die Dame von der Bundesstelle betont: Prüfung und Bescheid des gestellten Antrag seien korrekt verlaufen. Aber im offiziellen Merkblatt der BA steht doch, dass eine Prüfung nicht benötigt wird. »Dann ist das wohl so.«, ist die Auskunft. So langsam dämmert es uns: Der Bescheid auf den Antrag war zwar vollkommen korrekt, aber der Antrag selber war vollkommen unnötig. Das hat die Behörde nicht im Blick, sie prüft alle Anträge, egal ob sie notwendig sind oder nicht. Wir haben vier Stunden benötigt, dass korrekt beschiedene Missverständnis zu klären. Es wird geprüft, was auf den Tisch kommt. Soviel ist schon sicher; alles wird gut werden mit der Lehre des jungen Mannes. Deutlich wird aber auch: Im System aus Beratung und Verwaltung ist noch viel Potential drin. Ihr Martin Gillo Ihr Martin Gillo www.offenes-sachsen.de 210 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 211 Alte Migrationszöpfe abschneiden – 25. Mai Manchmal erkennt man wichtige Chancen für gesellschaftliche Verbesserungen bei Veranstaltungen. So war das auch am vergangenen Mittwoch in Dresden. Dort fand die bisher größte deutsche Konferenz für Zuwanderung statt. Sven Morlok, der sächsische Wirtschaftsminister und der sächsische Innenminister Markus Ulbig werben schon seit über einem Jahr für die erleichterte Zuwanderung von Fachkräften aus aller Welt. Dazu gehört z.B. der erleichterte Arbeitsmarktzugang und die neu geregelten Aufenthaltsrechte für Hochqualifizierte – Verbesserungen, die besonders der Initiative des Freistaates Sachsen zu verdanken sind. Dazu gehört aber auch mehr Weltoffenheit in unserer Gesellschaft. Dass dabei auch alte Zöpfe in Frage gestellt und abgeschnitten werden können, versteht sich von selbst. Armin Laschet, ehemaliger Integrationsminister Nordrhein-Westfalens, sprach offen an, wie falsch Politik und Öffentlichkeit in der Vergangenheit mit dem Thema »Gastarbeiter« umgegangen sind. Und überhaupt, was für ein Wort: »Gastarbeiter«! Laschet kommentierte, dass nur den Deutschen einfallen würde, ihre Gäste arbeiten zu lassen. Über Jahrzehnte hinweg signalisierte Westdeutschland seiner Bevölkerung, dass die Gastarbeiter nur auf Zeit hier wären und deshalb nicht Teil der Gesellschaft werden sollten, weil sie ja »irgendwann« wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Die westdeutsche Gesellschaft hat sich dabei selbst getäuscht. Auch viele Gastarbeiter sagten sich, dass sie »vielleicht schon nächstes Jahr« wieder nach Hause gingen. Nur ihre Kinder lebten und fühlten das ganz anders. Sie wollten sich Deutschland zur Heimat machen. Das stritt man ihnen lange ab. Wo sind zu nun zu Hause? Wo liegt ihre Zukunft? Heute suchen wir Arbeitskräfte mit Köpfchen und laden sie zu uns nach Sachsen ein. Viele kommen auch zu uns, forschen an unseren Instituten, bereichern unsere Unternehmen mit internationalem Know-how. Aber kluge Köpfe wollen sich eine berechenbare Zukunft aufbauen. Wir wünschen uns, dass sie das in Sachsen tun. Aber sie könnten auch nach einiger Zeit in ein anderes Land weiterziehen. In jedem Fall aber wollen sie das selber tun – und ihre Zukunftsplanung nicht den lokalen Behörden überlassen. Zuwanderung fördern heißt also auch, als offene, respektvolle und interkulturell kompetente Gesellschaft dafür zu werben, das Zugewanderte auch bei uns bleiben. Eine solche Gesellschaft ist für mich eine Willkommensgesellschaft. Die wollen wir in Sachsen verwirklichen: mit erleichterten Zuwanderungsbedingungen, mit erleichtertem Zugang zu Daueraufenthaltsgarantien, mit menschenwürdigen, weltoffenen und respektvollen Umgangsregeln in unserer Gesellschaft. Auf der Konferenz wurden zwei alte Zöpfe benannt, die aus Sicht der Experten abgeschnitten werden sollten, wenn wir wirklich zur Willkommensgesellschaft werden wollen. Prof. Klaus Bade, Vorsitzender des deutschen Sachverständigenrates für Integration und Migration, forderte, dass zukünftig Integrationsangebote und -initiativen für alle in Deutschland lebenden Menschen gelten müssen, nicht nur für die mit Daueraufenthaltsberechtigung. Die Forscher, die Studenten, die Flüchtlinge, sie alle leben bei uns. Sollen sie wirklich auf Dauer nicht in unsere Gesellschaft integriert werden? Wollen wir wirklich so tun, als wären sie kein Teil unserer Gesellschaft? Sollen die sich wie die Gastarbeiter früher in Westdeutschland behandelt fühlen? Als Zweites ermutigte Prof. Tony Hyman die Politik während der Konferenz, in Deutschland endlich die doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen. Der Chef des Max-Planck-Instituts in Dresden warb mit viel Herz dafür, sich zur Heimat Deutschland zu bekennen, ohne sich von seiner anderen Heimat lossagen zu müssen. Seine Kinder sind in Deutschland geboren und haben hier ihre Heimat, doch ihre amerikanische Mutter könnte nie damit leben, dass sie gleichzeitig ihre amerikanische Staatsbürgerschaft aufgeben müssten. Die Kinder von Prof Hyman dürften die doppelte Staatsbürgerschaft erwerben, aber nur, bis sie 25 Jahre alt sind. Danach müssten sie sich von einer Heimat lossagen. Dieses Lossagen ist nicht in allen Ländern möglich – Marokko z.B. entlässt niemanden aus der Staatsbürgerschaft. Wollen wir wirklich, dass ein anderes Land die Entscheidung darüber treffen kann, wer zu uns gehört? Natürlich nicht. Zuletzt noch ein Wort in eigener Sache: Am 14. Mai 2012 wurde das Amt des Sächsischen Ausländerbeauftragten zwanzig Jahre alt. Wie in den meisten anderen Bundesländern soll das Amt in Sachsen umbenannt werden: Aus dem Ausländerbeauftragten soll ein Integrationsbeauftragter werden. Anfangs fand ich diese Idee toll – bis mir klar wurde, dass damit nach gegenwärtiger Definition viele ausländische Mitmenschen ausgeblendet werden könnten. Forscher und Fachkräfte z.B. sehen sich weder als Migranten, noch als zu integrieren nach den jetzigen Definitionen. Trotzdem leben sie mit uns und möchten bei uns anerkannt und respektiert werden. Deshalb freue ich mich über meinen jetzigen Titel, so wie er ist. Ihr Martin Gillo Benachteiligt Sachsen seine Forscherkinder? – 1. Juni Die bisher größte Zuwanderungskonferenz in Deutschland fand am 15. Mai 2012 in Dresden statt. Die Staatsregierung hatte eingeladen und über 350 Teilnehmer kamen. Dabei waren Mitarbeitende aus Ministerien, kommunale Ausländerbeauftragte, Vereine, Initiativen und Wirtschafts- und Forschungsunternehmen. In Vorträgen, auf Podiumsdiskussionen und in Gruppenarbeit stellten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Fragen, wie wir die Zuwanderung von Talenten aus aller Welt erfolgreich unterstützen können. Bei den Zuwanderungsgesetzen hat sich auch durch das sächsische Engagement viel getan. Ebenso wichtig ist die Öffnung unserer Bevölkerung gegenüber Menschen aus anderen Ländern, die bei uns leben. Die Anerkennung und der Respekt im Umgang mit allen bei uns lebenden Ausländern gehören ebenso dazu. Doch auch das genügt nicht. Auch viele Regelungen in Sachsen spielen eine wichtige Rolle. Diese Regeln müssen wir durchforsten. Ein Beispiel sind die Bildungsempfehlungen, die in Sachsen schon im vierten Schuljahr darüber entscheiden, ob ein Kind auf das Gymnasium darf oder nicht. Eine Bildungsempfehlung erhält ein Kind in Sachsen nur, wenn es sowohl in Deutsch als auch Mathematik eine »Zwei« erhält. www.offenes-sachsen.de 212 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 213 Was hat dieses »bewährte« System nun mit Zuwanderung von ausländischen Fachkräften zu tun? Ganz einfach: Die Sprachentwicklung von bilingualen Kindern ist bis ins Teenager-Alter langsamer als die einsprachiger Kinder. Das liegt an der Schwierigkeit, gleichzeitig zwei Sprachen auf Muttersprachenbasis zu erlernen. Ein Forscher beschrieb auf der Konferenz, welche Probleme das schaffen kann. Sein ältester Sohn bekam in der Grundschule eine Drei in Deutsch und die Lehrer verweigerten ihm „völlig korrekt“ die Bildungsempfehlung für das Gymnasium. Was tat der Forscher, um seinem Sohn dennoch das Gymnasium und das spätere Studium zu ermöglichen? In seiner Not ließ er die Intelligenz seines Sohnes an der TU Dresden feststellen. Die war sehr hoch. Mit dieser Bescheinigung bekam der Sohn dann doch die Bildungsempfehlung. Wir sehen also, dass unser System der Bildungsempfehlungen bei bilingualen Kindern scheitert. Was ist zu tun? Forscher mit Kindern werden versuchen, ihre Kinder in die beiden internationalen Schulen in Dresden und Leipzig zu schicken, mit entsprechenden Schulgebühren. Doch was macht ein Forscher mit Familie, der ein Angebot nach Chemnitz oder Zittau hat? Muss er – oder sie – notgedrungen mit der Familie in die Nähe der internationalen Schulen in Dresden oder Leipzig ziehen und täglich zur Arbeit mit dem Auto fahren? Auf der Konferenz empfahl der Forscher längeres gemeinsames Lernen bis zur sechsten Klasse – damit die bilingualen Kinder Zeit haben, aufzuholen. Gute Ergebnisse im Intelligenztest als Alternative zur deutschen »Zwei« wären ein zweiter Ansatz. Es gibt sicherlich noch viele andere Optionen. Finden wir sie. Eine erfolgreiche Fachkräftezuwanderungspolitik braucht die Abstimmung mit allen Ministerien. Auf geht’s. »Habe Mut, dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen.« Das ist einer der Kernsätze der deutschen Aufklärung. Moses Mendelssohn war einer ihrer wichtigen Denker. Sein Freund Gottfried Ephraim Lessings hat ihn als »Nathan der Weise« im gleichnamigen Stück verewigt und so auch die Vielfalt unserer eigenen kulturellen Wurzeln gewürdigt. Wollen wir weiterhin ein Land sein, das erstklassige Bildung, Kultur, Lebensqualität und Solidarität mit Älteren und Schwächeren garantiert? Dann müssen wir uns den Talenten und Perspektiven aus aller Welt öffnen. Und mit ihnen werden nicht nur Kompetenzen, sondern auch Kreativität, Offenheit für neue Lebensstile, neues Denken kommen. All das wird unser Leben und unsere Gesellschaft vielfältiger, stärker und innovativer machen. Und was ist mit unserer eigenen Identität? Erinnern wir uns nur, dass wir schon jetzt mehrere Identitäten gleichzeitig haben. Manche sehen sich gleichzeitig als Weltbürger, Europäer, Deutsche, Sachsen, Leipziger, Evangelische usw. Zu einer solchen Bestimmung der eigenen Identität gehört eine Gesellschaft, die diese Vielfalt allen zugesteht – und die dabei durch die Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zusammengehalten wird. Von der obigen Liste hätten die Nazis übrigens nur das Deutsche toleriert: Wie öde und wirklichkeitsfremd. Stattdessen gilt jetzt: Sei all das, was Du bist – und gestehe das auch Anderen zu. Ihr Martin Gillo Ihr Martin Gillo Was ist unsere Gesellschaft und wenn ja, wie viele? – 15. Juni Den Ewig-Vorgestrigen bin ich ein Dorn im Auge. Warum eigentlich? Ich werbe mit ganzem Herzen für Weltoffenheit und eine Willkommensgesellschaft in Sachsen. Das ist denen nicht Recht, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen. Die Nazis träumten im letzten Jahrhundert von Rassenreinheit, von Deutschen mit blonden Haaren und blauen Augen. Zu dumm nur, dass Hitler, Goebbels und Co. ihren eigenen Rassenkriterien nicht entsprachen. Deutschland ist schon seit Jahrtausenden eine Region, in der viele Stämme und Völker – vornehmlich aus Osteuropa kommend – ihr Glück gesucht haben. Das Ergebnis war und ist ein ständiger Wandel, eine ständige Bereicherung der hiesigen Bevölkerung und: ein erfolgreiches Land! In einer solch vielfältigen Region kann Homogenität nur sehen, wer selektiv wahrnimmt: Wer das Vielfältige ausblendet und von Zuwandernden die sofortige Assimilation fordert. Die Nationalsozialisten haben aus dieser selektiven