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Newsletter der SGZBB (Schweizerische Gesellschaft für Behinderten- und Betagten-Zahnmedizin) Edition 13 / Juni 2008 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser Schwerpunktthemen • Alterszahnmedizin – Synergien zwischen Schweiz und Österreich im Euro Fussballjahr • Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie • Zur medizinischen Behandlung und Betreuung von Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung • Gedanken zur Neurobiologie der Angst • «Welchen Sinn macht Depression?», Daniel Hell Buchbesprechung • Prägraduale Ausbildung in der mobilen Zahnklinik • Lippen-, Kiefer-, GaumenSpalten-Patienten Vermischtes • Buchbesprechung • Die Angst des Theologen vor dem Bohrer • B. Streich, Nachgeworfen, nicht vorgeworfen • Jahresbericht der SGZBB • Wir sind offen – sind Sie es auch? Glosse • Edithoral bis À noter dans votre agenda • 21. Symposion der SGZBB/ ZGA: Donnerstag, 15. Januar 2009. Thema: Der Angst-/ Schmerzpatient, in der St. Josef-Stiftung, Bremgarten/AG • 18. Jahrestagung der SGZBB: Freitag, 19. Juni 2009 im Zentrum für Zahn-, Mundund Kieferheilkunde der Universität Zürich. Näheres im PARTicipation 14. Edition Ein Editorial kann erst dann aufgetischt werden, wenn alle Ingredienzien vorhanden, das Menu bestimmt und die Rezepte aller Köche endlich eingetroffen sind, d.h., wie leider Usus, lange nach Redaktionsschluss. Wenn man es vorher schreibt, so nennt man es «Opposite Editorial», das allen Kolumnisten und deren Phantasie offensteht, die dem Inhalt des Heftes und dessen Redaktionslinie keinen Tribut zu zollen haben. Wir aber glauben, dass wir dem Geiste des PARTicipation verpflichtet sind, keiner Leserin und auch keinem Leser nur Schöngeistiges in die hoffentlich erwartungsvollen Augen zu tröpfeln. Sind wir denn Ophtalmologen, gar nur Ästheten – oder doch Zahnärzte mit Biss? Editor, was oder wer war damit ursprünglich gemeint? Der Editor war der Spielgeber im alten Rom. Er war Privatmann, vermögend und für die Spektakel im Amphitheater zuständig. Also für «panem et circenses» verantwortlich. Was den Satiriker Juvenal zu folgender Aussage veranlasste: Diese Spiele dienen dem Volke eigentlich nur als Opium, um es von seinen Sorgen abzulenken und es dem Kaiser gefügig zu machen (Rainer Vollkommer in «Das römische Weltreich», Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2008, Seite 70f.). Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen zu organisieren, das waren seine Aufgaben. Er erntete viel Ruhm, war meistens sehr beliebt. Hier ist es eher umgekehrt: Die Hetze gilt dem Editor, der Ruhm fällt auf die Autoren zurück. Das ist gut St. G. so. Dem Herausgeber, Spielgeber bleibt die Qual der Auswahl bei der Durchsicht der fast immer grossartigen Artikel. Wie heissen nun all die wilden Tiere, die dem PARTicipation diesmal in die Arena folgen und die es dem Editor kaum gelingt, je zu bändigen? «Bis(s) zum Ende», titelte der Essay des Publizisten und Philosophen Ludwig Hasler, der an der diesjährigen ausgezeichneten und hochklassigen 17. Jahrestagung der SGZBB den Reigen der Referenten eröffnete. Weiter beissen zu in diesem Heft: N. Enkling, mit Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie. Mehr als eine Buchbesprechung ist die minutiöse Arbeit von W. Baumgartner über den tieferen Sinn der Depression. Felix Brem erklärt uns, wie es zur Schaffung einer ähnlichen Organisation wie die der SGZBB bei den Medizinern gekommen ist und warum. Eine weitere kaum kontrollierbare Bestie schickt uns der Philosoph G. Grubacevic auf unser Gewissen: «Gedanken zur Neurobiologie der Angst». Der Theologe H. Ernst sublimiert seine Angst vor dem Bohrer, und die KAB aus Zürich macht unser ruhiges Gewerbe