Handelszeitungbeilage Oktober 2015

Transcription

Handelszeitungbeilage Oktober 2015
| 29. Oktober 2015
Special
Marketing
Überflieger
GfM-Marketingpreis 2015 für Pilatus
Seite 8
Ulrich H. Moser
Der Präsident der Gesellschaft
für Marketing über die akuten
Chancen und Gefahren. Seite 4
Dominique Gisin
Die ehemalige Skirennfahrerin
über ein Karriere-Ende und ihre
Lust aufs Berufsleben. Seite 22
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Sieger auf jedem Terrain.
Mit dem Allradantrieb 4MATIC.
SPECIAL MARKETING
Nichtssagende
Sinnbetonung
M
IMPRESSUM
Der Special «Marketing»
im Magazin-Format ist
eine redaktionelle Beilage
der «Handelszeitung».
Gesamtverantwortung
Norman C. Bandi
Redaktionelle Mitarbeit
Thomas Ackermann, Peter Felser,
Alexander Hahn, Marc Lottenbach,
Marianne Rupp, Lukas Stuber,
Jürg Stuker, Donato Virgilio,
Benjamin von Walter, Susanne
Wagner, Benedikt Weibel,
Robert Wildi, Philipp Zutt
Chefredaktor Stefan Barmettler
Stv. Chefredaktor Marcel Speiser
Ressortleitung Norman C. Bandi
Stv. Ressortleitung
Roberto Stefano
Layout Roger Cavalli
Titelbild Pilatus Aircraft Ltd
Korrektorat Simone Abegg,
Urs Bochsler, Beat Koch
Adresse Redaktion
«Handelszeitung»
Förrlibuckstrasse 70
8021 Zürich
Telefon: 043 444 59 00
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Mail: redaktion@handelszeitung.ch
Website: www.handelszeitung.ch
Verlag Ralph Büchi (Leitung),
Maike Juchler (Stv. Leitung)
Anzeigenverkauf Renato Oliva
(Leitung), Adi Frei, Verena
Tschopp, Karin Urech, Eveline
Fenner (Kunst), Servais Y.F.
Micolot (Westschweiz), Brigitte
Lopez-y-Martin (Westschweiz)
Marketing Michael Ebnöther
(Leitung), Nicola Eberhard
(Product Manager)
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TITELBILD: PILATUS AIRCRAFT LTD
Druck
Ringier Print Adligenswil AG
Herausgeberin
Axel Springer Schweiz AG
Bekanntgabe von namhaften
Beteiligungen im Sinne von
Art. 322 StGB: Amiado Group AG
acht etwas Sinn, nur weil
uns aufoktroyiert wird,
dass etwas Sinn macht?
Kaum. Noch seltener in
der Werbung. Trotzdem
suggerieren uns dies zwei laufende Schweizer Kampagnen: «Das macht Sinn» von
Sunrise und «Wenn ein Kredit Sinn macht»
von Cembra. Sofern Produkte und/oder
Leistungen nicht direkt Qualität und/oder
Service unterstreichen, dann müssen es
eben Slogans und/oder Claims richten.
Im Fall von Sunrise kann dem Telekommunikationskonzern zugutegehalten werden,
dass er als erster Mobilfunkanbieter die
Mindestvertragslaufzeiten abgeschafft hat.
Diese sinnvollen Freedom-Handyabos
mögen zwar den Nerv der Zeit treffen, doch
die Angebote sprechen nicht für sich.
Obwohl Tennisstar Roger Federer als sympathisches Testimonial uns dies im aktuellen
TV-Spot glauben macht, weil er in seiner
Freizeit genau deswegen nicht über die
Angebote von Sunrise spricht – und beim
Zähneputzen lieber Pingpong spielt. Die
sinnstiftenden Kundenvorteile werden verschwiegen, um der nichtssagenden Markenbotschaft nicht die Show zu stehlen.
Im Fall von Cembra kann dem Kreditinstitut wenig zugutegehalten werden. Jeder,
der schon mal ein Bankdarlehen abgestottert hat, weiss, dass es kurzfristig zweckvoll
Norman C. Bandi
Ressortleiter
«Handelszeitung»
sein mag, aber langfristig unsinnig ist. Da
nützt es wenig, dass Christa Rigozzi als
omnipräsente Botschafterin für allerlei
Marken uns nett anlächelt – in einem Sujet
gar sich auf einem Sofa räkelnd. Die Ex-MissSchweiz wird dabei als nationales Aushängeschild solider helvetischer Tugenden
propagiert. Beim Geld ist das eher Sparen.
Immerhin kann die Sinnbetonung auch so
gedeutet werden: Wenn es unbedingt ein
Kredit sein muss, dann bitte von Cembra ...
Apropos Sinn machen: Wie steht es in diesem Kontext um den Gewinner des GfMMarketingpreises 2015? Die Pilatus Flugzeugwerke sind nicht gerade für ihre Werbekampagnen bekannt. Vielmehr lassen sie
Produkte und Leistungen für sich sprechen
oder setzen Qualität und Service dann in
Szene, wenn der Flugzeughersteller etwas
zu sagen hat. Den «Roll-out» des neuen
Businessjets PC-24 am 1. August 2014 in
Stans-Buochs verfolgten rund 30 000 Zuschauer. Das ist Marketing. Das ergibt Sinn.
INHALT
Ulrich H. Moser Der GfMPräsident ruft 2016 zum
Jahr von Marketing und
Innovation aus. 4
Pilatus Flugzeugwerke
Was alles für den Sieger
des GfM-Marketingpreises
2015 spricht. 8
Stefan Michel Der IMDProfessor erklärt, wie
gute Vermarktung heute
funktioniert. 14
Benedikt Weibel Für den
ehemaligen SBB-CEO ist
alles einfach – sein Rezept
heisst Simplicity. 16
FOTO-PORTFOLIO
Markenstudie Das sind
die 20 Powerbrands der
Schweiz – und wer nicht
mehr dabei ist. 17
Wintertourismus Eine
neue Studie zeigt auf,
wieso die Schweiz gegen
Österreich verliert. 19
Dominique Gisin Wie
eine Olympiasiegerin
ihre Karriere nach dem
Profisport sieht. 22
Peter Felser Der BrandExperte weiss, warum
alte und neue Marken eine
Mission brauchen. 26
Die Illustrationen auf den
Seiten 6, 10, 12, 18, 24 und
32 zeigen die stärksten
Marken der Schweiz nach
ausgewählten Branchen.
Als Quelle dient der neue
BrandAsset Valuator 2015,
die grösste repräsentative
Markenstudie im Land.
Sie wird alle zwei Jahre im
Auftrag der Y&R Group
Switzerland durchgeführt.
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
3
SPECIAL MARKETING
«Permanente
Veränderung
ist ein Muss»
Ulrich H. Moser Der Präsident der Schweizerischen
Gesellschaft für Marketing (GfM) über Trends wie
Transformation, Innovation und solides Handwerk.
INTERVIEW: NORMAN C. BANDI
Das Jahr 2015 stand bei der GfM unter
dem Motto «Marketing Transformation».
Welches sind Ihre Hauptlehren aus dem
intern verordneten Leitmotiv?
Ulrich H. Moser: Das Thema «Digital Revolution» und damit einhergehend «Digital
Marketing» ist immer mehr in aller Munde.
Der Fokus «Marketing Transformation»
geht aber weit darüber hinaus. HSG-Professor Marcus Schögel hat es an der diesjährigen GfM Marketing-Trend-Tagung wunderbar auf den Punkt gebracht:
r Kundenverständnis, Digitalisierung und
Innovationen verändern das Marketing und
seine Aufgaben nachhaltig.
r Überlegte Ansätze entstehen durch das
überlegte Verständnis der Kunden, ihrer bekannten und noch unbekannten Bedürfnissen und ihrer Prozesse. Technologien helfen, die richtigen Dinge richtig zu tun.
r Marketing Transformation geht jeden an
– insbesondere die Führungskraft.
Wie erfolgreich haben die mehr als 700
GfM-Mitgliedfirmen in den vergangenen
Monaten ihre marktorientierte Unternehmensführung transformiert?
Unsere Mitgliedfirmen haben den Prozess
mehrheitlich bereits vor längerer Zeit begonnen. Typisch schweizerisch gingen sie
dabei vorsichtig, seriös und zielstrebig vor.
Es wurden kleine, finanziell überschaubare
Versuchsprojekte gestartet. Aus den Erfahrungen wurden Lehren gezogen und die
Ansätze optimiert. Wir sind der Überzeugung, dass die meisten unserer Mitglieder
auf gutem Weg sind. Es ist auch die einzige
Chance. Wer sich nicht bewegt, der wird
bewegt, und zwar ins Out.
Inwiefern hat die überraschende
Aufhebung des Euro-Mindestkurses
am 15. Januar 2015 durch unsere
Nationalbank vorgesehene MarketingTransformationen verunmöglicht?
4
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
Die finanziellen Mittel müssen jetzt noch
haushälterischer eingesetzt werden. Und
noch etwas hat der Entscheid gezeigt: Sicher
ist heute nur, dass gar nichts mehr sicher ist.
Und nicht einmal das ist ganz sicher.
Oder sind Marketing-Transformationen
in den Konzernen und/oder KMU hierzulande infolge dessen erst zu einem akuten
Schwerpunktthema geworden?
Der Anreiz für eine Transformation ist mit
dem neuen Wechselkurs sogar gestiegen.
Schweizer Firmen müssen noch innovativer
und kreativer sein, um im internationalen
«Marketing und Innovation
sind die Schlüssel zum
Unternehmenserfolg. Alles
andere sind nur Kosten!»
Wettbewerb zu bestehen. Permanente Veränderung ist ein Muss. Die Sicherheit liege
in der Vielzahl der Variablen, so Churchill.
Wir müssen generell flexibler, agiler, beweglicher und wohl auch mutiger werden.
Das Jahr 2016 steht bei der GfM unter dem
Motto «Marketing & Innovation». Gehört
das heute nicht automatisch zusammen?
Schon der amerikanische Managementguru Peter Drucker brachte es auf den
Punkt: «Marketing und Innovation sind die
Schlüssel zum Unternehmenserfolg. Alles
andere sind nur Kosten!» Die Schweiz ist
sehr stark im Bereich der technischen Innovationen. Ja, da sind wir gar unter den Weltbesten zu finden. Wo wir Verbesserungspotenzial orten, ist bei der erfolgreichen
Vermarktung dieser Innovationen.
Was haben Innovationen als wesentlicher
Treiber für den zukünftigen Unternehmenserfolg in der Schweiz mit der GfM zu tun?
DER MARKTORIENTIERTE
Name: Ulrich H. Moser
Funktion: Präsident der
GfM (seit 2007); diverse
Verwaltungsratsmandate,
zum Beispiel Alfred Müller
AG, Biomed AG, Hug AG,
Rivella AG, Teo Jakob AG
Alter: 59
Wohnort: Zug
Ausbildung: Ökonom HWV (FH),
AMP Harvard Business School
Der Verband Die 1941 gegründete
Schweizerische Gesellschaft für
Marketing (GfM) ist die nationale
Plattform für marktorientierte Unternehmensführung. Nach eigenen
Angaben hat sie in den vergangenen 74 Jahren hierzulande deren
Entwicklung massgeblich beeinflusst. Der GfM gehören derzeit
mehr als 700 Firmen aller Branchen sowie öffentlich-rechtliche,
marktwirtschaftlich ausgerichtete
Institutionen als Mitglieder an. Der
Verband unterstützt mit seinen
vier Tätigkeitsfeldern Forschung,
Aus- und Weiterbildung, Veranstaltungen sowie Publikationen
das Marketing nachhaltig. Seine
Mission lautet offiziell: «Die GfM
fördert Marketing als Denkhaltung
der marktorientierten Unternehmensführung.» Als Vision will man
dafür die Referenz im Land sein.
Das Marketing muss die Innovationen – ob
Produkt- oder Dienstleistungsneuheiten
oder Geschäftsprozessverbesserungen – initialisieren, unterstützen und dafür sorgen,
dass die Innovationen am Markt erfolg- `
SPECIAL MARKETING
Differenzierung & Relevanz
HOCH
BrandAsset Valuator Die stärksten Retail-Marken der Schweiz – digital
2
4
76 5
10
8
11
TIEF
12
9
1
3
Vertrautheit & Wertschätzung
TIEF
Powergrid Brand
Ranking 2015 Ranking 2013 Verschiebung
1
Ticketcorner
182
308
+126
2
Ricardo
212
131
–81
3
Digitec
243
319
+76
4
Zalando
314
366
+52
5
Amazon
349
354
+5
6
LeShop
Ebay
Starticket
Books.ch
Coop@Home
Brack.ch
Galaxus
410
432
581
586
607
611
691
509
343
615
616
635
670
723
+99
–89
+34
+30
+28
+59
+32
7
8
9
10
11
12
LINK: WWW.BRAND-ASSET-VALUATOR.CH
6
HOCH
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
QUELLE: Y&R GROUP SWITZERLAND
SPECIAL MARKETING
` reich verkauft werden. Damit sind Innovationen für die Schweiz und die GfM von
zentraler Bedeutung.
Die wirtschaftlichen Perspektiven sprechen
nicht gerade für wachsende Innovationsund Marketingbudgets, weil die Kosten
unter Druck bleiben. Was stimmt Sie trotz
allem zuversichtlich?
Die Höhe der Budgets allein ist kein Garant
für mehr Innovationen. Schweizer Firmen,
vor allem KMU, haben immer wieder bewiesen, dass sie mit sehr begrenzten Mitteln
sehr interessante Innovationen hervorbringen können. Mit operativ wirksamem Marketing soll die Erfolgschance dieser Innovationen optimiert werden.
Digital Transformation, Big Data, Internet
of Things oder Collaborative Economy sind
sogenannte Buzzwords unserer Zeit. Welche
neuen globalen Trends orten Sie, die hierzulande wegweisend sein werden?
Alle die genannten Themen sind relevant.
Dabei soll aber nicht vergessen werden,
dass Marketing immer auch solides Hand-
«Firmen, die den Kunden und
dessen Bedürfnisse ins Zentrum
ihres Schaffens setzen, werden
langfristig erfolgreich sein.»
werk bleiben soll. Firmen, die den Kunden
und dessen Bedürfnisse ins Zentrum ihres
Schaffens setzen, werden langfristig erfolgreich sein.
Was bestimmt die Marketingagenda 2016
sonst noch?
Die Mega-Trends, das heisst die langfristig
relevanten Veränderungen wie Globalisierung, technologische Fortschritte, Nachhaltigkeit, demografische Veränderungen –
gerade in der Schweiz –, Sharing Economy
oder Mobility werden uns auch im nächsten
Jahr beschäftigen.
