Geistige Behinderung - Bundesvereinigung Lebenshilfe

Transcription

Geistige Behinderung - Bundesvereinigung Lebenshilfe
44. Jahrgang, Januar 2005
1/05
Geistige
Behinderung
Fachzeitschrift der
Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen
mit geistiger Behinderung e.V.
ISSN 0173-9573
INHALT
Editorial
Menschen mit geistiger Behinderung haben ein Recht auf würdevolle Teilhabe am Leben
in der Gemeinschaft (Resolution der Lebenshilfe Bayern)
1
Fachbeiträge
Die neuropsychiatrische Versorgung von Menschen mit schwerer Intelligenzminderung
und Mehrfachbehinderung (Peter Martin, Christoph Guth)
4
Epilepsie: Mehr wissen und anders handeln durch PEPE. Zum Einsatz der psychoedukativen
Epilepsieschulung „PEPE“ für lern- und geistig behinderte Menschen
(Peter Brodisch, Verena Schlude)
12
Was Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern brauchen. Zusammenfassende Ergebnisse einer qualitativen Studie (Manfred Hintermair, Gerda Hülser)
22
Qualitätsmanagement in der Frühförderung und Familienbegleitung der
Lebenshilfe Salzburg (Karin Astegger)
36
Weit reichende Entscheidungen. Vorstellung einer Studie zum Entscheidungsverhalten von
Menschen mit geistiger Behinderung in Übergängen von der WfbM auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt (Jochen Friedrich)
47
Aus der Praxis
Hand in Hand die Umwelt erleben. Ein Modellprojekt des Umweltpädagogischen
Zentrums der Stadt Nürnberg (Frank Wilker)
56
Aktuelle Mitteilungen
u. a.: Epilepsie-Syndrome (Gerhard Neuhäuser)
66
Europa
„Included in Society“ – eine europäische Studie. Behinderte Menschen haben das Recht
auf Eingliederung in die Gesellschaft
73
Buchbesprechungen
Erhard Fischer (Hg.): Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung.
Sichtweisen – Theorien – Aktuelle Herausforderung (Andreas Möckel)
Wolfgang Lamers, Theo Klauß (Hg.): ... alle Kinder alles lehren! – aber wie?
Theoriegeleitete Praxis bei schwer- und mehrfachbehinderten Menschen (Heinz Mühl)
Ernst Wüllenweber: Soziale Probleme von Menschen mit geistiger Behinderung.
Fremdbestimmung, Benachteiligung, Ausgrenzung und soziale Abwertung
(Winfried Baudisch)
Almut-Hildegard Meyer: Kodieren mit der ICF: Klassifizieren oder Abklassifizieren?
Potenzen und Probleme der „Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit,
Behinderung und Gesundheit“ (Gerhard Neuhäuser)
76
78
79
81
Veranstaltungen
83
Bibliografie
86
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
EDITORIAL
„Menschen mit geistiger
Behinderung haben ein Recht auf
würdevolle Teilhabe am Leben in
der Gemeinschaft“
Resolution der Lebenshilfe Bayern*!
■ Die Lebenshilfe sieht sich in der Verantwortung, die Belange und Rechte von Menschen mit geistiger Behinderung und deren Familien gegenüber Gesellschaft und
Politik zu vertreten. Auch Menschen mit Behinderung sind Bürger unseres Landes
und genießen den vollen Schutz der in unserer Verfassung verankerten Grundrechte.
Ein Jahr nach Vorlage unserer behindertenpolitischen Forderungen zur bayerischen
Landtagswahl, ein Jahr nach Inkrafttreten des Bayerischen Gesetzes zur Gleichstellung, Teilhabe und Integration von Menschen mit Behinderung und zehn Monate
nach dem Ende des Europäischen Jahrs der Menschen mit Behinderung 2003 müssen wir mit Bedauern feststellen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Teilhabe
am Leben in der Gemeinschaft, hier insbesondere die Betreuungssituation für Menschen mit geistiger Behinderung, zunehmend verschlechtern. Die Finanzkrise der
öffentlichen Haushalte und der sozialen Sicherungssysteme führt zu maßgeblichen
Einschnitten in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung.
Die Mitgliederversammlung der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, Landesverband Bayern e.V., verabschiedet daher diese Resolution:
1. Der Mensch mit Behinderung ist nicht nur Kostenfaktor
Die sozial- und finanzpolitische Diskussion der letzten Monate zeigt, dass Menschen
mit Behinderung in der öffentlichen Darstellung zunehmend zu reinen Kostenfaktoren
in der Eingliederungshilfe reduziert werden. Die Debatte um Leistungen für Menschen mit Behinderung ist geprägt von Standardabsenkungen und orientiert sich nicht
mehr an den Bedürfnissen der Betroffenen.
Seit der Verankerung des Verbots der Benachteiligung behinderter Menschen im
Grundgesetz gilt für alle Reformüberlegungen der Grundsatz, dass kein Mensch
aufgrund der Art oder der Schwere seiner Behinderung aus dem gesellschaftlichen
Leben ausgegrenzt werden darf. Eine Abhängigkeit der Gewährung von Leistungen
der Sozialhilfekostenträger nach Kassenlage der Kostenträger ist daher nicht
hinnehmbar.
*
verabschiedet von der Mitgliederversammlung 2004 des Lebenshilfe-Landesverbands Bayern
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
1
2
EDITORIAL
2. Selbstbestimmung
Gesellschaftliche Teilhabe, Selbstbestimmung, Integration und Gleichstellung von
Menschen mit Behinderung sind Ausdruck gesellschaftlicher Willensbildung und gesetzlich verankert.
Auch für die Zukunft ist es unser Ziel, Menschen mit geistiger Behinderung ein
möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu gewährleisten. Im Interesse
der Menschen mit Behinderung ist eine ausreichende Finanzierung für die Einrichtungen und Dienste zu gewährleisten, die Raum für selbstbestimmtes Leben bieten
und entwickeln.
3. Alter
Aufgrund der demografischen Entwicklung ist mit steigenden Zahlen in der
Behindertenhilfe zu rechnen und die erste Nachkriegsgeneration von Menschen mit
Behinderung tritt zunehmend in die Phase des dritten Lebensabschnitts ein.
Auch im Alter besteht ein Anspruch auf soziale Eingliederung. Das Wohnangebot
sowie das Angebot an tagesstrukturierenden Maßnahmen für alte Menschen mit
geistiger Behinderung muss dem Bedarf entsprechend wohnortnah ausgebaut und
konzeptionell weiterentwickelt werden. Dafür sind Investitionsmittel sowie ausreichende Entgelte zur Verfügung zu stellen.
4. Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung
Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung sind bei der Erschließung ihrer
verschiedenen Lebensbereiche und der Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen auf
die Hilfe anderer besonders angewiesen. Sie benötigen zur Erlangung gleicher Chancen dazu besonders die Unterstützung und Akzeptanz aller Bürger. Denn es ist absehbar, dass die älter werdenden Eltern und Angehörigen die Betreuung in der Familie nicht auf Dauer werden leisten können.
Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung muss auch zukünftig die Möglichkeit gegeben werden, den Werktag in einem zweiten Lebensraum – der Werkoder Förderstätte – zu verbringen. Die Wohnformen sind ihren Bedürfnissen im Rahmen der Eingliederungshilfe entsprechend vorzuhalten.
5. Ambulante Hilfen
Trotz der Bemühungen in den letzten Jahren fehlt es in Bayern weiterhin an einer
flächendeckenden Versorgung mit ambulanten Eingliederungshilfen im Wohn-, Arbeitsund Freizeitbereich und einer bedarfsgerechten Ausstattung bestehender Angebote.
Die bestehenden Dienste der Offenen Behindertenarbeit haben zudem keine gesicherte Finanzierung.
Wir fordern daher, dass die bewährten ambulanten Versorgungsstrukturen für Menschen mit geistiger Behinderung finanziell gesichert und strukturell ausgebaut werden.
Wichtig für die Betroffenen und ihre Familien ist dabei, dass die Angebote weiterhin
niedrigschwellig vorgehalten werden können.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
EDITORIAL
6. Weniger Bürokratie für mehr soziales Handeln
Die Regelungsdichte belastet in zunehmendem Maße auch die Träger von Einrichtungen und Diensten im sozialen Bereich. Dem Selbstverständnis der Lebenshilfe
entspricht es, den Schwerpunkt ihrer Arbeit bei der unmittelbaren Betreuung, Förderung und Unterstützung von Menschen mit geistiger Behinderung zu setzen.
Im Sinne der Entbürokratisierung und Effizienz müssen der Verwaltungsaufwand deutlich verringert und größere Ermessens- und Entscheidungsspielräume für die Nutzer
und Träger von Einrichtungen und Diensten realisiert werden.
7. Einhaltung von Verträgen und Gesetzen
Die gesetzlichen Regelungen und die daraus resultierenden Vereinbarungen zwischen Einrichtungsträgern und Sozialhilfeträgern bilden die Grundlage der Erbringung
der Leistungen der Einrichtungen und Dienste für die Menschen mit Behinderung.
Einseitig erklärte und rechtswidrige Kürzungen oder Aufhebungen der Vereinbarungen seitens der Sozialhilfeträger, wie in den letzten Monaten wiederholt praktiziert,
berühren in ihrer Konsequenz unmittelbar die Belange der betreuten Menschen mit
Behinderung.
Wir fordern die Einhaltung von Gesetzen und Verträgen seitens der Sozialhilfeträger,
damit für Menschen mit geistiger Behinderung und deren Eltern und Angehörige
sowie für die Einrichtungsträger Rechtssicherheit bestehen bleibt und der Fortbestand der Leistungsangebote gewährleistet wird.
8. Einbeziehung
Menschen mit Behinderung und deren Angehörige sind Experten in eigener Sache.
Sie und ihre Interessensverbände sind daher in die Gremien und Entscheidungsprozesse
der Behindertenpolitik einzubeziehen.
Immer mehr Menschen mit geistiger Behinderung werden auf Förderung, Betreuung
und Unterstützung angewiesen sein. Darauf haben sich alle Beteiligten in konzeptioneller, finanzieller und personeller Hinsicht einzustellen. Behindertenpolitik ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit dem Ziel, Menschen mit Behinderung ein würdevolles Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. ■
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
3
4
Peter Martin, Christoph Guth
Die neuropsychiatrische Versorgung
von Menschen mit schwerer
Intelligenzminderung und
Mehrfachbehinderung
Peter Martin, Christoph Guth
■ In einer Zeit, in der Kostenaspekte und Fragen der Wirtschaftlichkeit, denen man
mit Normierungen und Kategorienbildung entsprechen möchte, unser gesellschaftliches Leben und nicht zuletzt auch das Gesundheitswesen durchdringen, drohen
individuelle Bedürfnisse, insbesondere von statistisch nicht entscheidend ins Gewicht fallenden Randgruppen vergessen, um nicht zu sagen ignoriert zu werden.
Diese Entwicklung trifft uns in einer Situation, in der die medizinische Versorgung
von Menschen mit geistiger Behinderung, vor allem mit schwerer Intelligenzminderung, schon seit langem und nach wie vor als unbefriedigend angesehen wird.
Dies ist in besonders hohem Maße für die Patientengruppe der Fall, die das Kindesbzw. Jugendalter überschritten hat (Expertise Gesundheit und Behinderung 2001).
Medizinisches und insbesondere ärztliches Wirken in Bezug auf Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung bedarf spezieller Kenntnisse, einer besonderen
Qualifikation, die dazu befähigen sollen, die spezifischen Bedürfnisse und die besondere Situation dieser Menschen zu berücksichtigen – und dies durchaus im Kontext einer modernen und ehrgeizigen Medizin. Dabei ist die geistige Behinderung
bzw. Intelligenzminderung nicht als ein Zustand des Krankhaften anzusehen, sondern vielmehr als eine besondere Form des Menschseins. Diese wiederum stellt natürlich ihre eigenen Anforderungen an die verschiedenen Disziplinen der Medizin.
So ergibt sich die Beziehung zwischen neurologischen, psychiatrischen und neuropsychiatrischen Störungen und geistiger Behinderung nicht daraus, dass geistige
Behinderung eine psychische Erkrankung ist, sondern allenfalls aus der Tatsache,
dass psychische und neurologische Probleme im Leben eines Menschen mit
Intelligenzminderung sehr häufig und in besonderer Ausprägung vorkommen.
Im Folgenden soll ein kurzer Abriss über die Ursachen schwerer geistiger Behinderung gegeben werden. Es schließen sich Thesen zu den medizinischen Versorgungsstrukturen, insbesondere im Bereich der Neurologie und Psychiatrie an, die im 3.
Abschnitt des Beitrags anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden sollen.
Ursachen schwerer geistiger Behinderung
Die Prävalenzraten in westlichen Ländern für schwerere Formen der geistigen Behinderung (mittelschwer bis schwerst) werden sehr konstant in unterschiedlichen
Studien mit 3 bis 4 je 1.000 Einwohner genannt. Dabei überwiegt das männliche
Geschlecht leicht (ABRAMOWICZ; RICHARDSON 1975).
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Die neuropsychiatrische Versorgung von Menschen mit schwerer Intelligenzminderung
Bei zahlreichen Menschen mit geistiger Behinderung finden sich in der Vorgeschichte
(insbesondere über Schwangerschaft und Geburt bzw. frühkindliche Entwicklung)
sowie in den medizinischen Befunden Hinweise auf eine so genannte biologische
Grundlage der geistigen Behinderung. Solche Hinweise sind für Menschen mit leichter geistiger Behinderung deutlich seltener (bis zu etwa 70%) als bei schweren
Formen der Intelligenzminderung (bis zu etwa 95%) (STROMME 2000). So ist anzunehmen, dass zahlreiche Menschen, für die eine leichte geistige Behinderung festzustellen ist, sozusagen auf dem Kontinuum der Normalverteilung der Intelligenz liegen.
Unter den fassbaren Ursachen geistiger Behinderung unterscheidet man nach dem
Zeitpunkt des Einwirkens der ursächlichen Faktoren pränatale (vor der 28. Schwangerschaftswoche) von perinatalen (28. Schwangerschaftswoche – 7. Lebenstag) und
den postnatalen (nach dem 7. Lebenstag) (Ätiologie).
Zu den pränatalen Ursachen zählen Chromosomenabweichungen bzw. Genmutationen, Gehirnentwicklungsstörungen, angeborene Stoffwechselstörungen, intrauterine Einwirkung von Toxinen (vor allem von Medikamenten) und Strahleneinwirkung sowie intrauterine Infektionen und auch Sauerstoffmangelschädigungen.
Perinatale Ursachen sind vor allem Meningoenzephalitiden (Entzündungen der Gehirnhaut und des Gehirns) des Neugeborenen und auch mangelnde Gehirndurchblutung bzw. Sauerstoffmangel (hypoxisch-ischämische Gehirnschädigung). Zu den
Infektionen und Sauerstoffmangelschädigungen, die auch noch in der Zeit nach
der Geburt auftreten können, kommen Verletzungen (Traumen) und so genannte
epileptische Enzephalopathien als wichtige ursächliche Faktoren postnatal hinzu.
Wichtig ist festzustellen, dass die Schädigungen um die Zeit der Geburt (z. B. Sauerstoffmangel bei der Geburt) deutlich seltener sind als allgemein angenommen und
dass pränatale Schädigungen weitaus überwiegen (STROMME 2000; RITTEY 2003).
Medizinische Versorgungsstrukturen für Menschen
mit geistiger Behinderung
Aus dem eingangs erwähnten Mangel an ausreichender medizinischer Versorgung
von Menschen mit geistiger Behinderung, insbesondere von Erwachsenen mit
Intelligenzminderung, ergeben sich Notwendigkeiten für eine Reform und Verbesserung der Strukturen, die dieser Patientengruppe medizinische Hilfe und Unterstützung zur Verfügung stellen.
Im Wesentlichen ist dabei der Blick auf die drei Hauptsäulen der Medizin, nämlich
die Patientenversorgung, die Ausbildung und die Forschung gerichtet.
In allen ärztlichen Ausbildungsabschnitten fehlen derzeit noch weitgehend vollständig Inhalte zu einer „Heilkunde für Menschen mit geistiger Behinderung“. Dies
trifft nicht nur für das Medizinstudium zu, sondern auch für die Facharztweiterbildung. Berufsbegleitende Fortbildungen zu diesem Thema finden nur selten statt.
Eine darüber hinausgehende Spezialisierung im Sinne einer Zusatzqualifikation in
diesem Gebiet der Medizin, die, orientiert an einem festen Curriculum, von Angehörigen unterschiedlicher Facharztgruppen erworben werden könnte, ist als unbedingt wünschenswert bzw. als notwendig anzusehen.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
5
6
Peter Martin, Christoph Guth
Da die Medizin für Menschen mit geistiger Behinderung in keiner medizinischen
Fakultät Deutschlands vertreten ist, gibt es hierzulande wenig wissenschaftliche
Aktivitäten in diesem Gebiet. Dies ist insbesondere im Vergleich mit anderen europäischen und nordamerikanischen Ländern festzustellen. Somit erfolgt, zumindest
von Deutschland ausgehend, bislang kein wesentlicher Beitrag zur Erstellung einer
empirischen Basis diagnostischen und therapeutischen Handelns in Bezug auf Menschen mit geistiger Behinderung.
Da jedoch das Erscheinungsbild von Erkrankungen, Art und Häufigkeit von Begleiterkrankungen, Erkrankungsverläufe und Verträglichkeit und Effektivität von Medikamenten, insbesondere bei Patienten mit schwerer geistiger oder mehrfacher Behinderung zum Teil deutlich unterschieden sind von Menschen mit normaler Intelligenz,
ist der Weg zu einer modernen und effektiveren Behandlung für die Patientengruppe mit Intelligenzminderung in vielen Bereichen noch nicht geöffnet.
Zeitgemäße Medizin bedeutet und erfordert in allen Fachrichtungen ein hohes Maß
an Spezialkenntnissen und speziellen Fertigkeiten, ohne dabei aber Überschneidungsgebiete mit anderen Bereichen des eigenen Fachs bzw. anderen Fächern außer Acht
zu lassen. Letzteres trifft insbesondere für das Spezialgebiet der Medizin zu, das
sich mit spezifischen gesundheitlichen Aspekten der geistigen Behinderung beschäftigt. Gleiche Symptome können bei Menschen mit (schwerer) Intelligenzminderung
Ursachen in verschiedenen Organsystemen haben, und für Menschen ohne geistige
Behinderung typische Symptome einer bestimmten Erkrankung treten bei Menschen
mit Intelligenzminderung in völlig anderer Gestalt zutage. Ärzte, die geistig behinderte Patienten behandeln, müssen deren spezifische Bedürfnisse und besondere
Situation sehr genau kennen und auch in einem, insbesondere zeitlichen, Rahmen
tätig sein, der diesen Patienten angemessen ist. Um als Arzt, welcher Disziplin auch
immer zugehörend, gute Arbeit für Menschen mit Intelligenzminderung oder mehrfacher Behinderung leisten zu können, bedarf es einer höheren Qualifikation, d. h.,
weitaus mehr Spezialkenntnisse, Spezialfertigkeiten und Erfahrung, als allgemein
angenommen wird.
Insbesondere langsam sich entwickelnde Erkrankungen werden erschreckend häufig nicht erkannt und schon gar nicht therapiert. Dies scheint häufig deshalb der
Fall zu sein, weil Menschen mit Intelligenzminderung, insbesondere schwer- und
schwerst geistig behinderte Menschen bzw. Menschen mit mehrfacher Behinderung, bereits mit einer „Diagnose“, eben dieser Behinderung, ausgestattet sind,
mit einem Etikett sozusagen, das den Blick auf (weitere) mögliche Erkrankungen
vollständig verstellen kann, zumal in einer Situation, in der Spezialkenntnisse kaum
vorhanden sind und der äußere Rahmen für eine differenzierte Diagnostik bei dieser Patientengruppe überhaupt nicht gegeben ist. Hinzu kommt, dass oftmals vollständig zu Unrecht, wie die Praxis zeigt, mögliche Behandlungserfolge von vornherein
negiert werden. Besonders unangenehm wird die Situation dadurch, dass die Betroffenen nicht aus eigenem Antrieb ihren Arzt wechseln bzw. sich einem kompetenteren Vertreter seines Fachs zuwenden können.
Es spricht jedoch sehr vieles dafür, dass Haus- bzw. Fachärzte mit besonderer Qualifikation und ständiger Erfahrung in der Heilkunde für Menschen mit geistiger Behinderung eine bessere medizinische Versorgung garantieren könnten, als die, die
wir derzeit vorfinden. Im Einzelnen wären hier auch Heimärzte mit einem guten, in
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Die neuropsychiatrische Versorgung von Menschen mit schwerer Intelligenzminderung
diesem Sinne spezialisierten Ausbildungsstand zu nennen. Für besondere Fragestellungen sind regionale bzw. überregionale Behandlungszentren (Spezialkliniken, teilstationäre Einrichtungen, Schwerpunktambulanzen und spezielle Konsiliardienste)
zu fordern, die sich ausschließlich auf die Gruppe von Patienten mit geistiger Behinderung oder mehrfacher Behinderung konzentrieren.
Für alle ambulanten und stationären Behandlungen müssen Bedingungen gegeben
sein, die eine gründliche Diagnostik und sorgfältige Therapieführung ermöglichen.
Dies ist sicherlich mit einem großen Zeitaufwand und hohen Kosten verbunden. Es
ist jedoch andererseits auch nicht anders denkbar, als dass hohe fachliche Qualität
innerhalb der entsprechenden Strukturen auch deren Effizienz deutlich anheben
würde.
Geistige Behinderung und Neurologie
Neurologische Störungen sind bei Menschen mit geistiger Behinderung sehr häufig
anzutreffen und kommen dann, wenn eine schwerer ausgeprägte Intelligenzminderung vorliegt (IQ < 50) insbesondere als schwere Zerebralparesen, Epilepsien,
schwere Sprach- bzw. Sprechstörungen, Hörstörungen und Sehstörungen bei 60%
(und häufiger) der Betroffenen vor (CORBETT 1990).
Neurogenetik
Genetische Syndrome, in deren Rahmen Intelligenzminderungen vorkommen, sind
seit vielen Jahrzehnten gut bekannt, ganz besonders die Trisomie 21. Es zeigt sich,
dass zunehmend solche Syndrome auch bestimmten chromosomalen Störungen
bzw. Genmutationen zugeordnet werden können. Derzeit ist die Anzahl der bekannten genetischen definierten Syndrome, die mit geistiger Behinderung verknüpft
sind, mit etwa 1.000 zu beziffern (POSSUM 2000). Auch haben wir in den letzten
Jahren gelernt, dass definierten Gehirnentwicklungsstörungen bestimmte Gendefekte zugrunde liegen können. Hier spielen sowohl eine sehr gute morphologische Diagnostik (kernspintomographische Untersuchungen des Gehirns) als auch
moderne molekulargenetische Technik eine entscheidende Rolle. Wir sind im Gebiet der Genetik bzw. Neurogenetik Zeugen einer raschen Entwicklung, deren zukünftiger Verlauf oder gar Endpunkt noch nicht abgesehen werden kann.
Entscheidend ist jedoch bei allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten moderner
Medizin bzw. Medizintechnik, Begründungen dafür angeben zu können, warum
diese Technologien genutzt werden sollen.
In Bezug auf genetische Diagnostik geht es sehr wesentlich auch um eine Beratung
der Familien. Die Möglichkeit, solche Beratung zur Verfügung zu stellen, muss nach
meiner Überzeugung jedoch immer mit der Sorge aller Beteiligten (auch der so
genannten Kostenträger) verknüpft sein, die Beratenen zu befähigen, jegliche (legale)
Konsequenz aus der Beratung ziehen und langfristig tragen zu können. Das heißt,
dass die Kosten für die gesundheitliche Versorgung und andere Leistungen auch
dann von den Kostenträgern übernommen werden müssen, wenn sich die Eltern
nicht für eine Abtreibung entscheiden!
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
7
8
Peter Martin, Christoph Guth
Nicht selten zeigt sich auch, dass erst die richtige Diagnose eines (genetisch definierten) Syndroms den Blick auf wesentliche Einzelsymptome richtet (z. B. Herzfehler, von denen die Gefahr von Schlaganfällen ausgehen kann), auf die man ohne
Kenntnis des entsprechenden Syndroms nicht geachtet hätte. In einzelnen Fällen
lassen sich auch Aussagen über die Verlaufsprognose einer bestimmten Erkrankung
(z. B. einer Epilepsie) in Abhängigkeit vom zu Grunde liegenden Syndrom machen.
Dass sich aus der genetischen Diagnostik spezifische Förder- und Rehabilitationsmöglichkeiten oder auch spezifische Möglichkeiten für die medikamentöse Behandlung ergeben, sind verlockende, beim jetzigen Stand der Dinge jedoch noch nicht
als greifbar zu sehende Aspekte.
Verschlechterung motorischer Funktionen
im Jugend- und Erwachsenenalter
Immer wieder kommt es vor, dass in der zweiten Lebensdekade oder später die
motorischen Funktionen eines Patienten mit einer seit der frühen Kindheit bestehenden zentralen Lähmung schlechter werden. Diese Verschlechterung kann sich
langsam entwickeln. Dann ist es besonders schwierig, sie gegenüber der vorbestehenden motorischen Störung (die auf die infantile Zerebralparese zurückgeht)
abzugrenzen. Wenn der Betroffene geistig behindert ist, kann er über die Entwicklung bzw. den Verlauf der motorischen Verschlechterung kaum selbst Angaben
machen. Häufig fehlen, auf Grund der häufig wechselnden Bezugspersonen, auch
lückenlose Informationen aus der so genannten Fremdanamnese. Von ärztlicher
Seite sind die Befunde meist, wenn überhaupt, nur wenig differenziert dokumentiert. Auch die vor der aktuell aufgetretenen Verschlechterung der Motorik bestehenden neurologischen Defizite müssen selbstverständlich so exakt wie möglich
rekonstruiert werden. Dabei sind genaueste Angaben über Schwangerschaft, Geburt und frühkindliche Entwicklung ebenso notwendig wie präzise Daten über die
Entwicklung im weiteren Verlauf. Bei dieser Aufgabe können Fotoalben oder
Familienvideos im Einzelfall sehr wertvolle Dienste leisten.
Die Befunderhebung als solche bedarf größter Sorgfalt und erfordert es auch, unterschiedliche Leistungen des Betroffenen in Abhängigkeit von dessen Motivation
bzw. von der konkreten Situation im unmittelbaren Umfeld zu würdigen. Deshalb
ist meist anzuraten, den Patienten in unterschiedlichen Situationen und auch in
Zusammenarbeit von Arzt und Physiotherapeut oder Ergotherapeut zu untersuchen.
Häufig findet sich die Ursache eines Abbaus der motorischen Funktionen in neuroorthopädischen Problemen (sekundäre Gelenkveränderung, Schmerzen). Auch kann
eine Besonderheit im Verlauf einer Zerebralparese, wie etwa der späte Beginn einer
dystonen (abnorme, unwillkürliche Anspannung/Bewegung der Muskulatur) Symptomatik vorliegen. Gelegentlich werden langsam fortschreitende Stoffwechselerkrankungen des Nervensystems, die im Kindesalter (fälschlich) einer infantilen
Zerebralparese zugeordnet wurden, als Ursache einer motorischen Verschlechterung
im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter gefunden. Häufiger sind Medikamente
(z. B. unter Neuroleptika-Behandlung oder auch bei chronischer Valproatenzephalopathie, das ist eine funktionelle Gehirnschädigung, die – selten – durch Ein-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Die neuropsychiatrische Versorgung von Menschen mit schwerer Intelligenzminderung
wirkung des antiepileptisch wirksamen Medikaments Valproinsäure eintritt) Grund
für die neu hinzutretenden neurologischen Symptome. Im Rahmen internistischer
Erkrankungen, wie beispielsweise der Sprue oder Zöliakie, die man gehäuft bei Trisomie 21 sieht (HENKER et al. 2002), können ebenfalls neue neurologische Störungen, auch im Bereich der Motorik, auftreten. Dies ist ebenso der Fall, wenn durch
Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule das Halsmark geschädigt wird. Auch
solche Veränderungen findet man gehäuft beim Down-Syndrom (FROST et al. 1999).
Andere neurologische Erkrankungen degenerativer, entzündlicher oder vaskulärer
Art (z. B. Parkinson-Syndrom, Multiple Sklerose oder Arteriosklerose) können selbstverständlich auch bei Patienten mit infantiler Zerebralparese im fortgeschrittenen
bzw. höheren Lebensalter auftreten und sind dann deutlich schwerer zu diagnostizieren als bei bislang neurologisch unauffälligen Menschen.
Neben organischen Ursachen für eine motorische Verschlechterung ist auch an psychische bzw. psycho-reaktive Gründe zu denken. So kommt es nicht selten vor,
dass Patienten mit vorbestehender Gangunsicherheit nach einem Sturz, der entweder durch einfaches Stolpern auftritt oder im Rahmen eines epileptischen Anfalls,
aus Angst vor weiteren Stürzen nicht mehr gehen wollen und dann erst wieder
langsam und mit viel Geduld vom Rollstuhl weggebracht werden müssen. Ähnlich
ist es, wenn Patienten bei einer verschlechterten Anfallssituation von ihren Angehörigen bzw. Betreuern über längere Zeit in den Rollstuhl gesetzt werden und dann
schlicht das Gehen verlernen.
Psychische Störungen und geistige Behinderung
Die Häufigkeit psychischer Störungen bzw. von Verhaltensauffälligkeiten (Problemverhalten) bei Menschen mit Intelligenzminderung wird in unterschiedlichen Studien
mit unterschiedlicher Häufigkeit angegeben. Meist werden Zahlen zwischen 45 und
65% genannt (GILLBERG et al. 1986; STEINHAUSEN 1999). Als mögliche Gründe
für die erhöhte Häufigkeit psychischer Störungen bei geistiger Behinderung werden Faktoren aufgeführt, die sich einerseits auf die Persönlichkeit des Betroffenen
beziehen (weniger differenziertes Selbstkonzept, Versagenserlebnisse bzw. Abhängigkeit, Außenorientierung bei Problembewältigung oder abweichende soziale Stile)
und andererseits familiäre Faktoren (familiäre Belastung mit psychischen Erkrankungen, elterliche Minderbegabung oder Dysharmonie in der Familie) sowie soziale
Faktoren (soziales Stigma, soziale Ablehnung oder erhöhtes Misshandlungs- oder
Missbrauchsrisiko). Daneben sind körperliche Faktoren (Sinnesbehinderung, so genannte Verhaltensphänotypen oder zusätzlich bestehende Epilepsie, die häufig mit
Autismus, Hyperaktivität, Depressionen und Angst assoziiert ist) zu nennen (GILLBERG
et al. 1986; STEINHAUSEN 1999).
Verschiedene spezifische Umstände führen dazu, dass übliche Wege der Diagnosefindung in der Psychiatrie (Erwachsenenpsychiatrie) bei Menschen mit Intelligenzminderung nicht oder nur begrenzt beschritten werden können. Zu nennen sind dabei
Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit, des konkreten Denkens, fehlende
soziale Fertigkeiten in der Interviewsituation, übertriebene nicht-pathologische Merkmale, die psychopathologische Symptome überschatten sowie „untypische Symptome“ bzw. gleiche Symptome bei unterschiedlichen Syndromen (SOVNER 1986).
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
9
10
Peter Martin, Christoph Guth
Psychische Störungen unterscheiden sich bei Menschen mit geistiger Behinderung
z. T. ganz deutlich von solchen bei Patienten mit normaler Intelligenz, und zwar
umso mehr, je schwerer die Intelligenzminderung ist. Als Dimensionen auffälligen
Verhaltens, die häufig bei geistiger Behinderung gefunden werden, sind vor allem
zu nennen: aggressives (und antisoziales) Verhalten, gehäuft verbunden mit Selbstverletzungen, stereotypes Verhalten, Hyperaktivität und repetitive Verbalisierung
neben Einnässen und Einkoten (trotz körperlicher Funktionsfähigkeit) sowie
Essstörungen (EINFELD; AMAN 1995).
Es erfordert sehr viel Erfahrung und differenzierte Beobachtung, auch in unterschiedlichen situativen Kontexten, einzelne Symptome identifizieren und richtig zuordnen
zu können. Dabei ist es auch ganz wesentlich, dass sich der untersuchende Arzt
Informationen von Angehörigen und z. B. von Betreuern im Wohnheim über die
Biografie bzw. die Persönlichkeit des Patienten verschafft und sie in seine
diagnostischen Überlegungen mit aufnimmt.
Wird aber primär die geistige bzw. mehrfache Behinderung im Vordergrund gesehen oder so genannte „Verhaltensphänotypen“ (d. h., erhöhte Wahrscheinlichkeit,
dass Menschen mit einem bestimmten Syndrom ein bestimmtes Verhalten oder
bestimmte Entwicklungsfolgen im Vergleich mit jenen ohne ein solches Syndrom
zeigen (DYKENS 1995) kann der Weg verstellt sein zum Erkennen der individuellen
Persönlichkeit des Betroffenen mit seinen ihm eigenen Reaktionsweisen im sozialen
Kontext (z. B. auf Kränkungen hin) und mit seiner individuellen Lebensgeschichte.
Andererseits ist es oftmals wichtig, bestimmte Symptome oder Symptomkomplexe
in standardisierter Weise zu erfassen. Dazu werden so genannte psychiatrische
Untersuchungsinstrumente in Form standardisierter Skalen bzw. Checklisten erstellt
und validiert. Für Menschen mit geistiger Behinderung müssen solche Untersuchungsinstrumente speziell entwickelt bzw. angepasst werden (z. B. zur Erfassung von
Demenz bei Menschen mit Intelligenzminderung) (ROJAHN et al. 2001; DEB u.
BRAGANZA 1999).
Diese Besonderheiten in der Diagnostik psychischer Störungen bei Menschen mit
Intelligenzminderung werden bislang in Deutschland weder in der Ausbildung zum
Arzt noch in der Facharztweiterbildung vermittelt. Für die mit Sicherheit ebenfalls
und in vielfältiger Weise bestehenden Besonderheiten in der medikamentösen und
nicht medikamentösen Therapie fehlen weitgehend die empirischen Grundlagen,
da entsprechende Studien über Effektivität und Verträglichkeit der Therapien kaum
vorliegen und in Deutschland Initiativen zu wissenschaftlicher Arbeit in diesem Gebiet nur in geringem Umfang auszumachen sind. ■
Kurzfassung Medizinisches Wirken in Bezug auf Menschen mit geistiger Behinderung bedarf besonderen Wissens und spezifischer Fähigkeiten, die in Deutschland bisher weder im Medizinstudium noch in der Facharztausbildung vermittelt
und in Unkenntnis der tatsächlichen Notwendigkeiten auch kaum eingefordert
werden – eine Situation, die für keine andere Patientengruppe akzeptiert werden
würde. Aber nicht nur die ungenügende Qualifikation der Ärzte in diesem Sektor
der Medizin, sondern auch der Mangel an spezialisierten Behandlungszentren und
das Fehlen wissenschaftlicher Aktivitäten als Basis für ein empirisch fundiertes diagnostisches und therapeutisches Handeln sind zu beklagen. Nach einem kurzen
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Die neuropsychiatrische Versorgung von Menschen mit schwerer Intelligenzminderung
Abriss der Ursachen geistiger Behinderung wird, um die Stichhaltigkeit der Argumente für eine bessere medizinische Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung zu untermauern, anhand einiger praktischer Beispiele aufgezeigt, welch
komplexe und spezifische Aufgaben in der neurologischen und psychiatrischen Behandlung von Menschen mit schwerer geistiger Behinderung zu bewältigen sind.
Abstract The Neuro-psychiatric Care of People with Severe Intelligence
Deficiencies and Multiple Disabilities. Medical work relating to people with intellectual
disabilities requires specific knowledge and skills, which in Germany are not being
taught to future doctors, neither at university nor during specialist training. Due to
the lack of awareness of the actual need of these skills, they are not required – a
situation that would never be accepted for any other patient group. However, not
only are the insufficient qualifications of the physicians being criticised, but also the
lack of centres for treatment and scientific work as the foundation for diagnostic
and therapeutic work based on empirical data. First the reasons of intellectual
disabilities are briefly discussed, then, to support the arguments for a better medical
treatment of people with intellectual disabilities, some practical examples are given
to show what complex and specific challenges in relation to the neurological and
psychiatric treatment of the people concerned must be dealt with.
Literatur
ABRAMOWICZ, H. K.; RICHARDSON, S. A. (1975): Epidemiology of severe mental retardation in children:
community studies. American Journal of Mental Deficiency, 80, 18–39. – CORBETT, J. A. (1990): Epilepsy
and mental retardation. Dam, M.; Gram, L. (Hg): Comprehensive Epileptology, 271–280. – DEB, S.;
BRAGANZA, J. (1999): Comparison of rating scales for the diagnosis of dementia in adults with Down‘s
syndrome. Journal of Intellectual Disability Research, 43, 400–407. – DYKENS, E. M. (1995): Measuring
behavioural phenotypes: provocations from the „new genetics”. American Journal on Mental Retardation, 99, 522–532. – EINFELD, S. L.; AMAN, M. (1995): Issues in the taxonomy of psychopathology in
mental retardation. Journal of Autism and Developmental Disorders, 25, 143–167. – FROST, M. et al.
(1999): Cervical spine abnormalities in Down syndrome. Clinical Neuropathology, 18, 250–259. – Gesundheit und Behinderung (2001): Expertise zu bedarfsgerechten gesundheitsbezogenen Leistungen für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung als notwendiger Beitrag zur Verbesserung ihrer Lebensqualität und zur Förderung ihrer Partizipationschancen. Reutlingen: Diakonie-Verlag.
– GILLBERG, C. et al. (1986): Psychiatric disorders in mildly and severely retarded urban children and
adolescents: Epidemiological aspects. British Journal of Psychiatry, 149, 68–74. – HENKER, J. et al. (2002):
Prävalenz der asymptomatischen Zöliakie bei Kindern und Erwachsenen in der Region Dresden. Deutsche
Medizinische Wochenschrift, 127, 1511–1515. – Pictures of standard syndromes and undiagnosed
malformations (POSSUM) (2000): www.possum.net.au. – RITTEY, C. D. (2003): Learning difficulties:
what the neurologist needs to know. Journal of Neurology, Neurosurgery and Psychiatry, 74 (Suppl.), i30i36. – ROJAHN, J. et al. (2001): The Behavior Problems Inventory: An instrument for the assessment of
self-injury, stereotyped behavior, and aggression/destruction in individuals with developmental disabilities.
Journal of Autism and Developmental disorders, 31, 577–587. – SOVNER, R. (1986): Limiting factors in
the use of DSM-III criteria with mentally ill/mentally retarded persons. Psychopharmacology Bulletin, 22,
1055–1059. – STEINHAUSEN, H.-C. (2003): Allgemeine und spezielle Psychopathologie. Neuhäuser, G.;
Steinhausen, H-C. (Hg.): Geistige Behinderung. Stuttgart: Kohlhammer, 71–80. – STROMME, P. (2000):
Aetiology in severe and mild mental retardation: a population based study of Norwegian children.
Developmental Medicine and Child Neurology, 42, 76–86.
Die Autoren: Dr. med. Peter Martin und Dr. med. Christoph Guth, Séguin-Klinik für Menschen
mit schwerer geistiger Behinderung, Epilepsiezentrum Kork, Landstr. 1, 77694 Kehl-Kork; e-mail:
pmartin@epilepsiezentrum.de
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
11
12
Peter Brodisch, Verena Schlude
Epilepsie: Mehr wissen und
anders handeln durch PEPE
Zum Einsatz der psychoedukativen Epilepsieschulung „PEPE“
für lern- und geistig behinderte Menschen
Peter Brodisch, Verena Schlude
Epilepsien sind häufig
■ Frank S. lebt in einer betreuten Wohngemeinschaft und arbeitet in der ortsnahen
Werkstatt für behinderte Menschen. Er ist froh, dass er „nicht ganz alleine dasteht“
mit seiner Epilepsie, „andere in der Werkstatt haben auch Anfälle.“ Wie Frank S.
erkranken cirka 20% aller geistig behinderten Menschen chronisch an der „sekundären Behinderung“ Epilepsie – im Bevölkerungsdurchschnitt sind es „nur“ etwa
0,7% (vgl. WOLF 2003, 255). Bei schwerstmehrfachbehinderten Menschen liegt
der Anteil der epilepsiekranken gar bei geschätzten 35%.
In der Regel sind die geistige Behinderung und die Anfallserkrankung in einer angeborenen oder im Rahmen der Geburt erworbenen Hirnschädigung begründet. Nur
bei seltenen „katastrophalen Epilepsien“ sind es die therapeutisch kaum beeinflussbaren, intensiven und häufigen epileptischen Entladungen im Gehirn, die zu einer
geistigen Behinderung führen. Generell gilt, dass Epilepsien das Ausmaß der Behinderung wesentlich mitbestimmen können.
Anfälle belasten
Tanja B.: „Ich habe ja selten einen Anfall, vielleicht einmal im Jahr. Den letzten hatte
ich im Wohnheim. Das war für mich ganz schlimm. Nach dem Anfall sagte der Zivi,
es sei alles schon vorbei, nichts passiert und ja alles nicht so schlimm. Da war ich
richtig sauer auf den.“
Besonders aus drei Gründen belasten epileptische Anfälle:
• Ein Anfall tritt überraschend auf;
• es kommt häufig zum Verlust der Bewusstseins- und Haltungskontrolle;
• die sonst unsichtbare Erkrankung wird mit dem Anfall sichtbar (vgl. SCHMID• SCHÖNBEIN 1998, 261).
Da Anfälle „aus heiterem Himmel“ auftreten, entwickeln Betroffene oft eine „HabAcht-Haltung.“ Konkrete negative Erfahrungen können die Unsicherheiten verstärken, zum Beispiel nach Sturzanfällen oder nach Verletzungen im Haushalt (Kochen).
Erlebte lebensbedrohliche Situationen (Straßenverkehr, Schwimmen) können im
Extrem zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Ein zentrales Problem
bleibt für viele das Sichtbarwerden der Erkrankung. Eine Jugendliche bekam zum
Beispiel ihren ersten Anfall im Schulhof, „da wusste es gleich die ganze Schule!“
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Epilepsie: Mehr wissen und anders handeln durch PEPE
Die geschilderten Auswirkungen der Epilepsie auf die gesamte Lebenssituation geistig
behinderter Menschen verdeutlichen, dass die alleinige medizinische Behandlung
oft nicht ausreicht. Gefragt sind psychoedukative Formen der Krankheitsbewältigung.
Was ist Psychoedukation?
Psychoedukative Ansätze basieren auf zwei Säulen: Erstens vermitteln sie zentrale
Informationen zur Erkrankung („Wissen“) und zweitens Fertigkeiten zur Bewältigung der krankheitsbezogenen Probleme („Verhaltensänderung“). Die präventiven
und rehabilitativen Anteile der Psychoedukation streben eine Stabilisierung der Krankheit und die Teilnahme der Betroffenen am gesellschaftlichen Leben trotz der
Erkrankung an. Kurz: Psychoedukation zielt auf die Verbesserung der Lebensqualität.
Im deutschen Sprachraum ist Psychoedukation ein relativ junger Begriff (vgl. BUTTNER
1996, 5). Psychoedukation charakterisiert Behandlungsansätze, die vor allem bei
chronischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Diabetes, Asthma und seit einiger
Zeit auch bei Epilepsie zum Einsatz kommen.
