Ritt auf dem Drachen
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Ritt auf dem Drachen
REISE N 2Ü P llness-H inkl. We € 256,- JAMAIKA • Verblasster Reggae-Mythos SCHWEIZ • Ski-Rennen durch St. Moritz RUMÄNIEN • Auf dem lustigen Friedhof Seite 3 Seite 4 Seite 7 p. P. Theresia Gartenhotel ★★★★ Luxus +1 TAG GRATIS bei Anreise 5.12., 12.12. oder 19.12. SAALBACH H I NTE RG LE M M ☎ +43-6541-74140 www.hotel-theresia.com DEFGH Donnerstag, 2. Dezember 2010 • Nr. 279 Ritt auf dem Drachen Mit Dschunke und Fahrrad kommt man in Vietnam fast überall hin. Auch an Orte, die es bald nicht mehr gibt A m Ende einer Reise mit Dschunke und Fahrrad durch Vietnam bleibt nicht die Waschanlagenhitze am stärksten in Erinnerung. Nicht die Qualmwolken und das nie pausierende Tuckern der Schiffsdiesel, die einen noch mitten in der Nacht auf dem Mekong daran erinnern, warum man diesen Fluss Wasserstraße nennt. Auch die Sensationen der Nachtmärkte verblassen relativ schnell. Neben Drachenfrucht und Sumpfspinat warten eingelegte Schlangen, gebratene Hunde und pfannenfertig ausgeweidete Mäuse auf Hungrige und Touristen, die die hiesigen Spezialitäten mit lüsternem Ekel per Handykamera dokumentieren. Am stärksten hallt die Freundlichkeit der Leute nach. Die „Hello!“-Rufe der Kinder in den Dörfern, sobald sie einen dieser komischen, bleichen Langnasen mit Helm und haarigen Beinen in kurzen Hosen sehen – die vor lauter Zurückwinken auf den teils engen, von Hühnern und Hunden und Gegenverkehr bevölkerten Wegen ins Schlingern geraten. Es gibt sehr viele Kinder in Vietnam, das mit 87 Millionen Einwohnern dichter besiedelt ist als Deutschland – ein Drittel der Bevölkerung ist jünger als 14 Jahre. Die Vietnamesen verstehen nicht, dass die Touristen ausgerechnet Fahrrad fahren wollen. Das ist doch nur etwas für Arme. Sie träumen von Mopeds, dem erschwinglichen Statussymbol im boomenden Land. Allein in Hanoi kommen auf sechs Millionen Einwohner drei Millionen knatternde, alles gnadenlos verstopfende, selbst Gehwege und Parks unsicher machende Zweitakter. Und dann sind da noch die nachdenklich stimmenden Orte abseits der Menschenmassen, etwa Quan Lan, eine Insel im Norden. Auf den ersten Blick ist der Strand von Quan Lan genau so, wie es sein soll: niemand zu sehen auf dem sanft geschwunge- Good morning, Vietnam: Sonnenaufgang in der felsigen Bai-Tu-Long-Bucht. Der geschnitzte Drachenkopf am Bug der Dschunke gibt die Fahrtrichtung vor. nen Bogen feinen Sandes, der in der Nachmittagssonne golden leuchtet. Palmen säumen das Ufer kilometerweit, die Wellen des Golfs von Tongking berühren es mit lautem Rauschen, und wer hier geht, darf sich als Entdecker fühlen, wie der erste Mensch, der die Abdrücke seiner nackten Füße hinterlässt. Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Die Palmen. Sie sind unnatürlich geordnet wie strammstehende Soldaten, in Dreierreihe, die Stämme exakt gleich hoch und in gleichem Abstand. Dazwischen ist plötzlich doch noch eine schmale Gestalt auszumachen, die im spärlichen Schatten kauert. sen ist. Ein, zwei Minuten verweilt sie an einem Stamm. Sie schaut dem Wasser zu, wie es im Sand versickert, dann geht sie zur nächsten Palme, jeden Tag, von morgens bis abends, manchmal ohne einem Menschen zu begegnen. Vier Tage braucht sie, bis sie alle Bäume gegossen hat, dann fängt sie wieder von vorne an. „Es ist keine so tolle Arbeit“, meint sie, „schlecht bezahlt.“ Aber es reiche zusammen mit dem Lohn ihres Mannes gut für sie beide und ihren Sohn. Die Frage, ob ihr beim Gießen langweilig ist, versteht sie nicht. Gezählt hat sie die Palmen nie. „Sie haben mir gesagt, dass es 2000 sind.“ 2000 frisch gepflanzte Palmen stehen am Strand der Insel Quan Lan. Die junge Hoyen braucht vier Tage, um sie zu gießen Hoyen ist 25 Jahre alt, aber mit ihrem zierlichen Körperbau würde sie auch als Zehnjährige durchgehen. Ihr Alter ist ihr nicht anzusehen. Selbst für hiesige Verhältnisse ist sie extrem vermummt. Fast alle Vietnamesinnen tragen im Freien einen Mundschutz, wie man ihn von Chirurgen kennt. Damit schützen sie sich gegen die Sonne. Hoyen reicht das nicht. Sie hat sich zusätzlich ein weißes Frotteehandtuch um den Kopf gewickelt. Durch einen Schlitz sind nur ihre schwarzen Mandelaugen sichtbar. Darüber trägt sie den traditionellen Kegelhut. Außerdem hat sie lange Hosen, Jeansjacke und rosa Gummihandschuhe an. So hockt Hoyen unter den Palmen und gießt sie mit einem Schlauch, der an einen Teich angeschlos- Sie, das sind ihre Chefs von einem US-amerikanisch-vietnamesischen Joint Venture. 35 Jahre nach dem Krieg verstehen sich die ehemaligen Feinde gut aufs gemeinsame Geschäftemachen. Hinterm Palmenhain stehen schon die Bagger bereit. Bald wird ein Urlaubsresort aus dem Sandboden gestampft. Die Bäume, die Hoyen geduldig wässert, sind nur der Anfang. Wahrscheinlich das Ende der Strandidylle von Quan Lan. Es ist das alte Dilemma: Was für Individualtouristen den Niedergang der Urlaubsromantik darstellt, bedeutet für Einheimische die Chance, von mehr zu leben als dem Kärglichen, das Reisfeld und Hühnerstall hergeben. Sechs von zehn Vietnamesen arbeiten noch in der Agrar- und Fischwirtschaft. Seit der Öffnung für Touristen Ende der achtziger Jahre wächst der Besucherstrom. Inzwischen kommen vier Millionen Ausländer jährlich. Zunächst waren es Rucksack- und Kulturreisende. Das Zauberwort der Zukunft lautet Badeurlaub – Hotelanlagen, neue Jobs, aber auch Umweltverschmutzung, höhere Lebenshaltungskosten, steigende Grundstückspreise all inclusive. Die Radler gehören zu den Kulturinteressierten. Sie genießen Quan Lan gerade deshalb, weil sie hier seit zwei Tagen keine anderen Ausländer gesehen haben. Doch wie zwiespältig diese Sehnsucht nach Ursprünglichkeit ist, zeigt sich schon auf der verschlafenen Nachbarinsel Tra Ban. Dort ist gar nichts von Tourismus zu sehen. 700 Familien leben hier ohne Stromanschluss. Die Radler rollen an tiefgrünen Reisfeldern entlang. Frauen unter Kegelhüten gehen mit dem Pflug hinter Wasserbüffeln her. In gekachelten Gräbern am Rand der Felder ruhen ihre Angehörigen. Die Nähe zu den Toten ist Teil der taoistischen Ahnenverehrung. Pause an einem Kindergarten. Die Betreuerinnen tragen lindgrüne Krankenschwesternkleidung, an der Wand hängt eine Zeichnung von National-Onkel Ho Chi Minh, wie er ein Kind hochhält und küsst. Die Kleinen singen artig für die Gäste, der Guide übersetzt: „Graue Haare, langer Bart. Ich träume von Ho Chi Minh. Er umarmt mich und tanzt mit mir.“ Einen Kilometer weiter steht die Krankenstation. Von außen macht das gepflegte Steingebäude einen vertrauenerweckenden Eindruck. Als einer der Radler hineingeht, haben sie nicht einmal ein Pflaster für ihn. Weiter zur Schule. Der Direktor lädt zum Grüntee in sein winziges Büro, dessen Tür zum staubigen Schulhof hin offensteht. An der Wand wieder Ho Chi Minh, diesmal unter Soldaten mit Kalaschnikows und Palmwedel- Fotos: Temsch tarnung. Die Henkel der Teetassen sind abgebrochen. Die Schule brauche mehr Bänke, sagt der Direktor, manche Schüler müssten auf dem Boden hocken. Die Touristen spenden. Eine Besucherin meint: „Es wäre aber schon schade, wenn die Kinder so wie wir im reichen Westen den Schneidersitz verlernen würden.“ Der Guide, der zu DDR-Zeiten in Ostberlin studiert hat, schmunzelt über die Deutschen: „Sie analysieren Vietnam bis ins letzte Bakterium.“ Aber die meisten Urlauber gehen nicht so tief. Quan Lan und Tra Ban liegen in der Bai-Tu-LongBucht. Sie ist genau so schön, nur viel weniger besucht als ihre südwestliche Nachbarin, die zum Welterbe gehörende Ha-Long-Bucht, in der 400 Touristendschunken registriert sind. Tausende bizarre Felsen ragen aus dem türkisfarbenen Wasser, genau 1969 sollen es nach offiziellen Angaben sein – eine Zahl, die wohl nicht ganz zufällig dem Todesjahr Ho Chi Minhs entspricht. Eine Dschunkenfahrt durch dieses labyrinthische Meeresgebirge ist ein meditatives Erlebnis. Ein komfortables auch. Die besten Schiffe sind geschmackvoll in dunklem Holz gehalten, ausgestattet mit klimatisierten Doppelkabinen, eigenem Bad, großen Sonnendecks und guten Köchen. Am Bug wehrt ein brusthoher, geschnitzter Drachenkopf böse Wassergeister ab. Wer sich bei sanfter Dünung daran festhält, hat die Illusion eines Ritts auf dem Drachenrücken. Gefahren wird mit Motor. Nur wenn ein Konkurrenzkapitän plötzlich anfängt, mit seinen Segeln zu protzen, ziehen die anderen schnell nach. Manchmal muss der Kapitän auch die Geschwindigkeit drosseln und einen der Fischzüchter nach dem Weg fragen. Sie leben das ganze Jahr über bei ihren Bassins, in schwimmenden Dörfern – teils mehr als 100 aneinander befestigte Flöße mit Holzhütten. Darin ist genug Platz für sie und ihre Frauen samt Kindern, Wachhunden und Schwarzweißfernsehern, die sie mit Autobatterien betreiben. Ihre Ware geht an Großhändler, die vor allem nach China liefern. Wenn ein Sturm droht, mieten sie Boote und ziehen ihre Behausungen in sichere Gewässer. Die Dschunken