Und was hat die GfM für 2016 selbst Neues
auf Lager?
Die GfM wird im kommenden Jahr 75 Jahre
jung. Wir planen für unsere Mitglieder und
die marketinginteressierte Öffentlichkeit
einige Überraschungen. Dabei bleiben wir
unserem Zweck treu, das heisst, wir werden
auch weiterhin die marktorientierte Unternehmensführung in der Schweiz wo immer
möglich fördern.
NEWS
` GfM BRUSH UP 2016
` MARKETING-TREND-TAGUNG
«Postcards from the Future»
Innovation vermarkten
Referat Die beiden traditionellen
GfM Brush Up zum Jahresauftakt
finden diesmal mit Anne Lise Kjaer
(Bild) statt. Die 1962 in Dänemark
geborene Futuristin, Autorin sowie
Unternehmerin hilft Organisationen
dabei, nachhaltige und innovative
Zukunftsstrategien zu entwerfen.
Mit ihrer Trendforschungsagentur
Kjaer Global in London berät sie
Konzerne wie Ikea oder Sony. Ihre
Referate unter dem Titel «Postcards
from the Future» hält Kjaer jeweils
von 12 bis 13 Uhr – am 14. Januar
Konferenz Die 26. GfM Marketing-TrendTagung am 16. März 2016 von 9 bis 17 Uhr im
Hotel The Dolder Grand in Zürich dreht sich
um «Marketing & Innovation», so lautet auch
das neue Jahresmotto der Gesellschaft für
Marketing (GfM). Dabei sollen Schlüsselfaktoren für den Unternehmenserfolg ergründet und diskutiert werden. Auf der
Bühne machen dies beispielsweise: Daniela
Lager (Moderatorin SRF), Torsten Tomczak
(Universität St. Gallen), Christoph Brand
(Tamedia), Erich Joachimsthaler (Vivaldi
Partners), Rasoul Jalali (Uber), Monica Gli-
2016 an der Universität Bern, am 15.
Januar 2016 an der Hochschule für
Wirtschaft Zürich. Anmeldung unter
www.gfm.ch/de/veranstaltungen.
` FORSCHUNGSREIHE
Gesammelte Wissenswerke
Lektüre Erfahrungen aus Theorie
und Praxis vermittelt die GfM mit
ihrer Forschungsreihe. Sechsmal
jährlich erscheint in Zusammenarbeit mit einem oder mehreren
namhaften spezialisierten Partnern
eine wissensvermittelnde Broschüre
zur marktorientierten Unternehmensführung. Dieses Jahr standen
bereits folgende Themen auf der
Agenda: «Sharing Economy – Teile
und verdiene!» mit dem Prüfungs-
und Beratungsdienstleister Deloitte,
«4-Gewinnt!» mit der Universität
St. Gallen und dem Hörgerätehersteller Kind, «D-Time – Die Zeitwende
der Digitalisierung» mit dem Gottlieb
Duttweiler Institute (GDI), «Marketing Transformation» mit der Universität St. Gallen sowie «Trend Report
2015: Globalview» mit dem Zukunftsinstitut. Die gesammelten Werke gibt
es zur Gratislektüre unter www.gfm.
ch/de/forschung/forschungsreihe.
senti (Migros), Jean-Marie Dru (TBWA/
Worldwide), Caspar Coppetti (On), Jens
Wegmann (Comedy-Redner), Howard H. Yu
(Harvard Business School), Stefanie Turber
(ComfyLight) oder Philipp Riederle (Your
Young Guyde). Die Konferenzgebühr inklusive Getränke, Lunch und Apéro beträgt
690 Franken für GfM-Mitglieder und 890
Franken für Nichtmitglieder. Anmeldung
unter www.marketing-trend-tagung.ch.
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
7
SPECIAL MARKETING
Vom Propeller zum
Düsentriebwerk
GfM-Marketingpreis 2015 Die Gesellschaft für Marketing ehrt die
Pilatus Flugzeugwerke – nicht nur wegen ihres ersten Businessjets.
SUSANNE WAGNER
A
PILATUS AIRCRAFT LTD
m 11. Mai 2015 schrieb der
kleine Flugplatz Stans-Buochs
ein neues Kapitel der helvetischen Luftfahrtgeschichte. An
jenem Tag hob der Prototyp
des neuen Businessjets PC-24 der Pilatus
Flugzeugwerke das erste Mal ab und drehte
55 Minuten lang seine Runden über der
Zentralschweiz. Die Neuentwicklung der
Stanser ist das erste Düsenflugzeug aus
einheimischer Produktion.
Neun Monate zuvor, am 1. August 2014,
hatte Pilatus den Businessjet erstmals der
breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Mehr als
30 000 Flugzeuginteressierte waren zu diesem «Roll-out» gekommen, darunter Kunden, Mitarbeitende, Freunde und Fans des
Hauses. Dass die Wahl für das Datum auf
den Nationalfeiertag fiel, war kein Zufall.
Für Pilatus-Verwaltungsratspräsident Oscar
J. Schwenk war es ein Bekenntnis zum nationalen Werkplatz: «Wir wollten demonstrieren, dass wir in der Schweiz bauen.
Unser Markt ist die Welt. Aber wir produzieren in Stans und sind stolz darauf.»
Produktionshalle am Hauptsitz in Stans OW: Pilatus produziert von A bis Z in der Schweiz.
8
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
Jahre am grossen Wurf gearbeitet
Diese Präsentation des PC-24 unter Einbezug der Bevölkerung war letztlich mit ein
Grund dafür, dass die Jury der Schweizerischen Gesellschaft für Marketing (GfM) die
Pilatus Flugzeugwerke als Sieger des Marketingpreises 2015 auswählte. «Obwohl die
meisten Besucherinnen und Besucher dieses Anlasses sich niemals einen PC-24 werden leisten können, weiss Oscar J. Schwenk,
dass erfolgreiche Unternehmen nicht nur
Gewinnmaximierung betreiben sollen», erklärt Jurypräsident Stefan Michel, Marketingprofessor am IMD in Lausanne (siehe
Interview auf Seite 14). «Erfolgreiche Unternehmen kreieren Werte für Aktionäre, Mitarbeiter und die Gesellschaft als Ganzes.»
Stefan Michel ist überzeugt, dass das Business-to-Business-Marketing eine andere
Werbestrategie erfordert, als es bei normalen Konsumgütern der Fall ist.
Dazu gehört auch, Geduld zu haben, bis
die Zeit reif ist, die Öffentlichkeit über das
neue Produkt zu informieren. Obwohl
schon seit Jahren am grossen Wurf gear- `
SPECIAL MARKETING
HOCH
BrandAsset Valuator Die stärksten Retail-Marken der Schweiz – klassisch
1
Differenzierung & Relevanz
2
5
9
10
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3
4
7 6
TIEF
11
Vertrautheit & Wertschätzung
TIEF
Powergrid Brand
1
Migros
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Ranking 2015 Ranking 2013 Verschiebung
2
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–1
Coop
20
50
+30
3
Landi
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+44
4
Manor
75
248
+173
5
Denner
108
97
–11
6
Volg
Globus
Aldi
Jelmoli
Lidl
Spar
217
238
303
347
408
523
297
260
243
433
385
511
+80
+22
–60
+86
–23
–12
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9
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11
LINK: WWW.BRAND-ASSET-VALUATOR.CH
10
HOCH
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
QUELLE: Y&R GROUP SWITZERLAND
SPECIAL MARKETING
rund 500 Millionen Franken investieren.
Hunderte von Ingenieuren steckten unzählige Arbeitsstunden in die Entwicklung und
die zahlreichen Tests bis hin zu Zertifizierungen nach internationalen Standards.
Am Werkplatz Stans findet von A bis Z die
ganze Produktion statt: Vom bis auf 1 Tausendstelmillimeter genauen maschinellen
Ausfräsen der einzelnen Aluminiumteile bis
zum Ausbau, zur Ausrüstung und zur Endmontage des einzelnen Flugzeugs. Jedes
Jahr verlassen etwa 100 bis 120 Maschinen
die Produktionshallen in Stans, das sind
zirka zwei Stück pro Woche.
Das Konzept des neuen PC-24 orientiert
sich gemäss Schwenk stark an den Bedürfnissen der Kunden. «Der Markt gab die
PILATUS AIRCRAFT LTD
` beitet wurde, gelang es Pilatus, das Projekt lange Zeit geheim zu halten. «Erst als
wir von unserer Idee vollumfänglich überzeugt waren, informierten wir die Öffentlichkeit vor zwei Jahren über den PC-24»,
sagt Schwenk. Bis anhin produzierte das
Stanser Unternehmen ausschliesslich Propellerflugzeuge – mit 1400 produzierten
Maschinen ist der PC-12 das meistverkaufte
einmotorige Turboprop-Flugzeug der Welt.
Mit dem zweistrahligen PC-24 hat Pilatus
erstmals einen Düsenflieger für Geschäftsleute im Angebot. Idee und Umsetzung des
helvetischen Businessjets gelten in Aviatikkreisen als ambitioniertes Projekt und vor
allem als eine teure Investition. Der Schweizer Flugzeugbauer wird in seine Innovation
PC-24: Der erste Schweizer Businessjet bei seinem Erstflug am 11. Mai 2015 in Stans-Buochs.
Anforderung vor», so der Verwaltungsratspräsident. Im Fall des PC-24 war es das Ziel,
mit 45 000 Fuss sehr hoch und mit 780 Stundenkilometern sehr schnell zu fliegen.
Gleichzeitig sollte das Flugzeug auch auf
einer unbefestigten Unterlage, etwa auf
Naturpisten mit Sand, Gras oder Schotter,
landen können, was ein normaler Geschäftsflieger laut ihm nicht vermag. «Ein Jet, der
sehr hoch fliegt, braucht ein schlankes
Flügelprofil wie eine Seemöwe, nicht wie ein
Huhn. Um langsam und auf kurzer Piste zu
landen und zu starten, ist ein ganz anderes
Flügelprofil notwendig. Dies war der Kompromiss, den wir suchen mussten.»
Der Patron fliegt nicht mehr selbst
Seine Flugzeugleidenschaft wurde schon
vor Jahrzehnten geweckt, als er als junger
Ingenieur bei den Eidgenössischen Flugzeugwerken in Emmen (der heutigen Ruag)
im Bereich Aerodynamik arbeitete und Tag
für Tag im Windkanal stand. Obwohl Patron
Oscar J. Schwenk nach wie vor von der Aviatik begeistert ist, fliegt er nicht mehr selbst,
wie er betont. «Dafür haben wir hochqualifizierte Piloten. Meine Aufgabe ist es, die Firma zu führen.» In seiner aktuellen Funktion
als Verwaltungsratspräsident der Pilatus
Flugzeugwerke ist er für die Strategie des
Unternehmens, das Marketing und das
PC-24-Projekt verantwortlich. Das operative Geschäft hat 2013 Markus Bucher als
CEO übernommen.
Die Freude über den Erfolg mit dem
PC-24 lässt sich Schwenk auch dadurch
nicht trüben, dass die Pilatus Flugzeugwerke
in der Vergangenheit immer mal wieder in
der Kritik standen, etwa von Armeegegnern.
«Wir glauben an Pilatus und unsere Pro- `
«Wir haben die besten Produkte in der Nische»
Gratulation zum Marketingpreis 2015 der
Gesellschaft für Marketing: Was ist aus
Ihrer Sicht der Grund für diesen Erfolg?
Oscar J. Schwenk: Wir haben die besten
Produkte in der Nische und sind dort die
Nummer eins und wollen es bleiben.
Flugzeuge verkauft man nicht so einfach
wie Fernseher. Vor Vertragsabschlüssen
können lange Verhandlungen stehen, und
auch der Verkaufspreis ist sehr hoch.
Wie wichtig ist unter diesen Bedingungen
gutes Marketing beziehungsweise eine
marktorientierte Unternehmensführung?
Alle unsere unternehmerischen Tätigkeiten basieren auf dem Erkennen und der
Befriedigung von Kundenbedürfnissen –
im Einklang mit dem langfristigen Erreichen unserer nachhaltigen Rentabilitätsziele. Wir verkaufen nicht nur ein Flugzeug, sondern damit verbunden auch
einen vollumfänglichen Service. Dazu
gehört beispielsweise eine schnelle und
Oscar J.
Schwenk
Verwaltungsratspräsident, Pilatus
Flugzeugwerke,
Stans NW
weltweite Ersatzteilverfügbarkeit, welche
die «Aircraft on Ground»-Zeit minimiert.
Wenn es sein muss, senden wir unsere
eigenen Techniker vor Ort und bieten
persönlich Unterstützung.
Gibt es in Ihrer Firma eine Marketingphilosophie?
Pilatus betreibt ein marktorientiertes
Marketing. Im Falle des neuen PC-24
haben wir mit unseren bestehenden
PC-12-Kunden gesprochen und sie gefragt, wie sie sich ein künftiges Flugzeug
von Pilatus vorstellen und was dieses
genau können soll. Auf diesen Erkenntnissen haben wir den PC-24 entwickelt.
Dabei kommt die Innovation zum Zug.
Was machen die Pilatus Flugzeugwerke
im Marketing anders als die anderen –
auch im Vergleich mit nationalen und
internationalen Mitbewerbern?
Pilatus verfolgt seit Jahren eine konsequent auf die Bedürfnisse des Kunden
fokussierte Nischenpolitik. Die Nähe
zum Kunden und das Erfüllen seiner
Wünsche sind unser tägliches Credo.
Über die absolute Kundenfokussierung
und unsere «Swiss made»-Nischenprodukte haben wir die Marke Pilatus gut
sichtbar am Markt positioniert und sind
weltweit erfolgreich.
INTERVIEW: SUSANNE WAGNER
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
11
SPECIAL MARKETING
Differenzierung & Relevanz
HOCH
BrandAsset Valuator Die stärksten Uhren/Schmuck-Marken der Schweiz
1
3
4
TIEF
5
7 6
8
10 9
11
15
12
1714 13
18
19
16
20
2
Vertrautheit & Wertschätzung
TIEF
Powergrid Brand
1
Swatch
2
Ranking 2015 Ranking 2013 Verschiebung
31
19
–12
Tissot
193
227
+34
3
Rolex
228
286
+58
4
Swarovski
249
201
–48
5
Omega
358
230
–128
6
Longines
Cartier
Certina
Rado
Breitling
Tag Heuer
IWC
Audemars Piguet
Patek Philippe
Casio
Jaeger LeCoultre
Piaget
Hublot
Chopard
Carl F. Bucherer
384
395
419
442
443
497
530
550
580
624
637
641
653
710
717
481
447
482
281
339
549
484
540
530
584
491
552
596
575
581
+97
+52
+63
–161
–104
+52
–46
–10
–50
–40
–146
–89
–57
–135
–136
7
8
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13
14
15
16
17
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19
20
LINK: WWW.BRAND-ASSET-VALUATOR.CH
12
HOCH
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
QUELLE: Y&R GROUP SWITZERLAND
SPECIAL MARKETING
` dukte und setzen uns leidenschaftlich
dafür ein. Wir sind stets bemüht, mit der
Zeit zu gehen und neuste Trends zu erkennen. Wo sinnvoll, setzen wir diese auch ein.
