- Karola eV
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Herausgegeben von der RAA Berlin Redaktion: KAROLA – Internationaler Treffpunkt für Frauen und Mädchen e.V., Interviews & Fotos: Marily Stroux Wege zu Bildung und Arbeit für Roma und für Sinti Kupfer, Gold und Silbentrennung Inhalt Interviews 8 Kursteilnehmerinnen bei KAROLA e.V., Hamburg Natasa Kurtovic, Fatime Ismailova, Ljiljana Sacirovic 13 Mitarbeiterin bei KAROLA e.V., Hamburg Christine Solano 17 Kursteilnehmerinnen bei KAROLA e.V., Hamburg Suzana Jovanovic, Sandra Todorovic 19 Studentin, Hamburg Jasmin Demirovic-Schulze 22 Kursteilnehmer bei Kiez mobil, RAA Berlin Bane Mutic, Stan Slobodan, Munib Omerovic 25 Mediator bei Kiez mobil, RAA Berlin Zvonko Salijevic 27 Schauspieler, Berlin Hamze Bytyci Impressum Herausgeber und V.i.S.d.P. RAA Berlin, Britta Kollberg Redaktion KAROLA – Internationaler Treffpunkt für Frauen und Mädchen e.V., Regina Bakar zusammen mit Antje Hofert, Christoph Leucht, Melanie Lorenz, Sandra Niederer und Marily Stroux Interviews & Fotos Marily Stroux Sachtexte: Christoph Leucht Transskribierung: Doreen Schröter und Salinia Stroux Gestaltung grafik:sommer, Hamburg Druck Mottendruck, Hamburg Ein Projekt der Arbeitsgruppe »Sinti und Roma« koordiniert durch das Projekt »Migration, Asyl und Arbeitsmarkt« im Rahmen der europäischen Gemeinschaftsinitiative EQUAL. Mitglieder der Gruppe sind die Träger von drei EQUAL-Teilprojekten: RAA Berlin, südost Europa Kultur e.V., KAROLA e.V. – Internationaler Treffpunkt für Frauen und Mädchen sowie Marily Stroux und Christoph Leucht In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz – Generalsekretariat, Team Migration und Integration, Projekt »Migration, Asyl und Arbeitsmarkt«, Carstennstr. 58, 12205 Berlin Weitere Informationen www.equal - asyl.de Erscheinungsdatum Mai 2008 Gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, den Europäischen Sozialfonds (ESF) und die Freudenberg Stiftung 31 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer bei RAA Berlin Seherazada Music, Amir Mustafic 33 Mediator bei RAA Berlin Zikica Ibraimovic 37 Mitglied im Auschwitz-Komitee, Hamburg Frieda Larsen 42 Landesverein der Sinti e.V., Hamburg Rita und Gottfried Weiß und Regina Mechau 45 Roma, Kultur und Überraschungen Gespräch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von RAA Berlin, Kiez mobil, südost Europa Kultur e.V., KAROLA e.V. und der Freudenberg Stiftung Informationsteil 56 58 60 62 64 66 68 72 73 73 74 2 Wege in die Erwerbsarbeit, KAROLA e.V. Novi Vidici, südost Europa Kultur e.V. Kumulus Plus, RAA Berlin Kiez mobil, RAA Berlin Kooperation, Integration, Beschäftigung und Arbeit für Sinti in Hamburg Roma und Sinte – durch Selbstorganisation zu Existenzsicherung und Beschäftigung Überblick von Bildungs- und Beschäftigungsprojekten von und für Roma und Sinti in Deutschland Politische Dokumente zur Situation der Roma und Sinti Materialien aus EQUAL -Projekten Überblick zur rechtlichen Situation von Roma und Sinti Literatur Wege zu Bildung und Arbeit für Roma und für Sinti Kupfer, Gold und Silbentrennung 3 Einleitung Kupfer ist die wertvollste Ware von Altmetallhändlern, einer Beschäftigung die auch ohne formale Qualifikationen einen einigermaßen einträglichen Verdienst verspricht. Gold ist das Sparbuch der Wahl für die, die Ihrer Umgebung und deren Institutionen und Rechtssystem auf Grund schlechter Erfahrungen mißtrauen. Silbentrennung, Schriftsprache und Alphabetisierung ist der neue Reichtum derer, die sich aufmachen, diese Umgebung neu für sich zu erobern. Oftmals selbständige Berufstätigkeit auch ohne formale Qualifikation, ja manchmal sogar ohne lesen und schreiben zu können, tiefsitzende historische und aktuelle Diskriminierungserfahrungen und das mühsame und freudvolle Erlernen des Alphabets als Schlüsselqualifikation für alle weiteren Aus- und Fortbildungen vereint die Mehrheit derjenigen Roma und Sinti, die an den in diesem Buch vorgestellten fünf Projekten teilnehmen. Zugleich unterscheiden sich sowohl die Projekte in ihrem Ansatz als auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach ihrem Alter, ihrer Herkunft, ihrer sozialen und rechtlichen Lage und nicht zuletzt kulturell und in Bezug auf ihre Bräuche und Traditionen sehr voneinander. Mit diesem Buch wollen wir die persönlichen Erfolge der Schüler, Kursteilnehmerinnen, Praktikanten und zur Qualifizierung beschäftigten Roma und Sinti sichtbar machen, die Projektansätze vorstellen und die Leser ermutigen, es den Teilnehmern und Projektgründerinnen gleich zu tun. Doch zuerst ein kleiner Exkurs zur Arbeitsmarktsituation von Roma und Sinti im Allgemeinen und dem Versuch des deutschen Programms im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative EQUAL, diese zu verbessern. Verschiedenste Studien und Berichte haben im Rahmen der Vorbereitung des EU -Beitritts der ost- und mitteleuropäischen Staaten1 deutlich gemacht, dass Armut und soziale Ausgrenzung die dort lebenden Roma weit überdurchschnittlich 4 betrifft. Zwei der deutlichsten Ursachen sind Diskriminierung im Alltag und am Arbeitsmarkt und fehlende Qualifikationen und formale Ausbildungsabschlüsse. Beides be- bzw. verhindert den Zugang zum Arbeitsmarkt und führt zu einer geschätzten Arbeitslosigkeit von 70 bis 90 Prozent. Die daraus resultierende Armut führt zu weiteren schwerwiegenden sozialen Problemen, die menschenrechtlich bedenklich und im Rahmen der EU -Integrationspolitik von vordringlicher Bedeutung sind. Auch die in Deutschland als einheimische Minderheit, als eingewanderte Arbeitsmigranten oder als Kriegs- und Armutsflüchtlinge aus Osteuopa lebenden Roma und Sinti sind wie keine andere ethnische Gruppe vor Ort von Ausgrenzung und Diskriminierung am Arbeitsmarkt betroffen. Durch die Ermordung der Sinti und Roma im deutschen Nationalsozialismus und die höchst unzulänglich erfolgte Wiedergutmachung und Reintegration der überlebenden Sinti und ihrer Familien in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg ergibt sich politisch zusätzlich eine besondere Verantwortung für die Verbesserung der sozialen Lage der Minderheit seitens des Staates und der Zivilgesellschaft in Deutschland. Dieses Buch beschreibt Projekte zur Förderung von Roma und Sinti am Arbeitsmarkt in Deutschland, die zum großen Teil in der zweiten Förderrunde des EQUAL -Programms2 entstandenen sind. Ergänzend werden in Kurzform die Inhalte und Ergebnisse der in der ersten EQUAL - Runde durchgeführten Entwicklungspartnerschaft3 »Roma und Sinte – durch Selbstorganisation zu Existenzsicherung und Beschäftigung« beschrieben. Nachdem es in der ersten Förderrunde nur diese eine von 109 Entwicklungspartnerschaften zur Förderung von Roma und Sinti gegeben hatte, sollte in der 2. Förderrunde »… in allen Themenbereichen auf die Unterstützung von Sinte und Roma und von Opfern des Menschenhandels besonderes Augenmerk gelegt« werden.4 Von über 300 eingereichten Anträgen hatten sich nur zwei Entwicklungspartnerschaften beworben, die etwas für die spezielle Förderung von Roma und Sinti am Arbeitsmarkt tun wollten. Beide wurden im Auswahlverfahren abgelehnt, so dass keine der 129 bewilligten Entwicklungspartnerschaften in der zweiten Förderrunde das in der Ausschreibung erwähnte Kriterium erfüllte. Im Rahmen der Programmevaluation wird zu klären sein, warum es auch bei vorhandenem politischem Willen im deutschen EQUAL -Programm so schwer fiel, die oben genannte besondere Verantwortung für die Verbesserung der Lage der Sinti und Roma in Deutschland wahrzunehmen. In anderen Programmländern beschäftigt der Programmträger Roma als Berater, um den Romaorganisationen bei der Entwicklung von ESF - förderfähigen Projekten zu helfen. In Ungarn bspw. befassten sich weit über die Hälfte der EQUAL Entwicklungspartnerschaften mit der Förderung der Chancengleichheit für Roma am Arbeitsmarkt. Daß am Ende nur drei von mindestens 500 Teilpojekten in Deutschland Roma und Sinti als besonders herausgehobene Zielgruppe für die zweite Förderrunde erreichten kann aus Programmsicht nicht als Erfolg gewertet werden. Durchaus erfolgreich waren zugleich die drei in diesem Buch vorgestellten Teilprojekte zur Förderung von Roma am Arbeitsmarkt, die jeweils in Entwicklungspartnerschaften mit anderen Themen eingebettet waren. Sie befassten sich mit der Förderung von jugendlichen Roma, Roma-Frauen und erwachsenen größtenteils nicht alphabetisierten Roma. Alle drei machten die Erfahrung, dass es eine Weile dauert bis die interessierten Roma und das Projekt eine Vertrauensbeziehung aufgebaut haben und dass es danach für die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer zuerst um Alphabetisierung geht. Darauf aufbauende Kurse oder Beschäftigungsmaßnahmen sind dann im Rah- men der auf 3 Jahre beschränkten Laufzeit oft nicht mehr möglich. Ergänzend wurden zwei weitere mit ESF -Mitteln geförderte Projekte für junge Roma ohne Schulabschluß und für arbeitslose Sinti in die Präsentation einbezogen. Alarmierend ist nun wiederum, dass wir mit diesen fünf Projekten bereits alle auf die Förderung von Roma und von Sinti spezialisierten aktuellen Qualifizierungs- und Arbeitsmarktförderprojekte in Deutschland beisammen haben. Es gibt darüber hinaus noch eine ganze Reihe von Projekten5 zur Bildungsförderung und seit kurzem das Wohnungsbauprojekt des Landesverbandes der deutschen Sinti und Roma Schleswig-Holstein, in welchem sich die zukünftigen Bewohner der Sinti-Siedlung während der Bauphase auch qualifizieren können. Sehr erfreulich ist, dass das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung seinerseits ein großes Interesse an der Intensivierung der Fördermaßnahmen in diesem Bereich hat. Nicht zuletzt deshalb hat es die Entstehung dieses Buch gefördert. Es richtet sich an Roma- und Sintiorganisationen, Qualifizierungsträger und öffentliche Verwaltungen und soll motivieren und inspirieren, Projekte zu entwickeln, zu vernetzen und von den bereits gemachten Erfahrungen zu profitieren. Die fünf bzw. sechs im Buch mit Interviews und detaillierten Projektbeschreibungen vorgestellten Projekte weisen auf einen weiteren Umstand hin. Gleich oder sehr ähnlich ist für alle Roma und Sinti lediglich die gemeinsame Diskriminierung als Zigeuner von außen. Eine homogene Zielgruppe für Arbeitsmarktförderprojekte bilden weder Roma noch Sinti für sich, noch beide Gruppen zusammen. Nicht nur kulturell unterscheiden sich die bereits seit 600 Jahren in Deutschland einheimischen Sinti und die erst in den letzten 150 Jahren zugewanderten Roma in einigen Punkten erheblich. Wichtiger noch für die Konzeption von Arbeitsmarktförderprojekten sind die sozialen Unterschiede. Wie bei allen anderen Volksgruppen und 5 ethnischen Minderheiten gibt es Reiche und Arme, Gebildete und Analphabeten, erfolgreiche Selbständige ohne formale Qualifikation und erfolglose Akademiker mit jahrelangem Studium und vice versa. Von der Bildungsmisere sprechen Aktivisten wie Daniel Strauß vom Landesverband der deutschen Sinti und Roma aus Baden-Württemberg deshalb, weil es weit überdurchschnittlich viele Sinti und Roma in Deutschland gibt bei denen Diskriminierung am Arbeitsmarkt und fehlende Qualifikationen zu Armut, Ausgrenzung und sozialer Verelendung führen. Es besteht also erheblicher Förderbedarf und welche Projektstrategie letztendlich Erfolg verspricht hängt von den konkreten Vorausetzungen der Teilnehmer, der Beschaffenheit des Zielarbeitsmarktes und der Kompetenz des Projektträgers ab. Die EQUAL - Teilprojekte »Wege in Erwerbsarbeit« aus Hamburg, »Novi Vidici« und »Kumulus Plus« aus Berlin und die ebenfalls mit ESF -Mitteln geförderten Projekte »Kiez mobil« und »KIBA AktivJob« werden in Interviews aus Sicht der Teilnehmerinnen und Mitarbeiter und durch die gemeinsamen Reflektionen von Projektvertretern in einem Gruppengespräch vorgestellt. In einem anschließenden Sachteil werden die Teilnehmer, die Projekte und deren Lösungsansätze (Problem – Strategie – Ergebnis) dargestellt. Ein das Buch abschließender Infoteil enthält einen Überblick über aktive Bildungs- und Qualifizierungsträger von und für Sinti und für Roma in Deutschland, einige rechtliche Grundlagen, die wichtigsten politischen Dokumente sowie eine Literaturliste, die besonders die im Rahmen von Equalprojekten aus ganz Europa produzierten Materialien berücksichtigt. Die nun folgenden Interviews wurden zwischen April und September 2007 von der Fotografin und Buchautorin Marily Stroux mit Roma, Sinti und Nichtroma, Teilnehmern und Mitarbeiterinnen aus allen fünf Projekten geführt und transkribiert. 6 Die hier und da gekürzte und orthografisch angepasste Schriftversion wurde den Interviewten vorgelegt und mit oder ohne vereinzelte Änderungswünsche von ihnen autorisiert. Die Texte sind dadurch weder sprachlich geglättet noch journalistisch bearbeitet worden und spiegeln die authentische Sicht der Befragten wieder, die natürlich nicht in jedem Fall mit den Ansichten der Arbeitsgruppe übereinstimmt, die dieses Buch gemacht hat. Nachdem das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Rahmen des EQUAL -Programms die Recherche, die Anfertigung der Texte und das Layout finanziert hatte, konnte die Freudenberg Stiftung dazu gewonnen werden, die Druckkosten der ersten Auflage zu übernehmen. Beiden sei dafür im Namen aller Mitwirkenden herzlich gedankt. 1 U. a. Roma in einer erweiterten Europäischen Union, Brüssel 2004 2 »Die aus dem Europäischen Sozialfonds geförderte Gemeinschaftsinitiative EQUAL zielt darauf ab, neue Wege zur Bekämpfung von Diskriminierung und Ungleichheiten von Arbeitenden und Arbeitsuchenden auf dem Arbeitsmarkt zu erproben.« siehe www.equal.de 3 Die Gründung von Entwicklungspartnerschaft genannten Projektnetzwerken war Förderbedingung für die Teilnahme am EQUAL- Programm und neben dem Mainstreaming, der transnationalen Kooperation und der Entwicklung und Umsetzung innovativer Ansätze eines der Strukturmerkmale aller geförderten Projekte. 4 in: BMWA (Hg.): INNOVATION DURCH VERNETZUNG. Informationen zur 2. Förderrunde der Gemeinschaftsinitiative EQUAL, Berlin 2004, S. 8 (Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit wurde in der Zwischenzeit in Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung – BMAS – umbenannt) 5 siehe hierzu: Bachmann / Büsing / Kammerer / Yazar – BIVS. Informationen und Empfehlungen zur Bildungs- und Berufsförderung für Sinti und Roma in Deutschland, Berlin 2006 7 Natasa Kurtovic Kursteilnehmerin bei KAROLA e.V., Hamburg Ich bin 26 Jahre und in Hamburg geboren. Wie lange ist deine Familie schon in Hamburg? Ich weiß nicht genau, weil ich nicht rechnen kann, aber meine Schwester ist fast 30. Sie ist in Jugoslawien geboren. Mein Bruder ist 20 oder 21. Er ist in Hamburg geboren. Wann bist du glücklich? Wenn meine Kinder glücklich sind. Ich habe zwei Kinder. Mein Sohn ist im September neun Jahre alt geworden, meine Tochter im Oktober acht. Als Kind hattest du einen Traumberuf? Ja! Ich wollte Friseurin werden, aber das habe ich nicht geschafft, weil ich nicht zur Schule gegangen bin. Ich war aber nur bis zur vierten Klasse. Dann bin ich nach Jugoslawien gefahren zu meiner Oma und eine längere Zeit habe ich bei ihr gelebt. Dann bin ich zurück nach Deutschland, ich war etwas älter, dann bin ich ein bisschen wieder zur Schule gegangen. Sechste Klasse bin ich auch ein bisschen gegangen, aber ein bisschen nur und dann wurde ich erwachsen. Also nicht richtig, aber so, dass ich ein Mädchen war und dann nicht mehr zur Schule gegangen bin, weil ich immer mit Freundinnen unterwegs war und alles versäumt habe. Und als du bei deiner Oma in Jugoslawien warst, gingst du da zur Schule? Nein, weil meine Oma auch nicht schreiben und lesen kann. Sie war schon alt und wusste auch nicht, wie sie mir das beibringen soll, weil sie das auch nicht gelernt hatte. Aber ich habe von ihr gelernt zu nähen, zu kochen, andere Sachen, die man im Haushalt macht. Ich habe auch von ihr das Gesetz gelernt! Was ist das Gesetz? Das Gesetz ist, dass man in die Ehe geht, also nicht berührt. 8 Man sollte nicht einen Mann heiraten, der Frau und Kinder hat und man sollte nicht auf den Strich gehen – das gehört sich nicht. Wenn man in der Ehe Probleme hat, wenn es nicht mehr klappt, dann kann man sich scheiden lassen. Dann kann man wieder heiraten, einen Mann, der auch schon verheiratet war. Meine Oma war sehr lieb, sagte immer: »Pass auf dich auf, sei eine gute Mutter!« Was haben deine Eltern für Berufe? Meine Mutter hat mit 15 geheiratet und 3 Kinder gekriegt. Und du? Jetzt mache ich den Kurs hier seit anderthalb Jahren. Ich bin froh und ich bin stolz. Ich kenne Christine von klein an. Emins Vater hat einen Reklamezettel gesehen, wo Christine Frauen brauchte für einen Kurs und er hat gesagt, »wenn du willst, kannst du auch hingehen und das versuchen«. Ich habe vorher gearbeitet beim NDR in der Rothenbaumchaussee als Raumpflegerin. Es war für mich schwer, weil ich nicht lesen konnte. Als Raumpflegerin braucht man Mittel um sauberzumachen. Es war nicht schwer, aber für mich schon. Ich wusste nicht, was die von mir wollen, was sie brauchen. Aber ich hatte Glück, ich hatte eine nette Vorarbeiterin, die das bemerkt hat, aber mir nichts sagen wollte und sie hat mir immer die Farben gesagt, weil sie bemerkt hat, dass ich immer falsche Mittel benutzt habe. Sie sagte: »Gib mal die rote Flasche! Gib mal die grüne Flasche!« Und dann habe ich es so gemacht, dass ich zur Arbeit gegangen bin, ich bin um 4 Uhr morgens zur Arbeit gegangen, hab gearbeitet von 5 bis 7 Uhr, dann bin ich nach Hause gegangen. Meine Kinder waren allein zu Hause. Ich habe sie fertig gemacht, habe sie zur Schule gebracht und dann bin ich hierher gekommen. Jetzt komme ich seit anderthalb Jahren in die Schule und bin stolz, weil ich lesen und schreiben kann und Formulare ausfüllen – was ich vorher nicht konnte und immer Hilfe gebraucht habe von meinem Vater oder von anderen Leuten. Aber jetzt ist es viel, viel besser. Deswegen wünsche ich mir, dass andere Frauen das hören und lesen und obwohl sie Kinder haben, dass sie eine bessere Chance für eine bessere Zukunft kriegen. Ich wünschte, ich hätte eine Arbeit als Kindergärtnerin, als Kinderbetreuerin. Ich habe mich beworben vor drei Wochen und die haben mich nicht genommen wegen des Schreibens und Lesens. Deswegen muss ich mehr hierher kommen, um besser zu lernen. Dann klappt es vielleicht in einem Jahr. Ich hoffe es, ich wünsche es mir so und ich hoffe, dass viele Frauen sich trauen hier herzukommen. Sie brauchen sich nicht zu schämen. Man lernt auch andere Frauen kennen. Danach können sie Anträge schreiben für eine neue Wohnung, Formulare ausfüllen, andere Sachen auch! Wie ist es für dich jetzt, da du lesen kannst? Besser! Ich lese meine Post allein. Es gibt paar schwierige Sätze, die ich nicht verstehe, aber dann frage ich jemand anderen. Es läuft aber viel besser als vorher. Ich bin zufrieden. Man fühlt sich besser, weil man mehr wissen kann und überall hingehen kann und sich nicht zu schämen braucht in den Behörden, im Sozialamt oder Arbeitsamt, wo man sich immer geschämt hat, wo man immer jemanden mitgenommen hat und diese Formulare, wenn sie sie dir auf den Tisch stellen und du weißt nicht, was da steht und du magst nicht fragen, weil die sowieso sagen: »Asoziale Leute und dann noch nicht mal schreiben und lesen können!« Das ist das Schlimmste. Ich habe aber das Problem nicht, weil ich mich traue. Was ich verstehe, unter- schreibe ich und was ich nicht verstehe, da frage ich noch einmal nach und das ist gut. Warum bist du nicht zur Schule gegangen? Weil ich rumgehangen habe. Hast du dir gewünscht, dass du anders behandelt wirst in der Schule? Nein, das Problem hatte ich nicht. Ich habe gesehen, dass keiner mich vermisst, dass keiner was unternimmt, also fand ich es gut. Ich war jung. Ich bin jetzt auch noch jung, aber mir war es lieber überall hinzugehen, mit Freundinnen zusammenzusein, so mit 16. Es war ein Fehler, dass keiner gesagt hat: »Du musst zur Schule!« Dann wurde ich schwanger mit meinem Sohn, dann hat die Schule sowieso nicht geklappt, dann habe ich mein zweites Kind bekommen. So ist es dann gekommen, dass ich zu Hause war und mich um meine Kinder gekümmert habe. Aber jetzt mache ich das, ich wiederhole es, ich bemühe mich, damit ich besser werde. Wie machst du das mit deinen Kindern und der Schule? Ich möchte das mit ihnen gut machen, was ich selbst nicht gut gemacht habe. Dass sie zur Schule gehen, dass sie’ne Zukunft haben, dass sie einen Beruf lernen, das wünsche ich mir. Du wirst ihnen auch besser helfen können, jetzt wo du selber schreiben kannst. Ja, noch helfen meine Kinder mir, ich hoffe, dass ich meinen Kindern irgendwann helfen kann. Sie sehen das, wenn ich was nicht verstehe. Ich brachte Hausaufgaben mit nach Hause, die mein Sohn in der ersten Klasse gemacht hat und schämte mich, weil mein Sohn mich gefragt hat: »Wieso machst du das? Das mache ich doch gerade!« Mir war das peinlich. Er versteht das noch nicht, obwohl er acht Jahre alt wird. Ich habe ihm er9 klärt, dass ich nicht schreiben kann, seitdem hilft er mir und meine Tochter auch. Das war früher so, dass ich nicht mal ein Buch für meine Kinder lesen konnte zum Einschlafen. Jetzt kann ich auch nicht das ganze Buch vorlesen aber ein bisschen schaffe ich. Romanes spreche ich, aber meine Kinder sprechen mehr deutsch als die Muttersprache. Ich kann serbisch, jugoslawisch und romanes und die können nur romanes. Die verstehen es, einen sauberen Dialekt zu sprechen, sie reden besser deutsch. Ist nicht so schlimm. Was willst du als Beruf machen? Kindergärtnerin, aber es ist zu spät mit 26, habe ich gehört. Ich weiß es nicht, aber es gibt auch Stellen, wo sie dich auch älter nehmen. Für die Kinder zu kochen, Frühstück zu machen, sauberzumachen – damit wäre ich auch zufrieden. Wie viele Personen sind in deiner Familie? Ich wohne allein mit meinen Kindern. Wer ist die wichtigste Person in deiner Familie? Meine Kinder! Sehr, sehr wichtig! Und meine Mutter und mein Vater sind mir wichtig. Was kannst du am besten? Haushalt, gute Mutter sein. Bis du stolz, Roma zu sein? Ja, ich schäme mich nicht. Das ist von Gott. Wir sind gleich, wir sehen nur anders aus. Es gibt dunkle, es gibt helle. Ich schäme mich nicht! Ich bin stolz Roma zu sein! Was hast du gern an deiner Kultur? Die Musik, das Essen, wie wir uns verhalten, die Gesetze. Andere Leute haben andere Kultur als wir. 10 Hast du Freundinnen, die nicht Roma sind? Ja, ‘ne Nachbarin, die ist Polin, unsere Hausmeisterin kommt aus der Türkei. Das sind junge Leute, mit denen komme ich auch klar. Wir trinken Kaffee, reden, haben unsere eigene Meinung, das ist nicht schlimm. Ich komme mit vielen Leuten klar. Wann fühlst du dich beleidigt? Wenn sie sagen: »Scheiß Zigeuner!« Aber sie kennen uns nicht richtig. Vielleicht haben sie was gesehen, was sie schrecklich fanden, aber wir sind unterschiedlich! Es gibt türkische Roma, jugoslawische Roma, es gibt richtige Roma. Es gibt indische Roma, griechische. Ich weiß nicht, was sie gesehen haben, um zu sagen »scheiß Zigeuner«, also nicht zu mir, aber ich fühle mich schon beleidigt! Wir sagen auch manchmal »scheiß Deutsche«, wenn sie uns ärgern, aber nicht immer. Gibt es etwas, was du mit deinen Kindern extra tust, damit es ihnen besser geht als dir? Ja, dass sie eine Ausbildung haben, eine Ehre und eine bessere Zukunft. Ich wünsche mir nicht, dass meine Tochter Raumpflegerin wird. Das finde ich nicht was Schönes! Okay, es ist eine Arbeit, aber ich wünsche mir, dass sie was anderes machen kann. Dafür braucht sie die Schule und meine Unterstützung. aber jetzt tanzt ist Schauspieler Mein zweiter Sohn um zu tanzen. er r wa en ani Sp er Flamenco! In nco. ren tanzt er Flame Seit vier, fünf Jah Fatime Ismailova Kursteilnehmerin bei KAROLA e.V, Hamburg Ich bin 53 Jahre alt und in Stip, Makedonien, geboren. Wo bist du zur Schule gegangen? Ich bin bis zur dritten Klasse in Makedonien zur Schule gegangen, danach habe ich mit meinen Eltern bei der Tabakernte gearbeitet. Mit 20 Jahren habe ich dann geheiratet. Vor 17 Jahren sind wir mit meinem Mann und drei Kindern nach Hamburg gekommen. Mein ältestes Kind war damals 15 Jahre alt, das zweite sieben Jahre, das kleinste sechs Jahre. In Hamburg war ich immer zu Hause mit meinen Kindern. Ich habe sie zur Schule gebracht und wieder abgeholt, zu Hause habe ich gekocht – das ist auch Arbeit. Alle meine Kinder können schreiben und lesen. Weil ich es nicht geschafft habe, zur Schule zu gehen, habe ich immer meine Kinder zur Schule gebracht und alle drei haben die Schule fertig gemacht. Ich habe immer kontrolliert, dass sie auch wirklich hingehen. Mein Zweiter ist Maler von Beruf. Der Dritte ist Schlosser und der Erste wollte Koch werden. Mein zweiter Sohn ist Schauspieler aber jetzt tanzt er Flamenco. In Spanien war er, um zu tanzen. Seit vier, fünf Jahren tanzt er Flamenco. Was machst du jetzt? Die Schule ist meine Arbeit. Ich lerne Deutsch. Ich bin seit 17 Jahren in Hamburg, war aber immer zu Hause. Ich habe nie gearbeitet, kein Deutsch gesprochen. Jetzt bin ich schon zweieinhalb Jahre beim Kurs und kann schon ein bisschen lesen und sprechen. Nie war ich in einer anderen Schule außer bei KAROLA. Ich hoffe, dass es weiter geht, weil ich hier gut lernen kann. Es ist viel besser geworden. Als ich angefangen habe, habe ich gar nichts verstanden. Was willst du machen, nachdem du gelernt hast, zu schreiben und zu lesen? Arbeiten! Bisschen packen oder aufräumen, weil ich schon älter bin. Wie viele Personen sind in deiner Familie? Jetzt wohne ich allein. Ich bin getrennt. Es war sehr schwer. Wir hatten immer Streit! Jetzt ist Schluss damit! »Fertig«, habe ich gesagt! Er hat nicht gut reagiert. Er wollte, dass ich zurückkomme. Ich wollte aber nicht. Besser ist es für mich, wenn meine Kinder zu mir kommen. Wer ist die wichtigste Person in deiner Familie? Meine Kinder und Enkelkinder. Momentan treffe ich die Entscheidungen allein. Aber sonst mit KAROLA, das heißt mit Regina und Christine. Wann fühlst du dich beleidigt? Während meiner Ehe. Wenn mein Ex - Mann mich beschimpft hat! Ich möchte, dass er lernt, mich zu respektieren! 11 Ljiljana Sacirovic Kursteilnehmerin bei KAROLA e.V., Hamburg Ich bin 17 Jahre alt, geboren in Serbien in Bor. Ich bin seit drei Jahren hier. In Serbien hatte ich viele Probleme mit meiner Familie. Deswegen musste ich immer bei anderen Leuten schlafen. Meine Tante war hier und ein Mann hat mich hierher geholt. Mein Papa ist gestorben, mein Bruder auch. Wann bist du glücklich? Ich komme hier in die Schule und habe Spaß mit meiner Freundin Sandra. Was war dein Traumberuf als Kind? Friseurin. Das ist noch immer mein Wunsch. Erstmal werde ich hier lernen, später will ich in die Schule. Wo bist du schon überall zur Schule gegangen? In Serbien bin ich drei Jahre lang zur Schule gegangen, dann kam der Krieg und eine Bombe zerstörte unsere Schule. Die Schule ist ein bisschen schlecht in Serbien. Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum? Im Januar habe ich angefangen. Meine Tante hat mit Re12 gina gesprochen, weil ich gesagt habe, ich möchte gerne in die Schule. Ich lerne gerne hier! Wie viele Personen sind in deiner Familie? Ich, meine Tante, Onkel und Bruder. Was kannst du am besten? Was möchtest du noch besser können? Putzen! Bist du stolz, eine Roma zu sein? Ja, das ist mein Blut! Ich kann romanes schreiben und reden. Was hast du besonders gern an deiner Kultur? Die Kultur passt mir nicht, nur das gute Essen! Ich bin nicht verheiratet, ich habe Zeit. Wann fühlst du dich beleidigt? Wenn es meiner Familie nicht gut geht, wenn ich mich frage, warum bin ich allein, warum bin ich nicht verheiratet? Christine Solano und Enkelin Marianne … dieser Erfolg, dass die Frauen dabei bleiben und nicht aufgeben, das ist für mich ein richtiger Erfolg. Und ich würde mir wünschen, dass es weiter geht, damit man sie weiter bestärken kann … Christine Solano Mitarbeiterin bei KAROLA e.V., Hamburg Ich bin 54. Ich finde die Angabe zum Alter interessant, weil wir eine ziemliche Bandbreite von Frauen haben. Und es ist interessant, dass die jüngeren, die eigentlich in die Schule gehen müssten, nicht gehen, sondern zu uns kommen. Und die älteren, die jetzt über 50 sind und deren Kinder aus dem Haus sind, dass die plötzlich für sich entdecken, es ist toll in die Schule zu gehen. Ich wohne in Hamburg und glaube, ich bin eine echte Hamburger Deern – nicht ganz, es fehlt eine Generation. Ich habe eigentlich mein ganzes Leben in Hamburg gelebt, aber ich bin viel gereist, das war sehr wichtig, einfach um mich selbst als Ausländerin zu fühlen, und als Fremde in ein anderem Land. Und Deutschland aus der Distanz zu sehen, das war mir auch sehr wichtig. In welchen Momenten in der Arbeit fühlst du dich glücklich? Erstmal bin ich zufrieden, dass unsere Einrichtung für die Frauen anscheinend ein Platz ist, wo sie sich gut aufgehoben fühlen, in den sie Vertrauen haben, ja, wo sie das Gefühl haben, wir können ihnen helfen. Und glücklich bin ich, wenn ich merke, dass die Arbeit, die wir tun, wirklich auch Resultate bringt, die wir uns wünschen. Also wenn eine Frau Arbeit findet und sagt: »Hier geht’s mir gut!«, oder wenn sie feststellen kann: »Oh, ich kann auch andere Sachen mit meinen Kindern machen«, und sie neue Sachen ausprobiert und den Kopf aufmacht für was Neues – ich glaube, dann bin ich glücklich. Was hast du gehofft und was befürchtet, als das Projekt anfing? Gehofft habe ich, dass die Frauen das Angebot annehmen, und dass sie für sich ganz viel mitnehmen sollen. Befürchtet habe ich die viele Bürokratie, aber da haben wir uns jetzt einigermaßen ‘reingewurschtelt. Wann ist das Projekt für dich erfolgreich? Ich glaube, es wäre erfolgreich, wenn die Frauen mir nach anderthalb Jahren sagen könnten: »Es hat ihnen Spaß gebracht!« Weil das eine neue Lernerfahrung wäre. Keine der Frauen hat eine positive Schul- oder Lernerfahrung. Alles war negativ. Und wenn sie sagen könnten: »Es war schön, hier zu lernen« – das fänd’ ich gut. Weil dann etwas ankommt, dann entwickeln sich Sachen in den Köpfen. Ich denke, wir müssen die Erwartungen ganz niedrig halten, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass, wenn du nie eine richtige Schullaufbahn gemacht hast, und wenn du nie richtig Lesen und Schreiben gelernt hast, dass dann so viel verkümmert ist, und dass es ganz lange dauert und ganz mühsam ist, das aufzubauen. Ich denke, dieser Erfolg, dass die Frauen dabei bleiben und nicht aufgeben, das ist für mich ein richtiger Erfolg. Und ich würde mir wünschen, dass es weiter geht, damit man sie weiter bestärken kann und nicht mittendrin aufhören muss. In der letzen Woche gab’s für mich ein richtiges Highlight: Ich dachte, ich versuche es mal mit dem Wörterbuch, ob sie eine Idee davon haben, wie ein Wörterbuch funktioniert. Und das hat ihnen so viel Spaß gebracht zu entdecken, dass sie 13 ganz allein herausfinden können, was da steht. Und dann habe ich das Telefonbuch geholt, und wir haben im Telefonbuch geguckt, wo man vielleicht ihre Namen findet. Und sie haben gestrahlt und waren – es war so was von schön! – sie waren so stolz, als sie was gefunden haben! Sie waren plötzlich alle zehn Zentimeter größer. Das war für mich auch ein kleiner Erfolg! Wo sind die Teilnehmerinnen zur Schule gegangen? Für mich fängt alles mit dem Kindergarten an. Dass viele Roma-Kinder nicht in den Kindergarten kommen, weil es für die Eltern zu teuer ist, weil es Konflikte gibt mit den Erziehern oder so. Das heißt, sie kommen dann in die erste Klasse und haben eigentlich keine Vorbereitung dafür, weil sie nie gelernt haben, etwas in der Gruppe zu machen. Die Fertigkeiten, die man eigentlich braucht, um in die Schule zu gehen, die sind für sie völlig neu. Ob das ist, einen Stift zu halten oder eine halbe Stunde still zu sitzen oder zuzuhören, sich auf eine Sache zu konzentrieren… Und darauf sind auch die Lehrer nicht vorbereitet. Und innerhalb kürzester Zeit in der Schule fallen viele Kinder schon raus und werden ganz oft in die Sonderschulen – ja: abgeschoben. Das mag für einige Kinder gut sein, aber ich glaube, es ist damit insgesamt so, dass Roma - Kinder abgeschoben werden. Und der nächste Punkt ist der Übergang – in der Regel – von der Förderschule auf irgendwelche Berufsschulen oder in berufsvorbereitende Maßnahmen. Wo ich denke, da geht es so weiter, dass sich keiner wirklich die Mühe macht, sich genau mit der Problematik dieser Gruppe auseinander zu setzen. Das heißt, die fallen wieder heraus: aus der Schule und damit auch aus einer Berufsausbildung. Von vielen Frauen wissen wir, dass es so gelaufen ist. Das Resultat sind die Putzfrauen, die heute fast nicht mehr eingestellt werden, weil sie nicht lesen und schreiben können. Ich habe schon Anzeigen gesehen, wo sie Computerkenntnisse zum Putzen nachgefragt haben! Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum? Über den Abenteuerspielplatz, das ist 20 Jahre her. Auf diesem Abenteuerspielplatz auf St. Pauli am Brunnenhof. Traditionell haben auf St. Pauli immer viele Roma- und Sinti-Familien gewohnt. Und die Kinder sind aus fast allen Einrichtungen raus gefallen. Der Abenteuerspielplatz war offen für alle, und das haben hauptsächlich Roma-Kinder als richtiges Angebot für sich akzeptiert – und nach einer Weile auch die Familien. Ja, und da ich im Karolinenviertel wohne, was auf der anderen Seite von St. Pauli liegt, habe ich eben mitbekommen, was in St. Pauli Nord passiert und habe durch meine Arbeit am Brunnenhof viele Kontakte zu diesen Familien, die im Karolinenviertel wohnen, weil sie alle verwandt und verschwägert waren. Mein Traum war eigentlich, ein Angebot zu machen unterstützend zur Beratung. Vom Brunnenhof wusste ich, dass ganz viele mit den Behördenpapieren und den Anforderungen immer 14 große Probleme hatten. Da habe ich gedacht, das müsste eigentlich ein sinnvolles Angebot sein und gleichzeitig so etwas nach dem Motto »Wie können wir lernen, das allein zu schaffen?