mobil. Am wörtlichsten aber hat Ch. Besimo den Kampf im Rund der unsanften Tiere erfasst: Alterszahnmedizin – Synergien zwischen Schweiz und Öster- reich im Euro-Fussballjahr. Wenn Sie dieses Heft in Händen halten werden, dann ist dieser Fight schon längst entschieden. Der Pragmatismus der Schweiz hat nicht nur den Charme von Austria Infelix erstickt, die Leuchten Deutschlands, Frankreichs und auch Italiens eines Besseren belehrt, die Glaubenskapriolen des Wattekahns überrollt, sogar ein Remis im hehren Zweikampf der Zwerge gegen Liechtenstein erzielt, nein, es ist der CH sogar gelungen sich selber hoch und hochverdient und auch noch zu Null zu besiegen. Darum sind wir nicht nur Europameister, sondern die Meister eines Universums, das wir uns selber schaffen. Homo homini lupus? Züchten wir uns unsere Bestien doch am besten selber. Bevor sie uns aber zerfleischen, feilen wir an deren Zähnen, plombieren wir die kariösen, extrahieren wir die widerspenstigen und implantieren wir solche, deren Saatgut wir selber geschaffen und deren Wachstum wir glauben verantworten zu können. Freuen wir uns auf eine gelungene Edition. Mit bestem Dank dem geneigten Leser, der anmutigen Leserin. Danke den Autoren. Für sie kein ad bestias. Der Editor, Spielgeber oder Spielverderber? St.G. Schwerpunktthema Alterszahnmedizin Synergien zwischen Schweiz und Österreich im Euro-Fussballjahr von Prof. Dr. Ch. E. Besimo Dieses Jahr wird an der Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Medizinischen Universität Graz das erste berufsbegleitende Curriculum Gerostomatologie Österreichs durchgeführt. Der Lehrgang steht unter der Schirmherrschaft der Österreichischen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ÖGZMK. Gemeinsame Wege der Schweiz und Österreichs lassen sich nicht nur im Fussball beschreiten. Langjährige fachliche und persönliche Kontakte haben zu der Idee geführt, das Basler Ausbildungsmodell in Alterszahnmedizin für Studierende als Grundlage für die Erarbeitung eines bisher in Österreich fehlenden Curriculums Gerostomatologie zu verwenden. In einem ersten Schritt konnte in diesem Jahr mit einem berufsbegleitenden Zertifikatsprogramm gestartet werden, das an der Universität Graz unter der Leitung von Prof. Dr. Gerwin Arnetzl (Graz) und Prof. Dr. Christian Besimo an vier Wochenenden mit insgesamt acht Ausbildungstagen und einem zusätzlichen Praktikumstag in Alters- und Pflegeheimen der Stadt Graz und Umgebung durchgeführt wird. Der Ausbildungsgang erfordert einen Gesamtaufwand von rund 300 Stunden und umfasst neben Aufarbeitung der Ausbildungsinhalte und Literaturstudium die Dokumentation von drei klinischen Fällen, die die Fähigkeit zur praktischen Umsetzung der erlernten diagnostischen und therapeutischen Instrumentarien belegen sollen. Praktische Ausbildung im Altersheim 2 PARTicipation 06.08 Das Grazer Curriculum legt bewusst das Schwergewicht auf die interdisziplinär zwischen Zahnmedizin und Medizin eng vernetzte Diagnostik, Therapie und Langzeitbetreuung des alternden Menschen. Dabei liegt der Fokus der Ausbildung nicht nur auf den institutionalisierten Betagten, sondern in erster Linie auf den selbständigen älteren Menschen, um sicherzustellen, dass altersbedingte und auch für die zahnärztliche Langzeitbetreuung relevante medizinische und psychosoziale Defizite frühzeitig erkannt und interdisziplinär behandelt werden können. Dieser Zielsetzung entsprechend arbeiten in diesem Ausbildungsgang Fachpersonen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gerontologie eng zusammen. Auf diese Weise erfahren die teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen die Notwendigkeit der interdisziplinären Vernetzung bei der Betreuung alternder Menschen und erhalten die