Und wir sind und bleiben ein seriöses Unternehmen, das sich stets an die gesetzlichen Rahmenbedingungen hält. Dafür
stehen wir mit unserem Namen», ergänzt
Oscar J. Schwenk.
FOTOS: PILATUS AIRCRAFT LTD
Produktion vor Beginn ausgebucht
Gegenwärtig baut Pilatus drei verschiedene Prototypen des PC-24, die in den kommenden zwei Jahren ihr 2000-stündiges
Testflugprogramm auf der ganzen Welt
absolvieren werden. Rund 1000 Parameter
werden dabei getestet. Das Interesse am
neuen Flugzeug ist nicht nur sehr gross,
sondern es wurde 2014 anlässlich der
European Business Aviation Exhibition in
Genf bereits 84 Mal verkauft – ohne dass das
Produkt überhaupt physisch existierte. Ab PC-6: Der legendäre «Pilatus Porter» ist dafür ausgelegt, fast überall operieren zu können.
2017 werden die ersten PC-24 an die Kunden geliefert. Bis dahin ist die Produktion
des neuen Businessjets bereits ausgebucht.
Dieser erste Verkaufserfolg ist für
Doch wie ist es möglich, dass die Leute Schwenk wiederum auf die grosse Nähe
die millionenteure Katze im Sack kaufen? zum Kunden zurückzuführen. Er bezeichOscar J. Schwenk antwortet: «Der PC-24 ist net die Fokussierung auf die Kunden als
der weltweit erste ‹Super Verwichtigsten Marketinggrundsatile Jet› und wir kreierten resatz des Unternehmens. «Seit
spektive besetzen mit ihm eine Der PC-24 ist der
Jahren trimmen wir unsere
Marktnische. Das Flugzeug
Mitarbeitenden auf den Kunweltweit erste
verfügt über die grösste Kabine
denfokus. Unsere Stärke ist,
seiner Klasse, ist als einziger
dass die Kunden unsere Mit«Super Versatile
Businessjet mit einem Frachtarbeitenden kennen und wir
Jet», der einen
tor ausgestattet und kann auf
sie verstehen», sagt der Pat- PC-12: Mit 1400 Stück das meistverkaufte
Markt besetzt.
sehr kurzen, ja sogar Naturron. Dafür spreche darüber einmotorige Turboprop-Flugzeug der Welt.
pisten starten und landen. Für
hinaus, dass Pilatus vor kurdie Kunden heisst das: Schnelzem in den USA den «Custoler am Ziel, mehr Platz, mehr Landeplätze mer Service Award» des amerikanischen ausgibt, muss erst erarbeitet werden. Über
und Flexibilität. Mit dem PC-24 hat man Fliegermagazins «Professional Pilot» ge- die Jahre haben die Pilatus-Mechaniker
Zugang zu mindestens 21 000 Flugplätzen wonnen habe – zum 14. Mal hintereinander. zu vielen Kunden eine persönliche gegenweltweit – fast 100 Prozent mehr als im VerDas Vertrauen eines Kunden, der 10 Mil- seitige Beziehung aufgebaut. Diese Strategie
gleich zum nächsten Konkurrenzflugzeug.» lionen Franken und mehr für ein Flugzeug scheint aufzugehen.
PILATUS
Der einzige Schweizer Flugzeughersteller
Tradition Die 1939 gegründete Pilatus
Flugzeugwerke AG mit Sitz in Stans OW
ist mit fast 2000 Mitarbeitenden einer
der grössten Arbeitgeber in der Zentralschweiz und der wichtigste Flugzeughersteller der Schweiz. Das Unternehmen
bildet über 100 Lernende in elf verschiedenen Berufen aus – die Förderung von
jungen Berufsleuten hat bei Pilatus nach
eigenen Angaben einen hohen Stellenwert. Die Firma hat zwei selbstständige
Tochtergesellschaften in Broomfield
(USA) und Adelaide (Australien), eine
Joint-Venture-Gesellschaft in China und
arbeitet weltweit mit rund 50 Verkaufsund Servicezentren zusammen.
Position Pilatus ist heute die weltweit
führende Herstellerin von einmotorigen
Turboprop-Flugzeugen (PC-12) und
produziert Maschinen in den Bereichen
Geschäftsfliegerei sowie militärische
Trainingsflugzeuge. Als einziges schweizerisches Unternehmen entwickelt es
solche Maschinen selbst und verkauft
sie auf allen Kontinenten.
Vorjahr Der Umsatz der Pilatus Flugzeugwerke AG stieg 2014 um 16 Prozent auf
1,174 Milliarden Franken. Damit war das
vergangene Jahr das bisher erfolgreichste in der 75-jährigen Firmengeschichte.
Zukunft Die Serienproduktion für den
neu entwickelten Businessjet PC-24 soll
2016 anlaufen. Bereits 2017 sind erste
Auslieferungen des ersten Düsenflugzeugs aus Schweizer Produktion geplant.
Ohne Kunden keine Berechtigung
In den USA und in Australien beschäftigt
Pilatus eigene Unterhaltsabteilungen. Und
falls irgendwo in Europa ein Problem auftauchen sollte, ist Pilatus in der Lage, von
Stans aus einen Ingenieur als Troubleshooter aufzubieten. «Zuerst kommt der
Kunde. Ohne Kunden hat Pilatus keine Berechtigung», erklärt Schwenk. Sein Unternehmen sei kein öffentliches Institut, das
Forschungsgelder oder Subventionen erhalte. Es müsse jeden Franken selber hart
verdienen.
Und wie zentral ist dabei der Faktor
Swissness? «Natürlich spielt Schweizer
Qualität eine Rolle, aber auch andere Flugzeughersteller produzieren qualitativ hochwertige Maschinen.» Das sei Usanz und
werde von einem Flugzeugkäufer erwartet,
meint Oscar J. Schwenk. «Wir sind ein unabhängiges Schweizer Unternehmen, wir sind
klein, flexibel, entscheiden schneller. Das
merken die Kunden – und deshalb vertrauen
sie uns.»
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
13
SPECIAL MARKETING
«Kern jeder
Strategie ist
der gleiche»
Stefan Michel Der Jurypräsident des GfM-Marketingpreises
über die Auszeichnung im Allgemeinen, den neuen Gewinner
im Speziellen und marktorientierte Unternehmensführung.
INTERVIEW: SUSANNE WAGNER
Sie haben auf dieses Jahr als Jurypräsident
des GfM-Marketingpreises den langjährigen
Vorgänger Manfred Bruhn abgelöst. Er
war Marketingprofessor an der öffentlichrechtlichen Universität Basel und Sie
sind Marketingprofessor an der privaten
Kaderschmiede IMD in Lausanne. Wird
nun alles anders?
Stefan Michel: Sicher nicht. Der Präsident
des Stiftungsrates steht ja nicht im Mittelpunkt, sondern die GfM. Wir wollen Unternehmen auszeichnen, die marktorientiert
erfolgreich arbeiten. Für den Auswahlprozess ist der gesamte Stiftungsrat zuständig.
Wir hatten gute Diskussionen und einigten
uns auf einen würdigen Preisträger.
Also keine Revolution. Sind Sie ein
Bewahrer?
Natürlich wollen wir die GfM weiterentwickeln. Die Anforderungen ans Marketing
ändern ständig und die GfM will der Marketingpraxis in diesem Prozess helfen, zum
Beispiel mit ihrer Forschungsreihe. Eine
Revolution im Marketingpreis ist aber nicht
notwendig, weil wir von den Kriterien überzeugt sind.
Seit 1984 respektive 31 Jahren würdigt die
GfM mit dem «Jahrespreis der Stiftung für
Marketing in der Unternehmensführung»
Persönlichkeiten und Organisationen,
die sich durch herausragende Marketingleistungen ausgezeichnet haben. Was ist
in die Moderne übersetzt darunter zu
verstehen?
Im Gegensatz zu anderen Preisen zeichnen
wir nicht Kampagnen aus, sondern suchen
Vorbilder für eine langfristige marktorientierte Unternehmensführung. Selbstverständlich haben sich die Parameter des
Marketings stark verändert, aber der Kern
jeder Strategie bleibt der gleiche: Sie müs-
14
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
sen erstens verstehen, was im Markt passiert. Zweitens müssen Sie entscheiden, in
welchen Segmenten Sie mit welchen Angeboten erfolgreich sein können. Und drittens
müssen Sie dafür sorgen, dass die Organisation diese Strategie umsetzen kann und will.
Solche Awards gibt es hierzulande quasi wie
Sand am Meer. Was sind die Alleinstellungsmerkmale des GfM-Marketingpreises?
Von den 30 Preisträgern seit 1984 ist erst
eine Marke verschwunden. Das ist ein deutliches Zeichen für unsere Absicht, Unternehmen mit nachhaltigen Strategien auszuzeichnen. Der Stellenwert des Marketings
leidet global darunter, dass viele Geschäftsführer und Verwaltungsräte Marketing mit
kurzfristigen Abverkaufsaktionen und farbigen Broschüren verwechseln. Dabei achten
wir auf die Dimension der Innovation und
wollen Preisträger mit einem starken Bezug
zur Schweiz auszeichnen.
«Wir achten auf die Dimension
der Innovation und wollen
Preisträger mit starkem Bezug
zur Schweiz auszeichnen.»
Die GfM zeichnet also nationale Vorbilder
aus. Wie passt der diesjährige Preisträger
Pilatus Flugzeugwerke in dieses Big Picture?
Die Firma Pilatus hat mit dem PC-24 einen
eigenen Businessjet entwickelt und erfolgreich auf den Markt gebracht. Dabei hat sie
auf ihren Kernkompetenzen aufgebaut und
das Kundenwissen in jedem Schritt des
Prozesses integriert. Die Lancierung verläuft äusserst erfolgreich – und der Frankenschock vom 15. Januar 2015 trübt die
Erfolgsaussicht kaum. Die Pilatus Flugzeugwerke sind ein Vorbild für Schweizer Unter-
DER MARKETINGEXPERTE
Name: Stefan Michel
Funktion: Direktor Executive MBA
und Marketingprofessor am IMD;
Jurypräsident GfM-Marketingpreis
Alter: 48
Wohnort: Hünenberg ZG
Ausbildung: Dr. oec. publ.,
Universität Zürich
Die Schule Das IMD ist eine privat
geführte Wirtschaftshochschule in
Lausanne, die 1990 aus der Fusion
zweier Kaderschmieden hervorgegangen ist. Die Vorgänger waren
von Konzernen primär für die Ausund Weiterbildung des eigenen
Führungskräftenachwuchses ins
Leben gerufene Bildungsstätten –
die 1946 von Alcan gegründete IMI
in Genf und die 1957 von Nestlé
gegründete IMEDE in Lausanne.
nehmen, die sich in einem globalen Markt
und einer überbewerteten Währung bewähren müssen – und die sich um die Arbeitsplätze in der Schweiz sorgen.
Pilatus gehört nicht gerade zu den grossen
Werbern?
Im klassischen Business-to-Business-Marketing hat Werbung einen ganz anderen
Stellenwert als im Marketing für Konsumgüter. Was uns jedoch besonders gut gefallen hat, ist der Einbezug der gesamten
Bevölkerung bei der Präsentation des Jets
am 1. August 2014.
Ist die Bekanntheit von Pilatus mit Patron
Oscar J. Schwenk nicht zu stark an eine
Persönlichkeit gekoppelt?
Viele erfolgreiche Firmen werden auf eine
Person reduziert. Ich glaube nicht, dass
Oscar J. Schwenk den Erfolg alleine seiner
Arbeit zuschreibt, auch wenn er Grossartiges geleistet hat. Einen Jet zu entwickeln
und im globalen Markt einzuführen, ist immer das Resultat eines Teams.
SPECIAL MARKETING
SIMPLICITY
Einfachheit ist
nicht einfach
O
hne die Reduktion der Informationsflut auf ihre wesentlichen Elemente könnten wir
nicht einmal eine Strasse
überqueren. Reduktion
bestimmt unsere Wahrnehmung und unser
Handeln. Dafür steht Simplicity. «Suche
den Kern des Problems. Konzentriere dich
darauf. Schneide alles andere mit dem
Rasiermesser ab.» Wilhelm von Ockham,
ein englischer Theologe und Philosoph, hat
diese glasklare Handlungsanweisung vor
700 Jahren formuliert. «Ockhams Razor»
ist im angelsächsischen Sprachbereich ein
stehender Begriff geblieben.
Wie aber wird der Kern des Problems gefunden? Es brauche dazu «le Coup d’œil»,
meinte ein halbes Jahrtausend später Carl
von Clausewitz, der preussische Begründer
der Lehre von der Strategie. Das sei die
Kunst, aus einer unübersehbaren Menge
von Informationen die für einen Entscheid
relevanten Elemente zu erkennen. Daniel
Goleman, der amerikanische Protagonist
der Emotionalen Intelligenz, umschreibt es
so: «Just one cognitive ability distinguished
star performers from average: pattern
recognition, the big-picture thinking.»
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
sind zwei Ökonomen unabhängig voneinander und von zwei verschiedenen Seiten
her auf das gleiche Phänomen gestossen.
Der Preusse Hermann Heinrich Gossen
entwickelte die Lehre vom abnehmenden
Grenznutzen. Der Italiener Vilfredo Pareto
entdeckte die asymmetrische Verteilung
vieler Variablen sowohl in der Natur als
auch im sozialen Bereich. Beide Phänomene lassen sich in einer gekrümmten
Summenkurve darstellen. Ihre Interpretation besagt, dass sich mit 20 Prozent Input
80 Prozent des Outputs erzielen lassen. Die
Angelsachsen habe für diese 80/20-Regel
den bildhaften Ausdruck «the low hanging
fruit effect» geprägt.