ankern über Nacht vor Ti Top, einem Felsen mit Aussichtspagode an der Spitze. Der Sonnenuntergang ist grandios. Von oben sehen die Lichter der vielen Schiffe zwischen den Felsen aus wie eine Stadt. Aber nichts ist hier weiter weg als der Trubel einer Metropole. Mindestens einen Drachen-Tagesritt entfernt. JOCHEN TEMSCH Informationen CHINA Hanoi Quan Lan Tra Ban Ti Top VIETNAM 50 km B a i - Tu Long-Bucht Ha-Long-Bucht SZ-Karte Anreise: Flug Frankfurt-Hanoi, zurück ab Ho-Chi-Minh-Stadt mit Vietnam Airlines, ca. 1200 Euro, www.vietnamairlines.com Reisearrangement: Der Veranstalter Inselhüpfen bietet eine 15-tägige Radkreuzfahrt mit vielen Stationen zwischen Ha-Long-Bucht und Mekongdelta an. Inkl. Verpflegung, Inlandsflüge, Leihräder, Doppelkabinen bzw. -zimmer auf Dschunken und in Hotels ab 2490 Euro pro Person. Maybachstraße 8, 78467 Konstanz, Tel.: 07531/36 18 60, www.inselhuepfen.de Durch Russland, die Mongolei und China Baltikum · Skandinavien · Schottland · Spanien · Schweiz Amazoniens Flüsse, Galapagos-Inseln, Mexiko und Chile A N T WO RT C O U P O N Lebenstraum Transsib: Sonderzugreise Zarengold Exklusive Bahnreisen durch Europa Südamerika für Entdecker "ITTESENDEN3IEMIRFOLGENDE0ROGRAMME Eine Fahrt auf der Transsibirischen Eisenbahn bedeutet für viele Menschen die Erfüllung eines Lebenstraums. Auf der Strecke zwischen Moskau und Peking können Sie mit unserem Sonderzug eines der letzten großen Reiseabenteuer der Welt erleben. Entdecken Sie auf unserer TÜV-geprüften Sonderzugreise Zarengold Russland, die Mongolei und China – sicher, komfortabel und aufregend zugleich! Die über 100 Jahre alte Route bildet den Kern für die verschiedensten Reisevarianten. Entdecken Sie den Mythos Transsib auf einer einzigartigen Reise, die an Vielfalt und Individualität, an Ursprünglichkeit und atemberaubenden Eindrücken kaum zu übertreffen ist. Y "ERNSTEIN – 15-tägige Sonderzugreise durch Polen und das Baltikum bis St. Petersburg Y +ARPATENTRËUME – 13-tägige Sonderzugreise auf den Spuren der k.u.k.-Monarchie durch Galizien, Odessa und Kiew Y -ITDEM"ËHNLIDURCHDIE3CHWEIZER!LPENn 10-tägige First Class Bahn-Erlebnisreise Y $URCH DAS ,AND DER %LCHE UND 2ENTIERE – 17 Tage auf Schwedens und Norwegens Bahnen Herrliche Flusslandschaften in Regionen, die nur per Schiff erreichbar sind, tropische Regenwälder, mächtige Gletscher und gewaltige Vulkane erwarten Sie auf unseren Erlebnisreisen durch Ecuador mit ExklusivCharter auf den Galápagos-Inseln, auf der Flusskreuzfahrt im ursprünglichen Amazonas-Gebiet, auf einer Reise ins Pantanal, auf unserer Kreuzfahrt durch die unberührten Fjorde Patagoniens und während der Reise mit National Geographic zu den Walen rund um die Baja California. Ihre komfortablen Schiffe mit stets freundlicher Crew und viele spannende Ausflüge machen Ihre Erkundung der abenteuerlichen Landschaften zu einem unvergesslichen Erlebnis. REISEHÖHEPUNKTE s-YTHOS4RANSSIBIM3ONDERZUG s5RIG-ONGOLISCHE2EITERSCHAU s$ASSTOLZE-OSKAU s"AHNFAHRTAUFDERSTILLGELEGTEN4RASSE DER4RANSSIBDIREKTAM"AIKALSEE s0EKINGS'EHEIMNISDIEVERBOTENE3TADT s+AVIARUND7ODKAPROBE :AHLREICHE6ARIANTENUND4ERMINEZWISCHEN-AIUND3EPTEMBER AB Ð Y -ITDEM%L4RANSCANTÉBRICODURCHDAS'RàNE 3PANIEN – 14-tägige First Class Bahn-Erleb- nisreise von San Sebastián bis nach Porto Y !UF!GATHA#HRISTIES3PURENIM6ENICE3IMP LON/RIENT%XPRESSn10-tägige Sonderzug- reise von Paris nach Istanbul 4ERMINEZWISCHEN!PRILUND3EPTEMBER REISEHÖHEPUNKTE s'LANZVOLLES3T0ETERSBURG s+ARPATEN0ANORAMA"AHNFAHRT s,OFOTENUND-ITTSOMMERNACHT s3ANTIAGODE#OMPOSTELA s-OULIN2OUGE"ESUCH s3CHOTTISCHE(IGHLANDS s6ENICE3IMPLON/RIENT%XPRESS AB Ð 4ERMINEZWISCHEN-ËRZUND-ËRZ O3ONDERZUGREISE:ARENGOLD O%XKLUSIVE"AHNREISENDURCH%UROPA O3àDAMERIKAFàR%NTDECKER O7EITERE2EISENIM'ESAMTKATALOG Name Straße PLZ, Ort REISEHÖHEPUNKTE s.ATURPARADIES'ALÉPAGOS)NSELN s7ALBEOBACHTUNG"AJA#ALIFORNIA UNDIMPOSANTER+UPFERCANYON s7ASSERFËLLEVON)GUAZÞ s)NKA3TËDTE-ACHU0ICCHUUND#UZCO s"UENOS!IRES s&ASZINIERENDE4IERWELTAM!MAZONAS E-Mail AB Ð Lernidee Erlebnisreisen GmbH %ISENACHER3TRAEq"ERLIN 4ELq&AX WWWLERNIDEEDEqSZ LERNIDEEDE 3: Kreuzfahrten auf Schienen und Flüssen. Die schönste Zeit Ihres Lebens. REISE DEFGH Donnerstag, 2. Dezember 2010 • Nr. 279 • Seite V2/2 Neulich im Flugzeug Iraker im Paradies Ganz hinten in Reihe 26, ein Fensterplatz. Auf den zwei Sitzen daneben haben bereits zwei arabisch aussehende Männer Platz genommen. Als das Flugzeug zum Start anrollt, fasst sich der neben mir an die Schläfen, dann schaut er zum Fenster raus, bläst die Luft durch die Lippen und sagt etwas in seiner Sprache, das sich nicht nach Wohlbefinden anhört. „Fliegt er zum ersten Mal?“, frage ich seinen Freund, der vorher mit der türkischen Stewardess deutsch gesprochen hat. „Zum zweiten Mal“, antwortet der freundlich, „aber er hat keine Flugangst, sondern Schmerzen. Das ist eigentlich eine traurige Geschichte.“ Die zweieinhalb Flugstunden von Istanbul nach München vergehen nun mit dieser Geschichte. Der Mann mit den Schmerzen, Mustafa, und sein Begleiter Alaa arbeiten für die deutsche Botschaft in Bagdad. Alaa in der Verwaltung, Mustafa als einer von 90 Wächtern, die die Botschaft bewachen. Am Ostersonntag dieses Jahres sprengte sich ein Selbstmordattentäter in seiner Nähe in die Luft. Mustafa überlebte schwer verletzt, doch zwei seiner Schwestern, die um die Mittagszeit auf dem Weg zu ihm waren, wurden getötet, einer seiner Brüder ebenfalls schwer verletzt. Als Angestellter der deutschen Botschaft ist diese für Mustafas Behandlung zuständig. Zuerst schickten sie ihn nach Amman in Jordanien, doch dort konnten ihm die Ärzte nicht richtig helfen. Mustafa habe noch Bombensplitter im Körper, erklärt Alaa, sein linkes Auge liege seit der Explosion tiefer, er habe immer Schmerzen. Nach längerem Hin und Her habe die Botschaft nun eingewilligt, dass er nach Ulm dürfe, um dort im Bundeswehrkrankenhaus operiert zu werden. „Ich muss immer bei ihm sein“, sagt Alaa, „um alles zu übersetzen.“ Obwohl es eine komplizierte Operation am Schädel ist, sind für die ganze Behandlungsreise nur 14 Tage eingeplant, auch Mustafas Visum läuft dann ab. Und falls es Komplikationen gibt? „Dann muss ich mich um die Verlängerung kümmern“, sagt Alaa. Er selbst hat eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, weil er wegen des Irak-Krieges nach Deutschland geflüchtet war. Vor einem Jahr hat er beschlossen, zurückzugehen, um beim Aufbau seines Landes zu helfen. Nun ist er aber desillusioniert: „Keiner traut dem anderen, es geht nur um Geld und Religion.“ Er erzähle seinen Nachbarn lieber nicht, dass er bei der deutschen Botschaft arbeite. „Ich habe einmal gewagt zu sagen, dass die Lautsprecher der neuen Moschee neben meiner Wohnung viel zu laut sind, da wurde ich als Ungläubiger beschimpft.“ Als wir aussteigen, nimmt Alaa ein Keyboard aus der Gepäckablage. „In München bin ich öfter aufgetreten, im Irak habe ich im ganzen Jahr nur einmal gespielt – was soll ich also dort damit?“ Bei der Einreise werden die zwei Iraker an der Passkontrolle ausgefragt, Alaa wiederholt geduldig Mustafas Geschichte in Kurzform. Klar, dass die beiden anschließend am Zoll auch noch ihre Koffer auspacken müssen. Aus der S-Bahn schaut Mustafa mit großen Augen auf die Landschaft. Er sagt vorwurfsvoll etwas, was Alaa lachend übersetzt: „Warum hast du dieses Paradies verlassen?“ HANS GASSER Die Mühen und Vergnügen des Alltags sind die Themen, die Alex Webb mit einer gewissen Beiläufigkeit umsetzt. Oft beobachtet er Menschen, die ihrerseits etwas beobachten. Diese Aufnahme entstand in Nicaragua – der Fotograf schlägt das mittelamerikanische Land großzügig der Karibik zu. Foto: Alex Webb/Magnum/Ag. Focus REISEBUCH Buch der Karibik Der Fotograf Alex Webb macht sich auf die Suche nach der Identität einer äußerst vielfältigen Region D ie Handlanger der spanischen Krone haben in der Karibik ein Vakuum hinterlassen, als ihnen Ende des 16. Jahrhunderts ihr Interesse an der Inselwelt abhanden kam. Nachdem Admiral Kolumbus im Januar 1494 an der Nordküste der heutigen Dominikanischen Republik einen ersten Landeplatz für die spanische Flotte befestigen ließ, benötigten die Konquistadoren nur ein paar Jahrzehn- Die Schicksale der Inseln ähneln sich, sind aber nicht identisch te, um die Einwohner der Karibik wenn schon nicht vollständig auszurotten, so doch einen Gutteil von ihnen hinwegzuraffen. Weshalb es in der Karibik bald nicht mehr genügend Arbeitskräfte gab, die es auszubeuten gegolten hätte. Mithin sanken die Erträge dieser Kolonien, und ohnehin erschienen die Edelmetallvorkommen auf dem mittel- und südamerikanischen Festland lukrativer als der Anbau von aus der Sicht der Europäer exotischen landwirtschaftlichen Erzeugnissen. In dieses Vakuum stießen die übrigen europäischen Seefahrernationen als die neuen Machthaber; und sie füllten auch das Reservoir an Arbeitskräften wieder auf mittels ihres perfiden Dreieckshandels: Tand für Westafrika, Sklaven für die Neue Welt, Reichtümer für das alte