Wahrnehmung eine grausame menschliche Selektion gemacht. Millionen Menschen wurden einer fanatischen Reinheitsidee geopfert. Welch unfassbares Verbrechen. Welche Schande. Und welch unglaublicher Verlust für unsere eigene Kultur – denken wir nur an die vielen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die unsere Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft bereichert haben und ohne die wir heute nicht wären, wer wir sind. Was tun, wenn gesuchte Fachkräfte als Flüchtlinge zu uns kommen? – 6. Juli In der letzten Woche besuchte ich wieder einige Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende in Sachsen. Mit solchen Besuchen wollen wir erfassen, wie die Unterbringung aussieht. Dabei beurteilen wir die Unterkünfte nach dem »Heim-TÜV«, der anhand von zehn Faktoren mit knapp 50 Einzelaspekten zu einer Einstufung von rot, gelb oder grün kommt. Bei diesen Besuchen sprechen wir auch mit den Asylbewerbern. Dieses Mal traf ich auf eine Reihe von Flüchtlingen aus einem asiatischen Land. Sie haben mich in ihre Wohnung eingeladen. Sie war, bei aller Dürftigkeit der Ausstattung, ordentlich und gepflegt. Die jungen Männer waren alle sauber gekleidet, sie waren höflich und aufgeschlossen. Es stellte sich heraus, dass einer der Flüchtlinge ein abgeschlossenes Technikstudium hatte. Einer war Automechaniker. Die anderen hatten Abitur. Alle strahlten eine ermutigende Offenheit aus. Eigentlich sind das doch Menschen, um deren Zuwanderung wir hier in Sachsen werben, oder? Aber auch diese acht Flüchtlinge sind bei uns zum Nichtstun verurteilt – die meisten von ihnen seit fast einem Jahr, und wahrscheinlich auch weiterhin. In dieser (Warte)zeit könnten wir ihnen doch sinnvolle Aufgaben übertragen, unabhängig von ihrem Status, einfach solange sie bei uns leben, oder? Gehören Flüchtlinge nicht dorthin, wo sie ihre Talente für und mit uns einbringen können? www.offenes-sachsen.de 214 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 215 Das würde den Flüchtlingen durch konstruktive Beschäftigungsangebote eine Chance für mehr Sinn in ihrem Leben geben. Das würde uns Geld sparen. Das würde auch zu weniger Konflikten mit der Nachbarschaft führen. Und das würde die öffentliche Meinung über Asylsuchende ändern: Kaum einer will sich nämlich in die »soziale Hängematte« legen. Sie müssen gezwungenermaßen auf unsere Kosten leben und würden lieber ihre Talente einbringen. Aber kaum einer bekommt die Chance dazu. Vor 20 Jahren hatte jemand die Idee der Vergrämung. Das heißt, Flüchtlinge sollten es bei uns möglichst unangenehm haben, in der Annahme, dass sie mit der Zeit bereit sein würden, nach Hause zurückzukehren. Doch was bedeutet das? Die Flüchtlinge sollten es bei uns schlechter haben, als in der Gesellschaft, aus der sie zu uns flohen. Diesen Gedanken sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Asylbewerber wurden zunächst in Gemeinschaftsunterkünften zusammengefasst. Nicht nur ein Bewohner einer dieser Heime bezeichnete sie als »Gefängnis ohne Gitter«. Die Lebensmittel wurden eingeschränkt. So sehr, dass sich jetzt das Bundesverfassungsgericht mit der Frage auseinandersetzte, ob das noch mit unserem Grundgesetz vereinbar ist. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit umzudenken? Glücklicherweise gibt es jetzt auch außerhalb Sachsens eine Reihe von Initiativen in dieser Richtung. Ich wünschte mir, dass der Vorschlag des ehemaligen Innenministers Wolfgang Schäuble aus dem Jahr 2006 wieder aufgegriffen wird, der allen Asylsuchenden nach einjährigem Aufenthalt den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen wollte. Der konservative niedersächsische Innenminister Schünemann hat das jetzt aufgegriffen und schlägt außerdem vor, dass den Flüchtlingen nach einem Jahr Zugang zu Sprachkursen und einer Integrationsvereinbarung gegeben werden sollte. Vielen Dank, Herr Schünemann! Wir wünschen Ihnen damit viel Erfolg, vielleicht auch bald mit Unterstützung des Freistaates Sachsen. Martin Gillo Versuchte Abschreckung von Flüchtlingen oder zwanzig Jahre deutsche Selbsttäuschung – 20. Juli Die Flüchtlingszahlen in Europa steigen wieder an. Im letzten Jahr waren es zehn Prozent Flüchtlinge, die mehr kamen. Für dieses Jahr rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit etwa 2.300 Flüchtlingen, die Sachsen zugewiesen werden. Ja, vom Bundesamt zugewiesen; denn es kommt praktisch kein Flüchtling nach Sachsen selbst. Wodurch mag dieser Anstieg begründet sein? Wie immer, gibt es verschiedene Ursachen. Da sind einmal die großen gewaltsamen gesellschaftlichen Umwälzungen im Nahen Osten oder Asien. Im Mai 2012 führten Afghanistan, Syrien und der Irak die Statistik der Herkunftsländer an. Ich vermute, dass auch die Krise in Europa mehr Flüchtlinge über ihre Außengrenze hineinströmen lässt. Griechenland hat momentan ganz andere Probleme. Da stören Flüchtlinge nur. Ich habe von Flüchtlingen gehört, die einfach auf der Straße als Obdachlose ausgesetzt wurden. Die Medien berichteten, dass rechtsradikale Gruppen auf Flüchtlinge in den griechischen Straßen Jagd machen. Kein Wunder, dass diese versuchen, in anderen europäischen Ländern Schutz zu finden. Natürlich auch in Deutschland. Wir sind in Europa nicht das Ziel Nr. 1 für die Flüchtlinge, doch wir sind unter den ersten fünf Ländern. Zum Teil sind die Heime weit abgelegen und machen es für die Bewohner sehr schwer, unsere Gesellschaft kennenzulernen und zu respektieren. Schließlich sollten wir unsere Augen nicht davor verschließen, dass sich in Heimen, in denen keine Sozialbetreuung angeboten wird, repressive Hierarchien entwickeln können: Einige wenige Bewohner tyrannisieren dann die Mehrheit, die sich anpassen muss. Geduldete dürfen auch nicht arbeiten. Wir bezahlen also ihren Lebensunterhalt, solange sie bei uns leben. Wir ärgern uns darüber, dass sie uns »auf der Tasche liegen«. Wir beklagen uns, dass die Geduldeten nur faul seien und vergessen dabei aber, dass wir selbst dafür verantwortlich sind. Wie schön kann doch selbst verursachte Schizophrenie sein. Absicht der Vergrämung ist auch, dass Flüchtlinge andere potenzielle Flüchtlinge in ihrer alten Heimat davor warnen, nach Deutschland zu kommen. Das funktioniert nicht, denn die Flüchtlinge schämen sich für ihr Pech und senden nur positive Nachrichten in die Heimat. Das Geld für die Flucht kommt oft von der eigenen Verwandtschaft, die man nicht enttäuschen möchte. Auch die Schlepper werden es tunlichst vermeiden, jemandem Deutschland auszureden. So leben viele der Asylbewerber oder Geduldeten über viele Jahre unter traurigen Umständen. Ohne Zugang zu unserer Sprache reicht es oft nur bis zum Radebrechen in Deutsch. Ihre hauptsächlichen Kontakte sind innerhalb des Heimes, wo sie sich in die wechselnden Hierarchien einfügen, um zu überleben. Wie entkommt man dem verordneten Nichtstun? Natürlich erfüllt diese Art Vergrämung nicht ihren Zweck. Die Vergrämungsstrategie gegenüber Flüchtlingen führt zu unserer selbst verursachten Schizophrenie. Auf der einen Seite verlangen wir, dass sich die Asylbewerber als dankbare und ordnungsliebende Mitbürger und Miteinwohner verhalten. Auf der anderen Seite versperren wir ihnen die Chancen, genau das zu tun. Glücklicherweise ist Sachsen auf dem Weg aus dieser Sackgasse. Familien sollen dezentral wohnen, Kinder werden vom ersten Tag an schulisch integriert. Wir haben eine Kronzeugenregelung, die es Flüchtlingen erlaubt, auch nach der Verurteilung von Verbrechern bei uns zu leben. Es gilt noch mehr zu tun. Das konservative Niedersachsen schlägt jetzt vor, auch Geduldeten einen Weg zur vollen gesellschaftlichen Integration zu eröffnen. Bravo. Bleibt zu hoffen, dass wir bald zu einem Umgang mit Asylsuchenden kommen, der unseren eigenen Werten von Ordnungsstaatlichkeit und Menschenwürde wirklich gerecht wird. Martin Gillo Wie gehen wir damit um? www.offenes-sachsen.de 216 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 217 Fremdenfeindlichkeit gleich Dummheit? – 27. August Meine klare Antwort lautet nein. Das sage ich auch aus der Erinnerung an den hohen Respekt, den wir früher unserer eigenen Religion entgegengebracht haben. Anfang August erschütterte eine furchtbare Schreckensnachricht die Welt. In den USA stürmte ein Nazi einen Sikh-Tempel. Er erschoss und verwundete dort eine große Zahl von Gläubigen. Die Polizei kam zu Hilfe und musste den Amokläufer erschießen, um das Morden zu beenden. Der Täter war am ganzen Körper tätowiert, unter anderem mit Hakenkreuzen. Es stellte sich heraus, dass er Muslime töten wollte, aus Rache für die Attacken der Al Kaida Terroristen. Nun ist es grundsätzlich falsch, unschuldige und unbeteiligte Menschen wegen verbrecherischer Handlungen anderer anzugreifen. Diese Art von selbst ernannter Selbstjustiz gehört in das Denken der Steinzeit, nicht ins Heute. Das allein wäre schon verabscheuenswürdig. Doch es wird noch abstoßender durch die schiere Dummheit des Täters, der die Sikhs mit Muslimen verwechselte. Sikhs glauben an die Gleichheit aller Menschen und an die universelle Einheit aller Menschen mit Gott. Sikhs werden in einigen Regionen der Welt verfolgt. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass es auch unter den Flüchtlingen die in Sachsen leben, eine Reihe von Sikhs gibt. Könnte es sein, dass Fremdenfeindlichkeit mit einer gewissen Art von Dummheit gleichgesetzt werden kann, wie es in diesem krassen Fall in Wisconsin offensichtlich wurde? Wir sollten uns grundsätzlich von Verallgemeinerungen fern halten. Doch ich bin mir über eins sicher: Fremdenfeindlichkeit ist oft mit fehlendem Wissen gepaart. Es fehlt das Wissen über die vielen kulturellen Reichtümer, die es in anderen Ländern und Kulturen gibt. Und dann fehlt die Bereitschaft, sich für Neues zu öffnen. Das erinnert mich an einen Spruch im Amerikanischen: Verwirre mich nicht mit Fakten. Meine Meinung habe ich schon festgelegt. Das Gleiche gilt natürlich auch für unseren Umgang mit anderen Religionen, z.B. dem Islam oder dem Buddhismus. Es kann nicht sein, dass wir die Herabschätzung, Beleidigung, Verunglimpfung anderer Religionen als Zeichen unserer offenen Gesellschaft ansehen. Deutschland ist ein Land der Vielfalt. Das hat Angela Merkel dieses Jahr klargestellt, ohne Wenn und Aber. Der gegenseitige Respekt gehört untrennbar dazu. Egal, welcher Religion ich selbst angehöre, egal ob ich mich als religionsfern und säkular sehe: Grundlage unseres Zusammenlebens ist, dass wir einander respektieren anstatt uns zu provozieren. Wenn es Einzelgruppen gibt, die die Freiheiten unserer offenen Gesellschaft zu solcherart extremen Respektlosigkeit missbrauchen wollen, dann sollten wir dagegen sichtbar protestieren und zeigen, dass wir das nicht akzeptieren. In dieser Atmosphäre der Gemeinsamkeit könnten wir uns dann auch an die Werte der Aufklärung erinnern, die zu unserem europäischen Wertekanon dazugehören. Und wir könnten bemerken, dass sich Judentum, Christentum und Islam zum gleichen Gott bekennen, den Gott Abrahams. Wir benutzen nur andere Namen für ihn: Gott, Allah, Jahwe, Elohim. An eben diese Gemeinsamkeit erinnerte uns auch eine muslimische Ministerin, die bei ihrem Amtseid den Zusatz gesprochen hat: »So wahr mir Gott helfe.