Kompetenz, später in der Praxis Ihr eigenes Netzwerk aufbauen zu können. Lernziele Am Ende der theoretischen und praktischen Weiterbildung sollen die KursteilnehmerInnen in der Lage sein, • die demographischen, psychosozialen, medizinischen und zahnärztlichen Problemstellungen und Herausforderungen der Zukunft zu verstehen, • die zahnmedizinisch relevanten Erkrankungen des Alterns, die für deren Diagnose geeigneten medizinischen Screeninginstrumente sowie die möglichen Neben- und Wechselwirkungen ihrer medikamentösen Therapie zu kennen, • die Inhalte und Abläufe der interdisziplinären Diagnostik, Prävention und Therapie zu beherrschen, sowie • die rechtlichen, infrastrukturellen und organisatorischen Erfordernisse an die praxisinterne und -externe Behandlung sowie Betreuung älterer Menschen sicherstellen zu können. Alle theoretischen und praktischen Ausbildungsmodule werden von den DozentInnen durch schriftliche Zusammenfas- sungen, Merkblätter und Dokumentationen ergänzt. Zudem erhalten die Kolleginnen und Kollegen Angaben zu weiterführender Literatur für das Selbststudium. Praktische Ausbildung Ziel der praktischen Ausbildung ist die routinemässige Integration der erlernten diagnostischen und therapeutischen Mittel in die interdisziplinäre Betreuung alternder Patienten. Durch diesen Kursteil führt Frau Dr. Christine Gluhak, die die klinikin- und -externe Betreuung institutionalisierter Betagter an der Universitätsklinik in Graz leitet. An zwei Tagen werden unterschiedlich organisierte Heime in Graz und Umgebung besucht und die dortige interdisziplinäre Zusammenarbeit anhand von Patientenabklärungen geübt sowie analysiert. An einem weiteren, individuell zu vereinbarendem Kurstag begleiten maximal zwei TeilnehmerInnen Frau Dr. Gluhak in die Heime und können auf diese Weise ihre praktischen Fertigkeiten weiter vertiefen. Schliesslich bleibt noch die Aufgabe zu bewältigen, drei Patientenfälle aus der eigenen Praxis zu dokumentieren und die angewendeten diagnostischen und therapeutischen Mittel zur Diskussion zu stellen und zu verteidigen. Die bisherigen Erfahrungen mit diesem Ausbildungsprogramm haben gezeigt, dass die dargestellte interdisziplinär eng vernetzte Ausbildung in Diagnostik und Therapie die notwendige Kompetenz sicherzustellen und somit den Anreiz zu bieten vermag, in der täglichen Praxis die Mitverantwortung für die fachübergreifenden Problemstellungen des Alterns zu übernehmen. Der direkte Kontakt mit alternden Menschen im Rahmen der praktischen Ausbildung wirkt dabei besonders motivierend, indem die Kolleginnen und Kollegen die Bedeutung und Wertschätzung ihres Beitrages bei der Behandlung und Betreuung alternder Menschen am eigenen Beispiel erfahren. Bereits in der Halbzeit des Curriculums ist die kleine Teilnehmergruppe zu einer eingeschworenen Gemeinschaft geworden und wir freuen uns bereits heute auf die Fallvor- Schwerpunktthema stellungen an der diesjährigen Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Zahn-, Mundund Kieferheilkunde ÖGZMK in Linz. Die eingeschworene Teilnehmergruppe beim Heimbesuch PARTicipation 06.08 3 Schwerpunktthema Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie N. Enkling1, F. Zahrli2, F. Caspar2, R. Mericske-Stern1 1 2 Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Universität Bern Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Bern In der zahnmedizinisch-praktischen Tätigkeit am Patienten sind täglich Patientenängste zu überwinden, zu mindern oder zu beseitigen; dies stellt eine Herausforderung an jedes Mitglied des zahnärztlichen Teams dar. Die Behandlung von Angstpatienten führt auf Seiten der Zahnärzte häufig zu verstärkten Belastungen und Stressreaktionen (Heering-Sick und Tönnies, 1989), insbesondere, wenn inadäquate