FAUCH Nr. 15 (2013)

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FAUCH Nr. 15 (2013)
Ausgabe 15
November 2013
www.fau.ch
Arbeitswelt unter
Hochspannung
Alles im Umbruch
fauch
Die Zeitschrift des FAU – Fokus Arbeit Umfeld
Ins_91.5x64:Nest_Inserat
1.7.2013
10:39 Uhr
Seite 1
I n h a lt e d i t o r i a l
Format 3spaltig 119 mm hoch
Spannungsfelder in
der Arbeitswelt
«Keine Büroeinrichtungen...
Rendite = Rente?
Nest rentiert, weil wir ökologisch-ethisch
investieren und unsere Strategie
konsequent umsetzen.
...ohne Offerte von Berther AG!»
nest
die ökologisch-ethische Pensionskasse
Nest Sammelstiftung T 044 444 57 57
www.nest-info.ch
4
Arbeitswelt unter Hochspannung?
6
«Ohne Stempeluhr sind wir nie richtig
draussen»
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Frischzellenkur für unser Wirtschaftssystem
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Nur die Besten. Und die Anderen?!
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Mal glänzendes Gold, mal rostendes Eisen:
Die Generation 50plus
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Alles im Umbruch – wer wo arbeitet
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Keine Heimat, nirgends?
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Fremdsein ist immer anders
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«Meine Wunscharbeit ...»
Spurensuche
AG
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Und plötzlich versagte der Körper ...
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Und plötzlich ist alles anders …
Daily Business im FAU
33 Gedankensplitter eines Coachs
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Tel. 031 721 08 54 Fax 031 721 61 41
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Projekte Teilnehmende
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Arbeit als Balanceakt
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Neuorientierung – seinem Leben eine
neue Richtung geben
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Bei Robert Walser die Bestätigung
gefunden
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Projekt «Outplacement» gibt Energie
und Motivation
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Mythos Mistel
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Gesehen, Gelesen, Gehört
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Die Auflösung – wer wo arbeitet
Impressum
Herausgeber FAU – Fokus Arbeit Umfeld
Bremgartnerstrasse 7, 8003 Zürich
Telefon 044 454 70 40
fauch@fau.ch, www.fau.ch
ISSN 1661-4755
Chefredaktion Hedy Bühlmann
Redaktion+Koordination Hedy Bühlmann,
Regula Bättig, Sonja Sanders
Liebe fauch-Leserinnen
liebe fauch-Leser
Wenn Sie den Begriff «Spannung» googeln, finden Sie
305 Synonyme, die in 31 Gruppen eingeteilt sind. Das
heisst vorerst, dass dieser Begriff, je nach Situation verwendet, ganz Unterschiedliches in der deutschen Sprache
bedeutet. Zum Beispiel: «Die Stimmung ist sehr angespannt» oder «Das Publikum hat den Film mit Spannung
erwartet» oder «Versuchen Sie doch mal, sich zu entspannen» oder «Die Anspannung in solchen Situationen ist derart hoch, dass ...». Sie kennen ganz bestimmt
unzählige Spannungsfelder aus der eigenen Arbeitswelt. Um nur ein paar zu
nennen: Überzeit, Verantwortung, Vorgesetzte, Machtverhältnisse, Führungsstil,
Kommunikation, Alter, Lohn, Diplome versus Berufserfahrung, Praktika, Halbwertszeit des Wissens, Internationalisierung, befristete Projektarbeit, Arbeitsplatzsicherheit, Mobilität, Flexibilität, Technologisierung, 24-Stunden-Verfügbarkeit, demografischer Wandel, Aufhebung zwischen Arbeit und Privatem,
­Gesundheit ... Selbstverständlich kann man diese Spannungsfelder als belastend
empfinden oder sie als Herausforderung betrachten, der man sich stellt.
Berufsbilder, Ausbildungsgänge, Karrieren sind im ständigen Wandel. Sie verändern sich mit den Menschen, die im Dickicht einer Multioptionsgesellschaft ihre
Laufbahn gestalten müssen. Notgedrungen oder glücklicherweise. Entsprechend
sind berufliche Entscheidungen, einmal getroffen, weder unumstösslich noch
falsch oder richtig. Alles ist heute möglich und im Fluss, nichts ist von Dauer und
unverrückbar. Dieser Zeitgeist wirkt sich auf das Individuum aus, das auf der
Suche nach seinem Potenzial im allerbesten Fall seine Erfüllung in einer Tätigkeit
leben darf, die wir Berufung nennen. Aktuell diktiert die Arbeitswelt allen Beteiligten stete Bewegung und Veränderung. Heute, jetzt, zukünftig. Warten bringt
daher nichts, Vorwärtsstreben auch nicht immer. Wir müssen entscheiden, ob wir
eine Wirtschaftsordnung wollen, die für die Menschen da ist, und eine Haltung
zu diesem Tempo und dieser Rastlosigkeit finden.
In dieser Gegenwart lautet das Schlüsselwort «Eigenverantwortung» und damit
auch «Risikobereitschaft und Neugierde auf Neues». Das heisst auch, dass wir den
Mut aufbringen, die Konsequenzen des eigenen Handelns zu tragen. Und dazu
gehört es, den Überblick zu wahren, den Strudel des schnellen Wandels auszuhalten, den eigenen Platz zu suchen und in der Lage zu sein, mit dem Unerwarteten umzugehen.
Beiträge Ulricke Bänziger-Bühler, Regula
Bättig, Arne Bläsing, Hedy Bühlmann, Marc da
Silva, Christian Föllmi, Annemarie Gutknecht,
Pascale Heiniger, Beat Klarer, Martin Koch,
Ivo Pavlov, Adrian Përnoka, Karin Rolli, Nadja
Toscan, Anja Woellner, Thomas Wymann
Hedy Bühlmann
Fotografie Simone Gloor, Göran Lindholm,
fotolia.com, GEPA, iStockphoto, zvg
Illustration Michael Monti
Cover Göran Lindholm
Korrektorat Sonja Sanders, Patricia von
Ostheim, Beat Zaugg
Design/Grafik Anja Piffaretti
Inserate Heidi Bolliger Michel, Roland Utiger
Druck Stutz Druck AG, 8820 Wädenswil
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fauch November 12
Auflage 2500 Exemplare
Gedruckt auf Balance Pure (FSC Recycling)
November 13 fauch
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S p a n n u n g s f e l d e r i n d e r A r b e i t sw e lt
S p a n n u n g s f e l d e r i n d e r A r b e i t sw e lt
Arbeitswelt unter Hochspannung?
In der heutigen Arbeitswelt ist die eigentliche Tätigkeit für viele gar nicht mehr die grosse Herausforderung.
Gefordert sind wir hingegen, wenn es darum geht, die eigenen Leistungsgrenzen frühzeitig zu
erkennen, Stressresistenz zu entwickeln und nebenbei Familie, Weiterbildung und Freizeit unter einen
Hut zu bringen. Dabei lernen wir so einiges über den Umgang mit uns selbst.
T e x t R e g u l a B ä t t i g I llustration M i c h a e l M o n t i
«Arbeit schafft nur Probleme». Recht hat er, der betrunkene
Obdach­lose auf der Parkbank. Arbeit schafft Probleme – oder
zumindest Spannungsfelder. Mit dem Wandel der Gesellschaft
wurden diese nicht weniger. Im Gegenteil: Arbeiteten unsere Vorväter noch, um zu leben, leben heute viele, um zu arbeiten. Mehr
noch: Es gehört mittlerweile zum guten Ton, gestresst zu sein,
keine Zeit zu haben oder zumindest viel zu wenig. Zeit ist Geld,
doch wer Zeit hat, ist nichts wert. Paradox daran ist, dass sich die
Allgemeinheit zwar massgeblich über den Job definiert, wir uns
aber gleichzeitig in einer Freizeitgesellschaft bewegen. Zum Wochenendprogramm gehören Sport, Spass, Spiel. Siesta und Spaziergang gelten für die wenigsten als adäquate Freizeitgestaltung
– nicht wenn andere Marathon laufen oder Wildwasserkanu­
touren unternehmen. Nur Schwächlinge brauchen Erholung.
Wer Nackenschmerzen hat, kommt gut weg
Mittlerweile ist das Tempo im Arbeitsalltag oft derart hoch, dass
es viel Stärke braucht, zu erkennen, was einem nicht gut tut, und
allen­falls entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Raus aus dem
Hamsterrad! Immer mehr Menschen haben die Wahl jedoch gar
nicht, sie springen nicht selber, sie werden geworfen. Wer auf das
munter kreiselnde Karussell lediglich mit Schwindelgefühlen und
chronischen Nackenschmerzen reagiert, kommt gut weg. Denn
­andere reagieren mit Herzinfarkt, Magengeschwür, dem Griff zur
Flasche oder zur Pillenpackung. Oder sie erkranken an einem Burnout. Eine genaue Definition des Begriffs «Burnout» existiert nicht.
«Arbeiteten unsere Vorväter noch, um zu leben,
leben heute viele, um zu arbeiten.»
Wissenschaftlich belegt ist lediglich, dass ein wesentliches Merkmal
dafür das «Gefühl der Erschöpfung» ist. Die Autoren der Schweizer
Stressstudie 2010 des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) fragten
1000 Personen, ob sie bei der Arbeit das Gefühl hätten, emotional
verbraucht zu sein. 21 Prozent antworteten mit «trifft eher zu»,
4 Prozent mit «trifft völlig zu». Die Studienverfasser gingen davon
aus, dass jene 4 Prozent «ein klinisches Niveau von Burnout aufweisen und psychologischer und ärztlicher Behandlung bedürfen».
Belegt ist zumindest, dass gemäss den Zahlen des Seco stressbe-
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fauch November 13
dingte Ausfälle die Schweizer Wirtschaft 4,2 Mrd. Franken pro
Jahr kosten. Eine schwer fassbare Zahl. Eindeutig aber viel Geld
– gemessen an einem Bruttoinlandprodukt von derzeit jährlich
rund 590 Milliarden Franken.
Ausgebrannt? Der Nächste wartet
Doch scheint die moderne Gesellschaft diese Kosten in Kauf zu
nehmen. Nur wenige Firmen investieren gezielt in die Stressresistenz – und somit auch in die Gesundheit – ihrer Mitarbeitenden.
Warum auch? Ist jemand nach einigen hochtourig absolvierten
Jahren ausgebrannt, holt man sich halt Ersatz. Unverbrauchte
Berufsleute: motiviert, hungrig nach Erfolg. Frisch ab Ausbildung
legen sich junge, gut ausgebildete Fachkräfte mächtig ins Zeug.
Überstunden? Kein Problem. Häufige Auslandreisen? Toll. Was
solls, wenn sie ihre eigene Wohnung kaum mehr erkennen:
­Prestige und Lohn stimmen. Und das ist ja wohl das, was zählt.
Nur wird der Nachschub an jungen Berufsleuten in absehbarer Zeit
knapp – vielmehr ist er in manchen Branchen längst schon knapp
geworden. Prognosen des Bundesamts für Statistik sagen voraus,
dass der Anteil der über 50-Jährigen unter der in der Schweiz
lebenden Bevölkerung im Jahr 2020 31 Prozent betragen wird,
dies gegenüber einem Anteil von 25 Prozent im Jahr 2000. Wir
werden also nicht umhin kommen, den verbleibenden Arbeits­
kräften besser Sorge zu tragen. Auch jenen jenseits der 50.
Sei wach, agil und nutz‘ die Chance
Selbst wenn es uns dereinst gelingen sollte, den Spagat zwischen
Leben und Arbeit, Arbeit und Gesundheit etwas besser hinzukriegen, mangelt es nicht an Spannungsfeldern. Da ist die Sache mit
der Arbeitsplatzsicherheit, denn die gehört mittlerweile der Vergangenheit an. Heute gilt Employability. Der Lebensarbeitsplatz
hat ausgedient, jeder muss ständig wach, agil und präsent sein. Es
gilt, neue Trends vorauszusehen und die sich bietenden Chancen
zu nutzen. Und: Dauernd auf die eigenen Vorteile achten zu müssen, hat Folgen. Aus sympathischen Kollegen werden erbitterte
Konkurrenten. Doch sitzen Konkurrenten nicht nur im Büro
­nebenan, sie lauern längst weltweit. Unsere heutige Wissens­
gesellschaft bleibt nicht ohne Folgen: Der Arbeitsmarkt für spezifisches Fachwissen funktioniert global. Die Zahlen der Schweizer
Volkszählung 2010 zeigen, dass ein Grossteil der Zuwanderer im
die deutsche Sprache erlernen. Nicht nur die sogenannten JobNomaden, die für ihre Unternehmen heute in der Schweiz und
morgen in Shanghai arbeiten, kommen ohne Deutschkenntnisse
aus. Auch fix in der Schweiz installierte ausländische Fach- und
Führungskräfte brauchen diesen Aufwand nicht auf sich zu nehmen. Im Unternehmen wird sowieso nur Englisch gesprochen, und
im Privatleben bewegt man sich in seinen eigenen Kreisen. Man
trifft sich im International Club, dem American Club oder sonst
«Unsere heutige Wissensgesellschaft bleibt nicht
ohne Folgen: Der Arbeitsmarkt für spezifisches
Fachwissen funktioniert global.»
einem englischsprachigen Verein und schickt die Kinder in Privatschulen. Während die Vereinsbildung von Bosniern oder Portu­
giesen mit Argwohn betrachtet wird, stört sich kaum jemand am
Deutschen Verein oder dem allabendlichen Stammtisch der Engländer im Pickwick Pub.
Erwerbsalter, also jene zwischen 20 und 64, sehr gut ausgebildet
sind. Mehr als die Hälfte verfügt über einen Hochschulabschluss
und gilt somit als hochqualifiziert – dieser Wert liegt deutlich über
dem Schweizer Mittelwert von knapp 30 Prozent. Gleichzeitig hat
sich der Anteil von Personen mit schulischer Grundbildung unter
den Einwanderern von 30,9 Prozent auf 15,6 Prozent verringert.
Bezogen auf die Gesamtschweiz ist dieser Anteil von 24,2 Prozent
auf 18,8 Prozent gesunken.
Deutsch ist Pflicht – oder?
Auch wenn der Anteil an un- oder kaum qualifizierten Immigran­
ten abnimmt, so gibt es diese Kategorie noch immer. Die Zusammenarbeit gestaltet sich oft nicht einfach. Sprachbarrieren können
den Arbeitsalltag kompliziert machen. Hat das Gegenüber verstanden? Wird die Arbeit so erledigt, wie es sein sollte? Deutsch lernen
ist daher Pflicht – diese Forderung ist auch politisch unbestritten.
In den Chefetagen von grossen Unternehmen oder im Bereich
Forschung und Entwicklung wird jedoch mit anderen Ellen gemessen. Kaum jemand erwartet von High Professionals, dass sie
Alle sind gefordert
Aufgrund der steigenden Forderungen nach Flexibilität greifen
viele Unternehmen heutzutage auch auf externe Mitarbeiter zurück.
Manpower als einer der drei weltweit grössten Personaldienstleister
schätzt, dass weltweit mittlerweile jeder fünfte Mitarbeitende von
aussen zugezogen wird. Auch hier knirscht es bisweilen mächtig im
Gebälk. Denn das Zusammengehen von eigenen und «zugemieteten» Mitarbeitenden gestaltet sich nicht immer konfliktfrei. Verdient der andere mehr für die gleiche Arbeit? Ist es gerecht, dass die
Externen den gleichen Preis für das Mittagessen in der Kantine
bezahlen oder die raren Parkplätze mit Beschlag belegen?
Fakt ist, dass die Spannungsfelder, die sich im Zusammenhang mit
der modernen Arbeitswelt auftun, nicht nur Chefsache sind. Im
Gegenteil. Obwohl Unternehmensleitungen sicher Einfluss auf
einen erfolgreichen Umgang mit den Spannungsfeldern haben, ist
in erster Linie Eigenverantwortlichkeit von allen gefordert. Und
einfach ist dies nicht: Es gilt, ständig am Ball zu bleiben, sich
dabei aber nicht völlig zu verausgaben und ganz nebenbei noch
Toleranz zu zeigen und Flexibilität zu beweisen. Regula Bättig ist Journalistin.
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V e r d i c h t e t e A r b e i t sw e lt
V e r d i c h t e t e A r b e i t sw e lt
«Ohne Stempeluhr sind wir nie
richtig „draussen“»
Die Arbeitsverdichtung hat in den letzten 20 Jahren stark zugenommen und dazu geführt, dass Arbeitnehmende
grösseren Belastungen ausgesetzt sind. Mit diesen sind Stress, Interessenkonflikte und Spannungen
verbunden. Arbeitspsychologe Prof. Dr. Theo Wehner diskutiert mit dem «fauch» die Frage nach dem humanen
Arbeitsplatz und erklärt, weshalb der Gesellschaft die bezahlbare Arbeit ausgeht.
T e x t H e d y B ü h l m a n n , N a d j a T o s c a n F otos S im o n e G l o o r
Was macht ein Arbeitspsychologe, Herr Professor Wehner?