« Verteidigen wir unsere Gemeinsamkeiten, dann führt unser Zusammenleben zum Zusammenwachsen. Martin Gillo Im Heim mutterseelenallein – 15. Oktober Religionen – Respektieren statt Provozieren – 21. September Bei meinen Besuchen der Asylbewerberheime Sachsens treffe ich immer wieder auch auf Menschen, die dort mutterseelenallein sind. Gehört es zum richtigen Verständnis der demokratischen Freiheiten, dass man Institutionen und Religionen verunglimpfen und mit Zynismus überschütten darf? Wenn wir uns den Umgang der Medien mit der christlichen Religion und seinen Würdenträgern in den letzten 30 Jahren anschauen, dann müsste man eigentlich erschüttert sein, wie respektlos unser Umgang mit ihnen geworden ist. Deutschland scheint auf dem Weg zur Säkularisierung zu sein. Über 300.000 Kirchenaustritte verzeichneten die beiden großen Kirchen im Jahre 2011. Kirchengebäude werden geschlossen, weil sie bei sinkenden Mitgliederzahlen nicht aufrechterhalten werden können. Sie werden in Restaurants, Kaufhäuser oder Kletterburgen umfunktioniert. Diese Säkularisierung geht einher mit einem respektloseren Umgang mit den Institutionen und Personen. Der Papst wird in beleidigender Manier dargestellt, und das scheint fast jedem in unserer Gesellschaft wegen der demokratischen Meinungsfreiheit total akzeptabel zu sein. Dass solche Extrem-Respektlosigkeit bisher gesetzlich erlaubt ist, steht außer Frage. Aber sollten wir diese Extrem-Respektlosigkeit gegenüber Religionen auch als gesellschaftlich akzeptabel ansehen? Menschen kommen aus aller Welt zu uns und suchen Hilfe aus ihrer Not. Sie kommen meist ohne Deutschkenntnisse. Auch Fremdsprachen sind für sie oft verschlossene Bücher mit sieben Siegeln. Und was, wenn es doch Gemeinsamkeiten gibt, die aber aus Sprachgründen verschlossen bleiben? Anfang Oktober besuchte ich das Asylbewerberheim in Elbisbach im Leipziger Land. Als Ausländerbeauftragter nehme ich immer zwei meiner Mitarbeiter mit, sowie eine Person mit besonderen Sprachkenntnissen. Diesmal hatten wir eine Frau dabei, die sowohl Persisch als auch Arabisch sprach. Just an dem Tag trafen wir im Heim auf einen evangelischen Pfarrer, der regelmäßig das Heim besucht und mit Christen dort Gottesdienste abhält. Wie es der Zufall so will, waren etwa acht seiner Kollegen aus der ganzen Bundesrepublik angereist und hatten eine Nacht im Heim verbracht. Sie wollten am Vormittag einen Gottesdienst mit einigen Heimbewohnern halten. Im selben Heim trafen wir auch auf eine alleinstehende Frau aus dem Irak, die nur Arabisch sprach. Sie trug ein Kettchen mit einem Kreuz am Hals. Niemand sonst im Heim konnte mit ihr in ihrer Sprache korrekt kommunizieren. Es stellte sich heraus, dass sie eine Katholikin aus dem Irak war. Jemand hatte ihr zu verstehen gegeben, dass eine Teilnahme am evangelischen Gottesdienst für sie verboten sei. Mit ein paar kurzen Sätzen konnten wir den Irrtum aufklären und sie dem Pfarrer vorstellen. www.offenes-sachsen.de 218 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 219 Selbstverständlich nahm sie dann auch am anschließenden Gottesdienst teil. leicht anfänglich auch nur auf Zeit? Denn wo ein Wille ist, da werden sich auch Wege finden. Auch das ist die Realität in unseren Asylbewerberheimen. »A mind is a terrible thing to waste.« Zu Deutsch: Menschliches Potenzial zu vergeuden ist eine schreckliche Verschwendung. Ich denke, dass es sich lohnt, auch in entlegenen Heimen die Dienste von Dolmetschern zu Rate zu ziehen, damit die Isolation der Asylsuchenden nicht noch ausgeprägter wird, als sie es schon ist. Vielleicht gibt es im Leipziger Land auch eine katholische Gemeinde, die unsere irakische Flüchtlingsfrau gelegentlich in ihre Gottesdienste einbeziehen möchte? Mit anderen Worten: Es gibt in den ländlichen Regionen echten Fachkräftemangel. Es gibt in den ländlichen Regionen akademisch gebildete Flüchtlinge, die auf Jahre nur herumsitzen sollen. Glaubt wirklich jemand, dass das gut so ist? Martin Gillo Martin Gillo Wieder einmal machtlos gegen Neonazis in Hoyerswerda? – 16. November Wenn Akademiker auch Flüchtlinge sind – 19. Oktober Flüchtlinge sind wie ungebetene Gäste. Wir haben sie nicht nach Sachsen gebeten. Sie sind in der Regel auch nicht von sich aus nach Sachsen gekommen, sondern meist in ein westdeutsches Bundesland, das sie uns weitergereicht hat. Doch sie sind nun einmal hier. So behandeln wir sie anfangs eher zurückhaltend. Einige von ihnen kommen als akademisch ausgebildete Menschen zu uns. Wir verteilen sie nach Zufallsprinzip auf über 30 Heime in unserem Bundesland. Wenn sie in eine unserer drei großen Städte kommen, dann ist das so, als wenn sie in der Lotterie gewonnen hätten, weil sie Zugang zu den vielen Verbänden und Vereinen und einer offenen Gesellschaft bekommen. Doch auch wir könnten von ihnen profitieren. So erfuhr ich vor kurzem, dass in der Dresdner Region ein akademisch gebildeter Flüchtling aus einem Bürgerkriegsland nach kurzer Zeit eine Stelle als Projektmanager bei einer internationalen Firma bekommen hat. Das nenne ich sinnvolles Handeln. Auf der einen Seite klagen wir über Mangel an Fachkräften. Auf der anderen Seite leben einige von ihnen schon in unserer Mitte. Sicher, sie kamen auf ungewöhnlichen Wegen. Und wir schauen einfach nicht hin. Das Dresdner Beispiel zeigt, dass es auch anders geht. Nehmen wir es doch als guten Weckruf für unsere Gesellschaft und für unsere Unternehmen. Wer über das typische Schicksal der bei uns lebenden akademisch gebildeten Flüchtlinge nachdenkt, könnte schnell auf die Idee kommen, sie alle in eine unserer drei großen Städte zu verlegen, statt in ländliche Gebiete. Doch auf den zweiten Blick wird man sich schnell bewusst, dass gerade die Firmen in ländlichen Regionen an Fachkräftemangel leiden. Wer also Flüchtlings-Akademiker nur in die großen Städte verlegen will, enthält der Wirtschaft in den ländlichen Regionen wichtige potenzielle Fachkräfte vor, die anderweitig vielleicht nie dorthin zu bekommen wären. Ich weiß von einem internationalen Unternehmen in Ostsachsen, das händeringend nach akademisch gebildeten Talenten sucht. Ich kenne auch eine Gruppe von akademisch gebildeten Flüchtlingen, die dort in der Region in Asylbewerberheimen leben. Wie wäre es, wenn sich die örtlichen Politiker, die Verwaltung und die lokalen Unternehmensverbände zusammentun und darüber nachdenken, in wieweit akademisch gebildete Flüchtlinge in ihrer Region der Gesellschaft – und den Unternehmen – mit ihren Talenten helfen könnten. Viel- Zwanzig Jahre ist es her, dass Neonazis in Hoyerswerda unter Beifall der Bevölkerung tagelang Ausländer verfolgten und Asylbewerberheime mit Molotowcocktails angriffen. Der Schock der Nation war groß. Die Weltöffentlichkeit hatte solche Vorkommnisse bis dahin nicht für möglich gehalten. Der Freistaat wehrte sich, so gut er konnte. Er rief eine Sonderkommission der Polizei gegen Rechtsextremismus (Soko REX) ins Leben. Der Landtag erließ ein Gesetz für einen unabhängigen Ausländerbeauftragten und der damalige Landtagsvizepräsident Heiner Sandig begann seine Arbeit vor genau 20 Jahren. Aber der Schaden für die Region und den Freistaat war gemacht und ist in der Zwischenzeit trotz aller Bemühungen bis heute noch nicht völlig überwunden. Immer noch hat das Image von Sachsen einen Hauch von Fremdenfeindlichkeit. Zum zwanzigsten Jahrestag der traurigen Wiederkehr der Unruhen gab es viele Menschen in der Region Hoyerswerda, die sich für Weltoffenheit einsetzten und dafür auch öffentlich auftraten. Diese Aktivitäten waren ein gutes Signal für die Region, für Sachsen, ja für ganz Deutschland. Und da platzt eine hässliche Nachricht aus Hoyerswerda herein, die angetan ist, den Ruf der Stadt, aber auch des Freistaates um zwanzig Jahre zurückzuwerfen. Nach einer Nachricht im MDR/dpa/Sächsischen Zeitung vom 15. November 2012 gehörte zu den engagierten Menschen für ein weltoffenes Hoyerswerda auch ein junges Pärchen, das Nazi-Aufkleber von dortigen Gebäuden entfernte. Das junge Paar wurde in seinem Haus von 15 Rechtsradikalen massiv bedroht. Anstatt dies zum Anlass zu nehmen, den Neonazis auf die Pelle zu rücken und das Pärchen effektiv zu schützen, scheint die Polizei dem Pärchen vorgeschlagen zu haben, Hoyerswerda zu verlassen, weil die Polizei sie in Hoyerswerda nicht beschützen könne. Dieser Vorschlag legt verschiedene Vermutungen nahe, die alle nicht mehr in unsere Zeit passen sollten. Sollte die Polizei des Freistaates wirklich nicht in der Lage, engagierte Anti-Nazis zu schützen? Ich denke, nicht nur der Freistaat ist hier gefordert, den Rechtsextremen wie auch der Bevölkerung deutlich zu machen, dass rechte Einschüchterung und Bedrohung im Freistaat keinen Raum erhält. Gefordert sind jetzt alle in Hoyerswerda. Wäre es nicht spätestens jetzt an der Zeit, dass sich Bürgermeister, Landrat und verschiedene Vereine und Initiativen hinter bzw. vor die Angegriffenen stellen und sich für die Solidarität der Bürgerinnen und Bürger mit ihnen einsetzen? Hier sind die Menschen in Hoyerswerda gefragt. Wollen sie sich gefallen lassen, dass einige Wenige den Ruf ihrer Stadt und damit auch ihrer selbst schädigen dürfen? www.offenes-sachsen.de 220 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 221 Offener Gruß an einen Prinzen – 14. Dezember Jetzt ist die Zeit für Solidarität! Wir wollen keine Region in unserem Land, das zu einer verbotenen »No-Go Area« für Demokraten wird und damit seine Zukunftschancen zerstört. Kein Hoyerswerda 2.0! Martin Gillo Lieber Sebastian Krumbiegel, wir kennen uns seit drei Jahren. Bewundert habe ich Deine Band seit der Wende. Ich habe damals Eure Platten meinen Freunden in den USA geschenkt. Ich wollte ihnen damit zeigen, dass auch Bands aus Deutschland echt gute Musik mit Lebensfreude und Biss machen können. Gleiche Chancen für Migranten – 30. November In vielen Bundesländern war es eine traurige Tradition, dass sich Migranten bei der Jobsuche hinten anstellen mussten. Bei der Vergabe von Arbeitsgelegenheiten wurde den Kandidaten vor Ort der Vorzug gegeben, oder Kandidaten, die über Bekanntschaften an den Job kamen. Das galt für die Arbeit in der Wirtschaft ebenso wie für Einstellungen im öffentlichen Dienst. Wie sonst kann man sich erklären, dass in Regionen, in denen Migranten über zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, der Prozentsatz der Migranten im öffentlichen Dienst weit niedriger ist? Wir Politiker brauchen da gar nicht erst den Finger des Vorwurfes heben: Seit 2010 sind 20 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund. Doch wie sieht dieser Prozentsatz bei den Bundestagsabgeordneten aus? Der Sächsische Landtag hat derzeit 134 Sitze. Nach Schätzungen des Leipziger Leibnitz-Instituts stellen Menschen mit Migrationshintergrund in Sachsen etwa vier Prozent der Bevölkerung. Und wie hoch ist der Prozentsatz bei den Landtagsabgeordneten? Du bist nicht nur Deiner Musik treu geblieben. Du engagierst Dich auch mit Herz und Hand für ein weltoffenes Deutschland. Ob bei unserem Einbürgerungsfest oder beim Treffen der START-Stiftung für die Bildungsförderung junger Migranten. Du hast den jungen und den neuen Deutschen gezeigt, wie willkommen sie bei uns sind. Deine Offenheit für Menschen aus aller Welt – ja, auch für Flüchtlinge – findet man auch in Deinen Liedern. Im Augenblick steigen die Flüchtlingszahlen auch in Deutschland wieder. Das fordert unsere Solidarität und unsere Mitmenschlichkeit: Wir müssen Plätze schaffen, an denen die Flüchtlinge leben können. Das ruft nicht nur Verständnis hervor: Wir erleben besorgte und ärgerliche Reaktionen der einheimischen Nachbarn, aber wir erleben auch unverhohlenen Fremdenhass. Du hast in diesem Zusammenhang in Deiner Heimatstadt ganz offen an die Mitmenschlichkeit appelliert und angeboten, in den Gesprächen um neue Unterkünfte für Asylsuchende dabei zu sein. Das ist bemerkenswert. Der Sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat sich gerade im Landtag offen bekannt: »Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit haben in Sachsen keinen Platz!