Vom Einwanderer zum Mitbürger

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Vom Einwanderer zum Mitbürger
Deutsche Botschaft, Rom - Caritas Italiana
In Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, Rom
und dem Dossier Statistico Caritas/Migrantes
Vom Einwanderer zum Mitbürger
Erfahrungen in Deutschland und Italien
Integration von Migranten, ihren Familien und jungen Menschen
Europäisches Jahr des interkulturellen Dialogs
Edizioni Idos
Rom, Februar 2008
Beiträge von:
Lale Akgün, Mitglied des Bundestags, Migrationspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
Maria Böhmer, MdB, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, Beauftragte der Bundesregierung für
Migration, Flüchtlinge und Integration
Ursula Boos-Nünning, Universität Duisburg/Essen
Claudio Cecchini, Assessor für Sozialpolitik der Provinz Rom
Teresa De Bellis, Rat der Stadt Köln
Luca di Sciullo, Redakteur, Dossier Statistico Immigrazione Caritas/Migrantes
Mons. Guerino Di Tora, Direktor der Caritas Diözese Rom
Bruno Ducoli, Präsident des Europäischen Zentrums zur Förderung der Interkulturalität, Gargnano
Wolfgang Fehl, Koordinator des „Netzwerkes Integration durch Qualifizierung“ der Zentralstelle für die
Weiterbildung im Handwerk, Düsseldorf
Paolo Ferrero, Minister für Soziale Solidarität
Franco Frattini, Vizepräsident der EU-Kommission
Annegret Goebel, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Rom
Yasemin Karakaşoğlu, Universität Bremen
Kamila Kowalska-Angelelli, Wissenschaftlerin
Chiara Mellina, Wissenschaftlerin
Mons. Francesco Montenegro, Bischof, Präsident der Caritas Italiana
Franco Pittau, Leitender Redakteur, Dossier Statistico Immigrazione Caritas/Migrantes
Albert Schmid, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Klaus Schmitz, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Rom
Michael Steiner, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland Rom
Daniele Valli, Leiter des Interkulturellen Didaktischen Zentrums Celio Azzurro
Herausgeber
Luca Di Sciullo, Franco Pittau, Klaus Schmitz
Sekretariat Redaktion
Maria Pia Borsci, Annegret Goebel, Patrizia Liberatore
Botschaft der Bundesrepublik Deutschland
Via San Martino della Battaglia, 4 - 00185 Roma
Tel.: 06.49213.220
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Bestellungen bei:
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INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 7
Einleitung
M. Steiner, Migration verbindet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
F. Montenegro, Integration, ein Prozess, der die ganze Gesellschaft betrifft . . . . . . . . .10
Die deutsch-italienische Konferenz zur Integration von Migranten, ihren Familien und
jungen Menschen
A. Goebel, K. Schmitz, Thematische Zusammenfassung der Beiträge der Konferenz . .15
D. Valli, Celio Azzurro – Eine „besondere Begegnung” mit der Staatsministerin für
Migration M. Böhmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .25
Politische Beiträge
F. Frattini, Keine Einwanderung ohne Integrationspolitik – Der europäische Rahmen
für die Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28
M. Böhmer, Migration und europäische Identität – Bildung und Arbeit als Schlüssel
– Der deutsche Weg der Integrationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33
P. Ferrero, Die neue italienische Einwanderungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .39
L. Akgün, Moderne Einwanderungs- und Integrationspolitik muss mehr für Chancengleichheit und Anerkennung tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .46
B. Ducoli, Migration und europäische Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51
Erfahrungen in Italien und Deutschland
L. Di Sciullo, F. Pittau, Ein Panorama der Migration – Italienische und deutsche Erfahrungen - ein Vergleich in 10 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .56
G. Di Tora, Rom und die Stadt der Zukunft: international, interkulturell und interreligiös. 70
C. Cecchini, Migration in Rom Anfang 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .78
A. Schmidt, Herausforderung Migration: Integration fordern und fördern - Entwicklung der Zuwanderung und Situation der Migranten in Deutschland . . . . . . . . . . . . .80
T. De Bellis, Köln, eine multikulturelle Stadt – Eine kommunale Integrationspolitik . . 87
W. Fehl, Köln, ein Beispiel für gelungene berufliche Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . .91
K. Kowalska, C. Mellina, F. Pittau, Integration von Migranten in Rom – Ansichten ausgewählter Interviewpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .92
U. Boos-Nünning, Y. Karakaşoğlu, Lebenslage von Mädchen und jungen Frauen mit
Migrationshintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .104
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Anlagen
Der Nationale Integrationsplan – Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland . 112
Charta der Werte, der Staatsbürgerschaft und der Integration – Ministerium des Inneren der Republik Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115
Statistische Daten: Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .120
Statistische Daten: Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .125
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Vorwort
In den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union leben rund 30 Millionen Migranten
aus EU- und Nicht-EU-Staaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. Diese Zahl verdoppelt sich noch, wenn die Menschen mitgerechnet werden, die die Staatsbürgerschaft des Landes erworben haben. Es handelt sich um eine bemerkenswerte Präsenz, die der Zahl nach einem
der größeren Mitgliedsstaaten entspricht.
Die Struktur der Migranten ist sehr differenziert: ihre regionale Konzentration ist je nach
Land und Zeitverläufen verschieden, die Herkunftsgebiete stimmen oft nicht überein, die bei der
Integration verfolgten Ansätze erscheinen eher zufällig und unterschiedlich, die Eingliederung
ins Arbeitsleben ist an den Anforderungen der lokalen Arbeitsmärkte orientiert.
Angesichts dieses komplexen Kontextes ist es schwierig, eine europäische Vision zu finden.
Deshalb wurde daran gedacht, ausgehend von einem sorgfältig durchgeführten Vergleich zweier
wichtiger Beispiele, dem Deutschlands und Italiens, zum Thema „Integration von Migranten,
ihren Familien und jungen Menschen” Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den in
Nordeuropa und den im Mittelmeerraum gemachten Erfahrungen aufzuzeigen. Hierzu fand
auch eine vielbesuchte Tagung in Rom (11. Juni 2007 im Goethe-Institut) statt, deren Ergebnisse wir mit einigen Ergänzungen hiermit vorlegen wollen.
Deutschland steht mit seinen fast 7 Millionen ausländischen Bürgern weiterhin an erster
Stelle, was die Zahl der Migranten betrifft, davon sind mehr als eine halbe Million Italiener, die
nach der großen türkischen Gemeinschaft an zweiter Stelle kommen.
Nach über fünfzig Jahren nicht nachlassender Zuwanderung, die erst in letzter Zeit stark
zurückging, definierte sich Deutschland endlich an der Schwelle zum 3. Jahrtausend auch
offiziell als Einwanderungsland. Diese neue Sichtweise und die abgestimmte Handlungsweise
machen Deutschland zu einem Beispiel, das höchste Aufmerksamkeit verdient.
Italien schickte über 150 Jahre lang seine überzähligen Arbeitskräfte in die Industriestaaten
der ganzen Welt. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierten die Italiener vor allem
in die europäischen Länder und hier besonders nach Deutschland. Seit den siebziger Jahren
verwandelte sich Italien erst langsam und dann, nach dem Fall der Berliner Mauer und dem
Zustrom aus dem Osten, schneller in ein großes Einwanderungsland, in dem inzwischen schon
3,7 Millionen legale Immigranten leben. In einigen Jahrzehnten wird Italien wahrscheinlich
mit Deutschland gleichziehen und damit den zahlenmäßigen Rückgang an Bevölkerung und
Arbeitskräften ausgleichen.
In Deutschland finden wir im Lauf der Zeit sich verfestigende Vorgehensweisen, die sich
teilweise in der Praxis bewährt haben, aber teilweise angepasst werden müssen. Italien blickt
auf weniger Erfahrungen zurück und muss angesichts einer grundlegend verschiedenen Migrationssituation andere innovative Ansätze wählen, die dann mit vorherigen Erfahrungen
verglichen werden müssen. Denken wir nur daran, wie heikel die Themen langfristiger Integrationsstrategien sind, z.B. im Hinblick auf die Einhaltung allgemeiner Regeln, die Berücksichtigung von Andersartigkeit, den Erwerb der Staatsbürgerschaft, die Schule und die zweite
Generation.
Das vorrangige Ziel der Tagung in Rom und nun dieses Buchs besteht darin, einen umfassenden Vergleich zwischen den beiden wichtigsten europäischen Migrationserfahrungen vorzunehmen, indem wir die wesentlichen statistischen Daten zur Verfügung stellen die Studien von
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Fachleuten und einschlägigen Untersuchungen auswerten, um unter Einbeziehung der verantwortlichen Politiker und Verwaltungsbeamten, eine breite Diskussion an der Basis, besonders bei
den NRO und anderen Organisationen anzustoßen.
Diese Initiative wurde auf deutscher Seite von der Deutschen Botschaft und der FriedrichEbert-Stiftung und auf italienischer Seite von der Caritas Italiana und der Arbeitseinheit
„Dossier Statistico Immigrazione Caritas/Migrantes“ organisiert.
Der Wunsch der Organisatoren ist es, dass dieser zweisprachig erscheinende Band zu weiteren umfassenden Diskussionen und einem Austausch zwischen beiden Ländern anregt, als
Nachschlagewerk dient und insbesondere auch dazu beiträgt, die Migrationspolitik in der Europäischen Union weiterzubringen.
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Einleitung
Migration verbindet
Michael Steiner, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland
Die Migration ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Leider werden
häufig nur negative Seiten in der Öffentlichkeit diskutiert. In Deutschland wird oft übersehen, dass von den 15 Millionen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte, von
denen die Hälfte die deutsche Staatsangehörigkeit hat, die große Mehrheit gut integriert
ist, so auch unsere 670.000 Mitbürger mit italienischem Migrationshintergrund. Diese
Mitbürger waren und sind nicht nur unersetzbar für unsere Volkswirtschaft, sondern
haben einen wichtigen Beitrag dafür geleistet, dass Deutschland weltoffener und lebenswerter geworden ist. In ihrer langen Geschichte wurde Deutschland, ebenso wie Italien,
auch von Einwanderung geprägt. Vieles, auf das wir in unseren Ländern stolz sind, beruht auf der wirtschaftlichen und kulturellen Bereicherung durch Einwanderer.
Seit einigen Jahren steigt die Zahl der ausländischen Staatsbürger in Deutschland
nur mehr geringfügig. Ihre Gesamtzahl betrug 2006 6,75 Millionen (8,8% der Gesamtbevölkerung). Der positive Saldo von Zu- und Abwanderung von Ausländern lag
seit 2004 bei unter 100.000. Hinter dieser Zahl stehen jedoch enorme Wanderungsbewegungen, die oft übersehen werden und für die Integrationspolitik relevant ist:
2006 wurden 558.000 Zuzüge und 484.000 Fortzüge von Menschen mit ausländischer
Staatsbürgerschaft registriert.
Zurecht stellt Franco Frattini, Vizepräsident der Europäischen Kommission, in seinem Beitrag fest, dass Immigration der Integrationspolitik bedarf. Diese Politik muss
zum sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen und insbesondere den Kindern
und Jugendlichen aus Migrantenfamilien eine reale Lebensperspektive geben. Die hohe
Gewaltbereitschaft junger Männer aus Migrantenfamilien ist ein schlimmes Signal von
Perspektivlosigkeit. In einer im Dezember 2007 von Staatsministerin Maria Böhmer
vorgestellten Studie wurde festgestellt, dass 18% der Kinder aus Migrantenfamilien
(einschließlich der mit deutscher Staatsangehörigkeit) die Schule abbrechen und nur
23% eine Berufsausbildung absolvieren.
Dieses Buch will einen konkreten Beitrag zum deutsch-italienischen Erfahrungsaustausch auf dem Feld der Integrationspolitik leisten. Es geht um Fragen der Sprache, der
Schule, der Ausbildung, des Berufs und nicht zuletzt um Wohnung und Wohnumfeld. Ich
teile die Auffassung von Mons. Montenegro, Präsident der Caritas Italiana, dass es keine
allgemein gültigen „Modelle“ gibt. Jedes Land muss ausgehend von seiner Geschichte seine Erfahrungen machen, ohne die Erkenntnisse aus anderen Ländern zu vernachlässigen.
Ich glaube, dass der deutsch-italienische Erfahrungsaustausch auch deswegen fruchtbar
sein kann, weil die Migration unsere beiden Länder miteinander stark verbunden hat.
Staatsministerin Maria Böhmer schreibt in ihrem Beitrag, dass Integration „gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen“ bedeute. Diese Teilhabe bedarf des Willens von Seiten der Migranten, sich den Anforderungen unserer Gesellschaft zu stellen,
aber auch der Bereitschaft von Staat und alteingesessenen Bürgern zur Aufnahme und
9
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Förderung. Nur auf dieser Grundlage kann sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln, das in Respekt der kulturellen Unterschiede ein fruchtbares Miteinander ermöglicht. Minister Paolo Ferrero unterscheidet in seinem Beitrag zwischen dem Recht,
seine eigene Lebensweise und Gebräuche weiter pflegen zu dürfen und der allgemeinen
Anerkennung der verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten. Besonders hervorheben
möchte ich die „Charta der Werte, der Staatsbürgerschaft und der Integration“, die unter
Federführung des italienischen Innenministers Giuliano Amato und in Zusammenarbeit
mit Migrantenorganisationen und Religionsgemeinschaften erstellt wurde.
Als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rom möchte ich besonders auf
die völkerverbindende Dimension der Migration hinweisen. Über 4 Millionen Italienerinnen und Italiener sind nach dem Krieg nach Deutschland gekommen. 3,5 Millionen
von ihnen sind wieder in ihre Heimat, meist im hohen Alter, zurückgekehrt. Trotz
mancher Schwierigkeiten und Konflikte sind sich die Menschen der beiden Länder kulturell aber auch persönlich näher gekommen. 2005 wurden 82.000 deutsch-italienische
Ehen geschlossen. Außerdem glaube ich, dass die Rückkehrer, die einen Großteil ihres
Lebens in Deutschland verbracht haben, in ihrer italienischen Heimat so etwas wie
Botschafter Deutschlands geworden sind. Diesen Eindruck konnten wir auch bei den
Veranstaltungen aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens 2005 in Süditalien sehr konkret gewinnen.
2008 ist das „Europäische Jahr des Interkulturellen Dialogs“. Ich hoffe, dass diese
Veröffentlichung hierzu einen kleinen Beitrag leisten kann. Besonders danken möchte
ich der Caritas Italiana, ohne die dieses Projekt nicht zustande gekommen wäre.
Integration, ein Prozess, der die ganze Gesellschaft betrifft
Mons. Francesco Montenegro, Bischof, Präsident der Caritas Italiana
Zunächst möchte ich die Anerkennung der Caritas Italiana für die Initiative der
Deutschen Botschaft zum Ausdruck bringen, an der Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens und Experten aus Deutschland und Italien beteiligt sind, wohl wissend, dass
Überlegungen über die Migration, um so zuverlässiger sind, je mehr Gesichtspunkte
berücksichtigt werden. Da jedes Land sich mit seiner besonderen Situation auseinandersetzen muss, sollte diese gegenseitige Aufmerksamkeit auf EU-Ebene, wie auch
in der Beziehung zwischen den EU-Staaten, gegeben sein. Tatsächlich ist jedoch die
Fähigkeit, dem Anderen zuzuhören, eher gering. Alle neigen dazu, die Situation im
eigenen Lande als Maßstab für Europa anzusehen, weshalb auch die EU beim Aufbau
einer gemeinsamen Migrantenpolitik nur sehr langsam vorankommt und schwerlich
wirksame Antworten findet.
In Fortsetzung dieser Überlegungen kann ich ohne Übertreibung sagen, dass diese
Initiative wichtig ist, weil sie die Erfahrungen zweier Länder verbindet, die Deutschlands, des Mitgliedsstaats mit der größten Gemeinschaft an Migranten, einer über
fünfzig Jahre langen Erfahrung an Massenzuwanderung und interkulturellem Zusammenleben, und die Italiens, das sich spät von einem Auswanderungs- zu einem Einwan-
derungsland verwandelte, dessen demografische Kurve extrem sinkt und wo die Zahl
ausländischer Bürger im Rhythmus von über 300.000 im Jahr zunimmt. Wenn wir diese
Zahlen bewerten, so stellen wir fest, dass die Einwanderungsquote Italiens im Verhältnis zu der der Vereinigten Staaten sogar höher ist. In wenigen Jahrzehnten wird Italien
eines der Länder mit dem höchsten Ausländeranteil sein, mit einem Prozentsatz, der
zwischen dem von Kanada (16%) und dem der Schweiz (20%) liegen wird. Wenn ich
auf die Veränderungen in Italien, aber auch in Spanien und anderen EU-Staaten des
Mittelmeerraums hinweise, dann muss ich auch hinzufügen, dass auf EU-Ebene nicht
immer eine ähnlich schnelle Auffassungsgabe besteht, wie sie unter den Organisatoren
dieser Initiative vorhanden ist. Es muss endlich verstanden werden, dass uns die Geschichte im Süden zwingt, einen Weg einzuschlagen, der nicht unbedingt mit dem der
EU-Staaten in Mittel- und Nordeuropa verglichen werden kann.
Leider betrifft die mangelnde Aufmerksamkeit für Argumente des Anderen nicht
nur die Beziehungen zwischen den EU-Staaten, sondern auch das Innenverhältnis eines Landes und, je nach politisch-kultureller Ausrichtung, die Beziehungen zwischen
politischen Parteien und Bürgern. Bei uns in Italien sind wir noch weit von einer Vermittlung auf oberster Ebene entfernt, wie wir Bischöfe sie uns wünschen würden. Wir
denken, dass sie möglich und fruchtbar wäre, jedoch von einer großen ideologisch-parteipolitischen Engstirnigkeit vereitelt wird. Die entgegengesetzten Positionen, über
die alle politischen Lager ernsthaft nachdenken sollten, sind oft nicht zu rechtfertigen.
Das sagen wir als kirchliche Gemeinschaft, die wir uns immer schon auf Seiten der Migranten eingesetzt haben. Man muss ein Gefühl für das Maß haben und die politische
Orientierung in Verbindung bringen können mit den höheren Werten, den Interessen
des eigenen Landes, einer harmonischen Integration der Zuwanderer, der Anerkennung der Menschen- und religiösen Rechte und unserer Zukunft.
Die Integration, die den Kern dieser Initiative darstellt, ist bei der Caritas Italiana
seit geraumer Zeit Gegenstand umfassender Überlegungen. Obwohl Deutschland über
50 Jahre einschlägige Erfahrungen hat und die Erfahrungen Frankreichs und Großbritanniens noch länger zurückreichen, müssen sich auch diese Länder immer wieder
kurzfristig neu ausrichten. Die Gewissheiten der Vergangenheit gelten nicht mehr. Wir
alle müssen die Demut besitzen, uns auf die Suche zu begeben. Damit möchte ich keinesfalls behaupten, dass das, was in diesen Ländern an Erfahrungen gesammelt wurde,
heute nicht mehr wichtig ist. Dabei denke ich an die Verpflichtung in Frankreich, sich
an den lokalen juristisch-kulturellen Rahmen zu halten, an die Autonomiefreiräume, die
Großbritannien den Gemeinschaften der Zuwanderer einräumt, und den Respekt der
Sprache und Kultur des Herkunftslands, der Deutschland auszeichnet. Diese Ansätze, die immer noch ihre Gültigkeit haben, doch im Rahmen von Integrationsmodellen
der jüngsten Migrationsentwicklung als teilweise überholt angesehen werden müssen,
veranlassen uns festzustellen, dass wir alle in diesem Bereich noch Lehrlinge sind und
zusammen mit den neuen Immigrationsländern neu beginnen müssen, denn sonst werden wir – wie Goethe im Faust sagt – zu Opfern unserer Geschöpfe.
In Italien sind wir noch weit von einem landesweit akzeptierten Integrationsmodell
entfernt. Der Weg hat viele Ungewissheiten, auch weil Gesellschaft und Wirtschaft es
nicht verstanden haben, die italienischen Bürger für einen Prozess der Eingliederung
und Beteiligung zu gewinnen. Wenn wir dieses komplexe Phänomen definieren wollen,
sollten wir uns auf den Text der europäischen Caritas besinnen, in dem die Integration
11
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als ein langfristiger Prozess mit vielen Elementen und Faktoren beschrieben wird, der
uns viel abverlangt und darauf abzielen muss, dass zwischen allen Mitgliedern einer
Gesellschaft, einschließlich den Migranten, Beziehungen der Gleichheit, Gegenseitigkeit und Verantwortung geschaffen werden.
Die Integration ist also vor allem eine Frage gleichwertiger Beziehungen zwischen Personen verschiedener Zugehörigkeit und Identität, die die gleichen physischen, sozialen,
administrativen und politischen Räume miteinander teilen. In gewissem Sinne geht es
hier nicht um die Begegnung oder den Zusammenprall verschiedener Kulturen, sondern um Menschen, die Träger dieser Kulturen sind. Andererseits kann heute kein
Mensch mehr nur einer homogenen Zugehörigkeit zugerechnet werden, es sind vielmehr Individuen, Gruppen und Gemeinschaften, die ohne Unterlass gezwungen sind,
sich mit ständig neuen kulturellen Horizonten auseinanderzusetzen.
Die Integration ist aber auch, und vor allem, ein Prozess der ganzen Gesellschaft, der die
ökonomischen, sozialen, politischen und religiösen Aspekte beinhalten muss, ohne die der
Prozess nicht vollständig wäre. Deswegen muss anerkannt werden, dass nicht so sehr die
Anpassung der Individuen ausschlaggebend ist. Entscheidend sind vielmehr die Rahmenbedingungen, mit all ihren Beziehungen, Vorgehensweisen und Organisationen und inwieweit sich diese für die Integration als günstig oder ungünstig erweisen.
Der Integrationsprozess betrifft schlussendlich auch verschiedene Arten der Zugehörigkeit – u.a. ethnische, nationale, politische, berufliche – die das Leben einer Person
konkret prägen. Er stellt sich so als ein Prozess dar, der die Gruppen mit ihren besonderen, auch kollektiven Identitäten einbezieht. Diese Identitäten der Gruppen sind ihrerseits, genauso wie die ihrer Mitglieder, ständigen Veränderungen unterworfen.
Die Herausforderung besteht nicht so sehr darin, dass die in anderen Ländern erprobten Integrationsmodelle einfach übernommen werden. Alte Erfahrungen können
durchaus helfen, negative Auswirkungen wie die der Zwangsassimilation, zu vermeiden,
die bei unterschiedlichen und sich verändernden Zugehörigkeiten die soziale Anerkennung keineswegs fördern. Ein weiteres Beispiel ist die soziale Trennung, bei der die Achtung und der Erhalt der Verschiedenheit zum Alibi dafür wird, sich einer umfassenden
Auseinandersetzung und den durch die tagtäglichen Beziehungen zwischen Menschen
und Gemeinschaften entstehenden Veränderungen nicht zu stellen.
Angesichts der Tatsache, dass es heute keinen Sinn mehr macht, sich automatisch
auf Vergangenes zu beziehen, sollte man sich fragen, ob nicht die Entwicklung eines
italienischen Wegs der Integration möglich ist, bei dem es aber nicht um eine am Reißbrett
entwickelte Lösung gehen sollte, sondern um das Experimentieren in einem Prozess
des sozialen Zusammenhalts und der Teilhabe, unter Nutzung der großen Ressource,
nämlich der christlichen Gemeinschaft in Italien, die immer noch überall vernetzt ist
und nichts von ihrer Dynamik verloren hat. Da wir uns zunehmend bewusst werden
müssen, dass die Ausländer in Italien bleiben werden und ihre Zahl sogar zunehmen
wird, sollte diese Entwicklung möglich sein.
Ein Mann der Kirche hat auch die Pflicht, von Religion zu sprechen. In Anlehnung
an die Botschaft von Johannes Paul II. anlässlich des Weltmigrationstags 2001 möchte
ich daran erinnern, dass die Migration immer zwei Gesichter hat, das des Andersseins
und das des Universellen. Das Erste bedeutet Konfrontation zwischen einander fremden
Menschen und Volksgruppen. Diese führt unvermeidlich zu Spannung, versteckter Zurückweisung und offenen Angriffen. Das Zweite bedeutet harmonische Begegnung ver-
schiedener sozialer Akteure, die sich im gemeinsamen Erbe der Menschheit, der Menschlichkeit und Brüderlichkeit wiederfinden. Wir bereichern uns gegenseitig, wenn wir die
vielen anderen Kulturen kennenlernen. Im ersten Fall führt die Migration zu Trennung
und größeren Schwierigkeiten in der aufnehmenden Gesellschaft, im zweiten Fall tragen
sie entscheidend zur Einheit der menschlichen Familie und zum Wohl aller bei.
In diesem Zusammenhang setzt sich die Caritas das Ziel, die Integration zunächst
durch neue Kenntnisse der Migrationsprozesse zu unterstützen. Dabei wollen wir
konkret sein. In diesem Band wird die Gruppe vom „Dossier Statistico Immigrazione Caritas/Migrantes“ nicht nur durch Zahlen Übereinstimmung und Unterschiede
zwischen der deutschen und italienischen Situation darstellen, sondern auch die Ergebnisse einer Umfrage zur Integration präsentieren, die mit Hilfe von rund sechzig in
Rom tätigen Vertretern von Migrantenverbänden durchgeführt werden konnte (in der
Stadt und Provinz Rom sind über 400.000 legale Zuwanderer aus den EU und NichtEU-Staaten registriert).
Ferner möchte ich auch darauf hinweisen, dass der „Nationale Rat für Wirtschaft
und Arbeit“ seit nunmehr fünf Jahren, anhand von sozio-statistischen Indices, eine Integrationsstudie zur Migration in den einzelnen Regionen Italiens durchführt, um den
Stand der integrationsfördernden Maßnahmen zu bewerten. In diesem Jahr begann
die Gruppe von „Dossier Statististico Immigrazione Caritas/Migrantes“ ein Projekt,
das einen Vergleich zwischen unseren Versuchen zur Integrationsmessung und denen
von vier anderen Mitgliedstaaten, einem nordeuropäischen und drei südeuropäischen
Ländern (Großbritannien, Portugal, Spanien und Frankreich), erlaubt. Dieses Engagement wollen wir auch um die in Italien und Deutschland mit der Migration gemachten
Erfahrungen ergänzen.
Zum Schluss möchte ich noch daran erinnern, dass Caritas und Migrantes schon
1991 die Arbeitsgruppe „Dossier Statistico Immigrazione“ mit dem Ziel gegründet
haben, dem hier von mir beschriebenen Ansatz mit Hilfe detaillierter Daten und vorurteilsfreier Vergleiche eine konkrete Unterstützung zu geben.
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Konferenz über die Integration von Migranten,
ihren Familien und jungen Menschen
Rom, 11. Juni 2007
Thematische Zusammenfassung
Von Annegret Goebel und Klaus Schmitz, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland
Vorbemerkung
Italien und Deutschland eint eine lange Erfahrung im Bereich der Migration. Uwe
Reissig, Direktor des Goethe Instituts und Dr. Otfried Garbe, Gesandter der Deutschen Botschaft, erinnerten an das 50-jährige Jubiläum der Unterzeichnung des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens von 1955. In Deutschland leben ca. 670.000 Menschen
mit italienischem Migrationshintergrund, davon ca. 540.000 Personen mit italienischer
Staatsbürgerschaft. Italien hat sich in den letzten Jahren vom Auswanderungsland zu
einem der wichtigsten Einwanderungsländer Europas gewandelt, während in Deutschland die Zuwanderung stark zurückgegangen ist.
Am 11. Juni 2007 veranstalteten die Deutsche Botschaft Rom und das Goethe-Institut Rom, in Zusammenarbeit mit der Caritas Italiana, eine Konferenz zum Thema „Integration von Migranten, ihren Familien und jungen Menschen“. Aus Anlass der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und des „Europäischen Jahres der Chancengleichheit für
alle“ fand ein Erfahrungsaustausch zwischen Politikern und Experten aus Deutschland
und Italien statt. Redebeiträge hielten (in der Reihenfolge ihres Auftritts):
Uwe Reissig, Direktor Goethe-Institut Rom
Dr. Otfried Garbe, Gesandter der Deutschen Botschaft
Mons. Francesco Montenegro, Bischof, Präsident der Caritas Italiana
Dr. Franco Pittau, Leitender Redakteur des „Dossier Statistico Immigrazione“ Caritas/Migrantes
Dr. Luca Di Sciullo, Redakteur des „Dossier Statistico Immigrazione“ Caritas/
Migrantes
Dr. Albert Schmid, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Prof. Maria Böhmer, MdB, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, Beauftragte
der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
On. Paolo Ferrero, Minister für Soziale Solidarität
Cav. Bruno Ducoli, Präsident des Europäischen Zentrums zur Förderung der Interkulturalität, Gargnano
Vinicio Ongini, Berater im Bildungsministerium zu Fragen der Integration
Dr. Lale Akgün, Mitglied des Bundestags, Migrationspolitische Sprecherin und
Islambeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion
Anas Breigheche, Vorsitzender der „Jungen Muslime Italiens“ (GMI)
Wolfgang Fehl, Koordinator des „Netzwerkes Integration durch Qualifizierung“
der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk
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Prof. Jean Leonard Touadi, Beigeordneter der Stadt Rom
Teresa De Bellis, Rat der Stadt Köln
Rodolfo Ortolani, Vize-Generaldirektor der UniCredit Banca
Marcella Lucidi, Staatssekretärin im Innenministerium
Die folgende Zusammenfassung der Redebeiträge und der Plenumsdiskussion erfolgt unter thematischen Gesichtspunkten.
1. Sozialstruktur der Personen mit Migrationshintergrund
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Italien und Deutschland sind beides Einwanderungsländer mit dem Unterschied,
dass der Einwanderungsprozess in der Bundesrepublik bereits in den 50er Jahren begann, während er in Italien erst in den 70er Jahren einsetzte. Allein in den 60er und
70er Jahren stieg die Zahl der Ausländer in Deutschland um 3,9 Millionen. Von 1952,
dem Jahr der Einführung der offiziellen Wanderungsstatistik, bis 2006 sind 36,3 Millionen Menschen nach Deutschland zu- und 26,5 Millionen aus Deutschland abgewandert. Derzeit zählt Deutschland ca. 6,8 Millionen Ausländer. Werden den Ausländern
die eingebürgerten Deutschen und eingebürgerten Kinder von Zuwanderern hinzugezählt, so leben in Deutschland überweg 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Dies entspricht einem Anteil an der Bevölkerung von 19%. Franco Pittau und
Luca Di Sciullo, Redakteure des „Dossier Statistico Immigrazione“ (Caritas/Migrantes), die
ihr Referat gemeinsam vortrugen, schätzen, dass in Italien ca. 3,5 Millionen Ausländer
leben, die zum großen Teil der ersten Generation zuzurechnen sind. Über die Hälfte
von ihnen lebt seit weniger als 5 Jahren in Italien.
Beschränkte sich die geringe Zuwanderung in Deutschland in den letzten Jahren
weitgehend auf die Familienzusammenführung, so ist die starke Zuwanderung nach
Italien, mit ca. jährlich 300.000 Personen (davon 100.000 Familiennachzug) in den letzten Jahren, auf den großen Arbeitskräftebedarf zurückzuführen. 19% aller Neueinstellungen kamen 2005 aus Nicht-EU-Staaten (einschl. Rumänien und Bulgarien). Franco
Pittau und Luca Di Sciullo prognostizierten, dass Italien in einigen Jahren den heutigen
deutschen Wert von fast 7 Millionen Ausländer erreichen werde. Italien könnte sogar
das Land mit der größten Anzahl an Migranten innerhalb der Europäischen Union
werden. Begleitet werde diese Entwicklung von einem, für die EU typischen, Rückgang
der einheimischen Bevölkerung zwischen 19 und 44 Jahren. So werde in Italien das
Geburtendefizit durch Zuwanderung ausgeglichen.
Die Struktur der Herkunftsländer unterscheidet sich in beiden Ländern erheblich.
In Italien besteht eine polyzentrische Struktur. Ein Drittel der in Italien lebenden Einwanderer kommt aus den drei Ländern Rumänien, Albanien und Marokko. In Deutschland dagegen bildet allein die Gruppe der Türken ein Viertel aller Ausländer. Weitere
große Einwanderergruppen in Italien kommen aus der Ukraine, China, den Philippinen. Aus Afrika sind insgesamt 23%, aus Asien 17% und aus Amerika 11% der Immigranten. Die Zuwanderung nach Italien weist eine starke „Dritte Welt“-Orientierung
auf, während die Ausländer in Deutschland mit 80% größtenteils aus Europa (einschl.
Türkei) stammen. Der europäische Anteil beträgt in Italien 49%.
In beiden Ländern lässt sich eine ungleiche regionale Verteilung der Ausländer
feststellen. In Italien sind wegen dem wirtschaftlichen Nord-Süd-Gefälle die Immigranten insbesondere im Norden des Landes anzutreffen. In Deutschland hat die Tei-
lung in zwei Staaten zu einer weitgehend nur auf den Westen orientierte Zuwanderung geführt. Das seit der Wiedervereinigung bestehende wirtschaftliche Gefälle hat
die regionale Verteilung der Ausländer gefestigt. In beiden Ländern konzentriert sich
die Migration insbesondere auf die Städte. Teresa De Bellis, Mitglied des Kölner Stadtrats
berichtete, dass in Köln über 30% der Einwohner und über 45% der Jugendlichen einen
Migrationshintergrund haben. Ein großes Problem, insbesondere in Italien, stellt die
illegale Einwanderung dar.
2. Problemfelder der Integration und Lösungsansätze
Einige europäische Staaten, insbesondere die ehemaligen Kolonialländer, aber auch
Deutschland, haben im Vergleich zu Italien eine längere Erfahrung mit Immigration.
Trotz dieser Erfahrung, die auch verbunden sei mit unterschiedlichen Konzepten der
Integration, so Monsignore Francesco Montenegro, Präsident der Caritas Italiana, gelten
alte Gewissheiten nicht mehr. Wir sind alle Lernende und müssen uns in großer Bescheidenheit auf die Suche nach Wegen für eine geeignete Integrationspolitik machen.
Gerade auch deswegen begrüße er diesen deutsch-italienischen Dialog. Er unterstrich,
dass Integration zunächst immer die persönliche Beziehung von einzelnen Menschen
beinhalte, nicht Kulturen sondern einzelne Menschen begegnen sich.
Viele Herausforderungen an die beiden Länder sind ähnlich, doch bestehen auch wichtige Unterschiede. Den beiden Ländern gemeinsam sei, dass die meisten Integrationsprobleme weniger ethnische oder religiöse, sondern soziale Ursachen haben, so die Bundestagsabgeordnete Lale Akgün. Eine erfolgreiche Integrationspolitik bedeute deswegen vor allem,
die strukturellen Bedingungen für mehr Chancengleichheit in Bereichen wie Schule, Arbeit,
Kultur, Politik zu schaffen. Die vorrangige Aufgabe Italiens bestehe darin, die soziale Eingliederung der Zuwanderergeneration zu bewältigen, während Deutschland sich, abgesehen von der Eingliederung der sogenannten „Russlanddeutschen“, die nach der Öffnung des
„Eisernen Vorhangs“ nach Deutschland kamen, den Integrationsproblemen von Migranten
der zweiten und dritten Generation stellen müsse, so Albert Schmid, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Marcella Lucidi, Staatssekretärin im Innenministerium, sah in
der Migrations- und Integrationspolitik eine europäische Herausforderung.
2.1 Eingliederung der ersten Generation
Besonders dringlich sei in Italien das Angebot an geeigneten öffentlichen Dienstleistungen, um den Immigranten die notwendigen ersten Hilfen anzubieten, so Franco
Pittau und Luca Di Sciullo. Dies betreffe insbesondere die Arbeit, die Wohnungssuche
und das Erlernen der italienischen Sprache. Als eine gute Erfahrung wurde der Einsatz von Sprach- und Kulturmediatoren in Italien angesehen. Sie arbeiten in Behörden
(einschl. Polizei und Gerichte), Schulen und Krankenhäusern. Rodolfo Ortolani, VizeGeneraldirektor der UniCredit Banca, unterstrich, dass auch private Dienstleistungsunternehmen, wie auch seine Bank, Sprach- und Kulturmediatoren einsetzen und darüber
hinaus Sprachschulungen durchführen. Insgesamt sei die Eingliederung der Migranten in Italien, auch dank der kirchlichen und gewerkschaftlichen Organisationen, gut
gelungen, so Franco Pittau und Luca Di Sciullo. 8 von 10 Einwanderern sagen, dass
sich ihre Lebensverhältnisse in Italien verbessert haben. Otfried Garbe verwies auf die
große Opferbereitschaft der neuen Zuwanderer, auch weil sie ihre Lage mit der ihres
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Heimatlandes vergleichen.
Italien sei in einer Übergangsphase, so Paolo Ferrero, Minister für Soziale Solidarität.
Er berichtete über Initiativen seiner Regierung, wie das Gesetz über den erleichterten
Zugang zur italienischen Staatsbürgerschaft, das Gesetz zur Familienzusammenführung sowie ein neues Rahmengesetz (Amato-Ferrero-Gesetz) zur Migration. Das Rahmengesetz soll neben dem kommunalen Wahlrecht insbesondere den legalen Zugang
nach Italien erleichtern. Das bestehende Gesetz (Bossi-Fini-Gesetz), das die Einreise
und den Aufenthalt an den Nachweis eines registrierten Arbeitsplatzes knüpft, fördere
illegale Immigration und illegalen Aufenthalt.
Nach dem neuen Amato-Ferrero-Gesetz soll, unabhängig vom Vorliegen eines Arbeitsvertrags, eine Einreise zum Zweck der Arbeitsaufnahme möglich sein, wenn sich
eine natürliche oder juristische Person dafür verbürgt, dass dem Zuwanderer in Italien
ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen oder wenn er diese selbst gewährleisten kann. Minister Paolo Ferrero informierte über die Einführung eines Integrationsfonds in Höhe von 50 Mio. Euro. Unbedingt notwendig sei, die schleppenden
bürokratischen Verfahren zu beschleunigen. Er berichtete, dass Ausländer aus NichtEU-Staaten für die Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen über sechs Monate
und Personen, die einen Antrag auf die italienische Staatsbürgerschaft gestellt haben,
sechs bis sieben Jahre nur auf eine erste Antwort ihrer Anfrage warten müssten. Er
forderte die italienischen diplomatischen Vertretungen in den Herkunftsländern der
Immigranten auf, ihrer Aufgabe bei der Steuerung der Zuwanderung besser gerecht
zu werden.
2.2 Integration von Migranten mit Bleibeabsicht
2.2.1 Sprache
Das frühzeitige Erlernen der Sprache wurde als Schlüssel zur Integration angesehen. „Sprache ist nicht alles, aber ohne Sprache ist alles nichts“, so formulierte es
Albert Schmid. Mangelnde Sprachkenntnisse führen in den Aufnahmeländern zu weit
reichenden Beeinträchtigungen in Schule, Arbeitswelt und Gesellschaft. Staatsministerin Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, und Minister Paolo Ferrero unterstrichen die zentrale Bedeutung der Förderung
der Sprachkenntnisse von Migranten. In Deutschland werden, so informierte Albert
Schmid, mit erheblichem finanziellen Aufwand, bundesweit Integrationskurse, im Wesentlichen Sprachschulungen mit 600 Stunden, künftig 900 Stunden, nach Zielgruppen
differenziert, angeboten. Ein Großteil der finanziellen Mittel des Integrationsfonds aus
dem italienischen Staatshaushalt ist für Sprachkurse vorgesehen.
Ein Schlüssel für das bessere Erlernen der Sprache sind die Eltern. In beiden Ländern wird diese Zielgruppe verstärkt angesprochen. Da Mütter meist die Erziehung
und Betreuung ihrer Kinder übernehmen, sollen sie beim Erlernen der Sprache besonders unterstützt werden, so Staatsministerin Maria Böhmer. In Deutschland werden in Kindergärten „Mamakurse“ für Deutsch angeboten. Um in Deutschland die
Eltern besser erreichen zu können, werde über Konsulate, Migrantenorganisationen
und Moscheen-Gemeinden für Sprachkurse geworben. Hierbei konnten auch türkische
Zeitungen erfolgreich einbezogen werden. Sie hoffe, damit die Hemmschwelle für die
Teilnahme an Sprachkursen zu verringern. Minister Paolo Ferrero berichtete von ver-
gleichbaren Initiativen in Italien, wie die mit der Moschee in Rom. Er regte an, eine
beliebte Fernsehsendung zur Sprachvermittlung aus den 60er Jahren, „Es ist nie zu
spät“, wieder ins Programm zu nehmen.
Die Kinder müssten vor der Einschulung die deutsche Sprache beherrschen, so
Staatsministerin Maria Böhmer. In Deutschland wird damit begonnen, im vierten Lebensjahr mit allen Kindern, nicht nur mit denen aus Familien mit Migrationshintergrund, Sprachprüfungen durchzuführen, um ihnen, bei festgestellten Schwächen, eine
spezifische Förderung anzubieten. Ausdrücklich wiesen beide Minister darauf hin, dass
zur Sprachförderung auch die Muttersprache gehöre. Von diesen Sprachkenntnissen
profitiere auch das Aufnahmeland. Teresa De Bellis unterstrich die große Bedeutung der
Mütter bei der bilingualen Erziehung der Kinder.
2.2.2 Schule
Die wichtigste Integrationsinstitution ist die Schule. Sie hat in beiden Staaten große Probleme, sich dieser Herausforderung zu stellen. Die besondere Schwierigkeit in
Deutschland besteht darin, dass in immer mehr Großstadtschulen Kinder mit Migrationshintergrund die Mehrheit bilden (durchschnittlich kommen in allen deutschen
Schulen 22% der 15-jährigen Schüler aus Migrantenfamilien). Das größte Problem in
Italien ist die rasche Zunahme von Migrantenkindern in den Schulen.
Nicht zuletzt wegen der mangelnden Sprachkenntnisse können viele Kinder dem
Unterricht nur schwer folgen. In Deutschland sind große Sprachdefizite auch bei in
Deutschland geborenen Kindern mit Migrationshintergrund festzustellen. 44% der
ausländischen Jugendlichen besucht eine Hauptschule, dagegen nur 19% der Deutschen
(in Deutschland werden die Kinder normalerweise nach einer vierjährigen Grundschule in der Sekundarstufe I auf Hauptschule, Realschule und Gymnasium aufgeteilt). 17%
der ausländischen Schulabgänger erreicht gar keinen Abschluss, gut doppelt so viele
wie Deutsche. Leider haben italienische Kinder, auch im Vergleich zu anderen Migrantenkindern, größere schulische Probleme, so Staatsministerin Maria Böhmer. Die PISAStudien der OECD zeigen, dass in Deutschland, im Vergleich zu anderen Staaten, der
Schulerfolg stärker von dem sozialen Status der Eltern abhängt und auch die Schulleistungen der Migrantenkinder schlechter sind.
Deswegen werden in Deutschland Initiativen zur Stärkung der Lernbereitschaft
von Migrantenkindern gefördert, so Staatsministerin Maria Böhmer. Hierzu gehöre eine
geeignete Lehrerausbildung wie eine bessere Ansprache der Eltern. Ähnlich dem Modell der Kulturmediatoren in Italien sollen in Deutschland so genannte „Bildungspaten“
geschaffen werden. Diese sollen Kindern mit Migrationshintergrund während ihrer
schulischen und beruflichen Laufbahn zur Seite stehen, wenn Eltern wegen mangelnder Sprachkenntnisse oder wegen Unkenntnis über das Schulsystem und die folgenden
Berufsmöglichkeiten dies nur ungenügend leisten können. Wichtig ist eine aktive Beteiligung der Eltern in der Schule, wie z.B. durch die Teilnahme an Elternabenden. Die
Migrantenorganisationen in Deutschland haben zugesagt, sich bei der Ansprache der
Eltern zu beteiligen. Angesichts der vergleichsweise größeren schulischen Probleme
italienischstämmiger Kinder berichtete Staatsministerin Maria Böhmer von Gesprächen
mit dem italienischen Botschafter Puri Purini in Berlin. Um die Lernprobleme dieser
Kinder überwinden zu helfen, wurden Regionalkonferenzen vereinbart, die sich insbesondere an italienische Eltern wenden sollen.
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Ein großes Problem in Italien sei der vorzeitige Schulabgang von über 25% der
Kinder aus Zuwandererfamilien, so Minister Paolo Ferrero. In Zusammenarbeit mit dem
Bildungsministerium sollen geeignete Initiativen entwickelt werden. Die italienische
Schule bekenne sich klar zum integrativen Ansatz, so Vinicio Ongini, Berater im Bildungsministerium. Dies bedeute eine enorme Herausforderung, angesichts der schnellen
Zunahme von ausländischen Kindern mit oft nur unzureichenden Kenntnissen der italienischen Sprache. Besondere Probleme ergeben sich dabei bei älteren Schülern, die im
Zusammenhang mit der Familienzusammenführung ohne jede Sprachkenntnisse in höhere Klassen eingeschult werden. Vinicio Ongini berichtete über fünf Handlungslinien.
Sie betreffen die Ausbildung der Schulleiter der Schulen, den Einsatz von 700 Lehrern
für Italienisch als Zweitsprache, die vom normalen Unterricht ganz oder teilweise befreit werden und auch als Sprachmediatoren tätig sein sollen, die Förderung von Eltern
und ihren Familien in Erwachsenenbildungszentren, die Überarbeitung der Kurrikula,
insbesondere in Geschichte und Erdkunde, und den Ausbau des internationalen Erfahrungsaustauschs zwischen Zuwanderungsländern (Konferenz im Oktober) und Herkunftsländern (im Juni mit Rumänien).
Die Schule hat auch als Ort der kulturellen Begegnung in den Stadtteilen eine
bedeutende Integrationsfunktion, da sie über die Kinder die Familien mit Migrationshintergrund erreichen kann. Notwendig hierzu ist, dass die Eltern sowie Initiativen
von und für Migranten in den Schulalltag eingebunden werden. Gute Erfahrungen hat
hiermit die Caritas Italiana gemacht. Die gleichberechtigte Förderung der Mädchen
aus muslimischen Familien wurde gefordert. Ein Problem ist die Weigerung einiger
Eltern, ihren Töchtern die Teilnahme an Klassenfahrten und koedukativem Sportunterricht zu erlauben. Notwendig ist, so Staatsministerin Maria Böhmer, dass vermehrt
Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund eingestellt werden. Sie informierte über eine diesbezügliche Verabredung mit den hierfür zuständigen Bundesländern.
2.2.3 Ausbildung und Beruf
Schwache schulische Leistungen verschließen vielen Migrantenkindern den Weg
in höherwertige Ausbildungsberufe, zum Studium und damit zu anspruchsvolleren Berufen. Für viele ist die Arbeitslosigkeit vorprogrammiert. Die Arbeitslosenquote der
ausländischen Jugendlichen in Deutschland ist doppelt so hoch wie die der deutschen
Jugendlichen. Nach einer IRES/CGIL-Studie erreichen in Italien nur 35% einen beruflichen Aufstieg (Frauen nur 11,4%). Die Probleme sind in Deutschland gravierender,
weil unqualifizierte Arbeitskräfte, im Unterschied zu den 60er und 70er Jahren, nicht
mehr gesucht werden. Die Situation auf dem deutschen Ausbildungsmarkt ist schwierig. Schlimm ist, so Staatsministerin Maria Böhmer, dass 40% der Jugendlichen aus Zuwandererfamilien keinen Berufsabschluss nachweisen können.
Ohne qualifizierte berufliche Bildung haben die Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund nur geringe Chancen auf eine berufliche Perspektive. Eine sehr
große Bedeutung hat in Deutschland die dreijährige betriebliche Ausbildung, die in
Verbindung mit der Berufsschule durchgeführt wird. Wolfgang Fehl vom „Netzwerk Integration durch Qualifizierung“ berichtete von einem Projekt in Köln, dem es gelang,
die Ausbildungsquote von Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund
stark zu erhöhen. Er unterstrich die Notwendigkeit der Ansprache der Jugendlichen,
der Eltern, der Multiplikatoren sowie der Migrantenorganisationen und Unterneh-
men. Gezielte Informationskampagnen, direktes Herangehen an Unternehmen über
die Kammerorganisationen und Beratungsstellen in Konsulaten hatten geholfen, den
Anteil von ausländischen Auszubildenden von 4% auf 18% in Köln zu erhöhen. Diese
positiven Erfahrungen haben ihren Niederschlag im „Nationalen Integrationsplan“ der
Bundesregierung gefunden, so Wolfgang Fehl.
Staatsministerin Maria Böhmer stellte fest, dass in den Firmen das Bewusstsein wachse, kulturelle Vielfalt und Mehrsprachigkeit als Chance für ihr Unternehmen zu erkennen, und berichtete von einer Initiative zur Verbesserung der Einstellungschancen von
Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund. Ein wichtiger Erfolg sei die Zusage ausländischer Unternehmensverbände, bis 2010 10.000 neue Ausbildungsplätze zu
schaffen. Italien müsse sich in naher Zukunft mit vergleichbaren Problemen auseinandersetzen, denn, so Minister Paolo Ferrero, die zweite und dritte Generation der heute in Italien lebenden Immigranten werden nicht mehr bereit sein, die niedrig dotierten Arbeiten
ihrer Eltern und Großeltern zu übernehmen. Dies werde ein großes Problem für den
stark segmentierten italienischen Arbeitsmarkt sein. Eine wichtige berufliche Perspektive sei für viele Migranten die Selbständigkeit, so Rudolfo Ortolani. Er verwies auf die
meist geringen Eigenmittel und die Probleme der Kreditaufnahme dieser Personengruppe. Selbständigkeit sei im Übrigen ein wichtiger Schritt zur Integration.
2.2.4 Stadtentwicklung und Wohnungssituation
In Italien besteht auch wegen der starken Zuwanderung eine große Nachfrage
nach Wohnraum. Der italienische Wohnungsmarkt ist geprägt von einer hohen Eigentumsquote (ca. 80%) und einem geringen Anteil von Sozialwohnungen (nur 5% der
Wohnungen sind in öffentlicher Hand). Nach einer Umfrage des Verbandes der Wohnungseigentümer in zwölf italienischen Städten sind 57% der Vermieter nicht bereit
ihre Wohnung an Migranten zu vermieten. Vor diesem Hintergrund müssen viele Migranten mit sehr beengten Wohnverhältnissen zurecht kommen. Oft sind sie gezwungen, überhöhte Mieten für unzulängliche Wohnungen zu bezahlen. Deswegen ist der
Bedarf an Wohnungseigentum sehr stark, so Rudolfo Ortolani. Das Problem ist jedoch,
dass angesichts steigender Wohnungspreise (50% in den letzten 5-6 Jahren) und der
meist unregelmäßigen Einkommen der Migranten erhebliche Finanzierungsprobleme
bestehen. Deswegen regte er die Schaffung von Garantiefonds der öffentlichen Hand
(Kommunen, Regionen) an, um die Finanzierung von Wohneigentum besser sichern
zu können. Derzeit gehen 16% der Wohnungsdarlehen an Ausländer (für 2008 werden
20% geschätzt). Minister Paolo Ferrero berichtete, dass 50% des Integrationsfonds der
Wohnungsförderung und Stadtentwicklung dienen soll, um der Gefahr der Gettoisierung entgegenzuwirken.
In Deutschland sind in einigen Ballungsgebieten, Stadtviertel mit hohen Migrantenanteilen zu beobachten. Diese Segregation zwischen Einheimischen und Bürgern
mit Migrationshintergrund vergrößert die kulturelle und soziale Kluft und führt zu
Parallelgesellschaften, so Albert Schmid. Lale Akgün wies in diesem Zusammenhang
darauf hin, dass die Segregation wesentlich sozialer Natur sei, da diese Stadtviertel
von meist armen und arbeitslosen Menschen bewohnt werden. Um der Gettoisierung
entgegen zu wirken, sei auch eine umfassende Stadtentwicklungspolitik notwendig, so
Stadträtin Teresa De Bellis. Stadtentwicklungspolitik sei eine Querschnittsaufgabe, die
des Einsatzes unterschiedlicher Maßnahmenbereiche bedürfe: über die Zuweisung von
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sozialen Mietwohnungen, sofern genügend städtische Wohnungen vorhanden sind,
könne ein Beitrag zur Bevölkerungsvielfalt geleistet werden; durch die Förderung von
Eigenheimen könne die Sozial- und Altersstruktur verbessert werden; über eine aktive Infrastrukturpolitik, wie gepflegte und sichere Straßen, einen gut erreichbaren
öffentlichen Personennahverkehr, Schulen, Gesundheitsdienste und Bildungsangebote,
könne das Stadtviertel an Wert und Anerkennung gewinnen. Wichtig für die Stadtentwicklung sei es, Chancen der Partizipation zu schaffen, damit sich auch die Bürger
mit Migrationshintergrund mit ihrem Stadtviertel identifizieren können, z.B. durch
Stadtteilfeste. Die Städte, betonte Teresa De Bellis, gewinnen durch Internationalität
und Mehrsprachigkeit ihrer Bewohner. Franco Pittau und Lucio Di Sciullo plädierten für
die Stadt der Zukunft mit den drei „I“: international, interkulturell und interreligiös.