Man muss zwischen der angewandten Arbeitspsychologie unterscheiden, die Arbeitsplätze aus der Perspektive der Arbeitnehmer
gestalten will, und der theoretischen Psychologie, die eine Vorstellung davon entwickelt, was humane Arbeit ist. Die Grundlagenforschung der Hochschulen stellt Analyseinstrumente bereit,
um beispielsweise Arbeitszufriedenheit zu messen und geht der
Frage von Sinn und Glück in der Arbeit nach. Oder: Wenn die
Arbeitsmedizin Lärm in Dezibel misst, beschäftige ich mich als
Arbeitspsychologe mit der individuellen Wahrnehmung von Lautheit, also damit, wie Lärm erlebt wird.
Sie haben über die Humanisierung der Arbeitswelt geforscht.
Was meinen Sie damit?
In den Siebzigerjahren schauten wir mit kritischem Blick auf die
bestehende Arbeitswelt. Die Arbeitspsychologie entwickelte Kriterien, die einen humanen Arbeitsplatz ausmachen: Ganzheitlichkeit
der Aufgabe, Vielfalt der Tätigkeit, Lernmöglichkeiten, Sozialität,
Kollegialität. Dabei handelte es sich nicht um einen naiven Wellnesstrip, denn neben der Zufriedenheit der Arbeitnehmenden nahmen auch Produktivität und Qualität zu. Es ging uns darum, zu
zeigen, was ein humaner Arbeitsplatz den Arbeitnehmenden und
den Arbeitgebenden bringt. Zwar hat das Bewusstsein diesbezüglich bis heute zugenommen, doch Fliessbänder und viel Stress gibt
es nach wie vor, und die Verdichtung der Arbeit steigt weiterhin.
Nehmen Unternehmen solche Ergebnisse wahr, und werden
diese auch umgesetzt?
Durch die Humanisierungsdebatte wurden Begriffe wie Kollegialität, Kooperation und Teamarbeit in der Arbeitswelt klar gefestigt,
auch von Arbeitgeberseite her. Formen der Zusammenarbeit
rückten in den Fokus des Gesprächs. Die Idee, dass es um Kooperation und nicht um Konkurrenz geht, wurde akzeptiert. Darauf
folgten flexible Arbeitszeitmodelle und die Einsicht, dass Arbeitnehmer auch dann produktiv sind, wenn sie nicht mit der Stempeluhr kontrolliert werden. Dass Teamarbeit effektiv ist, ist heute
Standard.
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fauch November 13
Allgegenwärtiger Stress – wieso macht die heutige Arbeitswelt
so viele Menschen krank?
Arbeit macht krank. Arbeitslosigkeit macht auch krank. Im physischen und technischen Bereich haben wir in den Arbeitswissenschaften viel geleistet. Unsere Arbeitsplätze sind – besonders in
der Schweiz – ergonomisch gut gestaltet. Aber dies hat auch eine
weitere Arbeitsverdichtung ermöglicht. Seit den 80er und 90er
Jahren hat die Verlagerung von Verantwortung auf den Einzelnen
stark zugenommen. Diese allgegenwärtige Mitverantwortung und
der daraus folgende Stress führen, wie vom Soziologen Alain
Ehrenberg beschrieben, zum «erschöpften Selbst». Für unsere
­Arbeitszufriedenheit ist nicht mehr das HR zuständig. Wir werden
selbst zum Arbeitskraft-Unternehmer und bewirtschaften unsere
Kompetenzen, unser Netzwerk, unsere Weiterbildung und auch
die Arbeitswechsel selber. Das sind radikale Veränderungen in der
Arbeitswelt und für die Biografie der Arbeitnehmenden.
Wo liegt Ihrer Meinung nach die Verantwortung, den indivi­
duellen Arbeitsumfang und die Zuständigkeiten zu regulieren?
Je mehr Gestaltungsfreiheit dem Arbeitnehmenden gegeben wird,
desto mehr leistet er. Dies spiegelt eine Art von Selbstausbeutung
wider. Ohne Stempeluhr sind wir nie richtig «draussen» und
­arbeiten meistens über das Geforderte hinaus. Menschen wollen
tätig sein, Verantwortung übernehmen, Qualität liefern und wir
sind sogar bereit, dabei einzelne Lebensbereiche zu vernachlässigen. Work-Life-Balance ist das Thema, aber eigentlich müsste von
einer Work-Work-Balance die Rede sein. Wir gehen nämlich heute von Tätigkeitsfeld zu Tätigkeitsfeld: Von der Erwerbsarbeit zur
Hausarbeit und auch in der Freizeit wird Arbeit erledigt und Leis­
tung erbracht. Dieses Verhalten wird noch weiter zunehmen. Die
Leistungsbereitschaft und Erreichbarkeit in der Arbeitswelt sind
sehr hoch im Moment und werden – so paradox das auch klingen
mag – als Entlastung wahrgenommen: E-Mails checken in den
Ferien erlaubt einem, bei der Rückkehr auf dem Laufenden zu sein.
… und ungestört können wir von zuhause aus arbeiten und
­Arbeits- und Privatwelt noch weniger voneinander abgrenzen?
«Der Wissensarbeiter, der selbstbewusst
ist, der will mit 45 in Rente gehen.»
Genau. Wir probieren neue Formen aus und entdecken Möglichkeiten und Technologien, die uns zur Verfügung gestellt werden.
Arbeitsplatz-Gestaltung geht aber natürlich weiter. Zum Beispiel
fallen institutionalisierte Pausen mit Kollegen im Home Office
weg. Hier übernimmt der Arbeitgeber keine Verantwortung. Ob
jeder Arbeitnehmende ein guter Arbeitswissenschaftler ist und
seinen Heimarbeitsplatz ergonomisch gestalten kann, ist sehr
fraglich. Daher sollte dies kritisch betrachtet und unterstützt werden: Wie ersetzt man die sozialen Austauschformen, die im Büro
täglich entstehen und zur Arbeitszufriedenheit beitragen? Durch
diese Arbeitsformen wird zwar dem Arbeitnehmenden Autonomie zugestanden. Home Office ist natürlich oft ein individuelles
­Bedürfnis, in erster Linie für das Unternehmen jedoch platz- und
ressourcensparend.
Was brauchen denn Arbeitnehmende? Welche Bedürfnisse
­haben wir in Bezug auf unsere Tätigkeit?
Menschen wollen Tätig-Sein, etwas zum Ganzen beitragen. Innerhalb des Gefüges von Arbeitsteilung geht es darum, seine Rolle
einzunehmen, Identität bilden und damit zufrieden, womöglich
glücklich zu werden. Man kann auch von Sinnsuche sprechen. Im
Rahmen der «Global Workforce Index»-Studie wurden Mitarbeitende auf allen Ebenen gefragt, ob sie für eine sinnvollere Tätigkeit auf Geld oder Status verzichten würden. Bis zu 70 Prozent der
international Befragten bejahten die Frage. Sinn und nicht ein
Bonus ist die neue Währung in der Arbeitswelt. Das gilt besonders
für die Generation Y. Die nach 1980 Geborenen sind in einer
­anderen Gesellschaft aufgewachsen, beobachten uns Ältere in der
Reproduktionsmühle und distanzieren sich davon.
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V e r d i c h t e t e A r b e i t sw e lt
«Allgegenwärtige Mitverantwortung
und der daraus folgende Stress führen zum
erschöpften Selbst.»
Viele von ihnen nehmen sich eine Auszeit bereits nach der Lehre,
nach der Matura, nach dem Bachelor und nochmals nach dem
Master. Sie warten nicht auf das Rentenalter, um sich zu entfalten.
Oder man wird Freelancer und übernimmt die ganze Verantwortung, um sich nicht an ein Unternehmen zu binden. Wissens­
intensive Unternehmen reagieren bereits strategisch auf diesen
Trend und stellen Arbeitnehmende projektbezogen und befristet
ein. Jeder ist zudem in einem Netzwerk. Wenn IBM sucht, dann
finden die sofort die richtigen Kandidaten und zwar in sozialen
Netzwerken und nicht per Headhunter.
In dieser Diskussion hört man das Wort «Konkurrenz» ja gar
nicht mehr?
Wenn jeder mit jedem konkurriert, muss man es eben nicht mehr
benennen. Dabei hat die gegenseitige Konkurrenzierung und
­Entsolidarisierung in letzter Zeit enorm zugenommen. Alles ist
projektorganisiert und individualisiert. Man muss sich intern bewerben und mit seinen Kollegen konkurrieren. In diesem Zusammenhang sprechen wir von «Koopkurrenz», einer Mischung von
Kooperation und Konkurrenz. Um ins Projekt zu kommen, muss
ich konkurrieren, im Projekt muss ich aber wieder kooperieren.
Diese Spannung auszuhalten, ist sehr schwierig.
V e r d i c h t e t e A r b e i t sw e lt
Welche Spannungsfelder zwischen Arbeitgeber und Arbeit­
nehmenden haben Sie identifiziert?
Man muss kein Marxist sein, um zu sehen, dass dieses Verhältnis
eines ist, das von unterschiedlichen Interessen ausgeht. Interessenskonflikte lösen Spannungen aus. Diese müssen nicht zerstörerisch sein, an Spannung kann man auch wachsen. In der Arbeitswelt geschieht immer noch wenig auf Augenhöhe zwischen den
Akteuren. Wir haben immer noch Ungleichheiten; denken Sie
an die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern! Das muss
aber nicht gleich Ungerechtigkeit bedeuten. Fragen gegenseitiger
­Wertschätzung und gemeinsamer Verantwortung sind zudem von
­Bedeutung. Wie viel Mitverantwortung habe ich für das unternehmerische Interesse, wie viel Verantwortung übernimmt das Unternehmen für die Mitarbeitenden? Die Interessensgegensätze werden
noch durch die Sozialpartnerschaft mit Gewerkschaften vermittelt.
Diese sind in Europa jedoch völlig unterschiedlich. In Frankreich
oder Deutschland ist Kampfpotenzial bei den Gewerkschaften vorhanden. In der Schweiz funktioniert die Sozialpartnerschaft a­ nders.
Es gibt keine grossen Konflikte. Aber dort, wo Gewerkschaften
versuchen, für ihre Klientel etwas zu tun, wird es schwierig. Nehmen wir die Initiative «6 Wochen Ferien für alle» des letzten Jahres:
Schweizer verstehen sechs Wochen Ferien als Bedrohung, sonst
hätten sie doch die Initiative nicht zu 2/3 abgelehnt. Oder es stellt
sich die Frage, ob da schon so viel unternehmerische Verantwortung vorhanden ist. Hier ist womöglich eine Überidentifikation des
Einzelnen mit dem unternehmerischen Risiko festzustellen.
Junge Menschen verfügen heute oft über eine sehr umfassen­
de Ausbildung. Welche Perspektiven haben sie?
Wir hatten noch nie so viele qualifizierte, weiterbildungsinteressierte, karrierebewusste Arbeitnehmende, und es zeigt sich in
­vielen Firmen, dass es mitunter zu wenig qualitativ anspruchsvolle
Aufgaben und Aufstiegschancen gibt. Für den Einzelnen kommt
es deshalb zu einer Situation, die wir Überforderung durch Unterforderung nennen. Diese Personen werden unzufrieden und suchen
in Netzwerken nach neuen Optionen. Darum sind diese Leute
­immer auf dem Markt und kommen nie an. Nur noch aus CV-­
Designgründen muss man es an einem bestimmten Arbeitsort noch
ein bisschen aushalten, bis man wieder wechseln kann. Die stetige
Hoffnung, woanders eine bessere Arbeit zu finden, treibt einen
weiter. Die Wahrscheinlichkeit, dass der neue Job doch der falsche
ist, ist enorm gross. So beginnt eine neue Form der Belastung.
Professor Dr. Theo Wehner
Professor Dr. Theo Wehner leitet das Institut für Arbeits- und
Organisationspsychologie an der ETH Zürich. Er befasst sich in
Forschung und Lehre mit den Wechselbeziehungen zwischen
Mensch und Arbeit in Organisationen und Gesellschaft. Aktuell
leitet er z.B. das NF-Projekt «Freiwilligenarbeit als psycho­
soziale Ressource für Work-Life-Balance und Gesundheit».
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fauch November 13
Die «Baby Boomer Generation» und die «Generation auf ­Achse»:
Was bedeutet dies für die Unternehmen?
Das bedeutet, dass die Bindung zwischen Arbeitnehmenden und
Arbeitgebenden niedriger ist. Die Austauschbarkeit wird andererseits immer grösser. Viele Mitarbeiter wollen sich nicht mehr
binden, auch nicht an Arbeitskollegen. Man trifft sich ja auf Xing
wieder. Aufgrund dieser Situation kann ich mich auf dem Arbeitsmarkt viel autonomer und individueller bewegen, aber ich muss
alles selber bewirtschaften. Wer weniger Selbstbewusstsein hat
und eher introvertiert ist, ist stark überfordert mit dieser Entwicklung. Der Wissensarbeiter, der selbstbewusst ist, der will «rein­
hauen», mit 45 eventuell aussteigen und nicht auf die Rente warten. Den klassischen Arbeitsplatz, von 9 bis 17 Uhr, fünf Tage die
Woche, den gibt es für viele nicht mehr. Das ist kein Verlust und
kein Gewinn, denn es eröffnet neue Wege, Vielfalt, Individualität...
Bezahlte Vollbeschäftigung ist längst out. Gibt es überhaupt
noch Arbeit für alle?
Betätigungsfelder und Aufgaben für alle gibt es sicher, ob diese
auch bezahlbar sind, das ist die Frage! Wir forschen viel im
­Bereich der Freiwilligenarbeit. Hier gibt es junge Menschen, die
«Voluntourism» erfunden haben. Sie gehen als Touristen nach
Südamerika, machen aber Ferien indem sie als Volunteer auf einer
Fairtrade-Kaffeeplantage mitarbeiten. Erstaunlicherweise haben
Freiwillige, die dadurch in ihrem Alltagsleben ja noch eine Rolle
mehr ausfüllen, dennoch eine bessere Work-Life-Balance, als jene,
die keine Freiwilligenarbeit verrichten.
Was halten Sie von der Initiative «Für ein bedingungsloses
Grundeinkommen»?
Mehrere derzeitige Initiativen in der Schweiz nehmen wahr, dass
in der Arbeitswelt Ungleichheit herrscht. So etwa auch die
1:12-Initiative. Am weitesten geht allerdings die Idee, Einkommen
und Arbeit voneinander zu trennen. Das ist eines der grössten
Gedankenexperimente. Was würde diese Trennung – falls sie vollzogen wird – mit uns machen? Viele Befürworter glauben, dass
man nur noch das machen würde, was für einen Sinn macht. Zu
wissen, was man will, ist nicht trivial und kann auch eine Überforderung darstellen. Wir würden in eine Situation katapultiert,
die wir nicht kennen, deren psychologische Auswirkungen wir
nicht vorher sagen können.
Das Denken über die Arbeitsgesellschaft wird durch diese Initiative jedoch befruchtet und sollte nicht gebremst werden. Viele
Ablehner haben das Menschenbild, dass man dann nur noch in
der Hängematte liegen würde, wenn Existenzsicherung irrelevant
wird. Die Erfahrung kann dieses Bild keineswegs bestätigen. Es
gibt ganz, ganz wenige, die sich in der Arbeitslosigkeit «einrichten», und diese machen dann auch meist noch Eigenarbeit oder
sind für die Schwarzarbeit zu haben. Menschen wollen Tätig-Sein
«Es geht vermehrt darum,
das Unerwartete zu managen.»
und wissen, dass sie in der Betätigung Sinn finden. Das gilt sicher
auch für Zeiten des bedingungslosen Grundeinkommens, die noch
in weiter Ferne liegen, aber sinnvollerweise in der Schweiz nun
angedacht und weiter gedacht werden.
Die Arbeitswelt unterliegt einem ständigen Veränderungs­
prozess. Welche Fähigkeiten brauchen wir, um mit diesen Ver­
änderungen gut umzugehen?
Wir dürfen nicht in unseren Erwartungen verharren. Dies fordert
flexibles Reagieren im Arbeitskontext. Die Hauptdiskussion in den
Betrieben ist oft dieselbe: «Wer ist für was zuständig» oder noch
einfacher: «Dafür bin ich nicht zuständig». Diese Form der Abgrenzung funktioniert in Wissensgesellschaften, wo es täglich auch um
Innovationen geht, nicht mehr. Rollenidentität bedeutet heute
Überlappung unterschiedlicher Rollen, nicht deren Abgrenzung,
und Mitverantwortung tragen. Daher müssten wir auch mehr
­Frustrationstoleranz haben und Widerstandskräfte aufbauen. Denn
diese werden in der dynamischen Arbeitswelt gebraucht. Wir
sind nicht für rein reproduktive, mechanische Tätigkeiten gemacht.
Roboter erledigen diese viel zuverlässiger. Es geht vermehrt darum,
das Unerwartete zu managen. Um dem Unerwarteten begegnen zu
können, muss man wiederum offen und neugierig sein für Veränderung und für die Erfahrungen der Anderen. Hedy Bühlmann, Coach bei FAU, und Nadja Toscan
sind Kommunikation­s­wissenschaftlerinnen.