Der amerikanische Psychologe Gary Klein
hat im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums Entscheidungen in Extremsituatio-
16
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
Benedikt Weibel
Honorarprofessor
für Praktisches
Management,
Universität Bern
nen untersucht. Er hat Feuerwehrkommandanten im Einsatz beobachtet und ihre
Entscheide anhand von Interviews analysiert. Aufgrund des Zeitdrucks wurden viele
Entscheide intuitiv getroffen. Dabei werden
konkrete Situationen mit Mustern verglichen, die aufgrund von Erfahrungen im
Gedächtnis gespeichert sind. Intuition
kommt also keineswegs einfach aus dem
Bauch. Bei seinen Analysen ist Gary Klein
«Je mehr Einzelheiten
einbezogen werden, umso
weniger ist zu erkennen,
was wirklich wichtig ist.»
zum Schluss gekommen, dass es für einen
Kommandanten entscheidend ist,
seine Absichten so knapp wie möglich zu
beschreiben. Je mehr Einzelheiten
einbezogen werden, um so weniger ist zu
erkennen, was wirklich wichtig ist.
Neu ist diese Erkenntnis nicht, wie der
berühmte Satz zeigt, der mehreren Geistesgrössen, darunter Goethe, zugeschrieben
wird: «Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen
einen langen Brief schreibe, für einen kurzen hatte ich keine Zeit.» Er bringt die Thematik auf den Punkt. Kurz, prägnant und
einfach ist wirkungsvoller als kompliziert.
Aber auch viel aufwendiger. Erst wenn
man die Komplexität begriffen hat, ist man
in der Lage, den Kern des Problems zu
erfassen und die Lösung zu definieren.
Einfachheit ist nicht einfach, sie muss hart
erarbeitet werden. Apple-Ikone Steve Jobs
hat mit seinem Credo «Simplicity is the
highest level of sophistication» den
Technologiekonzern zur wertvollsten
Unternehmung der Welt gemacht.
Tatsächlich haben die zuerst von Apple
entwickelten Tools zu einem Siegeszug der
Einfachheit geführt. Die gerade mal 45
Quadratzentimeter grosse Bildschirmfläche eines Smartphones hat die Softwareentwickler zu Höchstleistungen angespornt. Apps gibt es erst seit gut sieben
Jahren. Sie haben nicht nur die IT, sondern
auch das Marketing grundlegend verändert. Wenn heute das Wort von der
«Uberisierung der Welt» herumgeistert,
dann spricht man von Anwendungen, die
ebenso einfach wie effizient sind. Deshalb
hat der Konzernchef des grössten Haushaltgeräteherstellers der Welt die Weisung
herausgegeben, dass mehr als drei Bedienungsschritte – inklusive Abschalten –
nicht mehr toleriert werden.
Der österreichische Architekt Adolf Loos
war Ende des 19. Jahrhunderts mit seiner
Losung «Weg mit dem Ornament» der Impulsgeber für eines der einflussreichsten
künstlerischen Experimente, das Staatliche
Bauhaus in Weimar. Die klaren Proportionen der Bauhausarchitektur sind noch
heute stilbestimmend. Das beste Beispiel
für die Eliminierung alles Ornamentalen ist
das Logo von Google. Es wurde innert
sieben Jahren fünfmal angepasst und ist
heute radikal entschlackt.
«Weg mit dem Ornament» ist offenbar auch
das Credo von Mary Barra, seit 2014
CEO von GM. Die erste Frau, die eine der
grossen Automobilfirmen führt, hat – als
sie noch Personalchefin war – einen
zehnseitigen Dresscode durch zwei Worte
ersetzt: Angemessene Kleidung.
Benedikt Weibel war von 1993 bis 2006 CEO der SBB.
Heute ist er an der Universität Bern Honorarprofessor
für Praktisches Management, Präsident sowie Mitglied
verschiedener Gremien (unter anderem Rheinhäfen)
und Publizist. 2014 ist sein Buch «Simplicity – Die
Kunst, die Komplexität zu reduzieren» erschienen.
SPECIAL MARKETING
800 Brands im Stresstest
Markenstudie Ricola kehrt in den Club der Powerbrands zurück – neu gehören
dazu Caran d’Ache, Coop, Halbtax, Rotes Kreuz, Victorinox und Windows.
NORMAN C. BANDI
D
er BrandAsset Valuator ist seit
1995 die grösste repräsentative
Markenstudie des Landes. Sie
wird alle zwei Jahre von der
Kommunikationsagentur Y&R
Group Switzerland in Auftrag gegeben. Zum
Anlass des Jubiläums wurde der BrandAsset
Valuator komplett überarbeitet. Die wichtigste Änderung betraf die Umstellung von
einer Offline- zu einer Online-Befragung.
Hierfür wurde das Design neu aufgesetzt.
Erstmals beantworteten rund 5600 anstatt
wie bisher 1500 Personen zwischen 14 und
74 Jahren Fragen zur persönlichen Markenwahrnehmung. Die Erhebung wurde durch
das Forschungsinstitut Link in der Deutschschweiz und der Romandie durchgeführt.
Das vorliegende Ranking stützt sich auf
die Ergebnisse der Markenstärke, welche
sich aus den vier Faktoren Differenzierung,
Relevanz, Wertschätzung und Vertrautheit
zusammensetzt. Darüber hinaus geben
die Resultate Aufschluss über Image und
Nutzung der 800 untersuchten Brands im
Stresstest. Fazit: Google setzt sich zum ersten Mal an die Spitze der stärksten Marken
der Schweiz und verdrängt Migros auf den
2. Platz (siehe Tabelle). Aus den Top 20 der
sogenannten Powerbrands verabschieden
sich Coca-Cola, Cumulus, M-Budget, Ikea,
Office (Microsoft), Ragusa und Swatch.
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Die 20 stärksten Marken der Schweiz
BrandAsset Valuator
Ranking 2015
Ranking 2013
Google
1
3
+2
Migros
2
1
–1
Rega
3
4
+1
Lego
4
8
+4
Toblerone
5
2
–3
Rotes Kreuz (SRK)
Wikipedia
Victorinox
Die Post
Rivella
Le Gruyère
Caran d’Ache
Halbtax (SBB)
Windows (Microsoft)
Ricola
SBB
Ovomaltine
Zweifel
Lindt
Coop
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
26
10
22
18
5
7
23
28
29
30
16
12
15
13
50
+20
+3
+14
+9
–5
–4
+11
+15
+15
+15
=
–5
–3
–6
+30
LINK: WWW.BRAND-ASSET-VALUATOR.CH
Verschiebung
QUELLE: Y&R GROUP SWITZERLAND
SPECIAL MARKETING
Differenzierung & Relevanz
HOCH
BrandAsset Valuator Die stärksten Finanzdienstleister-Marken der Schweiz
2
3
5
6
8
4
7
10
9
11
TIEF
12
13
TIEF
Vertrautheit & Wertschätzung
Powergrid Brand
HOCH
Ranking 2015
Ranking 2013
Verschiebung
1
Raiffeisen
41
77
+36
2
Kantonalbanken
86
192
+106
3
PostFinance
98
148
+50
4
UBS
340
426
+86
5
Migros Bank
372
411
+39
6
Credit Suisse
ZKB
Bank Coop
Cembra
Valiant
Credit-Now
Cashgate
Bob Money
447
582
617
686
721
788
792
793
546
606
621
737
676
737
737
792
+99
+24
+4
+51
–45
–51
–55
–1
7
8
9
10
11
12
13
LINK: WWW.BRAND-ASSET-VALUATOR.CH
18
1
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
QUELLE: Y&R GROUP SWITZERLAND
SPECIAL MARKETING
Schweiz–Österreich 1:3
Wintertourismus Emotional schlägt der östliche Nachbar die Heimat der Skiferien
sogar bei den Schweizer Kunden, so eine Neuromarketingstudie von Zutt & Partner.
zuvorkommend
sympathisch
Winterferien
authentisch
charakterstark
speziell
0815
funktionierend
zuverlässig pünktlich
sauber
pompösstark
gastfreundlich
aussergewöhnlich
angenehm
convenient
QHX
zugänglich
HUIULVFKHQG
¸EHUUDVFKHQG
lebensfreudig
RȼHQ
Winterurlaub
mächtig
imposant
ZUTT & PARTNER
selbstbewusst
Fazit: Während sich die Schweiz nach wie vor mit Vorurteilen herumschlägt, baut Österreich bereits die nächsten Wettbewerbsvorteile aus.
PHILIPP ZUTT UND DONATO VIRGILIO
K
ritik an die Adresse des hiesigen Wintertourismus wird es
auch auf diese Saison hin
wieder hageln. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Jedes Jahr dasselbe Lied: «Im Konkurrenzvergleich stolze bis überrissene Preise
bei gleichzeitig unfreundlicher Bedienung.»
Doch läuft der österreichische Wintertourismus wirklich besser, nur weil die
Schweiz die genannten zwei Defizite hat?
Und wenn, sind diese Defizite herbeigeredet? Oder sind sie im Unterbewusstsein
der Gäste längst verankert und damit Imagewirksam? Und weshalb blüht dann beispielsweise die Schweizer Schokoladenindustrie trotz massiv höheren Preisen?
Kleiner Heimvorteil bei Schweizern
Diesen Problemstellungen wurde mit
dem Neuromarketing-Befragungssystem
EmoCompass auf den Zahn gefühlt. 200
Teilnehmer aus der Schweiz und aus
Deutschland bildeten mittels codierter Farben und Formen ihre Empfindungen zu den
Skisport-Hochburgen Schweiz und Österreich ab (mehr zur Methodologie im Kasten). So konnten einerseits bestätigende
alte Vorurteile, anderseits erstaunliche neue
Erkenntnisse aus dem Unterbewusstsein
der befragten Gäste geholt werden.
Zuerst betrachtet wurde das sogenannte
Emotionsvolumen: Es besagt, wie viel
Gemütsbewegung insgesamt – unabhängig
von der Art der Empfindungen – die
Schweiz beziehungsweise Österreich als
Winterdestinationen auslöst. Bei den
Schweizern löst das Tourismusangebot im
eigenen Land emotional wenig mehr aus
als dasjenige im östlichen Nachbarland.
Die hiesige Branche profitiert damit (noch)
von einem geringen Heimvorteil von etwa
10 Prozent. Anders sieht die Perspektive
der Deutschen aus. Da gewinnt Winterurlaub in Österreich klar mit knapp 30 Pro-
zent Emotionsvorsprung gegenüber Winterferien in der Schweiz (siehe Grafik 1 auf
Seite 20).
Grundsätzlich gilt: Je mehr Emotionen
beim Konsumenten ausgelöst werden,
desto tiefer ist seine Preissensibilität.
Schweizer Schokolade, bei der erfolgreich
hohe Preise durchgesetzt werden können,
löst zum Beispiel im In- und Ausland ein
Emotionsvolumen von bis zu 50 Indexpunkten aus. Im Vergleich: Der Schweizer
Wintertourismus liegt aus Sicht der Schweizer bei 31, aus Sicht der Deutschen sogar
nur bei 21. Um mehr über die Preisemp- `
METHODOLOGIE
Qualitative EmoCompass-Befragung
Studie Die Resultate basieren auf einer
qualitativen EmoCompass-Befragung,
durchgeführt von der Unternehmensberatung Zutt & Partner in Wolfhausen im
Zürcher Oberland. Analysiert wurden die
ermittelten Gemütsbewegungen von 200
Teilnehmenden aus der Schweiz und aus
Deutschland. Die Befragung erfolgte in
online geführten Einzelinterviews – komplett nonverbal über neuropsychologisch
codierte Muster. Die Arbeit mit abstrakten Farben und Formen ermöglicht das
Erschliessen der Emotionen auf tiefem
individuellem Assoziationslevel und fast
unter Ausschluss von Kognition (rationalem Denken) und von reinen Likes und
Dislikes. Es werden für die Methodologie
die Erkenntnisse aus der Neurologie wie
Synästhesie, patchworkartiges Arbeiten
des Hirns sowie Fuzzy Logic genutzt.
Links Mehr Hintergrundinformationen zur
Methodologie gibt es unter www.zutt.ch.
Zur kompletten Studie mit einem Experteninterview und einer Kolumne geht
es via www.globalemotionsforum.com.
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
19
SPECIAL MARKETING
Schweizer Defizite treffen im Wintertourismus auf österreichisches Können
Grafik 1: Emotionsvolumen in Indexpunkten
31
28
Bei Schweizer
Gästen
Winterferien
Schweiz*
Winterurlaub
Österreich
21
27
Bei deutschen
Gästen
*SCHWEIZ MIT HEIMVORTEIL VON 10 PROZENT BEI SCHWEIZER GÄSTEN
` findungen zu erfahren, gilt es, die Gesamtemotion in einzelne Empfindungsbereiche zu zerlegen und diese genauer zu
betrachten.
Die Schweizer Winterdestinationen wissen sich leider tatsächlich in der Wahrnehmung des Preises zu profilieren – als «stark/
selbstbewusst», entsprechend hoch ist dieser im Unterbewusstsein der Gäste verankert. Auf der anderen Seite bestätigt sich das
vielzitierte Defizit im Auslösen von Empfindungen wie «gastfreundlich/zuvorkommend». Wohlgemerkt: Mit dem Neuromarketing-befragungssystem EmoCompass
können die Befragten ihre Antworten (etwa
aufgrund gängiger Meinungen) nicht ra-
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Grafik 2: Freundlichkeits-Preis-Verhältnis
gastfreundlich,
53
3,1
zuvorkommend,
45
sympathisch,
angenehm
27
pompös, stark,
17
0,6
selbstbewusst,
mächtig,
imposant
Winterferien
Winterurlaub
Freundlichkeits- Österreich
Schweiz
Preis-Verhältnis
(1=ausgeglichen)
Grafik 3: Emotionale Wettbewerbsvorteile
Österreich gegenüber Schweiz klar im Plus
+28,3
tional übersteuern, sie äussern sich lediglich über codierte Farben und Formen,
deren Bedeutung sie nicht kennen.
Dieser Freundlichkeits-Preis-Trade-off
wird zur wahren Killer-Kombination, wenn
man dieselben Empfindungsbereiche für
Winterurlaub in Österreich betrachtet. Hier
zeigt sich das Bild nämlich mit genau umgekehrten Vorzeichen. Die Empfindungen
«gastfreundlich/zuvorkommend» steigen
gegenüber der Schweiz aufs Doppelte
an, diejenigen für «starke/selbstbewusste»
Preise sinken auf unter die Hälfte im Vergleich mit der Schweiz. Dieses emotionale
Bild zeigen Schweizer als auch deutsche
Gäste. Wissend, dass Konsumenten bereit
sind, für Gastfreundlichkeit einen höheren
Preis zu bezahlen, lässt sich ein Freundlichkeits-Preis-Verhältnis für beide Länder
errechnen: Bei Winterferien in der Schweiz
beträgt dieses 0,6, beim Winterurlaub in
Österreich 3,1. Alles ab 1 ist emotional
ausgeglichen und damit als Minimum
anzustreben (siehe Grafik 2 auf Seite 20).