Es gibt verschiedene psychoedukative Programme, die sich bezüglich ihrer Herkunft,
ihrer Methoden und Ziele teils erheblich unterscheiden. Sie reichen von der bloßen
Vermittlung von Informationen bis zu komplexen Interventionen, werden entweder
stationär oder ambulant, mit Angehörigen oder ohne durchgeführt (vgl. BUTTNER
1996, 30 ff.; PETERMANN/LECHELER 1992; PETRO 1989). Da sich die Psychoedukation auf die pragmatische Problembewältigung konzentriert, grenzt sie sich
„gegen beziehungsorientierte Ansätze psychotherapeutischer Verfahren ab. Im Unterschied zu Selbsthilfegruppen spielen Experten eine zentrale Rolle“ (vgl. BUTTNER
1996, 5).
Gemeinsam ist den Programmen, dass die aktive Mitarbeit chronisch kranker Menschen als „Experten in eigener Sache“ das zentrale Element einer wirksamen
Salutogenese ist. Die Schulungsteilnehmer1 sind gleichberechtigte, kompetente und
entwicklungsfähige Kommunikationspartner. Der pädagogische Rahmen setzt die
Veränderlichkeit und Entwicklungsfähigkeit der Teilnehmenden voraus, ohne die es
keine Aussicht auf Rehabilitation gäbe (vgl. BUTTNER 1996, 22).
Psychoedukation für epilepsiekranke Menschen mit
Lern- und geistiger Behinderung
Aktuell existieren in Deutschland mit „MOSES“ und „PEPE“ zwei psychoedukative
Schulungsprogramme für Erwachsene mit Epilepsie.
MOSES (Modulares Schulungsprogramm Epilepsie) ist für epilepsiekranke Menschen
ohne weitere Behinderungen konzipiert, eignet sich aber auch für lernschwache
Menschen (vgl. WOHLFAHRTH 1998b, 297). Das bereits wissenschaftlich evaluierte
MOSES-Programm stieß bei den Teilnehmern auf hohe Akzeptanz und regte deut1
Der besseren Lesbarkeit halber sind im gesamten Text in der „männlichen“ Form beide Geschlechter
subsummiert.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
13
14
Peter Brodisch, Verena Schlude
lich zu Verhaltensänderungen im Umgang mit der Erkrankung an (vgl. PFÄFFLIN/
MAY 2001). Auch unter dem integrativen Aspekt sollte beachtet werden, dass man
lernbehinderten Menschen die Teilnahme am „normalen“ MOSES-Programm ermöglicht. Für Menschen mit geistiger Behinderung kann MOSES nach unserer Erfahrung allerdings erst dann eingesetzt werden, wenn es unter heilandragogischen
Gesichtspunkten den speziellen Bedürfnissen der Zielgruppe angepasst wird (vgl.
BRODISCH 2000, 16 ff.).
Mit PEPE ist im Jahr 2000 erstmals ein Schulungsprogramm auf den Markt gekommen, das sich speziell an den Bedürfnissen lern- und geistig behinderter Menschen
orientiert. Entwickelt wurde es vom Heimbereich der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel in Zusammenarbeit mit den Studiengängen Sozialwesen und Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld (vgl. HUBER/SEIDEL 2003, 59). In acht Kurseinheiten à zwei Stunden werden unterschiedliche medizinische und psychosoziale
Themen behandelt.
Wer als Kursleiter PEPE durchführen möchte, muss vorab an einer Trainerschulung2
teilnehmen. Praktische und theoretische Kenntnisse in der Behandlung und Betreuung von Menschen mit Epilepsie sollten mitgebracht werden. Bei den geistig behinderten Kursteilnehmern wird vorausgesetzt, dass sie sich verbal mitteilen und
etwas lesen und schreiben können.
Pepe und Pepa – Partner mit Epilepsie
Pepe und seine Freundin Pepa sind beide an Epilepsie erkrankt. Sie wollen selbstständiger werden und in eine eigene, betreute Wohnung ziehen. Aber vorher
möchten sie ihre Epilepsie „in den Griff bekommen“ und an einem Epilepsiekurs
teilnehmen. In allen Kursmodulen setzen sich Pepe und Pepa mit ihren eigenen
Meinungen und Sorgen auseinander und finden schließlich zu der Entscheidung,
trotz der Epilepsieerkrankung eine eigene Wohnung beziehen zu können.
Die Kursteilnehmer werden bei allen Fragen und Problemen, die Pepe und Pepa
ansprechen, aktiv in die Diskussion einbezogen. Sie informieren sich über ein Grundwissen zu Epilepsien und über ausgewählte psychosoziale Fragestellungen, zum
Beispiel welche Vorurteile es über epilepsiekranke Menschen gibt und wie sich die
Erkrankung auf Arbeit, Freizeit oder Partnerschaft auswirken kann.
Als Ziele verfolgt PEPE, dass die Teilnehmenden
• ihr Basiswissen zu Epilepsien vertiefen und damit ein differenzierteres Krankheitsverständnis gewinnen;
• ein krankheitsgerechtes und gesundheitsförderndes Verhalten erlernen, etwa die
regelmäßige Medikamenteneinnahme oder den Umgang mit möglichen anfallsbedingten Einschränkungen im Alltag;
• einen kompetenten Umgang mit den Erfordernissen der Behandlung erwerben
und als eigenverantwortliche Partner an der Behandlung mitwirken (Compliance);
2
Kontakt für PEPE-Trainerschulungen: Haus Terach – Zentrum für Entwicklung und Qualifizierung, GreteReich-Weg 9, 33617 Bielefeld, Telefon (05 21) 71 44-57 70.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Epilepsie: Mehr wissen und anders handeln durch PEPE
• die Erkrankung und deren Folgen psychisch bewältigen, zum Beispiel durch die
Förderung der Autonomie und eines positiven Selbstkonzepts („Umgang mit Vorurteilen“) (vgl. HUBER/SEIDEL 2003, 60).
Abb. 1: Pepa und Pepe
Filmclip „Pepe hat einen Anfall“
... und seine Freundin Pepa kommt ins Zimmer gelaufen. Sie sieht Pepe krampfend
am Boden liegen. Pepa fragt aufgeregt und hilflos: „Pepe, was ist los? Was soll ich
denn bloß tun? Was soll ich denn bloß tun?“
Die Akteure Pepe und Pepa leben in den Filmbeiträgen ihre Krankheitserfahrungen
und deren Verarbeitung aktiv vor („Lernen am Modell“). Die Anfalls-Szene mit Pepe
und seiner hier hilflosen Ersthelferin Pepa werden im Anschluss an den Film gemeinsam diskutiert. Unterstützend wird eine Folie mit den notwendigen Regeln für
Ersthelfer präsentiert. In einem weiteren Filmclip diskutieren Pepe und Pepa, ob die
neu gewonnene Sicherheit im Umgang mit Anfällen schon ausreiche, um eine eigene gemeinsame Wohnung zu beziehen.
Am Beispiel wird deutlich, wie bei PEPE die persönlichen Erfahrungen der Kursteilnehmer interaktiv erarbeitet werden. Der Trainer hält die Ergebnisse auf einem
Flipchart fest, sie fließen später in die Arbeitspapiere ein. Die Teilnehmer bleiben
auf diese Weise stets aktiv am Lernprozess beteiligt.
Hilfreich ist zudem, dass sich die Programminhalte schwerpunktmäßig auf die Lebenswelt der Teilnehmer beziehen. Das Bildungsprogramm orientiert sich dabei an den
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
15
16
Peter Brodisch, Verena Schlude
häufigsten alltäglichen Fragen und Sorgen und eröffnet Gelegenheiten, über persönliches Empfinden und Verhalten zu sprechen.
Schließlich ist eine praktische Übung als Vermittlungsmethode hinzugenommen.
Durch das aktive Tun erhöht sich die Chance, neue Verhaltensweisen zu erschließen
(vgl. BUTTNER 1996, 36). Im so genannten „Hilfespiel“ üben die Teilnehmer, in
welchen Problemlagen sie sich an welche Hilfeinstanz wenden können.
Hält PEPE, was es verspricht? – Einige Ergebnisse
Im Jahr 2002 organisierte die EpilepsieBeratung der Inneren Mission München e.V.
in Kooperation mit der Offenen Behinderten Arbeit evangelisch in München (OBA)
zum zweiten Mal einen PEPE-Kurs. Im Rahmen einer Diplomarbeit wurde die Effektivität des Kurses untersucht. Vier weibliche (57 %) und drei männliche (43 %) Personen mit Epilepsie und geistiger Behinderung beteiligten sich (n = 7). Bei einer
Altersverteilung von 28 bis 55 Jahren lag der Altersdurchschnitt der Befragten
bei 40. Zu beachten ist, dass die Untersuchung nicht repräsentativ ist (kleine Stichprobe, keine Kontrollgruppe).
Die Studie eruierte mittels einer schriftlichen Erhebung (standardisierter Fragebogen) sowie einer mündlichen Befragung (Face-to-Face-Interview) unter anderem
die Variablen „epilepsiespezifischer Wissenszuwachs“ sowie „Veränderung der Befindlichkeit in Bezug auf den Umgang mit Epilepsie.“ Zudem wurde erfragt, was
von den Teilnehmern am PEPE-Programm als „gut“, „weniger gut“ oder
„verbesserungsbedürftig“ angesehen wurde (vgl. SCHLUDE 2003).
Das individuelle Befinden in Bezug auf die eigene Epilepsieerkrankung zu Kursbeginn
(Abb. 2)3 und zum Kursabschluss (Abb. 3) bewerteten die Teilnehmer wie folgt4.
Abb. 2: Bewertung der Befindlichkeit
bezüglich Epilepsie vor dem PEPE-Kurs
Abb. 3: Bewertung der Befindlichkeit
bezüglich Epilepsie nach dem PEPE-Kurs
3
4
Bewertungskategorien (Gesichter) entnommen aus RIED 1998
Abb. 2 und 3 zeigen einige Ergebnisse der Interviewerhebung. Es konnten sechs von sieben Teilnehmern befragt werden.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Epilepsie: Mehr wissen und anders handeln durch PEPE
Es zeigt sich anhand dieser Angaben eine positive Veränderung gemäß der subjektiven Krankheitsverarbeitung. Die Gründe für diesen Wandel wurden von den untersuchten Personen folgendermaßen bewertet:
6
5
4
3
2
1
0
besser Bescheid
wissen
stimmt voll
über Epilepsie
sprechen
können
stimmt
keine Angst
mehr haben
weiß nicht
nicht alleine
sein
selbstständiger viel mehr Angst
haben
stimmt nicht
stimmt gar nicht
Abb. 4: Bewertung der Gründe für die Veränderung der Befindlichkeit in Bezug auf Epilepsie
Die fünf ersten der vorgegebenen Gründe wurden von allen Befragten mit „stimmt
voll und ganz“ und „stimmt“ beurteilt. Auch in Bezug auf die vier weiteren Frageblöcke „Erwartungen an den Kurs“, „Programminhalte“, „Kursatmosphäre“ und
„Kurskritik“ zeigen die Antworten positive Ergebnisse auf. Fast durchgängig bewerteten die Teilnehmer den Kurs als „gut“ bis „sehr gut“.
Lediglich bei einem Teilnehmer führte PEPE zu einer Verschlechterung der persönlichen Befindlichkeit. Besonders durch die Erfahrungen anderer Kursteilnehmer –
„Alkohol kann zu Anfällen führen“ – sei er „nachdenklicher geworden.“ Ein anderer Teilnehmer merkte hingegen an, ihm ginge es nun besser, da er im Kurs miterlebt hat, dass „andere Menschen viel schlimmere Anfälle haben“ als er selbst.
PEPE unterstützt die Betroffenen bei der subjektiven Krankheitsverarbeitung also
wirksam. Damit ist weniger an eine Reproduktion epilepsiespezifischer Fakten zu
denken, sondern vielmehr an eine Änderung in der persönlichen Umgangsweise
mit der Erkrankung und ihren psychosozialen Schwierigkeiten. Neben Angaben zur
besseren Befindlichkeit im Umgang mit der Krankheit sind auch positive Effekte in
Bezug auf die Stärkung des Selbstbewusstseins erkennbar. So traute sich ein anfangs eher schüchterner Teilnehmer zunehmend, in der Gruppe offen über seine
Epilepsie zu sprechen. Im Interview gab er an, er fühle sich seit Ende des Kurses
„viel sicherer.“ Eine weitere Teilnehmerin äußerte, dass sie durch PEPE nachdenk-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
17
18
Peter Brodisch, Verena Schlude
licher im Umgang mit anfallsauslösenden Situationen geworden sei. Sie reflektiert
folglich seit der Kursteilnahme ihre Lebensgewohnheiten aktiv und vor allem bewusst.
Die Gruppensituation bot den Teilnehmern auf diesem Hintergrund die Möglichkeit, persönliche Erfahrungen auszutauschen und sich daraus weiterzuentwickeln
(„Lernen am Modell“). Darüber hinaus erweiterten sich auch Kontaktmöglichkeiten
und somit Auswege aus der Isolation. Einige im Kurs geschlossene Bekanntschaften
entwickelten sich zu intensiven Freundschaften.
Jedoch konnte die Gruppe nicht allen individuellen Problemen angemessen begegnen. Die Unterstützung durch Einzelgespräche im Anschluss an die Schulung, bedarfsweise auch eine ambulante oder stationäre Psychotherapie, sind hier oft zielführender
(vgl. PETRO 1989, 201).
PEPE beeinflusst den Lebensalltag
Die im Kurs angestoßenen Verhaltensänderungen können gravierenden Einfluss auf
die gewohnte Lebensweise der Betroffenen haben. Hier ist besonders an das soziale Umfeld des Betroffenen zu denken, das Entwicklungen unterstützen, aber auch
hemmen kann. Zudem ist Neues selten von „heute auf morgen“, sondern meist
nur in kleinen Schritten zu erreichen. Nach einer Patientenschulung ist eventuell
eine weitere Aufklärung, etwa in Form einer Nachbetreuung sinnvoll (vgl. WARLIES/
SALADIN 2002, 3). Sind das Informationsbedürfnis und der Wunsch nach Veränderungen erst einmal geweckt, sollten diese nicht unbeantwortet bleiben. So wandte
sich ein Teilnehmer an die Epilepsieberatung München, um dort Strategien zur Anfallskontrolle zu entwickeln.
Über die Gründe, warum PEPE zu Lernerfolgen führte, macht die Studie keine Aussagen. Insbesondere die beobachteten Verhaltensänderungen sind komplexe
Vorgänge, die ihrerseits von „vielschichtigen, wechselseitigen Interaktionen zwischen Lernenden und Lehrendem“ angeregt wurden (PETRO 1989, 199).
Eine Anregung: Psychoedukation auch für Angehörige
und Professionelle
Für Frau B., Mutter von Tanja B., sind die Anfälle das Schlimmste: „Mit der geistigen Behinderung können wir gut leben. Meine Tochter führt in Werkstatt und Wohnheim ein ganz normales Leben. Aber wenn ein großer Anfall kommt, das ist das
Schlimmste, dann ist Alarm. So etwas geht einem nicht aus dem Kopf … Wie oft
denke ich mir: Hoffentlich stößt ihr nichts zu.“
Das Zitat zeigt, dass epileptische Anfälle eine stetige Belastung bleiben können.
Der Verdacht, Frau B. „würde ihre Tochter nur überbehüten“ und hätte „ein Loslösungsproblem“ ist zunächst nur stigmatisierend und verhindert die gemeinsame
Beratung konstruktiver Lösungsansätze (vgl. KASSEBROCK 1990, 98). Denn epileptische Anfälle erzeugen a priori Hilflosigkeit: Anfallszeitpunkt, Sturzrisiken und die
Ohnmacht des Kaum-helfen-Könnens als Ersthelfer sind Ereignisse, die zum Bei-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Epilepsie: Mehr wissen und anders handeln durch PEPE
spiel auch Mitarbeiter in heilpädagogischen Einrichtungen belasten (vgl. PFÄFFLIN/
ENDERMANN 1995, 66 ff.).
Zudem bleiben Eltern und heilpädagogische Mitarbeiter in vielfältiger Weise involviert. Je nach Autonomie des Epilepsieerkrankten organisieren und begleiten sie
Arztbesuche, überwachen die Medikamenteneinnahme, achten auf mögliche Gefahren und sind bei Anfällen schnell zur Stelle. Professionelle müssen sich zusätzlich rechtlich absichern, indem sie Haftungsfragen klären.
In Bezug auf eine Erweiterung des Programms könnte also erwogen werden, das
nächste Umfeld in die psychoedukativen Bemühungen mit einzubeziehen, damit
die bestehende „Unsicherheit und Hilflosigkeit reduziert und gleichzeitig einer Überforderung vorgebeugt“ werden kann (PETERMANN 1996, 17). Ein gerade in Bezug
auf die Erkrankung Epilepsie äußerst wichtiger Aspekt. Damit soll nicht für eine
durchgängige gemeinsame Beschulung von Betroffenen und Angehörigen und Fachkräften plädiert werden. Psychoedukation bedeutet ja in erster Linie die unabhängige und selbstständige Auseinandersetzung. Gleichbetroffene mit geistiger Behinderung sollen auch unter sich bleiben können (Bedeutung der Peer-Group).
Kritisches Resümee
In PEPE steckt Empowerment! Es unterstützt die Autonomie durch die psychoedukativen Bildungsziele „mehr Wissen und anders Handeln“ didaktisch erfolgreich.
Unterstützt durch einen abwechslungsreichen Medieneinsatz (Beamer für Videoclips und Folien, Flipchart, Arbeitspapiere) gelingt es nicht nur, zentrale inhaltliche
Fragen verständlich zu vermitteln (Epilepsie, Arbeit, Wohnen), sondern krankheitsbezogene Probleme auch dialogisch zu erörtern. Hier wird deutlich, dass PEPE mit
Betroffenen und aus deren Perspektive entwickelt wurde.
Damit die Beamer-Präsentationen, die den inhaltlichen Rahmen und den zeitlichen
Rhythmus der Kursstunden prägen, nicht auf Kosten individueller Ausdrucksweisen
der Teilnehmer gehen, ist von den Kursleitern pädagogisches Fingerspitzengefühl
und gestalterische Flexibilität gefordert. PEPE will schließlich ein teilnehmerorientiertes
und bedarfsgerechtes Konzept sein. Ein tendenziell offen gestaltetes Curriculum
birgt gute Chancen, dass die Teilnehmer Wünsche, Bedürfnisse und Befindlichkeiten formulieren können, die der Moderator dann im weiteren Verlauf bedenken
kann. Die Subjektivität der Teilnehmer zu erschließen und ihre Problemlagen intensiv aufzunehmen, ebnet den Weg zu mehr Autonomie (vgl. THEUNISSEN/PLAUTE
1995, 64).
PEPE sollte vor allem in Einrichtungen der Behindertenhilfe regelmäßig zur Anwendung kommen. Ermutigend ist, dass die Münchner Gruppe sich seit Beendigung der
Schulung im Januar 2003 eine Wiederholung des Kurses wünscht. PEPE ist ein wirksames Instrument, mit dem sich Menschen mit geistiger Behinderung neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen können – nicht trotz der Epilepsie, sondern mit ihr. ■
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
19
20
Peter Brodisch, Verena Schlude
Kurzfassung Chronische Erkrankungen wie Epilepsie werfen neben den medizinischen in der Regel zahlreiche psychosoziale Fragestellungen auf, die von
epilepsiekranken Menschen mit geistiger Behinderung oft nicht ohne Unterstützung bewältigt werden können. Psychoedukative Schulungsprogramme informieren über die Erkrankung mit dem Ziel, die Betroffenen als selbstbestimmte und
selbstsichere „Experten ihrer Erkrankung“ zu qualifizieren. Dadurch soll ihnen eine
bessere Bewältigung der medizinischen und psychosozialen Schwierigkeiten ermöglicht werden. Für Menschen mit Epilepsie und zusätzlicher geistiger Behinderung
existiert mittlerweile das Psychoedukative Programm Epilepsie (PEPE). Im Rahmen
einer Diplomarbeitsstudie zu PEPE in München konnten aufbauende Effekte bezüglich der subjektiven Krankheitsbewältigung bei den Teilnehmern beobachtet werden. Die positiven Ergebnisse von PEPE ermutigen die Autoren zu der Anregung,
psychoedukative Programme in Zukunft auch für Angehörige und für Fachkräfte
der Behindertenhilfe zu konzipieren.
Abstract Epilepsy: Knowing More and Acting Differently with PEPE. Experiences
with the Psycho-Educational Epilepsy Training ”PEPE“ for People with Learning and
Intellectual Disabilities. Chronic diseases such as epilepsy do not only pose medical
but also a lot of psycho-social questions that usually cannot be solved without help
by the people concerned. Psycho-educational training programmes offer information
about the disease in order to turn the people into self-confident and self-determined
”experts of their disease“. The aim is to make them cope with medical and psychosocial problems. For people with epilepsy and an additional intellectual disability
the Psycho-Educational Programme Epilepsy (PEPE) is now being offered. As part of
a Munich dissertation study on PEPE positive effects as to a subjective coping with
the disease could be observed. Based on these experiences the extend to which
psycho-education can help the people concerned to effectively deal with their disease
is discussed. The positive results of PEPE encourage to develop further programmes
for relatives and staff.
Literatur
BAUMGART, E.; BÜCHELER, H.: Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung e. V. Deutschland
(Hg.) (1998): Lexikon. Wissenswertes zur Erwachsenenbildung unter besonderer Berücksichtigung von
geistiger Behinderung. Berlin. – Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte e.V. (Hg.)
(1991): Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung: Referate und Praxisberichte.
Marburg. – BRODISCH, P. (2000): Schwarzer Peter, doppelt: Epilepsieschulung für geistig behinderte
Erwachsene. Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung e.V. (Hg.): Erwachsenenbildung und
Behinderung; Jahrgang 11, Heft 1, April 2000, (16–19). – BUTTNER, P. (1996): Psychoedukation in der
Schizophreniebehandlung. Anwendungshäufigkeit, Verfahren, Wirksamkeit. Dissertation der Technischen Universität München. – HORNUNG, W. P.; BUCHKREMER, G. (1994): Psychoedukatives Training
als Bestandteil rehabilitativer Maßnahmen bei chronisch Schizophrenen. Eikelmann, Bernd (Hg.): Sozialpsychiatrie in der Praxis (112–121). Hamburg. – HUBER, B. u. a.: Manual zum PEPE-Kurs:
PsychoEdukatives Programm Epilepsie für Menschen mit Lernbehinderungen. Das Handbuch für Kursmoderatoren. Bielefeld, o. J. – HUBER, B.; SEIDEL, M. (2003): PEPE – lernen, mit Epilepsie zu leben: ein
multimediales psychoedukatives Programm für Menschen mit Epilepsie und zusätzlicher Lern- oder
geistiger Behinderung. Geistige Behinderung 1/2003, 58–71. – KASSEBROCK, F. (1990): Psychosoziale
Probleme bei Epilepsie: Entwicklungs- und Ablösungskrisen. Bielefeld. – PETERMANN, F. u. a. (1996):
TYP-I-Diabetiker in Beruf und Alltag: Konzeption und Materialien zur Patientenschulung. München. –
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Epilepsie: Mehr wissen und anders handeln durch PEPE
PETERMANN, F.; LECHELER, J. (Hg.) (1992): Patientenschulung: Grundlagen. Asthma bronchiale –
Diabetes mellitus – Chronischer Schmerz – Kardiologie – Niereninsuffizienz – Polyarthritis. MünchenDeisenhofen. – PETRO, W. (Hg.) (1989): Patientenschulung für Atemwegserkrankte. MünchenDeisenhofen. – PFÄFFLIN, M.; ENDERMANN, M. (Hg.) (1995): Behinderte Menschen mit Epilepsie in
Heimen und betreuten Wohngruppen: Überlegungen und Empfehlungen zur Versorgung. Bielefeld. –
PFÄFFLIN, M.E.; MAY, T. W. (2001): Evaluation des Epilepsie-Schulungsprogramms MOSES. Gesellschaft für Epilepsieforschung e.V. Bielefeld. – RIED, S. u. a. (1998): Trainer-Leitfaden Modulares
Schulungsprogramm Epilepsie – MOSES; Sanofi Winthrop GmbH. München. – RIED, S.; SCHÜLER, G.
(1993): Epilepsie: Vom Anfall bis zur Zusammenarbeit. Berlin. – RYFFEL, G. (1998): Teilnehmende mit
geistiger Behinderung werten ihren Kurs aus. Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung e.V.
(Hg.): Erwachsenenbildung und Behinderung 9, Heft 2, 24–27. – SCHMID-SCHÖNBEIN, C. (1998):
„Gegenmittel“ gegen epileptische Anfälle – Rückgewinnung von Kontrolle und Selbstvertrauen. Stark,
Arnold (Hg.): Leben mit chronischer Erkrankung des zentralen Nervensystems. Krankheitsbewältigung
– Rehabilitation – Therapie. Tübingen, 261–273. – SCHLUDE, V. (2003): Doppelt behindert … chancenlos? Psychoedukative Schulungsprogramme als Instrument in der sozialpädagogischen Arbeit mit erwachsenen Menschen mit Epilepsie und geistiger Behinderung (unveröffentlichte Diplomarbeit). München. – THEUNISSEN, G.; PLAUTE, W. (1995): Empowerment und Heilpädagogik. Freiburg im Breisgau. – WARLIES, F.; SALADIN, M. (2002): Patientenschulung mit Erfolg: eine praktische Anleitung für
Ärzte und medizinisches Fachpersonal aller Fachrichtungen. München-Deisenhofen. – WOHLFAHRT, R.
(1998a): Ein psychoedukatives Trainingsprogramm zur Verbesserung der psychosozialen Selbsthilfe anfallskranker Menschen. Stark, Arnold (Hg.): Leben mit chronischer Erkrankung des zentralen Nervensystems. Krankheitsbewältigung – Rehabilitation – Therapie. Tübingen, 275–290. – ders. u. a. (1998b):
MOSES – Das Modulare-Schulungs- und Trainingsprogramm EpilepSie. Stark, Arnold (Hg.): Leben mit
chronischer Erkrankung des zentralen Nervensystems. Krankheitsbewältigung – Rehabilitation – Therapie. Tübingen, 291–298. – WOHLFAHRT, R.; SCHNEIDER, D. (1999): Psychoedukatives Training zur
Verbesserung der Selbsthilfefähigkeiten von Menschen mit Epilepsie. Tübingen. – WOLF, P. u. a. (Hg.)
(2003): Praxisbuch Epilepsien. Diagnostik – Behandlung – Rehabilitation. Stuttgart.
Die Autoren: Peter Brodisch, Dipl.-Pädagoge, Dipl.-Sozialpädagoge, EpilepsieBeratung der Inneren
Mission München e.V., Nymphenburger Str. 199b, 80636 München, Verena Schlude, Dipl.Sozialpädagogin, Offene Behindertenarbeit evangelisch in München (OBA), Blutenburgstraße 71,
80636 München
Anzeige
Zukunft der Werkstatt – Werkstatt der Zukunft
Werkstätten der Lebenshilfe im Wandel
27.–29. April 2005, Musik- und Kongresshalle Lübeck
11. Treffen der Führungskräfte aus Werkstätten für behinderte Menschen
der Lebenshilfe
für Geschäftsführungen, Werkstattleitungen, Leitungen Begleitender Dienste,
Verwaltungsleitungen, Leitungen des QM-Systems
Teilnahmebeitrag: 395,00 Euro, unter der Nummer 05252 bei Heidi Becker, Tel.:
(0 64 21) 4 91-1 72, Direktfax: (0 64 21) 4 91-6 72, E-Mail: Heidi.Becker@Lebenshilfe.de
(inkl. Abendbuffet und Unterhaltungsprogramm am Mittwoch, Mittagessen am
Donnerstag, Lunchpaket am Freitag)
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
21
22
Manfred Hintermair, Gerda Hülser
Was Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten
Kindern brauchen
Zusammenfassende Ergebnisse einer qualitativen Studie
Manfred Hintermair, Gerda Hülser
Zum Ziel der Studie*
■ Der Anlass für die Durchführung einer kleinen qualitativen Studie zur Situation
von Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern, über deren Ergebnisse hier zusammenfassend berichtet werden soll, war die Tatsache, dass diese
Zielgruppe mit ihren spezifischen Anliegen im Kontext der aktuellen Diskussionen
der Hörgeschädigtenpädagogik (Cochlea-Implantat, Bilingualismus etc.) nicht immer
die Aufmerksamkeit findet, die ihr eigentlich zukommen sollte (vgl. JONES & JONES
2003; KNOORS & VERVLOED 2003). Das ist aus zwei Gründen erstaunlich:
• Zum einen ist die Gruppe, um die es sich handelt, keine kleine. Die Zahlen, die
vorliegen, schwanken je nach herangezogener Bezugsgruppe zwischen ca. 20 %
und 35 % aller hörgeschädigten Kinder. Nimmt man als Vergleichsgruppe hörgeschädigte Kinder aus dem vorschulischen Bereich, so wird die Anzahl der Kinder
mit einer zusätzlichen Beeinträchtigung zumeist im Bereich um die 20 % genannt
(vgl. DILLER et al. 1997: 21, 4 %, HARTMANN 1974: 22,4 %, MEADOW-ORLANS
et al., 1995: 20 %). Nimmt man hingegen als Vergleichsgruppe hörgeschädigte
Kinder im Schulalter, bewegen sich die Zahlen im Bereich von 30 % und mehr
(HOLDEN-PITT & DIAZ 1998: 34 %, MEADOW-ORLANS et al. 1995: 33 %,
MEADOW-ORLANS et al. 1997: 32 %, SCHWOPE 1995: 29,9 %). Als Grund für
diese Differenzen wird angeführt, dass viele Kinder in frühem Alter noch nicht
als „zusätzlich beeinträchtigt“ erkannt werden bzw. dass häufig klare Diagnosen
nicht gestellt werden können (oder gestellt werden wollen; vgl. zum Problem der
Diagnostik von Mehrfachbehinderungen JONES & JONES 2003, 306 ff.). Wenn
auch die Quellen, aus denen die Daten für diese berichteten Zahlen stammen,
nicht immer ganz zuverlässig sind (a.a.O. 2003, 305 f.), so ist dennoch festzuhalten, dass die Zahlen, die in bestimmten Zeiträumen fortlaufend erhoben werden, recht konstant sind (vgl. Center on Assessment and Demographic Studies
CADS, HOLDEN-PITT & DIAZ 1998).
Diese durchaus hohe Zahl an Mehrfachbehinderungen verwundert nicht, wenn man
weiß, dass die meisten Ursachen für eine Hörschädigung auch mögliche Ursachen
für eine Entwicklungs- oder Lernbeeinträchtigung sind (z. B. Frühgeburt, Meningitis, Röteln, Gelbsucht, Sauerstoffmangel, Medikamentenmissbrauch etc.; vgl. DAS
1996). Damit ist die Prävalenzrate für Entwicklungs- und Lernprobleme bei hörge*
Die Autorin und der Autor danken der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und der Regens-Wagner-Stiftung, Hohenwart für die Unterstützung bei der Durchführung der Studie.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Was Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern brauchen
schädigten Kindern im Vergleich zur hörenden Population signifikant erhöht (FUNDERBERG 1982; ROWELL 1987).
Neben der Tatsache, dass nahezu ein Drittel aller hörgeschädigten Kinder eine zusätzliche Behinderung hat, kommt hinzu, dass man aus vielen Fragebogenstudien
ziemlich verlässlich weiß, dass die Eltern dieser Kinder in besonderer Weise belastet
sind, was sich in durchwegs signifikant erhöhten Belastungswerten niederschlägt.
Die Vermutung ist naheliegend, dass sich bei Eltern, deren Kinder zusätzlich zur
Hörschädigung auch noch eine andere Beeinträchtigung aufweisen, die Belastung
durch die „Doppelanforderung“ entsprechend potenziert. Die hierzu vorliegenden
Studien bestätigen dies durchgehend (vgl. HINTERMAIR et al. 2000; HINTERMAIR
2002; KNOOP 1996; MEADOW-ORLANS et al. 1995; PIPP-SIEGEL et al. 2002).
Was man ergänzend zu der erhöhten Belastung erwähnen muss, ist, dass wiederum
in Fragebogenstudien die erlebte soziale Unterstützung von dieser Elterngruppe
geringer eingeschätzt wird als im Fall der Eltern mit einem hörgeschädigten Kind
(vgl. HINTERMAIR et al. 2000; MEADOW-ORLANS et al. 1997). So konnte z. B. festgestellt werden, dass es vor allem fehlende praktische Unterstützung (konkrete Hilfen
im Alltag wie z. B. Hilfe bei Behördengängen, Abnahme von Aufgaben im Alltag
etc.) ist, an der es Eltern mit einem mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kind
mangelt (HINTERMAIR et al. 2000).
Obwohl sich aus der genaueren Analyse der Fragebogendaten bereits eine Reihe
stichhaltiger Schlüsse ableiten lässt, warum die Situation für Eltern mehrfachbehinderter hörgeschädigter Kinder besonders schwierig ist bzw. werden kann, erschienen uns die vorliegenden Daten noch nicht als ausreichend, um die Situation
dieser Familien wirklich umfassend begreifen zu können. Es gilt, genauer zu klären
und zu präzisieren, was sich hinter den Fragebogendaten an konkreten Problemlagen und konkreten Bedürfnissen verbirgt. Mit einem differenzierten Wissen
hierüber lassen sich anschließend sehr viel ziel- und bedarfsgenauer Beratungs- und
Förderkonzepte für diese Zielgruppe realisieren (vgl. hierzu z. B. GIANGRECO et al.
1991; McCRACKEN & SUTHERLAND 1991). Die kleine qualitative Studie, über deren Ergebnisse hier knapp zusammenfassend berichtet wird, verfolgte das Ziel, aus
der Perspektive von Eltern die von ihnen als wesentlich erlebten Belastungen zu
beschreiben und ihren daraus erwachsenden Unterstützungsbedarf im Kontext eines am Empowerment orientierten Verständnisses von Entwicklung zu formulieren
(vgl. ausführlich HINTERMAIR & HÜLSER 2004).
Zur Durchführung der Studie
Stichprobe: Alle Eltern (N = 65) einer Einrichtung für mehrfachbehinderte Hörgeschädigte in Oberbayern wurden zu Beginn des Schuljahrs 2001/2002 über das
Anliegen der Studie informiert und bei Interesse an der Teilnahme gebeten, sich bei
der Psychologin der Einrichtung zu melden. Schließlich konnte mit 12 Familien
(18,5%) ein Termin zu einem Gespräch vereinbart werden. Zu diesem Termin erschienen 12 Mütter und aus einer Familie auch der Vater. Es ist ergänzend zu erwähnen,
dass eine der Mütter zwei Kinder mit Hörschädigung und Mehrfachbehinderung
hat.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
23
24
Manfred Hintermair, Gerda Hülser
Die befragten Eltern sind im Schnitt zwischen 35 und 48 Jahre alt (M = 41.6; s = 4.2)
und alle gut hörend. Zwei Mütter haben einen Gymnasialabschluss, drei der Mütter
sowie der Vater einen Realschulabschluss, die restlichen sechs Eltern haben einen
Hauptschulabschluss (eine Mutter machte keine Angaben). Damit sind im Vergleich
zur deutschen Gesamtbevölkerung (vgl. Statistisches Bundesamt, 2002) keine
signifikanten Unterschiede in der Verteilung der Bildungsabschlüsse festzustellen
(χ2 = .23; χ2 0.05;2 = 5.99). Sieben der Kinder sind Mädchen (58,3%) und fünf Jungen
(41,7 %). Damit sind Mädchen in dieser Studie im Vergleich zu anderen deutschsprachigen Untersuchungen deutlich stärker vertreten. (vgl. z. B. HINTERMAIR 2002;
HINTERMAIR et al. 2000). Das mittlere Alter der Kinder beträgt ca. dreizehn Jahre
(M = 12.9; s = 3.4). Konkret heißt das, dass zehn Kinder zum Interviewzeitpunkt
älter als zehn Jahre alt waren. Lediglich bei der Mutter mit den zwei mehrfachbehinderten Kindern ist das Alter wesentlich jünger (sechs bzw. zehn Jahre). Damit
wird klar, dass wir es im Schnitt mit einer Elterngruppe zu tun haben, die einen
großen Teil des Lebens mit ihrem Kind bereits hinter sich hat und damit mit einer
gebührenden Distanz auf vielfältige Erfahrungen zurückblicken kann. Gleichzeitig
muss in Betracht gezogen werden, dass die Erfahrungen dieser Elterngruppe sich
möglicherweise nicht mehr mit der aktuellen Situation in Deckung bringen lassen.
Acht der dreizehn Kinder (61,5%) haben nach Angaben der Eltern eine leicht- bis
mittelgradige Hörschädigung. Fünf Kinder werden von ihren Eltern als hochgradig
schwerhörig eingestuft und nur eines als resthörig bzw. gehörlos. Keines der Kinder hat ein Cochlea-Implantat. Entsprechend geben auch die acht Eltern (61,5%),
deren Kind eine leicht- bis mittelgradige Hörschädigung hat, an, dass sie in der
Kommunikation mit ihrem Kind rein lautsprachlich kommunizieren, während die
anderen fünf Eltern laut- und gebärdensprachliche Mittel in der Kommunikation
mit ihrem Kind benutzen. Alle Kinder haben neben der Hörschädigung ein Problem
bzw. mehrere zusätzliche Probleme, wobei in jedem Fall eine mehr oder minder
deutliche kognitive Beeinträchtigung festzuhalten ist.
Befragungsinstrumente: Es wurde mit den Eltern ein halbstandardisiertes Interview durchgeführt. Der Leitfaden enthielt sechs Themenschwerpunkte, die in jedem
Interview in irgendeiner Form zu irgendeinem Zeitpunkt angesprochen werden
sollten. Dies ist bei allen Familien problemlos gelungen. Dabei wurde bei einigen
Bereichen jeweils unterschieden zwischen dem Erleben der aktuellen Situation und
der erinnerten Situation ganz am Anfang oder noch vor einigen Jahren. So wurde
es möglich, Veränderungen, aber auch unterschiedliche Belastungs- und Unterstützungsaspekte über die Zeit zu beschreiben (vgl. HINTERMAIR & HÜLSER 2004):
• Situation des Kindes: Welche Handicaps hat das Kind, welche Beeinträchtigungen sind damit für das Kind verbunden etc.?
• Befindenslage der Eltern (mehr emotional): Wie geht/ging es den Eltern mit ihrer
Situation, fühlen/fühlten Sie sich belastet oder vielleicht sogar überlastet; oder
haben/hatten Sie die Situation mit ihrem Kind gut im Griff etc.?
• Anforderungs-/Belastungslage für die Eltern (mehr konkret-real): Was fällt/fiel
alles an Aufgaben an, die die Eltern im Zusammenhang mit der Entwicklung
ihres Kindes zu bewältigen haben/hatten? Dabei ist nicht nur an die unmittelba-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Was Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern brauchen
ren Förder-/Betreuungsaufgaben zu denken, sondern auch an Belastungen, die
aus der sozialen Situation heraus (Umfeld, Familie, Gemeinde, Nachbarn, Behörden, etc.) entstehen/entstanden. Wie sehen/sahen diese aus? Wie schaffen/schafften das die Eltern?
• Unterstützungssituation: Wie gut fühlen/fühlten sich die Eltern in der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgabe und der Bewältigung des Alltags unterstützt? Wenn
Hilfe da ist/war, von wem kommt/kam sie in welcher Form?
• Unterstützungsbedarf: Wünschen/wünschten sich die Eltern mehr Unterstützung?
In welchen Bereichen wünschen/wünschten sie sich mehr Unterstützung? Wie
sollte diese Unterstützung aussehen? Von wem könnte diese Unterstützung kommen bzw. von wem hätte sie kommen müssen?
• Wünsche an die Zukunft: Welche Wünsche haben die Eltern für sich und für die
Entwicklung bzw. Zukunft ihres Kindes?
Die Interviews wurden von der Psychologin der Einrichtung durchgeführt, die auf
Grund ihrer beruflichen Qualifikation hierfür in optimaler Weise qualifiziert war.
Dass sie festangestellte Mitarbeiterin der Einrichtung ist, in der die Kinder der beteiligten Eltern beschult werden, ist für die erhobenen Daten nur in Bezug auf die
Frage der aktuellen Zufriedenheit mit der fachlichen Betreuung relevant; dieser Aspekt, der zweifelsohne vom Faktor der sozialen Erwünschtheit mit bestimmt wird,
macht aber insgesamt nur einen kleinen Teil der Erzählungen der Eltern aus.
Die Gespräche mit den Eltern wurden auf Tonband aufgenommen, von einer studentischen Hilfskraft erfasst und anschließend nach den Richtlinien qualitativer Auswertungsmethoden analysiert (vgl. CROPLEY 2002; MAYRING 2002). Es wurden
anhand der getroffenen Aussagen Inhaltseinheiten herausgearbeitet. Aus diesen
wurden anschließend analytische Kategorien gebildet, in denen gemeinsame sinntragende Inhaltseinheiten zusammengefasst wurden. Ihnen liegt derselbe psychologische bzw. pädagogische Sachverhalt zugrunde (a.a.O. 130). Die Zuordnung der
Antworten zu den Kategorien erwies sich insgesamt als unproblematisch. Sie wurde
durch eine Kollegin des Forschungsteams kontrolliert. Die Aussagen, bei denen
Unsicherheit bzw. Unklarheit aufkamen, wurden in Analogie zum Vorgehen bei der
kommunikativen Validierung (LAMNEK 1993, 166) gemeinsam diskutiert; anschließend wurde über die Zuordnung befunden bzw. bei Nichteinigung von einer Zuordnung der Aussage Abstand genommen.
Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass den Eltern am Tag des Interviews zusätzlich ein
Fragebogen ausgehändigt wurde, den sie entweder sofort am Ende des Interviews
ausfüllen oder später zu Hause bearbeiten und zusenden konnten. Er enthielt zum
einen eine Reihe demographischer Fragen zur Situation der Familien (bezüglich des
Kindes: Alter, Geschlecht, Hörstatus, Cochlea-Implantat; bezüglich der Eltern: Alter, Geschlecht, Hörstatus, Bildungsstatus, Kommunikationsmodus mit dem Kind
[Lautsprache/Gebärden]), zum anderen einen Bogen zum Belastungserleben, einen
zum Kohärenzerleben und einen zur erlebten sozialen Unterstützung. Über die Ergebnisse wird in dieser Arbeit nicht berichtet (sie bestätigen jedoch die in der CopingForschung beschriebenen Zusammenhänge zwischen personalen Ressourcen, sozialer Unterstützung, Belastungserleben und allgemeiner Lebenszufriedenheit).
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
25
26
Manfred Hintermair, Gerda Hülser
Zu den Ergebnissen und Empfehlungen
Im Folgenden sollen die wichtigsten Befunde im Kontext anderer vorliegender Studien
dargestellt und diskutiert werden (vgl. ausführlich HINTERMAIR & HÜLSER, 2004).
Wir wollen dabei Eckpunkte einer Beratungs- und Förderkonzeption formulieren,
die die (Wieder)Erlangung von Souveränität und Selbstbestimmung der Familien ins
Zentrum der Bemühungen stellt.