R e d a k t i o n s p r a k t i k u m
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November 13 fauch
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S p a n n u n g s f e l d Ö k o n o mi e
S p a n n u n g s f e l d Ö k o n o mi e
Frischzellenkur für unser
Wirtschaftssystem
Hat der gute, alte Kapitalismus ausgedient? Wohl kaum, zumindest nicht so bald. Aber die Zeichen
stehen auf Veränderung. Immer mehr Menschen engagieren sich für Alternativen. Sie setzen auf Tauschhandel,
fordern neue Werte oder ein Grundeinkommen. Alles Freaks? Mitnichten.
T e x t R e g u l a B ä t t i g F oto z V g
Da sind die Banken, der Euro, der Arabische Frühling und das
Klima: Es kriselt. Warum eigentlich? Schliesslich gilt: Wenn jeder
für sich schaut, dann geht es allen gut. In etwa so sieht – frei nach
Adam Smith – die Grundidee der Marktwirtschaft aus und nach
deren Grundzügen funktioniert unsere Wirtschaft.
«Wenn jeder für sich schaut, schaut eben jeder nur für sich», findet
hingegen Christian Felber, Buchautor und Globalisierungskritiker
aus Österreich. Er plädiert daher für ein neues Wirtschaftssystem,
für die Gemeinwohl-Ökonomie. Eine Idee, die für einiges Auf­
sehen gesorgt hat. Felber aber findet, was er da vorschlage, sei
eigentlich nichts Neues. «Die Gemeinwohl-Ökonomie lehnt sich
«In die Gemeinwohl-Bilanz sollen demokratische
Werte einfliessen: Menschenwürde, Solidarität,
Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit.»
an den Werten an, die wir in unseren persönlichen Beziehungen
anstreben und die auch fast überall in der Verfassung verankert
sind», stellt er fest.
Dass Unternehmen derzeit an ihrem Gewinn und Länder an ihrem
Bruttoinlandprodukt gemessen werden, ist nach Ansicht von ­Felber
ein grundlegender Fehler. «Geld ist nur das Mittel des Wirtschaftens», sagt er. «Das eigentliche Ziel ist das Gemeinwohl.» Und der
Erfolg eines Projekts müsse anhand der Zielerreichung gemessen
werden, nicht anhand der eingesetzten Mittel. Er schlägt als Alter­
na­tive eine Gemeinwohl-Bilanz vor. Dort sollen die häufigsten
Werte demokratischer Gesellschaften einfliessen: also Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Der Lohn der Sache? Je mehr GemeinwohlPunkte eine Unternehmung erzielt, umso mehr rechtliche Vorteile
soll sie erhalten. Konkret gemeint sind
Steuerprivilegien oder Vorteile bei
Unzählige Gegenentwürfe
Auftragsvergaben.
Auf der ganzen Welt beschäftigen sich Menschen
mit Alternativen zum herrschenden Wirtschafts­
system. Detaillierte Informationen und weiterführende Links:
www.gemeinwohl-oekonomie.org
www.grundeinkommen.ch
www.talent.ch
www.weltethos.org
10
fauch November 13
«Wie ein Blitz getroffen»
Christian Felber ist jedoch nicht der
Einzige, der sich mit neuen – nachhaltigeren – Wirtschaftsmodellen be-
fasst. In absehbarer Zeit soll in der Schweiz sogar über die Initia­
tive «Grundeinkommen» abgestimmt werden. Die vom Basler
Unternehmer Daniel Häni und dem Künstler, Filmer und Autor
Enno Schmidt vorbereitete Volksinitiative schlägt vor, in der
Schweiz ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen.
Dieses Geld soll, so Häni, «der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben
ermöglichen». Konkret wird ein Betrag von 2500 Franken genannt, für Kinder soll ein altersabhängiger Betrag gelten. «Für
den grössten Teil der Bevölkerung würde ein Grundeinkommen
nicht bedeuten, dass sie mehr Geld zur Verfügung hätten», stellt
Häni klar. Das Grundeinkommen würde lediglich die bestehenden
Erwerbseinkommen und die aus Abgaben finanzierten Sozial­
versicherungen wie beispielsweise die Taggelder der Arbeitslosenkasse in seiner Höhe ersetzen. «Aber es würde weitaus mehr
Sicherheit bedeuten, und finanzielle Existenzängste würden der
Vergangenheit angehören.» Sozialleistungen, die höher als das
Grundeinkommen sind, sollen entsprechend erhalten bleiben.
Häni geht davon aus, dass die Finanzierung eines Grundeinkommens in der Schweiz möglich sei und eine sinnvolle Investition
wäre.
«Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens hat mich wie
ein Blitz getroffen», erzählt Daniel Häni. 1990 war er erstmals auf
einen Artikel zu diesem Thema gestossen. «Das Grundeinkommen
ist wesentlich dafür, dass der Mensch sein eigentliches Potenzial
nutzen kann», findet der 47-jährige Basler. «Das Grundeinkommen selber löst keine Probleme», ist sich Häni bewusst. «Aber es
macht den Kopf frei.» Und genau das sei der springende Punkt:
«Unsere Gesellschaft steht vor grossen Herausforderungen: Da
brauchen wir Leute, die Selbstverantwortung tragen, selber denken und sich engagieren.»
Ist Häni ein Utopist? «Nein», findet er, «mein Unternehmen beweist
das Gegenteil.» Beim Unternehmen Mitte handelt es sich um ein
Kaffeehaus, indem man nicht konsumieren muss, sondern nur,
wenn man will. «Dann nennen Sie mich lieber einen Spinner», sagt
er. «Ich spinne an einer Wirtschaftsordnung, die für die Menschen
da ist und nicht umgekehrt. Diese Bewegung ist am Wachsen. Das
zeigt unter anderem auch der Erfolg der Unterschriftensammlung
für das Grundeinkommen.»
Wolfensohn, Vasella & Co.
Tatsächlich ist Häni alles andere als ein einsamer Rufer im Wald.
Da ist beispielsweise auch die Stiftung Weltethos, die sich stark
mit der Thematik des ethischen – oder auch anständigen – Wirtschaftens befasst. In ihrem Manifest für ein Globales Wirtschafts­
ethos wird verlangt, dass die Wirtschaft Grundbedingungen
schafft, sodass alle Menschen ihre Grundbedürfnisse decken und
in Würde leben können. Dies beinhaltet auch den nachhaltigen
Umgang mit der Umwelt und den Kampf gegen Ungerechtigkeit
oder Korruption. Von weltfernen Utopisten kann man bei den
Erstunterzeichnern des Manifests kaum sprechen: Nebst dem
Schweizer Theologen Hans Küng – einer der treibenden Kräfte der
Weltethos-Idee – gehören zu den Erstunterzeichnern des entsprechenden Manifests auch der ehemalige Präsident der Weltbank,
James Wolfensohn, Daniel Vasella, ehemals CEO von Novartis,
und Desmond Tutu, Friedensnobelpreisträger.
Negativzins auf sämtliche Guthaben
Neue Wege werden jedoch auch im Kleinen gesucht. So wird
Tauschen für immer mehr Menschen eine echte Alternative zum
Kaufen. Tauschnetze, Tauschvereine oder Zeitbörsen boomen.
­Obwohl selber 1995 eher «zufällig reingerutscht», ist die als Projekt­leiterin tätige Ursula Dold mittlerweile nicht nur eine grosse Verfechterin der Tauschidee, sondern auch Präsidentin von ­«Talent»,
einer der grösseren Tauschorganisationen der Schweiz. Anders als
bei rein regional angelegten Tauschnetzen sei bei Talent der persönliche Kontakt nicht das oberste Ziel, erklärt sie. Abgerechnet
wird bei «Talent» daher nicht im Sinne von «ich backe dir einen
Kuchen, und du streichst mir dafür die Küche» wie bei Tausch­
börsen, sondern in einer Art eigener Währung, dem Talent. Für
jede Leistung wird ein bestimmter Talentbetrag zwischen den
Tauschpartnern ausgehandelt, der dann auf ein Konto kommt und
beim Kunden der Leistung vom Konto abgezogen wird. Diese
Konten haben für Dold auch eine politische Dimension, nicht nur
weil damit eine Art Komplementärwährung existiert: «Auf Talentkonten gilt ein Negativzins.» Anders als wir es uns von Bank- und
Postkonten gewohnt sind, nimmt das Guthaben dort nicht im
Laufe der Zeit durch Zinszahlungen zu, sondern es nimmt ab, je
länger es liegen bleibt. «Die Teilnehmer sind daher motiviert,
Unternehmen Mitte in Basel
keine Ersparnisse anzuhäufen, sondern ihre Talente im Umlauf
zu halten», meint Dold. In ihrer Zukunftsvision ist der Talent eine
effektive Komplementärwährung zum herkömmlichen Geld. «Und
zwar eine, mit der man sich Dinge leistet, die man sich sonst nicht
leisten würde, weil erst Essen, Miete und Versicherungsbeiträge
bezahlt werden müssen.» Massagen beispielsweise, der neue
Wohnzimmertisch oder die geführte Kanutour. In seiner Form
als Nebenwährung hat der Talent nach Ursula Dolds Ansicht das
Potenzial, die negativen Mechanismen des aktuellen Geldsystems,
durch das die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter
aufgeht, aufzuzeigen. «Für mich ist der Talent ein Beispiel für eine
wünschenswerte Alternative.» Regula Bättig ist Journalistin.
November 13 fauch
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A n sp a n n u n g im HR M a n a g e m e n t
A n sp a n n u n g im HR M a n a g e m e n t
rungsprozesse zu unterstützen. Grosse KMUs oder Konzerne hingegen richten ihr Talentmanagement in viele verschiedene Richtungen aus. Für die Kleinen wie die Grossen gleichsam wichtig ist
die Einbindung in die Unternehmensstrategie und Firmenkultur:
Gesucht – Gefunden – Entwickelt.
Erste Studien in der Schweiz zeigen bereits, dass der Einfluss des
Talentmanagements auf den Unternehmenserfolg signifikant ist.
Und immer mehr Unternehmer verstärken ihre Bemühungen in
Richtung Rekrutierung und Talententwicklung. Zudem treffen sie
Vorkehrungen, um diese Mitarbeitenden langfristig an das Unternehmen zu binden. Deren Rekrutierung allerdings gestaltet sich
alles andere als einfach.
Talente nehmen die strategisch wichtigen und imageträchtigen Positionen ein, die man selbst vielleicht gerne gehabt hätte.
Nur die Besten. Und die Anderen?!
Angetrieben durch die Globalisierung der Märkte und stetig steigende Anforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit
verdichten sich Tempo, Druck und Komplexität im beruflichen Umfeld zunehmend. Die Anspannung, unter der
auch die HR Verantwortlichen stehen, nimmt in gleichem Masse zu. Insbesondere im Hinblick auf das Talentmanagement
prallen häufig Welten und verschiedene Sichtweisen aufeinander.
T e x t A n j a W o e l l n e r F oto GE P A
Mitarbeitende legen heute zunehmend mehr Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Freizeitkompensation statt Überstundenzuschlag sowie Entwicklungsmöglichkeiten. Demgegen­
über stehen die Interessen des Arbeitgebers, für den Wachstum,
Innovationskraft und Gewinn vorrangig sind. Diese oft ungleichen
Interessenslagen führen zu Spannungen. Vor allem zwischen den
vorhandenen Mitarbeitenden und den neuen Nachwuchskräften,
«Erfolge sind unerlässlich. Und unter ­diesem Druck
entstehen schnell Egoismen und Differenzen.»
den Talenten. Rekrutiert, um den Unternehmenserfolg zu beeinflussen und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Sie nehmen die
strategisch wichtigen und imageträchtigen Positionen ein, die man
selbst vielleicht gerne gehabt hätte, initiieren und treiben Veränderungsprozesse voran, schaffen Wettbewerbsvorteile und helfen,
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fauch November 13
Marktanteile zu gewinnen. Und all das macht sie zu etwas Besonderem im Unternehmen. Ihre Einzigartigkeit und Bedeutung für
den Unternehmenserfolg fordert und fördert besondere Aufmerksamkeit. Und das erzeugt Unmut, sogar Frust. Bei allen Beteiligten.
Talentmanagement signifikant für Unternehmenserfolg
Im Talentmanagement geht es darum: «Die am besten geeignete
Persönlichkeit, zur rechten Zeit, für die am besten geeignete Funktion zu rekrutieren, zu halten oder entsprechend zu entwickeln,
um den Erwartungen der Shareholder zu entsprechen/zum Unternehmenserfolg beizutragen.1» Eine allgemeinverbindliche Defi­
nition gibt es nicht. Jedes Unternehmen legt individuell seine
Talentstrategie, Massnahmen und Prozesse fest. Talente nehmen
in den Firmen Schlüsselfunktionen ein. Und das erfordert eine
klare und eindeutige Beschreibung dessen, was gefordert ist und
gefördert wird. In einem kleinen Unternehmen wird es darum
gehen, mit einem Talent die Nachfolge abzusichern und Verände-
Die Jagd nach den Talenten
Dass die globalen Arbeitsmärkte transparenter als vor dem Inter­
net­zeitalter sind, ist zwar ein Vorteil, aber dadurch erhöht sich das
Risiko, dass Talente abwandern. Der «Talentmarkt» ist ein sehr
kleiner Markt. Talente sind ein rares Gut, schwer zu finden und
sich ihres Wertes bewusst. Daher wird auch von «War for Talents2»
geredet. In der HRM Trend Studie 2012 spricht der Autor Dr.
Cachelin bereits von «… Zwei-Klassen-Gesellschaft und verschärftem Wettbewerb». Um die gesuchten Talente zu finden und erfolgreich zu rekrutieren, ist besonderes Können vom HR gefordert.
Namentlich Kreativität, Flexibilität und Geduld. Insbesondere die
sehr hohen Investitionen (Zeit und Geld) in das betriebsinterne
Talentmanagement bedürfen einer Rechtfertigung und eines
messbaren ROI (Return on Investment / Ertrag aus investiertem
Kapital). Erfolge sind unerlässlich. Und unter diesem Druck entstehen schnell Egoismen und Differenzen.
In manchen Unternehmen kann heute der Eindruck aufkommen,
dass sich die Belegschaft mehrheitlich aus Talenten oder strategisch wichtigen Leistungsträgern zusammensetzt. Richtig ist:
­Talente machen etwa 5 % (<100 Mitarbeitende) bis ca. 20 % (>500
Mitarbeitende) des gesamten Personals aus. Demzufolge setzt
sich die Belegschaft zu 80%-95 % aus «den Anderen», mehr oder
­weniger gut qualifizierten und erfahrenen Fach-und Führungskräften zusammen. Sie sind zwar keine «Talente per Definition»,
doch genauso wichtig für den Unternehmenserfolg. Sie besitzen
keine oder weniger starke Karrierebestrebungen, die Familie oder
das Sozialleben ist ihnen wichtiger. Und doch: Ob der emsigen
Jagd nach den raren und so gesuchten Potentialen und dem deutlich grösseren Zeit-und Kostenaufwand im Hinblick auf Suche
und zukünftige Entwicklung, entsteht oftmals ein falscher Eindruck bei der übrigen Belegschaft. «Wir gehen vergessen», dieser
Satz ist häufig zu hören. Dann wird es schnell emotional. Gefühle
wie Missachtung der eigenen Leistung, fehlende Wertschätzung
durch das Management bis hin zu Minderwertigkeitsgefühlen
treten zutage. Neid entsteht: auf das so viel höhere Gehalt und die
zahlreichen Entwicklungsmöglichkeiten. Die darüber hinaus so
offensichtlichen Benefits wie der schöne Firmenwagen oder das
Firmen-Natel mit dem Apfel-Logo. In diesem Spannungsfeld liegt
Konfliktpotential. Hier zu vermitteln, ist für das HR nicht nur
anspruchsvoll, sondern vor allem zeit- und betreuungsintensiv.
Erfolgreiche Unternehmen begegnen dieser Situation mit einer
offenen und klaren Kommunikation. Aber vor allem indem sie
ein ebenso grosses Augenmerk auf den Erhalt von Produktivität
und Motivation bei der übrigen Belegschaft legen. Fehler bei der
­Rekrutierung und Personalentwicklung oder einen Imageschaden
«Wichtig ist eine Kultur, in der Leistung belohnt
und Wertschätzung erfahren wird, sich alle
entwickeln und einen Beitrag leisten können.
kann sich niemand leisten. Denn das wirkt sich nachteilig auf
Unternehmenserfolg, Kundenbeziehungen oder auch die Attraktivität als Arbeitgeber aus.
HR in vielfältigen Rollen gefordert
Gelebtes Talentmanagement beeinflusst Gewinn, Produktivität
und Effizienz gleichermassen wie die Attraktivität des Arbeitgebers
und die Stärke des Firmenbrands. Ebenso wie die Motivation und
Loyalität der Mitarbeitenden – der Besten und der Anderen. Um
sich als HR Verantwortliche in solch verschiedenen Spannungsfeldern frei und langfristig erfolgreich bewegen zu können, sind
nicht nur eine stabile Gesundheit, eine hohe Sozialkompetenz und
fachliches Know-how von Nöten. Die Fähigkeit, flexibel zwischen
verschiedenen Rollen wechseln zu können, ist ebenso wichtig.