+4,5
Bei Schweizer
Gästen
Bei deutschen
Gästen
QUELLE: EMOCOMPASS-NEUROMARKETING-BEFRAGUNG, ZUTT & PARTNER
Österreichs zusätzliche Pluspunkte
Nimmt man die Angebotskette mit den
einzelnen Leistungsträgern genauer unter
die Lupe, fällt auf: Während in den Skigebieten das Lösen des Freundlichkeits-PreisDilemmas die Schweiz wieder aufs selbe
Niveau wie Österreich bringen würde, reicht
SPECIAL MARKETING
dieser Schritt bei den Hotels und (Berg-)Restaurants alleine nicht. Die österreichischen
Hoteliers und Gastronomen haben es inzwischen geschafft, weitere attraktive Empfindungsbereiche im Unterbewusstsein der
Gäste stärker zu besetzen als ihre Schweizer
Kollegen. Die Studie zeigt klar höhere Werte
für «lebensfreudig/überraschend» sowie
«charakterstark/aussergewöhnlich» für die
Anbieter unseres östlichen Nachbarlandes.
Nebst Freundlichkeits- und Preisvorteilen
punktet Österreich also auch mit Überraschung und Charakter.
Das (Zurück-)Gewinnen deutscher Gäste
wird landläufig und auch von Brancheninsidern als harter Kampf beschrieben. Die
Erhebung belegt, dass der erstarkte Franken
dabei nur eine von mehreren Wettbewerbshürden darstellt. Die genannten
neuen emotionalen Wettbewerbsvorteile
der österreichischen Konkurrenz wirken
nämlich bislang bei den Deutschen stärker
als bei Inlandgästen. Während österreichische (Berg-)Restaurants und Hotels bei den
Schweizern nur mit 4,5 Indexpunkten im
Emotionsvorteil liegen, sind es bei den
Deutschen bereits 28 Indexpunkte. Das
heisst, bei der deutschen Kundschaft ist der
aufgebaute Wettbewerbsvorteil Österreichs
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deutlicher – und es dürfte aus Sicht des
Schweizer Wintertourismus spürbar länger
dauern, diesen wettzumachen (siehe Grafik
3 auf Seite 20).
Zentrale Erkenntnisse im Überblick
Es ergeben sich für den Schweizer Wintertourismus damit folgende vier Ebenen
mit akutem Veränderungsbedarf:
đ Preis: An ihm zu schrauben, ist offensichtlich schwierig – seit dem SNB-Entscheid am
15. Januar 2015 ist es für die Tourismusanbieter zudem nicht einfacher geworden.
Hier braucht es sehr innovative, vielleicht
sogar disruptive Lösungen wie Restaurantoder Personal-Sharing von Hotels.
đ Gastfreundlichkeit: Eine längst bekannte
Hausaufgabe. Wie viel unfreundlicher die
Schweiz objektiv wirklich ist, lässt sich
sicherlich diskutieren. Tatsache ist, dass der
Schweizer Service unbewusst als deutlich
unfreundlicher wahrgenommen wird als
der österreichische. Dieser Erkenntnis gilt
es Beachtung zu schenken, und die notwendige Imagekorrektur gilt es anzupacken. Am
besten wohl wiederum mit Massnahmen,
die über das Unbewusste wirken.
đ Schweizer Kundschaft hat Priorität: Diese
gilt es zuerst wieder mit vollem Herz zu-
rückzugewinnen. Denn erstens profitiert
die Branche (noch) von einem kleinen emotionalen Heimvorteil. Zweitens fällt bei uns
Schweizern die Freundlichkeits-Preis-Problematik aufgrund der eigenen Währung
weniger ins Gewicht oder zumindest weniger auf. Und drittens haben wir uns von den
neuen Vorteilen Österreichs (Überraschung
und Charakterstärke) bislang noch weniger
einnehmen lassen als die deutschen Gäste.
đ Überraschung und Charakter: Hoteliers
und Gastronomen tun gut daran, sich zu
überlegen, wie sie ihr Kundenerlebnis auffrischen und exklusiver im Sinne von
«aussergewöhnlich» machen können. Konsequent und für jeden Touchpoint in der
Erlebniskette. Oft ist hier nicht das ganz
grosse Budget nötig, sondern ein geschicktes Adaptieren von bewährten Rezepten anderer Anbieter und sogar anderer Branchen
– gepaart mit einer guten Portion Kreativität
und Mut.
Damit kann der Schweizer Wintertourismus über kurz oder lang emotional wieder
in den Lead gehen.
Philipp Zutt, Managing Partner und Delegierter des
Verwaltungsrates, und Donato Virgilio, Projektleiter,
beide Zutt & Partner, Wolfhausen ZH.
JEAN-CHRISTOPHE BOTT/KEYSTONE
SPECIAL MARKETING
DIE QUEREINSTEIGERIN
«Stagnation
gehört dazu»
Name: Dominique Gisin
Funktion: Studentin, Co-Autorin
und ehemalige Skirennfahrerin
Alter: 30
Wohnort: Engelberg OW
Ausbildung: Matura, Sportmittelschule Engelberg; Physikstudium,
ETH Zürich (angefangen)
Dominique Gisin Die Abfahrts-Olympiasiegerin über
die Karriere nach dem Profisport und ihr erstes Buch.
INTERVIEW: ROBERT WILDI
Der Ski-Weltcup 2015/16 steht vor der Tür.
Mit welchen Gefühlen werden Sie die ersten
Rennen als Zuschauerin erleben?
Dominique Gisin: Mit einer gehörigen Portion Wehmut. So viele Jahre im Skizirkus
lässt man nicht auf Knopfdruck hinter sich,
so ganz ohne Emotionen. Wenn ich auf
Instagram und Timeline die fantastischen
Schneebilder sehe, die meine ehemaligen
Teamkolleginnen posten, dann juckt es
mich schon gehörig. Zumal Skifahren für
mich nicht nur Spitzensport, sondern auch
viel Leidenschaft war und immer noch ist.
Das ist nicht ganz einfach im Moment.
Bereuen Sie den Rücktritt?
Der Bauch würde schon manchmal am
liebsten rechtsumkehrt machen und die
Rennski wieder aus dem Keller holen. Mein
Verstand weiss allerdings, dass der Entscheid definitiv gefallen ist und auch der
Zeitpunkt dafür der richtige war.
22
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
Sie haben den ersten Sommer seit langer
Zeit ohne hartes Trainingsprogramm hinter
sich. Haben Sie dennoch Sport getrieben?
Ja, schon ein wenig. Etwas Windsurfen,
etwas Biken, Stabilisationsübungen für
mein Knie. Übertrieben habe ich nicht, weil
mir der Sommer sowieso viel zu heiss war.
Ich ertrage die Hitze nicht allzu gut und bin
auch klimatisch eher winterorientiert.
Aber langweilig wurde es Ihnen nicht?
Alles andere als das. Es läuft zurzeit extrem
viel. Ich erhalte unzählige Anfragen für Auftritte, Projekte, Fotoshootings. Und meine
Vortragsreihe, die ich heuer zusammen mit
meinem langjährigen Sportpsychologen
Christian Marcolli lanciert habe, erfreut sich
einer sehr grossen Nachfrage. Als Team
ergänzen wir uns dabei prima. Christian
verfügt über viel Beratungserfahrung mit
Leuten aus der Wirtschaft, ich bringe die
sportliche Komponente rein.
Wie sieht das Zielpublikum dafür aus?
Sehr bunt durchmischt. Von Verbänden und
Organisationen bis zu Unternehmen jeder
Grösse. Wir sprechen manchmal vor zehn,
aber auch vor tausend Leuten. Es geht
in den Vorträgen um meine Karriere als
Spitzensportlerin, um meinen Leidensweg
wegen unzähliger Verletzungen und um
meine Art, damit umzugehen respektive
niemals aufzugeben. Wir haben allein in
diesem Jahr schon über 20 Vorträge gehalten. Die Anfragen kommen fast täglich rein.
Ihr Olympiasieg scheint viele Menschen
enorm gefreut und inspiriert zu haben.
Die Olympia-Goldmedaille war sicher so
etwas wie ein später Lohn für die vielen Jahre
der Rückschläge und Entbehrungen. Was
mich aber im Gespräch mit den Vortragsbesuchern besonders freut und bewegt: Die
meisten haben meine Karriere schon lange
vor Sotschi mitverfolgt und wissen oft sehr
gut Bescheid über meine verschiedenen
Stationen als Sportlerin in den Jahren zuvor.
Für sie steht die Olympia-Goldmedaille `
SWISS MADE – FOR THE WORLD MARKET
Der PC-24 ist der weltweit erste und einzige «Super Versatile Jet»
Jet». Anlässlich der Europe
European
Business Aviation Conference & Exhibition (EBACE) konnte Pilatus im 2014 innerhalb
von eineinhalb Tagen 84 PC-24 verkaufen. Der Businessjet verfügt über die grösste Kabine
seiner Klasse, ist mit einem Frachttor ausgestattet und kann auf sehr kurzen Naturpisten
starten und landen. Genau das macht ihn so einmalig und begehrt: schneller am Ziel, mehr
Platz, mehr Möglichkeiten und Flexibilität.
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Differenzierung & Relevanz
HOCH
BrandAsset Valuator Die stärksten Versicherungen-Marken der Schweiz
2
1
3
8
4
7
TIEF
9
10
11
5
6
Vertrautheit & Wertschätzung
TIEF
Powergrid Brand
Ranking 2015
Ranking 2013
Verschiebung
1
Suva
22
73
+51
2
TCS
78
137
+59
3
Die Mobiliar
174
200
+26
4
AXA Winterthur
305
474
+169
5
Zurich
394
569
+175
6
Helvetia
SwissLife
Allianz
Basler
Generali
Vaudoise
428
495
513
577
587
612
564
637
623
633
648
666
+136
+142
+110
+56
+61
+54
7
8
9
10
11
LINK: WWW.BRAND-ASSET-VALUATOR.CH
24
HOCH
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
QUELLE: Y&R GROUP SWITZERLAND
SPECIAL MARKETING
` nicht im Vordergrund. Sie besuchen die
Vorträge, um noch mehr Details über meine
ganze Geschichte zu erfahren.
Und um sich Motivationstipps zu holen?
Das ist ein Kernelement des Vortrags und
tatsächlich die meistgestellte Frage aus dem
Publikum. Die Nachfrage war sogar so gross,
dass Christian Marcolli und ich in diesem
Frühling beschlossen haben, die Vortragsreihe mit einem Buch zu ergänzen. Auch
dieses Projekt hat mich heuer wahnsinnig
stark beschäftigt. Von der Idee bis zur Buchpräsentation im September verging gerade
mal ein halbes Jahr. Eine sehr intensive
Arbeit, in der viel Herzblut steckt.
Ist Ihr Buch eine Art Motivationsbibel?
Ich habe überhaupt nicht den Anspruch,
aus meiner Geschichte irgendwelche Standars abzuleiten, die Allgemeingültigkeit
haben sollen. Motivation und Durchhaltewillen sind Eigenschaften, die immer eng
mit dem individuellen Charakter einer Person zu tun haben. Im Buch haben wir trotzdem versucht, dieses Thema einigermassen
analytisch aufzubereiten, um möglichst
vielen Lesern einen Mehrwert zu bieten.
DOMINIQUE GISIN
mir passt und dass ich hinter einem Produkt
stehen kann. Unter dem Strich haben sich
ein paar gute Kooperationen ergeben, von
denen ich kommerziell profitieren kann.
«Making it
happen»
Person Dominique Gisin war von
2005 bis 2015 Teil der Schweizer
Damen-Skinati und auf die Speeddisziplinen Abfahrt und Super-G
spezialisiert. Grosser Höhepunkt
einer Karriere, die von vielen Verletzungen und neun Knieoperationen geprägt wurde, war der Abfahrts-Olympiasieg 2014 in Sotschi.
Nach der letzten Weltcup-Saison
2014/15 gab sie ihren Rücktritt.
Projekt Im September 2015
präsentierte Dominique Gisin als
Co-Autorin mit ihrem langjährigen
Sportpsychologen Christian Marcolli ihr 160-seitiges Buch «Making
it happen». Das Werk wird in einer
limitierten Auflage von 2467
Exemplaren vermarktet. Die Zahl
entspricht in Kilometern genau der
Luftlinie von ihrem Geburts- und
Wohnort Engelberg nach Sotschi.
Welches waren denn Ihre Strategien, auch
in harten Zeiten nie aufzugeben und immer
wieder zurückzukommen?
Ganz wesentlich finde ich, dass man lernt,
schwierige Situationen zu akzeptieren. Hadern nützt nichts, sondern bindet wertvolle
Energien, die es zwingend für den Wiederaufbau braucht. Ich habe mich nach jeder
der neun Knieoperationen mit neuen Zielen
motiviert, die realistisch waren. Bei der
Umsetzung muss man kleine Schritte gehen
können, und zwar mit viel Beharrlichkeit
und noch mehr Geduld.
Das tönt nach Rezepten, die auch in der
Wirtschaft funktionieren.
Davon bin ich überzeugt. Dass wir unseren
Vortrag in sehr vielen Unternehmen halten
dürfen, nicht selten bei Mitarbeiteranlässen,
spricht wohl dafür, dass meine Geschichte
in der Wirtschaftswelt ebenfalls Beachtung
findet. Firmenchefs sagen mir, dass es sie
beeindruckt, wie ich nach jedem Rückschlag nichts unversucht liess, um mich
wieder an die Spitze zu kämpfen. Beharr-
Finanziell ausgesorgt haben Sie mit den
Werbeverträgen, die möglicherweise noch
ein paar Jahre laufen, aber nicht.
Nein, das wäre ja schön. Ich renne mit diesen Engagements nicht primär dem Geld
nach, sondern erachte sie als honorable
Wertschätzung seitens der Partner für
meine Person und meine Leistungen als
Sportlerin. Aber natürlich sind die Einnahmen dank diesnr Engagements für mich
auch sehr willkommen, um die Phase
zwischen Spitzensport und dem neuen
Berufsleben gut zu überbrücken.
Wie sehen denn Ihre Pläne für die Karriere
nach der Karriere aus?
Ich drücke zuerst einmal die Schulbank und
habe soeben ein Physikstudium an der ETH
Zürich aufgenommen. Mein nächstes Ziel
ist der Bachelor nach drei Jahren. Dann
schaue ich weiter.
Haben Sie konkrete Berufsvorstellungen?