Europa. Die Niederlande und Frankreich waren derart gierig auf dieses Geschäft, dass sie große Territorien in Nordamerika an die Briten abtraten, um dafür im Tausch ein paar karibische Inseln zu bekommen. So ähnlich die Schicksale der einzelnen Inseln und späteren Staaten jedoch verlaufen sind – auch die vielfältigen Einmischungen der USA vom auslaufenden 19. Jahrhundert an sind eine gemeinsame Erfahrung –, die Karibik als einen einheitlichen Raum gibt es nicht. Es gibt den immer noch irgendwie existierenden Sozialismus auf Kuba, es gibt radikal marktwirtschaftliche und daneben stark sozialdemokratisch geprägte Gesellschaften, es gibt Inseln, die sich mit dem Pauschaltourismus arrangiert haben, und es gibt Staaten wie Haiti und Jamaika, die aufgrund von Misswirtschaft und Drogenkriminalität in ihrer Funktionsfähigkeit existenziell bedroht sind. Von einer „vielgestaltigen Identitätsfindung“ schreibt denn auch Karl Spurzem in seinem Vorwort zu Alex Webbs Fotografie- Band „Karibik“. Eine Identitätsfindung, die von Fall zu Fall dann doch auf recht unterschiedlichen Einflüssen und Fundamenten basiert. Alex Webb, Mitglied der Fotoagentur Magnum, hat bereits zwei Fotobände veröffentlicht über einzelne karibische Inseln, einen über Haiti, einen über Kuba. Mit „Karibik“ wagt er sich an ein Porträt der gesamten Region in ihrer Heterogenität. Selbst die Grenzen definiert Webb dabei eigenwillig – auch Aufnahmen aus dem festländischen Nicaragua sind in dem Band vertreten. Es sind Bilder des öffentlichen Lebens; wenige Aufnahmen nur sind in Innenräumen entstanden. In den Gassen und den Höfen, hin und wieder auch am Strand findet Alex Webb seine Karibik. Seine Bilder sind geprägt von satten Farben, selbst wenn sie mitunter fahl sind wie das verblichene Braun einer hölzernen Hütte oder das steingraue Grün ei- Katastrophen bleiben außen vor – sie sind nicht symptomatisch ner Betonwand. Meistens funkeln sie aber, pastelltönend auf Curaçao, knallig gelb, rot und orange auf Kuba, nuancenreich blau in Puerto Rico. Der Tourismus und also die geschönte Wahrnehmung ist ausgeklammert, ein einziges Mal zeigt Webb ein Kreuzfahrtschiff und deutet damit diese Facette der Karibik an. Und auch die ganz großen, die außergewöhnlichen Katastrophen und deren Folgen wie das Erdbeben auf Haiti finden nicht statt in diesem Buch – Für jeden das richtige Geschenk ...mit der Radisson Blu Geschenkkarte! Erholsame Wellnessanwendung im Land Fleesensee, romantisches Abendessen in Paris, Shopping-Trip nach Mailand – verschenken Sie die freie Wahl. Einlösbar in über 200 Hotels in 16 teilnehmenden Ländern. Erhältlich ab 20 Euro in Ihrem Radisson Blu Hotel oder unter: radissonblu.de/geschenkkarte weil sie nicht symptomatisch sind. Von den Mühen und auch von den Vergnügen des Alltags berichtet Webb stattdessen. Beides überhöht er auf eine dezente Weise, die Aufnahmen werden dadurch vielfach emblematisch, manche haben beinahe eine ikonografische Qualität. Und doch wohnt den meisten Fotografien etwas Beiläufiges inne. Viele sind – oder wirken zumindest wie – Momentaufnahmen. Immer sind Menschen auf den Bildern. Sie unterscheiden sich stark in ihrer Hautfarbe, in ihrer Art, sich zu kleiden, in ihrem Umgang miteinander. Man sieht sie arbeiten, man sieht sie spielen, tanzen, einander küssen. Viele der Beobachteten beobachten ihrerseits eine Szenerie, die die Kamera nicht einfängt. Erklärende Bildlegenden gibt es nicht in diesem Band, in dem es um Stimmung und Atmosphäre geht: Da vermögen Wörter ohnehin weniger als Fotos und als das Dutzend karibischer Lieder auf der beiliegenden CD. STEFAN FISCHER ALEX WEBB: Karibik. Mare Verlag, Hamburg 2010. 124 Seiten inklusive Musik-CD, 58 Euro. REISE DEFGH Donnerstag, 2. Dezember 2010 • Nr. 279 • Seite V2/3 D er Strand ist weiß, die Palmen rauschen im Wind, am Nachbartisch der Strandbar sitzen drei auch nicht mehr ganz taufrische Männer, einer davon mit Rastalocken, sie spielen Domino. Es schüttet vom Himmel, und wie ein Schleier der Melancholie legt sich der Vorhang aus Tropfen über „Alfred’s Ocean Palace“, trotz des großen Namens eine Wellblechbude nur, mit wackligen Holztischen und bunt bemalten Stühlen. Die Frau hinterm Tresen trägt auch bei Regenwetter knappe Shorts. Es ist schwül, 30 Grad im Dezember. Aus dem Lautsprecher scheppert Reggae, was sonst. Es ist sechs Jahre her, da wurde eine der legendären Institutionen von Negril – das hoch auf Felsklippen gelegene Rick’s Café – von herbstlichen Hurrikan-Stürmen zertrümmert. Auf zwölf Metern Höhe schlugen die Wellen genau dorthin, wo heute wieder jamaikanische Jungs zum Vergnügen der Touristen ihre durchtrainierten Körper mit waghalsigen Kopfsprüngen ins Meer stürzen. Rick’s Café wurde neu aufgebaut, jetzt sieht es nicht mehr aus wie ein improvisierter Kiffer-Hangout, sondern wie das Hard Rock Café im Baumhauslook. „Erst wenn wir mindestens 20 Dollar im Eimer gesammelt haben, springen wir“, erklärt Eric, einer der Klippentaucher. Die Zeiten, in denen es auf Jamaika irgendwas umsonst gab, sind längst vorbei. An Negrils Traumstrand, genau dort, wo ein freundlicher Rasta namens Johnny in den achtziger Jahren in seinem „Roots“-Kiosk Papaya- und Kokosnusssaft urwaldfrisch verkaufte, steht heute Was vom Reggae übrigblieb Der einstige Hippie-Strand Negril ist heute eine Spielwiese der Pauschaltouristen. Doch wer sucht, findet immer noch das gute alte Jamaika Keine Mama, die zu dick wäre, als dass sie nicht im Hotel vortanzen könnte Wo früher Johnny frische Säfte verkaufte, steht heute ein Nackthotel das höchst merkwürdige 560-Betten„Hedonism Resort“, eine Art SwingerUrlaubsclub unter All-inclusive-Tarnkappe für die angeblich doch so prüden Amerikaner. Eine Ironie der Geschichte, dass sich ausgerechnet die arbeitssuchenden Kinder der Reggae-Pioniere in diesen US-Nudehotels als Kellner verdingen, schon frühmorgens ganze Rudel von Nackedeis an Pool und Tresen bedienen. „Babylon“, das von Bob Marley besungene Synonym für westliche Dekadenz, hat’s offensichtlich durch die Hintertür ins Rasta-Paradies geschafft. Es waren die tropische Schwüle, die feixenden Banjospieler in einer stickigen Ankunftshalle, die wagenradgroßen Bananenblätter und lässig herumhängende Reggae-Typen, die alternativ angehauchte Europäer vor rund 20 Jahren in einen Tropenrausch versetzten. Negril war der Hippie-Strand der Karibik, ein elf Kilometer langes Sahnestück von Bucht, die schönste und längste der Insel. Unter Palmen waberten Bässe durch Freiluftdiscos. Negril war die Antwort der Dritten Welt auf die 68er, und der Rasta-Kult der schwarze Gegenentwurf zum weißen Hippie. Obwohl Jamaika seit den fünfziger Jahren – dank Errol Flynn und Harry Belafonte – eine Spielwiese des US-Tourismus ist, blieb die Rastabucht anders als die massentauglichen Badeorte Montego Bay und Ocho Rios jahrzehntelang ein Geheimtipp. Gemeinsam beschworen Einheimische und Besucher in Schwaden von „Ganja“ den Traum eines konsumfreien, weitgehend gesunden und überhaupt irgendwie rebellischen Lebens, dessen große Leuchtfigur Bob Marley aus den Slums von Trenchtown in der Hauptstadt aufgestiegen war. Irgendwann platzte der Traum. Clubhotels verdrängten die Hütten der Jungs mit den schwarzen Dreadlocks. Von Riu bis Iberostar, von den amerikanischen Ketten Sandals bis Couples: In Negril sitzen sie alle, denn an die Paradiesbucht zieht es die meisten der jährlich rund eineinhalb Millionen Jamaika-Urlauber. Aus der Reggae-Rebellion wurde Themen-Marketing – das Sahnehäubchen auf der immergleichen Tropenkombi aus Meer, Strand und Sonne. Was auf Kuba der Kommunismus und in der Dom-Rep der Billignepp, ist auf Jamaika Bob Marley, dessen Witwe Rita der Insel allerdings aus einer Art Platzangst heraus schon vor Jahren den Rücken kehrte und sich im westafrikanischen Ghana niederließ. Negril ist radikaler als der Prenzlauer Berg: Hier fand nicht die Gentrifizierung eines Ortes statt, sondern eines ganzen Lebensgefühls. Dabei ist ein bisschen alternatives Flair durchaus geblieben. Auf der gewundenen West End Road in Negril, jüngst in One Love Drive umbenannt, serviert der Rasta-Schuppen „Mi Yard“ wie eh und je das Nationalgericht Ackee und Saltfish – eine Frucht, die schmeckt und aussieht wie Rührei. Und wer, quasi als Reminiszenz an vergangene Zeiten, Lust auf einen „Spliff“ verspürt, muss nicht lange suchen: Vom Leuchtturm auf den Klippen bis ins 7000-EinwohnerÖrtchen kostet die Fahrt mit dem klapprigen Taxi zehn Dollar. Plus Joint, den der Taxifahrer hinter einer Tankstelle zuvor. Ganze Teile der Hauptstadt Kingston sind verslumte No-Go-Gebiete, von urbaner Erneuerung Lichtjahre entfernt. Auf „Irie FM“, dem wohl einzigen Radiosender der Welt, der ausschließlich lokale Musik spielt, diskutiert Nachrichtenredakteur Franklyn McKnight, 54, wie vor 20 Jahren das Thema Repatriierung, die Rückkehr der Sklaven-Nachkommen nach Afrika. Der Sender hat die höchste Einschaltquote. Die Hälfte der rund fünf Millionen Einwohner hat die von