Erfolgreiche HR Verantwortliche agieren als Unternehmens- und
Sozialberater, Change Manager, sind
Mediator und Schiedsrichter, Coach
Was Talente wollen…:
und Mentor. An einem spannenden
•Innovative Unternehmen, die auf WachstumsTag sind mehrere Rollen gleichzeitig
kurs & global präsent sind.
•Eine attraktive & starke Arbeitgebermarke/­
gefragt.
Employer Brand.
Engagement, Enthusiasmus und der
•Sinnhaftigkeit in ihrer Aufgabe/Rolle.
leidenschaftliche Einsatz für die Er­
•Werte & Motivatoren im beruflichen Umfeld,
reichung der Unternehmensziele sind
die mit den eigenen übereinstimmen.
•Gestaltungsspielräume, hohe Flexibilität &
letztendlich weder ausgefeilten Talentsehr gute Entwicklungsmöglichkeiten.
management-Programmen, Assess•Angemessenes
Gehalt / Benefits & eine
ment Centern3, Talentscouts4, Bonus­Beteiligung am Unternehmenserfolg.
plänen oder Firmenwagen zu verdanken. Wichtig ist, eine Kultur und ein
… und sie für das Unter­
nehmen attraktiv macht:
Umfeld zu schaffen, in der Leistung
belohnt und Wertschätzung erfahren
•Wissen, Fähigkeiten/Begabungen/Potentiale,
die einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
wird. Und jede/r sich entwickeln kann
•Hoher Qualifizierungsgrad, hohe Mobilität &
und seinen Beitrag leisten will. Arbeitsmarktfähigkeit.
Anja Woellner ist HR Managerin.
•Flexible Reaktion auf Veränderungen, Initiator
[1] Zusammenfassung verschiedener Begriffsdefi­
nitionen zum «Talentmanagement». Talente
gelten als «High Potentials». [2] Begriff von
McKinsey in den 90er Jahren eingeführt als
«intensiver Wettbewerb zahlreicher Unternehmen um einige wenige Nachwuchskräfte, mit
überdurchschnitt­lichen Fähigkeiten». [3] Assessment Center: ­Personalauswahlverfahren, das
der Kompetenzüberprüfung (sozial/fachlich) dient. [4] Talentscout: Talent­sucher/in
& Treiber von/in Veränderungsprozessen.
•Persönlichkeit mit Führungsqualitäten,
initiativ, kreativ, kommunikations- & ent­
scheidungsstark.
•Sehr gute Sprachkenntnisse in 2 oder mehr
Sprachen.
•Ausgeprägte Affinität zu Arbeit & Leben mit/in
anderen Ländern/Kulturen.
November 13 fauch
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R u b r ik t i t e l r u b r ik t i t e l
Mal glänzendes Gold,
mal rostendes Eisen:
Die Generation 50plus
Für Menschen über 50 ist die Stellensuche eine besondere Herausfor­
derung. «Zu alt», befinden viele Unternehmen. Ein gefährlicher
Trend, denn bei älteren Arbeitnehmenden endet eine Kündigung nicht
selten in der Langzeitarbeitslosigkeit. Aber: Es gibt Hoffnung.
T e x t R e g u l a B ä t t i g F oto i s t o c kp h o t o
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fauch November 13
«Golden Ager» werden sie von Verkaufsstrategen genannt, «Best
Ager» oder «Generation Gold»: Als Kunden sind die Vertreter der
Generation 50plus sehr interessant. Anders im Arbeitsmarkt. Dort
gelten sie als altes Eisen, und das Interesse schwindet rapide. Das
war weniger ein Problem, so lange in der Schweiz das ungeschriebene Gesetz galt, dass Firmen ihren über 50-jährigen Angestellten
nicht kündigten und diese selbst bei Umstrukturierungen weiter
beschäftigten – notfalls in irgendeiner Form.
Doch mit der Globalisierung kam der Wandel. «41 Prozent der
Kündigungen im letzten Jahr betrafen Arbeitskräfte über 50. Das
ist deutlich mehr als der Anteil dieser Arbeitsgruppe an der Erwerbsbevölkerung, der gut 30 Prozent beträgt», liess sich Pascal
Scheiwiller diesen Juni in der «NZZ am Sonntag» zitieren. Scheiwiller ist Managing Director bei Lee Hecht Harrison, dem weltweit
grössten Anbieter von beruflichen Neuorientierungen. Dieser
neue Trend dürfte in den Statistiken bald Spuren hinterlassen: Die
­Lee-Hecht-Harrison-Studie zeigt auch, dass über 50-Jährige überproportional häufig in die Langzeitarbeitslosigkeit fallen. Sprich:
Über 41,5 Prozent aller Personen, die seit über einem Jahr stellenlos sind, sind über 50 – und dies obwohl ihr Anteil unter allen
Arbeitslosen bei 22,7 Prozent liegt.
Dieser erschreckende Trend macht auch vor der Aussteuerung
nicht halt. Von den durchschnittlich 2700 Menschen, die jeden
Monat ihr Recht auf Arbeitslosenunterstützung verlieren, ist
knapp ein Drittel über 50 Jahre alt. Die Tendenz? Steigend.
Hauptsache günstig
«Firmen investieren lieber in junge als in ältere Mitarbeiter. Das
ist aus ihrer Sicht interessanter», sagt George Sheldon, Professor
für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomie an der Universität
Basel. Ältere Arbeitnehmer sind zwar gut qualifiziert und haben
Erfahrung – was gemeinhin als Mehrwert gilt. Allerdings ist ihr
Profil oft sehr spezifisch auf den früheren Arbeitgeber zugeschnitten. Branchen- und Funktionswechsel wären nötig – und das
kostet. Laut Personaldienstleister Adecco stellt lediglich ein Drittel
aller Schweizer Firmen noch regelmässig Leute über 50 ein. Es sei
durchaus üblich, dass Dossiers mit Jahrgang 1963 und tiefer direkt
im Schredder landen, heisst es dort. Kein Wunder, eigentlich. Denn
auf dem internationalisierten Arbeitsmarkt finden Firmen für
­jeden Posten einen Kandidaten, der ihren Kriterien nahezu vollständig entspricht. Kommt hinzu, dass es sich dabei meist um
junge Fachkräfte handelt, die als flexibler und leistungsfähiger
gelten. Und: die erst noch weniger kosten.
Es spart sich aber auch leichter auf dem Buckel der Generation
Ü50. Diesbezüglich können Personalfachleute aus dem Nähkästchen plaudern: «Für ein Unternehmen, das 200‘000 Franken pro
Jahr einsparen muss, ist es verlockend, einen älteren Mitarbeiter
zu entlassen anstelle von zwei jungen Mitarbeitenden», wird erklärt. Hinter vorgehaltener Hand, versteht sich. Öffentlich präsentieren Unternehmen lieber ein erstaunliches soziales Gewissen
und Engagement.
Silberstreifen zeichnet sich ab
Ganz ohne Gegenreaktion bleibt der Trend glücklicherweise nicht.
Es gibt Forderungen, dass das Alter in Bewerbungen nicht mehr
angegeben werden muss oder die Arbeitslosenkasse sich an
­Umschulungen und Weiterbildungen beteiligt. Das Vorgehen, fehlende Fachkräfte im Ausland zu rekrutieren, statt auf erfahrene
– aber halt auch teurere – Arbeitnehmer zu setzen, werde immer
weniger goutiert, weiss beispielsweise Albert Daum, der als
­Arbeitgeberpräsident diesen Juli in Pension ging. Und es gibt
deutliche Silberstreifen am Ho­
rizont, beispielsweise in der Angebote für Arbeitnehmende
Dienstleistungsbranche. Ältere ab 50 Jahren
Kunden wollen vermehrt auch
Das Stellenportal www.jobs-50plus.ch schlägt
von älteren Mitarbeitern beraten
eine Brücke zwischen älteren Stellensuchenund betreut werden. Die Generaden und Unternehmen, die deren Erfahrung
tion Gold hat nämlich nicht nur schätzen. Unternehmen können Stellen für
Kaufkraft, sie hat auch Macht. Arbeitnehmer ab 50 Jahren platzieren und nach
Regula Bättig ist Journalistin.
Kandidaten suchen.
Weitere Adressen: www.50plusoutinwork.ch
oder www.top50interim.com
Wer wo arbeitet
Wer wo arbeitet
Gregor
Alles im Umbruch
T e x t und F otos Gö r a n Li n d h o l m
Eva
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fauch November 13
Vorbei sind die Zeiten, in denen die berufliche Laufbahn bis ins Pensionsalter klar vorgezeichnet war. Heute e­ rwarten
wir von unserem Job mehr als nur ein gesichertes Einkommen und Prestige. Das ­ewige Streben nach noch mehr
Geld und Macht will abgelöst sein durch Sinnhaftigkeit und Erfüllung. Anstelle des Berufs tritt die Berufung. Für
die meisten von uns ist diese oft nur über einen steinigen Weg erreichbar, ­manchmal gezeichnet von Brüchen und
Schlaglöchern. Die Suche nach der eigenen, berufenen Karriere führt bei den einen über steile, vertikale Pfade, a­ ndere
begeben sich seitwärts auf verschlungenen Wegen ins Dickicht ihrer Wünsche. Für manche geht’s ganz schnell,
­andere erreichen ihr Ziel erst im hohen Alter.
Doch wer seine Berufung gefunden hat, lebt sie gerne individuell, jenseits gängiger Konven­tionen. Wo früher
fest zementierte Rollenbilder die Geschlechter in der Berufswahl weitgehend ­einschränkten, gibt es heute praktisch
keine Beschränkungen mehr. Wo einst Tradition und Herkunft die Verhaltensregeln im Arbeitsumfeld diktierten,
­werden heute bewusst eigene Wertvorstellungen und Individualität gelebt. Das braucht Mut zur Veränderung und
Durchhaltewillen. Vielleicht sollten wir mehr Mut aufbringen, um dort hinzukommen, wo wir wirklich hingehören.
Und wo wir unser Leben selber dirigieren.
Die porträtierten Menschen auf den folgenden Seiten sind ihren Weg konsequent gegangen. Schauen Sie hin,
lassen Sie sich anstecken und finden Sie heraus, wer welche Tätigkeit ausübt.
November 13 fauch
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Wer wo arbeitet
Wer wo arbeitet
Jenny
Nathalie
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fauch November 13
Valentin
November 13 fauch
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Wer wo arbeitet
Wer wo arbeitet
Die Arbeitsumgebung
Psychotherapie
Tätigkeitsfelder den Porträtierten zuordnen
Recht
Foto: Marga Schuttenhelm
Kunstschaffen
Kleinkinderziehung
Musik
Transport Logistik
Foto: Suva
HR Management
Kanalreinigung
November 13 fauch
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Wer wo arbeitet
Wer wo arbeitet
Janina
Ueli
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fauch November 13
November 13 fauch
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Wer wo arbeitet
S p a n n u n g s f e l d M i g r at i o n
Keine Heimat, nirgends?!
Gjon kam, um zu arbeiten und blieb, um zu leben: Damit ist der Kosovo-Albaner nicht
allein. Mittlerweile ist er stolzer Schweizer, allerdings einer mit zwei Heimaten.
Was spricht dagegen, fragt sich Adrian Përnoka, selber gebürtiger Kosovo-Albaner.
T e x t A d r i a n P ë r n o k a F oto S im o n e G l o o r
Gjon* arbeitet als Kundenberater bei einem führenden Möbelhaus, seine Frau ist Produktionsmitarbeiterin in einer Fabrik. Der
16-jährige Sohn besucht die Pädagogische Mittelschule und die
8-jährige Tochter die Grundschule. Seit nunmehr fünf Jahren sind
sie alle Schweizer – und sie sind stolz darauf.
Ende der 1980er Jahre kam der damals 20-jährige Gjon als Saisonier in die Schweiz. Zwei Monate arbeitete er als Bodenplatten­le­
ger. «Es war ein heisser Sommer, und die Temperaturen lagen weit
über 30 Grad», erzählt er. «Eine Knochenarbeit.» Doch sein Schweizer Arbeitgeber verschwindet von der Bildfläche, ohne einen einzigen Rappen Lohn zu bezahlen. Was folgt, sind Übernachtungen
am Luzerner Hauptbahnhof, bis Gjon nach zwei Wochen einen
Job als Servicemitarbeiter in einem Restaurant in Luzern finden
kann. «Es waren harte Jahre», berichtet Gjon. «Sogar mit einem
verstauchten Fussknöchel musste ich meine Schicht beenden –
und das, obwohl ich kaum laufen konnte.» Schikanen gab es auch
sonst: Zwar als Servicemitarbeiter angestellt, musste er seinem
Chef jedoch auch die Schuhe putzen.
Lena-Lisa
Die Auflösung finden Sie auf den Seiten 42 – 43.
Migranten: Ein Stück Schweiz
Von Saison zu Saison wechselte Gjon die Jobs, seine Situation
wurde dabei immer besser. Doch Ende der 1990er Jahre erhielt er
keine saisonale Einladung mehr. Ein harter Schlag für den Fami­
lienvater. Mit Hilfe eines Anwalts bekam er nach einem langen
Kampf die Aufenthaltsbewilligung B zugesprochen. Seine Frau und
sein Erstgeborener folgten ihm ins gelobte Land – in die Schweiz.
Mittlerweile hat Gjon nicht nur den Schweizer Pass, er spricht
auch perfekt Schweizerdeutsch. Er fühlt sich wohl hier, hat ein
funktionierendes Umfeld, Freunde. Ähnliche Geschichten gibt es
viele: Mittlerweile besucht deshalb eine ganze Reihe von Migran­
ten der zweiten und dritten Generation die Hochschulen und
Universitäten; sie arbeiten als Arzt, Bäcker oder Coiffeuse, spielen
für die Schweizer Fussballnationalmannschaft und leben im Einklang mit der Schweizer Kultur.
Ausländer hier wie da
Die Schweiz ist seit Jahrzehnten ein beliebter Zufluchtsort für
andere Nationen. Migranten aus aller Welt kommen und kamen.
Einfach ist dieser Schritt nie, und ihre Situation wird auch nicht
unbedingt einfacher, wenn die Migranten am neuen Ort allmählich Fuss gefasst haben. Für viele von ihnen ist die fehlende
24
fauch November 13
... aber die zweite und dritte Generation arbeitet als Arzt oder Bankerin
und spielt für die Schweizer Fussballnationalmannschaft.
­ ugehörigkeit ein grosser Frust. Sie sind weder Fisch noch Vogel,
Z
seit einigen Jahren ist in dieser Hinsicht ein gar negativer Trend
erkennbar: Kosovo-Albaner, die in der Schweiz leben, werden
beim Besuch ihres Heimatlandes als «Ausländer» bezeichnet.
Die Einheimischen sagen: «Die Ausländer sind gekommen», wenn
diese in den Sommerferien anreisen. Das deprimiert viele Migranten, denn auch in der Schweiz werden sie immer Ausländer
bleiben – egal, wie gut sie integriert sind, egal auch, dass sie seit
Jahren einen Schweizer Pass besitzen. Der Schmerz, auch im eige­
nen Geburtsland als Ausländer bezeichnet zu werden, ist gross.
So stellt sich die Frage, wo fühlen sich diese Leute am ehesten
«Nichts spricht dagegen, dass man
zwei ‹Zuhause› haben kann!»
zuhause? Während die erste Generation immer noch mit dem
Kosovo verbunden ist, empfindet die zweite und die dritte Generation wohl eher die Schweiz als ihr Zuhause. Das soll auch so
sein, jedoch sollten sie ihre Wurzeln nie vergessen. Wünschenswert wäre, dass die Schweizer Gesellschaft dafür mehr Verständnis
aufbringt. Integration ist eine Herzensangelegenheit, und wir sind
nicht verpflichtet, einander zu lieben, aber einander respektieren,
das sollten wir – ja, müssen wir! Nichts spricht dagegen, dass man
zwei «Zuhause» haben kann! Gjon beweist es. Er hat sich integriert, ohne seine Wurzeln dabei zu verlieren. *Name der ­Redaktion bekannt
Adrian Përnoka ist Marketingassistent.
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S p a n n u n g s f e l d I n t e g r at i o n
S p a n n u n g s f e l d I n t e g r at i o n
Fremdsein ist immer anders
Da ihr Anwaltspatent nicht anerkannt wurde in der
Schweiz, hat die Kurdin Sevim Yavuz-Hazine nochmals
einen Master in Jus gemacht.
Fast ein Drittel der Schweizer Bevölkerung hat heute einen Migrationshintergrund. Ob die Anwältin aus der Türkei,
der amerikanische Manager beim multinationalen Unternehmen oder der portugiesische Fliessbandmitarbeiter – sie
alle sind Teil der Schweizer Arbeitsgesellschaft. Das ist eine Herausforderung. Immer. Aber immer anders.
T e x t M a r c d a S i l vA F oto S im o n e G l o o r
Aktuelle Zahlen zeigen, dass heutzutage fast die Hälfte der Jahresaufenthalter in der Schweiz als hochqualifiziert gilt. In seiner
Studie «Hochqualifizierte mit Migrationshintergrund» hat Ganga
Jey Aratnam von der Universität Basel festgestellt, dass bei den
Hochqualifizierten aus Drittstaaten sehr viel Potenzial brach liegt1.