« Und so ist diese Idee mit der Alphabetisierung und mit dem Deutschlernen gekommen. Vor sieben Jahren habe ich bei KAROLA e.V. angefangen. Ursprünglich ist es eine Einrichtung der Kirche gewesen, als internationaler Treffpunkt, speziell für Frauen. Und es sind hauptsächlich türkische Frauen gekommen. Die damalige Leiterin der Einrichtung war eine Türkin und hatte den Schwerpunkt auf »türkische Frauen« gelegt. Vor 15 Jahren war es ziemlich problematisch mit den Flüchtlingen, die aus Bosnien und Kroatien kamen – hauptsächlich Roma - Familien, die dann bei Roma Familien im Karolinenviertel unterkrochen, die keinen richtigen Aufenthalt hatten und dadurch kein Geld, keine Versicherung und alles, was man sonst so braucht. Innerhalb kürzester Zeit haben sich zwischen den Menschen im Karolinenviertel große Probleme entwickelt. Das heißt, zwischen den Roma und der übrigen Bevölkerung. Wir sind damals dann, weil es eben wenige Leute gab, die Kontakte hatten zu Roma-Familien, ins Karolinenviertel gegangen, weil ich da auch wohnte, und haben versucht zu vermitteln. Dann hatte es Kontakte zu anderen Frauen gegeben, die dann auch angefangen haben, Kontakte zu knüpfen zu den Roma-Familien. Die haben sich dann mit angeschlossen bei KAROLA und haben Gelder beantragt, um speziell für Roma-Mädchen Schulförderung zu kriegen. Das ging bis 2000, 2001. Dann wurde leider das Geld gestrichen. Die Kirche hatte sich 1999 schon zurückgezogen. Damit konnte das Angebot leider nicht aufrechterhalten werden. Wir haben dann ehrenamtlich weitergemacht, und haben dann den Schwerpunkt mehr auf »Frauen« gehabt, weil für viele Frauen die Suche nach Arbeit eine der wichtigsten Sachen war, um sich weiterhin finanzieren zu können. Es wurde immer komplizierter mit der Sozialhilfe. Zum »Warum« würde ich gern nochmals sagen: Ich denke, dass heute all das, was von staatlicher Seite oder von anderer Seite finanziert wird, immer hauptsächlich einen quantitativen Erfolg sehen will. Und diesen Erfolg aufzuzeigen, das ist sehr schwer, wenn du mit Roma - Familien arbeitest. Und darum glaube ich, dass viele Einrichtungen, die früher am Rande auch mit Roma - Familien gearbeitet oder Roma - Familien unterstützt haben, das aufgegeben haben. Weil du da keine großen Erfolgsmeldungen geben kannst, sondern man schon ganz kleine Sachen als Erfolge sehen muss. Ich möchte einfach dran bleiben, weil ich glaube, dass Roma-Familien auf die Dauer in diesem Land überleben können, wenn sie bestimmte Kulturtechniken hier lernen. Ich weiß aber eben, dass es keine Sache von einer Generation ist, sondern von vielen Generationen. Und ich möchte es, auch wenn es so schwer ist zu erklären, nicht aufgeben. Ich denke, es ist ein ganz starker Halt in der Gruppe. Wahrscheinlich hat kaum ein Volk so viel Rückhalt in der eigenen Gruppe. Was ganz positiv sein kann, was auch sehr negativ sein kann. Wenn du versuchst auszubrechen, oder was anderes zu wollen. Halt bedeutet auch Kontrolle. Warum glaubst du, dass es hier so gut angenommen wird? Warum lieben sie euch? Ich glaube, es hat was mit Erfahrung und mit Vertrauen zu tun. Wegen der vielen Jahre, die die Familien speziell auch mich kennen. Das ist ein Vertrauensvorschuss, den wir da haben. Und ich kenne viele der Frauen und Männer, die auch manchmal zu uns kommen, seit ihrer Kindheit. Daher ist es ganz klar, dass sie sagen: »Wenn du dahin gehst, bist du gut aufgehoben.« Sie wissen auch, dass sie hier Sachen sagen können, die sie woanders nicht sagen dürfen. Darüber können wir auch streiten – und wir streiten manchmal gewaltig, aber das macht nicht das Vertrauen kaputt. Das ist ein Vertrauen, das über die Jahre gewachsen ist. Wir haben gemerkt, als wir jetzt versucht haben, ein paar von den Mädchen in andere Einrichtungen zu vermitteln, dass es innerhalb kürzester Zeit Konflikte gegeben hat und die Mädchen weggeblieben sind. Die sind nicht mehr hingegangen, weil das für sie irgendwie bedeutet hat: »Die wollen mich nicht mehr.« Wenn sie hierher kommen und wir streiten, dann kommen sie trotzdem wieder, weil sie wissen, das gehört hier dazu. Was willst du danach machen? Wir versuchen natürlich, wieder Gelder zu kriegen, und hoffen, dass es uns auch gelingt, um weiterzuarbeiten, wie wir das bis jetzt gemacht haben. Wenn es nicht gelingt, werden wir erstmal eine Weile ehrenamtlich weitermachen und hoffen, dass wir dann eine Finanzierung kriegen. Was wollen die Teilnehmerinnen danach machen? Eigentlich sind sie jetzt dabei, richtig Lust zu kriegen – bezogen aufs Lesen- und Schreibenlernen. Das war ein langer Prozess, dabeizubleiben. Für viele ist jetzt der Punkt gekommen, wo sie gemerkt haben, es kommt was dabei raus, und jetzt kann man eigentlich richtig lernen. Ich hoffe, dass es uns in irgendeiner Form gelingt, weiterhin Alphabetisierungskurse anbieten zu können. Was würdest du beim nächsten Mal genau so machen beim Projekt und was anders? Zum einen würde ich sagen, es ist absolut wichtig, so eine offene Arbeit zu haben. Das würde ich immer wieder machen. Dieses Am-Schreibtisch-Sitzen… Gut, hier sitzen wir auch am Schreibtisch. Aber die meisten Probleme lösen wir, wenn wir miteinander ‘ne Zigarette rauchen gehen oder auf der Straße ein Gespräch führen. Diese Offenheit zu haben, ist ganz wichtig. Ich fände es schön, für diese Arbeit mehr Luft zu haben, um auch dann im Stadtteil präsent zu sein, einfach die Beratung auf der Parkbank oder im Imbiss noch ein bisschen weiter zu vertiefen. Diese ganzen Veränderungen in der Gesellschaft und in den Sozialsystemen bedeuten für uns sehr viel mehr Arbeit, genau dadurch, dass viele nicht lesen und schreiben können. Das alte System der Sozialhilfe, was sie ein bisschen kannten, funktioniert plötzlich nicht mehr. Und das jetzt zu verstehen und fürs alltägliche Leben umzusetzen, das braucht viel Zeit. 15 Für viele unserer Familien bedeutet das, wenn sie früher gerade so hingekommen sind, dass sie in ganz vielen Fällen jetzt reingefallen sind. Ob das der Vertrag war, den sie fürs Handy unterschrieben haben, oder dafür, dass sie plötzlich hohe Wasserkosten gekriegt haben, die früher nicht so angefallen sind, oder dass ganz schnell was gekürzt wird von der Grundsicherung – das hat viele Familien in große Probleme gestürzt. Und es hat sehr viel von unserer Arbeit geschluckt. Aber ich denke, dass es ein Teil unserer Arbeit war, und der war wichtig. Es ist die permanente Auseinandersetzung damit, wie ich in dieser Gesellschaft bestehen kann. Wahrscheinlich müsste man einen größeren Anteil an Zeit auch für solche Sachen wie Sozialberatung haben. Wer ist die wichtigste Person in der Familie? Das ist für uns insofern eine wichtige Geschichte, das zu wissen, weil du dann irgendwas hast, wo du einen Hebel hast, um was zu bewegen. Das ist durchaus schon so, wenn dieser oder jener »okay« sagt, dann geht das. Sind das meistens die Männer oder die Frauen? Es kommt darauf an, worum es so geht. Viele sagen, die älteste Roma-Frau ist die entscheidende Person, wenn gar nichts mehr geht. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, Vieles mit Genehmigung des Mannes zu tun, auch wenn dahinter schon die Frau steht, die das »Okay« geben muss. Aber offiziell ist der Mann der Ansprechpartner. Was können die Teilnehmerinnen am besten? Das ist für mich schon manchmal faszinierend: Über Sachen, die für uns bindend, verpflichtend, rechtens sind hinwegzusehen, und zu sagen: »Ihr könnt mich alle mal!« Und sie haben eine ganz andere Spontaneität als wir. Wenn das Wetter schön ist, entscheiden sie: »Heute Nachmittag grillen wir mal oder fahren an’ See.« Wer ist die wichtigste Person in der Familie? Ich habe vor vielen Jahren einen Roma-Jungen adoptiert. Und da gibt’s immer mal wieder – auch wenn wir uns stellenweise sehr gut verstehen – da gibt es Situationen, in denen er über mich und ich über ihn schlucken muss. Das sind Kleinigkeiten. Ich erinnere mich noch daran, als er noch zu Hause wohnte, wenn es ums Abwaschen ging, schlicht und einfach ums Abwaschen, und ich nach Hause kam und den ganzen Tag gearbeitet hatte und gekocht hatte und was weiß ich, und er hätte abwaschen müssen, dann saß er am Tisch und hat mich mit großen Augen angeguckt und gesagt: »Aber wieso? Du bist doch die Frau, du musst doch abwaschen.« Ich denke ja für mich, als ein wenig frauenbewegte Frau war das das Schlimmste, was mir jemand sagen konnte. Inzwischen haben wir es hingekriegt, dass er seinen Teil an der Hausarbeit mit abdeckt. Wenn er bei seiner Ursprungsfamilie ist, dann ist es eine Schande für ihn, aber auch für die anderen in der Familie, wenn er abwäscht. Weil es keine Männerarbeit ist. Das zerreißt ihn ganz oft, weil 16 er nicht mehr weiß, was richtig und was falsch ist. Ich habe gerade Gestern abend mit seinen Töchtern telefoniert, die sich sehr darüber beschwert haben, dass sie putzen und aufräumen sollten, und der Sohnemann draußen zum Spielen war. Ich denke, da gibt’s auch innerhalb der Gruppe inzwischen solche Probleme, dass auch die Mädchen merken, es muss nicht immer so sein, wie es schon immer war, sondern sie sich was anderes wünschen. Es wird da für uns noch große Reibungen und Diskussionsbedarf geben. Ich habe gestern mit den Mädchen beschlossen, dass wir eine Familienkonferenz machen, um zu sehen, wie das in Zukunft gehandhabt werden soll. Da kommen genau zwei Kulturen aufeinander, und wir müssen sehen, wie wir damit umgehen können. Ich versuche das halt mit meinen deutschen Kulturtechniken in den Griff zu kriegen. Ob es funktioniert, weiß ich nicht. Und da kommen wir zu der Frage der wichtigsten Person in der Familie. Ich, als die Mutter, bin diejenige, die gefragt werden muss, und die nicht umgangen werden kann. Und daher ist es für die Kinder, meine Enkel, immer wichtig, dass sie mich ansprechen können. Sie wissen, dass, wenn ich was zu den Eltern sage, es auch Gewicht hat. Was bedeutet es für dich, oder für die Teilnehmerinnen Roma oder Sinti zu sein? Ich denke, es ist ein ganz starker Halt in der Gruppe. Wahrscheinlich hat kaum ein Volk so viel Rückhalt in der eigene Gruppe. Was ganz positiv sein kann, was auch sehr negativ sein kann. Wenn du versuchst auszubrechen, oder was anderes zu wollen. Halt bedeutet auch Kontrolle. Ich glaube, ausgestoßen zu werden – ich muss es von der negativen Seite her angehen – ist was sehr Gruseliges. Du wirst aus einer ganz klaren Struktur ausgestoßen, die dir Halt und Orientierung gegeben hat. Und du hast nicht gelernt, in der übrigen Gesellschaft verankert zu sein. Wenn jemand ausgestoßen ist, ist er entwurzelt. Da gibt es eine große Angst. Und auf der einen Seite ist die Gruppe Schutz, aber gleichzeitig bereitet sie nicht darauf vor, sich mit der Gesellschaft auseinander zu setzen. Es ist was, das mich ganz doll beschäftigt, weil ich diesen Familiendruck hasse. Und gleichzeitig denke ich: »Wie hätte diese Gruppe überleben können, wenn sie nicht diesen Halt und ihre eigenen Regeln gehabt hätte?« Suzana Jovanovic Von links: Ljiljana Sacrovic, Suzana Jovanovic, Sandra Todorovic, Regina Bakar Kursteilnehmerin bei KAROLA e.V., Hamburg Ich bin 24 Jahre alt und in Kladowo in Serbien geboren. Ich habe nur in Serbien in meinem Dorf gelebt. Ich bin vor vier Jahren hergekommen als Asylbewerberin. Zu dem Zeitpunkt war ich schwanger mit meiner Tochter. Jetzt habe ich drei Kinder. Die eine wird im August zwei und die kleine ist acht Monate. Mein Mann hat eine andere Frau und Zwillinge mit ihr. Alle zusammen sind das dann fünf Kinder. Wann bist du glücklich? Ich weiß nicht. In letzter Zeit bin ich nicht glücklich. Hier in der Schule nur. Was war dein Traumberuf als Kind? Lehrerin. Meine Mutter ist Hausfrau und mein Vater ist Maler. Nach der Schule will ich gar nichts machen. Ich habe drei Kinder. Wo bist du schon überall zur Schule/Berufsschule gegangen? In Serbien bin ich drei Jahre zur Schule gegangen, dann habe ich zu Hause gearbeitet, Kartoffeln gepflückt und den Haushalt gemacht. Ich habe eine Zwillingsschwester und einen Bru- der. Die sind beide in Serbien. Meine Schwester hat geheiratet. Ich habe bei meiner Mutter gewohnt. Dann bin ich hergekommen. Ich habe dann woanders gearbeitet. Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum? Ich bin im Januar gekommen. Die Ausländerbehörde sagte, ich soll einen Deutschkurs machen. Erst habe ich gedacht, »wieso muss ich sprechen lernen«. Jetzt weiß ich, das Leben hier ist schwer ohne Deutsch zu können. Beim Arzt, beim Einkaufen und überall musst du sprechen und du kannst deinen Kindern sonst nicht helfen. Ich lerne gut hier. Was kannst du besonders gut? Am besten kann ich kochen und putzen! Was gefällt dir daran, eine Roma/ein Rom zu sein? Bei uns ist das Essen gut und die Feste wie Hochzeiten. Wir haben viele Feiern. Im Jahr gibt’s 44 Gottesfeiern. 17 Sandra Todorovic Kursteilnehmerin bei KAROLA e.V. in Hamburg Ich bin in Boa in Serbien geboren und 16 Jahre alt. Erst habe ich in Boa gelebt und vor fünf Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. Meine Tante und ich sind wegen des Krieges weg. Wann bist du glücklich? Wenn ich eine glückliche Familie habe. Was war dein Traumberuf als Kind? Erstmal wollte ich Kindergärtnerin werden für kleine Kinder. Weil ich sie liebe. Jetzt finde ich das, wo die Frauen entbinden, toll. Ich mag zusehen, wie das Baby auf die Welt kommt. Das ist wunderschön. Was arbeiten deine Eltern? Weiß ich nicht. Ich bin ohne Eltern aufgewachsen. Wo bist du schon überall zur Schule gegangen? Das erste Mal hier in Deutschland, in Serbien nicht. Jetzt ist es hier so anders, so schön. Ich lerne schnell. In Serbien wusste ich nicht, was das ist, Schule, deswegen habe ich es nicht vermisst. Hier habe ich mich gefreut, zu sehen, wie es ist. Es ist sehr schön. Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum? 18 Im März. Meine Tante hat mir das empfohlen. Ich lerne hier gut. Ich möchte eigentlich weitermachen und dann eine Ausbildung als Hebamme anfangen. Wie viele Personen sind in deiner Familie? Ich, mein Cousin, meine Oma und mein Kind. Er ist sechs Monate alt. Der Vater ist auch hier aber ich bin nicht mit ihm zusammen. Wenn ich so darüber nachdenke, meine Familie ist mir das Wichtigste auf der Welt. Was ich gut kann? Ich kann sehr schön Haare flechten. Bist du stolz, eine Roma zu sein? Eigentlich erzähle ich es gerne. Was hast du besonders gern an deiner Kultur? Einmal im Jahr gibt es ein Fest bei uns. Das ist mit Lamm grillen. Wann bist du beleidigt? Wenn mich jemand ärgert, und meine Kultur beleidigt. Aus der Sicht meiner Eltern sollte ich mich nicht von ihren kulturellen Denkweisen weiter entfernen. Sie hatten die Befürchtung, dass ich ihnen zu fremd werde. Yasmin Demirovic-Schulze Studentin, Hamburg Ich heiße Salfeta Demirovic-Schulze, werde aber seit ca. zwölf Jahren Yasmin genannt. Ich bin 27 Jahre alt und wurde in Surdulica in Serbien geboren. Mit elf Jahren, im Jahre 1991, bin ich mit meinen Eltern und meiner Schwester Tatjana in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. In Hamburg wohne ich seit zirka anderthalb Jahren. Ich studiere jetzt Sozialpädagogik hier. Meine schulische Laufbahn in Serbien habe ich mit dem Abschließen der vierten Klasse der Grundschule beendet. In Surdulica war ich eine sehr gute und beliebte Schülerin. In Suderburg im Landkreis Uelzen begann für mich mit der Orientierungsstufe die deutsche Schulbildung. Zu Beginn beherrschte ich die deutsche Sprache nicht. Ich befand mich in einem mir fremden Land. Ich fühlte mich sehr isoliert und vermisste meine Roma-Freundinnen und besonders meine geliebte Oma. Zu der Zeit halfen mir Tagträume, die Vorstellung, wieder in Surdulica, in meiner gewohnten Umgebung, zu sein. In meinem damaligen Wohnort, Dreilingen (Landkreis Uelzen), gab es wenige Kinder. Meine sechs Jahre jüngere Schwester Tatjana war zunächst meine einzige Spielpartnerin im Ort. Die Schule stellte mir Deutschförderunterricht zur Verfügung, an dem ich mit anderen serbischen Kindern aus der Umgebung teilnahm. Ich machte sehr schnell Fortschritte und lernte die deutsche Sprache zu beherrschen. Ich lernte schnell, weil ich bilingual aufgewachsen bin. Meine Muttersprache ist Roma und Serbisch lernte ich damals in der Schule. Aus meiner Isolation bin ich mit Hilfe der deutschen Sprache entflohen. Nur dadurch konnte ich den Kontakt zu anderen Kindern beziehungsweise Jugendlichen herstellen. Dadurch fing es an, mir besser zu gehen. Mit dem Umzug von Dreilingen nach Suderburg kam die Pubertät und somit eine Wende in meinem Leben. Zu diesem Zeitpunkt fingen die Konflikte in meiner Familie an. Meine Eltern kamen mit meiner Veränderung nicht zurecht. Es deutete sich eine Überforderung ihrerseits im Umgang mit mir an. Ich wollte die gleichen Freiheiten haben wie meine deutschen Freundinnen, das heißt, etwas unternehmen, ausgehen, wie es in diesem Alter typisch ist – auch Jungs kennen lernen. Das durfte ich jedoch nicht, weil es nicht mit dem übereinstimmte, was meine Eltern für mich vorgesehen haben. Aus der Sicht meiner Eltern sollte ich mich nicht weiter von ihren kulturellen Denkweisen entfernen. Sie hatten die Befürchtung, dass ich ihnen zu fremd werde. Wenn es in der Familie keinen Konsens gibt, entstehen Probleme. Und so war es bei mir auch. Die Interessen und Bedürfnisse waren sehr unterschiedlich. Glaubst du, dass es gehen könnte, die Kultur zu behalten und trotzdem seinem Kind Freiheiten zu lassen? Ja, das glaube ich, dafür müssten jedoch die Eltern in Deutschland integriert und gut verwurzelt sein. Weiterhin ist dafür Selbstbewusstsein und Stärke von Seiten der Eltern erforderlich. Meine Eltern konnten diese Voraussetzung nicht aufweisen. Thomas (Ehemann): Es ist ein kultureller Spagat für die Eltern mit Migrationshintergrund, denn viele Eltern sind relativ jung Eltern geworden. Ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung war noch nicht fortgeschritten. Viele sind sich der Riesenverantwortung nicht bewusst. Sie haben eher »ich muss Kinder machen« anstatt »ich will Kinder bekommen« gedacht, und sich nicht selber ausreichend Gedanken über die Kindeserziehung 19 gemacht. Diese Eltern reisen nach Deutschland ein und merken, hier verläuft die Erziehung ganz anders. Sie unterscheidet sich deutlich von der Erziehung ihres Herkunftslandes. Die Wurzeln und die Familienstärke sind einfach nicht mehr da, es gibt nichts mehr, wo man sich anlehnen kann. Die Kinder entwickeln sich anders als von den Eltern gewünscht. Die Entwicklung der Kinder können die Eltern nicht verhindern und sind dadurch noch mehr mit der Situation überfordert. Aufgrund dessen ist es der Wunsch, dass die Wurzel, das was sie kennen, bleibt. Yasmin: Bei der Integration und der Verwurzelung stand uns die Familie Dehning, bestehend aus Ida, Horst, Petra und Hinnerk, mit Rat und Tat zur Seite. Wir hatten eine Kooperation, meine Eltern halfen bei der Landwirtschaft und im Gegenzug begleiteten sie uns zur Behörden, füllten uns Formulare aus. Im Allgemeinen gaben sie uns praktische Lebenshilfen. Petra ist Sonderschullehrerin und hat früher in Hamburg mit türkischen Migrantinnen gearbeitet. Mich hat sie jahrelang begleitet und unter anderem mit mir Zukunftsgespräche bezüglich Schule, Ausbildung und Aufenthaltsstatus geführt. Auch bei der Fremdunterbringung meiner Person war Ihre Hilfe von besonderer Bedeutung. Zu diesem Zeitpunkt war ich 15 Jahre alt. Meinen Eltern wurde das elterliche Sorgerecht entzogen und sie wurden über meinen Aufenthaltsort nicht informiert. Aus dieser Zeit ist der Name Yasmin entstanden und mir erhalten geblieben. Ich bin bei den Quäker-Häusern bei Buchholz untergebracht worden. Petra hat mich während der gesamten Zeit über begleitet. Meine Schwester Tatjana ist in der Familie geblieben. Aus gemeinsamen Gesprächen ist mir bekannt, dass sie mich sehr vermisste. Für mich war es eine sehr schwierige Zeit, für meine gewonnene Freiheit bezahlte ich einen hohen Preis. Ich fühlte mich häufig alleine, da ich aus den Strukturen der Großfamilie entflohen bin. Durch die Vermittlung meines Onkels mütterlicherseits kam es zu einem ersten Wiedersehen mit meinen Eltern nach einer Zeitspanne von drei Jahren. Nun war mein Wohnort Buchholz meinen Eltern bekannt. Allmählich konnte sich das Verhältnis entspannen. Die Angst, von meinen Eltern entdeckt und zurück nach Serbien geschickt zu werden, konnte sich einstellen. Meinen Ehemann Thomas lernte ich in der weiterführenden Schule kennen, den ich meinen Eltern vorstellte, dieser wurde von ihnen schnell akzeptiert, da er an ihnen, an der Kultur und Sprache interessiert war. Thomas: Ich mochte das Essen ihrer Mutter sehr. Liebe geht durch den Magen. Yasmin: Mit der Heirat mit Thomas waren meine Eltern einverstanden und unterstützen mich beim serbischen Konsulat in Hamburg einen Pass zu beantragen. 20 Das hat das Verhältnis zu deinen Eltern entspannt? Meine Eltern waren beruhigt zu merken, dass ich nicht auf die »schiefe Bahn« geraten bin, das heißt, sie haben weder Drogennoch Alkoholprobleme bei mir vorgefunden. Ihre Befürchtungen haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, ich führte allmählich ein zufriedenes Leben. Verhielten sich deine Eltern anders bei deiner jüngeren Schwester Tatjana? Ja, das taten sie. Die größeren Geschwister sind die Vorreiter, damit die jüngeren es dann besser haben. Das heißt, dass es ein langer und schmerzhafter Prozess für dich war, das durchzusetzen, dass dein Leben so verläuft, wie du es dir gewünscht hast? Drei Jahre lang hatte ich nur spärlichen Kontakt zu meinen Eltern, der aus Telefonaten und ganz wenigen Besuchen bestand. Meine Eltern gaben mich nicht auf und verziehen mir mein, in ihren Augen, Fehlverhalten. Auch ich habe ihnen verziehen, jedoch haben wir leider über die Zeit meines Wegbleibens wenig gesprochen. Wann hast du angefangen zu studieren? Im Jahre 2005. Zuvor absolvierte ich die Erzieherausbildung in Rotenburg Wümme, die ich mit einem »Gut« abgeschlossen habe. Der Weg zum Studium war lang und erfolgreich. Alle meine Schulabschlüsse holte ich nach. Angefangen von dem Hauptschulabschluss bis zu einem guten Vordiplom. Woher hast du diesen Willen? Den habe ich im Laufe der Jahre entwickelt. Ich habe an mich geglaubt. Bereits als kleines Mädchen glaubte ich an Gott und dachte, dass er mich liebt und dass ich mit seiner Hilfe meinen Weg gehen werde. Die Liebe meiner Oma förderte zusätzlich meine Willensstärke. Wie bist du dazu gekommen zu studieren? Ich habe die Erzieherausbildung absolviert und dabei gemerkt, dass mir das Lernen liegt und Spaß bereitet. Aus den guten Ergebnissen meiner Prüfungen entstand der Wunsch zum Studium. In der Regelstudienzeit werde ich das Studium voraussichtlich im Jahre 2009 abschließen. Mein Sozialpädagogikstudium wird finanziell glücklicherweise durch die Hans und Gretchen Tiedje - Stiftung finanziert. In meinem Bewerbungsschreiben schrieb ich, dass ich für eine ganze Kleinstadt, nämlich für Surdulica, studiere. Weiterhin schrieb ich, dass die Roma-Menschen dort nicht mit Bildung beschäftigt, sondern eher bildungsfern sind. Ich schilderte, dass diese Menschen mit Gedanken der Arbeitslosigkeit und Armut beschäftigt sind und dass das Lesen und Schreiben kein zentraler Bestandteil ihres Alltags ist. Zudem sind die Roma auch in der BRD eher in niedrigeren Berufsgruppen beschäftigt. Mir ist nicht bekannt, dass sie in Fakultäten oder in Universitäten vertreten sind. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie ihre Herkunft nicht sofort Die Liebe meiner Oma förderte zusätzlich meine Willensstärke. Meine geliebte Oma preisgeben. Mit Sicherheit gibt es Roma, die sich schämen, zu sagen, dass sie Roma sind. Bei mir selbst hat es gedauert, bis ich zu meiner Herkunft und Identität stehen konnte. Das tat ich aufgrund von Vorurteilen und Stigmatisierungen gegenüber der Roma. Jetzt sage ich bewusst, dass ich der Volksgruppe Roma angehöre. Das habe ich unter anderem zwei Freunden zu verdanken, die mich dazu ermutigten. Sie weisen selbst Migrationshintergrund auf und fanden meine Herkunft sehr spannend. Bis dato hatte ich zu viel Schamgefühl, um über meine Herkunft zu sprechen. Jetzt reagieren die Menschen positiv überrascht, wenn ich über mich erzähle. Unwissenheit und Vorurteile existieren bezüglich der Roma leider immer noch. Hast du dir überlegt, was deine Schwerpunkte in deiner Arbeit sein werden? Mein Schwerpunkt im Studium ist Bildung. Diesen Schwerpunkt habe ich mir bewusst gesetzt. Aber ehrlich gesagt, bevor ich der Einrichtung KAROLA begegnet bin, war mir der Gedanke nicht gekommen, in Hamburg mit Roma zusammenzuarbeiten. Aus der Begegnung könnten sich spannende berufliche Projekte entwickeln. Mein großer beruflicher Traum ist die Lebenswelt der Roma in Surdulica zu verbessern, insbesondere die Kinder zu unterstützen und zu fördern. Ich würde gerne mit deutscher Unterstützung und finanziellen Mitteln eine Roma-Schule und einen Roma-Kindergarten dort aufbauen. In der Tätigkeit würde ich gerne meine Schwester Tatjana einbinden. Aber auch die Integration zwischen den dort lebenden Roma und Serben würde ich gerne vorantreiben. Ich würde in diesem Projekt als Koordinatorin fungieren und bei Bedarf den Aufbau auch vor Ort längerfristig begleiten. Die dort lebenden Kinder liegen mir am Herzen. Ich möch- te ihnen eine Struktur und einen geregelten Tagesablauf bieten. Weiterhin soll ihnen eine angemessene Förderung und Beschulung zuteil werden. Es ist mein Traum, dass Bildung dort ein wichtiger Bestandteil des Roma-Alltags wird. Die Kinder sollen auch in der Freizeit gerne Kinderbücher, Kindergeschichten und Märchen lesen. Ich möchte gerne, dass das Bild der Roma positiver wird, das heißt, es soll eine positivere Berichterstattung in Zukunft geben, deswegen finde ich dieses Buchprojekt auch gut und notwendig. Zum Abschluss meines Interviews möchte ich einen besonderen Dank an die folgenden Menschen aussprechen, die in meinem Leben eine wichtige Rolle haben: Ich bedanke mich bei meinem Mann Thomas, der für mich immer da ist und mich unterstützt. Bei Petra und Hinnerk, Horst und Ida, die in schwierigen Zeiten zu mir gestanden haben und meine Persönlichkeitsentwicklung unterstützt haben. Bei Sabine Blume, die als Sozialpädagogin mir geholfen hat, meine Ziele erfolgreich umzusetzen. Bei meinen Psychologen Herrn Weber und Herrn Kremser, die in der Zusammenarbeit eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung meiner Gesundheit übernommen haben. Beim Team der Quäker-Häuser, das mir die notwendigen Freiräume für mein Wachstum geschaffen hat. 21 Bane Mutic Kursteilnehmer bei Kiez mobil, RAA Berlin Ich bin In Schweden geboren und jetzt 16 Jahre alt. Woher kommst du? Ich habe in Niš (Serbien), Schweden und Deutschland gelebt, spreche serbisch und deutsch. Vor elf oder zwölf Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. Ich bin kein Roma. Ich bin ein Serbe. Ich kann kein zigeunerisch. Ich bin ein richtiger Serbe. Wann bist du glücklich? Wenn ich rappe und Videos drehe. Vor zwei Monaten habe ich durch meinen Freund angefangen. Was wolltest du werden, als du klein warst? Als Kind wollte ich Feuerwehrmann werden. Jetzt werde ich Rapper! Ich bin noch kein Profi, aber ich will ein eigenes Album herausbringen. Wie lief es in der Schule? Also, zur Grundschule bin ich ganz normal sechs Jahre gegangen, danach in die Oberschule und dann bin ich hierher. Ich habe ein paar Mal die Schule gewechselt. Aus der Grundschule bin ich rausgeflogen. Aus paar Schulen bin ich rausgeflogen. Dann bin ich ruhig geworden und hierher gekommen. Wenn die Lehrer und Lehrerinnen auf dich anders reagiert hätten, glaubst du, dass du nicht rausgeflogen wärst? Ja, das glaube ich schon, weil sie mich so genervt haben. Ich war sauer und habe meinen Tisch einfach so umgeworfen und den Spiegel kaputt gemacht. 22 Wieso haben sie dich genervt? Wegen meinem anderen Aussehen und so. Die haben mich einfach falsch behandelt, glaube ich. Jedes Mal bestrafen, nach jeder Kleinigkeit! Das musste nicht sein. Was hätten sie in der Schule anders machen sollen? Die sollten mich nicht nach jeder Kleinigkeit bestrafen. Hätten sie mich besser verstanden, dann wäre ich ein bisschen länger da geblieben. Aber egal, jetzt bin ich hier und ich hoffe, hier klappt alles besser. Ich bin hier glücklich. In meiner alten Schule dachte ich, ich schaffe es nicht mehr und dann habe ich von Bobo gehört, dass man hier Abschluss machen kann. Erst wollte ich nicht, dann habe ich mich angemeldet. Wie lange bin ich jetzt dabei? Nicht einmal zwei Monate – einen Monat. Meinst du, dass du was lernst? Ich will Rapper werden und dafür hilft es mir sehr. Wie groß ist deine Familie? Wir sind sechs Leute. Ich habe drei jüngere Brüder, meine Mutter und meinen Schwiegervater. Meine Mutter arbeitet als Sekretärin und mein Stiefvater ist Maler und Lackierer. Wer ist die wichtigste Person? Meine Mutter, dann meine Brüder. Stan Slobodan Kursteilnehmer bei Kiez mobil, RAA Berlin Ich bin 16 Jahre alt und in Serbien-Montenegro geboren. Jetzt ist es nur noch Serbien, weil Montenegro jetzt weg ist. Ich habe in Banscho und in Deutschland gelebt – in Sachsen-Anhalt, in Berlin, in Serbien und so weiter. Vor 13 Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. Wann bist du glücklich? Glücklich bin ich, wenn ich krompe (tanze)! Was hast du als Kind geträumt zu werden? Als Kind wollte ich Mafiaboss werden. Und heute? Jetzt will ich Kfz-Mechaniker werden. Wie groß ist deine Familie? Meine Eltern leben getrennt. Meine Mutter ist arbeitslos, glaube ich. Sie hat einen Ein - Euro -Job. Mein Vater ist Kfz Mechaniker. Wo bist du zur Schule gegangen? Hier in Deutschland bin ich zur Grundschule und Oberschule. Ich war noch nie in der Achten, bin immer sitzen geblieben. Die haben alle genervt. Ziemlich viel Scheiß gebaut habe ich. Die haben mich genervt. Die meisten haben mich respektiert, aber manche haben nicht eingesehen. Dann musste ich sie hauen. Deswegen kriegte ich immer Verweise und deswegen flieg ich immer von der Schule. Jetzt bin hier gelandet. Hattest du nie Lehrerinnen, die dich verstanden haben? Klar haben sie mich verstanden, aber der Direktor hat mich nicht verstanden und keiner hat was zu sagen außer der Direktor. Seit wann bist du hier in der Schule? Hier bin ich seit einem Jahr. Ja, ist schon okay hier. Was mich nervt, zum Beispiel es ist Pause, dann kommt Zvonko und sagt: »Kommt rein! Die Pause ist zu Ende!« Wir haben einen Türsteher hier, damit wir zum Unterricht gehen. Wenn man mich zwingt, zum Unterricht zu gehen, dann mach ich nicht mit. Dann lerne ich halt nichts. Wie groß ist deine Familie? Meine Familie ist sehr, sehr groß! Ich lebe eigentlich mit meinem Vater in Sachsen-Anhalt. Da kann ich aber nicht leben, weil ich hier zur Schule gehe. In den Ferien gehen wir dahin. Zurzeit lebe ich bei der Schwester meines Vaters. Sie hat sechs Kinder – alles Mädchen, außer mir. Ich bin der Jüngste, ich bin Roma. Gefällt es dir, Roma zu sein? Witze und Späße find’ ich bei uns Roma gut. Es gibt bei uns recht viele. Aber Politik und so, lass mal, wir sind die Schlimmsten da drinnen. Erzählst du, dass du Roma bist? Ich erzähle es natürlich. Die sagen zu mir »Zigeuner, Zigeuner« und ich sag: »Was? Deine Mutter ist Zigeuner!« Gibt es ein Sprichwort, was du während deiner Kindheit immer zu Hause gehört hast? »Pame tuglau!« – »Immer kühlen Kopf behalten!« 23 Munib Omerovic Kursteilnehmer bei Kiez mobil, RAA Berlin Seit 14 Jahren lebe ich hier. ‘92 bin ich hier nach Berlin gekommen. Ich bin 17 und in Bosnien in Tusla geboren. Wann bist du glücklich? Wenn ich mit meiner Familie zusammen bin, dann bin ich glücklich. Wie groß ist deine Familie? Ich habe vier, fünf Onkel. Mein Vater wurde abgeschoben. Er ist in Bosnien. Dann gibt es noch meine Mutter und uns sieben Geschwister – drei Schwestern, drei Brüder. Ich bin der Älteste, der Jüngste ist acht. Meine Mama ist krank. Sie war auch im Krieg. Sie kann nicht aufstehen, nur liegen. Meine Geschwister machen alles. Alle sechs Geschwister gehen zur Schule und machen den Haushalt. Was hast du als Kind geträumt zu werden? Ich habe geträumt, Polizist zu sein. 24 Was möchtest du jetzt für einen Beruf? Mein Wunsch wäre Kfz-Mechaniker. Wo bist du zur Schule gegangen? Ich war sechs Jahre in der Grundschule. Dann war ich in der Willy-Brandt-Schule bis zur achten Klasse. Ich war da zu frech und bin ich nicht regelmäßig zur Schule gegangen. Dann haben sie mich hierher geschickt. Von Zvonko die Frau hat mich hierher gebracht und meinte, hier kannst du besser lernen. Hätten sie dich in den anderen Schulen anders behandeln sollen, so dass du mehr Spaß am Lernen gehabt hättest? War schon alles okay in den Schulen. Wir haben eine andere Methode als die normale Schule wo sie früher waren. Mit mehr Gefühle und mehr Verständnis. Zvonko Salijevic Mediator bei Kiez mobil, RAA Berlin Ich komme aus Niš (Serbien), bin 31 Jahre alt und seit 1989 in Deutschland. Wann bist du glücklich in deiner Arbeit? Wenn die alle da sind, alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen und wenn die alle motiviert sind und aktiv am Unterricht teilnehmen, dann bin ich glücklich. Als Kind hattest du da einen Traumberuf? Ich wollte Privatdetektiv sein. Irgendwas mit Militär. Jetzt arbeite ich als Mediator/Co-Teacher. Was für Berufe üben deine Eltern aus? Mein Vater ist Schweißer, meine Mutter Schneiderin. Wenn du dir was wünschen könntest, was wäre das? Das was ich mache, mit Jugendlichen arbeiten im Bereich »Schule und Ausbildung«. Wo bist du zur Schule gegangen? Ich hab oft die Schule gewechselt. Acht Jahre in Niš, in Serbien, da wo ich geboren bin, und mittlere Schule. Ich war drei Jahre in Sarajevo in der Militärschule. Danach bin ich 1992, es war Krieg, nach Sarajevo. Ich habe abgebrochen und danach bin ich wieder nach Niš. Da habe ich weiter als Verkehrstechniker gearbeitet. Wann bist du zu diesem Projekt gekommen? 