3. Zielvorstellung von Integrationspolitik
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Integration sei Teilhabe, so Staatsministerin Maria Böhmer, und aktive Integrationspolitik bedeute deswegen, Rahmenbedingungen für Chancengleichheit für die Bürger
mit Migrationshintergrund zu schaffen. Ihnen müsse aber auch das Gefühl vermittelt werden, dass sie als Teilhaber der Gesellschaft erwünscht sind. Grundlage für das
Zusammenleben müsse die Akzeptanz der in der Verfassung formulierten Werteordnung sein, so Minister Paolo Ferrero. Dies beinhalte im Übrigen nicht nur die Wahrnehmung von Rechten, sondern auch die Übernahme von Pflichten. Integration ist eine
umfassende Aufgabe von Politik und Gesellschaft. Ergebnis eines breiten Dialogs in
Deutschland, an dem insbesondere auch Vertreter der Migranten beteiligt waren, sei
der deutsche „Nationale Integrationsplan“, der am 12. Juli 2007 von der Bundeskanzlerin vorgestellt werde, so Staatsministerin Maria Böhmer. Mit ihm werde eine nachhaltige Integrationspolitik in Deutschland eingeleitet. Monsignore Francesco Montenegro unterstrich die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Konsens und kritisierte
parteipolitisch und ideologisch motivierte Auseinandersetzungen. Jean Leonard Touadi,
Beigeordneter der Stadt Rom, bedauerte, dass die italienische Politik nicht wisse, welchen
Weg der Integrationspolitik sie gehen wolle.
3.1 Bereitschaft zur Aufnahme in die Gesellschaft
Deutschland habe sich lange der Einsicht widersetzt, ein Einwanderungsland zu sein,
so Staatsministerin Maria Böhmer. Auch die italienische Bevölkerung, so Minister Paolo
Ferrero, habe weitgehend den Wandel ihres Landes vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland noch nicht wahrgenommen. Es bestehe ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits wissen die Italiener um den Bedarf an Arbeitskräften, andererseits wehren sich viele
gegen die Präsenz von Ausländern. Jean Leonard Touadi kritisierte die Vorstellung, dass
Migranten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Land verlassen müssten. Dahinter stehe eine ablehnende Haltung gegenüber diesen Menschen und ihren Familien.
Er kritisierte den Erinnerungsverlust der italienischen Gesellschaft gegenüber den Erfahrungen, die früher die italienischen Auswanderer gemacht hatten.
Nach einer repräsentativen Umfrage von Eurobarometer in 31 europäischen Städten glaubten 2004 an eine insgesamt gelungene Integration: in Berlin nur 34%, in
München 48%, in Rom 52% und in Turin wiederum nur 38%. Vorurteile, Probleme
vor Ort und zum Teil situationsbezogene Stimmungen lösen bei der einheimischen
Bevölkerung gegenüber den Migranten Skepsis und Befürchtungen aus. Diese Haltung
gegenüber Einwanderern wird in der 15. Shell-Studie auch für deutsche Jugendliche
bestätigt. Statt 48% im Jahr 2002 lehnten im Jahr 2005 bereits 58% der befragten Jugendlichen eine weitere Zuwanderung ab. Oft wird mit den Ausländern höhere Kriminalität verbunden. Nach einer repräsentativen Umfrage von SWG aus dem Jahre 2005
glaubten 58% der Italiener, dass die Immigranten stärker in Straftaten verwickelt seien.
Staatssekretärin Marcella Lucidi, wies darauf hin, dass ein Großteil der Kriminalität von
illegal im Land lebenden Migranten ausgeht und gut integrierte Menschen weniger zu
kriminellen Taten neigen.
Auf Seiten der einheimischen Bevölkerung besteht ein starker Anpassungsdruck gegenüber den Migranten. Nach einer Umfrage des deutschen Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung erwarten 87% der Einheimischen, dass Ausländer, die sich länger in
Deutschland aufhalten wollen, Sprache, Bräuche und Regeln des Landes lernen sollten.
Demgegenüber, so Albert Schmid, besteht die Tendenz, dass die Migranten und insbesondere die Jugendlichen der zweiten und dritten Generation sich oftmals stärker in ihre
nationale Gemeinschaft zurückziehen. Viele Migranten empfinden einen Mangel an Aufnahmebereitschaft, teilweise sogar Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der sie umgebenden Gesellschaft. Nach einer Umfrage der UIL unter 3.000 Immigranten in Latium beklagen sich ein Drittel über die mangelnde Aufnahmebereitschaft der italienischen
Mitbürger. Nach der Shell-Studie empfinden 63% der ausländischen Jugendlichen in
Deutschland Benachteiligungen. Bezogen auf das Arbeitsleben belegt eine IRES/CGILStudie, dass sich in Italien 60% der Ausländer am Arbeitsplatz diskriminiert fühlen. Nach
wie vor sind in beiden Ländern Formen der Diskriminierung in Schule, Hochschule, in
Verwaltungen und Betrieben sowie bei öffentlichen Dienstleistungen zu beobachten. In
beiden Ländern gibt es Nottelefone und öffentlich Beauftragte, die in konkreten Fällen
helfen. Entscheidend sei jedoch, über präventive Maßnahmen, wie Kampagnen, das Bewusstsein der Menschen zu beeinflussen, sagte in der Diskussion die Richterin Paola Lucarelli des Antirassismusbüros der italienischen Regierung (UNAR).
Deutschland verdanke, so Staatsministerin Maria Böhmer, den italienischen Zuwanderern ein Stück Wohlstand und Lebenskultur. Die einheimische Bevölkerung dürfe die
Menschen mit Migrationshintergrund nicht länger als eine Bedrohung wahrnehmen,
sondern sollte sie als einen Gewinn für das eigene Land erkennen lernen, ein Mentalitätswechsel sei erforderlich. Lale Akgün wies darauf hin, dass viele Migranten sich
in der Gesellschaft nicht aufgenommen fühlen. Minister Paolo Ferrero beklagte, dass
viele dazu neigen, den einzelnen Migranten gemäß seiner ethnischen Herkunft einem
Klischee von Identität zuzuordnen und unterstrich die individuelle Pluralität des Menschen. Gerade die Kinder von Zuwanderern, die in der neuen Heimat aufgewachsen
sind, fühlten sich durch diese Vorurteile ausgegrenzt. Staatsministerin Maria Böhmer
berichtete über einen in Berlin kürzlich abgehaltenen Jugendintegrationsgipfel, auf
dem sich Vertreter ausländischer Jugendlicher gewünscht hatten von den Deutschen
ein größeres Gefühl der Zugehörigkeit zu erfahren.
3.2 Entwicklung von Heimatgefühl
In Deutschland habe man in den letzten Jahren zu sehr ein Nebeneinander der Kulturen zugelassen, so Staatsministerin Maria Böhmer. Notwendig sei die Förderung eines
echten Miteinanders. Sie unterstrich, dass gleichberechtigte Teilhabe mit der Bereit-
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schaft, Verantwortung für die neue Heimat übernehmen zu wollen, einher gehen müsse. Teresa De Bellis betonte die Bedeutung des Heimatgefühls für das bürgerschaftliche
Engagement. Dies gelte ganz besonders für das eigene Wohnumfeld. Beängstigend sei,
dass gerade Jugendliche der dritten Generation, auch mangels persönlicher Perspektiven (hohe Jugendarbeitslosigkeit), sich in ihre ethnische Gemeinschaft flüchten. Jean
Leonard Touadi verwies auf die Notwendigkeit, den Kindern aus den Zuwanderfamilien, insbesondere den in der neuen Heimat geborenen, über die Staatsbürgerschaft
die Zugehörigkeit zu ihrer neuen Heimat zu vermitteln. Staatssekretärin Marcella Lucidi machte darauf aufmerksam, dass Kinder aus Familien mit unsicherem aufenthaltsrechtlichen Status Aversionen gegen das Land in dem sie aufwachsen entwickeln.
Wichtig für die Entwicklung von Heimatgefühl ist, neben der (beruflichen) Lebensperspektive, das menschliche Miteinander, das der Einzelne mit seinem Umfeld verbindet. Immerhin pflegen, nach einer Untersuchung des deutschen Zentrums für Türkeistudien, 40% der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund freundschaftliche
Beziehungen mit Deutschen. Nach einer Untersuchung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums beteiligen sich 61% der Migranten außerhalb von Familie und Beruf
aktiv an Vereinen, Gruppen und Organisationen. Jean Leonard Touadi verwies auf positive Erfahrungen von Integration in der italienischen Gesellschaft, die zum Ausgangspunkt für eine italienische Integrationspolitik gemacht werden sollten.
3.3 Wertekonsens und Identität
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Die Basis für das Zusammenleben sind die in der Verfassung verankerten Grundwerte, so Staatssekretärin Marcella Lucidi, in ihren die Konferenz abschließenden Worten. Sie informierte über die unter Federführung des Innenministeriums in Erarbeitung
befindliche „Charta der Werte, der Staatsbürgerschaft und der Integration“ (Carta dei
Valori della Cittadinanza e dell’Integrazione), die im Dialog mit Vertretern von Migranten und Religionsgemeinschaften formuliert werde. Es gehe um europäische Werte wie
Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung, so Staatsministerin Maria Böhmer. Teresa De Bellis unterstrich die Bedeutung der Chancengleichheit von Frauen und Mädchen, deren Durchsetzung oft vernachlässigt werde. Integration als gleichberechtigte Teilhabe erfordert
von allen Beteiligten die Identifikation mit den Grundwerten des Landes, in dem sie leben
wollen. Die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft werde insofern in Deutschland
als Ausdruck einer gelungenen Integration angesehen, so Albert Schmid.
Ein Bekenntnis zu einem europäischen Islam machte Anas Breigheche, Vorsitzender
der „Jungen Muslime Italiens“, der sich als ein italienischer Muslim bezeichnete. Der
Islam dürfe nicht als etwas uneuropäisches angesehen werden, zumal in Europa 30 Millionen Muslime leben. Große Anstrengungen seien erforderlich, die Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen. Er berichtete von den Schwierigkeiten in denen sich Jugendliche
befinden, die sich zum muslimischen Glauben bekennen und zwischen den Traditionen
ihrer eingewanderten Eltern und Großeltern sowie ihrer italienischen Umgebung stehen. Staatsministerin Maria Böhmer informierte über die Deutsche Islamkonferenz, zu
der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble eingeladen hatte. Muslimischer Religionsunterricht und der Bau von Moscheen müssten, sofern bestimmte Regeln eingehalten werden, ermöglicht werden. Minister Paolo Ferrero sprach sich für ein neues Gesetz
zur Religionsausübung in Italien aus und erinnerte daran, dass das gegenwärtige Ge-
setz über die „zugelassenen Kulte“, das sich mit den nicht-katholischen Religionsgemeinschaften befasst, aus dem Jahr 1929 stammt.
Zwischen der Akzeptanz von Grundwerten der Verfassung und der Übernahme von
landesüblichen Bräuchen müsse klar unterschieden werden, so Minister Paolo Ferrero. Gerade weil sich Bräuche und Lebensgewohnheiten ändern würden, müsse die Gesellschaft
hier Toleranz zeigen. Seine Großmutter habe beispielsweise noch ein Kopftuch getragen.
Staatssekretärin Marcella Lucidi definierte Integration als Interaktion, die die Entfernung
zwischen dem Einheimischen und dem Migranten verkürze. Bruno Ducoli vom Zentrum
zur Förderung der Interkulturalität in Gargnano, warnte davor, die Verteidigung der eigenen
Identität zu einem Kampfbegriff („identità assassine“) zu machen. Jede Kultur und somit
Identität beruhte schon immer auf einem ununterbrochenen Prozess des kulturellen Imund Exports. Europa, das der Menschheit die Menschenrechte geschenkt habe, konnte erst
nach viel gegenseitigem Hass und zwischenstaatlichen Kriegen über den Dialog, unter Respektierung der Verschiedenheiten, zur Einheit finden. Bruno Ducoli: „Die Gesellschaft der
Zukunft ist die, welche zu vereinen weiß, ohne zu vermischen, und welche zu unterscheiden
weiß, ohne zu trennen“.
3.4 Herausforderungen an Politik und Gesellschaft
Nicht zuletzt wegen der demografischen Entwicklung ist Europa langfristig auf Zuwanderung angewiesen. Die europäischen Staaten werden die Integration von Menschen
aus anderen Kulturkreisen gestalten müssen. Die Frage des sozialen Zusammenhalts wird
damit zu einer zentralen Herausforderung unserer Gesellschaften. Die zweite strategische Aufgabe gilt der Förderung der Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund. Sie
sind, wie alle Kinder, das Zukunftspotential unserer Gesellschaften.
Celio Azzurro – „Eine besondere Begegnung“ mit der
deutschen Staatsministerin für Migration, Maria Böhmer
Daniele Valli, Leiter des Interkulturellen Didaktischen Zentrums Celio Azzurro
Celio Azzurro ist ein Ort, an dem man gelernt hat aufzunehmen, d.h. hier wurde
sogar aus der Aufnahme ein Schwerpunkt der eigenen pädagogischen Arbeit gemacht.
Meist stehen Kinder und ihre Familien im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, andere Male
entdecken interessierte Jugendgruppen, was hier passiert, und mehrmals im Jahr geht es
hier um unsere Brüder und „Weggenossen”, die „Kulturmediatoren“ des Forums.
Diesmal haben wir eine Ministerin bei uns „aufgenommen“ und zwar keine Geringere als die Staatsministerin für Migration der Bundesrepublik Deutschland, Frau
Maria Böhmer.
Da wir davon überzeugt sind, dass bei Aufnahme vor allem auch die Gefühlswelt
angesprochen werden muss, auch weil wir überzeugt sind, dass die Gefühle überall auf
der Welt, in jedem Alter, in jeder sozialen Klasse und in jeder sozialen „Rolle“ gleich
sind, haben wir die Staatsministerin mit der gleichen Einfachheit, der gleichen Herzlichkeit und Freude begrüßt, mit der wir alle aufnehmen.
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Das machte die Begegnung sofort dynamisch und inoffiziell. Die Staatsministerin
und ihre Delegation hatten um dieses Treffen gebeten, um besser verstehen zu können,
wie die Caritas, das „Forum per l’intercultura” (Interkulturelles Forum) der Caritas und
auch die ganz kleine didaktische und interkulturelle Struktur „Celio Azzurro“ (ebenfalls
eine Einrichtung der Caritas) im interkulturellen Bereich arbeiten.
Der Direktor der Diözesanscaritas, Monsignore Guerino Di Tora und vier kulturelle Mediatoren des Forum per l’intercultura: Luci Zuvela (Verein der slawischen Frauen, LIPA), Calo Palanti (Verein der Brasilianer in Italien), Godwin Chuckwu (Verein
Baobab) und Ejaz Ahmad (Redakteur der Zeitung für Pakistani in Urdu) informierten
unseren Gast über die Lage in Rom. Ich selbst nahm in zwei Funktionen, nämlich als
Mediator und Sprecher von Celio Azzurro, teil.
Zu Beginn der Diskussion stellte Mons. Di Tora unserem Gast die verschiedenen
von der Caritas organisierten und unterstützten Dienstleistungen für die Migranten
vor. Die Caritas begann Anfang der achtziger Jahre mit dem Angebot von Dienstleistungen für die Zuwanderer, einmal, um ihre Probleme kennenzulernen und sie der
Öffentlichkeit bekannt zu machen, zum anderen, um bedürftigen Zuwanderern im
Rahmen einer ersten Anlaufstelle konkrete Hilfe (Essen, Unterkunft, medizinische
Versorgung, Kleidung, usw. bekamen) und im Rahmen einer zweiten Aufnahmephase
(Sprachkurse, Berufsausbildung, Arbeitssuche, Beratungen verschiedenster Art) anzubieten. Außerdem wurden die Behörden bezüglich verschiedener Erfordernisse angesprochen und Beiträge zur Weiterentwicklung der Gesetzgebung zur Eingliederung
von Zuwanderern gemacht. Dazu kamen noch vom „Forum per l’intercultura“ Initiativen
zur Sensibilisierung der Bevölkerung und zugunsten der interkulturellen Bildung. Es
handelt sich hierbei um ein Sonderprogramm, das die Caritas mit Unterstützung von
italienischen und Migrantenvereinen durchführt.
Nachdem mir das Wort erteilt wurde, versuchte ich unseren Gesprächspartnern
die Werte und Gründe zu erklären, die Celio Azzurro dazu veranlassen, dem Anderssein
eine besondere Bedeutung zu geben und gleichzeitig dabei zu helfen, sich der eigenen
Wurzeln zu besinnen. Ich wollte vor allem hervorheben, dass, wenn die spezifischen
Entwicklungszeiten und Besonderheiten jedem Kind und seiner Familie zugestanden
werden, ein kleines Wunder geschehen kann, nämlich das Entstehen einer Gemeinschaft in Handeln und Fühlen, d.h. ein Netz der Zuneigungen, das es jedem erlaubt, sich
in einer Gesellschaft, die oft fremd und manchmal sogar feindlich erscheint, nicht mehr
alleine zu fühlen. Ich sagte weiterhin, dass diese Erfahrung verbreitet werden müsste
und dass dies über das Forum per l’intercultura erfolgt.
An diesem Punkt meldete sich Carlo Palanti zu Wort, der der deutschen Delegation
mit Engagement genau erklärte, wie und in welchem Umfeld das Forum tätig ist und
vor allem, welche Aufgaben ein „Kulturmediator“ hat. Wir stellten dann das Modell der
interkulturellen „Mediation“ mit seinen drei Phasen vor: in der ersten Phase geht es um
die Förderung der Begegnungen zwischen den verschiedenen „Welten” und Kulturen;
in der zweiten Phase um das sich gegenseitig Kennenlernen und in der dritten Phase
um den persönlichen Austausch und damit um eine veränderte Einstellung.
Unser Gast dankte uns für den „Berg“ an wertvollen Informationen, und fragte die
anderen Mediatoren, weshalb sie diesen „Beruf“ gewählt hatten und wie viel Zeit sie am
Tag für ihn verwenden.
Ejaz Ahmad erklärte, was er unter interkultureller Mediation versteht. Er sag-
te, dass Italien noch viel aufzuholen habe, mehr als es in der Begegnung deutlich geworden wäre. Er wies darauf hin, dass manchmal einige tief verwurzelte kulturelle
Unterschiede (z.B. Polygamie, Zwangsehen, usw.) in den verschiedenen Ländern das
spannungsfreie und positive Erleben gemeinsamer Erfahrungen erschweren können.
Godwin Chuckwu sprach dann als erfahrener Kulturmediator des Forum per
l’intercultura von seinen Anfängen als Kulturmediator als er fast gar nicht wusste, was
eigentlich die europäischen Kulturen von denen des afrikanischen Kontinents unterscheiden. Er ist überzeugt, dass man die Geschichte und das kulturelle Erbe, die ein
Volk und ein Land reich machen, kennenlernen muss. Nur so kann man den Leuten
verständlich machen, dass es keine Länder mit mehr oder weniger Geschichte oder
Kultur gibt, sondern sich diese nur unterschiedlich entwickelt haben.
Frau Staatsministerin Böhmer fragte uns alle dann, was in der Vergangenheit hätte anders gemacht werden können und welche Pläne wir für die Zukunft hätten. Luci
Zuvela wies darauf hin, dass es in der Vergangenheit zu wenig Begegnungsstätten gegeben und dass man die Kulturenvielfalt nicht genügend geschätzt habe. Eine bessere
Kenntnis des Anderen hilft, das größte Hindernis für friedliches Zusammenleben, die
Angst, zu beseitigen.
Bei der Verabschiedung von der Staatsministerin unterstrichen wir alle wie im
Chor, dass in der heutigen Zeit ein interkultureller Ansatz nicht nur das Zusammenleben mit Menschen aus fernen Ländern fördere, sondern auch die Voraussetzung für
positive Beziehungen zwischen ihnen sei - egal woher sie kommen.
Celio Azzurro ist ein Interkulturelles Zentrum, in dem ausländische und italienische Kinder
von drei bis sechs Jahren aufgenommen werden. Das Zentrum, das von einer Gruppe Erzieher
des gleichnamigen Vereins geleitet wird, die in verschiedenen Bereichen mit Minderjährigen arbeiten und neuen interkulturellen Themen gegenüber besonders aufgeschlossen sind, konnte am
1. Juni 1990 dank der Finanzierung durch die Stadt Rom eingeweiht werden. Celio Azzurro war
das erste interkulturelle Zentrum für Migrantenkinder in Italien. In den letzten siebzehn Jahren
wurde das Zentrum von über siebenhundert Kindern aus fünf Kontinenten besucht. Das Ziel ist,
Zeugnis dafür abzulegen, dass im Zeichen der gegenseitigen Achtung, des Austauschs und vor
allem der Aufwertung anderer Kulturen mit den Migrantenkindern und ihren Familien ein Zusammenleben möglich ist. Das Zentrum arbeitet mit dem Forum per l’intercultura zusammen und
arbeitet mit diesem Ausbildungswege aus, die vor allem, aber nicht ausschließlich, für Schulen
und Sozialarbeiter gedacht sind. In den Ausbildungsabläufen sind „emotionale Beziehungen“ das
beste Instrument für die Begegnung, das gegenseitige Kennen- und Schätzen lernen sowie das
Zuhören und Entdecken. Auf dieser Grundlage sehen die Laboratorien eine direkte Beteiligung
der Kinder und Lehrer durch Lesen, Diskussionen, Vergleiche, Rollenspiele und Gruppenarbeit
vor.
(Centro didattico interculturale Celio Azzurro, salita S. Gregorio al Celio, 3, Rom: Tel./Fax
06 7004271- celioazzurro@tiscali.it - www.celioazzurro.org).
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Politische Beiträge
Keine Einwanderung ohne Integrationspolitik
Der europäische Rahmen für die Integration
Franco Frattini, Vizepräsident der Europäischen Kommission
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In den letzten zehn Jahren ist die Einwanderung zu einem prioritären Thema
auf der internationalen und der europäischen Agenda geworden. Alljährlich werden
2,2 Millionen Aufenthaltsgenehmigungen für Drittstaatsangehörige erteilt, die in der
EU leben möchten – um eine Erwerbstätigkeit auszuüben, aus Gründen der Familienzusammenführung, für Forschungszwecke oder um ein Studium zu absolvieren. Im
Januar 2006 hielten sich 18,5 Millionen Bürger von Nicht-Mitgliedstaaten, d.h. 3,8%
der Gesamtbevölkerung, legal in der EU auf.
Eins wird immer klarer: In allen EU-Staaten besteht – wenn auch in unterschiedlichem Maße – ein Problem, das ein gemeinsames Vorgehen erfordert. Dies gilt insbesondere, seit der gemeinsame Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geschaffen
und die Kontrollen an den Binnengrenzen aufgehoben wurden. Die Migranten spielen
in der EU-Wettbewerbsstrategie eine entscheidende Rolle; gleichwohl können sie ihr
Potenzial nur dann vollständig ausschöpfen, wenn ihnen Gelegenheit geboten wird, sich
in die Gesellschaft und Wirtschaft des Aufnahmelandes zu integrieren. Deshalb gehört
die Integration von Einwanderern, die sich rechtmäßig im EU-Gebiet aufhalten, zu den
Hauptprioritäten und ist ein Schlüsselelement der umfassenden Migrationspolitik der
EU.1 Entsprechend der EU-Agenda geht die Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung der legalen Migration mit Fortschritten auf dem Gebiet der Integration einher.
In den Schlussfolgerungen des Rates vom Juni 2007 zur Stärkung der Integrationspolitik in der Europäischen Union durch Förderung von Einheit in der Vielfalt haben
die Regierungen der Mitgliedstaaten auf die zusätzliche Verknüpfung von Einwanderungs- und Integrationsmaßnahmen hingewiesen.
Gleichzeitig ist die Konsolidierung der Rechtsvorschriften zu den Einreise- und
Aufenthaltsbedingungen von Drittstaatsangehörigen für einen kohärenten Integrationsansatz der EU unverzichtbar. Verschiedene Aspekte, wie Familienzusammenführung, langfristige Aufenthaltsberechtigung und Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen, die internationalen Schutz benötigen, sind
bereits geregelt. Wie im strategischen Plan zur legalen Einwanderung angekündigt,
haben wir unlängst zwei Legislativvorschläge unterbreitet: einen Vorschlag für eine
allgemeine Rahmenrichtlinie, in der die Grundrechte von zugewanderten Arbeitnehmern in der EU festgelegt sind, und einen Vorschlag für eine Richtlinie betreffend die
Einreise- und Aufenthaltsbedingungen von hochqualifizierten Zuwanderern.
Ich werde mich hier auf einige zentrale Bestandteile der EU-Integrationspoli(1) Schlussfolgerungen des Vorsitzes über eine umfassende Migrationspolitik, Europäischer Rat
vom 14./15. Dezember 2006 in Brüssel, http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/
pressData/de/ec/92202.pdf
tik, wie sie in diesem Kontext umgesetzt wird, konzentrieren. Insbesondere werde ich
darstellen, welche konkreten Maßnahmen und Projekte wir durchgeführt haben und
welche Instrumente und Ressourcen wir künftig einsetzen wollen, um den absehbaren
Integrationsproblemen zu begegnen.
Entwicklungen bei der Zusammenarbeit und dem Austausch bewährter
Verfahren im Bereich der Integration
Gemäß dem Haager Programm von 2004 ist es erforderlich, die nationalen Integrationsmaßnahmen umfassender zu koordinieren und die einschlägige Tätigkeit der
EU auf gemeinsame Grundprinzipien zu stützen. Der Rat verabschiedete im November
desselben Jahres elf Gemeinsame Grundprinzipien (GGP) für die Politik der Integration von Einwanderern in der Europäischen Union2 und die Kommission unterbreitete
im September 2005 eine „Gemeinsame Integrationsagenda“3, die einen Rahmen für die
Integration von Drittstaatsangehörigen in der EU vorgibt. Der Rat unterstützte in
seinen Schlussfolgerungen zur Gemeinsamen Agenda deren allgemeine Leitlinien und
betonte, dass es erforderlich sei, stärker einen gemeinsamen Ansatz für Integrationsstrategien und -maßnahmen zu verfolgen.4 Die Gemeinsame Agenda enthält konkrete
Maßnahmen zur Umsetzung der Gemeinsamen Grundprinzipien und bietet eine Reihe
europäischer Rechtsinstrumente, um diesen Prozess zu erleichtern, in dessen Verlauf
ein besonderer europäischer Ansatz zur Integration durch Zusammenarbeit und Austausch von bewährten Verfahren entwickelt werden soll.
Das Netz der nationalen Kontaktstellen für Integration wurde ursprünglich als Ergebnis
der Schlussfolgerungen des Rates „Justiz und Inneres“ von Oktober 2002 eingerichtet,
der festgestellt hatte, dass der Austausch von Informationen und bewährten Verfahren
notwendig sei und ein entsprechendes Netz aufgebaut werden müsse. Dieses Netz fand
später die Zustimmung des Europäischen Rates von Thessaloniki, der in seinen Schlussfolgerungen von Juni 2003 die Bedeutung des Ausbaus der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs hervorhob und erklärte, dass insbesondere die Maßnahmen auf
einzelstaatlicher wie auf EU-Ebene effizienter koordiniert werden müssten. Mit dem
Netz soll vor allem ein Forum für den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten auf EU-Ebene geschaffen werden, das es ermöglicht, wirksame Lösungen für die Integration von Migranten in allen Mitgliedstaaten
zu finden; außerdem soll das Netz die Koordinierung und Kohärenz der einschlägigen
Maßnahmen auf nationaler Ebene sowie mit EU-Initiativen gewährleisten.
Die Handbücher zur Integration für Entscheidungsträger und Praktiker5, die in Zusammenarbeit mit den nationalen Kontaktstellen unter Mitwirkung regionaler/lokaler
Behörden und nichtstaatlicher Beteiligter erstellt wurden, sind ein unentbehrliches
Instrument für den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren. Gegenstand der ersten Ausgabe (2004) waren Einführungskurse für Zuwanderer und anerkannte Flüchtlinge, deren gesellschaftliche Teilhabe sowie Integrationsindikatoren. In
(2) Ratsdokument 14615/04.
(3) KOM(2005) 389.
(4) Ratsdokument 14390/05.
(5) http://ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/immigration/integration/doc_immigration_integration_de.htm
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der zweiten Ausgabe (2007) wurden andere Schlüsselthemen behandelt, die in den Gemeinsamen Grundprinzipien entwickelt worden waren: Einbeziehung der Integration
in viele Politikbereiche und Aufbau einer Integrationsinfrastruktur, Prüfung der für die
Umsetzung erfolgreicher Integrationsstrategien in allen Politikfeldern angewandten
Verfahren, Wohnen in einem städtischen Umfeld und wirtschaftliche Integration sowie
Darlegung der in diesen Bereichen gewonnenen Erfahrungen. Eine dritte Ausgabe ist
für 2009 geplant.
In den Jahresberichten über Migration und Integration wird untersucht, welche Maßnahmen zur Aufnahme und Integration von Drittstaatsangehörigen auf einzelstaatlicher
und EU-Ebene ergriffen werden; die Berichte bieten einen Überblick über politische Entwicklungen und tragen zur Bewertung und Stärkung von Integrationsmaßnahmen bei.
Der dritte Jahresbericht, den ich auf der hochrangigen Konferenz über legale Zuwanderung im September in Lissabon vorgestellt habe, verdeutlicht, wie die Integrationsdebatte im letzten Jahr sowohl auf EU-Ebene als auch in den einzelnen Mitgliedstaaten an
Intensität zugenommen hat. Immer mehr Mitgliedstaaten verfolgen eine neue Integrationspolitik und passen Strategien an, die auf den bisherigen Erfahrungen aufbauen. Wir
zeigen auch auf, inwiefern die Einbeziehung von Integrationsmaßnahmen in zahlreiche
Politikbereiche der EU, wie Beschäftigung, Unternehmertätigkeit, kulturübergreifender
Dialog, Grundrechte, Diskriminierungsverbot und Chancengleichheit, soziale Einbeziehung und Sozialschutz, Städtepolitik, Gesundheit und Bildung, zu einem wesentlichen
Bestandteil der politischen Beschlussfassung und der Umsetzung und Finanzierung
konkreter Maßnahmen geworden ist. Ein interessanter Bestandteil des Berichts ist der
umfassende Überblick über einzelstaatliche Integrationsmaßnahmen, der durch eine in
Zusammenarbeit mit den nationalen Kontaktstellen erarbeitete Zusammenfassung der
Integrationsmaßnahmen in der EU-27 ergänzt wird. Darin beschreiben wir Trends und
erläutern ausführlich Beispiele der Umsetzung der Gemeinsamen Grundprinzipien für
Integration aus verschiedenen Ländern.
Im Haager Programm wurde eine leicht zugängliche europäische Integrationswebseite
gefordert. Diese wird gegenwärtig von der Kommission aufgebaut und soll den strukturellen Austausch von Erfahrungen und Informationen im Bereich Integration unterstützen. Die Webseite dürfte 2008 zur Verfügung stehen.
Ferner ist ein Europäisches Integrationsforum für die auf EU-Ebene im Integrationsbereich Tätigen geplant. EU-Dachverbände mit Mitgliedern in einer Reihe von
Mitgliedstaaten werden Sachwissen austauschen und Empfehlungen ausarbeiten, die
sodann auf der Integrationswebseite veröffentlicht werden sollen. Das Forum wird in
enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss eingerichtet, der die organisierte Zivilgesellschaft auf EU-Ebene vertritt.
Von den vorbereitenden Maßnahmen (INTI) zum Europäischen Fonds für
die Integration von Drittstaatsangehörigen
Seit 2003 kofinanziert die Kommission über das Programm INTI – Integration von
Drittstaatsangehörigen6 - grenzübergreifende Integrationsprojekte zur Förderung der
diesbezüglichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Sie stellte für die Jahre 2003-2006
(6) http://ec.europa.eu/justice_home/funding/2004 2007inti/funding_inti_de.htm
insgesamt 20 Mio. Euro zur Verfügung. Die Mitgliedstaaten bewerten die Integration
von Drittstaatsangehörigen jeweils sehr unterschiedlich und haben in unterschiedlichem
Maße Integrationsmaßnahmen entwickelt und umgesetzt. Einige Länder verfügen bereits über eine lange Erfahrung in diesem Bereich, während andere erst vor kurzem mit
der Konzeption einer entsprechenden nationalen Politik begonnen haben. Gleich, ob sie
über mehr oder weniger Erfahrung verfügen – alle Mitgliedstaaten ziehen aus dem Programm INTI einen Nutzen. Ein gemeinsames Merkmal aller INTI-Projektpartnerschaften ist die aktive Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen und einer Vielzahl von Beteiligten sowie der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften.
Als Beispiel für dieses heterogene Projektnetz sei das Projekt „Integrating Cities“ genannt, das 2006 im Rahmen der „Benchmarking Integration Governance in European
Cities“ (Leistungsvergleich erfolgreicher Governance-Strukturen für die Integration in
europäischen Städten) ausgewählt wurde. Ziel des Projekts ist die Unterstützung der
Städte bei ihren Integrationsmaßnahmen; dazu konzentriert es sich auf das Benchmarking erfolgreicher Governance-Strukturen für die Integration in europäischen Städten
und die Förderung eines innovativen Modells, bei dem Verbindungen zwischen Akteuren auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene hergestellt werden.
Das Projekt ist eine Folgemaßnahme des 2006 von der Europäischen Kommission und EUROCITIES angestoßenen Prozesses, in dem eine Reihe von Konferenzen
vorgesehen sind; Ziel der Arbeiten ist es, einen Dialog über die Integrationsthematik
einzuleiten und Brücken der Zusammenarbeit zwischen der lokalen, der nationalen und
der europäischen Ebene zu bauen. Die erste Konferenz unter dem Titel „Integrating
Cities“ fand 2006 in Rotterdam statt. Führende Experten, Entscheidungsträger und
Praktiker aus dem Bereich der Integration von Migranten erläuterten, wie sie sich
die praktische Umsetzung der Gemeinsamen Grundprinzipien und des Europäischen
Rahmens für die Integration auf lokaler Ebene vorstellen. Auf der im November 2007
in Mailand veranstalteten Konferenz EUROCITIES unterzeichneten der Bürgermeister von Mailand und ich eine gemeinsame „Erklärung“, in der wir uns verpflichten,
beständig dafür einzutreten, dass die Städte bei der Gestaltung der europäischen Gemeinsamen Integrationsagenda ein stärkeres Mitspracherecht erhalten; wir engagieren
uns außerdem für einen kontinuierlichen, engeren Dialog sowie eine fruchtbare Zusammenarbeit im Hinblick auf die erfolgreiche Integration von Migranten und werden unsere Maßnahmen auf die Grundsätze Partnerschaft, Mitverantwortung und effiziente
Verwaltung stützen.
Zwei wichtige, 2004 durch das Programm INTI finanzierte, Projekte betreffen Caritasverbände in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. Im Rahmen von INTI wurde 2004
ein Netz nationaler Kontaktstellen für Integrationsfragen errichtet. Federführend waren der
Europäische Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen des Vereinigten Königreichs. Dem Netz gehören erfahrene Kräfte von NRO an, die sich im Bereich Flüchtlingshilfe und Migration für folgende Ziele engagieren: Formulierung grundlegender
Vorschläge für die Integration von Migranten und Flüchtlingen; Darstellung positiver
Beispiele dafür, wie sich Migranten und Flüchtlinge wirtschaftlich, sozial und kulturell in die Aufnahmegesellschaft einbringen können; Überzeugungsarbeit mit Blick auf
Politiker, Beamte und Entscheidungsträger durch Vorschläge zur Wiederbelebung der
Integrationsdebatte. Caritas Europa (im Namen von acht nationalen Caritasverbänden)
und der Deutsche Caritasverband in Freiburg sind Partner dieses wichtigen Projekts.
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Ein weiteres INTI-Projekt, an dem Caritasverbände (insbesondere der Caritasverband
der Erzdiözese Warschau) beteiligt sind, zielt auf die Selbsthilfe und Mitverantwortung von Migranten sowie die Integration durch Information und Schulung von Beamten und NRO; für die Abwicklung dieses Projekts ist die Tschechische Republik
zuständig.
Angesichts der positiven Erfahrungen und des Erfolgs des Programms INTI hat
die EU einen neuen Europäischen Fonds für die Integration von Drittstaatsangehörigen7 für
den Zeitraum 2007 – 2013 aufgelegt, der der stärkeren finanziellen Unterstützung von
Integrationsmaßnahmen dient und mit 825 Mio. EUR ausgestattet ist. Als einer der
vier Fonds des Programms „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“8 zielt der
Integrationsfonds darauf ab, die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, Drittstaatsangehörigen mit unterschiedlichem wirtschaftlichem, kulturellem, religiösem, sprachlichem und ethnischem Hintergrund, die Erfüllung der Aufenthaltsbedingungen zu
ermöglichen und es ihnen zu erleichtern, sich in die europäische Gesellschaft gemäß
den Gemeinsamen Grundprinzipien für die Politik der Integration von Einwanderern
in der Europäischen Union zu integrieren. Dank des Fonds werden die Mitgliedstaaten
über größere Kapazitäten für die Entwicklung und Umsetzung nationaler Integrationsstrategien im Hinblick auf alle Aspekte der Gesellschaft verfügen; insbesondere
wird dem Grundsatz Rechnung getragen, dass Integration ein dynamischer, wechselseitiger Prozess des gegenseitigen Entgegenkommens aller Migranten und aller in den
Mitgliedstaaten ansässigen Personen ist.
Die nationalen Programme werden u.a. folgende Prioritäten enthalten: Durchführung
von Maßnahmen zur praktischen Umsetzung der Gemeinsamen Grundprinzipien; Entwicklung von Indikatoren und Bewertungsmethoden zur Messung der Fortschritte, zur
Anpassung der Strategien und Maßnahmen sowie zur Erleichterung der Koordination
des vergleichenden Lernens; Stärkung des Aufbaus integrationspolitischer Kapazitäten,
Koordinierung und Aufbau interkultureller Kompetenz in den Mitgliedstaaten auf allen
Regierungsebenen sowie Austausch von Erfahrungen, bewährten Verfahren und Informationen über Integrationsfragen zwischen den Mitgliedstaaten. Im Rahmen dieser vier
Prioritäten kann der Gemeinschaftsbeitrag für bestimmte Maßnahmen auf 75% aufgestockt werden. Dies gilt für Maßnahmen in den Mitgliedstaaten, die sich mit den spezifischen horizontalen Prioritäten befassen, z.B. Partizipation als Mittel zur Förderung
der gesellschaftlichen Eingliederung von Drittstaatsangehörigen; besondere Berücksichtigung einzelner Zielgruppen wie Frauen, junger Migranten und Kinder aus Migrantenfamilien; innovative Einführungsprogramme und -aktivitäten sowie interkultureller
Dialog und Einbindung der Aufnahmegesellschaft in den Integrationsprozess.
Was die Gemeinschaftsmaßnahmen anbelangt, so werden bei der Unterstützung
grenzübergreifender Projekte drei Hauptprioritäten behandelt: Interaktion zwischen
Drittstaatsangehörigen und EU-Bürgern sowie Förderung von Integrationsmaßnahmen und bewährten Verfahren, die auf die ganze Gesellschaft abzielen; zielgerichtete
Integrationsstrategien und –maßnahmen für verschiedene Migrantengruppen, wobei
(7) Entscheidung 2007/435/EG, veröffentlicht am 25. Juni 2007.
(8) Die anderen drei Fonds des Programms „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“ sind
der Außengrenzenfonds, der Flüchtlingsfonds und der Rückkehrfonds. Die Gesamtmittel für das Rahmenprogramm belaufen sich für 2007-2013 auf 4020,37 Mio. EUR.
die speziellen Bedürfnisse von Kindern und Migrantinnen besonders berücksichtigt
werden; Maßnahmen zur Stärkung der zusätzlichen Verknüpfung von Migrations- und
Integrationspolitik.
Ausblick
Die auf der ersten Ministerkonferenz zum Thema Integration 2004 in Groningen
angestoßene politische Debatte wurde im Mai 2007 auf einem informellen Treffen der
für Integration zuständigen EU-Minister in Potsdam fortgesetzt. Der Rat verabschiedete im Anschluss daran Schlussfolgerungen zur Stärkung der Integrationspolitik in
der Europäischen Union durch Förderung von Einheit in der Vielfalt. Diese Schlussfolgerungen werden uns als Bezugspunkt für die bevorstehenden neuen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Entwicklung von Integrationsstrategien und -maßnahmen auf europäischer Ebene dienen.
Die künftigen Verpflichtungen der Kommission in diesem Bereich, die auch im Dritten
Jahresbericht über Migration und Integration genannt sind, werden verschiedene Aspekte
umfassen. So beabsichtigt die Kommission, den verschiedenen Konzepten und Ansätzen zur
Partizipation nachzugehen und zur Klärung beizutragen und sich mit den in der Diskussion
befindlichen Konzepten der Bürgerschaft zu befassen. Wir werden die Umsetzung von auf
die Aufnahmegesellschaft zugeschnittenen Integrationsmaßnahmen fördern, um so die Fähigkeit der staatlichen Einrichtungen und der Medien zu ausgewogener Reflexion und zur
Steuerung der migrationsbezogenen Vielfalt in der Gesellschaft zu stärken.
Wir werden untersuchen, welcher zusätzliche Nutzen von gemeinsamen europäischen Modulen für die Integration von Migranten zu erwarten ist; diese Module sollen in einem eigenständigen Projekt ausgehend von den auf einzelstaatlicher Ebene
gewonnenen Erfahrungen im Zusammenhang mit Einführungs- und Sprachkursen,
der Einbeziehung der Aufnahmegesellschaft, der Förderung der Teilhabe der Migranten am Gemeindeleben und anderen Integrationsaspekten entwickelt werden. Darüber
hinaus wird die Kommission untersuchen, wie Integrationsprogramme und -maßnahmen sozialer Entfremdung und Radikalisierung vorbeugen können. Die Förderung der
Entwicklung gemeinsamer Indikatoren und Indizes, die eine effektivere Überwachung
und Bewertung von Fortschritten in der Integrationspolitik ermöglichen, wird bei unserer künftigen Arbeit ebenfalls einen hohen Stellenwert einnehmen.
Migration und europäische Identität - Bildung und Arbeit als
Schlüssel - Der deutsche Weg der Integrationspolitik
Prof. Dr. Maria Böhmer, MdB, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, Beauftragte für Migration, Integration und Flüchtlinge
2007 ist das „Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle“, 2008 wird das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs“ sein. Damit stehen hoch spannende Fragen auf der europäischen Agenda: Wie stärken wir den sozialen Zusammenhalt? Wie
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ermöglichen wir bessere Bildung? Wie erhöhen wir die Arbeitsmarktchancen für Zuwanderer? Wie verständigen wir uns auf grundlegende gemeinsame Werte? Dem entspricht, dass nahezu alle europäischen Länder ihre Integrationspolitik neu definieren,
wie auf der großen Konferenz der europäischen Integrationsminister in Potsdam im
Mai 2007 deutlich wurde, zu der die deutsche Ratspräsidentschaft eingeladen hatte.
Alle gehen dabei eigene Wege. Denn die Geschichte der Zuwanderung ist jeweils eine
andere. Die dominierenden Zuwanderungsgruppen unterscheiden sich, Staatsbürgerschaft wird unterschiedlich verstanden. Gleichwohl bestehen zum Teil sehr ähnliche
Probleme und zum Teil werden darauf ähnliche Antworten gegeben. Deshalb brauchen wir den Austausch unter den europäischen Ländern und darüber hinaus.
In Deutschland haben wir mit dem „Nationalen Integrationsplan“ einen völlig neuen
Weg beschritten. Aus der Erkenntnis heraus, dass Integration eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, die der Staat nicht alleine lösen kann, hat die Bundesregierung alle
an einen Tisch geholt: Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen, Vertreter von Verbänden, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Kirchen, der Wissenschaft, des Sports,
der Medien, der Kultur und vor allem der Migranten selbst. Kennzeichen des Nationalen
Integrationsplans sind die Selbstverpflichtungen, die alle Beteiligten eingehen, insgesamt
400. Damit tragen alle dazu bei, dass Talente erkannt und Potenziale ausgeschöpft werden. Dieser neue Weg stößt in anderen Ländern auf großes Interesse.
Die Situation in Deutschland und Italien
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Deutschland und Italien verbindet eine lange Migrationserfahrung: 2005 haben wir
den 50. Jahrestag des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens begangen. Über 4 Millionen Italiener sind seit dem 2. Weltkrieg nach Deutschland gekommen. Sie stellen mit
etwa 540.000 Personen die zweitgrößte Gruppe von Ausländern in Deutschland dar.
Deutschland verdankt ihnen einen Teil seines Wohlstands, aber auch seiner Lebenskultur.
Im Verhältnis zu den alten Einwanderungsländern Frankreich und USA sind
Deutschland und Italien eher junge Einwanderungsländer, weitgehend ohne koloniale Migration. Deutschland war lange Zeit Auswanderungsland. Zuwanderung wurde, jedenfalls quantitativ, erst nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutsam. Nach 1945 hat
Deutschland erfolgreich Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen integriert. Das
waren Deutsche, aber auch sie mussten erst neu ankommen und aufgenommen werden.
Dann kamen die so genannten „Gastarbeiter“. Sie haben zur wirtschaftlichen Kraft und
kulturellen Vielfalt Deutschlands beigetragen. Zu Beginn der 1990er Jahre kamen viele
Spätaussiedler aus Osteuropa und viele Flüchtlinge, insbesondere aus dem ehemaligen
Jugoslawien. Deutschland hat mehr Asylbewerber aufgenommen als alle anderen europäischen Länder. Das ist durchaus vergleichbar mit den seit 2006 stark ansteigenden
Anlandungen von Flüchtlingen in Süditalien.
In den letzten Jahren ist die Zuwanderung zurückgegangen und hat fast die Zahl
der Auswanderung erreicht. 2006 lag der Saldo bei 20.000. Seit 2005 ist in Deutschland
eine verstärkte Abwanderung junger Menschen zu beobachten. Bei Menschen mit deutschem Pass gab es sogar eine Netto-Abwanderung von 52.000. Hinter diesen Zahlen
verbergen sich große Wanderungsbewegungen mit Zuzügen und Fortzügen von über
600.000 Personen. Die verringerte Zuwanderung ändert aber nichts an der Tatsache,
dass 15 Millionen Menschen in Deutschland aus Zuwandererfamilien stammen, also
jeder Fünfte. In großen westdeutschen Städten stammen bis zu 40% der Jugendlichen
aus Zuwandererfamilien, in einigen Jahren werden es die Hälfte sein.
Die meisten Migranten haben sich gut integriert. Bei einem Teil der Kinder und
Enkel der Immigranten bestehen jedoch Probleme wie schlechte Sprachkenntnisse, niedriges Bildungsniveau und hohe Arbeitslosigkeit. Integration ist deshalb eine
Schlüsselaufgabe in Deutschland. Lange Zeit hatten wir keine systematische Integrationspolitik. Lange Zeit glaubten beide Seiten, die „Gastarbeiter“ würden in ihre
Heimatländer zurückkehren. Aber die Mehrheit ist geblieben. Deutschland ist Integrationsland. Ausdruck hierfür ist auch das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz.
In Italien stellt sich die Situation etwas anders dar: Es ist erst in jüngster Zeit
vom Auswanderungs- zum Aufnahmeland geworden. Aktuell steht es im Spannungsfeld zwischen illegaler Migration und großem Bedarf an Arbeitskräften und mitten in
der Debatte um ein neues Zuwanderungsgesetz. Trotz der Unterschiede in den beiden
Ländern ist ein Mentalitätswechsel in Politik und Bevölkerung erkennbar und notwendig, eine gesellschaftspolitische Neuorientierung im Sinne des aktiven Handelns für ein
besseres Zusammenleben in allen Bereichen, gerade auch vor dem Hintergrund religiöser und kultureller Spannungen.
Schlüsselaufgabe Integration
Integration bedeutet gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen. Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und sich mit der neuen Heimat zu identifizieren, ohne die eigenen Wurzeln aufzugeben. Dies müssen wir fordern und fördern.
Die Bundesregierung begreift Integration als eine der Zukunftsaufgaben überhaupt. Sie kann nur gemeinsam bewältigt werden. Daraus hat die Bundesregierung
zwei Konsequenzen gezogen: Erstens, wir haben einen ständigen Dialog mit allen Beteiligten begonnen. Wir reden nicht mehr übereinander, sondern miteinander. Zweitens, wir nehmen uns der Integration in allen ihren Facetten an, in Schule und Beruf,
in der Kultur, in den Medien, dem Sport. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei den
Sprachkenntnissen, der Bildung, der Integration in den Arbeitsmarkt und der Gleichberechtigung der Frauen und Mädchen zu.
Ein Blick in den Nationalen Integrationsplan, der auf dem Zweiten Integrationsgipfel von der Bundeskanzlerin am 12. Juli 2007 vorgelegt wurde, belegt, dass Deutschland sich anschickt vom Land der Projekte zum Land erfolgreicher Programme für
bessere Integration zu werden. Klaus Bade, der Nestor unter den deutschen Migrationsforschern, nennt Integration in Deutschland einen „pragmatischen Erfolgsfall“, der
gleichzeitig viele Defizite aufweist. Wir stehen vor großen Herauforderungen.
Bildung, Ausbildung, Arbeit
Bildungschancen von Kindern hängen in Deutschland stärker als in anderen europäischen Ländern immer noch stark von der sozialen Herkunft ab. Diese Abhängigkeit
müssen wir durchbrechen, und zwar aus ökonomischen wie aus moralischen Gründen.
Chancengerechtigkeit herzustellen ist eine der wichtigsten Aufgaben des demokratischen Staates. Bildung ist zugleich der Schlüssel zu Integration. Und Bildung ist unsere wichtigste Ressource. Neben der Bildung und Ausbildung entscheidet die Arbeit mit
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über das Gelingen oder Misslingen von Integration. Für die hier genannten Fragen ist
nicht allein die Bundesregierung zuständig. Im Fall der Bildung sind es die Bundesländer, im Fall der frühen Sprachförderung die Kommunen.
Der Philosoph Wittgenstein hat gesagt: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“. In diesem Sinne eröffnen wir Welten, indem wir die Kenntnis der Landessprache fördern. Deswegen müssen die Sprachkenntnisse vieler Kinder und Jugendlicher, auch der zweiten und dritten Generation, systematisch verbessert werden, und dies
vom Kindergarten und der Vorschule an. Notwendig sind so genannte Sprachstandsfeststellungen, wie sie in einigen Bundesländern vorgesehen sind. Die Deutschkenntnisse
der Kinder werden vor der Einschulung geprüft. Das bedeutet nicht „Auslese“, sondern
ist eine Grundlage für weitergehende und spezifische Förderung. Dafür entscheidend ist,
dass wir Eltern und potentielle Eltern stärken, dies gilt insbesondere für die Mütter. Ihnen kommt eine Schlüsselfunktion im Integrationsprozess zu.
In Deutschland sind Integrationskurse Pflicht für alle Neu-Zuwanderer. Sie bestehen aus Sprachunterricht sowie einem Orientierungsunterricht, der Grundkenntnisse
von unserem Staat, unserer Gesellschaft und unserer Geschichte vermittelt. Neu ist die
stärkere Differenzierung nach dem Grad der Alphabetisierung, der Ausbildung und
den bereits vorhandenen Deutschkenntnissen. Bestimmte Personengruppen werden
dann 900 – nicht wie bisher 600 - Stunden Sprachunterricht erhalten. Arbeitslose, die
bereits hier leben, werden verpflichtet, daran teilzunehmen, um ihre Chancen auf einen
Job zu verbessern. Entscheidend ist aber, Hemmschwellen abzubauen und Angebote zu
machen, die die jeweilige Lebenssituation berücksichtigen. Wir sind dabei auf die Mitwirkung der Migrantenverbände und Moschee-Gemeinden sowie der ausländischen
Medien angewiesen. Diese sind zunehmend bereit, zur Integration in Deutschland beizutragen und sich nicht mehr wie bisher nur als Brücke in die alte Heimat zu verstehen.
So bietet beispielsweise die türkische Zeitung SABAH einen fortlaufenden Deutschkurs
in ihrer Zeitung an.
Die verhältnismäßig geringe Bildung der Menschen aus Migrantenfamilien ist darauf zurückzuführen, dass viele Zuwanderer nicht oder nur gering qualifiziert waren.
Das Bildungsniveau der Eltern prägte das der Kinder und teilweise auch das der Enkel.