«Brain Waste» nennt sich das Phänomen, wenn diese aufgrund des
Zulassungssystems nicht als Arzt oder Ingenieur arbeiten können,
sondern in der Gastronomie landen, als Reinigungskraft oder Hilfsarbeiter. Denn um im Wissenschaftsbereich und in reglementierten
Berufen tätig zu sein, ist die Anerkennung des Diploms zentral.
Sprachkenntnisse? Das kleinste Problem …
Ein Beispiel dafür ist Sevim Yavuz-Hazine. Die 42-jährige Kurdin
kam 2002 mit ihrer Familie als politischer Flüchtling in die
Schweiz. In ihrem Heimatland hatte sie zuvor während acht Jahren als Anwältin gearbeitet – hier jedoch bekam sie keine Chance,
ihren Beruf auszuüben: Ihr Diplom wurde nicht anerkannt. Nicht
mehr als Juristin arbeiten zu können, war für Sevim Yavuz-Hazine
jedoch keine Option. Sie entschloss sich daher, einen Grossteil
ihres Studiums erneut zu absolvieren – ein langer, mühsamer Weg.
Erst acht Jahre nach ihrer Einreise in der Schweiz konnte sie ihr
Studium an der Uni Fribourg mit dem Master in Jus abschliessen.
Bereut habe sie den Schritt nie, sagt Hazine. «Auch wenn das
Vollzeitstudium mir und meiner Familie einiges abverlangt hat.»
«Bei den Hochqualifizierten aus Drittstaaten
liegt sehr viel Potenzial brach.»
Den eingeschlagenen Weg abzubrechen, das Studium hinzuwerfen und sich neu zu orientieren, sei jedoch nie zur Debatte gestanden. «Ich bin die erste Frau in meiner Familie, die eine höhere
Schule besucht hat, und ich habe als erste Person aus dem Dorf
die Universität abgeschlossen.» Diese grosse Verantwortung, die
das mit sich brachte, habe sie hier nicht ablegen wollen. «Sonst
wäre das in der Türkei Erreichte umsonst gewesen.»
Sprachkenntnisse? Überflüssig!
Ganz anders hingegen präsentiert sich die Situation bei den sogenannten globalen Nomaden, die ihre Karriere bei einem multinationalen Konzern starten und dann firmenintern in verschiedenen
26
fauch November 13
Niederlassungen des Unternehmens arbeiten. Ihr Lebensmittelpunkt – beruflich wie privat – verschiebt sich alle paar Jahre in
ein neues Land.
Bei Novartis gibt es klare Richtlinien und Bedingungen für solche
Verschiebungen. Auch können sich die Mitarbeiter durch einen
Besuch ein Bild vom neuen Ort machen und mitsamt ihrer Familie im Vorfeld Sprachkurse besuchen sowie ein Cross-CulturalTraining absolvieren. Doch die Unternehmenssprache ist Englisch:
Es besteht eigentlich keine Notwendigkeit, die Sprache des Gastlandes zu lernen. Je nach Dauer des Aufenthalts ist es sogar unpraktisch.
Sprachkenntnisse? Zwingend!
Im Gegensatz zu den internationalen Unternehmen, in deren
Büros und Gängen Englisch gesprochen wird, sind gute Deutschkenntnisse für die Arbeit in kleinen und mittleren Unternehmen
eigentlich unerlässlich. Vielleicht weniger während der Arbeit
an sich, wie Marcel Studer, früherer Personalverantwortlicher
des Bisquitfabrikanten Wernli AG, sagt: «Um an einer Produktions- und Verpackungslinie Routinearbeiten auszuführen, sind
gute Deutschkenntnisse nicht zwingend.» In anderen Bereichen
bestehen jedoch grosse Hürden. «Es kam vor, dass Mitarbei­tende
ihre oft noch schulpflichtigen oder in Ausbildung stehenden
Kinder zur Unterzeichnung der Arbeitsverträge mitnahmen,
um die Verträge zu übersetzen und allfällige Unklarheiten zu
klären.»
Die Wernli AG organisierte und finanzierte daher ein freiwilliges
Deutschkursangebot, um ihre Mitarbeitenden bei der Verbesserung ihrer Sprachkompetenz zu unterstützen. Sicher ein gutes
Beispiel dafür, wie ein Unternehmen die soziale und berufliche
Integration seiner Angestellten fördern kann.
Sprache ist nicht gleich Sprache
Jedoch kann es auch unter Deutschsprachigen zu grundlegenden
Missverständnissen und Spannungen kommen. Auslöser dabei
seien die kleinen, feinen Unterschiede, findet der seit etwas mehr
als drei Jahren in der Schweiz lebende Deutsche Thomas Engelbrecht: «Als ich in die Schweiz kam, habe ich schnell festgestellt,
dass Umgangsformen und Umgangston anders sind.» In Deutschland werde Klartext geredet, während hier in der Schweiz viel
diplomatischer kommuniziert werde. Auch das Verhalten am
«Erstaunlich ist allerdings, dass vor allem im Sozialbereich
und bei NPOs Personen mit einem Migrationshintergrund auf
hochqualifizierten Stellen untervertreten sind.»
­ rbeitsplatz sei anders: Die Kommunikation in Deutschland bilde
A
in der Regel die hierarchische Ordnung im Unternehmen ab. «Die
oben sagen, was gemacht werden muss, und kontrollieren danach
auch die Ausführung.» Er erlebe dies in der Schweiz anders: «Natürlich entscheidet auch hier letztlich der Vorgesetzte. Aber er hört
sich vorher die Ansichten der Angestellten dazu an und nimmt
diese auf.»
Sprache? Nicht das Problem …
Während Hochqualifizierte aus dem EU/EFTA-Raum mehr oder
weniger problemlos eine neue Stelle in der Schweiz finden, ist es
bei Personen aus Drittstaaten anders. Sie erfahren bei Bewerbungen oft auch Diskriminierung. Die Eidgenössische Kommis­
sion gegen Rassismus wird immer wieder mit Fällen konfrontiert,
bei denen Personen aus dem Balkanraum, aus der Türkei und
Afrika trotz hoher Qualifikation und guten Abschlüssen Schwierigkeiten haben, eine Anstellung zu finden. Begünstigt wird die­
se Diskriminierung weil Merkmale wie Geschlecht, Nationalität
sowie die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit als Killerkriterien
bei der Vorauswahl von Stellenbewerbenden definiert werden.
Erstaunlich ist allerdings, dass vor allem im Sozialbereich und bei
NPOs Personen mit einem Migrationshintergrund auf hochqualifizierten Stellen untervertreten sind.
Henri-Michel Yéré von der Elfenbeinküste hatte Glück bei seiner Suche nach einer Stelle2. Er ist Doktor der Philosophie und
hat einen Masterabschluss der Universität Basel. Nur dank einer
Zufallsbekanntschaft anlässlich eines Theaterbesuchs kam er
nach vielen erfolglosen Versuchen zu einem Jobinterview. Prompt
­erhielt er die Stelle. Nach wie vor arbeitet er bei Novartis in Basel
in der Abteilung Diversity and Inclusion. Marc da Silva ist Ethnologe.
[1] Ganga Jey Aratnam. 2012. Hochqualifizierte mit Migrationshintergrund. Emp­
fehlungen der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR. Kurzfassung der
Studie zu möglichen Diskriminierungen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Basel. [2] Ueli Mäder. 2012. «Ich habe viel in meine Ausbildung investiert und Glück gehabt.»
In: TANGRAM (29). S.97–99.
November 13 fauch
27
Meine Wunscharbeit
«I
Meine Wunscharbeit
«D
ch fühle mich äusserst privilegiert,
dass ich mein Hobby zu meinem
­Beruf machen konnte.
Wenn man seine Arbeit mit Leidenschaft
«A
er ideale Arbeitgeber nimmt
mich als Partner ernst und bietet Freiraum, der zum innova-
rbeiten bedeutet für mich
das Vertiefen und Erweitern
von Fähigkeiten und Können.
Mir ist es wichtig, dass ich meine
tiven Arbeiten nötig ist: Ich kann an
tut, dann ist sie erfüllend und kein
Jahreszielen arbeiten. Flexible Jahres­
­Gaben in meinem täglichen Tun ein-
Zwang, nimmt nicht nur Energie, son-
arbeitszeiten sowie die Möglichkeit zu
bringe. Ich bewege gern und mag es,
dern gibt einem auch viel zurück. In un-
Home-Office ermöglichen es mir, meine
Ideen zu entwickeln sowie Neues
serer Gesellschaft definieren sich so v­ iele
Zeit selbstverantwortlich zu gestalten
anzupacken. Die Vorstellung, unter
Menschen über ihre Arbeit, da ist es ein
und mir Inseln zu schaffen, um auf­
rigiden Vorgaben repetitive Aufga-
Jammer, wenn sie keine Freude bereitet.
zutanken. Diese Möglichkeit bietet sich
ben zu erledigen, wäre mir ein
mir auch im Arbeitsalltag, denn ein
Gräuel. So gesehen bin ich ganz
Ruhe- oder Entspannungsraum gehört
­unternehmend. Nebst dem Ziel eines
mit zur Infrastruktur des Unternehmens.
erfüllenden Arbeitsergebnisses ­trage
Ich wünsche mir zudem Lohntranspa-
ich auch mir Sorge: Die Pflege einer
Ich halte es auch für wichtig, dass eine
Arbeit vielseitig und nicht gleichförmig
ist, man gefordert wird und immer
­wieder Neues lernen kann. Ebenso ­halte
ich Feedback - sei es im Team oder von
­einem Vorgesetzten – für essenziell, damit man nicht alleine vor sich hinbrütet.
Es tut gut, das Werk, das man kreiert hat,
beantwortet zu wissen.»
Jaël Malli (33), Sängerin «Lunik», Bern
«Meine Ideen integrieren, mit Menschen in einem kreativen Austausch
zusammenarbeiten, und am Schluss
ein Produkt in den Händen halten,
zu dem ich wesentlich beigetragen
habe, das ist für mich Wunscharbeit. Ein Job entspricht umso mehr
­meinen Vorstellungen, wenn
sich Arbeit und Freizeit in
fruchtbarer Weise ergän­
zen; wenn die Freizeit neue Inputs
für die Arbeit liefert und umgekehrt.
Als Journalistin bin ich diesbezüglich privilegiert. Auch ist mir wichtig, das Gefühl zu haben, dass
­meine Vorgesetzten meine Fachkompetenzen schätzen und mir
meine Aufgaben in dem Vertrauen
übergeben, dass ich diese meistere. Dies fordert und fördert
– und ist für mich ein bedeutender
Motivator.»
renz und dass Männer wie Frauen für
die gleiche Leistung den gleichen Lohn
erhalten. Ausserdem wünsche ich mir,
dass mir mein Wunsch-Arbeitgeber
mindestens einmal pro Jahr einen So­
zial­einsatz für zwei Wochen gewährt,
beispielsweise als Arbeitskraft in einer Bergregion oder in einem sozialen
Projekt.»
Thomas Hostettler (46), Berufsbilder,
Malters
Carmen Püntener (38),
­Redak­torin ­Online
«der arbeitsmarkt», Zürich
«A
kräftigen Gesundheit und lebendirbeit soll Freude machen, das
meine Aufgabe und Rolle als Mit­
da die Arbeit wenig Spass macht – das
arbeiter ideal.»
kenne auch ich. Aber oft ist arbeiten
Paul Gemperle (50),
Leiter Syna Luzern, Luzern
ein wichtiger Teil des Lebens, und daher sollte es mehr als nur Pflicht und
Mühsal sein. Aus diesem Grund mag
ich den Ausdruck ‹Work-Life-Balance›
nicht. Ich finde es unbefriedigend,
wenn man die Arbeit als etwas Negatives ansieht, das man bloss abspult,
um dann in der Freizeit endlich wieder
leben zu können. Deshalb bin ich dankmuss. Arbeit soll für uns Menschen
Sonja Sanders (40), Verantwortliche Kommunikation und Marketing FAU, Zürich
voll – beide ergänzen und fördern
te. Natürlich gibt es Momente,
bar, dass ich nicht etwas Sinnloses tun
«Für mich bedeutet Wunscharbeit, dass ich Freude daran habe, Sinn
darin sehe, meine Stärken optimal einsetzen und aus Fehlern lernen
kann. Ich könnte mir nicht vorstellen, einfach einem Broterwerb
nachzugehen, damit ich am Ende des Monats meine Rechnungen
begleichen kann. Persönliche Freiheit, Entwicklungspotenzial
und die Möglichkeit, nebenher noch anderen Ideen nachzugehen,
sind für mich essenziell.»
ger Beziehungen ist für mich wert-
ist für mich das Allerwichtigs-
sinnstiftend und wertschöpfend sein.
Ich habe den Eindruck, dass unser
Team Freude hat an der Arbeit, und
auch für mich selber habe ich dieses
Ziel erreicht, denn schon als kleiner
Junge wollte ich machen, was ich jetzt
tue.»
Rolf Hiltl (48,) Geschäftsführer
Haus Hiltl, Zürich
«Am wichtigsten ist mir bei der Arbeit, dass sie sich
durch eine hohe Nachhaltigkeit auszeichnet und
sich stetig am Kunden orientiert. Egal, ob kleines
KMU oder globaler Konzern: Jene Unternehmen
­bestehen auf dem Markt, die sich an diesen zwei
simplen Grundregeln orientieren. Die anderen werden untergehen. Bei der täglichen Arbeit erwarte
ich sodann ein leistungsorientiertes Engagement
und die Fähigkeit zur Selbstkontrolle. ‹Zu viele
­Köche verderben den Brei› gilt nicht nur in der
­Küche oder, wie bei mir, in der Zahnpastaproduk­
tion: Eine klare Verantwortlichkeit ist das A und O.
Zuletzt gelten solche Prinzipien für alle Mitarbeitenden: von der Reinigungskraft bis hin zum CEO.»
«Mein Wunscharbeitsplatz ist grün,
weil grün entspannt und Arbeit ja
auch Freude machen soll. Er ist mit
Energie geladen, also mit Kreativität,
und im Umfeld sind harmonische
Menschen, die gerne nach vor­
ne denken und nicht an Ort
stehen bleiben. Er bietet Raum
für das Leben und einen Blick ins
Grüne. Grün steht auch für Gedeihen,
Wandel, Neues und Überraschendes.
All dies gibt es an meinem Wunsch­
arbeitsplatz, an dem ich Inhalte mit
all denen sinnstiftend teile, die offen
sind für kreative Impulse in unserem
normalen Alltagsleben.»
Patricia von Ostheim (60),
­Communication Managerin, Weggis
Thomas Minder (52), Schaffhauser Ständerat und
Geschäftsleiter Trybol AG, Neuhausen
28
fauch November 12
November 13 fauch
29
S p u r e n s u c h e i n d e r K r is e
S p u r e n s u c h e i n d e r K r is e
Und plötzlich versagte der Körper ...
T e x t A . B . I llustration M i c h a e l M o n t i
Freitag, der 11. November 2011, Hauptbahnhof Zürich … ich
­steige aus dem Zug, die Gedanken bei dem äusserst wichtigen
Meeting, das den Beginn einer langfristigen Partnerschaft zwischen meinem Arbeitgeber und einer anderen Unternehmung
markieren soll. Mir ist schlecht! Ich habe mich auf der Fahrt von
Luzern nach Zürich mehrfach übergeben, wie jeden Morgen. Ich
wollte am liebsten raus, die Enge des morgendlichen Pendlerzuges spürte ich wieder extrem. Die Nähe, Tausende Gerüche nach
Schweiss, Kaffee, Essen, kaltem Zigarettenatem, dazu missgelaunte und maskenhafte Gesichter, kein Lächeln … Mittendrin,
ICH! Wie Tausende Ameisen strömen die Menschen aus dem Zug.
Ich bleibe stehen, Menschen rempeln dieses Hindernis auf dem
Bahnsteig an, werfen mir unfreundliche Blicke zu, giften mich an.
Mir wird schwarz vor Augen. Zum Glück eine Bank. Ich erlebe
alles wie in Trance, bleibe sitzen bis zum nächsten Zug nach
Luzern. Zwei Stunden später stehe ich vor der Sprechstunden­hilfe
meines Hausarztes, flehe um einen Termin und schüttle mich vor
Weinkrämpfen. Es geht einfach nicht mehr!
Wie bin ich nur so weit gekommen? Es war ein schleichender
Prozess. Irgendwann kam die Einsicht, dass ich in meiner langjährigen Tätigkeit im Sportmarketing nicht mehr arbeiten wollte.
Zu oberflächlich schien mir diese Welt nach vielen Jahren in
führenden Positionen auf Unternehmensseite und bei Agenturen.
VIP-Anlass hier, Apéro dort, immer viel Arbeit, viel unterwegs
– und die Gedanken? Natürlich 24 Stunden beim Job, immer
«unter Strom». Ausgleich? Wozu! Der Job macht doch Spass. Ich
bin beliebt, habe Erfolg, strotze vor Selbstbewusstsein. «Bist Du
das? Ist Dir das alles wirklich wichtig?» Ich kann mich nicht mehr
mit den Unternehmenszielen identifizieren. Mir ist es egal geworden, ob das Produkt durch meine Arbeit eine höhere Sichtbarkeit im TV hat oder nicht. Ein Branchenwechsel ist für mich die
logische Konsequenz.