Noch nicht. Ich stelle mir dereinst irgendeine Tätigkeit an der Schnittstelle von Physik
und Sport vor. Das ist aber ein weites Feld.
Was mich ebenfalls interessieren würde,
wäre eine Tätigkeit in der Aviatik. Ich habe
auch bereits diverse Flugstunden absolviert
und eine Privatpilotenlizenz erlangt.
ZVG
Ihr Geheimrezept?
Wenn ich nach einem längeren Ausfall mit
einem Rückstand von 3 Sekunden auf die
anderen ins Training startete, dann wollte
ich ihn beim nächsten Lauf auf 2,9 Sekunden reduzieren. Stagnation gehört aber stets
dazu und muss als Teil des Prozesses akzeptiert werden. Man darf dabei das Ziel nie aus
den Augen verlieren. Neben einer gewissen
Demut gehören also auch Mut und Ehrgeiz
dazu. Ich gebe mich nie mit Mittelmass
zufrieden, auch wenn ich in meiner Karriere
phasenweise akzeptieren musste, nicht darüber hinauszukommen.
Dazu gehört auch Ihr neues Engagement als
Botschafterin für Engelberg Tourismus?
Ja. Diese Partnerschaft ist für mich als
Engelbergerin eine grosse Herzensangelegenheit, mit der sich praktisch ein Kreis
schliesst. Denn Engelberg war mein allererster Kopfsponsor im Ski-Weltcup. Es ist
sowieso toll, wenn ich als Botschafterin für
lokale Organisationen auftreten darf.
«Meine Geschichte findet
in der Wirtschaftswelt
ebenfalls Beachtung.»
lichkeit und Fleiss sind auch in der Geschäftswelt gefragte Eigenschaften.
Denn sie führen zum Erfolg. Auch sportliche
Grosserfolge lassen sich zu Geld machen.
Schöpfen Sie da aus dem Vollen?
Natürlich half mir das Gold in Sotschi, bereits vorhandene Sponsoren für ein weiteres
Engagement über meine aktive Karriere
hinaus zu gewinnen. Es sind nach Olympia
auch zahlreiche neue Anfragen gekommen.
Allerdings bin ich diesbezüglich wählerisch.
Es ist mir wichtig, dass eine Partnerschaft zu
Woher haben Sie als Skirennfahrerin die
Zeit dafür genommen?
Es tönt vielleicht sarkastisch. Aber aufgrund
meiner vielen Verletzungen als Skifahrerin
bekam ich notgedrungen immer wieder
Zeit, mich auch anderen Dingen zu widmen.
Die Fliegerei gehört dazu. Ein guter Freund
und Pilot überredete mich während einer
der zahlreichen Zwangspausen zu einer fliegerischen Vorschulung. Das brachte mich
dann auf den Geschmack.
An eine Karriere als Skitrainerin hatten Sie
nie gedacht?
Nicht wirklich, obwohl ich dem Skirennsport sicherlich stets eng verbunden bleibe.
Allein schon deshalb, weil meine beiden
jüngeren Geschwister Michelle und Marc
noch aktiv sind. Aber im Ski-Weltcup ist
das Trainergeschäft eine absolute Männerdomäne. Das Studium und der Einstieg in
eine Berufswelt abseits der Pisten reizen
mich definitiv mehr.
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
25
SPECIAL MARKETING
MISSION
Was starke Marken von
anderen unterscheidet
S
eit 1995 erfasst die Markenstudie
BrandAsset Valuator die stärksten
Marken der Schweiz und zeigt,
welche in der Gunst der Konsumenten an der Spitze stehen. Erstaunlicherweise waren mehr als die Hälfte
der heutigen Stars bereits vor 20 Jahren top.
Brands wie Migros, Toblerone, Ovomaltine,
Lindt und Caran d’Ache schaffen es, über
Jahrzehnte ganz oben zu sein – einige sogar
ohne grosse Marketinganstrengungen. Wie
ist das möglich? Warum bleibt in vielen
Bereichen kein Stein auf dem anderen
und dennoch können sich einige Marken
unverändert an der Spitze halten?
Peter Felser
Verwaltungsratspräsident,
Serviceplan
Suisse, Zürich
Viele der neuen Senkrechtstarter werden
zudem von Persönlichkeiten geführt, die
selbst als Werbeträger an vorderster Front
für die Brands wirken. Mit spektakulären
Events und gut inszenierten Markenerlebnissen werden die Gründer und CEO zu
effizienten Werbefiguren. Richard Branson
und Steve Jobs machten es vor. Marc
Zuckerberg, Larry Page und andere folgten.
Drei Faktoren erklären, warum sich einige
der alten Powerbrands so gut halten: Erstens bewegt sich die breite Bevölkerung
langsamer, als die Trendsetter meinen – und offenbar
Doch ist es tatsächlich das
auch ein Teil der Werber und «Erstaunlicherweise
clevere Marketing der
Journalisten. Fachleute
Patrons und Chefs, das zu
waren mehr als die
blenden den Mainstream,
diesen schnellen Erfolgen
immerhin die Mehrheit der
Hälfte der heutigen führt? Nein. PersönlichkeiBevölkerung, gerne aus und
ten sind wichtig – allerdings
Stars bereits vor
fokussieren in ihren Aussanicht als unmittelbare
20 Jahren top.»
gen primär auf die InnovatoWerbeträger, sondern zum
ren. Zweitens werden viele
Vorleben der Mission. Die
Markenbilder bereits in unLeidenschaft, die Welt zu
verändern, die Verinnerlichung der Mission
serer Kindheit geprägt. Wer sich von klein
auf mit Ovomaltine stärkt, dem bleibt diese motiviert. Entscheidend ist die Kombination
von Brand Leadership und Markenmission.
Marke in positiver Erinnerung, selbst wenn
Eine charismatische Führung und eine
diese heute kaum präsent ist. Und drittens
zeichnen sich fast alle der stärksten Marken klare Mission sind markentechnisch
unschlagbar.
durch eine prägnante Mission aus. Diese
Brands haben eine klare Überzeugung und
Und die Digitalisierung? Werden in Zukunft
nachvollziehbare Existenzberechtigung.
nur noch digitale Marken dominieren?
Die Menschen wissen, warum es diese
Nein. Die Digitalisierung bietet viele neue,
Brands gibt und was sie für die Menschheit
interessante Businessmodelle. Bei der
tun. Das bindet die Kunden langfristig und
Markenführung erhöht sie das Tempo und
zahlt sich auch für die Markenbesitzer aus.
die Effizienz der Marktdurchdringung.
Langzeitstudien zeigen nämlich, dass
Aber auch die neuen Powerbrands zeichBrands mit einer klaren Mission weit überdurchschnittliches Wachstum und deutlich nen sich primär durch eine sinnstiftende
Beziehung aus – eben eine inspirierende
höhere Gewinnmargen ausweisen.
Mission. Ohne diese ist eine langfristige
Loyalität gar nicht denkbar. Dies hat mit
Die klare Mission ist auch der Grund, der
der Digitalisierung vorerst nichts zu tun.
neue Powerbrands so schnell an die Spitze
bringt. Die Mission «Informationen der
Das jüngste Beispiel ist Tesla. Die Marke ist
Welt zu organisieren und für alle zu jeder
nicht nur innovativ, sondern auch markenZeit zugänglich und nutzbar zu machen»
technisch ganz stark unterwegs. Sie schafft
hat Google seit der Gründung vorgelebt.
es, mit einer inspirierenden Mission und
Sie begeistert Mitarbeitende und Kunden
der Persönlichkeit von Elon Musk zu begleichermassen und prägt die gesamte
geistern. Im nächsten BrandAsset Valuator
Unternehmenskultur. Überzeugung und
werden wir bestimmt viel von Tesla hören.
Mission der Marke wirken anziehend.
26
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
WEITERBILDUNG
Brand Leadership
an HWZ lernen
Kurs Die erfolgreichsten Unternehmen werden heute von Persönlichkeiten geprägt, die primär über die
Kraft der Marke führen. Der CAS
Brand Leadership der Hochschule
für Wirtschaft Zürich (HWZ) und
der GfM vermittelt ein neuartiges
Führungsverständnis. Im Mittelpunkt stehen die Überzeugung der
Marke und deren Mission. Der halbjährige Zertifikatslehrgang richtet
sich an Interessenten, die ihr strategisches Markenverständnis stärken wollen. Im Rahmen von Gastreferaten, Fallstudien und Exkursionen verknüpft der Kurs neueste
wissenschaftliche Erkenntnisse mit
Erfolgsregeln aus der Praxis. Zu
den renommierten Referenten gehören Fachexperten wie die beiden
HSG-Professoren Torsten Tomczak
und Sven Reinecke, der Neuromarketingspezialist Hans-Georg Häusel
sowie CEO erfolgreicher Marken wie
Urs Riedener (Emmi) und Thomas
Amstutz (Feldschlösschen). Beginn
des nächsten Lehrgangs: März 2016.
SPECIAL MARKETING
Wanted: «Right Potentials»
Employer Branding Ideenwettbewerbe sind ein erfolgversprechender Ansatz.
BENJAMIN VON WALTER UND
ALEXANDER HAHN
D
ie Grundidee des Employer
Branding ist: Wer als Unternehmen am Markt erfolgreich
sein will, muss als Arbeitgeber
bekannt sein und über ein
Image verfügen, das sich positiv abhebt. Die
Post beispielsweise hat ihre neue Arbeitgeberpositionierung erarbeitet. Der Dienstleister setzt unter dem Motto «Wir bewegen
Gelb» neu auf Gestaltungsspielraum, Vertrauenskultur und Vielfalt an Berufen für
derzeitige und zukünftige Mitarbeiter.
Dabei geht es nicht nur darum, für Jobsucher attraktiv zu sein. Vielmehr ist es
wichtig, die richtigen Kandidaten anzusprechen. Ziel ist, die «Right Potentials» für sich
zu gewinnen, also diejenigen Jobsucher, die
den Anforderungen am besten entsprechen.
Klassische Personalmarketingaktivitäten
wie Werbung oder Karriereseiten im Internet bieten im Hinblick auf diese Zielsetzung
oft nur eingeschränkte Möglichkeiten.
An konkreten Fallbeispielen messen
Dementgegen sind Web-basierte Ideenwettbewerbe ein innovatives Instrument,
das sich sowohl dazu eignet, die Arbeitgebermarke bekannt zu machen und positiv
aufzuladen, als auch gezielt Kontakte mit
geeigneten Talenten anzubahnen. Konkret
treten bei Ideenwettbewerben potenzielle
Kandidaten wie Ingenieure, IT-Fachkräfte
oder Hochschulabsolventen in einen zeitlich begrenzten Wettbewerb, um eine definierte Problemstellung zu lösen. Diese
können vielfältig auf den Unternehmenskontext angepasst sein: Für bestehende
Technologien neue Anwendungsfelder zu
erschliessen, für zukünftige Anwendungen
neue Ideen zu finden oder ganz konkrete
technologische Probleme zu lösen.
Die Themenstellung orientiert sich an
der Arbeitgeberpositionierung sowie den
gesuchten Zielgruppen. Die Talente reichen
ihre Ideen auf einer Web-Plattform ein und
Unternehmen können anhand
der Beiträge und Kommentare
Rückschlüsse auf die Eignung
der Stellenkandidaten ziehen.
kommentieren auch andere Beiträge. Der
Vorteil: Unternehmen können anhand der
Beiträge und Kommentare Rückschlüsse
auf die Eignung der Kandidaten ziehen und
diese gezielt ansprechen.
Beispielsweise hat Siemens erfolgreich
einen Ideenwettbewerb für ingenieurwissenschaftliche Studierende in den Wachstumsmärkten Naher Osten und Brasilien
durchgeführt. Dabei nutzte man eine etablierte Plattform und führte eine OnlineKampagne zur Gewinnung von Teilneh-
mern durch. Der Wettbewerb resultierte in
über 41 000 Besuchern der Plattform, 8400
Interaktionen mit der Kampagne und 600
konkreten Beteiligungsideen.
Zunehmend zielgruppengerechter
Neben dieser grossen Zahl an Einreichungen fand, angeregt durch ein aktives
Community Management, auch eine wertvolle Kollaboration mit Siemens-Mitarbeitern und zwischen den Kandidaten statt.
Die Beiträge wurden durch die Community
16 400 Mal bewertet und 4400 Mal kommentiert. Nach Wettbewerbsende wurden die
Sieger in einer Award Ceremony in Katar
unter Teilnahme von Siemens-Executives
und regionalen Politikern gewürdigt und
mit einem Praktikum bei Siemens belohnt.
Das Erfolgsgeheimnis solcher Wettbewerbe sind digitale Plattformen, die eine
leichte Handhabung und hohe Reichweite
ermöglichen. Sie sichern zudem eine nahtlose Integration in das firmenspezifische
Employer Branding und das Corporate Design. Mittlerweile führen selbst mittelständische Unternehmen basierend auf solchen
Tools Ideenwettbewerbe durch. Dies zeigt,
dass das Employer Branding mithilfe neuer
Technologien zunehmend zielgruppengerechter und effizienter wird.
Benjamin von Walter, Dozent für Marketing,
FHS St.Gallen – Hochschule für Angewandte
Wissenschaften, und Alexander Hahn, Project
Manager, Hyve Innovation Group, München.
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n Executive MBA – Marketing
n CAS Brand Leadership
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n CAS Corporate Communications
n CAS Marketing Communications
SPECIAL MARKETING
Die digitalen Wachstumstrends
Globaler IP-Datenverkehr und dessen Entwicklung (2014 und 2019)
Traffic-Anteil Videonutzung
67%
2014
Anzahl Internet-User
2,8 Milliarden
2014
3,9 Milliarden
2019
Anzahl Online-Geräte
und Web-Anschlüsse
14,2 Milliarden
2014
24,4 Milliarden
2019
Netzgeschwindigkeit
20,3 Mbps*
2014
42,5 Mbps*
2019
80%
2019
*MEGABIT PRO SEKUNDE
QUELLE: CISCO VISUAL NETWORKING INDEX GLOBAL IP TRAFFIC FORECAST
Video gehört Zukunft
Content Marketing Die Nutzungsverlagerung von Print auf Online ist Realität.
Bewegte Bilder machen im Web schon heute zwei Drittel aus – bald 80 Prozent.
MARC LOTTENBACH
B
ig Data, Multi Device Strategies
oder Personalisierung sind die
aktuellen Schlagwörter im modernen Marketing. Alles wird
technischer und messbarer. Die
Frage nach der Art und Weise der Kommunikation steht meistens im Hintergrund. Die
Buchstaben werden heute einfach vom bedruckten Papier ins Internet verlagert. Das
Nutzungsverhalten im Web spricht aber
eine andere Sprache. Video gehört die Zukunft. Eine Analyse mit Lösungsansätzen.