41% der ausländischen Jugendlichen besuchen eine Hauptschule, nur 15% der deutschen; 18% der ausländischen Jugendlichen erreichen keinen Schulabschluss, hingegen
nur 7,5% der deutschen.
Die Probleme sollten jedoch die positiven Anknüpfungspunkte nicht überdecken:
Die hohe Lernbereitschaft und die positive Lerneinstellung vieler Jugendlichen aus Zuwandererfamilien, vor allem der Mädchen, und die hohe Bildungsakzeptanz der Eltern,
die ihren Kindern eine bessere Zukunft bieten wollen.
In Finnland lautet das Leitmotiv der Bildungspolitik: „Wir brauchen hier jeden,
hoffnungslose Fälle können wir uns nicht leisten“. Das sollten wir uns zu eigen machen.
In diesem Sinne müssen wir handeln. Wir brauchen mehr Erzieherinnen und Erzieher,
mehr Lehrerinnen und Lehrer aus Migrantenfamilien. Wir müssen die Lehrerausbildung an die Gegebenheiten anpassen. Wir müssen die Eltern stärker einbeziehen und
mit den Verbänden zusammenarbeiten. Der Nationale Integrationsplan wird uns in
allen diesen Bereichen voranbringen.
Die Bildungsdefizite sind bei den verschiedenen Migrantengruppen unterschiedlich
groß. So haben nicht nur türkisch-stämmige, sondern gerade auch italienisch-stämmi-
ge Jugendliche große Probleme einen guten Abschluss zu machen. Deshalb arbeite ich
mit dem italienischen Botschafter in Berlin, Herrn Puri Purrini, zusammen. Gemeinsam haben wir bereits eine große Informationsveranstaltung für italienisch-stämmige
Familien im Raum Ludwigshafen-Mannheim durchgeführt. Weitere Veranstaltungen
in Regionen mit vielen italienisch-stämmigen Familien werden folgen. Dabei setzen
wir auch auf die Elternvereine. Gemeinsam wollen wir Hilfe zur Selbsthilfe geben, den
Wert der Bildung vermitteln und das Verständnis für das deutsche Schul- und Hochschulsystem fördern.
Was die Ausbildung anbelangt, so bleiben 41% der 25-bis 35jährigen aus Migrantenfamilien ohne beruflichen Bildungsabschluss, bei den anderen sind es nur 15%. Die
Ausbildungsbeteiligungsquote sinkt seit 1994. Von 34% im Jahr 1994 auf 23% im Jahr
2006. Gegen diesen Trend haben wir Initiativen entwickelt. Wir müssen die Bedeutung der dualen Ausbildung vermitteln. Wer eine einfache Arbeit sucht, für den kann
sich die duale Ausbildung als Verzögerung des Arbeitsanfangs darstellen, aber einfache
Jobs fehlen in Deutschland. Deswegen ist Qualifizierung so notwendig. Wir brauchen
mehr Ausbildungsplätze. Im Rahmen der Kampagne „Aktiv für Ausbildungsplätze“ haben wir schon jetzt die Zusage der ausländischen Unternehmensverbände, 10.000 neue
Ausbildungsplätze bis 2010 zu schaffen.
Mein persönlicher Beitrag für Bildung und Ausbildung wird ein bundesweites
„Netzwerk Bildungspaten“ sein. Die italienischen Kulturmediatoren („mediatori culturali“) in Schulen, Krankenhäusern, öffentlichen Verwaltungen, Polizei und Gerichten
stellen dafür eine gute Anregung dar.
Derzeit ist die Arbeitslosenquote von Ausländern etwa doppelt so hoch wie von
Deutschen. Hier müssen wir das Bewusstsein in Unternehmen fördern: Die Vielfalt der
Menschen, ihre unterschiedlichen Erfahrungen, Sprachkenntnisse und Kompetenzen,
ihr Bezug zu unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen muss als große Chance erkannt
werden. Die Bundesregierung fördert dies nach Kräften. Die Bundeskanzlerin hat die
Schirmherrschaft über die „Charta der Vielfalt“ übernommen, die bislang von mehr als
100 Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen unterzeichnet worden ist. Damit
sie weiter Verbreitung findet, habe ich die Kampagne „Vielfalt als Chance“ angestoßen,
ein neues Markenzeichen der Bundesregierung. In diesem Rahmen werden wir drei
Wettbewerbe für die besten Modelle der Förderung von Vielfalt in Unternehmen ausschreiben. So eröffnen wir einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt. Fördern wollen
wir auch Existenzgründungen von Migranten. Schon heute haben 300.000 von ihnen
Unternehmen gegründet und eine Million Arbeitsplätze geschaffen.
Gemeinsame Werte als Grundlage
Integration heißt Chancen geben. Aber das genügt nicht. Trevor Phillips, der Vorsitzende der künftigen „Commission for Equality and Human Rights“ und früher Anhänger des britischen Multikulturalismus, hat mir vor einiger Zeit gesagt: „Wir haben
uns zu sehr auf das ‚Multi’ konzentriert und zu wenig auf die gemeinsame Kultur“.
Nach den U-Bahn-Attentaten in London sei er selbst nachdenklich geworden. Heute sagt er: „Wer Menschen immer verschiedenen Kulturen zuordnet, geht von einem
statischen Konzept aus, in dem sich die Kultur nicht ändert. Er wird den Menschen
nicht gerecht“. Integration ist ein wechselseitiger Prozess. Er verändert den, der zu
uns kommt, aber auch uns.
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Gemeinsame Werte sind grundlegend für ein friedliches und erfolgreiches Zusammenleben. Es sind die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Niemand muss seine Wurzeln aufgeben. Aber die Grundlage ist klar: die Akzeptanz von
Menschenrechten, Demokratie, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit - das sind nicht verhandelbare Werte.
Ich selbst komme aus der Frauenpolitik und setze mich besonders für die Gleichberechtigung ein. Das, wofür wir jahrzehntelang gekämpft haben, was wir durchgesetzt haben, ist in vielen Migrantenfamilien keine Realität. Die Gleichberechtigung der
Mädchen und Frauen im Alltag muss gestärkt werden. Alle müssen an Klassenfahrten teilnehmen dürfen und niemand darf gezwungen werden, das Kopftuch zu tragen.
Zwangsverheiratung soll ein eigener Straftatbestand werden.
Immer mehr Bundesländer planen, muslimischen Religionsunterricht einzuführen,
viele sind in der Erprobungsphase weit fortgeschritten. In mehreren großen Städten
in Deutschland sind große Moscheen in Planung. Beides ist Ausdruck der Religionsfreiheit und beides dokumentiert, dass der Islam Teil der deutschen Gesellschaft geworden ist, wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble es formuliert hat. Alle Seiten haben hier die Pflicht, Konfrontationen zu entschärfen, den Dialog zu suchen und
die Religionsfreiheit als Kernfreiheit demokratischer Staaten anzuerkennen. Probleme
entstehen dort, wo bestimmte Gruppen Religionsfreiheit in Anspruch nehmen, aber
nicht bereit sind, unsere grundgesetzliche Ordnung zu akzeptieren. Hier müssen beide
Seiten einander entgegenkommen und zu Veränderungen bereit sein. Dem dient auch
die Deutsche Islamkonferenz, die seit September 2006 auf Einladung des Bundesinnenministers tagt.
Vielfalt in Einheit
Vor 50 Jahren wurden in Rom die Römischen Verträge unterzeichnet, der Grundstein für unser Zusammenleben in Europa heute. Der Reichtum Europas ist die Vielfalt
seiner Menschen. Sie leben zum ersten Mal in der Geschichte seit mehr als 50 Jahren in
Frieden. So wie Europa zeichnen sich unsere Gesellschaften durch Vielfalt aus. Vielfalt
bedeutet Bereicherung und Chance. Durch mehr Verständnis füreinander können wir
Konflikte vermeiden.
Dies gelingt nur als gemeinsame Anstrengung. Wir müssen für ein positives Verständnis werben und aus Erfahrungen anderer lernen. Zugleich stehen wir als Europäer in der
Verantwortung für das, was an Europas Außengrenzen geschieht. Patroullienboote und
Zäune reichen nicht. Sehen wir die Menschen: ihre zum Teil völlig unrealistischen Hoffnungen, die Schicksale ihrer Familien. Gemeinsam müssen wir dazu beitragen, die Situation
in den Herkunftsländern zu verbessern. Nur dann können wir Zuwanderung steuern. Ich
bin gegen eine Festung Europa und für ein Europa der Vielfalt, das seiner humanitären
Verpflichtung gerecht wird. So wie wir Globalisierung gestalten wollen und müssen, so
müssen wir Migration und Integration gestalten. Für das friedliche Zusammenleben in
unseren Ländern, in Europa und in der Welt, ist keine Anstrengung zu groß.
Weitere Informationen zur Integrationspolitik der Bundesregierung und zum Nationalen
Integrationsplan finden Sie unter: www.integrationsbeauftragte.de; www.vielfalt-als-chance.de;
www.zuwanderung.de.
Die neue italienische Einwanderungspolitik
Paolo Ferrero, Minister für soziale Solidarität
Über Einwanderung sprechen bedeutet, so glaube ich, vor allem über Eingliederung zu sprechen. Es ist ein kompliziertes Problem und dies aus verschiedenen Gründen. Zunächst ist die Einwanderung ein strukturelles Phänomen, ein Phänomen, das
seinen Ursprung in den Einkommensunterschieden zwischen nördlichen und südlichen
Ländern des Erdballs hat. Aber die Mehrzahl der Bewohner der nördlichen Länder
neigt dazu, diese Ursache nicht in Betracht zu ziehen und eine ambivalente Haltung
einzunehmen. Einerseits wird der Bedarf an Arbeitskräften bejaht, andererseits neigt
man jedoch dazu, die mit der Einwanderung verbundenen Störfaktoren sehr negativ zu
beurteilen. Die Befürchtungen um den eigenen sozialen Status machen die Sache nicht
einfacher.
In Italien ist die Einwanderung ein sehr junges Phänomen, vor allem quantitativ.
Wir sprechen hier von einem Land, das weiterhin dieses Phänomen aus der Perspektive
eines armen Landes betrachtet, aus dem man sich verabschiedet, „um sein Glück zu
machen“, wie es einmal hieß, und nicht aus der Perspektive eines reichen Landes, das
Arbeitskräfte anzieht.
Das neue Einwanderungsgesetz
Mir sind die Schwierigkeiten, von der die politischen Auseinandersetzungen nur
ein Aspekt sind, bewusst. Ich spreche von den zahlreichen politischen Konflikten, die
den Weg der Verabschiedung des von Minister Amato und mir vorgelegten Gesetzes
begleitet haben und begleiten werden. Bei Verabschiedung dieses Gesetzes durch das
Parlament wird das sog. „Bossi-Fini-Gesetz“ endgültig der Vergangenheit angehören.
Vermutlich ist die Frage der „Identität“ diejenige, die die meisten Konflikte und Meinungsverschiedenheiten auslösen wird. Mit diesem komplexen Problem sollte man sich
nicht nur auf der politischen, sondern auch auf der kulturellen Ebene auseinandersetzen.
Zunächst möchte ich einen kurzen Umriss des neuen Gesetzes liefern: Das BossiFini-Gesetz muss ersetzt werden. Dafür gibt es verschiedene Gründe, von denen ich
einen hervorheben möchte: das zur Zeit gültige Gesetz zwingt geradezu Hunderttausende von Migranten in die Illegalität.
• Unsere Absicht mit dem neuen Gesetz ist es vor allem, die Bedingungen für
die Zuwanderung in Italien radikal zu verändern. Hierfür haben wir verschiedene
Zugangswege vorgesehen und haben versucht, die weniger formalisierten Zugangswege ans Licht zu bringen, um so die illegale Zuwanderung einzuengen, die durch
die Strenge des Bossi-Fini-Gesetzes unvermeidlich war. Diese Vielfalt der Zugangswege sollte Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften angleichen – etwas das in
anderen Ländern längst geschieht.
• Überdies haben wir eine bedeutende Verlängerung der Gültigkeitsdauer (bis
zur doppelten Dauer) von Aufenthaltsgenehmigungen vorgesehen. Die Genehmigungen werden auch während ihrer Erneuerung gültig sein, also in der Genehmigungsphase, nachdem die alte Aufenthaltsberechtigung abgelaufen ist. Die Zuständigkeit hierfür soll in die Kompetenz der Gemeinden übergehen.
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• Das neue Gesetz sieht auch das aktive und passive Wahlrecht der Migranten
auf lokaler Ebene sowie eine andere Behandlung der unbegleiteten Minderjährigen vor. Praktisch heißt dies, dass bei Vollendung des achtzehnten Lebensjahres ihr
weiterer Aufenthalt in Italien erleichtert und ein Fonds für ihre soziale Eingliederung eingerichtet wird.
• Darüber hinaus wird das Thema „Zuwanderung“ wieder in die gewöhnliche
Rechtsprechung zurückgeführt. Damit wird die Rechtsprechung des Friedensrichters und auch das System der CPT (Centro di Permanenza Temporanea [Durchgangslager für ausländische Bürger ohne reguläre Aufenthaltserlaubnis]) wie wir es bislang kennen, überwunden. Die Bedeutung der CPT für die Zuwanderer – sowohl
bezüglich der potentiell Betroffenen als auch der Anzahl der CPT – wird drastisch
eingeschränkt. Wir wollen die Transparenz der CPT erhöhen und den Zugang für
Journalisten und Vertreter der Gebietskörperschaften ermöglichen.
• Was wir vorlegen, ist ein Gesetz, das die Aufenthaltsberechtigung zum Zweck
der Arbeitsaufnahme abschafft und die Beziehung zwischen Arbeitsplatz und regulärer Aufenthaltserlaubnis weniger stringent gestaltet. Es wird die Überführung
aller Zuwanderer in einen regulären Status nach einem Aufenthalt von wenigstens
achtzehn Monaten ermöglicht, sofern sie nach dem Verlust der Bedingungen für
einen regulären Aufenthalt wieder eine Arbeit gefunden haben.
• Im Übrigen sehen wir für alle Zuwanderer, die sich bereits zwei Jahre in Italien
aufhalten, alle Formen der sozialen Fürsorge vor.
Unser Gesetzesentwurf zielt also darauf ab, das Phänomen der Zuwanderung aus
der Notstands-Logik zu befreien und es einer rationalen Behandlung zu unterziehen.
Es empfiehlt sich daran zu erinnern, dass die letzten Jahre bei uns von einer illegalen Zuwanderung bedeutenden Ausmaßes gezeichnet waren. Deswegen erscheint
uns der erste Punkt so wichtig, der über eine Vielfalt der Zugangswege eine geordnete
Zuwanderung – im Rahmen der Zuwanderungsquoten – ermöglicht. Während wir also
an der Änderung der Gesetze arbeiten, müssen wir jedoch gleichzeitig die staatlichen
Zuständigkeiten klären, besser gesagt die staatlichen Verfahrensweisen verbessern und
anpassen, um den gesamten Komplex besser handhaben zu können.
Einem Deutschen mag dies merkwürdig erscheinen: ein Migrant, der die italienische Staatsbürgerschaft beantragt, muss in Italien für die bloße Empfangsbestätigung
der Behörden in etwa genau so viele Jahre in Rechnung stellen, wie in anderen Ländern
für die Gewährung der Staatsbürgerschaft nötig ist. Ich möchte dies an einem Beispiel
erläutern. Heute bedarf es in Italien eines zehnjährigen Aufenthalts, um die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Zu diesen zehn Jahren kommen weitere sechs oder sieben
Jahre für die Antwort der Behörden hinzu. Für Migranten, die die Verlängerung ihrer
Aufenthaltserlaubnis beantragt haben, beträgt die durchschnittliche Wartezeit über
sechs Monate. Wir sprechen hier über Menschen, die während der Wartezeit blockiert
sind und Italien nicht verlassen dürfen.
Ein weiteres Beispiel: Italien hat ein weitverzweigtes Netz von Botschaften und
Konsulaten in den Zielländern der italienischen Auswanderung (Schweiz, Deutschland,
Vereinigte Staaten, Schweden), verfügt jedoch nicht über ein entsprechendes Netz in
den Herkunftsländern der Zuwanderer. Dies macht es unendlich schwierig die Wanderungsströme nach Italien zu regulieren.
Insofern stehen wir nicht nur vor einer Änderung der bestehenden Gesetze, son-
dern auch vor einer Änderung der konkreten staatlichen Funktionsweisen gegenüber
den Einwanderern. Hierzu braucht es viel Zeit. Eine – wie auch immer geartete – Gesetzesänderung reicht nicht aus, denn vom geschriebenen Gesetz bedarf es der Schritte
zur reibungslosen und gerechten Umsetzung.
Marschrichtung der Migrationspolitik
Zuallererst: die Vermeidung von Gettos und territorialer Ausgrenzung. Banlieues
bestehen in Italien nicht. Die Einwanderung knüpft in Italien, anders als in Frankreich
oder Deutschland, nicht an die große fordistische Fabrik, sondern an viele kleine Produktionseinheiten im Land. Daher verfügen wir nicht über große, von Einwanderern
geprägte Vororte. Trotzdem haben wir kleine Gettos, die völlig heruntergekommen
sind.
Der inzwischen verabschiedete Migrationsfonds, der über fünfzig Millionen Euro
verfügt, wird zur Hälfte für die Beseitigung von Gettos und die soziale Eingliederung
der Menschen in das Wohnumfeld der Städte verwandt. Mit einigen lokalen Behörden
leisten wir hier hervorragende Arbeit, zum Beispiel in Padua und Brescia: hier heißt es,
am Ball zu bleiben und unsere Aktivitäten auszuweiten. Wir sagen ein striktes Nein
zur Ausgrenzung und müssen aufpassen, dass keine Stadtviertel entstehen, die nur aus
Bewohnern einer Nationalität bestehen oder sich auf die Diskriminierung von Einwanderern gründen.
Zweitens: die Bedeutung der Unterrichtung der italienischen Sprache. Unserer Ansicht nach ist die Kommunikationsfähigkeit die Voraussetzung für die Veränderung der
Lebensverhältnisse eines Menschen, die ihm die Möglichkeit gibt, eine Beziehung zu
einer Gemeinschaft aufzubauen, die sich von der eigenen Herkunftsgemeinschaft unterscheidet. Es besteht deshalb die absolute Notwendigkeit die italienische Sprache als
Kulturträger, als allgemeine Ausdrucksform durchzusetzen.
Ein großer Anteil des Integrationsfonds wird Schulen und Kurse finanzieren, die
von Vereinigungen bürgerschaftlichem Engagements und der sozialen Solidarität getragen werden, von den Kirchen bis zu den Gewerkschaften, die bisher auf informeller
Ebene gearbeitet haben. Wir werden diese lokalen Initiativen unterstützen und ausweiten. Wir haben bereits in Zusammenarbeit mit dem islamischen Kulturzentrum einen
Versuch mit der römischen Moschee gestartet. Wir lancieren zwei Kurse, einen in Italienisch, einen anderen in staatsbürgerlicher Erziehung. Diese Kurse zielen vor allem
auf Frauen, auch weil es vielleicht für eine islamische Einwanderin von fünfzig Jahren
einfacher ist, in einer Moschee Italienisch zu lernen als in einer öffentlichen Schule. Auf
diese Art wollen wir Italienischkurse dorthin bringen, wo sich die Migranten treffen.
Auf ähnliche Weise arbeiten wir mit dem Bildungsministerium an einem Programm
zur Gewährleistung der Schulpflicht für junge Migranten oder Migrantenkinder. Tatsächlich ist die Quote von Jungen und Mädchen, die die Schule vorzeitig verlassen mit
über 25% sehr hoch.
Im Hinblick auf die Verbreitung der Sprache sind wir auch in Verhandlungen mit
der RAI [öffentlich-rechtliches Fernsehen Italiens] wegen der Wiederausstrahlung
eines Programms aus den sechziger Jahren. Italiener eines gewissen Alters werden
sich daran erinnern. Es hieß „Non è mai troppo tardi“ [„Es ist niemals zu spät“] und
stand unter der Verantwortung des Grundschullehrers Alberto Manzi. Er brachte
die Grundbegriffe unserer Sprache denjenigen bei, denen diese nicht so geläufig war.
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Dieses Angebot sollte jetzt über das öffentlich-rechtliche Fernsehen den Zuwanderern
gemacht werden. (Erinnern wir uns, dass der italienische Nationalstaat jung ist. Leute
wie mein Vater zum Beispiel lernten das Italienische nicht zu Hause, sondern in der
Schule. Zu Hause sprach jeder einen anderen Dialekt.) Wir sind dabei, eine gegliederte
Struktur für die Unterrichtung und Verbreitung der italienischen Sprache aufzubauen.
Ausgehend von den Kindern, also von den öffentlichen Schulen, wollen wir bis zu den
Erwachsenen über die finanzielle Unterstützung von Ehrenamtlichen Italienisch unterrichten und in diesen Prozess die Massenkommunikationsmittel, jedenfalls die am
weitesten verbreiteten, einbeziehen.
Drittens: Im Mittelpunkt steht die italienische Verfassung. Wir möchten ins öffentliche Bewusstsein und in das konkrete Handeln – nicht nur bei Migranten, sondern
in unseren Gemeinschaften – alle bürgerlichen Grundsätze, Grundrechte und Grundpflichten sowie soziale Rechte rücken, die das Fundament unseres Zusammenlebens
sind - oder sein sollten - und in unserer Verfassung verankert sind. Es geht um Demokratie, Gleichheit, Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, Religionsfreiheit
und Meinungsfreiheit. Wir wollen uns auf die Verfassung konzentrieren und spezifische Gesetze vermeiden.
Beispielsweise halte ich es für verfehlt, Gesetze über Fragen des Brauchtums zu
erlassen. Ich denke an die italienische Diskussion über die Notwendigkeit, gesetzlich
den Gebrauch des Schleiers zu verbieten. Ich habe mich nachhaltig dagegen engagiert, denn wir sollten uns auf grundsätzliche Fragen des zivilen Zusammenlebens
beschränken. Ich glaube, dass wir gerade in Achtung der Verfassung niemanden dazu
zwingen dürfen, zwischen dem Brauchtum seines Herkunftslandes sowie seiner Glaubenszugehörigkeit und dem Leben in Italien wählen zu müssen. Wir haben uns auf
die grundlegenden, für das zivile Zusammenleben unabdingbaren Elemente und nicht
auf äußere Erscheinungsformen, auf Fragen des Brauchtums, die historisch begründet
sind, zu konzentrieren. Ich glaube, bei letzteren sollten wir die Freiheit der Wahl gewährleisten. Fragen des Brauchtums dürfen nicht zu Konflikten, zu eindeutigen Vorgaben führen. Wir können weder eine Treue zum italienischen Staat erzwingen, noch eine
Zuordnung zur eigenen, sozusagen ursprünglichen, Identität fördern.
Ich bin überzeugt, dass die Laizität des Staates für die Integration und den sozialen
Zusammenhalt entscheidend ist, denn gerade in der Laizität finden wir die grundlegenden Elemente des zivilen Zusammenlebens. Ich bringe immer das Beispiel meiner Großmutter, die ein Kopftuch trug, und meiner Tochter, die einen Minirock anzieht. Meine
Großmutter wäre niemals im Minirock herumgelaufen, noch würde meine Tochter ein
Kopftuch tragen. Beide sind sie jedoch Italienerinnen. Die Bräuche ändern sich, wenn sie
es nicht sind, die die Identität begründen oder – schlimmer – erzwingen. Wir sind es,
die wir diese Zwangslage vermeiden müssen und Menschen nicht auf einen einzelnen
Aspekt ihrer Identität, den des Migrantseins, reduzieren dürfen.
Letztlich geht es darum, die Verfassung als zentrales Gesetz ohne weiteres Beiwerk anzunehmen. Wie es in der Bibel heißt: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was
darüber ist, das ist vom Übel.“ Dies ist aus meiner Sicht die zentrale Bedeutung der
Verfassung. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Erweiterung der sozialen, bürgerlichen und religiösen Rechte
Ausgehend von diesen Voraussetzungen wollen wir zuallererst auf eine substanti-
elle Erweiterung der sozialen Rechte hinarbeiten. Wir wollen, dass, jeder der in Italien
arbeitet, dieselben Rechte wie ein Italiener genießt. Es bedarf eines universalistischen
Wohlfahrtsstaats, der alle einschließt, da alle, die auf italienischem Boden leben und
arbeiten, zur Finanzierung des Sozialstaats beitragen. Es ist übrigens interessant festzustellen, dass die Beschäftigungsquote der italienischen Bevölkerung 57% beträgt,
während die entsprechende Rate bei den regulären Migranten in Italien bei 67% liegt.
Das bedeutet, dass die Migranten proportional stärker als die Italiener zur Finanzierung des Sozialsystems beitragen. Darum müssen der Wohlfahrtsstaat und die sozialen
Rechte für alle gleichermaßen gelten.
Zweitens: Es bedarf der schrittweisen Ausweitung der bürgerlichen Rechte. Darum
haben wir das kommunale Wahlrecht, die längere Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis
und die Vereinfachung des Antragsverfahrens, für das künftig die Einwohnermeldeämter der Gemeinden zuständig sein sollen, sowie die Überwindung des besonderen
Strafrechts für Migranten vorgesehen.
Zuletzt, jedoch nicht weniger wichtig: Notwendig ist ein Gesetzes, das die Religionsfreiheit anerkennt und respektiert. Dies bedeutet die Übersetzung des Verfassungsauftrags in die Verfassungswirklichkeit. Was ich hier sage, mag in Deutschland
merkwürdig klingen, aber in Italien gilt immer noch ein Gesetz über die „zugelassenen
Kulte“. Es handelt sich um ein Gesetz aus dem Jahr 1929 und betrifft die von der katholischen Religion verschiedenen Kulte. Damals befanden wir uns in der Blüte des
Faschismus und es handelte sich um ein Polizeigesetz. Heute sehen wir die Notwendigkeit, ein neues Gesetz über die Religionsfreiheit zu verabschieden, ein Gesetz, das die
Verfassungsordnung, so wie sie seit über fünfzig Jahren in Kraft ist, widerspiegelt.
Diese drei Elemente (soziale Rechte, bürgerliche Rechte und Religionsfreiheit)
haben ein einfaches Ziel: der eingewanderten Person die Achtung ihrer wesentlichen
Rechte, ihrer Grundrechte zu gewährleisten. Gleichzeitig fordern wir vom Migranten
die Achtung der Verfassung und das Erlernen der italienischen Sprache. Der Migrant
darf nicht dazu gedrängt werden, sich über die Zugehörigkeit zu einer abgeschlossenen Gemeinschaft behaupten zu müssen. Dem Migranten muss die Möglichkeit gegeben werden, in der Mitte unserer Gesellschaft zu leben. Der Migrant wie die Migrantin
dürfen sich nicht so schwach fühlen, dass sie einem tribalen Abwehrmechanismus gehorchend, sich gezwungen fühlen, Schutz in einer Gruppe zu suchen.
Ich denke, dass die Formen von Gemeinschaft, die sich in westlichen Ländern unter
den Migranten herausbilden, keine Residuen einer ursprünglichen Identität sind, sei
sie nun religiös oder national. Ich glaube es handelt sich hier um neue, von Menschen
mit Migrationshintergrund entwickelte Formen der Verteidigung. Sie tun dies in einer
Situation, in der sie sich gefährdet fühlen. Ich glaube sie haben eine Wahrnehmung, die
mehr oder weniger so lautet: „Besser in der Gruppe beisammen, allein machen sie uns
fertig und achten uns nicht“. Die Grundrechte, die das Fundament unserer Verfassung
bilden, müssen vom italienischen Staat und nicht durch eigenständige Gemeinschaften
gewährleistet werden.
Staatsangehörigkeit, Arbeit, Identität
Abschließend wende ich mich dem Komplex der zweiten Generationen sowie der
Frage, wie wir dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben, zu. Ich glaube ganz allgemein, dass die Staatsbürgerschaft weniger ein Schlusspunkt als eine Etappe eines
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Prozesses darstellt. Das sieht man sehr gut an der zweiten Generation. Auch wenn sie
zum großen Teil bereits die Staatsbürgerschaft besitzt, weisen die jungen Migranten
und Migrantinnen eine komplexe Problematik auf.
Nehmen wir zum Beispiel die Arbeit. Die Art der Beschäftigung, die von der ersten
Generation als Segen betrachtet wurde, wird von der zweiten nicht gleichermaßen akzeptiert. Im Durchschnitt tun die Migranten das, wofür die Italiener sich inzwischen
zu schade sind: sie arbeiten in Gießereien, in Ackerbau und Viehzucht, als Hirten und
Haushaltshilfen mit langen Arbeitszeiten und sehr niedrigem Einkommen. Alles Arbeiten, die die Italiener ablehnen. Aber die Kinder der Einwanderer werden nicht mehr in
diesem Maße bereit sein, solche Tätigkeiten zu verrichten.
Das ist kein geringes Problem, denn dieselbe Arbeit, die für Vater oder Mutter einen Beginn im fremden Land darstellte, wird von der zweiten Generation als Element
von Ausgrenzung bzw. Diskriminierung angesehen. Dies ist ein entscheidender Punkt,
der Konsequenzen für die schulische und berufliche Bildung hat. Wir müssen die italienischen Gesetze ändern, angefangen beim Gesetz Nr. 30 (Gesetz zur Flexibilisierung
des Arbeitsmarktes), damit der Arbeitsmarkt nicht zu stark segmentiert wird. Wenn
heute diese Segmentierung noch nicht als Problem erkannt wird, dann deshalb, weil sie
mit immer neuen Wellen der Zuwanderung zugedeckt wird. In zehn Jahren wird diese
Segmentierung ein großes Problem darstellen.
Ein anderes Element, das unsere Aufmerksamkeit verdient, betrifft die Identität.
Wir haben uns daran gewöhnt, über die Migranten in allgemeiner Form zu sprechen.
Das ist schon an für sich ein wenig lächerlich, denn unter den Migranten gibt es Algerier sowie Chinesen oder Brasilianer, also Personen, die miteinander nichts anderes
gemein haben als die Tatsache, eines Tages in Italien angekommen zu sein. Wenn man
hier bei uns von Migranten spricht, scheint man sich fast in einem dieser Bilder zu befinden, die New York darstellen, wo die Stadt bei der Vierten oder Fünften Straße aufhört, und der Rest in einem ununterscheidbaren Hintergrundgebilde, einem Amalgam
verschwimmt. Das mag für die erste Generation gelten. Für die zweite gilt dies nicht,
denn wer in Italien geboren ist oder einen beträchtlichen Teil seines Lebens in Italien
verbracht hat, betrachtet sich nicht in erster Linie als Kind von Einwanderern, sondern
geht von den eigenen Erfahrungen aus.
Stark hat mich ein Mädchen dunkler Hautfarbe der zweiten Generation beeindruckt. Sie sprach im römischen Dialekt, war Fan des A.S. Roma und fühlte sich als
Römerin. Sie sagte mir eines Tages: „Ich bin in Rom geboren und dass ich eine dunkle
Hautfarbe habe, bemerke ich nur, wenn andere es mir sagen“. Wir müssen aufpassen,
dass wir die Identität dieses Mädchens nicht nur auf einen Aspekt reduzieren, dem
ihrer Hautfarbe, der für sie keineswegs das grundlegende Element ihrer Identität darstellt. Wir müssen die plurale Identität von uns allen anerkennen (so bin ich männlich,
Italiener, Kommunist, Waldenser, weiß, derzeit Minister und liebe Bergwanderungen).
Deswegen können wir in Bezug auf die erste Generation vielleicht noch denken, dass
wir es mit „Zuwanderern“ zu tun haben, der zweiten Generation müssen wir eine plurale Identität zuerkennen. Daher kann die Wahrnehmung dieser jungen Leute nur als
Kinder eines Immigranten, d. h. durch die Hervorhebung nur eines Aspekts gegenüber
all dem, was sie wirklich sind, aus ihrer Sicht zu einer Form unannehmbarer Diskriminierung werden.
Ich möchte dieses Konzept der subjektiven Wahrnehmung von Diskriminierung
und ihre Unannehmbarkeit hervorheben. Es gibt Dinge, die für die erste Generation
annehmbar sind. Die erste Generation erträgt eine Reihe von Dingen, die sie nicht
für diskriminierend hält. Womöglich weiß der Immigrant der ersten Generation, dass
bestimmten diskriminierenden Vorfällen eine Ungerechtigkeit zugrunde liegt, aber er
nimmt sie hin. Vielleicht reibt er sich daran, es herrscht jedoch ein größerer Grad an
Bereitschaft, dies zu akzeptieren. Für die zweite Generation wird die Diskriminierung
unannehmbar, denn die jungen Leute sehen zu Recht nicht ein, welcher Unterschied
zwischen ihnen und ihren Gleichaltrigen bestehen soll, die dieselbe Schule besuchen,
dieselbe Sprache sprechen und bisher genau denselben Werdegang haben. Ich denke,
man muss die Idee der pluralen Identität akzeptieren und, dass es Beziehungen gibt,
die die Identität ändern. Wenn wir viele sind, so modifiziert sich über die Beziehungen
die Identität von allen, nicht nur die der zuletzt Gekommenen. Dies ist der entscheidende Ansatzpunkt, der verhindern kann, dass die zweite, dritte, vierte Generation ex
novo geschlossene Gemeinschaften bilden, die in unserer westlichen Welt zu einer Art
konkreter Apartheid führen könnten.
Ich glaube nicht, dass das strategische Problem bei der ersten Generation liegt.
Die Herausforderung unserer Zeit liegt darin, das Fortbestehen der westlichen Grundwerte, Freiheit, Demokratie, Menschenwürde, letztlich die Werte der Französischen
Revolution, die sozialen Rechte und die Anerkennung pluraler Identitäten zusammenzubringen. Es geht um die entscheidende Frage, ob die Tatsache Migrant zu sein, zum
diskriminierenden Merkmal der zweiten, dritten, vierten Generation wird. Mit anderen
Worten, die Perspektive der Kinder von Einwanderern darf weder in der Gettoisierung noch in einem Selbstverständnis einer in sich abgeschlossenen Identität liegen.
Ich will noch kurz auf den durch öffentliche Beteiligung geprägten Werdegang unseres Gesetzentwurfs und darauf, wie wir gearbeitet haben, hinweisen sowie von der aktiven Beteiligung an diesem Gesetzentwurf und der umfangreichen und reichhaltigen
Debatte in diesen Monaten berichten. Viele haben daran teilgenommen: Gemeinden, Verbände, Gewerkschaften, Unternehmer. Viele Vorschläge wurden gemacht, es wurde viel
polemisiert – wie es eben normal ist. Auch wenn dieses Gesetz den Forderungen, die von
Einzelpersonen und vielen Verbänden eingebracht wurden, nicht vollständig nachkommt,
so glaube ich doch, dass es im Falle seiner Verabschiedung eine echte Wende in der Einwanderungspolitik darstellt und die Einwanderung von einem Problem der öffentlichen
Ordnung zu einer großen sozialen und kulturellen Herausforderung wird.
Wenn nämlich die Kriterien, aufgrund derer eine Person in einem CPT landen
kann, erheblich eingeschränkt werden und wenn die Bedingungen für Transparenz, die
wir für denjenigen erlangen wollen, der in ein CPT gelangt, verbessert werden, können
wir dann hoffen, mit der Zeit auf das allgemeine Bewusstsein einen positiven Einfluss
zu haben? Für das allgemeine Bewusstsein scheint mir noch eine andere vorgeschlagene Gesetzesnorm relevant zu sein: die Legalisierung der Migranten, die sich achtzehn
Monate in Italien aufgehalten haben, auch wenn sie sich am Ende mit einer Schwarzarbeit arrangiert haben. Ich hoffe, dies sind Maßnahmen, die dazu dienen können, die
Gleichung Immigrant gleich Illegaler gleich Delinquent aufzulösen.
Danksagung an die antirassistische Bewegung
Das was wir erreicht haben, verdanken wir zuallererst dem Erfolg der antirassistischen Bewegung, sich mit enormer Anstrengung im Land verankert zu haben. Die
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Verbände, die Ehrenamtlichen haben nicht nur sehr viel, sondern auch gut gearbeitet.
Ihre Arbeit ist zu einem Gutteil den lokalen Behörden zugeflossen, hat sie beeinflusst
und ihnen neue Impulse gegeben.
Was mich als Minister betrifft, so habe ich versucht, Kanäle und Wege zu öffnen,
damit diese Vorarbeiten, vor allem diese weit verbreitete politische Praxis, Eingang in
die Formulierung des Gesetzes finden konnte. Unter diesem Gesichtspunkt waren die
Anhörungen in den regionalen Versammlungen und die nationalen Treffen mit den
Verbänden entscheidende Elemente für die Gesetzeserarbeitung. Der endgültige Wortlaut ist also das Ergebnis eines politischen Ansatzes, der darauf abzielt, die Politik mit
der sozialen Praxis zu verbinden, indem wir Prozesse der Teilhabe in Gang setzten, um
eine selbstbezogene Abgehobenheit der Politik zu verhindern. Ich glaube, unsere Arbeit muss fortgesetzt werden, wenn wir unser Land insgesamt ziviler und insbesondere
ziviler gegenüber den Migranten gestalten wollen.
Wir müssen weiter machen und die Grundlagen dafür schaffen, den Rechtspopulismus zu besiegen, der im Rassismus, in der Mobilisierung von Ängsten und in der Spaltung der Arbeitnehmer seine Stärke hat. Das müssen wir wissen, wenn wir eine Gesellschaft schaffen wollen, in der ein ziviles Zusammenleben möglich ist, in der die Vielfalten
ihre Wertschätzung ohne Hierarchien oder Ausgrenzung erfahren können.
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Moderne Einwanderungs- und Integrationspolitik muss
mehr für Chancengleichheit und Anerkennung tun –
Integration ist Querschnittspolitik
Dr. Lale Akgün, Mitglied des Bundestags, migrationspolitische Sprecherin und
Islambeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion
In meinem Beitrag werde ich mich auch kritisch mit der Einwanderungs- und Integrationspolitik der Bundesregierung auseinandersetzen, insbesondere mit dem, was
auf Bundesebene in den vergangenen Monaten getan wurde. Es gibt noch viel zu tun
und zu verändern.
Integrationspolitik ist die Konsequenz von Einwanderung
Zunächst einmal möchte ich kurz vorausschicken, was Integrationspolitik für mich
eigentlich bedeutet: Integrationspolitik ist für mich eine kurzfristige Folge von Einwanderungspolitik – daher sind beide Politikbereiche eng miteinander verknüpft. In
Kanada hat man eine genaue Vorstellung von Integration: Gemeint ist die Förderung
und Qualifizierung von Einwanderern in der ersten Zeit nach ihrer Einreise, also eine
Art Umzugs- und Orientierungshilfe bei der Suche nach Arbeit, Wohnung, Sprachkursen, Netzwerken und Kontakten.
Integrationspolitik ohne Einwanderung ist jedoch wie Kochen ohne Topf – sie
funktioniert nicht. In der Politik spricht man daher derzeit gerne von „nachholender
Integration“. Dieser Begriff ist dann berechtigt, wenn gemeint ist, dass Kinder von
Zuwanderern eine zusätzliche Förderung erfahren sollen, die ihren Eltern bei deren
Zuwanderung in Ermangelung einer Integrationspolitik verwehrt war. Der Begriff
„nachholende Integration“ ist aber dann geradezu gefährlich, wenn er all denjenigen,
die nachholend integriert werden sollen, unterstellt, sie seien nicht Teil dieser Gesellschaft.
Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer sprechen gerne von 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die mittels nachholender Integration zu fordern und fördern seien.
15 Millionen Menschen wird somit unterstellt, sie seien kein oder zumindest nur ein
unvollständiger Teil dieser Gesellschaft. So zu argumentieren ist gefährlich und ein
sozialer Sprengsatz für unsere gesamte Gesellschaft. Es geht nicht um die Integration
von 15 Millionen Menschen in Deutschland. Es geht vielmehr um die Unterstützung
einiger Menschen, denen wir aufgrund verschiedenster Defizite (Bildung, Mangel an
Arbeits- oder Ausbildungsplatz und vielem mehr) und aus unterschiedlichsten Gründen die Chance auf eine aktive Teilnahme an unserem gesellschaftlichen Leben ermöglichen müssen. Dies funktioniert aber nur, wenn man die einzelnen Menschen kennt
und gezielt auf sie eingehen kann. Nur auf der kommunalen Ebene ist das möglich. Die
nationale Ebene ist eine Nummer zu groß und führt dazu, dass man immer nur abstrakt
über Probleme spricht statt die Einzelfälle vor Ort unter die Lupe zu nehmen.
Ein nationaler Integrationsgipfel in dieser Größe und mit diesem Aufwand war daher ziemlich überflüssig: Die Erwartungen, die an ihn gerichtet sind, können gar nicht
erfüllt werden. Es hätte gereicht, sich ein Mal zu treffen, um über Leitlinien zu sprechen. Der erste Integrationsgipfel hatte daher sicherlich einen wichtigen Symbolwert,
weil sich zum ersten Mal Migrantenverbände mit der Bundeskanzlerin getroffen haben. Die Nachfolgeveranstaltungen bringen jedoch nicht viel, da der Bund in den meisten Fragen der Integration ohnehin nicht zuständig ist. Entsprechend nebulös bleibt
daher auch der Text des „Nationalen Integrationsplans“. Er enthält auf 200 Seiten eine
Flut von Allgemeinplätzen und Absichtserklärungen. Über die Umsetzung und die
Finanzierung findet sich darin sehr wenig, weil diejenigen, die da am Tisch sitzen, gar
nicht darüber entscheiden können. Verbindliche Zusagen kann der Bund eigentlich nur
bei der Verbesserung der Integrations- und Sprachkurse für Neuzuwanderer machen.
Aber dafür braucht man nicht 250 Experten, sechs Arbeitsgruppen und große Medienevents. Das wurde längst schon in den Fachausschüssen des Bundestages erarbeitet.
Die kommunale Ebene ist die effektivste
Auf kommunaler Ebene gibt es in vielen Städten und Kommunen, zum Teil auch
auf Stadtteilebene, lokale Integrationsbündnisse, die sehr erfolgreich arbeiten. Sie sind
erfolgreich, weil sie spezifisch auf die Situation vor Ort eingehen können und in der
Lage sind, Verwaltung, Politik, Wohlfahrtsverbände, Migrantenorganisationen und
Unternehmen zu vernetzen und einzubinden, und zwar mit konkreten Zuständigkeiten
und verbindlichen und überprüfbaren Zielen. Diese Verbindlichkeit fehlt einem nationalen Gipfel.
Der „Kölnberg“ in meinem Wahlkreis in Köln ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit vor Ort. Bei der Lehrstellensuche für die jungen Leute ist die
kleinräumige Arbeit vor Ort besonders wichtig. Dort haben sich alle maßgeblichen Akteure zu einem runden Tisch zusammengeschlossen. Man kennt die problematischen
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Jungs, man kennt die ansässigen Firmen und hat es durch persönliche Kontakte geschafft, möglichst viele Jugendliche unterzubringen und zu begleiten. Dieser persönliche Kontakt wäre in großräumigen Zusammenhängen gar nicht möglich, erst recht
nicht auf nationaler Ebene.
Die gesellschaftliche Integration
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Etwas anderes ist es, wenn wir von gesellschaftlicher Integration sprechen. Das
heißt für mich als Sozialdemokratin in erster Linie, dass wir für Gleichberechtigung
und Chancengleichheit sorgen müssen. Und zwar nicht nur in Bezug auf Menschen
mit so genanntem Migrationshintergrund, sondern für alle. Die größer werdende
Schere zwischen Arm und Reich und zwischen Menschen mit guten und schlechten
Bildungschancen darf von uns nicht hingenommen werden. Dabei sind für mich zwei
Stichworte besonders wichtig: soziale Integration und Anerkennung. Soziale Integration heißt für mich insbesondere, dass wir der jungen Generation gerechte Chancen
auf eine gute Bildung und Ausbildung ermöglichen müssen. Dabei sollten wir uns
erinnern, dass wir in den Sechziger-Jahren ganz gezielt Niedrigqualifizierte als Arbeitskräfte angeworben haben. Die Frage der Bildungsferne trifft die erste Einwanderergeneration und deren Nachkommen also ganz besonders. Jahrzehntelang haben wir
keine gezielte Integrationspolitik betrieben. Im Gegenteil: Spätestens seit PISA wissen
wir, dass das deutsche Bildungssystem Bildungsferne und mangelnde Chancengleichheit systemimmanent vererbt.
Angesichts dieser Geschichte ist Integration erstaunlicherweise vielfach gut gelungen, nicht wegen, sondern trotz der politischen Rahmenbedingungen. Wir haben immer mehr gut ausgebildete Menschen aus der zweiten und dritten Generation, vor allem
Frauen, die Anwälte, Politikerinnen oder Unternehmerinnen geworden sind. Aber wir
haben auch einen viel zu großen Anteil von jungen Menschen, die sozial ausgegrenzt
bleiben. Eine Reform des Bildungssystems ist daher die größte und dringendste Baustelle, an der wir zu arbeiten haben. Das Ziel muss dabei ein möglichst langes gemeinsames
Lernen sein. Das dreigliedrige Schulsystem in Deutschland ist für die Migrantenkinder,
die zum großen Teil aus bildungsfernen Schichten stammen, kontraproduktiv. Bei der
frühen Selektion, die unser Schulsystem heute ausmacht, sind alle sozial benachteiligten
Kinder die Leidtragenden. Heute haben Akademikerkinder im Vergleich zu Arbeiterkindern die sechsfache Chance, die Schule mit dem Abitur abzuschließen.
Anerkennung als Bürger dieses Landes
Ein weiteres wichtiges Stichwort ist für mich das der Anerkennung. Bei der Anerkennung geht es darum zu sagen: „Ihr gehört zu uns, wir gehören zu Euch, wir alle sind
Teil dieses Landes, egal, welche Herkunft oder welche Religion wir haben“. Nur wenn
alle Menschen das Gefühl haben, anerkannt zu sein, können sie sich auch mit diesem
Land identifizieren und sind bereit, Verantwortung für seine und die eigene Zukunft
zu übernehmen. Von dieser Realität, dieser selbstverständlichen Anerkennung aller, als
Teil dieser Gesellschaft, sind wir in der Realität jedoch leider weit entfernt.
Ich fürchte im Gegenteil, dass in Deutschland eine Art neuer Rassismus hoffähig
wird, der sich gezielt gegen Muslime richtet. Auf diese Gruppe werden alle Probleme dieser Gesellschaft projiziert. Themen wie Zwangsheirat oder Ehrenmorde werden
jetzt schon gerne missbraucht, um eine aggressive Diskussion anzufachen. Ich erlebe
mit Schrecken, dass sich gerade die ultrakonservativen Politiker hervortun, die seit jeher ein konservatives Familienbild und das klassische Frauenbild der drei „K’s“ (Kinder,
Küche, Kirche) predigen, also quasi das gleiche Familienbild wie konservative islamische Verbandsfunktionäre vertreten. Sie outen sich plötzlich scheinbar als glühende
Feministen, wenn es um Frauenrechte im Islam geht. Das nützt aber nicht den Frauen,
sondern schürt letztlich nur die Ressentiments. Ehrenmorde und Zwangsheiraten sind
eine Randerscheinung. Da ist jeder Fall sicher einer zu viel. Aber das Thema wird
aufgebauscht, um Ressentiments zu schüren und eine ganze Gruppe von Menschen,
nämlich die Muslime, in Sippenhaft zu nehmen.
Die Änderungen am Zuwanderungsgesetz fördern weder Integration noch
Anerkennung
Das führt mich zur Frage nach der Rolle der sogenannten „Mehrheitsgesellschaft“
– also nach der Rolle aller Menschen hier ohne Migrationshintergrund. Denn die öffentliche Diskussion fokussiert nahezu ausschließlich auf Anforderungen an Migrantinnen und Migranten. Bestehende Diskriminierungen im Alltag, bei der Wohnungssuche und auf dem Arbeitsmarkt werden in der öffentlichen Diskussion geflissentlich
ignoriert. Eine rechtliche Gleichstellung, beispielsweise über die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit, ist immer noch nicht erreicht.
Diese Tendenz der Skepsis und der einseitigen Anforderungen an die Zuwanderer
zieht sich leider auch durch unsere Gesetzgebung, speziell bei der Reform des Aufenthaltsrechts im Sommer 2007. Das Gesetz enthält einige begrüßenswerte Verbesserungen und Klarstellungen, wie etwa die Einbeziehung deutscher Staatsangehöriger in
die Sprachkurse und die Schaffung einer gesetzlichen Altfallregelung für langjährig geduldete Ausländer. Wo es die europäischen Richtlinien umsetzt, geschieht dies jedoch
regelmäßig nur restriktiv. Möglichkeiten zur Verschärfung des Ausländerrechts werden wahrgenommen, humanitäre Verbesserungen unterbleiben hingegen sogar dann,
wenn sie europarechtlich geboten sind.
Ein zentraler Kritikpunkt sind die vorgesehenen Verschärfungen bei der Familienzusammenführung. Die Bekämpfung von Schein- und Zwangsehen, mit der die
Maßnahmen begründet werden, sowie die Verbesserung der Integration von Familien
sind sicher wichtige Themen. Allerdings sind die vorgesehenen Regelungen zur Erreichung dieser Ziele nicht die geeigneten Mittel. Statt wirksam gegen die genannten
Phänomene vorzugehen, werden alle Ehen mit einem ausländischen Partner unter den
Generalverdacht gestellt, dass der Abschluss dieser Ehen unter Zwang oder mit Täuschungsabsicht erfolgt. Gem. § 30 Abs. 1 AufenthG muss beim Ehegattennachzug der
nachziehende Ehepartner künftig nachweisen, dass er sich zumindest auf einfache Art
in deutscher Sprache verständigen kann. Keine Sprachkenntnisse benötigen Personen,
die „einen geringen Integrationsbedarf haben“, oder die wegen ihrer Staatsangehörigkeit auch für längere Aufenthalte visumsfrei nach Deutschland einreisen können, wie
Japaner oder US-Amerikaner. Damit werden faktisch zwei Klassen von ausländischen
Ehegatten geschaffen.
Das Zuwanderungsgesetz hatte insbesondere durch die Aufnahme des Rechtsanspruchs auf Sprachkurse richtige Signale gesetzt. Mit diesen Kursen erhielten Einwanderer und Einwanderinnen erstmals Angebote zum Erlernen der deutschen Sprache
49
und zur Orientierung in einem für sie fremden Land. Diese von den Migrantinnen
und Migranten positiv aufgenommen Kurse werden in ihrer Wirkung durch dieses
Gesetzesvorhaben nachhaltig geschwächt. Die vorgeschlagene Regelung verlegt den
Zeitpunkt des Spracherwerbs vor die Einreise. Entsprechende Angebote zum Spracherwerb gibt es aber in vielen Ländern nicht oder nur in einigen Großstädten. Auch wenn
nun entsprechende Deutschkurse in einigen Ländern geplant sind, eine flächendekkende Sprachförderung weltweit ist nicht zu realisieren, zumal die Sprachkurse für die
Betroffenen dann auch finanzierbar sein müssten. In Deutschland Deutsch zu lernen,
wäre für alle Beteiligten wesentlich einfacher. Diese Regelung ist damit integrations-,
familien- und frauenpolitisch kontraproduktiv.
Deutschland und Europa benötigen Einwanderung
50
Für die Zuwanderung Hochqualifizierter tut das Gesetz ebenfalls kaum etwas:
Deutschland bleibt für diese Gruppe leider unattraktiv. Und in den letzten Wochen
mehren sich zudem die Anzeichen, dass die jetzt erforderlichen Deutschkenntnisse bei
der Einreise von Familienangehörigen besonders auch viele Hochqualifizierte trifft, für
die Deutschland damit noch einmal ein Stück unattraktiver wird.
Dabei wird doch immer mehr deutlich, dass wir in Zukunft Zuwanderung qualifizierter Menschen benötigen. Es gibt für mich auch keinen Grund, Zuwanderung
und Ausbildung der „einheimischen“ Bevölkerung gegeneinander auszuspielen. Beides
ist wichtig. Und die Zuwanderung Hochqualifizierter hilft letztlich auch den geringer
Qualifizierten hierzulande. Denen helfen wir im Gegenteil gar nicht, wenn Firmen aus
Deutschland abwandern, die künftig die Stellen für Hochqualifizierte nicht mehr besetzen können, weil wir eine derart restriktive Zuwanderungspolitik betreiben.
Der Vorschlag des EU-Innen-Kommissars Franco Frattini, mit Hilfe einer „Blue
Card“ mehr hochqualifizierte Migranten nach Europa zu holen, indem die Voraussetzungen für Aufenthalts- und Arbeitsbedingungen erleichtert werden, ist daher richtig
und kommt genau zur rechten Zeit. Im Moment liegt die Europäische Union im globalen
Wettbewerb um hochqualifizierte Zuwanderung auf dem letzten Platz, weil vor allem die
klassischen Einwanderungsländer USA und Kanada viel attraktiver sind.