Das Zusammenleben mit dem mehrfachbehinderten Kind
Die Aussagen der Eltern haben gezeigt, dass sich ihre Situation im konkreten Zusammenleben mit ihrem Kind in einer Reihe von Aspekten deutlich unterscheidet
von der Situation von Familien, die ein „nur“ hörgeschädigtes Kind haben. Die
Eltern berichten von Schwierigkeiten und erhöhtem zeitlichen Aufwand in der Pflege, Versorgung und der Entwicklungsförderung ihrer Kinder, von den sehr viel größeren Problemen, eine kommunikative Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen sowie
von einer Reihe besonderer Verhaltensweisen des Kindes, die den Alltag, vor allem
bei Außenkontakten, sehr oft schwierig, unberechenbar und kraftraubend machen
(vgl. BROWN & CLOKE 1999; McCRACKEN 1998; SCHUYLER & RUSHMER 1987;
WATKINS et al. 1994). Diese Erfahrungen, die zu Beginn des Lebens mit dem Kind
als besonders fordernd erlebt werden, verändern sich über die Zeit hin durchweg
bei allen Familien zum Positiven, dennoch bleiben die Anforderungen auf einem
erhöhten Niveau bestehen, und es kommen in jeder neuen Phase der Entwicklungen neue Herausforderungen auf die Familien zu (Pubertät, Internatsbesuch, Auseinandersetzung des Kindes mit seiner Behinderung etc.). Vor allem ein ausgewogenes Verhältnis zwischen „Dasein für das Kind“ und „Loslassen können“ zu finden, wird als besonders schwierig erlebt (vgl. MEADOW-ORLANS et al. 2003, 71 f.).
➞ Empfehlung: Die Verfügbarkeit familienunterstützender Dienste wurde von
knapp 60% (N = 7) der Eltern als sehr bedeutsam und notwendig hervorgehoben
(vgl. auch ENGELBERT 1999, 212). Auf Grund der Tatsache, dass die Erziehung und
Förderung eines mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindes sehr viel mehr Zeit
und Energie in Anspruch nimmt, ist die Schaffung von Freiräumen notwendig, in
denen die Eltern die Zeit und die Möglichkeit finden, sich sowohl anderen Dingen
des Lebens zuzuwenden als auch Entspannung zu erleben und zu genießen, um
daraus neue Kraft zu schöpfen. Dies trägt zur Normalisierung des Alltags (Zeit für
Erledigungen, Zeit zur Pflege der Partnerbeziehung, Zeit für die anderen Kinder,
Zeit für den Erhalt freundschaftlicher Beziehungen, Zeit, beruflichen Interessen nachzugehen etc.) und damit zur Stabilisierung der elterlichen Identität bei. Familienunterstützende Dienste oder Angebote sehen in den verschiedenen Phasen der kindlichen Entwicklung durchaus unterschiedlich aus: Während in den frühen Jahren
Entlastung schwerpunktmäßig im unmittelbaren Raum der Familie angesagt ist
(Babysitterdienste etc.), die im Prinzip vor Ort gemeindenah organisiert sein müsste,
dienen in späteren Jahren die Schulen und nicht zuletzt auch Internate als wichtige
Entlastungsträger. Je älter die Kinder werden, desto mehr sind Angebote gefragt,
in denen auch andere behinderte und nichtbehinderte gleichaltrige Kinder dabei
sind, um das Bedürfnis der Kinder nach Begegnungen und Erfahrungen mit Gleichaltrigen (peer-group) zu befriedigen. Nach Ergebnissen einer Befragung wird der
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Was Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern brauchen
Bedarf an solchen familienunterstützenden Diensten und Angeboten als wesentlicher Bestandteil eines umfassenden psychosozialen Gesundheits- und Versorgungssystems vor allem von Fachleuten noch nicht in ausreichendem Maße realisiert (vgl.
HINTERMAIR 2004).
Alltagsbewältigung
Eine Mehrfachbehinderung führt in der Praxis in aller Regel dazu, dass unterschiedliche Fachleute am Prozess der Diagnose und der sich anschließenden Intervention
beteiligt sind – je komplexer das Erscheinungsbild, desto mehr Fachleute. Viele Eltern haben sehr anschaulich davon berichtet, wie sich die Gestaltung ihres Alltags
in Folge der Behinderung ihres Kindes verändert hat. Das „In-Anspruch-nehmenMüssen“ vielfältiger Termine mit dem behinderten Kind hat zur Folge, dass einerseits
das Planen, Organisieren und Wahrnehmen solcher Termine (häufigere Arztbesuche,
das Aufsuchen verschiedener Therapien wie Krankengymnastik, Logopädie, Ergotherapie, Frühförderung etc.) dem Management eines Kleinbüros gleichkommt, zum
anderen dadurch andere Aufgaben eines „normalen“ Alltags (Einkaufen, Haushalt
besorgen, sich um die Geschwisterkinder kümmern, die Partnerbeziehung pflegen
etc.) häufig zu kurz kommen, was bei vielen Müttern ein schlechtes Gewissen zurücklässt, das sich nicht so einfach wegreden oder auflösen lässt. Wie soll das Leben normal weitergehen, wenn sämtliche Koordinaten des bisherigen Lebens von
einem Tag auf den anderen ihre Gültigkeit eingebüßt haben? Es scheint nach allem,
was an Aussagen hierzu vorliegt, den Eltern ziemlich allein überlassen zu sein, sich
wichtige Informationen zu beschaffen und vor allem auch die Koordination aller
Arrangements zu übernehmen. Fast alle Eltern, mit denen wir gesprochen haben,
haben ausdrücklich bemängelt, dass sie sich praktisch alles, was im Zusammenhang mit der Förderung und Entwicklung des Kindes wichtig und hilfreich sein kann,
selbst zusammensuchen mussten. Dies wird auch in anderen Studien bestätigt (vgl.
BROWN & CLOKE 1999; GIANGRECO et al. 1991; MEADOW-ORLANS et al. 1995;
SCHUYLER & RUSHMER 1987).
➞ Empfehlung: Aus diesem Grunde wäre es neben der oben bereits beschriebenen Notwendigkeit familienunterstützender Dienste von größter Wichtigkeit und
größtem Nutzen, wenn Eltern mehrfachbehinderter hörgeschädigter Kinder
möglichst umgehend (d. h., noch in der Klinik) eine zentrale Anlaufstelle mit einem
Ansprechpartner bzw. einer Kontaktperson vermittelt bekommen, die mit ihnen
gemeinsam die anstehenden Aufgaben der nächsten Zeit angeht. Elf Eltern (91,7 %)
haben dies für äußerst wichtig erachtet. MEADOW-ORLANS et al. (1995, 286) sprechen ebenfalls von der Notwendigkeit eines „case managers“. Solche Stellen sind
zu schaffen, und es ist in geeigneter Weise (Faltblatt, Internetportal etc.) darauf
hinzuweisen.
Behinderungsbewältigung
Die Verarbeitung der Mehrfachbehinderung des Kindes stellt sich nach dem, was
uns die Eltern erzählt haben, nicht grundlegend anders dar als das, was wir von
Verarbeitungsprozessen aus anderen Familien mit hörgeschädigten Kindern wissen
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
27
28
Manfred Hintermair, Gerda Hülser
(vgl. SCORGIE et al. 1998; YAU & LI-TSANG 1999). Auch hier erweist es sich als
angemessener, nicht in Phasenverläufen zu denken, sondern die individuelle Situation jeder einzelnen Familie in den Blick zu bekommen und sorgfältig im Einvernehmen mit den Eltern und deren aktueller Situation nach gemeinsamen Zielen und
Perspektiven zu suchen und daran zu arbeiten. Die vielfältigen Aussagen der Eltern
zur Akzeptanz zeigen, dass Behinderungsbewältigung ein sehr individueller Prozess
ist, bei dem im Laufe des Lebens immer wieder auch neue Antworten auf neu anstehende Fragen gefunden werden müssen. Eine Erschwernis für Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern ergibt sich häufig dann, wenn – was nicht zu
selten vorkommt – die einzelnen Diagnosen nicht in einem engen Zeitraum erfolgen,
sondern sich zeitlich weit verteilen. Vor allem eine Hörschädigung wird bei mehrfachbehinderten Kindern nicht selten später entdeckt und verursacht dadurch eine
Wiederholung bzw. Reaktivierung von Verarbeitungsprozessen, was zusätzlich viel
Kraft erfordert und von Eltern oft zunächst verständlicherweise mit Abwehr beantwortet wird. Es scheint nach den Berichten der Eltern auch so zu sein, dass die
Angst bezüglich der Entwicklung und der Zukunft des Kindes ein Faktor ist, der bei
diesen Familien auf Grund der vielfältigen Probleme des Kindes eine besondere
Rolle spielt und somit zusätzlich dazu beiträgt, dass die so genannte Bewältigung
der Behinderung in diesen Familien ein sehr labiler Prozess ist und bleibt.
➞ Empfehlung: Im Hinblick auf die Behinderungsbewältigung wie auch auf eine
differenzierte und ganzheitliche Entwicklungsförderung des Kinde scheint es von
großem Nutzen zu sein, wenn die Behinderungen möglichst früh erkannt werden.
Auch die Eltern unserer Studie haben zum Ausdruck gebracht, dass dies sehr viel
geholfen hätte und so Entwicklungsversäumnisse hätten vermieden werden können. Die Probleme bei der Diagnostik von Mehrfachbehinderungen sind hinreichend
bekannt (vgl. JONES & JONES 2003: „deafness may mask other disabilities, ... other
disabilities may mask deafness“; 307 f.).
Hinzu kommt, dass es – vor allem für junge hörgeschädigte Kinder mit einer
Mehrfachbehinderung – keine adäquaten Erfassungsinstrumentarien mit entsprechenden Normierungen gibt. Angesichts dieser Situation empfehlen KNOORS und
VERVLOED (2003, 87) ein interdisziplinäres, ganzheitlich ausgerichtetes diagnostisches Vorgehen über gezielte und differenzierte Verhaltensbeobachtungen, wobei
das Gelingen dieses Vorgehens stark von der Erfahrung der Diagnostiker und vor
allem auch ihrer kommunikativen Kompetenz in der Begegnung mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern abhängt. Das mehr und mehr flächendeckend
zum Einsatz kommende Neugeborenenscreening lässt hier auch in den nächsten
Jahren positive Entwicklungen bei der Diagnostik von Mehrfachbehinderungen erwarten.
Die vorliegenden Befunde zeigen, dass mit einer früheren Erfassung von hörgeschädigten Kindern (und damit verbunden einer früher einsetzenden Beratung und
Förderung) eindeutig verbesserte Entwicklungsergebnisse in sprachlicher, kognitiver und sozial-emotionaler Hinsicht einhergehen (vgl. CARNEY & MOELLER 1998;
YOSHINAGA-ITANO 2003).
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Was Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern brauchen
Erfahrungen in den natürlichen Netzwerken
Eine Vielzahl von negativen wie positiven Erlebnissen wurden von den Eltern über
ihre Begegnungen mit anderen Menschen in ihrem näheren und weiteren sozialen
Umfeld berichtet. Die Erfahrungen in den natürlichen Netzwerken der Eltern enthalten Ermutigendes wie Deprimierendes in gleicher Weise. Insgesamt zeigen sie
deutlich den Stellenwert einer guten Partnerbeziehung sowie der Geschwister, die
Funktion hilfreicher Kontakte innerhalb der Familie (vor allem Unterstützung von
den eigenen Eltern), aber auch die entspannende und stützende Rolle, die Beziehungen mit Freunden und Bekannten haben können. Es bestätigen sich hier all die
Ergebnisse, die wir aus zahlreichen anderen Studien zur Bedeutung sozialer Unterstützung für die Entwicklung und Erhaltung psychischer Gesundheit kennen
(CALDERON & GREENBERG 1999; HINTERMAIR et al. 2000; KOESTER & MEADOWORLANS 1990; MEADOW-ORLANS 1994).
➞ Empfehlung: Wenn man das in zahlreichen Studien belegte erhöhte Anforderungs- und Belastungsniveau der Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten
Kindern zur Kenntnis nimmt, dann wird deutlich, wie sehr Beratung und Förderung
dieser Zielgruppe den Aspekt der sozialen Beziehungen berücksichtigen müssen.
Dabei wird professionelle Beratung nicht automatisch und direkt zur Verbesserung
natürlicher Netzwerkbeziehungen beitragen können, aber sie kann einerseits als
eigenständiges Stützsystem fungieren und andererseits „Ersatzsysteme“ wie
Betroffenengruppen, Selbsthilfe etc. aktivieren, die helfen, Belastungen in bestimmten Bereichen durch Unterstützung in anderen Bereichen zu kompensieren oder
zumindest besser aushalten zu können. Das trifft nicht zuletzt auch auf die Erfahrungen im weiteren sozialen Umfeld zu.
Erfahrungen mit medizinischem Personal
Eine in der Literatur immer als sehr wichtig herausgehobene Unterstützung (als Teil
der so genannten künstlichen Netzwerke) sind die Beziehungen zu den Fachleuten,
die sich der Situation der Familien annehmen. Wo sonst, wenn nicht gerade auch
bei den Menschen, die das fachliche Know-how besitzen (sollten), über das Eltern
nicht verfügen (können), sollten sie in besonderem Maße Unterstützung in ihrer
schwierigen Situation erfahren? Die Aussagen der Eltern zeigen, dass dem nicht in
allen Fällen so ist. Vor allem die Erfahrungen mit Ärzten – und hier insbesondere
mit ärztlichem Personal in den Kliniken – machen deutlich, dass hier offensichtlich
in hohem Maße Verbesserungen angesagt sind. Die Liste der Aufzählungen von
Missständen in diesem Bereich ist lang und reicht von zum Teil verletzenden zwischenmenschlichen Umgangsformen über das „Nicht-ernst-Nehmen“ der Eltern,
einem vorwiegend defizitorientierten Behinderungsbegriff, einer Inkompetenz bei
der Diagnoseübermittlung bis hin zu fehlender Ganzheitlichkeit in der Betrachtung
des Kindes und seiner Familie. All diese Aspekte werden auch durch andere Studien
immer wieder bestätigt (BROWN & CLOKE 1999; JONES & JONES 2003; MEADOWORLANS et al. 2003; SZAGUN et al. 2003). Wir haben aber auch Beispiele ärztlicher
Fürsorge erzählt bekommen, die zeigen, dass es nicht „die Ärzte“ schlechthin sind,
die hier das Problem darstellen.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
29
30
Manfred Hintermair, Gerda Hülser
➞ Empfehlung: Da die Kliniken in aller Regel die erste Station sind, mit der Eltern
zu Beginn ihres Lebens mit einem behinderten Kind in Kontakt kommen, soll der
Aspekt der psychologischen Unterstützung für Familien mit mehrfachbehinderten
hörgeschädigten Kindern an dieser Stelle besonders hervorgehoben werden, wiewohl
er in allen Phasen der kindlichen Entwicklung eine zentrale Rolle spielt. 58,3% der
Eltern (N = 7) haben explizit betont, dass vor allem am Anfang psychologische Unterstützung für sie besonders wichtig gewesen wäre. Psychologische Unterstützung
meint dabei nicht, dass für alle Eltern eine Psychotherapie indiziert ist (obgleich
einige sicherlich auch davon sehr profitiert hätten), sondern dass ihnen in einer
Weise begegnet wird, die sie in ihrer schwierigen, oft verzweifelten Situation als
Mutter oder Vater eines mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindes annimmt,
dass ihnen mit Wertschätzung begegnet wird; dass sie in ihrem Selbstbewusstsein
gestärkt werden, indem vor allem auch ihre Stärken betont und in der Zusammenarbeit hervorgehoben werden. Zudem ist es wichtig, dass die Fachleute im Dialog
mit den Eltern auch gezielt Impulse zur psychischen Auseinandersetzung mit ihrer
Situation setzen und sie darin begleiten, weil Eltern alleine dafür oft die Kraft nicht
aufbringen.
Es scheinen vor allem im Klinikbetrieb große Anstrengungen unternommen werden
zu müssen, um hier zu dringend notwendigen Verbesserungen beizutragen. Eine
eigene Studie zur genaueren Analyse der Bedingungen und Strukturen ärztlichen
Handelns an Kliniken wäre hierzu im Vorfeld notwendig.
Erfahrungen mit pädagogischem Personal
Auch bei den Kontakten mit den pädagogischen Fachkräften zeigen sich sowohl
Schatten als auch Sonnenschein, wobei hier im Vergleich zu den Erfahrungen mit
Ärzten sehr viel mehr positive Erfahrungen vermittelt werden. Das liegt nicht zuletzt
daran, dass alle zwölf Familien, mit denen wir gesprochen haben, eine Einrichtung
gefunden haben, mit der sie derzeit sehr zufrieden sind. Die negativen Äußerungen
beziehen sich vorwiegend auf frühere Einrichtungen, wobei sichtbar wird, wie wichtig
es ist bzw. wäre, sehr früh gute, schnelle und vor allem richtige Diagnosen zu stellen, um anschließend in einem umfassenden Beratungsprozess eine Einrichtung zu
finden, durch die das behinderte Kind und seine Familie fachgerechte Förderung
und Beratung bekommen. Die von den Eltern geäußerten Beschwerden hatten häufig
als Hintergrund das fehlende Wissen von Einrichtungen, mit einem mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kind angemessen umgehen zu können (das betrifft
die Diagnostik ebenso wie die Intervention). Was die Eltern zusätzlich zu einer fachlich kompetenten Beratung und Förderung noch zu schätzen wissen, sind Offenheit
und Ehrlichkeit (auch in der Beschränktheit der eigenen Möglichkeiten), Stärkung
der Eltern als Prinzip der Zusammenarbeit anstelle von Defizitorientierung sowie
möglichst gute entscheidungsoffene Begleitung bei allen anstehenden schwierigen
Fragen der Entwicklung des Kindes (vgl. MEADOW-ORLANS et al 2003, 74 f.). Zentral scheint für Eltern der Wunsch zu sein, das Gefühl zu haben, dass sie und ihr
Kind mit allen Stärken und Schwächen, mit allen Besonderheiten angenommen und
gemocht werden.
➞ Empfehlung: Es empfiehlt sich in Bezug auf die konkrete Entwicklungsberatung,
-förderung und -therapie, einen Ansatz zu verfolgen, der sowohl familienzentriert
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Was Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern brauchen
als auch kindzentriert ausgerichtet ist, keinesfalls aber institutionen- oder professionenorientiert sein darf (JONES & JONES 2003, 322). Das heißt, dass die Aufgabe
der Institutionen und der darin arbeitenden Fachkräfte nicht darin besteht, ihre
„Philosophie“ von Erziehung und Förderung an die Familien und das Kind heranzutragen, sondern, umgekehrt, von den Bedürfnissen der Familien und des Kindes
ausgehend, ein spezifisches Förderkonzept zu entwickeln, das in Passung steht mit
deren Situation. Dazu ist es auch notwendig und hilfreich, sich bei dem Entwurf
einer solchen Konzeption weniger an fachspezifischen Begrifflichkeiten und Kategorien zu orientieren als an konkreten individuellen Charakteristika der Kinder und
den daraus erwachsenden Entwicklungs- und Förderbedürfnissen.
Jegliche Überlegungen bezüglich des Orts der Förderung (Einrichtung für Hörgeschädigte, andere Einrichtung für behinderte Kinder etc.) oder des Fördercurriculums
(lautsprachliche, gebärdensprachliche Kommunikation, total communication, taktile Förderung etc.) haben sich daran auszurichten. Kreativität – vor allem im Hinblick
auf die Herstellung kommunikativer Beziehungen – ist hier gefragt, nicht Dogmatik
(McCRACKEN 1998, 35).
Die Entwicklungsförderung der Kinder hat sich an den Möglichkeiten des Kindes im
Rahmen seines Lebensraums zu orientieren („ecological approach“; JONES & JONES
2003, 315) und nicht an bestimmten Entwicklungsstufen, die sich bei der Förderung anderer (behinderter) Kinder durchaus als brauchbar erweisen („developmental
approach“; a.a.O., 314). Entwicklungsziele, die sich an der normalen Entwicklung
orientieren, sind für mehrfachbehinderte Kinder häufig nicht realistisch und von
daher für die konkrete Förderpraxis unwirksam. Um die vielfältigen Aufgaben der
Entwicklungsförderung auf einen guten Weg zu bringen, sind regelmäßige „Helferkonferenzen“ abzuhalten, bei denen alle, die mit dem mehrfachbehinderten Kind
in irgendeiner Form befasst bzw. in Kontakt sind (Eltern, Geschwister, Großeltern,
Freunde, Frühförderer, Lehrer, Therapeuten, zuständige Behördenfachleute etc.),
zusammenkommen, um sich über die Entwicklung des Kindes auszutauschen sowie
auf diesem Wege gemeinsam möglichst viel über das Kind zu lernen und so die
weiteren Ziele der nächsten Zeit festzulegen und die nötigen Maßnahmen dazu
einzuleiten (a.a.O., 316).
Angesichts des sowieso schon sehr strapazierten Alltags der Familie sind Ansätze
zu favorisieren, bei denen möglichst eine Fachkraft als unmittelbarer Ansprechpartner
der Eltern (und Entwicklungsbegleiter des Kindes) fungiert, andere Fachdienste aber
beratend – sowohl für die unmittelbar betreuende Fachperson wie auch für die
Eltern – im Hintergrund jederzeit verfügbar sind.
Erfahrungen mit Behörden
Erwähnt werden muss auch der Umgang von Behörden mit Familien mehrfachbehinderter hörgeschädigter Kinder. Dies ist deshalb von Bedeutung, da durch
mehrere Behinderungen die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme zu Behörden in
vielfacher Hinsicht erhöht ist, sei es wegen der Genehmigung von Hilfsmitteln (Rollstuhl, Schienen etc.), sei es bezüglich der Realisierung von verschiedenen Fördermöglichkeiten.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
31
32
Manfred Hintermair, Gerda Hülser
➞ Empfehlung: Die Mitarbeiter in solchen Dienststellen sollten mit besonders hoher
Sensibilität und einem Wissen ausgestattet sein, das über die Paragraphen der jeweiligen Gesetzestexte hinausgeht. Das heißt auch, dass sie in der Erlangung dieser
Kompetenzen auch geschult oder weitergebildet werden müssen. Die berichteten
Erfahrungen zeigen, dass dem nicht immer so ist.
Erfahrungen mit gleichbetroffenen Familien
Neben den Kontakten mit Institutionen (Ärzten, Pädagogen, Behörden) spielen seit
jeher die Beziehungen zu anderen Familien, die in einer vergleichbaren Situation
stehen, eine wesentliche Rolle bei der Bewältigung der durch die Behinderung des
Kindes veränderten Lebenssituation. Auch die Erfahrungen der Eltern, mit denen
wir gesprochen haben, bestätigen das eindrücklich. Zentrales Anliegen solcher Begegnungen ist das Anliegen, ein Forum des Austauschs und der Kommunikation
herzustellen, auf dem sowohl auf der Informationsschiene als auch im Bereich des
„Sich-emotional-gegenseitig-Stützens“ Möglichkeiten eröffnet werden (vgl. auch
HINTERMAIR et al. 2000, 43 ff.; KRAUSS et al. 1993; SINGER et al. 1999). Was sich
für die Gruppe der Eltern mehrfachbehinderter hörgeschädigter Kinder (vor allem
am Anfang) als erschwerend erweisen kann in der Knüpfung solcher hilfreichen
Beziehungen, ist die Tatsache, dass Mehrfachbehinderungen sehr individuelle Gebilde sind und es von daher nicht immer leicht ist, Eltern kennen zu lernen, die in
einer etwa vergleichbaren Situation sind. Eltern, die ein „nur“ hörgeschädigtes Kind
haben – so wird häufig berichtet –, befinden sich in einer anderen Situation, in der
andere Themen wichtig sind und diskutiert werden, die für die Gruppe der mehrfachbehinderten Kinder in dieser Form nicht von Relevanz sind (z. B. das Thema „Lautoder Gebärdensprache“).
➞ Empfehlung: Ein wesentlicher Aspekt von Hilfe der Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern, der über die fachliche Betreuung hinausgeht und der auch von Fachleuten nicht abgedeckt werden kann, ist die
Ermöglichung von Begegnungen mit anderen Eltern, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden. Darauf haben viele Eltern dieser Studie verwiesen, die
Bedeutsamkeit solcher Kontakte wird aber ebenso in vielen anderen Untersuchungen bestätigt (vgl. zusammenfassend HINTERMAIR et al. 2000, Kapitel 2). Es spielt
dabei keine Rolle, in welchem formalen Rahmen solche Begegnungen stattfinden
(Selbsthilfegruppen oder Gruppen/Treffen, die von der Einrichtung organisiert werden), wichtig ist, dass sie stattfinden, dass es möglichst vielfältige derartiger Angebote gibt und dass Eltern die Gelegenheit dazu eröffnet wird. Es hat sich als hilfreich erwiesen, Eltern durchaus gezielt auf solche Treffen hinzuweisen, da sie ohne
Anstoß dazu nicht immer diesen Schritt wagen.
Zum Schluss
Es mag für manch einen im Zeitalter (versprochener) technologischer Machbarkeit
und gentechnisch anvisiertem Perfektionismus wenig originell und zukunftsträchtig klingen, wenn abschließend festgehalten wird, dass das Hilfreichste für mehrfachbehinderte hörgeschädigte Menschen und ihre Familien ist, Behinderung und da-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Was Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern brauchen
mit Menschen mit einer Behinderung als etwas Positives zu sehen (vgl. SCHUYLER
& RUSHMER 1987). Hinter dieser Aussage stehen u. a. Ergebnisse sozialepidemiologischer Forschungen, wonach Minderheiten ihr Leben um so optimistischer und
konstruktiver gestalten können, je positiver die Einstellung einer Gesellschaft gegenüber Minderheiten in ihren Reihen ist (RABKIN 1979).
Angesichts der Tatsache, dass die gleichen technologischen Erneuerungen, die uns
auf einer Ebene behinderungs- und krankheitsfreies Leben versprechen, auf einer
anderen Ebene zunehmend behindertes Leben „produzieren“ (vgl. KNOORS &
VERVLOED 2003, 92), macht deutlich, dass Behinderung bzw. Menschen mit Behinderung immer Bestandteile menschlichen Lebens sein werden. Das Recht auf
Unvollkommenheit anzuerkennen, ist für ein Zusammenleben von Menschen in
Würde und mit gegenseitiger Achtung in modernen Gesellschaften zentral: „Behinderte sind für die Gesellschaft ein lebensnotwendiges Korrektiv. Ein breiter Pflock
mitten in einem Weg zur Höchstleistung und zum permanenten Glück. Ob Abfall
oder Avantgarde, liegt nicht am Objekt, sondern allein am Zustand derer, die darüber
entscheiden“ (OBERHOLZER 1993, 161). Das bedeutet: „... Behinderung entsteht
nicht einfach so, weil jemand diese oder jene Insuffizienz aufweist. Entscheidend
für das Entstehen von Behinderung ist das Bestehen von bestimmten gesellschaftlichen Vorstellungen darüber, was Behinderung ist“ (BONFRANCHI 1997, 107). Das
heißt, dass eine Gesellschaft mit ihren Norm- und Wertvorstellungen darüber mit
entscheidet, ob Leben leichter oder schwerer gelingen kann. Inwieweit eine Haltung, die positives Denken und Fühlen in Zusammenhang mit Behinderung bringt,
in Zeiten eines zunehmenden Nützlichkeitsdenkens und umfassender Einsparungsmaßnahmen realistisch ist, sei dahingestellt – für ein friedvolles Zusammenleben von Menschen ist sie entscheidend.
Für die mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kinder ist dabei wichtig, dass sich
die Gruppe der gehörlosen und schwerhörigen Menschen als Minderheit mit ihrer
eigenen Minderheit der mehrfachbehinderten Hörgeschädigten solidarisch erklärt.
LEVEN (2000) für den deutschen Sprachraum und JONES & JONES (2003) für den
amerikanischen Sprachraum stellen fest, dass die Gehörlosenkultur häufig versuche, sich von den mehrfachbehinderten Hörgeschädigten abzugrenzen. Im Zuge
der zunehmenden Anerkennung der Gebärdensprache und ihrer Benutzer in den
letzten Jahren scheinen hier jedoch Veränderungen zum Positiven auf dem Weg zu
sein: „Wer Anerkennung erhält, ist weniger darauf angewiesen, noch stärker Benachteiligte zu diskriminieren (LEVEN 2000, 132). ■
Kurzfassung Es werden die wesentlichen Ergebnisse einer kleinen qualitativen Studie mit zwölf Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern
dargestellt und Empfehlungen ausgesprochen, die zur Verbesserung der psychosozialen Situation dieser Familien beitragen können. Besonders wichtige Aspekte,
die von den Eltern hervorgehoben wurden, sind familienunterstützende Hilfen im
Alltag, eine zentrale Informations- und Koordinationsstelle vor allem am Anfang,
psychologische Unterstützung und Begleitung sowie ein erhöhtes Verständnis für
ihre Situation in den sozialen Netzwerken (Familie, Freunde, Fachleute, Behörden,
Umwelt).
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
33
34
Manfred Hintermair, Gerda Hülser
Abstract What Families with Multiply Disabled Children with Hearing
Impairments Need: Basic Results of a Qualitative Study. The basic results of a limited
qualitative study including 12 families with multiply disabled children with hearing
impairments are discussed as well as recommendations given, which might improve
the psycho-social situation of the people concerned. Particularly important aspects
emphasised by the parents are respite care services, an information and coordination
centre, especially at the beginning, psychological support as well as an increased
understanding for the situation in the social networks (family, friends, public
authorities, environment).
Literatur
BONFRANCHI, R. (1997): Löst sich die Sonderpädagogik auf? Luzern: Edition SZH. – BROWN, N.;
CLOKE, G. (1999): A family viewpoint. J. McInnes (Ed.): A guide to planning and support for individuals
who are deafblind. Toronto: University of Toronto Press, 227–260. – CALDERON, R.; GREENBERG,
M. T. (1999): Stress and coping in hearing mothers of children with hearing loss: Factors affecting
mother and child adjustment. American Annals of the Deaf, 144, 7–18. – CARNEY, A. E. & MOELLER,
M. P. (1998): Treatment efficacy: Hearing loss in children. Journal of Speech, Language and Hearing
Research, 41, 961–984. – DAS, V. K. (1996). Aetiology of bilateral sensorineural hearing impairment in
children: a 10 year study. Archives of the Diseases of Children, 74, 8–12. – DILLER, G., GRASER, P. &
SCHMALBROCK, C. (1999): Projekt „Hörgerichtete Frühförderung hochgradig hörgeschädigter Kinder“: Ausgewählte Ergebnisse der ersten Fragebogenaktion einer empirischen Untersuchung.
Hörgeschädigtenpädagogik, 51, 237–250. – ENGELBERT, A. (1999): Familien im Hilfenetz. Bedingungen und Folgen der Nutzung von Hilfen für behinderte Kinder. Weinheim und München: Juventa. –
FUNDERBERG, R. (1982): The role of the classroom teacher in the assessment of the learning disabled
deaf and hard of hearing child. D. Tweedle & E. Shroyer (Eds.): The multi-handicapped hearing impaired:
Identification and instruction. Washington: Gallaudet University Press, 61–74. – GIANGRECO, M. F.;
CLONIGER, C.; MUELLER, P.; YUAN, S. & ASHWORTH, S. (1991): Perspectives of parents whose
children have dual sensory impairments. K. Huebner (Ed.): Hand in hand. Selected reprints and annotated
bibliography on working with students who are deaf-blind. New York: American Foundation of the
Blind, 110–120. – HADADIAN, A. (1994): Stress and social support in fathers and mothers of young
children with and without disabilities. Early Education and Development, 5, 226–235. – HARTMANN, N.
(1974): Mehrfachbehinderte hörgeschädigte Kinder in Baden-Württemberg. Hörgeschädigtenpädagogik,
28, 99–105. – HINTERMAIR, M. (2000): Hearing impaired children with additional disabilities and
related aspects of parental stress. Results of a study carried out by the University of Education in
Heidelberg. Exceptional Children, 66, 327–332. – ders. (2002): Kohärenzgefühl und Behinderungsverarbeitung. Eine empirische Studie zum Belastungs-Bewältigungserleben von Eltern hörgeschädigter
Kinder. Heidelberg: Median-Verlag. – ders. (2004): Die Situation von Familien mit mehrfachbehinderten
hörgeschädigten Kindern aus der Sicht von Fachleuten. Zeitschrift für Heilpädagogik, 55, 397–405. –
HINTERMAIR, M. & HORSCH, U. (1998): Hörschädigung als kritisches Lebensereignis. Aspekte der
Belastung und Bewältigung von Eltern hörgeschädigter Kinder. Heidelberg: Groos. – HINTERMAIR,
M., LEHMANN-TREMMEL, G. & MEISER, S. (2000): Wie Eltern stark werden. Soziale Unterstützung
von Eltern hörgeschädigter Kinder. Eine empirische Bestandsaufnahme. Hamburg: Verlag hörgeschädigte Kinder. – HINTERMAIR, M. & HÜLSER, G. (2004): Familien mehrfachbehinderter hörgeschädigter Kinder. Eine Analyse aus der Sicht betroffener Eltern. Heidelberg: Median-Verlag. – HOLDEN-PITT,
L. & DIAZ, J. A. (1998) Thirty years of the annual survey of deaf and hard-of-hearing children and
youth: A glance over the decades. American Annals of the Deaf, 143, 72–76. – JONES, T. W. & J. K.
JONES (2003): Educating deaf children with multiple disabilities. B. Bodner-Johnson & M. Sass-Lehrer
(Eds.): The young deaf or hard of hearing child. A family-centered approach to early education. Baltimore,
London, Sydney: Paul H. Brookes Publishing, 297–327. – KNOOP, A. (1996): Alltagsbewältigung und
Stress. Analysen stressauslösender Faktoren bei Eltern mit einem CI-Kind. Unveröffentlichte wissenschaftliche Hausarbeit. Pädagogische Hochschule Heidelberg. – KNOORS, H.; VERVLOED, M. P. J.
(2003): Educational programming for deaf children with multiple disabilities. M. Marschark & P. E.
Spencer (Eds.): Oxford handbook of deaf studies, language and education. New York: Oxford University
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Was Familien mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Kindern brauchen
Press, 82–94. – KOESTER, L. S.; MEADOW-ORLANS, K. P. (1990): Parenting a deaf child: Stress, strength
and support. D. F. Moores & K. P. Meadow-Orlans (Eds.): Education and developmental aspects of
deafness. Washington, DC: Gallaudet University Press, 299–320. – KRAUSS, M. W.; UPSHUR, C. C.;
SHONKOFF, J. P.; HAUSER-CRAM, P. (1993): The impact of parent groups on mothers of infants with
disabilities. Journal of Early Intervention, 17, 8–20. – LEVEN, R. (2000): Psychotherapie mit mehrfachbehinderten Hörgeschädigten. Hörgeschädigte Kinder, 37, 131–135. – McCRACKEN, W. (1998): Deaf
children with disabilities. S. Gregory, P. Knight, W. McCracken, S. Powers & L. Watson (Eds.): Issues in
Deaf Education. London: David Fulton, 28–37. – McCRACKEN, W.; SUTHERLAND, H. (1991): Case
studies: Ann. W. McCracken & H. Sutherland (Eds.): Deaf ability – not disability. A guide for the parents
of hearing impaired children. Clevedon: Multilingual Matters, 152–156. – MEADOW-ORLANS, K. P.
(1994): Stress, support and deafness: Perceptions of infants’ mothers and fathers. Journal of Early
Intervention, 18, 91–102. – MEADOW-ORLANS, K. P., SMITH-GRAY, S. & DYSSEGAARD, B. (1995):
Infants who are deaf or hard of hearing, with and without physical/cognitive disabilities. American
Annals of the Deaf, 140, 279–286. – MEADOW-ORLANS, K. P.; MERTENS, D. M., SASS-LEHRER, M.
A. & SCOTT-OLSON, K. (1997): Support services for parents and their children who are deaf or hard of
hearing. American Annals of the Deaf, 142, 278–288. – MEADOW-ORLANS, K. P.; MERTENS, D. M.;
SASS-LEHRER, M. A. (2003): Parents and their deaf children. The early years. Washington, DC: Gallaudet
University Press. – OBERHOLZER, A. (1993): Behinderte als Prototypen des neuen Menschen. Behinderte zwischen Abfall und Avantgarde. Ch. Mürner & S. Schriber (Hg.): Selbstkritik der Sonderpädagogik? Stellvertretung und Selbstbestimmung. Luzern: Edition SZH, 155–166. – OERTER, R. (19953): Kultur, Ökologie und Entwicklung. R. Oerter, R. & L. Montada (Hg.): Entwicklungspsychologie. Weinheim:
Psychologie Verlags Union, 84–127. – PIPP-SIEGEL, S.; SEDEY, A. L.; YOSHINAGA-ITANO, C. (2002):
Predictors of parental stress in mothers of young children with hearing loss. Journal of Deaf Studies and
Deaf Education 7, 1–17. – RABKIN, J. (1979): Ethnic density and psychiatric hospitalisation: hazards of
minority status. American Journal of Psychiatry, 136, 1562–1566. – ROWELL, E. G. (1987): Learning
disability assessment. H. Elliott, L. Glass, & J. W. Evans (Eds.): Mental health assessment of deaf clients:
A practical manual. Boston, MA: College Hill, 107–119. – SCHUYLER, V.; RUSHMER, N. (1987): Parentinfant habilitation: A comprehensive approach to working with hearing-impaired infants and toddlers
and their families. Portland, OR: IHR Publications. – SCORGIE, K.; WILGOSH, L.; McDONALD, L. (1998):
Stress and coping in families of children with disabilities: An examination of recent literature.
Developmental Disabilities Bulletin, 26, 22–42. – SCHWOPE, H. (1995): Zur gegenwärtigen Situation
der pädagogischen Förderung mehrfachbehinderter hörgeschädigter Kinder in Niedersachsen.
Hörgeschädigtenpädagogik, 49, 319–333. – SINGER, G. H. S.; MARQUIS, J.; POWERS, L. K.;
BLANCHARD, L.; DIVENERE, N.; SANTELLI, B.; AINBINDER, J. G.; SHARP, M. (1999): A multisite
evaluation of parent-to-parent programs for parents of children with disabilities. Journal of Early Intervention, 22, 217–229. – Statistisches Bundesamt (2002): Die deutsche Bevölkerung nach Altersgruppen und Bildungsabschluss. Wiesbaden. – WATKINS, S.; CLARK, T.; STRONG, C.; BARRINGER, D.
(1994): The effectiveness of an intervener model of services for young deaf-blind children. American
Annals of the Deaf, 139, 404–409. – YAU, M. K.; LI-TSANG, C. W. P. (1999): Adjustment and adaption
in parents of children with developmental disability in two-parent families: A review of the characteristics
and attributes. The British Journal of Developmental Disabilities, 45, 38–51. – YOSHINAGA-ITANO, C.
(2003): From screening to early identification and intervention: Discovering predictors to successful
outcomes for children with significant hearing loss. Journal of Deaf Studies and Deaf Education, 8, 11–30.
Die Autoren: Prof. Dr. Manfred Hintermair, Dipl.-Psychologe, Pädagogische Hochschule Heidelberg,
Institut für Sonderpädagogik, Zeppelinstraße 3, 69121 Heidelberg, hintermair@ph-heidelberg.de.
Gerda Hülser, Dipl.-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin, Regens-Wagner-Stiftung
Hohenwart, Richildisstraße 13, 86558 Hohenwart, gerda.huelser@regens-wagner.de
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
35
36
Karin Astegger
Qualitätsmanagement in der Frühförderung und Familienbegleitung
der Lebenshilfe Salzburg
Karin Astegger
Qualitätsmanagement in der Frühförderung
■ Seit Mitte der 1990er Jahre ist Qualitätsmanagement in sozialen Institutionen
und in der Frühförderung zum zentralen Thema geworden und wird im Zusammenhang mit verschiedenen Schlagworten wie Leistungsbeschreibung, Vergütungs- und
Prüfvereinbarungen, Qualitätsstandards, Qualitätssicherung diskutiert (LANNERS
2002; LEYENDECKER 2000; PETERANDER 1996; STEINMETZ & EGGER 2001).
Auch soziale Dienstleistungen werden dahingehend hinterfragt, ob sie das Beste
für den Verbraucher bzw. Nutzer (im Falle von Frühförderung sind das Eltern und
Kinder) erbringen (LEYENDECKER 2000). Dabei ist das Einbeziehen der subjektiven
Perspektive der Nutzer(innen) – also Elternzufriedenheit – ebenso wichtig wie die
Beurteilung objektiver fachlicher Standards, die Konsumenten auch ohne Expertenwissen voraussetzen können sollten (FELCE & PERRRY 1996; KRON 2000; LANNERS
2002; NEUBAUER 2001; PRETIS 1998).
Aufgrund der unterschiedlichen historischen Ausgangsbedingungen gibt es derzeit
keine einheitlichen Konzepte und Organisationsformen der Behindertenarbeit in
den EU-Ländern (Helios II: PETERANDER 1996). Innerhalb einzelner Länder finden
wir regional sehr unterschiedliche Gegebenheiten und eine Vielfalt bewährter
Organisationsformen und Praxiskonzepte (siehe z. B. KRON 2000; VIFF 1999 für
Deutschland, PRETIS 2000 für Österreich). Ebenso sind die Modelle und Daten zum
Qualitätsmanagement in den einzelnen Institutionen sehr unterschiedlich (LANNERS
2002; PRETIS 1998), was die Vergleichbarkeit erschwert. Erstrebenswert wäre es,
die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, um Begleitevaluation über die regionalen Frühförderstellen hinaus zu ermöglichen und Erkenntnisgewinn und gegenseitige Bereicherung durch Vergleich auf überregionaler und internationaler Ebene zu
gewährleisten (PETERANDER 1996; 2000; PRETIS 2000).
In Deutschland und Österreich ist die Forschungslage zum Qualitätsmanagement
noch nicht sehr breit, vor allem, was Ergebnisqualität (LEYENDECKER 2000a; WEIß
1999) und die Einbeziehung von Elternzufriedenheit (LANNERS 2002) sowie Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter(innen) (WEIß 1999) betrifft. Es gibt auch eine Reihe
ungelöster methodischer Probleme in der wissenschaftlichen Evaluation von Frühförderung (PRETIS 1998).
In Deutschland hat die Einführung zur gesetzlichen Verpflichtung der Qualitätssicherung (§§93 ff. BSHG, seit Januar 2005 §§ 75–77 Sozialgesetzbuch, Zwölftes
Buch, SGB XII) im Rahmen von Leistungsverträgen die Beschäftigung mit dem Thema intensiviert (z. B. BOPP & MOSER 2001; LEYENDECKER 2000; STEINMETZ &
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Qualitätsmanagement in der Frühförderung und Familienbegleitung der Lebenshilfe Salzburg
EGGER 2001; WACKER 2000) und auch zu einer Reihe wissenschaftlich begleiteter
Projekte zur Einführung von Qualitätsmanagementsystemen in Einrichtungen der
Frühförderung und Familienbegleitung geführt (z. B. BOPP & MOSER 2000; HARZER, KOTTMANN & SCHILLMAIER 2000; HECKMANN & PALUBITZKI 2001; HÜLSKEN
2000; KESSMANN 2000; KORSTEN & WANSING 2000; LEYENDECKER & WACKER
2000; STEINMETZ & EGGER 2001). Abgesehen von den Evaluationsergebnissen und
Qualitätsmanagementhandbüchern in den an den Projekten beteiligten Einrichtungen resultierten daraus auch Planungs- und Gestaltungshilfen, die von anderen
Einrichtungen verwendet werden können (z. B. Arbeitsstelle Frühförderung Bayern
o. J.; KORSTEN & WANSING 2000; VKELG 1999).