Verhaltensweisen der Patienten kaum beherrscht werden, weil z.B. bewährte Angstbewältigungsstrategien unbekannt sind. Angst ist normal, schwierig wird es, wenn der Patient die Angst selbst nicht mehr beherrscht und/ oder der Zahnarzt falsch reagiert. Mit den Fachbegriffen «Zahnbehandlungsangst» und «Zahnbehandlungsphobie» werden einerseits normale, andererseits schwerwiegende und krankhafte (phobische) Ängste von Menschen vor und während der Zahnbehandlung bezeichnet. Jüngere Menschen haben grössere Zahnbehandlungsängste als ältere (Enkling et al., 2006, Hagglin et al., 1999, Jöhren und Gängler, 1999, Kunzelmann und Dünninger, 1990, Weiner et al., 1998) und Frauen geben häufiger und verstärkt an, Zahnbehandlungsangst zu haben als Männer (Corah und Pantera, 1968, Corah, 1969, Corah et al., 1978, Enkling et al., 2006, Hakeberg et al., 1992, Jöhren und Gängler, 1999, Mellor, 1992, Moore et al., 1993, Ragnarsson et al., 2003, Schwarz und Birn, 1995). Der Zusammenhang zwischen Zahnbehandlungsangst und sozialer Schichtzugehörigkeit, Bildung bzw. zwischen Zahnbehandlungsangst und Einkommen wird widersprüchlich diskutiert: zum einen konnte gezeigt werden, dass die Angst mit vermindertem sozialen Status und Bildungssituation zunimmt (Moore et al., 1993), in anderen Studien konnte ein solcher Zusammenhang nicht festgestellt werden und alle Schichten waren gleichmässig von der Zahnbehandlungsangst betroffen (Hakeberg, 1992). Die Angst vor der Zahnbehandlung gilt auch heute noch als eines der grössten Hindernisse für das Erreichen einer optimalen Zahngesundheit in der Bevölkerung (Tönnies et al., 2002, Milgrom und Weinstein, 1993). 5–15 % der Bevölkerung zeigen eine so starke Angst vor der Zahnbe4 PARTicipation 06.08 handlung, dass sie nur im extremsten Notfall zum Zahnarzt gehen (Jöhren und Sartory, 2002). Menschen, die unter Zahnbehandlungsängsten leiden, haben mehr erkrankte und zerstörte Zähne als andere und praktizieren weniger vorbeugende Massnahmen (Schwichtenhövel, 2008, Portmann et al., 1998). Der Gebissverfall wiederum verstärkt die soziale Isolation, Arbeitsplatzverlust, Partnertrennung; psychische und psychosomatische Beschwerden sind mögliche Folgen (Hakeberg, 1992). Diese Menschen sind öfter krank geschrieben und konsumieren mehr Alkohol und andere Drogen als die Durchschnittsbevölkerung. Zahnbehandlungsängste greifen in das gesamte subjektive Erleben ein und beeinträchtigen die orale Lebensqualität nachhaltig (Enkling et al., 2008, Mehrstedt et al., 2007). Definition Angst (verwandt mit lateinisch angustus «eng» und angor, «das Würgen») ist zunächst keine Erkrankung, sondern ein Affekt oder Gefühlszustand, der durch eine eingetretene oder erwartete Bedrohung hervorgerufen wird. Das Gefühl der Angst gehört zu jedem Menschen und ist ein natürlicher Schutzmechanismus, der wahrscheinlich auf die Frühzeit unserer Entwicklungsgeschichte zurückzuführen ist. Angst gehört zu unserem Leben und ist immer gegenwärtig, auch wenn wir uns ihrer nicht dauernd bewusst sind. Wird Angst von innen oder von aussen durch ein Erlebnis konstelliert, so kann sie jederzeit in unser Bewusstsein treten. Die durch eine Bedrohung ausgelöste Angst wird als unangenehm empfunden und es wird eine unmittelbare Reaktion ausgelöst, die darauf gerichtet ist, dieser Bedrohung zu entgehen oder sie zu überwinden. Angst ist auch unabhängig von der Kultur und Entwicklungshöhe der Völker und Menschen, es ändern sich lediglich die Angstobjekte und die Mittel und Massnahmen zur Bekämpfung der Angst (Riemann, 1994). In der Angstforschung wird unterschieden zwischen dem aktuellen emotionalen Angstzustand, der Zustandsangst (State Anxiety) und dem habituellen Persönlichkeitsmerkmal eines Menschen, der Eigenschaftsangst (Trait Anxiety). Die Trait Anxienty als Persönlichkeitsmerkmal bleibt unverändert, die veränderliche State-Anxienty ist der Ansatz für die gängigen Therapien der Angsterkrankungen (Spielberger et al., 1970). Zur Klassifikation und Diagnostik von Angsterkrankungen dient in den meisten europäischen Ländern die International Classification of Disease, 10. Revision, Version 2006 (ICD-10), der Weltgesundheitsorganisation (WHO-World Health Organisation, 2006). Angststörungen lassen sich unterteilen in • die spezifische (isolierte) Phobie, • die Agoraphobie, • soziale Phobien, • die Panikstörung, • die Zwangsstörung, • die posttraumatische Belastungsreaktion und • die generalisierte Angststörung. Eine Angsterkrankung (Phobie, Angststörung) ist gemäss ICD-10, Kapitel V, F 40.0 eine Gruppe von Störungen, bei der Angst ausschliesslich oder überwiegend durch eindeutig definierte, eigentlich ungefährliche Situationen hervorgerufen wird. In der Folge werden diese Situationen typischerweise vermieden oder mit Furcht ertragen. Mit Zahnbehandlungsangst bezeichnet man alle psychologischen und physiologischen Ausprägungen eines mehr oder weniger krankhaften Angstgefühls, das sich gegen die Zahnbehandlung oder den mit ihr verbundenen Auslösern richtet (Jöhren und Margraf-Stiksrud, 2002). Von der Zahnbehandlungsangst ist die pathologische Form der Zahnbehandlungsangst, die Zahnbehandlungsphobie abzugrenzen. Die Zahnbehandlungsphobie gehört nach der ICD-10, Kapitel V, F 40.2 zu den spezifischen Phobien, wobei der Übergang zwischen normaler Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie wie auch bei anderen bekannten Angststörungen fliessend ist (Jöhren und Sartory, 2002). Kennzeichnend für eine Zahnbehandlungsphobie gemäss ICD-10 und dem ame- Schwerpunktthema rikanischen psychiatrischen Diagnoseschema (American Psychiatric Association (APA), 1994) ist, dass • eine anhaltende Erwartungsangst vor dem umschriebenen Stimulus besteht, • eine Konfrontation mit dem speziellen Stimulus im Verlauf der Störung fast unvermeidlich eine sofortige Angstreaktion hervorruft, • der angstauslösende Stimulus, wann immer möglich, vermieden wird, • durch die Angst bzw. das Vermeidungsverhalten der alltägliche Tagesablauf stark beeinträchtigt wird, • die erkrankte Person die Angst als übertrieben oder unvernünftig erkennt, • die psychischen oder vegetativen Symptome primäre Manifestationen der Angst sind und nicht auf anderen Symptomen, wie Wahn- oder Zwangsgedanken beruhen, • die Angst begrenzt ist auf die Anwesenheit eines bestimmten phobischen Objektes oder einer spezifischen Situation. Bei der Beurteilung eines Patienten muss die Zahnbehandlungsangst von der Zahnbehandlungsphobie oder einer anderen Angsterkrankung abgegrenzt werden. Diagnostik Die beobachtbaren Auswirkungen der Zahnbehandlungsangst lassen sich in die drei Reaktionsebenen Verhalten, physiologische Veränderungen und Denken, Fühlen gliedern. Der Angstzustand eines Menschen zeigt sich objektivierbar in seinem Verhalten und den zugehörigen physiologischen Veränderungen, seine Gedanken und Gefühle stellen die subjektive Seite der Angst dar. Typische Verhaltensmuster der Angst sind Vermeidung des Stimulus, Weglaufen, Übererregbarkeit, Gereiztheit, Unruhe, Schreckhaftigkeit, Weinen, Veränderung der Körperhaltung und des Gesichtsausdrucks. Physiologische Veränderungen sind Tachykardie, Atemnot, Schwitzen an der Oberlippe, an Stirn und Handinnenflächen, Übelkeit, Diarrhöe, Parästhesien, Zittern und Schlafstörungen, Mundtrockenheit, Sprachschwierigkeiten, Schreibschwierigkeiten. Typische Gedanken und Gefühle sind die Angst, verrückt zu werden, die Angst zu sterben, Unbehagen und Konzentrationsschwäche (Chadwick, 2002, Jöhren und Sartory, 2002). Zur Messung