« Deine Initiative illustriert, was das praktisch bedeutet. Um im Bereich des Arbeitslebens zu mehr Fairness zu kommen, empfiehlt es sich, bei Stellenangeboten immer zu signalisieren, dass auch Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund gewünscht sind. Die Stadt Dresden macht genau das vor. Bei allen Ausschreibungen steht immer dabei: »Wir freuen uns über Bewerbungen von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund.« Jetzt hast Du von Bundespräsident Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz erhalten. Herzlichen Glückwunsch! Es wäre schön, wenn alle öffentlichen Ausschreibungen im Freistaat diesen Satz enthalten würden. Und natürlich auch, wenn er bei allen Stellenausschreibungen der Wirtschaft in Sachsen verwendet würde. Wir brauchen Dich auf unserer Reise in die Zukunft. Schon im Jahre 2036 wird die gegenwärtige Mehrheit der Herkunftsdeutschen bei uns die Minderheit darstellen. Da ist es ratsam, Deine Offenheit schon heute allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ans Herz zu legen. Was ich hiermit tun möchte. Wo das nicht genügt, entscheiden sich Institutionen bei Einstellungsverfahren für Kandidaten bzw. Kandidatinnen mit Migrationshintergrund, wenn ein Migrant und ein Nicht-Migrant gleich qualifiziert sind. Dein Martin Gillo Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in Extremfällen von historischer Diskriminierung zum Beispiel in den USA Einstellungen nach Quote geschehen, um die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit zu überwinden. Das käme der deutschen Diskussion um Frauenquoten bei Einstellungen gleich. Ich könnte mir jedoch gut vorstellen, dass nach erfolgreicher Einführung von Frauenquoten auch der Ruf nach Migrantenquoten erhoben würde. Davon sind wir in Sachsen meilenweit entfernt. Die Stadt Dresden zeigt uns, wie ein empfehlenswerter Ansatz in Sachsen aussehen kann: »Wir freuen uns über Bewerbungen von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund.« Warum ich das alles mache – 21. Dezember Im Mittelalter beobachtet ein Reisender, wie eine Kathedrale gebaut wird. Neugierig mustert er die vielen Steinmetze und fragt einen von ihnen, was er denn mache. Der Steinmetz antwortet: »Ich schufte schon seit Sonnenaufgang an diesem Sandstein und muss mich noch bis zum Abend damit weiter plagen. So geht das tagaus, tagein.« Nachahmen ausdrücklich gewünscht. Er fragt einen Zweiten und der antwortet: »Ich bin ziemlich gut in meinem Handwerk, und dieser Stein hier, den werde ich wohl schon in drei Tagen fertig haben. Danach freue ich mich schon auf ein noch komplizierteren Stein.« www.offenes-sachsen.de 222 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 223 Er fragt einen Dritten, und der sagt: »Wir bauen hier eine Kathedrale zu Gottes Ehre. Und ich habe das Glück, dass ich mit dem, was ich kann, mithelfen darf.« Konstruktives Zusammenleben in einer weltoffenen Gesellschaft, in der ALLE eine Chance bekommen, ihre Talente zum Wohle der Gesellschaft und sich selbst einzubringen, soweit das möglich ist. Die Antworten sind alt. Ihr tieferer Sinn aber ist lebendig. Wenn mich jemand fragt, warum ich tue, was ist tue, dann folge ich dem Sinn der letzten Antwort. Genau das motiviert mich in meiner Rolle als Ausländerbeauftragter. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die übergroße Mehrheit aller Menschen sich konstruktiv in die Gemeinschaft einbringen will und das auch von den anderen annimmt. Die Welt wächst entweder zusammen – oder sie zerteilt und zerstört sich. In den 80er Jahren während des Kalten Krieges regte sich auf beiden Seiten Widerstand gegen das ewige Wettrüsten. Der Welt wurde auf einmal klar, dass die Menschheit sich durch einen nuklearen Winter selbst abschaffen würde. In dieser Situation erstarkte die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander der Nationen als Alternative zum nuklearen Tod. Als Teil dieses weltweiten Miteinanders akzeptieren wir mittlerweile, dass sich alle Länder an universelle Menschenrechte halten müssen. Völkermord am eigenen Volk, wie das in Ruanda oder in Cambodia geschah und anderen Ländern noch immer geschieht, ist unakzeptabel und muss von der Völkergemeinschaft geahndet werden. Doch darauf kann sich die Rolle der verantwortlichen Mitglieder in der Völkergemeinschaft nicht beschränken. Sie sind auch gefragt, Flüchtlingen Zuflucht zu bieten. Das gilt ganz selbstverständlich auch für Deutschland und Sachsen. Nach Schätzungen der UNO sind derzeit weltweit etwa 44 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung, vor Hunger und Umweltkatastrophen. Achtzig Prozent von ihnen finden Zuflucht in Entwicklungsländern in der unmittelbaren Nachbarschaft. Pakistan ist heute das Land, das derzeit die meisten Flüchtlinge weltweit aufnimmt. In Europa stehen im Augenblick - gemessen an der Zahl der Flüchtlinge - Großbritannien, Frankreich und Deutschland an der Spitze der Sehnsüchte nach einem besseren Leben. Wenige Länder auf der Welt haben es bisher geschafft, Fremde als positive Chance zu erkennen. Wir stehen auf diesem Weg noch ziemlich am Anfang. Bei Fremden, die sozusagen ungebeten zu uns gekommen sind, fällt uns das noch viel schwerer. Ich möchte uns in der Haltung bestärken, dass alle Menschen ein riesiges Potenzial in sich tragen, und dass es in unserem eigenen Interesse ist, sie zu ermutigen, dies auch bei uns einzubringen. Wie war das noch mit den Flüchtlingen aus dem Osten, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu uns kamen? Meine aus Danzig geflohenen Eltern erzählten, dass wir in Delmenhorst in Niedersachsen einen Vermieter hatten, der einen Zaun um seinen Birnbaum aufstellte. So wollte er verhindern, dass die Nachbarn – und wir - davon aßen. Er wollte sie alle für sich behalten. Dreimal dürfen Sie raten, ob ihm das gelungen ist. Diese Art von Ausgrenzung hat schon damals nicht funktioniert. Probieren wir es doch einfach mit konstruktivem Miteinander. Was haben wir zu verlieren, außer unseren Ängsten? Martin Gillo Und wie sollen wir mit ihnen umgehen, wenn sie bei uns angekommen sind? Genau hier beginnt meine Rolle. Ich bin der tiefen Überzeugung, das sowohl wir als auch die Flüchtlinge davon profitieren, wenn wir auf Menschenwürde und konstruktives Zusammenleben setzen anstatt auf Verelendung oder Vergrämung. Zwanzig Jahre hat Deutschland auf Verelendung gesetzt. Dahinter stand eine simple Annahme: Wenn Asylsuchende in Heimen unter miserablen Bedingungen leben müssen, wenn sie nur Essenspakete bekommen, wenn sie nur in schlimmsten Fällen zum Arzt dürfen, wenn sie nicht arbeiten und kein Deutsch lernen dürfen und wenn ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist – dann geben sie auf und gehen freiwillig in ihre Heimat zurück. Was haben wir mit dieser Strategie erreicht? Ja, viele Asylsuchende sind nach einigen Jahren zermürbt. Ja, manche suchen einen Ausweg in Alkohol oder Drogen. Und ja, eine Minderheit wendet sich auch der Aggression und der illegalen Arbeit zu. War es das, was wir wollten? Und was ist mit dem Glauben, die so »behandelten« Menschen würden ihren Familien und Freunden zu Hause schreiben, wie schlecht es ihnen hier schlecht ginge? Werden sie nicht viel eher um jeden Preis vermeiden, ihr volles Unglück einzugestehen? Ganz im Gegenteil: Die Meisten werden berichten, dass alles gut ist, um wenigstens ein letztes Stück Würde aufrechtzuerhalten. Unsere Verelendungstaktik hat versagt. Wenn ein Rezept zwanzig Jahre lang nicht funktioniert, ist es an der Zeit, ein neues zu finden. Meines heißt: www.offenes-sachsen.de 224 Jahresbericht 2012 www.offenes-sachsen.de w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 225 11. Statistik Statistiken bilden häufig die Grundlage für Entscheidungen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Für den Bereich Migration und Integration gibt es sehr unterschiedliche und teilweise nicht vergleichbare Statistiken. Die Ursache dafür liegt in der unterschiedlichen Definition der Zielgruppen der Datenerhebungen: Mal geht es um Einwanderer, mal um hochqualifizierte Zuwanderer, mal um Ausländer, Migranten oder Spätaussiedler. Je nach Definition werden unterschiedliche Personengruppen analysiert – die aber letztlich zwei Dinge gemeinsam haben: Sie leben in Deutschland und haben, direkt oder über Familienangehörige, Wurzeln auch in anderen Kulturen. Diese Gruppen zusammen zeigen, wie es um Migration und Integration in Sachsen bestellt ist. Auf Bundesebene ist der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes die wichtigste Datengrundlage im Bereich Migration und Integration. Hier bezieht das Merkmal »Migrationshintergrund« alle Menschen mit ein, die entweder selbst über eine Migrationserfahrung verfügen bzw. deren Eltern zugewandert sind. Ebenso zählen Personen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit, (Spät-) Aussiedler sowie in Deutschland Eingebürgerte dazu. Außerdem berücksichtigt der Begriff auch in Deutschland Geborene mit deutscher Staatsangehörigkeit, die zumindest einen zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil haben. 226 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Leider können wir derzeit für Sachsen im Wesentlichen nur auf Statistiken zurückgreifen, die auf dem Konzept der Staatsangehörigkeit beruhen und dementsprechend nur zwischen Ausländern und Deutschen unterscheiden. Gesamtaussagen über Personen mit Migrationshintergrund sind uns nicht möglich, weil in Sachsen das Merkmal »Migrationshintergrund« bis auf eine Ausnahme bis jetzt nicht erfasst wird. Die Ausnahme bildet der Bereich der Schulbildung, in dem das Merkmal »Migrationshintergrund« seit 2008 als freiwillige Angabe berücksichtigt wird. Nach dieser Statistik liegt ein Migrationshintergrund dann vor, wenn Kinder zwei- oder mehrsprachig aufwachsen und sie selbst oder mindestens ein Elternteil oder Großelternteil nach Deutschland zugewandert sind, ungeachtet ihrer gegenwärtigen Staatsangehörigkeit und ungeachtet des Aufenthaltsstatus. Präzise Aussagen und Prognosen brauchen vergleichbare und repräsentative Statistiken. Es wäre deshalb hilfreich, wenn künftige Erhebungen im Migrations- und Integrationsbereich in Sachsen die Definition des Merkmals »Migrationshintergrund« des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes verwenden würden. Zuwanderung Zum 31.12.2011 lebten im Freistaat Sachsen 118.525 Ausländer, das waren 2,9 Prozent 227 der 4,14 Millionen Einwohner in Sachsen. Der Ausländeranteil in Sachsen ist damit im Vergleich zum Bundesdurchschnitt (9 Prozent) sehr gering. Im Vergleich zum Ausländeranteil in anderen Bundesländern belegt Sachsen den 12. Platz. Ende 2011 sind in Sachsen etwa 180 Staatsangehörigkeiten1 vertreten. Die größte Gruppe der 2011 in Sachsen gemeldeten Ausländer ist mit etwa 9,2 Prozent die Gruppe der Vietnamesen. Stark vertreten sind auch russische Staatsbürger mit 8,3 Prozent, sowie Polen mit 7,5 Prozent. Knapp jeder dritte Ausländer in Sachsen besitzt die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates. 2011 kamen 23.290 Ausländer nach Sachsen. Davon zogen 19.671 Ausländer aus dem Ausland zu uns. 18.222 Ausländer zogen im gleichen Jahr aus Sachsen weg. Davon gingen 12.830 ins Ausland zurück.2 41,6 Prozent der Zuwanderer hatten die Staatsbürgerschaft eines EU-Landes. Die meisten von ihnen kamen aus Polen (6.710), Ungarn (3.088) und der Tschechischen Republik (2.928). Eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung untersuchte, inwieweit sich Ausländer in Grenznähe zu ihrem Heimatland niederlassen. Obwohl die meisten EU-Zuwanderer in Sachsen aus Polen kamen, stellt die Studie fest, dass Grenznähe für polnische Einwanderer kein wesentlicher Entscheidungsgrund sei. Die Neuen Bundesländer sind offensichtlich wenig attraktiv für Zuwanderer aus den Nachbarländern.3 Altersstruktur Die Bevölkerung im Freistaat Sachsen war 2011 im Durchschnitt 46,4 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der Ausländer in Sachsen lag bei 38,8 Jahren. Damit sind Ausländer im Schnitt fast acht Jahre jünger als die deutsche Bevölkerung. Über 64 Prozent 228 der ausländischen Bevölkerung in Sachsen war 2011 jünger als 45 Jahre. Der Anteil der 60-jährigen und älteren Ausländer ist mit 12,2 Prozent besonders gering. Im Vergleich: 31,6 Prozent der Sachsen sind älter als 60 Jahre. Einbürgerungen Im Berichtsjahr 2011 ließen sich insgesamt 911 Ausländer im Freistaat Sachsen einbürgern. Das entspricht 0,77 Prozent der hier lebenden Ausländer. Mit dieser Einbürgerungsquote liegt Sachsen auf dem 16. Platz im Bundesvergleich. 