Bandenkriegen und Misswirtschaft überschattete Insel auf der Suche nach Arbeit verlassen, auch wenn Urlauber in den Ferienhotels davon wenig mitbekommen. Jamaika setzt auf Erlebnis- und Massentourismus, will seine Kapazität in den nächsten Jahren von 5000 auf 15 000 Betten erhöhen. Vorwerfen kann man das der Insel nicht, „doch ob es den Bewohnern nützen wird, weiß keiner“, sagt Rundfunkmoderator McKnight. Der Strand von Negril ist immer noch der längste und schönste der Insel. Es gibt auch noch unberührte Abschnitte. Vielerorts herrscht aber genau die Haltung vor, gegen die die Rastas einst eintraten. Foto: Peter Dench/Corbis besorgt, macht’s fünf Dollar mehr. Nach dem Kurzstopp springt das schrottreife Taxi nicht mehr an, doch der Dealer im Busch hat ein Überbrückungskabel zur Hand – und so kommt man schließlich doch noch ans Ziel. Im „Roots Bamboo“-Club tröpfelt es durchs Dach, auf nasser Tanzfläche drängen sich etwa 50 Urlauber und Einheimische. Ein Vierteljahrhundert hat es gedauert, aber inzwischen ist der kommerzielle Urlaubsflirt eingeschliffen wie eine gut geölte Industrie, zielsicher wie die Bootstouren zu den Meeresschildkröten. Hier am Aussteigerstrand gibt sich der Sex-Tourismus softer und quasi geschlechtsneutral. Auch der tumbeste Tor hat inzwischen begriffen, dass mit der Masche Rasta-sucht-Dame-von-Niveau Geld und manchmal auch Freunde zu machen sind. Ist der Deal darum schlecht? Überall wird versucht, den Off-Beat von damals zu konservieren „Wer wirklich meint, am Strand die große Liebe zu finden, müsste doch schon sehr naiv sein“, meint Margot Carter, 51 Jahre alt, eine Schweizerin, die sich vor zwei Jahrzehnten als Reiseleiterin in Negril niedergelassen hat. Auch sie kam mal eines Mannes wegen, inzwischen lebt sie allein. Der Traumstrand von Negril kommt ihrer Vorstellung vom Paradies aber immer noch recht nahe: „Es ist unkompliziert, relativ sicher, und jeder kennt jeden.“ Der Ort scheint seltsam stehengeblieben, gefangen in einem Schwebezustand zwischen dekadent und museal, Bewohner wie Vermarkter sind bemüht, den Off-Beat von damals zu konservieren. Das kann nicht gutgehen. Auf Fünf-Sterne-Niveau funktioniert es kurioserweise noch am besten. Die strohgedeckten, blau-weißen Holzhäuser scheinen an den Klippen zu kle- ben; weiß gekalkte Stufen wie auf einer griechischen Insel führen vom Schlafzimmer auf private Badefelsen. Eine blaue Batikdecke schmückt das Bambusbett mit Meerblick im zweiten Stock. Ein Pärchen flirtet bei einem romantischen Kerzenlichtdinner in einer Grotte. Aus dem CD-Spieler der Anlage allerdings tönt nicht Reggae, sondern kubanischer Jazz – ein Zeichen der Zeit. Barfuß-Luxus heißt der Lebensstil, den auf Jamaika vor allem Chris Blackwell kultiviert, der Entdecker Bob Marleys. Die Launch-Party für Virgin Galactic Airlines von Richard Branson fand in einem seiner Häuser statt. Mit dem Ohrwurm „My Boy Lollipop“ begründete der 72-Jährige 1964 sein Vermögen, heute gehört ihm ein halbes Dutzend Boutique-Hotels, darunter die Golden-Eye-Originalvilla, in der 007-Erfinder Ian Fleming ab 1946 sämtliche James-Bond-Bestseller geschrieben hat. Weitere Anlagen sind geplant, einige mit Aufnahmestudios: „Jüngst waren Scarlett Johansson und Gwen Stefanie hier“, erzählt eine Mitarbeiterin Blackwells. Der Zauber der Insel, er lebe noch – zumindest auf hohem Niveau. Mit spitzen „Ahs“ und „Ohs“ durchstreifen japanische Jung-Touristen die ehemalige Marley-Villa an der Hope Road, kaufen kofferweise Schallplatten, wohl für irgendwelche Dancehall-Partys in Tokio. Bobs Fruchtmixer und sein Bett stehen noch in der Villa, die heute ein Museum ist. Die Patina eines abblätternden Reggae-Gefühls liegt über der ganzen Insel – aber etwas von der ursprünglichen „Rebel“-Kraft hat sich eben doch erhalten. Ein Uhr nachts, bleich und magisch steht der Vollmond über Negril. Wie eine Perlenkette umgarnen die Lichter einer ganzen Armada von Kreuzfahrtschiffen das nachtschwarze Eiland: Sinnbild des Wohlstands, der die Insel umschwirrt und doch – nach einem halben Jahrhundert Massentourismus – immer noch so fern für deren Bewohner scheint. Das ist die vielleicht größte und überall spürbare Tragik Jamaikas: dass die meisten Inselbewohner so arm geblieben sind wie Wenn Träume reisen... Seit 1891, als Albert Ballin die Kreuzfahrt erfand, stehen wir für Luxusurlaub auf dem Wasser. So gilt auch unser heutiges Flaggschiff MS EUROPA, die „schönste Yacht der Welt“, seit nunmehr 11 Jahren als weltbestes Kreuzfahrtschiff.* An Bord der EUROPA erwartet Sie – fernab aller Klischees – ein modernes Luxusresort auf Traumrouten rund um den Globus, mit einer preisgekrönten Küche, umfassenden Spa-, Fitness- und Unterhaltungsmöglichkeiten sowie einem Service, der unvergessliche Urlaubserinnerungen prägt. Kommen Sie an Bord der „schönsten Yacht der Welt“ und lassen Sie Reiseträume wahr werden. * Lt. Berlitz Cruise Guide 2011. Informationen Montego Bay Ocho Rios JAMAIKA Negril Kingston Spanish Town Karibisches Meer 50 km SZ-Karte Anreise: Direktflug z. B. mit Condor oder Air Berlin hin und zurück für etwa 800 Euro, wwww.condor.com, www.airberlin.com, in etwa 1,5 Sunden mit dem Auto nach Negril. Unterkunft: „The Caves“, ab 187 Euro pro Person/Nacht, www.islandoutpost.com Arrangement: Club Hotel Riu Negril, eine Woche/DZ/VP mit Flug ab 1400 Euro pro Person, www.tui.com Allgemeine Informationen: Für die Einreise braucht es kein Visum. Jamaikanisches Fremdenverkehrsamt, Tel.: 02104/ 83 29 74, www.visitjamaica.com Kann man auf Jamaika heute noch Spaß haben? Sicherlich: Man kann auf eigene Faust per Mietwagen in das noch ursprünglichere Port Antonio oder nach Black River an der Südküste fahren. Man kann im angesagten Drei-Etagen-Club „Quad“ in Kingston Goldsprinter Usain Bolt begegnen. Man kann auch im Hotel bleiben: Beim Reggae-Strandtanzkurs in Negril machen drei Generationen die nicht immer jugendfreien Hüftschwünge begeistert mit. Keine Mama zu dick, kein Daddy zu alt, als dass sie nicht im Kreis mal vortanzen könnten, während ihre „No-ProblemJamaica“-T-Shirts die Speckröllchen bedecken. In den meisten All-inclusive-Zimmern gibt es literflaschenweise Rum und Wodka gratis, die Stimmung ist schon am Morgen dementsprechend. „Zeig mir, was du hast“, sagt Baron, der junge Eintänzer. Die Besucherin ist dem zahnlosen Dominospieler in der Strandbar inzwischen nähergekommen: „Setz dich doch“, sagt er – „oder willst du mich heiraten?“ Jamaika bleibt eine integrative Insel, irgendwie. ANDREA TAPPER Fordern Sie unsere Reisekataloge an, wenden Sie sich an Ihr Reisebüro, oder informieren Sie sich unter www.hlkf.de REISE DEFGH Donnerstag, 2. Dezember 2010 • Nr. 279 • Seite V2/4 Mit Vollgas durch die Fußgängerzone PISTENFAHRPLAN Die Angaben bedeuten in der Reihenfolge der Zahlen: Schneehöhe in Zentimetern an der Talstation, im Skigebiet, Länge der präparierten Pisten in Kilometern. Der ADAC-Schneebericht meldet: DEUTSCHLAND Trotz der jüngsten Neuschneefälle ist in den deutschen Alpen und Mittelgebirgen nur teilweise Wintersport möglich. Alpen: Zugspitze 0 110 11 Garmisch-Classicgebiet 0 0 0 (noch kein Skibetrieb) Oberstdorf/Fellhorn 10 60 0 (Eröffnung am 4. Dezember) Nebelhorn 0 0 0 (Eröffnung am 11. Dezember) ÖSTERREICH In nicht wenigen Skigebieten Österreichs gibt es zum Saisonbeginn gute Wintersportbedingungen. Tirol: Hintertuxer Gletscher 15 155 67 Hochfügen/ Hochzillertal 15 40 27 Kaunertaler Gletscher 157 215 27 Kitzbühel 20 45 10 (geöffnet ab 4. Dezember) Kühtai 50 80 4 Obergurgl/Hochgurgl 51 123 100 Stubaier Gletscher 30 130 86 Skiwelt Wilder Kaiser 20 70 0 (geöffnet ab 4. Dezember) Lermoos/Grubigstein Salzburger Land: Kaprun/Kitzsteinhorn 69 93 20 10 Vorarlberg: 95 20 Stuben/ Arlberg 40 80 73 St. Anton/Arlberg 20 120 76 Lech 40 75 74 Osttirol: St. Jakob/Defereggental 30 60 52 Kärnten: Mölltaler Gletscher 30 200 35 Heiligenblut 20 80 20 SCHWEIZ Auch in der Schweiz hat die Wintersportsaison begonnen. Talabfahrten sind aber noch nicht möglich. Davos 21 86 21 Flims-Laax 10 100 11 Silvaplana/ Engadin/St. Moritz 30 150 20 Klosters 20 86 28 Samnaun 20 60 124 Zermatt 5 173 48 Engelberg 15 150 15 Saas Fee 25 178 51 ITALIEN Wiederholte Neuschneefälle führen zur frühzeitigen Öffnung einiger Skigebiete in Südtirol. Bruneck/Kronplatz 30 90 80 Ahrntal/Speikboden 5 55 6 Sarntal/Reinswald 25 70 14 Welschnofen/Karersee 50 130 1 Corvara/Alta Badia 40 120 10 Schnalstal 50 260 7 Beim St. Moritz City Race messen Hobby-Rennfahrer und Weltklassesportler ihr Können auf einer Skipiste mitten im Ort L inks auf der Startrampe steht ein Typ mit einer grünen Kugel auf dem Kopf. Er ist hoch motiviert. Zumindest ist das aus den seltsamen Lauten zu schließen, die der Mann macht: „Wuuuuuuuuuuuuuih! Jäääääääääääi!“ tönt es unter dem Globus aus Pappmaché, und seine Mitstreiter, deren Helme ausstaffiert sind mit roten und blauen Kugeln, jaulen unisono mit. Nur nicht irritieren lassen. Jede Sekunde kann es losgehen. „Blau bereit?“ „Jäääääi!“ „Rot bereit?