Die Vorgangsweise war in den verschiedenen Projekten recht ähnlich: Ist-Beschreibung der gewählten Parameter, Reflexion und Identifizieren von Handlungsbedarf,
Soll-Beschreibung und Festhalten der Erkenntnisse in einem QualitätsmanagementHandbuch, das als Basis verwendet wird für regelmäßige kontinuierliche Verbesserungsprozesse. Es wurden möglichst viele Mitarbeiter(innen) eingebunden bei Projekt
und Implementierung des Qualitätsmanagement-Systems, das Hilfe nach innen (Qualitätssicherung und -entwicklung) wie nach außen (bezüglich Kostenträger) sein soll.
Die bisherigen Erfahrungen werden durchweg als sehr positiv beschrieben hinsichtlich der Optimierung des Arbeitsfelds sowie bezüglich des Dialogs mit Kostenträgern
(z. B. BOPP & MOSER 2001; KORSTEN & WANSING 2000; STEINMETZ & EGGER
2001).
Frühförderung und Familienbegleitung in Österreich
Frühförderung wird in allen neun österreichischen Bundesländern angeboten. Die
Finanzierung erfolgt großteils über Gelder der Behindertenhilfe. Leistungs- und
Entgeltvereinbarungen werden jeweils mit dem regionalen Rechts- und Kostenträger
geschlossen.
Die Situation der Frühförderung in Österreich ist nicht leicht zusammenzufassen,
da es eine gewisse Heterogenität hinsichtlich Organisationsformen sowie rechtlichen
und finanziellen Rahmenbedingungen gibt. Eine Studie von PRETIS (2000), die eine
Bestandsaufnahme in allen Bundesländern zum Ziel hatte, zeigt Unterschiede, aber
auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten.
Frühförderung wird großteils als pädagogisch-psychologische Förderung des Kindes
sowie Begleitung bzw. Beratung der Familien angeboten. Der häufig verwendete
Begriff interdisziplinär weist auf die unterschiedlichen Quellberufe der Mitarbeiter(innen) hin. Medizinisch-therapeutische Angebote werden über andere Träger oder
andere Abteilungen derselben Träger angeboten und über die Krankenkassen finanziert. Die Koordination und Zusammenschau der einzelnen Angebote für ein Kind
und seine Familie erfolgen somit über interne oder externe Kooperation.
Die Bewilligung der Frühförderung erfolgt in den meisten Bundesländern über ein
behördliches Verfahren, nur in zwei Bundesländern (Salzburg und Wien) gibt es
einen niederschwelligen Zugang, bei dem sich die Familien direkt an die Frühförderstellen wenden und nur eine Empfehlung des Arztes mitbringen.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
37
38
Karin Astegger
Die Dienstleistung wird großteils mobil bei den Familien zu Hause erbracht, alle
Stellen sind aber auch für ambulante Frühförderung ausgerüstet. Im Regelfall erfolgt die Förderung wöchentlich.
Das Alter der Kinder variiert in den einzelnen Bundesländern, teilweise auch bedingt durch unterschiedliche Altersobergrenzen für die Förderung. Das Durchschnittsalter bei Beginn beträgt nach PRETIS (2000) 26,9 Monate. Dieses relativ hohe Alter
zu Beginn ist teilweise auf mangelnde Information und Aufklärung, teilweise auf
Wartelisten der Frühförderstellen zurückzuführen. Die durchschnittliche Dauer der
Frühförderung liegt österreichweit bei ca. zwei Jahren.
Neben der direkten Arbeit mit den Familien ist auch Zeit vorgesehen für Vorbereitung, Dokumentation, Besprechungen, Supervision, Kooperation bzw. Netzwerkarbeit etc., so dass pro Vollzeitkraft im Schnitt 12,78 Familien zu betreuen sind
(PRETIS 2000).
Die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter(innen) (z. B. Art des Dienstvertrags, Entlohnung ...) sind allerdings in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich.
Im Bundesland Salzburg ist die Lebenshilfe – abgesehen von einem kleinen Spezialangebot für Hör- und Sehfrühförderung – der einzige Anbieter und erbringt Frühförderung seit 17 Jahren. In acht Stellen, die über das ganze Bundesland verteilt
sind, arbeiten 16 Fachkräfte, die ca. 160 Familien betreuen aus einem Einzugsgebiet von ca. 550.000 Einwohnern. Die Dienstleistung wird durchschnittlich zu 80 %
mobil und zu 20 % ambulant erbracht, der Großteil der Kinder liegt im Alter zwischen
zwei und vier Jahren, die ältesten Kinder sind bis zu sechs Jahre alt.
Die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sind als gut zu bezeichnen
mit niederschwelligem Zugang ohne behördliches Verfahren, Kostenübernahme ohne
Selbstbehalt für die Eltern und einer Pauschalfinanzierung für den Träger, was eine
sehr flexible und individuelle Angebotserbringung ermöglicht.
Evaluation in der Frühförderung und Familienbegleitung
der Lebenshilfe Salzburg
Ziel der Lebenshilfe Salzburg war es, mit dem Auftakt einer Standortbestimmung –
also einer umfangreichen Evaluation – ein lebendiges Qualitätsmanagement aufzubauen. Um dafür die nötige Akzeptanz zu erreichen, haben wir ein Projekt entwickelt,
das von Anfang an die Mitarbeiter(innen) eingebunden hat.
Ziele
Konkret verfolgten wir mit dem Evaluationsprojekt folgende Ziele:
– Systematische Reflexion der eigenen Qualität mit einem umfangreichen Instrumentarium und Ableiten konkreter Maßnahmen für Qualitätssicherung und -entwicklung;
– über den Einsatz eines publizierten Instrumentariums (das auch für andere zugänglich und anwendbar ist) längerfristig den Vergleich mit anderen Anbietern
zu ermöglichen;
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Qualitätsmanagement in der Frühförderung und Familienbegleitung der Lebenshilfe Salzburg
– Erarbeitung organisationsinterner Grundlagen für ein systematisches Qualitätsmanagement als Voraussetzung für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess.
Projektstruktur und Methodik
Im Sinne der Akzeptanz bei den Mitarbeiter(inne)n und der Erarbeitung eines individuellen Qualitätsmanagementansatzes, der tatsächlich gelebt wird, wurde eine
Projektstruktur entwickelt, die während der gesamten Laufzeit eine möglichst breite
Einbindung der Frühförderinnen sicherstellen sollte.
Eine Projektgruppe, acht Mitarbeiter(innen) und Qualitätsmanagement, leistete die
Hauptarbeiten: Adaptierung aller Fragebögen an die regionalen Gegebenheiten,
Ergebnisdiskussionen und Ableitung von Handlungsbedarf gemeinsam mit der Abteilungsleiterin.
Jedes (Zwischen)ergebnis wurde an alle Mitarbeiter(innen) zurückgespiegelt, die in
den Teamsitzungen ihre Anmerkungen und Änderungswünsche einbrachten, die
wiederum von der Projektgruppe verarbeitet wurden. Darüber hinaus gab es während
der Projektlaufzeit im Rahmen von Frühförderfachtagungen Raum für Zwischenberichte, gemeinsame Diskussionen und weitere Planung. Solche Tagungen sind ein
Forum für alle Mitarbeiter(innen) und die Abteilungsleiterin der Frühförderung und
Familienbegleitung, die in der Regel zweimal pro Jahr stattfinden, während der
Projektlaufzeit öfter).
In Anlehnung an ein von KORSTEN und WANSING im Jahr 2000 publiziertes Instrumentarium wurden Selbstevaluierungen zu den Bereichen Struktur-, Prozess- und
Ergebnisqualität1 sowie Fragebogenuntersuchungen zu Arbeitszufriedenheit und
Elternzufriedenheit durchgeführt, die Untersuchung zur Elternzufriedenheit im Rahmen einer Diplomarbeit (SOMMERAUER 2002). Alle anderen Erhebungen erfolgten
durch die Lebenshilfe Salzburg.
Das Evaluationsprojekt umfasste die Abschnitte Ist-Erhebung, Auswertung und Reflexion, Maßnahmenkatalog (erstellen und umsetzen) und öffentliche Diskussion
der Ergebnisse, z. B. im Rahmen eines Symposiums.
Ergebnisse
Es liegen sehr umfangreiche Ergebnisse vor, die hinsichtlich Stärken und Handlungsbedarf durchgearbeitet wurden und in einen Maßnahmenkatalog mündeten, der
sowohl betriebsinterne Aufgaben als auch Maßnahmenpakete beinhaltet, die mit
dem Kostenträger zu klären sind. In Tabelle 1 findet sich ein Überblick über die
Elemente der Evaluation. Im Folgenden werden einige wichtige Ergebnisaspekte
dargestellt.
1
Strukturqualität bezieht sich auf die Rahmenbedingungen (z. B. Räumlichkeiten, Personal), Prozessqualität fokussiert darauf, wie die Leistung erbracht wird (z. B. Prozesse, Abläufe) und Ergebnisqualität
bringt zum Ausdruck, welche Veränderungen, Ergebnisse durch die Dienstleistung erzielt werden konnten.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
39
40
Karin Astegger
Ergebnisbereiche
Selbstevaluierung
durch die Teams der
Frühförderstellen
(N=8)
Fragebogenuntersuchung
Elternzufriedenheit
(N=44)
Strukturqualität
X
X
Prozessqualität
X
X
Ergebnisqualität
X
X
Fragebogenuntersuchung
Arbeitszufriedenheit
(N=14)
X
Tab. 1: Elemente der Evaluation
Die Selbstevaluierung wurde an allen acht Frühförderstellen im Zeitraum von Dezember 2002 bis Juli 2003 vom jeweiligen Team bzw. der/dem jeweiligen Mitarbeiter(in) durchgeführt.
Jutta SOMMERAUER führte im Dezember 2001 im Rahmen ihrer Diplomarbeit eine
Fragebogenuntersuchung zur Elternzufriedenheit durch. Sie setzte eine adaptierte
Form des Instrumentariums von KORSTEN und WANSING (2000) ein. Von 139 versendeten Fragebögen wurden 44 ausgefüllt retourniert, was einer Rücklaufquote
von 31,7% entspricht.
Im Mai 2003 wurde der Fragebogen zur Arbeitszufriedenheit an die damals 15
Mitarbeiter(innen) der Frühförderung und Familienbegleitung ausgegeben. Die Beteiligung war mit 93,3% extrem hoch, ein einziger Fragebogen wurde nicht retourniert.
Strukturqualität
Expert(inn)en und Eltern beurteilen aus ihrer jeweiligen Perspektive die Rahmenbedingungen mobiler und ambulanter Frühförderung recht positiv. Einzelne
Verbesserungspotenziale können organisationsintern aufgegriffen werden (z. B.
Aktualisierung des Konzepts im Rahmen der Evaluierung; verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, um die Bekanntheit des Angebots zu erhöhen). Der größere Teil des Handlungsbedarfs ist allerdings in Kooperation mit dem Kostenträger zu diskutieren, da
er sich auf eine quantitative oder qualitative Angebotserweiterung bezieht:
– Kapazitätserweiterung, um Wartezeiten zu verkürzen, früheren Beginn und längere Dauer von Frühförderung und Familienbegleitung zu ermöglichen;
– inhaltliche Produkterweiterung, um Einbegleitung in Kindergarten oder Schule
über Ausnahmefälle hinaus zu ermöglichen sowie zusätzliche Beratungs- und
Schulungsangebote sowie Angebote für Elternkontakte anzubieten.
Prozessqualität
Sowohl Eltern als auch Fachkräfte äußerten höchste Zufriedenheit mit dem Aufnahmeprozess und dem Förderprozess selbst.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Qualitätsmanagement in der Frühförderung und Familienbegleitung der Lebenshilfe Salzburg
Diagnostik und Förderplanung erfahren von beiden Gruppen sehr gute Gesamtbewertungen, von einem Teil der Eltern werden allerdings Erklärungen zu diagnostischen Verfahren als mangelhaft erlebt, woraus sich Verbesserungsbedarf bezüglich
der Transparenz im Diagnoseprozess ableitet.
Die Beziehungsgestaltung zum Kind wird von Expert(inn)en und Eltern recht positiv
bewertet, ebenso die Zusammenarbeit von Eltern und Fachkräften der Frühförderung.
Ein Teil der Eltern erlebt Mankos bei spezifischen Elternangeboten und organisatorischen Hilfen zur Inanspruchnahme weiterer Hilfen, z. B. Vermittlung von Angeboten anderer Organisationen, Hilfe bei Behörden.
Mehr als 15 % der Eltern geben an, dass sie Entlastung durch die Förderung eher
nicht erleben. Natürlich ist das Ausmaß subjektiv erlebter Entlastung auch abhängig
von persönlichen und situativen Faktoren; dennoch müssen die Expert(inn)en überlegen, wie sie Entlastungseffekte für die Eltern optimieren und belastende Effekte
der Frühförderung und Familienbegleitung minimieren können.
Kooperation im Team und mit einzelnen Trägern wird von den Fachkräften positiv
bewertet, netzwerkbezogene Kooperation sollte ausgebaut werden. Auch bezüglich
Dokumentation wird Verbesserungspotential gesichtet.
Prozessqualität erweist sich insgesamt als ein Bereich, der sowohl aus Expert(inn)enals auch aus Kund(inn)ensicht großteils sehr zufriedenstellend gelöst ist.
Organisationsintern können mehr Aspekte hinsichtlich Verbesserung aufgegriffen
werden als bei der Strukturqualität (z. B. Transparenz im Diagnoseprozess, Entlastung
der Eltern, Dokumentation). Aber auch hier kristallisieren sich Themen heraus, die
nur in Kooperation mit dem Kostenträger bearbeitet werden können, wie Mankos
bezüglich spezifischer Elternangebote und organisatorischer Hilfen zur Inanspruchnahme weiterer Hilfen.
Ergebnisqualität
Bezüglich der Evaluationsmöglichkeiten und -gepflogenheiten sind die Fachkräfte
der Frühförderung nur teilweise zufrieden.
Weiterentwicklungsbedarf sehen sie primär bezüglich der Evaluierung familienbezogener Ergebnisse, dem Einsatz valider diagnostischer Verfahren und der Verankerung regelmäßiger Erhebungen zur Elternzufriedenheit.
Die Gesamtbewertung der für sie sichtbaren oder spürbaren Wirkungen der Frühförderung und Familienbegleitung fällt bei den Eltern sehr positiv aus: nur eine Familie
ist nicht zufrieden.
Deutlich individueller und damit im Mittel weniger positiv wurden die einzelnen im
Fragebogen vorgegebenen Ergebniskomponenten beurteilt. Entwicklungsfortschritte
beim Kind sind für alle wahrnehmbar und für einen Großteil auch Veränderungen
bei ihren eigenen Einstellungen, Perspektiven und Verhaltensweisen: Sie sehen zuversichtlicher in die Zukunft des Kindes, fühlen sich sicherer im Umgang mit dem
Kind – auch in der Öffentlichkeit – und können Verhaltensweisen des Kindes besser
beobachten und verstehen.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
41
42
Karin Astegger
Eine Entspannung der gesamten Familiensituation blieb für deutlich mehr Eltern
aus, ebenso wie das Kennen lernen von Eltern mit ähnlichen Problemen.
Bezüglich der Arbeitssituation herrscht höchste Zufriedenheit hinsichtlich Teamaspekten sowie Mitsprache und Gestaltungsmöglichkeiten der Mitarbeiter(innen).
Besonders positiv bewertet wurden die flexible Einteilung der Arbeitszeit, inhaltliche
Gestaltungsmöglichkeiten, das Ausmaß an beruflicher Freiheit und Selbstständigkeit sowie die Einbindung in Entscheidungsprozesse.
Bei anderen Parametern vertreten die Mitarbeiter(innen) keine einhellige Meinung,
sondern nützen die ganze Bewertungsbandbreite, so dass individuelle Problemanalysen und Lösungsansätze angebracht erscheinen, z. B. bei Gehalt und Fortbildung.
Zusammenfassend betrachtet fällt die Bewertung der Ergebnisqualität bei Eltern
und Frühförderinnen weniger einhellig und daher auch im Mittel weniger positiv
aus als bei den beiden anderen Qualitätsbereichen. Dadurch ist auch das eindeutige Ableiten von Handlungsbedarf schwieriger.
Die Frühförderinnen beurteilen einige Aspekte ihrer Arbeit, wie Teamkomponenten
sowie Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten, sehr positiv, anderen stehen sie
teilweise kritisch gegenüber, z. B. bei Entlohnung und Fortbildungsmöglichkeiten.
Weiterentwicklungsbedarf sehen sie bezüglich Evaluation.
Eltern schreiben der Frühförderung und Familienbegleitung insgesamt hohe Wirksamkeit zu, erleben aber bei weitem nicht so eindeutig die einzelnen Ergebniskomponenten. Dies wirft Fragen zur Wirksamkeit ebenso auf wie zur Erhebungsmethodik.
Fassen wir die Ergebnisse zusammen, so zeigt sich, dass Struktur- und Prozessqualität von Eltern und Expert(inn)en insgesamt und hinsichtlich vieler Aspekte als
sehr zufriedenstellend bewertet wurden.
Bei der Ergebnisqualität waren die Beurteilungen weniger einhellig und daher im
Mittel weniger positiv. Bei teilweise großen Bewertungsunterschieden war das Ableiten allgemeinen Handlungsbedarfs auch entsprechend schwieriger.
Maßnahmenkatalog
Für alle Bereiche mit Handlungsbedarf wurden von der Projektgruppe Maßnahmen
definiert und zu einem Gesamtmaßnahmenkatalog verdichtet, inklusive Vorgangsweise, Zuständigkeit und Prioritätensetzung.
Organisationsintern zu bearbeitende Verbesserungspotentiale zeigten sich am ehesten im Bereich der Prozessqualität. In den Bereichen Struktur- und Ergebnisqualität
überschreiten sie teilweise den Handlungsspielraum oder die Fähigkeiten des
Dienstleistungsanbieters, z. B. bei Fragen der quantitativen und qualitativen Erweiterung sowie bei der Entwicklung einer Methodik zur Ergebnisevaluation.
Organisationsintern wurden die wichtigsten Themen bereits parallel zum Projekt in
Angriff genommen: Diagnostik, Dokumentation, Präsentation und Öffentlichkeits-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Qualitätsmanagement in der Frühförderung und Familienbegleitung der Lebenshilfe Salzburg
arbeit, Struktur- und Ablaufoptimierungen, dauerhafte Strukturen für Qualitätssicherung und -entwicklung, Konzeptaktualisierung.
In Kooperation mit dem Kostenträger zu klären sind Fragen der quantitativen und
qualitativen Angebotserweiterung. Die Ergebnisse der Evaluation wurden den zuständigen Behörden schriftlich übermittelt, und es fanden bereits Gespräche statt
bezüglich spezifischer Zielgruppen und Leistungskatalog. Konkrete Unterstützung
vom Kostenträger gab es zum Ausbau des Bekanntheitsgrads unseres Angebots,
um Förderung zu einem früheren Zeitpunkt zu ermöglichen. Ebenso gibt es behördenübergreifende Ansätze, um Lösungen für Zielgruppen zu finden, die nicht zum zentralen Personenkreis der Frühförderung zählen, die aber bisher mangels Alternativen Kapazitäten binden. Insgesamt ist der Erfolg der Gespräche aber primär darin
zu sehen, dass trotz der aktuell schlechten Finanzlage die bisherige Qualität beibehalten werden kann. Wir konnten zwar keine zusätzlichen Angebote in die Produktbeschreibung aufnehmen, wie z. B. Dolmetscherhilfe für fremdsprachige Familien,
konnten aber unsere bisherige Angebotspalette mit hohem Anteil an aufsuchender
Förderung, ausreichender Zeit pro Familie etc. halten.
Hinsichtlich der Ergebnisqualität kristallisiert sich am deutlichsten ein Mangel an
geeigneten Instrumentarien für die Evaluierung heraus. Mit den vorliegenden Ergebnissen lässt sich nicht klären, inwieweit die aufgeworfenen Fragen zur Wirksamkeit methodischer oder inhaltlicher Natur sind. Hier wäre Weiterentwicklung
von Seiten bzw. in Kooperation mit der Wissenschaft gefordert.
Bewertung des Projekts
Zu den Ergebnissen zählen für uns auch die Erfahrungen mit dem Projekt als Methode
oder Weg. Die Bewertung der Erfahrungen aus Kund(inn)en-, Mitarbeiter(innen)und Organisationssicht sind maßgeblich dafür, wie wir zukünftig vorgehen wollen.
Die Sicht der Kund(inn)en
Die Frage nach der Elternzufriedenheit findet relativ großen Anklang: 76,9 % finden eine solche Befragung sinnvoll oder eher sinnvoll und 95 % der beteiligten
Familien nahmen sich gern oder eher gern dafür Zeit.
Der konkrete Fragebogen fand weniger Anklang. Möglicherweise ist dies ein Ausdruck dafür, dass viele Eltern wenig Erfahrung haben mit solchen Instrumenten und
es als eher schwierig empfinden, ihre persönlichen Erfahrungen darin abzubilden.
Dafür sprechen auch einige spontane zusätzliche Kommentare, die andeuten, dass
die Fragen nicht immer leicht zu verstehen waren und dass einige sich Hilfe beim
Ausfüllen gewünscht hätten.
Da der Fragebogen von den Autor(inn)en primär als ein Instrument für eine gemeinsame Abschlussbesprechung von Eltern und Frühförderern konzipiert wurde,
kann man bei dieser Anwendungsform wahrscheinlich einige Probleme umgehen,
man müsste allerdings dann auf die Anonymität verzichten.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
43
44
Karin Astegger
Die Sicht der Mitarbeiter(innen) der Frühförderung und
Familienbegleitung
Neben der Arbeitsbelastung durch das Projekt wurden von den Mitarbeiter(inne)n
eine Reihe positiver Wirkungen wahrgenommen:
– Einbindung und Mitbestimmung: Transparenz, Eingebundenheit in Entscheidungen, Wertschätzung und Nutzung der Ressourcen der Mitarbeiter(innen);
– Erkenntnisgewinn für die tägliche Praxis: intensiver Austausch und Diskussion,
Reflexion auf der Meta-Ebene;
– Kommunikation und Kooperation: neue Kommunikationswege durch Reflexionsschleifen, bessere Aufgabenteilung und Zusammenarbeit.
Dies spricht für hohe Akzeptanz der Vorgangsweise und gute Voraussetzungen für
die Umsetzung definierter Maßnahmen. Darüber hinaus äußerten die Fachkräfte
der Frühförderung auch explizit den Wunsch nach regelmäßigen Erhebungen zur
Dienstleistungsqualität.
Die Sicht der Organisation
Aus Organisationssicht hat sich das Projekt im Sinne interner Optimierung und für
die Kooperation mit wichtigen Partnern eindeutig bewährt (vor allem Kostenträger).
So wurde z. B. schon während der Projektlaufzeit eine Reihe von Abläufen beschrieben und optimiert, ausgezeichnetes Präsentationsmaterial wurde erarbeitet,
z. B. Video und DVD, Folder in mehreren Sprachen, die bei unseren Kooperationspartnern ausliegen und über unser Angebot und den Zugang zur Frühförderung
und Familienbegleitung informieren (türkisch, serbo-kroatisch). Diagnostikmaterialien
wurden bedarfsgerecht erweitert, ein hoch qualitatives Symposium wurde zum
Projektabschluss vorbereitet und organisiert.
Auch für die Gespräche mit dem Kostenträger waren die objektiven, gut aufbereiteten Ergebnisdarstellungen sehr hilfreich. Immerhin ist in Zeiten, in denen rundherum
von Einsparungen die Rede ist, das Beibehalten der bisherigen Qualität ein wichtiges
Ergebnis. Darüber hinaus wurde von den Behörden Unterstützung für übergreifende
Angebotsfragen bereitgestellt, Betreuung älterer Kinder (in Kindergarten und Schule)
und Begleitung ihrer Eltern, um somit indirekt Kapazitäten der Frühförderung und
Familienbegleitung freizulegen. Ergebnisse dieser Bemühungen sind abzuwarten.
Schlussdiskussion
Über das Projekt konnten wir breite Akzeptanz für Qualitätsmanagement bei den
Mitarbeiter(inne)n erreichen sowie umfangreiche Erkenntnisse zur Qualität unseres
Angebots erlangen. Die Identifikation der Mitarbeiter(innen) mit dem Evaluationsprozess und seinen Ergebnissen ist groß, sodass die meisten organisationsintern zu
bearbeitenden Verbesserungspotentiale bereits projektbegleitend umgesetzt werden konnten.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Qualitätsmanagement in der Frühförderung und Familienbegleitung der Lebenshilfe Salzburg
Die Ergebnisse selbst und die Art, wie sie gewonnen wurden, führten also in unserer Organisation umgehend zu einer Qualitätsentwicklung. Dazu gehört auch, dass
Strukturen und Vorgangsweisen definiert wurden, wie nach Projektende die Qualität der Dienstleistung kontinuierlich reflektiert und verbessert werden kann. Aus
den Reihen der Mitarbeiter(innen) wurde ein Qualitätszirkel gebildet, der die Verantwortung für diesen Aufgabenbereich trägt. Für die regelmäßig geplanten
Evaluierungen – inklusive Kund(inn)en- und Mitarbeiter(innen)perspektive – gibt es
Unterstützung vom Qualitätsmanagement.
Für die Verhandlungen mit dem Kostenträger haben wir über die umfangreichen
Ergebnisse und die öffentliche Präsentation beim Symposium eine fundiertere Basis
gewonnen.
Von Elternseite erhielten wir positive Rückmeldung zu dem Faktum, dass wir nach
der Sichtweise und Bewertung unserer Kund(inn)en gefragt haben. Die Art und
Weise scheint verbesserungswürdig, und wir werden dies für die nächste Erhebung,
versuchen zu berücksichtigen (Die Fragebogen wurden im Dezember 2004 an die
Eltern gegeben).
Mit dem Anfang 2004 veranstalteten Symposium sowie begleitender Medienpräsenz
versuchten wir eine breitere Diskussion des Themas anzuregen. Viele positive Rückmeldungen von Teilnehmer(inne)n sowie interessierte Anfragen anderer Organisationen scheinen zu zeigen, dass wir auch dieses Ziel ein Stück weit erreicht haben.
Besonders freuen würde es uns, wenn sich daraus eine engere Kooperation mit
anderen Anbietern und zukünftige Vergleichsmöglichkeiten im Sinne gegenseitigen Lernens entwickeln würden. ■
Kurzfassung Die Frühförderung und Familienbegleitung der Lebenshilfe
Salzburg hat mit einer umfangreichen Evaluation den Auftakt zum Aufbau eines
lebendigen Qualitätsmanagements gesetzt. Selbstevaluierungen zu Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität sowie Fragebogenerhebungen zu Eltern- und Mitarbeiterzufriedenheit wurden durchgeführt. Im Sinne der Akzeptanz wurde mit einer Projektstruktur gearbeitet, die während der gesamten Laufzeit eine möglichst breite Einbindung der Mitarbeiter(innen) sicherstellte. Vorgangsweise, Erfahrungen mit dem
Projekt, wesentliche Ergebnisse und daraus abgeleitete Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung werden dargestellt.
Abstract Quality Management in Early Intervention and Family Support of Lebenshilfe Salzburg. The first step towards a strong quality management of the
early intervention and family support of Lebenshilfe Salzburg was a thorough
evaluation. Self-evaluations about the quality of structure, process and results as
well as interviews per questionnaires about the consent of the staff and the parents
were conducted. To safeguard acceptance a project structure was applied which
guaranteed a broad-based participation of the staff. The article deals with the
procedures, experiences with the project, important results and measures to improve
the quality.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
45
46
Karin Astegger
Literatur
Arbeitsstelle Frühförderung Bayern (o. J.): Organisationshandbuch zur Qualitätsentwicklung an interdisziplinären Frühförderstellen in Bayern. München: Eigenverlag. – BOPP, C.; MOSER T. (2001):
Qualitätsmanagement auf der Grundlage von SYLQUE. Erfahrungsbericht über ein Projekt für Frühförderstellen. Frühförderung interdisziplinär, 20, 105–115. – FELCE, D.; PERRY, J. (1996): Assessment
of Quality of Life. R. L. Schalock (Ed.): Quality of Life, vol. 1. Conceptualization and Measurement.
Washington: American Association on Mental Retardation, 63–72. – HARZER, W.; KOTTMANN, G.;
SCHILLMAIER, A. (2000): Organisationshandbuch zur Qualitätsentwicklung an interdisziplinären Frühförderstellen in Bayern. C. Leyendecker & T. Horstmann (Hg.): Große Pläne für kleine Leute. München:
Ernst Reinhardt, 346–351. – HECKMANN, C.; von PABLUBITZKI, J. (2001): Zur Situation heilpädagogischer Frühförderstellen in Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse einer Einrichtungsbefragung zur
Struktur- und Prozessqualität. Frühförderung interdisziplinär, 20, 1–12. – HÜLSKEN, H. (2000): Beschreibung des Projekts „Qualität als Weg“ und Arbeitshilfe zur Entwicklung eines Qualitätsmanagementhandbuches in Heilpädagogischen Frühförderstellen der Diözesen Münster, Paderborn und Essen. C.
Leyendecker & T. Horstmann (Hg.): a.a.O., 342–345. – KESSMANN, H.-J. (2000): Vorwort der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes NRW. S. Korsten & G. Wansing
a.a.O., 11–12. – KORSTEN, S.; WANSING, G. (2000): Qualitätssicherung in der Frühförderung. Planungs- und Gestaltungshilfen zum Prozess der Qualitätsentwicklung. Dortmund: vml. – KRON, M.
(2000): Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Frühförderung. Geistige Behinderung 1/2000, 63–
72. – LANNERS, R. (2002): Die Zufriedenheit der Eltern mit Frühförderung. Frühförderung Interdisziplinär, 21, 121–129. – LEYENDECKER, C.; WACKER, E. (2000): Qualität in der Frühförderung sichern
und managen = Wissen, was wir tun. Ein Dialog zwischen Theorie und Praxis. C. Leyendecker & T.
Horstmann (Hg.): a.a.O., 312–325. – LEYENDECKER, C. (2000): „Verbraucherschutz für kleine Leute”
– Einführung und Überblick. C. Leyendecker & T. Horstmann (Hg.): a.a.O., 310–311. – ders. (2000a):
Qualität früher Förderung: Grundlagen und Ziele. S. Korsten & G. Wansing a.a.O., 13–22. – NEUBAUER, E. C. (2001): Die mobile Frühförderung aus Sicht der Eltern. Endbericht zur Evaluation der Mobilen
Frühförderung. Salzburg: Gender Link. – PETERANDER, F. (1996) (Ed.): Helios II. Final Report. Early
Intervention. Information, Orientaion and Guidance of Families. München: Schwarz GmbH. – ders.
(2000): Vom Beobachten zum Wissen – Computerbasierte Analyseprogramme zur Unterstützung einer
praxisnahen Qualitätsentwicklung in der Frühförderung. C. Leyendecker & T. Horstmann (Hg.): o.o.A.,
337–341. – PRETIS, M. (1998): Evaluation interdisziplinärer Frühförderung und Familienbegleitung bei
Kindern mit Down-Syndrom. Bedingungs- und Wirkfaktoren, kovariierende Variablen. Frühförderung
interdisziplinär, 17, 49–63. – ders. (2000): Frühförderung in Österreich. Eine Studie des Sozial- und
Heilpädagogischen Förderinstitutes Steiermark. Graz: SHFI. – SOMMERAUER, J. (2002): Die Qualität
der Frühförderung bei Kindern mit geistigen Entwicklungsverzögerungen. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Paris Lodron Universität, Salzburg. – STEINMETZ, W.; EGGER, M. (2001): Einführung eines
Qualitätsmanagements orientiert an SYLQUE in vorschulischen Einrichtungen der Caritas-Behindertenhilfe – Erfahrungen eines Pilotprojektes. H.-J. Schubert & K. J. Zink (Hg.): Qualitätsmanagement im
Gesundheits- und Sozialwesen. 2. Aufl. Neuwied: Luchterhand, 149–167.– Verband katholischer Einrichtungen und Dienste für lern- und geistigbehinderte Menschen (VKELG) (1999) (Hg.): System
der Leistungsbeschreibung, Qualitätsbeschreibung, Qualitätsprüfung und Entgeltberechnung (SYLQUE)
– Manual IV für Frühförderstellen. Freiburg: Lambertus. – Vereinigung für interdisziplinäre Frühförderung e.V. (1999): Qualitätskriterien für die Frühförderung. Hannover: Eigenverlag. – WACKER,
E. (2000): Qualitätssicherung und -entwicklung in der Frühförderung. S. Korsten & G. Wansing a.a.O.,
23–30. – WEIß, H. (1999): Evaluation in der Frühförderung unter dem Aspekt der fachlichen Qualität.
F. Peterander & O. Speck (Hg.): Qualitätsmanagement in sozialen Einrichtungen. München: Ernst
Reinhardt Verlag, 199–213.
Die Autorin: Mag. Dr. Karin Astegger, Qualitätsmanagement der Lebenshilfe Salzburg gGmbH,
Nonntaler Hauptstr. 55, A-5020 Salzburg.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Weit reichende Entscheidungen
Weit reichende Entscheidungen
Vorstellung einer Studie zum Entscheidungsverhalten von Menschen
mit geistiger Behinderung in Übergängen von der WfbM auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt
Jochen Friedrich
■ Der vorliegende Text berichtet über den Zwischenstand eines Dissertationsvorhabens, das von Prof. Dr. Heinz Mühl vom Institut für Sonderpädagogik, Prävention
und Rehabilitation an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg betreut wird.
Es basiert auf qualitativen Interviews mit Werkstattbeschäftigten1 in Qualifizierungsund Vermittlungsprojekten zur besonderen Förderung von Übergängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Durch die Rekonstruktion des Entscheidungsverhaltens aus der Sicht von Projektteilnehmer(innen)2 sollen Hinweise für Selbstbestimmung und Partizipation fördernde
pädagogische Maßnahmen im Sinne einer „Entscheidungsassistenz“ gewonnen
werden.
Die Vorstellung der Studie in einem noch frühen Stadium soll zur Diskussion über
das Verständnis von den besonderen Herausforderungen eines Wechsels von
Werkstattbeschäftigten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt aus Sicht der Betroffenen beitragen.
Während eine qualitative Studie zu „Lebensverläufen und Entwicklungsperspektiven
behinderter Personen“ (SPIESS 2004) nach ihrer Eingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt bereits vorliegt, richtet die im Folgenden beschriebene Arbeit den inhaltlichen Fokus auf das Entscheidungsverhalten von Werkstattbeschäftigten im
Übergang dorthin.
Eine Innensicht ist notwendig
Zur Unterstützung der für arbeitslose Schwerbehinderte allgemein zuständigen
Integrationsfachdienste werden zunehmend spezielle Qualifizierungs- und
Vermittlungsdienste in WfbM installiert, die mithilfe besonderer Projekte für Menschen mit geistiger oder seelischer Behinderung Übergänge auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt aus der WfbM heraus vorbereiten und begleiten sollen. Dies ist das
Resultat einer zunächst rein quantitativen Feststellung, dass ohne solche besonderen Fördermaßnahmen nur sehr wenige Werkstattbeschäftigte aus dem Beschäftigungsverhältnis der WfbM in ein Arbeitsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln (vgl. SCHÜLLER 2003). Die regional oder landesweit eingerichteten
und meist mit Mitteln der Europäischen Gemeinschaft geförderten Projekte haben
1
2
„Werkstattbeschäftigte“ wird für die in WfbM arbeitenden Menschen mit geistiger Behinderung
verwandt.
„Projektteilnehmer(innen)“ bezeichnet Werkstattbeschäftigte in besonderen Qualifizierungs- und
Vermittlungsprojekten zur Förderung von Übergängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
47
48
Jochen Friedrich
Modellcharakter und somit in der Regel begrenzte Laufzeiten. Ihr vordergründiges
Ziel ist die Vermittlung einer möglichst hohen Zahl von Werkstattbeschäftigten auf
den allgemeinen Arbeitsmarkt, ihr perspektivischer Auftrag ist die Schaffung inhaltlicher und institutioneller Voraussetzungen einer möglichst dauerhaften Durchlässigkeit der WfbM.
Die Beantwortung der Frage nach den fördernden und hemmenden Faktoren für
die Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wird nicht zuletzt durch die Einschätzung der WfbM als Ort beruflicher Integration beeinflusst.
Kritiker der Sondereinrichtung WfbM beschreiben diese als berufliche Einbahnstraße,
die nur eine Anpassung an beschränkte oder gar nicht vorhandene Wahlmöglichkeiten zulässt, worauf das Individuum allenfalls mit einer „resignativen Zufriedenheit“ (vgl. HINZ, BOBAN 2001) reagieren kann. Die Sonderprojekte der WfbM zur
Qualifizierung und Vermittlung in Richtung allgemeiner Arbeitsmarkt sind von diesem Standpunkt aus mehr oder weniger Alibiveranstaltungen. Eine quantitative Sichtweise scheint das auch zu belegen. So waren die Vermittlungserfolge von Projekten
für Menschen mit geistiger Behinderung, wie die der „Hamburger Arbeitsassistenz“,
die möglichst auf die Umgehung der beruflichen Schleife WfbM setzten, deutlich
größer als die in Qualifizierungs- und Vermittlungsprojekten der WfbM.
Auch aus einem anderen Blickwinkel wird der Übergang von der WfbM auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt in Frage gestellt. So verliert angesichts der zweifelhaften
Zukunft von Erwerbsarbeit als lebensstrukturierendes Element die Teilhabe daran
angeblich an Bedeutung und Wert (vgl. MOSEN, SCHEIBNER 2003).
Es besteht offensichtlich die Gefahr, die „Rechnung ohne den Wirt zu machen“,
d. h., die Perspektive von Werkstattbeschäftigten auf ihre berufliche Situation und
Veränderungsinteressen unberücksichtigt zu lassen. Dabei sollten sie doch selbst
formulieren und bewerten, wie Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten und begleitet werden sollen. Gerade der geforderte Wandel von der institutionellen zur personalen bzw. lebensweltlichen Orientierung (vgl. BECK, LÜBBE
2003) macht das Sich-Einlassen auf diese Perspektive bei der Beurteilung von
Partizipationschancen unabdingbar.
Für den Zugang zu einer solchen Innensicht muss Folgendes berücksichtigt werden:
• SGB IX und Werkstattverordnung verlangen verstärkt die Förderung von Übergängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch die WfbM. Das beinhaltet a) die
Anerkennung einer möglichen Vielfalt von Übergangsformen auch über die klassische „Vermittlung“ hinaus und b) die Schaffung einer beruflichen Durchlässigkeit für möglichst viele Werkstattbeschäftigte als Option, deren Wert nicht allein
am Vermittlungserfolg, sondern auch an den im Übergangsprozess gewonnenen
entwicklungsfördernden Erfahrungen gemessen wird. SCHÜLLER (2003) weist
auf die signifikante Steigerung der individuellen Fähigkeiten durch die Qualifizierungs- und Vermittlungsprojekte in WfbM hin. Eine spezielle Untersuchung zur
Bewältigung der vielfältigen Entscheidungsherausforderungen durch Projektteilnehmer(innen) liegt hingegen noch nicht vor.
• Empowerment, verstanden als „Selbstbemächtigung“, beinhaltet, sich gewünschte Formen der Partizipation zu „erkämpfen“. Dies umfasst eine Positions-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Weit reichende Entscheidungen
bestimmung, die von konkreten Menschen mit individuellen Zielen und Ressourcen
in konkreten Kontexten (hier denen des Übergangs von einem Lebens- und Arbeitsort zum anderen) vorgenommen werden muss. Um diesen Prozess im Interesse
und aus der Sicht der betroffenen Menschen zu erfassen, sind qualitative, dialogische Methoden notwendig (vgl. THEUNISSEN, PLAUTE 2002).
• Die Suche nach den Bedingungen für objektive Lebenschancen und subjektives
Wohlbefinden muss offen sein. Das verbietet eine Etikettierung, die bestimmte
Arbeits- und Lebensorte per se als partizipationsfördernd oder -hindernd annimmt.
Lebensqualität muss in ihrer Bedeutung für das lebendige Individuum immer
wieder neu erfahren und begriffen werden, wobei „die relevante Prüfformel für
Lebensqualität“ gesellschaftliche Teilhabe und individuelles Wohlbefinden“ (vgl.
WACKER, WANSING, HÖLSCHER 2003; KEUL 1998) umfasst.
• Die generell erhöhte Riskanz der Lebensführung bei Menschen mit geistiger Behinderung (KLAUSS 2003) sowie spezielle biografische Erfahrungen beeinflussen
das Entscheidungsverhalten von WfbM-Beschäftigten. Nur auf der Grundlage
einer „Würdigung“ der Lebensbewältigung durch das Individuum kann ein Zugang zu Motiven und Ressourcen des Entscheidungshandelns gefunden werden.
• Die Wahrnehmung des „beruflichen“ Status „Werkstattbeschäftigte(r)“ beeinflusst das Ausmaß und die Richtung der beruflichen Identifikation des Individuums. Die Beschäftigung in der WfbM ist außerdem durch spezifische Passagen
gekennzeichnet, deren Verlauf das Entscheidungsverhalten prägen.
• Partizipation verstanden als „Teilhabe“ setzt eine bestimmte Handlungsfähigkeit
voraus, die eine individuell abgestimmte Unterstützung notwendig macht (vgl.
PITSCH 2002). Dem Ziel der Selbstbestimmung folgend, sollte der Unterstützungsbedarf von den Betroffenen definiert werden. Da im beruflichen Feld die Fähigkeit zur Alltagsbewältigung in der Regel nur durch vielfältige Orientierungshilfen
erreicht werden kann, stellt sich an die Geistigbehindertenpädagogik die Aufgabe, Elemente einer Selbstbestimmung und Partizipation fördernden „Entscheidungsassistenz“ zu entwickeln. Denn „Selbstbestimmung zeigt sich wesentlich
im Handeln, und es ist insofern konsequent, zur Förderung der Selbstbestimmung Handlungsfähigkeit zu vermitteln und Fördersituationen im Sinne von Handlungen zu strukturieren.“ (MÜHL 2000)
Zur Problematik der Wahl zwischen der WfbM und dem
allgemeinen Arbeitsmarkt
Der Übergang aus dem Beschäftigungsverhältnis in der WfbM auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt stellt die (im Sinne gesellschaftlicher Integration zu Recht beklagte)
Ausnahme dar. Zwar haben die Qualifizierungs- und Vermittlungsprojekte in den
WfbM zu einer deutlichen Zunahme von Vermittlungen geführt. Trotzdem ist festzustellen, dass auch dort, wo Projekte mit mehrjähriger Laufzeit eingerichtet wurden, die mit besonderen und abgestuften Angeboten WfbM-Beschäftigten den
Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ebnen sollen, nur ein Bruchteil der
Projektteilnehmer(innen) diesen auch letztlich vollzieht (in der Regel < 30%, s.
SCHÜLLER 2003). Dies trifft übrigens auch auf den Personenkreis zu, bei dem die
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
49
50
Jochen Friedrich
individuellen Voraussetzungen auf ein Vermittlungsangebot zu passen scheinen.