509 Personen lebten vor ihrer Einbürgerung bereits acht bis 15 Jahre in Deutschland. 129 der eingebürgerten Personen waren weniger als acht Jahre in Deutschland ansässig. 91 Personen lebten zum Zeitpunkt ihrer Einbürgerung bereits 20 Jahre und mehr in Deutschland.4 Bildung Im Schuljahr 2011/2012 beendeten insgesamt 22.417 Schüler ihre Schulbildung an allgemeinbildenden Schulen oder Schulen des zweiten Bildungsweges. Darunter waren 1.266 Schüler mit Migrationshintergrund. 36,5 Prozent von ihnen beendeten das Schuljahr 2011/2012 mit dem Abitur. Diese Zahl stieg im Vergleich zum Vorjahr. Von den deutschen Schüler verließen 29,3 Prozent die Schule mit diesem Abschluss. Im Wintersemester 2011/2012 studierten 11.509 ausländische Studierende an den Hochschulen in Sachsen, fast 1.000 mehr als im Vorjahr. Das waren 10,3 Prozent der Studierenden. Die Mehrheit der ausländischen Studierenden und Studienanfänger kommt aus Europa. Die meisten ausländischen StudieJahresbericht 2012 rende im Wintersemester waren aus Österreich (1.881 Personen). 1.607 Studierende kamen aus China. Im Prüfungsjahr 2011 erwarben 1.968 Absolventen mit ausländischer Staatsangehörigkeit einen Hochschulabschluss an sächsischen Hochschulen. Damit wurden fast 9 Prozent Hochschulabschlüsse von ausländischen Absolventen erreicht. Das waren 9 Prozent mehr als im Vorjahr und fünfmal so viele wie im Jahr 2000. Im Jahr 2011 haben mehr als 200 ausländische Doktoranden erfolgreich promoviert. Damit wurde jeder 7. Doktortitel in Sachsen an einen Ausländer vergeben.5 Migranten im Arbeitsmarkt Nach Angaben der Sächsischen Landesärztekammer ist die Anzahl ausländischer Ärzte von 2007 bis 2011 um 13,3 Prozent von 1.061 auf 1.620 gestiegen. Der Anteil der ausländischen Ärzte beträgt in Bezug auf die 15.569 berufstätigen Mediziner in Sachsen 9,2 Prozent6. Der Anteil von Ausländern im öffentlichen Dienst in Sachsen lag 2011 bei 0,16 Prozent. Im Kindertagesstätten- und Vorschulbereich ist er zwischen 2008 und 2011 um die Hälfte angestiegen. Daten zu Personen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst liegen nicht vor. Das Statistische Landesamt des Freistaates Sachsen und das Sächsische Existenzgründernetzwerk SEN veröffentlichen gemeinsam Zahlen und Entwicklungstrends im Gründungsbereich. 12 Prozent der 2.800 Betriebsgründungen von Einzelunternehmen erfolgten 2011 durch Ausländer7. Darunter kamen u.a. 22,8 Prozent aus Vietnam, 17,7 Prozent w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e aus Polen, 12 Prozent aus der Türkei, 4,2 Prozent aus Tschechien und Ungarn. Gesellschaftliche Partizipation Personen mit Migrationshintergrund als Mitglieder politischer Parteien, als Wähler, sowie als Abgeordnete in Parlamenten werden in Deudschland bislang kaum erfasst. Es fehlen insbesondere Daten für die kommunale Ebene. Freiwilliges und bürgerschaftliches Engagement fördert interkulturelle Lernprozesse und das Gemeinschaftsgefühl. Der Freiwilligensurvey 2009, eine repräsentative deutschlandweite Bevölkerungsumfrage zum Thema »Ehrenamt«, hat ermittelt, dass sich in Deutschland mehr als 36 Prozent der Bürger im Alter von 14 bis 99 Jahren, ehrenamtlich engagieren. Auch Personen mit Migrationshintergrund wurden in die Befragung mit einbezogen. Allerdings fehlen auch hier statistische Daten für Sachsen. 1 Informationsblatt, Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Ausgabe 2012 2 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Räumliche Bevölkerungsbewegung im Freistaat Sachsen, 31.12.2011 3 Wo leben welche Migranten? Eine Analyse mit Kreisdaten, Verf. Robert Lehmann und Wolfgang Nagl, Doktoranden der Dresdner Niederlassung des ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V., Serie ifo Dresden berichtet 6/2012 4 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Einbürgerungen im Freistaat Sachsen, 31.11.2011 5 Statistisches Landesamt, Medieninformation vom 15.11.2012 6 Ärzteblatt der Ärzteschaft, Weniger niedergelassene Ärzte in Sachsen, 21.02.2012 7 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Betriebsgründungen in Sachsen, Ausgabe 2012 229 1. Bevölkerung in Sachsen b) Zu- und Fortzüge des Freistaates Sachsen über die Landesgrenze 1990 bis 2011 nach Deutschen und Ausländern a) Übersicht mit Ausländeranteil1) Jahr Überschuss der Zu- bzw. Fortzüge (-) gesamt Deutsche Ausländer gesamt Deutsche Ausländer gesamt Deutsche Ausländer 1990 43.473 25.362 18.111 161.038 120.226 40.812 -117.565 -94.864 -22.701 1991 46.935 37.136 9.799 97.954 84.302 13.652 -51.019 -47.166 -3.853 1992 61.523 44.027 17.496 74.377 62.632 11.745 -12.854 -18.605 5.751 1993 68.678 46.200 22.478 65.538 51.863 13.675 3.140 -5.663 8.803 1994 75.951 49.410 26.541 64.279 48.771 15.508 11.672 639 11.033 48.703 36.717 69.952 48.971 20.981 15.468 -268 15.736 48.425 33.673 73.574 46.904 26.670 8.524 1.521 7.003 46.802 29.716 75.421 47.885 27.536 1.097 -1.083 2.180 42.966 23.509 77.721 52.571 25.150 -11.246 -9.605 -1.641 3.143 Zuzüge Stand Quelle 4.137.051 (100 %) Dez 11 StaLa 89.136 (2,15 %) Dez 11 AZR 118.525 (2,86 %) Dez 11 StaLa Asylbewerber 2.178 Dez 11 SMI2) Geduldete 2.506 Dez 11 SMI2) 1995 85.420 StaLa 1996 82.098 AZR 1997 76.518 1998 66.475 Gesamtbevölkerung Ausländeranteil Zusatzinformationen Ausländische Studierende Bürger der Europäischen Union 11.509 28.410 WS 2011/2012 Dez 11 Abkürzungen: AZR Ausländerzentralregister BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge StaLa Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen SMI Sächsisches Staatsministerium des Innern WS Wintersemester 1) Die Zahl der Ausländer in Sachsen wird, je nach Quelle, unterschiedlich angegeben. Das Melderegister des Statistischen Landesamtes Kamenz und das AZR beim Bundesverwaltungsamt in Köln, geführt vom BAMF, sind zwei unterschiedliche Verwaltungsregister mit eigenständigen Rechtsgrundlagen und Quellen. Sie enthalten unabhängig voneinander Informationen. Die Angaben des Statistischen Landesamtes ergeben sich aus den Vorgaben zur Bevölkerungsfortschreibung. Basis für die jetzige Fortschreibung des Statistischen Landesamtes ist die zum 3. Oktober 1990 aus dem Zentralen Einwohnerregister für jede Gemeinde ermittelte Anzahl der Einwohner. Zur Übermittlung von Daten an das AZR sind die Ausländerbehörden, die für die Erteilung von Visa zuständigen Behörden, die Bundespolizei, das BAMF, die Staatsangehörigkeitsbehörden und andere Behörden verpflichtet (vgl. § 6 Abs. 1 Ausländerzentralregistergesetz). Das AZR erfasst Daten der Ausländer, die sich länger als drei Monate in Deutschland aufhalten. Für die Erfassung in der Bevölkerungsstatistik gilt keine allgemeine Mindestaufenthaltsdauer. Erfasst werden alle Personen, die sich bei den Meldebehörden angemeldet haben. So werden beispielsweise auch Personen erfasst, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten wie Besucher, Saisonarbeiter usw. 2) Daten basieren auf der monatlichen Unterbringungsstatistik des SMI Fortzüge 1999 65.918 41.123 24.795 76.580 54.928 21.652 -10.662 -13.805 2000 64.737 42.786 21.951 81.630 61.050 20.580 -16.893 -18.264 1.371 2001 64.840 42.339 22.501 88.604 69.893 18.711 -23.764 -27.554 3.790 2002 64.785 41.753 23.032 81.290 63.754 17.536 -16.505 -22.001 5.496 2003 65.650 43.696 21.954 74.648 56.633 18.015 -8.998 -12.937 3.939 2004 64.958 44.073 20.885 75.102 53.965 21.137 -10.144 -9.892 -252 2005 62.607 44.602 18.005 68.860 52.739 16.121 -6.253 -8.137 1.884 1.350 2006 61.799 44.131 17.668 70.109 53.791 16.318 -8.310 -9.660 2007 61.299 44.395 16.904 72.446 56.016 16.430 -11.147 -11.621 474 2008 63.799 46.274 17.525 76.318 57.636 18.682 -12.519 -11.362 -1.157 2009 66.244 46.791 19.453 74.111 53.893 20.218 -7.867 -7.102 -765 2010 67.439 46.919 20.520 70.994 50.961 20.033 -3.555 -4.042 487 2011 74.188 50.898 23.290 70.536 52.314 18.222 3.652 -1.416 5.068 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 01.01.2012 Zu- und Fortzüge über die Landesgrenze 2011 80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0 -10.000 74.188 70.536 50.898 23.290 5.068 -1.416 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 230 18.222 3.652 Zuzüge Jahresbericht 2012 Gesamt Deutsche Ausländer 52.314 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e Fortzüge Überschuss der Zu- bzw. Fortzüge (-) 231 c) Deutsche und ausländische Bevölkerung nach Landkreisen und kreisfreien Städten 2. Ausländer in Sachsen Kreisfreie Städte a) Ausländische Bürger nach Herkunftsland Gesamtbevölkerung Deutsche Ausländer Ausländeranteil in % Nr. Gesamt Anteil in % 1 Herkunftsland Vietnam 8.197 9,2 8,3 Chemnitz 243.173 231.253 11.920 4,9 2 Russische Föderation 7.417 Dresden 529.781 504.157 25.624 4,9 3 Polen 6.710 7,5 Leipzig 531.809 499.909 31.900 6,0 4 Ukraine 6.223 7,0 5 Türkei 3.829 4,3 6 China 3.571 4,0 7 Ungarn 3.088 3,5 8 Tschechische Republik 2.928 3,3 Indien 2.019 2,3 1.951 2,2 Landkreise Gesamtbevölkerung Deutsche Ausländer Ausländeranteil in % Bautzen 318.618 313.398 5.220 1,6 9 Erzgebirgskreis 363.741 359.652 4.089 1,1 10 Irak Görlitz 273.511 267.376 6.135 2,2 11 Italien 1.874 2,1 Leipzig 265.250 261.290 3.960 1,5 12 Griechenland 1.642 1,8 Meißen 251.328 244.820 6.508 2,6 13 Vereinigte Staaten von Amerika 1.593 1,8 Mittelsachsen 324.904 319.480 5.424 1,7 14 Bulgarien 1.580 1,8 Nordsachsen 204.161 200.094 4.067 2,0 15 Rumänien 1.564 1,8 Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 250.860 246.587 4.273 1,7 16 Kasachstan 1.438 1,6 Vogtlandkreis 241.643 237.933 3.710 1,5 17 Österreich 1.359 1,5 Zwickau 338.272 332.577 5.695 1,7 18 Serbien 1.178 1,3 19 Portugal 1.137 1,3 20 Frankreich 1.123 1,3 21 Pakistan 1.082 1,2 22 Afghanistan 1.071 1,2 23 Slowakei 1.039 1,2 24 Großbritanien, Ver. Königreich 937 1,1 25 Iran 902 1,0 restliche Staaten 23.684 ≈ 26.5 Gesamt 89.136 100,0 Direktionsbezirke Gesamtbevölkerung Ausländeranteil in % Deutsche Ausländer Chemnitz 1.511.733 1.480.895 30.838 2,0 Dresden 1.624.098 1.576.338 47.760 2,9 Leipzig 1.001.220 961.293 39.927 4,0 Sachsen 4.137.051 4.018.526 118.525 2,9 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 31.12.2011, sowie eigene Berechnungen Deutsche und ausländische Bevölkerung nach Landesdirektionen LD Chemnitz LD Dresden LD Leipzig 0 232 Deutsche Ausländerzentralregister, 31.12.2011 1.480.895 30.838 1.576.338 47.760 961.293 39.927 Ausländer 100 % Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 233 b) Bürger der Europäischen Union Mitgliedstaaten 2005 c) Zuzug jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion (§ 23 Abs. 2 AufenthG) 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Jahr Zugänge 1.051 1.200 121 132 164 138 134 144 155 2002 Bulgarien1) - - 1.408 1.380 1.399 1.461 1.580 2003 816 1.000 Dänemark 102 105 108 107 103 103 109 2004 544 800 86 86 102 101 99 111 141 2005 387 600 Belgien Estland 145 139 150 155 146 148 166 2006 71 400 1.025 1.020 1.170 1.191 1.070 1.041 1.123 2007 267 200 1.642 2008 285 0 2009 84 2010 102 2011 82 Finnland Frankreich Griechenland 1.647 1.596 1.551 1.484 1.420 1.482 Großbritanien, Vereinigtes Königreich 803 809 899 944 902 905 937 Irland 129 134 163 177 141 133 160 Italien 1.874 1.862 1.784 1.877 1.794 1.779 1.884 Lettland 196 204 202 191 211 289 344 Litauen 302 335 373 368 374 422 448 13 15 18 18 18 19 24 3 3 3 4 4 4 6 Luxemburg Malta Niederlande Österreich 523 540 635 664 662 692 722 1.102 1.103 1.178 1.269 1.288 1.355 1.359 Polen 5.647 5.751 Portugal 6.196 5.982 5.994 6.241 6.710 1.282 1.147 1.173 1.177 1.105 1.053 1.137 Rumänien - - 1.082 1.072 1.113 1.255 1.564 Schweden 142 154 170 163 894 154 148 Slowakei 824 781 879 849 157 920 1.039 59 69 82 77 72 69 81 599 625 712 709 653 687 723 Slowenien Spanien 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Sächsisches Staatsministerium des Innern d) Alter und Geschlecht Gesamt 0 bis unter 18 Jahre Deutsche Ausländer Ausländeranteil in % 557.175 545.503 11.672 2,1 1.037.508 982.392 55.116 5,3 40 bis unter 65 Jahre 1.528.118 1.485.476 42.642 2,8 65 Jahre und älter 1.014.250 1.005.155 9.095 0,9 Gesamt 4.137.051 4.018.526 118.525 2,9 18 bis unter 40 Jahre Statistisches Jahrbuch Sachsen 2012 sowie eigene Berechnungen Alter Ausländer Tschechische Republik (inkl. ehemalige Tschechoslowakei) 2.450 Ungarn 2.795 2.731 2.745 2.722 2.834 3.018 3.088 Zypern 39 34 41 29 31 32 37 21.896 21.685 25.674 25.387 25.258 26.416 28.410 Gesamt Zuzug judischer Immigranten 2002–2011 2.388 2.593 2.622 2.655 2.794 3.093 Deutsche 0 bis 18 bis 40 bis 65 Jahre unter unter unter und älter 18 Jahre 40 Jahre 65 Jahre Ausländerzentralregister, 31.12.2011 1) EU-Beitritt 2007 Statistisches Jahrbuch Sachsen 2012 sowie eigene Berechnungen 234 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 235 Geschlecht f) Ausgewählte Aufenthaltstitel 50.000 Aufenthaltstitel 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Niederlassungserlaubnis 3.313 6.723 10.824 14.725 17.287 18.857 20.466 14.538 22.631 25.375 25.656 26.007 25.868 23.556 4.148 3.583 2.965 2.488 2.146 1.838 1.369 Unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach AuslG 1990 18.802 16.266 13.112 10.208 8.275 6.983 5.769 Befristete Aufenthaltserlaubnis nach AuslG 1990 10.755 5.228 2.275 1.466 979 795 672 Aufenthaltsbewilligung nach AuslG 1990 3.260 1.537 1.205 153 166 183 182 Aufenthaltsbefugnis nach AuslG 1990 1.397 382 161 15 15 12 12 EU-Aufenthalt2) 3.811 6.480 9.484 10.974 12.166 13.709 15.568 Unbefristete EG-Aufenthaltserlaubnis nach AufenthG/ EWG 1980 2.137 2.026 1.911 1.802 1.722 1.660 1.611 Befristete EG-Aufenthaltserlaubnis nach AufenthG/ EWG 1980 5.638 4.120 3.389 2.825 1.957 1.522 1.417 Duldung1) 4.045 3.976 3.409 2.916 2.611 2.772 2.824 Aufenthaltsgestattung1) 3.157 2.396 1.899 2.916 1.562 1.375 1.776 40.000 30.000 Aufenthaltserlaubnis 20.000 Aufenthaltsberechtigung nach AuslG 1990 10.000 0 2006 2007 2008 2009 ausländische Männer 2010 2011 ausländische Frauen Ausländerzentralregister, 31.12.2011 e) Aufenthaltsdauer ausgewählter Staatsangehörigkeiten darunter Staatsangehörigkeit Ausländer gesamt Vietnam Polen Türkei Russische Ukraine Föderation unter 1 Jahr 9.437 175 695 223 267 584 1 bis 4 Jahre 16.288 622 1.158 454 701 948 4 bis 6 Jahre 7.420 413 748 267 494 624 6 bis 8 Jahre 7.964 441 712 329 754 1.163 8 bis 10 Jahre 9.233 589 524 439 1.199 1.345 10 bis 15 Jahre 16.965 1.641 818 843 2.259 1.972 15 bis 20 Jahre 9.852 1.561 576 744 501 512 20 Jahre und mehr 11.977 2.755 1.479 530 48 269 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Statistisches Jahrbuch Sachsen 2012 Ausländerzentralregister, Stand jeweils zum 31.12. 1) Keine Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG 2) EU-Aufenthaltsrechte nach dem FreizügG/ EU (mit EU-Recht bis 27.08.2007) 236 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 237 g) Ausgewählte Aufenthaltstitel nach Merkmalen in den Kreisfreien Städten Dresden Paragraph Merkmal 18 AufenthG Beschäftigung 16 14 8 Abs. 3 keine qualifizierte Beschäftigung1) 67 77 22 Abs. 4 Satz 1 qualifizierte Beschäftigung nach Rechtsverordnung2) 758 Leipzig h) Asylbewerber (Antragstellung, Entscheidung) 378 Chemnitz 83 gestellte Asylanträge (gesamt) 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 1.826 1.500 1.475 1.353 1.561 2.305 2.475 davon aus Afrika 244 367 173 188 180 186 643 Europa 736 496 273 232 326 1.126 659 5 1 5 4 3 2 2 823 812 1.012 926 1.046 988 1.162 18 9 12 3 6 3 9 1.323 1.103 941 1.075 1.264 1.940 2.128 503 397 534 278 297 365 347 2.337 1.410 1.376 968 1.297 2.706 2.073 Amerika 18a AufenthG Abs. 4 Satz 2 qualifizierte Beschäftigung im öffentlichen Interesse3) Abs. 1 Buchstabe a) qualfizierte Geduldete mit Abschluss in Deutschland 5 23 - Staatenlos/Ungeklärt davon Erstanträge - 1 - 77 13 1 19 AufenthG Hochqualifizierte 20 AufenthG Forscher 4 48 - 21 AufenthG selbstständige Tätigkeit - 7 - Abs. 1 selbstständige Tätigkeit – wirtschaftliches Interesse Abs. 2 selbstständige Tätigkeit – völkerrechtliche Vergünstigung 2 Abs. 4 3 Jahre selbstständige Tätigkeit 5 50 - Abs. 5 freiberufliche Tätigkeit 30 89 1 991 749 115 Insgesamt Asien 27 42 - davon Folgeanträge Entscheidungen über Asylanträge (gesamt) davon Anerkennung (Art. 16a GG) 19 10 5 4 4 12 10 Abschiebeschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG) 58 63 225 303 153 153 143 Abschiebungsverbot festgestellt (§ 60 AufenthG) 31 34 15 24 50 130 88 Ablehnungen 7 - 1.418 829 677 313 619 1.707 1.228 Sonstige Verfahrenserledigungen (gesamt) 811 474 454 324 471 704 604 Formelle Entscheidungen (z.B. bei Rücknahme) 311 271 164 154 255 451 310 kein weiteres Verfahren durchgeführt 500 300 290 170 216 253 282 411 531 642 1.034 1.270 836 1.263 aufgrund von Folgeanträgen 115 148 201 210 213 184 179 aufgrund von Erstanträgen 296 383 441 824 1.057 652 1.084 Anhängige Verfahren (gesamt) davon Ausländerzentralregister, 31.12.2011 sowie eigene Berechnungen 1) Die entsprechenden Berufsgruppen sind in § 17–24 Beschäftigungsverordnung genannt. 2) Die entsprechenden Berugsgruppen sind in § 26–31 Beschäftigungsverordnung genannt. 3) Insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 238 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 239 i) Asylbewerberzugänge und Abschiebungen Jahr Zugänge 1999 6.537 Binationale Eheschließungen nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten der Ehepartner Abschiebungen Ehefrau Ausländerin Ehemann deutsch 1.576 2000 5.167 2.315 2001 6.320 1.698 2002 5.453 1.162 2003 3.713 1.221 2004 2.779 1.641 2005 1.704 1.421 2006 1.406 1.268 2007 1.117 672 2008 1.302 731 2009 1.686 596 2010 2.517 789 2011 2.695 929 Insgesamt j) Eheschließungen Eheschließungen 2007 bis 2011 nach der Staatsangehörigkeit der Ehepartner Davon insgesamt zwischen Deutschen absolut % zwischen oder mit Ausländern absolut % beide Ehepartner Ausländer absolut 535 darunter Sächsisches Staatsministerium des Innern, 31.12.2011 Jahr Eheschließungen % Frau Deutsche, Mann Ausländer absolut % Mann Deutscher, Frau Ausländerin absolut Ehemann Ausländer Ehefrau deutsch Insgesamt Eheschließungen 358 darunter Russische Föderation 86 Türkei 46 Polen 56 Österreich 19 Ukraine 53 Indien 20 Tschechische Republik 35 Vereinigtes Königreich 11 Thailand 20 Vereinigte Staaten von Amerika 16 Taiwan 6 Frankreich 13 Vietnam 11 Tunesien 15 Bulgarien 8 Italien 13 Türkei 5 Schweiz 11 Weissrussland, Belarus 7 Irak 5 Österreich 11 Kosovo 6 Rumänien 11 Russische Föderation 15 China 23 Libanon 7 Slowakei 7 Pakistan 10 Ungarn 3 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 31.12.2011 % 2007 16.965 16.007 94,4 958 5,6 42 4,4 428 44,7 488 50,9 2008 17.397 16.600 95,4 797 4,6 50 6,3 349 43,8 398 49,9 2009 17.585 16.633 94,6 952 5,4 50 5,3 390 41 512 53,8 2010 18.391 17.459 94,9 932 5,1 44 4,7 396 42,5 492 52,8 2011 17.580 16.642 94,7 938 5,3 45 4,8 358 38,2 535 57,0 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Statistisches Jahrbuch 2012 240 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 241 k) Kinder in Kindertageseinrichtungen nach Migrationshintergrund1) Ausländisches Herkunftsland mindestens eines Elternteils 151.310 9.829 6,1 105.584 98.949 6.635 6,3 Gesamt 266.723 250.259 16.464 6,2 Gesamt Freien Waldorfschulen 161.139 Hort allgemein bildenden Förderschulen Krippe/ Kindergarten 13.018 12.867 6.367 3.510 2.298 662 30 151 10.714 5.579 2.789 1.812 514 20 93 Anteil in % Nationalität Davon an Gymnasien ja Mittelschulen nein Grundschulen Gesamt Allgemein bildende Schulen Merkmal Schulen des zweiten Bildungsweges l) Schüler mit Migrationshintergrund an allgemein bildenden Schulen und Schulen des zweiten Bildungsweges im Schuljahr 2011/2012 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 01.03.2012, sowie eigene Berechnungen Europa davon 10.807 Europäische Union Anzahl der Kinder mit Migrationshintergrund, in deren Familie vorranging Deutsch gesprochen wird 8.797 5.193 7.667 Belgien 16 16 2 2 8 - 4 - Bulgarien 65 65 33 24 7 1 - - Dänemark 9 9 4 3 2 - - - 9.436 9.364 5.019 2.405 1.511 429 - 72 Estland 9 8 3 2 3 - - 1 Finnland 4 4 1 2 1 - - - 52 49 21 12 16 - - 3 121 120 46 39 27 6 2 1 77 76 27 7 38 - 4 1 Deutschland 4.636 3.604 3.031 Frankreich Griechenland Krippe/Kindergarten Hort ja gesamt Großbritanien, Ver. Königreich nein Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 01.03.2012 1) Im Bereich Kindertagesstätten gilt die ausländisches Herkunft mindestens eines Elternteils als Migrationshintergrund des Kindes. Die aktuelle Staatsangehörigkeit der Eltern ist dabei nicht maßgeblich. Außerdem wird erhoben, ob in der Familie vorrangig Deutsch oder eine andere Sprache gesprochen wird. Irland 3 3 2 1 - - - - Italien 83 83 36 26 18 3 - - Lettland 22 22 12 7 3 - - - Litauen 26 26 11 7 8 - - - Luxemburg 4 3 - 1 2 - - 1 Malta 1 1 1 - - - - - Niederlande 51 50 18 7 22 1 2 1 Österreich 33 31 14 2 15 - - 2 Polen 313 309 103 110 51 38 7 4 Portugal 49 49 18 19 7 5 - - Rumänien 59 59 28 19 7 5 - - Schweden 10 10 4 1 5 - - - Slowakei 64 63 26 21 8 8 - 1 6 6 4 - 2 - - - Slowenien 242 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 243 Ungarn Schulen des zweiten Bildungsweges Freien Waldorfschulen Tschechische Republik m) Absolventen / Abgänger an allgemein bildenden Schulen und Schulen des zweiten Bildungsweges 2011 /2012 allgemein bildenden Förderschulen Spanien Davon an 48 48 26 8 13 - 1 - 184 182 97 42 25 18 - 2 62 58 23 22 13 - - 4 Gymnasien Mittelschulen Gesamt Grundschulen Nationalität Allgemein bildende Schulen (noch: Schüler mit Migrationshintergrund an allgemein bildenden Schulen und Schulen des zweiten Bildungsweges im Schuljahr 2011/2012) Abschlussart Absolventen/Abgänger darunter mit Migrationshintergrund Ohne Hauptschulabschluss 2.259 148 Hauptschulabschluss 2.410 160 Realschulabschluss 11.079 496 Allgemeine Hochschulreife 6.669 462 Insgesamt 22.417 1.266 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen Schulabschlüsse im Jahr 2011 nach Abschlussarten davon übriges Europa 2.211 2.153 788 721 486 148 10 58 Afrika 234 228 105 68 36 19 - 6 Amerika 281 276 96 75 96 6 3 5 2.616 2.537 767 666 961 138 5 79 Australien 16 16 9 1 6 - - - Sonstige1) 33 33 17 10 3 3 - - 16.198 15.957 7.361 4.330 3.400 828 38 241 Asien Insgesamt Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 1) staatenlos, ungeklärte Staatsangehörigkeit oder ohne Angabe Absolventen ohne Migrationshintergrund 9,98 % 29,35 % Realschulabschluss Allgemeine Hochschulreife 10,64 % Hauptschulabschluss 50,04 % ohne Hauptschulabschluss Absolventen mit Migrationshintergrund Anmerkung: Daten zu Schülern mit Migrationshintergrund erfasst das Statistische Landesamt seit dem Schuljahr 2008/2009. 