“ „Ähm, ja.“ Moment, bin ich wirklich bereit? Ist das nicht Wahnsinn hier? Ich stehe am Start zum St. Moritz City Race, einem ziemlich schrägen Skirennen. Die Strecke führt durch die Fußgängerzone von St. Moritz, vorbei an Banken, Boutiquen und Bars. Dreierteams treten gegeneinander zu einem Parallelslalom an, links der Kurs um die blauen Stangen, rechts der Kurs um die roten Stangen. Wenn ein Rennfahrer im Ziel ist, muss er einen großen schwarzen Buzzer drücken, erst dann darf oben der nächste starten. Der Kurs ist technisch nicht besonders schwierig, so dass auch Zur Saisoneröffnung bieten die Skigebiete immer Verrückteres TESTFAHRT durchschnittliche Skifahrer ihn bewältigen, aber dafür kann es in der Via Serlas, der Haupteinkaufsstraße von St. Moritz, ziemlich eng werden für zwei Skifahrer, die nebeneinander um jeden Zentimeter Vorsprung kämpfen. Zur Saisoneröffnung lassen sich die Skigebiete immer verrücktere Veranstaltungen einfallen: In Samnaun findet eine Nikolaus-Weltmeisterschaft mit Schornsteinwettklettern statt, in Ischgl tritt die Band Gossip auf, in Kitzbühel ist zum Winterauftakt ein schwules Ski-Happening mit „Gay-Ski-Guiding“, Eisstockschießen und Schlagermusik geplant. In St. Moritz hat man sich auf sportlichen Spaß konzentriert, was gut anzukommen scheint. 90 Dreierteams sind am vergangenen Wochenende an den Start gegangen, darunter einheimische Familien, Skilehrer, Gäste und Prominente. Vom Podest am Start hat man einen schönen Blick über die Fußgängerzone bis zum 120 Meter entfernten Ziel. Am Start steht ein Riese, der alleine mehr wiegt als unser Dreierteam zusammen: Reto Götschi, ein ehemaliger Bob-Weltmeister aus der Schweiz, hinter ihm machen sich seine Teamkollegen warm, Guido Aklin und Ivo Rüegg, ebenfalls Bobfahrer. Im Gewühl vor dem Start zum Staffelrennen stehen Kinder mit Elchgeweihen aus Plüsch auf dem Helm, Ju- Heiligenblut Der Parallelslalom führt über die Via Serlas vorbei an Banken und Boutiquen. gendliche vom St. Moritzer Skiclub im hautengen Renndress, Senioren mit Glühweinbecher in der Hand – und Weltklassesportler wie die Mountainbike-Profis Ralph Näf, Lukas Flückiger und Michael Albasini. Gegen die wird es schwer werden, zumal meine Teamkollegen Jakob und Felix, beide 14 Jahre alt, Fliegengewichte sind im Vergleich zu den muskelbepackten Athleten. „Uuuuund – los!“ Entschlossen stoße ich mich mit den Stöcken ab. Entscheidend ist der Start über die steile Rampe, dort muss man sich das Tempo holen, um durch die relativ flache Fußgängerzone schnell genug ins Ziel am Café Hauser zu kommen. Am Ende der Rampe wird es hakelig. Die Slalomstangen stehen dicht an der Häuserecke, die mit weichen Matten gesichert ist. Es wäre extrem peinlich, an dieser Stelle aus der Kurve zu fliegen, und wahrscheinlich auch ziemlich kostspielig. Rechts ragt der Bogner-Shop in die Piste, links die Konditorei Hansel- mann, beides sind eher keine Discount-Läden. Bei Hanselmann ist eine Schachtel Pralinen für 93,40 Franken ausgestellt, man kann dort auch einen mit 0,7 Liter Whisky gefüllten Curlingstein kaufen, für 68 Franken. Im Bogner-Laden sind festlich illuminierte Luxus-Winterklamotten zu sehen. Entlang der Strecke stehen dick eingehüllte Zuschauer, einige haben Pelzmützen auf, die meisten wärmen ihre Hände an heißen Getränken. Es ist minus 15 Grad kalt, die Piste, die aus Naturschnee besteht, ist bestens präpariert. 180 Hobby-Rennfahrer versuchen beim City Race ihr Glück. Im Vergleich zu anderen Spaß-Rennen ist das noch wenig. Jedermann-Skirennen sind populär, am Inferno-Rennen in Mürren nehmen alljährlich 1800 Skifahrer teil, beim Hexenrennen in Belalp melden sich bis zu 1500 Teilnehmer an. Das Inferno-Rennen gibt es seit 1928, die 15,8 Kilometer lange Strecke am Schilthorn weist eine Foto: Giancarlo Cattaneo /Swiss.com Höhendifferenz von 2170 Metern auf. Das Rennen „Der Weiße Ring“ in Lech geht über 22 Pistenkilometer und 5500 Höhenmeter, zwischendurch fahren die Teilnehmer mit dem Lift. Beim längsten Riesentorlauf der Welt, der Gardenissima im Grödnertal, messen 620 Hobby- Das Motto der Veranstaltung lautet: Fun, Fun, Fun Rennfahrer ihre Kräfte, die sechs Kilometer lange Strecke hat eine Höhendifferenz von 1000 Metern, 111 Tore sind zu umkurven. Dagegen ist der Mini-Slalom in St. Moritz ein Witz. Aber ein gut organisierter, schließlich sind wir in der Kategorie „Fun“ angemeldet. Auch wenn einige Ex-Weltmeister am Start sind und manche Freizeit-Racer die Sache extrem ernst nehmen, heißt das Motto: Dabei sein ist alles. Gegen Team 7, die „Fridolins“, scheint das Team „Süddeutsche Zeitung“ sowieso keine Chance zu haben. Schon bei der Konditorei Hanselmann haben die Fridolins einen knappen Vorsprung herausgefahren, und weiter unten bei der Graubündener Kantonalbank sind es schon zwei Skilängen. Links sehe ich im Augenwinkel den von Norman Foster gestalteten Eingang der Appartement-Anlage „The Murezzan“, eine halbe Sekunde später zische ich an Dolce & Gabbana vorbei, und schon bin ich im Ziel. Schnell, wo ist dieser schwarze Buzzer? Am Ende erreichen die „Fridolins“ den dritten Platz, hinter der Familie Fiol und dem Team „Angriff“. Unser Team erreicht vorzeitig einen Sitzplatz beim Café Hauser, wo es heiße Schoggi und Tee gibt. Auch gut. TITUS ARNU Ein ganzer Berghang Einsamkeit. Aus der Gondelstation Schareck heraus, links rüber zur Seppenalm, es ist später Nachmittag. Gegenüber verschwindet die Sonne hinter einem Bergkamm und verleiht ihm für ein paar Momente einen gleißenden Heiligenschein. 850 Höhenmeter Solo-Carven bis zur Mittelstation, oberhalb der Baumgrenze sind auch Tiefschneepassagen dabei. Nur ein Kindergarten-Bub übt fern von allem Wintersport-Trubel mit seinem Vater die ersten Schwünge. Das Skigebiet Heiligenblut im nordwestlichsten Zipfel Kärntens ist ohnehin selten überlaufen, eine Woche vor der offiziellen Eröffnung aber gehört es trotz wunderbarsten Süd-Alpen-Wetters nur ein paar wenigen Saison-Pionieren – inklusive eines herrlichen Blicks auf die Spitze des Großglockners. Das entschädigt auch für die etwa vierstündige Anfahrt aus München, über den verschneiten Felbertauern, den Pass Thurn, die Sackgasse entlang durch Orte wie Winklern und Mörtschach bis nach Heiligenblut. Es entschädigt für die garstige Kälte, die sich am Schareck auf 2604 Metern beim Abfahren ins Gesicht beißt. Für 850 Höhenmeter Solo-Carven haben Alpinisten schon weit mehr auf sich genommen. hum GRENZENLOSES SKIVERGNÜGEN MIT DER TIROL SNOW CARD Mit der Tirol Snow Card verwandelt sich fast ganz Tirol in eine große Skiarena: Über 3.500 Pistenkilometer und 1000 Liftanlagen können mit einer Skikarte erobert werden. Mit den ersten Schneeflocken verwandelt sich Tirol in ein Winterparadies: Tief verschneite Hänge, perfekt präparierte Pisten und endlose Abfahrten begeistern Skifahrer und Snowboarder. Mit der Tirol Snow Card können Wintersportler ihre genussvollen Schwünge in 81 Skigebieten in Tirol ziehen: Im größten zusammenhängenden Skiverbund der Welt sind unter anderem die Tiroler Gletscher (außer Sölden), die Bergbahnen Kitzbühel, die Skiwelt Wilder Kaiser Brixental, Obergurgl, die Zillertal Arena, das Großglocknerresort, Serfaus-Fiss-Ladis und die Olympiaregion Innsbruck und Seefeld mit dabei. Heuer gibt es die Großraumskikarte an jeder teilnehmenden Bergbahn ab 1. Oktober 2010 und bis zum 15. Mai 2011 steht dem Spaß auf der Piste nichts mehr im Wege. Die Ausgabe auf den neuen Keycards erfolgt nur mit aktuellem Foto. Nähere Informationen erhalten Sie unter www.snowcard.tirol.at oder +43.512.7272-0 GRENZENLOS INFORMIERT rd Passend zur Tirol Snow Ca liefer t die Tirol Snow App tter, alles Wissenswerte zu We Schnee und der richtigen en. Route zum Pistenvergnüg DER TIROLER WINTER AM iPHONE. REISE DEFGH Donnerstag, 2. Dezember 2010 • Nr. 279 • Seite V2/5 Verjüngungskur für Frederick Mit dem vogelverrückten Papa nach Kenia: eine Reise, die zu einem ungewohnten Rollentausch führt Reisebegleiter K enia war das Land seiner Träume. Der alte Mann wusste das natürlich noch nicht, außerdem würde er es so nie sagen. Er sagte: „Weißt du, wenn ich in Kenia bin, mache ich es wie Frederick, die Maus. Kennst du die noch?