2002 bis 2005 war ich im EQUAL -Projekt bei der RAA und ich habe auch eine kleine Umschulung gemacht. Da habe ich Medienberater gelernt und Mediator. Dieses Projekt läuft seit April 2006. Seitdem bin hier eingestellt. Warum glaubst du, dass euer Schulangebot gut angenommen wird? Wir haben eine andere Methode als die normale Schule, wo sie früher waren. Mit mehr Gefühl und mehr Verständnis. Mit dieser Methode fühlen sie sich hier nicht, als ob sie in der Schule sind. Hier haben sie das Gefühl, irgendwas Gutes zu machen und sie haben ihre Meinung über die Schule hier stark geändert, natürlich zum Besseren. Was wollen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen danach machen? Da wo sie früher zur Schule gingen, waren sie nicht regelmäßig. Es ist ein schönes Wort dafür! Überhaupt nicht waren sie in der Schule. Hier bei uns gibt es eine Bewegung, eine gute Bewegung! Erstmal kommen sie hierher, nicht so regelmäßig, aber dreimal in der Woche. Das ist eine gute Sache, super schön!!! Die meisten wollen die Schule fertig machen und sich weiterbilden. Viele wollen Kfz-Meister werden. Die Mädchen wollen irgendwo im Büro arbeiten, wollen auch Friseurin sein. Es gibt viele Verbesserungen! Sie haben jetzt Berufsorientierungen im Kopf und vorher hatten sie überhaupt nichts. Sie lernen hier durchzuhalten. Wie schafft ihr das? Na ja, ich muss sagen, es ist auch schwer, aber auf den anderen Seite, sie brauchen viel Geduld. Auch in der normalen Schule braucht man viel, viel Geduld und dann kommen diese Ergebnisse. Aber erstmal Geduld. Danach kommt alles. 25 … erstmal Geduld. Danach kommt alles. Einmal kam ich nach Hause und war in Sorge. Meine Frau fragte: »Was ist los? Was ist passiert?« Ich sagte: »Mit diesen Jungs komm ich nicht klar, es geht gar nicht. Die sind ganz verrückte Kinder!« Meine Frau arbeitet auch in einer Grundschule und in zwei Hauptschulen. Sie hat gesagt: »Okay, was machen sie?« Ich antwortete: »Sie sind unmotiviert, unruhig.« Sie sagte: »Na ja, das ist normal! Da, wo ich arbeite, die Kinder, die sind auch so, es gibt keinen Unterschied, es ist normal für dieses Alter.« Dann hab ich mir überlegt, wir sind hier nicht anders. Die Kinder sind gleich. Wir müssen uns konzentrieren auf das, was wir erreichen wollen, auf die Hauptsache. Die sind nicht dumme Kinder. Sie sind sehr, sehr schlau. Sie können Vieles erreichen. Nur die Lehrer brauchen Geduld. Das ist sehr wichtig. Sie können schon viel. Motivieren ist schwer. Gute Motivation ist alles! Was können sie am besten? Sie kennen sich gut mit Musik aus, mit PCs, das heißt, mit Computern. Paar wissen schon viel über Autos. Jeder engagiert sich in der Richtung seines eigenen Interesses. Was würdest du beim nächsten Projekt genauso machen? Ich werde diese Methode nicht soviel verändern. Ich mag diesen Kontakt mit ihnen als Freund, nicht als Lehrer – einfach so. Vielleicht mit ein bisschen mehr Respekt. Wir haben schon viel geändert. Wer sind die wichtigsten Personen für die Kinder? 26 Die Eltern. Wenn ich nicht mit ihnen was erreiche, dann kontaktiere ich die Eltern und dann kann ich besser arbeiten. Auf der einen Seite sind die Eltern, auf der anderen Seite ich, dann kann das Kind nur in die gute Richtung gehen! Geht nicht anders. Was bedeutet es, Roma zu sein? Aus meiner Erfahrung ist es schwer zu sagen, dass man Roma ist. Ich verstehe es. Ich habe auch in paar Schulen hier in Berlin gearbeitet. Ich habe auch paar Lehrer interviewt und die haben gesagt, die Roma-Kinder werden diskriminiert von anderen Kindern. Nicht von den deutschen Kindern aber von arabischen, türkischen … Sie haben Vorurteile von den Eltern gelernt, kommen zur Schule und geben das weiter. Deswegen wollen sich einige Kinder nicht als Roma vorstellen oder bezeichnen. Aber paar von ihnen sagen stolz: »Ich bin Rom!« Das sind die Stärkeren und wenn die gut in der Schule sind, haben sie keine Probleme mit türkischen oder arabischen Kindern. Viele von uns waren Analphabeten, konnten die Sprache nicht. Mal war ich in der dritten Klasse mit zwölf, mal mit neun Jahren in der fünften Klasse – es wechselte ständig. Hamze Bytyci Schauspieler, Berlin Ich heiße Hamze, bin 25 Jahre alt und Roma aus dem Kosovo, aus der Stadt Prizren. Mit sieben Jahren sind wir zusammen mit meinem älteren Bruder und meiner Mutter hierher nach Deutschland gekommen. Mein Vater war schon zwei Monate hier. Wir sind aus dem Krieg geflohen. Wo hast du gelebt? Wir haben überall in Deutschland gelebt, elf Stationen (Transfers) ungefähr. Angekommen sind wir in München. Die erste Station waren Saarbrücken, Saarluis, Karlsruhe, Göppingen und von dort sind wir nach Aalen. Da ist mein jüngster Bruder zur Welt gekommen. Und dann sind wir nach Dortmund zu meiner Tante. Wir haben sehr viele Verwandte in Deutschland. Mütterlicherseits sind alle Geschwister in Deutschland. Die nächste Station war Castrop-Rauxel. Von da nach Xanten, Vreden für sieben, acht Monate und dann wieder zurück nach Karlsruhe. Von Karlsruhe nach Villingen-Schwenningen, dann nach Freiburg. Da haben wir ungefähr sechs Jahre in der Hammerschmiedstrasse in der Flüchtlingsunterkunft gelebt. Ich weiß nicht, warum wir so viel umgezogen sind. Ich denke, man wollte die Leute ein bisschen mürbe machen, so dass sie freiwillig ausreisen. Bist du zur Schule gegangen während der Umzüge? Ja, ich bin die ganze Zeit zur Schule gegangen. Teilweise gab es auch Lehrer in den Heimen, die uns freiwillig Unterricht gaben. Die haben versucht, nicht nur diesen Frontalunterricht zu machen, sondern zu gucken: »Was fehlt den Kindern? Wo können die andocken?« Viele von uns waren Analphabeten, konn- ten die Sprache nicht. Mal war ich in der dritten Klasse mit zwölf, mal mit neun Jahren in der fünften Klasse – es wechselte ständig. Was für Erinnerungen hast du an die Schulzeit? Im Kosovo, in Jugoslawien eine sehr gute, obwohl die Lehrer sehr streng waren. Hier würdest du vom Lehrer nicht geschlagen werden. Aber diesen Druck, den sie ausüben, diese Disziplin, das ist teilweise notwendig. Wenn ich es vergleiche mit den heutigen Verhältnissen – das ist schwierig. Teilweise wissen die Jugendlichen nicht, was sie mit ihrer Zukunft, ihrer Freiheit anfangen sollen. Sie sind wirklich überfordert. Jemand müsste ihnen einen Weg bahnen. In Deutschland habe ich am Anfang Schwierigkeiten gehabt, mich einzuordnen. Aber es war kein Vergleich zum Kosovo, weil hier die Leute viel pädagogischer ausgebildet sind, viel verständnisvoller. Obwohl man auch gemerkt hat, es ist ein bisschen, als ob sie ein schlechtes Gewissen haben. Man wurde mit Samthandschuhen angefasst, die Jugendlichen, die die Sprache konnten. Die anderen kamen in die Vorbereitungsklasse. Haben deine Eltern Berufe? In Jugoslawien hat meine Mutter schon mit 16 angefangen zu arbeiten. Und mein Vater hat als Gas -Wasser- Installateur gearbeitet. Als wir nach Deutschland kamen, hatten sie erstmal keine Arbeit, aber meine Mutter hat ganz schnell Arbeit gefunden. Sie hat die Haushälterin gespielt und hat dadurch viele Freunde gefunden und die Sprache schnell gelernt. Was für meinen Vater nicht so einfach war, weil er immer wieder irgend27 welche Hausmeisterdienste angenommen hat, aber nicht wirklich glücklich war. Und erschwerend kam noch hinzu, dass er mit diesem Aufenthaltsstatus keiner Arbeit nachgehen durfte. Ohne Aufenthaltserlaubnis keine Arbeit, ohne Arbeit… Ein Teufelskreis! Wie ist der Status heute? Ich habe damals viel übersetzt und den Leuten bei den Ämtern geholfen. Und ich fragte: »Ist es möglich?! Ich höre immer Integration – was muss man denn noch machen? Deutsches Blut trinken, damit man integriert ist?« Meine Familie hat jetzt auch eine Niederlassungserlaubnis bekommen. Ich habe damals meine Freundin geheiratet. Und eine Woche später haben sie auch die Befugnis bekommen – witzigerweise, obwohl wir da schon seit 16 Jahren in Deutschland waren. Wir kamen 1989 an. Die Mutter meines Sohnes ist ebenfalls Deutsche. Liou Constantin Ramazan (Ramadan=Islamischer Fastenmonat) hat nicht nur zwei Kulturen, sondern auch die Möglichkeit, zwei verschiedene Religionen kennenzulernen. Natürlich wird Liou auch seine Erfahrungen machen. Sein Sternzeichen ist ja zum Glück Waage und als erster Enkel beider Familien wird er seinen ersten Geburtstag binational feiern dürfen. Und wie es sich auch für einen Weltbürger gehört, feiern wir alle zusammen dieses Jahr das Zuckerfest (Bajram). Gibt es viele gemischte Ehen? Mehrere meiner Cousins leben mit einer deutschen Frau und haben gemeinsame Kinder, wie zum Beispiel Dzonis Sohn Noah. Er ist in der fünften Klasse einer anthroposophischen Schule. Es ist nicht einfach, da bei uns Roma die Familie einen starken Einfluss hat. Bei mir war das so: Da ich mit sieben Jahren hierher kam und hier aufgewachsen bin, wusste ich, das hier ist meine Kultur. Und ich kann nicht mit einer Frau klar kommen, die mir aufgesetzt wird. Das haben meine Familie und meine Verwandten akzeptieren müssen. Für meine Familie war es nicht einfach, weil bei uns die Braut einen ganz anderen Stellenwert hat als hier. Hier ist sie einfach die Frau, aber bei uns ist sie die Braut, die Tochter, das Vorzeigeobjekt. Ja, da gab es anfänglich kulturelle Schwierigkeiten, »aber wieso einfach, wenn es kompliziert geht«, sag ich immer. Was hast du geträumt? Ich habe witzigerweise immer davon geträumt, Feuerwehrmann zu werden, oder eben Schauspieler. Und das bin ich auch geworden. Ich bin hier zur Schule gegangen und hatte dieselben Schwierigkeiten wie jeder andere Jugendliche auch. Mir wurde im Ausländerheim geholfen, indem ich an künstlerischen Projekten teilnehmen durfte. Das habe ich mitgemacht und gemerkt, dass es für mein Selbstwertgefühl und für meine Min28 derwertigkeitsgefühle, die ich hatte, als Ausländer sehr gut tat. Dann hast du eine Ausbildung gemacht? Ich hatte meine erste große Hauptrolle mit neun. »Die Blume des Glücks« in Freiburg, meiner Heimatstadt, war der Grundstein meiner beruflichen Laufbahn. Danach kamen die »Schul- AG« und immer wieder Laientheater. Als die Realschule vorbei war und ich überlegte, was ich machen möchte, entschied ich mich für eine Ausbildung. Also begann ich mit verschiedenen Praktika. Ich wollte etwas Kaufmännisches, weil ich dachte, es sei schick, so mit Krawatte – also habe ich als Automobilkaufmann begonnen, was aber überhaupt nicht mein Ding war! Also dachte ich: »Nein, ich muss was Künstlerisches machen. Dann werde ich jetzt Koch!« Ich habe eine Ausbildung angefangen beziehungsweise ein längeres Praktikum. Nun, es war schwierig. Alle meine Freunde waren im Urlaub und ich habe in den Sommerferien in der Küche gebrutzelt. Und das war nicht gut. Irgendwann habe ich gedacht: »Also gut, dann mach ich die Schule weiter!« Währenddessen habe ich noch bei UPS gejobt. »Mann, was will ich denn wirklich«, habe ich mich gefragt. Also begann ich einen Abendkurs in der Freiburger Schauspielschule, bei der ich auch anschließend vorgesprochen und nach acht Semestern erfolgreich abgeschlossen habe. 2005, im Sommer war ich fertig, habe in Zürich an einem Theater vorgesprochen und ein Jahresengagement bekommen. Ich hatte immer mehr Glück als Verstand. »Das ist mein RomaSchicksal«, dachte ich immer. Als Schicksal würde ich auch die Begegnung zur Mutter meines Sohnes bezeichnen, mit der ich jetzt in Berlin eine Familie gegründet habe. Man kann sagen, dass es ein fruchtbares Jahr war, auch für mein berufliches Weiterkommen. Passend zu der Zeit nannten wir unseren 2006 gegründeten Roma - Deutschen - Verein »Amaro Drom« (Unser Weg). Dadurch entstanden viele Möglichkeiten für mich, selbstständig als Schauspieler und künstlerischer Leiter in diversen Vereinen und Organisationen, unter anderem beim Roma Aeter Klub Theater, MeDIA RrOMA, RAA Berlin und dem Südost e.V., tätig zu sein. Was findest du, was Roma am besten tun? Wenn sie konsequent sind, können sie alles erreichen. Und davon bin ich hundertprozentig überzeugt. Das Problem ist diese Stärke sich hinzusetzen und zu sagen »das ist jetzt mein Ziel.« Das fällt ihnen sehr schwer, da sie es in der Vergangenheit nie gelernt haben. Sie mussten sich immer durchmogeln, um etwas hinzukriegen. Es gibt definitiv unendlich viel Potential im künstlerischen Bereich! Und im kaufmännischen Bereich sowieso. Das ist ein Volk, das immer weltoffen gewesen ist, immer friedlich war, nie einen Krieg geführt hat. Ein Volk, das mit anderen Völkern sehr gut auskommen kann. … im Theater, dass sie versuchen, die Tonlage zu verstellen, dass sie die Lehrer so anschreien, als wäre es ein Kumpel … in Meine Cast g-Karte Eine Lebensweisheit? Ich habe mit meinem Vater immer albanisch gesprochen. Und mit meiner Mutter spreche ich jetzt romanes, seitdem mein Sohn auf der Welt ist. Ich verstehe es, aber gesprochen habe ich es zu Hause selten, weil man mir immer gesagt hat: »Du darfst nicht sagen, dass du Roma bist. Das wird hier nicht gerne angesehen.« Und es gibt ein albanisches Sprichwort, das heißt: »Majupi lüp Sor.« – »Der Zigeuner braucht Druck«. Das ist ein bisschen derb, aber es stimmt: Unter Druck entsteht manchmal auch was Gutes. Wann fühlst du dich beleidigt? Also, ich weiß, dass bei Jugendlichen diese Floskeln leider dazugehören. Und durch die Medien wird es auch noch verstärkt. Aber es ist auch ein Gruppengefühl, das sie haben. Wenn ein Fremder meine Mutter beleidigen würde, dann kann ich für nichts mehr garantieren. Wenn ich das Gefühl habe, bewusst missverstanden zu werden. Aber eigentlich bin ich ein Mensch, der selten beleidigt ist, eher jemand, der gerne Leberwurst ißt und nicht ist!!! Was machst du im Medienbereich? Die Arbeit mit Jugendlichen im Medienbereich war unter anderem mein Ansporn, nach Berlin zu kommen. Ich habe mir neben der Schauspielerei ein zweites Standbein damit aufgebaut. Ich möchte das, was mir gut getan hat, das Künstlerische, auch weitervermitteln. Wir haben in der Schauspielschule ganz viel über Schauspiel gelernt, aber viel wichtiger und wertvoller war es, dass ich mich kennen gelernt habe. In verschiedenen Situationen und wie ich als Mensch funktioniere. Es gibt viele gesellschaftliche Probleme, die man durch zum Beispiel Schauspiel einfacher lösen kann als durch einen anderen Beruf. Man kann ganz schnell in eine Rolle schlüpfen, lernt vielleicht auch dadurch, sich besser in jemanden hineinzuversetzen, und kann das dann ausleben. Es ist wichtig, den Jugendlichen andere Strukturen zu vermitteln, die ihren ein bisschen zu lockern, indem man Sachen macht, die sie sonst nicht so gut oder nicht so »cool« finden, wie zum Beispiel Museumsbesuche oder auf den Friedhof gehen. Es geht darum, ein bisschen zu sich zu kommen und den eigenen Doppelgänger ein bisschen weiter weg zu lassen. Im Künstlerischen darf man machen und sein, was man will. Also ist alles Theater! Dadurch haben sie Möglichkeiten, etwas zu spielen, was sie überhaupt gar nicht sein können oder nicht dürfen oder sollen. Dadurch werden Klischees abgebaut – ob das jetzt Ausländer sind oder andere. Du setzt das um im Film? Vieles ist Pädagogik, obwohl ich keine pädagogische Ausbildung habe. Was ich gelebt und erlebt habe, das kann und lerne ich ihnen zu vermitteln. Und ich merke, dass die Jugendlichen mich respektieren, weil ich versuche, ehrlich zu ihnen zu sein. Und wenn es nicht funktioniert, dann sag ich auch: »Verkackt.« Das Wichtige ist das Spielerische an den Theaterübungen: sich lockern, ein bisschen blödeln lassen und dann auch Übungen, mit denen sie zuerst überhaupt nicht klar kommen, wie zum Beispiel ein bisschen Yoga oder so etwas, was erst überhaupt nicht geht. Und witzigerweise finden sie das selber lustig. Am Anfang sagten sie: »Das ist total homo.« Jetzt haben sie gemerkt: »Ich fühle was«! Na so was aber auch!« Oder im Theater sollen sie versuchen, die Tonlage zu verstellen, 29 denn sie schreien die Lehrer teilweise so an, als wäre es ein Kumpel. Und ich meine: »Hey, ihr müsst schon wissen, wo die Grenzen sind.« Dann merkt man im filmischen Bereich – wenn sie versuchen sollen, sich selber darzustellen – dass sie da schon Probleme haben, weil sie sich nicht wirklich kennen. Sie versuchen etwas darzustellen, was sie gerne wären, und nicht das, was sie sind. Es ist ein langer Prozess, aber der macht Spass! Wenn ich merke, dass die Jugendlichen soweit sind, dass sie sagen: »Jetzt müssen wir ein paar Altlasten loswerden.« Mein nächstes Projekt ist ein Buch raus zubringen, so was wie ein »Roma - Knigge« für Roma oder auch Nicht - Roma. Über Geburtstage oder Feiern, dass man ungefähr weiß, wie man bestimmte Bräuche handhabt, was man bei Beerdigungen sagt, zur Verlobung, zum Geburtstag oder zur Taufe. Das ist das, was ich an meiner Heimat, an meinen Wurzeln, wichtig finde, diese Traditionen. Zum Beispiel schneide ich nachts nie meine Fingernägel. »Was soll denn das«, sagen die Leute. »Das macht man nicht, weil du glaubst, dass es Unglück bringt?« Und ich sag: »Ja, mach dich ruhig lustig darüber.« Warum versucht man nicht, sich das so vorzustellen, dass, wenn man es tagsüber macht, Glück bringt. Dass man es positiv sieht? Aber nur mit Ehrfurcht funktionieren wir. Es wird auch ein bisschen autobiografisch werden – eben der Weg von zwei Jugendlichen aus dem Kosovo. Wie finden deine Eltern das, was du machst? Am Anfang war es sehr schwer für meine Mutter. Zum Glück habe ich meinen Cousin Dzoni. Der ist sehr engagiert. Ich versuche, meine Schauspielerei und mein Privates zu verbinden. Meine Mutter meinte: »Mach doch eine Lehre. Koch wäre so schön, da stehen die Frauen drauf!« Ich habe dann während meiner Schauspielausbildung gearbeitet, dann Bafög bekommen. Aber von großer Bedeutung war, dass die Mutter von einem Freund mich finanziell unterstützt hat. Sie fand das toll. Ich habe viel, viel Hilfe gehabt, aber ich habe auch um Hilfe gebeten. Und wenn man Hilfe sucht, gibt es die immer irgendwo. Ich merke, dass es kleine, aber feine Unterschiede zwischen den Roma in Freiburg und den Roma in Berlin gibt. Dass die Roma in Freiburg viel mehr Ehrfurcht haben, Ehrfurcht vor dem Leben. Ich weiß nicht, ob es mit der Religion zu tun hat, aber viele von ihnen sind Muslime und dadurch haben sie einfach einen anderen Zugang zu den anderen Jugendlichen. Da beleidigt man sich erstens nicht so viel. Und zweitens ist es eine Frage des Aufenthalts. Viele von ihnen haben eine Duldung, und dadurch kämpfen sie und sind viel engagierter. Hier, also die Roma in Berlin, sind meistens serbische Roma. Viele sagen gar nicht, dass sie Roma sind, sondern dass sie aus Serbien kommen. Sie sprechen auch serbisch. Sie haben nicht diese Aufenthaltsprobleme. Die sagen sich: »Ich habe mei30 ne Aufenthaltsgenehmigung, der Rest ist mir egal.« Und das ist mit vielen Jugendlichen in Berlin so, die diese Identifizierungsschwierigkeiten haben. Ob das nun Araber sind, Türken oder Roma. Der Unterschied ist heftig. Daher merke ich, dass die Zukunftsperspektiven in Berlin viel schwieriger sind. Obwohl die Jugendlichen in Freiburg nicht wie hier Jobs vom Arbeitsamt bekommen, haben sie es, gerade durch die vielen Möglichkeiten, schwieriger. In Freiburg haben wir mit 30 jugendlichen Roma ein Wochenendseminar gemacht und für unsere Roma - Kulturwoche geprobt. Ein ganzes Wochenende haben wir gearbeitet und die haben super mitgemacht! Am Anfang wussten die Eltern nicht, was sie davon halten sollten. Aber ich habe gesagt: »Ich bürge für jeden Einzelnen, ihr müsst uns einfach vertrauen, ihr habt gar keine andere Wahl.« Und die Eltern haben gesagt »Klar.« Und wir haben auch eine Nachtwanderung mit ein paar Jugendlichen gemacht. Wir hatten natürlich keine Taschenlampen, sondern konventionell, wie man das so macht, mit Handys. Da hat man so viel Licht gehabt, das war optimal. Es war die erste Roma-Pfadfindergruppe Deutschlands. Da war ich schon stolz drauf. Und als wir uns danach am Bahnhof verabschiedet haben, haben zwei, drei Jugendliche gesagt: »Es war super! Wann machen wir das wieder?« Das macht glücklich. Okay, ich habe es hart gehabt, meine Familie eine Woche lang nicht zu sehen. Aber es hat sich gelohnt. Und die Jugendlichen hatten das Gefühl, etwas erreicht zu haben. 2006 haben wir in Belgrad mit Leuten, die abgeschoben wurden, Interviews darüber geführt, was das für eine Situation für sie ist. Und sie meinten: »Klar, wir hatten ein Haus gebaut, aber wir haben kein Geld. Sollen wir Steine essen?« Und da habe ich gemerkt, dass es schade ist, dass die Jugendlichen hier nicht ein bisschen davon mitkriegen und merken, wie gut es ihnen geht. Ich werde den Film jetzt schneiden, und ihnen zeigen: »Jetzt guckt euch das an: Sie würden in irgendein Heim gehen und Klos putzen, nur damit sie hier bleiben können.« Seherazada Music Kursteilnehmerin bei Kumulus Plus, RAA Berlin Ich bin 18 Jahre alt und in Jelena geboren. Wir sind hierher gekommen, als ich zwei Jahre alt war. Seit 15 Jahren lebe ich in Berlin. Was war dein Traumberuf als Kind? Friseurin, aber es war nicht immer so. Ich habe mal Praktikum gemacht als Friseurin und das gefiel mir nicht. Wenn ich mit der Schule weitermache und dann eine Ausbildung ranhänge, will ich als Schneiderin oder Kosmetikerin arbeiten. Mir gefällt hier alles gut und ich will versuchen eine Ausbildung als bosnische Lehrerin zu machen. Wenn ich es nicht schaffe als Kosmetikerin, dann werde ich als Lehrerin arbeiten. Das braucht man hier in Berlin! Es gibt viele unserer Jugendlichen, die können nicht ihre Muttersprache sprechen. Das konnte ich auch nicht früher, aber jetzt. Zu Hause reden wir deutsch. Ich bin so viele Jahre hier … Hier lerne ich schreiben und lesen. Ich konnte vorher nicht in unserer Sprache antworten, jetzt kann ich es. Zu Hause im Urlaub konnten wir manchmal nichts verstehen. Da fühlt man sich unwohl! Wo bist du schon überall zur Schule gegangen? Ich glaube, ich habe fünf oder sechs Schulen besucht. Ich war zuerst in der Grundschule. Von da an erinnere ich mich gar nicht mehr. Wir sind immer umgezogen – einfach in einen anderen Bezirk. Ich habe meinen Abschluss nicht bekommen. Ich habe ein Zeugnis aus der Neunten. Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum? Eigentlich wusste ich erst gar nichts von diesem Projekt. Ich war bei der Ärztin von meinem Vater. Wir sind gut befreundet miteinander. Da bin ich hingegangen und sie hat mir eine Adresse gegeben, wo ich meinen Schulabschluss machen kann. Aber die haben mich nicht genommen, weil ich nicht gut Deutsch konnte. Dann habe ich gehört, dass es diese Schule hier gibt. Hier fühle ich mich wohl. Ich habe mich alleine erkundigt und habe das hier gefunden. Am Anfang habe ich gedacht, dass ich die Einzige bin, die das nicht kann. Das war ein ungewohn- tes Gefühl. Aber später habe ich mich daran gewöhnt. Na klar! Ich war erstaunt, dass es viel mehr waren. Mir gefällt es hier einfach, wie der Lehrer mit uns umgeht und uns alles so beibringt, dass man es versteht. Ich verstehe ihn auf jeden Fall. Ich verstehe mich mit den anderen und habe keine Probleme. Eigentlich bin ich im September fertig und kriege ein Zertifikat, aber ich will hier weitermachen – eine Ausbildung als Lehrerin. Wie viele Personen sind in deiner Familie? Verwandte und so? Mindestens 100! Jetzt sind wir mein Papa und drei Kinder, aber früher waren wir sechs, sieben in einer Wohnung. Die wichtigste Person für mich ist mein Papa. Bist du stolz, eine Roma/ein Rom zu sein? Manchmal, ehrlich gesagt, schäme ich mich, weil manchmal, wenn man in der Sprache redet, in unserer Sprache, dann sagen die Leute: »Guck mal, die Zigeuner!« Dann schämt man sich wirklich, dass man Roma ist. Eigentlich sind wir aber auch nur Menschen. Ja, aber die denken, wir sind anders. Die denken, dass wir eine andere Kultur haben. Ehrlich gesagt, stolz, nee! Ehrlich gesagt, würde ich gerne leben wie eine Deutsche. Aber später, wenn ich mit meinen Leuten zu tun habe, fühle ich mich wie eine Roma. Und wenn ich zurück gehe in meine Heimat, oh, dann fühle ich mich wie ein Dorfkind! Was magst du besonders gerne an deiner Kultur? Tanzen! Ich tanze sehr gerne und ich singe! Welches Sprichwort hat man dir zu Hause beigebracht? Wir haben viele Sprüche! »Dilie«, das heißt so was wie »Spinner«, aber in einer süßen Art. Wann fühlst du dich beleidigt? Wenn jemand mich oder meine Familie beleidigt. Wenn mich jemand ärgert und sagt, dass ich pummelig bin. Oder wenn jemand mir etwas sagt, was mir nicht passt. Dann könnte ich selber schlechte Wörter sagen, zurück beleidigen. 31 Amir Mustafic Kursteilnehmer bei Kumulus Plus, RAA Berlin Ich bin 22 Jahre alt und geboren in Binjas, in Bosnien-Herzegovina. 1992 kam ich nach Deutschland – mit acht Jahren. Ich bin mit meinen fünf Geschwistern gekommen. Damals war Krieg, also waren wir Flüchtlinge. Wann bist du glücklich? Wenn ich was erreicht habe, wenn ich was geschafft habe, auf deutsch gesagt, wenn ich auf meinen eigenen Beine stehen kann, ganz alleine. Was arbeiten deine Eltern? Ganz normal, meine Mutter war Hausfrau, Mutter von fünf Kindern und mein Vater war Bauunternehmer in unserer Heimat, hier in Deutschland war er nichts. Was machst du jetzt? Ein Alphabetisierungskurs. Damals konnte ich nicht viele Wörter oder Buchstaben. Jetzt ist es besser. Wenn deine Wünsche sich erfüllen könnten, was würdest du gerne tun? Ich möchte gerne Unternehmer werden, selbstständig sein. Deswegen mach ich die Alphabetisierung, wegen der Buchhaltung. Wo bist du schon überall zur Schule/Berufsschule gegangen? Ja, man kann sagen, gegangen bin ich schon, aber nicht regelmäßig und ich habe alles vergessen. Jetzt, seit ich hier bin, komme ich besser klar als damals in der Schule. Ich habe nichts wahrgenommen, ich hatte auch kein Interesse. Hier ist alles schön leicht, es wird mehrmals gesagt, man kommt mit. Lag es an deinen Lehrern, dass du nicht lernen konntest? Ich sag, es liegt an einem selber. Man muss selber kämpfen. Wenn man will, kann man alles schaffen. Wenn man jung ist, hat man keine Lust. Jetzt denk ich anders und will was schaffen. Nachdem ich hier angefangen habe, komm ich besser klar. Was ist hier anders? Warum hältst du es hier aus? In der normalen Schule ist es schwerer. Hier ist es leichter. Man arbeitet mehr zusammen hier. Es wird erklärt. Es ist viel besser. Ich habe keine guten Erinnerungen an meine Schule, weil ich gar nicht in der Schule war. 32 Was hast du stattdessen gemacht? Spazieren gehen. Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum? Am 31. habe ich mich in Verbindung gesetzt. Ich war drinnen. Ich konnte keinen Buchstaben. Langsam hat er mir alles beigebracht. Was waren deine Erwartungen zu Beginn des Projekts? Ich hatte keine Erwartungen, sondern Sorgen, ob sie mich annehmen, ob es klappt mit mir. Wie unterstützt dich das Projekt? Sehr! Formulare auszufüllen zum Beispiel! Wenn man keine Ausbildung hat, kann man keine normale Arbeit finden. Wie viele Personen sind in deiner Familie? Fünf Geschwister plus Neffen – 40 Stück und alle in Berlin. Welche Bedeutung hat deine Familie für dich? Motivation. Alles was ich vor mir habe, alles was ich hinter mir habe, dass ich es schaffe. Dass ich mit freundlichem Lächeln nach Hause komme und weiß, dass ich es geschafft habe. Was kannst du am besten? Was möchtest du noch besser können? Mit Menschen zusammen arbeiten, mit Ausländern vor allem und zuhören. Was bedeutet es für dich, Roma zu sein? Es bedeutet für mich: »Egal, Mensch ist Mensch, jeder hat seine Ziele, jeder hat seine Vorstellungen, es spielt keine Rolle.« Was magst du besonders gerne an deiner Kultur? Das Essen! Erzählst du, dass du ein Rom bist? Egal wer mich fragt, ich sage immer, was ich bin. Entweder kommt er klar, oder nicht. Sein Ding, mein Ding. Hast du ein Sprichwort, das du zu Hause immer gehört hast? Mein Spruch ist: »Kämpfen bis es nicht mehr geht und schaffen!« Wann bist du beleidigt? Wenn jemand meine Familie angreift, alles andere interessiert mich nicht. Ich habe mich vom Elektromechaniker hoch qualifiziert bis zum Elektrotechniker. Ich war Geschäftsführer und hatte drei Brigaden. Zikica Ibraimovic Mediator bei Kumulus Plus, RAA Berlin Ich bin 58 Jahre alt. Geboren wurde ich in Serbien, in der Stadt Niš. 42 Jahre lang habe ich da gelebt. Wegen des Kriegs bin ich hierher nach Berlin gekommen. Damals habe ich gedacht, es ist ein Bruderkrieg. Das war ein Bürgerkrieg. Für mich gab es immer ein Jugoslawien, zu Titos Zeiten. Nach Tito ist dann passiert, was passiert ist. Im ehemaligen Jugoslawien sind alle gleich gewesen. Und dann kam der Krieg und plötzlich gab es Bosnien und Kroatien und Serbien und Makedonien und so weiter. Meine ganze Familie ist weggegangen, alle nach Berlin. Was war dein Beruf zu Hause? Zu Hause hatte ich mehrere Berufe. Ich habe mich vom Elektromechaniker hoch qualifiziert bis zum Elektrotechniker. Ich war Geschäftsführer und hatte drei Brigaden. Das bedeutet über 40 Leute. Und ein Jahr lang habe ich auch als Lehrer gearbeitet. Mein Sohn hat bei mir ein Praktikum gemacht. Er ist auch Elektrotechniker und studiert jetzt Informatik. Er ist außerdem Lehrer und arbeitet auch mit Roma und mit deutschen Kindern. Welche Momente in deiner Arbeit machen dich glücklich? Jeder Moment, in dem ich meinem Volk helfe, ist für mich ein glücklicher Moment. Wenn meine Leute hierher zur Alphabetisierung kommen, dann können die oft nur ein Kreuz machen. Ich mache auch Alphabetisierungskurse in unserer Muttersprache. Bis zur dritten Klasse lernen sie mindestens die Personalpronomen, Sätze in der Gegenwart und in der Zukunft. Diese Arbeit mache ich mit ganzem Herzen. Das macht mich glücklich. Wenn sie ankommen und nur ein Kreuz machen können und dann weggehen und schreiben können! Ein paar Teilnehmer kommen regelmäßig. Und sie bedanken sich oder bringen eine Blume. »Danke. Wir waren blind und jetzt sehen wir.« Bis jetzt habe ich schon 25 Leuten Lesen und Schreiben beigebracht. Was hast Du gehofft und was befürchtet, als das Projekt anfing? Das ist jetzt mein zweites Projekt. Ich mochte das erste Projekt, es war ein EQUAL Projekt. Für mich war das ganz neu. Ich habe früher als Mediator gearbeitet. Ich gehörte als Mediator zur Zielgruppe dieses Projekts. Die haben auch neue Mediatoren ausgebildet, Zvonko zum Beispiel. Und es gab auch Alphabetisierungskurse. Alphabetisierung kam für mich nicht in Frage – ich habe es alleine geschafft. In dieser Zeit war immer ein Teilnehmer im Deutschkurs, der war Mediator, Mediengestalter. In dem Deutschkurs waren zwei Teilnehmer, Mutter und Sohn, die ich regelmäßig begleitet habe. Und dann sind sie zweimal nicht gekommen. Als sie die zweite Woche nicht gekommen waren – sie schämten sich, mir im Unterricht etwas zu sagen – habe ich einen Hausbesuch gemacht. Sie haben mir gesagt: »Ach Zikica, wir schämen uns, aber wir können nicht lesen und schreiben.« Sie sagten mir, dass sie keinen einzigen Buchstaben kennen. Und im Deutschkurs mussten sie lesen. Und als sie das gesehen haben, haben sie es sein gelassen. Ich kenne diese Situation und habe ihnen gesagt: »Dann schreib ich eine Entschuldigung.« Und ich habe einen Weg gefunden. Ich 33 war Mathelehrer und habe noch ein Praktikum gemacht. Von den 17 Teilnehmern haben es nur drei geschafft. Um gutes Romanes zu sprechen, braucht man Mathe. Ich war viel beschäftigt, aber ich habe zu den Zweien gesagt: »Ich nehme mir Zeit, ehrenamtlich eine Stunde pro Woche mit euch zu üben.« Sie waren so begeistert! Am Anfang war es einmal pro Woche, dann zweimal pro Woche, und dann habe ich es regelmäßig dreimal in der Woche gemacht. Und dann haben spontan auch die anderen davon gehört, und aus zwei sind am Ende 23 geworden, die einen Alphabetisierungskurs brauchten. Ich sage immer, Alphabetisierung ist eine große Vorbereitung für die Integration in die Deutschkurse. Ich habe es erlebt, dass eine Frau zu mir kam, die sagte: »Ich möchte bei dir einen Alphabetisierungskurs machen.« »Kannst du lesen,« hab ich sie gefragt. »Gar nicht!« Ich habe erlebt, dass sie den Stift nicht halten konnte und ich ihr das erst zeigen musste. Sie war bei einem Deutschkurs, wo sie ihr einen Brief mitgegeben haben, dass sie nicht Deutsch lernen kann. Und dann kam sie zu mir. Einen Buchstaben kannte sie. Zu 99 Prozent sind es Frauen, die Analphabeten sind. Inzwischen ist es auch bekannt, dass wir hier so etwas machen und alle schicken sie hierher, zu mir. Danach, in der zweiten Grundstufe, mache ich Vorbereitung auf die Deutschkurse. Ich zeige, welche Buchstaben gleich sind, wie bei uns, und welche nicht. Viele meiner Schüler machen jetzt ein Praktikum. Dieses EQUAL I, das war das erste Mal für uns, das erste europäische Projekt. Wir hatten auch ein bisschen Angst, doch langsam, aber sicher ist es meine Stärke geworden. Ich habe Akquise gemacht. Viele Menschen kennen mich jetzt. Bis zum letzten Tag in Serbien habe ich gearbeitet. Dann habe ich mir einen Urlaubsschein geholt, einen für das erste Jahr und einen für das nächste Jahr, so dass ich die Möglichkeit hatte, zurückzugehen. Aber ich bin nicht zurückgegangen. Dann sind zwei Jahre vergangen. Damals habe ich in einer Roma-Union gearbeitet. Ich kenne dieses Volk, mein Volk, die Roma. Sie haben Respekt und Vertrauen. Und ich habe Akquise betrieben. Damals waren es mindestens 25 Teilnehmer. 25 mit Duldung, die anderen mit Aufenthalt. Ich habe es geschafft, dass sie einen Abschiebeschutz bis zum Ende des Projekts bekommen haben. Was ist mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen danach passiert? Sind sie abgeschoben worden? Viele haben danach einen Aufenthalt bekommen, ein kleiner Teil hat eine Grenzübertrittsbescheinigung gekriegt. Eine von den Teilnehmerinnen ist Mediatorin an der Mediengestaltungsschule. Über das Projekt hat sie einen Aufenthalt gekriegt. Eine andere hat Arbeit gefunden. Erst hatten beide Probleme mit dem Aufenthalt. In meinem Leben hier in Deutschland habe ich mehrere Male einen Abschiebebescheid bekommen. Ich habe sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Ich habe immer gesagt: »Warum werden 34 alle von unserem Volk in einen Topf geworfen? Überall gibt es gute und schlechte Leute.