Ich wechsle ins Gesundheitswesen, starte im Management bei
einer Stiftung mit Akutspital und Rehabilitation. Ich fühle mich
wohl! Die Arbeit dort macht Spass und gibt Sinn. Es vergeht
keine Woche, in der ich nicht etwas über mich im Umgang mit
Behinderung lerne. Ein echter Mehrwert. Die Aufgabe ist eine
echte Herausforderung, die Präsenzzeit wird mehr, die firmen­
politische Situation schwieriger. Ich gerate zwischen die Fronten
von Machtblöcken, werde dabei immer mehr aufgerieben. Meine
Mitarbeitenden stellen die richtigen Fragen, auf die ich keine
Antworten mehr weiss. Mein Vorgesetzter wird von «jetzt auf
gleich» kaltgestellt. Bin ich der Nächste? Mein bester Freund stirbt
unerwartet. Es zerbricht etwas in mir! Auf einer Mitarbeiter­
versammlung stelle ich die «falsche» Frage. Zwei Wochen später
bin ich «frei» gestellt und sehr verletzt! Ich versuche die Zeit zu
30
fauch November 13
dass ich Defizite habe, versuche durch noch mehr Engagement diese zu decken. Habe keine Rückendeckung, bekomme
keine Feedbacks, spüre den Druck einer unglaublichen Erwartungs­haltung, ich kann nicht mehr schlafen, bekomme immer
häufiger starke Migräneanfälle, breche zum ersten Mal zusammen, sage mir, dass es irgendwie schon wieder geht, und dann
kommt der 11. November 2011, und ich merke, es geht nicht mehr!
Der Körper sagt «nein», «mach Schluss», «hol mich hier raus»!
Heute bin ich froh, durch dieses «Tal der Tränen» gegangen zu
sein. Der Weg durch die Reha, der schwierige Weg zum Psychiater, die Unterstützung von Coaches und die Suche nach der neuen Chance, der neuen Herausforderung, dem neuen Leben. Ich
habe es noch nicht gefunden. Ich brauche noch Zeit. Ich weiss
aber, dass ich es finden werde. Ich habe mir die Zeit genommen
und mit professioneller Hilfe in mich hinein gehört. Ich weiss, ich
bin auf dem richtigen Weg. Ich kann wieder positiv in die Zukunft
blicken, mich auf das Neue freuen und lächeln, wenn einmal
­etwas nicht klappt. A.B. ist Marketingleiter.
Und plötzlich ist alles anders …
Bricht die Arbeit von heute auf morgen weg, kann das verheerende Auswirkungen für Betroffene haben.
Um den Teufelskreis vermeintlicher Unzulänglichkeiten aufzubrechen, braucht es radikale Ehrlichkeit.
T e x t B . K . F oto Gö r a n Li n d h o l m
nutzen und nehme mir eine dreimonatige Auszeit. Meine Frau
bekommt unbezahlten Urlaub. Gemeinsam packen wir das Auto
und fahren nach Zentralasien. Ich kann mir das erste Mal wirklich
Gedanken über meine Wertvorstellung im Job machen und mich
fragen, was wirklich für mich wichtig ist.
Wieder zu Hause angekommen, suche ich einen Job und nehme
den ersten, der sich mir bietet, in einem grossen Zürcher Spital
an. Eine neu geschaffene Position. Keiner, inklusive mir, macht
sich Vorstellungen, welche Kompetenzen für die Position benö­
tigt werden und ob eine Person dies schaffen kann. Ich merke,
Las Vegas, Singapur, Monte Carlo, St. Moritz … Um nur ein paar
der gehobenen Destinationen zu nennen, die ich in den letzten
25 Jahren als IT-Verkaufsleiter zusammen mit meiner Partnerin
im Rahmen von Incentive-Reisen besuchen durfte. Die besten
Hotels der Welt, Privatjets, Stretch-Limousinen für die private
Nutzung und Champagner im Überfluss waren eine Selbstverständlichkeit. Ebenso aussergewöhnliche Geschenke wie zum
Beispiel das Fahren eines Formel-1-Rennwagens. Mit rund 300
Stundenkilometern über die Rennpiste zu flitzen war eines der
absoluten Highlights. Zu den Incentives kamen respektable
Bonus­zahlungen hinzu.
Eine grosszügige Wohnung direkt über dem See mit Blick auf das
einmalige Panorama der Schweizer Alpen sowie Fernreisen auf
sämtliche Kontinente entsprachen meinem gehobenen Standard.
Ich genoss einen hohen Lebensstil und einen ansehnlichen Status
– im Beruf wie auch im privaten Umfeld. In dieser Welt lebte ich
über Jahre, ja gar Jahrzehnte. Dies sollte sich ändern, als ich mit
59 Jahren durch einen ungeschickten Stellenwechsel in die
­Arbeitslosigkeit gelangte. Plötzlich war alles ganz anders. Doch
im ersten Moment war mir das nicht bewusst. Vielleicht konnte
und wollte ich mir die neue Situation auch nicht eingestehen.
Ich war überzeugt, dass ich mit der Arbeitslosigkeit problemlos
­umgehen könne. Auch war ich sicher, auf dem Arbeitsmarkt nach
wie vor eine gefragte Fachkraft zu sein und schnell wieder eine
neue Anstellung zu finden. Dementsprechend machte ich mir
nicht allzu grosse Gedanken und war ganz zuversichtlich. Ich
gestaltete meine plötzlich «neugewonnene Freizeit» mit aus­
giebigen Einkaufstouren, Sightseeings ins benachbarte Ausland
oder gar nach Übersee. Wieso sollte ich meinen Lebensstil ändern? Ich stand bis anhin ja auf der Sonnenseite des Lebens.
Doch nach und nach musste ich erfahren, dass meine Einschätzung der Situation und die Realität auf dem Arbeitsmarkt stark
voneinander abwichen. Hundert Bewerbungen – hundert Absagen. Dies nagte an meinem Selbstvertrauen und Selbstwert­gefühl.
Vom selbstsicheren IT-Verkaufsleiter wurde ich zum unsicheren,
an sich selbst zweifelnden Zeitgenossen. Die Frage, wie und
­warum es zu dieser Situation gekommen war, liess mich nicht
mehr los. Schlaflose Nächte und stundenlanges Herumstudieren
wurden zum festen Bestandteil meines Lebens. Nichts mehr mit
Ausschlafen und die Tage geniessen ... Ich, der beruflich immer
­ urde
sehr engagiert war und ein hohes Ansehen genossen hatte, w
plötzlich nicht mehr gebraucht. Ich hatte keine sinnvolle Auf­gabe
mehr und fühlte mich als Mensch 3. Klasse.
Im eigenen Spannungsfeld gefangen
Mein Alltag war geprägt durch Lustlosigkeit, Faulheit und Verletzlichkeit – verbunden mit Pflichtterminen bei Sozialinstitutionen.
Künstlich geschaffene Tagesstrukturen gaben mir minimalen Halt.
November 13 fauch
31
S p u r e n s u c h e i n d e r K r is e
Ich entwickelte persönliche Ängste, Nervosität und neue Verhaltensmuster in der Kommunikation, was nie zuvor dagewesene
Spannungen auslöste. Ich begann, alles persönlich zu nehmen,
wurde immer empfindlicher und legte jedes Wort auf die Gold­
waage. Ich wurde zum Eigenbrötler und gegenüber meinem Umfeld
immer unausstehlicher. Das Zusammenleben und Zurechtfinden
in der Gesellschaft gestaltete sich zusehends schwieriger. Meine
Persönlichkeit wurde durch Selbstmitleid zusätzlich stark auf die
Probe gestellt. Ich war abgestumpft, emotional abwesend und entwickelte eine Wut auf mein persönliches Umfeld. Die Menschen, die
angeblich verantwortlich für meine Situation waren, verurteilte ich
aufs schärfste. Alle waren schuld an meiner Misere, nur ich nicht.
Warum auch nur? Oft wünschte ich mir nichts sehnlicher, als mich
auf eine einsame Insel abzusetzen ... Aber eigentlich wollte ich doch
nur eine neue Anstellung und wieder
eine sinnvolle Aufgabe haben. Wie
Incentives
konnte ich es schaffen, wieder aus dem
Unter Incentives versteht man Anreize, die
langen dunklen Tunnel hinauszu­ge­
motivieren. Das englische Wort «incentive»
langen?
stammt vom lateinischen Adjektiv «incentivus»:
«anregend», «reizend».
Incentives sollen dazu motivieren, den Arbeitseinsatz, die Loyalität zu einem Unternehmen
oder einer Marke zu steigern. Incentives sind
üblicherweise an die Erfüllung eines Ziels
(z.B. Verkaufszahlen) innerhalb eines definierten Zeitraums gebunden.
Zur Arbeitslosigkeit stehen
Die Erstellung eines persönlichen ­Soziogrammes hat mir geholfen, zu e­ rkennen, dass ich nicht alleine bin. Dass
ich über ein gutes soziales Umfeld verfüge, das es gut mit mir meint und
mich in meiner schwierigen Situa­tion
«Alle waren schuld an meiner Misere, nur ich nicht.»
32
fauch November 13
D a i ly B u si n e ss
unterstützt. Und wie wichtig mir mein persönliches Umfeld ist.
Durch lange Gespräche mit vertrauten Personen bin ich mir
­bewusst geworden, dass mir meine ungewollte Auszeit auch eine
Chance bietet, mein bisheriges Leben zu reflektieren und in
meiner Persönlichkeit zu wachsen. Ich habe gelernt, die Situation
so ­anzunehmen und zu akzeptieren, wie sie ist – ja zu sagen
zu dem, was ist. Zu meiner Arbeitslosigkeit zu stehen. Und wie
­wichtig es ist, Eigenverantwortung zu übernehmen, aber auch
Hilfe anzunehmen.
Dies war ein Lernprozess, den ich durchlaufen habe – auch mit
professioneller Unterstützung. Ich nahm plötzlich wahr, welch
einmalige Dienstleistung den Stellensuchenden von den zuständigen RAVs angeboten wird. Sei dies in Form von Kaderkursen,
einer persönlichen psychologischen Betreuung oder der Mitwirkung in Projekten bei der Institution FAU. Der FAU bietet die
Möglichkeit, eine 40-Stunden-Woche-Struktur sinnvoll zu leben
und umzusetzen. Für mich waren vor allem die einmaligen
­Kameradschaften, der Erfahrungsaustausch und das Netzwerken
besonders wertvoll. Ebenso die persönliche Unterstützung durch
meine Coach. Durch die Unterstützung meines persönlichen
­Umfelds und die professionelle Beratung habe ich begonnen,
nach und nach ein neues, positives Lebensgefühl zu entwickeln.
Ich konnte mein Selbstwertgewühl stärken und persönlich wachsen. Ich habe erkannt, dass ich jemand bin, mit all meinen
Stärken und Schwächen. Was auch immer kommen mag, ich
kann wieder positiv in die Zukunft blicken. B.K. ist IT-Verkaufsleiter.
Gedankensplitter
eines Coach
«Coaching ist eine Kunst, keine reine Wissenschaft.» Mit
dieser provokativen Behauptung stellt der Autor in keiner
Weise das wissenschaftliche Gerüst dieser Disziplin in Frage.
Vielmehr unterstreicht er seine Erkenntnis, dass ein
gutes Rezept noch keine erfolgreiche Mahlzeit garantiert.
T e x t C h r is t i a n Fö l l mi F oto S im o n e G l o o r
Vielfältig in ihrem Wesen und ihren Erfahrungen sind nicht nur
die Teilnehmenden des FAU-Programms. Ebenso unterschiedlich
sind auch die beruflichen und privaten Hintergründe von uns
Coaches. Täglich fragen wir uns, ob die Teilnehmenden und wir,
gemeinsam als Team, auf dem richtigen Weg sind. Spannend und
anspruchsvoll gestaltet sich unser Auftrag, wenn es gilt, zumindest den auf den ersten Blick widersprüchlichen Anforderungen
bei der Zielerreichung gerecht zu werden. Etwa wenn ein FAUTeilnehmender sich der Verlockung des erstbesten Stellenangebots
ausgesetzt sieht, welches den persönlichen Neigungen und Wünschen nur wenig entspricht. Oder wenn die mittelfristig angelegten Zielsetzungen wieder in Frage gestellt werden müssen.
Lösung liegt beim Coachee
Als Coach muss ich auch der Versuchung widerstehen, meinem
Gegenüber den vermeintlich richtigen Lösungsansatz vorzugeben.
Diesen Weg muss der Coachee, mit entsprechender Begleitung und
Unterstützung, selber finden. Bei meiner Arbeit darf ich zudem
nicht vergessen, dass sich auch FAU – Fokus Arbeit Umfeld, wie
jede Organisation,finanziell innerhalb gegebener Grenzen bewegt
und somit nicht immer jeder Wunsch erfüllbar ist. Mitgefühl ohne
gleichzeitigen Verlust der emotionalen Unabhängigkeit in Bezug
auf die persönliche Situation des Stellensuchenden ist eine weitere Herausforderung für jeden Coach. Ziel einer Teilnahme bei
FAU ist die möglichst schnelle und erfolgreiche Rückkehr unserer
gut qualifizierten Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt. Dies
entspricht auch dem Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft
SECO, dessen Erfüllung letztlich die Existenzberechtigung unseres
Programms ausmacht. Die maximale Aufenthaltsdauer eines
­Teilnehmenden beim FAU beträgt sechs Monate. Um diese Zeit
zielführend zu gestalten, braucht es aus meiner Sicht eine strukturierte Vorgehensweise, einen roten Faden. Die gemeinsam mit
dem Coachee definierte Zielvereinbarung ist der sichtbare Ausdruck dieser individuellen Strategie. Gewisse Schritte, wie etwa
die Überarbeitung des Lebenslaufs oder auch eine persönliche
Standortbestimmung, erfolgen tendenziell in der Anfangsphase
der FAU-Zeit. Das Angehen neuer Bewerbungsstrategien im Rahmen einer Diversifikation dagegen schliesst üblicherweise an eine
bereits erfolgte persönliche Auslegeordnung an.
Vertrauen als Basis
Die Arbeit mit Menschen ist für mich etwas gleichermassen Spannendes und Anspruchsvolles. Es bedeutet, dass ich «meine» Teilnehmenden auf einer gewissen Wegstrecke ihres Lebens begleiten
darf. Auf der Basis gegenseitigen Vertrauens wird eine zielfüh­
rende Zusammenarbeit erst möglich. Dabei versuche ich, mich in
die Situation meines Gegenübers einzufühlen. Das ermöglicht mir,
Erlebtes auch als Aussenstehender nachvollziehen zu können.
Gleichzeitig ist die Fähigkeit sich abzugrenzen zwingende Voraussetzung für jeden Coach und Berater. Die Freuden und auch Enttäuschungen meines Gegenübers sind nicht meine persönlichen
Freuden und Enttäuschungen. Ein professioneller Prozessbegleiter
und Gesprächspartner bedarf emotionaler Selbständigkeit, um
seine Rolle wahrzunehmen und damit den Auftrag zu erfüllen.
In der Begleitung von Teilnehmenden bei der Stellensuche denke
und handle ich nicht im «Entweder-oder», sondern suche stets eine
Lösung im «Sowohl-als-auch». Dies ist und bleibt ein Anspruch,
eine Herausforderung, eine Vision. Christian Föllmi ist Coach bei FAU.
November 13 fauch
33
Projekte Teilnehmende
Arbeit als Balanceakt
Es gibt viele Ursachen für Krankheiten. Immer öfter gehört auch die Arbeit
dazu. Dabei ist nicht nur ein Zuviel an Arbeit schädlich, auch das Zuwenig kann
krank machen.
T e x t A n n e m a r i e G u t k n e c h t F oto Gö r a n Li n d h o l m
Über die Wechselwirkung von Arbeit und Gesundheit lässt sich
stundenlang referieren, das Ganze ist ein nahezu uferloses Thema.
Wer es auf den Punkt bringen möchte, tut gut daran, sich erst
einmal die Definitionen der beiden Begriffe anzuschauen. Der
Brockhaus von 1997 definiert den Begriff «Arbeit» als «bewusstes,
zielgerichtetes Handeln des Menschen zum Zweck der Existenz­
sicherung wie der Befriedigung von Einzelbedürfnissen; zugleich
wesentlicher Moment der Daseinserfüllung». Arbeit ist also weitaus mehr als Broterwerb.
Ähnlich existenziell mutet die Definition des Begriffs «Gesundheit» an. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Gesundheit
bereits 1946 umfassend beschrieben als «Zustand des vollständi­
gen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht
nur das Fehlen von Krankheit und Gebrechen». 1987 präzisierte
die WHO: «Gesundheit ist die Fähigkeit und Motivation, ein wirtschaftlich und sozial aktives Leben zu führen.»
Sie leben Ihr Potenzial?