der Angst können alle drei Reaktionsebenen herangezogen werden, jedoch haben sich zur praxisrelevanten Erfassung der Angst objektivierbare Verhaltensbeurteilungen und subjektiv-verbale Verfahren als praktikabel erwiesen. Patientenverhalten Ein wichtiger Indikator für Zahnbehandlungsangst und insbesonders Zahnbehandlungsphobie ist das Nichteinhalten und die Absage von Behandlungsterminen. Darüber hinaus sind der Körperausdruck und das Sprachverhalten sehr aussagekräftig, allerdings zeigen sich die typischen Verhaltensmuster der Angst nicht immer im Behandlungsstuhl. Kleinknecht und Bernstein filmten das Verhalten von schwach ängstlichen und stark ängstlichen, erwachsenen Patienten im Empfangsbereich und im Behandlungszimmer (Kleinknecht und Bernstein, 1978). Während im Empfangsbereich die Gruppe der stark ängstlichen Patienten mehr Aktivität und Bewegung als die schwach ängstlichen Patienten zeigten, war dieser Unterschied im Behandlungsraum nicht mehr feststellbar. Daraus lässt sich die Annahme ableiten, dass das Verhalten eines Erwachsenen im Behandlungszimmer unter starker sozialer Kontrolle steht und ein sozial erwünschtes Verhalten gezeigt wird. Nimmt der Zahnarzt nur dieses Verhalten zur Einschätzung der Angst, so wird er möglicherweise häufig einem Irrtum unterliegen (Ingersoll, 1987). Dies bestätigte sich in einer aktuellen Studie, bei der die Angsteinschätzung des Patienten mit derjenigen des darauf fokussierten Zahnbehandlungsteams korreliert wurde: zu 80 % schätzte das Behandlungsteam (Zahnarzt und Zahnmedizinische Fachangestellte) die Angst zu gering ein (Schwichtenhövel, 2008, Enkling et al., 2007b). Der «gesunde Menschenverstand» reicht also nicht aus, die Zahnbehandlungsangst richtig einzuschätzen und Klinische Situationen von Zahnbehandlungs phobikern: Abbildungen 1–3: Zahnbehandlungsphobiker im Alter zwischen 20 und 35 Jahren mit jahre langer Vernachlässigung der Mundhygiene und Vermeidung der Zahnbehandlung PARTicipation 06.08 5 Schwerpunktthema daher sind objektivierbare Diagnoseinstrumente notwendig. Da es am einfachsten ist, einen erwachsenen Patienten zu fragen und Selbstbeurteilungsverfahren mit einer sehr hohen Validität und Reliabilität einhergehen, wurden in den vergangenen Jahrzehnten von Verhaltenswissenschaftlern zahlreiche Fragebögen entwickelt, die darauf abzielen, die Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie zu erkennen, einzuordnen und zu bewerten (Ingersoll, 1987). Für Vorschulkinder wurden ebenfalls entsprechend angepasste Fragebögen mit Bildern entwickelt (Sonnenberg und Venham, 1977, Venham et al., 1977). Prävalenz der Angsterkrankung Angsterkrankungen zählen mit einer Lebenszeitprävalenz zwischen 9,2 % und 24,9 % zu den häufigsten psychischen Störungen (Perkonigg und Wittchen, 1995). Je nach Autor und Untersuchung geben 60–80 % der Bevölkerung an, in irgendeiner Form Angst vor dem Zahnarztbesuch zu haben. Zahnbehandlungsängste sind in den Industriestaaten ähnlich verbreitet (Marwinski, 2006). Bis zu 20 % der Bevölkerung haben eine hohe Zahnbehandlungsangst, 5–10 % sind Zahnbehandlungsphobiker und vermeiden jeden Zahnarztbesuch (Enkling et al., 2005, Jöhren und Margraf-Stiksrud, 2002). Die Zahnärzte sind in ihren Praxen Abb. 4: 80jährige Zahnbehandlungsphobiker in, welche 30 Jahre die Zahnbehandlung ver mieden hat 6 PARTicipation 06.08 somit selten mit der pathologischen Zahnbehandlungsangst konfrontiert, da diese Patienten die Behandlung wenn immer möglich vermeiden oder auf Zahnbehandlungsangst spezialisierte Zahnarztpraxen oder den Notdienst ausweichen. Die Therapie der Zahnbehandlungsphobie und Therapieaussichten Prinzipiell werden die therapeutischen Verfahren zur Behandlung von Patienten mit Zahnbehandlungsangst in primär