« Als ich hergekommen bin, habe ich sofort Arbeit gefunden. Weil ich bis zum letzten Tag gearbeitet hatte, konnte ich nicht plötzlich Sozialhilfe kriegen. Einmal als ich in Lichtenberg im Bahnhof nach Arbeit gefragt habe, hatte ich meine Papiere mit. Und sie war begeistert. Aber als sie sagte, ich hätte ja nur drei Monate Duldung, hat der Mann gesagt: »Tut mir leid, ohne ausreichend lange Duldung kannst du nicht arbeiten.« Später habe ich in der Roma-Union gearbeitet. Ich war immer aktiv. Einmal ging ich zum Sozialamt. Den Tag vorher hatte ich von der Ausländerbehörde sechs Monate Duldung bekommen. Am nächsten Tag gehe ich zum Sozialamt und die Frau sagt zu mir: »Ab heute bekommst du nichts mehr.« Und ich frage: »Wieso?« Und sie sagt: »Du kannst ja jetzt freiwillig ausreisen.« Und ich sagte ihr: »Gestern habe ich sechs Monate bekommen«. »Nein«, sagte sie, »du kannst ja jetzt freiwillig nach Hause.« Ich war überrascht. Und ich habe gefragt: »Wo sind die Menschenrechte? Sie sind das Sozialamt.« Ich arbeite mit meinem Herzen. Ich denke, das ist der Grund, dass ich auch mal einen Spaß machen kann, aber ich bin auch diszipliniert. Ich habe immer gesagt: »Wenn du hier bist, musst du lernen. Später können wir Spaß haben. Ich kann lesen und schreiben – ihr müsst hier lernen.« Ich mache auch Muttersprachenunterricht. Für uns Roma sind das zwei Sprachen: Serbokroatisch und Romanes. Eigentlich ist Romanes unsere Muttersprache. Aber früher mussten wir alle Serbokroatisch sprechen. Jetzt gibt’s Kroatisch extra und Bosnisch extra. Im ehemaligen Jugoslawien gab es eine Sprache und jedes Kind musste diese Sprache lernen, sonst konnte es gar nicht zur Schule gehen. Zu meiner Zeit konnte es passieren, dass es Familien gab, die nur Romanes gesprochen haben. Und das war eine sehr schlechte Erfahrung. Wenn das Kind kein einziges Wort Serbokroatisch konnte und in die erste Klasse kam – das war eine Katastrophe. So wie hier, wenn Kinder kein Deutsch können, wenn sie eingeschult werden. Für mich ist das zum Beispiel ein Grund, warum unsere Leute nicht so viel die Schule besuchen, wegen der Sprache. In der ersten Klasse waren wir vier, in der zweiten Klasse zwei, in der dritten Klasse nur ich – aber warum?! Weil die Kinder nicht in die Kita gehen. Mein Enkel ist ohne ein Wort Deutsch zur Schule gekommen. Und dann gibt’s Probleme. Er ist krank gewesen. Er verstand nichts. Die Lehrerin war pädagogisch sehr gut. Die ganze Klasse kam aus Zehlendorf. Wenn er ein Wort auf Romanes sagte, lachte die ganze Klasse und dann schämte er sich und wolle nicht mehr in die Schule. Das ist ein großes Problem. Was würdest Du beim nächsten Mal genauso machen und was auf jeden Fall anders? Wenn es den Bedarf für meine Arbeit weiterhin gibt, ma- Diese Arbeit mache ich mit ganzem Herzen. Das macht mich glücklich. Wenn sie ankommen und nur ein Kreuz machen können und dann weggehen und schreiben können! che ich weiter. Ich habe als Mediator gearbeitet. Wenn es neuen Bedarf gibt, dann kann ich mich umstellen. Viele Leute sind Analphabeten. Ich mache Hausbesuche. Ich mache jetzt auch im Wedding Alphabetisierung. Andere Leute kommen zur Beratung und fragen: »Kannst du nicht auch in unserem Stadtteil Alphabetisierung machen?« Ich habe mehrere Arbeiten, die ich mache: Alphabetisierung, Mediator, Begleiter, Berater, Betreuer. Ich habe es auch geschafft, dass sechs Teilnehmer ein Praktikum im Metallbau bekommen haben. Nach der Alphabetisierung fragen sie mich: »Was kann ich jetzt machen?« Und ich habe jetzt drei Teilnehmer, die ein Praktikum machen, wo ich sie jeden Donnerstag besuche und motiviere. Eine Zeit lang bin ich nicht hingegangen, da gingen sie auch nicht. Gibt es ein strategisches Zusammenarbeiten? Viele fragen mich: »Was kann ich jetzt weitermachen?« Zusammenarbeiten tue ich bei diesem täglichen Praktikum, das sechs Monate dauert. Ein Teilnehmer ist schon seit mehr als einem Jahr beschäftigt. Ich mache die Beratung und sage: »Du hast vorher gar nichts gehabt. Jetzt hast du Lesen und Schreiben gelernt und hast drei Tage die Woche Schule und zwei Tage Praktikum in einer guten Firma.« Das ist unser Kumuluspartner. Was können die Teilnehmer und Teilnehmerinnen am besten? »Den Willen zeigen.« (Sagt einer der Teilnehmerinnen, der aufmerksam zuhört.) Wer ist die wichtigste Person in den Familien der Teilnehmer und Teilnehmerinnen? Mehr die Mutter. Was bedeutet es für dich, Roma/Sinti zu sein? Was bedeutet es deiner Meinung nach für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer? Für mich bedeuten die Wörter »Roma« und »Sinti« das gleiche. Sinti leben hier seit über 500 Jahren. Sie sagen »Ich bin Sinto« oder »Ich bin Gatscho«. Ich bin Sinto und sie sprechen einen anderen Dialekt als wir. Den kann ich nicht. Du bist Roma aus Deutschland, aber du kannst nie deutscher Roma sein. Du bist Roma aus Serbien, aus der ganzen Welt. Es ist eine einzige Sprache, mit der wir uns überall verstehen. Ein Unterschied ist, dass Roma zu wenig ausgebildet sind. Jetzt nimmt die Bildung langsam, aber sicher zu. Wir haben jetzt einen Roma-Eltern-Verein. Mein Sohn und ich sind eingetragen. Wir arbeiten ehrenamtlich. Bei der ersten Versammlung des Vereins waren 60 Roma. Nenn mir eine Lebensweisheit oder ein Sprichwort? »Wer etwas machen will, muss sich selbst helfen.« »Man muss kämpfen, weil unser ganzes Leben kämpfen ist.« Und: »Für jede Arbeit brauchen wir Gesundheit.« 35 Frieda Larsen mit ihrer Enkelin Nathalie Es war für mich wunderbar. Jedes Jahr, immer wenn der Frühling kommt, hätte ich eigentlich Lust zu reisen, merkwürdig. Frieda Larsen Mitglied im Auschwitz-Komitee, Hamburg Ich bin in Rostock geboren in Mecklenburg, am 7. Januar 1933 in der Weimarer Republik. Lebten deine Eltern dort? Ja, im Wohnwagen. Wir sind zu der Zeit noch gereist. Meine Eltern haben immer auf bestimmten Plätzen gestanden und mein Vater ist mit dem Auto herumgefahren und hat seinen Handel getrieben. Wenn das erledigt war, sind wir zum nächsten Platz gezogen. Aber wir hatten Wohnwagen, die so groß waren, dass sie nicht mit Pferden gezogen wurden, sondern mit Zugmaschinen. Die mussten auf die Eisenbahnlore verladen werden, also hat man zwei, drei Tage, manchmal vier Tage Zeit, wenn die Wagen unterwegs sind. In der Zeit sind wir weitergereist mit dem Auto und haben in Hotels übernachtet. Das waren sozusagen unsere Ferien. Es gab Plätze, wo man stehen konnte. Hamburg war extrem schlecht, weil man auf den Durchreiseplätzen höchstens vier Tage bleiben durfte. Was hat dein Vater für Geschäfte gemacht? Mein Vater war am 12. Mai 1889 geboren. Meine Mutter ist am 1. November 1907 in Emden geboren. Sie war eine bürgerliche Frau. Deswegen bin ich nach Hitlers Bezeichnung ein Mischling. Zu dieser Zeit war eine gemischte Ehe sehr selten und es war sehr schwierig. Mein Vater war Textilkaufmann. Er hat mit Stoffen für Anzüge, Mäntel und Kleider gehandelt. Von seiner Kindheit her war er aber ein Schaustellerkind. Er ist in Papenburg geboren, auch auf der Reise. Seine Eltern hatten drei Geschäfte: eine Schießbude von zwölf Metern Länge, ein Kettenkarussell und eine Luftschaukel. Die Kinder mussten auch im Geschäft mithelfen. Aufbauen und abbauen. Die Geschäfte haben nicht immer zum Leben gereicht. Man blieb ein, höchstens zwei Wochenenden, dann ist man weitergezogen. Das waren harte Zeiten, nicht das lustige Zigeunerleben. Es hat damals nicht gereicht zum Leben. Mein Vater hat, als er älter wurde, mit Freunden auf Hochzeiten und Festen Musik gemacht. Wie viele Jahre von deiner Kindheit seid ihr gereist? Bis 1937. Dann mussten wir uns freiwillig zwanghaft sesshaft machen. Hier in Hamburg. Wir mussten das Haus, also den Wagen, verkaufen. Und da natürlich keiner mehr Bedarf hatte, weil es nicht mehr erlaubt war zu reisen, konnte man auch nichts dafür kriegen. Es war kalte Enteignung. Wo bist du zur Schule gegangen? In vielen Schulen. Ich bin am Weiher in die katholische Schule eingeschult worden. Mein Vater hat uns aus Protest katholisch taufen lassen. Das war sein Protest gegen Hitler. Und die wurde natürlich geschlossen, die Konfessionsschule, noch in meinem ersten Schuljahr. Ich liebte es, zur Schule zu gehen. Und dann kam ich in die Schule Telemannstrasse. Da hatte ich eine Lehrerin, die war Nazi. Die hatte was gegen uns. Wir hat37 ten damals Schiefertafeln und Vidotafeln. Die waren aus weißem Kunststoff, auf denen mit einem schwarzen Stift geschrieben wurde, was man hinterher wieder abwaschen konnte. Ich sollte was schreiben. Sie hat gesagt, »das war nicht gut«, ich hätte auf der falschen Tafel geschrieben. Ich musste nach vorne kommen, die Hände ausstrecken und sie hat mich mit dem Rohrstock in beide Hände geschlagen. Danach sind meine Eltern zum Direktor gegangen. Er sagte, wir hätten keine Chance gegen diese Frau. Es gab keine andere Möglichkeit, als dass ich von der Schule rausgenommen und ein Jahr später wieder eingeschult wurde. Seitdem habe ich Panik vor der Schule gehabt. Mein ganzes Leben danach bin ich mit Panik zur Schule gegangen. Wenn ich das Wort »schreiben« hörte, konnte ich weder denken noch sonst was! Ich hatte keine Freundschaften. Wir waren fünf Kinder zu Hause. Ich war die Älteste. Das hieß, immer wenn Bombenalarm war, und das war zum Schluss des Krieges in Hamburg tagtäglich, da sind wir zum Bunker Heussweg gelaufen. Und ich bin die letzten sechs Wochen, die der Krieg dauerte, nur zum Essen nach Hause gegangen. Ich habe gesagt: »Ich möchte diesen Krieg überleben.« Ich war damals zwölfeinhalb Jahre alt. Ich habe sehr bewusst beschlossen, dass ich überleben will. Ich hatte ein paar Sachen im Krieg erlebt: Ich war, wie gesagt, einige Zeit bei meiner Tante in Lingen. Es war mitten am Tag und da war dieses große Eisenbahnwerk. Wir haben mit dem Nachbar vor dem Haus gestanden und geredet. Auf einmal schrie der Nachbar: »In den Keller, in den Keller!« Meine Tante und ich sind in den Keller gerannt. Das war ein Doppelhaus. Er ist zu seiner Familie ins Haus gelaufen und die Häuser wurden getroffen. Die fünf Nachbarn waren tot und meine Tante und ich, wir haben im Keller überlebt. Ein Schritt raus aus der Tür war ein riesiger Bombenkrater. Mindestens 20 Meter und ganz tief. Wäre es nachts gewesen, da wären wir nie raus gekommen. Es war mitten am Tag und wir hatten Glück, dass wir es überlebt haben. Was hast du nach dem Krieg gemacht? Unsere Familie war ungeheuerlich belastet durch den Krieg. Was wird kommen? Holt man uns, Sinti und Mischlinge? Wie soll man das sagen? Die einen wurden geholt, die anderen nicht, man wusste es nicht. Wir waren ständig bedroht. Nach dem Krieg hat mein Vater versucht, wieder zu reisen. Es hat nicht geklappt. Er hat es nicht geschafft, wieder einen Wagen zu kaufen. Meine Eltern haben sich dann getrennt. Unser Leben war völlig aus den Fugen geraten. Es gab keine Arbeit. Ich bin dann nach Schweden gegangen und habe in einem Hotel gearbeitet. Ich habe fünf Jahre dort gelebt und bin danach wieder zurückgekommen. Und dann bin ich zur See gefahren. Ich habe auf norwegischen Handelsschiffen die Messe gemacht. Dadurch habe ich auch meinen Mann kennen gelernt. Er war Norweger, Matrose, als ich ihn kennen lernte. Wir sind dann 38 später nach Norwegen gezogen, damit er auf der Seefahrtsschule studieren und sein Patent als Kapitän machen kann. Eigentlich planten wir damals, um das zu finanzieren, dass wir im Wechsel ein Jahr in Norwegen bleiben und ein Jahr zur See fahren. Wir bekamen aber ein Studiendarlehen vom norwegischen Staat, das wir nach und nach später zurückgezahlt haben. Wie war es für dich als Kind, dass ihr immer herumgereist seid? Ich glaube, es war für mich wunderbar. Jedes Jahr, wenn der Frühling kommt, hätte ich eigentlich immer noch Lust zu reisen, merkwürdig. Das ist etwas, was in einem drin ist. Meine Mutter hat gesagt: »Es wird hier kein Romanes mehr gesprochen!« Es war natürlich wegen der Ängste, dass man auf uns aufmerksam werden könnte. Das ist wirklich so, den ganzen Krieg hindurch war das unterdrückt. Ich hab es als Kind, sagt man, besser als Deutsch gekonnt. Dadurch weiß ich ganz viel, aber ich spreche es nicht mehr. Welche Fähigkeiten hast du durch deine Familie gewonnen? Von meinem Vater habe ich die Fähigkeit, bei den Dingen, die einen bewegen, über die ich spreche, erstmal den Kopf einzuschalten. Über die Dinge gut nachzudenken, die ich mache und sich klar zu werden, dass ich die Verantwortung übernehmen muss. Und ich habe als Kind sehr viel Verantwortung übernehmen müssen. Ich habe immer auf meine jüngste Schwester aufpassen müssen. Im Krieg war es so: »So, jetzt kommt Alarm!« Und dann die Kleine anziehen, das war meine Aufgabe, und meine Mutter hat sich sehr auf mich verlassen. Konnte sie auch. Von klein auf habe ich auf die Schwester aufgepasst. Von meiner Mutter habe ich mitbekommen: »Du bist die Große, das kannst du!« Das war vielleicht nicht immer spaßig. Ich hab es später so empfunden, dass meine Mutter von mir eigentlich zu viel verlangt hat. Sie war mit den Kindern, dem Krieg und den ganzen Umständen wohl überfordert. Mein Vater war oft nicht da. Er war hier im Hafen in einer Kaserne eingesperrt und musste Trümmer räumen. Bei dem Trupp, wo er eingezogen war, wurde er einmal von einem Eisenträger verletzt. Für einen Mann in seinem Alter war diese Arbeit eigentlich eine Unverschämtheit, sehr hart. Nach dem Krieg war meine Großmutter an Krebs erkrankt. Meine Mutter ist zu ihr gereist und blieb mehrere Monate dort, bis die Großmutter gestorben ist. Ich war 15. Ich musste während dieser Zeit meine vier Geschwister und mich versorgen. Sie sagte: »Du bist groß, du kannst das.« Ich musste kochen, Wäsche waschen, alles per Hand, keine Waschmaschine, ja! Ich musste wirklich den ganzen Haushalt machen. Mein Vater machte sein Geschäft. Er kam einmal in der Woche, gab mir Geld und Lebensmittel und fragte: »Na, klappt das?« Ich musste früh lernen, Verantwortung zu übernehmen. Und, ich muss sagen, das habe ich sehr verinnerlicht. Das ist heute noch so mit meiner Familie. Ich glaube, wenn man zur Verantwortung erzogen wird, dass man als Mädchen genauso gut Verantwortung, aber auch Rechte haben sollte wie die Jungs. Wie wäre dein Leben gewesen, wenn ihr nicht sesshaft geworden wäret? Es ist etwas, das man sich nur erträumen kann. Man kann es eigentlich definitiv nicht sagen, aber für mich ist klar, mein Leben wäre einfach in anderen Bahnen verlaufen. Weil das, was Hitler in Gang gesetzt hat und was er an Lebensqualität geraubt hat, ist nach dem Krieg nicht wieder entstanden, ganz sicher. Und dadurch kann ich nur sagen, was für mich sehr lebenswert gewesen wäre, ist mir leider verloren gegangen. Ich bin ziemlich sicher, dass ich mich auf der Reise sehr wohl gefühlt hätte. Für mich ist das klar geworden, als ich nach dem Krieg ein Jahr mit meiner Freundin, ihrer Mutter und ihrer Tante auf Reisen war. Das war mein Leben. Die Wagen früher waren fantastisch. Unser Wagen war von Buschbaum. Das war damals die Firma, die die besten Wagen baute. Sie waren geschindelt. Das waren ganz schmale, ausgesuchte Bretter, die alle mit Messingschrauben verbunden waren. Und von innen waren sie mit Sperrholz verkleidet. Die Wagen hatten Oberlicht, das gibt noch eine ganz besondere Atmosphäre. Der Wagen war groß und hatte eine drei Meter lange Veranda, die herausgezogen wurde, wenn man auf dem Platz angekommen war. In der Sommerzeit wurde da gekocht und so. Es gab wunderschöne Stuben und Schlafräume, nach dem Krieg hat man sogar Bäder eingebaut. Ganz viele Wagen haben heute Bad und Klimaanlagen. Die Schausteller vom Dom haben solche Wagen. Ganz früher waren sie so, dass man sie mit ein bis zwei Pferden ziehen konnte. Welche Werte wären hilfreich für jüngere Leute? Ich denke, dass die Werte bei uns zu Hause generell sehr in Ordnung waren, dass es einen großen Zusammenhalt gab. Ich meine aber, dass ich es sehr begrüßen würde, wenn die Mädchen gleichberechtigter wären, was sie zum Teil nicht sind. Ich glaube, dass es mit der Bildung zu tun hat. Ich bin einfach der Meinung, weil ich so viel Verantwortung übernehmen musste, dass ich genauso gut wie mein Bruder war, obwohl er als Junge gewisse Vorteile hatte. Dass die Jungen mehr durften als Mädchen, fand ich nicht gut. Sie sollten gleichberechtigt sein. Bei den Sinti gibt es sehr viele Regeln, sehr viele traditionsbedingte Sachen, die den Zusammenhalt ausmachen, was ich absolut wichtig finde. Viele Leute wissen nichts von diesen Regeln und sind deswegen gegen diese Menschen eingestellt, weil sie nicht wissen, was diese Regeln in den Traditionen darstellen. Aber auch da möchte ich sagen, nicht alles, was die Regeln sagen, ist nachvollziehbar. Ich habe von meinem Vater gelernt, dass ich meinen Kopf benutzen soll und wenn ich etwas sage, die Verantwortung übernehmen muss. In den Traditionen gibt es ganz viele Sachen, wo ich sage: »Schade, es ist einfach Schande und nicht nachvollziehbar.« Ich glaube, es hat damit zu tun, dass Männer aus allen Schichten glauben, dass sie weniger Mann sind, wenn sie nicht solche Regeln gegen Frauen aufstellen. Gleichberechtigung mit Verstand würde ich für akzeptabler halten. Meinst du, dass diese Traditionen sich mit der Zeit ändern? Sie verändern sich garantiert. Das Leben geht immer weiter und die Entwicklung auch. Aber Traditionen haben es an sich, dass sie stehen bleiben, und zum Teil im Mittelalter. Ich bin der Auffassung, dass es Traditionen gibt, die vor vielen Jahren nachvollziehbar waren, die aber heute abzulehnen sind, weil sie durch die Entwicklung ihren Sinn verloren haben. Und noch etwas: Menschen verschiedener Kulturen haben auch 39 Der Bus von Tante Mietze, 1946 im Sommer, kann auch 1947 gewesen sein. Da bin ich mit ihrer Tochter drauf zu sehen. Vor unserem Wagen. unterschiedliche Wertesysteme. Was mir wichtig ist: Dass wir die Werte anderer Kulturen respektieren und nicht, weil sie mit unseren Traditionen nicht konform sind, diskriminieren. Was ist der Unterschied zwischen Roma und Sinti? Durch die verschiedenen Wanderungswege nach Europa haben sich auch verschiedene Lebensformen entwickelt. Ich möchte auch sagen, dass innerhalb von Europa die Sinti immer versucht haben, sich bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft, in der sie sich aufhielten, einzufügen. Und natürlich ist die Gesellschaft in Polen, in Jugoslawien, Tschechien, Griechenland oder Russland eine andere als in Deutschland. Ich halte es für völlig wichtig und super, dass wir nicht alle gleich gestrickt sind. Natürlich nimmt man von diesen verschiedenen Kulturen, in denen man sich bewegt, Dinge auf, um nicht aus dem Rahmen zu fallen, um sich einfach einzuordnen in diese Gesellschaft. Aber bitte nicht einverleiben lassen! Das ist der Unterschied und das haben die Sinti immer versucht aufrechtzuerhalten durch ihre Lebenshaltung. Du bist in Deutschland aufgewachsen du hast den Krieg hier am eigenen Leib miterlebt und es war für dich selbstverständlich, dich in die Erinnerungskultuhr aktiv einzumischen… Solange ich denken kann, und das war schon ziemlich früh. Ich war immer neugierig. Ich war ein extrem neugieriges Kind und habe mich immer eingemischt, obwohl ich den Respekt vor den älteren Leuten gelernt habe. Man sagte ja, die dürfen sagen, was sie wollen, selbst wenn es der größte Unsinn ist, soll man nicht dagegen sprechen. Wie war es nach dem Krieg für dich? Nach dem Krieg war in Hamburg eine sogenannte Zuzugssperre. Nur Menschen, die in Hamburg eine Wohnung hat40 Mein Vaters Auto. Da ist mein Bruder mit drauf. ten und nicht ausgebombt waren, durften nach Hamburg herein. Von uns waren auch Familienmitglieder nach Auschwitz gekommen. Nach dem Krieg bekamen wir vom Roten Kreuz eine Anfrage, ob uns die Menschen bekannt sind. Wir sagten »ja«. Dann sagten sie, wenn wir gewillt wären, sie in Hamburg aufzunehmen, dürften sie nach Hamburg herein. Und dann kam der Bescheid. Zuerst kam ein Mädchen, etwas älter als ich. Sie kam zuerst in das Auffanglager in der Schule Telemannstraße. Sie hatte sich erinnert an Tante Else und Onkel A. und wo wir in Hamburg gewohnt hatten. Sie kam erstmal zu uns. Eine Tante von ihr wohnte in der Eimsbüttler Chaussee. Sie hat sofort »ja« gesagt und sie konnte bei der Tante wohnen. Nach und nach kamen dann ihr Vater und ihre fünf Geschwister. Ihre Mutter ist in Auschwitz geblieben. Und Anna, die älteste Schwester, hatte schon zwei Kinder, bevor sie nach Auschwitz kamen. Ihr Säugling ist auf dem Transport gestorben. Zwei der Schwestern kamen aus einer Waffenfabrik zurück und der Bruder war in Auschwitz, Monowitz, Mauthausen und in Buchenwald Dora gewesen. Jetzt leben nur noch zwei von ihnen. Dann kam die sogenannte Entschädigung. Aber es hieß, die Sinti waren Kriminelle. Deswegen waren sie in Auschwitz. Nicht aus Rassengründen. Und deswegen haben sie keine Ansprüche auf Entschädigung oder Rente. Das hat mich immer sehr interessiert. Mein Vater hat sich extrem mit der Aufarbeitung der Verbrechen befasst. Die jüdischen Menschen hatten den Vorteil, gleich nach dem Krieg, dass sie große Organisationen hatten oder schufen, die sie international unterstützten. Die Sinti waren eingestuft als Kriminelle und dadurch sehr rechtlos. Die jüdischen Menschen hatten Das bin ich im Kinderwagen. Ich muss da das Baby sein. Das muss 33 gewesen sein. auch den Vorteil, dass sie bildungsmäßig sehr gut dastanden. Bildung war in ihrer Tradition immer etwas ganz Erstrebenswertes. Und Sinti und Roma sind Menschen, die gereist sind, die nicht sesshaft waren und nach ihrer Lebensweise wenig Chancen hatten, eine gute Schulbildung zu erlangen. Das ist natürlich ein Riesennachteil, wenn man an einen Staat, der einem Unrecht getan hat, Ansprüche stellen will. Deswegen bin ich sehr dafür, dass Sinti- und Roma-Kinder unbedingt in der Schule eine gute Basis bekommen. Ich empfinde es als starke Diskriminierung, dass sie sofort in die Sonderschule abgeschoben werden, wenn sie zu Beginn in der Schule nicht gleich Schritt halten können. Sinti- und Roma-Kinder sollten von den Lehrern Nachhilfe bekommen, damit sie sich in das Schulsystem integrieren können und ihren Weg finden. Nathalie: Ein Kind muss nicht alles sofort können. Es geht zur Schule, um das zu lernen. Wenn gleich zu Anfang gesagt wird, »das ist nicht gut«, kann es gar nicht wachsen. Es startet mit wenig guten Erfahrungen. Und das ist definitiv nicht gut. Die jüngere Generation von Roma und Sinti ist wenig über die eigene Geschichte informiert. Wie kann das geändert werden? Frieda: Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass die Sinti und Roma danach über ihre Geschichte wenig oder gar nicht gesprochen haben. Sie haben geschwiegen, aus berechtigter Angst, es könnte ihnen wieder Unrecht geschehen. Ich bin im Auschwitz-Komitee in der BRD. Und da haben wir das Projekt Hannoverscher Bahnhof. Das ist im Hafen gewesen. Und in der Hafen-City soll jetzt alles für den Tourismus groß herausgestellt werden. Man hat das Tamm-Museum und die Ballinstadt ökonomisch sehr stark gefördert. Vom Hannoverschen Bahnhof sind 1940 bis 1945 aus Hamburg die großen Transporte mit verfolgten Menschen in die KZs und Vernichtungslager abgefahren. Wir sind bestrebt, dass wir dieses Gebiet des Bahnhofs zur Erinnerung nutzen, weil es zur Geschichte von Hamburg gehört. Für die Menschen, die nicht zurückgekommen sind, und für die, die zurückgekommen sind, und um den Touristen zu zeigen, hier, das ist ein wesentlicher Teil der Geschichte Hamburgs, auch wenn es ein verheerender Teil der Geschichte ist. Und deshalb kämpfen wir dafür, dass dort etwas entsteht. Dass eine Gedenkstätte, in welcher Form auch immer, groß und sichtbar da sein muss. Auch für die Sinti und Roma, wenn sie nach Hamburg kommen, dass sie in den Hafen fahren und ihren Familien zeigen können, von hier sind unsere Leute in die KZs gebracht worden. Wir wollen kein Museum. Es soll lebendige Geschichte sein, zur Erinnerung und zur Mahnung für die Zukunft. 41 Die Leute vom Arbeitsamt die stellen sich vor, du nimmst einen Analphabeten … und der soll nach drei Monaten fertig sein mit lesen und schreiben können und am besten noch Lehrerbescheinigung haben. Das geht nicht. Gottfried Weiß (Zweiter von rechts) mit den Auszubildenden die den Wagen neu gebaut haben. Rita und Gottfried Weiß und Regina Mechau Landesverein der Sinti e.V., Hamburg Rita und ich sind gebürtige Harburger. Wir sind geboren hier in Wilhelmsburg und wir haben Stammbaum. Die Familie Weiß ist seit 600 Jahren sesshaft in Harburg. Wir sind 500 Leute, alles Familie Weiß, nur zwei Familien nicht. Die Frauen sind alle Weiß, die Männer sind angeheiratet. Die Siedlung gibt es seit 1980/1981. Der Grund: Wir haben hier früher gewohnt, wo die Tankstelle ist, in Behelfsheimen. Dann wollte die Stadt was Gutes tun und hat uns diese Siedlung gegeben. Was ich schade finde ist, dass nicht alle Sinti, die hier hätten wohnen sollen, hier sind. Viele wohnen in Wilhelmsburg. Meine Cousins, mein Opa, die kamen nicht rein hier, weil sie vorher sich ne Wohnung genommen haben, weil es so unzumutbar war in dem Behelfsheim. Da waren keine sanitären Anlagen. Die zogen deswegen raus und dann kamen sie nicht mehr rein. Rita und ich haben vor sieben Jahren angefangen, aktiv unseren Leuten zu helfen. Wir haben Beratung gemacht, Leute auf das Arbeitsamt, Sozialamt begleitet. Es hat sich sehr schnell rumgesprochen, es gab einen großen Bedarf. Dann hat sich das weiterentwickelt, es ist expandiert. Viele hier sind arbeitslos, gemischt durch die Generationen. Die Jüngeren, die geben sich Mühe, die gehen zur Schule. Es ist schon etwas anders geworden. Seit August 2005 macht das SBB Projekt hier Ausbildung: Dachdecker, Gartenlandschaftsbauer für die Männer. Im Holzbereich als Tischler können sie hier ausgebildet werden, Hauptschulabschluss machen. Selbständigkeit ist unser Ziel. Die Jüngeren, merke ich doch, wollen einen richtigen Beruf lernen, weil es ihnen wichtig ist, Schulabschluss zu machen. Bei den Alten ist es so eingefleischt: Sie wollen Selbstständigkeit: Das ist das A und O. Eine moderne Selbständigkeit mit ganz anderen Zielen. Früher ist man morgens aufgestanden und dachte: »Mensch, hoffentlich verdiene ich was heute.« Die denken jetzt anders und wir müssen mitdenken. Der Gedanke in dem Zusammen42 hang, der geht im Paket. Die denken moderner jetzt, einfach und wirtschaftlicher. Früher war es immer einer, der rausgegangen ist, um Geld zu verdienen. Jetzt tun sie sich auch in Gruppen zusammen. Um was zusammenzumachen, sich selber organisieren, das ist auch unser Ziel. Ihnen beizustehen. Dachdecken hat Zukunft. Wir haben hier in Veddel angefangen und bald wurde es zu groß hier. Mit 15 Teilnehmern haben wir angefangen, jetzt sind wir 170. Dann wurde noch ein Projekt in Jenfeld aufgebaut, auch vom SBB. Auch Alphabetisierung für Frauen, Jugendliche, ältere Männer. Ne kleine Nähstube ist auch da, die machen das genauso wie wir, in kleinen Stücken Hauptschulabschluss. Die meisten Teilnehmer und Teilnehmerinnen sind Sinti, aber wir haben auch Roma und drei, vier Nicht-Sinti. Welche Schwerpunkte hatte Rita in ihrer Arbeit? Die Frauen und die Nähstube hier. Vor 13 Jahren hatte sie schon den Gedanken, so was aufzubauen. Als wir angefangen haben, hatte sie alle Pläne, Fassmalerei und so weiter, wollte sie machen. Alles, was mit Frauen zu tun hat, hier und in Jenfeld war ihr Schwerpunkt. Mit den Frauen das durchzustehen, war ihr größter Erfolg. Weil es nicht einfach ist, die Frauen wegzuholen aus der Familie heraus. Das war der größte Erfolg, dass wir das durchgezogen haben. Sie hat es geschafft durch viele Gespräche und ihre Dickköpfigkeit. Wir waren zuerst über 30 Frauen in der Nähwerkstatt und haben klein angefangen mit Stickereien. Kleine Kissen haben wir genäht, Schürzen. Jetzt haben wir schon den ersten Auftrag. Wir nähen ehrenamtlich, spenden Kleidung für Kinder in Russland. Bei einem Auftrag haben wir für ein Theaterstück das Kostüm genäht, jetzt Freitag ist Premiere. Wir wollen uns immer mehr steigern, dass wir Richtung Selbständigkeit gehen, dass wir unsere eigene kleine Firma haben. Das wollte Rita. Welche Sprache sprechen Sinti und was sind Sinti? Gottfried und Rita Weiß kannten sich bereits als Kinder im Juli 200 Rita Weiß, gestorben 7 Sinti sprechen Sintosprache. Und Sinti und Roma sind ein Volk. Wir haben eine andere Kultur, das einzige, was uns ein bisschen unterscheidet. Roma sind Zugereiste. Sinti leben schon seit Generationen hier. Wir sprechen alle Romanes, wir verstehen uns auch. Du musst dir das so vorstellen, wie wenn wir jetzt nach Bayern fahren würden, also den Dialekt. Sinti haben alle einen deutschen Pass. Wir brauchen keine Aufenthaltsgenehmigungen. Was ist das für ein Wohnwagen? Es war ne Idee von meinem Bruder: »Oberlicht-Bauwagen renovieren.« Wir haben einen ganz alten Bauwagen bis auf die Achse auseinander gebaut und ganz neu gebaut. Am ersten September da wurde er zum ersten Mal bei einem Märchenfest ausgeliehen. Und da waren wir 60 bis 70 Mann mit den Jungs, die das ausgebaut haben. Und so was von Freude war da, hatte ich noch nie gesehen! Das war ihr Ding. Und das da waren normale Wohncontainer und die Männer haben die renoviert. Dächer gemacht, alles von Grund auf neu gemacht im Rahmen dieser Qualifizierungsmaßnahme. Drei Container sind fertig. Am Ende soll es hier aussehen wie ein kleines Dorf. Da sind die Frauen, die Männer, ein Kindergarten, dass die Frauen ruhiger arbeiten können und dass sie wissen, die Kinder sind gut aufgehoben. Der blaue Bauwagen sollte auch ausgebaut werden mit Emil zusammen. Er kommt wöchentlich und guckt, ob die das richtig machen, weil er das ganz genau weiß aus dem Kopf, wie der ausgesehen hat früher. Emil ist der Älteste hier in der Siedlung, unserer Chef. Was haben Rita und du als Beruf gemacht? Rita hat Fassmalerin gelernt ich war mein Leben lang Antiquitätenhändler in Harburg. Fassmalerin heißt Möbel fassen, antike Stücke genau so, wie sie mal waren, wieder malen, das ist Fassmalerei. Welche Art von Projektunterstützung würde sinnvoll sein? Sie dabei zu unterstützen, das zu machen, was sie wollen. Ihnen zuhören, was sie machen wollen. Tagtäglich hören wir, was sie sich wünschen und versuchen, das umzusetzen. Mir liegt noch was am Herzen: Wenn man solche Projekte macht, dass man das ungute Gefühl dabei hat, diese Unsicherheit, ob man nächstes Jahr weiterfinanziert wird. Die Leute vom Arbeitsamt, die stellen sich vor, du nimmst einen Analphabeten oder einen, der seinen Namen nicht lesen und schreiben kann und der soll nach drei Monaten fertig sein mit Lesen- und Schreibenkönnen und am besten noch Lehrerbescheinigung haben. Das geht nicht. Das denken die im Jobcenter. Nicht alle, aber viele. In drei Monaten! Das ist nicht normal. Beim ersten Kurs, die Frauen und Männer, die kamen für den Deutschkurs. Dann sind sie in den Ein-Euro-Job gegangen, dann mussten sie nach 13 Monaten wieder für drei Monate zur Alphabetisierung gehen. Ich finde es auch nicht gut, dass es so ne kurze Zeit ist. Normalerweise lernt man drei, vier Jahre und wir müssen das in einem Jahr schaffen. Ob die Frauen eine Verlängerung kriegen? Manche Jobcenter stellen sich quer. Wir wollen, dass die Frauen ihre drei Jahre lernen können, dass sie danach was in der Hand haben. Rita hatte die Idee, dass wir Bauwagen ausbauen, schön hinstellen hier auf dem Hof und dann annoncieren, dass Rucksacktouristen kommen und übernachten können. So wie es früher war, dass sie selber Feuer machen und so was. Wenn man selber in so einem Wohnwagen gelebt hat wie wir, als wir geheiratet haben, die ersten zwei, drei Jahre, weiß man, wie schön das ist. Was sollte man das verheimlichen? Die Leute können dann unsere Geschichte besser kennen lernen und so kann man Vorurteile, die immer noch da sind, abbauen. 43 Melanie Lorenz DRK Christoph Leucht Freudenberg Stiftung Sandra Niederer Regina Bakar südost Europa Kultur e.V. KAROLA e.V. Hamburg Antje Hofert RAA Berlin Zika Ibraimovic RAA Berlin Roma, Kultur und Überraschungen Gruppengespräch vom 2. Juli 2007. Die Fragen stellte Christoph Leucht/Freudenberg Stiftung Wie war Eure erste Begegnung mit einem Rom bzw. einer Roma oder einem Sinto beziehungsweise einer Sintizza in Eurem Leben? Gibt es kulturelle Werte, die für Roma und Sinti, die ihr kennt, gelten? Worin bestehen sie Eurer Meinung nach? Was hat Euch überrascht, als Ihr Eure Teilnehmer kennen gelernt habt? Regina Bakar: Ich bin vor zirka fünf Jahren zum ersten Mal in Kontakt gekommen mit Roma im Karolinenviertel in Hamburg. Ich war die neue Kursleiterin der Deutsch-Integrationskurse bei KAROLA e.V. Die Roma-Frauen besuchten zwar nicht diesen Kurs, liefen aber immer durch den Raum, um zur Beratung in das dahinter gelegene Büro zu kommen. Das passierte an manchen Tagen recht häufig und störte die Kursteilnehmerinnen. Auf meine Frage, ob wir nicht ein Papier an der Tür anbringen könnten mit dem Hinweis »Beratung ab 12 Uhr«, meinte die Geschäftsführerin von KAROLA, Christine Solano, nachdenklich: »Na ja, aber die können ja alle nicht lesen.« Ich muss zugeben, sehr überrascht gewesen zu sein. Wie, die können alle nicht lesen? Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass ich nichts über die im Hamburger Karolinenviertel lebenden Roma wusste, sowohl im Allgemeinen als auch im Speziellen. Überrascht hat mich also eher meine eigene Unkenntnis über eine große Gruppe von Menschen, die schon seit langer Zeit unter uns lebt. Sandra Niederer: Ich habe schon als kleines Kind Kontakt zu Roma gehabt. Für uns Kinder war es immer sehr aufregend, wenn die Wohnwagen mit den anders aussehenden und anders lebenden Menschen kamen. Die Masse an Vorurteilen seitens meiner Großmutter machte es natürlich noch interessanter mit diesen Kindern zu spielen … Später sind mir dann Roma wieder bewusst nach Ausbruch der Jugoslawienkriege bettelnd auf der Straße begegnet … Vor sieben Jahren hatte ich dann nochmals einen ganz anderen Kontakt mit Roma. Beruflich habe ich Mikrokredite an Kleinunternehmen in Bosnien und Makedonien vergeben. Dabei sind sie mir dann als Kunden, das heißt als Kreditnehmer begegnet. Es waren jetzt keine Massen, jedoch diejenigen sind mir als gute und ehrliche, hart arbeitende Geschäftsmänner in Erinnerung geblieben … Zurück in Deutschland hat mich dann der Zufall mit diesen Menschen zusammengebracht und so sind sie Teil meiner Arbeit geworden. Nach wie vor fällt mir auf, dass ich im Grunde wenig über die Roma als Volksgruppe weiß. Aus meinen Kontakten heraus zu den einzelnen Menschen habe ich einfach das Gefühl, dass die Familie und die Gemeinschaft eine zentrale Rollen spielen. Antje Hofert: Meine erste Begegnung mit Roma war in einem Asylbewerberheim in Krusow in der nähe von Allermünde. Dort wohnte eine ganz große Familie aus Rumänien und wir haben vier Jahre fast jedes Wochenende mit der Familie verlebt. Ich habe alles kennen gelernt. Wo sie überall in Deutschland gewohnt haben, wovon sie gelebt haben … In Rumänien waren sie Ziegelschläger … Und zum Schluss habe ich selber miterlebt, wie sie abgeschoben wurden und habe danach mit der Nordsüdbrücken-Stiftung ein Projekt für sie organisiert. Über vier Jahre habe ich die große Familie mit einem Projekt in Sadowa Romi in Rumänien begleitet. Für mich war das Beeindruckendste der alte Gentleman Papou, der sagte: »Weißt du, es ist vielleicht gut hier (in Deutschland), so richtig gut ist es aber eigentlich zu Hause. Es riecht anders, die Familien halten anderes zusammen, wir sind besser mit der Erde verbunden!« Das konnte er so klar sagen, weil er hatte in der Melioration gearbeitet. Bis zur Wende hatte er eine feste Stelle, bis 1989 also. Das andere Beindruckende war meine Freundin Anna. Sie hat mir eine Vorlesung in Ökonomie gehalten. Alle haben damals in der Wendezeit alte Sachen nach Rumänien 45 Bei uns liegen die Schwierigkeiten im Zugang zu Qualifizierung – durch die Bank hat keine/r einen Schulabschluss. gebracht. Anna ist in Craiova, einer Stadt in der Nähe der Grenze nach Bulgarien, mit mir auf den Markt gegangen und sagte: »Pass auf, wir sollten hier nähen! Wir sollten die alten Sachen mitnehmen. Wir sollten dankbar sein! Und jetzt schau: Die Levis aus Deutschland kostet fünf Mark, die kann kein Mensch hier nähen, kein Mensch kann im Moment hier in Rumänien davon leben, dass er näht!« Das war für mich sehr beeindruckend und hat die schönen Plakate von Misereor (kirchliche NGO) sehr relativiert. Diese Vorlesung zur Wirkung von Spenden, die verdanke ich Anna. Noch etwas: Es wird immer gesagt, dass die Frauen so unterdrückt sind und dass sie so wenig zu sagen haben, aber die Frauen sagten mir: »Antje, wenn Du was machen willst, wenn Du es durchsetzten willst, dann musst Du es machen! Geh und mach, frag nicht. Hilfe kriegst Du nicht, also lauf los und Du wirst sehen, wie viel Kraft Du hast!« So, das habe ich dort gelernt. Das hat mir hier keiner vermittelt. Hier wird immer gesagt: »Du musst Dich absprechen, genau befragen und wenn Dir keiner hilft, dann geht es nicht!« Aber die Frauen waren stärker! Also insgesamt drei Sachen die ich dort gelernt hab. Dafür danke ich ihnen heute noch sehr, sehr! Zika Ibraimovic: Meine erste Begegnung hier in Deutschland war vor 15 Jahren in einem Wohnheim in der Talstrasse in Tempelhof. Aber in dieser Zeit waren wir alle im gleichen Topf. Das Heim war am Anfang für Flüchtlinge und Asylbewerber. Ich muss sagen, diese Zeit war sehr, sehr schlimm. Weil, als wir aus dem ehemaligen Jugoslawien als Flüchtlinge herkamen, wussten wir nicht, wie lange wir hier bleiben werden. In dieser Zeit dachte ich manchmal: »Soll ich in Deutschland bleiben oder was soll ich hier machen?« Wir alle, auch ich persönlich, dachten damals, dass der Krieg schnell vergeht. Ein, zwei Jahre und dann können wir zurück nach Rumänien. Leider ist es nicht passiert und wir sind noch immer da! Unsere Roma waren damals auch zu 80 – 90 % nicht in unserer Heimat und haben nicht gearbeitet. Die Roma-Kultur kenne ich sehr gut. Leider müssen Deutsche unsere Kultur kennen lernen. Unsere Kultur war ganz anders als die deutsche und wir mussten langsam, aber sicher diese Kultur kennen lernen. Überraschend für mich war, dass viele Teilnehmer sagen: »Zigeuner wollen nicht lernen, wollen nicht arbeiten.« Aber es gibt auch 46 andere Roma. Heute ist das ganz anders als die Deutschen denken. Ich bezeichne mich jetzt immer als Deutsche, weil wir hier in Deutschland sind. Dann haben wir gezeigt, was wir gemacht haben. Wir haben gebildete Roma, die hier arbeiten. Für Roma gibt es langsam eine Emanzipation und sie denken jetzt: »Aha, wir werden lange hier leben und wir müssen auch etwas machen und nicht immer zu Hause sitzen, schlafen und fernsehen.« Heute gibt es Hoffnung, weil jetzt kommen neue Gesetze und die Bleiberechtsregelung – das ist besser. Früher gab es Duldung, Kettenduldung und Abschiebung. Gibt es noch Fragen? Antje Hofert: Viel wird ja bei uns über das geschriebene Wort vermittelt. Was mir meine Kollegen vermittelt haben, ist, dass das gesprochene Wort gilt! Das, was du von Auge zu Auge sagst, das zählt! Alles andere ist immer auslegbar, aber das, was du von Auge zu Auge sagst, das ist das Entscheidende. Auch das habe ich zur Maxime meiner Arbeit gemacht. Mir können viele Leute irgendwas erzählen, aber wenn ich nicht persönlich mit ihnen Kontakt habe, einen Draht zu ihnen finde oder mindestens ein gemeinsames Lachen, dann nehme ich eher Abstand von dieser Arbeit. Erwartungen & Ziele Welche Erwartungen an das Projekt teilt Ihr mit Euren Teilnehmern und Teilnehmerinnen und welche unterscheiden Euch von der Mehrheit der Teilnehmer und Teilnehmerinnen? Habt Ihr ursprüngliche Projektziele aufgeben müssen? Warum? Wie habt Ihr neue Ziele entwickelt und wie habt Ihr Euer Projekt daran angepasst? Zika Ibraimovic: Kumulus plus oder das erste Projekt? Sie wissen, ich mache Alphabetisierung in diesem Projekt auch auf Muttersprache und ich habe 76 Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Sie haben alle Aufenthalt und sie wollen arbeiten, aber sie können nicht lesen und schreiben. Deswegen wollen sie zuerst das lernen und danach weitermachen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass paar Teilnehmer und Teilnehmerinnen von hier danach ein Kfz-Praktikum gemacht haben und jetzt arbeiten. Aber wer arbeiten will, muss erst lernen. Viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen kommen auch in der Hoffnung, hier Arbeit zu finden, aber wir können keine Arbeit anbieten, weil sie Analphabeten sind. Es gibt viele, die die achte Klasse noch absolviert haben, aber nicht weiter zur Schule gegangen sind und jetzt wollen sie etwas machen, arbeiten, aber nicht mehr lernen. Deswegen ist dieses Praktikumsangebot sehr gut, weil es nur sieben Monate dauert. Jeden Tag kann man ein Zertifikat kriegen und so kommt man danach an Arbeit. Es gibt verschiedene Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Es gibt welche, die wollen nicht viel lernen, sondern gleich arbeiten. Andere machen zehn Stunden und dann wissen sie nicht, wo sie Weiterbildung machen können, weil sie nicht so gute Noten haben und dann fragen sie mich, was sie weiter machen sollen. Wie ist es mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen, gibt es welche, die einfach weiterlernen wollen? Oder wollen sie eine Weiterbildung? Regina Bakar: Zu uns kommen die Frauen aus unterschiedlichen Motivationen. Für viele ist es aber zunächst schon der Druck von einer Behörde – entweder von der Ausländerbehörde, die zu der Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet oder der Druck vom Arbeitsamt, das mit einem EinEuro-Job »droht«.Dann wird doch manchmal lieber das »geringere Übel« gewählt, nämlich zu KAROLA zu gehen, um dort Lesen und Schreiben zu lernen. Wenige Frauen, aber immerhin einige, nehmen das Bildungsangebot von sich aus, ohne äußeren Druck, an. In unserem Alphabetisierungskurs gibt es auch jüngere Teilnehmerinnen, 17-jährige zum Beispiel, die noch die Möglichkeit hätten, eine reguläre Schule zu besuchen, aber sie sagen: »Nein, wir kommen lieber zu Euch!« Auch sie brauchen den geschützten Raum, den KAROLA ihnen bietet. Für alle Teilnehmerinnen stellt sich jedoch immer wieder die Frage: »Wie lange muss ich noch? Wann bin ich endlich fertig und was habe ich dann davon?« Sie am Ball zu halten, ihnen den Sinn und Zweck des Lernens zu verdeutlichen, kostet uns immer wieder viel Mühe. Eine berufliche Weiterbildung wollen höchstens unsere jüngeren Kursteilnehmerinnen. Aber sie kennen sehr wohl den Unterschied zwischen einer »richtigen« Ausbildung und den vorgeschalteten »Berufsqualifizierungsmaßnahmen«. Zeit und Kraft in etwas zu investieren, was ihnen nach ihrer Meinung nichts bringt, sehen die meisten nicht ein. Habt Ihr was verändert? Zu den Zielen? Regina Bakar: Unsere Ziele mussten wir eigentlich im Laufe der Projektlaufzeit nicht anpassen. Wir haben sie von vornherein sehr niedrig gesteckt. Wir wissen, dass man in der Arbeit mit Roma-Frauen innerhalb von gut zwei Jahren Projektlaufzeit keine »Erfolge« melden kann. Damit meine ich für Außenstehende »sichtbare« Erfolge, die man in Zahlen ausdrücken kann, wie zum Beispiel erfolgreiche Abschlüsse, Zertifikate oder hohe Vermittlungsquoten in Arbeit. Solche Ergebnisse vorzuweisen, erfordert bei dieser Zielgruppe eine Arbeit über Generationen. Wir haben, wie gesagt, unsere Erwartungen viel niedriger gesteckt. Unsere Hoffnung war, dass zunächst unser Bildungsangebot von den Roma - Frauen angenommen wird und dass wir mit ihnen gemeinsam eine langfristige und regelmäßige Kursteilnahme einüben. Unserem übergeordneten Projektziel, Roma-Frauen auf ihrem Weg zu mehr Selbständigkeit und Selbstbestimmung in der deutschen Gesellschaft zu unterstützen, sind wir schrittweise näher gekommen. Deshalb nimmt die Zeit für Beratung in unserer Arbeit auch sehr viel Raum ein. Wie schafft Ihr es, die Kraft der Frauen zu fördern und sie nicht zu bemuttern? Regina Bakar: Das stimmt, das ist in unserer Arbeit tagtäglich eine große Herausforderung. Viele der Frauen haben Schwierigkeiten damit, ihren Alltag hier in Deutschland zu bewältigen. Ein Mahnbescheid vom Gericht, ein ihnen unverständliches Schreiben einer Behörde, aber auch die Betriebskostenabrechnung des Vermieters und so weiter – dies sind in der Regel die Anlässe, weshalb sie KAROLA aufsuchen. Viele der Frauen kennen wir nun aber schon länger, so dass sozusagen alle lebenspraktischen Themen schon einmal auf den Tisch kamen. Mit diesen Frauen haben wir gemeinsam »Lebensordner« angelegt. Ein Ordner, in dem alle wichtigen Papiere und Unterlagen sortiert abgeheftet sind. In den Alphabetisierungskursen, aber auch während der Beratung üben wir mit den Frauen beispielsweise das Ausfüllen von Überweisungsträgern oder anderen Formularen, erklären ihnen den Unterschied zwischen einer Einzugsermächtigung und eines Dauerauftrages, was ein Sozialversicherungsausweis ist und alles andere, was sonst noch anliegt. Unser Ziel ist es dabei, dass sie selbst einen Überblick bekommen und all diese Dinge selbst in die Hand nehmen können. Sandra Niederer: Unsere Teilnehmer kamen zu uns und hatten meistens Kettenduldungen. Sie hatten sich vom Projekt einen sicheren Aufenthaltsstatus erhofft und dachten, mit einer Bescheinigung von südost wäre dieser garantiert. Aufgrund des unsicheren Aufenthaltsstatus drehte sich Vieles um dieses Thema. Die Motivation, sich hier beruflich in die Gesellschaft zu integrieren, geriet in den Hintergrund. Praktisch heißt das, dass, Alphabetisierungs- und Deutschkurse und Gesellschaftskundeunterricht sehr gut angenommen wurden. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen betonten auch immer wieder, dass da ihr Interesse liegt. Die Teilnehmerinnen haben immer wieder gesagt, dass sie dadurch viel über die deutsche Gesellschaft und Deutschland, insbesondere über Berlin, gelernt und verstanden haben. Hierbei mussten wir die Basisqualifikation im handwerklichen Bereich neu gestalten. Das Ziel der beruflichen Integration, welches in gerade mal zweieinhalb Jahren schwierig zu verfolgen ist, ist uns in einigen Fällen gelungen. Das heißt, wir konnten zwei Teilnehmer in Praktika vermitteln und ein Teilnehmer hat sich selbständig 47 gemacht. Wir hatten uns aber mehr davon erhofft, dass diejenigen, die es in Anführungszeichen geschafft hatten, als Multiplikatoren fungieren. Diese sind jedoch vom Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme für uns nicht mehr greifbar gewesen. Diese 9-Monats-Jobs zu machen? Sandra Niederer: Nein! Die Basisqualifikation haben wir in monatliche Module aufgeteilt, das heißt, die Module wurden weiter unterteilt. Dies resultierte daraus, dass die Deutsch- und Alphabetisierungskenntnisse der Teilnehmer und Telnehmerinnen niedriger waren als vor Projektbeginn angenommen. Der andere Grund war, dass wir feststellen mussten, dass das Durchhaltevermögen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen niedriger war. Hinzu kommt auch noch, dass Dinge, die wir Deutschen als Selbstverständlichkeit voraussetzen, zum Beispiel Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit, eine viel größere Herausforderung darstellten als erwartet … Regelmäßigkeit wurde von der Zielgruppe sogar ganz anders definiert … Zu Beginn haben wir die Teilnehmer schlichtweg damit überfordert, zu erwarten, dass diese täglich zu erscheinen haben und durchgehend am Unterricht teilnehmen sollen. Das heißt, wir mussten das Pferd von hinten aufsäumen, indem wir die Anwesenheit und die Kursintensität langsam steigerten. Wichtig ist es, dem Alltag eine Struktur zu geben, aber langsam. Beginnend mit einmal die Woche sind wir nun bei viermal die Woche angelangt. Ich denke, das ist der richtige Weg, jedoch ein Weg, der viel Zeit und Geduld braucht. Die Module sind so aufgebaut, dass man sie beliebig nach Intensität in einem Bereich beziehungsweise variabel mit anderen handwerklichen Bereichen variieren kann. Das bedeutet, man kann entweder eine tiefgreifende Basisqualifizierung in einem Bereich erwerben oder eher breiter gestreutes Wissen in verschiedenen handwerklichen Bereichen wie Holz, Elektro oder Metall erweben. Somit hat man die Möglichkeit, die Teilnehmer je nach persönlichem Wissens- und Fähigkeitsstand zum richtigen Zeitpunkt in ein Praktikum zu vermitteln beziehungsweise die theoretische Qualifizierung auszuweiten. Was man noch sagen muss ist, dass sich die Altersstruktur unserer Teilnehmer und Teilnehmerinnen über die gesamte Projektlaufzeit verändert hat. Während sich zu Beginn überwiegend Menschen über 35 für das Projekt interessierten, sind es heute überwiegend Menschen unter 25 Jahren. Die älteren Teilnehmer waren eher darauf aus, zu testen: »Was können die mir noch beibringen?« Damit will ich sagen, diese Menschen haben es über die ganzen Jahre geschafft, sich eine illegale Selbstständigkeit aufzubauen. Diese Menschen hatten ganz klare Vorstellungen davon, was sie noch an Fertigkeiten dazulernen möchten, waren sich aber auch ihrer bereits gesammelten Lebens- und Arbeitserfahrung bewusst, ohne sie preiszugeben. Viele dieser Menschen handeln mit Schrott, das heißt, 48 sie sammeln Schrott und verkaufen diesen weiter. Unsere Idee zu Beginn war es, diese Art von Lebensunterhalt zu legalisieren und deren Wissen und Kenntnisse entsprechend zu verkaufen. Wir stellten jedoch fest, dass neben den rechtlichen Schwierigkeiten das Interesse, aus der Illegalität zu entkommen, sehr gering war, da die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht aufgeht… Aufgrund der Abschiebewelle, die wir leider im Projekt miterleben mussten, haben acht Teilnehmer und Teilnehmerinnen gleichzeitig eine Grenzübertrittsbescheinigung erhalten. Somit wurde auch dem Projekt von heute auf morgen das Vertrauen entzogen. Die Leute haben sehr großes Misstrauen gegenüber uns entwickelt. Sie haben uns angeklagt. Sie haben gesagt, wir hätten der Ausländerbehörde zugearbeitet. Sie sagten, wir hätten sie verraten. Das Vertrauen, das südost über Jahre genossen und aufgebaut hatte und auch der Grundstein für die Durchführung dieses EQUAL -Projektes war, wurde innerhalb kurzer Zeit entzogen und dauert an. Parallel hierzu wurden natürlich Gespräche mit den Ausländerbehörden und dem Innensenat geführt, um den Projektteilnehmern für die Dauer des Projektes einen gesicherten Aufenthalt zu gewährleisten und den Teilnehmern und Teilnehmerinnen die Möglichkeit zu bieten, mit einem einigermaßen klaren Kopf den Qualifizierungsmaßnahmen nachgehen zu können. Leider war dies nicht der Fall. Immer wiederkehrende Zwischenfälle von Abschiebungen gingen natürlich rum wie ein Lauffeuer. Teilnehmer fehlten auf einmal, keiner wusste, sind sie abgeschoben oder sind es die Angst und das Misstrauen… Andere Teilnehmer sind in die Illegalität abgetaucht … Wiederum gibt es Teilnehmer, die immer noch im Projekt sind, trotz Grenzübertrittsbescheinigung, jedoch mit dem ständigen Druck im Nacken, die monatliche Verlängerung könnte nicht erfolgen. Hierbei handelt es sich überwiegend um jüngere Teilnehmer, um die 20 Jahre, die derzeit parallel ihren Hauptschulabschluss nachholen. Aufgrund der vielen psychischen Belastungen der Teilnehmer mussten wir unsere Arbeit in Richtung sozialer Begleitung und persönlicher Beratung intensivieren. Wir haben unsere Maßnahmen dahingehend angepasst, dass wir viel detaillierter und intensiver mit den einzelnen Personen arbeiten, viel mehr Deutsch- und Alphabetisierungsunterricht anbieten und vor allem Raum schaffen, der die Möglichkeit bietet, durchzuatmen und sich über Lebensperspektiven klar zu werden. Antje Hofert: Ich rede jetzt über das erste EQUAL -Projekt von 2002 bis 2005. Wir hatten auch Abschiebungen und haben irgendwann, ich weiß nicht, ob man es Begreifen nennen kann, aber es war in Berlin, dass wir gesagt haben, wir begreifen Integration als einen Teil der Stadt Berlin und des gesellschaftlichen Lebens hier. Wir haben verstärkt Menschen unterstützt, die im Bereich Schulen gearbeitet haben, zum Beispiel Mediatoren und Mediengestalter. Wir haben nicht ihre berufliche Qualifizierung in den Mittelpunkt gestellt, sondern deren Unterstützung für Berlin gefördert. Seitdem wurde bei uns nicht mehr abgeschoben. Allerdings liegt das schon Jahre zurück und vielleicht kann man es nicht vergleichen. Wir haben gesagt, Handwerker gibt es ganz viele in der Stadt. Es besteht die Notwendigkeit, den Gemeinden Unterstützung zu geben und das haben wir getan: Menschen in den Communities unterstützt, zu lernen. Mit diesem Angebot an Berlin haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Unsere Zielgruppe hat sich verändert. Wir hatten erst junge Menschen ohne Hauptschulabschluss oder ohne Schulabschluss allgemein, die keine Anbindung mehr an Schulen hatten. Die haben wir nicht erreichen können. Also diejenigen, die arbeiten, haben zum Teil schon Familie. Die Schule ist aus ihrer Perspektive weder ihr dringendes Problem noch ihre größte Chance. Jetzt haben wir Jugendliche zwischen 13 und 22 Jahren. Das sind alles junge Menschen, bis auf zwei, die noch ‘ne Anbindung an die Schule haben. Weiterhin sind sie Schüler. Wir haben in XENOS eine Kooperation zu jeder Schule. Alle Jugendlichen arbeiten. Sie sind oft sehr müde, wenn sie zu uns kommen. Wir wollten ursprünglich eine Fremdprüfung machen, aber dadurch, dass alle Schüler die Anbindung an ihre Schule behalten haben, können sie vielleicht die Schulprüfung machen. Die meisten Jugendlichen, die zu uns kommen, haben einen befristeten Aufenthalt, die müssen nicht kommen. Aber es ist so: Bei uns haben sie noch ein Stück Kindheit. Sie werden eindeutig nicht immer als Erwachsene behandelt, weil sie sich die Freiheit nehmen, manchmal doch wie recht kleine Kinder zu sein. Das ist in Ordnung so. Was haben wir noch verändert? Ja, wir mussten eine Entscheidung fällen zwischen mehr Praxis und weniger Schule. Wir haben eine komplette Werkstatt für Mediendesigner, wir haben Veranstaltungstechnik, die gleichzeitig Elektrotechnik ist. Die Jugendlichen haben die Angebote aber nicht wahrgenommen, dann haben wir gesagt: »Na gut, qualifizierter Schulabschluss ist vielleicht wichtiger.« Jetzt haben wir mehr Kraft in mehr Kleingruppenunterricht gesteckt. Es klingt wahrscheinlich merkwürdig, aber sie sind einfach nicht zu den Praxisprojekten gekommen, obwohl sie eine komplette Werkstatt zur Verfügung hatten. Dann haben wir gesagt: »Wir müssen besprechen, warum es so ist.« Probleme und Herausforderungen Welche Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben Eure Teilnehmer und Teilnehmerinnen? Gibt es rechtliche Barrieren und habt Ihr Strategien, um sie zu umgehen oder zu beseitigen? Setzt Euch das Programm oder der Programmträger Grenzen bei den Lösungsstrategien? Die strukturellen Schwierigkeiten zwischen Zugangsverbot zum Arbeitsmarkt oder die Arbeitsmarktvorrangprüfung, welche die meisten nicht schaffen, weil sie nicht besser qualifiziert sind als andere Bewerber, und auf der anderen Seite die Forderung des Programms, Arbeitsmarktintegration zu fördern, dazwischen gibt es offensichtlich Widersprüche – wie ist es bei Euch? Wie geht Ihr damit um? Zika Ibraimovic: Für mich gibt es einen Unterschied zwischen Arbeitsmarkt und Jobcenter. Ein Beispiel: Eine Frau kam zu mir. Sie konnte nicht schreiben, nicht mal den Bleistift halten. Sie wollte bei mir mitmachen. Ich habe ihr eine Bescheinigung gegeben für das Jobcenter, aber die haben ihr gesagt, sie muss zum Deutschkurs. Die Frau war 50 Jahre alt. Sie kam nur die ersten drei Tage zum Kurs. Dann kam sie zu mir und wollte, dass ich ihr einen Brief schreibe. Die Frau stört. Die Schwierigkeit für unser Volk ist, das Jobcenter vermittelt ihnen einen Ein-Euro-Job und sie empfinden das als Schande. Ich habe ihr dann erklärt, dass ich, wenn ich arbeitslos bin, ein Jobangebot nicht ablehne. Auch einen Ein-Euro-Job nehme ich sofort. Dazu kriegt man vom Sozialamt noch Geld. Später, wenn du einen richtigen Job bekommst, kriegst 800 Euro. Das ist auch nicht mehr. Aber sie wissen nichts über all das. Rechtlich habe ich viele schlechte Erfahrungen in Deutschland gemacht. Nichts läuft rechtlich korrekt. Manche Leute kriegen Aufenthaltserlaubnis mit Arbeitserlaubnis hier und andere aber nicht. Was ist die Regelung für Roma? In einer Familie arbeitet der Mann nicht, die Frau nicht und sie haben mehrere Kinder – sie bekommen zwei Jahre Aufenthalt. Ein anderer Mann hat ein Kind und darf nur vier Stunden täglich arbeiten. Das ist nicht genug! In Berlin ist es sehr schwer, jetzt einen Job zu finden. Darum gibt es hier einen sehr großen Computer, der alles weiß: Wer will arbeiten, wer kann arbeiten und wo? Unsere Leute streiten sich darüber, was der eine kriegt und der andere nicht. Das ist nicht gut. Unterstützt das Arbeitsministerium eure Strategien? Sandra Niederer: Wir haben dieses Problem mit den Grenzübertrittsbescheinigungen. In unserer EP sind wir die Einzigen, die mit Asylbewerbern arbeiten und dadurch in gewisser Weise auf uns allein gestellt. Behindert wurden wir jedoch nicht. Bei der Projektplanung haben wir versucht, rechtliche Barrieren bezüglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt zu umgehen, indem wir versuchen wollten, die Teilnehmer in Praktika zu vermitteln und dem Arbeitgeber somit die Möglichkeit zu geben, zu sagen: »Das ist dein Mann. Bescheinige, dass er der richtige ist!« Das hat in zwei Fällen geklappt. Insbesondere deswegen, weil die EQUAL -Entwicklungspartnerschaft Bridge eine Weisung bezüglich der Praktika ausgearbeitet hat. Wie ging es weiter? Sandra Niederer: Leider konnten beide Arbeitgeber keine 49 die Frauen sagen mir: Antje, wenn du was machen willst, wenn du es durchsetzten willst, … Geh und mach, frag nicht. Hilfe kriegst du nicht, also lauf los und du wirst sehen wie viel Kraft du hast. So, das habe ich dort gelernt. Das hat mir hier keiner vermittelt. Bezahlung bieten, die für die Ernährung der Familien gereicht hätte. So hat ein Teilnehmer ein Angebot auf der Baustelle wahrgenommen und ein anderer hat sich selbständig gemacht. Beide haben Aufenthalt erhalten, was jedoch andere Gründe hat. Es sind noch nicht die Verdienste von EQUAL. Regina Bakar: Bei unseren Projektteilnehmerinnen liegen die Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt sehr selten in rechtlichen Barrieren. Die meisten haben ja in irgendeiner Form eine Aufenthaltserlaubnis und damit auch eine Arbeitserlaubnis. Es ist ganz einfach so, dass durch die Bank keine der Teilnehmerinnen einen Schulabschluss vorzuweisen hat und die Beschäftigungsmöglichkeiten für gering beziehungsweise unqualifizierte Menschen nicht gerade gut aussehen. Ich glaube, ich liege auch nicht falsch mit dem Eindruck, dass Roma-Frauen auch bei der Vergabe von Putzjobs hinten angestellt werden. Manchmal sagen die Behörden: »Die haben kein Recht auf Qualifizierung, sie sollten gleich auf den Arbeitsmark und nicht zu Maßnahmen gehen!« Habt Ihr so was? Regina Bakar: Bislang haben wir diese Erfahrung eigentlich nicht gemacht. Die Mitarbeiter der Behörden sind eher positiv überrascht, dass es uns und unser Angebot für Roma-Frauen gibt. Ich habe den Eindruck, die eine oder andere Sachbearbeiterin im Arbeitsamt ist sogar richtig froh darüber, denn somit kann sie ihre »Klientin«, eine nicht-alphabetisierte RomaFrau, erstmal »passgenau« unterbringen. Die Ausländerbehörden dagegen legen den Schwerpunkt mehr auf die »eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts«. Da heißt es dann, wenn die Frau hier bleiben will, soll sie arbeiten gehen. Da kommen wir mit unserem Kursangebot zweimal pro Woche nicht weit. Das ist ihnen zu wenig. Das müsste dann schon Vollzeit sein. Sandra Niederer: Wir streben 30 Wochenstunden an. Zika Ibraimovic: Dreimal pro Woche Unterricht, einmal pro Woche mach ich Begleitung und einmal Beratung – also bei uns ist es Vollzeit. Antje Hofert: Wir arbeiten auch Vollzeit. Bloß haben wir mit dem Arbeitsmarkt nichts zu tun, weil unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen eindeutig Hauptschüler sind. Aber wir 50 haben Kooperationen zu weiterführenden Schulen. Das fängt jetzt allmählich an. Regina Bakar: Wie gesagt, die Behörden stehen unserem Bildungsangebot für Roma-Frauen eigentlich recht wohlwollend gegenüber. Das Problem, das sich dann aber einstellt, ist die Frage nach dem »erfolgreichen Abschluss« eines Kurses. Wann ist die Frau denn nun endlich »fertig« mit ihrem Alphabetisierungskurs? Bei lernungewohnten Erwachsenen ist die Alphabetisierung allerdings mit sehr viel Mühe verbunden und es lässt sich schwer vorhersagen, wann jemand »fertig« ist. Zudem haben wir auch mit den unregelmäßigen Kursbesuchen umzugehen, die dem Lernprozess natürlich nicht förderlich sind. Zika Ibraimovic: Es ist sehr schwer für unsere Menschen (Roma) irgendwohin regelmäßig zu kommen. Ich habe es mit mehreren Modulen und mehreren Kombinationen versucht. Zuerst habe ich jeden Tag Alphabetisierung versucht, aber das funktionierte überhaupt nicht. Dann probierte ich vier Tage. Inzwischen sage ich, drei Tage pro Woche ist sehr gut. Antje Hofert: Du hast gefragt, welchen Arbeitsmarktwert EQUAL I bei uns hatte. Es gab zwei Strategien. Die eine kannst du besser erläutern Zika, Du kennst dich besser aus. Die andere Strategie war, dass wir einfach Arbeitsplätze geschaffen haben. Wir haben der Stadt Berlin erklärt, hier gibt es einen Bedarf und für diesen bilden wir Leute aus! Das hat geklappt und die Leute arbeiten bis heute. Sie sind heute meine Kollegen. Mit denen arbeiten wir weiter, entwickeln die Geschichte weiter und ziehen auch noch neue Kollegen an. Es ist so, viele meiner Kollegen sind serbische Kollegen. Zika kennt sie auch ganz gut. Jetzt kommen Leute aus Polen mit dazu, die Kraft haben und arbeiten wollen. Christoph Leucht: Es ist schwer, Stellen zu finden oder über EQUAL - Praktika in den Arbeitsmarkt reinzukommen. Auch die Arbeitsmarktvorrangprüfung war ein bisschen schwierig. Die Kollegen dachten, das kriegen sie hin, was aber ganz schwierig war, weil die Ausländerbehörde gesagt hat: »Interessiert uns nicht, ob er arbeitet oder nicht. Der ist nicht als Arbeitnehmer gekommen. Der hat keinen Werkvertrag, sondern der hat Flüchtlings- oder Gesundheitsgründe für eine Duldung und wenn die Gründe wegfallen, interessiert uns das nicht.« Da ist die Strategie ein bisschen gescheitert, über eine Arbeitsmarktintegration aufenthaltsrechtliche Fragen zu klären. Frankfurt hat sich da ganz rausgehalten. Sie haben gesagt: »Wir machen Schulabschluss, wir versuchen das Aufenthaltsrecht über Petitionen zu sichern, aber wir fokussieren uns nicht darauf, sondern auf den aktuellen Status.« Dadurch haben sie so einen großen Erfolg gehabt. Die Hälfte der Teilnehmer und Teilnehmerinnen hat einen Abschluss gemacht. Im ausländerrechtlichen Bereich war das Ziel immer nur das Bleiberecht während des Projektes. Antje Hofert: Meinst du die Aachener Schweißer? Da gab es mal einen Großauftrag, für den sie Leute brauchten. Christoph Leucht: Nein, die Aachener Schweißer haben mit zwei Intensitäten gearbeitet. Es gab eine Fachqualifizierung. Die haben Ausbildungsmodule gemacht. Da kann man sich ohne eine Berufsschule zu besuchen in bis zu sechs Bereichen qualifizieren. Die haben Arbeit gefunden. Einer ist über Lohnkosten zu uns gekommen, einer ist später dazu gekommen. Dieses Unternehmen hatte einen Riesenauftrag für Schienen und da sind sie eingezogen worden und einer ist bei der Konkurrenz gelandet. Als die dann runterfahren mussten, ist er »rausgeflogen worden« und der fünfte hat immer wieder versucht reinzukommen, hat es aber nicht geschafft. Also von den sechs Leuten, die die Ausbildung gemacht haben, sind drei drin geblieben und dann kam die bittere Pille, dass die Ausländerbehörde gesagt hat: »Interessiert uns nicht, ob die eine Arbeit haben oder nicht.« Dann kam rechtzeitig die Bleiberechtsregelung, aber es hat nicht funktioniert. Es hat nicht funktioniert, weil man in dem Programmleitfaden die Ausländerbehörde als Partner haben musste. Da muss eine Ausländerbehörde wie in Berlin da sein, die sagt: »Wir machen das!« Das haben sie gesagt in Berlin und sie haben gesagt: »Wenn eine andere Senatsverwaltung den Bedarf anmeldet und sagt wir wollen diese vier Personen haben, wofür auch immer, im schulischen Bereich vielleicht, die vier und keine anderen, die brauchen wir.« Das ist eine Absprache mit der relevanten Stelle gewesen. Da hat die Ausländerbehörde nicht gesagt: »Wenn die Arbeit haben, dürfen sie bleiben.« Solche Projekte funktionieren nur als Kooperation, nicht als »Wir machen mal irgendwie und nachher schieben wir es der Ausländerbehörde unter oder wir schießen gegen sie!« Es funktioniert nicht. Vielleicht im Einzelfall, aber sonst nicht. Da muss die Ausländerbehörde Partner sein. Sonst ist es für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eine Illusion. Projektdurchführung und Potenziale der Teilnehmer und Teilnehmerinnen Was konntet Ihr und Eure Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu Beginn des Projektes besonders gut und as habt Ihr und as haben sie dazugelernt? Welcher Teil der Projektdurchführung be- reitet Schwierigkeiten und wie reagiert Ihr darauf? Worin unterstützt Ihr Eure Teilnehmer und Teilnehmerinnen und worin sollten sie noch stärker unterstützt werden? Wobei und wie haben Euch Eure Partner unterstützt oder behindert? Regina Bakar: Was wir und unsere Teilnehmerinnen schon zu Beginn des Projekts besonders gut konnten, war die Basis jeder weiteren Zusammenarbeit, nämlich gegenseitiger Respekt und von Seiten der Roma auch das Vertrauen gegenüber der Einrichtung und uns »Gadsche«- Mitarbeiterinnen. Das bedeutet also im Umkehrschluss, unsere Arbeit mit den Roma-Frauen in Hamburg hat nicht erst mit dem Start dieses EQUAL - Projekts begonnen und endet hoffentlich auch nicht damit. Ich denke aber auch, dass wir im Laufe dieser Projektlaufzeit viel voneinander lernen konnten und sich die Kulturen damit ein wenig näher gekommen sind und etwas transparenter wurden. Was uns Schwierigkeiten bereitet, ist, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Wir werden von mehr und mehr Roma aufgesucht und die Probleme, die sie oftmals mitbringen, werden nicht leichter. Gleichzeitig fällt bei einer Förderung aus EU - Mitteln viel Verwaltungsarbeit an, aber auch dem Anspruch nach Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung soll man genügen. Die Kapazitäten reichen da einfach manchmal nicht mehr aus, dies alles zu bewerkstelligen. Was bringen Euch die Partner? Regina Bakar: Wir sind ja ein Teilprojekt der EP »Fluchtort Hamburg«, das sich mit seinen Bildungs- und Qualifizierungsangeboten an Menschen mit ungesichertem Aufenthalt richtet. Wir sind darunter allerdings das einzige Projekt, das sich speziell an Roma richtet. Es ist vor allem der Austausch mit unseren Projektpartnern, der wertvoll ist für unsere Arbeit. Mal rauszukommen aus seinen vier (Projekt-)Wänden und anderen von der eigenen Arbeit zu berichten, kann manchmal ungemein hilfreich sein. Gleichzeitig erfahren wir auch viel Unterstützung in Form von Informationsweitergabe, aber auch moralischer und ideeller Art. Antje Hofert: Was die erwachsenen Teilnehmer und Teilnehmerinnen gut können, jetzt rede ich von EQUAL, ist selbstorganisierte Unterstützung in der Familie. Sie helfen sich untereinander, informieren und unterstützen sich wirklich gegenseitig bei der Arbeitssuche. Es grämt mich, wenn immer gesagt wird: »Die Anforderungen der Familie stehen der Integration im Wege!« Unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben mühelos ihre Angelegenheiten organisiert und bewältigt und das mit ihren familiären Strukturen. Was für mich wichtig ist, wirklich, ist die Familie als das zu akzeptieren und nicht bloß zu sagen, die Familie ist ein Wert, der ist dort und das findet man ganz toll. Sondern die Familie ist was ganz Aktives, die Familie hilft sich, die organisiert, die geht zum Jobcenter, leistet Übersetzungsarbeit ebenso wie Verwaltungsarbeit. Das ist etwas was 51 unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen mitbringen. Das müssen wir ihnen nicht beibringen! Beibringen ist auch nicht das richtige Wort, wir machen andere Türen auf. Die Türen, die wir aufmachen, die funktionieren anders. Dort zu sagen: »Pass auf, ihr habt euer System und das überlebt auch in dieser Gesellschaft, also lass uns gucken, ob ihr nicht noch ein paar mehr Wege finden könnt, die wirklich was mit Integration zu tun haben.« Also ein Miteinanderleben mit Austausch und das ist etwas was wir machen können: Türen öffnen. Durchschlängel Modus? Antje Hofert: Wenn du am Rande der Gesellschaft lebst, musst du unheimlich viel Energie aufwenden, um überleben zu können und ich habe großen Respekt davor. Es ist eine Frage, Vertrauen zu finden, wenn was angeboten wird, ob man den Leuten aber vertraut, ist eine andere. Das ist Schwerstarbeit und das sind einzelne Menschen, die diesen Weg gehen – wirklich einzelne Menschen. Man muss sich nichts vormachen, aus Jugoslawien kamen qualifizierte Leute, die sind mit der Gesellschaft dort umgegangen wie mit unserer – also ganz souverän. Man muss auch zwischen den Leuten trennen, die am Rand gelebt haben und denen, die in der Stadt gelebt haben und ganz normal integriert waren. Wir freuen uns, wenn Leute dazukommen und ganz bewusst sagen: »Ich will eure Hilfe!« Die sagen: »Ich will es mit euch machen!« Das ist eine Entscheidung! Sandra Niederer: Eigentlich wurde das Meiste gesagt, wie sie sich unter uns am Rande der Gesellschaft behaupten. Wie sie es schaffen, sich einen zusätzlichen Verdienst an Land zu ziehen. Wie sie ihre Selbstständigkeit aufbauen. Sie verstehen ihr Handwerk. Sie sind untereinander unheimlich stark vernetzt und dadurch auch in gewisser Weise nach außen hin abgeschottet und unabhängig. Im Vergleich zu anderen Besuchern des südost-Zentrums suchen Roma seltener die Unterstützung bei der Bewältigung von bürokratischen Hindernissen. Irgendwie schaffen sie es untereinander. Für mich ist es ein Phänomen trotz der hohen Rate an Analphabeten und doch relativ schlechten Deutschkenntnisse. Ich denke, es gibt immer wieder herausragende Personen in der Roma-Community, die den sogenannten Durchblick haben. Und dadurch, dass sie untereinander so stark vernetzt sind, wissen sie genau, welches zum Beispiel der richtige Arzt oder Anwalt für ihre Angelegenheiten ist. Untereinander sind sie unheimlich gut organisiert und dadurch eigentlich auch auf ihre Art in unserer Gesellschaft etabliert. Bei uns haben sie die Möglichkeit, Deutsch zu lernen und mit der deutschen Gesellschaft in Kontakt zu treten. Oft sind wir Deutschen bei südost für die Roma der einzige Kontakt zur deutschen Gesellschaft, das heißt, durch uns können sie sich sozusagen an die hiesige Gesellschaft herantasten. Ebenso kommt von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen immer wieder die 52 Aussage: »Mensch, da gibt es ja auch andere Volksgruppen, denen es genauso geht wie uns!« Aufgrund der Umstände – Asylbewerberdasein – und des starken kulturellen Zusammenhalts innerhalb ihrer Volksgruppe, findet auch in gewisser Weise eine Gettoisierung statt. Durch das Projekt ermöglichen wir für unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen oft den Schritt nach außen. Es ist nicht immer einfach und es gibt Rückschläge, aber es ist ein Anfang. Um auf unsere »geplanten« Partner zu kommen, das heißt, diejenigen Organisationen, mit welchen eine engere Zusammenarbeit hätte stattfinden sollen, um sich gegenseitig zu unterstützen: Wir mussten ziemlich schnell feststellen, dass unser Partner zwar eine Datenbank über Kleinunternehmen führt, jedoch überwiegend im Dienstleistungssektor und eher im Segment höher qualifiziertes Personal. Somit war ein Matching schwer. Zika Ibraimovic: Zu Begin des Projekts war es besonderes gut, weil ich in EQUAL I schon mit Alphabetisierung angefangen hatte und das war sehr gut, weil wir verlängern konnten in Kumulus Plus. Die Leute waren begeistert weiterzumachen. Wir bieten zu jeder Zeit sehr gute Beratungen an. Es gibt viele Dinge, die sie brauchen. Es gibt Leute, die wollen selbstständig sein und andere wollen Weiterbildung, andere wollen arbeiten. Nach Möglichkeit bekommen sie eine Beratung. Ich sage immer, eine Möglichkeit ist da, welche Wünsche sie haben, ist es etwas ganz anderes. Ich wollte zum Beispiel Flugzeugpilot werden, aber es gab keine Möglichkeit. Jeder Zeit bekommen sie hier eine gute Beratung, um zwischen ihren Wünschen und der Realität einen Mittelweg zu finden. Über die Alphabetisierung kommen wir in Kontakt mit Eltern, mit Familien und ich begleite auch und habe Akquise am Donnerstag und dann mach ich Hausbesuche. Bei den Hausbesuchen höre ich, was sie möchten, welchen Bedarf sie haben. Bis jetzt funktioniert es so ziemlich gut. Antje Hofert: Es hat auch was mit empowerment zu tun. Wenn wir mit unseren Ergebnissen aufgetreten sind, auch gegenüber anderen EQUAL -Partnern, haben sie gesagt: »He, die haben ja fast die gleichen Probleme wie Übersiedler aus Russland – oder die Leute aus Polen.« Es wird klar, was wirklich spezifisch ist, ist die wirkliche Diskriminierung von Roma, also Mehrfachdiskriminierung von Roma und Sinti, aber ansonsten gab es etwas fast wie Solidarität. Sie sagen: »Mensch, das was ihr erlebt, das erleben wir auch. Erzählt mal weiter. Legt mal auf den Tisch, dann packen wir unsere Erfahrungen dazu.« Das macht ihr besonders, Zika, ihr knüpft an die Erfahrung an. Ihr kommuniziert ganz toll mit den Bestrebungen der russischen Übersiedler. Es kommen sehr viele qualifizierte Leute her. Es scheint normal zu sein, dass jemand mit sechs Semestern Medizin hier Treppen putzt. Das gehört zur Folklore und da wehren sich immer mehr dagegen und XENIA macht auch ganz viel Arbeit und das ist auch ein outcome muss man sagen. Also von Alphabetisierung bis zur beruflichen Anerkennung. Da sind auf jeden Fall Leute dabei, die ich als Kollegen haben möchte. Da sind Lehrerinnen dabei, da sind Musiklehrer dabei, da sind Leute, die im Krankenbereich gearbeitet haben – die sind schon da!!! Ich stehe schon Schlange und sag, ich will sie haben. Mainstream der Innovationen Letzte Frage: Welchen Teil Eures Projektes haltet Ihr für besonders effektiv? Wer in Eurem Umfeld hat das meiste Interesse an der Fortführung eures Projektes? Wo werden die von Euch erprobten Konzepte weiter umgesetzt? Sandra Niederer: Ich glaube, unser Konzept hätte gepasst, wenn wir rechtlich anders abgesichert gewesen wären, wenn wir den Raum und diese Ruhe gehabt hätten, die Leute auch zu qualifizieren, anstatt unsere Teilnehmer ständig zu den Ausländerbehörden und zu den Anwälten zu begleiten. Ganz zu schweigen von dem psychologischen Druck, der dadurch ständig wie ein Damoklesschwert über unseren Teilnehmern und Teilnehmerinnen hing. In den letzten Monaten hat sich dann zunehmend gezeigt, dass die Jugendlichen immer weniger Interesse am handwerklichen Bereich haben und mehr hin zum Dienstleistungssektor beziehungsweise moderne Medien tendieren. Es kristallisierten sich zum Beispiel mehr Berufswünsche wie Friseur, Verkäufer und auch Kfz-Mechaniker heraus. Bei den älteren Teilnehmern und Teilnehmerinnen hätte spezifischer darauf eingegangen werden sollen, was sie bis dahin gemacht haben, was sie in Ex-Jugoslawien gemacht haben. Zu Beginn des Projektes gab es das Konzept, Fähigkeiten, Kenntnisse und so weiter, die bereits vorhanden sind, – in diesen Fällen, vor allem im Bereich von Feder- und Schrotthandel – aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Leider sind wir aufgrund der doch sehr widrigen Umstände gar nicht so weit vorgedrungen. Zum jetzigen Zeitpunkt sähe ich schon eine reelle Perspektive darin, die bereits im »Untergrund« verrichteten Tätigkeiten zu legalisieren und anzumelden. Natürlich alles unter der Prämisse eines gesicherten Aufenthalts. Glaubst du, dass irgendjemand außer Euch Interesse hätte, hier im Bundestag mit dieser Gruppe oder diesen Ansätzen weiterzuarbeiten, also stoßt Ihr auf offene Ohren? Wer sind die Leute, die sagen „ja, interessant“? Sandra Niederer: Fällt mir spontan niemand ein. Leider stelle ich immer wieder fest, dass die Barriere der über einen langen Zeitraum aufgebauten Vorurteile manchmal fast unüberwindbar erscheint. Diese stecken ganz schön tief. Interessant finden dieses Thema sicher mehrere Leute. Die Frage ist jedoch, wie weit reicht das Interesse. Regina Bakar: Aus unserer Projekterfahrung muss ich sagen, dass es auch mit einem gesicherten Aufenthalt der Teilnehmer und Teilnehmerinnen eine große Herausforderung bleibt, eine kontinuierliche Bildungsarbeit durchzuführen. Und wie gesagt, große Erfolge, die messbar sind, kann man mit dieser Zielgruppe nicht innerhalb von zwei Jahren vorweisen. Aber wie können wir dann verdeutlichen, dass sich unsere Arbeit trotzdem lohnt? Wir sehen den Bedarf, der an uns herangetragen wird und wir sehen die kleinen Fortschritte, die Früchte unserer Arbeit sozusagen. Und durch das Vertrauen, das uns von den Roma entgegengebracht wird, kommen wir auch mehr und mehr in die Rolle von Vermittlern. Profitieren von dem gewachsenen Vertrauen von Eurer Arbeit die Leute im Viertel? Beim Amt, der Müllabfuhr, dem Jugendamt, der Polizei Regina Bakar: Ja, auf alle Fälle. Wir haben sogar den Eindruck, dass gerne mal Zuständigkeiten an uns abgegeben werden, weil wir eben »den besseren Draht« zu dieser Gruppe haben. Ich denke, es gibt eine ganz schön große Spannbreite an Menschen, die Interesse daran haben, dass wir unsere Arbeit fortführen und zwar vor allem all die, die selbst beruflich mit Roma zu tun haben. Das geht von Anwälten, Ärzten und Lehrern bis hin zu Mitarbeitern beim Jugendamt, die Vormundschaften für Roma-Kinder übernommen haben. Eigentlich sollte auch die Stadt Hamburg großes Interesse an der Fortführung unserer Konzepte zeigen, denn letztendlich nehmen wir den Allgemeinen Sozialen Diensten viel Arbeit ab. Antje Hofert: Wir haben Mediatoren qualifiziert und der Senat will uns haben. Der Senat gibt mittlerweile etwas Geld. Längst nicht so viel wie in Hamburg, aber man entdeckt, dass die Familien, denen die Mediatoren geholfen haben, erstmal nicht selbstständiger werden. Man geht noch mal hin und noch mal hin. Irgendwann sagen wir denjenigen, die die Arbeit machen, wenn sie immer wieder als Mediator rein gehen und immer wieder erzählen, das kann’s nicht sein und dann hat die Gruppe gesagt, wir machen eine Müttergruppe. Wir nehmen sie einfach zusammen und informieren die mal, was es so gibt. Das bleibt immer noch. Es war der Beginn eine Gruppenarbeit. Es ist aber so, dass diese Frauen, dieser Müttertreff, wo ganz viele gute Informationen weitergegeben wurden zum Thema Jobcenter, zur Gesundheitsfürsorge und auch zu Sport für Frauen, die Mütter ein wenig wachgerüttelt hat. Die machen jetzt selber weiter. Die haben es wirklich, da war ich Zeugin, die haben es geschafft. Die haben unser System so gut kennen gelernt, dass sie innerhalb von zwei Stunden ein Projekt entwickelt haben. Ganz straight, ganz gut! Die wussten genau, worum es geht, was sie machen müssen, wen sie einbeziehen, wer ihnen Unterstützung gibt. Das ist das, was wir uns gewünscht haben. Kleinschrittige Selbsthilfe muss man nicht groß machen, aber was für uns wichtig war, war, dass sie gesagt haben: »Wir blei53 ben in der Schule. Wir gehen nicht irgendwo hin. Wir bleiben hier, wo unsere Kinder lernen.« Zika Ibraimovic: Wir müssen noch überprüfen, welchen wirklichen Bedarf es gibt. Weil, wenn man den Bedarf mal so und mal so aussucht, das funktioniert nicht gut. Sandra Niederer: Ich glaube, diese Kombination von Bezugsbetreuung und niedrigschwelliger Basisqualifizierung ist ein guter Grundstein. Der Raum und die Zeit für vertrauensbildende Maßnahmen, das heißt, eine über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehende Ansprechperson bildet den Grundstein für eine erfolgreiche Integration. Wir müssen uns klarmachen, dass durch das, was die Menschen nicht nur durch ihre Flucht und Ausgrenzung in den letzten 15 Jahren, sondern was sie in den letzten Jahrhunderten erfahren haben, Vertrauen nicht von heute auf morgen aufgebaut werden kann. Fehlt etwas? Hat es sich gelohnt? Für wen? Sandra Niederer: Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, sowohl für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen als auch für uns und für Dritte. Auch wenn wir nicht die Massen qualifiziert haben und in Lohn und Brot gebracht haben, so hat es sich für jeden einzelnen gelohnt, der an unseren Maßnahmen teilgenommen hat. Es hat sich um jeden Besuch bei Behörden gelohnt, wo wir Missverständnisse aufklären konnten und den Menschen in den Vordergrund bringen konnten. Es ist uns gelungen, neue Erkenntnisse zu gewinnen, das heißt wir sind in unseren Erfahrungen weitergekommen, haben es geschafft, mit wirklich schwierigen Gegebenheiten zu arbeiten, ohne dabei aufzugeben. Wir sind einfach zwei Jahre weiter. Jedoch wäre es jetzt fatal, die Arbeit so stehen zu lassen, das heißt, aufgrund finanzieller Gründe die Arbeit einzustellen. Auch eine Unterbrechung unserer Arbeit von nur kurzer Zeit würde das bis dato aufgebaute zu Nichte machen. Ich würde sagen, es gibt definitiv Wege für die Integration, jedoch bedarf es auch eines langen Atems. Regina Bakar: Ich kann mich Sandra nur anschließen, mit dem Wunsch, dass das, was wir nun innerhalb der Projektlaufzeit aufgebaut haben, nicht umsonst gewesen ist. Gelohnt hat es sich nicht nur für alle Beteiligten, sondern auch für viele Außenstehende, nämlich dadurch, dass wir nun diese Publikation veröffentlichen können. Das wäre ohne EQUAL -Projekt nicht möglich gewesen. Antje Hofert: Für uns hatte es sich auf jeden Fall für die Stadt gelohnt, für die Schulen und es gibt einen Weg der Schülerintegration und des Lernniveaus an den Schulen, wo es Mediatoren gibt. Das ist eindeutig. Melanie Lorenz: Wir hatten schon einmal über idealtypische Hilfemaßnahmen gesprochen. Was wünscht Ihr Euch als Mitarbeiter der Projekte von den staatlichen Institutionen? In welchen Bereichen benötigt Ihr mehr Unterstützung für eure Arbeit, zum Beispiel von Behörden, dem BMAS, Schulämtern? 54 Antje Hofert: Das Bundesministerium setzt immer Dinge voraus... Es wird immer davon gesprochen, die soft skills müssten entwickelt werden – wie Pünktlichkeit zum Beispiel. Es gibt zunächst wenig Offenheit gegenüber dem, was die Familien mitbringen. Also ich würde mir wünschen, dass noch mal im Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dass dort noch mal dazu gearbeitet werden würde. Da würde man die breiten Ressourcen und alles, was sie mitbringen, auffangen. Großfamilie, das heißt 55 Leute im Klartext. Das andere ist, dass diese Maßnahme diese vertrauensbildenden Geschichten, die unheimlich viel Zeit in Anspruch nehmen, dass es da irgendwie die Möglichkeit gäbe, die darzustellen. Weil die kann man nicht kofinanzieren. Vertrauensbildende Maßnahme heißt: sitzen, Kaffee trinken, erzählen und vor allen Dingen essen und trinken. Tut mir leid, dass ich es hier sagen muss, aber es kann nicht sein, dass, wenn man mit Menschen zu tun hat, es kein Essen und Trinken gibt. Kann man von mir aus untersuchen. Es wird so viel von Parallelgesellschaften gesprochen, na dann sollte man dafür die Zeit aufwenden und sagen, die einen kommen so zurecht die andren so und schauen wir, wie es zusammen geht. Das kann man immer in einen Mainstream reinbringen, also mainstreaming Arbeit sollte wirklich finanziert werden. Sandra Niederer: Von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen diesen Druck zu nehmen, ständig bei den Behörden, insbesondere den Ausländerbehörden, vorsprechen zu müssen. Im Grunde ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auf eine Qualifizierung konzentrieren zu können. Von ihnen diese Unsicherheit zu nehmen: »Bin ich morgen noch hier oder nicht?« Was mir Vieles klar gemacht hat, war ein Gespräch mit den Jugendlichen, wo die Frage im Raum stand, was sie mit ihrem Leben machen wollten. Es herrschte großes Schweigen und Verunsicherung. Nach fünf Minuten sagte einer: »Diese Frage meinst du jetzt nicht ernst! Ich muss schauen, wie ich durch den Tag komm.« Diese Menschen sind mit so viel anderen existentiellen Problemen, insbesondere mit der Frage »Wo kann ich überhaupt für wie lange existieren? Meine Heimat auf dem Papier ist eine andere als in Wirklichkeit …« Alleine eine solche Aussage von diesen Menschen zu bekommen, bedarf einer wochenlangen Arbeit. Erst an diesem Punkt haben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen angefangen, sich damit auseinanderzusetzten, wo ihr Leben hinlaufen könnte. Das heißt, sie hatten fast zum ersten Mal eine reelle Chance über einen Berufswunsch nachzudenken, denn bis dato hatten sie eigentlich nicht einmal das Recht dazu, sich einem solchen Gedanken zu widmen. Vielen Dank! Wege in Erwerbsarbeit Beratung und Qualifizierung für Roma-Frauen und Frauen mit ungesichertem Aufenthalt KAROLA – Internationaler Treffpunkt für Frauen und Mädchen e.V., Hamburg Das Projekt ist eines von 16 Teilprojekten der Entwicklungspartnerschaft »Fluchtort Hamburg« im Themenbereich »Asylbewerberinnen und Asylbewerber« des deutschen EQUAL-Programms. In diesem Themenbereich geht es darum, dieser Personengruppe, die in der Regel einen ungesicherten Aufenthaltsstatus hat, die Möglichkeit zu bieten, ihre beruflichen Fertigkeiten mit dem Ziel der Integration in ihre Heimatländer zu verbessern. Darüber hinaus sollen Stützungsstrukturen zur psychosozialen Stabilisierung sowie arbeitsmarktliche Beratungs- und Orientierungsangebote für diese Personengruppe aufgebaut werden. Kindern wird der Erwerb schulischer Abschlüsse ermöglicht. Personalressourcen 2 x halbe Stellen • Projektleitung, Büroorganisation und Buchhaltung • Kursvorbereitung und Durchführung • Beratung 14 Honorarstunden pro Monat • 10 Std. Alphapetisierungskurs • 4 Std. Gesundheitsförderung Teilnehmer 73 Teilnehmerinnen • 60 Romafrauen • 13 Flüchtlingsfrauen aus Afghanistan, Russland und der Türkei Zielgruppe Roma-Frauen und Frauen mit ungesichertem Aufenthalt, überwiegend nicht alphabetisiert und ohne formelle Berufserfahrungen Herkunft • 10 Afghanistan • 2 Türkei • 1 Russland • 60 Roma: 35 Serbien, 15 Serbien in Hamburg geboren, 3 Montenegro, 5 Mazedonien, 1 Bulgarien, 1 Bosnien Altersstruktur 16 – 18 Jahre 18 – 25 Jahre 25 – 35 Jahre 35 – 50 Jahre 50 – 65 Jahre Gesamt Aufenthaltsrechtlicher Status • Asyl / geduldet / ausreisepflichtig • Zuwanderer mit Aufenthaltserlaubnis • 2. Generation Zuwanderer teilweise ohne Aufenthaltserlaubnis 2005 2006 2007 3 3 1 8 12 3 6 6 4 10 7 3 3 6 30 34 12 2005 2006 2007 9 10 1 11 17 7 9 5 2 Bildungserfahrung 2005 2006 2007 • ohne Schulbesuch: alphabetisiert 0 0 0 nicht alphabetisiert 17 19 6 • mehrjähriger Schulbesuch ohne Abschluss: alphabetisiert 10 9 4 nicht alphabetisiert 3 4 0 56 Problem: Die Gruppe der serbischen Roma-Frauen in Hamburg sind überwiegend ohne Schulabschluss und ohne Zugang zu Bildung und formellem Arbeitsmarkt. Die schulische Ausbildung ermöglicht auch bei in Deutschland aufgewachsenen Frauen oft keinen Arbeitsmarkt- oder Ausbildungsplatzzugang. Häufig kommt es beispielsweise durch eine dem traditionellen Rollenverständnis entsprechende frühe Heirat und Schwangerschaft zum Abbruch der Schulausbildung, teilweise noch bevor grundlegende Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen vollständig erlernt werden konnten. Diese fehlen dann nicht nur für die spätere Fortsetzung des Ausbildungsprozesses, sondern auch bei der Bewältigung der Alltagsaufgaben. Sich akkumulierende finanzielle, persönliche und soziale Probleme schließen einen Wiedereinstieg in den Ausbildungsprozess oder den ungelernten Arbeitsmarkt dann in der Regel aus und führen zu dauerhafter Abhängigkeit von Sozialleistungen. Eine Integration in die hiesige Bevölkerung fand zugleich nie wirklich statt. Selbst hier geborene Roma- Frauen bezeichnen sich selbst als »Ausländerin«. Dies entspricht auch der Wahrnehmung der Mehrheitsbevölkerung und der deutschen Verwaltungspraxis, denn auch hier geborene Roma können in vermeintliche »Heimatländer« abgeschoben werden. Die über Jahrhunderte gemachte Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrung der Roma in Europa ist tief in den Menschen verwurzelt. Es fehlen positive, motivierende Lernerfahrungen und der individuelle Zugang zu den Bildungseinrichtungen der Stadt. Projektstrategie: KAROLA e.V. hat durch ein über viele Jahre gewachsenes Vertrauensverhältnis einen guten Zugang zu dieser Zielgruppe. Eine im Projekt aufgebaute »Willkommenskultur« und die von gegenseitigem Respekt und Interesse geprägte Begegnung zwischen Roma und Angehörigen der Mehrheitskultur erleichtern den Teilnehmerinnen den Zugang zu den Angeboten des Vereins. Verständnis für die auf historischer und aktueller Diskriminierung beruhender Skepsis der am Projekt teilnehmenden Roma-Frauen gegenüber den Bildungsangeboten der Mehrheitsgesellschaft und für deren vielen alltäglichen Belastungen sind die unabdingbare Voraussetzung, um in Beratungsgesprächen bzw. während der Kursangebote psychosozial stabilisierend wirken zu können. Viele der Roma-Frauen sind von ihren Problemen der Alltagsbewältigung so in den Griff genommen, dass ihrer Meinung nach an eine Kursteilnahme gar nicht zu denken ist. Eine intensive Sozialberatung ist die Zugangsvoraussetzung für diese Gruppe. Begleitende bzw. aufsuchende Beratung, auch als Krisenintervention, sind für die gesamte Laufzeit vorgesehen. Beratungsgespräche reduzieren sich hierbei selten auf singuläre Problemlagen, sondern berühren zumeist gleichzeitig Bereiche wie Beratung im Aufenthalts- und Sozialrecht, Unterstützung bei der Wohnungssuche, Schuldenregulierung, Vermittlung bei Konflikten mit Ämtern und Behörden, Schulund Ausbildungsberatung, Unterstützung bei der Arbeitssuche und Beratung zu den Themen Gesundheit und Krankheit, Familienplanung und Erziehung. Darüber hinaus finden aktuelle Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen Eingang in die Beratungsgespräche und können hier reflektiert werden. Inhalte und Methoden der Alphabetisierungskurse richten sich an den guten mündlichen Deutschkenntnissen und den Alltagserfahrungen der Teilnehmerinnen aus. Ziel des Projekts ist es nicht zuletzt, den Frauen den Stellenwert und den Nutzen lebenslangen Lernens begreifbar zu machen Ergebnisse: Dem Träger KAROLA e.V. ist es gelungen, die ansonsten meist unüberwindbare Distanz zu deutschen Bildungsträgern zu überbrücken. Das Beratungs- und Alphabetisierungsangebot wurde von den Roma-Frauen angenommen und der Zugang zu Bildung wurde schrittweise ermöglicht. Bei den zirka 15 Frauen, die im Laufe der zweieinhalbjährigen Projektlaufzeit an dem Alphabetisierungskurs teilgenommen haben, sind zum Teil beachtliche Fortschritte im schriftlichen und mündlichen Ausdrucksvermögen in Deutsch festzustellen. Zusätzlich ist es gelungen, die Vermittlungsrolle des Projektträgers zu stärken und dadurch den Teilnehmerinnen Zugangsmöglichkeiten zu anderen Bildungs- und Fördermaßnahmen zu ermöglichen sowie den Dialog mit den Behörden und den Bewohnern des Viertels konstruktiver zu gestalten. Beratungsstunden pro Monat Aufenthalts- / Arbeitserlaubnisrecht Sozialrecht / Begleitung zum Sozialamt Gesundheit / Vermittlung von / bei Ärzten Wohnungssuche / Mietrecht Jobsuche / Arbeitsrecht Erziehung / Familie / Schulkontakt 2005 2006 2007 10 10 10 20 20 20 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 Grundbildungsangebote • Alphabetisierungskurs für Anfängerinnen 2 x / Woche á 3 Std. • Schreib- und Lesetraining für bildungsferne Frauen 2 x / Woche á 3 Std. Fazit: Ohne ausreichende Schulerfahrung und die dabei geprägten kognitiven Strukturen war das Erlernen von Lesen und Schreiben für alle Teilnehmerinnen ein sehr mühsamer Weg. Sich noch als erwachsener Mensch dem Vorhaben »Alphabetisierung« zu stellen, erfordert damit besonders viel Engagement und Geduld. Das hohe Maß an Kontinuität und Verlässlichkeit von Seiten der Einrichtung und der Mitarbeiterinnen ist im Prinzip nicht mit kurzen Projektlaufzeiten vereinbar. Die mühsam geschaffene Lernmotivation der Teilnehmerinnen wäre eine optimale Ausgangslage für die Fortsetzung der in der Zielgruppe so schwierigen Bildungs- und Qualifizierungsarbeit. 57 Novi Vidici – Neue Perspektiven Qualifizierungsmaßnahmen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber, insbesondere Roma und Sinti südost Europa Kultur e.V., Berlin Personalressourcen 1/4 Stelle • Projektleitung 2 x 3/4 Stelle • Ausbildung und Unterricht • Beratung und Betreuung (geteilte Stelle) 20 Honorarstunden pro Monat • 10 Std. Alphabetisierungs- und Deutschkurs • 10 Std. Gesellschaftskunde Teilnehmer 33 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit je 30 Std./ Woche; zwischen 55 und 10 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, 2 Durchgänge á 9 Monate Zielgruppe / Herkunft alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren Asylbewerber und de-facto Flüchtlinge, darunter Roma und Kosovo-Albaner. Durch zahlreiche Abschiebungen kam es zu einer hohen Fluktuation. Altersstruktur Jünger als 16 Jahre 16 – 18 Jahre 18 – 25 Jahre 25 – 35 Jahre 35 – 50 Jahre 50 – 65 Jahre Gesamt 2005 2006 2007 m/w m/w m/w 2/0 1/0 1/0 5/2 2/1 11/5 9/6 3/2 4/9 4/5 0/3 6/14 4/9 0/3 1/0 54 39 12 Bildungserfahrung 2005 2006 2007 • ohne Schulbesuch: alphabetisiert 0 0 nicht alphabetisiert 10 7 • mehrjähriger Schulbesuch ohne Abschluss: alphabetisiert 18 11 5 nicht alphabetisiert 4 2 0 • Schulabschlüsse: Grundschule Jugoslawien (8 Jahre) 17 12 5 Oberschule Jugoslawien 6 4 Hauptschulabschluss Deutschland 4 2 Realschulabschluss Deutschland 2 2 • Berufe: Berufsausbildung 1 Beschäftigt als Koch in Jugoslawien 1 Kaufmännischer Angestellter 2 • Fachschule / Universitätsabschluss: Studium Lehrer in Jugoslawien 1 Fachschule Landwirtschaft 2 Nicht beendetes Studium 3 2 58 Das Projekt ist eines von neun Teilprojekten der Entwicklungspartnerschaft »ProIntegration – Berufliche Integration von Migrant/innen durch interkulturelles Mainstreaming« im Themenbereich »Beschäftigungsfähigkeit / Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf dem Arbeitsmarkt« des deutschen EQUAL-Programms. Der Themenbereich zielt auf die Förderung benachteiligter Personen am Arbeitsmarkt ab. Dazu zählen unter anderem Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderungen, Migrantinnen und Migranten, junge Menschen ohne schulischen oder beruflichen Abschluss, ältere Beschäftigte, Frauen in einer Familienphase. Entwicklungspartnerschaften im Thema »Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf dem Arbeitsmarkt« erproben unter anderem multikulturelle Lehr- und Lernkonzepte, Ansätze zum interkulturellen Konfliktmanagement und die Einführung von Diversity Management im KMU und anderen Organisationen. Problem: Überdurchnittlich viele Roma, die als Flüchtlinge in Berlin leben, haben keinen Schul- oder Berufsabschluss. Die Fluchtgründe der allermeisten Familien sind nicht anerkannt, so dass ihre Abschiebung lediglich vorübergehend ausgesetzt wird. Ohne Aufenthaltstitel fehlt die Perspektive in Deutschland und behindert die Bildungs- und Ausbildungsmotivation. Durch die statusbedingt fehlende Arbeitserlaubnis ist zudem der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu den betrieblichen Ausbildungsplätzen versperrt. Die neue Bleiberechtsregelung eröffnet seit einigen Monaten denen eine Perspektive, die eine Arbeit oder die Teilnahme an einer Ausbildung nachweisen können. Projektstrategie: Im Projekt »Novi Vidici – Neue Perspektiven« sollten ursprünglich neunmonatige Kurse und Praktika in den Bereichen Metall, Holz, Elektro, Kfz, Textil sowie Pflege Grundkenntnisse vermittelt werden und die in Berlin lebenden Roma und Sinti dadurch bei ihrer beruflichen und sozialen Integration unterstützt werden. Die Abschiebung mehrerer Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleich zu Beginn des Projekts zerstörte das jahrelang aufgebaute Vertrauen des Trägers zu den erwachsenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern und weiteren potentiellen Teilnehmern, die auf eine Aussetzung der Abschiebung während der Teilnahmezeit gehofft hatten. Vorübergehend mussten hauptsächlich NichtRoma für die Teilnahme am Projekt gewonnen werden. Seit Ende 2006 konnten verstärkt Jugendliche aus Roma-Flüchtlingsfamilien für die Teilnahme gewonnen werden. Für diese Gruppe wurden zusätzlich Angebote zur Vorbereitung auf die Hauptschulabschlusskurse der Volkshochschulen eingerichtet. Die im Projekt angesiedelte Beratung befasst sich überwiegend mit aufenthaltsrechtlichen Problemen, dem Sozialleistungsbezug und der Suche nach Jobs und Bildungsangeboten. Einzelfallbetreuung und Kleingruppen- betreuung haben sich wegen des im Vergleich zur Gruppentherapie einfacher entstehenden Vertrauens zu den Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern als effektivste und konstruktivste Methoden der psychosozialen Stabilisierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer entwickelt. Zur Stärkung des Selbstvertrauens und Verbesserung der Gruppendynamik wurden zusätzlich Theater, Yoga, Musik, Quilten, Sport mit Jugendlichen und gemeinsames Kochen angeboten. Ergebnisse: Das Projekt erlebte durch die zeitweise Veränderung der Rahmenbedingungen drei unterschiedliche Phasen. Über 50 erwachsene Teilnehmerinnen und Teilnehmer interessierten sich zu Beginn des Projektes und begannen den Berufsvorbereitungskurs in den Bereichen Holz und Metall sowie Textil. Die Abschiebung von mindestens fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern Ende 2005 führte zu einem nachhaltigen Vertrauensbruch zwischen dem Projekt und der Zielgruppe. Für die Gewinnung neuer Teilnehmer wurden mit dem Berufsvorbereitungskurs Moderne Medien und dem Sprachkurs zwei neue Angebote im Projekt geschaffen, die gleichzeitig stärker auf die Qualifizierungsbedürfnisse der jüngeren Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingingen. Als neues Qualifizierungsziel kam vor allem für Letztere die Vorbereitung auf den Hauptschulabschlusskurs der Volkshochschule hinzu. Die im Projekt angebotenen Berufsvorbereitungskurse wurden 2005 von 54, 2006 von 46 und 2007 von 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmern genutzt. Die ab 2006 angebotenen Sprachkurse 2006 von 16 und 2007 von acht Teilnehmerinnen. und Teilnehmern Das Teilprojekt beschäftigte sich als einziges in der ganzen Entwicklungspartnerschaft mit der Förderung von Asylbewerbern, so dass es kaum zur Kooperation innerhalb der Entwicklungspartnerschaft kam. Die häufige Begleitung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Ämtern führte im Projektverlauf zu einer spürbaren Verbesserung der multikulturellen Kompetenzen der dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Fazit: Die zu Projektbeginn nicht geklärte Zusammenarbeit mit der für die Aussetzung der Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde führte zu einer schweren Beeinträchtigung der Projektdurchführung. Durch die Schaffung einzelner neuer Angebote und den aktiven Wiederaufbau der Vertrauensbeziehungen zur Zielgruppe gelang die Weiterführung des Projekts trotz großer Schwierigkeiten. Der Träger genießt erneut das für mögliche Folgeprojekte notwendige Vertrauen der Zielgruppe. Berufliche Bildungsmaßnahmen Schulvorbereitung Berufsvorb. Holz Berufsvorb. Metall Berufsvorb. Elektro Berufsvorb. Textil Berufsvorb. Medien und PC Sprachkurse Deutsch Bewerbungstraining Praktika 2005 2006 2007 0 0 4 19 9 2 20 8 2 1 0 1 15 13 5 0 16 6 0 16 8 0 15 5 0 2 1 Beratungsstunden pro Monat 2005 2006 2007 Aufenthalts- / Arbeitserlaubnisrecht 20 70 60 Sozialrecht / Begleitung zum Sozialamt 20 45 45 Gesundheit / Vermittlung von/ bei Ärzten 10 5 5 Wohnungssuche / Mietrecht 0 0 5 Jobsuche / Arbeitsrecht 0 30 10 Familienrecht / Begl. bei Dokumentenerwerb 10 10 5 Schul- und Ausbildungsrecht und-platzsuche 0 20 30 Die im Projekt angesiedelte Beratung, befasst sich überwiegend mit aufenthaltsrechtlichen Problemen, dem Sozialleistungsbezug und der Suche nach Jobs und Bildungsangeboten. Einzelfallbetreuung und Kleingruppenbetreuung haben sich wegen des im Vergleich zur Gruppentherapie einfacher entstehenden Vertrauens zu den Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter als effektivste und konstruktivste Methoden der psychosozialen Stabilisierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer entwickelt. Zur Stärkung des Selbstvertrauens und Verbesserung der Gruppendynamik wurden zusätzlich Theater, Yoga, Musik, Quilten, Sport mit Jugendlichen und gemeinsames Kochen. 