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34
fauch November 12
Eng verknüpftes System
Gesundheit ist ein Balanceakt von Körper, Seele und dem sozialen
Umfeld. Dabei wird sie individuell sehr unterschiedlich wahr­
genommen. Da die Arbeit alle drei Bereiche betrifft, bewegen sich
Gesundheit und Arbeit in einem eng verknüpften Balance-Verhältnis: Ist die Belastung bei der Arbeit zu gross, leidet die Gesund­
heit. Ist eine Person nicht gesund, leidet ihre Arbeitsleistung. Wird
die Arbeitsleistung nicht erbracht, kann der Arbeitsplatz gefährdet sein. Ist der Arbeitsplatz gefährdet, steigt die Belastung
auf den Arbeitnehmenden. Und ist eine Person arbeitslos, beeinflusst auch dies ihre Gesundheit. Arbeit und Gesundheit präsentieren sich daher als ein hochgradig interaktives, sehr fragiles
System.
reicher Hotels und Gastronomiebetrieben in der Schweiz): «… Die
Arbeitgeber sind gut beraten, der Betriebs- und Unterneh­
mensführung das nötige Gewicht beizumessen.» Sie hat festgestellt, dass bei gut geführten Betrieben in der Regel alles stimmt:
«Die Wirtschaftlichkeit, die Stimmung im Betrieb, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und der Gäste…» Und: «Es gibt weniger
Absenzen.»
Angst bekämpfen, Gesundheit stärken
Dass Arbeitslosigkeit krank machen kann, ist ebenfalls keine neue
Erkenntnis. Denn ist die Existenzsicherung nicht gewährleistet,
entsteht Angst, und Angst gefährdet unsere Gesundheit. Es ist
daher wichtig, dass sich die Behörden dessen bewusst werden und
die Programme für Stellensuchende entsprechend ausrichten. Das
heisst, dass deren Gesundheit aufgebaut und wieder gestärkt wird.
Auch sollte eine Neuorientierung gefördert und unterstützt werden. Es ist illusorisch, in der heutigen Arbeitswelt lebenslang in
einem einmal erlernten Beruf Arbeit zu finden. Die Berufswelt
verändert sich stetig – also müssen Weiter- und Neuausbildungen
gerade auch bei stellensuchenden Personen gefördert werden. Annemarie Gutknecht ist Sekundarlehrerin und EDV-Fachfrau.
Auch die Führung ist von Bedeutung
Negativ wirkt sich die Arbeit dann auf unsere Gesundheit aus,
wenn das Arbeitspensum zu gross oder der Arbeitnehmende überfordert ist. Also wenn er Aufgaben zu erledigen hat, die er mit
seinen Fähigkeiten gar nicht erfüllen kann. Allerdings hat es auch
negative Folgen, wenn der Arbeitnehmer bei seiner Arbeit nicht
genug gefordert wird; wenn er zu wenige oder zu einfache Aufgaben hat und er seine Fähigkeiten nicht einsetzen kann.
Doch nicht nur die Arbeit an sich, auch die Führung hat einen
Ein­fluss auf die Gesundheit der Arbeitnehmer. So schreibt Regula
Pfister, Präsidentin der ZFV-Unternehmungen (Betreiberin zahlNovember 13 fauch
35
Projekte Teilnehmende
Neuorientierung – seinem Leben
eine neue Richtung geben
Die Kündigung erfolgte vier Tage nach 20jähriger Betriebszugehörigkeit und einer Tätigkeit im Management
eines grossen Medienunternehmens. Am Anfang stand Trauer, Wut und Hoffnungslosigkeit. Es folgte
eine erfolglose Stellensuche begleitet von Frustration und Resignation. Doch plötzlich stellten sich Glücksgefühle
und innere Zufriedenheit über das Verlassen der alten Arbeitswelt ein…
Bei Robert Walser die
Bestätigung gefunden
undatierte Briefe. Die undatierten wurden mit einer Datierungshypothese versehen. Detektivischer Spürsinn war dabei gefragt,
galt es doch, sich an Punkten wie dem Textinhalt, den Bezügen
auf andere Briefe und Walsers wechselnden Wohnadressen zu
orientieren.
Der Berufseinstieg nach einem Studium lässt oft auf sich warten.
Hilfe für den Leser
Zur Editionsarbeit gehört auch die systematische Kommentierung
von Textbesonderheiten. Auf formaler Ebene galt es beispiels­
weise, nachträgliche Eintragungen von fremder Hand auf den
Originalen zu beschreiben: Randvermerke, Unterstreichungen,
Manuskriptbeschädigungen oder Textverluste. Sprachlich-in­halt­
lich wurden – nicht zuletzt im Interesse eines besseren Lese­ver­
ständnisses – im Text vorkommende Örtlichkeiten und Eigennamen kommentiert, aber auch orthografische und ­grammatikalische
Fehler oder Helvetismen.
In Absprache mit dem herausgebenden Verlag Suhrkamp in Berlin wurden die Briefe zudem für die Drucklegung einheitlich
formatiert.
Die ersehnten Berufsperspektiven eröffnen sich meist erst über
ein Praktikum. Längst verstorbene Schweizer Autoren können dabei
eine Hilfestellung bieten.
T e x t I v o P a v l o v F oto z V g
Neun Monate nach der Übergabe meines Slawistik-Diploms der
Universität Bern schwand meine Hoffnung, eine Stelle zu finden, für die mich dieser Abschluss qualifiziert hätte. Dank
meinem RAV-Berater und den Kontakten von FAU erhielt ich im
April 2013 jedoch die Möglichkeit, an einem Projekt zur Edition
des Werkes des Schriftstellers Robert Walser (1878–1956) teilzunehmen. Ziel ist die Überarbeitung der bestehenden Gesamtausgabe des in Biel geborenen Schriftstellers. Das Projekt begann 2011 und wird voraussichtlich bis 2026 dauern. Finanziert
wird es zu einem guten Teil aus Mitteln des Lotteriefonds des
Kantons Bern.
Ein Teil der neuen Gesamtausgabe widmet sich der Korrespondenz des Schriftstellers, denn seit der letzten Ausgabe aus den
Jahren 1975 und 1979 hat sich deren Bestand durch neu aufgefundene Walser-Briefe fast verdoppelt. Nach einer kurzen Einarbeitungszeit in die alte, heute nicht mehr gebräuchliche deutsche
Schreibschrift war es meine Hauptaufgabe, bestehende Transkriptionen der Briefmanuskripte zu überprüfen. In einem zweiten
Schritt begann ich, Briefe zu entziffern, die noch nicht trans­
kribiert waren. Auf Texteingriffe wurde dabei strikt verzichtet, die
Brieftexte werden konsequent getreu der Originalschreibung
­wiedergegeben – Rechtschreibefehler inklusive.
Im Laufe der Korrektur- bzw. Transkriptionsarbeiten unterteilte
ich die Briefe in zwei Unterkategorien, nämlich in datierte und in
36
fauch November 13
Theorie in die Praxis umgesetzt
Über die Mitarbeit beim Editionsprojekt konnte ich für mich
­wesentliche Schritte im praktischen Umgang mit Projekt- und
Teamarbeit verstehen. Ich lernte dabei, wie komplex und vielseitig ein Projekt in Wirklichkeit ist und welche Faktoren für seinen
erfolgreichen Verlauf relevant sind. Eine strukturierte, konsequente und sorgfältige Arbeitsweise wie auch das rechtzeitige
Kommunizieren von Schwierigkeiten waren für mich die wichtigsten Erfolgsträger.
Sprache und Literatur waren in meinem Leben immer etwas
Zentrales, deshalb habe ich mich auch für das Slawistik-Stu­
dium entschieden. Das Projekt gab mir die Möglichkeit, mein
theoretisches Wissen, das ich mir während des Studiums angeeignet hatte, endlich praktisch anzuwenden. Dies machte mich
besonders glücklich: Es bewies mir, dass ich auf diesem Gebiet
tatsächlich zuhause bin, verstärkte meinen Glauben an meine
Fähigkeiten und Kompetenzen und motivierte und qualifizierte
mich für die künftige Arbeitssuche. Ivo Pavlov ist Sprachwissenschaftler.
T e x t T h o m a s W y m a n n F oto F o t o l i a
…und ein neuer Lebensweg zeichnete sich ab. Endlich durfte ich bei
FAU St.Gallen starten! Ich hatte das grosse Glück, dass meine Coach
die Intention, einen Neuanfang zu wagen, voll und ganz unterstützte und mir mit Tat und Rat zur Seite stand. Es war ein Neustart,
um meine Gesundheit ins Lot zu bringen und meine Neuorien­
tierung auf die richtige Bahn zu lenken. Neu orientieren bedeutete,
viele Informationen zu sammeln und zu ordnen, sich immer wieder
selbst zu reflektieren und folgende Themen kritisch zu hinterfragen:
Der Beruf: Heizungsinstallateure, Ärzte und viele andere Berufsbilder sind feste Bestandteile unserer Gesellschaft und absolut
notwendig. Aber braucht es einen Coach? Meine Antwort lautet:
Ja, unbedingt. Denn die Wirtschaft wird immer rauer und ruppiger. Auch die ökonomischen Aussichten verheissen keine grosse
Entspannung. Deshalb kommen mehr und mehr Menschen «unter
die Räder» und sind auf fachliche Hilfe und Unterstützung angewiesen. Also braucht es Coaches, die ihr Wissen und ihre Empathie
in den Dienst dieser Menschen stellen.
Das Alter: Auf dem Stellenmarkt hat es kaum noch Platz für
45-Jährige. Gesucht werden junge Menschen mit knapp 25 Jahren, die über ein langjähriges, fundiertes Wissen verfügen. Ein
Paradox. Beim Coach zählt – neben der Fachkompetenz – die grosse Lebenserfahrung, um andere Menschen fundiert unterstützen
zu können. Das Alter ist also ein grosses Plus und kein Hindernis.
Die Fachkompetenz: Das wohl schwierigste Thema meiner Neu­
orientierung. SVEB 1? Coaching-Seminare? Coaching-Ausbildung
und wenn ja, welche? Meine Recherchen im Internet ergaben
keine eindeutigen Hinweise, welche Ausbildungen am besten zum
Beruf des Coachs hinführen. Also befragte ich acht FAU Coaches
in Zürich und Luzern nach ihrem persönlichen Werdegang. Sie
gaben mir sehr freundlich und engagiert Auskunft. Mein Problem:
es waren acht ganz unterschiedliche Wege!
Die Fachrichtung: Sollte es nun der Beruf «Coach» oder «Kursleiter»
oder beides zusammen sein? Hier halfen mir viele vertiefte Ge-
spräche mit meiner Coach bei FAU weiter. Mein Ziel ist es, JobCoach zu werden, da mir der persönliche und vertiefte Kontakt zu
einzelnen Menschen mehr bedeutet als ein Wirken mit der Gruppe.
Der Einstieg: Als Quereinsteiger ohne Erfahrung und Fachaus­
bildung musste ich erst einmal eine Brücke zu einem möglichen
­Arbeitgeber schlagen. Ich entdeckte ein Inserat für einen Job Coach/
Kursleiter von der Firma, bei der ich meine Standortbestimmung
absolviert hatte. In diesem Inserat wurde auch die Möglichkeit eines
Praktikums angeboten. Genau das Richtige! Eine E-Mail genügte,
und schon wenige Tage später erhielt ich die Zusage fürs Praktikum.
Im Praktikum eignete ich mir viele methodische Kompetenzen an
und nutzte die Gelegenheit, einen zweitägigen Kurs zum Thema
«Bewerbung im Internet – Einsatz Social Media» zu konzipieren
und unter Aufsicht durchzuführen. Dieser Kurs wurde als exzellent
­bewertet. Der Lohn für meine Arbeit ist ein Zeugnis, welches ich
künftig bei Bewerbungen als Türöffner verwenden kann.
Als nächsten Schritt strebe ich das SVEB Modul 1 zum Erwachsenenbildner an. Dazu ergänzend betreue ich ehrenamtlich Stellensuchende als Mentor innerhalb des Programms «tandem».
Mein Fazit: Ich ermutige alle diejenigen, die in ihrem Leben an
einer Kreuzung stehen, diesen Moment nachhaltig und clever
für eine Neuorientierung zu nutzen. Zwar ist die Ausgangslage für
Stellensuchende ab 45 eine Herausforderung, doch das Alter darf
nicht zur Ausrede werden. Sicher braucht es Elan, einen neuen
Weg zu suchen. Man nehme dazu: eine grosse Portion Mut, sehr
viel Eigeninitiative, unendlich viel Geduld, eine Handvoll gute
Freunde, Gesundheit und Lebens­freude. Thomas Wymann ist Detailhandel-Ökonom.
November 13 fauch
37
Projekte Teilnehmende
Projekte Teilnehmende
T e x t U l r i c k e B ä n zi g e r - B ü h l e r F oto f o t o l i a
Mythos Mistel
Die Mistel ist im deutschsprachigen Raum vor allem
bekannt als Baumparasit. In der anthroposophischen, zunehmend aber auch immer mehr in
der konventionellen Medizin wird sie auch in der
Krebstherapie eingesetzt. Ob als Glücksbringer
oder Medikament, der Pflanze wird seit jeher eine
heilende Wirkung zugeschrieben.
38
fauch November 13
Es gibt kaum eine andere Pflanze, die stärker von Mythen umrankt
ist als die Mistel. Sie gilt als Symbol für Fruchtbarkeit und ewiges
Leben. In zahlreichen Ländern kennt man die Weihnachtstradi­
tion, sich unter einem Mistelzweig zu küssen, was für Glück und
ewige Liebe sorgt. Und fast jedes Kind weiss, dass die Mistel der
wichtigste Bestandteil des legendären Zaubertranks ist, der A
­ sterix
und Obelix überirdische Kräfte verleiht.
Tatsächlich sind Misteln weltweit verbreitet und gehören zur Gattung der Sandelholzgewächse. Die Pflanze gilt als Gehölzparasit,
das heisst, sie wächst auf anderen Gehölzen, auf Sträuchern und
Bäumen. Im Volksmund wird sie daher auch «Schmarotzerpflanze» und «Hexenbesen» genannt. Die Blüten der Mistel sind unscheinbar, und je nach Art wachsen daraus weisse, gelbe oder rote
Beerenfrüchte. Der botanische Name der Mistel ist Viscum, was
Leim bedeutet beziehungsweise Klebstoff. Der Name basiert darauf, dass sich die Samenkörner an ihren Wirten im wahrsten Sinn
des Wortes festleimen. Durch den Römer Plinius1 ist historisch
überliefert, dass die Priester der Gallier – die Druiden – sowohl die
Misteln als auch die Bäume, auf denen sie wuchsen, als heilig
verehrten.
Nach dem Naturforscher Gustav Freiherr von Pohl2 ist die Mistel
alles andere als ein Schmarotzer. Im Gegenteil: Seiner Ansicht
nach unterstützt diese ihre Wirtspflanze und sichert so deren
Überleben. Von Pohl beschreibt, dass die Wirtspflanzen unter
Beschuss von geopathischen Immissionen stehen, weil sie auf
sogenannten Reizzonen wachsen. Der Begriff ist weit gefächert
und nicht überall in der Literatur eindeutig definiert, teilweise
wird auch von Geopathie oder Radiästhesie gesprochen. Es geht
um Wasseradern, Erdspalten und erdmagnetische Gitternetze.
Was­seradern sind unterirdische Wasserläufe unterschiedlichster
Fliesskraft und Tiefe. Erdspalten und Verwerfungen sind natür­
liche Formationen, die sich aus Erdplatten ergeben. Erdspalten
können trocken oder wasserführend (also Wasseradern) sein, sie
können aber auch das Edelgas Radon ausstossen3.
Wenig Forschung in diesem Bereich
In der Literatur werden immer wieder die Standortphänomene im
Bereich von geopathischen Immissionen als biophysikalisches
Phänomen thematisiert. In der Gegenwart wurden Wirkungen
dieser Standortphänomene wissenschaftlich bisher noch wenig
erforscht. Das mag vor allem daran liegen, dass geopathische
Immissionen nicht mit wissenschaftlich anerkannten Feldmess­
geräten messbar oder zu orten sind. Vielmehr müssen Radiäs­
thesisten (Rutengeher) zu Rate gezogen werden. Daraus wird
­geschlussfolgert, dass etwas, das sich den Messgeräten entzieht,
nicht existieren kann. Die etablierte Wissenschaft distanziert sich
daher von diesen Phänomenen.
Betrachtet man nun den Untergrund der Sträucher und Bäume,
auf denen Misteln wachsen, so lassen sich nach geo- und baubio­
logischen Erkenntnissen Störzonen feststellen. Meist handelt es
sich um Wasseradern ab einer bestimmten Fliessgeschwindigkeit
oder sogar um Kreuzungen von Wasseradern. Der Architekt und
bekannte Geomantologe Guntram Stoehr4 sieht die Landschaft als
ein vielfältiges Beziehungsnetz feinstofflicher Kraftstrukturen an,
die das Leben von Organismen beeinflussen. Seiner Ansicht nach
reflektieren dies vor allem Bäume mit ihren Wuchsformen. Die
negative Auswirkung unterirdischer Wasserläufe auf lebende
Orga­nismen begründet Stoehr in der Fähigkeit der Wassermo­
leküle, Schwingungszustände von Erdstrahlung aufzunehmen.