11,7 % 36,5 % Realschulabschluss Allgemeine Hochschulreife 12,6 % Hauptschulabschluss 39,2 % ohne Hauptschulabschluss Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, eigene Berechnungen 244 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 245 n) Studierende an Hochschulen von 1993 bis 2011 Jahr insgesamt o) Studenten im Wintersemester 2011/2012 Ausländer Anteil in % Studierende (gesamt) Deutsche Studenten Ausländische Studenten 1993 58.746 2.917 5,0 1994 63.549 3.043 4,8 Universitäten 1995 67.231 3.332 5,0 Universität Leipzig 26.401 23.982 2.419 1996 70.574 3.559 5,0 Technische Universität Dresden 34.010 30.482 3.528 1997 73.544 3.825 5,2 Technische Universität Chemnitz 10.631 9.795 836 1998 76.678 4.242 5,5 TU Bergakademie Freiberg 5.502 4.952 550 1999 80.171 4.674 5,8 Internationales Hochschulinstitut Zittau 267 149 118 2000 84.516 5.228 6,2 Handelshochschule Leipzig 365 261 104 2001 90.162 6.151 6,8 Dresden International University 2002 96.241 7.307 7,6 zusammen 2003 103.003 8.303 8,1 2004 106.552 9.092 8,5 2005 107.792 9.518 8,8 2006 106.776 10.024 9,4 2007 107.576 10.115 9,4 2008 107.355 10.083 9,4 2009 109.363 10.506 9,6 2010 109.761 10.734 9,8 2011 111.635 11.509 10,3 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen sowie eigene Berechnungen 1.077 937 140 78.253 70.558 7.695 Hochschule für Bildende Künste Dresden 613 557 56 Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig 571 481 90 Hochschule für Musik und Theater Leipzig 830 557 273 Hochschule für Musik Dresden 507 330 177 Palucca Schule Dresden – Hochschule für Tanz 163 105 58 Kunsthochschulen Hochschule für Kirchenmusik Dresden 24 24 - 2.708 2.054 654 Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (FH) 5.339 5.145 194 Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (FH) 6.612 5.867 745 Hochschule Mittweida (FH) 6.042 4.438 1.604 Hochschule Zittau/Görlitz (FH) 3.580 3.248 332 Westsächsische Hochschule Zwickau (FH) 5.032 4.892 140 61 61 - 780 719 61 zusammen Fachhochschulen (ohne Verwaltungsfachhochschulen) Europa Fachhochschule Fresenius, Außenstelle Zwickau Deutsche Telekom Hochschule für Telekommunikation Leipzig (FH) 246 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 247 (noch: Studenten im Wintersemester 2011/2012) Ausländische Studenten nach Fächergruppen Studierende (gesamt) Deutsche Studenten Ausländische Studenten 3.244 Fachhochschulen (ohne Verwaltungsfachhochschulen) Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit Dresden (FH) 552 Evangelische Hochschule Moritzburg 88 88 - Fachhochschule Dresden – Private FH 40 38 2 1.714 1.472 1.420 52 95 29.628 26.468 3.160 Hochschule der Sächsischen Polizei Rothenburg 406 406 - Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung Meißen 640 640 - zusammen 1.046 1.046 - Insgesamt: 111.635 100.126 11.509 AKAD. Die Privathochschulen. Fachhochschule Leipzig zusammen 30 793 582 Verwaltungsfachhochschulen 1.684 Sprach- und Kulturwissenschaften Mathematik, Naturwissenschaften Kunst, Kunstwissenschaften Humanmedizin/ Gesundheitswissenschaften 3.324 Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften Sport Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Wintersemester 2011/2012 Ausländische Studenten nach Kontinenten Europa 4.068 3 Afrika Amerika 473 17 6 Ausländische Studenten nach Hochschulen Ingenieurwissenschaften Veterinärmedizin 736 Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 41 105 471 Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Australien/Ozeanien Asien 6.206 Staatenlos Ungeklärt 7.695 654 3.160 Universitäten Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Wintersemester 2011/2012 Fachhochschulen Kunsthochschulen Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Wintersemester 2011/2012 248 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 249 p) Ausländische Auszubildende nach Herkunft, Ausbildungsbereichen und Geschlecht q) Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit Erwerbstätigkeit davon im Ausbildungsbereich Kontinent insgesamt Industrie und Handel Handwerk Landwirtschaft Öffentlicher Dienst Freie HausBerufe wirtschaft insgesamt Europa EU-Länder übriges Europa Art der Beschäftigung1) Gesamt Deutsche Ausländer Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 19.917 144 Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden 2.402 8 295.878 2.419 46 284 176 83 - 2 23 - Verarbeitendes Gewerbe 120 73 38 - - 9 - Energieversorgung 12.079 - Wasserversorgung, Abwasser/Abfall, Umweltverschmutzung 15.534 86 100.766 1.452 185.327 1.886 164 103 45 - 2 14 Afrika 16 15 - - - 1 - Baugewerbe Amerika 19 15 3 - 1 - - Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz - Verkehr und Lagerei 74.154 809 41.834 2.910 504 Asien Australien Übrige1) Insgesamt 99 72 20 - - 7 1 - 1 - - - - Gastgewerbe 10 7 1 - - 2 - Information/Kommunikation 32.535 - Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 29.647 122 Grundstücks- und Wohnungswesen 14.145 130 Freiberufl., wissenschaftl. u. techn. Dienstleistungen 69.057 1.444 Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen 110.691 2.411 Öffentl. Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung 94.404 149 Erziehung und Unterricht 81.917 1.479 Gesundheits-/Sozialwesen 429 285 108 - 3 33 männlich Europa 144 94 49 - - 1 - EU-Länder 59 35 24 - - - - übriges Europa 85 59 25 - - 1 - Afrika 7 7 - - - - - Amerika 11 8 2 - 1 - - Asien 56 43 12 - - 1 - Australien 1 - 1 - - - - Übrige1) 2 2 - - - - - 221 154 64 - 1 2 - Zusammen weiblich Europa 140 82 34 - 2 22 - EU-Länder 61 38 14 - - 9 - übriges Europa 79 44 20 - 2 13 - Afrika 9 8 - - - 1 - Amerika 8 7 1 - - - - 43 29 8 - - 6 - - - - - - - - Asien Australien Übrige 1) Zusammen 8 5 1 - - 2 - 208 131 44 - 2 31 - Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 31.12.2011 1) ohne Angabe 250 Jahresbericht 2012 187.794 2.336 Kunst, Unterhaltung und Erholung 14.595 725 Erbringung sonstiger Dienstleistungen 44.782 559 522 16 Exterritoriale Organisationen und Körperschaften 13 * Keine Angabe 13 - 1.753 * 1.429.759 19.635 Private Haushalte mit Hauspersonal, Dienstleistung und Herstellung von Waren privater Haushalte keine Zuordnung möglich Insgesamt Bundesagentur für Arbeit: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (SvB) nach ausgewählten Merkmalen, 31.12.2011, eigene Berechnungen *) Aus Datenschutzgründen und Gründen der statistischen Geheimhaltung werden Zahlenwerte <3 und Daten, aus denen sich rechnerisch eine Differenz ermitteln lässt, mit * anonymisiert. Gleiches gilt, wenn in einer Region weniger als 3 Betriebe ansässig sind oder einer der Betriebe einen so hohen Beschäftigungsanteil auf sich vereint, dass die Beschäftigungszahl praktisch eine Einzelangabe über den Branchenführer darstellt (Dominanzfall). (Bundesagentur für Arbeit) 1) Eine Auswertung der SvB in Arbeitszeit, Qualifikation und Beruf kann seit dem Stichtag 30.06.2011 nicht erfolgen. Grund dafür ist die Umstellung der Meldung zur Sozialversicherung der Arbeitgeber an die Sozialkassen. Dieser Zustand wird voraussichtlich bis zum Stichtag 31.12.2012 erhalten bleiben. w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 251 Gewerbeanmeldungen für Einzelunternehmen1) 2011 nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte: Erziehung und Unterricht 2008–2011 885 polnisch rumänisch 326 bulgarisch 322 Gesamt vietnamesisch 321 Deutsche lettisch 133 ungarisch 128 0 200 2009 2010 2011 10.378 10.473 10.694 10.890 Kindergärten und Vorschulen Ausländer 207 türkisch 2008 10.355 10.439 10.647 10.842 23 34 47 48 Grundschulen 400 600 800 1.000 Gesamt 8.295 8.188 8.124 8.397 Deutsche 8.280 8.169 8.105 8.375 15 19 19 22 Gesamt 47.668 44.598 41.570 38.873 Deutsche 47.365 44.284 41.243 38.545 303 314 327 328 Ausländer Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 1) Unter Gewerbeanmeldungen zählen Neueinrichtung, Zuzug und Übernahme. Weiterführende Schulen Ausländer Tertiärer1) und post-sekundärer, nicht tertiärer Unterricht Gesamt 18.414 15.768 16.591 17.135 Deutsche 17.680 14.957 15.736 16.213 734 811 855 922 Gesamt 11.671 11.227 10.630 8.805 Deutsche 11.573 11.130 10.534 8.704 98 97 96 101 Ausländer Sonstiger Unterricht Ausländer Bundesagentur für Arbeit, Stichtag jeweils 30.06. sowie eigene Berechnungen 1) In der Bundesrepublik Deutschland werden neben den Hochschulen auch die Berufsakademien und Fachschulen dem tertiären Bereich zugerechnet 252 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 253 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte: Gesundheitswesen 2008–2011 2008 2009 2010 Ausländische Ärzte nach Herkunftsländern 2007–2011 2011 Krankenhäuser Land 2007 2008 2009 2010 Polen 159 172 174 183 2011 183 Slowakei 121 128 141 159 187 Gesamt 53.618 59.102 60.638 61.743 Tschechien 83 94 116 146 217 Deutsche 52.679 58.034 59.429 60.312 Russland 98 111 104 102 116 939 1.068 1.209 1.431 Österreich 62 77 81 85 85 Bulgarien 63 67 72 82 82 Ukraine 63 66 71 70 73 Rumänien 34 38 53 70 122 Syrien 29 23 k.A. 40 42 Ausländer Arzt- und Zahnarztpraxen Gesamt 24.761 25.057 25.481 25.969 Deutsche 24.655 24.959 25.367 25.848 106 98 114 121 Ausländer Griechenland Übrige Gesundheitswesen a.n.g.1) Gesamt 15.992 16.483 17.377 18.202 Deutsche 15.934 16.407 17.279 18.084 58 76 98 118 Ausländer Bundesagentur für Arbeit, Stichtag jeweils 30.06. sowie eigene Berechnungen 1) Unter a.n.g. werden zum Beispiel verstanden: Tätigkeiten von Krankenschwestern, Hebammen, Physiotherapeuten und anderen Fachkräften der Bereiche Optometrie, Hydrotherapie, medizinische Massage, Beschäftigungstherapie, Sprachtherapie, medizinische Fußpflege, Homöopathie, Chiropraktik, Akupunktur Gesamt 27 27 29 37 37 322 344 408 428 476 1.061 1.147 1.249 1.402 1.620 Sächsische Landesärztekammer, 31.12.2011 Ausländische Ärzte nach ausgewählten Herkunftsländern 2007–2011 250 200 150 100 50 0 Polen Slowakei 2007 Tschechien 2008 Russland 2009 Österreich 2010 Bulgarien 2011 Sächsische Landesärztekammer, 31.12.2011 254 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 255 Arbeitslosigkeit Jahr insgesamt r) Integrationskurse Arbeitslosenquote1) Ausländeranteil in % insgesamt in % Ausländer in % Deutsche Ausländer 2001 399.420 391.901 7.519 1,9 19,0 38,6 2002 405.349 397.413 7.936 2,0 19,3 39,8 2003 403.480 394.716 8.764 2,2 19,4 42,4 2004 396.328 387.073 9.255 2,3 19,4 42,6 2005 402.270 391.055 11.215 2,8 20,0 47,7 2006 371.872 360.468 11.404 3,1 18,8 45,0 40,3 Anzahl der neuen Kursteilnehmer Bundesland/ Gesamt Anzahl im Jahr 2010 Sachsen Deutschland 322.821 311.898 10.832 3,4 16,4 2008 279.573 269.393 10.064 3,6 14,3 36,7 2009 278.196 268.276 9.920 3,6 14,4 35,6 2010 253.518 243.872 9.646 3,8 13,2 34,2 Kursart 2011 2) 199.350 8.816 4,2 9,8 21,4 Integrationskurs allgemein Bundesagentur für Arbeit, Jahresdurchschnitt sowie eigene Berechnungen 1) Die Quote der Arbeitslosen wird nicht auf die Gesamtbevölkerung bezogen, sondern nur auf die (Arbeitslosen und sozialversicherungspflichten Beschäftigten) zivilen Erwerbspersonen zwischen 15 und 65 Jahren. 