59 Kumulus Plus Beratungs- und Vermittlungspool für Roma und Sinti RAA Berlin – Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie e.V., Berlin Personalressourcen 1 3/4 Stellen 1/8 Stelle Buchhaltung Teilnehmer 10 – 17 Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Alphabetisierung 5 – 13 Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Trainingsmaßnahmen und Praktika 167 Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Beratung Zielgruppe Roma und Sinti mit Zugang zum Arbeitsmarkt Altersstruktur 16 – 18 Jahre 18 – 25 Jahre 25 – 35 Jahre 35 – 50 Jahre 50 – 65 Jahre Gesamt Aufenthaltsrechtlicher Status • Flüchtlinge mit Aufenthaltserlaubnis § 9, 25, 26, 28 AufenthG. • Duldung • Deutschen Pass • befristete Aufenthaltserlaubnis 2005 2006 2007 m/w m/w m/w 2/4 4/4 2/2 5/5 6/9 1/0 13/12 5/11 0/4 12/9 6/19 3/9 3/4 7/3 1/2 69 84 22 2005 2006 2007 33 16 3 1 29 12 1 1 11 1 3 12 Bildungserfahrung 2005 2006 2007 • ohne Schulbesuch u. nicht alphabetisiert 23 28 11 • mehrj. Schulbesuch ohne Abschluss alphabetisiert 5 17 1 nicht alphabetisiert 3 3 0 • Schulabschlüsse Grundschule 11 6 4 Erweiterte Abschlüsse 25 18 8 • Berufsausbildung in anderen Ländern 19 9 5 • Fachschule / Universitätsabschlüsse in anderen Ländern 4 4 1 Berufliche Vorerfahrungen 2005 2006 2007 • selbstständig ohne Berufsabschluss 20 40 6 • selbstständig im erlernten Beruf 3 1 1 • selbstständig außerhalb des erlernten Berufs 1 1 0 • angestellt ohne Berufsabschluss 13 7 9 • angestellt im erlernten Beruf 13 9 4 • angestellt außerhalb des erlernten Berufs 10 12 0 60 Das Projekt ist eines von zehn Teilprojekten der Entwicklungspartnerschaft »Kumulus Plus – Integration durch Qualifikation« im Themenbereich »Beschäftigungsfähigkeit/Erleichterung des Zugangs zum bzw. Rückkehr auf den Arbeitsmarkt« des deutschen EQUAL-Programms. Der Themenbereich zielt auf die Förderung benachteiligter Personen am Arbeitsmarkt ab. Dazu zählen unter anderem Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderungen, Migrantinnen und Migranten, junge Menschen ohne schulischen oder beruflichen Abschluss, ältere Beschäftigte, Frauen in einer Familienphase. Im Thema »Erleichterung des Zugangs zum bzw. Rückkehr auf den Arbeitsmarkt« werden Modelle entwickelt, persönliche und strukturelle Zugangsbarrieren zu beseitigen. Als Ansatzpunkte dafür dienen zum Beispiel die Identifizierung und Stärkung der Kompetenzen benachteiligter Personengruppen, die Ausweitung des Berufswahlspektrums von Mädchen und Jungen, Modelle zur Optimierung der individuellen Berufswegeplanung und die Verbesserung der Angebotstrukturen der beruflichen Bildung . Problem: Die rechtlichen Barrieren stellen eines der wichtigsten Hindernisse beim Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge dar. Oftmals entstehen dadurch mehrjährige beschäftigungslose Zeiträume, die in Verbindung mit fehlenden oder nicht transferierbaren formellen beruflichen Qualifikationen eine Integration in den Arbeitsmarkt auch dann erschweren, wenn durch Bleiberechtsregelungen der Zugang zum Arbeitsmarkt geöffnet wird. Zugleich existieren eine Vielzahl auch für die Zielgruppe ehemaliger Flüchtlinge passende Vermittlungs- und Einarbeitungsangebote auf dem Bildungs- und Fördermarkt. Und auch hier kann es nach jahrelanger Beschäftigungslosigkeit zu anfänglichen Kommunikations- und Einarbeitungsproblemen kommen, für die es eines muttersprachlichen und im Bedarfsfall aufsuchenden und begleitenden Beratungsangebots bedarf. Für den Arbeitsmarktzugang außerdem erschwerend kommt hinzu, dass viele Frauen aus den Roma-Familien nur kurz oder gar nicht die Schule besucht haben und deshalb nicht alphabetisiert sind. Projektstrategie: Der Beratungs- und Vermittlungspool sieht seine Aufgabe in der Vermittlung von existierenden Qualifizierungsangeboten und in der Förderung von Alphabetisierung und deutschen Sprachkenntnissen als grundlegende Zugangsvoraussetzung für Arbeit und Weiterbildung. Das Projekt versteht sich als Erstkontaktstelle und verweist in Fällen schwerer Traumatisierung in der Regel an sozialpsychologische Dienste, Einzelfamilienhilfe und medizinische Gutachter. Obschon einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer prekären Aufenthaltsverhältnissen unterliegen, geht unser Projekt von einem dauerhaften Verbleib der Menschen in Deutschland aus. Fälle von Abschiebungen, wie es sie insbesondere in der Anfangszeit des Projektes gab, sind Einzelfälle geblieben. Die Beratung erfolgt nach dem Prinzip der »Hilfe zur Selbsthilfe«. Um selbsttragende Prozesse der Selbsthilfe zu initiieren, muss die Beratung sowohl aufsuchend als auch dialogisch als externes Beratungsangebot erfolgen. Muttersprachliche Kompetenzen der Beraterinnen und Berater und Erfahrungen mit der Zielgruppe sind dafür zwingend erforderlich. Ergebnisse: Durch die Trainings (Alphabetisierung, Bewerbungstrainings) konnte eine messbare Verbesserung der deutschen (Schrift-) Sprachkenntnisse erreicht werden. Die Begleitung und mobile Beratung durch der Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter konnte in »Dreier Konferenzen« (Einrichtung – Klientin und Klient – Beraterin und Berater) oftmals einen offenen Dialog zwischen den Einrichtungen und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern initiieren. Die interkulturelle Kompetenz der Einrichtungen verbesserte sich, da deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Lage versetzt wurden, die Bedürfnisse und biografischen Rahmungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Prozess der Entscheidungsfindung einzubeziehen. Praktika und die Vermittlung in passende Qualifizierungsmaßnahmen führten in zahlreichen Fällen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit. Fazit: Fehlende (Schrift-) Sprachkenntnisse sind eine hohe Barriere, sowohl bei der Findung als auch bei der Wahrnehmung von Qualifizierungs- und Arbeitsmarktfördermaßnahmen. Alphabetisierung muss als Schlüsselkompetenz vor allen anderen Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt werden und ist wegen der Wertschätzung und Ermutigung zum Lernen in der Muttersprache und von Muttersprachlern vermittelt besonders erfolgreich. Um das gut ausgebaute Angebot an Fördermaßnahmen der Zielgruppe der beschäftigungslosen ehemaligen Roma-Flüchtlinge zugänglich zu machen, bedarf es einer muttersprachlichen, teilweise aufsuchenden und gut vernetzten Beratungs- und Vermittlungsmöglichkeit. Berufliche Bildungsmaßnahmen 2005 2006 2007 Studienvorbereitung / -begleitung 3 3 2 Sprachkurse deutsch 0 5 5 muttersprachl. Alphabetisierung 17 13 10 Trainingsmaßnahmen 8 4 3 Orientierungs- und Vorbereitungspraktika 5 3 1 Beratungsstunden pro Monat Aufenthalts- / Arbeitserlaubnisrecht Sozialrecht Gesundheit / Vermittlung von/bei Ärzten Wohnungssuche/ Mietrecht Jobsuche / Arbeitsrecht Erziehung / Familienrecht Bildung / Schul- und Ausbildungsrecht 2005 2006 2007 30 30 30 30 30 30 2 2 2 8 8 8 30 30 30 5 5 5 15 15 15 61 Kiez mobil Ein Berufsorientierungsprojekt zur Unterstützung der Ausbildungs- und Schulintegration für Jugendliche aus Roma-, Sintiund afrikanischen Communities in Neukölln RAA Berlin – Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie e.V., Berlin Personalressourcen 1/2 Stelle Projektleitung 1/2 Stelle Pädagogische Leitung 1/2 Stelle Ausbildung und Unterricht 36 Std. Honorar Teilnehmerinnen 12 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Vollzeit 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Beratung Zielgruppe Jugendliche mit und ohne berufsbefähigenden Schulabschluss, bedingt durch den Einsatz von Romabildungsmediatoren besonders für jugendliche Roma und Sinti. Altersstruktur jünger als 16 Jahre 16 – 18 Jahre 18 – 25 Jahre Gesamt 2006 2007 m/w m/w 1/2 0/2 6/1 7/1 1/1 1/1 12 12 Aufenthaltsrechtlicher Status 2006 2007 • Flüchtlinge im Asylverfahren/ vorübergehend geduldet 6 5 • ausreisepflichtige Flüchtlinge 2 2 • ehemalige Flüchtlinge mit Aufenthaltserlaubnis 3 4 • Einheimische mit dt. Staatsangehörigkeit 1 1 Bildungserfahrungen • mehrjähriger Schulbesuch ohne Abschluss alphabetisiert nicht alphabetisiert 2006 2007 7 5 7 5 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verbringen jeweils 12 Std./ Woche in den Schulabschlusskursen und 12 Std. in den Berufsorientierungs- und Vorbereitungspraktika. Freizeit- und künstlerische Aktivitäten werden jeweils 20 Std. pro Monat angeboten. Beratungsstunden pro Monat Aufenthalts- / Arbeitserlaubnisrecht Gesundheit / Vermittlung von/ bei Ärzten Erziehung / Familienrecht Bildung / Schul- und Ausbildungsrecht 62 2006 2007 3 1 2 2 15 15 5 5 Das XENOS - Projekt »Kiez mobil« unterstützt durch die Firma a.v.el. Schulz die Reintegration Jugendlicher in den Bildungs- und Ausbildungsbereich. Für den Übergang von der Schule in den Beruf stellt die RAA hier für Jugendliche mit und ohne berufsbefähigendem Schulabschluss berufsorientierende Angebote in Praxis und Theorie zur Verfügung. Diese Angebote berücksichtigen nachdrücklich die Lebenssituation der jugendlichen Roma, Sinti und Afrikaner sowie von jugendlichen Flüchtlingen mit ungesichertem Aufenthalt. Das aus dem Europäischen Sozialfonds geförderte Bundesprogramm »XENOS – Leben und Arbeiten in Vielfalt« zielt darauf ab, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung in der Gesellschaft nachhaltig entgegenzuwirken. XENOS verknüpft an der Schnittstelle von Schule, Ausbildung und Arbeitswelt arbeitsmarktpolitische Maßnahmen mit Aktivitäten gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Problem: Entwurzelung und Heimatlosigkeit aufgrund von Flucht und Migration, erzwungene soziale Alimentierung, fehlende Identifikationsmöglichkeiten mit vorhandenen Bildungsangeboten, Sprachschwierigkeiten, hohe Belastungen durch die Mitarbeit in der eigenen Familie und frühe Elternschaft, fehlende Zielvorstellungen aufgrund des Mangels an gesellschaftlichen und individuellen Perspektiven und andere Bedingungen begünstigen Schuldistanz und -abstinenz. Projektstrategie: Kiez mobil bietet individuelle Lebenswegberatung, die die Familienbedingungen umfassend einbezieht. Ausgehend von den eingebrachten Kompetenzen werden gemeinsam mit den Jugendlichen kurz-, mittel- und langfristig wirkende Maßnahmen konzipiert und realistische Zielvorgaben vereinbart. Kurzfristig: Kompetenzfeststellung, Selbsteinschätzung, probeweise Entscheidung für ein bestimmtes Berufsfeld, Praktika, probeweises Festlegen der theoretischen und praktischen Qualifizierungseinheiten. Mittelfristig: Herstellung positiver Lernvoraussetzungen an geeigneten Orten, Entwicklung der Lernakzeptanz in den Familien, gegebenenfalls Organisation von Kinderbetreuung, Vertiefen des Interesses für ein Berufsfeld, gegebenenfalls Nachholen des berufsbefähigenden Schulabschlusses, theoretische und praktische Berufsorientierung, Berufspraktika, Eingliederung in die Berufsbildung, Mediation in Berufsschulen und bei Praxispartnern, Vermittlung von Grundlagen der Streitschlichtung und Mediatorenqualifizierung. Langfristig: Angebot der langfristigen Begleitung während und nach der Berufsausbildung, Stützunterricht, Mediation, Unterstützung bei der Jobsuche. Ergebnisse: Die erfolgreiche Vorbereitung auf den Mittleren Schulabschluss gelingt durch Co-Teaching, kleine Gruppen und Individualunterricht. Aufenthaltsrechtliche Probleme einzelner Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten durch die Registrierung aller Schüler an Regelschulen gelöst werden. Durch die Zusammenarbeit von muttersprachlichen Lehrern mit hochmotivierten Lehramtsstudenten in allen Fächern (Mathematik, Deutsch, Chemie, Biologie, Physik, Geographie, Sozialkunde) konnten sowohl die deutschen als auch die für den MSA wichtigen englischen Sprachkenntnisse verbessert werden. Die als modulare Qualifizierungsangebote angebotenen Berufsorientierungspraktika in den Bereichen Elektromechanik/Mechatronik, Mediengestaltung und Büro wurden innerhalb des Teams bzw. beim Unternehmenspartner angeboten, so dass auf individuelle Lernprobleme gezielt und in guter Zusammenarbeit eingegangen werden konnte. Fazit: Tendenziell bietet sich eine enge Kooperation mit einer Regelschule an, um die dortigen Ressourcen und didaktischen Kompetenzen für den Lernerfolg einzelner Teilnehmer nutzbar zu machen. Gleichzeitig ist ein außerschulisches »Standbein« besonders für jugendliche Schulverweigerer unerlässlich, die oft durch jahrelange traumatische Misserfolgskarrieren erst langsam wieder Vertrauen in die Institution Schule fassen müssen. Muttersprachliche Lehrerinnen und Lehrer und Bildungsmediatorinnen und -mediatoren erleichtern den Aufbau von Vertrauen zu den Jugendlichen und ihren Familien und erzielen eine hohe Vorbildwirkung, besonders da, wo in Familie und Nachbarschaft kaum Vorbilder mit erfolgreichen Bildungskarrieren für die Jugendlichen zur Verfügung stehen. 63 Kooperation, Integration, Beschäftigung und Arbeit für Sinti in Hamburg (KIBA) Arbeitsgelegenheiten nach § 16,3 SGB II und spezifische Angebote für die berufliche Qualifizierung SBB Kompetenz gGmbH in Kooperation mit dem Landesverein der Sinti in Hamburg Personalressourcen 1 Stelle Lernberatung / Projektleitung 1 Stelle Anleiter 1 Stelle Sinti Anleiter 3 Stellen Sinti Coachs 1/4 Stelle Verwaltung und Honorarkräfte nach Bedarf 12 Honorarkräfte mit unterschiedlichen Schwerpunkten und zeitlichen Einsätzen (Stand Nov. 2007) Teilnehmer 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit 30 Std./Woche Zielgruppe Einheimische erwachsene erwerbslose Sinti mit und ohne Berufsausbildung, Männer und Frauen zwischen 18 und 60 Jahren überwiegend aus Hamburg-Wilhelmsburg. Altersstruktur 2007 m/w 0 21/10 15/5 13/12 2/1 51/28 16 – 18 Jahre 18 – 25 Jahre 25 – 35 Jahre 35 – 50 Jahre 50 – 65 Jahre Gesamt Aufenthaltsrechtlicher Status 2005 2006 2007 Einheimische mit dt. Staatsangehörigkeit 15 100 90 Bildungserfahrungen • mehrj. Schulbesuch ohne Abschluss nicht alphabetisiert alphabetisiert • Hauptschulabschluss • Berufsausbildung in Deutschland 2005 2006 2007 Berufserfahrungen • selbstständig ohne Berufsabschluss • angestellt ohne Berufsabschluss • nicht bekannt 2007 ca. 25 55 10 0 14 1 0 88 11 1 0 73 12 5 Der Wochenstundenplan der Teilnehmerinnen und Teilnehmer orientiert sich an deren individuellen Bedürfnissen. Die Projektleitung bietet neben den Kursen Sozialberatung, individuelles Coaching, Profiling und Hilfe bei der Jobsuche an. Die vier im Projekt arbeitenden Sinti begleiten und unterstützen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, vermitteln Beratungsdienstleistungen und besuchen problembelastete Familien bei Bedarf auch zu Hause. Beratungsstunden pro Monat Sozialrecht (während der Qualifzierung) Jobsuche 64 2007 10 20 Das Projekt bietet Arbeitsgelegenheiten nach § 16,3 SGB II für Hamburger Sinti. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden im Rahmen eines Kooperationsprojektes der Stiftung Berufliche Bildung und des Landesvereins der Sinti in Hamburg betreuten Projektes beruflich qualifiziert, sozial beraten und in vielen Einzelbelangen des Alltags betreut. Aufgrund von Bildungsdefiziten (Schulabbrüche, kaum oder keine Schreibund Lesefähigkeit) und der sozialen Situation (Trauma der Verfolgung) gibt es zugleich erhebliche Schwierigkeiten dabei, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Hilfe der Arbeitsgelegenheiten in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. So ist das Ziel des Projektes, die Rahmenbedingungen des SGB II zu nutzen, um individuelle Perspektiven im Kontext einer gemeinnützigen Arbeit für die Sinti und Roma zu finden. Das Projekt wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, der Behörde für Wirtschaft und Arbeit und team.arbeit.hamburg-Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II gefördert. Problem: Diskriminierung am Arbeitsmarkt und im schulischen Bereich in Verbindung mit den Spätfolgen der nationalsozialistischen Verfolgung und deren Fortsetzung nach dem zweiten Weltkrieg haben dazu geführt, dass ganze Familien seit Jahrzehnten ihren Lebensunterhalt ohne formale Berufsabschlüsse und außerhalb des regulären Arbeitsmarktes verdienen. Der Rückgang des Angebots ungelernter Tätigkeiten am Arbeitsmarkt und die teilweise abnehmenden Verdienstmöglichkeiten als Selbständiger ohne Berufsabschluss haben die Abhängigkeit der Familien von staatlichen Transferleistungen vergrößert. Der erneute Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt, insbesondere im Rahmen von Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes, scheitert bei vielen Teilnehmenden an erheblichen Schulbildungsdefiziten (Schulabbrüche, kaum oder keine Schreib- und Lesefähigkeit) aber auch an der sozialen Situation (Trauma der Verfolgung). Ziel des Projektes ist es, die Rahmenbedingungen des SGB II zu nutzen, um individuelle Perspektiven im Kontext einer gemeinnützigen Arbeit für die teilnehmenden Sinti und Roma zu finden. Projektstrategie: Ziel der zehnmonatigen Maßnahmen ist es, die Sinti in ihrem beruflichen Umfeld zu stärken. KIBA ist in erster Linie auf die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten und die direkte Förderung der Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer orientiert und bietet Qualifizierungsmaßnahmen im direkten Zusammenhang mit den angebotenen Tätigkeiten und auf deren Bedürfnisse abgestimmt. Dazu ist das Projekt in drei teilweise geschlechtsspezifisch orientierte Teilprojekte unterteilt, die vom Beratungsangebot der Projektleitung und des Trägers, der aufsuchenden und unterstützenden Arbeit der Sinti-Coaches und von Kulturprojekten flankiert werden. Zwei jüngere Teilnehmer besuchen Schulabschlusskurse und sechs Teilnehmerinnen einen Alphabetisierungskurs. KIBA verfolgt einen partizipativen Projektansatz, der es zulässt, die einzelnen Teilprojekte flexibel an die Nachfragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer anzupassen. Die beiden Projektträger SBB und der Landesverein der Sinti in Hamburg kooperieren bei der Projektdurchführung mit dem Sozial- und Arbeitsamt und dem REBUS in Hamburg und tauschen ihre Erfahrungen mit den branchennahen KMU aus. Ergebnisse: Im Mittelpunkt der Maßnahme steht die Befähigung für den so genannten ersten Arbeitsmarkt. Konkrete Zahlen für einen Eintritt und Verbleib in diesem als Ergebnis der Projektteilnahme liegen noch nicht vor. Bereits jetzt lässt sich jedoch eine starke Zunahme von Beschäftigungs- und Qualifizierungsorientierung unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern feststellen. Parallel dazu entsteht durch die praktischen Tätigkeiten ein Kulturzentrum in der Nähe der Wohnorte der Teilnehmer, dessen Aufbau die Teilnehmer und ihre Familien ermutigt und in ihrem Selbstvertrauen stärkt. Um die von SBB unterstützten Teilprojekte von KIBA herum entwickelt der Landesverein der Sinti in Hamburg eine Vielzahl von wirtschaftlich aussichtsreichen Ideen, die bereits mittelfristig im Stande sein könnten, den Lebensunterhalt einzelner Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu sichern. Fazit: Die intensive Zusammenarbeit einer Selbstorganisation mit einem freien Träger der beruflichen Bildung und Beschäftigungsförderung ist von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt, wodurch beide Partner ihre jeweiligen Stärken voll in das Projekt einbringen können. KIBA reagiert auf ein tiefsitzendes historisch und politisch dimensioniertes Problem mit einer langfristigen Investition in das Selbstvertrauen, die Qualifizierungsmotivation und die ökonomische Kreativität der Teilnehmenden. Über den konkreten Qualifizierungserfolg und die Motivierung einzelner Beteiligter hinaus werden die Teilnehmenden dadurch als Gruppe und der sie repräsentierende Landesverein als Institution und nicht zuletzt als Akteur der arbeitsmarktbezogenen Qualifizierung und der beruflichen Bildung gestärkt. Teilprojekt 1 Im Rahmen der gemeinnützigen Arbeit wird ein Gelände hergerichtet, auf dem kulturelle Begegnungen und weitere Aktivitäten stattfinden sollen. Es gibt unterschiedliche Arbeiten, die von den Teilnehmern durchgeführt werden: Ausbau eines alten Heuschobers; Nachbau alter so genannter »Zigeunerwagen«, in denen Unterricht stattfinden kann oder die ausgeliehen werden können an Schulprojekte u.a.; Betreiben einer »Kleinen Musikschule«, in der sozialschwache Kinder aus dem Stadtteil an das Musizieren herangeführt werden; Anlegen einer Parklandschaft; Ausbau von Stallungen für die Tiere; Kulturbetrieb: Begegnungszentrum für Sinti, Roma und Nicht-Sinti. Im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen finden regelmäßig Qualifizierungseinheiten in den folgenden Bereichen statt: Garten- und Landschaftsbau (120 UE / 25 Pers.), Holzbau (72 UE / 25 Pers.), Dach- und Innenausbau (72 UE / 25 Pers.). Es besteht die Möglichkeit, über das Angebot der SBB Kompetenz an modularen Qualifizierungsangeboten teilzunehmen. Hiervon wird jedoch selten Gebrauch gemacht. Teilprojekt 2 Die Frauen haben eine Schneiderwerkstatt gegründet, in der sie umfassend qualifiziert werden. Hier werden anhand konkreter Hilfsprojekte die Ausbildungsinhalte vermittelt. Auch diese Arbeiten finden im Bereich der Gemeinnützigkeit statt z.B. »Warme Kleidung für russische Sinti und Roma«. Im Zusammenhang mit dem Betrieb der Schneiderwerkstatt werden als Qualifizierungsangebote Schneidern und Nähen für Fortgeschrittene (136 UE / 25 Pers.), Alphabetisierung, Stoffdruck, Kosmetik und Ernährung und ein PC-Kurs angeboten. Teilprojekt 3 Für Männer und Frauen gibt es das Angebot, berufliche Perspektiven im Rahmen selbstständiger Tätigkeiten zu entwickeln. In einem ersten Schritt werden dazu die individuellen Berufswünsche der Teilnehmer mit professionellen Coaching-Methoden analysiert und auf Umsetzbarkeit geprüft. 65 Roma und Sinte – durch Selbstorganisation zu Existenzsicherung und Beschäftigung Schulabschluss, Qualifizierung und Beschäftigung für Roma und für Sinti in Aachen, Berlin und Frankfurt RAA Berlin, Roma Union Grenzland/AWAG Aachen und Förderverein Roma Frankfurt u. v. a. m. Personalressourcen 2 Stellen für Koordination (national, transnational) 3 Stellen für Regionalkoordinatoren 4 Stellen für Roma-Bildungsmediatoren 8 Stellen für Ausbilder 2 Verwaltungsstellen ca. 30 Honorarkräfte Teilnehmer • jugendliche Roma ohne Hauptschulabschluss im Alter von 16 bis 23 Jahren (15 Vollzeitplätze in Frankfurt) • erwachsene arbeitslose Roma, aus einheimischen und aus Flüchtlingsfamilien (25 Vollzeit-Teilnehmerplätze in Aachen) • jugendliche Roma ohne Hauptschulabschluss im Alter von 16 bis 23 Jahren und erwachsene arbeitslose Roma, aus einheimischen und Flüchtlingsfamilien und polnische Sinti (50 Vollzeit-Teilnehmerplätze in Berlin) Beschreibung der jeweils unterschiedlichen regionalen Schwerpunkte und Herangehensweisen: Berlin Roma-Schulmediatorenausbildung Deutschkurs, PC - Kurs und Praktikum an 3 Schulen (2 Grundschulen Wedding, 1 Hauptschule Neukölln); Projektziel: Praktika an Schulen, Prüfungen in Deutsch, PC-Kenntnisse, pädagogische Prüfung im Abschlusscoloqium Mediengruppe MediaRroma unter Anleitung produzierte Kurzfilme (Roma-Schulmediatoren, Literaturcafé, Roma - Konzert, Schaworalle); Projektziel: Produktmappe mit Audio, Video und Multimedia aus den Bereichen Projektdokumentation, integrative und kriminalpräventive Medienarbeit mit Jugendlichen, Deutschprüfung Alphabetisierungsprojekt Alphabetisierung in Romanes, Serbisch und Deutsch, paralleler Deutschkursbesuch für 3 Gruppen mit insgesamt 21 Teilnehmenden; Projektziel: Zertifikat VHS oder Diktat 3. Klasse, Gründung eines Roma-Elternvereins Deutschkurs Anfänger- und Fortgeschrittenenkurs; Projektziel: Zertifikate A 1 und A 2 Hauptschulabschlusskurse Vorbereitungskurs bis zur Aufnahme auf die VHS; Projektziel: Aufnahme in den Hauptschulabschlusskurs der VHS Existenzgründerkurs PC-Kurs, Gewerberecht und Entwicklung von Geschäftsmodellen für Kleinunternehmer PC-Kurs blockweise Kurse (Word, Bildbearbeitung, Layout) Folkloregruppe Amaro Ternipe Betreuung und Organisation durch selbstorganisiertes Roma-Team (Management, Musik, Choreographie, Elternarbeit) Aachen Praktikum / Beschäftigung Holz, Metall, Gastronomie / Reinigung, Elektro, Recycling, Gartenbau; Projektziel: Vorbereitungspraktikum und 6 – 12 monatige qualifizierende Beschäftigung auf dem zweiten Arbeitsmarkt zur Verbesserung der Vermittlungschancen 66 Das Projekt ist als Entwicklungspartnerschaft im Rahmen der ersten EQUAL-Förderrunde im Themenbereich »Beschäftigungsfähigkeit/Erleichterung des Zugangs zum bzw. Rückkehr auf den Arbeitsmarkt« durchgeführt worden und das einzige Projektnetzwerk, das sich im Rahmen des deutschen EQUAL - Programms ausschließlich auf die Förderung von Roma und von Sinti konzentriert hat. In Aachen, Berlin und Frankfurt wurden von 2002 bis 2005 von 12 Partnern insgesamt 15 Teilprojekte zur Qualifizierung, Begleitung und Beschäftigung für Roma und für Sinti im Alter von 16 bis 65 Jahren durchgeführt. Alle drei Städte zusammen verfügten über insgesamt knapp hundert Teilnehmerplätze, die während der zweieinhalbjährigen Projektlaufzeit von weit über 200 Personen in Anspruch genommen wurden. Die Mehrzahl der Teilnehmenden hatte auf Grund ihres Flüchtlingsstatus neben fehlenden Qualifizierungen erhebliche rechtliche Probleme bei Zugang zum Arbeitsmarkt. Entwicklungspartnerschaften im Thema »Erleichterung des Zugangs zum bzw. Rückkehr auf den Arbeitsmarkt« entwickeln »Modelle um persönliche und strukturelle Zugangsbarrieren zu beseitigen. Als Ansatzpunkte dafür dienen die Identifizierung und Stärkung der Kompetenzen benachteiligter Personengruppen, die Ausweitung des Berufswahlspektrums, Modelle zur Optimierung der individuellen Berufswegeplanung und die Verbesserung der Angebotstrukturen der beruflichen Bildung.« Problem: Die insgesamt sehr heterogene Teilnehmergruppe war von mehreren zum Teil sich überschneidenden Problemen betroffen: fehlende Schreibund Lesekenntnisse; fehlende oder für den Arbeitsmarkt zu geringe Deutschkenntnisse; fehlender oder in Deutschland nicht anerkannter Schul- oder Ausbildungsabschluss; fehlende Berufserfahrung oder für den dt. Arbeitsmarkt zu geringe branchenspezifische Kenntnisse und Fertigkeiten im Ausbildungsberuf; rechtliche Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt wegen des Flüchtlingsstatus; antiziganistische Ressentiments und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt von Seiten der Arbeitgeber, Kollegen und Kunden. Projektstrategie: Im Mittelpunkt der Interventionslogik standen die individuellen Qualifizierungsbedürfnisse der Teilnehmer und ihre ausländerrechtlich begründeten Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt. Ergebnisse: Entsprechend der unterschiedlichen Ansätze und Ausgangs- sowie Rahmenbedingungen waren auch die Projektergebnisse von Stadt zu Stadt verschieden. Im Rahmen der Qualifizierungsmaßnahmen erreichten etwa zehn Teilnehmende in Aachen Helfer- oder Grundlagenqualifikationen als Elektrohelfer bzw. Kunstoffschweisser und verbesserten damit ihre Beschäftigungschancen bei Zeitarbeitsfirmen und den regionalen Kunstoffverarbeitungsunternehmen erheblich. Ausländerrechtlich begründete Zugangsbar- rieren konnten nur vereinzelt und nicht im Zusammenhang mit Qualifizierungs- oder Beschäftigungsergebnissen überwunden werden In Frankfurt bestanden acht der 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit guten und sehr guten Ergebnissen die externe Hauptschulabschlußprüfung. Ausländerrechtliche Verbesserungen konnten dadurch leider nicht mit dem Innenministerium vereinbart werden. In Berlin konnte eine große Anzahl von Teilnehmenden durch das Projekt alphabetisiert werden. Acht Teilnehmer erwarben Einstiegswissen über Audio- und Videoproduktion und gründeten das Projekt MediaRroma, mit dem bis heute videografische Projektdokumentationen produziert werden. Drei Teilnehmerinnen machten den Abschluss als Roma-Schulmediatoren und arbeiten bis heute in zwei Grund- und einer Hauptschule in Berlin. Rechtliche Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt konnten durch gute Kooperation mit der Schul- und Innensenatsverwaltung für die Mitglieder von MediaRroma und für die drei Roma-Schulmediatoren abgebaut werden. Die beiden anderen Hauptziele Sensibilisierung und interkulturelle Öffnung der Arbeits- und Bildungsmärkte Deutschlands und der Herkunftsländer und die Förderung der Selbstorganisation von Roma und von Sinti konnten im Rahmen der regionalen Kooperation und durch Fortführungsprojekte erreicht werden. Bei allen Teilnehmenden verbesserten sich die Sprachkenntnisse in Deutsch erheblich und in vielen Fällen konnten durch das Projekt die fehlenden Lese- und Schreibkenntnisse vermittelt werden. Fazit: Für das Projektziel »Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit« konnte kein Zielarbeitsmarkt definiert werden: der deutsche hätte einen Einspruch des Programmträgers und der des Herkunftslandes einen Ausstieg der Teilnehmer bedeutet. Das Projekt konzentrierte sich daher bis auf Ausnahmen auf den Erwerb von anschlussfähigen Basisqualifikationen, die eine weitere berufliche Qualifizierung auf unterschiedlichen Arbeitsmärkten ermöglichen. Unmittelbar arbeitsmarktrelevante berufliche Qualifikationen hätten laut Aussage der operativen Partnern und ihrer Dozenten auf Grund der geringen Deutschkenntnisse während des Projektzeitraumes von den meisten Teilnehmern nicht erreicht werden können. In einer Situation, wo die relevanten Ziele der Projektbegünstigten (Aufenthaltsrecht) nicht realistisch sind und realistische Ziele (Rückkehrvorbereitung) nicht relevant ließ sich kaum eine schlüssige Interventionslogik für das Projekt konzipieren. Die besonders in Berlin und Aachen geplante Förderung der wirtschaftlichen Selbständigkeit, durch die Legalisierung und Professionalisierung von bestehenden Geschäftserfahrungen einzelner Teilnehmer war im Projekt nicht erfolgreich. Es gab zum einen keine qualifizierten Anleiter mit eigenen unternehmerischen Erfahrungen für einen praxisnahen Unterricht. Außerdem hätten die meisten Teilnehmer auf Grund des fehlenden Aufenthaltsrechts gar keine Erlaubnis für selbständige Tätigkeiten gehabt. Kunststofffügetechnikerqualifizierung 6 Wochen Berufsgrundqualifizierung an der Handwerkskammer mit Praktika auf dem ersten Arbeitsmarkt; Projektziel: Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt Deutschkurs Anfänger- und Fortgeschrittenenkurs, Projektziel: Zertifikate A1 und A2 PC-Kurs 1 x / Woche Einführungskurs (Word) Musikgruppe wöchentlich mehrmals Proben; Projektziel: professionelle Romaband Hauptschulabschlusskurs 1 - Jahreskurs mit HSA - Prüfung (Projektteilnehmer werden ohne Aufnahmegebühr und an der Warteliste vorbei in den HSA - Kurs aufgenommen) Sozialberatung Sozialhilfe, Aufenthaltstitel, Schulden, Wohnung, Jobvermittlung; Qualifizierung eines Roma-Sozialberaters Frauengruppe 1 Tag / Woche á 6 Std.: Deutsch, Beratung, Berufsorientierung; Projektziel: adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten Kunstprojekt Kunstobjekte, Denkmalprojekte, Ausstellungen Assessment / Berufsorientierung 2 Wochen im Block (Männer) und 1 Tag / Woche á 6 Std. (Frauen); Anpassung eines erprobten Assessmentkonzeptes Frankfurt Schulunterricht HSA - Gruppe für 8 Jugendliche und HSA Vorbereitungsgruppe für 7 Jugendliche, Roma - Mediator begleitet den Unterricht, 3 x 5 Std. Unterricht / Woche plus individuelle Nachhilfestunden, 1x / Woche Sport, Projektziel: 8 x HSA, 7x HSA - Kurs - Aufnahmeprüfung VHS PC-Kurs Word, Excel, Bildbearbeitung, Webdesign, Projektziel: Bewerbung / Lebenslauf, Bildprodukte, eigene Homepage Schülerpraktika 2 Tage / Woche vermittelte und selbst gesuchte Praktika in den Bereichen: Einzelhandel, Hausmeister, KfZ- Reparatur, Küche, Schneider, Grafiker, Hotel, Innenausbau, Friseur, Verwaltung, Projektziel: Berufsorientierung Sozialpädagogische Begleitung Gruppengespräche, Ausflüge, Einzelbetreuung, Einsatz und Weiterqualifizierung eines Roma-Zielgruppenmediators 67 Überblick von Bildungs- und Beschäftigungsprojekten von und für Roma und Sinti in Deutschland Berlin RAA Berlin e.V. Das Roma - Schulmediatorenprojekt der RAA Berlin begann 1999 mit Unterstützung der Lindenstiftung, führte zu einer Ausbildung von Roma - Schulmediatoren im Rahmen der von der RAA koordinierten EQUAL- Entwicklungspartnerschaft »Roma und Sinte – durch Selbstorganisation zu Beschäftigung und Existenzsicherung« und wird seit 2006 auch vom Land unterstützt. Die Roma - Schulmediatorinnen und -mediatoren fördern die Verständigung zwischen der Schule und den Eltern und sind Vorbilder und Beispiele erfolgreicher Bildungskarrieren für die ganze Familie. Das Alphabetisierungs- und Beratungsprojekt Kumulus Plus fördert im Rahmen des EQUAL- Programms die gesellschaftliche und berufliche Integration der Eltern, Geschwister und Großeltern. MediaRroma produziert Projektfilme und Videos mit Jugendlichen und ist ebenfalls ein Ergebnis aus dem EQUAL- Programm. Die Bildungsberatung vermittelt Jugendlichen ohne Lehrstelle oder Schulabschluss ein passendes Angebot auf dem Berliner Bildungsmarkt und führt hin und wieder eigene Modellprojekte zum Erwerb von Abschlüssen durch. Angebote • Roma-Schulmediatoren zur Unterstützung und Vermittlung bei Problemen und Konflikten in der Grund- und Oberschule • Bildungs- und Berufsbildungsberatung für Jugendliche ohne Schulabschluss oder Lehrstelle • Berufsvorbereitung, Hauptschulabschluss und Schulverweigererprojekt (Kiez mobil) • Jobsuche und Sozialberatung (Kumulus Plus – EQUAL) • Alphabetisierung und Praktika für Erwachsene (Kumulus Plus – EQUAL) • Jugend- und Videoprojekte (MediaRroma) Ansprechpartner Antje Hofert (Bildungsberatung, Hauptschulabschluss), Suzanna Ismailovic (RomaSchulmediatorin), Ksenija Jüngling (Jobsuche und Sozialberatung), Zika Ibraimovic (Alphabetisierung), Zvonko Salijevic (MediaRroma) RAA Berlin Chausseestr. 29, 10115 Berlin Tel. 030 - 24 04 5100, info@raa-berlin.de www.raa-berlin.de 68 Berlin Roma Elternverein Berlin »Bashe Rroma e.V.