Das lässt vermuten, dass im Entscheidungserleben und -verhalten Faktoren wirksam sind, die ohne eine qualitative Analyse aus der Betroffenenperspektive verborgen bleiben. Diese beinhaltet u. a. folgende Fragen:
• Mit der Teilnahme an einem Sonderprojekt, zudem mit der Option einer Vermittlung in ein „normales“ Arbeitsverhältnis, werden Erwartungen einer Statusverbesserung ausgelöst. Andererseits erzeugt die oft unerwartete Möglichkeit des
beruflichen Wählens Versagens- und Verlustängste. Subjektive Vordispositionen
können folglich die nüchterne Analyse der tatsächlichen Vor- und Nachteile eines
Wechsels auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erschweren. Welche Auswirkungen
haben also Projektangebot und -teilnahme selbst auf das individuelle Wahlverhalten?
• In allen Qualifizierungs- und Vermittlungsprojekten wird mit Orientierungspraktika
und Probebeschäftigungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt berücksichtigt, dass
nur durch das möglichst konkrete Erleben der unterschiedlichen Arbeits- und
Lebenswelten eine Entscheidung ermöglicht werden kann. Dieser Vergleich ist
tatsächlich einer zwischen zwei „Welten“, wobei die Anforderungen und Maßstäbe der Welt außerhalb der WfbM zum Teil zum ersten Mal erfahren werden
und in der Regel in kurzen Zeiträumen mit dem eigenen Ziel- und Wertesystem
abgeglichen werden müssen. Zudem spielen für Menschen mit geistiger Behinderung die Erwartungen und Werteorientierungen des sozialen Umfelds eine besondere Rolle. Angesichts der Komplexität der Entscheidung besteht die besondere Gefahr, fremde Wünsche und Beurteilungen als eigene zu übernehmen. Eine
Frage ist also auch, wie es den Projektteilnehmer(inne)n gelingt, zu einer selbstbestimmten Alternativenbildung zu gelangen.
• Arbeit und Leben in der WfbM ist u. a. geprägt vom Schutz vor einer individuelles
Wachstum und individuelle Lebenszufriedenheit beeinträchtigenden Überforderung. Beim Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt werden hingegen Bewältigungsstrategien zum Umgang mit überfordernder Komplexität verlangt.
Welche Ressourcen brauchen und besitzen Projektteilnehmer(innen) in diesem
Zusammenhang?
• Berufliche Veränderung setzt die Bereitschaft und Fähigkeit zur Neugestaltung
von sozialen Beziehungen voraus. Die Arbeit in der WfbM ermöglicht ein bestimmtes soziales Leben, beruhend auf weitgehend nicht selbst gewählten Abhängigkeiten. Gleichzeitig bietet die WfbM als „ein Ort zu leben“ (SPECK 2003)
soziale Entfaltungsmöglichkeiten, die mit einem Verlassen dieser Einrichtung verloren gehen können. Unter welchen Voraussetzungen gelingt es dem Individuum,
im Entscheidungsprozess nichtgewünschte Bindungen zu lösen und das soziale
Umfeld neu zu gestalten?
• Die Entscheidung zwischen den beruflichen Alternativen WfbM und Arbeit auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist ein komplexer Nutzen-Risiken-Abgleich. Je mehr
er sich auf direkte materielle Vor- und Nachteile beschränkt, je weniger nachhaltige Werteauffassungen eine entscheidungsorientierende Rolle spielen (JUNGERMANN, PFISTER 1998), umso eher verlieren die angebotenen einfach strukturierten, in der Regel gering entlohnten Helfertätigkeiten auf dem allgemeinen Ar-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Weit reichende Entscheidungen
beitsmarkt bei der letztendlichen Entscheidung an Attraktivität. Welche Werteorientierungen sind für den betroffenen Personenkreis wirksam, die eine individuelle Herausforderung zur sozialen Integration darstellen?
• Die Werkstattbeschäftigten erleben eine „Rundumversorgung“, auf welchem
Niveau auch immer, in denen die „Qual der Wahl“ kaum eine Rolle spielt. Dazu
kommt, dass auch deren Biografie vor dem Eintritt in die WfbM kaum Referenzerfahrungen erfolgreich bewältigter Entscheidungsherausforderungen aufweist.
Für das Ziel, an Wahlmöglichkeiten zwischen pluralen Lebensformen teilzunehmen, wird aber in unserer Gesellschaft eine „höchst riskante Selbstgestaltung“
(THIMM, WACHTEL 2002) abverlangt. Obwohl Risiken in Qualifizierungs- und
Vermittlungsprojekten zum Teil eingeschränkt und begleitet werden können, gehört zur Selbstbestimmung, „verschiedene Lösungen für schwierige Situationen
auszuprobieren, Risiken einzugehen und sich der Gefahr des Scheiterns auszusetzen“ (LINDMEIER & LINDMEIER 2003). Wie gehen Projektteilnehmer(innen) auf
dem Hintergrund einer tendenziell überfordernden Entscheidungsherausforderung,
einer erhöhten Vulnerabilität gegenüber individuellem Scheitern und eines generellen Lebensrisikos mit Risiken um?
Mit der Studie auf der Grundlage einer qualitativen empirischen Untersuchung sollen
Entscheidungsprozesse von Werkstattbeschäftigten, die sich für oder gegen einen
Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt entschieden haben, durchsichtiger gemacht werden. Gleichzeitig soll erkundet werden, welche Angebote und Entscheidungshilfen eines Qualifizierungs- und Vermittlungsdienstes in der WfbM individuell
angemessene Entscheidungen fördern bzw. behindern. Nach dem Konzept der lebenswelt- und alltagsorientierten sozialen Arbeit sollten auch berufliche Übergänge
als „gelingendes Leben“ gestaltet werden können (METZLER, RAUSCHER 2003).
Dabei geht es um Lebensqualität, verstanden als Übereinstimmung von Teilhabe an
Integration ermöglichenden Lebensbedingungen und subjektivem Wohlbefinden
(SEIFERT, FORNEFELD, KOENIG 2001).
Die Studie hat nicht das Anliegen, den „Beruf WfbM-Beschäftigte(r)“ zu rehabilitieren, kann aber mithilfe qualitativer Verfahren auch die Bedeutung der WfbM als
Zwischenstation und/oder Ausgangspunkt individueller beruflicher Entwicklung
„entmystifizieren“ und die Anteile beruflicher Identitätsbildung identifizieren, die
im besonderen Arbeits- und Lebensort WfbM für weitere berufliche Übergänge,
wie dem auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, strukturbildend sind (SACKMANN,
WINGENS 2001).
Qualitative Interviews zur Rekonstruktion von
Entscheidungsverhalten
Mithilfe qualitativer leitfadengestützter Interviews wurden Teilnehmer(innen) eines
niedersächsischen und mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds geförderten Projekts für WfbM-Beschäftigte zur Unterstützung des Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ihrem Entscheidungsverhalten befragt.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
51
52
Jochen Friedrich
Die Interviews wurden mit 32 Projektteilnehmer(inne)n aus den Projektjahren 2001–2003
mit unterschiedlichen beruflichen Verläufen in der WfbM, verschiedener Reichweite der gewünschten bzw. vollzogenen beruflichen Veränderung (vom Orientierungspraktikum bis zur abgeschlossenen Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt)
und unterschiedlicher zeitlicher Distanz zu den gemachten Erfahrungen durchgeführt. Die Auswertung der Interviews folgt der Methode der „gegenstandsbezogenen Theoriebildung“, d. h., die Datenerhebung mithilfe der Interviews und die Datenauswertung sind gleichzeitig. Die Herausarbeitung annähernder Hypothesen beginnt bereits nach dem ersten Interview. Die Befragten zeigten eine große Bereitschaft, ihre Erfahrungen aus der Erlebensperspektive zu berichten. Allein schon das
exklusive Befragtwerden als Expertin/Experte in eigener Sache wurde als offensichtlich personale Würdigung erlebt.
Da dem Autor der Studie aufgrund eigener Projektverantwortlichkeit eine Fülle von
Vorinformationen und bewertenden Dokumentationen vorliegen, wurden zum
Zwecke einer möglichst vorurteillosen Kategorienbildung die Interviews von zwei
vom Qualifizierungs- und Vermittlungsprojekt und der WfbM unabhängigen Personen durchgeführt und die Ergebnisse anonymisiert in vollständig transkribierter
Form zur Verfügung gestellt. Die Studie bemüht sich um eine den Datenerhebungsund -auswertungsprozess begleitende dialogische Validierung. Deshalb werden z. B.
befragten Projektteilnehmer(inne)n und anderen Experten bestimmte Ergebnisse
zur erneuten Bewertung vorgestellt.
Erste Untersuchungsergebnisse
Die bisherigen Interviews und ihre Auswertung zeigen, dass beim „Zu-Wort-kommenlassen“ der Teilnehmer(innen) von Qualifizierungs- und Vermittlungsprojekten Dimensionen von Entscheidungsverhalten transparent werden, die zuvor und ohne dieses
empirische Herangehen selbst durch eine gründliche Analyse der vorliegenden
Entwicklungsdokumentationen nicht erkennbar waren. Die folgenden Ausführungen
sollen einen ersten Eindruck von den bisherigen Befragungsergebnissen vermitteln.
Die Methode der gegenstandsbezogenen Theorienbildung lässt es zu, dass sich Untersuchungsrichtung und Hypothesenbildung im weiteren Verlauf deutlich verändern können.
Die Ausgangsmotive fast aller Werkstattbeschäftigten für eine Projektteilnahme
„mehr Geld als in der WfbM verdienen“ und „mal etwas anderes kennen lernen“,
in denen die Erfahrung materieller Grenzen einer WfbM-Beschäftigung verarbeitet
wird, lassen sich nach der Befragung der Projektteilnehmer(innen) differenzieren.
So ergeben sich hinsichtlich der Motivation zum Übergang auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt bei den Befragten unterschiedliche Gruppen, die alle mit der Projektteilnahme eine persönliche Aufwertung erwarten.
Der ersten Gruppe ist die Statusverbesserung, die mit dem Ausscheiden aus der
WfbM und dem Erreichen beruflicher „Normalität“ erhofft wird, so wichtig, dass
der konkrete Inhalt der angebotenen Tätigkeiten im neuen beruflichen Feld völlig
untergeordnet erscheint. Diese Gruppe zeichnet sich durch eine hohe Veränderungsund Risikobereitschaft aus und ist, bezogen auf die Vermittlungsquote, am erfolg-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Weit reichende Entscheidungen
reichsten. Bei diesem Personenkreis ist der Anteil derjenigen, die in der WfbM nach
eigenem Bekunden sozial nie Fuß gefasst haben, besonders hoch. Diese Gruppe
reagiert mit einem entschiedenen Interesse am Verlassen des „Schutzraums WfbM“
auf psychoemotionale Verletzungen. Diese resultieren vor allem aus der Zuschreibung
des „Behindertseins“ und aus wahrgenommener Nichtwürdigung der eigenen Kompetenzen in der WfbM. Die Bereitschaft und Fähigkeit zur Lösung bestehender Beziehungen ist besonders groß. Dies ist mit einer „sozialen Anspruchslosigkeit“ bis
hin zur Form eines verinnerlichten „Einzelkämpfertums“ verbunden, die sich in der
neuen Arbeits- und Lebensumgebung fortsetzt.
Die zweite Gruppe setzt auf persönliche Aufwertung durch die Chance zur Demonstration der fachlichen Fähigkeiten bzw. zum Erwerb neuer beruflicher Fertigkeiten.
Dieser Personenkreis besitzt eine größere Selbstsicherheit hinsichtlich der selbstangenommenen Kompetenzen. Er wird aber deshalb in der Projektteilnahme auch
eher durch die Erfahrung enttäuscht, dass entweder die fachliche Herausforderung
in der neuen Tätigkeit den Erwartungen nicht entspricht, oder dass die eigenen
Fähigkeiten überschätzt wurden. Diese Gruppe hat zumeist bestimmte Personen im
sozialen Bezugssystem im Auge, denen die eigene Leistungsfähigkeit „bewiesen“
werden soll und die besonderen Einfluss auf das berufliche Wertesystem haben. Sie
zeichnet sich durch dezidiertere Ansprüche an die Qualität sozialer Kontakte in der
WfbM und auf den angebotenen Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarkts aus.
Nach einer Prüfung der Vor- und Nachteile fällt die Entscheidung meist zugunsten
des Verbleibs in der WfbM.
Die Personen der dritten Gruppe wollen vor allem „dabei sein“. Die Auswahl als
Projektteilnehmer(in) wird als Auszeichnung empfunden, welche eigene Leistungsfähigkeit demonstriert und Abwechslung ermöglicht. Dabei spielen sowohl ein
Nachahmungsbedürfnis, als auch der empfundene Mangel an beruflichen Alternativen in der WfbM-Beschäftigung eine Rolle. Als biografischer Hintergrund wirkt
das Erleben von Ausgrenzung bei Lebenschancen und Wahlmöglichkeiten. Dieser
Personenkreis ist für neue berufliche Anregungen am offensten, im Entscheidungsprozess hingegen am unverbindlichsten. Empfundene Überforderung hinsichtlich
Arbeitsleistung oder Entscheidungsrisiken führt in der Regel schnell zu einer „Versöhnung“ mit dem Arbeits- und Lebensort WfbM.
In der weiteren Analyse wird herauszufinden sein, inwieweit sich diese Einteilung
stabilisiert, und ob sie von Nutzen ist, um Kompetenzen zu identifizieren, die
angesichts überfordernder Entscheidungsherausforderungen kongruentes Entscheidungshandeln ermöglichen. Deutlich wird, dass bei allen Werkstattbeschäftigten
mit den Projektangeboten eine „biografische Bilanz“ ausgelöst wird, die sowohl
Ressourcen für den Entscheidungsprozess freisetzt, als auch traumatische Erlebnisse reaktivieren kann, die Veränderungsenergie binden und die Lebensqualität beeinträchtigen. Daraus wächst eine besondere pädagogische Verantwortung im
Umgang mit den Projektangeboten.
Eine weitere Beobachtung ist, dass die Befragten ihre mit der Projektteilnahme subjektiv empfundenen enormen Anpassungsleistungen zur Sprache bringen. Das „Klarkommen“ mit den neuen Arbeitsaufgaben und dem unbekannten Umfeld sowie
das „Durchhalten“ haben einen hohen Stellenwert und werden als Beweis für eigene Leistungsfähigkeit und Selbstständigkeit angeführt. Tatsächlich sind Ausdauer
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
53
54
Jochen Friedrich
und Unempfindlichkeit gegenüber den beruflichen Belastungen, ergänzt durch
Robustheit im Umgang mit dem neuen sozialen Umfeld, sowohl Erfolgsfaktoren für
die Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, als auch Abgrenzungsmerkmale
gegenüber der Arbeitswelt WfbM. Problematisch wird eine Orientierung an individueller Robustheit dort, wo sie als Maßstab des beruflichen und persönlichen Erfolges verabsolutiert wird. Sie setzt das Individuum unter hohen Druck, „funktionieren“
zu müssen, Grenzen werden als Defekt befürchtet und abgelehnt, was wiederum
zur Selbstisolierung führen kann. Bisherige Untersuchungen (SCHÜLLER 2003) haben
auf die Gefahr sozialer Isolierung bei einer Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund der mangelnden Befriedigung der Kontaktbedürfnisse von Behinderten durch die „normale“ Arbeitswelt hingewiesen. Dies muss offensichtlich ergänzt werden durch einen Blick auf Faktoren, die in der individuellen Verarbeitung
der beruflichen Veränderungsangebote durch Menschen mit geistiger Behinderung
liegen. Diese Erkenntnisse können für eine „Entscheidungsassistenz“ nützlich sein,
die u. a. auch ein dialogisch gestaltetes soziales Feedback beinhaltet.
Die Wünsche der Befragten an ihre berufliche Zukunft spiegeln in vielen Zügen die
Erwartungen des relevanten sozialen Umfelds wider. Bereits in anderen qualitativen
Untersuchungen wurde festgestellt, welche psychoemotionale Bedeutung das
Beziehungssystem WfbM (HINZ, BOBAN 2001), aber auch das Familiensystem für
die Entscheidungen von WfbM-Beschäftigten haben. In der Befragung wird deutlich, wie stark erlebtes Zu- oder Misstrauen der sozialen Umgebung das berufliche
Entscheidungsverhalten beeinflussen. Dabei ist die Verarbeitung des wahrgenommenen Feedbacks unterschiedlich, sie reicht von der völligen Unterordnung bis hin
zum demonstrativen „Jetzt erst recht!“. Insgesamt stehen die Projektteilnehmer(innen) vor der schwierigen Herausforderung, eigene Wertehaltungen zu entwickeln und ihr Beziehungssystem im Prozess der beruflichen Veränderung im eigenen Interesse neu zu gestalten. Dabei sind die Lösung von bisherigen und die Gestaltung neuer sozialer Bindungen zu bewältigen (BUSCH, D. W. 1973). Die Interviews offenbaren dabei große Probleme der Projektteilnehmer(innen), wenig entwickelte Orientierungen und ein begrenztes Handlungsrepertoire – ein weites Aufgabenfeld der Geistigbehindertenpädagogik. ■
Kurzfassung Der Autor stellt die ersten Ergebnisse seiner wissenschaftlichen
Arbeit mit dem Titel „Entscheidungsverhalten von Menschen mit geistiger Behinderung in Übergängen von der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt“ vor. Die
ihr zugrunde liegende empirische Untersuchung beruht auf qualitativen Interviews
mit Teilnehmer(inne)n in Qualifizierungs- und Vermittlungsprojekten der WfbM in
Niedersachsen. Sie werden zu ihrem subjektiven Erleben der beruflichen Veränderungsangebote befragt. Dieses wird durch die Erfahrung des besonderen Arbeitsund Lebensorts WfbM, durch die Verarbeitung des eigenen Lebenslaufs und durch
individuelle Bewältigungsstrategien beeinflusst. Die Ergebnisse der Studie sollen
zum Verständnis des Entscheidungsprozesses von Werkstattbeschäftigten angesichts
komplexer beruflicher Veränderungsanforderungen beitragen. Durch den qualitativen Ansatz der Studie werden die Evaluationsdimensionen für zukünftige Qualifizierungs- und Vermittlungsprojekte für Beschäftigte in WfbM erweitert und Schlussfolgerungen für eine „Entscheidungsassistenz“ als Aufgabe der Geistigbehindertenpädagogik ermöglicht.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Weit reichende Entscheidungen
Abstract Far-reaching Decisions. A Study on the Decision-making Processes of
People with Intellectual Disabilities Leaving their Workshops for the Open Job Market.
The author presents the first results of his research. The empiric study is based on
qualitative interviews with participants of qualification and job-finding programmes.
They were asked about their personal experience as to the vocational changes,
which is particularly influenced by the special work and living place „workshop“,
by coping with one’s own life as well as individual coping strategies. The results of
the study are supposed to contribute to the understanding of decision-making
processes of workshop employees in view of the complex vocational requirements.
Due to the qualitative approach of the study evaluative dimensions of qualification
and job-finding projects for workshop employees are broadened and final conclusions
for an “education of vocational assistance” for people with intellectual disabilities
allowed. ■
Literatur
BECK, E.; LÜBBE, A. (2003): Individuelle Hilfeplanung. Anforderungen an die Behindertenhilfe. Geistige Behinderung 3/03, 222–234. – BUSCH, D. W. (1973): Berufliche Wertorientierung und berufliche
Mobilität. Stuttgart. – FISCHER, U; HAHN M. T.; LINDMEIER, C.; REIMANN, B. (Hg.) (1998): Wohlbefinden und Wohnen von Menschen mit schwerer geistiger Behinderung. Reutlingen. – HINZ, A.; BOBAN,
I. (2001): Integrative Berufsvorbereitung. Unterstütztes Arbeitstraining für Menschen mit Behinderung.
Neuwied, Kriftel, Berlin. – JUNGERMANN, H.; PFISTER H.-J.; FISCHER K. (1998): Die Psychologie der
Entscheidung. Heidelberg, Berlin. – KEUL, A. G. (1998): Wohlbefinden. Wohlbefinden und Wohnen
von Menschen mit schwerer geistiger Behinderung. Berliner Beiträge zur Pädagogik und Andragogik
von Menschen mit geistiger Behinderung Bd. 6/1998, 43–55. – KLAUSS, T. (2003): Selbstbestimmung
als Leitidee der Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung. – LINDMEIER, B.; LINDMEIER C.
(2003): Selbstbestimmung in der Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung. Zur Rezeption der
us-amerikanischen Diskussion. Geistige Behinderung 2/03, 119–136. – METZLER, H.; RAUSCHER, C.
(2003): Teilhabe als Alltagserfahrung. Eine ergebnisorientierte Perspektive in der Qualitätsdiskussion.
Geistige Behinderung 3/03, 235–243. – MOSEN, G.; SCHEIBNER, U. (2003): Arbeit, Erwerbsarbeit,
Werkstattarbeit. Vom Mythos zum neuen Arbeitsbegriff in Theorie und Praxis. Frankfurt a. Main. –
MÜHL, H. (2000): Einführung in die Geistigbehindertenpädagogik. Stuttgart, Berlin, Köln. (4. Aufl.) –
PITSCH, H.-J. (2002): Zur Entwicklung von Tätigkeit und Handeln Geistigbehinderter. Oberhausen. –
SCHÜLLER, S. (1996): Berufliche Qualifizierung für Menschen mit Behinderung. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung und Untersuchung einer Qualifizierungsinitiative in Werkstätten für Behinderte in Bayern. Tübingen. – dies. (2003): Der Übergang aus Werkstätten für behinderte Menschen in
den allgemeinen Arbeitsmarkt. Erwachsenenbildung und Behinderung 1/03, 8–25. – SEIFERT, M.;
FORNEFELD, B.; KOENING, P. (2001): Zielperspektive Lebensqualität. Bielefeld. – SACKMANN, R;
WINGENS, M. (Hg.) (2001): Strukturen des Lebenslaufs. Übergang – Sequenz – Verlauf. Weinheim und
München. – SPECK, O. (2003): System Heilpädagogik. München. – ders. (1999): Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Erziehung. München (9. überarb. Auflage). SPIESS, I. (2004): Berufliche
Lebensverläufe und Entwicklungsperspektiven behinderter Personen. Paderborn. – THEUNISSEN, G.;
PLAUTE, W. (2002): Handbuch Empowerment und Heilpädagogik. Freiburg i. Breisgau. – THIMM, W.;
WACHTEL, G. (2002): Familien mit behinderten Kindern. Wege der Unterstützung und Impulse zur
Weiterentwicklung regionaler Hilfesysteme. – WACKER, E.; WANSING, G.; HÖLSCHER, P. (2003): Maß
nehmen und Maß halten in einer Gesellschaft für alle (1). Von der Versorgung zur selbstbestimmten
Lebensführung. Geistige Behinderung 2/03, 108–118. – dies. (2003): Maß nehmen und Maß halten in
einer Gesellschaft für alle (3). Personenbezogene Leistungen (PerLe) für alle. Budgetfähigkeit und
Klientenklassifikation in der Diskussion. Geistige Behinderung 3/03, 210–221.
Der Autor: Jochen Friedrich, Qualifizierungs- und Vermittlungsdienst (QVD) in den Delme-Werkstätten gGmbH, Tel. (0 42 41) 93 01 25, j.friedrich@delme-wfb.de
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
55
56
Frank Wilker
Hand in Hand die Umwelt erleben
Ein Modellprojekt des Umweltpädagogischen Zentrums der Stadt
Nürnberg
Frank Wilker
Szenen aus einem umweltpädagogischen Halbjahresprogramm
■ Eine Werkstatt für behinderte Menschen aus Fürth meldet sich im Umweltpädagogischen Zentrum der Stadt Nürnberg für das Programm „Sinnes- und Forschungsreise durch den Wald“ an. An dem Halbjahresprogramm, das neben fünf
umweltpädagogischen Praxiseinheiten mit einer Dauer von zwei bis drei Stunden
ein Vorbereitungs- und ein Nachbereitungstreffen beinhaltet, nehmen zehn geistig
behinderte Beschäftigte im Alter von 25 bis 45 Jahren sowie eine Fachpädagogin
für arbeitsbegleitende Maßnahmen und Freizeit teil. Das Programm wird im Rahmen einer arbeitsbegleitenden Fördermaßnahme der WfbM durchgeführt.
Zu einem ersten Vorbereitungstermin besucht der Projektleiter des Umweltpädagogischen Zentrums zunächst die Werkstatt. Dieser Termin dient dem Informationsaustausch mit der Fachpädagogin. Es werden organisatorische Dinge wie Termine und
Veranstaltungsorte sowie die Ziele und der Ablauf des Programms besprochen. Ganz
wichtig ist es, vor Beginn der Praxisphase erste Informationen über die Teilnehmer
zu bekommen: Welche Behinderungen liegen vor? Wie mobil sind die Teilnehmer?
Inwieweit können die Beteiligten lesen und schreiben? Wie schätzt die Pädagogin
die Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit ihrer Beschäftigten ein? Welche Vorkenntnisse gibt es zum Thema?
Eine Woche später treffen wir uns zum ersten Praxistermin auf dem Außengelände
der Werkstatt. Diese Begegnung dient der Einführung in das Thema sowie dem
gegenseitigen Kennen lernen. Durch bewegungsorientierte, kooperative Spiele am
Abb. 1: Schwungtuchaktivitäten (Fotos: Wilker 2003)
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Hand in Hand die Umwelt erleben
Anfang erfolgt neben der Förderung der motorischen Fähigkeiten eine erste Kontaktaufnahme zu den Teilnehmern. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde beginnen die
Aktivitäten mit einem Schwungtuch.
Alle Gruppenteilnehmer halten den Rand des Tuchs fest und bewegen das Tuch erst
langsam und dann immer schneller. Die Gruppe erzeugt mit dem Tuch Wellen und
lässt es nach oben schweben, so dass ein „Pilz“ entsteht, unter dem sich die Teilnehmer bewegen und nach Aufruf ihres Namens ihre Plätze wechseln. In dieser
lockeren Atmosphäre werden die Namen ausgetauscht.
Nach diesem Einstieg gehen wir gemeinsam zu einem angrenzenden Waldstück,
dem Veranstaltungsort für das kommende Programm. Die Teilnehmer finden sich
über das Erfühlen von Kastanien, Zapfen und Rindenstücken zu drei Kleingruppen
zusammen. In einer Fotosafari sollen die Gruppen nun erste Eindrücke von „ihrem“
Wald sammeln. Ausgehend von einer Kreuzung wandern die Kleingruppen verschiedene
Wege ab und machen sich mit Hilfe von Fotos und einer Orientierungskarte auf die
Suche nach auffälligen Naturobjekten, wie z. B. einem ausgehöhlten Baum. Danach
gehen wir einen Hang hoch, wobei jeder die Aufgabe hat, einen Stock mitzubringen. Wir bilden dann einen Kreis und jeder legt seinen Ast hinter sich auf den Boden. Auf dieser Abgrenzung häufen wir dann Äste und Blätter auf und bauen unser
eigenes Waldsofa, das in den folgenden Programmeinheiten als Treffpunkt dient.
Zum Abschluss setzen wir uns in das Waldsofa, und jeder Teilnehmer bekommt von
uns ein Waldtagebuch ausgehändigt, um alle von ihm im Laufe des Halbjahresprogramms erstellten Werke zu sammeln. Ein Programmposter dient der Dokumentation aller Aktivitäten. Dieses besteht aus einem Mittelteil und fünf Außenteilen,
auf denen zu jedem Termin jeweils die Ergebnisse festgehalten werden.
Zum zweiten Termin treffen wir uns direkt am Waldrand. Die Teilnehmer stellen sich
hintereinander auf und bekommen von uns die Augen verbunden. Sie legen nun
Abb. 2: Waldsofa
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
57
58
Frank Wilker
Abb. 3: Die „Blinde Raupe“
ihre Hände auf die Schultern des Vordermanns, und der Leiter führt die Gruppe als
„Blinde Raupe“ durch den Wald.
Die Teilnehmer merken, dass die anfänglichen Verkehrsgeräusche im Laufe der Wanderung weniger werden und stattdessen Waldgeräusche wie das Zwitschern der Vögel sowie das Rascheln der Blätter zunehmen. Außerdem nehmen sie mit ihren Füßen
die verschiedenen Untergründe wahr. Ziel dieser Übung ist es, unter Ausschaltung des
Sehsinns die anderen Sinne wie den Tast- und den Hörsinn stärker einzusetzen. Nach
einem kurzen Erfahrungsaustausch machen wir uns nun auf Schatzsuche. Jeder Teilnehmer hat jetzt die Aufgabe, seinen persönlichen Waldschatz zu finden. Dieser soll
so klein sein, dass er in seine Hand passt, und darf den anderen zunächst nicht gezeigt
werden. Fundstücke sind z. B. eine Feder, schöne Steine, ein Zapfen, ein Rindenstück,
ein leeres Schneckenhaus und eine Eichel. Den Teilnehmern wird schnell klar, dass sie
viele schöne Sachen entdecken können, wenn sie langsam durch den Wald gehen und
genau auf den Boden schauen. Wir stellen uns jetzt in dem Waldsofa nah zusammen
und geben unsere Schätze jeweils auf Kommando hinter dem Rücken an unseren
rechten Nachbarn weiter. Nachdem alle Sachen ertastet wurden, halten alle wieder
ihren eigenen Schatz in den Händen. Wir tauschen uns nun über die gefühlten Sachen
aus und benennen sie. Anschließend zeigen wir uns gegenseitig die Schätze und gestalten damit auf dem Waldboden ein schönes Bild, das mit Stöcken eingerahmt wird.
In der zweiten Hälfte dieses Nachmittags beschäftigen wir uns mit den Bäumen. Nach
einem kurzen Austausch, welche Bäume der Gruppe bekannt sind, erhalten jeweils
zwei Teilnehmer von uns einen Baumsteckbrief, der die Kennzeichen eines Baums darstellt. Auf diesem sind z. B. ein Blatt, die Rinde und Früchte farbig abgebildet. Jede
Gruppe sucht – damit ausgestattet – ihren Baum im Gelände. Ist das geschehen, wird
ein eigener Baumsteckbrief erstellt. Hierfür wird mit Wachsmalstiften ein Rindenabdruck gemacht, gefundene Blätter und Früchte werden aufgeklebt, der Umfang wird
ausgemessen. Zum Abschluss stellt jede Gruppe in einem Rundgang ihren Baum vor.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Hand in Hand die Umwelt erleben
Eine Woche später treffen wir uns zum dritten Mal im Waldsofa. Der heutige Schwerpunkt beschäftigt sich mit den Waldtieren. Um ein lautloses Anschleichen der Tiere
zu imitieren, starten wir mit dem Rollenspiel „Fuchs und Kaninchen“. Hierfür stellen
wir uns im Kreis auf, und ein Freiwilliger wird gesucht, der das Kaninchen darstellt.
Er setzt sich in die Mitte, und seine Augen werden verbunden. Durch Zeigen auf
eine Person wird jetzt jeweils ein Fuchs bestimmt, der sich möglichst leise an sein
Beutetier (das Kaninchen) anschleichen soll. Nimmt das Kaninchen ein Geräusch
wahr, zeigt es in die entsprechende Richtung und der Fuchs muss stehen bleiben.
Diese spielerische auditive Übung fördert die Konzentration am Anfang dieser Einheit.
Im Folgenden untersuchen wir den Waldboden nach kleinen Tieren. Jede Kleingruppe erhält von uns einen Rucksack mit einer „Forscherausrüstung“: Becherlupen,
Handlupen, Siebe, Pinsel, weiße Tücher, Bodentierkarten, Insektenstaubsauger und
Stifte. Nachdem die Ausrüstung praktisch vorgestellt ist, sucht sich jede Gruppe
einen geeigneten Platz, wo sie sich niederlässt. Die Teilnehmer legen Blätter und
Erde auf das Sieb und durch das Schütteln fallen die kleinen Tiere auf das ausgebreitete weiße Tuch. Mit der Lupe suchen wir nun nach den Tieren und saugen die
Fundstücke mit dem Insektenstaubsauger, der aus einer Filmdose und zwei Schläuchen besteht, an und legen sie in das Becherlupenglas, wo wir sie betrachten und
mit den Bestimmungskarten vergleichen. Die Teilnehmer sind überrascht über die
selbst entdeckte Vielfalt der Lebewesen, die sich im Boden bewegen. Sie sind mit
Begeisterung dabei, und es macht ihnen viel Spaß, die Hundertfüßler, Asseln, Springschwänze und Käfer durch die Lupe zu betrachten.
Dieser Programmbaustein wird abgerundet durch spielerische Aktivitäten, um Verhaltensweisen heimischer Waldtiere wie z. B. das Verstecken von Wintervorräten
eines Eichhörnchens durch eigenes Erleben näher kennen zu lernen. Abschließend
gehen wir auf die Suche nach Tierspuren von Rehen, Wildschweinen und Hasen.
Am vierten Termin treffen wir uns wieder im Waldsofa. Heute wollen wir aus Materialien, die wir im Wald finden, einfache Geräuschinstrumente bauen. Um die natürlichen Waldgeräusche gezielt wahrzunehmen, zeichnet jeder Teilnehmer zunächst
eine Geräuschelandkarte. Jeder sucht sich hierfür einen Platz im Waldsofa, schließt
seine Augen und zeichnet oder notiert anschließend alle wahrgenommen Töne mit
Richtungsangabe in seine Karte ein. Danach starten wir unsere Bauaktivitäten. Wir
machen uns zunächst auf die Suche nach Stöcken und anderen geeignet erscheinenden Materialien und bauen unter Gebrauch von Sägen, Handbohrern, Hämmern und anderen mitgebrachten Werkzeugen einzelne Instrumente. Am Ende
haben wir so ein Holzxylophon, eine Rassel und einige Klangstäbe hergestellt und
setzen diese in einem Waldlied ein.
Am letzten Praxistermin geht es hauptsächlich um sinnliche Waldaktivitäten. Zu
Beginn bekommen jeweils zwei Personen einen Spiegel ausgehändigt. Ein Teilnehmer hält sich den Spiegel unter die Nase und sein Partner führt ihn durch das Gelände. Durch den Spiegel sehen wir plötzlich den Wald aus einem anderen Blickwinkel. Wir schauen in die Baumkronen, nehmen die Wolken und die Vögel am
Himmel wahr, und die Äste scheinen uns entgegen zu kommen. Danach sollen die
Teilnehmer vorher versteckte waldfremde Gegenstände im Gelände ausfindig machen. Sie sehen so, dass z. B. braune oder grüne Gegenstände schwieriger zu erkennen sind, da sie farblich besser an die Natur angepasst sind. Bei der nächsten
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
59
60
Frank Wilker
Aktivität stellt jeder wie ein Maler eine Farbpalette her, auf der Waldmaterialien
(z. B. Blätter, Stöcke) nach Farbtönen aufgeklebt werden. Zum Abschluss des praktischen Teils im Wald erhält jeder Teilnehmer von uns eine Suchliste. Er soll etwas
Weiches, etwas Schönes, etwas Rundes, etwas Glattes und etwas Grünes suchen.
Anschließend durchlaufen die Kleingruppen im Seminarraum der Werkstatt einzelne Stationen eines mobilen Sinnesparcours.
Dieser enthält zwei Taststationen, wo mit verbundenen Augen Fundstücke aus dem
Wald mit den Händen ertastet und bestimmt werden sollen. Daneben gibt es zwei
Hörstationen. Hier werden zum einen mit Waldmaterialien gefüllte Hörschachteln
geschüttelt und anhand des Geräuschs Waldgegenständen zugeordnet. Zum anderen
ordnen die Teilnehmer von einem Rekorder abgespielte Waldgeräusche, z. B. das
Hämmern eines Spechts, entsprechenden Fotokarten zu. In einem Geruchsspiel werden dann noch Waldgerüche mit verbundenen Augen wahrgenommen, und der
Geschmackssinn wird in einer Schmeckbar mit Essbarem aus dem Wald angeregt.
Eine Woche nach dem Ende der Praxiseinheiten treffen wir uns zu einem Abschlusstermin in dem Seminarraum der Werkstatt. Im Rahmen einer Diashow wird noch
mal das gesamte Programm besprochen und jeder Teilnehmer hat die Chance, positive und negative Aspekte des Programms zu benennen. Abschließend setzen wir
uns mit der Fachpädagogin zusammen und führen ein leitfragenorientiertes Auswertungsgespräch durch, was insbesondere für die Evaluation des Projekts und die
qualitative Verbesserung der Programme wichtig ist.
Projektträger
Das vorgestellte Halbjahresprogramm „Sinnes- und Forschungsreise durch den Wald“
fand im Rahmen des Projekts Hand in Hand statt. „Hand in Hand“ steht für „Handlungsorientierte, integrative Umweltpädagogik für Menschen mit Handikap“ und ist
ein innovatives Modellprojekt des Umweltpädagogischen Zentrums der Stadt Nürnberg.
Das Umweltpädagogische Zentrum ist eine Einrichtung der Stadt Nürnberg und im
Pädagogischen Institut des Schulreferats angesiedelt. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (StMUGV) hat das Umweltpädagogische Zentrum seit 1995 als Umweltstation anerkannt und fördert seit
September 2001 das Projekt Hand in Hand im Rahmen des Programms „Förderung
von Umweltstationen“. Das Umweltpädagogische Zentrum verfolgte als städtische
Bildungseinrichtung bei der Konzeption des Projekts das Ziel, handlungsorientierte
Angebote für eine im Umweltbildungsbereich weitgehend vernachlässigte Personengruppe zu schaffen.
Durch eine vorher erstellte Nachfrageanalyse sowie die bestehenden Erfahrungen
des Projektleiters (vgl. WILKER 1999) leiteten sich folgende zwei Thesen ab, die im
Laufe des Projekts bestätigt wurden:
➢ Es besteht im Großraum Nürnberg, Fürth und Erlangen eine große Nachfrage
bei sonderpädagogischen Einrichtungen, ihre Arbeit mit umweltpädagogischen
Inhalten zu bereichern.
➢ Menschen mit Behinderungen werden durch handlungs-, sinnes- und erlebnisorientierte Projektarbeit in der Natur in vielen Bereichen gefördert (vgl. WILKER
2004).
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Hand in Hand die Umwelt erleben
Das Projekt Hand in Hand wird geleitet von Frank Wilker (Diplom-Umweltwissenschaftler im Umweltpädagogischen Zentrum). Die Programme werden des Weiteren von Kräften des Freiwilligen Ökologischen Jahrs sowie von Praktikanten begleitet und unterstützt.
Zielgruppen, Angebote, Veranstaltungsorte
Die Programme, die im Rahmen des Hand in Hand-Projekts stattfinden, richten sich
an Menschen mit Behinderungen aller Altersstufen. Die Hauptzielgruppe im abgelaufenen Projektzeitraum waren Personen mit geistiger Behinderung. Darüber hinaus erfolgte eine Zusammenarbeit mit lernbehinderten, körperbehinderten und
Menschen mit autistischen Verhaltensweisen. Hinzu kommen einzelne integrative
Gruppen von behinderten und nichtbehinderten Menschen. Die Programme finden
in der Regel mit bestehenden Gruppen einzelner Behinderteninstitutionen statt.
Kooperiert wird mit Personen aus schulvorbereitenden Einrichtungen, Förderschulen,
Werkstätten für behinderte Menschen sowie Tagesstätten.
Da das Projekt Hand in Hand auf eine nachhaltige Wirkung abzielt, wird bei der
Auswahl der Veranstaltungsformen immer eine längerfristige Zusammenarbeit mit
den teilnehmenden Gruppen angestrebt. Die Programme werden deshalb zum einen,
wie im Praxisbeispiel ausführlich beschrieben, als Halbjahresprogramme angeboten. Es bietet sich aber auch die Möglichkeit, eine Projektwoche in Naturräumen in
der Nähe von Nürnberg, z. B. im Rahmen einer Klassenfahrt, durchzuführen. Die
Programme sind dabei als Begleitung zum Unterricht bzw. zum Arbeitsleben oder
als Ergänzung zum Freizeitbereich zu sehen.
Neben dem oben beschriebenen Programm werden derzeit noch zwei weitere
Themengebiete angeboten:
Das Programm „Gesunde Ernährung und ökologische Landwirtschaft“ beinhaltet
folgende Praxisbausteine: Einkauf eines gesunden Frühstücks, Vom Korn zum Brötchen, Herstellen von ökologischen Lebensmitteln, Besuch eines Ökobauernhofs,
Kochen einer Suppe auf offenem Feuer mit saisonalem regionalem Gemüse.
Das Programm „Alles Leben besteht aus Wasser“ umfasst folgende Unterthemen:
Wassersuche und Wasserverbrauch, Wasser mit allen Sinnen erleben und erforschen,
Gewässeruntersuchung, Bauprojekte und Experimente.
Die Veranstaltungsorte richten sich nach dem Thema und den Wünschen der beteiligten Behinderteneinrichtungen. Sie werden auf dem Gelände des Umweltpädagogischen Zentrums, in den Einrichtungen und direkt in der Natur (in interessanten
Waldgebieten oder an Bächen) durchgeführt. Um diese Flexibilität zu gewährleisten,
steht dem Projekt ein mit umweltpädagogischen Materialien ausgestatteter Kleinbus
zur Verfügung.
Projektziele
Da die Umweltpädagogik Berührungspunkte mit der Sonderpädagogik aufweist,
verfolgt das Projekt Hand in Hand Ziele aus beiden Fachbereichen. Mit Hilfe der
umweltpädagogischen Programme sollen den Menschen mit Behinderungen vor
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
61
62
Frank Wilker
allem neue Erlebnisräume in ihrer Umwelt geöffnet werden, da es ihnen oft an
elementaren Umwelterfahrungen mangelt (vgl. WILKER 1999, 32). Der Umweltbegriff bezieht dabei nicht nur die Natur mit ein, sondern auch das soziale Umfeld
(vgl. KLAWE 1995, 420). Ein Schwerpunkt liegt in der Förderung der Wahrnehmung und der Motorik, da diese in allen Lebens- und Entwicklungsbereichen eine
große Rolle spielen (vgl. FRÖHLICH 1999, 13). Hierfür bietet die Natur ein großes
Reservoir an Möglichkeiten, durch verschiedene Hör-, Geruchs-, Geschmacks- und
Tastübungen im freien Gelände, im Wald, am Wasser usw. die Sinne zu schulen.
Durch die Tatsache, dass viele Aktivitäten mit Bewegung verbunden sind, werden
außerdem die motorischen Fähigkeiten gefördert. Durch emotionale Erlebnisse soll
des Weiteren die Begeisterung und das Interesse für die Natur geweckt werden, da
oft festzustellen ist, dass die Teilnehmer nur einen geringen Bezug zu ihrer Umwelt
haben (vgl. WILKER 2004, 28). Über das positive Empfinden von Natur soll dann
auch das Umweltbewusstsein der Beteiligten gestärkt werden (vgl. GÖPFERT 1990,
26). Das rein kognitive Lernen von Umweltfachwissen, z. B. das Kennen möglichst
vieler Baumarten, steht im Hintergrund. Handlungsorientierte und kognitive Komponenten werden meistens im Verbund mit dem emotionalen Bereich verfolgt. Über
die Programme wird des Weiteren auch immer angestrebt, die sozialen Kompetenzen zu fördern. Durch das Arbeiten in kleinen und wechselnden Gruppen und das
Tun miteinander sollen sich die Teilnehmer gegenseitig helfen und ihre Akzeptanz
untereinander stärken. Schließlich soll die Integration von Menschen mit Behinderungen mit nichtbehinderten Menschen über die Kooperationsprogramme gefördert
werden. Hierfür ist das handlungsorientierte Lernen in der Umwelt sehr gut geeignet
(vgl. Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung 1998, 42).