2) Diese Zahl beinhaltet auch 86 Personen, die keine Angaben gemacht haben. Ausländer 500.000 12.000 400.000 10.000 8.000 300.000 6.000 200.000 4.000 100.000 2.000 0 2003 2005 1.947 2,2 1.933 2,0 100,0 96.857 100,0 Integrationskurse mit Kursbeginn im Jahr 2011 nach Kursart Sachsen 2007 Deutsche 2009 2011 0 Deutschland 143 5.375 Jugendintegrationskurs - 154 Eltern- bzw. Frauenintegrationskurs 7 983 27 1.398 Sonstige spezielle Integrationskurse (z. B. für Gehörlose) 1 15 Förderkurs 3 89 Intensivkurs - 9 181 8.023 Gesamt Deutsche in % 88.629 Alphabetisierungskurs Arbeitslose Deutsche und Ausländer Anzahl im Jahr 2011 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2007 208.252 in % Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Verteilung der Kursträger Bundesland/Gesamt Anzahl der Kursträger Sachsen Deutschland in % 56 4,0 1.397 100,0 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 31.12.2011 Ausländer Die Bundesagentur für Arbeit erfasst zur Zeit noch nicht den Migrationshintergrund von Personen nach den Prinzipien des Mikrozensus. Damit unterscheidet die Statistik derzeit nur zwischen Personen mit deutscher und ausländischer Staatsbürgerschaft. 256 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 257 3. Einbürgerungen in Sachsen Bisherige Staatsangehörigkeit (noch: Einbürgerungen in Sachsen) 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Bisherige Staatsangehörigkeit Afrika 2006 2007 2008 2009 2010 2011 362 436 350 305 408 390 43 55 52 50 62 54 albanisch 1 6 3 2 6 1 ägyptisch 4 7 3 9 3 4 bosnisch-herzegowinisch 3 2 2 - 2 1 algerisch 11 8 5 6 9 3 angolanisch - - 2 1 - - Europa britisch 1 1 - 2 2 - 25 12 10 13 23 26 äthiopisch 1 2 - 1 3 3 estnisch 1 1 - - 1 - beninisch - - - 1 - 1 französisch - 1 1 - - 2 gabunisch - - - 1 - - griechisch 6 7 12 4 3 6 gambisch - - - - 3 - italienisch 2 2 4 4 8 8 ghanaisch 1 - - 1 2 2 jugoslawisch 2 1 - - - - guineisch - - 1 1 - 2 kosovarisch - - 1 1 - - guineisch-bissauisch - - - - - 1 kroatisch 1 - 2 2 - - kamerunisch 2 - 3 - 2 6 2 bulgarisch lettisch - 1 1 2 5 - kenianisch - - - - 1 litauisch 1 2 1 2 3 2 kongolesisch 1 4 1 1 2 1 1 5 3 2 6 2 6 7 9 11 8 - - 1 - - 1 libysch 14 10 13 13 12 6 marokkanisch 4 niederländisch - - - - - 1 mosambikanisch 6 3 5 2 4 3 österreichisch - - 1 2 2 - nigerianisch 3 7 2 3 4 1 46 64 39 36 58 50 sierra-leonisch - - 2 2 - - - 1 1 - - 3 simbabwisch 2 1 - - - - 2 4 8 2 1 3 mazedonisch moldauisch polnisch portugiesisch rumänisch 13 25 16 24 18 29 sudanesisch russisch 85 105 78 56 47 68 südafrikanisch - - - 1 1 - - - - 1 - 1 togoisch - - - - - 1 schwedisch schweizerisch - 1 - 1 - 2 tunesisch 4 7 10 7 10 10 serbisch-montenegrinisch 4 5 6 6 7 7 ugandisch 1 1 - - - 1 slowakisch 7 3 1 7 14 3 spanisch 1 - - - 1 7 tschechisch 5 7 14 8 11 12 türkisch 23 32 34 23 26 35 ukrainisch 96 120 76 83 136 95 ungarisch 16 19 18 8 14 17 9 8 15 5 9 7 weißrussisch 258 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 259 (noch: Einbürgerungen in Sachsen) Bisherige Staatsangehörigkeit Amerika (noch: Einbürgerungen in Sachsen) 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Bisherige Staatsangehörigkeit 2007 2008 2009 2010 2011 39 38 27 29 28 29 162 196 299 317 346 429 argentinisch 1 1 - - - 1 afghanisch 4 10 - 21 19 22 bolivianisch - - - 1 - - armenisch - 5 - 1 7 3 brasilianisch - 1 1 2 5 6 aserbaidschanisch 2 8 13 7 4 2 chilenisch 1 - 1 - 1 - bangladeschisch - - 2 - 2 - costaricanisch - 1 - - 1 - chinesisch 4 9 3 9 12 14 dominicanisch 1 6 - 2 5 - georgisch ecuadorianisch 4 1 1 1 - 5 indisch elsalvadorianisch - - - 1 - 1 indonesisch - - - 1 3 3 guatemalisch - - - - 1 - irakisch 31 55 100 56 35 70 honduranisch - - - 1 - - iranisch 15 17 11 29 26 23 kanadisch - - 1 - - - israelisch - - 2 - - 2 kolumbianisch 1 3 1 2 1 - jemenitisch 2 1 3 2 3 2 26 17 10 16 5 9 jordanisch 4 4 3 6 2 3 mexikanisch 1 1 3 1 3 1 kasachisch 26 7 41 22 22 18 nicaraguanisch - - 1 1 - 1 kirgisisch 1 1 5 - 1 1 salvadorianisch - 1 1 - - - koreanisch (Republik-Nord) - 1 1 4 - 2 10 kubanisch Asien 2006 1 - 3 2 3 2 10 9 8 18 13 14 panamaisch - 1 - - - 1 libanesisch 3 3 5 13 18 peruanisch 3 5 5 1 3 3 malaysisch - 1 - - 1 - uruguayisch - - - - - 1 mongolisch 1 1 - - 2 4 US-amerikanisch 1 1 1 - 2 - nepalesisch - - 1 5 2 - venezolanisch - - 1 - 1 - pakistanisch 2 4 10 10 2 12 philippinisch - 1 3 2 2 2 sri-lankisch - - 1 - 2 - syrisch 9 14 19 12 26 26 tadschikisch - 4 - - - - thailändisch - - 3 - 2 2 turkmenisch 1 - 2 - 1 - usbekisch 2 7 6 4 6 1 44 34 54 93 130 191 vietnamesisch Australien/Ozeanien - - - 1 - - Staatenlos/Ungeklärt 6 19 15 11 13 9 612 744 743 713 857 911 Insgesamt: Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 260 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 261 4. Spätaussiedler in Sachsen 1) Eingebürgerte nach Landesdirektionen 387 400 350 322 291 300 241 250 288 245 Herkunftsgebiete 2003 GUS 4.702 2005 1.903 2007 307 2009 175 2011 Polen 1 1 - - - Rumänien - - - - 2 4.703 1.904 307 175 110 108 Landesdirektion Chemnitz, Landesaufnahmestelle für Spätaussiedler 217 184 a) Zuzüge nach Herkunftsgebieten Gesamt: 216 200 200 313 304 235 384 226 218 214 b) Zuzüge nach Alter und Geschlecht (m=männlich | w=weiblich) 176 176 150 2003 176 183 182 154 116 100 177 126 136 2004 2005 2006 Altersgruppen 2007 Chemnitz 2008 Dresden 2009 2010 2011 Leipzig Eingebürgerte Personen in Sachsen 2011 nach Landkreisen und Kreisfreien Städten Direktionsbezirk Chemnitz Chemnitz, Stadt 214 96 Erzgebirgskreis 13 Mittelsachsen 32 Vogtlandkreis 43 Zwickau 30 Direktionsbezirk Dresden 313 Dresden, Stadt 185 Bautzen 31 Görlitz 38 Meißen 44 Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 15 Direktionsbezirk Leipzig 384 Leipzig, Stadt 340 Leipzig 28 Nordsachsen 16 Sachsen Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 262 911 2007 2009 2011 m|w m|w m|w 172 | 166 56 | 63 10 | 12 13 | 6 6|7 6 bis unter 18 Jahre 455 | 412 152 | 193 17 | 25 12 | 18 12 | 8 18 bis unter 20 Jahre 82 | 98 45 | 31 5|5 4|5 2|0 20 bis unter 25 Jahre 231 | 250 99 | 93 20 | 6 9|6 5|5 25 bis unter 45 Jahre 762 | 796 323 | 312 36 | 51 25 | 27 20 | 21 45 bis unter 60 Jahre 330 | 404 181 | 147 24 | 42 19 | 7 9|5 60 bis unter 65 Jahre 60 | 87 23 | 15 1|8 3|4 2|2 130 | 268 107 | 64 11 | 34 11 | 6 4|2 2.222 | 2.481 986 | 918 124 | 183 96 | 79 60 | 50 4.703 1.904 307 175 110 Gesamt: Jahresbericht 2012 2005 m|w bis unter 6 Jahre 65 Jahre und älter Seite 263: Landesdirektion Chemnitz, Landesaufnahmestelle für Spätaussiedler 1) Anmerkung: Zur Vervollständigung und Information wurde auch die Gruppe der Spätaussiedler in diesem Jahresbericht berücksichtigt, wobei diese nicht dem gesetzlichen Aufgabengebiet des Sächsischen Ausländerbeauftragten zugeordnet ist. Gemäß § 8 Abs. 3 Bundesvertriebenengesetz nimmt Sachsen 5,16 % (Verteilung nach Königsteiner Schlüssel für 2011) der nach Deutschland einreisenden Aussiedler auf. Gemäß der Definition des Mikrozensus sind auch Spätaussiedler Personen mit Migrationshintergrund. 2003 m|w Aussiedler nach Altersgruppen 2011 6 4 13 60 bis unter 65 Jahre 14 20 41 45 bis unter 60 Jahre 25 bis unter 45 Jahre 20 bis unter 25 Jahre 2 10 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 65 Jahre und älter 18 bis unter 20 Jahre 6 bis unter 18 Jahre bis unter 6 Jahre 263 5. Deutschlandvergleich Ausländische Bevölkerung nach Bundesländern Bundesland 5,2 % 2,5 % Schleswig-Holstein 13,7 % 12,6 % 10,6 % MecklenburgVorpommern 14,0 % 1,9 % Niedersachsen 2,8 % Sachsen-Anhalt 11,4 % NordrheinWestfalen 7,9 % Hessen Brandenburg 2,3 % 2,8 % Thüringen Sachsen Rheinland8,6 % Pfalz Saarland Baden-Württemberg Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung im Bundesland von 1,9 % bis unter 3,5 % von 3,5 % bis unter 6,0 % von 6,0 % bis unter 8,5 % von 8,5 % bis unter 11,0 % ab 11,0 % 264 3.490.445 488.680 14,0 1.796.077 245.930 13,7 12,6 660.042 83.430 Baden-Württemberg 10.783.791 1.303.291 12,1 Hessen 6.087.166 695.627 11,4 Nordrhein-Westfalen 17.844.472 1.900.162 10,6 Bayern 12.583.538 1.233.872 9,8 1.014.166 87.420 8,6 Rheinland-Pfalz 4.000.461 314.493 7,9 Niedersachsen 7.920.456 548.344 6,9 Schleswig-Holstein 2.837.738 148.782 5,2 Sachsen 4.137.330 116.888 2,83 Brandenburg 2.497.828 68.691 2,75 MecklenburgVorpommern 1.636.303 40.138 2,5 Thüringen 2.223.610 50.263 2,3 Sachsen-Anhalt 2.317.416 43.898 1,9 81.830.839 7.369.909 9,0 Deutschland 12,1 % Ausländeranteil in % Hamburg Saarland Berlin Ausländische Bevölkerung Berlin Bremen Hamburg 6,9 % Bremen Gesamtbevölkerung Statistisches Bundesamt, Bevölkerungsfortschreibung, 30.09.2011 9,8 % Bayern Gesamtbevölkerung in den Bundesländern (Angaben in Personen) 10.000.000 5.000.000 1.000.000 Verteilung der Bevölkerung im Bundesland bezogen auf Gesamtbevölkerung ausländische Bevölkerung deutsche Bevölkerung Statistisches Bundesamt, Bevölkerungsfortschreibung, 30.09.2011 Jahresbericht 2012 w w w. o f f e n e s - s a c h s e n . d e 265 Bildnachweis: Titelbild: Steffen Giersch Archiv SAB 3 Atanassow, Alexander 11, 12 (2) Ausländerrat Dresden 59 Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat 116 Buntes Radebeul 170 Dao Ngoc Mai 42 Deutscher, René 92, 138, 139, 140 (2), 141, 145, 148, 152 Dresden International Phd Programm 67 DRK 146 Dumke, Claudia 164 Equibilie international 119 Funke, A. 128 (oben) Friedrich, Maria 8, 41 Füssel, Frank 165 Füssel, Steffen 68 Garbe, Amac ein-satz-zentrale 60 Giersch, Steffen 10, 17, 19 (links), 24, 25, 26, 30, 40, 52, 57, 58, 59, 65, 70, 77, 79, 80, 83, 86, 88, 89, 94, 132, 144, 177, 226, 268 (2) Guffler, Markus 22, 32, 36, 37(2), 38 (2), 45, 46, 50, 51, 54, 61, 62, 75, 93, 96, 98, 99, 100, 114, 115, 182 Haufe, Jörn 155, 157 (2), 158, 159 (2), 160 (2), 161, 136 IBAS 106, 108 Jugendwerkstätten Umkehrschwung gGmbH Dresden 34 Karateverein Bushido Leipzig e. V. 143 Katrin Neuhauser/DFV 149, 150 (oben) Kunst- und Tanzstudio »Schöne Welt« 120 266 Impressum Linde Engineering Dresden GmbH 74 (oben) Maksoud, Maad 136 Mehrgenerationenhäuser Zwickau 16, 147 Max-Planck-Institut-CBG 55, 56, 66, 84 MDR 162 (3) privat 43, 109, 117, 122, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 131 Perspektive Dresden e. V. 91 REGIERUNGonline 118 Remestvensky, Dmytrie 103, 124 SALVE Leipzig 19 (rechts) Saxonia System AG 95 Schwab, Sebastian 18 (2) Schultz, Sebastian 171 Sozialamt Chemnitz 110, 112, 113 Stadt Kamenz 166 Stadt Leipzig 168 Stadtverwaltung Bautzen 123 Striegler, Frank 20 Teubner, Tom 91 THW/Stefanie Grewe 134 trägerverBunt Bautzen 169 TSV Joker e. V. 173 TU Chemnitz 74 (unten) TU Dresden 87 Umschwung gGmbH Dresden 15, 17 Fotolia.com: © Gerhard Seybert 73 | © Adam Gregor 76 © Jan Schuler 174 | © Hans-Jörg Nisch 181 Jahresbericht 2012 Herausgeber Der Sächsische Ausländerbeauftragte Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Postanschrift: Postfach 120705 01008 Dresden Telefon: 0351 493 5171 Telefax: 0351 493 5474 saechsab@slt.sachsen.de www.offenes-sachsen.de V.i.S.d.P: Dr. Ute Enderlein Mitarbeit: Kristin Alschner, Gesa Busche, Dr. Ute Enderlein, Maria Friedrich, Malcolm Jackson, Prof. Dr. Martin Gillo, Markus Guffler, Anke Hering, Christoph Hindinger, Aline Klemm, Jochen Vierheilig Beiträge von Gastautoren sind namentlich gekennzeichnet. Realisierung: www.oe-grafik.de Druck: addprint AG, Bannewitz 1. Auflage 2013, 2.000 Stück w w w.o f f en e s- sachs e n.de Der Sächsische Ausländerbeauftragte Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Tel. 0351 4935171 Fax 0351 4935474 saechsab@slt.sachsen.de
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für einen Beirat. Durch ständige Qualifizierung können die Mitglieder fachliche Kompetenz erlangen, damit sie nicht nur nach Gefühl, sondern auch fachlich fundiert entscheiden können.
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