“ Klar. Frederick aus der Feder des Kinderbuchautors Leo Lionni spielt in einer Liga mit Janoschs kleinem Bär und Tiger. Er verkörpert den Triumph der feinsinnigen Träumer über all die mehr in der Zukunft als im Heute lebenden Bausparer und Rentenfondskäufer. Denn seine Mitbewohner in der alten, alten Steinmauer horten Tag und Nacht Nüsse, Weizen und Körner für den nahenden Winter. Frederick sammelt Farben und Sonnenstrahlen und Wörter, die er an kalten Wintertagen auspackt. Frederick hat all die Jahre überdauert, einer wie er ist unvergessen, unsterblich. Das erste Wort, das mein Vater, der im Herbst seines Lebens doch gerne ein alter Frederick sein möchte, in Kenia sammelt, ist Mzee. So bezeichnen die Kenianer ergraute Männer wie ihn, es wird ein wenig wie „Muse“ ausgesprochen und ist keineswegs despektierlich gemeint, sondern ehrfürchtig, hochgradig ehrfürchtig sogar. Der erste Ministerpräsident Kenias, Jomo Kenyatta, war beispielsweise der Mzee, der Alte, schlechthin. Zwar halten ihn nicht wenige für einen halbkriminellen Autokraten. Aber in Kenia, wo halbkriminelle Autokraten an der Tagesordnung sind, verehren viele den alten Kenyatta noch immer wie einen Heiligen. Auch er hat all die Jahre überdauert, ist unvergessen. Noch zu seinem 30. Todestag erschienen lange Artikel über Kenyatta in den großen Tageszeitungen. Auf Banknoten ist sein Konterfei abgebildet, und der internationale Flughafen in Nairobi trägt seinen Namen. Ein Autokrat war mein Vater als Sozialpädagoge nur bedingt, die Artikel über ihn erschienen in der Dachauer Lokalzeitung, und wenn er interkontinental verreist, was er ganz selten tut, steigt er in ein Flugzeug am Franz-JosefStrauß-Flughafen. Das mit Kenia, wo eher geträumt als gesammelt wird, war meine Idee gewesen. Als Franz Josef Strauß noch lebte und der alte Frederick als junger Vater mich und meinen Bruder noch mit auf Reisen nahm und nicht umgekehrt, sind wir einmal für ein Wochenende mit dem Auto zum Zelten in den Bayerischen Wald gefahren, ohne Mutter und Schwester. Wir sind an alle möglichen Orte gereist, aber ausgerechnet dieses Wochenende in der Wildnis ist mir seltsamerweise besonders gut in Erinnerung geblieben. Es hat uns drei wilde Kerle insgesamt vielleicht 100 Mark gekostet, was ich damals für eine Menge Geld hielt. Wir schliefen irgendwo an einem Waldrand, brieten selbst gesammelte Pfifferlinge überm Feuer, und weil die nicht reichten, gab’s obendrauf noch ein paar Hühnerschenkel oder so. Frederick war damals noch bei allem schneller und stärker als wir, er plante die Route, kochte für uns, wenn auch nicht so gut wie Mutter, und er hätte mit einer einzigen Grimasse herumlungernde Wildschweine verjagen können. Zumindest glaubten wir das. Außerdem konnte er erklären, wie es so um Bayern und Bayerns Grenzregion im Osten stand. Meistens waren uns aber Dinge wichtiger wie: „Ja, wo stehen denn jetzt die Wildschweine?“ Heute bin ich auf Reisen bei allem schneller und stärker. Ich plane die Route, koche mindestens so gut wie Mutter – manches, zum Beispiel so unschwäbische (ergo: exotische) Gerichte wie Guacamole, kann ich sogar besser –, und ich könnte herumlungernde Paviane mit einem bösen Blick verjagen. Zumindest lasse ich das den alten Frederick glauben. Die Reise vom Franz-Josef-Straußins Jomo-Kenyatta-Land kostet zwar etwas mehr als 100 Mark. Statt Pfifferlingen gibt es Ziege am offenen Feuer, und weil sich, welch eine Überraschung, noch ein paar hungrige Afrikaner einfinden, gibt es Ugali, kenianischen Maisbrei, obendrauf. Aber das Zelt haben wir noch immer dabei, um am Regenwaldrand zu schlafen. Und noch immer ist mein Vater der wildeste Kerl, Meister der Improvisation, und offenbar durch eine Art dominant vererbbares FakirGen unschlagbar in punkto Genügsamkeit: „Ach, die dünne Isomatte reicht mir schon.“ Die anderen Touristen filmen Löwenbabys, er guckt nach einem Vogel Und mal ganz ehrlich: So sehr unterscheiden sich die Entwicklungen in der bayerischen und kenianischen Politik ja auch nicht. Viele Jahre war das Land quasi ein Einparteienstaat, erst die vergangene Wahl hat die Machtverhältnisse ein wenig durcheinandergewirbelt. Doch anders als in Bayern entlud sich die Wut der Menschen in Kenia erst an den Urnen und dann auf der Straße. Die Zahl der Touristen rauschte folglich in den Keller. Selbst im altehrwürdigen Stanley Hotel in Nairobi drehten die Angestellten auch dann noch Däumchen, als sich die Lage längst entspannt hatte. Feilscht mit der gleichen, beinharten Taktik um ein Massai-Armband wie früher um einen Fressnapf auf dem Daglfinger Flohmarkt: Auf Kenia-Tour mit dem eigenen Vater geht es natürlich nicht ganz ohne heikle Situationen. Foto: Prantl Das alles erkläre ich stolz und in epischer Breite. Frederick hört gespannt zu und fragt dann: „Du, sag’ mal, was ist denn das da drüben für ein Vogel?“ Ach, die Vögel. Nach wenigen Tagen in diversen Nationalparks hat Frederick neben dem Ausdruck „Mzee“ jede Menge Wörter und Farben notiert, die aber alle klingen wie Blaumantelschopfschnäpper, Rotschnabeltoko oder Erdbeerköpfchen. Das erste Telefonat in die Heimat beginnt er auch nicht etwa mit „Mir geht es soweit gut“, sondern mit „Wir haben schon 56 Vogelarten bestimmen können. Gesehen haben wir natürlich noch viel mehr“. Als vor einem Rudel Löwen ein grauer, spatzengroßer Vogel vorbeiflattert, reißt der verhinderte Ornithologe plötzlich den Kopf nach rechts und ruft: „Uii, was war das für einer?“ Auf den umliegenden Geländewagen wird währenddessen ein Blitzlichtgewitter gezündet, weil sich gerade zwei Löwenbabys kabbeln. Und morgens wartet er pünktlich zum Sonnenaufgang um 6.17 Uhr auf mein erstes Lebenszeichen, um dann blitzartig aufzuspringen: „Schnell, das Vogelbuch, da war wieder dieser Kolibri-ähnliche von gestern.“ Aber ich kenne es ja nicht anders. Die Namen Schwarzspecht, Waldohreule und Turmfalke gehörten mindestens ebenso zur Jugend wie Littbarski, Völler und Rummenigge oder Nachbarstochter Stefanie. Abends, wenn die Mutter Hurtigruten Postschiffreisen 2011 DIE SCHÖNSTE SEEREISE DER WELT ZUM FRÜHBUCHER-PREIS NORWEGE N 20 FRÜHBUCH 11 ZUM ER-PREIS Z. B . 6-Tage-Rei se im Mai oderKirkenes – Bergen August ab 1.460 € p. P.* (regulär ab 1. 680 € p. P. bei Buchung abzgl. Frühbucher-Bon us bis zum 31.12 * Inkl. Vollp .2010) ension und Nonstop-Cha rterflug. einen Krimi sehen wollte, kam Frederick herein und meinte: „Du, ich glaube, die Kinder wollten sich eigentlich diesen Film über die Steinadler ansehen.“ Ach ja, wollten wir? Jedenfalls konnte der Alte die heimischen Greifvögel im Bayerischen Wald einst allein am Sturzflug bestimmen, während ich für die ostafrikanischen Verwandten ständig im Bestimmungsbuch nachschlagen muss, weil ich irgendwann an einem Sonntagabend in den Achtzigern wegen eines Fußballspiels wohl die Dokumentation über Erdbeerköpfchen verpasst habe. Es sind dennoch weniger die farbigen Vögel, die braunen Termitenhügel oder die Massen an Weißbartgnus, deren Farben Frederick am meisten beeindrucken. Es sind die Menschen, vor allem die Massai mit ihren rotkarierten Decken um die Schultern. Einen der Umhänge erwirbt er auch gleich als Isomatten-Ergänzung: „Ist vielleicht doch nicht so schlecht.“ Einen jungen Reisebegleiter wie mich erschüttert es allerdings nachhaltig, wenn er mit der gleichen Taktik über ein Armband der Massai verhandelt wie am Daglfinger Flohmarkt über einen Fressnapf für Hasen. Noch erschütternder ist allerdings, wenn man feststellen muss, dass die Flohmarkt-Fressnapf-Taktik tatsächlich zum Ziel führt. Mein Vater startet mit einen Gebot von 400 Schilling und sagt: „Mehr will ich doch nicht zahlen.“ Am Ende zahlt er genau – 400 Schilling. Auch die Rollenverteilung klappt ganz gut, vor allem deshalb, weil mein Vater klar anerkennt, wer hier der Chef ist. Zugleich nutze ich seine Autorität bei kritischen Verhandlungen: „Moment, da muss ich erst Mzee fragen.“ Der sammelt am liebsten unersättlich weiter, Tag und Nacht: das Grün der Teeplantagen um Kericho, das Gelb der Savanne, die Hitze am Äquator, das Rattern des Nachtzuges von Nairobi an die Küste, das Weiß der Häuser von Mombasa, das Blau des Indischen Ozeans und Nach der Rückkehr baut er eine „afrikanische Krippe“ – mit Müll-Kulisse den Geschmack der Mangos. Ist Fredericks Haarpracht nicht schon wieder etwas dunkler, das Lachen jugendlicher, ja ist er nicht sogar wieder ein Stück gewachsen? All das wird einige Jahre überdauern. Seit seiner Rückkehr hat er bereits einen Dia-Vortrag vor mehr als 50 Zuhörern gehalten und dabei Guacamole nach Art des Hauses serviert. Er hat an Weihnachten eine „afrikanische Krippe“ mit dunk- Foto: Jan Lillehamre Reisende sind selten allein. Unterwegs begegnen ihnen andere, die ein Stück ihres Wegs mit ihnen teilen. Oder sie entscheiden sich von Anfang an, gemeinsam mit jemandem loszuziehen. Das ist oft schön, manchmal nur lästig. Immer aber führt es zu speziellen Situationen, in denen sich die Reisenden bewähren müssen und sich besonders intensiv kennenlernen. Am Ende sind es gerade die Reisebegleiter, die eine Reise unvergesslich machen. In dieser Serie stellen wir einige von ihnen vor. len Figuren und Müll im Hintergrund ausgestellt und es damit sogar wieder in die Lokalzeitung geschafft. Der Journalist habe nur seine Botschaft mit dem Müll falsch interpretiert, was dem Schreiber aber schwer zu verübeln ist. Ich dagegen habe noch nie zuvor innerhalb von zwei Wochen derart viele Fragen beantwortet, über Landschaften, über Menschen, über Tiere, über Vögel. Eigentlich wären noch ein paar Sonnenstrahlen als Bonus recht gewesen. Andererseits: Ich habe Zeit. Vielleicht habe ich es mir als Rentner ja auch einmal so sehr verdient wie der alte Frederick, dass mich mein Sohn mit nach Afrika nimmt. Oder vielleicht sogar in den Bayerischen Wald! Ich werde dann immer vor dem Sonnenaufgang aufstehen und so tun, als glaubte ich die Geschichte mit den Pavianen und dem bösen Blick. Dann werde ich die Guacamole loben, mich immer etwas langsamer bewegen, als ich das könnte. Ach, diese Hektik und verschwenderische Energie der maßlosen Jugend, werde ich mir dann beim Anblick meines Sohnes schmunzelnd denken. Und dann werde ich ganz gemächlich Farben, Sonnenstrahlen und Vogelnamen sammeln, bis der Winter kommen kann und ich überzeugt bin: Verdammt, der Alte hatte recht! Das war damals wirklich ein Erdbeerköpfchen! DOMINIK PRANTL Der neue Hurtigruten Katalog „Norwegen 2011 – Die schönste Seereise der Welt“ ist da! Es erwarten Sie beeindruckende Postschiffreisen in entspannter, legerer Bordatmosphäre und ein einzigartiges Naturpanorama. Je nach Wunschreisezeit im goldenen Lichtschein der Mitternachtssonne oder bei tanzendem Nordlicht im Winterwunderland. 