Anerkennung bedeutet auch Staatsbürgerschaft
Wenn wir die Attraktivität Europas erhöhen wollen, ist das aber letztlich nicht
nur mit verbesserten Aufenthalts- und Arbeitsbedingungen zu erreichen. Attraktiv ist
unser Land nur dann, wenn die Eingewanderten die Chance sehen, voll und ganz Teil
dieses Landes werden zu können, und nicht immer Bürger zweiter Klasse zu bleiben.
Dazu gehört auch die formale Staatsangehörigkeit. Ich glaube, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Und das bleibt für den Einzelnen nicht ohne Wirkung auf seine
Wahrnehmung der Gesellschaft und den eigenen Platz in der Gesellschaft. Mit dem
deutschen Pass ist man deutscher Staatsbürger. Angesichts zurückgehender Einbürgerungszahlen müssen wir dafür eintreten, dass Einbürgerung erleichtert und attraktiver
wird. Neben der Attraktivität für Migranten kommt noch ein anderes wichtiges Argument hinzu: In einer Demokratie ist es nicht hinnehmbar, dass immer mehr Menschen
im Land kein Wahlrecht besitzen. Wir müssen dafür sorgen, dass Wohnbevölkerung
und Staatsbevölkerung identisch sind.
Migration und europäische Identität
Bruno Ducoli, Präsident des Europäischen Zentrums zur Förderung der Interkulturalität , Gargnano (Provinz Brescia)
„Der Mensch“, warnte Adam Smith bereits 1776 in seinem Werk „Wohlstand der
Nationen“ „ist die Ware, die sich am schwierigsten befördern lässt“. Und genau aus
diesem Grunde trifft die Migration eine Bevölkerung in ihrem Innersten, berührt ihr
kollektives Unterbewusstes. Ein Phänomen, das aufgrund seiner hohen Zahlen und
Herausforderungen dazu bestimmt ist, eine immer entscheidendere Rolle innerhalb der
europäischen Gesellschaften zu spielen. Ich habe 30 Jahre lang in Brüssel mit Migranten zusammengearbeitet, und gerade Brüssel ist eine Stadt mit sehr vielen Migranten.
30 Jahre lang habe ich, halb Wissenschaftler und halb Sozialarbeiter, Fußsteige und
Kreuzwege begangen, Um- und Abwege im täglichen Leben vieler Migranten kennen
gelernt und im Laufe der Jahre ihre Erfolge und Misserfolge beobachtet.
Jacques Lacan, einer der bedeutendsten europäischen Vertreter des psychoanalytischen
Gedankens, pflegte zu sagen, dass die Worte uns vorauseilen, dass sie „uns ansprechen,
bevor wir sie aussprechen“. So besteht zum Beispiel der Themenkomplex, der mir zugeteilt
wurde, aus drei Begriffen, die uns stark ansprechen, auch wenn – und davon bin ich fest
überzeugt – auf unterschiedliche Weise: Immigration, Identität, Europa.
Migration
Beginnen wir mit dem ersten Begriff. Immigration löst in jedem von uns ganz
persönliche Vorstellungen aus, und Vorstellungen sind eben wie schöne Frauen – jeder von uns liebt natürlich die eigene. Dennoch wissen wir, dass Schönheit an und für
sich nicht von einer einzigen Person verkörpert werden kann, sondern als Synthese
aller schönen Dinge auf Erden verstanden werden sollte. In Anlehnung dazu stellt der
Begriff Immigration die Synthese all unserer persönlichen Vorstellungen dar und ist
als solcher bei weitem vollkommener als die einseitige Vorstellung, die jeder von uns
aus seinem individuellen Blickpunkt entwickelt. Europa kennt das Phänomen der Migration seit mehreren Jahrzehnten, ist aber bis heute noch nicht mit ihr im Reinen und
das, obwohl vielfach die Meinung vertreten wird, dass Migration eines der heikelsten
Probleme des neuen Jahrhunderts sein wird. Wenn man die Vergangenheit mit den
Worten Max Frischs umschreiben möchte - „Wir erwarteten Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“, kann man die Gegenwart mit dem Titel des Hauptwerks von Marcel
Proust zusammenfassen: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“.
Die Bemühungen, die verlorene Zeit nachzuholen, reflektieren meines Erachtens
das wahre Verhältnis, das Europa heute zu seinen Einwanderern hat. Trotz ihrer steigenden Anzahl werden sie meistens in eine Art Vorhölle verbannt, in der sie lediglich
als rein zweckmäßige Figuren der Wirtschaft gelten, oft sogar als mögliche Gefahr
angesehen werden. Dagegen fordern Einwanderer eine ausgewogene Integration, bei
der die Unterschiede nicht gleich ein Grund für Ausgrenzung sind. Wenn wir verhindern möchten, dass sich unsere Gesellschaft in ein Schlachtfeld verwandelt, auf dem
jeder gegen jeden kämpft, müssen wir zusammenhängender denken, nur so werden wir
die angesammelte verlorenen Zeit aufholen können. Dabei müssen wir vermeiden, dass
wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Gleiches gilt insbesondere für die
51
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Massenmedien. Unter Migration versteht man nicht nur die illegalen Landungen auf
der italienischen Insel Lampedusa und den Kanarischen Inseln oder das listige Handeln
krimineller Profiteure im Untergrund, sondern vor allem die Millionen Migranten, die
rechtmäßig arbeiten und Unternehmen gründen; die Millionen Studierende, die unsere
Schulen darauf vorbereiten, zukünftige Mitbürger zu werden.
Das Problem der Kriminalität unter den Migranten darf zwar nicht stillschweigend übergangen werden, dennoch muss auch daran erinnert werden, dass ein Baum,
der fällt, größeres Aufsehen erregt, als ein Wald der wächst. Vor allem muss klar sein,
dass wir in einer Welt, die sich allzu schnell in ein „globales Dorf“ verwandelt hat, nur
dank dieser Millionen legaler Einwanderer im Stande sind, die Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen und uns mit dem rasanten Entwicklungsprozess anzufreunden.
Um dem Drängen nach mehr Sicherheit seitens einer Öffentlichkeit, die nicht immer
versteht, woher dieses dunkle und vielseitige Gefühl der Unsicherheit kommt, ernsthaft gerecht zu werden, müssen wir der Forderung der Migranten nachgehen und sie
als aktive Subjekte des zivilen Zusammenlebens an der Gestaltung eines neuen Sozialvertrags teilhaben lassen.
Das mittlerweile als strukturell angesehene Langzeitphänomen der Immigration
erfordert einen Dialog, dessen Grammatik oder Syntax Europa noch nicht beherrscht.
Nachdem die Migration über Jahrhunderte hinweg passiv anstatt aktiv konzipiert wurde, tut sich Europa heute ein wenig schwer damit, eine neue Sichtweise anzunehmen.
Auch wenn Italien das Land mit der höchsten Auswandererquote Europas ist, fällt bei
genauerem Hinsehen auf, dass kein einziges europäisches Land die langwierige Erfahrung der Migration schmerzfrei bewältigt hat. Lange waren die in Europa zur Migration durchgeführten Studien durch einen konjunkturellen Ansatz geprägt, der dann auch
zum Ausgangspunkt für das Problem der Migranten zweiter und dritter Generation
wurde: Migrationswellen wurden immer nur als Nebeneffekt der Vollbeschäftigung
betrachtet und man ging davon aus, dass die Einwanderer, sobald sie ein kleines Sümmchen angehäuft hätten, wieder in ihre Heimat zurückgehen würden. Diese Fehleinschätzung hat sich über Jahrzehnte hinweggezogen und so sind die Migrantenkinder
– häufig aber auch deren Kinder – mit gravierenden Misserfolgen in der Schule, einer
starken Diskriminierung und der Unmöglichkeit, sich in einem Land, in einer Nation
oder in einer Kultur zu Hause zu fühlen, groß geworden. Sie sind als Findelkinder zurückgeblieben.
Während die Migration in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf den produzierenden Sektor mit Wettbewerbsproblemen gerichtet war und über Zuwanderungskontingente in zwischenstaatlichen „Anwerbeabkommen“ geregelt wurde, so sind seit den
80er Jahren die Migrationswellen in Richtung der Länder mit geschlossenen Grenzen meist illegal, vermehrt mit Menschenhandel verbunden, verzeichnen eine höhere
Frauenquote sowie einen höheren Bildungsgrad und enden in den verschlungenen Wegen der Schattenwirtschaft. Somit kann man unschwer voraussehen, dass die Spannung
zwischen einem Produktionssystem, das mehr Einwanderer benötigt, und einem Staat
oder einer Gesellschaft, die sie zurückweisen, weiter zunehmen wird. Solch eine Lage
erschwert natürlich die Umsetzung jeder Form von Solidarität auch für diejenigen,
die auf englisch mit dem Begriff „advocacy coalition“ bezeichnet werden. Und wie es
immer der Fall ist, nimmt die Komplizenschaft zu, sobald die Solidarität verschwindet.
Die Migranten, die sich auf einmal selbst helfen müssen, haben enorme Schwierigkei-
ten, eigene Netzwerke aufzubauen, die aber gerade in der Geschichte der Migration
stets einen besonders positiven Mehrwert dargestellt haben.
Trotz dieser prekären Situation und der vielen Schwierigkeiten, die nicht zuletzt
auf die komplexe internationale Entwicklung, die wir erleben, zurückzuführen sind,
hat sich die Migration im Laufe der Zeit auch in Europa zum normalen Alltag entwikkelt. Europa gewöhnt sich langsam an die Migranten und diese wiederum an Europa
– so wird es möglich, auf Grundlage geteilter Schicksale eine gemeinsame Zukunft
zu planen. Dies vorausgesetzt, wird es um so nötiger sein, diejenigen, die immer noch
der Meinung sind, von Migration nicht berührt zu sein, aufzufordern, sich nicht der
Geschichte und Geographie zu entziehen. Alle wirtschaftlichen und demografischen
Parameter belegen, dass die Zuwanderung nach Europa zunehmen wird. Daher ist es
unabdingbar, sie „homöopathisch“ zu gestalten. Homöopathisch meint weder homogen,
noch nach unserem Bilde geschaffen – es meint schlicht und einfach, immun gegen jede
Form von Gewalt, die sowohl von uns, als auch von den anderen ausgeübt wird, und
unfähig, eine soziale Kettenreaktion auszulösen. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig,
denjenigen, die von offenen und unbewachten Grenzen träumen, ins Gedächtnis zu
rufen, dass sich dieser Traum sehr schnell in einem Alptraum verwandeln könnte. Eine
Bevölkerung in ihrem Innersten zu verletzen, löst immer unkontrollierte, ja unkontrollierbare Reaktionen aus. Wenn die Immigration ein globales gesellschaftliches Problem
ist, kann sie Reaktionen sowohl emotionaler Art als auch systematischen Charakters
auslösen. Wenn globale soziale Gegebenheiten abgelehnt werden, spiegelt sich eben
diese Ablehnung gezwungenermaßen auch auf globaler Ebene wider.
Identität
Doch gibt es auch einen zweiten Begriff der entschlüsselt und interpretiert werden
will: Identität. Die enorme Beliebtheit, die dieser Begriff derzeit genießt, verdankt er
vor allem der Krise der Gesellschaften, in denen er umgeht. In jeder Krisensituation kann es sehr leicht geschehen, dass Identität als Wert gesehen wird, an dem man
sich festhalten kann, wenn man das Gefühl hat, dass alles schief läuft. Doch dauert es
nicht lange, bis sich dieser Unterschlupf in ein Gefängnis verwandelt, das einem zwar
Schutz bietet, jedoch einsperrt, zwar verteidigt, jedoch auch den letzten Atem und die
Lebensfreude raubt. Gerade auf diese Weise entwickeln sich Persönlichkeiten, die der
Libanese Amin Maalouf als „mörderische Identitäten“ bezeichnet. Gut gefestigte Traditionen haben Auseinandersetzungen nie gescheut und haben aus jedem Dialog neue
Lebenskraft geschöpft. So konnten alle Kulturen wachsen und gedeihen. Kulturen sind
schließlich nichts anderes als das Produkt einer ununterbrochenen kulturellen „Einund Ausfuhr“. Sogar Europa begann zu wachsen, nachdem Hass und gegenseitiges
Misstrauen überwunden, der Krieg verbannt wurde und die Völker sich nicht mehr als
Feinde, sondern als Partner angesehen haben.
Von uns wird nun verlangt, dass wir einen brüderlichen Blick auf solche antiken
und glorreichen Kulturen werfen, die wir im Laufe der Jahrtausende nur aus der Ferne
kennen gelernt haben, oft auch mit Misstrauen und oberflächlicher Stereotypie. Vor einigen Jahren habe ich ein Motto geprägt, dass mittlerweile in mehrere Sprachen übersetzt wurde: „Die Gesellschaft der Zukunft ist die, welche zu vereinen weiß, ohne zu
vermischen, und welche zu unterscheiden weiß, ohne zu trennen“. Es sind die Gesellschaften des Zuhörens, des Dialogs, der Synthese und der respektvollen Vereinigung
53
der Unterschiede. Jene Narben der Geschichte, die wir Grenzen nennen, sind heute
flüchtige Schaumkronen, auf die wir eingehen oder auch nicht. Es ist an der Zeit, die
kulturellen Einflüsse zu erkennen, aus denen unsere Gesellschaften hervorgegangen
sind, und das zu schätzen, was uns verbindet, statt immer nur auf dem zu beharren, was
uns trennt. Es ist an der Zeit zu begreifen, dass vieles von uns in den anderen steckt
und dass wir vieles von den anderen übernommen haben.
Die Gegenüberstellung „Wir / die Anderen“ muss überwunden werden, weil diese
Begriffe jetzt in einem anderen Verhältnis zueinander stehen. Jeder von uns muss sich
an ein „gastfreundliches Wir“ gewöhnen. Heute wird es um so deutlicher, dass man Zukunft nur mit den anderen aufbauen kann - und nicht ohne oder gar gegen die anderen.
Mehr als in der Vergangenheit ist es heute dringend, die Zukunft mit mehreren Federn
zu schreiben. Wie der Historiker Rudolf von Thadden zu Recht festgestellt hat, lässt
sich ohne die anderen weder ein vereintes Europa noch eine versöhnte Welt erbauen.
Der „Clash of Civilizations“ von dem so oft die Rede ist, ist womöglich nichts anderes
als ein durch gegenseitige Ignoranz bedingter Schock. Über den Anblick der Erde ausserhalb des Solarsystems konnte der Astronom Carl Sagan mit Hilfe der Aufnahmen
aus dem Raumschiff Voyager schreiben: „Unser Planet ist nichts weiter als ein einsamer Punkt im riesigen Bauch der kosmischen Dunkelheit. Ein kleiner Punkt, der das
Herz rührt und Bescheidenheit lehrt. Dieses zerbrechliche Bild erinnert uns an unsere
Verantwortung und fordert uns auf, uns wohlwollender um die anderen zu kümmern,
diesen hellblau strahlenden Punkt zu schützen – unser Staubkorn, der an einem Sonnenstrahl schwebt“.
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Europa
Zuletzt der dritte Begriff, der hier erörtert wird: Europa. Von allen dreien fühle
ich mich bei diesem hier am meisten zu Hause, auch wenn es gerade eine schwierige
Zeit für Europa ist. Die Europäische Union ist wahrhaftig ein kleines, aber auch großes
Wunder, zu dem Deutschland und Italien seit der Gründung beigetragen haben. Eine
Werkstatt, die nie einfach zu leiten war und dennoch solide Ergebnisse erbracht hat: 50
Jahre Frieden in einem Subkontinent, der, seit dem Fall des Römischen Reiches, durchschnittlich alle 20 Jahre einen Krieg erlebt hat. Dazu kommt aber auch das andauernde
und ununterbrochene Wachstum eines Wohlstands, wie man ihn vorher noch nie gekannt hatte. Zu Recht hatte Thomas Moore einst behauptet, dass keine Landkarte wirklich vollkommen ist, solange es auf ihr keinen Landstreifen, den man Utopie benennt,
gibt. Und diese Utopie erkannten viele im europäischen Gedanken, den Adenauer, De
Gasperi und Schuman aus den noch rauchenden Trümmern des Zweiten Weltkrieges
entwickelt hatten.
So wenig es auch bedeutet, bin ich fest überzeugt, dass es durchaus eine europäische
Identität gibt und diese sogar tiefer verankert ist, als wir glauben. Und dies nicht nur,
weil jeder Kirchturm und jeder Handbreit Acker ein Teil dieses Europa ist, sondern
vor allem, weil es der Menschheit Gedanken von beträchtlicher Substanz sowie eine
soziale Philosophie geschenkt hat, aus der die „Menschenrechte“ und die Verbreitung
eines in der Welt unbekannten Wohlstandes hervorgegangen sind. Trotz der schweren
Fehler, die seine Geschichte geprägt haben, ist Europa in den letzten Jahrzehnten ein
Leuchtturm für die Menschheit gewesen und hat sich zu einem Labor entwickelt, in
dem Fragen der menschlichen Zukunft reflektiert werden.
Vor dem Hintergrund der beeindruckenden Traditionen besteht die größte Schwierigkeit darin, sich der Vergangenheit würdig zu erweisen und in der Gegenwart den
Anfang für ein Zukunftskonzept zu setzen. Das Problem Europas ist nicht nur, dass es,
wie die Amerikaner sagen, keine „Telefonnummer“ hat - es muss auch lernen, seinem
Erbe gewachsen zu sein. Wir können uns nicht unserer Verpflichtung entziehen, einen
Vertrag der Brüderlichkeit mit den Neuangekommenen zu schließen, eine neue Identität zu entwickeln, die sie einschließt und nicht ausschließt, und sie auf dem Kontinent
der Menschheit zu Reisegefährten zu machen, ohne dabei unseren Stolz als Europäer
zu vergessen. Europäer zu sein bedeutet heute, als bescheidener aber entschlossener
Architekt an der Erbauung eines globalen Dorfs mit zu wirken, das sich auf die Vielfalt
seiner Bürger stützt und den Weg zu einer unbekannten pluralen Einheit zu wagen.
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Erfahrungen in Italien und Deutschland
Ein Panorama der Migration - Italienische und deutsche
Erfahrungen - Ein Vergleich in 10 Thesen
Dr. Luca Di Sciullo, Dr. Franco Pittau, Dossier Statistico Immigrazione Caritas/Migrantes
1. Die statistischen Daten helfen einen verlässlichen Vergleich zwischen
Italien und Deutschland durchzuführen.
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Die hier verfolgte Methode soll einen verlässlichen Vergleich ermöglichen. Richtig
ausgewertete Zahlen sind ein wirksames Mittel gegen Vorurteile, helfen die Strukturen der Migration zu definieren, ermöglichen einen detaillierten Vergleich der beiden
Länder und verdeutlichen Übereinstimmungen und Unterschiede. In Italien versuchte
der „Nationaler Rat für Wirtschaft und Arbeit“ (CNEL) mit der Methode statistischer
Indikatoren differenzierte Integrationspotentiale der Regionen Italiens und von EUStaaten darzustellen.9
Wir möchten die Lage der Migration in Italien mit der in Deutschland vergleichen
und werden dabei auch die aufschlussreichen Ergebnisse einer Umfrage berücksichtigen, die wir in Zusammenarbeit mit der Deutschen Botschaft und der Friedrich-EbertStiftung im Mai 2007 in Vorbereitung der deutsch-italienischen Tagung über die Integration durchgeführt haben (62 Migranten aus Rom und Umgebung - dem Gebiet mit
der höchsten Zahl von Migranten in Italien – wurden interviewt).
Zweifellos weisen die sozioökonomischen Verhältnisse in beiden Ländern große
Unterschiede auf. Dies gilt für die Gesetzgebung, die Verwaltungstradition, die Rolle
der Parteien, die Wirtschaft, das integrationspolitische Konzept und, wie im Folgenden
dargestellt, die Struktur der ausländischen Bevölkerung. Es fehlt nicht an Übereinstimmungen, umso mehr als Deutschland in der Nachkriegszeit das Land war, das die
meisten Emigranten aus Italien aufgenommen hat. Einige dieser Aspekte, die wir hier
aufgreifen und vertiefen wollen, wurden übrigens schon ausgewertet.10
Wenn wir die Daten des deutschen Statistischen Bundesamts zur Grundlage nehmen,
so stellen wir fest, dass seit dem deutsch-italienischen Anwerbeabkommen im Jahre 1955
1.903.237 Italiener in den sechziger Jahren, 1.166.720 in den siebziger Jahren, 477.719 in
den achtziger Jahren und 375.194 in den neunziger Jahren nach Deutschland auswander(9) CNEL, Indici di inserimento territoriale degli immigrati in Italia (Indikatoren der territorialen Eingliederung in Italien), Hrsg. von L. Di Sciullo, Rom, September 2004; nachfolgende Berichte können auf
der Webseite www.cnel.it eingesehen werden.
(10) Vgl. A. Ricci, M. M. Ambrosini, A. D’Angelo, „Contesto internazionale ed europeo“ (Der internationale und europäische Rahmen), Caritas/Migrantes, Dossier Statistico Immigrazione 2007, Edizioni
Idos, Rom 2007, S. 15-66 und insbesondere: E. Pugliese, „L’immigrazione straniera in Germania“ (Die
Zuwanderung von Ausländern nach Deutschland), S. 37-46; A. D’Angelo, „L’immigrazione e la presenza
straniera nell’Unione europea a 27“ (Migration und die Präsenz von Ausländern in der EU mit 27 Mitgliedstaaten), S. 25-34.
ten. In der gleichen Periode betrug die Zahl der Rückkehrer 1.454.160 in den sechziger
Jahren, 1.056.837 in den siebziger Jahren, 580.965 in den achtziger Jahren und 347.424
in den neunziger Jahren. Der größte Wanderungssaldo war in den sechziger Jahren mit
rund 450.000 Italienern in Deutschland; in den siebziger Jahren glichen sich die Zahlen der Aus- und Rückwanderung aus; in den achtziger Jahren kehrten mehr italienische Auswanderer nach Italien zurück (rund 100.000 Personen); in den neunziger Jahren
war die Zahl der eingereisten und ausgereisten Italiener fast gleich, mit einem kleinen
Überschuss der Auswanderer; seit dem Jahr 2000 reisten 20.000-25.000 Italiener nach
Deutschland ein und 30.000-35.000 aus. Man kann sich also ausrechnen, dass in der Zeit
von 1957 – 2004 über 4 Millionen (4.090.362) nach Deutschland auswanderten und über
dreieinhalb Millionen (3.662.873) nach Italien zurückkehrten. Das bedeutet, dass rund
eine halbe Million Italiener (427.489) mehr in Deutschland blieben als zurückreisten.
Dieses Ergebnis, bei dem die in Deutschland geborenen Kinder von Italienern nicht mitgezählt wurden, stimmt mit den Zahlen der Einwohnermeldeämter überein, die im Mai
2007 die Zahl der in Deutschland wohnenden Italiener mit 579.644 angaben. In Bezug
auf die Migrationsflüsse kann gesagt werden, dass in der Zeit von 1960-1970 in einigen
Jahren über 200.000 und in der ersten Hälfte der siebziger Jahre über 150.000 Personen
nach Deutschland ausreisten. Diese Zahlen fielen dann 1974 unter 100.000 und lagen
1982 bei 50.000, während derzeit offiziell rund 70.000 Personen nach Deutschland einoder ausreisen (die wirklichen Zahlen sind wahrscheinlich höher) .11
Die Tatsache, dass nur ein Zehntel der Emigranten in Deutschland geblieben ist, weist
darauf hin, dass wir es hier mit einem deutschen „Rotationsmodell“ oder auch „Gastarbeitermodell“ zu tun haben. Die Meisten, von einer kleinen Zahl abgesehen, hatten vor, auch
nach einem längeren Aufenthalt endgültig nach Italien zurückzukehren. Schon vor dem
Jahr 2000 begann Deutschland sich als Einwanderungsland zu betrachten und hatte damit
begonnen, interessante integrationsfördernde Maßnahmen zu ergreifen. Wahrscheinlich
waren die italienischen Migranten hier weniger integriert als in anderen Ländern. Ganz
anders ist die einschlägige italienische Erfahrung, die schon ab den neunziger Jahren (das
bedeutet knapp 10 – 15 Jahre nach Beginn der Zuwanderung) voraussehen ließ, dass die
ausländischen Bürger sich auf Dauer in Italien niederlassen werden.
2. Italien entwickelt sich wie Deutschland zu einem großen Einwanderungsland und dieser Prozess wird sich voraussichtlich beschleunigen.
Italien hat mit rund 3.690.000 halb so viele Migranten wie Deutschland (6.751.002;
31.12.2006), was 6,2% der Gesamtbevölkerung entspricht.12 Wenn jedoch in Deutschland die Migranten mit deutscher Staatsbürgerschaft hinzugezählt werden, so kommen
wir auf 15 Millionen Personen mit einer Migrationsgeschichte, von denen 670.000
(11) F. Heins, E. Pugliese, „Germania: il primo paese degli emigrati all’estero“ (Deutschland, das erste
Land der italienischen Emigranten), Fondazione Migrantes, Rapporto Italiani nel Mondo 2006 (Bericht
über die Italiener in der Welt 2006), Edizioni Idos, Rom 2006, S. 267-281; für die nachfolgenden Aktualisierungen vgl. Fondazione Migrantes, Rapporto Italiani nel Mondo 2007, Edizioni Idos, Rom 2007.
(12)
F. Pittau, L. Di Sciullo, „Consistenza, provenienza e insediamento degli immigrati“ (Zahl,
Herkunft und Niederlassung der Immigranten), Caritas/Migrantes, Dossier Statistico Immigrazione
2006, edizioni Idos, Rom, 2006, S. 87-95.
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einen italienischen Hintergrund haben.13
Anfangs verdoppelte sich die Zahl der Zuwanderer in Italien alle 10 Jahre. So war es
in den siebziger, in den achtziger und den neunziger Jahren. Ab 2000 verdoppelte sich
die Zahl schon alle 5 Jahre. In Deutschland überschritt die Zahl der Ausländer 1993 die
Schwelle von 7 Millionen und hielt sich dann 10 Jahre lang auf diesem Niveau, ging anschließend 2004 um 250.000 Einheiten zurück, wobei die Ausländerquote von 8,9% auf
8,1% fiel.
In Italien multiplizierte sich die Zahl der Zuwanderer seit 1970, als es nur 144.000
waren, etwa mit 25. Alles deutet darauf hin, dass es in 10 Jahren 7 Millionen Ausländer
sein werden, genauso viele wie heute in Deutschland. Der hohen Zahl der Zuwanderer
steht ein demografischer Trend gegenüber, der noch negativer verläuft als in der EU
und den anderen Ländern der Erde: die letzten Prognosen (ISTAT 2006) sprechen davon, dass die Zahl der Italiener zwischen 19 und 44 Jahren zwischen 2005 und 2020 um
viereinhalb Millionen zurückgehen wird.
Wenn sich dieser Trend unverändert fortsetzen sollte, wird schon lange vor dem
Jahr 2050 (wahrscheinlich reichen schon rund zwanzig Jahre aus, d.h. also 2027) die
Zahl der Ausländer die 10-Millionen-Marke übersteigen - d.h. ein Verhältnis von dann
1 zu 5 (Ausländer zu Einheimischen). Damit kann man prognostizieren, dass Italien das
Land mit der höchsten Ausländerzahl in der EU sein und an die Stelle von Deutschland
treten wird, das heute nur noch qualifizierte Arbeitskräfte einlassen will. Die jüngste
Migrationsgeschichte in Italien zeigt deutlich die Unterschiede zu Deutschland, einem
Land, in dem es schon seit langem Zuwanderung gibt und in dem schon ein Fünftel
der Ausländer im Land geboren wurde (rund 30% der dort wohnenden Italiener, d.h.
160.144 Personen).
Die unterschiedlich lange Migrationsgeschichte ist auch an Hand der Aufenthaltsdauer von ausländischen Bürgern in Deutschland festzustellen: 17,3 Jahre sind es für
alle Einwanderer und 25,1 Jahre für Italiener (länger ist die Aufenthaltsdauer bei Holländern, Österreichern, Slowenen und Spaniern). Überraschenderweise leben schon
84% der Ausländer über 5 Jahre in Deutschland (und 72% über 10 Jahre), in Italien
dagegen wohnt noch nicht einmal die Hälfte der Migranten über fünf Jahre im Land.
Wenn wir Deutschland und Italien vergleichen, so erkennen wir eine gegensätzliche Entwicklung. Deutschland hat in den fünfzig Jahren von 1951 bis 2001 31 Millionen Zuwanderer aufgenommen (einschließlich der Deutschstämmigen, die in anderen
Ländern geboren wurden und rund die Hälfte der Gesamtzahl ausmachen); 22 Millionen wanderten aus. Von den 28 Millionen Bürgern, die Italien seit 1861 verließen
– abzüglich der Rückkehrer und derjenigen, die die Staatsbürgerschaft des Landes angenommen haben oder verstorben sind – haben noch immer dreieinhalb Millionen die
italienische Staatsbürgerschaft, während die Zahl der Menschen italienischer Herkunft
auf 60 bis 70 Millionen geschätzt wird.14
Was die Zuwanderung betrifft, so sieht sich Italien heute in einer ähnlichen Lage
wie Deutschland in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre. Eine vorsichtige
Schätzung geht von jährlichen Zuwachsraten der Ausländer von mindestens 300.000
(13) Vgl. Anhang, Statistische Daten: Deutschland
(14) Vgl. Fondazione Migrantes, Rapporto italiani nel mondo 2006 (Bericht über die Italiener in der
Welt), edizioni Idos, Rom 2006.
Einheiten pro Jahr aus (200.000 neue Arbeitskräfte, 100.000 Familienzusammenführung und 60.000 Neugeborene jährlich). Dieser Trend muss nach oben korrigiert werden, weil im Jahr 2006, im Rahmen der Zuwanderungsquote, 540.000 Anträge und im
Rahmen der neuen Quote für 2007 bis Dezember schon fast 700.000 neue Anträge zum
Zweck der Arbeitsaufnahme gezählt wurden.
2006 war in Deutschland der Zuwanderungssaldo der Ausländer positiv, betrug
jedoch nur 74.693 (558.467 Zuwanderer und 483.774 Rückwanderer). In Italien verließen viel weniger Menschen das Land (rund 15.000 im Jahr, abgesehen von den Saisonarbeitern) und der Zuwanderungssaldo war erheblich höher. Auch die Zahl der Asylbewerber in Deutschland, die bis 1997 bei über 100.000 lag, ging 2004 auf 35.000 zurück
(blieb jedoch immer noch dreimal höher als die in Italien, welches jedoch mit großer
Wahrscheinlichkeit als Grenzland mehr illegale Zuwanderung verzeichnet).
Trotz aller Unterschiede müssen Italien wie auch Deutschland sich heute mit der
Frage der Migration intensiv befassen.
3. Italien unterscheidet sich von Deutschland durch die nationale Vielfältigkeit seiner Migranten und ihre andersartige Eingliederung.
Es ist bekannt, dass die Türken mit einem Viertel der Gesamtzahl und 1.739.000
Personen, die zahlenmäßig stärkste ausländische Bevölkerungsgruppe in Deutschland
sind. Italien nennen wir dagegen ein polyzentrisches Zuwanderungsland, ein Land mit
vielen verschiedenen und mehr oder weniger gleichstarken Gruppen: Um auf ein Drittel der Migranten zu kommen, sind die ersten drei Nationalitäten zusammenzuzählen
(Rumänen 556.000, Albaner 381.000 und Marokkaner 387.000). Danach folgen andere,
weniger große Gemeinschaften aus einer Reihe von Ländern, die zwar nicht so stark
vertreten sind, aber doch eine relevante Zahl aufweisen. Einige haben sich seit längerer
Zeit in Italien niedergelassen, andere erst seit kurzem. Sie kommen aus der Ukraine
und China (jede Gruppe mit etwas unter 200.000 Einheiten). Es folgen mit rund 70.000
bis 100.000 Einheiten die Moldawier, Tunesier, Inder, Polen, Bangladeschi, Peruaner,
Ägypter und die Zuwanderer aus Sri Lanka. In dieser Spitzengruppe sind vier Kontinente (Europa, Afrika, Asien und Amerika), verschiedene Subkontinente, viele Sprachen (mindestens 150) und kulturelle Traditionen vertreten.
Außerdem sind hier praktisch alle Religionen der Welt zu finden: 1.792.000 Christen mit einem Anteil von 48,6% (unter ihnen 918.000 Orthodoxe, 685.000 Katholiken, Protestanten und andere christliche Gemeinschaften), 1.202.000 Muslime (32,6%),
99.000 Hindus, 68.000 Buddhisten, 41.000 Gläubige anderer traditioneller Religionen
(unter ihnen 9.000 Juden) und diejenigen, die keinem Glauben anhängen. Keine Migrantengruppe könnte aufgrund der großen Vielfalt die eigene Sprache, Kultur und
Religion gegen die anderen im Integrationsprozess durchsetzen. Deshalb darf man annehmen, dass diese Vielfalt, trotz aller Schwierigkeiten, eine Garantie für Demokratie
und ein Bollwerk gegen Einseitigkeit ist, wenn die geeigneten Maßnahmen ergriffen
werden.
Auch was die Herkunft nach Kontinenten betrifft, so ist der Unterschied zwischen
beiden Ländern groß. In Deutschland registrierte man diese Daten: Europa 79,6%
(5.375.000, 2,2 Millionen aus der EU und 535.000 alleine aus Italien), Afrika 4,0%,
Amerika 3,2%, Asien 12,1%, Australien und andere Regionen 0,2%.
Die Migranten in Italien kommen dagegen überwiegend aus der Dritten Welt: Europa
59
49,6%, Afrika 22,3%, Asien 18,0%, Amerika 9,7%, Ozeanien und andere Regionen 0,1%.
Diese Komplexität der Migration hat ihre ganz spezifischen Strukturmerkmale:
hohe, schnell wachsende Zuwachsraten, Herkunft aus vielen verschiedenen Ländern,
ungleichmäßige Verteilung im Land, demografisch ausgeglichene Struktur (beide Geschlechter sind gleich vertreten, mehr Paare als Unverheiratete, hoher Anteil an Minderjährigen), anhaltende Nachfrage nach mehr Arbeitskräften, wachsende Konsolidierung der Aufenthaltsdauer und steigendes Bedürfnis nach Räumen der Teilhabe.
4. Im Unterschied zu Deutschland braucht Italien derzeit unqualifizierte
ausländische Arbeitskräfte.
60
Nach einer Umfrage von ISTAT (Statistisches Amt Italiens) stieg 2006 die Zahl
der ausländischen Arbeitnehmer auf 1.475.000 Personen (1.348.000 Beschäftigte und
127.000 Arbeitslose, Arbeitslosenquote von 8,6%), davon sind 40% der Industrie, 55%
dem Dienstleistungsgewerbe und 5% der Landwirtschaft zuzuordnen.15
Aus den Daten der INAIL (Italienische Versicherungsanstalt für Arbeitsunfälle
und Berufskrankheiten) ergeben sich für die im Ausland geborenen Arbeitnehmer folgende Zahlen: 1.856.932 (2006) abhängig Erwerbstätige aus Nicht-EU-Staaten (8,5%
Anteil), das entspricht 10,5% aller Erwerbstätigen, 337.339 aus der EU25 (Rumänien
und Bulgarien nicht enthalten).16 Sie tragen überproportional zum Bruttosozialprodukt
bei, da ihre Beschäftigungsquote (nach ISTAT) 67,5% beträgt und damit rund 10 Prozentpunkte über der der italienischen Erwerbstätigen liegt.
In 141.393 Unternehmen kommt der Firmeninhaber aus dem Ausland, ein Trend,
der auch in der derzeit nicht guten Konjunkturphase der italienischen Wirtschaft steil
nach oben geht (70% dieser Unternehmen sind im Handel und im Baugewerbe tätig).
Bemerkenswert ist, dass diese Unternehmer, anders als in anderen Ländern, nur im
Verhältnis von 1 zu 16 direkt aus dem Ausland kommen.17
Der Anteil der Frauen, die Hälfte der Migranten, an den ausländischen Erwerbstätigen liegt bei 40% (85% davon sind im Haushalt tätig) und an den ausländischen
Firmeninhabern bei 16,2%.18
Der Anstieg der Erwerbstätigenzahl 2006 in Italien um 425.000 Personen ist nach
ISTAT zu rund zwei Fünftel auf Ausländer mit registriertem Wohnsitz zurückzuführen. INAIL errechnete, dass 235.096 der im Ausland geborenen Erwerbstätigen ihre
Arbeit in Italien neu aufgenommen haben, eine im Verhältnis zu anderen europäischen
(15) M. Albisinni, F. Pintaldi, „Gli immigrati nel mercato del lavoro italiano“ (Die Migranten auf dem
italienischen Arbeitsmarkt), in Dossier Statistico Immigrazione 2007, S. 229-237; INPS, Immigrazione:
una risorsa da tutelare (Immigration, eine Ressource, die es zu schützen gilt), Rom, INPS, 2006, S.
38-47); ebd., Regolarità, normalità, tutela, II Rapporto su immigrati e previdenza negli archivi Inps
(Legalität, Normalität, Schutz. Bericht über Immigranten und Vorsorge aus den Archiven der INPS),
Rom 2007.
(16) Kommentare zu den INAIL- und INPS-Daten vgl. Caritas/Migrantes, Dossier Statistico Immigrazione 2007, Edizioni Idos, Rom 2007, G. Demaio (S. 238-246), F. Meloni (S. 247-256), M. P. Nanni, A.
Fucilitti, F. Di Maggio (S. 256-264).
(17) F. Dota, F. Grande, C. Catena e G. Bea, „L’imprenditoria immigrata in Italia“ (Migranten als Unternehmer in Italien), in Dossier Statistico Immigrazione 2007, S. 274-282.
(18) W. Bonapace, „L’immigrazione al femminile“ (Die Zuwanderung von Frauen), Caritas/Migrantes,
Dossier Statistico Immigrazione 2007,vgl.,S. 123-131.
Ländern hohe Zahl. Wie schon gesagt, deutet alles darauf hin, dass sich dieser Prozess
noch beschleunigen wird.
Bei den ausländischen Erwerbstätigen beträgt die Fluktuationsrate 1,7% (durchschnittlich fast zwei Arbeitsverträge in einem Jahr), ein weiterer Hinweis für die weniger sicheren und daher weniger attraktiven Arbeitsplätze. ISTAT hob auch hervor,
dass die Migranten besonders belastete Arbeitsplätze einnehmen, die die Italiener
nicht mehr wollen: ein Viertel der ausländischen Beschäftigten arbeitet in Abend- oder
Nachtschichten: 19% abends (von 20 bis 23 Uhr), 12% nachts (nach 23 Uhr) und 15%
sonntags.
Im allgemeinen arbeiten die Migranten nicht in Berufen, die ihrer Ausbildung und
beruflichen Qualifikation entsprechen; sie werden geringer eingestuft, u.a. weil die Arbeitgeber nicht bereit sind, ausländische Abschlüsse anzuerkennen und es vorziehen,
diese vor Ort nicht zu berücksichtigen. So besteht oft ein großer Unterschied zwischen
der Ausbildung der Migranten und ihrer Einstufung am Arbeitsplatz. Die Migranten
verfügen häufiger über einen Schul- und Universitätsabschluss als die Italiener (39,5
gegenüber 33,4 - ein Unterschied von 6,1 Prozentpunkten), sind aber vor allem als Arbeiter tätig (83,7% aller ausländischen Erwerbstätigen, gegenüber von 54,7% bei den
Italienern - ein Unterschied von knapp 29 Prozentpunkten).
In Italien kann man von einer „ethnisch“ bedingten Einstufung am Arbeitsplatz
sprechen. Die Migranten übernehmen die Arbeitsplätze, die die Italiener nicht wollen.
Im Produzierenden Gewerbe sind sie vor allem im Baubereich zu finden (ein Fünftel
aller Bauarbeiter kommt aus Nicht-EU-Staaten), im Dienstleistungsbereich arbeiten
sie in den Familien (über zwei Drittel aller Beschäftigten), wir finden sie in Hotels und
Restaurants (Anteil von 20,4%) und in der Landwirtschaft (ein Fünftel). Man kann
annehmen, dass auch in Zukunft viele dieser offenen „schlechteren“ Arbeitsplätze weiterhin mit diesen, an sich überqualifizierten Zuwanderern ausgefüllt werden. Die Bereitschaft der ersten Migrantengeneration, diese Stellen zu übernehmen, führte dazu,
dass ihre Rolle auf dem Arbeitsmarkt gewachsen ist; bei ihren in Italien aufgewachsenen Kindern, die die gleichen Ansprüche wie Italiener stellen, wird diese Bereitschaft
schwerer zu finden sein, obwohl die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften nur
wenig steigen dürfte.
Aber es gibt noch andere Nachteile für die Migranten, auf die aufmerksam gemacht
werden soll. Aus einer in ganz Italien von den Gewerkschaften durchgeführten Umfrage
ergibt sich, dass sich die Migranten mit absteigender Priorität über folgende Mängel
beklagen: Arbeitsverträge werden nicht eingehalten, keine korrekten Gehaltszahlungen,
Sozialbeiträge werden nicht richtig abgeführt, zu niedrige Entgelteinstufung und allgemein schlechtere Behandlung als Italiener. Zu der oft nicht korrekten Abführung der
Sozialbeiträge kommt, dass für die Schwarzarbeit, die häufig die Hälfte des Arbeitseinkommens ausmacht, keine Sozialbeiträge gezahlt werden. Die Arbeitszeiten sind länger
(möglicherweise muss nachts gearbeitet werden), Überstunden werden nicht entgolten
und sie bekommen weder bezahlte noch unbezahlte Ferien, kein 13. Monatsgehalt und
keine Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Weiterhin werden sie häufig
fristlos und ohne triftigen Grund entlassen und es wird nur wenig Rücksicht auf die religiösen Anliegen und Essensbedürfnisse der Migranten genommen.19
(19) F. Bentivogli, M.I. Macioti, von „Immigrazione, sindacato e tutela“ (Immigration, Gewerkschaf-
61
Angesichts all dieser Fakten versteht man nur zu gut, warum ein 2007 vom „Europäischen Zentrum für Politik und soziale Studien“ veröffentlichter Bericht darauf
hinwies, dass die Gefahr arm zu werden, für aus Nicht-EU-Staaten kommende Migranten 2 bis 3mal höher ist als für die jeweilige einheimische Bevölkerung. Caritas Europa
hatte schon im Vorjahr auf dieses Risiko hingewiesen.20
Man kann also sehr damit einverstanden sein, was CNEL in seinen Berichten, ausgehend von den Integrationsindikatoren, hervorhebt: Arbeit allein kann, wenn es keine
passende Unterstützung für die Familie, noch andere Hilfen gibt, die Defizite im Integrationsprozess nicht ausgleichen.21
5. Italien hat sich schneller als Deutschland als Einwanderungsland verstanden.
62
In Italien begann die Migration Anfang der siebziger Jahre, zu einer Zeit, als die
europäischen Länder gerade infolge der Erdölkrise und Stagnation damit begannen, die
Migrationsflüsse einzudämmen.22
In der ersten Phase seiner Migrationsgeschichte, in den achtziger Jahren, war Italien vor allem ein Durchgangsland für Migranten, die entweder in die französisch- oder
englischsprachigen Länder wollten im Falle der Kurden und Türken, nach Deutschland
weiterreisten, oder für Asylbewerber, die weiter nach Übersee, besonders Nordamerika,
wollten.
Mit dem Martelli-Gesetz 1990 und der Zuwanderung in den neunziger Jahren, die
außerhalb der niedrigen offiziellen Zuwanderungsquoten erfolgten, entwickelte sich in
Italien das Bewusstsein, dass die Migranten bleiben wollen. Die Italiener brauchten u.
a. deshalb weniger Zeit als die Deutschen, um diese Schlussfolgerung zu ziehen, weil in
der Zwischenzeit in der ganzen EU offensichtlich geworden war, dass die Migrationsflüsse keine vorübergehende Erscheinung sind.
Diese Überzeugung schlug sich in den nachfolgenden italienischen Einwanderungsgesetzen nieder: das betrifft das erste Migrationsgesetz (aus dem Jahre 1986) über gleiche
Rechte für Migranten auf soziale Leistungen und das Gesetz aus dem Jahre 1998 bezüglich Integrationsmaßnahmen und der Öffnung gegenüber anderen Kulturen.
Heute weiß man in Deutschland und Italien, dass trotz der hohen Arbeitslosenzahlen (2007 in Deutschland 3,6 Millionen, doppelt so viele wie in Italien), arbeitsuchende
Migranten nicht alle offenen Stellen füllen können, wobei der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden Ländern darin besteht, dass in Deutschland vor allem qualifizierte Arbeitskräfte gesucht werden, während es in Italien auch eine Nachfrage nach
unqualifizierten Arbeitskräften gibt.
ten und Schutz), in Dossier Statistico Immigrazione 2006, Idos Roma, 2006, S. 315-324.
(20) Caritas Europa, „La migrazione: un viaggio verso la povertà?” (Immigration eine Reise in die
Armut?), Anterem, Rom 2006.
(21) CNEL – (Nationale Organisation zur Koordinierung der Integrationspolitik der Ausländer), Indici di integrazione degli immigrati in Italia. IV e V Rapporto (Integrationsindex der Integration von
Migranten in Italien, IV. und V. Bericht) von L. Di Sciullo und F. Pittau, Rom 2007 (wird demnächst
veröffentlicht).
(22) F. Pittau, „35 anni di immigrazione in Italia“ (35 Jahre Immigration in Italien) Caritas/Migrantes,
Dossier Statistico Immigrazione 2006, Edizioni Idos, Rom 2006, S. 69-76.
In Italien ist die Tendenz, sich langfristig niederzulassen, besonders groß: hohe
Zahl der Familienzusammenführungen (rund 100.000 im Jahr in Italien gegenüber
76.000 in Deutschland); jährlich stark steigende Zahl Minderjähriger (80.000 mehr als
2006), mit einem Anteil an der ausländischen Bevölkerung von 22,6% (in Deutschland
beträgt der Anteil 18,2%, etwas über 4 Punkte weniger), mit Spitzenwerten von 25% in
einigen Gebieten Norditaliens. Dafür spricht auch die zahlenmäßige Ausgewogenheit
zwischen den Geschlechtern (in Deutschland beträgt der Anteil der Männer dagegen
52%) und die hohe Geburtenrate von Kindern, deren beide Elternteile Ausländer sind
(57.000 im Jahre 2006), was einem Zehntel aller Geburten entspricht. In Deutschland
lag diese Zahl bei knapp 30.000 Geburten (weniger als ein Drittel gegenüber 100.000
Geburten in den neunziger Jahren; insgesamt waren es 672.000 Geburten). Man muss
hier allerdings berücksichtigen, dass viele der Neugeborenen seit dem neuen Staatsbürgerschaftsgesetz als deutsche Bürger gelten.
ISTAT hat 2006 zum ersten Mal eine Zählung der zweiten Migrationsgeneration
durchgeführt, d.h. die Zahl aller in Italien geborenen Ausländer (ohne diejenigen, die
schon die italienische Staatsangehörigkeit erworben haben) ermittelt: es sind 398.295
Personen, mehr als die Hälfte davon sind Minderjährige, die 13,5% der in Italien wohnenden Ausländer ausmachen; angesichts der kurzen Migrationsgeschichte des Landes
eine bemerkenswert hohe Zahl.
Ein weiteres Zeichen dafür, dass die italienische Gesellschaft, trotz vieler Widersprüche, immer interkultureller wird, sind die binationalen Ehen (1 von 8), wobei mehr
italienische Männer als Frauen einen ausländischen Ehepartner wählen (1 zu 5). Heute
gibt es über 200.000 binationale Ehen (über die nichtehelichen Lebensgemeinschaften
liegen keine Zahlen vor).
6. Es ist notwendig, die Aufnahme der neuen Zuwanderer mit der Integration der schon langfristig ansässigen Migranten in Einklang zu bringen.
Italien muss weiterhin wegen der starken, auch illegalen Zuwanderung (es sind
mehr als in Deutschland) „Notmaßnahmen“ ergreifen. Gleichzeitig verlangt die Integration der langfristig ansässigen Migranten uns immer mehr ab.
Für die Zuwanderer müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die für einen Neuanfang typische Notlagen überwinden helfen: man kennt weder die Sprache noch die
Mentalität, weiß nicht wie die Ämter arbeiten oder welche Regeln befolgt werden müssen. Deswegen gilt es vor allem, die Ämter funktionstüchtiger zu machen, ein Dauerproblem, das man über Modellversuche zu verbessern versucht. Weiterhin brauchen
die Zuwanderer Hilfe beim Erledigen von Verwaltungssachen, sie brauchen Hinweise,
Übersetzungen, Verdolmetschung und Betreuung.
Rund die Hälfte der Ausländer lebt schon seit über fünf Jahren in Italien und gehört damit zu den „langfristig“ Ansässigen (dieser Prozentsatz lag in der Vergangenheit
noch höher und sank in letzter Zeit durch starke Neuzuwanderung). Diese langfristig
Ansässigen brauchen nur in Ausnahmefällen eine „Nothilfe“, dafür aber eine Unterstützung für eine nicht nur oberflächliche Integration. Obwohl die Migranten aus verschiedenen Kulturen stammen, wollen sie sich harmonisch und dauerhaft in die italienische
Gesellschaft integrieren und fordern deswegen auch Möglichkeiten einer wirklichen
Teilhabe: hier kann die Lage Italiens mit der Deutschlands und anderer EU-Staaten
verglichen werden, auch wenn bis jetzt noch keine Integrations- und Sprachkurse an-
63
geboten werden (in Deutschland erhalten Neuankömmlinge heute 900 Stunden).
In Italien gibt es viele „Kulturmediatoren“, deren Arbeit hochgeschätzt wird und
die im Vergleich zu den traditionellen Strukturen, wie den Patronati (gewerkschaftlich
orientierte soziale Beratungsdienste) weniger technisch, sondern stärker kulturell ausgerichtet sind. Die früher nicht vorstellbare Vielfalt der heutigen Gesellschaft unterstreicht
die Bedeutung der „Mediation“, den Migranten Unterstützung bei der Anpassung an die
Italiener und die italienischen Grundnormen zu geben, heißt aber auch, dass die Italiener
ihrerseits davon überzeugt werden müssen, die soziokulturellen Eigenheiten der Migranten kennen zu lernen und zu achten. Die ganze Gesellschaft ist aufgerufen, in ihren Gesetzen, Ämtern und der Mentalität ihrer Bürger interkulturell zu werden.
Die Aufwertung der Migrantenvereine ist daher von strategischer Bedeutung, aber bis
heute wurden die hierzu notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung gestellt. Obwohl
man die Bedeutung von national gemischten Vereinen erkannte, war man auf italienischer
Seite nicht immer bereit den Migranteninitiativen eine besondere Rolle zuzuerkennen und
den Migranten eine leitende Funktion in italienischen Organisationen zu überlassen.
7. Eingeschränkte Teilhabe erschwert die Integration.
64
Die relativ positive Eingliederung der ersten Generation ist auf viele Fakten zurückzuführen: auf den vergleichsweise offenen Charakter der Gesetze, die positive Haltung von Gesellschaft und Kirche, die Unterstützung von Gewerkschaften und Unternehmern, die große Nachfrage nach Arbeitskräften und die wenig kulturell und religiös
bedingten Konflikte. Aber nicht alles verlief immer glatt und dieser Prozess hat sich
heute verlangsamt. Verschiedene Beispiele zeigen, dass es Diskriminierung gibt, den
Migranten im öffentlichen Leben, in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz eine nur
begrenzte Teilhabe zugebilligt wird und ein guter Teil der Bevölkerung sich ihnen
gegenüber wenig oder gar nicht offen verhält.
60% der Migranten leidet unter Diskriminierung seitens der Arbeitskollegen und
nur 33% erklärt, dass sie beruflich befördert wurden, ein Prozentsatz, der bei den Frauen sogar auf 11,4% sinkt (IRES-CGIL 2005).
Obwohl die Weigerung, Migranten mit Aufenthaltserlaubnis eine Wohnung zu
vermieten, eine klare Diskriminierung darstellt, die mit einer Entschädigung und einer
Haftstrafe bis zu 3 Jahren geahndet wird, findet man immer wieder diskriminierende
Zeitungsannoncen (“Porta Portese” in Rom und “Secondamano” in Mailand; Studie der
Internetzeitung www.stranieriinitalia.it vom April 2005). Dass man nicht an Migranten vermieten will, wird auch von einer bei 10.000 (von 60.000) Mitgliedern des „Vereins Kleiner Wohnungseigentümer“ in 5 Städten in Norditalien und in 7 Städten in
Süditalien durchgeführte Umfrage bestätigt: 57% der interviewten Eigentümer waren
nicht bereit, an Migranten zu vermieten.