Rahmenbedingungen, Inhalte und Didaktik
Bezogen auf Themen und Inhalte gibt es bei den Programmen für Menschen mit
Behinderungen keine Besonderheiten. Die meisten Aktivitäten werden auch mit
nichtbehinderten Personen durchgeführt. Der wesentliche Unterschied und die
Besonderheit der umweltpädagogischen Programme für Menschen mit Behinderungen liegt in der Verbindung zu der sonderpädagogischen Arbeit. Zum einen ist
dabei die Festlegung bestimmter Rahmenbedingungen von entscheidender Bedeutung. Zum anderen sind die Schwerpunktsetzung und die Herangehensweise bei
der Durchführung unterschiedlich.
Folgende Rahmenbedingungen stehen bei der Planung und Durchführung der Praxismaßnahmen im Vordergrund und sind im Umgang mit Menschen mit Behinderungen besonders hervorzuheben:
Um zu erreichen, dass jeder Teilnehmer durch das Programm gefördert wird und
seine persönlichen Erfolgserlebnisse aus den Aktivitäten gewinnt, ist zunächst ein
guter Betreuungsschlüssel bei den Praxiseinheiten wichtig. Im Durchschnitt kommt
deshalb in der Regel ein Betreuer (Gruppenbetreuer und Hand in Hand-Team) auf
zwei Teilnehmer. Ein wichtiger zusätzlicher Aspekt ist das Arbeiten in kleinen
Gruppen, um auf jeden Teilnehmer individuell eingehen zu können. Hierfür wurde
die Teilnehmerzahl bei den Hand in Hand-Programmen im Vorfeld auf maximal zwölf
Personen begrenzt.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Hand in Hand die Umwelt erleben
Bei den Programmen mit Menschen mit Behinderungen ist des Weiteren eine gute
Kooperation mit den Gruppenbetreuern sowie eine intensive Vorbereitung von unerlässlichem Wert. Aus diesem Grund findet bei jeder längerfristigen Zusammenarbeit immer ein obligatorisches Vorbereitungstreffen mit den Betreuern und Teilnehmern der Einrichtungen statt. Die Betreuer nehmen in den Programmen verschiedene wichtige Rollen ein: Sie sind Informations- und Verbindungsstelle zu den Teilnehmern. Als Übersetzer geben sie Zusatzerklärungen bei individuellen Schwierigkeiten im Aufgabenverständnis. Als Helfer übernehmen sie im Programmgeschehen
Anleitungsrollen bei der Arbeit in Kleingruppen. Die Betreuer profitieren auf der
anderen Seite von den Programmen, indem sie eine Vielzahl von Anregungen erhalten und Ideen später im Alltagsgeschehen aufgreifen können (Multiplikatorrolle).
Außerdem nehmen sie die Rolle eines Beobachters ein, wobei sie z. B. die Chance
haben, „ihre“ Leute einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten zu können.
Bei den Inhalten und der Didaktik der Programme bestehen die Unterschiede im
Vergleich zur Arbeit mit nichtbehinderten Personen hauptsächlich in der Schwerpunktsetzung.
Die Unterschiede bestehen vorwiegend in der Vereinfachung bestimmter Sequenzen. Die Aufgabenstellungen müssen immer klar und verständlich und nicht zu abstrakt gestaltet werden. Die mündlichen Erklärungen stehen bei den Einheiten deshalb stets in Verbindung mit einer Handlung. Im Programmablauf ist es wichtig,
sich für die einzelnen Bausteine Zeit zu lassen und flexibel auf das Geschehen einzugehen. Dabei sollten die einzelnen Sequenzen auch nicht zu lang sein, da die
Konzentration der Teilnehmer sonst abnimmt. Die Menschen mit Behinderungen
brauchen zum Lernen insbesondere viele (variierende) Wiederholungen der ausgeübten Tätigkeiten. Dies geschieht zum einen in den Programmen, zum anderen
aber vor allem in den einzelnen Einrichtungen, wo die Themen in der Regel vorund nachbereitet werden. Im Schulbetrieb ist das gut umsetzbar, wenn das Programm z. B. in den Sachunterricht eingegliedert ist.
Bei der Entwicklung und der Durchführung aller Programme werden bestimmte
Kriterien berücksichtigt, welche auch in der sonderpädagogischen Arbeit von Bedeutung sind:
Das Hand in Hand-Konzept basiert auf dem Ansatz des ganzheitlichen Lernens. Bei
allen Aktionen erfolgt das kognitive Lernen daher stets in Verbindung mit handlungs-, sinnes- und erlebnisorientierten Methoden. Des Weiteren wird jeder Teilnehmer im Programm immer als individuelle Persönlichkeit betrachtet. Hierbei stehen
seine Fähigkeiten und seine Stärken im Vordergrund. Da es bei Menschen mit geistiger Behinderung große Unterschiede hinsichtlich ihrer Fähigkeiten gibt, sind die
Programme deshalb nicht starr und unveränderlich, sondern flexibel an die Anforderungen der jeweiligen Teilnehmer angepasst. Jeder Einzelne soll seinem individuellen Lernvermögen und -tempo gemäß an den Lernprozessen teilnehmen können
und Erfolgserlebnisse haben. Durch das Ansprechen verschiedener Methoden soll
jeder Teilnehmer seinen Lernbereich wiederfinden. Alle Aufgaben sollen von den
Teilnehmern möglichst eigenständig durchgeführt werden, da aktives Handeln die
Voraussetzung für das Lernen und Sammeln von Erfahrungen ist. Das gemeinsame
Agieren in Kleingruppen ist ebenfalls wichtig, um das Kooperationsvermögen sowie die Kontaktfähigkeit der Teilnehmer zu verbessern.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
63
64
Frank Wilker
Die folgenden Lernmethoden bestimmen die umweltpädagogischen Programme.
Die Förderung der Wahrnehmung über Sinnesaktivitäten nimmt bei den Programmen
einen hohen Stellenwert ein, da die Wahrnehmung in allen Lebens- und Entwicklungsbereichen eine große Rolle spielt.
Einige Aktionen in den Programmen haben immer den Schwerpunkt, sich künstlerisch
handelnd mit der Umwelt auseinanderzusetzen. Beispielweise sollen die Teilnehmer
durch das Bauen von Instrumenten mit Naturmaterialien oder das Gestalten eines Waldbildes neben der motorischen Aktivität selbst erleben, welche Vielfalt die Natur enthält.
Von allen handlungsorientierten Ansätzen ist die spielerische Methode besonders
gut geeignet. In den Programmen werden immer wieder einzelne Naturerlebnisspiele integriert.
Durch die Untersuchung eines Waldbodens oder eines Gewässers werden die Teilnehmer forschend tätig. Das Ziel ist, die Vielfalt dieser Lebensräume direkt zu erfahren. Die praktischen Arbeiten bezeichnen hauptsächlich Tätigkeiten, die einen
Bezug zur Lebenswelt der Teilnehmer haben. Durch aktives Handeln wird versucht,
ihr Umweltbewusstsein zu fördern.
Alle Aktivitäten sollen von den Teilnehmern dokumentiert werden. Hierfür werden
bei allen Programmen Dokumentationsmedien zur Verfügung gestellt. Die Dokumentation ist wichtig, um das Erlebte noch mal aufzuarbeiten bzw. auch Angehörigen und Freunden zeigen zu können. Nach allen Praxisbausteinen folgt eine Präsentation der Ergebnisse. Es soll möglichst jeder Teilnehmer erzählen, was er gemacht hat. Das ist wichtig, um die Ausdrucksfähigkeit zu stärken.
Evaluation der Programme
Insgesamt nahmen von April 2002 bis Dezember letzten Jahres 35 Gruppen von
Menschen mit Behinderungen an den Halbjahresprogrammen und Projektwochen
von Hand in Hand teil. Ein Interesse für die Umweltbildung wurde bei allen Typen
von Behinderteneinrichtungen festgestellt. Die Auswertungsgespräche mit den Betreuern belegen den qualitativen Wert unserer Veranstaltungen. Es wird betont,
dass durch unsere handlungs-, erlebnis- und sinnesorientierte Projektarbeit in der
Natur die behinderten Menschen in vielen Bereichen gefördert werden konnten.
„Für jedes Kind war etwas dabei und jeder wurde in seinem Bereich gefördert“
(Aussage einer Klassenlehrerin einer Förderschulklasse, vgl. WILKER 2004). Die Vielfalt
der handlungsorientierten Methoden, in denen jeder Teilnehmer seine Nische findet, wurde ebenfalls positiv herausgestellt. „Die verschiedenen angewandten Methoden zur Vermittlung des Wissens waren sehr gut. So wurde es nie langweilig,
und jeder fand seine Lernmethode wieder“ (Aussage einer Betreuerin einer teilnehmenden WfbM, vgl. ebd.). Die Tatsache, dass einige Gruppen, wie z. B. eine Werkstatt für behinderte Menschen unsere Programme schon fest in ihr Weiterbildungskonzept eingebunden haben, spricht für Anerkennung. „Das Interesse der Mitarbeiter war sehr groß, und vor allem blieb auch einiges hängen. Sie sprachen oft
noch Tage nach dem Kurs über das Gelernte“ (Aussage einer Gruppenleiterin einer
teilnehmenden WfbM, vgl. ebd.).
Durch die Ergebnisse, die aus der Auswertung der Interviews gewonnen wurden
sowie unsere regelmäßigen internen Auswertungsgespräche im Team, wurde gleichzeitig immer wieder an einer Verbesserung einzelner Bausteine gearbeitet.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Hand in Hand die Umwelt erleben
Publikation
Im Rahmen der Projektarbeit ist der Praxisordner „Hand in Hand die Umwelt erleben
– Umweltbildung für Menschen mit Behinderungen“ entstanden. Dieser richtet sich
insbesondere an Personen, die mit behinderten Menschen zusammenarbeiten und
an der Durchführung von umweltpädagogischen Aktivitäten interessiert sind. Der
Schwerpunkt der 120 Seiten umfassenden Publikation liegt in der Darstellung vieler
Praxisbeispiele, die mit Fotos, Ablaufbeschreibungen, Materialangaben u. ä. anschaulich präsentiert werden. Die Aktivitäten sind gegliedert in die Themen Wald, Ernährung, Landwirtschaft und Wasser. Einführungsaktivitäten und Beispiele zur Programmdokumentation ergänzen den Praxisteil. (Bezugsquelle für den Ordner „Hand
in Hand die Umwelt erleben”: siehe Bibliografie in dieser Ausgabe). Er kann beim
Umweltpädagogischen Zentrum der Stadt Nürnberg, Hummelstein 46, 90461
Nürnberg, Tel.: (09 11) 43 74 32, Fax: (09 11) 44 99 57, Mail: hummelstein@
nefkom.net bestellt werden. ■
Kurzfassung Seit September 2001 werden im Umweltpädagogischen Zentrum der Stadt Nürnberg umweltpädagogische Programme im Rahmen des Projekts
Hand in Hand für Menschen mit Behinderungen mit Erfolg durchgeführt. Am Beispiel eines waldpädagogischen Halbjahresprogramms werden konzeptionelle und
inhaltliche Aspekte dargestellt.
Abstract Experiencing the Environment Hand in Hand. Since September 2004
the Centre for Environmental Education of the city of Nuremberg is successfully
conducting environmental programmes as part of the project “Hand in Hand” for
people with disabilities. Based on the example of a six months lasting programme
focussing on the forest conceptional and content-oriented aspects are presented.
Literatur
Bayerisches Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten (2001): Forstliche Bildungsarbeit.
Waldpädagogischer Leitfaden nicht nur für Förster. München. – CORNELL, J. (1999): Mit Kindern die
Natur erleben. Mülheim an der Ruhr. – FRENZEL, K. (1997): Umweltbildung für und mit gehandicapten
Menschen – Projektabschlussbericht. Zentrum für Umweltbildung Steinfurt e.V. – FRÖHLICH, A. (1999):
Wahrnehmungsstörungen und Wahrnehmungsförderung. 10. Aufl., Heidelberg. – GÖPFERT, H. (1990):
Naturbezogene Pädagogik. Weinheim. – KALFF, M. (1994): Handbuch zur Natur- und Umweltpädagogik.
Tuningen. – KLAWE, W. (1995): Umweltspiele mit behinderten Kindern und Jugendlichen. Wessel, J.;
Gesing, H. (Hg.): Umwelt – Bildung: Spielend die Umwelt entdecken. Neuwied u. a., 420–429. –
REINERT, J.; LEVEN, K. (1999): Abenteuer wagen ... : Ein Handbuch für die Praxis – körper- und
bewegungsbezogene Angebote für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen. ButzbachGriedel. – Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (1998): Bausteine für Kooperation. Donauwörth. – WESSEL, J.; GESING, H. (1995): Umwelt – Bildung: Spielend die Umwelt entdecken. Neuwied u.a. – WILKER, F. (1999): Umweltbildung mit geistig behinderten Menschen. Arbeitsansätze in ausgewählten Umweltzentren. Diplomarbeit. Universität Lüneburg. – ders. (2004): Hand in
Hand die Umwelt erleben. Umweltbildung für Menschen mit Behinderungen. Umweltpädagogisches
Zentrum der Stadt Nürnberg.
Der Autor: Frank Wilker, Dipl.-Umweltwissenschaftler, Umweltpädagogisches Zentrum im Pädagogischen Institut der Stadt Nürnberg, Hummelstein 46, 90461 Nürnberg
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
65
66
Aktuelle Mitteilungen
Aktuelle Mitteilungen
Epilepsie-Syndrome
Bei Menschen mit geistiger Behinderung
kommen epileptische Anfälle nicht selten vor. Fast ein Drittel ist davon betroffen, während sonst in der Bevölkerung
mit einer Häufigkeit der Epilepsie von
etwa 0,4 bis 0,6 % gerechnet wird. Das
Lebensalter spielt eine Rolle: Am häufigsten treten epileptische Anfälle in der Kindheit und im späteren Erwachsenenalter
auf. Auch die Ausprägung der Symptome wird vom Entwicklungsstand geprägt,
was eine vermehrte Anfallsbereitschaft in
den ersten Lebensjahren erklärt (Auftreten von Fieberkrämpfen bei fast jedem
zehnten Kind). Von einer Epilepsie spricht
man erst, wenn sich epileptische (zerebrale, d. h., vom Gehirn ausgehende) Anfälle wiederholt (rezidivierend) einstellen.
Als Ursache kommen sehr unterschiedliche Faktoren in Betracht: Symptomatische Epilepsien sind Folge einer mehr
oder weniger abgeschlossenen Schädigung, von angeborenen Strukturanomalien oder Differenzierungsstörungen des
Gehirns, nach perinatalen Komplikationen oder Erkrankungen (Sauerstoffmangel während der Geburt), durch Verletzungen oder Entzündungen. Prozessepilepsien entstehen bei fortschreitenden
Erkrankungen, wie Tumoren, neurodegenerativen, neurometabolischen oder chronisch-entzündlichen Störungen. Für idiopathische Epilepsien sind vorwiegend
genetische Faktoren verantwortlich, die
wohl zu Veränderungen im molekularen
Bereich der Nervenzellen führen. Es
bleibt eine relativ kleine Gruppe von kryptogenen Epilepsien, bei denen trotz Anwendung aller modernen Verfahren der
Diagnostik keine Ursache nachgewiesen
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
werden kann. Zu beachten ist, dass viele Epilepsien durch eine Kombination von
Ursachen zustande kommen; erbliche
Formen sind selten, es sei denn, die Epilepsie ist Symptom eines genetischen
Syndroms.
Die vielfältigen Erscheinungsformen von
Epilepsien werden durch das Lebensalter, aber auch von Lokalisation und Ausdehnung der die Anfälle verursachenden
Störung geprägt, die zu einer vermehrten Erregbarkeit von Nervenzellen führt
(gesteigerte Anfallsbereitschaft). Es
kommt zu großen generalisierten Anfällen
(Grand Mal) mit Bewusstlosigkeit und
tonisch-klonischen Zuckungen (Versteifung bzw. rhythmische Bewegungen),
oder zu kleinen Anfällen (Petit Mal), die
einerseits fokalen Ursprungs sein können,
d. h., von einem Herd ausgehen (fokalmotorisch, psychomotorisch oder komplex partiell), andererseits durch generalisierte Störungen zustande kommen (Absencen). Bei kleinen Anfällen bleibt das
Bewusstsein oft ungestört (partielle bzw.
fokale Anfälle, die sich nur durch Zuckungen bzw. Missempfindungen äußern), es
können aber auch Bewusstseinspausen
(Absencen) oder eine Bewusstseinstrübung (komplex partielle Anfälle) beobachtet werden, verbunden mit Bewegungsäußerungen, vor allem im Gesicht
(orofaziale Automatismen), oder mit
komplexen Verhaltensänderungen (so
genannte Dämmerzustände, Stereotypien
oder Automatismen). Von einem Status
epilepticus spricht man, wenn langdauernd und mehrfach große Anfälle auftreten, ohne dass das Bewusstsein wieder
erlangt wird; es handelt sich um eine
lebensbedrohliche Situation.
Aktuelle Mitteilungen
Nach ihrer Phänomenologie werden verschiedene Epilepsie-Syndrome unterschieden, die im Folgenden kurz dargestellt
sind. Zu Einzelheiten wird auf die Fachliteratur verwiesen. Für die Diagnose eines Epilepsie-Syndroms sind die genaue
Anfallsbeobachtung und der elektroenzephalographische Befund entscheidend.
Es ist deshalb wichtig, Anfälle immer
sorgfältig zu beschreiben und zu dokumentieren. Ein EEG muss abgeleitet werden, wenn es zum Auftreten eines ersten
Anfalls gekommen ist. Gegebenenfalls
sind dann auch weitere Untersuchungen,
vor allem bildgebende Diagnostik
(Magnetresonanztomographie) erforderlich, um die Ursache nachzuweisen. Das
EEG spielt auch in der Verlaufskontrolle
eine wichtige Rolle, insbesondere wenn
bei Menschen mit geistiger Behinderung
schwer zu entscheiden ist, ob plötzlich
auftretende Verhaltensänderungen Ausdruck eines epileptischen Anfalls oder
Folge einer psychoreaktiven Störung sind
(evtl. Langzeitableitung bzw. Videoaufzeichnung).
Die Diagnose des Epilepsie-Syndroms ist
eine wichtige Grundlage für die bei wiederholten Anfällen einzuleitende Therapie, zunächst meist mit Gabe geeigneter
Medikamente. Vielfach kann Anfallsfreiheit erreicht werden. Besonders bei
Vorliegen von deutlichen Strukturveränderungen, also bei schwer oder mehrfach
behinderten Menschen, gelingt es oft
nicht, die Epilepsie wirksam zu beeinflussen bzw. sind sedierende oder andere
Nebenwirkungen der Antiepileptika bei
notwendigerweise hohen Dosen ungünstig. Gegebenenfalls kommen dann andere Behandlungsmaßnahmen in Betracht
(Epilepsie-Chirurgie, Vagusnervstimulation usw.), was in der individuellen Situation sorgfältig zu prüfen ist und eine ausführliche Diagnostik erfordert.
Epilepsie-Syndrome in verschiedenen
Altersperioden
Neugeborenenkrämpfe und Syndrome
der Neonatalperiode
• Benigne idiopathische Neugeborenenkrämpfe und
• benigne familiäre Neugeborenenkrämpfe mit günstiger Prognose,
• früh-infantile myoklonische Enzephalopathie und
• früh-infantile epileptische Enzephalopathie mit ungünstigem Verlauf.
Frühkindliche idiopathische Epilepsien mit
generalisierten Anfällen
• Auftreten zwischen sechs Monaten
und fünf Jahren, bei Knaben häufiger
als bei Mädchen
• Ätiologie wohl vorwiegend genetisch
(polygen)
• Kleine Anfälle: myoklonisch, myoklonisch-astatisch, Absencen
• Große Anfälle: tonisch-klonisch, auch
als Hemi-Grand Mal
• EEG oft zunächst normal, später verändert
• Prognose unterschiedlich, nicht selten
ungünstig (Demenz, schwere Epilepsie)
West-Syndrom (BNS-Krämpfe, infantile
spasms)
• Auftreten zwischen dem dritten bis
achten Lebensmonat, bei Knaben häufiger als bei Mädchen
• Ätiologie sehr verschieden, vor allem
pränatale Entwicklungsstörungen (z. B.
tuberöse Sklerose, Lissenzephalie),
peri- und postnatale Komplikationen
(nicht selten vorher Neugeborenenkrämpfe); 10% idiopathisch (keine Ursache nachweisbar)
• Anfälle typisch mit Blitz-Nick-SalaamKrämpfen, zunehmend deutliche Verzögerung der Entwicklung (bei 90%)
• EEG charakteristisch durch Hypsarrhythmie
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
67
68
Aktuelle Mitteilungen
• Prognose im Allgemeinen ungünstig
(Ausnahme bei idiopathischer Ätiologie)
Lennox-Gastaut-Syndrom
• Auftreten zwischen zweiten und achten Lebensjahr (20% nach West-Syndrom)
• meist symptomatisch, selten idoipathisch oder kryptogen
• tonische Anfälle obligatorisch, vor
allem im Schlaf, sonst Anfälle myoklonisch, als atypische Absencen, myoklonisch-atonisch, tonisch-klonisch
• EEG deutlich verändert (Spike-waveVarianten, im Schlaf tonische Muster)
• Prognose meist ungünstig
Myoklonisch-astatische Epilepsie
• Beginn im ersten bis fünften Lebensjahr, meist nach normaler Entwicklung,
häufiger bei Knaben
• Ätiologie: Polygene Determination
• myoklonisch-(atonisch-)astatische Anfälle (Zuckungen, Stürze), nachts tonische Anfälle
• EEG mit 2–3/Sek. Spikes and Waves,
Theta-Rhythmen, Photosensibilität
• oft ungünstiger Verlauf
„Benigne“ fokale Epilepsien (RolandoEpilepsie)
• Auftreten zwischen zweitem und dreizehnten Lebensjahr, relativ häufig
(15–20%), Knaben mehr als Mädchen
• Ätiologie genetisch (hereditäre zerebrale Reifungsstörung)
• zuerst große Anfälle aus dem Schlaf
heraus, dann einfache oder komplexe
Partialanfälle in unterschiedlicher Frequenz; oft Teilleistungsstörungen; mitunter „biolelektrischer Status epilepticus“ im Schlaf (ESES bzw. CSWS mit
kontinuierlichen SW-Abläufen; dabei
Gefahr des Entstehens einer Demenz)
• unterschiedliche Häufigkeit der Anfälle
• EEG mit „Rolando-Spitzen“ zentrotemporal (sharp-wave-Foci), aktiviert
im Schlaf
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
• Prognose bezüglich Epilepsie günstig,
Anfälle hören meist mit der Pubertät
auf
• Entwicklungsstörungen bleiben bestehen, vor allem bei Pseudo-Lennox-Syndrom, Landau-Kleffner-Syndrom und
ESES bzw. CSWS
Absence-Epilepsien
• Auftreten vor allem zwischen dem siebten und zehnten Lebensjahr, bei Mädchen häufiger
• Ätiologie genetisch (idiopathisch),
selten symptomatisch
• frühkindliche A. (1.–4. LJ, 0,5–1%),
myoklonische A. (bis 7. LJ), Pyknolepsie
(6.–7. LJ, 8–10%), juvenile A. (10.–
15. LJ, 10%). Bewusstseinspausen, Bewegungen im Gesicht oder kurze
Muskelzuckungen (Myoklonien)
• EEG charakteristisch durch 3/Sec.
Spike-Wave-Paroxysmen
• Prognose abhängig vom Syndrom, eher
günstig (vor allem Pyknolepsie)
Epilepsien mit fokalen Anfällen
• etwa 50 % der Epilepsien im Erwachsenenalter
• motorisch, sensorisch, komplex-partiell
(s. auch „benigne“ Epilepsien) Symptome von Lokalisation des Herdes
(Fokus) bestimmt, vielfältig vor allem
bei temporalen, frontalen und okzipitalen Anfällen (Bewegungsäußerungen, Verhaltensänderung)
Epilepsien mit großen Anfällen
• etwa 40 %
• primär oder sekundär generalisiert
• Bindung an den Schlaf-Wach-Rhythmus möglich
Die bei Syndromen mit geistiger Behinderung auftretenden Anfälle sind im Allgemeinen durch die jeweils vorhandene
Hirnfunktionsstörung verursacht, stehen
also mit der „Grunderkrankung“ in Zusammenhang. Diese ist auch für mögli-
Aktuelle Mitteilungen
cherweise auftretende psychische Symptome verantwortlich. Eine eigentliche
„epileptische Wesensänderung“ gibt es
nicht, obwohl häufige und schwere Anfälle (vor allem Grand Mal, auch epileptische Staten, d. h., Anfallshäufung im
Schlaf) ihrerseits ungünstig für die Funktionen des Gehirns sind. Im Rahmen von
Epilepsie-Syndromen können unterschiedliche psychische Störungen auftreten, die nicht immer einfach zu deuten
sind, oft auch psychoreaktive Ursachen
haben. Es wird jeweils eine genaue Diagnostik erforderlich, bei der auch zu prüfen ist, wieweit ein Zusammenhang zwischen dem vorhandenen Syndrom und
der Epilepsie besteht. Abzugrenzen sind
immer auch nicht-epileptische Anfälle,
die beispielsweise durch Herzrhythmusstörungen, Atemschwierigkeiten, Stoffwechselveränderungen oder psychogene
Faktoren hervorgerufen werden können.
bei Kindern und Jugendlichen. Stuttgart, New
York: Thieme-Verlag. – STEFAN, H. (1999):
Epilepsien. Diagnose und Behandlung. 3. Auflage. Stuttgart, New York: Thieme-Verlag.
Literatur
Dieser Katalog weist ca. 12 000 Bücher
und sonstige Medien zur geistigen Behinderung nach, außerdem 140 Zeitschriften, 500 Hochschulschriften und etliche
CD-ROMs. Mit diesem Fundus an Medien
ist die Lebenshilfe-Bibliothek das größte
Informationszentrum zur geistigen Behinderung im deutschsprachigen Raum.
AICARDI, J.; ARZIMANOGLOU, A.; GUERRINI,
R. (2002): Epilepsy in Children. 3 rd Edition.
Hagerstown: Lippincott Williams & Wilkins. –
BESSER, R.; GROSS-SELBECK, G. (Hg) (1996):
Epilepsiesyndrome – Therapiestrategien. 2. Auflage. Stuttgart, New York: Thieme-Verlag. –
DOOSE, H. (1998): Epilepsien im Kindes- und
Jugendalter. 11.Auflage. Hamburg: Desitin-Arzneimittel GmbH. – ders. (2002): Das EEG bei
Epilepsien im Kindes- und Jugendalter. Hamburg:
Desitin-Arzneimittel GmbH. – JANZ, D. (1998):
Die Epilepsien. Spezielle Pathologie und Therapie. 2. Auflage. Stuttgart, New York: ThiemeVerlag. – MATTHES, A.; SCHNEBLE, H. J. (1992):
Epilepsien. Diagnostik und Therapie für Klinik
und Praxis. 5. Auflage. Stuttgart-New York:
Thieme-Verlag. – ROGER, J.; BUREAU, M.;
DRAVET, CH.; GENTON, P.; TASSINARI, C. A.;
WOLF, P. (ed) (2002): Epileptic Syndromes in
Infancy, Childhood and Adolescence. 3 rd Edition.
Montrouge: John Libbey Eurotext. – SCHMIDT,
D. (1993): Epilepsien und epileptische Anfälle.
Stuttgart, New York: Thieme-Verlag. –
SCHMIDT, D.; ELGER, CH. E. (2002): Praktische
Epilepsiebehandlung. 2. Auflage. Stuttgart, New
York: Thieme-Verlag. – SIEMES, H.; BOURGEOIS, B. F. D. (2001) Anfälle und Epilepsien
Informationen: Geschäftsstelle der Deutschen Sektion der Internationalen Liga gegen Epilepsie. Herforder Str. 5–7, 33602
Bielefeld, www.ligaepilesie.de
Gerhard Neuhäuser, Linden
Die Lebenshilfe-Bibliothek
Marburg ... jetzt online
Der Katalog der Lebenshilfe-Bibliothek ist
online geschaltet!
Damit geht ein von der Aktion Mensch
gefördertes Projekt zur Komplettierung
der Bibliotheksdaten und ihrer Bereitstellung im Internet erfolgreich zu Ende. Viel
mehr Interessenten als bisher haben nun
die Möglichkeit, einfach und schnell im
Bestand zu recherchieren.
Das Angebot reicht von Fachliteratur zu
Familie, Frühförderung, Kindergarten,
Schule über Erwachsenenalter und alte
Menschen bis hin zu Themen wie Selbstbestimmung und Teilhabe, Sexualität,
Kunst etc. Eine Sammlung verständlicher
Materialien für Menschen mit Leseschwierigkeiten ergänzt seit einigen Jahren das Angebot.
Aufgaben der Lebenshilfe-Bibliothek sind
• die Literaturversorgung der Fortbildungsteilnehmer(innen) des Instituts
Inform der Bundeszentrale, von Eltern,
ehrenamtlich Tätigen und anderen;
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
69
70
Aktuelle Mitteilungen
• Informationen für Menschen mit Behinderungen;
• Erbringen von Dienstleistungen für den
Wissenschaftsbetrieb – als eine wertvolle Stütze für viele Studierende;
• Unterstützung der fachlichen Grundlagenarbeit der Mitarbeiter(innen) der
Bundeszentrale, eine der Grundlagen
für das Wissensmanagementsystem.
Orts- und (kostenpflichtige) Fernleihe sind
möglich, Literaturrecherchen und in
kleinerem Umfang Versand von Aufsatzkopien (gegen Gebühren). Genaue Informationen hierzu, auch zu Öffnungszeiten u. a. sowie unseren neuen OnlineBibliothekskatalog finden Sie im Internet
unter http://mail.lebenshilfe.de/lars/html/
start.htm
Jedes fünfte Kind ist krank
an Körper und Seele
Experten beunruhigt über Anwachsen
neuer Kinderkrankheiten
Etwa jedes fünfte Kind in Deutschland leidet unter Entwicklungs- und Verhaltensstörungen. Bereits bei Säuglingen und
Kleinkindern sind Eltern-Kind-Bindungsund Regulationsstörungen (exzessives
Schreien, Schlaf- und Fütterprobleme)
weit verbreitet. Später kommen Bewegungsmangel und Übergewicht, Sprachentwicklungsstörungen und psychosoziale
Auffälligkeiten hinzu. Beunruhigend ist
auch die hohe Zahl von Kindern mit chronischen und umweltmitbedingten Erkrankungen wie zum Beispiel Neurodermitis
und Allergien. Besonders betroffen sind
Kinder, die in Armut aufwachsen, ein bildungsfernes soziales Umfeld haben und
in städtischen Ballungszentren leben, sowie Kinder aus Migrantenfamilien. Fachleute schlagen Alarm: „Wenn wir nicht
gegensteuern, gerät ein beträchtlicher Teil
unserer Kinder ins gesundheitliche und
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
soziale Abseits“, so Prof. Franz Resch,
Kinder- und Jugendpsychiater und Präsident der Deutschen Liga für das Kind.
Nicht mehr die klassischen Infektionskrankheiten, sondern neuartige, komplexe Erkrankungen, die gleichermaßen
Körper, Seele und soziale Beziehungen
beeinträchtigen, gehören Resch zufolge
heute zum Alltag des Kinderarztes und
Kinder- und Jugendpsychiaters.
Ursachen für diese neuen Kinderkrankheiten sind ein ungünstiges Zusammenspiel von konstitutionellen Faktoren, gesundheitlichem Fehlverhalten, mangelnder Information und belastenden Lebensverhältnissen. „Wir müssen viel mehr als
bisher präventiv tätig werden und Eltern
und auch die Kinder selbst zur aktiven
Mitarbeit gewinnen. Unabdingbar ist
auch, die Grenzen zwischen den verschiedenen Fachbereichen aufzuweichen. Ärzte, Psychologen, Lehrer und Erzieherinnen müssen zusammenarbeiten. Eine gute
Möglichkeit ist die Einrichtung Runder
Tische zur Gesundheitsförderung auf lokaler Ebene“, so Prof. Resch. Auf der
Jahrestagung der Deutschen Liga für das
Kind in Zusammenarbeit mit der Kinderund Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Heidelberg am 29./30. Oktober in Heidelberg erörterten Fachleute aus
Pädiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychologie und Pädagogik Ursachen und
Behandlungsmöglichkeiten der neuen Erkrankungen. Gefordert wird u. a. die rasche Umsetzung von Präventionsmaßnahmen im Rahmen des von der Bundesregierung angekündigten Nationalen
Aktionsplans „Für eine kindergerechte
Welt“.
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen
Liga für das Kind vom 29.10.2004
Aktuelle Mitteilungen
Das Büro für Leichte Sprache
(04 21) 3 87 77 79
(04 21) 3 87 77 99
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
71
72
Aktuelle Mitteilungen
Das Büro für Leichte Sprache „So kann es jeder verstehen!“
Warum leichte Sprache?
Komplizierte Texte von Behörden, Verträge, Bedienungsanleitungen – es passiert immer wieder,
dass wir im Alltag auf Sprache treffen, die schwer verständlich ist.
Um sich selbstständig und selbstbestimmt in der Welt bewegen zu können, ist es wichtig, Sprache
und Texte zu verstehen. Für Menschen mit Beeinträchtigung, sei es eine Sinnesbeeinträchtigung,
kognitive Beeinträchtigung oder eine Lernbehinderung, ist dies zum Teil sehr schwer bis unmöglich.
Damit Texte für Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen verständlich werden, muss die
Sprache an die aktuelle Lesekompetenz angepasst werden. Dieses kann zum Beispiel durch eine
leichtere Ausdrucksweise und zusätzliche Erläuterungen durch Bilder und Symbole geschehen. Für
Menschen, die nicht lesen können oder eine Sinnesbeeinträchtigung haben, kann es hilfreich sein,
einen Text auf CD zu sprechen oder eine Videoaufnahme in Gebärdensprache zu erstellen.
Das Büro für Leichte Sprache ist ein Beratungs- und Übersetzungsbüro. Es übersetzt schwer
verständliche Sprache in leichte Sprache.
Was bietet das Büro für Leichte Sprache?
• Beratung und Unterstützung bei individuellen Verständnisproblemen,
• die Übersetzung allgemeiner Dokumente, z. B. Gesetzestexte, Arbeitsverträge, Mietverträge,
Informationsbroschüren, Gebrauchsanweisungen, Beipackzettel usw.
• Produktion von Materialien in leichter Sprache,
• Begleitung in Gremienarbeit (z.B. Protokolle von Heimbeiräten, Werkstatträten).
Perspektivisch bieten wir:
• Fortbildungen und Schulungen zum Thema leichte Sprache,
• Vorbereitung und Unterstützung von Veranstaltungen und Tagungen,
• Produktion von Bild- und Tonmaterialien in leichter Sprache (z.B. Audio-CD und Gebärdenvideos).
Wem hilft das Büro für Leichte Sprache?
Das Angebot richtet sich an
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Menschen mit Beeinträchtigung, die einen Text in leichte Sprache übersetzt haben möchten,
Angehörige von Menschen mit Beeinträchtigung,
Einrichtungen und Angebote der Behindertenhilfe,
Interessenvertretung und Selbsthilfeorganisationen,
Bildungsträger,
Ämter, Behörden, Parteien,
Krankenkassen und Ärzte,
Medien und Verlage,
Firmen.
Lebenshilfe Bremen e.V.
Büro für Leichte Sprache
Waller Heerstr. 59
28217 Bremen
Ihre Ansprechpartnerinnen:
Claudia Wessels
Astrid Cibusch
Telefon: (04 21) 3 87 77 79
Telefax: (04 21) 3 87 77 99
leichte-sprache@lebenshilfe-bremen.de
Büro für Leichte Sprache
Eine Kooperation der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.V. und der
Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
Unterstützt durch: Aktion Mensch
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Europa
Europa
Die Rubrik „Europa“ wird von Inclusion Europe, der europäischen Interessenvertretung von Menschen
mit geistiger Behinderung, mit Neuigkeiten direkt aus Brüssel beliefert. Interessenten erreichen Inclusion
Europe unter folgender Adresse: Galeries de la Toison d’Or – 29 Chaussée d’lxelles #393/32 – B-1050
Brussels – Belgium, Tel.: +32-2-5 02 28 15, Fax: +32-2-5-02-80 10, secretariat@inclusion-europe.org
„Included in Society“ – eine europäische Studie
Behinderte Menschen haben das Recht auf Eingliederung in die Gesellschaft
In der Vergangenheit waren in Europa
Menschen mit Behinderungen häufig
dazu gezwungen, in Großeinrichtungen
zu leben. Behinderten-, Selbsthilfe- und
Selbstbestimmungsorganisationen weisen
darauf hin, dass dies in einem modernen
Europa inakzeptabel geworden ist. Großeinrichtungen isolieren die Bewohner von
der Gemeinschaft und grenzen sie aus
dem sozialen Leben aus.
Eine große Anzahl von Berichten beschreibt untragbare Lebensbedingungen
und Verletzungen der Menschenrechte und
der Würde der Bewohner. Trotzdem haben bisher nur wenige Länder Schritte unternommen, um die Politik zu ändern, die
behinderte Menschen aus der Gesellschaft
ausschließt. Dies allein stellt bereits eine
massive Menschenrechtsverletzung dar.
Alle Mitgliedsländer der Europäischen
Union haben sich zum Schutz und zur
Förderung der Menschenrechte verpflichtet. Die neue Sozialpolitik der Europäischen Union zielt darauf ab, Behindertenfragen in allen Lebensbereichen zu berücksichtigen. Des Weiteren möchte sie
den Ausschluss behinderter Menschen
verhindern und ihre soziale Integration
fördern.
Es gibt auch eine Vielzahl internationaler und europäischer Gesetze, die Menschenrechte und Grundfreiheiten schützen. Sie sorgen für Schutz vor willkürli-
cher Freiheitsberaubung, angemessene
Lebensbedingungen, Pflege und Behandlung, individuelle Entwicklungspläne,
Schutz vor Schaden sowie das Recht auf
Privat- und Familienleben.
Obwohl Menschenrechte universell sind,
wurden Menschen mit Behinderungen bis
vor kurzem nicht als Nutznießer dieser
Rechte betrachtet. Zu wenig Aufmerksamkeit wurde den schweren Menschenrechtsverletzungen geschenkt, denen sie
ausgesetzt sind. Doch nun werden potenzielle Menschenrechtsverletzungen, die
durch die Unterbringung behinderter
Menschen in Großeinrichtungen entstehen können, zunehmend erkannt und
bekämpft. Der Oberste Gerichtshof der
Vereinigten Staaten zum Beispiel hat erst
kürzlich entschieden, dass die ungerechtfertigte Isolierung von Menschen mit geistigen Behinderungen in Großeinrichtungen eine Diskriminierung darstellt.
Dementsprechend müssen qualitativ
hochwertige gemeindenahe Angebote
entwickelt werden, basierend auf Grundwerten wie gleichen Bürgerrechten und
sozialer Eingliederung. Aus vorhandenen
Menschenrechtsbestimmungen ergeben
sich fünf Grundvoraussetzungen, die diese Entwicklung unterstützen und fördern:
Respekt, Wahlfreiheit, Teilhabe, Unabhängigkeit sowie Verantwortung für behinderte Menschen auf regionaler und
lokaler Ebene.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
73
74
Europa
Die Studie, die im Rahmen des Projekts
„Included in Society“ durchgeführt wurde, ist der erste Versuch, Einrichtungen
für behinderte Menschen in verschiedenen europäischen Ländern zu vergleichen. Die Ergebnisse sind notgedrungener Weise vorläufig. Trotzdem bietet die
Studie eine große Anzahl vergleichbarer
Daten und präsentiert ein relativ klares
und übereinstimmendes Bild.
Die Studie über die Anzahl und Merkmale von Großeinrichtungen in 25 Ländern identifizierte annähernd 2 500 solcher Einrichtungen. Sie zeigt ebenfalls
den Mangel an vergleichbaren Daten über
institutionelle Angebote für behinderte
Menschen in Europa auf.
Die detaillierte Studie über Wohneinrichtungen in Frankreich, Ungarn, Polen
und Rumänien zeigt, dass hier die Großeinrichtungen in vielerlei Hinsicht denen
ähneln, die bereits in anderen Ländern
untersucht wurden. Das Leben der Bewohner ist gekennzeichnet von stundenlanger
Passivität, Langeweile und Isolation. Die
Anzahl der Mitarbeiter ist zu gering, um
Rehabilitationsmaßnahmen und Therapien durchzuführen. Die räumliche Umgebung ist unpersönlich und bietet nicht die
Form von Privatsphäre und Gemütlichkeit,
die wir allgemein erwarten. Der Kontakt
zu Familie, Freunden und der sozialen
Gemeinschaft ist sehr begrenzt. In dieser
Situation entstehen untragbare Praktiken,
wie das tagelange Fesseln ans Bett oder
die Verwendung von „Käfigbetten“.
Beobachtungen in den Einrichtungen, die
während des Projekts gemacht wurden,
dokumentieren die Ergebnisse der Studie auf praktischer Ebene. Die Augenzeugenberichte im Bericht liefern eine direkte Dokumentation von Praktiken der
Mitarbeiter(innen) und der Allgemeinsituation.
Das allgemeine Bild dieser Studie ergibt,
dass gemeindenahe Angebote im Durch-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
schnitt bessere Ergebnisse hinsichtlich der
Lebensqualität für behinderte Menschen
erzielen als große Einrichtungen. Das Ersetzen dieser Einrichtungen durch gemeindenahe Angebote bietet bessere
Möglichkeiten, es ist dennoch keine Garantie für bessere Ergebnisse – es ist eine
notwendige, aber keine ausreichende
Bedingung. Das Erzielen guter Ergebnisse
gemeindenaher Angebote ist abhängig
von der Qualität der Arbeit der Mitarbeiter(innen).
Über die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen von Großinstitutionen
zeigt die Studie eine Anzahl Probleme
von Dienstleistungsanbietern während des
Prozesses hin zu gemeindenahen Angeboten.
Um zu erreichen, dass behinderte Menschen als gleichberechtigte Bürger in der
Gesellschaft leben, müssen verschiedene Ziele formuliert werden. Diese Ziele
beschreiben, welche Bedürfnisse langfristig erfüllt werden müssen. In der Zukunft
sollten Menschen mit Behinderungen die
gleichen Chancen wie andere Bürger und
Bürgerinnen haben, um ihre Rechte ausüben zu können und Teil der Gesellschaft
zu sein. Sie sollten Zugang zu hochwertigen gemeindenahen Angeboten als
Alternativen zur Pflege in einer Einrichtung haben. Alle Betroffenen und Verantwortlichen sollten am Aufbau dieser auf
individuellen Bedürfnissen basierenden
Angebote beteiligt sein. Die Prinzipien für
eine positive Veränderung bilden das zentrale Element aller Handlungen, die zur
Planung, Einrichtung und Überprüfung
dieser Angebote nötig sind. Es sollten
sowohl Interessenvertretung und Selbstbestimmung als auch die Unterstützung
durch Gleichbetroffene sichergestellt und
gefördert werden.