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Hier geht man shoppen, wie es der Geldbeutel erlaubt, feiert durch die Nacht oder genießt still den romantischen Sonnenuntergang. Das gesunde Reizklima der Nordsee schenkt neue Energie - als Gratiszugabe sozusagen. Die größte Vielfalt an Wellness-Angeboten direkt am Meer Umschlossen von Strand und Dünen kümmert sich auch das Westerländer Syltness Center um Schönheit und Beweglichkeit, um Gesundheit und Wohlbehagen seiner Gäste. Als modernes Day Spa vereint es die Komponenten Wellness, Beauty, Thalasso & Salziges Meerwasser, rauschende Wellen, frische Nordseeluft Spaziergänge an den Traumstränden Sylts lassen die Sinne schweifen und Gedanken erholen sich. Health, Fitness und Medical Care. Ayurvedische Traditionsbehandlungen, orientalische Verwöhnerlebnisse und fernöstliche Entspannungstechniken warten hier auf die Wellnessanhänger. Im Syltness Center kann man ihn erleben: den erwünschten Vorher-NachherEffekt. Und das ganz im Sinne der Ganzheitlichkeit. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden verbinden sich mit jahrtausendealtem Wissen. Körper und Seele stehen hier mit einem umfassenden Angebot an Wellnessbehandlungen und therapeutisch-medizinischer Anwendungen im Mittelpunkt. Bei Aroma-Massagen, Hamam, Cleopatrabädern oder einem Rasul-Zeremoniell vereint sich pure Entspannung und sinnlicher Genuss. Der Nordsee so nahe, nutzen die Experten des Syltness Center das Meer als eine Fundgrube an Mineralstoffen und Spurenelementen. Die Heilkräfte des Meerwassers und ihre positive Wirkung stellen sich bei den vielfältigen Thalassotherapien mit Meersalz, Schlick, Algen & Co. schnell ein. Moderne Kurse für Kraft, Entspannung, Fitness und Ausdauer Auch beim Training im lichtdurchfluteten Sportcenter hat man die Nordsee immer im Auge. Vielfältige Kurse für alle Alters- und Fitnessstufen sorgen für neue Kraft und Ausdauer – und wer mag, sogar mit Personal-Training. Physiotaping sowie osteopathische Behandlungsmethoden helfen zudem bei Verspannungen, Wirbelsäulensyndromen oder bei Migräne. Als Alternative zu einem Bad in der Nordsee ist das Freizeitbad „Sylter Welle“ das ganze Jahr über perfekt: In drei Meerwasserbecken lässt es sich herrlich schwimmen; ob mit Wellenanlage, mit entspannter Strömung oder draußen mitten in den Dünen. Ein wohlig warmer Abschluss der gesamten WellnessErlebnis-Elemente findet sich im angeschlossenen Saunaparadies mit Dünensauna, gemütlichem Feuerschein und Blick auf das Meer! Der Insel Sylt gelingt es stets, das innere und äußere Wohlbefinden zu pflegen und zum Schön-Sein zu verwöhnen. Die Natur leistet dabei den einen Teil, vielfältige Wellnessangebote runden das persönliche Schönheitsprogramm ab. Pauschal-Tipp: „Nichts als Sein“ – Ihr Weg zur Harmonie von Körper, Geist & Seele – mit drei Übernachtungen ab 239,-Euro. 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Die BAGDADBAHN gehört zu den bemerkenswertesten Bauvorhaben der Eisenbahngeschichte: Von 1903 bis 1940 erbaut, verbindet sie seitdem die irakische Hauptstadt Bagdad mit dem türkischen Konya. Politische Spannungen in der Region führten in den vergangenen Jahrzehnten jedoch dazu, dass dieser historische Streckenabschnitt immer wieder unterbrochen wurde. Komplettiert wird das Schienennetz der BAGDADBAHN unter anderem durch die Seitenlinie, die bis nach Damaskus verläuft, und durch die Anatolische Eisenbahn von Istanbul nach Konya. Bis heute stellt die BAGDADBAHN die symbolische Zusammenführung von Okzident und Orient dar. Davon überzeugte sich auch schon die wohl bekannteste Passagierin des Zuges: Agatha Christie. Die britische Autorin verewigte ihre Reiseerlebnisse im Orient-Express in mehreren ihrer Romane. +++Ostseebad www.jassu.de Ferienhäuser, Ferienwohnungen und Hotels abseits der Touristienpfade. Direkt vom Veranstalter (oder in guten Reisebüros) Allgäu/Bayr. 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Aleppo: Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der alten syrischen Wirtschaftsmetropole sind die Große Moschee mit dem Grab des Propheten Zacharias und der Basar in der Altstadt. Kaymakli: Diese vermutlich im 3. Jahrtausend vor Christus von den Hethitern angelegte Stadt ist eine von 36 bekannten unterirdisch aus dem weichen Tuffstein geschlagenen Siedlungen in Kappadokien. Istanbul: Mit dem Topkapi- und dem Dolmabahaçe-Palast werden in der türkischen Metropole zwei der bedeutendsten Bauwerke aus der osmanischen Zeit besichtigt. Krönender Abschluss der Reise ist eine Kreuzfahrt über den Bosporus. Beratung und Prospekt: Tel.: 01805 - 00 41 13*, Mo. – Fr.: 8 – 20 Uhr, Sa. 8 – 14 Uhr, (*Dt. Inlandspreise: Festnetz 14 ct/Min., Mobilfunk max. 42 ct/Min.) Fax: 0421 - 322 68 38, E-Mail: sz-leserreisen@tui-lt.de, Internet: www.sueddeutsche.de/leserreisen Persönlicher Kontakt: Hapag-Lloyd Reisebüro, Theatinerstraße 32, 80333 München In Kooperation mit Sehr schöne FeWo Sylt, 2 Pers., strandnah, 2011 noch freie Termine, 8 06423/1673 www.wenningstedt-ferienobjekt.de St. Peter-Ording, Komfort-Fewo., unter Reet im Dorf, 8 05541/32567 www.haus-wattlaeufer.de Norddeich FeWos, Häuser, Bungal., abs. strandnah, ab 34,- 8 04931/81564 www.fischer-norddeich.de MecklenburgVorpommern NORDERNEY: FeWo´s: www.frickenhelm.de Hist. 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Oben auf dem Hügel raucht ein Schafhirte erst einmal seine Zigarette zu Ende, bevor er antwortet. Außer seinem Schweigen hört man nur den Flügelschlag der Krähen. Hier in Maramuresch, sagt der Volksmund, messen die Uhren nicht die Zeit, sondern die Ewigkeit. Und in der ist der Tod eine Episode unter vielen: kaum der Klage wert. Der Schafhirte tritt die Zigarette aus. „Ihr wollt also zum Friedhof.“ Misstrauisch mustert er unseren Opel Corsa. „Und wo ist der Bus?“ Touristen gibt es hier hauptsächlich in Reisebussen. Sie schieben sich in Kolonnen die Serpentinen hinauf, um wadentiefe Schlaglöcher herum und an Pferdewagen vorbei, machen Rast an den uralten Holzkirchen und gelangen schließlich, Trauergäste dürfen auf den Friedhof, ohne zu zahlen. Alle anderen nicht kurz vor der ukrainischen Grenze im äußersten Norden Rumäniens, in das Dörfchen Sapanta. Dort geben sie ihre Insassen frei, gleich an den Mauern des „Cimitrul Vesel“, des fröhlichen Friedhofs. Hier gedenkt man seiner Verstorbenen mit Spottversen, die der Tischler Ioan Stan Patras zwischen 1932 und 1977 in mannshohe Kreuze aus Eichenholz schnitzte. Besonders aber gedenkt man des Tischlers Ioan Stan Patras selbst, dessen Idee ein nicht unbedeutender Wirtschaftsfaktor für Sapanta geworden ist. Trauergäste dürfen das Kassenhäuschen am Haupteingang gratis passieren, vor dem meist eine gut gelaunte Reisegruppe Schlange steht. Von dort aus leuchten dem Betrachter etwa 600 bunt bemalte Stelen entgegen. Jede trägt ein Bildnis des Toten im Stil der naiven Malerei, darunter einen Vers. Diese persönliche Widmung wird von geometrischen Mustern umrahmt, deren Farbe bereits das Wichtigste über den hier Begrabenen verrät: Gelb steht für Fruchtbarkeit, rot für Leidenschaft, grün für das Leben, blau für die Hoffnung, und schwarz für einen frühen Tod. Die Porträts ähneln sich. Es gibt säende Bauern, erntende Bauern, Schäfer, kochende, melkende und webende Frauen. Als Patras in den 1930er Jahren das erste fröhliche Grabmal fertigte, lebte man hier fast ausschließlich von der Landwirtschaft. Daran hat sich seitdem nicht viel geändert. Die Verse aus Patras’ Feder sind ein letzter munterer Gruß des Toten: „Solange ich in dieser Welt lebte,/ habe ich Schafe geschoren,/ und gutes Fleisch zubereitet./ Nun nimm mein feines saftiges Fleisch,/ und guten Appetit“, steht etwa über dem Grab des 1939 gestorbenen Metzgers Gheorghe Basulti. Nimmt man jedoch den Hintereingang, sind zuerst die Kehrseiten der Kreuze zu sehen. Die rückwärtigen Reliefs gleichen denen auf der Vorderseite nur auf den ersten Blick: Bei näherem Hinsehen erzählen Bild und Reim eine ganz andere Geschichte. Da wurde gehurt und gespielt und müßiggegangen im Übermaß. Der Manches wirkt makaber auf dem Friedhof von Sapanta, etwa wenn der Unfalltod eines Mädchens bunt dargestellt wird. Die Rückseite der Grabstelen erzählt oft eine andere, wenig schmeichelhafte Geschichte über den Toten. Foto: Mauritius Images Arzt, der, so steht es vorn, angeblich einem Schlaganfall erlegen sei, habe sich in Wahrheit zu Tode gesoffen; und dem ersten Bildnis der treusorgenden Ehefrau mag man so recht keinen Glauben mehr schenken, wenn die zweite Darstellung zeigt, wie man sie in flagranti mit dem Nachbarn ertappt. Die janusgesichtigen Grabmale ergänzen das pietätvolle Andenken um eine augenzwinkernde Anklage. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Stoff für die widerstreitenden Lebensbeschreibungen fand Patras bei der dreitägigen Totenwache, während der Zuika, selbstgebrannter Pflaumenschnaps, getrunken wird. Je länger die Wache währte, desto herzhafter wurde vom Leder gezogen. Patras habe zudem stets ein Notizbüchlein bei sich geführt, worin er vorsorglich Klatsch und Tratsch über jene vermerkte, die die Blüte ihres Lebens bereits weit hinter sich gelassen hatten. Mit gleicher Weitsicht führte er sein kleines Unternehmen. Damit niemand seine Geschäftsidee klauen konnte, ließ er sich die Grabmale patentieren. So ist der „Cimitrul Vesel“ bis heute der einzige Friedhof, der dem Tod mit vollem Ernst ins Gesicht lacht. Zwar versucht auch der „Lustige Friedhof“ im Tiroler Ort Kramsach, die Vergänglichkeit des Lebens mit Humor zu nehmen; er ist jedoch nur eine museale Skurrilitätensammlung, kein traditionsreicher Ort der Andacht. Die Souvenirhändler vor den Friedhofsmauern bieten Teppiche, bestickte Blusen, Fellmützen und Miniaturkreuze feil und können alle mindestens einen Satz auf Englisch sagen: „Immer am Friedhof entlang, bis zur großen Pinie.“ Dort steht das Holzhaus, in dem Ioan Stan Patras 1977 starb, heute ist es ein Museum. Unter der niedrigen Decke hängen Dutzende Keramikteller, die ländliche Szenen zeigen. Dazwischen ein vergilbter Artikel aus der New York Times, dessen Lektüre uns ein Mittfünfziger mit Baseballkappe unter einladenden Gesten anempfiehlt. In dem Bericht geht es um Patras’ begabtesten Lehrling Dumitru „Tincu“ Pop, der das Geschäft übernahm. „Das bin ich“, sagt der Mann stolz. Im Nebenberuf führt Tincu Reisende durch die Wirkungsstätte seines verstorbenen Lehrmeisters. „Für die Leute hier ist das Sterben etwas völlig Natürliches, wir sehen das mit Gelassenheit“, sagt Tin- cu. Er sieht in der Tat recht vergnügt aus. Bisher habe sich noch kein Angehöriger über seine Verse beschwert. Im Dorf wisse man ohnehin alles übereinander. Tincus eigenes Grabmal werden, wenn es soweit ist, seine drei Lehrlinge gestalten: Der Beste soll es schnitzen, die Spottverse aber sollen sie gemeinsam verfassen, wünscht sich der Meister – und zwar bei einem Glas Zuika. Oder mehreren Gläsern. „Wir haben ein sehr freundschaftliches Verhältnis zueinander. Ich vertraue ihnen“, sagt Tincu. Auch nach Westeuropa hat er schon geliefert, an Unbekannte, für rund 500 Euro die Stele. Voraussetzung sei freilich, dass die Hinterbliebenen ehrliche Angaben zu den Unzulänglichkeiten des Verstorbenen machen. Die Toten aus Frankreich und Deutschland sollte das aber nicht bekümmern. Tincu dichtet ausschließlich auf Rumänisch, im Maramuresch-Dialekt: Archaismen, Vulgarismen, garniert mit manch trotzigem Rechtschreibfehler. Ein paar Winter später beginnt die Farbe von den Kreuzen abzublättern, das Holz wird spröde, und in wenigen Jahrzehnten kann man die Reime nicht mehr lesen. Die Grabmale sind eben nicht für die Ewigkeit gemacht. Der Tod ist nur eine Episode. ARIANE VERENA BREYER Informationen UKRAINE Sapanta Maramuresch Baia Mare RUMÄNIEN 25 km SZ-Karte Anreise: Hin- und Rückflug mit Lufthansa nach Cluj-Napoca für etwa 200 Euro. Unterkunft: Hotel Mara, Baia Mare, DZ ab 52 Euro. www.hotelmara.ro; Hotel Ambassador, DZ ab 70 Euro. www.hotelambassador.ro Allgemein: Rumänien Tourismus, Tel.: 089/51 56 76 87, www.rumaenien-tourismus.de Hier findet Sie der Winter nie. 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Im Minutentakt kommen fliegende Händler vorbei, klopfen einem auf die Schulter und offerieren ihre Ware. Manche benutzen Rasseln, um im Getöse des Verkehrs und dem Gewimmel der Konkurrenz schon von Weitem auf sich aufmerksam zu machen. Ein schmächtiger Junge schleppt zwei Dutzend Bücher heran, die er mit einer Schnur zu einem hohen, schwankenden Stapel gebunden hat. Einen etwas zu langen, neugierigen Blick deutet er sofort als Einladung. Er lässt sich am Tisch nieder, dankbar für die kurze Pause, schnürt den Stapel auf und zeigt: Lonely Planets, Stieg Larssons, Alex Garlands, „Eat, Pray, Love“. Was der Rucksacktourist eben gerne liest, wenn es eigentlich viel zu heiß ist zum Lesen, dazu Sachbücher über den Vietnamkrieg – alles für je zwei US-Dollar, in Plastikfolie eingeschweißt, per Fotokopierer auf dünnem Papier vervielfältigt, stellenweise kaum lesbar und schlampig zusammengeleimt. „Acht Kilo trage ich mit mir herum“, sagt der Junge stöhnend. Als er aufsteht, ist er um circa 150 Gramm leichter: „The Quiet American“ von Graham Greene. Der wird noch in der gleichen Nacht verschlungen. Was hast du mir denn mitgebracht? Eine Reise geht so schnell zu Ende Und die Erinnerungen verblassen auch immer sofort. Also bringen wir jetzt öfter mal was mit und stellen unsere Fundstücke in lockerer Folge vor. Eine Raubkopie von Graham Greene Feuerzeuge, Taschentücher, leuchtende Gummibälle, Zigaretten. Und jetzt schiebt auch noch einer ein Fahrrad daher, auf dem eine Neonröhre samt Batterie befestigt ist – damit die roten Äderchen seiner getrockneten Tintenfische appetitlicher zur Geltung kommen. Er hat die transparenten, salzigen Snacks auf einem Drahtgestell aufgespannt und am Gepäckträger befestigt. Ab und zu hält ein Mofafahrer am Straßenrand und offeriert in gebrochenem Englisch einen Ritt zu einem abgelegenen Ort, wo etwas stattfinden soll, das er mit „Bumm“ beschreibt. Nein, thank you. Nein, auch kein Tigerbalsam und keine ungeschälte Zuckerrohrstange zum Abnagen. In dem schmalen, äußerst spannenden Roman aus dem Jahr 1955 geht es zurück in die letzten Tage der französischen Herrschaft in Indochina. Die Kolonialmacht kämpft gegen die Truppen Ho Chi Minhs. In Saigon sitzen die ausländischen Reporter und berichten über den Krieg. Sie trinken in der Bar des Hotel Continental und auf der Dachterrasse des Hotel Majestic, die als besonders sicher vor Handgranaten gilt, anschließend geht es gerne mal Das einstige „Haus der 500 Mädchen“ ist eine Rollschuhbahn ins „Haus der 500 Mädchen“. Der alternde Korrespondent der Londoner Times, Thomas Fowler, hält sich an seine Opiumpfeife und seine 18-jährige vietnamesische Geliebte Phuong. Als der junge Amerikaner Pyle auftaucht, ein als humanitärer Helfer getarnter Agent, gerät sein Leben vollends ins Schwanken. Pyle spannt Fowler Phuong aus und unterstützt einen Truppenführer, der gegen Franzosen und Kommunisten gleichermaßen kämpft. Im Namen von Freiheit und Demokratie bringt der stille Amerikaner Pyle noch mehr Verderben ins Land. „Gott schütze uns vor den Unschuldigen und den Guten“, lässt Graham Greene sein Alter ego Fowler sagen. In seiner prophetischen Geschichte beschreibt er die Anfänge des US-Engagements in Vietnam, das Jahre später im Kriegsdesaster endete. Ho-Chi-Minh-Stadt kann mit dem Saigon aus „Der stille Amerikaner“ nicht mehr mithalten. „Das Haus der 500 Mädchen“ ist heute eine Bahn zum Rollschuh laufen. Die Bar des Hotel Continental und die Dachterrasse des Hotel Majestic am Ufer des Saigon River, wo Graham Greene an seinem Roman gearbeitet hat, sind zu austauschbaren Kulissen für betuchte Touristen herausgeputzt worden. Die Hoffnung, bei der Bestellung eines überteuerten Kaffees oder Tiger-Biers einen Hauch des alten Indochina mitserviert zu bekommen, ist vergeblich. Die Rue Catinat, an der die Hotels zu Greenes Zeiten noch lagen, heißt inzwischen Dong Khoi und ist voller Luxus-Boutiquen, auch diese so teuer wie austauschbar. Dann doch lieber abends auf der Bui Vien sitzen, getrocknete Tintenfische, Gummibälle und Bücherstapel gucken, „Bumm“ ausschlagen und staunen über diese Stadt. Jochen Temsch, Foto: SZ Verantwortlich: Margit Kohl %JFTF#FSHF%JFTF8FJUF%JFTFT-JDIU SKI & SNOWBOARD SPECIAL 2 Nächte im 3* Hotel inkl . Skipass: ab EUR 180,– +FU[UCVDIFO%BT4LJ4OPXCPBSE4QFDJBM[#BC&63oJN)PUFMBC&63oJN)PUFMVOEBC&63oJN)PUFMQSP1FSTPOJOLM¼CFSOBDIUVOHFOJN)PUFM*ISFS8BIM'SITUDL4LJQBTT¤GGFOUMJDIFS7FSLFIS JO&OHBEJO4U .PSJU[TPXJF&SNµTTJHVOHBVG4LJVOE4OPXCPBSENJFUFVOE4LJTDIVMF&OHBEJO4U .PSJU[GSFVUTJDIBVG4JFXXXFOHBEJOTUNPSJU[DI5 ANZEIGE Schweiz >> info@... flachau.com · wagrain.info sanktjohann-alpendorf.com · radstadt.com Kuschelige Auszeit in Oberösterreich altenmarkt-zauchensee.at · kleinarl.info eben.at · filzmoos.at AUF DIE PISTE, AB EUR 818.– FÜR 3 NÄCHTE. 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