In den italienischen Schulen gibt es heute über eine halbe Million ausländischer Schüler (Schuljahr 2006/2007), was einem Anteil von 5,6% an der gesamten Schülerzahl entspricht; in einigen Gebieten ist die Zahl sogar mehr als doppelt so hoch (1 ausländischer
Schüler auf 8 italienische Schüler). In Mailand und Rom finden wir die meisten ausländischen Schüler: 48.000 bzw. 40.000 Schüler mit ausländischer Staatsbürgerschaft. An den
höheren Schulen sind diese dagegen kaum vertreten (nur 9.000 treten zum Abitur an), sie
besuchen vielmehr technische Fach- und Berufsschulen und finden deswegen nur schlechtere Arbeitsplätze, genau so wie es für die Kinder von Italienern in Deutschland der Fall
ist. Man schätzt, dass mehr als drei Viertel der ausländischen Schüler sitzenbleiben oder
verspätet eingeschult werden. Das ist besonders besorgniserregend in einem Land, in dem
viele Schüler (ein Fünftel) die Schule frühzeitig ohne Abschluss verlassen. Die italienische
Schule, die in der Vergangenheit so wichtig für die Eingliederung von Migrantenkindern
war, fängt an, Ermüdungserscheinungen zu zeigen, nicht nur weil jede neue Regierung
eine andere Schulpolitik vertritt, sondern weil auch zu geringe finanzielle Ressourcen zur
Verfügung gestellt werden, um die sprachlichen Schwierigkeiten der Migrantenkinder
auszugleichen und eine kulturelle Vermittlung zwischen den Neuankömmlingen und den
italienischen Schülern und ihren jeweiligen Eltern zu ermöglichen. Außerdem führte der
so schnell wachsende Anteil von ausländischen Schülern in vielen Gebieten in den letzten
Jahren zu Widerständen in der Bevölkerung.
Heute muss uns die geringe (und kaum beachtete) Beteiligung der jungen Migranten
an gemeinsamen Aktivitäten mit Italienern Sorge machen. Zudem ist es immer noch
schwierig, die italienische Staatsbürgerschaft zu erwerben. In Deutschland, wo 2006
125.000 Personen eingebürgert wurden, sechsmal so viel wie in Italien, das 2006 19.000
Personen die Staatsbürgerschaft verlieh (immerhin, fast doppelt so viel wie in den Vorjahren), gibt es seit dem 1. Januar 2001 ein neues Gesetz, nach dem die erforderliche Aufenthaltsdauer für Erwachsene von 15 auf 8 Jahre gesenkt und die Kenntnis der deutschen
Sprache für den Erwerb der Staatsbürgerschaft vorausgesetzt wird. Minderjährigen mit
mindestens einem Elternteil, der seit 8 Jahren eine zeitlich unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis hat, wird der Erwerb der Staatsbürgerschaft ermöglicht. In Italien erwerben dreimal weniger Migranten die Staatsbürgerschaft als im europäischen Durchschnitt. In der
italienischen Gesellschaft gibt es deshalb nur wenige hunderttausende italienische Staatsbürger mit Migrationshintergrund, die die zahlreichen Migrantengemeinschaften auf
den verschiedenen Ebenen des öffentlichen Lebens (Parlament, Ämter, Schulen, religiöse
Organisationen, usw.) vertreten und eine Vermittlungsfunktion übernehmen können. In
Italien besteht im Gegensatz zu Deutschland und anderen EU-Staaten eine größere Unsicherheit in Bezug auf das Verfahren zum Erwerb der Staatsbürgerschaft für langfristig
in Italien lebende Migranten. Ein wohl überdachter Grundgedanke könnte sein, dass
die Staatsbürgerschaft als Krönung eines soziokulturellen Anpassungsprozesses an die
neue Gesellschaft und nicht als Instrument zur leichteren Anpassung verstanden wird.
Zusätzlich sollten noch andere Instrumente erwogen werden, wie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und das Kommunalwahlrecht in der Stadt, in der der Nicht-EUAusländer gemeldet ist.
8. Italien hat auf dem Weg zu einem Zukunftskonzept von Integration, auf
das sich Deutschland in den letzten Jahren mit großer Überzeugungskraft
verständigen konnte, nur die halbe Strecke zurückgelegt.
Da allgemein bekannt ist, dass auf die ausländischen Arbeitskräfte nicht verzichtet
werden kann (man schätzt, dass schon heute in über einer Million Familien Ausländerinnen aushelfen), könnte man zu der Überzeugung kommen, dass die Integration
der Migranten in die Gesellschaft und das persönliche Umfeld leicht sein müsste. Das
ist aber keineswegs der Fall. Abgesehen von verschiedenen Vorkommnissen von Diskriminierung, besteht in Teilen der Gesellschaft Skepsis, ob ein harmonisches Zusammenleben überhaupt möglich sei. Die Bevölkerung scheint geteilter Meinung zu sein,
als ob sie zu dem Zeitpunkt auf halber Wegstrecke stehenbleiben wolle, als die Zu-
65
66
wanderungszahlen in die Höhe schnellen; auch beeinflusst von falschen, auf jeden Fall
aber ungenauen Informationen. Einer Studie von “Makno & Consulting” zufolge, die
im Auftrag des Innenministeriums durchgeführt wurde, bilden sich die interviewten
Italiener ihre Meinung vor allem durch die Fernsehnachrichten (in 85% der Fälle) und
denken häufig, dass die Zahl der illegalen Migranten die der legalen um 50% überschreitet (das wären 4,5 Millionen illegale Migranten!).
Aus einer Umfrage von Eurobarometer aus dem Jahre 2005 ergibt sich, dass 54%
der Deutschen und 40% der Italiener davon überzeugt sind, dass die Migranten härter
als die Einheimischen arbeiten, ein Fakt, der durch statistische Zahlen belegt wird.
Außerdem denken 41% der Italiener, dass Migranten mehr an kriminellen Aktivitäten
beteiligt sind als Einheimische, nur 14% nimmt das Gegenteil an.
Aus einer anderen Umfrage ist zu entnehmen, dass 58% der interviewten Italiener
der Meinung sind, dass vor allem Migranten für die steigende Kriminalität und weniger Sicherheit verantwortlich gemacht werden müssen (SWG-Umfrage für den Espresso,
Juli 2005).
Ausgehend von einer Umfrage in 31 Städten der EU (15 Mitgliedstaaten) von Eurobarometer (Januar 2004) stehen 42% der Turiner der Integration von Migranten kritisch gegenüber, während der europäische Durchschnitt bei 30,5% liegt (höhere negative Spitzen finden sich dagegen in Stockholm, Rotterdam und Amsterdam; http:/europa.
eu.int/comm/public_opinion/flash/fl_156_en.pdf). Zuversichtlicher sind die Römer, die zu
46,5% eine positive Einstellung zur Integration haben (noch positiver eingestellt sind
die Neapolitaner mit 49,3%).
Es ist also noch nicht alles verloren. Wenn wir einen Vergleich mit anderen Mitgliedsstaaten und anderen Parametern machen, steht Italien ziemlich gut da. In der
Studie Die Herausforderung Europas 2005 des GFK-Instituts in Nürnberg erscheinen die
Franzosen, Deutschen und Italiener als die tolerantesten und am wenigsten fremdenfeindlichen Völker der EU und zeigen sich in dieser Reihenfolge auch weniger besorgt,
wenn es um Migration geht (www.gfk.com).
Man kann auch eine große Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Kulturen und
anderen Religionen feststellen. Anhand einer 2004 in Mailand, Bologna, Rom, Neapel
und Palermo von CIRM mit 1000 Italienern durchgeführten Umfrage sind 55% damit
einverstanden, dass die Migranten ihre eigenen Sitten beibehalten sollen und haben
eine positive Meinung zu binationalen Ehen und dem islamischen Schleier (je 63% und
69%). Die Vorurteile gegenüber Muslimen, Juden und Migranten aus Nicht-EU-Staaten sind jedoch allgemein höher: fast 50% der interviewten Italiener denkt, dass diese
in ihre Heimat zurückkehren sollten (Studie anhand von 22.000 Jugendlichen zwischen
14 und 18 Jahren, die in über 100 Gemeinden verschiedener Größe von der Universität
Rom, La Sapienza, Fakultät für Sozialforschung G. Statera durchgeführt wurde – Prof.
Campilli koordinierte diese Studie, die am 28. April 2004 vorgestellt wurde).
Das Alter beeinflusst auch die Vorurteile. Schüler und Studenten scheinen offener
zu sein. Bei einer Umfrage mit 4.000 Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren
ergab sich, dass 56% der Schüler und Studenten meinen, durch ausländische Studenten andere Kulturen kennenzulernen, dagegen stehen nur 19% den Ausländern völlig
gleichgültig gegenüber und 7% sehen in ihnen eine Gefahr für die italienische Gesellschaft (www.studenti.it).
Wenn wir schließlich zu den Maßnahmen kommen, so sind nach Ansicht der Italie-
ner die Schaffung von Arbeitsplätzen, mehr binationale Ehen und die Teilnahme an den
Kommunalwahlen die wichtigsten Instrumente zur Förderung der Integration. Von
63% der Befragten wird befürwortet, dass Migranten mit nachweislich 10 Jahren Aufenthaltsgenehmigung sich an Kommunalwahlen beteiligen sollen (Umfrage von 1.000
Personen in Mailand, Bologna, Rom, Neapel und Palermo, 2005 von der Società Dinamiche/Palermo durchgeführt).
9. Der italienische Weg kann sich auf keine erprobten Modelle beziehen,
deswegen ist innovatives Experimentieren im Rahmen einer größeren
europäischen Dimension erforderlich.
Italien, das sich bewusst geworden ist, ein Einwanderungsland zu sein, ist im Unterschied zu Deutschland, Frankreich, Großbritannien und anderen EU-Staaten weit
weniger durch seine Erfahrungen geprägt, wie es der Präsident der Caritas, Bischof
Francesco Montenegro, hervorgehoben hat: Wir müssen vor dem Hintergrund der
neuen Erfordernisse der europäischen Migration die Grenzen der in diesen Staaten
erprobten Modelle erkennen, auch wenn selbstverständlich alle Modelle positive Elemente enthalten, die es zu sichern gilt, und nicht von vorne angefangen werden muss.
Einige Beispiele für wichtige europäische Erfahrungen:
• Ausnahmen bei der Anwendung von Grundnormen dürfen auf keinen Fall zugelassen werden. Außerdem muss besonderer Wert auf die Sitten und Gebräuche
eines westlichen Landes, die Grundsätze der Laizität einer Gesellschaft, die Chancengleichheit für alle Bürger, die gesetzliche Gleichberechtigung der Geschlechter und die Gleichstellung der Religionen - nur einige wichtige Beispiele - gelegt
werden.
• Die Tatsache, dass einige Länder Erleichterungen für den Erwerb der Staatsbürgerschaft geschaffen haben, erweitert den Spielraum eigener Identifikation und
Teilhabe, insbesondere für die Migrantenkinder, auch wenn dies nicht ausschlaggebend für ein friedliches Zusammenleben ist, wenn nicht zuvor alles unternommen
wird die Gesellschaft offen und pluralistisch zu gestalten.
• Vieles was ein fruchtbares Zusammenleben fördern kann, hängt jedoch weniger von Gesetzen, als von den Bemühungen, einander zu verstehen, ab. Die Geschichte, die von uns und den Migranten ein friedliches Zusammenleben erfordert,
zwingt uns zu einer Haltung der gegenseitigen Anpassung.
Erforderlich ist ein verändertes Integrationskonzept, das sich von dem der Vergangenheit abhebt, das alle EU-Staaten – die alten wie die neuen Einwanderungsländer, die
Mitgliedsstaaten im Norden, im Zentrum und am Mittelmeer – in die Rolle von Lehrlingen verweist: wir sind alle, einschließlich der Migranten dazu aufgerufen, ein neues
Modell für das Zusammenleben zu entwickeln, das europäischere und gemeinschaftlichere Züge trägt und weniger auf die Bedürfnisse des einzelnen Staates orientiert ist.
In dieser umwälzenden Situation der Migration in Europa wirkte sich das Scheitern der Volksbefragungen 2005 in Frankreich und den Niederlanden zur Verfassung
negativ aus, auch wenn die anschließende Vermittlung aus der Sackgasse herausgeführt
hat. Diese schon an sich schwierigen Verhältnisse werden noch durch die politische
Lage in Italien erschwert, die durch die Konflikte zum Thema Migration zusätzlich
belastet wird. Das Land sollte ideologische Auseinandersetzungen verringern können.
67
10. Das Vertrauen der Migranten in die Italiener macht uns Hoffnung.
68
Die Analyse wichtiger, in den letzten drei Jahren durchgeführter Studien erlaubt
uns die Feststellung, dass die Migranten gegenüber den Italienern eine wohlwollende
und grundsätzlich positive Haltung einnehmen. Wie aus einer im Auftrag des italienischen Innenministeriums 2007 durchgeführten Studie hervorgeht, bestätigen die meisten Migranten, dass es ihnen in Italien gut geht, weil sie Arbeit gefunden haben, ihnen
die Freundlichkeit und Lebensart (einschließlich der Küche) der Italiener, die schöne
Architektur und das Klima gefallen; auch wenn die Aufnahme im Land, insbesondere
auf der Arbeit und bei der Wohnungssuche zu wünschen übrig lässt.
Diese Einschätzung geht auch aus der von Dossier Caritas/Migrantes (im Mai
2007) im Auftrag der Deutschen Botschaft und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom
durchgeführten Umfrage hervor. Die Mängel Italiens und der Italiener, die aus einer
Mischung aus unzureichenden Gesetzen, Vorurteilen, Misstrauen und konkreten Hindernissen bei Bürokratie, sozialen Dienstleistungen und Wohnungsmarkt bestehen,
werden vor allem durch die Solidarität, aber auch durch Angebote bei der gesundheitlichen Versorgung, beim Zugang zu Schulen und sozialen Dienstleistungen sowie
schließlich durch das große Ausmaß an Wertschätzung und Zuneigung kompensiert.
Auch wenn in anderen Ländern größere Arbeitschancen, ein besserer Wohlfahrtsstaat
und eine größere Vertrautheit mit einer multikulturellen Gesellschaft bestehen, so ist
Italien dennoch für die meisten Migranten das Land, in dem sie bleiben möchten. Diese tröstliche Grundbereitschaft bezieht sich auf eine Wirklichkeit voll von Licht und
Schatten.
In der Europäischen Union wird jedes Jahr am 26. September der europäische Tag
der Sprachen, ein außerordentliches, zu schützendes und zu förderndes Erbe, begangen.
In Italien sprechen die Migranten rund 150 Sprachen. Für sie gibt es ein Angebot von
172 Radioprogrammen, 20 Fernsehprogrammen und 29 Zeitungen in Fremdsprachen
(Radio- und Fernsehprogramme werden auch auf Italienisch gesendet), die ausschließlich an die Migranten gerichtet sind: 7 in spanischer Sprache, 3 in englischer Sprache,
3 in Portugiesisch, jeweils 2 in chinesischer, albanischer, ukrainischer und rumänischer
Sprache, jeweils 1 in Punjabi, Französisch, Polnisch, Bulgarisch, Pakistanisch, Russisch,
Tagalog und Arabisch (2005). Diese Zahlen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass
es sich nur um einen Anfang handelt und noch viel zu tun ist. Bei dieser Aufzählung
dürfen nicht die Migranten vergessen werden, die in italienischer Sprache schreiben.
Die Datenbank “Basili” zählt 279 Schriftsteller (119 davon Frauen, das entspricht 43%;
davon kommen 96 aus Afrika, 54 aus Amerika, 47 aus Asien, 82 aus Europa; insgesamt
80 Nationalitäten).
Die Beziehungen der Italiener zu ihren ausländischen Nachbarn sind im Allgemeinen gut und von gegenseitigem Entgegenkommen geprägt, 30% der interviewten
Italiener zeigen eine eher freundliche Gleichgültigkeit; seltener geht es in offene Feindschaft und völlige Ablehnung/Intoleranz über (Progetto Inte.Mi.gra 2004). Eine andere,
in der Toskana durchgeführte Studie legte offen, dass zwar zwei Drittel eine positive Einstellung haben, doch Unterschiede gemacht werden zwischen Achtung fühlen
(35%) und Toleranz üben (29%). 8 von 10 interviewten Migranten erklären dagegen,
dass ihr Leben sich seit der Ankunft in Italien verbessert hat und über 60% sind sicher,
auf Dauer in Italien bleiben zu wollen. Sie sind aber keinesfalls „blauäugig, kennen die
Schwachstellen des „Italienischen Systems“ und fordern vor allem allgemeine Dienstleistungen (bei Arbeits- und Wohnungssuche, dem Erlernen der Italienischen Sprache,
bei der Religionsausübung). Am Anfang geht es hauptsächlich um das Überleben, man
bekommt Hilfe von den eigenen Landsleuten und später auch von Migrantenfreunden. Nach dieser Anfangsphase kommt Heimweh auf, man leidet unter Einsamkeit und
darunter, dass man sich nicht einbezogen fühlt (IREF-ACLI-Studie, Dezember 2005 März 2006; durchgeführt auf der Grundlage von 1.000 Familien mit 31 verschiedenen
Staatsangehörigkeiten).
Bei ihrer Eingliederung stoßen die Migranten immer wieder auf einen Mangel an Sensibilität bei den Italienern. In einer auf der Basis von 3.000 Migranten 2003 durchgeführten Umfrage vom Osservatorio Immigrati der UIL von Rom und Latium erklärte sich ein
Drittel der Migranten unzufrieden mit der Aufnahme und Toleranz seitens der Italiener
und gut 40% waren mit dem Verhalten der Mitarbeiter der Behörden nicht zufrieden.
Wie schon angedeutet wurde, fehlt es nicht an wirklicher Diskriminierung. Es sind
vor allem Menschen, die schon seit längerer Zeit legal in Italien leben, durchschnittlich
40 Jahre alt sind, einen festen Arbeitsplatz und feste Beziehungen haben und ihre Rechte und Pflichten besser kennen, die das “Grüne Telefon” von UNAR-Ufficio Antidiscriminazioni Razziali anrufen. Das zeigte die Auswertung von 3.438 Telefongesprächen,
die 2005 bei der UNAR eingingen, und von 10.000 Anrufen im Jahre 2006, bei denen
man den Hinweisen nachging und 351 wirkliche Fälle von Diskriminierung feststellte.
Die meisten Klagen gingen von afrikanischen und besonders nordafrikanischen Migranten aus (ein Fünftel aller Fälle) und betreffen meistens Arbeit und Wohnung und
weniger das tägliche Zusammenleben und die öffentlichen Dienstleistungen.23
Trotz allem sind die Migranten optimistischer als die Italiener; sie sparen mehr,
sind eher bereit, Risiken auf sich zu nehmen, Herausforderungen einzugehen und neigen allgemein eher dazu, Kredite aufzunehmen, um ihren Lebensstandard zu verbessern (laut einer CENSIS-Studie für den Delta-Konzern anhand von 800 Migranten, die
im November/Dezember 2005 durchgeführt wurde).
Die Caritas Italiana und die Fondazione Migrantes, zwei im Migrationsbereich tätige Organe der italienischen Bischofskonferenz, sind der Überzeugung, dass auf „ein
friedliches Zusammenleben, in dem Italiener und Migranten sich gemeinsam für den
Fortschritt einsetzen, nicht verzichtet werden darf, denn eine in ihrem Inneren gespaltene Gesellschaft hat schlechte Zukunftsaussichten. Es muss nicht nur in Italien, sondern auch auf EU-Ebene, gelingen, die Mehrheit der Bürger an einem Prozess zu beteiligen, der darauf abzielt, dass die vielen Kulturen der Zuwanderer mit den tragenden
Linien der westlichen Tradition in Einklang gebracht werden. Die italienische Kirche
war und ist ihrerseits nie der Ansicht, dass offene und gerechte Migrationsgesetze eine
Gefahr für den christlichen Glauben darstellen, dessen Fundament, sofern es stabil ist,
in der Auseinandersetzung auch gestärkt wird“.
(23) Ministero Pari Opportunità/Ufficio Nazionale Antdiscriminazioni Razziali (Ministerium für Chancengleichheit – Nationales Amt gegen rassistische Diskriminierung, UNAR) Un anno di attività contro la
discriminazione razziale, Rapporto 2005, (Ein Jahr der Aktivitäten gegen rassistische Diskriminierung,
Jahresbericht 2005, Rom 2006 Demetra); P. Vulpiani, „Disparità di trattamento e discriminazione razziale:
i dati dell’UNAR” (Ungleiche Behandlung und rassistische Diskriminierung: Daten der UNAR), in Caritas/
Migrantes, Dossier Statistico Immigrazione 2007. Edizioni Idos, Rom 2006, S. 220-228.
69
Rom und die Stadt der Zukunft: international, interkulturell
und interreligiös
Mons. Guerino Di Tora, Direktor der Caritas Diözese Rom
70
Die Kirche von Rom ist natürlich eng mit der Stadt verbunden, die zugleich auch Sitz
des Oberhaupts der Katholischen Kirche ist. Der Verantwortliche für die Diözesanscaritas
in Rom steht natürlich genauso wie alle anderen Bürger dem Weltgeschehen aufgeschlossen gegenüber und schenkt dementsprechend der Migration eine große Aufmerksamkeit.
Aufgrund unserer langen, einschlägigen Erfahrung möchte ich die Merkmale erläutern,
die eine Stadt auszeichnen sollte, die sich mit der Migration, einem europaweiten Phänomen, auseinanderzusetzen in der Lage ist.
Nach den Vorgaben des II. Vatikanischen Konzils soll die Kirche nicht von der Gesellschaft getrennt leben, sondern wie Hefe in ihrem Inneren wirken: deshalb sind wir
berufen, die Probleme, Risiken und Hoffnungen der Migranten und ihre unvollkommenen und ungerechten Weltverflechtungen, die viel Leid verursachen, zu teilen. Auch
ohne diese religiöse Begründung ist klar, dass die Migranten die wichtigste menschliche Seite der Globalisierung darstellen, denn der Wegfall der Grenzen hat für sie nicht
nur eine physische Seite, sondern wird als existenzielle Erfahrung, mit seinen täglichen
Höhen und Tiefen, erlebt. Sie sind für uns wie ein offenes Buch, das uns einlädt zu fragen und zu entscheiden, ob wir die Zuwanderer wirklich aufnehmen oder uns gegen sie
abschotten wollen. Diese ambivalente Haltung führt in allen europäischen Ländern zu
ernsthaften Problemen.
Die Migration ist heute eines der Merkmale unserer Zeit. Migration gab es auch
in der Vergangenheit und Italien legt dafür mit 28 Millionen Auswanderern seit 1861
– noch heute leben rund 3,5 Millionen italienische Staatsbürger im Ausland – ein beredtes Zeugnis ab. Die heutige Migration, eine der Folgen der Globalisierung einer Welt
als “globalem Dorf“, verursacht durch ein Reihe von strukturellen Veränderungen, ist
ein Schlüssel zum Verständnis unserer Zeit. Dies nicht zur Kenntnis zu nehmen, hieße die Augen vor der Wirklichkeit verschließen. Doch diese Feststellung reicht allein
nicht aus, wir müssen die Bedeutung dieser Tatsache auch verstehen.
Es freut mich, die Stadt Rom als die Stadt der drei I’s vorzustellen: als eine internationale, interkulturelle und interreligiöse Stadt.24 Ich denke jedoch, dass diese Eigenschaften nicht nur uns gehören und deshalb möchte ich sie in Bezug auf alle europäischen Städte kommentieren.
Das erste „I“ steht für international
Rom ist auf eine besondere Art und aus verschiedenen Gründen eine internationale
Stadt. Zu verweisen ist auf die römische Geschichte, die Katholische Kirche, die Kunst,
den Sitz der italienischen Regierung, den Vatikanstaat und die FAO (UN-Organisation
für Ernährung und Landwirtschaft) sowie eine weitere Vielzahl von UN-Vertretungen.
Die internationale Dimension Roms wird durch die Migration noch verstärkt, denn
hier wohnen die meisten Migranten Italiens.
(24) Caritas Rom, Osservatorio Romano sulle Migrazioni. Terzo Rapporto, (Römische Beobachtungsstelle zur Migration, 3. Bericht) Edizioni Idos, Rom 2007, S. 5-12.
Anfang 2007 war die Zahl der Migranten in der Provinz Rom auf 431.000 Einheiten gestiegen (Schätzung des Dossier Statistico Immigrazione Caritas/Migrantes
Ende 2006);25 heute sind es fast eine halbe Million. Zwei Drittel davon leben in der
Hauptstadt und ein Drittel in den über 100 Gemeinden der Provinz. Sie kommen aus
allen Ländern der Welt und bilden große Gemeinschaften, denken wir an die Rumänen,
Albaner, Marokkaner, Chinesen, Philippiner, Peruaner, Pakistani und Bangladeschis.
Sie kommen, um sich langfristig oder endgültig niederzulassen (Arbeit und Familie),
um sich in allen Wirtschaftsbereichen zu etablieren.
In Rom begegnen wir den unterschiedlichsten Gruppen von Migranten, was den
Zweck des Aufenthalts und ihre Ausbildung betrifft: von Ordensleuten bis Diplomaten,
von Studenten bis Geschäftsleuten, von Arbeitnehmern bis zu Unternehmern. Viele
kommen nach Rom, bevor sie sich dann in einer anderen italienischen Stadt oder im
Ausland niederlassen; andere wollen endgültig in einer so faszinierenden Stadt leben.
Alle finden hier Landsleute. Rom ist wie eine „Lunge”, die viele für einen längerfristigen Aufenthalt aufnimmt, um sie dann später wieder auf das Land, je nach persönlichen Erwartungen, familiären und ethnischen Verbindungen, zu verteilen.
Alle italienischen und europäischen Städte sind – wenn auch auf verschiedene
Weise – infolge der Zuwanderung internationaler geworden: so entstanden neue wirtschaftliche, kulturelle und soziale Verbindungen, die immer stärker werden. Wegen
der demografischen und Beschäftigungsentwicklung bekommt die Zuwanderung eine
immer größere strukturelle Bedeutung und wird weiter wachsen. Wenn dies richtig ist,
so gehört eine internationale Aufgeschlossenheit in das Gepäck einer modernen Stadt.
Die Päpste haben sich als Bischöfe Roms bei verschiedenen Gelegenheiten dafür
ausgesprochen, dass sich Rom aufgeschlossen zeigen muss, um die Zuwanderer eingliedern zu können. Gleiches schlugen sie an den Weltmigrationstagen der ganzen Welt
vor. Den Zuwanderern müssen gleiche Rechte zugestanden werden, während von ihnen die Beachtung der grundlegenden Normen des Gastlandes verlangt werden muss.
Die Anwesenheit der Migranten, die Tatsache, dass sie viel arbeiten und alles tun, um
zu sparen und Geld in ihre Herkunftsländer zu schicken, macht unsere Städte zu Trägern
internationaler Solidarität und aus Migranten internationale Entwicklungshelfer. In der
heutigen Welt, in der es nicht viel Grund zur Hoffnung gibt, bedeuten die Riesensummen, die die Migranten in ihre Herkunftsländer schicken, einen wahren Segen.26
Die Überweisungen sind der Ausdruck einer gemeinschaftlichen Strategie, über
die das Familieneinkommen im Herkunftsland verbessert und ein Beitrag zur Wirtschaft des ganzen Heimatlandes geleistet werden kann. Diese Ressourcen, ohne die diese Menschen um das nackte Überleben kämpfen müssten, sichern ihnen einen höheren
Lebensstandard; sie können auch helfen einen Entwicklungsprozess in diesen Ländern
einzuleiten, wobei viel von der lokalen Politik abhängt.
(25) G. Demaio, A. Colaiacomo, F. Pittau, „Roma. Rapporto immigrazione 2007“ (Rom, Migrationsbericht 2007), Caritas/Migrantes, Dossier Statistico Immigrazione 2007, Edizioni Idos, Rom 2007,
S. 398-401.
(26) M. C. Chiuri, N. Coniglio, G. Ferri, „Le rimesse degli stranieri in Italia” (Die Überweisungen der
Ausländer in Italien) bei Caritas/Migrantes, Dossier Statistico Immigrazione 2007, Edizioni Idos, Rom
2007, S. 292-300; „Rimesse e sviluppo economico” (Überweisungen und wirtschaftliche Entwicklung),
ebd., Edizioni Idos, Rom 2006, S. 315-324.
71
Die Experten sind sich nicht sicher, ob diese Überweisungen, makroökonomisch gesehen, in jedem Fall einen Impulsgeber für Entwicklung darstellen. Einerseits loben sie die
durchaus positiven Auswirkungen auf die Zahlungsbilanz, das Nationaleinkommen und
seine bessere Verteilung sowie den Lebensstandard der Bevölkerung des Herkunftslandes. Andererseits weisen sie darauf hin, dass die Überweisungen auch einen Teufelskreis
auslösen können, der die Herkunftsgemeinschaften in die Abhängigkeit treibt, zu mehr
Auswanderung von Arbeitskräften führt, öffentliche Investitionen zurückgehen lässt und
die Verbraucher- und Lebensmodelle der örtlichen Bevölkerung verändert, unabhängig
von den Folgen, die eine Verringerung dieser Finanzströme auslösen würde.
Es geht hier natürlich nicht um überflüssige oder dem Prestige dienende Ausgaben,
sondern vor allem um den Kauf eines Hauses, die Erziehung der Kinder und die gesundheitliche Versorgung, die mittel- und langfristig produktiv und zukunftsfördernd
für diese Länder sind. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen in einigen Ländern
sind jedoch die geeigneten Entwicklungsbedingungen vor Ort zu klären.
Die Hauptakteure dieses globalen Phänomens sind die bei uns lebenden Migranten und
zusammen mit ihnen unsere Städte, die in Ergänzung zu diesen Überweisungen spezifische
Entwicklungsprojekte realisieren. Ich denke, dass wir diesen Ansatz verstärken sollten.
Das zweite „I“ steht für interkulturell
72
Aus Angst vor dem Verlust des eigenen kulturellen und religiösen Erbes stellen
sich viele gegen die Zuwanderung. Den Anderen aufnehmen, heißt aber keinesfalls,
auf die eigene Kultur und den eigenen Glauben zu verzichten und seine Wurzeln zu
kappen. Im Gegenteil, dies alles muss neu belebt werden, um einen umfassenden Dialog
führen zu können. Die Angst, die eigene Identität zu verlieren, sollte nicht auf die Zuwanderung, sondern auf die nur oberflächliche Entwicklung dieser Identität zurückgeführt werden. Gerade der Kontakt mit dem Anderen kann dazu beitragen, die eigene
Identität zu stärken. Kardinal Roger Etchegaray, Präsident von „Justitia et pax“, sprach
im Jahr 2000 bei der Vorstellung des „Dossier Statistico Immigrazione“ über das Zusammenleben der Unterschiede, so auch dem der Religionen. Seine Worte drückten
sehr gut aus, was das Lehramt der Kirche über die Migration denkt und welches die
Aufgaben sind, die jeden von uns erwarten.
Modern sein bedeutet Austausch, Begegnung der Kulturen, Beziehungen zu mehr
Ländern, mehr Sprachen, größere religiöse Sensibilität. Auch uns würde es gut tun,
mehr zu erfahren über die Geschichte anderer Länder und Regionen, über neue Musik und neuen Gesang und andere Lebensmittel. Gewiss müssen die Veränderungen
schrittweise erfolgen und ein richtiges Gleichgewicht zwischen Einheitlichkeit und
Verschiedenheit muss gefunden werden. Kulturelle Prozesse vollziehen sich nur langsam und nur, wenn sie eine gewisse Reife erlangt haben, können Menschen überzeugt
werden, ohne dass ihre Gefühle verletzt werden. Das Andersartige verliert das Feindliche, wenn es uns näher kommt, und zieht und regt gerade wegen seinem Anderssein
an. Es geht nicht darum, eine Rangfolge aufzustellen, sondern darum, das Besondere zu
entdecken, das anders ist als bei uns, die Hintergründe zu verstehen, aber auch Anpassung zu verlangen, wenn der neue soziale Kontext dies erfordert, wie auch das Andere
zu fördern, soweit es keine Konflikte hervorruft.
Interkulturell ist das geeignete Adjektiv, um auf die notwendigen Synergien hinzuweisen, die zwischen uns, den Einheimischen und den Zuwanderern geschaffen werden
müssen. Ausgehend von dieser Überzeugung hat die römische Caritas sich zunächst
um die Grundbedürfnisse der Zuwanderer (Essen, eine warme Mahlzeit) gekümmert
und seit Anfang der neunziger Jahre ein besonderes Konzept, das sogenannte Forum per
l’intercultura (multikulturelles Forum) entwickelt, an dem sich italienische Verbände und
Migrantenvereine jeder Religionszugehörigkeit beteiligen können. Im Laufe der Jahre
haben wir mit dem Ziel der interkulturellen Bildung mit rund 5.000 Dozenten und
zehntausenden Schülern zusammengearbeitet und in den Schulen ähnliche Initiativen
angeregt. Darüber haben wir aber keinesfalls die anderen Teile der Gesellschaft vergessen - Gemeinden, Pfarreien, Vereine, Bewegungen, Zirkel, Stadtviertel, manchmal
auch die politischen Parteien und Berufsverbände (Polizisten, Verkehrspolizei, Richter, Sozialarbeiter, Psychologen) - haben Tagungen, Kurse und Feste organisiert und
„Kulturmediatoren“ für Problemlösungen zur Verfügung gestellt. Um diese Aufgaben
leichter umsetzen zu können, veröffentlichten wir auch verschiedene Bände, z.B. :
1990 nach Verabschiedung des Martelli-Gesetzes den ersten Band über die Migration:
Il pianeta immigrazione: dal conflitto alla solidarietà (Der Planet der Migration: vom Konflikt
zur Solidarität);
1991 das erste (und damals einzige) Dossier statistico Immigrazione (Statistisches Migrationsdossier) und ein Buch über den Islam, damit nach dem Golfkrieg die Leser, die nichts
vom Islam wussten, diesen kennenlernen konnten (Per conoscere l’islam. Cristiani e musulmani
nel mondo di oggi - Den Islam kennenlernen. Christen und Muslime in der heutigen Welt);
1993 Roma multiculturale (Das multikulturelle Rom), später Italia multiculturale (Das
multikulturelle Italien) mit Informationen über die Herkunftsländer der Migranten;
1994 Immigrati e religioni (Migranten und Religionen) in Kooperation mit dem CSER,
die bis in die heutigen Tage anhält, Schätzung der religiösen Zugehörigkeit der bei uns
lebenden Migranten;
1995 Die ersten Dieci itinerari didattici (Zehn didaktische Wege) vom Forum per
l’intercultura, zwei Jahre später folgten die Nuovi itinerari didattici (Neue didaktische Wege)
und 1998 der Band Migrazioni, paesi e culture: esperienze europee a confronto (Migrationen,
Länder und Kulturen: europäische Erfahrungen im Vergleich);
1996 die erste Studie über Pregiudizio e Intercultura (Vorurteile und Interkulturalität) in
der Schule in Rom, ausgehend von einer Umfrage bei 250 Lehrern und 2.700 Schülern;
1997 ein Buch des Direktors, Mons. Luigi Di Liegro, das sich mit der Notwendigkeit
befasst, ein neues Einwanderungsgesetz zu verabschieden (Immigrazione. Un punto di vista Migration, ein Standpunkt) und ein anderes Buch, das nach der Billigung von Gesetz 40/1998
folgte (L’immigrazione alle soglie del 2000 - Die Migration an der Jahrtausendwende);
1998 die erste Auflage des Führers Immigrati a Roma. Luoghi di incontro e di preghiera
(Zuwanderer in Rom. Stätten der Begegnung und des Gebets) und der erste Bericht über
Elend und Armut in Rom (Rapporto disagio e povertà a Roma), in dem ein Kapitel der Migration gewidmet ist;
2000 der einführende statistische Bericht in zwei Bänden für die Tagung Migrazioni.
Scenari per il XXI secolo (Migration, Szenarien für das XXI. Jahrhundert), ein aufwendiger
Auftrag, der von der Agenzia Romana anlässlich des „Heiligen Jahres“ erteilt wurde;
2004 eine Studie über die Ausbildung von Kulturmediatoren (Mediatori interculturali.
Un’esperienza formativa - Kulturmediatoren, eine Ausbildungserfahrung);
Seit 2004 die Jahresberichte des Osservatorio Romano über die Migration, herausgegeben
in Zusammenarbeit mit der Provinz, Gemeinde und Industrie- und Handelskammer Rom.
Die Ansprache von Migranten erfolgt paritätisch: heute beteiligen sich rund 60
„Kulturmediatoren“ im Jahr im Forum per l’intercultura, von ihnen hat die Mehrheit einen Migrationshintergrund (sie wurden auf Grund ihrer guten Ausbildung und ihres
Kommunikationstalents ausgewählt). Sie sollen Italienern und Migranten beim Zusammenleben helfen, indem sie, bei Achtung der jeweiligen Unterschiede, Gemeinsam-
73
74
keiten entwickeln. Diese kulturelle Mediation besteht nicht darin zu Dolmetschen, eine
lobenswerte und notwendige Aufgabe gegenüber den Zuwanderern, denn dies allein
kann nicht die Erwartungen der Menschen erfüllen, die bleiben wollen. Die Aufnahme
bedarf einer interkulturellen Dimension, die in den öffentlichen Einrichtungen und
sozialen Organisationen verankert werden muss. Hierdurch kann eine offenere Mentalität erzeugt werden, die das Angebot an Dienstleistungen, aber auch den erleichterten
Zugang zur Staatsbürgerschaft und zum Kommunalwahlrecht betrifft.27
Besondere Bedeutung haben die Schulen, die alle Generationen besuchen müssen
und die ein herausragendes „Netz“ für die Bildung der Bürger von morgen darstellen,
indem sie lernen, kulturelle Unterschiede nicht zum Vorwand für die Ablehnung von
Migranten zu nehmen. Die Caritas Rom richtete unter anderem den ersten interkulturellen Kindergarten Roms, den Celio Azzurro, ein, in dem Kinder bis fünf Jahren aus
rund zwanzig verschiedenen Ländern aufgenommen werden, außerdem den Kinderhort Piccolo mondo, ebenfalls mit einer multiethnischen Struktur, dessen Konzept auch
von anderen aufgegriffen wurde.
Das Forum per l’intercultura leistet Beiträge zur Information über die Herkunftsländer der Migranten und ihre Traditionen, auch indem die Migranten über ihr Land
„erzählen“; zur multikulturellen Bildung von Schülern und Lehrern; zur Präsentation
von Literatur aus anderen Ländern; zur Unterstützung der ersten Migranteneliten
beim Schreiben in italienischer Sprache (dabei sich an Traditionen erinnernd, die die
unserigen waren - denken wir nur an die mündliche Überlieferung) und zur Veröffentlichung ihrer Texte (Roma multiculturale und Italia multiculturale - Das multikulturelle
Rom und das multikulturelle Italien). So werden die Unterschiede nicht verteufelt, sondern dienen der Anregung.
Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt den Kulturmediatoren, den wichtigsten
Akteuren in diesem großen Projekt. Mit der Verfestigung der Migration in Rom seit
Mitte der neunziger Jahre wurde es notwendig Menschen auszubilden, die in der Lage
waren, die soziokulturelle Begegnung zwischen der aufnehmenden Gesellschaft und
den ausländischen Bürgern zu erleichtern. Man orientierte sich dabei an den schon in
Nordeuropa erprobten Modellen bei NRO und kommunalen Behörden, die schon das
Berufsbild des Kulturmediators eingeführt hatten. Dessen Schlüsselfunktion ist es, eine
Art „Brücke“ zwischen den ausländischen Bürgern und der aufnehmenden Gesellschaft
zu schlagen. Die Ausübung dieses Berufs, dessen Bedeutung immer mehr anerkannt
wird, erfordert eine mittlere/hohe kulturelle Bildung, eine Begabung zur zwischenmenschlichen Kommunikation, eine Bereitschaft zum Zuhören, gute Kenntnisse sowohl
der italienischen Sprache als auch der Sprachen der Migranten und der Sitten sowie
(27) Heute werden vier beisitzende Stadträte in Groß-Rom und je 1 Stadtrat in jedem der 19 Bezirke
Roms gewählt: diese Räte sind den anderen Räten gleichgestellt mit der Ausnahme des Stimmrechts.
G. Demaio, „Roma e i consiglieri aggiunti: una forma di partecipazione” (Rom und die beisitzenden
Stadträte: eine Art der Beteiligung), Caritas Rom, Osservatorio Romano sulle Migrazioni. Terzo Rapporto (Römische Beobachtungsstelle zur Migration. Dritter Bericht), Edizioni Idos, Rom 2006, S. 322327. Zu der Frage des Wahlrechts für Migranten vgl. Caritas Italiana, Immigrati e partecipazione. Dalle
consulte e dai consiglieri aggiunti al diritto di voto (Migranten und Beteiligung. Von den Räten und den
beisitzenden Stadträten zum Wahlrecht), Edizioni Idos, 2005.
Erfahrungen mit der Gesetzgebung im Bereich Migration und Asyl.28
Neben der Caritas sind in diesem Bereich in Rom viele andere soziale Organisationen und – wie schon erwähnt – viele Lehrer aus Schulen tätig: insgesamt ist es gelungen die interkulturelle Dimension im tagtäglichen Leben der Bürger konkret werden
zu lassen. Viele italienische und europäische Städte haben sich aktiv dem Thema „Begegnung der Kulturen“ gewidmet. Das zeigt, dass man auf diesem Gebiet Akteur sein
kann, wobei der Erfahrungsaustausch über das Erreichte dazu dienen kann, sich noch
weitere, höhere Ziele zu setzen.
Das dritte “I” steht für interreligiös
Infolge der Migration beobachten wir in allen italienischen und europäischen Städten
eine Vielfalt an Religionen. Ihre Verbreitung auf Weltebene beträgt: 46,3% Christen,
24,8% Muslime und 27,5% Gläubige der östlichen Religionen. Die Migranten in Italien verteilen sich ebenfalls auf verschiedene Religionen: eine Hälfte gehört christlichen
Konfessionen an (in Rom machen sie zwei Drittel aus), ein Drittel sind Muslime und 5%
gehört östlichen Religionen an, darüber hinaus bestehen andere religiöse Gruppen.29
Die Caritas der Diözese Rom war im interreligiösen Dialog schon bahnbrechend,
als die Zeiten schwieriger waren. 1991 während des Golfkriegs hatte die Caritas Rom
den Mut römische Bürger zu einem Kurs mit dem Thema „Den Islam kennenlernen“
einzuladen, an dem die bekanntesten Experten der Päpstlichen Universitäten teilnahmen. Die Vorträge des Kurses wurden in einem Buch mit einem Vorwort von Kardinal
Ruini zusammengefasst. Wir organisierten seit 1991 jedes Jahr einen weiteren Kurs, zu
denen wir Protestanten, Orthodoxe, Juden, Muslime, Buddhisten, Hindus und andere
einluden, um die in diesen Religionen enthaltenen Wahrheiten zu erklären und nach
dem Vorbild des Papstes zu verhindern, dass der Gott des Friedens einen Vorwand für
Krieg und Hass liefern könnte.30
Eine andere Initiative, die 1998 begonnen und 2002 und 2004 aktualisiert wurde
(derzeit wird an einer neuen Aktualisierung gearbeitet), ist der Führer Migranten in Rom,
Stätten der Begegnung und des Gebets, in dem wir die Adressen von Kultstätten auflisten,
Karteien über die Religionen und einen Kalender mit den Festtagen zusammenstellen. So
wollen wir zeigen, dass wir die Wahrheiten, die in allen Religionen enthalten sind, schätzen und dazu einladen, in den religiösen Unterschieden nicht einen Anlass für Konfrontation, sondern eine Gelegenheit zu sehen, Zeugnis für den Frieden abzulegen.31
(28) Der „Kulturmediator“ ist in ganz Italien verbreitet. Da es sich hier um den Kompetenzbereich
der Regionen handelt, gibt es noch keine einheitliche Regelung. Die größten Problemen bestehen in
den kurzfristigen Einsatzzeiten, bei der Finanzierung, bei der Anerkennung der Qualifizierung, bei den
Ausbildungskursen und in der Gefahr, die Arbeit auf einfache Dolmetscherleistungen zu reduzieren.
(29) G. Gnesotto, F. Marsico, F. Pittau, M. P. Nanni, „Il panorama multi religioso in Italia” (Das multireligiöse Panorama in Italien), Caritas/Migrantes, Dossier Statistico Immigrazione 2007 (Statistisches
Migrationsdossier), Edizioni Idos, Rom 2007, S. 192-201.
(30) L. Di Liegro, F. Pittau (Hrsg.), „Per conoscere l’islam. Cristiani e musulmani nel mondo di oggi”
(Den Islam kennenlernen. Christen und Muslime in der heutigen Welt), Einleitung von Kardinal Ruini,
Edizioni Piemme/Caritas diocesana Rom, Casale Monferrato 1991.
(31) Caritas diocesana Rom, Migrantes Roma e Lazio, Immigrati a Roma. Luoghi di incontro e di
preghiera (Migranten in Rom. Stätten der Begegnung und des Gebets), Rom 2004.
75
Die Zahl der Gebets- und Begegnungsstätten für Migranten stieg von 154 in 2000
auf 185 in 2004, die der Katholiken von 105 auf 132, die der Protestanten von 20 auf
26, die der Orthodoxen von 3 auf 10, die der Juden gingen von 6 auf 5 zurück, die der
Muslime stiegen von 5 auf 7, während die Zahl der östlichen Kultstätten bei 5 blieb.
Die aufgezählten Stätten liegen meist im 1. Stadtbezirk von Rom, nicht nur deshalb,
weil es leichter ist, dort katholische Kirchen zu finden, die man zur Verfügung stellen
kann, sondern weil man auch leichter aus den verschiedenen anderen Stadtteilen dorthin gelangen kann. Es gibt jedoch eine gewisse Tendenz, die Gebetsstätten dorthin zu
verlegen, wo die meisten Migranten leben.32
Die Kultstätten können zugleich religiöse und soziale Zentren sein und als Bezugspunkt für viele unterschiedliche Initiativen dienen.
Wir haben nicht nur geholfen, Begegnungsstätten zu finden, sondern auch über
die Begegnung der Religionen nachgedacht. Im katholischen Christentum gibt es nicht
nur das Gebot der Nächstenliebe, sondern auch eine Vielzahl anderer Doktrinen, die
sich von denen anderer Religionen und auch von denen anderer christlicher Konfessionen unterscheiden. Nach einer leidvollen Geschichte haben wir im Westen gelernt
zu akzeptieren, dass das Individuum in Freiheit entscheiden kann und dass dies vom
Gesetzgeber durch einen allgemeinen, von allen einzuhaltenden Gesetzesrahmen geschützt werden muss. Das Konzept der „laizistischen Gesellschaft“ entstand zwar im
Westen, ist aber als gesellschaftliches Konzept von allgemeiner Bedeutung, weil so
76
(32) Die katholischen Migranten sind die größte Gruppe und verfügen deshalb über die meisten
Kultstätten. Diese stehen 57 nationalen Gruppen und 2 internationalen Gruppen (aus Lateinamerika
und ausländische Studenten) zur Verfügung. Einige Nationalitäten verfügen ebenfalls über mehrere
Kultstätten: die Philippiner (39), die Polen (12), die Franzosen (5), die Ukrainer und die Migranten aus
Sri Lanka (je 4), je zwei haben die Griechen, Inder, Iren, Libanesen, Rumänen, Russen, Slowenen und
die Deutschen. Die Lateinamerikaner verfügen über 7 multinationale und 12 nationale Strukturen,
insgesamt also 19 Kultstätten.
13 Kultstätten stehen den Katholiken des östlichen Ritus zur Verfügung: mit alexandrischem Ritus für
Ägypter, Äthiopier und Eriträer, mit antiochischem Ritus für die Syro-Libanesen und Maroniten des
Libanon; mit armenischem Ritus für die Armenier, dem chaldäischen Ritus für die Iraker und dem syromalabarischen Ritus für die Menschen aus dem Mittleren Osten und Indien; mit dem byzantinischen
Ritus für die italienischen Albaner und die Albaner, die Griechen und Leuten aus dem Mittleren Osten,
den Rumänen, Russen und Ukrainern.
10 Kultstätten stehen den orthodoxen, nichtkatholischen Riten, den griechischen, russischen, ägyptischen, äthiopischen, eriträischen und rumänischen Orthodoxen zur Verfügung. Letztere versammeln
sich aufgrund ihrer stark steigenden Zahl zur Zeit in 4 Gebetsstätten. Die östlichen Riten mit ihren
verschiedenen Zweigen laden dazu ein, sich diesen kaum bekannten Konfessionen zu nähern.
Bei den Protestanten finden wir an erster Stelle die Advenisten (12 Kirchen), gefolgt von den Waldensern (4) und dann je eine Kultstätte für Anglikaner, Lutheraner, Presbyterianer, Episkopale, die
Heilsarmee und chinesische, äthiopische und französichsprechende evangelische Christen. Eine dieser
Stätten hat einen internationalen Charakter und eine steht den Bibelgruppen zur Verfügung.
In den 5 Gebetsstätten, in die sich die Migranten des jüdischen Glaubens begeben, kann man zwischen
sephardischem und aschkenasischem Ritus wählen.
Den muslimischen Migranten stehen 7 Moscheen zur Verfügung, darunter die Moschee von Monte
Antenne, die größte Europas.
Für die Angehörigen östlicher Religionen dienen die Meditationszentren zugleich als Stätten der Begegnung, es gibt 4 Strukturen für die Buddhisten und eine für die Sikh.
von vornherein ausgeschlossen wird, dass eine Religion eine Vorrangstellung vor den
anderen einnehmen kann. Dieses pluralistische Konzept ist nach jahrhundertelangen
Auseinandersetzungen entstanden und ist keinesfalls oberflächlicher Natur, sondern
beruht auf einem Gleichgewicht, das von beiden Extremen (dem des Fundamentalismus und dem des Säkularismus) gleich weit entfernt ist.33
Der von den Einen angerufene Gott darf nicht als Vorwand dienen, um gegen den
Gott der Anderen vorzugehen; wir wollen keine Unterwerfung sondern den Frieden
fördern. In Übereinstimmung mit der überkommenen Lehre der Päpste setzen wir uns
dafür ein, in den Religionen ein Instrument des Friedens zu sehen und die Besonderheit
des eigenen Glaubens nicht als Waffe gegen den des Anderen zu verwenden.
Damit das Zusammenleben in den europäischen Ländern, in denen es immer mehr
Migranten geben wird, friedlich verlaufen kann, tragen die verschiedenen Religionen
eine besondere und gemeinsame Verantwortung. Jede religiöse Gemeinschaft ist aufgerufen, dem eigenen Glauben zu folgen und sich dafür einzusetzen, dass der Konflikt
zwischen den verschiedenen Religionen überwunden wird und die Gemeinsamkeiten
hervorgehoben werden. Der einzelne Gläubige muss sich an diese Verpflichtung halten
und versuchen, auch auf diejenigen einzuwirken, die der Auffassung sind, dass die Welt
ohne Religionen friedlicher wäre. Dies kann er jedoch nur durch sein Zeugnis beweisen,
dass der Glaube an Gott ein Konzept der menschlichen Solidarität beinhaltet und mehr
Wert hat als alle gängigen gesellschaftlichen Mythen.
Aus dieser Sicht kann die Migrationserfahrung im Laufe der Zeit zu einer Chance
werden, die Welt zu verändern, indem die Religionen zu einem Instrument der Menschlichkeit werden. Die europäischen Städte können dank des Konzepts der laizistischen Gesellschaft, des Pluralismus und der Achtung der Gewissensfreiheit zu „Leuchttürmen“
werden, was auch den Herkunftsländern als Beispiel dienen kann.
Wenn von den Kirchen – und in unserem Fall von der Caritas – gesprochen wird,
so denkt man fast immer an die Hilfe für die besonders Bedürftigen und insbesondere
an die Einrichtungen die den Migranten helfen, die sich in Not befinden. Auf diese
Arbeit sind wir stolz. Doch sollten wir uns hüten der Migration das Etikett der Armut
zu geben und dabei übersehen welche innovative Kraft aus ihr entsteht. Wenn wir an
die Zukunft unserer Städte denken, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen, wenn
wir wollen, dass sie immer moderner und dynamischer werden, dann dürfen wir nicht
den ideellen Wert der Dynamik von Migration übersehen: es sind doch gerade die
Ideen und die Werte, die die Welt verändern können, einzelne Menschen stehen dabei
im Mittelpunkt, ohne dass sie auf Entscheidungen der Politiker warten. Die in Rom
gemachten Erfahrungen bestärken uns in dieser Überzeugung. Wir hoffen, dass viele
andere europäische Städte sich unserer Meinung anschließen und – wenn dem so sein
sollte – die Migration trotz all ihrer besonderen Probleme eine Chance für das Wachstum Roms und der anderen Städte und ganz Europas darstellt.