Um das Leben in der Gemeinschaft und
die Verfügbarkeit von umfassenden und
qualitativ hochwertigen gemeindenahen
Europa
Angeboten für alle behinderten Menschen
in Europa zu garantieren, schlägt das Projekt „Included in Society“ die folgenden
sechs Maßnahmen vor:
1. Die Entwicklung von Strategien und
Aktionsplänen für den Aufbau von gemeindenahen Angeboten, die die
Menschenrechte von Personen mit Behinderung respektieren und unterstützen. In diesem Zusammenhang
müssen Behindertenfragen in alle
Politikfelder einbezogen werden, die
UN-Standardregeln müssen bestätigt
und angewendet werden und das
Thema muss angemessen in die Konvention der Vereinten Nationen über
die Rechte behinderter Menschen aufgenommen werden.
2. Dem Angebot gemeindenaher Dienste
für behinderte Menschen in den neuen
Mitgliedsländern und den Beitrittsländern muss absolute Priorität gegeben werden.
3. Verpflichtende Modelle zur Qualitätsüberwachung und -sicherung im Rahmen der Konsumentenschutzpolitik
müssen entwickelt werden, wie auch
leicht zugängliche Beschwerdeverfahren für die Nutzer von Dienstleistungen.
4. Finanzierungsstrukturen müssen etabliert werden, die sicherstellen, dass
Dienstleistungen auf der Basis von individuellen Bedürfnissen angeboten
werden.
5. Die Selbstverpflichtung, keine weiteren Großeinrichtungen mehr zu bauen.
verschiedener Entscheidungsträger erfordert, bleiben die nationalen Regierungen
für den Aufbau von Angeboten hoher
Qualität für alle Bürger und Bürgerinnen
verantwortlich.
Alle Beteiligten und Verantwortlichen –
behinderte Menschen, ihre Angehörigen,
Dienstleistungsanbieter, Behindertenorganisationen, nationale und lokale Behörden, wie auch die Europäische Union
– sollten eng zusammenarbeiten, um das
Ziel eines Aufbaus gemeindenaher Angebote als Alternative zu Großeinrichtungen
in Europa zu erreichen. Die Europäische
Union ist dazu aufgerufen, diesen Prozess zu unterstützen, indem sie sich des
Themas Großinstitutionen in ihren regelmäßigen Berichten zu den Menschenrechten, zur Situation behinderter Menschen und sozialer Isolation annimmt. Sie
sollte ebenfalls die Mittel für die nötigen
Studien als auch für den Austausch von
Strategien und Erfahrungen auf europäischer Ebene zur Verfügung stellen, um
ein Angebot hochwertiger gemeindenaher Angebote in ganz Europa sicherzustellen.
Dieser Text ist die Zusammenfassung
der Projektpartner zu ihrer Studie
„Included in Society“ zur Situation
behinderter Menschen in Europa. Die
rund 100 Seiten umfassende Publikation erscheint in Deutsch, Englisch,
Französisch, Polnisch, Rumänisch und
Ungarisch.
Weitere Informationen sind unter http://
www.community-living.info verfügbar.
6. Die Gründung der „Europäischen Koalition für ein Leben in der Gemeinschaft” als Zentrum zur Überwachung
und Sicherstellung gemeindenaher
Angebote.
Während die Entwicklung gemeindenaher Angebote die Beteiligung vieler
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
75
76
Buchbesprechungen
Buchbesprechungen
Erhard Fischer (Hg.)
Pädagogik für Menschen mit
geistiger Behinderung
Sichtweisen – Theorien – Aktuelle Herausforderung. Oberhausen: ATHENAVerlag 2003, 418 Seiten, 24,50 Euro,
ISBN 3-89896-140-0
Der Sammelband enthält sechzehn Beiträge von siebzehn Autorinnen und Autoren. Die Beiträge sind hauptsächlich im
Umkreis der Studiengänge Diplompädagogik und Lehramt an Förderschulen für
geistig behinderte Kinder und Jugendliche
entstanden. Leicht abweichend vom Untertitel sind die Beiträge nach Grundlagen und -fragen (vier), Sichtweisen (neun)
und Aktuelle Entwicklungen (drei) gegliedert.
Folgt man dem ersten Beitrag, der zugleich Vorwort und Einleitung ist, dann
will der Herausgeber die Frage „Geistige
Behinderung“ – Fakt oder Konstrukt?
vom Tisch haben. Es ist zu wünschen, dass
es mit diesem Buch gelingt. Die Frage
scheint an sonderpädagogischen Studienstätten ein beherrschendes Thema zu
sein – hoffentlich nur vorübergehend;
denn falsch angelegte Alternativfragen,
auf die es keine vernünftige Antwort geben kann, verwirren Studierende. Fischer
zitiert denn auch Tim Bendokat und
Sebastian Barsch, zwei erfahrene Sonderschullehrer, die aus gutem Grund schon
2002 vor der dogmatisch geführten „Entweder-Oder“-Diskussion warnten. Fischer
selbst unterscheidet zusammenfassend
zwei Sichtweisen: (1) eine, die sich auf
das Individuum bezieht (und an Defiziten
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
der Kinder orientiert) und (2) eine, die
systemisch vorgeht (und Kompetenzen der
Kinder sucht). Die (von mir) in Klammer
gesetzten Zusätze lassen sich austauschen. Die Aufgabe besteht wohl darin,
sowohl das Berechtigte wie auch das
Begrenzte wissenschaftlicher Sichtweisen
zu zeigen. Das tut Fischer in seinem zweiten Beitrag, wenn er die Internationale
Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF = International Classification of Functioning) der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorstellt und untersucht, wie der deutsche
Terminus „geistige Behinderung“ auf deren Hintergrund zu verstehen ist. Wissenschaftliche Zugriffe erfassen Ausschnitte
der Wirklichkeit, und ob Theorien erklärungsmächtig oder nur dünne Abstraktionen sind, gut für die Hochschulkarriere,
aber sonst nicht von Belang, entscheidet
sich in Familie, Schule und Gesellschaft.
Heinz Mühl geht auf das Verhältnis von
Geistigbehindertenpädagogik und Pädagogik ein – eine wichtige Frage. Er gebraucht hierbei den vermittelnden Begriff
„Lernniveau“. Der Ansatz würde es erlauben, „geistige Behinderung“ in die Mehrzahl („geistige Behinderungen“) zu
setzen und die vielen unterschiedlichen
Lernniveaus (nicht die Kinder!) zu untersuchen und zu ordnen. Wer Förderschulen
für Kinder mit geistiger Behinderung
kennt, weiß, wie vielfältig die Unterrichts- und Erziehungsvoraussetzungen
sind. Man kann fragen, ob es in der Vielfalt eine Ordnung gibt, die – darauf
kommt es an – pädagogisch relevant ist.
Nach der Verschiedenartigkeit von Lernniveaus und damit nach der Verschiedenartigkeit pädagogischer Möglichkeiten für
Buchbesprechungen
wirksame Förderung fragten schon
Georgens und Deinhardt im zweiten Band
ihrer Heilpädagogik. Diese Frage ist
immer noch aktuell. Es folgen zwei Artikel, von denen der eine sich mit ethischen
Fragen (Markus Dederich), der andere
mit Selbstbestimmung als Leitidee (Theo
Klauß) befasst. Interessanterweise unterscheidet auch Klauß Lernniveaus, ohne
sie ausdrücklich so zu nennen. Ich möchte es dahingestellt sein lassen, ob Ethik
und Selbstbestimmung wirklich pädagogische Grundfragen sind oder nicht doch
nur Aspekte, welche die Klärung von
Grundfragen der Pädagogik voraussetzen.
Der zweite Teil beginnt mit Sichtweisen
pädagogischer Nachbarfächer, die traditionell in der Sonderpädagogik große Beachtung finden: Psychiatrie (Claudia
Mehler-Wex und Andreas Warnke), Psychologie (Konrad Bundschuh), Soziologie
(Reinhard Markowetz). Dann folgen konkurrierende und sich ergänzende Konzeptionen, die auch in der Pädagogik Bedeutung erlangt haben: Personalismus (Peter
Heinrich), Anthroposophie (Maximilian
Buchka), Phänomenologie (Barbara
Fornefeld), Konstruktivismus (Michael
Wagner). Ferner stellt der Herausgeber
in diesem Teil die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit dar, und
Walter Straßmeier diskutiert den Ansatz
des Warnock-Reports „besonderer Erziehungsbedarf“ in systemischer Sicht.
Der dritte Teil „Aktuelle Entwicklungen“
beginnt mit der schwersten Behinderung
(Andreas Fröhlich und Lars Mohr). Die
Zahl der Menschen mit schwersten Behinderungen steigt in Europa in allen Altersstufen. Die Autoren plädieren für interdisziplinäre „Kompetenzzentren“ für die
besonderen Aufgaben bei schwerer kognitiver Behinderung; denn Sonderpädagogik müsse sich unter Umständen „als
Pädagogik der Lebensspanne begreifen“.
Die zwei letzten Beiträge gehen auf die
berufliche Qualifizierung (Kurt Jacobs)
und auf die Qualitätsdiskussion in der
Pädagogik ein (Christel Rittmeyer).
Rittmeyer schließt mit dem Satz: „Der wesentlichste Bereich der Qualitätssicherung
an der Schule für Geistigbehinderte ist
das Schulprogramm ...“. Ihr ist zuzustimmen; denn Didaktik lässt sich von der
Heilpädagogik, wenn es um Grundlegungen geht, nicht abtrennen.
Heinz Mühl schließt seinen Beitrag: Die
Fachrichtung „Pädagogik bei geistiger
Behinderung sollte daher so lange beibehalten werden, bis andere Disziplinen
deren Aufgabenstellungen kompetent
übernehmen können“ (56). Ist das defensiv, offensiv oder ironisch? Weit und breit
gibt es außer der Sonderpädagogik keine
Disziplin, welche bereit und imstande
wäre, die basalen Fragen der Pädagogik
zu durchdenken, sodass sie auch für Menschen mit geistiger Behinderung gelten.
Schon Edouard Séguin fühlte sich, wie er
schrieb, allein gelassen, „nicht nur in
meinem Versuch der Behandlung von geistig Behinderten, sondern auch allein bei
der Erarbeitung einer allgemeinen Pädagogik (travail de pédagogie générale), die
zu formulieren ich mich jeden Tag mit größerer Bestimmtheit verpflichtet sah; so dass
ich befürchte, anstatt eines Buchs über ein
einziges Thema zwei geschrieben zu haben: Eines über geistige Behinderung, das
andere über die Erziehung“. Die Probleme in Familie und Schule sind vielfältig
und drängend, sodass auf eine Verunsicherung durch Scheinalternativen keine
Zeit verschwendet werden sollte. Wünschenswert wäre bei einer zweiten Auflage ein Stichwort- und Personenverzeichnis; denn das nach vielen Seiten
hin offene Buch will nach seiner Anlage
alle Interessenten über den aktuellen
Diskussionsstand des Faches informieren
und wird daher, nicht nur von Lehramtsstudierenden, sicher gerne gelesen.
Andreas Möckel, Würzburg
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
77
78
Buchbesprechungen
Wolfgang Lamers, Theo Klauß (Hg.)
... alle Kinder alles lehren! –
aber wie?
Theoriegeleitete Praxis bei schwer- und
mehrfachbehinderten Menschen.
Düsseldorf: Verlag selbstbestimmtes Leben 2003. 379 Seiten, 19,90 Euro, ISBN
3-91009-555-0
Zum Thema des Buchs hat im Herbst 2002
an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg ein Kongress zu theoriegeleiteten Fragen der sonderpädagogischen Praxis bei
Kindern und Jugendlichen mit schweren
und mehrfachen Beeinträchtigungen stattgefunden. Die zahlreichen Teilnehmenden
aus unterschiedlichen Berufsfeldern erwarteten von den über hundert Vortragenden
aus zehn europäischen Ländern Antworten auf die Frage, wie auf der Basis von
Theorien und Konzepten eine gelingende
Praxis ermöglicht werden kann. Das Motto der Tagung „alle Kinder alles lehren“
erinnert an die Forderung von Comenius
aus dem 17. Jahrhundert, allen Menschen
eine allseitige und umfassende Bildung zukommen zu lassen. Die damals als revolutionär anmutende Forderung wird heute auch für Menschen mit einem hohen
Erziehungs- und Bildungsbedarf grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt, dennoch
stehen wir in der praktischen Umsetzung
dieses bildungspolitischen Grundrechts vor
allem in der Schule oft vor kaum lösbaren
Aufgaben angesichts der gegebenen extremen Heterogenität der zu lehrenden
Gruppen oder angesichts der Schwere der
Behinderung, die zuweilen kaum Entwicklungsschritte erkennbar werden lässt. Deshalb kommt es immer wieder vor, dass
Schulen oder Eltern vor der Schwere der
Aufgabe kapitulieren und den Schulbesuch des Kindes, wenn auch meist vorübergehend, ruhen lassen (Fröhlich,
Ulbrich).
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Im ersten Teil des Bandes stehen didaktische Fragestellungen im Mittelpunkt. In
einführenden Beiträgen stellen sich die
Herausgeber der Frage, ob Menschen mit
schwersten Behinderungen überhaupt Bildung brauchen, was Bildung bedeutet und
wo Bildung beginnt. Bildung müsse allseitige Bildung sein, beginne aber schon im
Bereich der körperlich bedingten Bedürfnisse, also nicht erst mit dem Sprechen
lernen oder gar erst mit dem Erwerb der
Lerninhalte, die bis ins 19. Jahrhundert für
das Bildungsbürgertum vorgesehen waren.
Bildung auf weiteren Stufen bedarf dann
allerdings der Elementarisierung (Heinen),
nicht als bloßer Methode; denn sie ist ein
Beziehungsgeschehen, das den Umgang
zwischen Lehrenden und Lernenden betrifft wie die Beziehung des Lernenden zur
Gemeinschaft und zum kulturellen Erbe.
Die meisten weiteren Beiträge erörtern
praktische Beispiele der Elementarisierung
im Hinblick auf Inhalte bestimmter Fächer:
Mathematik – Deutsch – Musik (Böing;
Kriwet-Silkenbeumer), Märchen (Horsch),
Arbeitslehre am Beispiel eines Topfuntersetzers (Kant), Reihenbildung (Kleinbach),
elementare Mathematik beginnend beim
Füttern (Kretschmann), Erlebnistheater
„Sinnflut“ mit Inhalten der Bildenden
Kunst und der Literatur (Goethes Werther)
(Offermanns, Seulmann), grafisches Gestalten mit dem Computer (Gekeler,
Mayrhofer), Literaturunterricht (Seitz). Der
gemeinsame Unterricht für Schülerinnen
und Schüler mit schwerer geistiger Behinderung wird im Hinblick auf zwei Lernorte untersucht: in Kooperationsklassen in
Baden-Württemberg (Markowetz) und in
der Sekundarstufe I an der Gesamtschule
Köln-Hofweide (Schwager).
Der zweite Teil des Bandes thematisiert
Fragen des Förderns, Pflegens, Begleitens
und Teilnehmens in unterschiedlichen
Lern- und Lebensbereichen, Tätigkeiten,
die möglichst im Alltag und für den Alltag realisiert werden sollen. So entwickelt
Buchbesprechungen
Breitinger eine alltagsorientierte Didaktik zur Vermittlung der Alltagskultur,
Wieczorek plädiert für ein Lernen im und
am Alltag auf der Basis des erreichten
Entwicklungsstands im Hinblick auf Neugier und Explorationsverhalten. Auch die
Tätigkeiten der Pflege und Versorgung
lassen sich der Alltagsorientierung zuordnen, verstehen sich aber grundsätzlich als
Unterricht, in dem Lernziele umgesetzt
werden, wie Dudenhöfer für Körperpflege und Nahrungsversorgung sowie
Schramm für Essen, Trinken und Schlucken aufzeigt. Erziehung und Bildung bei
Schülerinnen und Schülern mit schwerer
geistiger Behinderung stehen in Gefahr,
deren Selbstbestimmung zu vernachlässigen, der Gekeler und Mayrhofer mit der
Methode der leicht zurückweisbaren
Angebote begegnen (vgl. auch Wieczorek), oder defizitorientiert vorzugehen,
dem Schwer die Kompetenzorientierung
der sich pädagogisch verstehenden
Feldenkrais-Methode gegenüberstellt.
Grundlage einer alltagsorientierten wie
entwicklungsbegleitenden Förderung in
der Einzelsituation oder im Klassenunterricht sind individuelle Förderpläne, zu
deren Erstellung Störrle ein realistisches
Modell vorstellt, und deren effektiver
Umsetzung in gelingender Teamarbeit, zu
der Hunkler und Kluttig für die Abteilung
der Schüler mit geistiger Behinderung an
einer Schule für Blinde und Sehbehinderte
angesichts der zahlreichen beteiligten Professionen Anregungen bieten. Grundlage
ist auch eine angemessene Diagnostik, zu
der Holtz und Nassal in Fortschreibung des
Heidelberger-Kompetenz-Inventars mit der
Version H-KISS ein für Schülerinnen und
Schüler mit schwerer geistiger Behinderung geeignetes Verfahren vorbereiten,
das neben den individuellen Kompetenzen auch Ressourcen der Lernumgebung
erfasst, um eine Passung zwischen beiden
abzuleiten. Wie kann man Studierende für
differenzierenden Unterricht ausbilden? Zu
dieser Frage stellen Kane, Koch und Wann
ein Ausbildungskonzept für den Unterricht
unter Beteiligung von Schülern mit herausforderndem Verhalten vor. Am Beispiel der
Pflege eines Sinnesgartens als einer sinnvollen Alltagsbeschäftigung werden Strategien des erfolgreichen Umgangs mit
herausforderndem Verhalten durch differenzierenden und teamgestützten Unterricht vorgestellt.
Heinz Mühl, Oldenburg
Ernst Wüllenweber (Hg.)
Soziale Probleme von
Menschen mit geistiger
Behinderung
Fremdbestimmung, Benachteiligung,
Ausgrenzung und soziale Abwertung.
Stuttgart: Kohlhammer 2004, 360 Seiten,
26,00 Euro, ISBN 3-17-018062-2
Der vorliegende Band dient dem Ziel,
soziale Probleme in der Lebenswelt von
Menschen mit geistiger Behinderung zu
beleuchten und einen Wandel in der
behinderungsbezogenen Perspektive von
Professionellen zu befördern. Der Herausgeber führt 23 Autorinnen und Autoren
zusammen und unternimmt erfolgreich
den Versuch, ein breites Spektrum sozialer Problemlagen zu beleuchten. Dabei
wird zwischen sechs Themenbereichen
unterschieden (Einführung und Begriffsbestimmung, 12–35; Geschlecht, Sexualität und Partnerschaft, 36–111; Einsamkeit und Ablösung von den Eltern, 112–
147; Gewalt und Delinquenz in Bezug auf
geistige Behinderung, 148–201; Gesundheit und Behinderung, 202–287; Stigmatisierung, Fremdbestimmung, Ausgrenzung, 288–358.) Es kann nicht Aufgabe
des Rezensenten sein, alle Beiträge in
ihrem differenzierten inhaltlichen Bild
vorzustellen und zu bewerten. Die nach-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
79
80
Buchbesprechungen
folgenden Anmerkungen beziehen sich
auf ausgewählte Beiträge, denen unseres Erachtens ein besonderer Stellenwert
zukommt. Potentielle Leserinnen und
Leser werden eigene Gewichtungen vornehmen, was sich allein schon aus professionellen Zusammenhängen in der
Behindertenhilfe ergeben kann.
Im einleitenden Kontext heben Ernst
Wüllenweber und Marion RuhnauWüllenweber die Kategorie der sozialen
Probleme aus dem Alltagsverständnis in
die wissenschaftliche Fachdiskussion (12–
17). Das wird von Georg Hey fortgeführt,
der soziale Probleme als Konstrukt der
Soziologie und der Sozialen Arbeit kennzeichnet und wesentliche Aspekte der
wissenschaftlichen Betrachtung (DevianzParadigma, systemtheoretischer Ansatz
u. a. m.) herausarbeitet (18–35).
Im Themenbereich Geschlecht, Sexualität,
Partnerschaft soll der Beitrag von Ulrike
Schildmann hervorgehoben werden (Geschlecht und geistige Behinderung), in dem
die fehlende Differenziertheit in der Betrachtung von Ungleichheitslagen seine
Widerspiegelung findet (36–45). Neben
Beiträgen von Irina Hennies, Matina Sasse, Ursula Pixa-Kettner und Stefanie
Bargfrede verdient auch die Arbeit von
Susan Leue-Käding Erwähnung, in der auf
dem Hintergrund umfangreicherer empirischer Untersuchungen die sexuelle Gefährdung von Menschen mit geistiger Behinderung und Möglichkeiten der Prophylaxe abgehandelt werden (89–111).
Der dritte Themenbereich (Einsamkeit
und Ablösung von den Eltern) stellt eine
bislang wenig beleuchtete soziale Problemlage in den Mittelpunkt der Betrachtung. Während Brigitte Kendel und Regina
Thomas das Problem der Einsamkeit thematisieren (112–130), skizzieren Irina
Hennies und Eugen J. Kuhn die Problematik der Ablösung von den Eltern, vor
allem unter dem Gesichtspunkt einer
selbstbestimmten Lebensgestaltung. Zu-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
gleich verdeutlichen sie Defizite im familiären Umfeld für erwachsene Menschen
mit geistiger Behinderung und Potenzen,
die in einem begleiteten sozialen Umfeld
liegen (131–147).
Der Themenbereich Gewalt und Delinquenz erhält seine theoretische Dimension vor allem durch den Beitrag von Wolfgang Jantzen (Geistige Behinderung und
strukturelle Gewalt, 148–169), der die
strukturelle Ausprägung auf einer Mikro-,
Meso-, Exo- und Makroebene der geistigen Behinderung sieht und im Fazit begründet, dass durch die Reduzierung der geistigen Behinderung auf Natur und Schicksal
der verborgene Kern in der Gewalt zu sehen ist. Peter Windisch wendet sich der
Frage von Gewalt in Einrichtungen der
Behindertenhilfe zu und vermittelt dazu
ausgewählte empirische Daten (170–182).
Manuela Paul und Ernst Wüllenweber runden den Themenbereich mit einer Beleuchtung der Tabuisierungstendenz hinsichtlich
Delinquenz und Kriminalität ab.
Im Grundzusammenhang von Gesundheit
und Behinderung sind vier Beiträge platziert, von denen vor allem die Arbeit von
Georg Theunissen zu Alkoholgefährdungen und Suchtproblemen bei Menschen
mit geistiger Behinderung hervorgehoben
werden soll. Sie stellt einen fundierten
analytischen Beitrag dar, der sowohl epidemiologische Zusammenhänge beleuchtet als auch Erklärungsansätze und diverse Interventionskonzepte referiert (212–
243). Weitere Beiträge (Wüllenweber,
Theunissen) reflektieren Verhaltensauffälligkeiten und Persönlichkeitsstörungen
bei Menschen mit geistiger Behinderung.
Der Sammelband schließt mit einem
Themenbereich, der sehr gut auch am
Anfang der Abhandlungen stehen könnte. Es handelt sich um die komplizierten
und fundamentalen Zusammenhänge der
Stigmatisierung, Fremdbestimmung und
Ausgrenzung. Von den sechs Artikeln dieses Abschnitts sei vor allen Dingen auf
Buchbesprechungen
die Arbeit von Gottfried Biewer verwiesen, in der die Fragen der beschädigten
Identität und die Möglichkeiten einer
Entstigmatisierung durch Integration dargestellt werden (288–299). Grundlegend
und theoriegeleitet ist auch die Arbeit von
Ulrike Mattke („Wir wissen, was für dich
gut ist.“ 300–312), die sich mit Problemen des professionellen Selbstverständnisses auseinandersetzt, die Tradition der
totalen Abhängigkeit kritisch beleuchtet
und Impulse zur Reduzierung von sozialer Abhängigkeit vermittelt.
Bei aller Heterogenität der Themen und
ihrer Bearbeitung verdeutlicht der vorliegende Band, dass eine grundsätzliche
Zuwendung zur sozialen Bedingtheit von
Lebensproblemen bei Menschen mit geistiger Behinderung neue Impulse für die
Behindertenhilfe hervorbringen kann.
Auch wenn nicht in allen Zusammenhängen bereits umfangreichere wissenschaftliche Erhebungen referiert werden können, stellen die praxisbezogenen und
erfahrungsgestützten Reflexionen gleichfalls eine echte Bereicherung der Fachliteratur dar. Es ist dem Buch zu wünschen, dass es eine breite Rezeption in
Wissenschaft und Praxis erfährt, da es auf
differenzierte Weise die Sicht auf soziale
Probleme in der Lebenswelt von Menschen mit geistiger Behinderung eröffnet.
Winfried Baudisch, Magdeburg
Almut-Hildegard Meyer
Kodieren mit der ICF: Klassifizieren oder Abklassifizieren?
Potenzen und Probleme der „Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“. Ein
Überblick. Heidelberg: „Edition S“,
Universitätsverlag Winter 2004, 112 Seiten, 12,00 Euro, ISBN 3-8253-8315-6
Im Gesundheitswesen, besonders für
Krankenkassen und Rehabilitationsträger,
werden tagtäglich zahlreiche Daten gesammelt und übermittelt. Diese kennzeichnen jeweils individuelle Situationen,
müssen aber auch statistisch auswertbar
sein und als Planungsgrundlage dienen
können. Deshalb ist eine Dokumentation
von Diagnosen unverzichtbar, zum Beispiel nach der „International Classification of Diseases“ (ICD-10, revidierte
Form 2003) bzw. mit dem „Diagnostic and
Statistical Manual“ (DSM IV), auch beim
vergleichbaren Erfassen von psychischen
Störungen. Auf Menschen mit Behinderungen bezogen, ist die seit 1995 gebräuchliche „International Classification
of Impairments, Disabilities and Handicaps“ (ICIDH) im letzten Jahr durch die
„International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) ersetzt
worden, die auch Eingang in unser neues
Sozialgesetzbuch, vor allem das SGB XII
gefunden hat. Wesentlicher Fortschritt ist
ein damit vollzogener Paradigmenwechsel, ein Wandel in der Sichtweise:
Aktivität und Partizipation stehen als die
entscheidenden Beurteilungskriterien im
Vordergrund, nicht mehr „Schädigung“
oder gar „Defizit“. So ist der modernen
Entwicklung Rechnung getragen, die für
Menschen mit geistiger Behinderung
durch die Begriffe „Normalisierung“ und
„Inklusion“, „Empowerment“ und
„Selbstbestimmung“ charakterisiert ist.
Jedes Klassifizieren bringt Gefahren mit
sich: Der Vielfalt möglicher Erscheinungen und Einflussfaktoren ist nur schwer
Rechnung zu tragen, ein verlässliches
Abbild der individuellen Situation wird oft
nur annähernd erreicht. Klassifizierende
Etiketten können einem Abklassifizieren
Vorschub leisten und sich damit nachteilig für den einzelnen Menschen mit einer Behinderung auswirken. Dass auch
die ICF trotz allem Bemühen bei den ausführlichen Diskussionen während ihrer
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
81
82
Buchbesprechungen
Erarbeitung und ersten Erprobung diesen
Gefahren ausgesetzt war und noch keineswegs voll befriedigen kann, zeigt die
vorliegende sorgfältige Analyse. Die
Autorin weiß, wovon sie spricht, kann sie
doch aus eigener Erfahrung beurteilen,
welche Möglichkeiten eine „Momentaufnahme“ bei Anwendung der ICF bietet,
welche Probleme sich aber auch auftun,
um dem Anliegen einer möglichst umfassenden biopsychosozialen Beurteilung
zu entsprechen. An verschiedenen Beispielen wird aufgezeigt, wo eine Kodierung nach der ICF unpraktisch, fehlerhaft,
unzutreffend oder missverständlich ist.
Vielfach mangelt es an klaren Definitionen oder logische Bezüge sind nicht ersichtlich. Ein befriedigendes Klassifikationssystem muss in der Lage sein, die
sich wandelnden Anschauungen zu berücksichtigen, zum Beispiel Ergebnisse der
Diskussionen um den Begriff Behinderung
mit Folgen in verschiedenen Praxisfeldern.
Während die Kategorie „Aktivität“ der
ICF vor allem Funktions- und Leistungsfähigkeit differenziert erfasst und ausführlich kodiert, wird das so wichtige Anliegen der Teilhabe („Partizipation“), die ja
oft mehr bedeutet als lediglich Teilnahme, nur unzureichend berücksichtigt.
Auch Umweltfaktoren, die dabei eine
ganz entscheidende Rolle spielen, sind oft
lediglich ansatzweise erfasst.
Neben instruktiven Hinweisen, wie mit
der ICF kodiert werden kann und welche
Probleme sich dabei auftun, werden auch
mögliche Konsequenzen in verschiedenen
Bereichen angesprochen: Aussagen sind
bedeutsam für das Bild vom Menschen
mit Behinderungen, beeinflussen ethische
Überlegungen, individuelle Situation, Betreuung, Assistenz und Selbstbestimmung. Nicht zuletzt kann die ICF der
modernen (Sonder-)Pädagogik neue Perspektiven eröffnen.
Noch gibt es wenig Stellungnahmen zur
ICF aus der Sicht von Menschen mit
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Behinderung. Die vorliegende Analyse
macht hier einen wertvollen Anfang und
belegt eindrücklich, dass Verbesserung
und Weiterentwicklung erforderlich sind.
Die Handhabung der ICF muss vereinfacht
werden, da sonst die potentiellen Anwender allein wegen des zeitlichen Aufwands das System nicht nutzen. Eine
dringend notwendige, spezielle Version
für Kinder wird angeblich zur Zeit erarbeitet.
Wenn eine angemessene Kodierung fehlt,
kommt es leicht zum Abklassifizieren mit
Abstempeln oder Ausgrenzen. Richtiges
Klassifizieren hilft dabei, die individuelle
Situation möglichst genau zu erfassen,
bietet dann Schutz und ist eine wichtige
Grundlage für erforderliche Zuwendung.
Es sollen Menschen nicht klassifiziert werden, vielmehr ist die Situation eines Menschen möglichst genau abzubilden. So
geht die kritische und gut fundierte Analyse auf die praktische Anwendung der
ICF ebenso ein, wie auf weitreichende
Konsequenzen des damit vollzogenen
Paradigmenwechsels. Sie ist ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Diskussion um
Partizipation und Teilhabe: Um die Potenzen der ICF auszuschöpfen und sie zu
einem in der Praxis wirklich hilfreichen
Instrument weiter zu entwickeln, sind
Erfahrungen und Meinungen von Menschen mit Behinderung unverzichtbar. Das
Buch ist allen an der ICF interessierten
Fachleuten, aber auch den vom Klassifizieren betroffenen Menschen mit Behinderungen nachdrücklich zu empfehlen.
Gerhard Neuhäuser, Linden
Veranstaltungen
Veranstaltungen
17.–19. Februar 2005, Recklinghausen
3. Dattelner Kinderschmerztage
Kongress für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativversorgung. Vestische
Kinderklinik Datteln, Wilma Henkel, Dr.Friedrich-Steiner-Straße 5, 45711 Datteln,
Fax: (0 23 62) 6 42 11, eigenes-leben
@web.de, www.schmerzenbeikindern.de
3.–5. März 2005, Potsdam
„Ja, machen wir einen Plan ...“
Diagnostik, Förder- und Behandlungsplanung in der interdisziplinären Frühförderung. 13. Symposium Frühförderung. Kongressbüro: VIFF e. V., Bundesgeschäftsstelle,
Janine Brand, Seidlstr. 4, 80335 München,
Tel.: (0 89) 54 58 98-27, Fax: (0 89) 54 58
98-29, geschaeftsstelle@fruehfoerderungviff.de, www.fruehfoerderung-viff.de
3.–5. März 2005, Chemnitz –
Schloss Rabenstein
Beziehungen, Intimität, Sexuelle
Aufklärung, Sexueller Missbrauch
Seminar. Sexuelle Aufklärung im Leben von
Menschen mit geistiger Behinderung. Lebenshilfe Landesverband Sachsen, Hch.-Beck.-Str.
47, 09112 Chemnitz, Tel.: (03 71) 9 09 91-0,
Fax: 9 09 91-11, info@Lebenshilfe-Sachsen.de,
www.Lebenshilfe-Sachsen.de
7.–8. März 2005, Chemnitz –
Schloss Rabenstein
Respektvolle Begegnung –
Ansicht, Haltung und kritische
Selbstreflexion
Seminar. Lebenshilfe Landesverband Sachsen,
Hch.-Beck.-Str. 47, 09112 Chemnitz, Tel.: (03 71)
9 09 91-0, Fax: 9 09 91-11, info@LebenshilfeSachsen.de, www.Lebenshilfe-Sachsen.de
15.–16. März 2005, Siegen
Personenzentrierte Hilfeplanung –
Personenzentrierte Finanzierung
Neue Wege zu hilfreichen Arrangements für
Menschen mit geistiger Behinderung. 3. Europäische Konferenz zur Qualitätsentwick-
lung in der Behindertenhilfe. ZPE-Geschäftsstelle, Dr. Johannes Schädler, Adolf-Reichwein-Strasse 2, 57068 Siegen, Tel. und Fax:
(02 71) 7 40-22 28, schaedler@zpe.unisiegen.de, www.zpe-uni-siegen.de
20.–23. April 2005, Schweinfurt
Lebenswelten erfahren, schaffen
und ausdrücken
Internationale Fachtagung. Offene Behindertenarbeit der Diakonie, Gymnasiumstr. 16,
97421 Schweinfurt, Tel.: (0 97 21) 20 87-1 66,
Fax: -120, oba@obasw.de, www.obasw.de
4.–5. Juni 2005, A-Wien
Das Leben erleben
Internationaler Kongress Basale Stimulation.
Internationaler Förderverein Basale Stimulation, Eduard-Steinle-Str. 9, 70619 Stuttgart, peter.estner@basale-stimulation.de,
www.basale-stimulation.de
16.–17. Juni 2005, Schwarzach
Macht. Angst. Gewalt
8. Fachtagung. Fachschule für Sozialpädagogik der Johannes-Anstalten Mosbach,
74869 Schwarzach, Tel.: (0 62 61) 88-7 07,
Fax: 88-7 78, ulrike.konrad@jamas.de,
www.jamas.de
26.–28. September 2005, CH-Bern
Heilpädagogik für Alle?
4. Schweizer Heilpädagogik-Kongress.
Schweizerische Zentralstelle für Heilpädagogik (SZH), Kongress-OK, Theaterstr. 1, CH6003 Luzern, Tel.: +41 41 2 26 30 40, Fax:
+41 41 2 2 6 3 0 41, Kongress@Szh.ch,
www.szh.ch/kongress
29. September – 1. Oktober 2005,
Heidelberg
Psychologie und
geistige Behinderung
Der Beitrag der Psychologie zu seelischer
Gesundheit, Teilhabe und Inklusion. Fachtagung. Deutsche Gesellschaft für Seelische
Gesundheit von Menschen mit geistiger Behinderung (DGSGB), www.dgsgb.de
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
83
84
Veranstaltungen
Aus dem Fortbildungsprogramm des Instituts inForm der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V., Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg, Tel.:
(0 64 21) 4 91-0, Fax: (0 64 21) 4 91-1 67, Mail: institut-inform@lebenshilfe.de. Eine
genaue Beschreibung der Inhalte finden Sie unter www.lebenshilfe.de/inform.cfm
1.–2. März 2005, Marburg
Können alte Menschen mit
hohem Hilfebedarf lebenslang
in der Einrichtung bleiben?
Zur Abgrenzungsproblematik zwischen
Einrichtungen und Diensten. Seminar.
3.–5. März 2005, Marburg
In den späteren Jahren
Seminar für Eltern von Kindern mit DownSyndrom im Alter von 9 bis 11 Jahren.
7.–11. März 2005, Marburg
Mitarbeiter(innen) im
Telefondienst
Lehrgang zur beruflichen Weiterbildung
für Menschen mit (geistiger) Behinderung.
8.–9. März 2005, Marburg
Ist ein Kind ein Kind – oder
behindert?
11.–13. April 2005, Marburg
Organisatorische und
pädagogische Prozesse messen
Seminar für Führungskräfte.
18.–20. April 2005, Oberorke
Stärken nutzen –
Potenziale erkennen
Assessment-Center für Führungskräfte.
19.–21. April 2005, Marburg
Freiwillige gibt’s nicht umsonst
Grundlagen der Freiwilligenkoordination –
neue Chancen für die Lebenshilfe. Gemeinschaftliches Seminar mit der Akademie für
Ehrenamtlichkeit Deutschland (fjs e.V.).
27.–29. April 2005, Lübeck
Zukunft der Werkstatt –
Werkstatt der Zukunft
Hilfen für behinderte Kinder und ihre Familien im Schnittfeld von Jugend- und Eingliederungshilfe. Seminar.
Werkstätten der Lebenshilfe im Wandel.
Treffen der Führungskräfte.
21.–23. März 2005 – 1. Teil, Marburg
2.–3. Juni 2005 – 2. Teil
Wilde Rosen – vom Problem
zur Lösung
9.-10. Mai 2005, Marburg
Datenschutz in sozialen Organisationen und Einrichtungen
Menschen mit herausforderndem Verhalten verstehen und begleiten. Seminar.
Seminar.
11.–13. Mai 2005 – 1. Teil, Marburg
6.– 8. Juli 2005 – 2. Teil
Führen und Leiten in schwierigen
Zeiten
11.–15. April 2005 (1. Einheit),
Marburg
29. August –2. September 2005
(2. Einheit)
5.–9. Dezember 2005 (3. Einheit)
Management in der Werkstatt für
behinderte Menschen (WfbM)
Lehrgang für Leiter(innen) von Einrichtungen.
Die WfbM als Bildungsstätte und Zweckbetrieb zur Integration in Arbeit und Gesellschaft. Lehrgang.
Tagung für Menschen mit (geistiger) Behinderung.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
17.–19. Mai 2005, Marburg
Gemeinsam in die Zukunft!
Veranstaltungen
Kongress der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
„Wir gehören dazu!“
Teilhabe von Menschen mit schwerer Behinderung
als Herausforderung für Praxis, Wissenschaft und Politik
22. bis 24. September 2005 in Magdeburg
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe verfolgt mit dem Kongress „Wir gehören dazu!“
das Anliegen, sich besonders für die Rechte von Menschen mit sehr schweren Behinderungen einzusetzen. Sie sollen an den aktuellen Entwicklungen in der Hilfe für Menschen mit Behinderung – Normalisierung, Integration, Selbstbestimmung und Teilhabe
– gleichberechtigt beteiligt sein.
Im Mittelpunkt stehen erwachsene Menschen
• mit einer geistigen Behinderung und sehr hohem Hilfebedarf in alltäglichen Lebensbereichen,
• die ihre Wünsche und Bedürfnisse überwiegend nicht sprachlich äußern,
• die ihre Befindlichkeit über spezifische Verhaltensweisen mitteilen,
• die wegen eines erheblichen zusätzlichen physisch, psychisch oder organisch bedingten
Hilfebedarfs spezielle pädagogische, therapeutische und pflegerische Unterstützung
benötigen.
Mit dem Kongress wollen wir Impulse für notwendige Entwicklungen in Gesellschaft
und Politik, in der Praxis der Behindertenhilfe und im Verband setzen. Es gilt, die Lebensqualität von Menschen mit hohem Hilfebedarf sicher zu stellen. Entwicklungen, die
diesem Ziel entgegenstehen, müssen erkannt und abgewendet werden.
Die Themen
Erwachsene Menschen mit schweren Behinderungen haben besondere Bedürfnisse. In
Magdeburg werden gezielt für diesen Personenkreis aktuelle Praxisentwicklungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und weitere fachliche sowie politische Anliegen in Vortragsveranstaltungen und Workshops bearbeitet, die folgende Themenfelder umfassen:
•
•
•
•
•
•
•
Lebensrecht und ethische Grundannahmen
Fachliche Fragen der Alltagsgestaltung
Innovative Handlungsansätze
Aus-, Weiter- und Fortbildungsaspekte
Strukturfragen aus Sozialpolitik und Recht
Fragestellungen aus dem familiären Zusammenleben
Medizinische, therapeutische und pflegerische Fragen
Der Kongress beginnt am 22. September 2005 um 12.00 Uhr und endet am 24. September um 13.00 Uhr. Das detaillierte Programm schicken wir Ihnen gerne auf Anfrage
ab März 2005 zu. Anmeldung ist erst nach Erscheinen des Kongressprogramms möglich; dort finden Sie auch die endgültigen Teilnahmebedingungen.
Teilnahmegebühr (vorläufige Planung, abhängig von noch ausstehenden Fördermitteln):
Pauschale 1: 250,- Euro
(Kongressteilnahme sowie 2 Übernachtungen im Maritim Hotel Magdeburg, 3 Tagesverpflegungen, 1 Abendessen mit anschließendem Abendprogramm)
Pauschale 2 (Dauertageskarte): 100,- Euro (wie Pauschale 1, aber ohne Übernachtungen)
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
85
86
Bibliografie
Bibliografie
Diese Bibliografie soll möglichst umfassend über neue Publikationen zum Thema „Geistige Behinderung“
informieren. Eine Bewertung der Titel kann hier nicht geleistet werden.
Fast alle aufgeführten Titel sind neu in den Bestand der Fachbibliothek der Bundesvereinigung Lebenshilfe
aufgenommen; die meisten Bücher können Sie über den Buchhandel beziehen. Der Bibliothekskatalog ist
online im Internet verfügbar: http://mail.lebenshilfe.de/lars/html/start.htm. Bei Fragen zu Ausleihbedingungen oder Bezugsadressen wenden Sie sich bitte an die Lebenshilfe-Bibliothek, Postfach 70 11 63, 35020
Marburg, Tel.: (06421) 491-138 oder -194, Fax: -6 38 oder -6 94, bibliothek@lebenshilfe.de.
actionbildung:
Abschlussbericht. Projekt zur Weiterentwicklung und Verbesserung der Praxis beruflicher Bildung im Berufsbildungsbereich
der Werkstatt für behinderte Menschen.
Meisenheim 2004. 75 S.: Ill.
dies.:
Handbücher für den Berufsbildungsbereich der WfbM. Unterweisungsmaterialien
für den Berufsbildungsbereich der WfbM.
Stand: 14.04.2004. Meisenheim 2004. CD.
Zu dieser CD gehört das Buch: Abschlussbericht ... (s.o.)
Addow, Gabriele; Kleusch, Monika; Rizvi,
Sylvia:
Das Persönliche Budget für behinderte
Menschen. Hg.: Landeswohlfahrtsverband
Württemberg-Hohenzollern. Stuttgart 2004.
31 S.: zahlr. Ill.
zungsmedizin und Gentechnik. Red.: Margaretha Kurmann. Düsseldorf 2003. 48 S.
Aselmeier, Laurenz:
Supported living: Offene Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung in Großbritannien. Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste der Universität Siegen. 118 S.
Becker, Dorothea:
Mit-Gefühlt. Curriculum zur Begleitung
Demenzkranker in ihrer letzten Lebensphase.
Hg. v. d. Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz
zur Förderung von ambulanten, teilstationären und stationären Hospizen und Palliativmedizin e. V. Wuppertal: der hospiz verl.
2004. 98 S. + 1 CD.
Boban, Ines; Hinz, Andreas (Hg.):
Gemeinsamer Unterricht im Dialog. Vorstellungen nach 25 Jahren Integrationsentwicklung. Weinheim (u.a.): Beltz. 251 S.: Ill.
Aktion Mensch e.V.:
Die Nacht der 1000 Fragen. 24. September 2003, Deutsches Historisches Museum
im Zeughaus, Berlin; Wohin Gen? Szenische
Fragen, eine Inszenierung in 13 Bildern, basierend auf den authentischen Fragen des
1000-Fragen-Projektes. München 2003, ca.