Die Nutzungsverlagerung von Print auf
Online ist Realität. Dieser Wandel macht
sich auch in der Kommunikationsweise der
Unternehmen bemerkbar. Der Kanton Zürich überträgt bereits seit November 2011
die Medienkonferenzen live übers Internet
und Swisscom hat im April 2015 die Marke
Wingo in Form einer reinen Web-Medienkonferenz lanciert. Neben diesen Beispielen
bestätigen drei Indikatoren diesen Trend:
đ Cisco Visual Networking Index: Eine hilfreiche Studie für die Evaluierung der Trends
im Internet ist der Cisco Visual Networking
Index. Die Studie erhebt den aktuellen globalen IP-Datenverkehr und prognostiziert
dessen Entwicklung. Die letzte Publikation
im Mai 2015 führt das Thema Video als
separates Highlight auf. Video ist demzufolge eine der wichtigsten Inhaltsformen der
Zukunft mit einem signifikanten Wachstum
in den nächsten Jahren. Bereits 2014 ist der
Traffic-Anteil von Video gegenüber dem gesamten IP-Datenverkehr bei 67 Prozent. Bis
2019 wird ein Anteil von gegen 80 Prozent
erwartet (siehe Grafik oben).
28
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
đ Globale Internet-Player: Google hat im
Oktober 2006 für rund 1,65 Milliarden Dollar YouTube gekauft. Mit ein wenig Verspätung hat Facebook im April 2012 Instagram
für 1 Milliarde Dollar übernommen und im
Dezember 2013 für geschätzte 400 bis 500
Millionen Dollar den Video-Werbetechnologieanbieter Liverails gekauft. Selbst Twitter, als reiner Nachrichtendienst, hat im
März 2015 für eine unbekannte Summe den
Livestreaming-Anbieter Periscope übernommen. Investieren Unternehmen dieser
Art und Grösse in neue Kommunikationsformen, so lässt die Nutzung der breiten
Masse nicht lange auf sich warten.
đ Bekannte Marken: Red Bull ist der Vorzeigeschüler, was Video angeht. Mit ihrem
Red Bull Mediahouse investieren die Österreicher viel Geld und personelle Ressourcen
in die Produktion von Videoinhalten. Die
Auslagen lohnen sich. Mittlerweile kauft
sogar das SRF Filmmaterial von Red Bull.
Hand aufs Herz: Wurde Ihnen schon mal
Geld für Ihre PR-Geschichte geboten?
Wertvoller als 1,8 Millionen Wörter
Das geschriebene Wort verliert im digitalen Umfeld laufend an Bedeutung. James L.
McQuivey, Vice President & Principal Analyst bei Forrester Research, machte zum
Thema folgende Aussage: «Ein Video ist
wertvoller als 1,8 Millionen Wörter.»
Aber welche Art von Videoinhalten soll
umgesetzt werden? Die Veränderungen betreffen ja nicht nur die Art des Contents,
sondern auch die Nutzungssituation des
Kunden. Alles wird mobiler, die Bedürfnisse
spezifischer und der Content muss schnell
vermittelt sein. Unser Informationsverhal-
ten verlagert sich von «primetime» zu «all
the time». Dies hat auch Einfluss auf die
Videostrategie. Google spricht im Blog
«Think with Google» von sogenannten
Micro-Moments. Den «Moment To Know»,
den «Moment To Go», den «Moment To Do»
und den «Moment To Buy».
Ein Beispiel: Sie möchten den Spülkasten
Ihres WC reparieren. Suchen Sie nun die
Produktanleitung zum Durchlesen oder
schauen sie ein Tutorialvideo auf YouTube?
Ein typischer «Moment To Do». Die Einsatzmöglichkeiten von Video reichen aber über
diese Micro-Moments hinaus. Produktdemonstrationen, Beantwortung von Kundenanfragen im Customer Care, Employer
Branding oder E-Learning sind bloss einige
Auszüge von möglichen Einsatzgebieten.
Kreative Ideen und Kostenkontrolle
Es ist nicht jeder Red Bull. Aber das UserBedürfnis nach mehr Video betrifft jedes
Unternehmen. Ein 30 Sekunden Imagespot
reicht nicht mehr aus. Die User suchen sich
ihre Inhalte auf diversen Plattformen. YouTube steht mehr für «how to video», Facebook für «breaking news videos», Instagram
für «behind the scenes videos».
Die Kanäle verlangen nicht immer nach
Hollywoodproduktionen. Smartphonefilme
oder Go-Pro-Aufnahmen sind da absolut
ausreichend und kanaladäquat. Es gilt also,
die richtigen Kundenmomente zu identifizieren, je nach Inhalt die richtige Plattform
zu wählen und mit kreativen Ideen die
Kosten im Griff zu halten. Eines ist klar, die
Kunden wollen in Zukunft mehr Video.
Marc Lottenbach, CEO & Co-Founder, Yoveo, Zürich.
SPECIAL MARKETING
Weniger Privilegierten helfen
Kooperation Wie Arosa, Grächen und Pro Juventute ein Stück vom Glück schenken.
THOMAS ACKERMANN
A
rosa Tourismus, Grächen Tourismus
und Pro Juventute gehen gemeinsame Wege. Die Bündner und Walliser Familiendestinationen unterstützen die
Non-Profit-Organisation, indem sie ihre
Gäste motivieren, während den schönsten
Tagen des Jahres auch an benachteiligte
Kinder, Jugendliche und Familien zu denken. Denn nicht alle sind privilegiert, sich
Ferien leisten zu können. «Arosa und Grächen ermöglichen mit ihren Gästen zusammen mit Pro Juventute diesen Familien ein
paar unvergessliche Tage in den Schweizer
Bergen», begründet Pascal Jenny, Direktor
von Arosa Tourismus die Koperation.
Die Gäste können Pro Juventute ganz
einfach unterstützen: Auf der Online-Plattform die Buchung aufrunden, den Skipass
in eine Sammelbox werfen und somit das
Depot von 5 Franken spenden oder beim
ANZEIGE
fonds gespeist. Aus diesem
Check-out im Hotel einen Bewerden in Arosa und Grächen
trag auf die Rechnung setzen
vergünstigte Ferien für benachlassen. Die Gäste geben damit
teiligte Familien finanziert.
einen Teil ihres Glücks an weniPro Juventute
«Wir zeigen damit, dass
ger Privilegierte weiter. Die Des)HULHQ)QÁLEHU
zwei
touristische Institutionen
tinationen ihrerseits runden die
Verschenken Sie ein Stück vom Glück.
ihre Positionierung mit einem
Spenden auf und organisieren
glaubwürdigen Engagement
weitere Aktivitäten und setzen
untermauern können», erklärt
auf ihre Veranstaltungen, um
Berno Stoffel, Direktor von
Geld zu sammeln. Gleichzeitig
Grächen Tourismus. Kreative
nutzen Arosa und Grächen die
Ideen werden zusammen entKommunikationskanäle von Pro
worfen, weiterentwickelt und
Juventute, um auf ihr Engage- Engagement: Arosa
und Grächen helfen.
kommuniziert. Nicht jede gute
ment aufmerksam zu machen.
Idee muss überall neu erfunDas gesammelte Geld steht
Pro Juventute einerseits für die allgemeine den werden. Und Pro Juventute erhält UnArbeit zugunsten von Kindern, Jugendli- terstützung für ihre Arbeit, die sie zu rund
chen und Familien zur Verfügung. Mit der 80 Prozent aus Geldern von Privatpersonen,
Notrufnummer 147 etwa hilft Pro Juventute Firmen und Stiftungen finanzieren muss.
jährlich über 150 000 Ratsuchenden rund
um die Uhr. Anderseits wird mit einem Teil Thomas Ackermann, Bereichsleiter Kooperationen und
des Sammelertrags ein spezifischer Ferien- Mitglied der Geschäftsleitung, Pro Juventute, Zürich.
Ganz einfach etwas Gutes für Kinder und Familien tun:
Werfen Sie den gebrauchten Skipass in eine der gelben
Spendenboxen und spenden Sie so das Depot von 5 Franken
an Pro Juventute. Auch Barspenden sind so möglich.
Unterstützen Sie Projekte zu Gunsten von Kindern, Jugendlichen
und Familien in der Schweiz sowie Ferien in Arosa und Grächen
für finanziell benachteiligte Familien.
Spenden können Sie unter anderem in Hotels, bei den Bergbahnen
sowie der Tourismusinformation.
SPECIAL MARKETING
Einen Schritt
weiter gehen
Digitale Transformation Big Data genügt nicht. Nur mit Thick Data
gibt es ein umfassendes Bild über den sozialen Kontext der Kunden.
SCREENSHOT
Lifeathome.ch:
Ikeas Ansatz, um
aus Thick Data
mehr zu machen.
JÜRG STUKER
S
tets mehr Unternehmen stehen
vor der Herausforderung, massgeschneiderte Angebote für ihre
Kunden zu entwickeln. Um die
Zielgruppen im Zuge der Digitalen Transformation besser zu verstehen,
sammeln und analysieren Firmen Unmengen an Daten. Das Schlagwort dafür lautet
Big Data. Ein grosser Nachteil dieses Ansatzes: Er vernachlässigt die Motive, die hinter
dem Handeln von Interessenten stecken.
Genau diese Lücke füllt Thick Data.
Big-Data-Analysen gehören zur Schlüsseltechnik des digitalen Zeitalters. Damit
lässt sich ermitteln, wie sich die Kunden
verhalten und wie eine optimale Customer
Experience aussieht. Der Weg dazu ist, alle
Arten von kundenbezogenen Daten zu erfassen und zu korrelieren: Vom Alter der
Kunden über deren Kaufverhalten bis hin zu
den angeklickten Online-Anzeigen.
Tiefgreifendes Datenwissen
Die Kernfrage lautet dabei: Was tut der
Kunde? Im Fokus stehen primär «Was» und
«Wie viel», immer über statistische Methoden
genähert. Diese statistische Analyse gibt aber
keine Antwort auf das Problem, warum Kunden in einer bestimmten Weise agieren. Diese Frage zielt darauf ab, die Kundenmotivation besser zu verstehen, und basierend
darauf, passende Angebote oder Prozesse
30
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
anzubieten. Erforderlich ist allerdings ein
neuer Denkansatz, der, ergänzend zu Big
Data, die Beweggründe ermittelt.
Während Big Data auf eine quantitative
Analyse ausgelegt ist, die sich in Terabyte
oder sogar in Exabyte messen lässt, konzentriert sich Thick Data auf den sozialen Kontext solcher Datenpunkte. Der Ansatz stellt
Informationen zur Verfügung, die über blosse Zahlen hinausgehen – etwa welche Rolle
menschliche Gefühle wie Vertrauen oder
Tradition bei Kaufentscheidungen mitspielen. Im Rahmen einer Thick-Data-Analyse
kann beispielsweise folgende Frage gestellt
werden: Was erleben Menschen unterschiedlicher Nationen in der Zeit zwischen
dem Aufstehen und dem Weg an die Arbeit?
Viele Unternehmen in den USA haben
bereits diese Ergänzung zu Big Data für sich
entdeckt und in ihre digitale Strategie eingebunden. Aber auch europäische Konzerne
sind bereits aktiv. Dazu gehört Ikea. Auf der
Website «Life at Home» beschäftigt sich der
schwedische Einrichtungskonzern mit Fragen rund um das Leben zu Hause, etwa wie
Menschen morgens aufstehen oder welche
Bedeutung das Essen zu Hause hat. Anhand
von Artefakten wie Fotos und Videos wird
gezeigt, was Menschen in acht Metropolen
zwischen dem Aufstehen und dem Verlassen der Wohnung tun, zum Beispiel duschen, schminken oder Sport treiben. Dank
den gesammelten Informationen und Artefakten erhält Ikea ein umfassendes Bild über
den sozialen Kontext seiner Kunden. Richtig
interpretiert, gibt dieses Impulse für die
Neu- oder Weiterentwicklung von Produkten und Prozessen.
Besseres Kundenverständis
Nicht nur das Möbelhaus kann von einer
ganzheitlichen Sicht auf den Menschen und
sein Tun profitieren, sondern jedes Unternehmen. Wichtig sind dabei zwei Faktoren:
r Ein offener Blick auf Menschen und deren
Motivation – er eröffnet die Sicht auf das
Selbstverständliche. Dadurch werden Muster und Handlungen erkennbar, die bei der
Bewältigung von Alltagsproblemen helfen.
r Das Sammeln von Thick Data: Dazu gehören dokumentierte Beobachtungen (Fotos
und Videos), Erfahrungsberichte von Interviews und Artefakte (verwendete Gegenstände der Probanden). Wichtig dabei sind
alle möglichen Kontaktpunkte zwischen
Kunden und der Unternehmensleistung sowie deren Marke.
Wer seine Kunden umfassend verstehen
und massgeschneiderte Angebote vermarkten will, muss mehr tun, als riesige Datenbestände erfassen und auswerten. Ergänzend
dazu verlangt es nach einer menschenbezogenen Analyse. Sie berücksichtigt vor allem
Handlungsmotive – das können klassische
Big-Data-Ansätze nicht leisten. Es ist das
Erlebnis am Kontaktpunkt.
Jürg Stuker, Partner und CEO, Namics, St.Gallen.
SPECIAL MARKETING
Die meisten messen falsch
Online-Marketing Attributionsmodelle ermöglichen eine andere Sicht auf die Daten.
einer Customer-Journey-Analyse. Das Ergebnis: Google AdWords sorgten einerseits
direkt für erheblichen Umsatz, anderseits
beeinflussten sie indirekt eine fast doppelt
so hohe Umsatzsumme. Die Folge: Das Investment in Google-Werbung wurde fortan
konsequent mittels Attributionsmodellen
bewertet, das Budget laufend angepasst.
Das Resultat: 2014 lagen die Investments
in Google-Werbung um 40 Prozent höher
als im Vorjahr, der Gesamtumsatz stieg
dabei um über 50 Prozent an. Eine überproportionale Skalierung des Werbenutzens –
der Traum jedes Marketers. Alles, was es
dazu benötigte, war eine andere Sicht auf
die Daten.
LUKAS STUBER
D
as Online-Marketing besitzt
einen unbestreitbaren Vorteil:
Effekte sind messbar. Allerdings verlassen sich die meisten Werbetreibenden auf das
antiquierte Modell der «Last Click»-Messung. Das zieht Fehlentscheide in der Budgetierung und verpasste Umsätze nach sich.