(33) Die Auswüchse des Laizismus in französischer Version wurden noch jüngst vom französischen
Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy im Rahmen eines Rombesuchs relativiert. La laicità si coniuga con
la fede religiosa - Da Sarkozy, manifesto per una nuova visione dello Stato (Die Verbindung von Laizität
und Religion – Von Sarkozy, Manifest für eine neue Vorstellung von Staat), in Avvenire, 21 Dezember
2007 (Wiedergabe der Rede aus der Lateransbasilika).
77
Immigration in Rom Anfang 2007
Claudio Cecchini, Assessor für Sozialpolitik der Provinz Rom
Mir kommt die Aufgabe zu, grundlegende Daten über die Anwesenheit der Migranten in Rom zu liefern, die fast 10% der gemeldeten Bevölkerung ausmachen.
Einigen Schätzungen zufolge, belaufen sich die legalen Migranten in der Provinz
Rom auf 431.000, mit einem Zuwachs von 17,7% und 65.000 Einheiten gegenüber
dem Vorjahr: zwei Drittel dieser Migranten leben in der Hauptstadt, das verbleibende
Drittel lebt in den Gemeinden der Provinz. Was die Gesamtzahl betrifft, so liegen die
Provinz und die Stadt Rom jeweils an erster Stelle vor Mailand.
Rom ist eher euro-asiatisch als euro-mediterran geprägt. Die europäischen Migranten belaufen sich nur auf etwas mehr als 40%, die Asiaten auf über ein Fünftel
der Gesamtzahl und die Amerikaner und Afrikaner auf etwas mehr als 10%. Es sind
mehr Frauen als Männer. Diese junge Bevölkerung, die sich vor allem aus der Altersstufe zwischen 19-40 Jahren zusammensetzt, ist zu etwas mehr als 50% ledig (auch auf
Grund der vielen Priester und Nonnen).
Die bedeutendsten nationalen Gruppen, unterteilt nach Herkunftskontinent, sind:
78
Europäische Union: Rumänien, Polen, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland;
Europäische Nicht-EU-Staaten: Ukraine, Albanien, Moldawien, Bulgarien;
Afrika: Ägypten, Marokko, Tunesien, Nigeria, Äthiopien, Cap Verdische Inseln;
Asien: Philippinen, Bangladesch, China, Indien, Sri Lanka;
Amerika: Peru, Ecuador, Brasilien, USA, Kolumbien, Mexiko, Argentinien und Kuba;
Ozeanien: Australien, Neuseeland.
Während die Anzahl der Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis in der Stadt Rom
290.000 beträgt, belaufen sich die beim Einwohnermeldeamt gemeldeten Personen auf
nur 250.000. Diese Diskrepanz verweist deutlich auf das schwerwiegende Problem der
Wohnungssituation, vor allem in der ersten Niederlassungsphase. Bei den Migranten
sind die Frauen in der Überzahl, auch auf Grund ihres immer häufigeren Einsatzes
im Bereich der Dienstleistungen, vor allem in der Haushalts- und Familienpflege (im
Dienstleistungssektor arbeiten 74,3% der Beschäftigten, während 6,1% im produzierenden Sektor, vor allem im Baugewerbe arbeiten). Die meisten sind aus Arbeitsgründen in der Stadt und machen fast 10% aller Beschäftigten aus.
Von großer Bedeutung und ständig zunehmend sind auch die Existenzgründungen.
Viele Migranten, die zunächst Arbeitnehmer waren, haben beschlossen sich selbständig
zu machen. Sie können dadurch die Möglichkeiten ihrer Ausbildung besser ausschöpfen,
besser verdienen und haben weniger Schwierigkeiten mit der Aufenthaltserlaubnis. In
der Provinz Rom belaufen sich die Unternehmer mit ausländischer Staatsangehörigkeit
auf 11.700 und die Teilhaber auf 4.000, jeder Fünfte ist weiblich. Insgesamt sind von
1.000 Ausländern 43 als Selbständige registriert (der italienische Durchschnitt ist 57)
und es wären sicher mehr, gäbe es weniger bürokratische Schwierigkeiten und einen
einfacheren Zugang zu Bankkrediten.
Die ausländischen Minderjährigen in der Provinz Rom belaufen sich auf 54.063,
ein Fünftel der ausländischen Bevölkerung: drei Viertel der Kinder sind in der Region
geboren, ein Hinweis auf die ältere Immigration in Rom und Umgebung. Die in den
römischen Schulen eingeschriebenen ausländischen Schüler beliefen sich im Schuljahr
2006/07 auf 25.868, also 6,6% der Gesamtzahl (ein Prozentpunkt mehr als der Durch-
schnitt aller ausländischen Schüler in Italien). Der Anteil beläuft sich auf 7,4% in der
Grundschule, auf 7,5% in der Mittel- und Oberstufe. Der Anteil der Migrantenkinder
geht in der Oberstufe dagegen auf 6% zurück. Obwohl diese für Migrantenkinder ungleich schwieriger ist, wird sie in Rom, im Vergleich zum nationalen Durchschnitt, von
fast doppelt so vielen Schülern besucht. Das lässt für die Zukunft Gutes hoffen.
Traditionell hat Rom Migranten mit hoher Schul- und Berufsbildung aufgenommen, auch wenn sie meist auf einem ihrer Ausbildung nicht entsprechenden, niedrigerem Niveau eingesetzt werden. Dies ist heute bereits ein Problem und wird für die
nachfolgenden Generationen zu einem noch größeren Problem werden. Dieses hohe
Niveau der Berufsausbildung erfordert eine stärkere Unterstützung durch die Migrantenorganisationen und den Ausbau ihrer Beteiligungsrechte.
Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass viele Arbeitnehmer anfangs
schwarz arbeiten, was ihre Rechte sehr beeinträchtigt: ein typisches Beispiel dafür ist
das Baugewerbe, in dem ein Drittel der Arbeitskräfte Migranten sind.
Rom als Metropole ist für die umliegenden 110 Gemeinden der Provinz, in die die Migranten auf Grund der billigeren Wohngelegenheiten immer häufiger ziehen, der Bezugspunkt. Die Migrationspolitik muss sich deshalb stärker mit der gesamten Region befassen.
Ein letzter Hinweis betrifft den 2007 verzeichneten Zuwachs, der nicht geringer als
der des Vorjahres gewesen sein dürfte. Für Rom und Umgebung werden zur Zeit ca.
eine halbe Million Migranten geschätzt, was die Notwendigkeit öffentlichen Handelns
unterstreicht.
Provinz und Caritas Rom
Schema aus Anlass des 15. Jahrestages des “Forum per l’intercultura”
Auswirkung der Migration auf die Stadt Rom
Unternehmer
1 von 12 in Rom tätigen Unternehmern ist im Ausland geboren
Einwohner
1 von 10 Einwohnern Roms ist Ausländer
Aufenthaltsberechtigte 1 von 11 Arbeitnehmern auf dem römischen Arbeitsmarkt ist Ausländer
Ehen
1 von 10 Ehen ist binational, weil ein Partner Einwanderer ist
Akademiker
1 von 10 Ausländern hat einen Hochschulabschluss
Dauerhaft gemeldet
1 von 9 Migranten in Italien lebt in Rom
Geburten
1 von 8 Neugeborenen ist Kind ausländischer Eltern
Minderjährige
1 von 7 Migranten ist minderjährig
Neu Eingestellte
1 von 6 eingestellten Arbeitnehmern ist im Ausland geboren
Konzentration
1 von 5 Einwohnern des 1. Bezirks ist Ausländer
2 von 3 Migranten der Provinz lebt in Rom
Verheiratet
1 von 3 gemeldeten Ausländern ist verheiratet
Geschlecht
1 von 2 Migranten ist eine Frau
Aufenthaltsgründe Provinz Rom (31.12.2006)
Langfristig registriert
90 von 100 Migranten haben eine langfristige Aufenthaltserlaubnis
Arbeit
58 von 100 Migranten sind zum Zweck der Arbeitsaufnahme aufenthaltsberechtigt
Familie
25 von 100 Migranten sind wegen Familienzusammenführung aufenthaltsberechtigt
Kirche
10 von 100 Migranten sind wegen kirchlicher Dienste aufenthaltsberechtigt
79
Studium
Asyl
Andere Gründe
Europäer
Asiaten
Afrikaner
Amerikaner
Christen
- davon Katholiken
- davon Orthodoxe
- davon Protestanten
Muslime
Andere Religionen
Primat Roms
80
Nationalität
Call center
Kulturmediatoren
Schule
Kultstätten
3 von 100 Migranten sind aus Studiengründen aufenthaltsberechtigt
1 von 100 Migranten haben um politisches Asyl nachgefragt
2 von 100 aufenthaltsberechtigte Migranten
Herkunft
43 von 100 Aufenthaltsberechtigten sind Europäer
29 von 100 Aufenthaltsberechtigten sind Asiaten
13 von 100 Aufenthaltsberechtigten sind Afrikaner
15 von 100 Aufenthaltsberechtigten sind Amerikaner, vor allem Lateinamerikaner
Religionen
61 von 100 Aufenthaltsberechtigten sind Christen
36 von 100 Aufenthaltsberechtigten sind Katholiken
36 von 100 Aufenthaltsberechtigten sind Orthodoxe
6 von 100 Aufenthaltsberechtigten sind Protestanten
20 von 100 Aufenthaltsberechtigten sind Muslime
7 von 100 Aufenthaltsberechtigten gehören einer anderen oder keiner
Religion an
Interkulturelle Aspekte Stadt Rom (31.12.2006)
Rom ist die erste Provinz Italiens mit ca. 431.000 Aufenthaltsberechtigten
Rom ist die erste Gemeinde Italiens mit ca. 290.000 Aufenthaltsberechtigten
195 sind die Nationalitäten der in Rom gemeldeten Migranten
1.000 sind die Call Center und Internet Points in denen sich Migranten
treffen
auf 500 werden die in Rom vorhandenen Sprach- und Kulturmediatoren
geschätzt
1 von 15 Schülern der Schulen in Rom ist Kind von Migranten
222 sind die Begegnungs- und Kultstätten der Migranten
Quelle: Statistisches Dossier Immigration Caritas/Migrantes, aus unterschiedlichen Datenbeständen
Herausforderung Migration: Integration fordern und fördern Entwicklung der Zuwanderung und Situation der Migranten in
Deutschland
Dr. Albert Schmid, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
„Echte Kulturen suchen die Begegnung mit anderen Kulturen“
Papst Benedikt XVI. betonte auf seiner Brasilien-Reise am 13. Mai 2007:
„Echte Kulturen sind weder in sich selbst verschlossen noch in einem bestimmten Augenblick der
Geschichte erstarrt, sondern sie sind offen, mehr noch, sie suchen die Begegnung mit anderen Kulturen,
hoffen, zur Universalität zu gelangen in der Begegnung und im Dialog mit anderen Lebensweisen
und mit den Elementen, die zu einer neuen Synthese führen können, in der man die Vielfalt der Aus-
drucksmöglichkeiten und ihrer konkreten kulturellen Verwirklichung respektiert.“34
Das Phänomen großer anhaltender Wanderungsbewegungen und die damit einhergehenden Fragen werden uns dauerhaft begleiten. Wenn Migration nicht zum Problem für die innere Toleranz und die Stabilität unserer Freiheitsordnungen werden
soll, muss die Integration der Zuwanderer gelingen. Der wohl berühmteste Redner des
antiken Rom, Cicero, formulierte in seiner Schrift „De officiis“: „Wer aber sagt, man müsse
Rücksicht nehmen auf seine Mitbürger, nicht aber auf Ausländer, der hebt die alle umfassende
Gemeinschaft der Menschen auf.“
Weltweit gibt es derzeit rund 190 Millionen Migranten – Menschen, die fern ihrer
Heimat leben wollen oder leben müssen. Das entspricht in etwa drei Prozent der Weltbevölkerung. Nach einem Bericht der Global Commission on International Migration sind
Hauptbeweggründe für die internationale Migration die so genannten 3D-Faktoren:
„development, demography and democracy“, d.h. Unterschiede bei der Wirtschaftsentwicklung, der Demografie und der Demokratie.
Migration ist keine vorübergehende Erscheinung; Migration ist ein Grundelement
menschlicher Existenz. Die Menschheitsgeschichte ist zugleich eine Wanderungsgeschichte. „Den ,Homo migrans’ gibt es seit es den ‚Homo sapiens’ gibt; denn Wanderungen
gehören zur Conditio humana wie Geburt, Fortpflanzung, Krankheit und Tod“.35
Um die Herausforderung der Integration von heute zu verstehen und zu meistern,
muss man die Zuwanderung von gestern mit ihren unmittelbaren Einflüssen auf die
Gegenwart kennen.
Zentrale Phasen der Zuwanderung nach Deutschland
Zwischen 1952 – dem Jahr der Einführung der offiziellen Wanderungsstatistik – und
2006 sind 36,3 Millionen Menschen nach Deutschland zugezogen. Im selben Zeitraum sind
rund 26,5 Millionen Deutsche und Ausländer fortgezogen. Hierbei ergibt sich für Deutschland ein Wanderungsplus von 9,8 Millionen. In dieser Zeit hat sich die Struktur der Zuwanderung stark verändert, so dass fünf Zuwanderungsphasen unterschieden werden können:
1. In den Nachkriegsjahren kamen zunächst Flüchtlinge und Vertriebene nach
Westdeutschland.
2. Der Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit führte zu einem erhöhten Arbeitskräftebedarf. Als Reaktion darauf ging die Bundesrepublik Deutschland zur Anwerbung
von so genannten „Gastarbeitern“ aus dem Ausland über. Der erste Anwerbevertrag
wurde 1955 mit Italien geschlossen. Ausgelöst durch die erste Ölpreiskrise und steigende Arbeitslosigkeit wurde im November 1973 ein Anwerbestopp verhängt.
3. Viele angeworbene Arbeitskräfte blieben im Land und begannen nun verstärkt,
Familienangehörige nachzuholen. Schätzungen zufolge machte Mitte der 70er bis Ende
der 80er Jahre der Familiennachzug, meist zu ehemaligen „Gastarbeitern“, mehr als die
Hälfte des Gesamtzuzugs aus.
4. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes stellte das Jahr 1990 eine Zäsur dar.
Die Migrantenstruktur veränderte sich, weil die Zahl der Asylbewerber und Aussiedler
bzw. Spätaussiedler aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion anstieg. Bei den
Asylanträgen wurde der Höchststand im Jahr 1992 erreicht. Damals kletterte die Zahl
(34) Die Welt, 23. Mai 2007: Christus ist keiner Kultur fremd, S. 15.
(35) Klaus J. Bade, 2002.
81
der Asylgesuche auf rund 440.000. Der im gleichen Jahr beschlossene Asylkompromiss, der auch eine Kontingentierung des Spätaussiedlerzuzugs beinhaltete, führte zu
einem kontinuierlichen Rückgang beider Migrationsarten. 1998 sank die Zahl der
Asylerstantragsteller unter 100.000, 2006 ersuchten rund 21.000 Menschen Asyl.
Ebenfalls rückläufig ist der Zuzug von Spätaussiedlern: Er sank von einem historischen
Hoch über 400.000 Personen im Jahr 1990 bis zu 7.700 Personen in 2006.
5. Gegenwärtig befinden wir uns in einer Konsolidierungsphase: Die Zugangszahlen
sind insgesamt rückläufig und die Familieneinheit ist ein dominierender Migrationsfaktor.
Facetten der Zu- und Abwanderung – Soziodemografische Struktur
82
Um ein umfassendes Bild der Migrationssituation zu zeichnen, ist sowohl die Zahl
der in Deutschland lebenden Ausländer wie auch der Anteil der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte einzubeziehen. 19% der Bevölkerung in Deutschland weist einen Migrationshintergrund auf – das heißt, beinahe jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat
eine Zuwanderungsgeschichte. Von diesen rund 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben 96% in den westlichen Bundesländern Deutschlands und Berlin.
Inzwischen hat fast jedes dritte Kind unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund.
Ein Blick in die Klassenzimmer deutscher Schulen zeigt: Durchschnittlich rund 22%
der 15-jährigen Schüler haben einen Migrationshintergrund. In Großstädten ist der
Anteil der Migranten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung am größten: In Stuttgart,
Frankfurt/Main und Nürnberg haben rund 40% der Einwohner einen Migrationshintergrund.36 Im Gegensatz zu den Personen ohne Migrationshintergrund sind in der Gruppe
der Menschen mit Migrationshintergrund Frauen etwas unterrepräsentiert. Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist außerdem deutlich jünger als die ohne Migrationshintergrund, erkennbar am geringeren Durchschnittsalter, dem höheren Anteil der
bis 15-Jährigen und dem deutlich geringeren Anteil der über 65-Jährigen.37
Betrachtet man lediglich den Anteil an Ausländern in Deutschland, so liegt ihre
Zahl laut Ausländerzentralregister bei 6,75 Millionen. Davon kommt der Großteil aus
Europa, nämlich rund 80% bzw. 5,4 Millionen Menschen – dies umfasst alle europäischen Länder inklusive Türkei und Russische Föderation. Von diesen 5,4 Millionen
entfallen wiederum rund 2,2 Millionen auf EU-Staaten, wobei die „alten“ EU-Staaten
etwa 1,7 Millionen ausmachen. Die größte Ausländergruppe sind mit 1,8 Millionen
türkische Staatsangehörigen. Italien folgt auf Platz zwei mit 530.000 Personen. Die
durchschnittliche Aufenthaltsdauer aller Ausländer liegt derzeit bei 17,3 Jahren. Im
Vergleich dazu bleiben Italiener im Durchschnitt deutlich länger, nämlich rund 25 Jahre. Der Anteil derjenigen Ausländer, die weniger als vier Jahre bleiben, liegt bei 15%;
mehr als 30 Jahre bleibt rund 22%. Insgesamt sinken die Zuwandererzahlen seit einigen Jahren, die nachhaltige Zuwanderung nach Deutschland hat einen relativ geringen
Umfang – wenn auch der öffentliche Eindruck ein anderer sein mag.
Durch den demografischen Wandel in Deutschland – die Bevölkerung altert und
schrumpft – wird die Frage nach einem Ausgleich durch Zuwanderung aufgeworfen.
Je nach Wanderungssaldo wird die Bevölkerung Deutschlands im Jahr 2050 von 82,5
(36) Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Wiesbaden 2007.
(37) ebd.
Millionen auf 75 bis 67 Millionen sinken. Doch Migration, die demografische Defizite
ausgleichen könnte, wäre nicht verkraftbar für die deutsche Aufnahmegesellschaft. Das
Argument, wonach aus demografischen Gründen die Einwanderung zunehmen müsste,
wird auch von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung nicht geteilt – 83% verneinen
dies in einer Befragung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.38
Paradigmenwechsel durch das Zuwanderungsgesetz
Lange Zeit wurde die Anwesenheit der „Gastarbeiter“ als vorübergehendes Phänomen interpretiert. Erst allmählich setzte sich die Einsicht durch, dass es einer gezielten
und systematischen Integration bedarf. Das Zuwanderungsgesetz, das am 1. Januar
2005 in Kraft trat und sich auf einen breiten politischen Konsens stützt, bewirkte eine
Neuausrichtung. Damit hat Deutschland den Einstieg in eine systematische Integrationspolitik vollzogen und erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein bundesweit
einheitliches Grundangebot zur Integrationsförderung von Neuzuwanderern geschaffen. Erstmals hat der Gesetzgeber die „Förderung der Integration“ an zentraler Stelle
normiert. Das Gesetz berücksichtigt, dass Deutschland im Bereich der Migration und
Integration vor besonderen Herausforderungen steht.
Integration heißt nach unserem Verständnis eine gleichberechtigte Teilhabe von Migranten am gesellschaftlichen, kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben.
Integration bedeutet Chancengleichheit. Zwei Aspekte sind von entscheidender Bedeutung:
- Erfolgreiche Integration rechtmäßig in Deutschland lebender Migranten liegt im
Interesse der Zuwanderer wie auch der Aufnahmegesellschaft.
- Integration geschieht nicht von selbst, sondern ist ein Prozess, an dem beide aktiv
ihren Beitrag leisten müssen. Integration muss erarbeitet werden.
Einstellungsmuster und Partizipationsräume
Die Aufnahmegesellschaft fordert von der ausländischen Bevölkerung in hohem
Maße Integration. 87% sagen laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, dass Ausländer, die sich länger in Deutschland aufhalten wollen, auch die
Sprache, Bräuche und Regeln lernen sollten.39 Die Befragten sprechen sich mehrheitlich dafür aus, Integration zu fördern, aber auch dafür, Integrationsunwillige auszuweisen. Deutlich wird zudem der Wunsch, dass Zuwanderung geregelt wird.
Nur wer teilhaben kann, wird sich mit einer Gesellschaft identifizieren und sich
ihr zugehörig fühlen. Integration heißt: Identität bewahren und Identifikation mit dem
Aufnahmeland fordern – eine Identifikation mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung Deutschlands unter Beibehaltung kultureller Eigenheiten. Das Grundgesetz
bestimmt die Grundwerte unserer Gesellschaft und ist auch für Migranten verbindliche
Grundlage des Lebens in Deutschland. Die Erfahrung von Mitgestaltung gesellschaftlichen Lebens fördert Identifikationsprozesse. Die gesellschaftliche Teilhabe der gesamten Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist noch nicht umfassend untersucht.
Eine Studie zum bürgerschaftlichen Engagement im Auftrag des Familienministeri(38) Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Einstellungen zu demographischen Trends und zu bevölkerungsrelevanten Politiken. Ergebnisse der Population Policy Acceptance Study. Sonderheft 2005.
(39) ebd.
83
ums hat ergeben, dass sich Migranten zu 61% außerhalb von Familie und Beruf aktiv
in Vereinen, Gruppen, Organisationen oder Einrichtungen beteiligen – bei Menschen
ohne Migrationshintergrund liegt der Anteil bei 71%. 40
Migranten, die in eigenethnischen Kontexten aktiv sind, werden mitunter mit dem
Vorwurf der Abschottung konfrontiert. Festzuhalten ist, dass beispielsweise bei türkischen Migranten die Beteiligung in deutschen und türkischen Organisationen gleich
hoch ist und dass Beteiligung in eigenethnischen Kontexten oft dort erfolgt, wo keine
„deutschen“ Alternativen existieren (z.B. Bereich Religion). Gleichwohl gibt es in einigen Gebieten Parallelgesellschaften, in denen Bevölkerungsgruppen weitgehend ohne
Berührungspunkte in ihrer eigenen Lebenswelt mit eigenen Wertvorstellungen nebeneinander her leben. Integration heißt aber nicht, nebeneinander her zu leben, sondern
gemeinsam Gesellschaft zu gestalten.
Arbeitsmarktbeteiligung und Bildung
84
Auch Partizipation am Arbeitsmarkt ist ein Integrationsfaktor: Während die Arbeitslosenquote für Deutsche im Jahresdurchschnitt 2006 bei 10,8% lag, betrug sie bei
Ausländern rund 23,6%.41 Personen mit Migrationshintergrund sind nach Ergebnissen
des Mikrozensus 2005 häufiger auf Arbeitslosengeld I oder II42 angewiesen als Personen ohne Migrationshintergrund. Da Ausländer auch nach Erkenntnissen der Bundesagentur für Arbeit im Durchschnitt eine geringere Qualifikation aufweisen, haben
sie es auf dem Arbeitsmarkt häufig schwerer. Während in den 50er und 60er Jahren
zahlreiche ungelernte Arbeiter von der Industrie aufgenommen wurden, sind heute
viele dieser Arbeitsplätze durch den Strukturwandel weggefallen. So sind auch auf
Grund ihrer vergleichsweise niedrigen Bildungsabschlüsse die Migranten in Deutschland in den Berufsgruppen für Geringqualifizierte überrepräsentiert. Doch gerade in
diesen Sektoren ist die Beschäftigung seit Jahren rückläufig. Auch sprachliche Defizite
sind ein Problem. Dies gilt insbesondere für die zweite und dritte Generation, in deren
Familien nach wie vor häufig kein Deutsch gesprochen wird.
Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung legte das
„Konsortium Bildungsberichterstattung“ einen indikatorengestützten Bericht mit dem
Titel „Bildung in Deutschland“ vor.43 Es zeigte sich, dass im Vergleich zu den Deutschen
ohne Migrationshintergrund Migranten ein niedrigeres Bildungsniveau aufweisen. Dieser Unterschied besteht sowohl bei den allgemeinen Schul- als auch bei den beruflichen
Bildungsabschlüssen. Gemeinsam ist beiden Personengruppen jedoch, dass jeweils die
jüngeren (25 bis 45 Jahre) einen deutlich besseren Bildungsstand vorweisen können als die
(40) TNS Infratest Sozialforschung (2005): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004. Migrantinnen und Migranten. Studie im Auftrag des BMFSFJ
(41) Bundesagentur für Arbeit, Statistik Berichtsjahr 2006. Quote bezieht sich auf alle zivilen Erwerbspersonen.
(42) Arbeitslosengeld II ist eine bedürftigkeitsgeprüfte Sozialhilfe, die im Anschluss an die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I bezahlt wird.
(43) Konsortium Bildungsberichterstattung (2006): Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht
mit einer Analyse zu Bildung und Migration. Bericht im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der
Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Bonn.
älteren (45 bis 65 Jahre). Ergebnisse des Mikrozensus 2005, die auch die Bildungsstudie
anführt, belegen, dass bei der Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund mit rund
10% ein vergleichsweise großer Anteil über keinen allgemeinen Schulabschluss verfügt.
Zum Vergleich: Bei Personen ohne Migrationshintergrund sind es nicht einmal 2%. Auch
haben rund die Hälfte aller Personen mit Migrationshintergrund keinen beruflichen Bildungsabschluss. Bei den Personen ohne Migrationshintergrund sind es rund 27%.
Die Situation von Jugendlichen - Erfahrungen, Einstellungen, Ergebnisse
Hinsichtlich schulischer Bildungs- und Abschlusserfolge stellt sich die Situation
auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund als schwierig dar. Dass diese Kinder im deutschen Schulsystem weniger erfolgreich sind, haben die Schulstudien PISA
und IGLU gezeigt. Anhand von PISA-Daten (OECD) konnte gezeigt werden, dass
Migranten der ersten und zweiten Generation, die zu Hause nicht die Sprache des Aufnahmelandes sprechen, in den OECD-Staaten im Schnitt einen deutlichen Rückstand in
Mathematik haben. Vergleichbares zeigt sich auch bei den Leseleistungen.44
Doch auch der Übergang in die Ausbildung stellt sich bei Jugendlichen dieser
Gruppe als kritisch dar: jeder zweite Schüler mit Hauptschulabschluss und jeder vierte
mit Realschulabschluss landet zunächst in einer schulischen oder berufsvorbereitenden Maßnahme. Hinzu kommt die Zahl der Abgänger ohne Abschluss: Insgesamt verließ im Jahr 2004 fast jeder fünfte Schüler mit Migrationshintergrund die Schule ohne
Abschluss – unter deutschen Schülern blieb weniger als jeder Zehnte ohne formalen
Abschluss. 45 Insbesondere die Schulbildung italienischer Kinder ist problematisch: Sie
besuchen überdurchschnittlich häufig Sonderschulen für Schüler mit Lernproblemen
oder Hauptschulen. Auch auf dem Ausbildungsmarkt ist die Situation schwierig. Rund
41% in der Altersgruppe der 25- bis unter 35-jährigen in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund haben keinen beruflichen Bildungsabschluss. Zum Vergleich: in der
Gruppe ohne Migrationshintergrund sind es 15%.46
Die Zahl der Jugendlichen, die einen weiteren Zuzug von Migranten eher stoppen
wollen, hat sich von 48% im Jahr 2002 auf 58% im Jahr 2005 erhöht. 24% der Jugendlichen
sind hingegen der Auffassung, dass auch künftig so viele Zuwanderer aufgenommen werden sollten wie bisher. Das geht aus der 15. Shell Jugendstudie hervor. Der Wunsch nach
einer künftigen Verringerung bzw. Begrenzung des weiteren Zuzugs ist bei Jugendlichen
in Ostdeutschland ausgeprägter als in Westdeutschland. Generell gilt, dass diejenigen
Jugendlichen, die keine Kontakte zu Ausländern haben, sich deutlich häufiger für eine Begrenzung der Zuwanderung aussprechen. Woher kommt diese eher vorsichtige Haltung
gegenüber weiterer Zuwanderung? In diese Stimmungslage können unterschiedlichste
Faktoren eingeflossen sein – negative Alltagserfahrungen mit Migranten, diffuse Ängste
oder Vorurteile sowie sicherlich ein zunehmender existenzieller Druck.47
Im Alltag lassen sich auch zahlreiche Beispiele für das Gelingen von interkultu(44) ebd.
(45) IW-Trends 4/2005, Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung aus dem Institut
der deutschen Wirtschaft Köln, S. 8.
(46) Vgl. Fußnote 43.
(47) Shell Deutschland Holding (Hrsg.): Jugend 2006. Eine pragmatische Generation unter Druck.
Hamburg 2006.
85
rellem Zusammenleben finden. Eine Untersuchung des Zentrums für Türkeistudien
zeigt, dass rund 40% der türkischstämmigen Bevölkerung engere freundschaftliche Beziehungen zu Deutschen pflegt, nur 6% hat gar keine Kontakte zu Deutschen und mehr
als die Hälfte der Befragten wünscht sich interkulturelle Kontakte. Die Untersuchung
kommt auch zu dem Schluss, dass fehlende Kontakte zu Deutschen nicht immer gewollt
sind, sondern auch auf einen Mangel an Gelegenheiten oder möglicherweise auch auf
eine zunehmende Distanz der Deutschen zurückzuführen sind.48
Einstellungen der Aufnahmegesellschaft zu Islam und Muslimen
86
Die deutsche Bevölkerung weist eine überdurchschnittlich große Aufgeschlossenheit gegenüber fremden Kulturen auf, doch eine Mehrheit sieht die Signale der Ausbreitung des Islam mit wachsendem Unbehagen. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Demoskopie Allensbach in einer Befragung im Jahr 2006: „Angesichts des diffusen
Gefühls der Bedrohung und der vermuteten Intoleranz des Islam sinkt die Bereitschaft der Deutschen, ihrerseits Toleranz gegenüber dem muslimischen Glauben zu üben.“ 49
56% der Deutschen teilten in der Umfrage die Auffassung, dass zwischen
Christentum und Islam ein „Kampf der Kulturen“ im Gange sei. Zwei Jahre zuvor
waren es noch 46%. Samuel Huntington hat diesen Begriff vom „Kampf der Kulturen“
in einem Artikel von 1993 geprägt. Was zunächst als Frage „Clash of civilizations?“
formuliert war, wurde im Titel seines nachfolgenden Buches zu einer Feststellung.50
Huntington bezog sich dabei auf den seiner Meinung nach bevorstehenden Kampf
zwischen insgesamt acht globalen Kulturkreisen, insbesondere zwischen dem westlichen Kulturkreis auf der einen und dem islamischen auf der anderen Seite.
Maßnahmen zur Integration
1. Der Dialog mit dem Islam
Für den Dialog mit dem Islam hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die
Deutsche Islamkonferenz ins Leben gerufen – neben dem Integrationsgipfel mit seinem
„Nationalen Integrationsplan“ das derzeit wichtigste Integrationsprojekt der Bundesregierung. In Deutschland leben derzeit rund 3,4 Millionen Muslime. Sie kommen aus
verschiedenen Regionen der islamischen Welt und spiegeln eine Vielfalt in nationaler,
kultureller und religiöser Hinsicht wider. Viele Zuwanderer aus muslimisch geprägten
Herkunftsländern sind gut in Deutschland integriert – bei einem Teil jedoch treten zunehmend Schwierigkeiten auf: Vor allem junge Muslime der zweiten und dritten Generation haben wachsende Probleme in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt. Der Dialog
zwischen Vertretern des deutschen Staates und Vertretern der hier lebenden Muslime
ist in der Islamkonferenz als langfristiger Kommunikationsprozess angelegt.
2. Integrationskurse
Sprache ist der Schlüssel zur Integration, Sprache öffnet Türen. Gute Deutschkennt(48) 7. Mehrthemenbefragung des ZfT zu den Lebenslagen der Türkinnen und Türken in NRW.
(49) Prof. Dr. Neumann, Elisabeth / Dr. Petersen, Thomas: „Eine fremde, bedrohliche Welt . In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.05.2006, S. 5.
(50) Samuel Huntington: The clash of civilizations and the remaking of world order. New York 1996.
nisse sind eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für Integration. Deutschkenntnisse begünstigen den Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft. Je besser
die Befragten ihre Deutschkenntnisse einschätzen, desto häufiger geben sie Besuche bei
Deutschen oder von Deutschen in den Befragungen an. Auch im Freundeskreis ist dieser
Effekt deutlich erkennbar; denn je besser die subjektive Sprachkompetenz bewertet wird,
umso mehr deutsche Personen befinden sich unter den drei besten Freunden.51
Kern des staatlichen Integrationsangebots in Deutschland sind die Integrationskurse.
Nach dem Grundsatz des „Forderns und Förderns“ gibt es einen Anspruch auf, aber auch
eine Verpflichtung zur Teilnahme. Der Integrationskurs stützt sich auf zwei Säulen: 600
Stunden Sprachkurs und 30 Stunden Orientierungskurs zur Rechtsordnung, Geschichte
und Kultur in Deutschland. Begleitend dazu gibt es ein individuelles Beratungsangebot
für Migranten, die so genannte Migrationserstberatung, die auf drei Jahre angelegt ist.
Außerdem stehen Mittel für rund 400 Integrationsprojekte bereit, die beispielsweise die
Arbeit von Streetworkern in schwierigen Stadtteilen unterstützen.
3. Verzahnung bietet Perspektiven
Deutschland ist im Bereich Integration mit einer Vielzahl von einzelnen Maßnahmen
aktiv. Das übergeordnete Ziel der Integrationsförderung muss aber sein, den Integrationsprozess als Ganzes erfolgreich zu gestalten – dies erfordert eine systematische Verzahnung
von Angeboten zu Sprache, Bildung, Beruf und Beratung. Eine Perspektive bietet das bundesweite Integrationsprogramm, das das Bundesamt auf Basis der gesetzlichen Vorgaben
entwickelt: bestehende Integrationsangebote von Bund, Ländern, Kommunen und privaten
Trägern werden festgestellt und Empfehlungen zu ihrer Weiterentwicklung vorgelegt.
Die Dynamik jeder Gesellschaft ergibt sich aus der Interaktion von Kollektiven. Durch
Zuwanderung kommt ein weiteres Kollektiv hinzu. Unser Blickfeld richtet sich auf die Interaktion mit der Gesellschaft, im Kontext von Migration auf die Interkulturalität. Hier
sind auch weiterhin beide Seiten gefordert: Migranten und Aufnahmegesellschaft. Denn
echte Kulturen sind offen, sie suchen die Begegnung und den Dialog mit anderen Kulturen.
Köln, eine multikulturelle Stadt –
Eine kommunale Integrationspolitik
Teresa De Bellis, Mitglied des Rats der Stadt Köln
Von 1 Million Kölner Bürgern haben 322.000, also 31,4%, eine Migrationsgeschichte. Hierzu gehören neben den Ausländern auch die Deutschen, die eingebürgert
wurden, und die Kinder und Enkel von Immigranten. 75.000 sind unter 18 Jahren. Ihr
Anteil an dieser Altersgruppe in Köln beträgt 47,1% und wird in einigen Jahren über
50% erreichen. Werden nur die ausländischen Staatsbürger gezählt, so kommen wir in
Köln auf 177.000 Ausländer, davon sind 65.000 Türken und 19.000 Italiener.
(51) Leibold, Jürgen / Kühnel, Steffen / Heitmeyer, Wilhelm: Abschottung von Muslimen durch generalisierte Islamkritik? In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 1-2/2006, Januar 2006.
87
Der großen Zahl von Migranten entspricht eine Vielzahl von Migranten-Vereinigungen in Köln. Dies gilt auch für die Menschen mit italienischer Migrationsgeschichte. Hervorzuheben sind das COMITES (Komitee der Italiener im Ausland), eine
von den italienischen Staatsbürgern gewählte Vertretung, und der Elternverein CO.AS.
SC.IT. Beide Organisationen sind für den Bezirk des italienischen Konsulats Köln zuständig. Außerdem bestehen in Köln 13 Vereine mit teilweise regionalem Charakter im
Bildungs- und Freizeitbereich. Auf dem Feld der Sozialberatung sind neben zwei Patronati (ACLI, ITAL) auch der katholischen Kirche nahe stehende Stellen (u.a. Caritas)
aktiv. Hervorzuheben sind schließlich das italienische Kulturinstitut „Dante Alighieri“
und der WDR mit seinem italienischen Hörfunkprogramm „Radio Colonia“.
Eine wichtige Vertretungsfunktion der Migranten hat in Köln der „Integrationsrat“.
Das Gremium besteht aus 11 Mitgliedern des Stadtrats sowie aus 22 von Migranten,
nicht nur von ausländischen Staatsbürgern, gewählten Vertretern. An der Wahl 2004
nahmen 25.000 Kölner Bürger teil. Der Integrationsrat kann sich als beratendes Gremium mit allen Angelegenheiten der Stadt befassen. In den Rat der Stadt Köln wurden bei
der letzten Kommunalwahl 3 Mitglieder mit einer Migrationsgeschichte gewählt.
Konsens für offensive Integrationspolitik
88
Alle großen Parteien im Stadtrat bekennen sich zu einer offensiven Integrationspolitik. Sie betrifft nicht nur die neu nach Köln kommenden Ausländern, sondern gerade auch die vielen schon seit langem in Köln wohnenden Menschen mit Migrationsgeschichte. Integration erledigt sich nicht von selbst, wie wir schmerzhaft bei der
dritten Generation von Migranten feststellen mussten. Nicht wenige hat es erstaunt,
dass selbst viele Enkelkinder der Zuwanderer Probleme mit der deutschen Sprache
haben. Auch wenn dies nur für eine Minderheit gilt, so ist dies doch eine Partei übergreifende Herausforderung, denn mangelnde Sprachkenntnisse bedingen schlechte Bildungschancen und oftmals Langzeitarbeitslosigkeit.
Eine offensive Integrationspolitik ist im Interesse der Stadt und seiner Bürger. Migranten sind ein Gewinn, weil
- Mehrsprachigkeit eine Ressource ist,
- Kunst, Literatur und Film davon Impulse erfahren,
- Wissenschaft und Wirtschaft davon profitieren und
- gerade auch im zusammenwachsenden Europa sich hieraus große Chancen
entwickeln können.
Kommunale Integrationspolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die insbesondere die
Rahmenbedingungen verbessern muss. Ohne die Integrationswilligkeit der Migranten
und einer aktiven Aufnahmebereitschaft der alt eingesessenen Kölner Bürger wird Integration nicht gelingen. Die wichtigsten Handlungsfelder sind die Sprachvermittlung,
die Schule, die Chancengleichheit von Frauen, die Berufsausbildung, die Existenzgründung
und die Stadtentwicklung.
Handlungsfeld Sprachvermittlung
Das Erlernen der deutschen Sprache ist für alle Zuwanderer nach Deutschland verpflichtend. Den Zuwanderern und, auf freiwilliger Basis, den in Köln lebenden Menschen
mit Migrationsgeschichte werden Sprachkurse angeboten, die mit einem Orientierungs-
unterricht zu Staat, Gesellschaft und Geschichte Deutschlands verbunden werden. Neben
der Volkshochschule, die die Koordinierung hat, bieten 18 Organisationen solche Kurse in
Köln an. Zusätzlich zum Angebot für Erwachsene besteht auch eine Sprachförderung für
Kinder. Zwei Jahre vor der Einschulung müssen sich alle schulpflichtigen Kinder, nicht
nur die Migrantenkinder, einem Sprachtest unterziehen. Werden Probleme festgestellt,
so wird diesen Kindern parallel zum Kindergarten die Teilnahme an einem Förderunterricht zur Pflicht gemacht. Die Sprachförderung wird in den Schulen fortgesetzt, wenn
auch nicht systematisch. Hier besteht ein Nachholbedarf. Notwendig ist, dass die Sprachlernangebote für Eltern, und insbesondere für Mütter, ausgebaut werden. Damit können
sie auch besser in den Bildungsprozess ihrer Kinder einbezogen werden.
Erheblicher Nachholbedarf besteht bei der bilingualen Förderung der Kinder mit
Migrationsgeschichte. Es bestehen nur wenige bilinguale Bildungseinrichtungen. Für
italienische Kinder mit Migrationsgeschichte bestehen in Köln nur ein Kindergarten
der Caritas, drei Grundschulen (Primärbereich) sowie drei Gesamtschulen/Gymnasien
(Sekundärbereich) mit bilingualem Angebot. Darüber hinaus bieten zu wenige Gymnasien italienisch als Fremdsprache an. Die Stadt Köln muss und will den bilingualen
Schulunterricht ausbauen.
Handlungsfeld Schule
Neben der Sprachförderung ist jedoch die allgemeine schulische Förderung von
Kindern mit Migrationsgeschichte wichtig. Das größte Problem besteht darin, dass die
Eltern ihre Kinder meist wenig unterstützen können. Hinzu kommt, dass die Migranten sich oft auf bestimmte Stadtteile konzentrieren, so dass in einigen Schulen weit
über die Hälfte der Kinder eine Migrationsgeschichte aufweisen. Dies ist besonders
problematisch, wenn in Schulklassen Schüler einer Nationalität eine dominierende Rolle haben. Notwendig ist deswegen, dass die Lehrer mehr Zusatzschulungen erfahren
und das Personal in diesen Schulen erhöht wird.
Für den Lernerfolg der Kinder ist die Mitarbeit der Eltern auch in den Schulen wichtig. Die Eltern sollten ermutigt werden, zu den Elternabenden, Einschulungs- und Informationstagen der Schulen zu kommen. Die Lehrer sollten diese Veranstaltungen verstärkt für persönliche Gespräche nutzen. Aktive Mitarbeit und Unterstützung der Eltern
während der Schullaufbahn ihrer Kinder gelingt dann besser, wenn sie sich mit der jeweiligen Schule identifizieren können. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang
die schulische und pädagogische Beratungseinrichtung RAA („Regionale Arbeitsstellen
zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien“, NRW) in Köln.
Handlungsfeld Chancengleichheit von Frauen
Besondere Aufmerksamkeit muss der Förderung der Mädchen gelten. Viele Töchter aus traditionell geprägten Familien mit Migrationsgeschichte, insbesondere aus
dem islamischen Kulturkreis, erfahren nicht nur eine geringere Förderung und Benachteiligung (Teilnahmeverbot an Sport und Schulausflügen), sondern werden teilweise in
ihrer Menschenwürde verletzt. Die Zwangsverheiratung ist leider keine Seltenheit und
muss stärker geächtet werden. Hierfür darf es keine Toleranz geben.
Schlimm ist auch, dass die Töchter und häufig auch ihre Mütter häusliche Gewalt
durch männliche Familienmitglieder erfahren. Die CDU in Köln fordert deswegen ein
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Netzwerk „Gegen Gewalt an Frauen und Mädchen mit Zuwanderungsgeschichte“ zwischen der Stadt Köln, den interkulturellen Zentren und den Moscheevereinen. Häusliche
Gewalt ist leider nicht ausschließlich ein Problem der Familien mit Migrationsgeschichte, sondern findet auch in deutschen Familien statt. Frauen mit Zuwanderungsgeschichte
haben jedoch den großen Nachteil, dass ihnen weniger Handlungsmöglichkeiten offen
stehen, weil sie oft weder ein soziales Netzwerk außerhalb der Familie besitzen, noch über
das nötige Geld verfügen, um sich eine eigene Wohnung mieten zu können. Deswegen
muss die Beratungsinfrastruktur, einschließlich kulturell sensibler Unterstützungsangebote, für diese Mädchen und Frauen ausgebaut werden. Ich begrüße es, dass die Stadt
Köln eine Reihe von Aufklärungsaktivitäten gegen „Zwangsheirat“ und „Gewalt gegen
Frauen“ durchgeführt hat.
Handlungsfeld Berufsausbildung
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Ein großes Problem ist für viele Jugendliche mit Migrationsgeschichte die Arbeitslosigkeit. Neben teilweise geringen Sprachkenntnissen ist hierfür die mangelnde berufliche
Qualifikation die wichtigste Ursache. Oft besteht bei den Eltern völlige Unkenntnis über
die Bedeutung der beruflichen Ausbildung in Deutschland. Da 63,6% der ausländischen
Beschäftigten in Köln keinen Berufsabschluss aufweisen, ist auch nicht verwunderlich, dass
sie ihren Kindern insbesondere den Mädchen kein Vorbild sein können.
In Köln fanden eine Vielzahl von Kampagnen statt, um Schulabgänger mit Zuwanderungsgeschichte zur Berufsausbildung zu motivieren. Neben einer gezielten Ansprache der Jugendlichen und ihrer Eltern wurden insbesondere Arbeitgeber aufgefordert,
diesen Jugendlichen einen Chance zu geben. Bei einer Reihe von Aktionen wurden auch
in Zusammenarbeit mit dem italienischen Generalkonsulat italienische Migranten angesprochen. Es hat sich als sehr erfolgreich erwiesen, neben den Migrantenvereinigungen auch Unternehmer mit Migrationshintergrund anzusprechen. Vor dem Ausscheiden aus der Schule erhalten die Schüler zwar Informationen über ihre berufliche
Perspektive und die berufliche Ausbildung, diese Informationen müssen jedoch für die
Jungen und insbesondere für die Mädchen mit Migrationsgeschichte systematischer
vermittelt werden. Notwendig ist ein Monitoring-Programm für junge Frauen, bei
dem berufserfahrene Mentorinnen zum Einsatz kommen sollten.
Handlungsfeld Existenzgründung
Neben der Förderung der beruflichen Qualifikation gilt es auch, die Unterstützung
für Existenzgründungen aus dem Kreis der Migranten zu verstärken. Es ist zu begrüssen, dass die Kammerorganisationen in Köln spezifische Beratungsangebote anbieten.
Eine unterstützende Rolle spielen hierbei auch das „Regionale Förderzentrum für ausländische Existenzgründer und Unternehmer“ (RFZ) in Köln sowie türkische, italienische und griechische Unternehmervereinigungen. Dennoch habe ich den Eindruck,
dass in Köln noch viel mehr gemacht werden könnte. Hierbei appelliere ich insbesondere an die Unternehmer.
erhebliche Konzentration der Problemlagen von sozial Benachteiligten und von Bewohnern mit Zuwanderungsgeschichte. Integrationspolitik bedeutet vor allem soziale und ethnische Absonderung und die Entstehung von Parallelgesellschaften in den
Stadtteilen zu verhindern. Integration geschieht vor Ort, also in der Nachbarschaft,
im Wohnumfeld und im Stadtteil. Wo die Mehrheitsgesellschaft aber nicht mehr als
Mehrheit präsent ist, sind Integrationsbemühungen mit besonderen Erschwernissen
verbunden. Die wichtigsten Handlungslinien sind:
- Eine intelligente Belegungspolitik bei den Sozialwohnungen (in Köln bestehen ca.
50.000), um die Ballung von ethnischen Gruppen zu vermeiden bzw. abzuschwächen,
- eine bessere Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Nahverkehr;
- eine Verstärkung der Sicherheit auf den Straßen;
- der Ausbau der Bildungsangebote vor Ort;
- die Förderung von Bürgerinitiativen z.B. für gruppenübergreifende Straßenfeste.
Eine integrationsorientierte Stadtteilpolitik muss insbesondere auf die Partizipation der Migranten setzen. Alle müssen aufeinander zugehen. Dies betrifft auch Fragen
der Lebensweise, der Religionsausübung, so auch den Bau von Moscheen. Der Dialog
muss gerade in den Stadtteilen besser organisiert werden. Das Kölner Projekt „Stadtteil-Manager“ ist ein gutes Beispiel und sollte fortgesetzt werden.
Heimatgefühl für die eigene Stadt entwickeln
Meiner Ansicht nach beruht eine erfolgreiche Integration auch auf dem bürgerschaftlichen Engagement. Gerade auch den Menschen mit Migrationsgeschichte müssen hierzu mehr Chancen eröffnet werden. Aber die Migranten und insbesondere die
Migrantenvereinigungen müssen erkennen, dass ihr Engagement sich nicht nur auf
Forderungen an die Institutionen beschränken kann. Sie müssen lernen, Mitverantwortung zu übernehmen. Teilhabe ohne Mitverantwortung funktioniert nicht. Dies
betrifft die Eltern, die sich für ihre Schule einsetzen, die Unternehmer, die mehr Berufsausbildungsplätze anbieten und die Bürger, die sich in ihrem Stadtteil engagieren. Aber
auch die einheimische alt eingesessene Kölner Bevölkerung muss lernen, die Anregungen und Vorschläge der Migranten nicht nur ernst zu nehmen, sondern sie auch als
Bereicherung des Zusammenlebens zu erkennen. Dann kann es auch gelingen, dass die
Menschen mit Migrationsgeschichte für ihre Stadt ein Heimatgefühl entwickeln, eine
wichtige Grundlage für den sozialen Zusammenhalt einer Gemeinschaft.
Köln – Ein Beispiel für gelungene berufliche Integration:
BQN – das „Kölner Modell“
Wolfgang Fehl, Leiter des Koordinierungsprojektes „Integration durch Qualifizierung“
(IQ) bei der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH), Düsseldorf.
Handlungsfeld Stadtentwicklung
Die Querschnittsaufgabe von kommunaler Integrationspolitik wird insbesondere
bei der Stadtentwicklungspolitik deutlich. In einigen Kölner Stadtteilen besteht eine
In den 80er Jahren betrug der Anteil der Jugendlichen ausländischer Herkunft in
der Kölner Bevölkerung fast 30%, bei den Auszubildenden dagegen nur 4%: Was war zu
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tun, um die vielen Jugendlichen an das Ausbildungssystem heranzuführen?
Arbeitsverwaltung, Gewerkschaften, Kammerorganisationen, Kreishandwerkerschaft und Arbeitgeberverbände waren bereit zu einer konzertierten Aktion. Am 1.
Mai 1989 wurde bei der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer zu Köln eine „Beratungsstelle zur Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte“
(BQN) eingerichtet. Sie wurde finanziert durch die Robert-Bosch-Stiftung, das Bundesbildungsministerium, das Landesarbeitsministerium und das Arbeitsamt Köln.
Es wurden insbesondere organisiert:
- Ausbildungstrainings,
- Multiplikatorenschulungen,
- Aktivierung von Personen mit erfolgreichem Ausbildungsabschluss,
- Elterninformationen,
- Öffentlichkeitskampagnen.
BQN trug dazu bei, dass sich bis Mitte der 90er Jahre der Anteil der ausländischen
Auszubildenden an allen Auszubildenden in Köln von 4 auf 18% erhöhte. Die Industrie- und Handelskammer sowie die Handwerkskammer in Köln führen das Projekt
mit Finanzierung aus eigenen Mitteln bis heute fort.
Das BQN-Projekt wurde zu einem Modellprojekt auf nationaler Ebene. Anregungen gingen sowohl in das „Nationale Bündnis der Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ vom 26.06.2000 als auch in den „Nationalen Integrationsplan“, der am
12.07.2007 von der Bundeskanzlerin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
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Die Integration von Migranten in Rom –
Ansichten ausgewählter Interviewpartner
Kamila Kowalska-Angelelli, Chiara Mellina, Wissenschaftlerinnen und Franco
Pittau, Dossier Statistico Immigrazione Caritas/Migrantes52
Zweck und Eigenschaften der Untersuchung
Die Untersuchung über die Integration von Migranten in Rom wurde im Juni und
Juli 2007 durchgeführt, wobei 63 ausgewählte Interviewpartner als Vertreter der Migranten befragt wurden, das heißt Sprecher von Verbänden, Sprach- und Kulturmediatoren und weitere Vertreter aus der Welt der Sozialarbeit.
Was Italien betrifft, so ist Rom die Stadt mit der höchsten Migrantenzahl. 290.000
in der Stadt und 431.000 in der Provinz Rom sind nach Schätzungen des „Dossier
Statistico Immigrazione Caritas/Migrantes“ aufenthaltsberechtigt. Während die Zahl
der gemeldeten Einwohner nach Angaben der Stadt Rom und von ISTAT um einige
zehntausend niedriger liegt. Es gibt für jede nationale Gruppierung in Rom eine oder
(52) Dem Forscherteam gehören auf Ebene der Hauptredaktion des Dossier Statistico Immigrazione,
Luca Di Sciullo und Maria Pia Borsci an; die Interviews führten Chiara Mellina und Kamila Kowalska, die
auf diesem Gebiet große Erfahrungen und verschiedene Publikationen veröffentlicht haben.
mehrere Verbände und nicht wenige geeignete Vertreter, mit deren Hilfe versucht werden kann, den künftigen Integrationsprozess einzuschätzen.