Während die meisten Zierpflanzen unterschiedlich stark unter
Geopathien leiden, benötigen viele Heilpflanzen anscheinend eine
starke Bestrahlung, um die beste Heilwirkung zu erzielen. In der
Literatur erfolgt die Schlussfolgerung, dass stark bestrahlte Heilkräuter etwas in sich aufnehmen und verstoffwechseln. Es scheint
ein Stoff oder ein Prozess in Gang gesetzt zu werden, der heilend
wirkt und dessen Wirkungsweise vermutlich in einer negativelektrischen Oberladung der Zelle liegt, wie unter anderem beim
Wissenschaftsjournalist Hans Mayer5 zu lesen ist.
Mistel als Heilmittel
Die Mistel gehört zu den Pflanzen, die sich über Störzonen heimisch fühlen. Es wird ihr die besondere Kraft zugeschrieben, die
Polarisationsebene des Lichts nach rechts zu drehen. Damit wirkt
sie dem negativen Linksdrall entgegen, den beispielsweise eine
Wasserader bewirkt. Bäume und Sträucher, die auf linksdrehender
(Energie abführend) Strahlung stehen, wären sonst eventuell
schwer gestört. Die Mistel sorgt in ihrer Symbiose für den Ausgleich, bewahrt ihre Wirtspflanze also vor dem negativen Einfluss.
Rudolf Steiner entdeckte dieses Phänomen, und daher wurde die
Mistel zuerst vor allem in der anthroposophischen Medizin sehr
bekannt. Jedoch wird sie inzwischen auch in der konventionellen
Medizin in der Onkologie eingesetzt. Mistelsaft gilt seit Jahrhunderten als ausgezeichnetes Krebsheilmittel. Man nimmt an, dass
dieser mit seiner rechtsdrehenden Eigenschaft der linksdrehenden
Desorganisation der Krebszelle entgegenwirkt. Wissenschaftlich
gesichert ist dies indes nicht. Doch schon Plinius beschrieb, dass
ein Misteltrank unfruchtbare Tiere fruchtbar machen und Ver­
giftungen heilen würde. Ulricke Bänziger-Bühler ist dipl. Informatikerin und Dozentin.
Quellen [1] Birkhan H: naturalis historia 16:249–251, In: Kelten-Einfälle an der Donau.
Akten des 4. Symposiums deutschsprachiger Keltologinnen und Keltologen. Philologische
– Historische – Archäologische Evidenzen (Linz/Donau 17.–21. Juli 2005) [= Denkschriften
d. Österr. Akad. d. Wiss., phil. hist. Kl., 345. Bd.], Wien 2007:307–324 [2] Pohl Gustav
Freiherr von: Erdstrahlen als Krankheits- und Krebserreger, Fortschritt für alle. Feucht; 3
Auflage 1983 [3] Hensch E G: Geomantisch Planen, Bauen und Wohnen. Band I Grundlagen der geomantischen Arbeit, Band II Praktisches Handbuch, Drachenverlag 2007 [4] Stoehr G: Vom Wesen der Bäume, AT Verlag 2012 [5] Mayer & Winkelbaur: Biostrahlen. Der Mensch im Strahlungsfeld von Kosmos, Erde und Umwelt (5), Orac 1989: 160, 161
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November 13 fauch
39
Projekte Teilnehmende
gesehen gelesen gehört
Projekt «Outplacement» gibt
Energie und Motivation
Die Idee für mein Projekt ist bereits vor meiner Zeit bei FAU entstanden. Mein Coach ermutigte mich,
das Projekt tatsächlich anzupacken und vermittelte mir eine Partnerfirma in Freiburg, die konkret am
­Aufbau eines neuen Firmensegments «Outplacement» interessiert war.
T e x t K a r i n R o l l i F oto F o t o l i a
Da ich meine Stelle aufgrund einer Reorganisation verloren hatte
und die Dienstleistung eines Outplacements gut hätte gebrauchen
können, konnte ich mich von Anfang an sehr gut mit dem Projektinhalt identifizieren. Ich sah hier die Chance, die Erfahrungen
aus meinem Stellenverlust wirksam einzubringen. Durch die Projektarbeit hatte ich mit vielen Unternehmungen direkten Kontakt.
Dank dieser Kontakte war ich auch näher am Stellenmarkt dran
und sah für mich die Möglichkeit, eher eine neue Stelle zu finden.
Die Partnerfirma, für die ich das Outplacement-Projekt begleiten
durfte, ist im zweisprachigen Fribourg beheimatet. Daher musste
das Projekt in Deutsch und in Französisch abgewickelt werden.
Für mich war das eine grosse Herausforderung, aber auch die
Chance, mein Französisch zu verbessern. Schliesslich hatte ich
schon einige Absagen wegen meiner doch etwas eingerosteten
Französischkenntnisse erhalten. Ich komme aus dem Bereich
Kommunikation mit Schwerpunkt «Elektronische Medien» und
verfüge über entsprechende Projektleitungs-Erfahrung. Diese
konnte ich innerhalb des FAU-Projektes gut einsetzen und mit
Hilfe meines Coaches zusätzlich erweitern.
Konkretes Projekt in zweisprachigem Umfeld
Kernaufgabe des Projekts war es, für die Partnerfirma einen Projektplan mit allen nötigen Teilaufgaben zur Etablierung des neuen
Segmentes «Outplacement» zu erstellen. Ich erarbeitete eine Liste
mit potentiellen Kunden, machte mir
Gedanken zur Preispolitik und erstellWas ist ein Outplacement?
te realistische Zeitabläufe. Gleichzeitig setzte ich mich mit der konkreten
Eine Firma muss aus finanziellen oder reorUmsetzung von Briefschaften, Präganisatorischen Gründen eine oder mehrere
sentationsvorlagen, Webinhalten und
Personen entlassen. Dies ist für betroffene
Werbemitteln auseinander. Dies auf
Mitarbeiter alles andere als einfach. Aus diesem
Grund beauftragt die Firma einen externen
Deutsch und Französisch. Die regelAnsprechpartner, der die Mitarbeitenden betreut.
mässigen Meetings fanden grössEs geht darum, die Mitarbeitenden zu untertenteils in französischer Sprache statt,
stützen und ihnen zu helfen, den Stellenverlust
so dass ich mich auch im mündli­
zu verarbeiten. Die eigenen Kompetenzen und
chen Aus­druck eindeutig verbessern
Fähigkeiten sollen erkannt und geschärft werkonnte.
den. Dazu werden die Stellensuchenden aktiv
Die Unterstützung, die ich in der Partim Bewerbungsprozess unterstützt. Eine solche
nerfirma und von meinem FAU-Coach
Begleitung kann durch einen externen Partner
besser wahrgenommen werden, als durch die
HR-Abteilung des ehemaligen Arbeitgebers.
Gemeinwohl-Ökonomie
«Geld kann nur Mittel zum Zweck sein.» sagt
Christian Felber, österreichischer Globalisierungskritiker und Autor. Er ist Initiator der
­«Demokratischen Bank» und prägte den Begriff
«Gemeinwohl-Ökonomie». Darunter versteht er
ein Wirtschaftsmodell, dessen Wertmassstab
nicht der Finanzgewinn, sondern sein Beitrag
zum Gemeinwohl ist. Belohnt wird, wer Werte
und Verhaltensweisen wie Vertrauen, Solidarität
und Teilen lebt. Also eine echte Alternative zu
einer von Arbeitslosigkeit, Finanzblasen, Demokratieabbau und Armut geprägten Realität.
Das Wirtschaftsmodell der Zukunft? Auf jeden
Fall wächst die von Politikern/-innen, Privatpersonen und Unternehmen mitgetragene
Initia­tive stetig. Weitere Informationen unter:
www.gemeinwohl-oekonomie.org/de
Christian Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie
Das Wirtschaftsmodell der Zukunft
Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2012
Aussteigen-Umsteigen
Wer träumt nicht manchmal davon, noch einmal neu zu beginnen, etwas ganz anderes
zu tun, mehr auf die innere Stimme zu hören?
Warum sind es so wenige, die zu neuen Ufern
aufbrechen? Bei der Jobwahl haben wir heute
enorm viele Möglichkeiten und so auch die
Freiheit, uns neu zu erfinden. Das kann zu erstaunlichen Veränderungen führen: Ein langjähriger Bank-Filialleiter kündigt zum Beispiel
seinen gut bezahlten Job und eröffnet einen
Tee- und Gewürzladen. Warum bleiben solche
Aus- und Umstiege die Ausnahme? Dieses Buch
will dazu beitragen, dass mehr Menschen ihre
eigene Geschichte schreiben, statt die Ziele anderer zu verfolgen.
erfahren durfte, war vorbildlich. Ich konnte mein Wissen im
­Bereich Projektmanagement aber auch in der Thematik «Outplacement» wesentlich ergänzen. Als besonders wertvoll empfand ich
den Austausch mit Kollegen und Schulungsteilnehmern innerhalb
des FAU. Durch einen Vortrag über mein Projekt beim FAU-Teilnehmermeeting konnte ich ausserdem meine Auftrittskompetenz
erproben und festigen.
Mein persönliches Fazit aus dem Projekt: Durch klare Zielsetzungen, Eigeninitiative und Energie lässt sich manches bewegen.
Ich fand es motivierend, nach längerer Zeit wieder eine konkrete
Aufgabe mit nutzbaren Ergebnissen vorlegen zu können und bin
überzeugt davon, dass sich meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt
durch das Projekt verbessert haben, und ich schon bald eine
­geeignete Stelle finden werde. Karin Rolli ist PR-Fachfrau.
Radikal führen
unternehmen dar. Die geschilderten Erlebnisse
und Beispiele sind amüsant, erschreckend, aber
auch wohlvertraut.
Anonyma: Ganz oben.
Aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft.
C.H. Beck München 2013
Die Midlife-Boomer
Die demografischen Veränderungen in Europa
sind schleichend, doch unabwendbar. Wir werden älter. Daher ist ein neues Bild vom Altern
gefragt. Zu tief sitzt die Vorstellung: Von nun
an geht es bergab. Das stimmt
nicht, sagt die Journalistin
Margaret Heckel. Menschen
ab 50 werden zufriedener
und glücklicher. Der Mangel
an Fachkräften verschärft sich
kontinuierlich, so werden
Menschen um die 50 mehr
denn je auf dem Arbeitsmarkt
gefragt sein. Wer als Firma attraktiv sein will,
muss auf diese Veränderun­gen reagieren und
künftig individuelle Arbeitszeitmodelle anbieten.
Die Autorin beschreibt die Menschen in dieser
neuen Lebensphase als Midlife-Boomer: eine
zahlenmässig starke und gut ausgebildete Gene­
ration um die 50, deren Erfahrungen und Qualitäten auch morgen noch gefragt sein werden.
Margret Heckel: Die Midlife-Boomer:
Warum es nie spannender war, älter zu werden.
Edition Körber Stiftung Hamburg 2012
Reinhard K. Sprenger: Radikal führen
Campus Verlag Frankfurt am Main 2012
Zufrieden am Arbeitsplatz
Zufrieden und gesund im Job - und dies
trotz zunehmendem Druck. Wie auch
Sie das schaffen, zeigt das praktische
Beobachter-Handbuch. In Zeiten von
Umwälzungen und wachsendem Druck
ist es kein einfaches Unterfangen, sein
persönliches Wohlfühlklima am Arbeitsplatz zu schaffen. Laufbahnberaterin
und Psychologin Regula Zellweger zeigt,
wie Sie es am besten anpacken. Sie bietet ganz
konkrete Hilfestellungen, die Ihre psychische
und körperliche Gesundheit im Job stärken.
Regula Zellweger: Jobwohl – zufrieden
am ­Arbeitsplatz
Was Sie gegen Frust und Stress tun können
Beobachter-Buchverlag 2010
Wir essen die Welt
Entscheiden
Mathias Morgenthaler
und Marco Zaugg: Aussteigen-Umsteigen.
Wege zwischen Job und
­Berufung.
Zytglogge Verlag Oberhofen
2013
Kind oder Karriere? Bio oder Budget? Kino oder
Couch? Täglich müssen wir Entscheidungen treffen und uns dabei fragen, ob wir auf unseren
Kopf oder Bauch hören sollen. Die Kulturinstitution Stapferhaus Lenzburg beleuchtet noch bis
April 2014 mit der Ausstellung «Entscheiden» ein
Thema, das für uns Lust wie auch Last ist.
Anonyma: Ganz oben
www.stapferhaus.ch
Die Autorin Anonyma beschreibt sich in ihrem
Buch «Ganz oben» als einzige Frau unter
rund 50 Topmanagern eines deutschen Unternehmens. Dabei stehen ihre Erfahrungen im
Umgang mit Privilegien und klassischen FrauenDienstleistungen im Fokus. Das Buch stellt einen
Erfahrungsbericht einer Topmanagerin über
­ihren Aufstieg und ihren Alltag in einem Gross-
«Radikal führen – das bedeutet
Konzentration auf das Wesentliche,
Klarheit und Konsequenz. Hier geht es
um das Kerngeschäft der Führung, um fünf fundamentale Aufgaben, die eherne Wegweiser im
Dickicht der Moden und Aufgeregtheiten sind.»
So beschreibt Reinhard K. Sprenger sein Buch
«Radikal führen». Er setzt der überbordenden
Zahl von Theorien und Modellen fünf Kernaufgaben von Führung entgegen. Dabei greift er
auf seine Praxiserfahrung als Führungsperson
in einem internationalen Unternehmen zurück.
Bis am 9. Februar 2014 können die Besucherinnen und Besucher im Naturama Aarau
auf spielerische Art erkunden, woher unsere
Nahrungsmittel stammen, wie sie produziert
wurden und welche Auswirkungen unsere
Kauf­entscheide auf die Umwelt und das Leben
anderer Menschen haben.
www.wir-essen-die-welt.ch
November 13 fauch
41
Wer wo arbeitet
Der Nonkonformist: Valentin, 63
Anwalt
Wer ist wer… die Auflösung
Mit 29 Jahren kam er in Hamburg in Kontakt mit dem Rotlichtmilieu und beschloss, seinem Leben als Rechtsanwalt
eine neue Richtung zu geben. Statt für Patentrechte zu
weibeln, steht er heute den Hells Angels, Prostituierten und
­anderen Randgruppen als Anwalt zur Seite.
Valentin Landmann ist Rechtsanwalt in Zürich.
Die Nomadin:
Nathalie, 43, HR Leiterin
Sie ist für 4‘000 Mitarbeitende verantwortlich. Weil sie spüren will, was diese
Mitarbeiter bewegt, bewegt sie sich
selbst. Ihren fixen Arbeitsplatz hat
sie aufgegeben und ist, einer Nomadin
gleich, täglich unterwegs.
Nathalie Bourquenoud ist Leiterin HR bei
der Postfinance in Bern.
Die Gegensätzliche: Janina, 30
Model und LKW Fahrerin
Gegensätze ziehen sich an. Sie wollte Model sein. Und
Lastwagenfahrerin. Ein Kindheitstraum, der wahr
geworden ist. Heute ist sie nicht nur ein international
erfolgreiches Model und fährt LKW, sondern führt auch
ihre eigene Logistikfirma.
Janina Martig aus Basel ist Model, Lastwagenfahrerin
und Unternehmerin.
Die Spätzünderin: Eva, 87
Künstlerin
Die Unverwüstliche: Jenny, 23
Kanalreinigerin
Der Kombinierer : Gregor, 29
Kleinkinder­zieher und Barkeeper
Die Ausbildung zur Kosmetikerin musste sie aus gesund­
heitlichen Gründen abbrechen und wurde LKW-Fahrerin.
Durch ihre Spezialisierung auf Kanalreinigung sorgt sie
­heute dafür, dass die Kanäle genauso rein werden, wie
früher die Haut ihrer Kundinnen.
Jenny Jakober ist Spezialistin für Kanalreinigung in
Sarnen und fährt LKW.
Seine Ausbildung zum Floristen brach er ab. Als Klein­­kinderzieher und Barkeeper hat er sich dafür einen
bunten Strauss voller Möglichkeiten zusammengestellt.
Gregor Küffer arbeitet als Kleinkinderzieher in Sursee
und als Barkeeper in Biel.
Die Berufene: Lena-Lisa, 30
Dirigentin
Dass Beruf von Berufung kommt, war Lena-Lisa
schon als Kind klar. Und ihre Berufung war
und ist die Musik. Sie hat den richtigen Ton
­offenbar getroffen und dirigiert heute mehrere
bekannte Orchester.
Lena-Lisa Wüstendörfer aus Zürich ist Dirigentin.
42
fauch November 13
Bildhauerin wollte sie werden. Oder mindestens
­Dekorateurin. Die Eltern entschieden anders und
sie wurde Primarlehrerin. Nach ihrer Pensionierung
­erfüllte sie sich ihren Traum doch noch und wandte
sich der Objektkunst zu. Sie hat es geschafft und
gilt heute als angesehene und bekannte Künstlerin.
Eva Zwimpfer aus Luzern ist Objektkünstlerin.
Sie ­wurde mehrmals ausgezeichnet und ihre Werke
werden regelmässig ausgestellt.
Der Modellierer: Ueli, 61
Facharzt für Psychiatrie
Mit 33 Jahren modellierte sich der gelernte Töpfer
sein neues Leben und studierte Medizin. Heute
ist er Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und
arbeitet lieber mit Menschen als mit Ton.
Ueli Schneider ist Facharzt für Psychiatrie und Psycho­
therapie FMH mit Praxen in Küssnacht a.R. und Bern
November 13 fauch
43
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