« Seit dem Beginn des Schuljahres 2006 / 2007 setzt der Elternverein ein Projekt an der Adolf- ReichweinOberschule in Neukölln mit Angeboten im vorschulischen, schulischen und außerschulischen Bereich, wie zum Beispiel Unterstützung der Schüler während des Unterrichts, Hausbesuche bei den Eltern und Organisation von Elternabenden, um. Hauptziel ist die Förderung der Integration und die Verbesserung der Schul-, Bildungs- und Berufbildungssituation der Kinder durch die Vernetzung und Stärkung des Engagements zwischen Schule, Schülern und Eltern. Angebote • Unterstützung und Vermittlung bei Problemen und Konflikten in der Grund- und Oberschule • Beratung von Eltern zu Schul- und Erziehungsfragen Ansprechpartner Daniel Ibraimovic Rroma Elternverein Berlin (REB) »Bashe Rroma« e.V. c/o AWO - Familienzentrum, Falkstr. 27, 12053 Berlin Mobil 0162 - 234 73 91, bashe.rroma@gmx.de Berlin südost Europa Kultur e.V. Der südost Europa Kultur e.V. (SOEK) wurde 1991als Verein zur Förderung deutsch - südosteuropäischer Kulturbeziehungen gegründet. Seit 1992 wurde das südost-Zentrum zu einem Treffpunkt aller kulturellen Kräfte, die im europäischen Kontext gemeinsam über nationalistische Propaganda aufklären und ihr wirksam entgegentreten. Während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien und in den ersten Jahren danach bestand das vorrangige Ziel darin, Kriegsflüchtlingen aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo, deren Kriegserfahrungen häufig zu schwerem psychischen Leiden führten, im Austausch mit anderen für sich und ihre Familien eine neue und lebenswerte Perspektive zu entwickeln. Seit 1997 schafft der Verein auch direkt in Südosteuropa Foren für einen Austausch und entwickelt Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben. Aus der Arbeit bei südost hat sich die Stiftung ÜBERBRÜCKEN entwickelt, deren Ziel es ist, Menschen aus Kriegsgebieten zu helfen, ihre Traumata zu überwinden. Im Rahmen des EQUAL- Programms bietet das Projekt Novi Vidici – Neue Perspektiven die Qualifzierung in verschiedenen handwerklichen Bereichen, Pflegebasiskurse sowie begleitende Deutsch- und Alphabetisierungskurse sowie soziale Beratung, Betreuung und Begleitung für Asylbewerberinnen und Asylbewerber vor allem für Roma und Sinti, an. Angebote • Qualifizierungsangebot mit Deutschkurs, Schulabschlussvorbereitung und Praktika (Holz, Elektro, Sanitär- und Heizung, Textilbereich) (Novi Vidici – EQUAL) • Sozial- und Rechtsberatung • Lesungen, Konzerte, Ausstellungen, Filmvorführungen • Roma-Projekte in Bosnien-Herzegowina • psychotherapeutische Gruppenarbeit für Kriegstraumatisierte • Deutschkurse • Gesundheits- und Erziehungsberatung • Nachhilfeunterricht Ansprechpartnerin Sandra Niederer (Qualifizierungsprojekt) südost Europa Kultur e.V. Großbeerenstraße 88, 10963 Berlin Tel. 030 - 25 37 79 9 0, info@suedost-ev.de www.suedost-ev.de Hamburg Roma und Cinti Union Hamburg Die seit 1980 in Hamburg ansässige Organisation vertritt seit ihrer Gründung die Belange der Roma in Hamburg und ganz Deutschland. Die Roma und Cinti Union (RCU) engagierte sich seit Ende der 80er stark international, baute das europäische Roma-Bürgerrechtsnetzwerk Roma National Congress auf und trug maßgeblich zur Gründung des European Roma and Travellers Forum bei, dessen erster Präsident der langjährige Vorsitzende der RCU, Rudko Kawczynski, im Jahre 2004 wurde. Bis Ende der 90er Jahre organisierte die RCU mehrere, zum Teil spektakuläre, Demonstrationen, Märsche, Besetzungen und Blockaden, um auf die prekäre humanitäre Situation der Roma in Osteuropa aufmerksam zu machen und ein Bleiberecht für die nach Deutschland geflohenen Roma durchzusetzen. 1992 entwickelte die RCU gemeinsam mit der damaligen Hamburger Bildungssenatorin Rosemarie Raab Konzepte für die Verbesserung der schulischen und sozialen Situation der Roma-Familien im Karolinenviertel. Die von der Roma und Cinti Union ausgesuchten Sozialarbeiterinnen und -arbeiter halfen, den Kontakt zu den Familien aufzubauen und legten damit den Grundstein für den heutigen Arbeitskreis der Roma-Lehrer und Roma-Sozialarbeiter. Einzelne Beratungsangebote werden in Kooperation mit den Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS) für Hamburger Schulen organisiert. Angebote • Bildungs- und Sozialberatung und politische Vertretung • Informationsrecherche und Internetpublikationen • Organisation von politischen und wissenschaftlichen Tagungen Ansprechpartner Marko Knudsen Rom und Cinti Union e.V. Postfach 304145, 20324 Hamburg Tel. 040 - 319 42 49, RCU.ev@web.de www.RomNews.com Hamburg Landesvereins der Sinti e.V., Hamburg (in Kooperation mit SBB Kompetenz gGmbH) Der Landesverein wurde 2002 als Selbsthilfeinitiative gegründet und organisiert vor allem Sinti-Familien aus den Hamburger Stadtteilen Wilhelmsburg und Harburg. Das gemeinsam mit der Stiftung SBB Kompetenz gGmbH seit 2005 durchgeführte Qualifizierungsprojekt KIBA AktivJob für arbeitslose Sinteza und Sinti soll selbstbestimmtes Arbeiten im Projekt ermöglichen und die kulturelle Vielfalt der Sinti aufzeigen. Das Projekt soll die jetzige Lebenssituation der Sinti der Öffentlichkeit näher bringen und damit zu einem Ort der Begegnung werden. Sintizza arbeiten als Sozialarbeiterinnen bei den Aktivitäten, Trainings und Schulungen mit und schaffen damit eine vertrauensvolle Lernsituation. Das Projekt wird noch bis 31. Dez. 2007 aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds der Freien und Hansestadt Hamburg gefördert. Viele Projekte des Vereins entstanden durch die Ideen und das unermüdliche Engagement der an schwerer Krankheit 2007 verstorbenen Rita Weiß, deren Andenken und Vorbild in der aktuellen Arbeit des Landesvereins und seiner Partner einen zentralen Platz einnehmen. Angebote • KIBA AktivJob / Kooperation für Integration, Bildung und Arbeit für Sinti in Hamburg für arbeitslose Sinteza und Sinti, die Arbeitslosengeld II beziehen • Aktiv-Jobs im Projekt Bauernhof / Ort der Begegnung • Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche • Vorbereitung auf eine mögliche selbstständige Tätigkeit • Vorbereitung auf den Erwerb von Schulabschlüssen • Begleitung in Ausbildung und / oder Arbeit Ansprechpartner Gottfried Weiß und Peter Holst-Glöss Landesverein der Sinti e.V. Kleingartenweg 8, 21109 Hamburg Tel. 040 - 3197 37 91 Hamburg KAROLA – Internationaler Treffpunkt für Frauen und Mädchen e.V. Der Verein wurde 1984 im Hamburger Karolinenviertel gegründet, mit der bis heute gültigen Zielsetzung, das nachbarschaftliche Verhältnis zwischen Menschen aller Kulturen zu fördern und gesellschaftliche Benachteiligungen zu bekämpfen. Große soziale Spannungen stellten den als alternativ und tolerant geltenden Stadtteil, mit einem traditionell sehr hohen Anteil von ausländischen Mitbürgern, in den 90er Jahren auf eine harte Zerreißprobe: Eine hohe Anzahl Roma suchte aufgrund des Jugoslawienkrieges Zuflucht bei Verwandten im Karolinenviertel. Bereits zu dieser Zeit fungierte der Internationale Treffpunkt als Vermittlungsraum. Roma zählen auch heute zu der zahlenmäßig größten Gruppe, die KAROLA e.V. aufsuchen. Mit Hilfe der Förderung durch das EQUAL- Programm konnte der Verein seit 2005 das Beratungsangebot und die Alphabetisierungskurse für Roma-Frauen ausbauen und intensivieren. Die Arbeit des Vereins wird durch Zuwendungen über Projektgelder, als auch von privaten Spenden und ehrenamtlicher Arbeit getragen. Ziel des Vereins ist es, im Sinne einer stadtteilorientierten Begegnungsstätte, für alle Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund offen zu sein, um weiterhin Hilfestellung bei allen Fragen der Alltagsbewältigung und Lebensgestaltung leisten zu können. Angebote • Alphabetisierungskurse • Sozialberatung • Unterstützung bei der Arbeitssuche und bei persönlichen und familiären Problemen • Schul- und Ausbildungsberatung • Foto- und Kunstprojekte • Mädchengruppe Ansprechpartnerinnen Christine Solano und Regina Bakar KAROLA – Internationaler Treffpunkt für Frauen und Mädchen e.V. Beckstraße 2, 20357 Hamburg Tel. 040 - 439 27 81, KAROLA_Hamburg@web.de www.fluchtort-hamburg.de SBB Kompetenz gGmbH peter.holst-gloess@sbb-nord.de www.sbb-hamburg.de/angebot/fachqualifizierung/ alg_sinti-aktiv.php 69 Hamburg Arbeitskreis Roma - Lehrer und Schulsozialarbeiter Kiel Verband Deutscher Sinti und Roma Landesverband Schleswig - Holstein 1992 begannen die Bemühungen der damaligen Hamburger Bildungssenatorin um die Einbeziehung von Roma- und Sinti -Kollegen als Lehrer und Schulsozialarbeiter in die Hamburger Schulen mit einem hohen Anteil an Roma- und Sinti - Kindern. Nach der geduldigen Überwindung aller politischen und bürokratischen Hindernisse arbeiten heute sechs RomaKollegen und ein Sinti - Kollege an zwölf Schulen im Arbeitskreis zusammen. Einige dieser Roma-Kollegen arbeiten zusätzlich mit in den Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen für Schulen (REBUS) der Hamburger Bildungsbehörde. Ein häufig gewählter Fortbildungswunsch für Lehrerinnen und Lehrer und Schulkollegien ist die Gestaltung pädagogischer Jahreskonferenzen zum Thema Bildung und Qualifizierung von Roma- und SintiKindern in der Schule und Antiziganismus an Schulen durch einzelne Mitglieder des Arbeitskreises. Der Landesverband entstand wie die meisten anderen Landesverbände im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in Deutschland Ende der 70er Jahre. 1979 gegründet, begann seine Arbeit mit dem Kampf für gleiche Rechte und die umfassende Anerkennung des Völkermords und der Verfolgung in der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit. 1990 begann die Förderung durch das Landessozialministerium. Zwei Mütter begannen 1995 im Projekt »Strategien zur Verbesserung der schulischen Situation« als Mediatorinnen in der Schule zu arbeiten. Die ersten Sinti-Schulmediatorinnen in Deutschland wurden ab 1997 vom Landesbildungsministerium gefördert und arbeiten heute zu viert an vier Schulen. Im Wohnungsbauprojekt »Maro Temm«, geplant seit 2003, werden 2007 unter bundesweiter Beachtung die ersten Eigenheime für Kieler Sinti-Familien, mit dem Ziel gemeinschaftlichen Wohnens, in kleinen Nachbarschaften gebaut. Angebote • Romanes-Unterricht für Roma-Kinder an der Schule, Unterrichtsbegleitung, Co -Teaching, interkulturelle Vermittlung und Sozialarbeit mit Eltern • Methodentraining und Materialentwicklung für den Romanes - Unterricht • Beratung und Fortbildung für Lehrer und Schulkollegien Ansprechpartnerin Brunhild Krühler Arbeitskreis Roma-Lehrer und -sozialarbeiter c/o Schule Rotenhäuser Damm Rotenhäuser Damm 45, 21107 Hamburg Tel. 040 - 485 09 73, b.kruehler@t-online.de Angebote • Unterstützung im Unterricht, Vermittlung zwischen Lehrern und Eltern, Hausaufgabenhilfe • Bildungs-, Rechts- und Sozialberatung • Wohnungsbauprojekt Ansprechpartner Matthäus Weiß Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Schleswig-Holstein Dorfstr. 12, 24146 Kiel-Elmschenhagen Tel. 0431-122 09 22 LV.S-H.Sinti-Roma@t-online.de Frankfurt Förderverein Roma e.V. Der Verein wurde 1993 als Verein zur Schaffung eines Roma - Gemeindezentrums e.V. von Aktivisten aus der Menschenrechts- und Flüchtlingsarbeit gegründet und begann seine Arbeit mit einer Beratungsstelle und ambulanten Hilfen zur Erziehung. 1996 übernahm der auch als Träger der freien Jugendhilfe anerkannte Verein eine Kindertagesstätte. Das Projekt des Gemeindezentrums wurde angepasst und es entstand die »Schaworalle«, die hauptsächlich Kinder aus schulfernen rumänischen Roma - Familien betreut. Die intensive Einbeziehung der Eltern in die Arbeit und die Beschäftigung mehrerer Muttersprachler machen die »Schaworalle« zum Treffpunkt und Bildungsimpulsgeber für die Familien. Auch die älteren Geschwister sind nun zum Lernen motiviert und so wurde die Schaworalle im Jahre 2000 zusätzlich schulischer Lernersatzort für eine Grund- und eine Hauptschule und führt Kinder bis zum Hauptschulabschluss, denen der Besuch der Regelschule aus den verschiedensten Gründen nicht gelingt. Im Jahre 2002 kam im Rahmen des EQUAL- Programms ein Hauptschul- und Berufsorientierungsabschlusskurs für Jugendliche und junge Erwachsene hinzu. 2006 wurde die Schaworalle für ihr Engagement für Bildung und Integration mit dem Theodor- Heuss - Preis ausgezeichnet. Angebote • Sozial- und Rechtsberatung • Kindertagesstätte »Schaworalle« mit angeschlossenen Schulklassen • berufliche Bildung und schulische Qualifizierung für Jugendliche und junge Erwachsene • Lehrerfortbildung / Arbeitskreis Roma als Gesprächskreis Frankfurter Institutionen und Einrichtungen • Sozialpädagoische Lern- und Familienhilfe • Archiv • Philharmonischer Verein der Roma und Sinti Ansprechpartner Joachim Brenner und Sabine Ernst Geschäfts- und Beratungsstelle des Förderverein Roma e.V. Stoltzestrasse 17, 60311 Frankfurt/Main Tel. 069 - 44 0123, Foerderverein.Roma@t-online.de www.foerdervereinroma.de www.schaworalle.de 70 Köln Rom e.V. – Gemeinnütziger Verein für die Verständigung von Rom (Roma & Sinti) und Nicht-Rom Mannheim Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband BadenWürttemberg e.V. Darmstadt / Bad Hersfeld Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Hessen Als die Kölner Stadtverwaltung sich weigerte, im Winter 1986 / 87 fast 1000, vor allem aus Jugoslawien geflüchteten Roma - Familien, Lebensunterhalt, Unterkünfte und medizinische Versorgung zukommen zu lassen, nahmen Hartwig Beseler, Doris Schmitz, Renate Graffmann und Kurt Holl Kontakt zu den Familien auf und gründeten die »Kölner Roma - Initiative«. 1988 wurde der »ROM e.V.« mit dem Ziel gegründet, die Familien durch ein Bleiberecht vor weiterer Vertreibung und Kriminalisierung zu schützen. Spektakuläre Aktionen erwirkten zu Beginn ein Bleiberecht für mehrere hundert Roma. Wenig später brach die Landesregierung ihre Bleiberechtszusagen und begann stattdessen 1992 mit einem »Rückkehrprogramm«. In den folgenden Jahren konzentrierte sich die Arbeit des Vereins auf Integrationshilfen für die Familien: Wohnung, Familienzusammenführung, Arbeitsuche, Sozialhilfe, Schulbesuch, Aufenthaltsprobleme und ging gegen rassistische Berichterstattung und Polizeiübergriffe vor. 1999 wurde das Archiv und Dokumentationszentrum des Vereins vom damaligen Bundespräsidenten Wolfang Thierse feierlich eröffnet. Im Rahmen eines Strategiewechsels der Stadtverwaltung, hin zu Integrationsbemühungen für die in Köln lebenden Roma, begann im August 2004 das Schulprojekt »Amaro Kher«, welchem seit 2006 auch eine Kindergartengruppe angeschlossen ist. Parallel dazu erhielten etwa zehn Schulen und einige der größeren Flüchtlingswohnheime personelle Verstärkung zur Verbesserung der Bildungssituation der dort lebenden und lernenden Roma - Kinder. Der Verband wurde 1986 im Rahmen der Bürgerrechtsarbeit der deutschen Sinti und Roma gegen Ausgrenzung und Ungleichbehandlung gegründet. Der Verband vertritt über 10.000 Sinti und Roma im Bundesland und im Vorstand des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma und versteht sich zugleich als Dialogpartner für die Institutionen des öffentlichen Lebens und einzelne Menschen, die Informationen zur Lage von Sinti und Roma suchen. Die verbandseigene Beratungsstelle Kultur / Wissenschaft begleitet die Umsetzung des 1997 in Deutschland ratifizierten Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats. Die Beratungsstelle Soziales / Arbeit leistet Hilfe zur Selbsthilfe auf der Basis einer engen Vernetzung und Kooperation mit allen relevanten Einrichtungen. Die Beratungsstelle Bildung / Antiziganismus fördert und begleitet seit 1997 Bildungsprojekte im ganzen Land. Sie bietet darüber hinaus eine individuelle Unterstützung und Bildungslaufbahnplanung an, vermittelt bei Konflikten in Schulen und führt Beratungen und Fortbildungen für Lehrer und Schulen durch. Der Verband wurde 1980 als Interessenvertretung der in Hessen lebenden Sinti und Roma gegründet. Neben seiner Beratungstätigkeit zur Lösung von individuellen Fragen, vertritt der hessische Landesverband die Interessen der nationalen Minderheit der Sinti und Roma in Hessen und im Vorstand des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma. Nach der erfolgten Anerkennung der deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit im Jahre 1995 sowie des deutschen Romanes als nationale Minderheitensprache durch das Land Hessen, stehen die Begleitung der Umsetzung des Abkommen in Land und Kommunen und die Aufklärung über den Antiziganismus und über die Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma und der Abbau von Vorurteilen seitens der Mehrheitsbevölkerung im Zentrum der Verbandsarbeit. Besondere Priorität nehmen die o. g. Schulprojekte zur Förderung der Chancengleichheit ein. Angebote • Sozial- und Erziehungsberatung • Schulprojekt »Amaro Kher« mit integrierter Kindergartengruppe • Soziale Gruppenarbeit in dem Flüchtlingsheim Theodor- Heuss-Str. in Köln - Porz • Bibliothek / Archiv und Dokumentationszentrum Ansprechpartner Kurt Holl Rom e.V. Bobstraße 6 – 8, 50676 Köln Tel. 0221- 24 25 36, rom.ev@netcologne.de www.romev.de Angebote • Aufarbeitung und Dokumentation der Verfolgungsgeschichte auf lokaler und regionaler Ebene • Gedenkstättenarbeit in Baden- Württemberg • Rekonstruktion und Bewahrung der im NS zerstörten kulturellen Eigenständigkeit von Sinti und Roma sowie die Förderung der eigenen kulturellen Identität • Öffentlichkeitsarbeit gegen Diskriminierung und Benachteiligung von Sinti und Roma, sowie Information und Aufklärung über antiziganistische Vorurteile und Strukturen • Beratungsstellen Soziales / Arbeit, Bildung / Antiziganismus und Kultur / Wissenschaft • Unterstützung von Bildungsprojekten in BadenWürttemberg Ansprechpartner Daniel Strauß Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Baden-Württemberg e. V. B7, 16 (Adressenbezeichnung in den innerstädtischen »Quadraten«), 68161 Mannheim Tel. 0621- 1569645, info@sinti-roma-bawue.de www.sinti-roma-bawue.de Angebote • Beratung, Betreuung und Interessenvertretung von allen hessischen Sinti und Roma • Projekte zur Verbesserung der Schulsituation der Sinti- und Roma - Kinder in Darmstadt seit 2002 (Hausaufgabenbetreuung) und in Bad Hersfeld seit 2005 / 2006 (Sinti - Mediator an 2 Schulen) • Unterstützung von Land und Kommunen bei der Umsetzung des Europäischen Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten • Aufklärung über die Verfolgungsgeschichte und die Ursachen und (Aus-) Wirkungen des Antiziganismus für Mehrheit und Minderheit (Ausstellung: »Hornhaut auf der Seele – Die Geschichte zur Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen«, sieben Lokaldokumentationen, sowie dem »Standardwerk«: Die Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen – zwischen 1870 und 1950) • Internet-Informationen und Weiterbildungsveranstaltungen zu Verfolgungsgeschichte und Antiziganismus über einen Bildungsserver Ansprechpartner Adam Strauß Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Hessen Bismarckstr. 15, 64293 Darmstadt Tel. 06151- 37 77 40, verband@sinti-roma-hessen.de www.sinti-roma-hessen.de 71 Politische Dokumente zur Situation der Roma und Sinti Europarat Vereinte Nationen Framework Convention for the protection of national minorities and European Charter for regional or minority languages of the council of Europe Das seit 1995 in Deutschland geltende Minderheitenschutzabkommen und die seit 1999 gelte Charta zum Schutz der Regional- und Minderheitensprachen sind Abkommen der Mitgliedstaaten des Europarates, deren Umsetzung von diesem durch regelmäßige Berichte überprüft wird. Resolution 1992 /65 zum Schutz der Roma (Gypsies), United Nations High Commissio n for Human Rights (March 1992) Nachdem der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen bereits 1977 auf die Diskriminierung der Roma hingewiesen hatte, fordert diese Resolution die UN - Mitgliedsstaaten auf, konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation und zur Beseitigung ihrer Diskriminierung umzusetzen. Recommendation (2000) 4 on Education of Roma / Gypsy Children in Europe, Committee of Ministers of the Council of Europe Diese Empfehlung des Komitees der Bildungsminister des Europarats ist die aktuellste und relevanteste Vorlage, die Richtlinien für die Umsetzung der Bildungsförderung für Roma-Kinder in Europa beinhaltet. Avoiding the Dependency Trap. Bratislava: Regional Bureau for Europe and the Commonwealth of Independent States (2002) Bericht des United Nations Development Programme (UNDP) zur Situation der Roma in Osteuropa. Report by the Commissioner for Human Rights Thomas Hammarberg on his visit to Germany, 9 – 11 and 15 – 20 October 2006. CommDH (2007) 14. Strasbourg: Council of Europe (11 July 2007). Bericht des Menschenrechtsbeauftragten des Europarats zu Deutschland, in dem auch auf die Situation der Roma eingegangen wird. Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarats zur Menschenrechtslage der Roma, Sinti und Travellers in Europa (2006) Im Bericht werden auf die Diskriminierung im Wohnungssektor, im Bildungsbereich, am Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen eingegangen sowie rassistische Übergriffe und Vertreibungen beschrieben. Appell des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma und der europäischen Romaorganisationen an den UN - Generalsekretär Im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung über den Völkermord an den Roma und Sinti im 2. Weltkrieg im UNO - Gebäude in New York überreichte Romani Rose dem UNGeneralsekretär am 30. Jan. 2007 einen Appell, sein Engagement zum Schutz der Menschenrechte für Roma und Sinti in Europa und weltweit zu intensivieren. Zur Lage von Kindern aus Roma - Familien in Deutschland. Breaking the cycle of exclusion. Roma Children in South East Europe. Zwei UNICEF- Berichte aus den Jahren 2006 / 2007, die auf einer gemeinsamen Tagung mit der Kinderrechtskommission des Deutschen Bundestages im März 2007 in Berlin, zur Lage von Roma - Kindern, vorgestellt wurden. Weltbank Die Situation der Roma Schul Mediatoren und Assistenten in Europa. Calin Rus im Auftrag des Europarats DG IV / EDU / ROM. Strasbourg (2006) Übersicht über die Tätigkeit von Roma-Schulmedia toren in ganz Europa. Europäische Union Resolution of the Council of Ministers of Education meeting within the Council, of 22 May 1989, on school provisions for gypsy and traveller children (89/C 153 / 02). Eine etwas ältere gemeinsame Erklärung des Rats der Bildungsminister der Europäischen Union und des Europarats zum Thema. EUMC; Roma and Travellers in Public Education. An overview of the situation in the EU Member States. Wien (2006) Das von der Europäischen Kommission unterhaltene European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) berichtet hier über die Bildungssituation in allen EU - Mitgliedstaaten. Die Situation der Roma in der erweiterten Europäischen Union. Europäische Kommission. Generaldirektion Beschäftigung und Soziales, Referat D3. Brüssel (2004) Bericht, der die Lage beschreibt und Anforderungen und Schlussfolgerungen für die Politik formuliert. www.ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rpub_ en.htm Eine Vielzahl weiterer Dokumente kann auf dieser Seite eingesehen oder heruntergeladen werden. 72 ROMA IN AN EXPANDING EUROPE. BREAKING THE POVERTY CYCLE. Weltbank (2005) Ein Bericht zur Situation der Roma in der Slowakei, Rumänien, Ungarn und Spanien, der die Ursachen und Auswirkungen der besonderen Armut der Roma untersucht. Deutschland Bericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht sowie über die Lage der Roma, Sinti und verwandter Gruppen (aufgrund der Entschließung des deutschen Bundestages vom 28. Juni 1986 (Drucksache 10 / 5765), BT-Drucksache 10 / 6287 Der erste Bundestagsbeschluss zur Verbesserung der Lage der Roma und der Sinti in Deutschland. Entschließungsantrag diverser Abgeordneter der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN zur Situation von Roma in der Europäischen Union, in den EU-Beitrittsländern und im Kosovo vom 20. Juni 2007, Deutscher Bundestag Drucksache 16 / 5784 Seit langem die erste Bundestagsdebatte zur Situation der Roma und Sinti in Deutschland. Materialien aus EQUAL-Projekten zur Förderung von Roma bzw. Sinti in Deutschland und Europa Überblick zur rechtlichen Situation von Roma und Sinti Praxisreader »Lernen trotz Trauma – Möglichkeiten der beruflichen Qualifizierung von kriegs- und fluchttraumatisierten Frauen« der deutschen Entwicklungspartnerschaft »Fluchtort Hamburg« (DE - XB 4 - 76051- 20 20 / 221) Der aus der Zusammenarbeit von vier Teilprojekten gewonnene Praxisreader fasst Erfahrungswerte und Erkenntnisse zusammen, wie Bildungsarbeit mit geflüchteten Frauen trotz Traumatisierung gelingen kann. Auf die Situation der Roma - Frauen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Bildungsarbeit mit dieser Zielgruppe wird gesondert eingegangen. Rechtliche Beschränkungen für Roma-Flüchtlinge im Bildungs- und Beschäftigungsbereich DVD »Info Tool Box« der österreichischen Entwicklungspartnerschaft »nEwC_baselines« (EP 2 - 2 -11/ 276) Die von einem Soziologen in direkter Kooperation mit Roma und Sinti erarbeitete Erhebung dient in Form einer Info Tool Box [DVD in Englisch, Deutsch, Romanes] dem Wissenstransfer zwischen den Partnerinnen und Partnern und der Verbreitung des erarbeiteten KnowHows auf nationaler und transnationaler Basis. Ausstellung »ROMA RISING – Romské obrození« der tschechischen Entwicklungspartnerschaft »Roma« (CZ - 80) Die Ausstellung porträtiert über 100 tschechische Roma aus der Mittelschicht und der Arbeiterklasse, die durch ihr Leben kraftvoll den weit verbreiteten antiziganistischen Stereotypen trotzen. Die Ausstellung ehrt den Mut und das Engagement der Porträtierten, die aktiv dazu beitragen, die Verständigung zu verbessern und die Minderheit als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger innerhalb der tschechischen Gesellschaft zu etablieren. Trainingsmaterial »CULTURAL MEDIATION TRAINING PROGRAMME« der irischen Entwicklungspartnerschaft »Roma Cultural Mediation Project« (IE – 43) Die Entwicklungspartnerschaft hat für ihr Trainingsprogramm »Kulturelle Roma - Mediation« ein Manual für Mentorinnen und Mentoren und eines für Teilnehmerinnen und Teilnehmer entwickelt, welche auf der Seite http://www.ideasbank- equal.info heruntergeladen werden können. www.ec.europa.eu/employment_social/equal/products/index_en.cfm Weitere Materialien können über die Produktdatenbanken der einzelnen nationalen EQUAL- Programme recherchiert werden. Aufenthaltsrechtlich spielt die ethnische Zugehörigkeit von Flüchtlingen und Asylsuchenden nur dann eine Rolle, wenn sie eine Gefahr und konkrete Verfolgung im Herkunftsland begründet. Bereits mehrmals wurden seit Anfang der 90er Jahre die Abschiebungen von Roma aus bestimmten Gebieten Südosteuropas ausgesetzt und damit, zuletzt im Falle von Roma aus dem Kosovo, deren besondere Verfolgung anerkannt. Generell haben alle in Deutschland lebenden Kinder unter 16 Jahren, die noch keine 10 Schulbesuchsjahre absolviert haben, das Recht und in fast allen Bundesländern auch die Pflicht die allgemeinbildende Schule zu besuchen. Eine Berufsausbildung kann in der Regel in vollzeitschulischen Ausbildungen außerhalb des dualen Ausbildungsystems absolviert werden, bei denen keine Anstellung als Lehrling erfolgt und daher auch keine Arbeitserlaubnis notwendig ist. Der Besuch der Abiturstufe ist aufenthalts- oder arbeitsrechtlich unproblematisch zugleich widersprechen oft die Sozialämter gegen die weitere Zahlung von Unterhaltsleistungen und fordern zur Arbeitssuche bzw. der Ausübung von Arbeitsgelegenheiten auf. Für die Aufnahme eines Hochschulstudiums wird ein gesondertes Visum benötigt, welches in der Regel nur in der Botschaft des Herkunftslandes beantragt werden kann. Oftmals eingeschränkt ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Die selbstständige Erwerbstätigkeit ist für die meisten nicht anerkannten Flüchtlinge gänzlich untersagt. Eine Anstellung unterliegt der Arbeitsmarktvorrangprüfung des Jobcenters, welches zuerst versucht, Arbeitnehmer mit gleicher Qualifikation und uneingeschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt für die betreffenden Arbeitsplätze zu finden. Rechtliche Verpflichtungen, die sich staatlicherseits aus Minderheitenschutzabkommen und Sprachencharta ergeben Im seit 1995 in Deutschland geltenden Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten und in der seit 1999 geltenden Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sind eine Reihe von Rechten für jene Roma und Sinti festgelegt, die zur autochthonen Minderheit der Roma und Sinti in Deutschland gehören. Die konkreten sich daraus ergebenden Rechte müssen auf Landesebene zwischen den Verbänden der Roma und Sinti und der jeweiligen Landesregierung ausgehandelt werden und umfassen u. a. die kulturelle Förderung, Beteiligungs- und Mitspracherechte und den Schutz vor Diskriminierung. Rechtliche Möglichkeiten bei Fällen von Diskriminierung am Arbeitsmarkt und im Ausbildungsbereich Unabhängig vom Aufenthaltstitel sind auch Flüchtlinge vor Diskriminierungen oder Belästigungen auf Grund ihrer Herkunft, Sprache, ihres Alters, Geschlechts, ihrer Weltanschauung, sexuellen Orientierung oder einer evtl. Behinderung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geschützt. Angezeigt werden können mögliche Diskriminierungsfälle entweder bei den bundesweit verteilten Antidiskriminierungsbüros oder den Landes- bzw. der Bundesstelle für Gleichbehandlung. 73 Literatur Awosusi, Anita (Hrsg.) Stichwort Zigeuner, Zur Stigmatisierung von Sinti und Roma in Lexika und Enzyklopädien. Heidelberg: Verlag Wunderhorn, 1998 Awosusi, Anita (Hrsg.) Zigeunerbilder in der Kinder- und Jugendliteratur. Heidelberg: Verlag Wunderhorn, 2000 Bastian, Till Sinti und Roma im Dritten Reich. Geschichte einer Verfolgung. München: C.H. Beck Verlag, 2001 Berliner Institut für vergleichende Sozialforschung Informationen und Empfehlungen zur Bildungs- und Berufsförderung für Sinti und Roma in Deutschland. Berlin: Edition Parabolis, 2006 Berliner Institut für vergleichende Sozialforschung Roma und der Arbeitsmarkt: Berufs- und Bildungsförderung für Sinti und Roma in Deutschland. Berlin: Edition Parabolis, 2007 Bruckmüller, Michael Roma Porträts. Wien: Christian Brandstätter Verlagsgesellschaft, 2006 Council of Europe Education of Roma children in Europe. Texts and activities of the Council of Europe concerning education. New York: Council of Europe Publishing, 2006 European Roma Rights Centre The Impact of Legislation and Policies on School Segregation of Romani Children. Budapest: ERRC, 2007 European Roma Rights Centre, EU Monitoring and Advocacy Program Joint EU Monitoring and Advocacy Program / European Roma Rights Center Shadow Report Provided to the Committee on the Elimination of Discrimination Against Women Commenting on the fifth periodic report of the Federal Republic of Germany Submitted under Article 18 of the United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women. Budapest: ERRC, EUMAP, 2004 Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart (Hrsg.) Antiziganismus, Geschichte und Gegenwart deutscher Sinti und Roma, Anregungen für den Unterricht. Stuttgart: Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart, 2002 Liégois Jean P., Papenbrok-Schramm Marion Die schulische Betreuung ethnischer Minderheiten: Das Beispiel der Sinti und Roma. Berlin: Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung e.V., 1999 Lindemann Florian Schule muss schmecken! Ermutigende Erfahrungen junger Roma im deutschen Bildungswesen. Weinheim: Verlagsgruppe Beltz, 2005 Margalit Gilad Antigypsyism in the Political Culture of the Federal Republic of Germany: A Parallel with Antisemitism? www.sicsa.huji.ac.il/9gilad.htm Matras Yaron, Winterberg Hans, Zimmermann Michael (Hrsg.) Sinti, Roma, Gypsies, Sprache - Geschichte - Gegenwart. Berlin: Metropol-Verlag, 2003 Matter Max (Hrsg.) Die Situation der Roma und Sinti nach der EU - Osterweiterung. Beiträge der Akademie für Migration und Integration (Heft 9). Göttingen: V & R unipress, 2005 Open Society Institute Equal Access to Quality Education for Roma. Vol. 1: Bulgaria, Hungary, Romania, Serbia. Monitoring Reports. Budapest, 2007 Reemtsma Karin Sinti und Roma. Geschichte, Kultur, Gegenwart. München: C.H. Beck Verlag, 2000 Ringold Dena, Orenstein Mitchell A., Wilkens Erika Roma in an Expanding Europe: Breaking the Poverty Cycle. Washington, D.C.: World Bank Publications, 2004 Strauss Daniel Anti-Gypsyism in German Society and Literature. In: Tebbutt, Susan (Hrsg.): Sinti and Roma: Gypsies in German-Speaking Society and Literature. New York: Berghahn Books (1998), S. 89 Gauß Karl-Markus Die Hundeesser von Svinia. München: dtv, 2006 Gheorghe Nicolae, Mirga Andrzej The Roma in the Twenty- First Century: A Policy Paper, 1997 Heinschink Mozes F., Hemetek Ursula Roma, das unbekannte Volk. Schicksal und Kultur. Wien - Köln -Weimar: Böhlau, 1994 Hornberg Sabine Die Schulsituation von Sinti und Roma in Europa. Frankfurt am Main: Iko -Verlag für Interkulturelle Kommunikation, 2000 Kenrick Donald The Romani World: A historical dictionary of the Gypsies. Hatfield, Hertfordshire: University of Hertfordshire Press, 2004 Kenrick, Donald, Papenbrok-Schramm Marion Von Indien bis zum Mittelmeer. Die Wanderwege der Sinti und Roma. Berlin: Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung e.V., 1998 74 Widmann Peter An den Rändern der Städte. Sinti und Jenische in der deutschen Kommunalpolitik. Berlin: Metropol -Verlag, 2001 Winckel Änneke Antiziganismus. Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland. Münster: Unrast Verlag, 2002 Wippermann Wolfgang Wie die Zigeuner. Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich. Berlin: Espresso Verlag, 2001 Wurr Rüdiger, Träbing-Butzmann Sylvia Schattenkämpfe. Widerstände und Perspektiven der schulischen Emanzipation deutscher Sinti. Kiel: Agimos,1998 Wurr Zazie Newo Ziro – Neue Zeit? Wider die Tsiganomanie. Ein Sinti- und Roma - Kulturlesebuch. Kiel: Agimos, 2000