Von den Befragten sind 9 von 10 junge Erwachsene in der Altersklasse zwischen
18 und 45 Jahren. Die Vertreter der so genannten extremen Altersklassen (Minderjährige oder über 65jährige) sind dagegen minimal. Es handelt sich also um die Vertreter
der ersten Generation, die die Emigration noch selbst erlebt haben, und die noch nicht
erfahren haben, was es bedeutet, ein alter Mensch in der Emigration zu sein.
Die Befragten wurden an Hand der Kenntnisse der Teammitglieder des „Dossier
Statistico Immigrazione Caritas/Migrantes“ und des “Forum per l’intercultura” der
Caritas Rom ausgewählt. Außerdem wurde die Gelegenheit der im Mai 2007 jährlich
stattfindenden Veranstaltung „Intermundia“ genutzt. (Dabei handelt es sich um ein
interkulturelles Festival, das seit einigen Jahren von der Stadt Rom gefördert und auf
der Piazza Vittorio, dem interethnischsten Platz der ganzen Stadt, veranstaltet wird.
Migrantenverbände und jene die mit Migranten arbeiten, stellen ihre Stände auf, veranstalten Debatten, didaktische Initiativen und Spiele, stellen Arbeiten aus und organisieren künstlerische Veranstaltungen, an denen die Besucher unmittelbar beteiligt
werden).
Obwohl die Befragten zufällig ausgewählt wurden, können sie zahlenmäßig und
herkunftsmäßig als repräsentativ angesehen werden. Es waren 19 Europäer, 16 Amerikaner, 15 Asiaten, 11 Afrikaner und 1 aus Ozeanien, die insgesamt aus 32 Ländern,
einschließlich Deutschland, kamen, beteiligt. Obwohl diese Aufteilung nicht hundertprozentig der kontinentalen Verteilung der Migranten in Rom entspricht, spiegelt sie
doch ziemlich getreu die Verbandswelt wider. Alle Angesprochenen haben den Fragebogen weitgehend beantwortet. Die Interviews wurden von einer Italienerin und einer
Migrantin gemeinsam ausgeführt. Der Fragebogen war im Vorfeld von dem Team des
Dossier Statistico Immigrazione mit der Absicht ausgearbeitet worden, von Standardfragen abzusehen und auch die europäische Perspektive zu berücksichtigen.
Initiatoren der Initiative waren die Deutsche Botschaft Rom und die FriedrichEbert-Stiftung. Sie hatten anlässlich einer deutsch-italienische Tagung zur Integrationsproblematik (Juni 2007) ihr Interesse an der Präsentation der Umfrageergebnisse
einer „Feldstudie“ über Integration zum Ausdruck gebracht, die ihren Schwerpunkt
auf die besondere Migrationssituation Roms legen sollte. Das von deutscher Seite geäußerte Interesse war dadurch bedingt, dass Italien, obwohl es in Europa heute zu
den großen Immigrationsländern gehört, erst seit relativ kurzer Zeit diese Erfahrung
macht und sich dabei mit vielen neuen Problemen auseinandersetzen muss, was Herkunft, Eingliederung in die Arbeitswelt, aber vor allem soziales und religiöses Zusammenleben anbelangt. Der Vergleich zur deutschen Situation, die auf einer längeren
Erfahrung beruht, ist sinnvoll, um hieraus Denkanstöße und Handlungsmöglichkeiten
zu gewinnen.
Von den befragten Personen leben fast alle (mehr als 9 von 10) seit mehr als 5 Jahren
in Italien, jedoch nicht immer mit einem Partner (mehr als ein Drittel der Fälle) und nicht
immer mit Kindern (mehr als die Hälfte der Fälle), jedoch möchte jeder Zweite sich definitiv in Italien niederlassen, etwas weniger als in der jeweiligen nationalen Zugehörigkeitsgruppe. (In der Untersuchung wurden die Befragten aufgefordert nicht nur für sich
selbst, sondern auch für die jeweilige nationale Zugehörigkeitsgruppe zu antworten).
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Integration: wie definiert man sie, wie wird sie gefördert
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Nach Ansicht der Hälfte der Befragten sollte Integration als Anerkennung, gegenseitige Achtung der Unterschiede, Ausübung der gleichen Rechte und friedliches
Zusammenleben verstanden werden. Weitere Definitionen, wenn auch weniger häufig,
sind: Nichtdiskriminierung, Interaktion, Anpassung an die neue Umwelt, bei Wahrung
der eigenen Eigenschaften, Auseinandersetzung mit dem Anderen, sich Wohl fühlen,
wenn auch in einem fremden Land, ein geregeltes Leben führen.
Nach Ansicht fast aller bedeutet eine Gesellschaft des interkulturellen Austauschs,
dass Italiener und Ausländer in ihren Bemühungen um gegenseitige Anpassung unterstützt werden und diese Anpassung nicht nur von den Migranten verlangt wird.
Zur Verwirklichung einer besseren Integration müssen vor allem (so die Hälfte
der Antworten) gegenseitige Achtung gelernt werden, Vorurteile abgebaut und die
Gesetzgebung verbessert werden. Es wird auch darauf verwiesen, dass Integration
nur durch konkrete Maßnahmen entstehen kann: hierzu gehören mehr finanzielle Mittel, um Maßnahmen für die unterschiedlichen Aspekte der Eingliederung fördern zu
können (Wohnung, Schule, verschiedene Dienstleistungen, Sprachförderung, Unterstützung der Verbände, Einsatz von Kulturmediatoren).
Öffentliche Einrichtungen und Verbände werden als sehr wichtig für die Integration der Migranten erachtet und aufgefordert, sich stärker zu engagieren. Die Tatsache, dass sie namentlich genannt werden, kann als Anerkennung und Ansporn verstanden werden. Erwähnung finden: katholische Verbände (24 Mal), die Caritas (24 Mal),
soziale, gesundheitliche und schulische Einrichtungen (14 Mal), die Gemeinschaft
Sant’Egidio (13 Mal), die Stadt Rom und ihre Bezirksverwaltungen (12 bzw. 10 Mal),
die Provinz (8 Mal), die Kultstätten der jeweiligen Religionen (8 Mal) und andere nationale und territoriale öffentliche Einrichtungen sowie einzelne Verbände.
Gesellschaftliches Leben, Rechte, Staatsbürgerschaft und Wahlrecht
Fast die Hälfte der Befragten nimmt häufig an kulturellen, künstlerischen und politischen Veranstaltungen teil, während nur 1 von 10 dies nie tut. Unter den Personen
der eigenen Zugehörigkeitsgruppe halbiert sich der Prozentsatz derjenigen, die häufig
teilnehmen, jedoch ist der Anteil derjenigen, die sich hin und wieder beteiligen, größer.
Deshalb stellen, trotz der Einschränkungen der bestehenden Gesetze, Immigration
und gesellschaftliche Teilhabe keine Widersprüche dar.
4 von 10 Befragten haben häufig von Diskriminierungsvorkommnissen gehört, 5
von 10 nur hin und wieder, meistens durch Fernsehen und Presse oder (ein Fünftel der
Fälle) von Personen der eigenen Zugehörigkeitsgruppe, die von ähnlichen Erfahrungen
berichten. Die Diskriminierungsfälle verteilen sich gleichmäßig auf die Bereiche Arbeit, Schule, öffentliches Leben und Sonstiges. Wie wir im Folgenden feststellen können, beeinträchtigen diese negativen Diskriminierungserfahrungen die starke Bindung
zur neuen Umwelt, vor allem zu Rom, jedoch nicht so stark.
Fast alle (9 von 10) bestätigen die Bedeutung der Aufenthaltserlaubnis, weil sie
größere Unbeschwertheit, Sicherheit, Stabilität und Legalität gibt und die Grundlage
für die eigene Lebensplanung darstellt, da sie Rechte und Schutz, von der Freizügigkeit
bis zur Eingliederung in die Arbeitswelt, gewährleistet.
6 von 10 Befragten erachten die Staatsbürgerschaft als sehr wichtig, da sie eine en-
dgültige Integrationsmaßnahme darstellt, 1 von 10 dagegen als vollkommen unwichtig.
5 von 10 beabsichtigen die Staatsbürgerschaft zu beantragen, vor allem um die gleichen
Rechte wie die Italiener zu bekommen, was sich auch positiv auf die berufliche Karriere
auswirken würde.
Mehr als zwei Drittel der Befragten hatte die Möglichkeit die italienische Staatbürgerschaft zu erlangen. Nur ein Fünftel hat sie tatsächlich erhalten, die anderen erklären hieran
Interesse. Daraus folgt, dass zwar Hindernisse rechtlicher und bürokratischer Art bestehen,
jedoch fehlt es bei einigen auch an wirklichem Interesse. In diesem Zusammenhang muss
an die früheren Nicht-EU-Bürger gedacht werden, deren Staaten seit Mai 2004 bzw. Januar
2007 Mitglieder der EU geworden sind. Für sie war die Erlangung der Staatsbürgerschaft
in der Vergangenheit eine Zweckentscheidung, um eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung in Italien zu erhalten. Heute ist diese Sicherheit durch das EU-Recht gewährleistet,
mit der Folge, dass kein Interesse an der italienischen Staatsbürgerschaft mehr besteht. Da
jedoch die Aufenthaltsdauer bei einer immer größeren Zahl zunimmt, ebenso die Zahl derjenigen, die dauerhaft ansässig sind, muss auch mit einer Zunahme neuer Staatsbürger gerechnet werden, auch unabhängig davon, ob das entsprechende Gesetz unverändert bleibt
oder, in Folge der derzeit im Parlament zur Diskussion stehenden Abänderungsvorschläge,
das Gesetz weniger restriktiv gestaltet wird.
Nur knapp die Hälfte der Migranten, die bereits die italienische Staatsbürgerschaft
oder die eines anderen EU-Landes hat und deswegen auch das Wahlrecht bei den Regional- und Gemeindewahlen hatte, ist im Mai 2007 auch wählen gegangen. 7 von 10
Befragten erachten es als sehr wichtig, dass ein ausländischer Bürger das Wahlrecht
hat, weil dieses Wahlrecht eine Chance für gesellschaftliche Teilhabe und ein Ausdruck
der Gleichberechtigung ist, wenn auch hierzu das Wahlrecht zur nationalen Parlamentswahl gehören sollte. Nur 1 von 10 tut das Wahlrecht als unbedeutend ab.
Sprache und Schule
Die Landesssprache ist ein hervorragendes Mittel zur Integration und mehr als 9 von
10 Befragten beherrschen sie recht gut, ja sogar sehr gut. Man darf jedoch nicht glauben,
dass dies nur für die ausgewählten Interviewpartner gilt: auch die anderen Migranten der
eigenen Zugehörigkeitsgruppe weisen ausreichende Sprachkenntnisse auf (8 von 10).
Obwohl in Italien, im Gegensatz zu Deutschland und anderen EU-Staaten, eine organische Strategie zum Erlernen der italienischen Sprache für Ausländer fehlt, spricht
doch nur 1 von 10 Befragten zu Hause nur die Muttersprache, während ansonsten
beide Sprachen oder sogar nur Italienisch gesprochen werden.
Dank der Beherrschung der italienischen Sprache sehen auch zwei Drittel der Befragten häufig italienisches Fernsehen, nur 1 von 10 tut dies selten. Dies gilt, so die
Aussagen der Befragten, auch für die Menschen der eigenen Zugehörigkeitsgruppe.
Um die Lage weiter zu verbessern, äußern alle den Wunsch nach einem größeren
Angebot an Sprachkursen, die besser an die Arbeitszeiten angepasst, nach unterschiedlichen Kenntnisebenen gestaffelt sind und die Erfordernisse der jeweiligen Nationalitäten stärker berücksichtigen. Des Weiteren sollte auch die Möglichkeit obligatorischer,
unentgeltlicher Sprachkurse für alle Ausländer in Betracht gezogen werden. Einige
weisen auch darauf hin, dass es sich positiv auf die Sprachkenntnisse auswirken würde,
wenn Italiener und Migranten mehr Zeit miteinander verbringen und mehr Kontakte
zueinander hätten.
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Die Hälfte der Befragten ist der Ansicht, dass Migrantenkinder in der Schule häufig oder gelegentlich Schwierigkeiten haben dem Unterricht zu folgen, und dies insbesondere wegen der Sprachschwierigkeiten bei der Einschulung. Doch dies sei nicht das
einzige Problem in der Schulklasse: Hinzu kämen emotionale, psychologische, kulturelle Probleme sowie die im Vergleich zum Heimatland unterschiedlichen Lehrpläne und
Schulsysteme sowie die mangelnde Unterstützung seitens der Eltern.
Zwei Drittel der Antworten heben die Tatsache hervor, dass das italienische Schulsystem dem multikulturellen Kontext nicht angepasst ist, da die Lehrpläne und Schulbücher die neue multiethnische Realität nicht berücksichtigen. Außerdem sollten Fortbildung und Motivation der Lehrer verbessert werden.
Angesprochen sind auch die Immigranten-Eltern: nur ein Drittel der Befragten bestätigt eine regelmäßige Teilnahme an Elternversammlungen in den Schulen ihrer Kinder.
Das Wohnungsproblem
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Die Wohnungssituation der Interviewpartner ist besser, als die der Mehrheit der
Migranten, von denen ihrer Ansicht nach 8 von 10 in einer kaum oder sogar nicht akzeptablen Wohnung leben.
Der Wunsch nach dauerhafter Niederlassung steht im Gegensatz zu den Wohnungsschwierigkeiten, die die Migranten als Mieter wie auch als Hausbesitzer haben. Mehr
als ein Drittel der ausgewählten Interviewpartner hat Eigentum - ein sehr hoher Prozentsatz, doppelt so hoch wie der Durchschnitt der Ausländer in Rom und Italien. Beide
Kategorien verursachen hohe Ausgaben, erstere wegen der hohen Mieten, letztere auf
Grund der teuren Bankkredite. Damit wird deutlich, dass der Integrationsprozess nicht
nur von nicht-materiellen Aspekten (Einstellung, kulturelle Ausrichtung, Bereitschaft
zur Verständigung), sondern auch von ganz konkreten Dingen (finanzielle Beiträge für
die Integrationsmaßnahmen, Investitionen in soziale Infrastrukturen) abhängt.
In einer großen Stadt wie Rom, geprägt vom ständigen Kommen und Gehen der Migranten, verwundert es nicht, dass 1 von 10 Einwanderern eine ständig wechselnde Wohnung hat:
bescheidene Pensionen die schon bald wieder verlassen werden müssen, weil die Ersparnisse
aufgebraucht sind; Freunde und Verwandte, die nur zeitlich begrenzt Unterkunft bieten können oder Unterbringung vom Arbeitgeber, die jedoch nur für die Dauer des Arbeitsverhältnisses genutzt werden kann, was zu Lasten der Familienbeziehungen geht. Andere versuchen
in Hinterzimmern unterzukommen, in einem verlassenen Gehöft, einer ausrangierten Werkstatt oder haben an den Ufern des Tibers kleine illegale Lager eingerichtet.
Diese extrem defizitäre Situation muss zu Maßnahmen der Gebietskörperschaften
und der nationalen Politik führen, die hierzu seit vielen Jahren eine völlig unzulängliche
Haltung eingenommen haben.
Der multireligiöse Zusammenhang
Die Religionsprobleme, die sich durch die Immigration in Italien ergeben, sind in
der Studie ganz bewusst behandelt worden. Damit wird ein spezifischer Aspekt Italiens
unterstrichen, der großes Interesse, nicht nur von deutscher Seite, sondern auch seitens
anderer EU-Staaten hervorzurufen scheint53.
(53) Zur Aktualisierung der Zahlen in Bezug auf die multireligiöse Anwesenheit sowie die dadurch
Ein Drittel der Befragten war der Ansicht, dass die unterschiedliche Religionszugehörigkeit bei der Bemühung um eine harmonische Integration ein Hindernis darstellt. In diesem Zusammenhang wird vor allem der Islam genannt, betroffen sind aber
auch alle anderen Religionen und die Menschen, die eine Religion praktizieren: es betrifft die Außensicht (Vorurteile, Instrumentalisierung seitens der Politiker und der
Medien) und das Innenverhältnis (fehlende Laizität, Rolle der Frau).
Es ist allgemein bekannt, dass bei der Bemühung um Integration das Religionsproblem häufig ein wirkliches Problem darstellt. Auch Italien ist davon nicht ausgeschlossen, obwohl es weniger akut als in anderen Ländern ist. Ausschlag gebend ist die sehr
diversifizierte Verteilung der verschiedenen Religionen: die Christen machen die Hälfte
(zu gleichen Teilen Katholiken und Orthodoxe), die Muslime ein Drittel der Gesamtzahl aus, auch die großen orientalischen Religionen sind stark vertreten, um nur die
wichtigsten Religionsgemeinschaften anzuführen.
Dieser Polyzentrismus hat dazu geführt, dass es keiner religiösen Gemeinschaft
möglich ist, ihre Forderungen in absolutistischer Form zu stellen. Man würde auch die
Problematik reduzieren, wenn der durch die Immigration entstandene multireligiöse
Kontext auf den Islam beschränkt und die anderen Religionen außer Acht gelassen
würden. Die Tatsache, dass Medien, Politiker und Vorurteile der Menschen das gegenseitige Verständnis nicht fördern, darf aber nicht dazu führen, dass die den verschiedenen Glaubensrichtungen innewohnenden Probleme vergessen werden, die vor allem
die personalen Rechte betreffen, ein Aspekt der nicht immer gesehen und diskutiert
wird, obwohl er von grundlegender Bedeutung für einen ernsthaften und respektvollen
Dialog ist. Dies hob auch ein Drittel der Befragten hervor.
In Rom, wo zwei Drittel der Migranten Christen sind und die katholische Kirche ihr Zentrum hat, scheinen die Dinge etwas besser zu laufen: dies Dank des bedeutsamen Einsatzes des päpstlichen Magisteriums (was auch die Fundiertheit der
Reaktionen auf die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. einschränkt), Dank
der Bereitschaft zur Zusammenarbeit seitens der Pfarreien (die in den Muslimen und
den anderen Gläubigen vor allem Brüder sehen), auch Dank der Offenheit der Verantwortlichen des islamischen Kulturzentrums in der großen Moschee in Rom und der
italienischen Sektion der Internationalen Muslimischen Liga. Hervorzuheben ist die
unermüdliche Arbeit der muslimischen interkulturellen Mediatoren, die im Sinne eines
friedlichen Zusammenlebens und auf der Grundlage der Achtung der unabdingbaren
gemeinsamen Grundnormen sowie des Respekts der Andersartigkeit in Rom mit den
Vertretern der katholischen und anderen Religionen (zum Beispiel im Rahmen des Forums per l’intercultura der Caritas Rom) zusammenarbeiten. Mühsam und schrittweise
setzt sich die Überzeugung durch, dass die Gläubigen aller Religionen eine besondere
Verantwortung haben Zeugnis gegenüber der realen Welt abzulegen, wenn sie vermeiden wollen, dass Religiosität hierzu in Widerspruch gerät. Diese reale Welt, die nicht
neu ist und nicht immer Ausgangspunkt für die Beziehungen und Auseinandersetzungen zwischen den Religionen war, erfordert von allen Verantwortlichen einen größeren
Einsatz auf der Suche nach gemeinsamen, nicht konfliktbelasteten Wegen.
entstehenden Probleme und Perspektiven, vgl. G. Gnesotto, F. Marsico, M. P. Nanni, F. Pittau, „Il panorama multireligioso in Italia“, in Caritas/Migrantes, Dossier Statistico Immigrazione 2007, Edizioni
Idos, Roma 2007, S.192-201.
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Von der ersten zu der zweiten Generation
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Die ausgewählten Interviewpartner bieten ein zwischen der ersten und zweiten
Generation differenziertes Bild.
Die erste Generation wird folgendermaßen geschildert: bemüht um Erfüllung der
Grundbedürfnisse (wie Wohnung und Arbeit), ohne große Erwartungen, angepasster,
naiver und eher bereit geduldig zu ertragen, gleichzeitig jedoch stark im Bewältigen der
Schwierigkeiten, stärker an den Kontakten zum Herkunftsland interessiert, eher zurückgezogen als integriert, ohne den Lebensplan der Migration wirklich erfüllt zu haben. Dies
ist Tatsache, obwohl die Vertreter der ersten Migrationsströme in Italien, im Gegensatz
zu Zuwanderern vieler anderer Länder, ein hohes Bildungsniveau haben. Der Anteil der
Ausländer mit Schul- und Berufsschulabschluss bzw. Fach- und Hochschulabschluss liegt
um 6% über dem der Italiener. Dies hat sie nicht daran gehindert, als Hilfsarbeiter zu arbeiten oder jedenfalls niedrigere Arbeiten anzunehmen, die von Italienern nicht ausgeübt
werden.
Die zweite Generation dagegen ist vollkommen integriert, daran interessiert aller
Rechte teilhaftig zu werden und nicht bereit die niedrigen Arbeiten ihrer Eltern auszuführen, deren Lebensstandard sie enttäuscht. Jedoch ist diese weniger stark in der
Bewältigung von Schwierigkeiten und – wie die Statistiken beweisen - fehlt es ihr an
dem hohen Bildungsniveau ihrer Eltern.
Durchaus erwähnenswert ist die Tatsache, dass dieser harte Vergleich von den Angehörigen der ersten Generation selbst gemacht wird und darauf schließen lässt, dass
auch in Italien das Zusammenleben mit der zweiten Generation durchaus schwierig
werden kann, sofern nicht auf gesetzlicher und gesellschaftlicher Ebene konsequent
vorgegangen und den positiven Beispielen gefolgt wird, die eine gute soziale Praxis
hervorgebracht haben.
Zukunftsperspektiven: der Vorzug gilt jedenfalls Rom und Italien
Die Schwächen Italiens und der Italiener beruhen auf einer Mischung aus unangemessenen Gesetzen, Vorurteilen und Misstrauen sowie konkreten Schwierigkeiten
bei Bürokratie, sozialen Diensten und Wohnraum. Ihre Stärken sind sicher die Solidarität, untermauert durch konkrete Leistungen im Gesundheitsdienst, beim Zugang zur
Schulbildung und zu sozialen Diensten. Rom ist
nicht nur die Stadt, in der man sich vorübergehend aufhält, sondern in der ein großer
Teil (4 von 10) der Befragten auch dauerhaft leben will. Diejenigen, die bereit wären in
eine andere Stadt zu ziehen, würden Bologna, Siena, Triest, Florenz oder, allgemein gesagt, eine Stadt des Nordens oder des Südens wählen. Die Gründe dieser Vorlieben wurden nicht hinterfragt, da sie auch von den persönlichen Vorstellungen und Beziehungen
abhängen bzw. und von der Faszination, die andere Städte ausüben. Rom schneidet
jedenfalls sehr gut ab. Die Gründe für eine Niederlassung in dieser Stadt sind sehr
konkret und weniger ideell: das tägliche Leben ist einfacher, mehr Arbeitsmöglichkeiten, der Familien- und Freundeskreis, die Verfügbarkeit von sozialen Diensten. Hinzu
kommen anspruchsvollere Begründungen: Rom als internationale und multiethnische
Stadt, ästhetisch schön und den Migranten gegenüber offener, mit einer geringeren
Neigung zur Diskriminierung. Wir haben es hier mit einem Bonus an Wertschätzung
und Anhänglichkeit zu tun, der bei den Maßnahmen zur Aufnahme von Zuwanderern
und beim persönlichen Verhalten nicht gering geschätzt werden sollte.
Die Länder in denen es sich nach Ansicht der Befragten als Migrant am Besten
leben lässt, sind Großbritannien, Holland und Schweden, denen das mediterrane Spanien mit mehr als 20 Angaben, folgt. Die zwei bedeutenden Immigrationsländer Deutschland und Frankreich werden nicht einmal erwähnt. In Bezug auf die angegebenen
Länder werden deren Immigrationspolitik und Gesetzgebung, das der Multiethnizität
gegenüber offenere Gesellschaftsmodell, die besseren Arbeitsmöglichkeiten und der
besserer Wohlfahrtsstaat geschätzt.
Italien insgesamt schneidet jedoch noch besser als Rom ab und behauptet sich als
jenes Land, in dem die Hälfte der Befragten sich dauerhaft niederlassen möchte und als
Land, das zwei Drittel den anderen EU-Staaten vorzieht. Die Befragten sind mit dem
Gesamtkontext, der Lebensqualität und den geknüpften Beziehungen zufrieden und
wollen nicht woanders noch einmal von vorne anfangen.
Wie die Dinge in Italien weitergehen werden, ist nach Ansicht der befragten Migranten offen. Ein Teil glaubt, dass es zu einer Verbesserung der Situation kommen
wird (die größere Gruppe, aber weniger als die Hälfte), ein anderer Teil ist skeptischer
(ein Drittel der Gesamtzahl). Diese Licht und Schatten-Darstellung spiegelt die unbeständige Beziehung zwischen italienischer Gesellschaft (auch der Stadt Rom) und der
Immigration wider, eine Art „Liebes-Syndrom“ („Ich möchte und möchte doch nicht“),
denn einerseits wird die Notwendigkeit der Migranten zur Unterstützung des Arbeitsmarktes anerkannt, andererseits ist man nicht zu hundert Prozent bereit mit ihnen
auf gesellschaftlicher und individueller Ebene zusammenzuleben. Gesetzgeber und
Gebietskörperschaften haben also noch viel Arbeit vor sich.
Es war vorauszusehen, dass die Mehrheit (6 von 10) den Einflusses der EU auf die Migrationspolitik Italiens und die der anderen Mitgliedstaaten als wichtig erachtet. Dennoch
war verwunderlich, dass immerhin ein Fünftel der Antworten hierbei skeptischer waren.
Zitate der Betroffenen54
Meinungen zur Integration
„Es handelt sich um einen Prozess, dessen Ziel die aktive Beteiligung der Migranten am
wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und politischen Leben des Landes ist“.
„Was uns von den Anderen unterscheidet sind nur kulturelle Aspekte, die, wenn sie
angemessen genutzt werden, eine große Bereicherung sein können. Wir müssten einen
Schritt weiter gehen und an die Person, an die Menschlichkeit, an die Menschheit, die
jeder von uns in sich trägt, denken, an all das was uns verbindet. Wir hegen alle die gleichen Träume, den selben Wunsch, unseren Kindern eine friedliche und bessere Welt zu
hinterlassen, in der das Wort ‚Ausländer’ nicht mehr vorkommt“.
„Eigentlich möchte ich nicht von Integration sondern von Interaktion sprechen. Meiner Ansicht nach ist es wichtig, dass beide Seiten, also die der Ausländer wie auch die der
Italiener, lernen zusammen zu leben und bereit sind gegenseitig die Welt des Anderen kennen zu lernen. Es geht auch um die Bereitschaft, die verschiedenen Kulturen erforschen
zu wollen, sie zu verstehen, aber auch – wenn nicht vor allem – sie zu respektieren. Die
Interaktion muss schon aus ihrer Definition heraus gegenseitig sein, muss friedlich und
(54) Herausgegeben von Chiara Mellina und Kamila Kowalska.
99
von den Menschen bewusst gewollt werden, ohne Angst vor dem Unbekannten und dem
Anderen.“
„Um von Integration sprechen zu können, müssen wir als erstes aus unserer Denkweise jene Schranken verbannen, die uns trennen.“
„Wenn von Integration gesprochen wird, ist meist gemeint, dass die Migranten
sich einfügen sollen, ohne die Italiener zu stören, sich also so integrieren sollen, dass
sie den Italienern ähnlicher werden.“
Hinweise zur Verbesserung der Integration?
100
„Den Migranten bei seiner Ankunft als Bringer von Wissen und Kompetenzen anerkennen, die er in seinem Land erworben hat, und versuchen, alle seine Fähigkeiten
auf kreative, offene und konstruktive Weise zu achten, ohne ihn unterqualifiziert zu
beschäftigen, auf dass er nicht einfach auf zwei Arbeitsarme für die italienische Wirtschaft reduziert wird.“
„Allem voran müssen das Staatbürgerschaftsgesetz sowie das Bossi-Fini-Gesetz abgeändert werden. Aufenthaltsgenehmigungen und Zuwanderungsquoten müssen im Einklang mit der Integrationspolitik gestaltet werden. Des Weiteren ist eine schnellere Anerkennung der im Ausland erworbenen Abschlüsse und größere Aufmerksamkeit gegenüber
den minderjährigen Ausländern erforderlich. Die Zerfaserung der Maßnahmen sollte überwunden und auf nationaler Ebene eine koordinierte Abstimmung eingeleitet werden“.
„Um die Situation zu verbessern, müsste man als Erstes die Vorstellungen darüber
was Integration ist, von Grund auf ändern. Man müsste versuchen, dass sich Italiener
und Migranten gegenseitig annähern und dabei die rein einseitige Ausrichtung vermeiden, Migranten hätten auf Italiener zuzugehen.“
„Um dies zu verwirklichen muss seitens aller politischen Parteien und der Massenmedien, den Themen der Migration größere Beachtung entgegengebracht werden,
ebenso sollte die öffentliche Meinung stärker sensibilisiert werden.“
„Des Weiteren müssen die von Gesetz und Verfassung anerkannten Rechte (z.B.
was Asyl und Nicht-Diskriminierung anbelangt) geachtet und verteidigt werden. Weitere Rechte, wie das Wahlrecht, müssen gesetzlich anerkannt werden.“
„Das was wirklich getan werden sollte ist vielleicht nicht ‚integrieren’, sondern
‚gemeinsam schaffen’.“
Die Integration von Migranten in Rom (Mai-Juni 2007) – Untersuchung des
„Dossier Statistico Immigrazione“55 – in Zusammenarbeit mit der Deutschen
Botschaft Rom56
Welche wichtigen Mängel sollte Italien gegenüber den Migranten vermeiden? (Stelle eine Prioritätenliste auf)
a.W.
%
Ausbeutung am Arbeitsplatz und Schwarzarbeit
34
17,6
Immobilienmarkt (Probleme mit Unterkunft, Wohnung, Mieten, Hypotheken)
30
15,5
(55) Interviews und Statistik von Chiara Mellina und Kamila Kowalska-Angelelli
(56) Mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung
Mentalität, Vorurteile, Stereotypen, Misstrauen der Leute
29
15,0
Zugang zu den sozialen Dienstleistungen
23
11,9
Zugang zur Erwachsenenbildung, mehr Kurse für italienische Sprache und Kultur,
Probleme der Anerkennung von Berufsabschlüssen
19
9,8
Gesetzeslücken und widersprüchliche Gesetze
16
8,3
Verwaltungswege, Druck durch die Bürokratie
15
7,8
Keine Räumlichkeiten, für Treffpunkte von Migranten oder für die Religionsausübung
9
4,7
Erwerb der Staatsangehörigkeit
6
3,1
Ungenügende Vorbereitung der Schulen auf die Veränderungen
6
3,1
Rassismus in den Behörden
2
1,0
Wahlrecht für die Migranten
1
0,5
Keine Probleme, wer hier leben will, muss sich anpassen
1
0,5
Dienstleistungen des Gesundheitswesens
Dienstleistungen der Banken
1
1
0,5
0,5
ANTWORTEN INSGESAMT
Welche Vorteile bietet Italien? (Stelle eine Prioritätenliste auf)
193 100,0
a.W.
%
Gesellschaftliche Solidarität, Menschlichkeit der Italiener, Aufgeschlossenheit und
Aufnahme seitens der Gesellschaft insgesamt
Recht auf Bildung und Zugang zum Bildungswesen (Rechte der Kinder)
31
25,0
25
20,2
Gesundheitliche Versorgung
20
16,1
Ein (verglichen mit der Vergangenheit) leichterer Zugang zu sozialen Dienstleistungen
Vorhandensein von Kultstätten zur Ausübung der verschiedenen Religionen
11
8
8,9
6,5
Allgemeine Freiheit
6
4,8
Vereinigungen (auch zur Organisation von Kursen für italienische Sprache und Kultur)
5
4,0
Keine Vorteile
4
3,2
Man findet leicht Arbeit (wenn auch schlechtbezahlt und „unterqualifiziert”), vor
allem im Gaststättengewerbe und in der Gebäudereinigung
4
3,2
Allgemeine Flexibilität im Alltagsleben
3
2,4
Ich weiß nicht
3
2,4
Chance sich selbständig zu machen
2
1,6
Gut organisierte Informationsstellen/Beratungsstellen für Ausländer
1
0,8
Gleichberechtigung
1
0,8
ANTWORTEN INSGESAMT
124 100,0
Worin unterscheiden sich vor allem die Erwartungen zwischen der ersten und der folgenden
Generation?
a.W.
%
101
63
100
a.W.
36
%
57,1
18
28,6
unwichtig
8
12,7
wichtig, aber ich weiß nicht, ob es sehr wichtig ist oder nicht
1
1,6
20
31,7
11
17,5
6
6
9,5
9,5
nicht so wichtig
Die erste versucht, etwas aufzubauen, ist aber zwischen beiden Ländern hin- und
hergerissen; die zweite fühlt sich weder als Italiener, noch als Ausländer
Die erste fühlt sich stärker und erträgt alle Schwierigkeiten; die zweite ist schwächer
und lebt zwischen zwei Ländern
Die erste nimmt alles schwerer; die zweite ist vom Leben der Eltern enttäuscht
4
6,3
4
6,3
2
3,2
um ein Bürger mit allen Rechten zu sein
Die erste lebt zurückgezogen und weniger integriert; die zweite hat keine Komplexe
und will alle Rechte
Keine Unterschiede festgestellt
2
3,2
um nicht als Ausländer diskriminiert zu werden
2
3,2
um die eigenen beruflichen Aussichten zu verbessern
Es gibt keine Unterschiede: es ist für alle schwer
1
1,6
als Ausdruck einer endgültigen Eingliederung
Die erste hat ihr Migrationsprojekt nicht umgesetzt; die zweite braucht die Eltern
1
1,6
Es gibt kaum Unterschiede zwischen den Generationen; die zweite hat keine Pläne
1
1,6
Ich weiß nicht
3
4,8
ANTWORTEN INSGESAMT
102
ANTWORTEN INSGESAMT
Die erste will „Grundbedürfnisse” (Arbeit, Wohnung); die zweite wie die Italiener
leben können
Die erste ist naiver/angepasster/moderner Sklave/ohne Erwartungen, erträgt alles;
die zweite ist fähiger, aktiver, integriert, fordernd, will nicht mehr die niedrigen
Arbeiten der Eltern verrichten
Die erste ist weniger integriert; die zweite ist völlig integriert
Die erste will weiterhin zum Herkunftsland Kontakte halten; die zweite eher weniger
sehr wichtig
63 100,0
Nehmen die Migranten, die du kennst, an von Italienern organisierten kulturellen, politischen
und anderen Veranstaltungen teil?
a.W.
%
oft
16 25,4
manchmal
31
49,2
selten
16
25,4
nie
ANTWORTEN INSGESAMT
Wie wichtig ist für dich die italienische Staatsbürgerschaft?
63 100,0
Siehst du italienisches Fernsehen?
ANTWORTEN INSGESAMT
63 100,0
Wenn ja, welcher Grund ist am wichtigsten? (mehrere Antworten sind erlaubt)
33
42,9
6
7,8
16
20,8
8
10,4
Andere Antworten
14
18,2
ANTWORTEN INSGESAMT
77 100,0
Wie könnte man das Integrationskonzept definieren?
a.W.
37
%
36,3
19
18,6
Keine Diskriminierung
8
7,8
Interaktion
Sich dem neuen Rahmen anzupassen, ohne auf die eigenen Eigenschaften verzichten zu müssen
Ein Dialog verschiedener Standpunkte, eine Gegenüberstellung von Ideen, ein
Verlassen des Egozentrismus
Man fühlt sich wohl, auch wenn man nicht in dem Land lebt, in dem man geboren wurde
7
7
6,9
6,9
7
6,9
5
4,9
Feste Beziehungen, stabiles Leben, Wohnung, Arbeit, Familie
4
3,9
Gegenseitige Anerkennung und Achtung, Achtung der Unterschiede, Ausübung der
gleichen Rechte
Friedliches Zusammenleben
oft
41
65,1
Grenzen abzuschaffen
2
2,0
manchmal
14
22,2
Es ist ein dornenreicher (schwieriger) Weg, der von oben angegangen werden muss
2
2,0
selten
7
11,1
Kein Beitrag
2
2,0
nie
1
1,6
Das Recht auf die Staatsbürgerschaft
1
1,0
Ich weiß nicht
1
1,0
ANTWORTEN INSGESAMT
63 100,0
Sehen die Migranten, die du kennst, italienisches Fernsehen?
ANTWORTEN INSGESAMT
oft
37
58,7
manchmal
19
30,2
7
11,1
selten
nie
102 100,0
Was muss konkret geschehen, damit die Integration besser verläuft? (Stelle eine Prioritätenliste auf)
a.W.
%
Erwachsenen und Kindern beibringen sich gegenseitig zu achten, Erziehungspro22 19,5
gramme, Beziehungen knüpfen, die auf Gleichheit aufbauen, und alle, Einheimische
wie Ausländer, einbeziehen
103
In der ganzen italienischen Gesellschaft gegen Vorurteile und vorgefasste Meinungen kämpfen/ mehr Auseinandersetzungen
Gezielte politische Maßnahmen und geeignete Strafen bei Vergehen. Das gegenwärtig gültige Gesetz abändern, mehr Kontrolle der Zuwanderung und vor allem der
Ausbeutung von Migranten
Förderung der gesellschaftlichen Eingliederung, Wohnung, Arbeit, Ausbildung,
Familienzusammenführung
Mehr staatliche finanzielle Förderung für die Integration und die Verbände und
weniger für die Kontrolle
Kurse für das Erlernen der italienischen Sprache und Kultur, Geschichtsunterricht
über die verschiedenen Herkunftsländer für die Italiener und Italiens für Ausländer
104
21
18,6
16
14,2
11
9,7
6
5,3
5
4,4
Förderung einer Staatsbürgerschaft der Teilhabe, gemeinsam und solidarisch, bei der der
Einheimische wie der Migrant zusammen agieren; beide Seite Projektträger und Umsetzer
4
3,5
Keine Diskriminierung bei der Anerkennung der Kompetenzen und beruflichen
Abschlüsse der Ausländer
Gleiche Rechte und Pflichten
4
3,5
4
3,5
Zielgerichtete Projekte im öffentlich-rechtlichen und privaten Bereich
3
2,7
Mehr Kuturmediatoren insbesondere in öffentlichen Einrichtungen (Krankenhäuser,
Polizeipräsidien, öffentliche Verwaltung, usw.)
3
2,7
Mit einer neuen Wohnungspolitik beginnen
3
2,7
Kein Beitrag
3
2,7
Verständliche Gesetze
2
1,8
Ein Ministerium für Migration
2
1,8
Informationen
2
1,8
Mit solchen Interviews aufhören und damit beginnen, einander kennenzulernen
1
0,9
Ich weiß nicht
1
0,9
ANTWORTEN INSGESAMT
113 100,0
deren beide Eltern im Herkunftsland geboren sind. Die Studie umfasst die Migrationsbiografien und
die sozialen Rahmenbedingungen des Aufwachsens, die Rolle und die Bedeutung der Familie, Freizeit und Freundschaften, Schule und Ausbildung, Mehrsprachigkeit und Sprachmilieu, Vorstellungen von Partnerschaft, Erziehung und Geschlechterrollen, Körperbewusstsein und Sexualität,
Ethnizität und psychische Stabilität, Religiosität und Inanspruchnahme von Beratungsangeboten
in Krisen. Befragt wurden von November 2001 bis März 2002 insgesamt 950 (davon 183 italienische) Mädchen und unverheiratete Frauen im Alter von 15 bis 21 Jahren. Die Erhebung erfolgte
mittels Zufallsauswahl in verschiedenen Regionen durch persönliche Interviews und basiert auf
einem Fragebogen mit 138 Fragen.
Für den vorliegenden Sammelband wurde die Kurzfassung des Kapitels „Herkunft zählt:
Ethnizität und psychische Stabilität“ ausgewählt (die Tabellen und die Graphik sind der Langfassung entnommen). Die Studie kann auf den Internetseiten des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abgerufen werden: http://www.bmfsfj.de.
Herkunft zählt: Ethnizität und psychische Stabilität
Das Selbstverständnis und die psychische Befindlichkeit von Mädchen und jungen
Frauen mit Migrationshintergrund wird sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der
Fachdiskussion nicht selten mit Metaphern umschrieben, die auf Instabilität hinweisen.
Sie lebten, so wird gesagt, „zwischen zwei Stühlen“ oder „zwischen den Kulturen“. Auch
in die Diskussion eingebrachte Begriffe eines Lebens „auf beiden Stühlen“ oder „des dritten Stuhls“ bewirken kaum, dass Vorstellungen Verbreitung finden, die Zweisprachigkeit
und Bikulturalität als Ressource einordnen. Zuwanderung wird in der Regel als Kosten
bilanziert und daher mit Vorstellungen von Verlust der ethnischen oder kulturellen Identität, Identitätsdiffusion und psychischer Gefährdung in Verbindung gebracht.
Ethnizität
Ethnizität ist seit langem die Schlüsselkategorie zur Beschreibung der Selbstverortung der Zugewanderten und zur Erklärung von Verhaltensweisen dieser Gruppe,
sowohl von Konflikten zwischen verschiedenen Zuwanderergruppen als auch von Zugewanderten und Deutschen. Ethnizität wird auf der einen Seite als ethnische Verortung (ethnische Identifikation), auf der anderen Seite als sich Wohlfühlen in ethnischen
Beziehungen verstanden.
Die Mädchen verorten sich kaum als Deutsche
Lebenslage von Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund
Studie im Auftrag des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning (Universität Duisburg/Essen) und Prof. Dr.
Yasemin Karakaşoğlu (Universität Bremen)
Die in 2004 veröffentlichte Studie „Viele Welten leben“ beruht auf einer Untersuchung der
Lebenslagen von Mädchen und jungen Frauen mit griechischem, italienischem, jugoslawischem
und türkischem Migrationshintergrund und aus Aussiedlerfamilien aus Russland (meist im 18.
Jahrhundert emigriert, oft ohne Deutschkenntnisse). Gefragt wurden Mädchen und junge Frauen,
Die Frage nach der ethnischen Selbstverordnung folgt Konzepten, die von der
Möglichkeit ausgehen, dass sich ein Mensch gleichzeitig verschiedenen Gruppen in
unterschiedlicher Stärke zuordnet und somit seine Identität konstruiert. Die jungen
Frauen bekamen die Möglichkeit, sich sowohl als Deutsche, wie auch als Angehörige der Herkunftsgruppe und/oder der Religionsgruppe und/oder der Stadt und/oder
als Europäerin und/oder als Ausländerin zu identifizieren (ein aktuelles Stichwort ist
hierbei die „Hybridität“ von Identitäten in Zuwanderungsgesellschaften). Trotz der
Möglichkeit, mehrere Verortungen vorzunehmen, fühlen sich nur wenige der Mädchen
und jungen Frauen (auch) als Deutsche (3% „sehr stark“ und 15% „stark“). Ein erheblicher Teil wehrt diese Verortung ab (22% „wenig“ und 23% „gar nicht“). Die ethnische
Selbstverortung als Deutsche findet die geringste Zustimmung und die größte Ablehnung von allen Vorgaben, gefolgt von der Selbstdefinition als Ausländerin.
105
Die Mädchen und jungen Frauen aller nationalen Hintergründe verorten sich hingegen überwiegend als Angehörige der Herkunftsgruppe. Nahezu drei Viertel (genau: 37%
„sehr stark“ und 34% „stark“) fühlen sich (auch) als Angehörige der Herkunftsgruppe, nur
sieben Prozent (4 Prozent „wenig“ und 2% „gar nicht“) wehren eine solche Zuordnung ab.
Im Vergleich zwischen der ethnischen Verortung als Deutsche oder als Angehörige der
Herkunftsgruppe ist die Zahl derer, die sich nur als Deutsche verstehen, mit 8 Prozent
äußerst gering, die Zahl derjenigen, die sich nur als Angehörige der Herkunftsgruppe
verstehen, mit 61 Prozent sehr groß. Als beiden zugehörig versteht sich mit 10 Prozent
ebenfalls nur eine kleine Minderheit. Dieses sind weniger als diejenigen, die beide Zuordnungen zurückweisen (21%). Es sind die Mädchen mit griechischem (77%) und italienischem (65%) Hintergrund, die sich in dieser Gegenüberstellung ausschließlich in der
Herkunftsgruppe verorten. Und es sind die mit türkischem (59%) und jugoslawischem
(56%) Hintergrund, die sich nur als herkunftsgruppenzugehörig benennen. Dieses führt
kaum zu einer stärkeren Akzeptanz einer deutschen ethnischen oder zu einer bikulturellen Verortung. Ein Blick auf die Mädchen und jungen Frauen aus Aussiedlerfamilien
zeigt, dass sich bei ihnen nur eine ausgesprochene Minderheit von 14 Prozent nur als
Deutsche, die Mehrheit von 48 Prozent als herkunftsgruppenzugehörig fühlt. Eine besonders große Zahl von 28 Prozent wählt weder das eine noch das andere.
Die Mädchen und jungen Frauen aller nationalen Hintergründe fühlen sich demnach überwiegend mit der Herkunftsgruppe ethnisch verbunden, nur eine ganz kleine
Zahl verortet sich als Deutsche oder als bikulturell.
106
Sich-Wohlfühlen in Deutschland ist durchgängig gegeben.
Die meisten Mädchen und jungen Frauen aller Herkünfte fühlen sich in Deutschland wohl, allerdings auch in der eigenen Ethnie in Deutschland, und auch im Herkunftsland. Es sind die Mädchen mit türkischem, gefolgt von denen mit jugoslawischen
Hintergrund, die emotional am konsequentesten an Deutschland und deutlich weniger
am Herkunftsland (der Eltern) orientiert sind und es sind die mit griechischem Hintergrund, die sich häufiger im Herkunftsland emotional aufgehoben fühlen.
(a.W.)
Kontakte finden häufiger in ethnischen als in deutschen oder multikulturellen Kontexten statt.
Die Freizeit wird von deutlich mehr Mädchen und jungen Frauen im Kontext der
eigenen Herkunftsgruppe als im multikulturellen oder deutschen Kontext verbracht.
Die Ausdifferenzierung nach Herkunftsgruppen offenbart ein sehr unterschiedliches
Bild. Die Mädchen und jungen Frauen mit türkischem (71%) und griechischem (65%) Hintergrund sowie die Aussiedler (69%) verbringen ihre Freizeit nur wenig im einheimischen
deutschen Kontext. Wenig Bedeutung hat für diese Herkunftsgruppen auch der multikulturelle Kontext. Von Interesse ist das Ergebnis, dass Mädchen und junge Frauen mit türkischem Hintergrund ihre Freizeit zu fast gleich großen Anteilen wenig bzw. viel in einem
eigenethnischen Freundinnen/Freundeskreis verbringen, während bei der griechischen
Herkunftsgruppe und den Aussiedlerinnen deutlich wird, dass sie ihre Freizeit überwiegend in einer eigenethnischen Gruppe von Freundinnen und Freunden verbringen.
Ein Blick auf die Interkorrelation belegt, dass Mädchen und junge Frauen, die
ihre Freizeit im ethnischen Kontext verbringen, sich nur wenig im deutschen Kontext
aufhalten. Über ein Drittel Mädchen mit türkischem und jugoslawischem Hintergrund
(jeweils 30%), aber mehr als zwei Drittel der jungen Aussiedlerinnen (70%) bewegt sich
überwiegend im ethnischen Kontext.
107
Die Ehe mit einem deutschen Mann ist für einen erheblichen Teil der
Mädchen und jungen Frauen nicht vorstellbar.
Der Wunsch nach ethnisch homogenen persönlichen Beziehungen besteht vor allem
bei Mädchen mit türkischem und griechischem Hintergrund. Die Ehe mit einem (einheimischen) deutschen Mann lehnen 38 Prozent (16% „auf keinen Fall“) der Mädchen
mit italienischem Hintergrund, 47 Prozent (22%) der Aussiedlerinnen, 54 Prozent (28%)
derjenigen mit jugoslawischem Hintergrund, aber 66 Prozent (41%) der Mädchen mit
griechischem und 78% (48%) mit türkischem Hintergrund ab. Die Vorstellung einer Kulturverbindung über eine binationale Ehe liegt damit den Mädchen und jungen Frauen
zu einem erheblichen Teil fern. Die Mädchen und jungen Frauen mit türkischem Hintergrund antizipieren am häufigsten Einwände ihrer Eltern, zu gleichen Teilen bei der
Mutter wie bei dem Vater. Am wenigsten Widerstand der Eltern erwarten Mädchen und
junge Frauen italienischer Herkunft und junge Aussiedlerinnen.
Die formale Mitgliedschaft in Form der deutschen Staatsangehörigkeit
wird vor allem von Mädchen mit türkischem Hintergrund angestrebt.
108
Die formale Mitgliedschaft in Form der deutschen Staatsangehörigkeit wird vor allem von Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund gewünscht. Abgesehen von den
Mädchen und jungen Frauen aus Aussiedlerfamilien, die weitestgehend über die deutsche
Staatsangehörigkeit verfügen, besitzt nur bei den Mädchen mit türkischem (81%) und jugoslawischem (65%) Hintergrund ein größerer Teil die deutsche Staatsangehörigkeit oder hat
Interesse an einer formalen Mitgliedschaft über die Beantragung oder den Wunsch danach.
Mädchen mit griechischem und italienischem Hintergrund sind nicht interessiert, weil sie
– anders als erstere – im Erwerb des deutschen Passes keine Vorteile sehen.
(a.W.)
Die künftige Lebensplanung ist bei einigen Herkunftsgruppen eindeutig
auf Deutschland ausgerichtet.
Mädchen mit jugoslawischem und türkischem Hintergrund sehen ihre Zukunft zu
drei Vierteln eindeutig in Deutschland, Mädchen mit italienischem Hintergrund nur
zur Hälfte (ein Viertel im Herkunftsland) und mit griechischem Hintergrund zu einem
Viertel. Nur die zwei letzten Gruppen sind überwiegend bereit, für ein interessantes
Berufsangebot in das Herkunftsland der Eltern umzuziehen. Deutschland ist (nur) für
Mädchen aus Aussiedlerfamilien und mit türkischem und jugoslawischem Hintergrund
zum künftigen Lebensmittelpunkt geworden. Für einen Teil der Mädchen mit italienischem Hintergrund und der Mädchen mit griechischem Hintergrund enthält die Lebensplanung die Vorstellung von Rückkehr in das Herkunftsland der Eltern.
Es gibt kaum Bereitschaft zur Anpassung an deutsche Bräuche. Bei dem
überwiegenden Teil bleibt das Leben in der Schwebe zwischen den beiden Ländern.
Die Anpassung an deutsche Sitten und Gebräuche wird zurückgewiesen. Nur die
Mädchen aus Aussiedlerfamilien sind zu einem größeren Teil der Meinung, dass von
jemandem, der schon lange in Deutschland lebt, Anpassungsleistungen im Hinblick
auf Kleidung und Essgewohnheiten erwartet werden können.
Selten findet sich die Bereitschaft zur Aufgabe der Herkunftskultur der Eltern,
aber es besteht die Bereitschaft zur Anpassung an funktionale Aspekte.
Kaum ein Mädchen hält die Aufgabe der Kultur der Eltern für akzeptabel. Aber
immerhin zwischen 15 Prozent (Befragte mit griechischem Hintergrund), 35 Prozent
(Befragte mit türkischem Hintergrund) und 40 Prozent (Aussiedlerinnen) akzeptieren
die überwiegende Erziehung der Kinder in der deutschen Sprache. Positiv eingestuft
wird eine funktionale Beziehung zum deutschen Kontext. Weitaus die meisten Mädchen und jungen Frauen erwarten von Personen, die schon lange in Deutschland leben,
die Beherrschung der deutschen Sprache (78% bis 91%), etwas weniger die Aufnahme
von Kontakten zu Deutschen (64% bis 80%).
Es besteht eine starke eigenethnische Identifikation bei allen Gruppen.
Bei allen Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund ist die Zahl derer, die eine starke ethnische Identifikation mit der Herkunftsgruppe besitzen, deutlich
größer als die mit geringer ethnischer Identifikation. Am stärksten ausgeprägt ist die
Bindung an die eigene Ethnie bei den Mädchen und jungen Frauen mit griechischem
(80% „stark“ und „sehr stark“), gefolgt von denen mit italienischem (78%) Hintergrund.
Mädchen aus Aussiedlerfamilien und Mädchen mit türkischem Hintergrund haben
niedrigere Werte: Ihre Identifikation gilt weniger dem Herkunftsland der Eltern als
vielmehr der eigenethnischen Gruppe und Familie in Deutschland.
Psychische Stabilität: Die Zufriedenheit mit der Lebenssituation ist groß.
Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund sind mit ihrer Lebenslage
überwiegend zufrieden, vor allem mit der Wohngegend (64%) und mit dem schulisch
109
und beruflich Erreichten (56%), weniger mit der Freizeit (49%) und mit der finanziellen
Situation (47%). Unzufriedener als die Übrigen sind Mädchen und junge Frauen aus
Aussiedlerfamilien.
Eine große Zahl von Mädchen lebt ohne psychosomatische Beschwerden
und ist psychisch stark.
110
Mädchen mit Migrationshintergrund sind überwiegend psychisch stark. Aber es
gibt eine nicht unerhebliche Zahl (9% bis 18%) von Mädchen mit Migrationshintergrund, die sich selbst als psychisch belastet definieren. Bei der Zahl von Mädchen mit
psychosomatischen Beschwerden (Konzentrations- und Schlafstörungen nennen 24%)
sind die Mädchen mit türkischem Hintergrund überrepräsentiert (32%). Auch bei Fragen nach psychischer Stärke und denen, wo sich die überwiegende Zahl der Mädchen
als glücklich, voller Energie, „gut drauf“, und nicht als einsam und nicht traurig präsentiert, sind neben Mädchen und jungen Frauen aus Aussiedlerfamilien die mit türkischem Hintergrund in den negativen Bewertungen überrepräsentiert.
Persönliche Krisen (Streitigkeiten in der Familie, Verlust einer wichtigen Person,
Trennung vom Partner und Zurückstufung bzw. sitzen bleiben in der Schule) bilden
die am häufigsten erlebten kritischen Lebenssituationen. Wenn sie erfahren werden,
werden sie in der Regel als Belastung empfunden.
In diesem Themengebiet wurden auch Kontrollüberzeugungen erhoben, die ermitteln,
ob interne oder äußere Kontrolle als maßgeblicher angesehen wird. Interne Kontrolle verbindet sich mit Vorstellungen von Selbstregulierung und Innenlenkung und damit auch
mit Autonomie des selbstverantwortlich handelnden Individuums in der Moderne. Externe
Kontrolle verbindet sich mit Außenlenkung, Passivität und der Zuweisung von Ursachen
für Erfolg oder Misserfolg an Instanzen außerhalb der eigenen Handlungsmöglichkeiten.
Die Mehrheit der Mädchen mit Migrationshintergrund stimmt Aussagen zu, welche die
eigene Verantwortung betonen und damit auf internale Kontrolle hinweisen. Sie lehnt die
Items ab, welche die Außenlenkung und damit eine externale Kontrolle betonen.
Die Vorstellung eines psychisch belasteten und hilflosen Mädchens mit Migrationshintergrund, das „wenig Zukunftsperspektiven und kaum Möglichkeiten zur aktiven
Lebensgestaltung“ hat und „vielfach ihrer Situation hilflos ausgeliefert“ ist, wird durch
unsere Daten widerlegt. Mädchen mit Migrationshintergrund werden in den Gestaltungsmöglichkeiten ihrer – objektiv von ungünstigen Faktoren beeinflussten – Lebenswelt oft unterschätzt.
Migrationsspezifische belastende Lebensereignisse werden seltener erlebt als persönliche Krisen.
Angesichts der spezifischen Migrationsbiografien verwundert es nicht, dass die
Ausreise nach Deutschland von einem Drittel der Mädchen und jungen Frauen aus
Aussiedlerfamilien als belastende Lebenssituation empfunden wird/wurde. Jede dritte Aussiedlerin (33%) und jede fünfte Befragte mit jugoslawischem Migrationshintergrund (21%) gibt an, dadurch „sehr stark“ oder „stark“ belastet zu sein. Bei diesen zwei
Herkunftsgruppen gibt es die höchsten Anteile an denen, die einer starken Belastung
wegen der Arbeitslosigkeit der Eltern ausgesetzt sind. (12% der Befragten jugoslawischer Herkunft und 11% der Aussiedlerinnen).
Rassistische Abwertung, seltener in Form von körperlichen Angriffen im öffentlichen
Raum (von 4% erlebt), häufiger in Form von verbalen Angriffen (22%), der schlechten
Behandlung in der Schule, der Ausbildung (22%) oder in Geschäften bzw. Ämtern (24%),
noch häufiger als Verbot der Benutzung der Herkunftssprache in der Schule (30%) erlebt, stellen bei denjenigen, die sie erleben, Ereignisse mit hohem Belastungsgrad dar.
Erlebt haben solche Situationen häufiger Mädchen und junge Frauen mit türkischem
Hintergrund und aus Aussiedlerfamilien. Allerdings wirken sie sich wegen des seltenen
Vorkommens auf die Gesamtzahl der Mädchen und jungen Frauen deutlich weniger als
belastende Elemente aus als die häufig erlebten persönlichen Krisen.
Zusammenfassung
1. Alle Bereiche, in denen Ethnizität erhoben wird, weisen auf eine starke Bindung an
die eigene (Herkunfts-) Ethnie und auf eine geringe Bindung an die deutsche Kultur hin.
2. In der ethnischen Selbstverortung fühlen sich die Mädchen der Herkunftskultur
zugehörig und weisen die Selbstverortung als Deutsche wie auch die Bekundung von
Zugehörigkeit zu beiden Kulturen (bikulturelle Identität) zurück.
3. Eine Eheschließung mit einem deutschen Mann wird von den meisten nicht in
Betracht gezogen.
4. Dennoch fühlen sich die Mädchen und jungen Frauen aller Herkünfte in Deutschland, allerdings auch im Herkunftsland, wohl und die Zufriedenheit mit der Lebenssituation ist groß.
5. Mädchen und junge Frauen mit türkischem Migrationshintergrund sind am
konsequentesten an dem Leben in Deutschland orientiert, allerdings als Angehörige
der türkischen Minderheit. Die Mädchen mit griechischem Hintergrund sind am wenigsten an Deutschland ausgerichtet; ihre emotionale Orientierung gilt stärker als bei
allen übrigen dem Herkunftsland. Alle Herkunftsgruppen sehen ihre Zukunft zu einem
erheblichen Teil in Deutschland, aber eine Anpassung an deutsche Lebensformen wird
abgewehrt (Kleidung, Essgewohnheiten).
6. Die deutsche Staatsangehörigkeit wird nahezu ausschließlich von Mädchen mit
türkischem und jugoslawischem Hintergrund beantragt oder gewünscht und zwar in
erster Linie aus Nützlichkeitserwägungen.
7. Es besteht keine Bereitschaft, die Kultur der Eltern aufzugeben. Am ehesten
findet die überwiegende Erziehung der Kinder in der deutschen Sprache Akzeptanz.
Anpassungsnotwendigkeit wird vor allem in der Beherrschung der deutschen Sprache
und in der Kontaktaufnahme mit Deutschen gesehen.
8. Es lässt sich bei hoher psychischer Stabilität der meisten Mädchen und jungen Frauen
eine Minderheit von 10 bis 20 Prozent herauslösen, die über psychosomatische Beschwerden klagt, sich als psychisch schwach definiert und ihr Leben nicht aktiv bewältigt.
9. Migrationsbedingte kritische Lebensereignisse wie Migration aber vor allem
rassistische Vorfälle bzw. Diskriminierung sind relativ selten und betreffen vor allem
Aussiedlerinnen und Mädchen türkischer Herkunft. Wenn sie vorkommen, werden sie
als belastend empfunden.
111
Anlagen
habe stärken
• Wissenschaft – weltoffen!
Fördern und Fordern
Der Nationale Integrationsplan
Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland
Integration: eine zentrale Herausforderung für die Gesellschaft
Deutschland ist ein weltoffenes Land. Hier leben rund 15 Millionen Menschen aus
Zuwandererfamilien. Das sind mehr als 18 Prozent der Bevölkerung. Deshalb ist Integration eine Schlüsselaufgabe unserer Zeit. Die Bundesregierung hat dieses Thema zu
einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht.
Neue Wege, neue Chancen
112
Erfolgreiche Integration bedeutet gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Übernahme von Verantwortung. Dafür sind Anstrengungen des
Staates und der Gesellschaft, aber auch der Zuwanderer selbst notwendig. Gute
Deutschkenntnisse, gute Bildung und die Aufnahme in den Arbeitsmarkt stehen
dabei im Vordergrund. Im Juli 2006 hat auf Einladung der Bundeskanzlerin erstmalig ein Integrationsgipfel stattgefunden. Ziel war es, bis zum Sommer 2007 ein
gemeinsames integrationspolitisches Konzept zu erarbeiten. Dieser Gipfel hat eine
neue Entwicklung in der Gesellschaft angestoßen.
Das Ergebnis hat die Bundeskanzlerin beim zweiten Integrationsgipfel im Juli 2007
vorgestellt: den Nationalen Integrationsplan. Entwickelt wurde er nach zwei Leitlinien:
1. im Dialog mit den Migrantinnen und Migranten – mit ihnen reden, nicht über sie.
2. konkret: von jedem Beteiligten Selbstverpflichtungen einfordern, denn jeder kann
einen Beitrag zum Gelingen von Integration leisten.
Nationaler Integrationsplan
Der Nationale Integrationsplan geht neue Wege und eröffnet neue Chancen für die
Integration von Zuwanderern. Erstmals wirken alle, die in Politik und Gesellschaft mit
Integration befasst sind, Hand in Hand: Bund, Länder, Kommunen, Migrantinnen und
Migranten, Institutionen und Organisationen aus Wissenschaft, Medien, Kultur, Sport,
Wirtschaft, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften.
Das sind die wichtigsten Themen des Nationalen Integrationsplans:
• Integrationskurse verbessern
• Von Anfang an deutsche Sprache fördern
• Gute Bildung und Ausbildung sichern, Arbeitsmarktchancen erhöhen
• Lebenssituation von Frauen und Mädchen verbessern, Gleichberechtigung
verwirklichen
• Integration vor Ort unterstützen
• Kulturelle Vielfalt leben
• Integration durch Sport
• Medien - Vielfalt nutzen
• Integration durch bürgerschaftliches Engagement und gleichberechtigte Teil-
Integration ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung. Grundlage ist neben unseren Wertvorstellungen und unserem kulturellen Selbstverständnis die freiheitliche und
demokratische Ordnung, wie sie sich aus der deutschen und europäischen Geschichte
entwickelt hat und im Grundgesetz ihre verfassungsrechtliche Ausprägung findet.
Integration kann nicht verordnet werden. Sie erfordert Anstrengungen von allen,
vom Staat und der Gesellschaft. Maßgebend ist zum einen die Bereitschaft der Zuwanderer, sich auf ein Leben in unserer Gesellschaft einzulassen, unser Grundgesetz
und unsere gesamte Rechtsordnung vorbehaltlos zu akzeptieren und insbesondere
durch das Erlernen der deutschen Sprache ein sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit
zu Deutschland zu setzen. Auf Seiten der Aufnahmegesellschaft sind Akzeptanz, Toleranz, zivilgesellschaftliches Engagement und die Bereitschaft unverzichtbar, Menschen, die rechtmäßig bei uns leben, ehrlich willkommen zu heißen: Integration – eine
Chance für unser Land!
Die vielfältigen Begabungen von Zuwanderern sind bisher nicht immer ausreichend
anerkannt und gefördert worden. Das will die Bundesregierung in Zukunft ändern. Alle
Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, sollen ihre Begabungen entfalten können
und Sicherheit durch Bildung und Arbeit gewinnen.
„Unsere Gesellschaft wird reicher und menschlicher durch Toleranz und Offenheit.
Integration geht daher uns alle an – die Menschen aus Zuwandererfamilien genauso
wie die Bürgerinnen und Bürger, die schon lange hier leben. Integration kann nur miteinander gelingen.“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel)
„Die Integration der Menschen aus Zuwandererfamilien ist eine riesige Herausforderung. Machen wir sie zu einer großen Chance für unser Land! Denn hier entscheidet
sich letztlich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft - sowohl auf
nationaler als auch auf europäischer Ebene.“ (Maria Böhmer, Staatsministerin im Kanzleramt und Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration)
Viele machen mit
Bund, Länder und Kommunen sichern wichtige Voraussetzungen für das Gelingen
von Integration. Allein kann der Staat die gesamtgesellschaftliche Aufgabe Integration aber nicht erfüllen; dies gelingt nur mit einer aktiven Bürgergesellschaft. Deshalb
bringen sich beim Nationalen Integrationsplan viele ein: Staat und gesellschaftliche
Gruppen, Medien, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft ebenso wie Migrantenorganisationen – sie alle haben sich zu konkreten Maßnahmen verpflichtet. Hier einige Beispiele:
Die Bundesregierung wird
• Integrationskurse zum Erwerb der deutschen Sprache ausbauen;
• zusammen mit Ländern und Kommunen die Zahl der Ganztagsschulen und
Tagesbetreuungsplätze erhöhen;
• mit dem Modellprogramm „Die 2. Chance“ die Zahl der Schulabbrüche verringern;
113
• mit einem Netzwerk „Bildungspaten“ Kinder und Jugendliche unterstützen;
• durch gezielte Maßnahmen die Chancen auf gute Ausbildung und ein erfolgreiches Studium erhöhen.
Charta der Werte, der Staatsbürgerschaft und der Integration
Die Länder werden
Italien: Eine Personen- und Wertegemeinschaft
• die Förderung der deutschen Sprache vom Kindergarten über die Schule bis in
die Ausbildung verstärken;
• mehr Migrantinnen und Migranten als Erzieherinnen und Lehrkräfte gewinnen;
• den Zugang von Migrantinnen und Migranten zu gesundheitlichen Angeboten, Pflegediensten und Seniorenangeboten verbessern.
Die Kommunalen Spitzenverbände empfehlen
• die Unterstützung der Migranten durch „Integrationslotsen“;
• Migrantinnen und Migranten stärker an den Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen vor Ort zu beteiligen;
• in Stadtteilen mit Integrationsdefiziten durch Quartiersmanagement und Netzwerkbildung das Zusammenleben zwischen den Bevölkerungsgruppen zu fördern.
Die Organisationen von Migrantinnen und Migranten werden
• eine Kampagne „Frauen haben Rechte“ durchführen;
• die Bildungsbeteiligung von jungen Migrantinnen und Migranten durch gezielte Elternarbeit und Bildungspaten verbessern.
114
Die Wirtschaft wird
• in Betrieben, die von Migranten geführt werden, 10.000 zusätzliche Ausbildungsstellen schaffen;
• mit der „Charta der Vielfalt“ die Ausbildungs- und Arbeitsmarktintegration
verbessern.
Der Deutsche Olympische Sportbund und der Deutsche Fußball-Bund werden
• die Bedeutung der Integration als ein Schwerpunktthema des Sports in die
Verbände tragen, Übungsleiterschulungen anbieten und bei Migrantenfamilien
Mitglieder werben.
Die Stiftungen werden
• die Integration zu einem zentralen Ziel ihres bürgerschaftlichen Engagements
und ihrer Begabtenförderung entwickeln.
Die deutschen und ausländischen Medien werden
• Journalisten und Schauspieler ausländischer Herkunft verstärkt in Redaktionen und Programme einbeziehen;
• die Medienforschung intensivieren und die Medienkompetenz fördern.
Ausführliche und aktuelle Informationen unter: www.Nationaler-Integrationsplan.de, www.
integrationsbeauftragte.de, www.bundesregierung.de
Ministerium des Inneren der Republik Italien
Italien ist eines der ältesten Länder Europas, dessen Wurzeln auf die klassische
Kultur Griechenlands und Roms zurückgehen. Es hat sich in der Perspektive des
Christentums entwickelt, das seine Geschichte durchdrungen hat und, gemeinsam mit
dem Judentum, der Öffnung gegenüber der Moderne und den Prinzipien der Freiheit
und Gerechtigkeit den Weg bereitete.
Die Werte, auf die sich die italienische Gesellschaft gründet, sind das Ergebnis des Engagements von Generationen von Menschen verschiedener Weltanschauungen, sowohl säkular als auch religiös, und wurden in der demokratischen Verfassung von 1947 verankert.
Die Verfassung stellt den Bruch mit Totalitarismus und Antisemitismus dar, die Europa im
20. Jahrhundert vergiftet und das jüdische Volk und seine Kultur verfolgt haben.
Die Verfassung gründet sich auf die Achtung der Menschenwürde und ist von den
Freiheits- und Gleichheitsprinzipien inspiriert, die für jeden gelten, der in Italien lebt.
Auf der Basis seiner Verfassung hat Italien dazu beigetragen, ein vereintes Europa
samt seiner Institutionen aufzubauen. Die europäischen Verträge und Konventionen
tragen zur Verwirklichung einer internationalen Ordnung bei, die auf den Menschenrechten sowie der Gleichheit und Solidarität zwischen den Völkern basiert.
Die geografische Lage Italiens, seine jüdisch-christliche Tradition sowie die freien
und demokratischen Institutionen des italienischen Regierungssystems begründen seine Haltung gegenüber der Aufnahme anderer Nationalitäten. Italien, das inmitten des
Mittelmeers liegt, war schon immer ein Kreuzungspunkt von Völkern verschiedener
Kulturen, und seine Bevölkerung weist noch heute die Zeichen dieser Vielfalt auf.
All das, was das Erbe Italiens darstellt, seine künstlerischen und natürlichen Schönheiten, seine wirtschaftlichen und kulturellen Ressourcen, sowie seine demokratischen
Institutionen, steht im Dienst der Männer, Frauen, Jugendlichen und künftigen Generationen. Unsere Verfassungscharta schützt und fördert die unantastbaren Menschenrechte, um die Schwächeren zu unterstützen und um die Entfaltung der Fähigkeiten
und Eignungen jeder Person zu gewährleisten, sei es bei der Arbeit, in moralischer oder
in geistiger Hinsicht.
Menschenwürde, Rechte und Pflichten
1. Italien setzt sich dafür ein, dass jeder Mensch, sobald er sich auf italienischem
Staatsgebiet befindet, ohne Unterschied des Geschlechts, der Volksgruppe, der Religion und der sozialen Verhältnisse die Grundrechte genießen kann. Zugleich muss jeder
in Italien lebende Mensch die Grundwerte der Gesellschaft, die Rechte der Anderen
und die gesetzlichen Pflichten zur Solidarität achten. Unter den gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen gewährt Italien jenen, die in ihren eigenen Ländern verfolgt oder
an der Ausübung der Grundfreiheiten gehindert werden, Asyl und Schutz.
2. Indem die Gleichheit der Rechte und Pflichten für alle vorgesehen ist, unterstützt
das Recht jene, die diskriminiert werden oder bedürftig sind, insbesondere Frauen und
Minderjährige; zu diesem Zweck beseitigt es die Hindernisse, die die volle Entfaltung
der Persönlichkeit verhindern.
115
3. Die Freiheitsrechte und die Rechte auf Sozialleistungen, die unsere Rechtsordnung im Laufe der Zeit entwickelt hat, müssen auf alle Migranten ausgeweitet werden.
Das Recht auf Leben ist von seinem Anfang bis zu seinem natürlichen Ende gewährleistet, genauso wie das Recht auf Gesundheit mit kostenlosen Behandlungen, wenn
sie notwendig sind; ein besonderer Schutz ist für die Mutterschaft und Kindheit vorgesehen. Das Recht auf Bildung wird als unentbehrliches Instrument zur persönlichen
Entfaltung und zur Eingliederung in die Gesellschaft anerkannt.
4. Mann und Frau sind gleichberechtigt und genießen gleiche Rechte innerhalb
und außerhalb der Familie. Italien bieten den Frauen, den Männern und den jungen
Migranten einen Prozess der Integration an, der die Identität jeder Person achtet und
es all denen, die sich in Italien niederlassen wollen, ermöglicht, an dem Sozialleben des
Landes aktiv teilzuhaben.
5. Der Migrant kann unter den gesetzlich vorgesehenen Bedingungen die italienische Staatsangehörigkeit erwerben. Um sie gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu
erhalten, ist es erforderlich, die italienische Sprache und die Grundelemente der nationalen Geschichte und Kultur zu kennen sowie die Prinzipien, die unsere Gesellschaft
bestimmen, zu teilen. Im selben Land zu leben bedeutet die Fähigkeit, gemeinsam
vollwertige Bürger zu sein und sich mit Loyalität und Konsequenz gemeinschaftliche
Werte und Verantwortungen anzueignen.
Soziale Rechte, Arbeit und Gesundheit
116
6. Italien schützt und fördert die Arbeit in allen Formen, verurteilt und bekämpft
jede Art von menschlicher Ausbeutung, insbesondere die der Frauen und Kinder. Die
Arbeit hilft der persönlichen Entfaltung und der Verwirklichung der Begabungen und
der natürlichen Fähigkeiten.
7. Migranten haben wie alle italienischen Bürger Anspruch auf eine angemessene
Besoldung für die von ihnen verrichtete Arbeit, auf die Einzahlung von Beiträgen für
das Gesundheits- und Sozialversicherungswesen, auf die Gewährleistung des Lebensunterhaltes im Falle einer Krankheit oder eines Unfalls und im fortgeschrittenen
Alter auf das vom Gesetz Vorgesehene. Die Arbeitsbedingungen müssen die Gesundheit und Unversehrtheit der Person garantieren.
8. Jedermann, der Belästigungen, Diskriminierungen oder Ausbeutung in seiner
Arbeit erträgt, kann sich an die öffentlichen Behörden, an die Gewerkschaften und an
Hilfsorganisationen wenden, damit seine Rechte anerkannt werden und seine Aufgaben
unter Achtung der Menschenrechte erfüllt werden können.
9. Italienische Bürger und Migranten haben Anspruch auf medizinische Betreuung
in öffentlichen Einrichtungen. Die ärztlichen Behandlungen werden so durchgeführt,
dass der Wille und das Empfinden jeder Person respektiert werden. Jede Körperverstümmelung, von wem auch immer verursacht, wird bestraft, sofern sie nicht medizinisch notwendig ist.
10. Italien setzt sich dafür ein, dass jedem ein den Bedürfnissen seiner Familie angemessener Wohnraum zu vernünftigen Kosten zur Verfügung steht. Diejenigen, die
in Not sind oder die dazu gezwungen werden, überhöhte Kosten für das eigene Haus zu
tragen, können sich an die öffentlichen Behörden oder an die Gewerkschaften wenden,
um betreut zu werden und um für die Wahrung ihrer Rechte zu sorgen.
Soziale Rechte, Schule, Bildung, Information
11. Kinder und Jugendliche haben das Recht und die Pflicht, die Pflichtschule zu besuchen, um sich in die Gesellschaft als gleichberechtigte Personen einzugliedern und aktive
Staatsangehörige zu werden. Jeder italienische oder ausländische Elternteil hat die Pflicht,
seine Kinder bei der Ausbildung zu unterstützen, wobei er sie zuerst für die Pflichtschule,
die von der Grundschule bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres dauert, anmelden muss.
12. Der Unterricht bezweckt die Ausbildung der Person und fördert die Kenntnis der
Grundrechte und die Erziehung zur Legalität, die freundlichen Beziehungen unter den
Menschen, den Respekt und das Wohlwollen jeder Form von bestehendem Leben gegenüber. Auch um die Teilung der gleichen Werte zu fördern, sieht die Schule Programme
zur Kenntnis der Geschichte, der Kultur und der Prinzipien der italienischen und europäischen Traditionen vor. Zum Zwecke eines dem gesellschaftlichen Pluralismus angemessenen Unterrichts ist es auch wesentlich, aus einer interkulturellen Perspektive die
Kenntnis der Kultur und der eigenen Religion der Kinder und ihrer Familien zu fördern.
13. Die Schule fördert die Bekanntschaft und die Integration unter allen Kindern und
Jugendlichen, die Überwindung von Vorurteilen und das gemeinsame Aufwachsen der Jugendlichen, indem Trennungen und Diskriminierungen verhindert werden. Der Unterricht
wird unter Achtung der religiösen Überzeugungen sowie der Ideale der Jugendlichen und
der Familien erteilt. Unter bestimmten Bedingungen werden religiöse Unterrichtungskurse vorgesehen, die freiwillig von Schülern und ihren Eltern gewählt werden können.
14. Auf der Grundlage gleicher Werte ist es auch Aufgabe der Massenmedien das
Wissen über die Migration sowie ihre kulturellen und religiösen Aspekte zu fördern,
indem Vorurteile und jegliche Art von Ausländerfeindlichkeit bekämpft werden. Ihre
Rolle ist wesentlich, um einen kulturellen Pluralismus zu verbreiten, der die Traditionen und die Grundwerte der italienischen Gesellschaft respektiert.
15. Organisationen und Privatleute haben das Recht, Schulen und Schulkurse zu
gründen, vorausgesetzt, dass sie die Schüler aus Gründen der Ethnie oder des Bekenntnisses nicht diskriminieren und einen Unterricht im Einklang mit den allgemeinen
Prinzipien von Bildung und Menschenrechten garantieren. Jede Art von Unterricht,
sowohl privat als auch öffentlich, muss die Überzeugungen eines jeden respektieren
und die Menschen eher einen als trennen.
Familie, neue Generationen
16. Italien anerkennt die Rechte der Familie als eine natürliche auf die Ehe gegründete Gemeinschaft und betrachtet die Bildung in der Familie als ein notwendiges
Instrument zum Wachsen der neuen Generationen.
17. Die Ehe ist auf Gleichheit von Rechten und Verantwortungen zwischen Ehemann und Ehefrau gegründet und aus diesem Grund hat sie einen monogamischen
Charakter. Die Monogamie vereint zwei Leben und macht die Ehepartner mitverantwortlich für das, was sie gemeinsam verwirklichen, an erster Stelle bei der Erziehung
der Kinder. Italien untersagt die Polygamie, da sie die Rechte der Frau verletzt, auch im
Einklang mit den von den europäischen Institutionen vertretenen Prinzipien.
18. Die italienische Rechtsordnung untersagt jede Art von Zwängen und Gewalt
innerhalb und außerhalb der Familie und schützt die Würde der Frau in all ihren Erscheinungen und in jedem Moment des sozialen Lebens. Die Basis der Ehevereinigung
117
ist die Ehefreiheit, die besonders den jungen Leuten gewährt werden muss; sie setzt das
Verbot von Zwangsehen und Kinderehen voraus.
19. Italien schützt die Freiheit der Minderjährigen, was die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit anbelangt. Diese Entfaltung verwirklicht sich auch in der Begegnung mit anderen Jugendlichen und in der Beteiligung an sozialen Tätigkeiten. Das
Gleichheitsprinzip ist nicht vereinbar mit den Forderungen einer Trennung gemäß
Bekenntniszugehörigkeit oder nach Männern und Frauen, Jungen und Mädchen, in den
öffentlichen Dienstleistungen und am Arbeitsplatz.
Laizität und Religionsfreiheit
118
20. Italien ist ein laizistisches Land, das auf die völlige individuelle und kollektive Religionsfreiheit gründet. Die Religionsfreiheit wird jedem gewährt, Staatsbürgern
oder Ausländern sowie den religiösen Gemeinschaften. Religion und Weltanschauung
dürfen nicht einen Grund zur Diskriminierung im sozialen Leben darstellen.
21. Alle Religionsbekenntnisse sind in gleicher Weise frei vor dem Gesetz. Der laizistische Staat anerkennt den positiven Beitrag, den die Religionen für die Gemeinschaft
leisten und will das moralische und geistige Vermögen jeder Religion aufwerten. Italien
fördert den interreligiösen und interkulturellen Dialog, um den Respekt der Menschenwürde wachsen zu lassen und um zur Überwindung von Vorurteilen und Intoleranz beizutragen. Die Verfassung sieht Abkommen zwischen dem Staat und den konfessionellen
Gemeinschaften vor, um ihre spezifischen juridischen Bedingungen zu regeln.
22. Grundsätze der Freiheit und die Rechte der Person können nicht im Namen irgendeiner Religion verletzt werden. Jede Art von Gewalt oder Anstiftung zur Gewalt,
egal durch welche Religion begründet, wird ausgeschlossen. Das bürgerliche Recht
oder Strafrecht ist für alle dasselbe, gleich welcher Religion jemand angehört, und es
gibt nur eine Gerichtsbarkeit der Gerichtshöfe für die, die sich in Italien befinden.
23. Die Religions- und Gewissensfreiheit beinhaltet das Recht, einen religiösen
Glauben zu haben oder ihn nicht zu haben, ihn zu praktizieren oder nicht, die Religion zu wechseln und sie zu verbreiten, indem man die anderen überzeugt, sich in Bekenntnisorganisationen zu vereinen. Die Freiheit des Kultus wird völlig gewährleistet
und jeder darf die Religionsvorschriften erfüllen, vorausgesetzt, dass sie nicht mit den
Strafregeln und mit den Rechten anderer Leute in Widerspruch stehen.
24. Die Rechtsordnung schützt die Freiheit der Forschung, der Kritik und der Diskussion auch im Bereich der Religion und untersagt die Beleidigung einer Religion und
des Religionsgefühls der Leute. Für das staatliche Gesetz ist der Religions- und Überzeugungsunterschied kein Hindernis zur Ehe.
25. Italien, aufgrund seiner religiösen und kulturellen Tradition, respektiert die
Symbole und Zeichen aller Religionen. Niemand kann sich beleidigt fühlen, wenn er
Zeichen und Symbole anderer Religionen sieht. Wie die internationalen Verträge vorsehen, sollen die Kinder und Jugendlichen zur Respektierung der Religionsüberzeugungen anderer Leute erzogen werden, ohne dass sie darin Faktoren der Spaltung zwischen den Menschen sehen.
26. In Italien gibt es keine Beschränkungen, was die Kleidung von Personen anbelangt, vorausgesetzt, dass sie frei gewählt wird und nicht würdeschädigend ist. Kleidungen, die das Gesicht verdecken, sind nicht annehmbar, da sie verhindern, die andere
Person zu erkennen, und die Beziehungen zu anderen Leuten hemmen.
Das Internationale Engagement Italiens
27. Im Einklang mit diesen Prinzipien setzt sich Italien in der Welt für eine Politik
des Respekts und des Friedens unter den Ländern ein, um das friedliche Zusammenleben aller Völker zu fördern, um Krieg und Terrorismus zu besiegen. Italien engagiert
sich im internationalen Bereich dafür, die Reichtümer des Lebens und die Umwelt des
Planeten zu schützen.
28. Italien schwört dem Krieg als Lösungsinstrument der internationalen Kontroversen, den Massenvernichtungswaffen und jeder Form von Folter oder die Menschenwürde
degradierenden Strafen ab. Es verurteilt Antisemitismus, der zum Genozid des jüdischen
Volkes geführt hat, einschließlich jeder rassistischen Neigung, die die Menschen trennen
und die Schwächeren erniedrigen will. Italien schwört jeder Erscheinung von Ausländerfeindlichkeit ab, die sich bisweilen als Islamophobie oder in Form von Vorurteilen gegen
diejenigen, die aus anderen Teilen der Welt kommen, ausdrückt.
29. Zusammen mit anderen europäischen Ländern hat Italien die Todesstrafe abgeschafft und setzt sich in den internationalen Gremien dafür ein, dass sie in der übrigen
Welt abgeschafft wird. Die Abschaffung der Todesstrafe stellt ein Zivilisationsziel dar,
durch welches der Respekt vor dem Leben den Geist der Rache überwindet.
30. Italien setzt sich dafür ein, friedlich die internationalen Krisen zu lösen, insbesondere den seit vielen Jahren andauernden israelisch-palästinensischen Konflikt.
Das Engagement Italiens befürwortet stets eine Lösung, die die Völker der Region
zusammenleben lässt, in erster Linie Israelis und Palästinenser in zwei verschiedenen
demokratischen Staaten.
31. Gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern ist Italien auf internationaler Ebene tätig, um überall die Achtung der Menschenwürde und -rechte zu fördern
und um den Erfolg der parlamentarischen Demokratie als Staatssystem zu begünstigen, das sowohl die Bürgerbeteiligung als auch die zunehmende Achtung der Staatsbürgerrechte vorsieht.
Rom, den 23. April 2007
119
Deutschland: Ausländische Bevölkerung nach Herkunftsland (2006)
Statistische Daten: Deutschland
Deutschland: Wichtigste Herkunftsgebiete und Länder von Menschen mit
Migrationshintergrund* (2005)
Herkunftsregion
120
%
54,3
EUROPA
8.321
20,2
EU 25
3.099
2,3
Griechenland
351
4,4
Italien
670
5,0
Polen
763
34,1
Sonstiges Europa
5.222
1,9
Bosnien-Herzegowina
294
2,3
Kroatien
355
2,6
Serbien - Montenegro
397
2,1
Rumänien
324
6,6
Russland
1.012
15,6
Türkei
2.397
2,5
AFRIKA
376
1,3
Nordafrika
198
1,2
Sonstiges Afrika
178
1,6
AMERIKA
243
0,8
Nordamerika
122
0,8
Lateinamerika
121
7,3
ASIEN
1.120
3,4
Vorderasien **
521
3,9
Süd- und Ostasien***
599
33,9
Staatenlos, nicht zuzuordnen
5.191
100,0
INSGESAMT
15.333
*Alle Ausländer, die in Deutschland wohnen, alle nach 1949 nach Deutschland Zugewanderte, die
die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben, einschließlich der in Deutschland Geborenen mit
zumindest einem zugewanderten oder ausländischen Elternteil.
** insbesondere Irak und Iran.
***insbesondere Vietnam, Afghanistan, und China.
Quelle: DESTATIS – Mikrozensus
In 1.000
Herkunftsregion
EUROPA
EU-Länder
Griechenland
Italien
Polen
Sonstiges Europa
ehemaliges Jugoslawien
Bosnien – Herzegowina
Kroatien
Serbien – Montenegro
ehemalige Sowjetunion
Türkei
AFRIKA
Nordafrika
AMERIKA
Nordamerika
ASIEN
Vorderasien*
Süd- und Südostasien**
Ost- und Zentralasien***
OZEANIEN****
Staatenlos, nicht zuzuordnen
INSGESAMT
* insbesondere Irak und Iran.
** insbesondere Vietnam.
*** insbersondere China.
**** insbesondere Australien.
Insgesamt
a.W.
5.375.126
2.183.365
303.761
534.657
361.696
3.191.761
949.937
157.094
227.510
282.067
505.624
1.738.831
272.376
120.665
213.069
112.437
819.623
262.320
285.048
269.226
10.832
59.976
6.751.002
Quelle: DESTATIS - Zentralregister für Ausländer
%
79,6
32,3
4,5
7,9
5,4
47,3
14,1
2,3
3,4
4,2
7,5
25,8
4,0
1,8
3,2
1,7
12,1
3,9
4,2
4,0
0,2
0,9
100,0
Davon
Im Ausland In Deutschland
geboren
geboren
a.W.
%
a.W.
%
4.165.034 77,5 1.210.092 22,5
1.779.666 81,5
403.699 18,5
219.703 72,3
84.058 27,7
374.513 70,0
160.144 30,0
347.769 96,1
13.927 3,9
2.385.368 74,7
806.393 25,3
753.116 79,3
196.821 20,7
129.945 82,7
27.149 17,3
178.074 78,3
49.436 21,7
218.333 77,4
63.734 22,6
487.515 96,4
18.109 3,6
1.149.384 66,1
589.447 33,9
235.117 86,3
37.259 13,7
102.009 84,5
18.656 15,5
204.147 95,8
8.922 4,2
105.636 94,0
6.801 6,0
732.359 89,4
87.264 10,6
225.459 85,9
36.861 14,1
251.227 88,1
33.821 11,9
252.983 94,0
16.243 6,0
10.361 95,7
471 4,3
39.550 65,9
20.426 34,1
5.386.568 79,8 1.364.434 20,2
121
Deutschland: Ausländische Bevölkerung nach Durchschnittsalter und –
aufenthaltsdauer, sowie Herkunftsland (2006)
Herkunftsregion
122
EUROPA
EU-Länder
Griechenland
Italien
Polen
Sonstiges Europa
ehemaliges Jugoslawien
Bosnien – Herzegowina
Kroatien
Serbien – Montenegro
ehemalige Sowjetunion
Türkei
AFRIKA
Nordafrika
AMERIKA
Nordamerika
ASIEN
Vorderasien*
Süd- und Südostasien **
Ost- und Zentralasien ***
OZEANIEN
Staatenlos, nicht zuzuordnen
Insgesamt
* insbesondere Irak und Iran.
** insbesondere Vietnam.
*** insbesondere China.
Insgesamt
a.W.
5.375.126
2.183.365
303.761
534.657
361.696
3.191.761
949.937
157.094
227.510
282.067
505.624
1.738.831
272.376
120.665
213.069
112.437
819.623
262.320
285.048
269.226
10.832
59.976
6.751.002
k.A.: keine Angaben, Daten stehen nicht zur Verfügung.
Quelle: DESTATIS – Zentralregister für Ausländer
Jahresdurchschnitt
Alter
Aufenthaltsdauer
37,6
19,1
40,3
20,2
40,3
24,1
39,5
25,1
36,3
9,5
k.A.
k.A
37,4
19,7
37,4
18,0
43,3
25,4
33,3
16,5
36,1
6,3
34,6
20,7
32,0
10,8
34,1
13,1
38,3
12,5
42,6
15,7
32,1
9,1
30,7
9,4
33,2
10,6
32,4
7,4
38,8
11,7
30,3
16,1
36,7
17,3
Deutschland: Ehepaare und nichteheliche Lebensgemeinschaften mit ausländischer Beteiligung Deutschland nach Herkunftsgebieten der ausländischen
Partner/Partnerinnen (2005)
Herkunftsregion
EHEPAARE INSGESAMT
EU-Länder*
Griechenland
Italien
Polen
Sonstiges Europa
Bosnien - Herzegowina
Kroatien
Serbien - Montenegro
Russland
Türkei
Afrika
Amerika
Vorderasien
Süd- und Südostasien
Ost- und Zentralasien
NICHTEHELICHE LEBENS
GEMEINSCHAFTEN **
EU-Länder*
Alle Paare mit
ausländischer
Beteiligung
Beide Partner
Ausländerin Ausländer mit
Ausländer mit deutschem deutscher Frau
Mann
1000
2.438
%
100,0
1000
1291
%
52,9
1000
602
%
24,7
1000
545
%
22,4
788
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
242
100,0
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
100,0
327
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
58
41,5
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
24
234
6
19
69
197
7
16
10
60
52
24
44
24
58
13
80
29,7
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
33,1
227
14
63
16
206
15
14
17
37
90
35
35
19
13
***
104
28,8
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
43
130
100,0
21
16,2
47
36,2
62
47,7
Italien
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
7
k.A.
21
k.A.
Sonstiges Europa
Türkei
Übrige Welt
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
18
***
15
k.A.
k.A.
k.A.
26
11
16
k.A.
k.A.
k.A.
* ausländischer Partner mit EU-Staatsangehörigkeit.
**heterosexuelle Paare.
*** Keine Angaben, da Zahlenwerte nicht sicher genug.
k.A.: Keine Angaben, Daten stehen nicht zur Verfügung.
Quelle: DESTATIS - Mikrozensus – Bevölkerung (Lebensformenkonzept)
123
Deutschland: Einbürgerungen nach Herkunftsländern (2004-2006)
Wichtigste europäische
Länder
124
ehemaliges Jugoslawiens
Bosnien-Herzegowina
Kroatien
Serbien - Montenegro
Polen*
Rumänien*
Russland*
Türkei
Ukraine*
Sonstige Länder
Marokko
Afghanistan
Irak
Iran
Israel
Kazachistan*
Insgesamt
Männer
Frauen
2004
a.W.
8.664
2.103
1.689
3.539
7.499
1.309
4.381
44.465
3.844
%
6,8
1,7
1,3
2,8
5,9
1,0
3,4
35,0
3,0
2005
a.W.
%
13.187
11,2
1.907
1,6
1.287
1,1
8.824
7,5
6.896
5,9
1.789
1,5
5.055
4,3
32.661
27,9
3.363
2,9
2006
a.W.
%
17.366
13,9
1.862
1,5
1.729
1,4
9.552
7,7
6.907
5,5
1.379
1,1
4.679
3,8
33.388
26,8
4.536
3,6
3.820
3,0
3.684
3,1
3.546
4.077
3,2
3.133
2,7
3.063
3.564
2,8
4.136
3,5
3.693
6.362
5,0
4.482
3,8
3.662
3.164
2,5
2.871
2,4
4.313
1.443
1,1
2.975
2,5
3.207
127.153 100,0 117.241 100,0 124.566
64.560 50,8 59.923
51,1 63.049
62.593 49,2 57.318
48,9 61.517
* Deutschstämmige Zugewanderte wurden nicht berücksichtigt.
Quelle: DESTATIS – Einbürgerungsstatistik
2,8
2,5
3,0
2,9
3,5
2,6
100,0
50,6
49,4
Statistische Daten: Italien
2004-06
Änderung in %
100,4
-11,5
2,4
169,9
-7,9
5,3
6,8
-24,9
18,0
-7,2
-24,9
3,6
-42,4
36,3
122,2
-2,0
-2,3
-1,7
Italien: Ausländer, nach Herkunft und Geschlecht (geschätzt, 2006)
Herkunftsregion
EU 25*
Mittel- und Osteuropa
Andere europäische Länder
EUROPA
Nordafrika
Westafrika
Ostafrika
Zentral- und Südafrika
AFRIKA
Westasien
Zentral- und Südasien
Ostasien
ASIEN
Nordamerika
Mittel – und Südamerika
AMERIKA
OZEANIEN
Staatenlos
Nicht identifiziert
GESAMT
* ohne Rumänien und Bulgarien
a.W.
291.402
1.523.652
14.927
1.829.982
286.886
185.916
39.382
16.048
822.191
27.799
301.988
332.961
662.748
54.424
301.719
356.144
4.023
349
14.615
3.690.052
Insgesamt
%
7,9
41,3
0,4
49,6
7,8
5,0
1,1
0,4
22,3
0,8
8,2
9,0
18,0
1,5
8,2
9,7
0,1
0,0
0,4
100,0
k.A.: keine Angaben, Daten stehen nicht zur Verfügung.
Quelle: Statistisches Dossier Immigration Caritas/Migrantes
a.W.
188.834
819.122
8.714
1.026.938
253.962
64.061
23.054
7.428
277.828
10.705
98.782
179.961
292.680
33.996
203.338
237.759
2.427
k.A.
k.A.
1.842.004
davon Frauen
%
64,8
53,8
58,4
56,1
88,5
34,5
58,5
46,3
33,8
38,5
32,7
54,0
44,2
62,5
67,4
66,8
60,3
k.A.
k.A.
49,9
125
Italien: Ausländer nach Nationalität und Geschlecht der 20 führenden
Nationalitäten (geschätzt, 2006)
Nationalität
126
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Rumänien
Marokko
Albanien
Ukraine
Volksrepublik China
Philippinen
Moldawien
Tunesien
Indien
Polen
Serbien u. Montenegro
Bangladesch
Peru
Ägypten
Sri Lanka
Ecuador
Makedonien
Senegal
Pakistan
USA
INSGESAMT
Insgesamt
a.W.
555.997
387.031
381.011
195.412
186.522
113.907
98.149
94.861
91.781
90.776
79.468
77.229
76.406
73.747
69.919
67.327
65.880
65.136
56.949
50.820
3.690.052
Quelle: Statistisches Dossier Immigration Caritas/Migrantes
%
15,1
10,5
10,3
5,3
5,1
3,1
2,7
2,6
2,5
2,5
2,2
2,1
2,1
2,0
1,9
1,8
1,8
1,8
1,5
1,4
100,0
Davon Frauen
a.W.
296.896
136.793
161.219
163.407
86.059
70.694
66.870
26.209
33.377
65.657
33.449
18.166
49.325
14.381
29.798
43.505
24.712
8.351
12.368
31.931
1.842.004
Italien: Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis, nach Aufenthaltsgrund
(geschätzt, 2006)
Region
%
53,4
35,3
42,3
83,6
46,1
62,1
68,1
27,6
36,4
72,3
42,1
23,5
64,6
19,5
42,6
64,6
37,5
12,8
21,7
62,8
49,9
a.W.
Davon in % (horizontal)
Insgesamt
Arbeit
Familie
Studium
Religion
Wohnsitz
andere
Gründe
Aosta-Tal
6.325
52,8
39,9
2,6
0,5
2,3
1,8
Piemont
292.886
56
38,6
2,5
0,5
1,1
1,3
Lombardei
850.873
56,5
37,6
2,7
0,3
1,6
1,2
94.446
54,5
36,4
2,7
0,8
4,2
1,5
1.244.530
56,2
37,8
2,7
0,3
1,7
1,3
68.825
51,7
41,1
2,9
0,4
2,7
1,2
398.099
55,3
40,1
2,4
0,2
0,7
1,3
Ligurien
Nordwesten
Trentino-Südtirol
Venetien
Friaul-Julisch Venetien
98.881
49,3
38,2
5,8
0,2
2
4,4
Emilia-Romagna
388.203
57,5
37,3
3,1
0,2
0,6
1,2
Nordosten
954.008
55,3
38,8
3,1
0,2
0,9
1,6
Norden
2.198.538
55,8
38,2
2,9
0,3
1,4
1,4
Toskana
289.775
54,1
36,9
4,1
0,8
2,4
1,7
Marken
115.715
51,5
41,7
3,3
0,5
1,5
1,6
Umbrien
77.924
53,4
37,3
4,6
1,4
1,8
1,5
Latium
500.007
58,2
25,5
2,8
10,8
1,1
1,5
Mittelitalien
983.422
55,8
31,7
3,4
5,9
1,6
1,6
59.209
54,3
39,4
2,8
0,9
0,6
2
168.285
68,5
25,5
1,6
1,1
0,6
2,7
6.632
55,9
33
2,5
1,8
1,7
5,1
Basilikata
10.735
65
28,4
1,6
0,8
0,5
3,8
Apulien
73.610
55,1
34,1
4,1
1
0,9
4,8
Kalabrien
57.822
63,1
24,9
1,8
1,1
0,6
8,7
Süden
376.293
62,5
29,5
2,3
1,1
0,7
4
Sizilien
107.196
55,8
37,3
2
1,1
1,2
2,6
24.603
47,8
38,3
2,3
1
8,1
2,5
131.799
54,3
37,5
2
1,1
2,5
2,6
3.690.052
56,5
35,6
2,9
1,9
1,4
1,8
Abruzzen
Kampanien
Molise
Sardinien
Inseln
ITALIEN
Quelle: Statistisches Dossier Immigration Caritas/Migrantes
127
Italien: Ausländische Schüler im Schuljahr 2006-07
(insgesamt und Sekundarstufe 2) nach Regionen
Region
Registrierte Schüler Schuljahr 2006-07
Insgesamt
128
Aosta-Tal
Piemont
Lombardei
Ligurien
Trentino-Südtirol
Venetien
Friuli-Julisch Venetien
Emilia-Romagna
Norditalien
Toskana
Marken
Umbrien
Latium
Mittelitalien
Abruzzen
Kampanien
Molise
Basilikata
Apulien
Kalabrien
Süditalien
Sizilien
Sardinien
Inseln
ITALIEN
16.189
568.109
1.316.993
194.394
158.711
684.687
153.927
547.290
3.640.300
474.199
220.754
119.021
823.292
1.637.266
194.858
1.114.051
48.650
98.927
711.196
344.672
2.512.354
895.550
246.017
1.141.567
8.931.487
Davon Ausländer
a.W.
991
48.349
121.279
15.253
11.297
61.734
11.932
58.515
329.350
39.631
19.397
12.064
49.428
120.520
8.202
11.114
746
1.072
9.038
6.232
36.404
11.938
2.725
14.663
500.512
Italien: 2005* abgeschlossene Ehen mit mindestens einem ausländischen
Partner
Region
Davon Sekundarstufe 2
Insgesamt
%
6,1
4.736
8,5
162.996
9,2
363.067
7,8
58.578
7,1
39.573
9,0
192.855
7,8
45.941
10,7
161.139
9,0 1.028.885
8,4
145.590
8,8
71.010
10,1
37.879
6,0
256.587
7,4
511.066
4,2
64.422
1,0
350.627
1,5
17.137
1,1
35.863
1,3
228.979
1,8
117.824
1,4
814.852
1,3
287.837
1,1
86.370
1,3
374.207
5,6 2.729.010
Davon Ausländer
a.W.
187
9.409
22.489
3.877
1.638
10.758
2.549
13.225
64.132
8.460
4.261
2.508
12.200
27.429
1.732
2.580
174
264
2.069
1.490
8.309
2.354
605
2.959
102.829
%
3,9
5,8
6,2
6,6
4,1
5,6
5,5
8,2
6,2
5,8
6,0
6,6
4,8
5,4
2,7
0,7
1,0
0,7
0,9
1,3
1,0
0,8
0,7
0,8
3,8
Quelle: Statistisches Dossier Immigration Caritas/Migrantes, Ausarbeitung aus Daten der Bildungsministeriums
Lombardei
Latium
Venetien
Toskana
Emilia-Romagna
Piemont
Kampanien
Ligurien
Sizilien
Friaul-Julisch Venetien
Marken
Trentino-Südtirol
Umbrien
Apulien
Kalabrien
Abruzzen
Sardinien
Basilikata
Aosta-Tal
Molise
Nordwesten
Nordosten
Mittelitalien
Süden
Inseln
Italien
* Die verwendeten ISTAT-Daten sind provisorisch.
a.W.
5.647
4.924
3.545
3.226
2.657
2.447
2.031
1.194
845
832
814
760
649
614
515
472
448
124
89
58
9.377
7.794
9.613
3.814
%
17,7
15,4
11,1
10,1
8,3
7,7
6,4
3,7
2,6
2,6
2,6
2,4
2,0
1,9
1,6
1,5
1,4
0,4
0,3
0,2
29,4
24,4
30,1
12,0
1.293
31.891
4,1
100,0
Quelle: Statistisches Dossier Immigration Caritas/Migrantes. Ausarbeitung mit Daten von ISTAT
129
Italien: Gewährung der Staatsbürgerschaft nach Grund und Herkunft (2005)
Herkunftsregion
130
EU 15
EU neue Mitgliedsländer*
Mittel-Osteuropa
Europa andere
EUROPA
Nordafrika
Westafrika
Ostafrika
Zentral- und Südafrika
AFRIKA
Westasien
Zentral- und Südasien
Ostasien
ASIEN
Nordamerika
Mittel- und Südamerika
AMERIKA
OZEANIEN
Insgesamt
a.W.
367
1.161
5.505
624
7.657
3.734
671
415
210
5.030
649
496
578
1.723
250
4.539
4.789
54
%
1,9
6,0
28,6
3,2
39,7
19,4
3,5
2,2
1,1
26,1
3,4
2,6
3,0
8,9
1,3
23,6
24,9
0,3
Durch Heirat
a.W.
270
929
3.447
617
5.263
975
224
171
135
1.505
266
147
288
701
213
4.120
4.333
48
Italien: Gewährung der Staatsbürgerschaft nach Grund und Region (2005)
Region
%
73,6
80,0
62,6
98,9
68,7
26,1
33,4
41,2
64,3
29,9
41,0
29,6
49,8
40,7
85,2
90,8
90,5
88,9
STAATENLOS
13
0,1
4,0
30,8
GESAMT
19.266
100,0
11.854
61,5
* Polen, Tschechien, Ungarn, Kroatien, Slowenien, Litauen, Lettland, Estland, Malta, Zypern; ohne
Rumänien, Bulgarien.
Quelle: Statistisches Dossier Immigration Caritas/Migrantes. Ausarbeitung aus Daten von ISTAT
Aosta-Tal
Piemont
Lombardei
Ligurien
Nordwesten
Trentino-Südtirol
Venetien
Friaul-Julisch Venetien
Emilia-Romagna
Nordosten
Norden
Toskana
Marken
Insgesamt
a.W.
54
1.681
3.109
533
5.377
463
1.934
673
2.200
5.270
10.647
1.340
852
Umbrien
Latium
Mittelitalien
Abruzzen
Kampanien
Molise
Basilikata
Apulien
Kalabrien
Süden
Sizilien
Sardinien
Inseln
Auslandsitaliener
ITALIEN
365
1.374
3.931
400
413
37
56
311
183
1.400
485
169
654
2.634
19.266
%
0,3
8,7
16,1
2,8
27,9
2,4
10,0
3,5
11,4
27,4
55,3
7,0
4,4
1,9
7,1
20,4
2,1
2,1
0,2
0,3
1,6
0,9
7,3
2,5
0,9
3,4
13,7
100,0
Durch Heirat
a.W.
30
928
1.475
352
2.785
242
1.009
397
1.051
2.699
5.484
771
463
233
761
2.228
276
326
30
49
209
157
1.047
343
143
486
2.609
11.854
%
55,6
55,2
47,4
66,0
51,8
52,3
52,2
59,0
47,8
51,2
51,5
57,5
54,3
63,8
55,4
56,7
69,0
78,9
81,1
87,5
67,2
85,8
74,8
70,7
84,6
74,3
99,1
61,5
Quelle: Statistisches Dossier Immigration Caritas/Migrantes. Ausarbeitung aus Daten von ISTAT
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