82 S.
Bersch, Günter:
Die Stille ist die Zeit. Fotografien von
Günter Bersch. Hg. von Erik Boehlke. Berlin:
Edition GIB 2004. 128 S. Format 240x260
mm, zahlr. s/w Fotografien, 22,00 Euro,
post@gib-ev.de
Antretter, Robert (Hg.):
„Heidenei!“ Annemarie Griesinger zum 80.
Geburtstag; eine Festschrift. Hg. v. Robert
Antretter; Günther H. Oettinger; Erwin Teufel; Gustav Wabro; Matthias Wissmann.
Stuttgart 2004. 207 S.: Ill.
Bosch, Erik:
Sexualität und Beziehungen bei Menschen
mit einer geistigen Behinderung. Ein
Hand- und Arbeitsbuch. Tübingen: dgvtVerl. 2004. 203 S. In Kooperation mit dem
Lebenshilfe-Verlag Marburg.
Arbeitsstelle Pränataldiagnostik/Reproduktionsmedizin:
selbstbestimmung statt schicksal? Selbstbestimmung in der Debatte um Fortpflan-
Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit Geistiger Behinderung:
Eltern mit geistiger Behinderung und ihre
Kinder (er)leben Familie. Rechtliche Grund-
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Bibliografie
lagen, fachliche Standards, Schnittstellen,
Zusammenarbeit in der Praxis; eine Veranstaltung vom 6. bis 7. Oktober 2003,
Marburg; eine Dokumentation der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Bereich Familie und
Fachfragen. Marburg 2004. 119 S.
und ihre Situation in Wohnheimen; Zusammenfassende Gesamtdarstellung des Projektes WISTA. Reutlingen: Diakonie-Verl. 2004.
XXII, 575 S.: Ill., Tab. (Berliner Beiträge zur
Pädagogik und Andragogik von Menschen
mit geistiger Behinderung; 11)
Euro Citizen Action Service:
A guide to European Union funding.
Accessing Europe’s largest donor. Rose
Nthiwa ... . 10th ed. Brüssel 2004. 251 S.
Horn, Gerhard:
„Jetzt entscheide ich selbst ...“. Geldbudget in Wohngruppen von LEBEN MIT
BEHINDERUNG HAMBURG; ein Ratgeber in
leichter Sprache. LEBEN MIT BEHINDERUNG
HAMBURG. Hamburg 2004. 18 S.: Ill. + Video-Film.
European Commission:
Included in Society. Results and Recommendations of the European Research Initiative
on Community-Based Residential Alternatives for Disabled People. www. communityliving.info.
Fröhlich, Andreas (Hg.):
Zweisprachigkeit bei Kindern mit geistiger Behinderung. Düsseldorf: verl. selbstbestimmtes leben 2003. 150 S.
Fuchs, Ursel:
Die Genomfalle. Die Versprechungen der
Gentechnik, ihre Nebenwirkungen und Folgen; mit Zeittafel zur Humangenetik und
Reproduktionsmedizin. Vollständig überarb.
u. aktualis. Taschenbucherstausg. München:
Heyne 2003. 334 S.
Furger, Martha; Kehl, Doris (Hg.):
„... und bist du nicht willig, so brauch ich
Gewalt“. Zum Umgang mit Aggression und
Gewalt in der Betreuung von Menschen mit
geistiger Behinderung. Luzern: Ed. SZH/CSPS
2003. 203 S.
Graumann, Sigrid (Hg.):
Ethik und Behinderung. Ein Perspektivenwechsel. Frankfurt/M. (u. a.): Campus Verl.
2004. 197 S.
Hamburger Arbeitsassistenz:
Jobwärts. Module zur Erweiterung von
Schlüsselkompetenzen; 1 CD-ROM. Hamburg 2003.
Hahn, Martin Th. u. a. (Hg.):
Warum sollen sie nicht mit uns leben?
Stadtteilintegriertes Wohnen von Erwachsenen mit schwerer geistiger Behinderung
Hornakova, Marta:
Integrale Heilpädagogik. Bad Heilbrunn/
Obb.: Klinkhardt 2004. 190 S.: 4 Ill. u. 3
Tab. (Heilpädagogik im Ost-West Dialog)
Inclusion Europe:
Die Erweiterung der Europäischen Union. Brüssel 2004. 13 S.: zahlr. Ill. (Bericht)
Kitzinger, Annette u. a.:
Jetzt sag ich’s Dir auf meine Weise! Erste
Schritte in Unterstützter Kommunikation mit
Kindern. Ill. v. Annette Kitzinger. Karlsruhe:
Von-Loeper-Literaturverl. 2003. 72 S.: Ill.
Klauß, Theo; Lamers, Wolfgang (Hg.):
Alle Kinder alles lehren ... Grundlagen der
Pädagogik für Menschen mit schwerer und
mehrfacher Behinderung. Heidelberg: Ed. S,
Univ.-Verl. Winter 2003. 341 S.
Kuratorium Deutsche Altershilfe:
Pro Alter, Themenheft 2/2004: Ältere
Menschen mit Behinderung. Herausforderung für Politik und Gesellschaft. Köln 2004.
67 S.
Kühl, Jürgen (Hg.):
Frühförderung und SGB IX. Rechtsgrundlagen und praktische Umsetzung. München
(u. a.): Reinhardt 2004. 158 S.: 8 Ill. (Frühförderung interdisziplinär; 10)
Lavin, Judith L., Sproedt, Claudia (Hg.):
Besondere Kinder brauchen besondere Eltern. Behindert oder chronisch krank: Wie Sie
Ihr Kind beschützen und es unterstützen können. Ratingen: Oberstebrink 2004. 269 S.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
87
88
Bibliografie
Lebenshilfe/LV Baden-Württemberg:
Persönliches Budget von A – Z. Stuttgart
2004. 32 S.: Ill. Internet-Dokument, Stand:
20.09.2004.
Leonhardt, Annette (Hg.):
Wie perfekt muss der Mensch sein? Behinderung, molekulare Medizin, Ethik. München u. a.: Reinhardt 2004. 214 S.: 11 Tab.
Leue-Käding, Susan:
Sexualität und Partnerschaft bei Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung.
Probleme und Möglichkeiten einer Enttabuisierung. Heidelberg: Ed. S, Univ.-Verl. Winter 2004. 345 S.: graph. Darst.
Luder, Reto:
Neue Medien im heil- und sonderpädagogischen Unterricht. Ein didaktisches Rahmenkonzept zum Einsatz digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien.
Haupt 2003. 221 S.
Meifort, Barbara:
Die pragmatische Utopie. Qualifikationserwerb und Qualifikationsverwertung in
Humandienstleistungen. Bundesinstitut für
Berufsbildung. Bielefeld: Bertelsmann 2004.
95 S.
Metzler, Heidrun; Rauscher, Christine:
Wohnen inklusiv. Wohn- und Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen in Zukunft; Projektbericht. Diakonisches Werk, Abt. Behindertenhilfe. Stuttgart
2004. 103 S.
Müller, Wolf; Scheuermann, Ulrike (Hg.):
Praxis Krisenintervention. Ein Handbuch
für helfende Berufe: Psychologen, Ärzte,
Sozialpädagogen, Pflege- und Rettungskräfte. Stuttgart: Kohlhammer 2004. 570 S.
Nationale Kontakt- und Informationsstelle
zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (Hg.):
Grüne Adressen 2004/2005. Bundesweite
Selbsthilfevereinigungen und relevante Institutionen. 16. Ausg. Stand: Juni 2004.
Berlin 2004. 131 S.
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
dies. (Hg.):
Rote Adressen 2004/2005. Lokale/Regionale Selbsthilfeunterstützung in Deutschland. 17. Ausg. Stand: Juli 2004. Berlin
2004. 70 S.
Papke, Birgit:
Experten aus Erfahrung. Nutzerpartizipation als Element der Qualitätsentwicklung
im sozialpsychiatrischen Bereich. Zentrum für
Planung und Evaluation Sozialer Dienste der
Universität Siegen. Siegen. 173 S.
Rafael, Christel-Ursel:
Das Tal der abgeliebten Bären. Karlsruhe:
Engelhardt & Bauer 2003. 47 S.: Ill. ( farb.) +
Hör-CD.
Reinhold-Postina, Eva:
Vorbauen: Barrierefrei. Ein Bauherren-Ratgeber. Hg.: Verband Privater Bauherren e.V.
Berlin 2004, ca. 26 S.: Ill.
Sauer, Hans-Peter:
Heilerziehungspflege, Beruf und Ausbildung. Grundsatzpapier der Bundesarbeitsgemeinschaft der Ausbildungsstätten für
Heilerziehungspflege und Heilerziehung in
Deutschland e.V. Hg.: BAG HEP e.V. Waiblingen 2003. Losebl.-Ausg. Getr. Zähl.
Sautter, Hartmut; Stinkes, Ursula; Trost, Reiner:
Beiträge zu einer Pädagogik der Achtung.
Heidelberg: Ed. S, Univ.-Verl. Winter 2004.
264 S.: 3 Ill.
Schnoor, Heike; Rohrmann, Eckhard (Hg.):
Sonderpädagogik: Rückblicke – Bestandsaufnahmen – Perspektiven. Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt 2004. 389 S.
Schulte, Wolfgang:
Was bleibt – bist Du: Luca-Tales. Sach-,
Lach- und Weingeschichten erzählt von einem schwerstmehrfach behinderten Säugling. Neu-Isenburg: LinguaMed Verl.-GmbH
2003. 168 S.
Senckel, Barbara:
Wie Kinder sich die Welt erschließen.
Persönlichkeitsentwicklung und Bildung im
Kindergartenalter. Orig.-Ausg. München:
Beck 2004. 276 S.
Bibliografie/Anzeigen
Bibliografie
Tittse-Linsen, Martina:
Pictogenda 2005. Ein Terminplaner ohne
Worte. Konzept u. Text: Martina Tittse-Linsen. Piktogramme: Peter Walvius. Lizenzausg.
Marburg: Lebenshilfe-Verl. 2005. O.S.: zahlr.
Ill. Losebl.-Ausg.
Wagner, Rainer; Kaiser, Daniel:
Einführung in das Behindertenrecht. Berlin
(u. a.): Springer 2004. XVII, 219 S.
Will, H.:
Rehabilitationssport. Hannover: Neuer Start
Verl. 2004. CD.
Wilker, Frank:
Hand in Hand die Umwelt erleben. Umweltbildung für Menschen mit Behinderungen. Praxisordner. 119 S.: III. Hg.: Umweltpädagogisches Zentrum der Stadt Nürnberg
– Schulreferat. Bezug: hummelstein46@nefkom.net.
Wüllenweber, Ernst (Hg.):
Soziale Probleme von Menschen mit geistiger Behinderung. Fremdbestimmung, Benachteiligung, Ausgrenzung und soziale
Abwertung. Stuttgart: Kohlhammer 2004.
360 S.
Hochschulschriften
Die Lebenshilfe-Bibliothek sammelt für ihre Nutzer(innen) wissenschaftliche Arbeiten zum
Thema „Geistige Behinderung“. Hiermit bitten wir Verfasser(innen) solcher Arbeiten, ein
Exemplar zur Verfügung zu stellen.
Bach, Stefanie:
Zur Rolle der Schule bei Bewältigungsprozessen in Familien mit einem geistig
behinderten Kind. 107 Bl., Anhang: A 107
Bl. + Anhang-Bd. Gießen, Univ., Wiss. Hausarbeit 2004
Hielen, Imke:
Frühförderung als interdisziplinäres Angebot. Strukturelle und inhaltliche Entwicklungen auf der Grundlage der aktuellen
Gesetzgebung. 136 Bl., Anhang. Kiel, Univ.,
Diplomarbeit 2003
Schönecker, Patrick:
Junge Menschen in der WfbM. Subjektive
Sichtweisen ihrer beruflichen Tätigkeit. 134
Bl., Anhang: 86 Bl. Gießen, Univ., Wiss. Hausarbeit 2004
Tietmann, Ingo:
Alternde und alte Bewohner in Wohnheimen für Menschen mit geistiger Behinderung. Konzeptionsentwicklung und
Bedarfserhebung für das Wohnheim der
Lebenshilfe Syke e.V. in Bassum. 166 S.
Oldenburg, Univ., Diplomarbeit 2004
Rohrmann, Albrecht:
Individualisierung und Behinderung. 224
Bl. Siegen, Univ., Diss. 2003
Anzeige
Schleswig-Holstein
Freizeiten im Tagungshaus Nindorf zwischen Nord- u. Ostsee, am Rande eines
kleinen Dorfes im Naturpark Aukrug:
• 34 Betten, 9 Bäder, Kaminraum, Essraum, Bewegungsraum mit Bühne
• Großes Freigelände mit Spielplatz, Feuerstelle, Bodentrampolin
• Selbstversorgung oder Verpflegung nach Absprache
Auch geeignet für Seminare, Tagungen, Workshops und mehr. Das ganze Haus ist rollstuhlgerecht.
Osterree 1 · 24594 Nindorf, Telefon: 0 48 71/15 18 · Fax: -73 85
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
89
90
Anzeigen
- H i m m e l s t h ü r
An unserer Luise-Scheppler-Schule mit derzeit ca. 50 MitarbeiterInnen
und 120 SchülerInnen in 17 Klassen ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt
die Stelle eines/einer
Förderschulkonrektors/
Förderschulkonrektorin
- Fachrichtung Geistigbehindertenpädagogik
Körperbehindertenpädagogikzu besetzen. Die Stelle ist zunächst auf sechs Jahre befristet.
Wir suchen eine engagierte und teamfähige Lehrkraft, die neben guten
fachlichen Qualifikationen die Bereitschaft mitbringt, den besonderen
Bildungs- und Erziehungsauftrag einer evangelischen Schule sowie die
spezifischen pädagogischen Belange dieser Förderschule mit zu tragen
und im Schulleitungsteam weiter zu entwickeln.
Neben Erfahrungen in der Arbeit im Förderschulbereich, vorzugsweise in
den Bereichen Unterstützte Kommunikation, Autismus, schulische
Bildungsarbeit bei Schülern mit schwerster Behinderung, erwarten wir
die Fähigkeit, konzeptionelle und schulorganisatorische Aufgaben zu
erfüllen.
Die Schule wird im Sinne einer eigenständigen Schule geführt. Von daher
ist es erwünscht, dass der/die Stelleninhaber/in auch über eine
wirtschaftliche Kompetenz sowie über Kompetenzen in den Bereichen
des Qualitätsmanagements verfügt bzw. bereit ist, diese zu erwerben.
Gute EDV-Kenntnisse werden vorausgesetzt.
Bewerber/innen müssen Mitglied einer christlichen Kirche sein. Beamtete
Lehrkräfte können eine Beurlaubung entsprechend § 152 NSchG
beantragen.
Schwerbehinderte Bewerber/innen werden bei gleicher Eignung,
Befähigung und Leistung bevorzugt berücksichtigt. Die Vergütung
entspricht der Besoldungsgruppe A14 / vergleichsweise BAT.
Ihre Bewerbung richten Sie bitte bis spätestens vier Wochen nach
Erscheinungsdatum an Diakonische Werke Himmelsthür in
Hildesheim e. V., Luise-Scheppler-Schule, Förderschule - Schwerpunkt
Geistige Entwicklung, Stadtweg 113, 31139 Hildesheim.
Auskünfte erteilt Hanna Geyer, Schulleiterin, Tel. (0 51 21) 604135,
E-Mail: hanna.geyer@dw.hi-de
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Anzeigen
Soziales Engagement / Erfolgreiches Management
Kaufmännischer
Leiter (m/w)
Kaufmännischer
Leiter (m/w)
Der Verein und die angeschlossene gGmbH verfolgen als Mitglied des Diakonischen Werkes der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers ausschließlich und unmittelbar
gemeinnützige Zwecke im Bereich heilpädagogischer Hilfe und der Arbeits- und
Berufsförderung. Seit mehr als 40 Jahren werden Einrichtungen für Menschen mit
Behinderungen unterhalten. Mit mehr als 800 fest angestellten Mitarbeiter/innen
werden an 40 Standorten in der Stadt und dem Landkreis Osnabrück für über 2300
Menschen mit Behinderungen ambulante als auch stationäre Angebote in den
Bereichen Kinder + Jugend, Wohnen und Werkstätten betrieben.
Da der jetzige Stelleninhaber nach 30-jähriger erfolgreicher Tätigkeit ausscheidet,
wird mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf ein neuer
Kaufmännischer Leiter (m/w)
mit Sitz in Osnabrück gesucht.
In dieser verantwortungsvollen Position sind Sie mit Ihren insgesamt 30 Mitarbeitern in den Abteilungen Finanzbuchhaltung, Leistungsabrechnung, Finanzcontrolling/Berichtswesen, Personalwesen, Lohnbuchhaltung WfbM, EDV/Organisation, Bauabteilung sowie allgemeine Verwaltung und Fuhrpark für das gesamte
Spektrum kaufmännischer Ressortverantwortung zuständig. Als Mitglied der Geschäftsleitung entwickeln Sie gemeinsam mit dem Alleingeschäftsführer sowie den
Bereichsleitungen auf gleicher Ebene das Unternehmen, besonders vor dem Hintergrund sich verändernder Strukturen auf der Seite der Kostenträger, weiter. Sie
arbeiten zielorientiert, effizient und können motivierend führen.
Wir wenden uns an Damen und Herren im Alter zwischen 35 und 45 Jahren, die
nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre (FH, Universität oder vergleichbar) bereits mehrjährige Führungserfahrung bzgl. eines Teilspektrums der o. g.
Ressortverantwortung haben und für die diese Position der nächste Schritt ihrer
beruflichen Entwicklung ist. Selbstverständlich kommen ebenfalls Bewerber in Betracht, die vielleicht in kleineren Häusern die kaufmännische Gesamtverantwortung
tragen. Sie sind es gewohnt, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten.
Ihr Auftreten ist von großer Integrität und Seriosität gekennzeichnet; als praktizierender Christ wird Ihr Persönlichkeitsprofil durch Ihre positive Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderungen abgerundet. Es ist für Sie selbstverständlich,
die Ziele des Vereins in Wort und Tat umzusetzen und zu leben.
Wenn Sie mehr über die Institution oder die ausgeschriebene Position erfahren
möchten, so steht Ihnen gerne Herr Dr. Peter Hannen für eine erste Kontaktaufnahme
unter der Rufnummer +49 (2 11) 3 00 89-251 bzw. unter peter.hannen@kienbaum.de
zur Verfügung. Er sichert Ihnen Diskretion ausdrücklich zu.
Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen (tabellarischer Lebenslauf, Zeugniskopien, Lichtbild sowie Angabe Ihrer Gehaltsvorstellung und des eventuellen Eintrittstermins) senden Sie bitte unter der Kennziffer 0842274 an Kienbaum Executive Consultants GmbH, Postfach 10 32 09, 40023 Düsseldorf.
http://www.Kienbaum.job.de
Kienbaum Executive Consultants GmbH
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
91
92
Anzeigen
Dipl.-Sportwissenschaftlerin
*Prävention und Rehabilitation*
34, berufserf., verantw., sucht neue Herausforderung im Bereich ORGA,
BEHINDERTENSPORT, LEHRE, o. THERAPIE, Zusatzq. Industriekauffrau, WfbM,
EDV, DVGS i.A., Spez. Neurologie und Psychiatrie, FI-Austauschstudium
bewegung@tiscali.de
bildungsinstitut
der diakonie stetten (BIDS)
akademie für fort- und
weiterbildung
Weiterbildung
Die entwicklungsfreundliche Beziehung –
eine mehrdimensionale Methode der Persönlichkeitsförderung
nach Dr. Barbara Senckel
„Gib mir die Hand
so halte ich
das Leben.“
Rose Ausländer
Viele geistig behinderte Menschen leiden unter mangelnder psychischer Ausgewogenheit und emotional bedingten Entwicklungsblockaden. Sollen sich diese Probleme entschärfen, so benötigen sie eine Beziehung zu einem
Menschen, der ihnen nicht nur wertschätzend, einfühlsam und echt begegnet, sondern der auch die Ebene ihres
emotionalen Bedürfnisniveaus erkennt und seine Beziehungsgestaltung an ihr ausrichtet. Voraussetzung für ein
derartiges Beziehungsangebot sind neben der personenzentrierten Grundhaltung differenzierte entwicklungspsychologische Kenntnisse, besonders die der sozio-emotionalen und der kognitiven Entwicklung. Das zentrale Ziel
dieser Weiterbildung besteht folglich darin, die notwendigen theoretischen und methodischen Kenntnisse für eine
entwicklungsfreundliche Beziehungskultur zu vermitteln, die die emotionalen, kognitiven, praktischen und
lebensalterbezogenen Bedürfnisse gleichermaßen berücksichtigt.
Zielgruppe:
– pädagogische und psychologische Fachdienste (z. B. Psycholog/innen, Heilpädagog/innen)
– leitende pädagogische Mitarbeiter/innen (z. B. Hausleiter/innen, Erziehungsleiter/innen, Gruppenleiter/innen)
– Sonderschullehrer/innen und Dozent/innen an Fachschulen für Sozialpädagogik
Zeitumfang: 4 x 4 Tage: Mi,
Mi,
Mi,
Mi,
23. 11. 05,
19. 01. 06,
09. 03. 06,
15. 06. 06,
18
18
18
18
Uhr
Uhr
Uhr
Uhr
bis
bis
bis
bis
So,
So,
So,
So,
27.11. 05,
22.01. 06,
12.03. 06,
18.06. 06,
15
15
15
15
Uhr
Uhr
Uhr
Uhr
Ort: Tagungs- und Begegnungsstätte der Evang. Diakonieschwesternschaft Herrenberg,
Hildrizhauser Str. 29, D-71083 Herrenberg, Tel. 07032/206-213
Kosten: 1580 EUR Seminargebühr zzgl. U/V (ca. 50 EUR/Nacht).
Information und Anmeldung:
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Bildungsinstitut der Diakonie Stetten e.V. (BIDS)
Akademie für Fort- und Weiterbildung
Ruth Marzenell
71386 Kernen i.R.
Fon 07151/940 2305
Fax 07151/940 2730
akademie@diakonie-stetten.de
www.ausfortweiterbildung.de
Anzeigen
(T)ASK KREFELD
Ausbildungsinstitut für Systemische Beratungs- und Kommunikationstherapeutische
Behandlungsmodelle ausschließlich im Arbeitsfeld geistige Behinderung
➼ Systemische Therapie und Beratung – 2 Jahre – (Curriculum 1)
Leitung: Dr. Ulrich Rohmann, Dr. Ursula Kirsch und Mitarbeiter
➼ Regionale Freitag-Nachmittag-Supervisions-Seminare (Curriculum 3)
(An 10 Nachmittagen pro Jahr aktuelle Fallsupervision bei gleichzeitiger Weiterbildung)
in: Berlin/Fürstenwalde, Bremen, Heinsberg, Lörrach, Köln, Osnabrück, Ravensburg,
Schwäbisch-Gmünd, Viersen, Wien.
Zertifizierung: Case-Management intern (2 Jahre), Case-Management extern
(3 Jahre), Supervisor (4 Jahre)
Ausführliche Informationen und Anmeldung über www.task-krefeld.de
e-Mail: U.Rohmann@Task-Krefeld.de; (T)ASK-Krefeld, Vadersstr. 21, 47800 Krefeld;
Tel.: (0 21 51) 50 04 72; Fax: (0 21 51) 50 04 71
Urlaub im Luftkurort Kötzting – Bayerischer Wald
Gasthaus-Pension Fechter
Wir sind ein Familienbetrieb mit 60 Betten, davon 48 mit DU/WC/Blk, 3 mit DU/Blk,
6 Betten rollstuhlgerecht.
Zusätzlich befinden sich auf jeder Etage Bad und WC. Außerdem bieten wir: Garagen,
Terrasse, Liegewiese, Kinderspielplatz, Aufenthalts- und Speiseraum, Fernsehraum, Grillmöglichkeit, Saal für 200 Personen.
Zu den Räumen in unserer Pension können wir Ihnen unsere Ferienwohnung
(2 Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche, Bad und WC) mit eigenem Eingang anbieten.
Anfragen an:
Gasthaus-Pension Fechter
Pfingstreiterstr. 93
93444 Kötzting
Telefon 0 99 41/90 53 20, Telefax 0 99 41/90 53 21
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
93
94
Anzeigen
Neu im Lebenshilfe-Verlag Marburg
Klaus Lachwitz
Mehr Chancen für ein selbstbestimmtes Leben?
Das persönliche Budget in Fragen und Antworten
Mit dem Persönlichen Budget ist ein
Mehr an Selbstbestimmung möglich,
es ist aber auch mit mehr Eigenverantwortung behinderter Menschen verbunden. Deshalb hat die Bundesvereinigung
Lebenshilfe einen Rechtsratgeber aus
Sicht der Nutzer(innen) erarbeitet. Er
informiert z. B.
• über die gesetzlichen Grundlagen;
• darüber, wann sich ein persönliches
• Budget lohnt.
Neben allgemeinen Informationen und
Hinweisen werden in 34 Fragen und
Antworten die wichtigsten Anliegen aus
Sicht von Menschen mit Behinderung
angesprochen.
1. Auflage 2004, DIN A5, broschiert,
72 Seiten, ISBN 3-88617-521-9,
Bestellnummer LER 521
7,50 Euro [D]; 13.– sFr.
Ihre Bestellung richten Sie bitte an:
Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
Vertrieb, Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg
Tel.: (0 64 21) 4 91-1 16, Fax: (0 64 21) 4 91- 6 16
vertrieb@lebenshilfe.de
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Anzeigen
Neu im Lebenshilfe-Verlag Marburg
Sigrid Graumann u.a. (Hg.)
Ethik und Behinderung
Ein Perspektivenwechsel
Menschen mit Behinderungen leben
nach wie vor in einer nicht ausreichend
auf ihre Bedürfnisse ausgerichteten
Umwelt. Im wissenschaftlichen Diskurs
wird ihre Perspektive häufig ausgeblendet, an der ethischen Urteilsbildung in
der Gesellschaft werden sie zu wenig
beteiligt. Wie aber kann eine Ethik
aussehen, die Differenz anerkennt und
gleichzeitig die Verletzlichkeit des
Menschen berücksichtigt? Diese Frage
wird anhand unterschiedlicher Themen
diskutiert: der Definition von Behinderung, der Idee der Fürsorgeethik, der
Pränataldiagnostik, der Sterbehilfe, der
Frage nach einem „Recht auf Verschiedenheit“ und weiterer Aspekte. Beiträge
u. a. von Johann S. Ach, Adrienne Asch,
Klaus Dörner, Eva Feder Kittay,
Jürgen Link, Elisabeth List,
Dietmar Mieth und Gerhard.
Kooperation mit dem Campus Verlag,
Frankfurt.
1. Auflage 2004, DIN A5, 200 Seiten,
ISBN 3-593-37617-9, Bestellnummer
LFK 029, 19,90 Euro [D]; 34.90 sFr.
Sonderpreis für Lebenshilfe-Mitglieder:
18,– Euro [D]
Ihre Bestellung richten Sie bitte an:
Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
Vertrieb, Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg
Tel.: (0 64 21) 4 91-1 16, Fax: (0 64 21) 4 91- 6 16
vertrieb@lebenshilfe.de
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
95
96
Anzeigen
Neu im Lebenshilfe-Verlag Marburg
Friedrich Schwanecke
Snoezelen
Möglichkeiten und Grenzen
in verschiedenen Anwendungsbereichen
Das Buch eines ständig neugierigen
Beobachters, Anwenders und Wissensvermittlers gibt aus verschiedenen Perspektiven praktische Erfahrungen und
Erkenntnisse in der Auseinandersetzung
mit dem Medium Snoezelen im Verlauf
von knapp zwei Jahrzehnten wieder.
Da Snoezelen momentan sehr in Mode
ist und inflationär alles mögliche mit
»Snoezelen« etikettiert wird, möchte
der Autor informieren und Anregungen
für Gespräche, Diskussionen und das
Sammeln eigener Erfahrungen geben,
aber auch auf Schattenseiten, Problembereiche und Grenzen des Snoezelen
aufmerksam machen.
Anregungen für praktische Anwendungen im Snoezelraum, Literaturhinweise
und Musikvorschläge ergänzen diese
Überlegungen.
1. Auflage 2004, DIN A5, broschiert,
160 Seiten, 19 farbige Abb.,
ISBN 3-88617-310-0,
Bestellnummer LBS 310
15,– Euro [D]; 27.50 sFr.
Ihre Bestellung richten Sie bitte an:
Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
Vertrieb, Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg
Tel.: (0 64 21) 4 91-1 16, Fax: (0 64 21) 4 91- 6 16
vertrieb@lebenshilfe.de
Geistige Behinderung 1/05, 44. Jg.
Geistige
Behinderung
Fachzeitschrift
der Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung
Jahresinhaltsverzeichnis 2004
Heft/Jahr
Editorials
Fachbeiträge
Seite
Anspruch auf Eingliederungshilfe – Haushaltsvorbehalt abgewendet! (Theo Frühauf) .............................................................
1/04
Experten als Lerner (Gert Gekeler) ................................................
2/04 105–107
Soziale Landschaft Deutschland – auch für Menschen mit schwerer
und mehrfacher Behinderung! (Resolution der vier Fachverbände der Behindertenhilfe) ...........................................................
3/04 205–208
Freiwillige gibt’s nicht umsonst (Wilfried Wagner-Stolp) .................
4/04 309-311
Barow, Thomas: Die Debatte um die Entschädigung von Zwangssterilisierten in Schweden ..............................................................
1/04
Beer, Olaf: Suchtmittelgebrauch bei Menschen mit so genannter
geistiger Behinderung ...................................................................
3/04 255–269
Breitenbach, Erwin; Stumpf, Eva; von Fersen, Lorenzo; Ebert, Harald:
Hoffnungsträger Delfin. Mögliche Effekte und Wirkfaktoren
tiergestützter Therapie bei Kindern mit Behinderungen, aufgezeigt
am Beispiel der Delfintherapie .......................................................
4/04 339–357
Griehl, Gabriele: Schönheit und Attraktivität im Leben von Frauen
mit geistiger Behinderung. Eine Anregung für frauenorientierte
heilpädagogische Erwachsenenbildung .........................................
3/04 244–254
Hagemann, Claus: Anforderungen an Computer und Internet in der
Sonderschule. Eine Fragebogen-Stichprobe zur Bereitschaft von
Lehramtsstudierenden, Computer und Internet im Unterricht
einzusetzen ..................................................................................
2/04 145–154
Irblich, Dieter: „Gewalt ist, wenn man’s trotzdem macht.“ Über
fachlich legitimierte Formen der Gewalt in der Arbeit mit behinderten
Kindern .........................................................................................
1/04
Klicpera, Christian; Gasteiger-Klicpera, Barbara: Wohnformen für
Erwachsene mit autistischer Störung. Empfehlungen für die Organisation und Gestaltung ..................................................................
2/04 155–166
1
57–65
15–35
Heft/Jahr
Aus der Praxis
Forschung
Seite
Klauß, Theo; Lamers, Wolfgang; Janz, Frauke: Zur Bildungsrealität
von Kindern und Jugendlichen mit schwerer und mehrfacher
Behinderung .................................................................................
2/04 108–128
Kleine Schaars, Willem; Petereit, Peter: Menschen mit einer geistigen
Behinderung haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Die
in den Niederlanden entwickelte Methode „Anleitung zur
Selbstständigkeit“ ........................................................................
3/04 233–243
Merz, Katrin: Im Spannungsfeld von Integration und Eigenkultur.
Erwachsenenbildungsangebote für Menschen mit geistiger Behinderung im deutsch-dänischen Vergleich ....................................
4/04 322–338
Platte, Andrea: Grenzen überwindende Weiterbildung: European
Masters in Inclusive Education ......................................................
3/04 209–218
Rohrmann, Albrecht; Schädler, Johannes: Individuelle Hilfen und
örtliche Strukturen. Probleme und Perspektiven einer kommunalen
Behindertenhilfeplanung ................................................................
3/04 219–232
Schädler, Johannes: Re-Institutionalisierung statt De-Institutionalisierung! Implementationsstrategien für Offene Hilfen für Menschen
mit geistiger Behinderung .............................................................
1/04
2–14
Schuppener, Saskia: Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen
mit geistiger Behinderung im Alter ................................................
1/04
36–56
Seifert, Monika: Wenn Anforderungen zur Überforderung werden.
Ablösung vom Elternhaus – im Interesse des behinderten Kindes
4/04 312–321
Theunissen, Georg; Schirbort, Kerstin: Verhaltensauffälligkeiten bei
Schülerinnen und Schülern mit so genannter geistiger Behinderung.
Ergebnisse einer repräsentativen Lehrerbefragung aus SachsenAnhalt ...........................................................................................
2/04 129–144
Gekeler, Gert; Graf, Thomas: Integrative Medienarbeit – studieren
ohne Handicap ..............................................................................
2/04 167–179
Gönnheimer, Christoph; Schlummer, Werner: Perspektive Internet:
Vom persönlichen Gespräch zur Selbsthilfe online. Unterstützungsund Beratungsmöglichkeiten für Angehörige von Menschen mit
geistiger Behinderung ...................................................................
4/04 358–375
Niedermair, Claudia: „Ich möchte arbeiten“. Eingliederung von
Jugendlichen mit schwerer Behinderung in den regionalen
Arbeitsmarkt in Österreich ............................................................
1/04
Westecker, Mathias: Wir wollen im Arbeitsleben mehr als nur dabei
sein! Vom Recht auf Arbeit in Tages(förder)stätten für Menschen
mit schweren und mehrfachen Behinderungen ..............................
3/04 270–283
Projekt KompAs (Kompetentes Altern sichern). Modellversuch zur
Gesundheitssicherung und -förderung durch die Entwicklung und
Erprobung eines Programms zur gesundheitlichen Prävention für
Erwachsene (ProPEr). Universität Dortmund in Kooperation mit
der Technischen Universität München ...........................................
4/04 376–377
66–80
Heft/Jahr
Buchbesprechungen
Seite
Bohnenstengel, Andreas; Holthaus, Hanni; Pollmächer, Angelika: Ich
bin anders als du denkst. Menschen mit Down-Syndrom begegnen
(Etta Wilken) .................................................................................
2/04 187–188
Buchka, Maximilian: Ältere Menschen mit geistiger Behinderung
(Gerhard Neuhäuser) .....................................................................
3/04 297–298
Cadier, Florence: Ich bin Laura. Ein Mädchen mit Down-Syndrom
erzählt (Wiebke Ammann) .............................................................
1/04
96–98
Grampp, Gerd; Triebel, Anke: Lernen und arbeiten in der Werkstatt
für behinderte Menschen – Berufliche Bildung, Arbeit und Mitwirkung
bei psychischer Erkrankung (Barbara Herffurth) ............................
2/04
192
Haveman, Meindert; Stöppler, Reinhilde: Altern mit geistiger
Behinderung. Grundlagen und Perspektiven für Begleitung, Bildung
und Rehabilitation (Klaus Kräling) ..................................................
4/04 391–392
Hogenboom, Marga: Menschen mit geistiger Behinderung besser
verstehen (Klaus Sarimski) ............................................................
3/04 292–293
Irblich, Dieter; Stahl, Burkhard: Menschen mit geistiger Behinderung.
Psychologische Grundlagen, Konzepte und Tätigkeitsfelder (Ernst
Wüllenweber) ................................................................................
1/04
Kleine Schaars, Willem: Durch Gleichberechtigung zur Selbstbestimmung. Menschen mit geistiger Behinderung im Alltag unterstützen (Rudi Sack) ......................................................................
2/04 190–191
Leonhardt, Anette (Hg.): Wie perfekt muss der Mensch sein?
Behinderung, molekulare Medizin und Ethik (Gerhard Neuhäuser) .
4/04 387–388
Mehring, Doris: Wieder so ein Tag (Marlis Pörtner) ........................
2/04 189–190
Neuhäuser, Gerhard; Steinhausen, Hans-Christian: Geistige
Behinderung. Grundlagen, klinische Syndrome und Rehabilitation
(Dieter Irblich) ................................................................................
3/04 293–294
Pörtner, Marlis: Brücken bauen. Menschen mit geistiger Behinderung verstehen und begleiten (Saskia Schuppener) ...................
1/04
Reeg, Andreas: Menschen mit Down-Syndrom (Etta Wilken) .........
2/04 187–188
Schurad, Heinz u. a.: Curriculum Lesen und Schreiben für den
Unterricht an Schulen für Geistig- und Körperbehinderte (Carin de
Vries) ............................................................................................
4/04 388–389
Schurad, Heinz: Schule – Sonderschule/Förderschule – Schule für
Geistigbehinderte: Leistungsangebot Qualitätssicherung. Ein Handbuch. (Carin de Vries) ....................................................................
4/04 389–390
Schurad, Heinz u. a.: Curriculum Sachunterricht für die Schule für
Geistigbehinderte (Carin de Vries) .................................................
4/04 390–391
Wilken, Udo; Jeltsch-Schudel, Barbara: Eltern behinderter Kinder –
Empowerment – Kooperation – Beratung (Grit Wachtel) ..............
3/04 295–297
94–96
92–94
Syndrome
Heft/Jahr
Seite
Neuhäuser, Gerhard: Das Landau-Kleffner-Syndrom .......................
1/04
81–84
Neuhäuser, Gerhard: Das Menkes-Syndrom ..................................
2/04 180–183
Neuhäuser, Gerhard: Das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom ....
3/04 284–286
Neuhäuser, Gerhard: Embryopathie-Syndrome ..............................
4/04 378–382
Außerdem finden Sie die Rubriken
Aktuelle Mitteilungen
Veranstaltungen
Bibliografie
Europa
Liebe Leserin, lieber Leser,
der Lebenshilfe-Verlag, der Verlag der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit
geistiger Behinderung e.V., gibt neben der Fachzeitschrift Geistige Behinderung auch
Bücher, Broschüren und Produkte in elektronischer Form rund um das Thema »geistige
Behinderung« heraus. Ob Studierende, Lehrende, Mitarbeiter(innen) in Einrichtungen,
Eltern oder Menschen mit geistiger Behinderung selbst, für jede(n) ist etwas im Angebot.
Unser aktuell lieferbares Programm finden Sie in unserem gerade aktuell erschienenen
Verlagsverzeichnis 2005, das wir Ihnen auf Anfrage gern zuschicken sowie – neben vielen
weiteren interessanten Informationen und Angeboten der Lebenshilfe – im Internet unter
www.lebenshilfe.de. Ferner haben wir 2004 damit begonnen, geeignete bzw. vergriffene
Publikationen sowie weitere (Beratungs-)Materialien als kostenpflichtigen download zur
Verfügung zu stellen, einen Überblick finden Sie im Internet unter
http://www.lebenshilfe.de/content/sections/kd_index.cfm.
Besonders empfehlen möchten wir Ihnen unsere Sonderangebote von 2,– bis 12,– Euro,
übersichtlich zusammengestellt im Verlagsprogramm sowie im Internet auf der Seite
http://www.lebenshilfe.de/content/verlagprogramm.cfm?kind=6&action=show
Ihre Bestellung richten Sie bitte an:
Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
Vertrieb, Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg
Tel.: (0 64 21) 4 91-1 16, Fax: (0 64 21) 4 91- 6 16
vertrieb@lebenshilfe.de
IMPRESSUM
Fachzeitschrift Geistige Behinderung
Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg,
Tel.: 0 64 21/4 91-0, Fax: 0 64 21/4 91-6 49
Internet: http://www.lebenshilfe.de
Mail: zgb-redaktion@lebenshilfe.de
Herausgeber
Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
Bundesgeschäftsführer: Dr. Bernhard Conrads
Verlag
Lebenshilfe-Verlag Marburg
Verlagsleiter: Hans-Volker Wagner
Redaktion
Dr. Theo Frühauf (Chefredakteur),
Regina Humbert (geschäftsführende Redakteurin, Lektorat),
Hans-Volker Wagner
Redaktionssekretariat: Ulrike Pigors, Tel.: 0 64 21/ 4 91-1 49
(vormittags), Mail: ulrike.pigors@lebenshilfe.de
Redaktionsbeirat
Prof. Dr. Gerd Grampp (Arbeitspädagogik), Jena –
Prof. Dr. Heinz Krebs (Sozialmedizin, Psychiatrie), Bonn –
Prof. Dr. Heinz Mühl (Pädagogik der geistig Behinderten),
Oldenburg – Prof. Dr. Gerhard Neuhäuser (Neuropädiatrie),
Gießen – Prof. Dr. Hellgard Rauh (Entwicklungspsychologie),
Potsdam – Prof. Dr. Monika Seifert (Geistigbehindertenpädagogik), Berlin – Prof. Dr. Peter Trenk-Hinterberger
(Arbeits- und Sozialrecht), Bamberg – Prof. Dr. Elisabeth
Wacker (Soziologie), Dortmund
Bezugsbedingungen
Erscheinungsweise viermal im Jahr
Jahresabonnement einschl. Zustellgebühr und gesetzlich
vorgeschriebener MwSt. 26,– €, Probeabo für ein Jahr
23,– €, Einzelpreis 7,50 €. Ermäßigtes Abo 18,– € (für
Studierende und im Gruppenabo von mindestens
10 Beziehern). Für Lebenshilfe-Einzelmitglieder:
Probeabo 18,– €; Jahresabo 23,– €.
Das Abonnement läuft um 1 Jahr weiter, wenn es nicht
6 Wochen vor Ablauf des berechneten Zeitraums gekündigt
wird.
Abo-Verwaltung: Hauke Strack, Tel.: 0 64 21/4 91-1 23,
Mail: hauke.strack@lebenshilfe.de
Anzeigen
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 13, bitte anfordern.
Anzeigenschluss: 1. März, 1. Juni, 1. Sept., 1. Dez.
Druck
Kempkes, Offset- + Buchdruck GmbH, 35075 Gladenbach
Hinweise für Autorinnen und Autoren
Manuskripte, Exposés und auch Themenangebote können bei
der Redaktion der Fachzeitschrift „Geistige Behinderung“,
Postfach 70 11 63, 35020 Marburg, eingereicht werden.
Für genauere Absprachen können Sie uns auch anrufen:
0 64 21/4 91-1 54 oder -1 49. Für Umfang und Gestaltung eines
Aufsatzes sowie für Literaturangaben orientieren Sie sich bitte
an vorliegenden Heften. Entscheidungen über die Veröffentlichung in der Fachzeitschrift können nur am Manuskript
getroffen werden. Ggf. ziehen wir zur Mitentscheidung auch
Mitglieder des Redaktionsbeirats oder weiteren fachlichen
Rat heran. Redaktionelle Änderungen werden mit den
Autor(inn)en, die letztlich für ihren Beitrag verantwortlich
zeichnen, abgesprochen. Beiträge, die mit dem Namen der
Verfasserin bzw. des Verfassers gekennzeichnet sind, geben
deren Meinung wieder. Die Lebenshilfe für Menschen mit
geistiger Behinderung ist durch diese Beiträge in ihrer
Stellungnahme nicht festgelegt. Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Haftung übernommen werden. Alle
Rechte, auch das der Übersetzung, sind vorbehalten.
Nachdruck erwünscht, Genehmigung der Redaktion muss
aber eingeholt werden.
Postvertriebsstück 8743, Gebühr bezahlt.
Anzeige
Bundesvereinigung
Lebenshilfe für Menschen
mit geistiger Behinderung e.V.
Raiffeisenstraße 18
35043 Marburg
Tel.: (0 64 21) 4 91-0
Fax: (0 64 21) 4 91-1 67