Abhilfe schaffen Attributionsmodelle.
Der erste Besuch im Online-Shop führt
selten gleich zum Kauf. Stattdessen besuchen wir in der Regel mehrere OnlineShops mehrmals, und das auf verschiedenen Wegen. Zunächst beispielsweise via
Google, später vielleicht via Newsletter,
zuletzt tippen wir die URL direkt ein und
zücken erst jetzt die Kreditkarte.
Den Wert jedes Klicks erkennen
Werbetreibende stellt das vor ein Messproblem: Steht ein Klick auf eine GoogleAnzeige am Beginn einer Customer Journey,
wird der Wert dieses bezahlten Klicks zumeist ignoriert. Denn die meisten Werbetreibenden nehmen selbst 2015 eine blosse
«Last Click»-Messung vor. Der letzte Klick,
der zum Umsatz geführt hat, kriegt den ganzen Erfolg gutgeschrieben. Alle vorangegangenen Klicks desselben Users werden somit
absurderweise als wertlos taxiert. Budgetentscheide, die auf dieser Basis gefällt werden, sind also zwangsläufig falsch. Abhilfe
schafft ein Konzept, das in der Schweiz erst
ANZEIGE
Systematisch eingesetzt,
können Attributionsmodelle die
Effizienz des Werbefrankens
drastisch erhöhen.
langsam Fuss fasst: Attributionsmodelle, die
etwa Google Analytics kostenfrei zur Verfügung stellt. Sie ordnen die Umsätze nach
bestimmten Verteilschlüsseln jedem Klick
eines Kunden zu. Systematisch eingesetzt,
kann das die Effizienz des Werbefrankens
drastisch erhöhen.
Der Case eines der zehn grossen Schweizer Online-Retailer illustriert das. 2013
unterzog er seine Marketing Investments
Vollständigkeit ist nicht zu haben
Wer also auf moderne Messmodelle im
Online-Marketing setzt, macht Umsatzsprünge. Trotzdem sind selbst fortgeschrittene Attributionsmodelle erst Stückwerk.
Denn Customer Journeys werden zusehends komplexer. Wir recherchieren auf
dem Smartphone, kaufen später via Laptop
ein oder marschieren gleich ins Geschäft.
Die Ubiquität des Internets erlaubt es
den Konsumenten heute, Geräte und Kanäle
beliebig zu wechseln. Die gängigen Messkonzepte machen diese Wechsel noch nicht
mit, aber immerhin: Sie sind viel genauer als
die gängige «Last Click»-Messung, die entsorgt gehört.
Lukas Stuber, Geschäftsführer, Yourposition, Zürich.
SPECIAL MARKETING
Differenzierung & Relevanz
HOCH
BrandAsset Valuator Die stärksten Krankenkassen-Marken der Schweiz
5
6
10
1
3 2
4
7
8
9
TIEF
11
Vertrautheit & Wertschätzung
TIEF
Powergrid Brand
Ranking 2015
Ranking 2013
Verschiebung
1
Helsana
482
641
+159
2
CSS
494
662
+168
3
Sanitas
560
672
+112
4
Concordia
602
697
+95
5
Visana
618
689
+71
6
Groupe Mutuel
Swica
Assura
KPT
ÖKK
Sympany
633
642
698
712
740
779
684
660
674
704
715
705
+51
+18
–24
–8
–25
–74
7
8
9
10
11
LINK: WWW.BRAND-ASSET-VALUATOR.CH
32
HOCH
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
QUELLE: Y&R GROUP SWITZERLAND
ZVG
SPECIAL MARKETING
DIE FÜHRUNGSFACHFRAU
«Delivering
Happiness»
Name: Nicole Brandes
Funktion: Management Coach,
Autorin und Vortragsrednerin
Alter: 53
Wohnort: Uetikon am See ZH
Ausbildung: Kommunikation,
Strategisches Management
und Interkulturelle Mediation,
IFK Luzern
Nicole Brandes Die Schweizer Managementexpertin über die neuen
Eigenschaften von Führungskräften mit interkultureller Kompetenz.
INTERVIEW: MARIANNE RUPP
Sie sprechen am 5. November 2015 anlässlich des 11. Swiss Leadership Forum in
Zürich über Führungspersönlichkeiten der
Zukunft. Was macht Sie zur Expertin?
Nicole Brandes: Einerseits Erfahrung. Ich
habe internationale Projekte geleitet und
Organisationen aufgebaut. Zudem habe ich
15 Jahre im Top-Management gearbeitet mit
Unternehmern, die Weltimperien aufgebaut
haben. So habe ich hautnah miterlebt, was
erfolgreiche Führung ausmacht. Anderseits
meine Aus- und Weiterbildungen. Und seit
sechs Jahren beschäftige ich mich ausschliesslich mit dem Thema. Ich bin mit
Meinungsführern, Zukunftsforschern und
Ethikern laufend im Dialog.
Warum braucht es Ihrer Ansicht nach neue
Führungspersönlichkeiten?
Der Unternehmenskontext hat sich in den
letzten Jahren drastisch verändert. Eine der
grössten Herausforderungen für Führungs-
kräfte ist es, die Komplexität zu managen.
Das erfordert eine neue Art von Verständnis
und somit neue Kompetenzen.
Hat sich das Umfeld so drastisch verändert?
Das Stichwort heisst Digitalisierung. Die
sozialen Netze revolutionieren Firmenstrategien, Kundenansprache und Verhältnis
zwischen Führung und Mitarbeiter. Die
Macht verschiebt sich vom Anbieter zum
Kunden. Somit verändern sich die Rahmenbedingungen für Führungskräfte radikal.
Was charakterisiert die neuen Chefs?
Sie sind flexibel, resilient, kollaborativ und
selbstreflektiert.
Weshalb sind es diese Eigenschaften?
Zukunftsforscher beschreiben das neue
Umfeld mit dem Akronym Vuka – Volabilität,
Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität. In
einem solchen Umfeld, das immer weniger
planbar ist und in dem der Manager nicht
mehr Kontrollinstanz und strategischer
Vordenker sein kann, ist flexibles Handeln
und Denken gefordert. Zugleich braucht der
Manager ein hohes Mass an Resilienz, also
Widerstandskraft, um mit diesen Unsicherheiten umgehen zu können.
Und wieso ist kollaborativ so wichtig?
Verstehen heisst heute kollaborieren. Die
Intelligenz des Einzelnen reicht in einem
komplexen System nicht aus, es braucht die
Diversität. Daraus kann der Manager die
unterschiedlichen Sichtweisen und Weltbilder der Mitarbeiter verbinden und die
Zusammenarbeit ermöglichen. Durch diese
Vielfalt entsteht nicht nur ein Wettbewerbsvorteil in Bezug auf Kreativität und Innovation, sondern sie ermöglicht auch, die
Komplexität zu bewältigen.
Warum legen Sie zudem so grossen Wert auf
den Begriff selbstreflektiert?
Selbstreflektiert bedeutet, sich der eigenen
Werte bewusst zu sein – und nicht, wie oft
angenommen, die eigenen Stärken und `
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
33
SPECIAL MARKETING
Wie gelingt es einem Chef, ein gemeinsames
Sinnverständnis im interkulturellen Kontext
herzustellen, wenn es schon im nationalen
oft schwierig genug ist?
Indem er eine Ausbildung in interkultureller
Kompetenz absolviert. Die Vorstellung, dass
man in der Kooperation mit Menschen aus
anderen Kulturen intuitiv richtig vorgeht, ist
falsch. Sprachen und Business sind lernbar,
auch interkulturelle Kompetenz.
Muss der interkulturell tätige Manager den
Business-Knigge jedes Landes beherrschen?
Nein. Es braucht aber ein Grundverständnis,
wie Menschen aus verschiedenen Kulturen
ticken. Dazu gehört es, sich vertraut zu machen mit anderen Weltbildern und anderen
Einstellungen, etwa welche Rollen Hierarchien und Geschlechter haben oder wie ein
«Die Vorstellung, dass man in
der Kooperation mit Menschen
aus anderen Kulturen intuitiv
richtig vorgeht, ist falsch.»
unterschiedliches Zeitverständnis die Menschen beeinflusst. Sitten und Etiketten eines
Landes zu kennen, ist dann wichtig, wenn
man spezifisch mit dem Land zu tun hat.
Das Grundverständnis ist jedoch prioritär,
weil es befähigt, Situationen zu antizipieren,
zu analysieren oder zu deeskalieren.
Welche Kompetenzen braucht es, damit
zukünftige interkulturelle Führung gelingt?
Zuerst muss das Bewusstsein vorhanden
sein, dass Unterschiede wirklich existieren.
Das tönt simpel, aber ich höre oft die in diesem Kontext falsche Aussage: «Im Grunde
sind wir doch alle gleich.» Dann folgt die
Bereitschaft, sich intensiv mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen. Weiter ist die
Ambiguitätstoleranz zentral, also das Entschlüsselnkönnen, dass es unterschiedliche
Perspektiven und Herangehensweisen zu
Problemlösungen gibt. Zudem ist eine
hohe Selbstreflexion unabdingbar in der
interkulturellen Führung. Eine gute interkulturelle Zusammenarbeit ist kein Brei, in
dem alle verschmelzen, sondern ein gemischter Salat, in dem jeder seine Identität
behält. Für den Erfolg ist auch entscheidend, ob eine emotionale Resonanz hergestellt werden kann.
34
HANDELSZEITUNG | Nr. 44 | 2015
NICOLE BRANDES
Holakratie-Coach
und neues Buch
Person Nicole Brandes arbeitete
15 Jahre im Top-Management internationaler Grosskonzerne. So war
sie unter anderem Delegierte der
Konzernleitung der Swissair und
hat beim Flugzeugabsturz in
Halifax das Care Team geleitet. Als
Executive Director baute sie bei
der UBS den VIP Club auf. Brandes
hat Kommunikation, Strategisches
Management und Interkulturelle
Mediation am Institut für Kommunikation und Führung (IKF) in
Luzern studiert. 2015 absolviert sie
zusätzlich die Ausbildung zum ersten Holakratie-Coach der Schweiz.
2016 erscheint ihr neues Buch
«WE-Q» zum Ansatz «Wir-Intelligenz: Die Führung der Zukunft».
Auftritt Am 22. Oktober 2015 stand
Nicole Brandes als Rednerin an der
TEDx in Köln auf der Bühne. Am
5.November 2015 tut sie dies am
SLF in Zürich. Das 11. Swiss Leadership Forum im Kongresshaus steht
unter dem Titel «Intercultural Leadership». Entsprechend referiert
Brandes als die Keynote-Speakerin
zum Thema «Glokale Helden».
Können Sie ein Beispiel geben?
An einer Konferenz in China beobachtete
ich, wie ein deutscher Manager sich bei
seinem chinesischen Partner entschuldigte,
dass sein Vorgesetzter nicht kommen konnte,
weil dessen Frau gestorben war. Daraufhin
brach der chinesische Geschäftsmann in
schallendes Gelächter aus. In so einer
Situation zu lachen, ist für uns verletzend.
Der Chinese hingegen wollte lediglich die
Situation entspannen, weil der deutsche
Geschäftsmann das Tabu gebrochen hatte,
«Rund 70 Prozent der
Schweizer Unternehmen
scheitern in den ersten
drei Jahren in China.»
dass weder über Probleme, Krankheit geschweige denn über den Tod gesprochen
wird. So können Welten aufeinanderprallen. Rund 70 Prozent der Schweizer Unternehmen scheitern übrigens in den ersten
drei Jahren in China.
Kann man sich interkulturelle Kompetenzen
besser aneignen, wenn man im Ausland lebt
oder viel reist?
Beides erweitert in der Regel den Horizont.
Aber das bedeutet nicht, dass man automatisch kompetent ist. Kultur wird dann
wichtig, wenn man sich für etwas einsetzen
muss, etwa in Verhandlungen. Ich habe
selbst im Ausland gelebt und mein ganzes
Berufsleben international gearbeitet. Aber
erst mein interkulturelles Studium ermöglichte mir zu verstehen, was warum passiert,
und unter die Oberfläche zu blicken. Eine
Schulung, ein Training dazu gehört meines
Erachtens heute unbedingt in die Managementausbildung.
ZVG
` Schwächen zu kennen. Heute arbeiten
Menschen aus unterschiedlichen Nationen
zusammen und jeder hat seine kulturell
geprägten Vorstellungen und Handlungsweisen. Der Manager fungiert daher neu als
Moderator und schafft eine Wertegemeinschaft, in der alle gemeinsam funktionieren.
Das kann er nur, wenn er sich seiner eigenen
Werte bewusst ist. Eine gesunde Identität
entsteht nur durch Abgrenzung.
Nicole Brandes: Tritt bald beim
11. Swiss Leadership Forum auf.
Warum ist emotionale Resonanz zentral?
Durch die sozialen Netzwerke hat eine
Machtverschiebung vom Anbieter zum
Kunden und Mitarbeiter stattgefunden. Daraus folgt, dass sich eine Führungskraft noch
viel mehr mit den Bedürfnissen dieser Menschen auseinandersetzen muss, zwar nicht
nur nach soziodemographischen Kriterien,
sondern auch in kultureller und emotionaler
Hinsicht. Kultur, Emotionen – das sind beides schwer zu fassende, vieldeutige Begriffe.
Trotzdem sind beide sehr einflussreiche
Kräfte. Die Kultur beispielsweise beeinflusst
unser Denken, Fühlen und Handeln. Das
wird von vielen Organisationen unterschätzt oder sogar ignoriert. Dabei ist der
Grund «unüberwindbare kulturelle Unterschiede» einer der meistgenannten auf
Ranglisten, warum Projekte scheitern.
Muss eine Führungskraft heute weniger
Fachwissen haben, dafür umso mehr
interkulturelle Führungskompetenz?
Der Wettbewerb ist weltweit. Ob wir nun
lokal oder global unterwegs sind. Es braucht
mehr Fachwissen, um zukunftsfähig zu sein.
Zusätzlich braucht es in der Zusammenarbeit mit Menschen aus aller Welt mehr
soziale und psychologische Fähigkeiten.
Können heutige Chefs sich so verändern,
dass sie alle diese Anforderungen erfüllen
können?
Ich glaube an die Intelligenz und Adaptionsfähigkeit des Menschen. Viele Beispiele
haben bereits gezeigt, dass das neue Denken grosses Potenzial birgt. Eines der eindrücklichsten Beispiele dafür ist Tony Hsieh,
Gründer von Zappos. Er hat mit einem agilen Führungsansatz und einer netzartigen
Organisationsstruktur einen ganz neuen
Weg beschritten und seine Maxime «Delivering Happiness» spektaktulär umgesetzt.