anxiolytische, also Angst abbauende Verfahren und primär schmerzreduzierende Verfahren eingeteilt. Die primär anxiolytischen Verfahren können zum einen medikamentöse sein, wie Sedierung, Analgosedierung oder Prämedikation. Zum anderen stehen nicht medikamentöse, wie die verschiedenartigen psychotherapeutischen Interventionen zur Verfügung. Die primär analgetischen Verfahren können ebenfalls nach medikamentösen und nicht medikamentösen Techniken unterschieden werden. Medikamentöse sind die Lokalanästhetika und die Vollnarkose, nicht medikamentös sind die Audioanalgesie, TENS, Akupunktur und die Hypnose. Das Ziel jeder anxiolytischen Behandlung muss es sein, den Patienten zur Aufgabe des Vermeidungsverhaltens zu bewegen und ihm einen Einstieg in eine dauerhafte normale zahnärztliche Betreuung zu ermöglichen. Die zuvor aufgeführten Techniken, ausgenommen die Psychotherapie, bewirken nur eine zahnärztliche Behandlungsfähigkeit der Patienten und reduzieren die Angst der Patienten, wenn überhaupt nur kurzfristig (Grawe et al., 2001). Die Therapie der Wahl von Angststörungen bei Erwachsenen ist die psychologische Verhaltenstherapie. In einer Meta-Analyse von 1966 bis 2001 veröffentlichten kontrollierten Studien zur Therapie von starken Zahnbehandlungsängsten zeigten 36 von 38 Studien deutliche Fortschritte bei verhaltenstherapeutischen Behandlungen (Kvale et al., 2004). Mit den verschiedenen Methoden der Verhaltenstherapie können 70 % der Zahnbehandlungs- phobiker ihre krankhafte Angst überwinden. Bei 80 % der Patienten ist dieser Effekt bleibend (Jöhren und Sartory, 2002, Jöhren et al., 2007, Schmid-Leuz et al., 2007). Als effektiv haben sich psychotherapeutische Kurzinterventionen von 1–3 Sitzungen erwiesen, welche verschiedene verhaltenstherapeutische Ansätze kombinieren (Berggren und Linde, 1984, De Jongh et al., 1995b, Milgrom et al., 1985, Öst, 1987, Öst, 1989, Thom et al., 2000). Entscheidend für den Erfolg der Psychotherapie ist es jedoch, wie gut der Patient mit dem Psychotherapeuten und dem behandelnden Zahnarzt kooperiert. Die allgemeine Akzeptanz zu einer psychologischen Therapie ist bei der Bevölkerung gering: das Thema Psychotherapie ist weiterhin ein Tabu. Es bleibt für die Zahnärzteschaft dahingehend also noch Aufklärungund Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Zahnbehandlungsphobiker wünschen zu Beginn zumeist eine Behandlung in Vollnarkose (Berggren et al., 2000). Diese erlaubt zwar eine schmerzfreie Behandlung, jedoch unterstützt sie das Vermeidungsverhalten und wirkt daher primär nicht Angst abbauend. Der unkontrollierte Einsatz der Vollnarkose zur Behandlung von Zahnbehandlungsphobikern kann darüber hinaus die Angsterkrankung verstärken und somit zu einem «Circulus vitiosus» führen: der Patient glaubt nur noch unter Narkose behandelbar zu sein (Berggren und Linde, 1984). Bei anstehenden Notfalltherapien oder umfangreichen Eingriffen mit zahlreichen Extraktionen kann der Einsatz der Vollnarkose bei Zahnbehandlungsphobikern jedoch hilfreich sein. Bei den primär schmerzreduzierenden Verfahren, wie der Lokalanästhesie, sollte bei hoch ängstlichen Patienten, isolierten Spritzenphobikern und bei Kindern eine oberflächliche Betäubung der prospektiven Einstichstelle mit einem Oberflächenanästhetikum erfolgen (Milgrom et al., 1997). Wenn man es geschafft hat, ein Vertrauensverhältnis zu sehr ängstlichen Patienten aufzubauen, erweist sich diese aufgebaute Arzt-Patienten-Beziehung in der Zukunft meist als sehr belastbar. Pathologische Angst vor der Zahnbehandlung sollte der Zahnarzt in Kooperation mit einem Psychothera- Schwerpunktthema peuten behandeln. Angstpatienten neigen nicht vermehrt zu psychogenen Zahnersatzunverträglichkeiten und erwarten, wie nichtängstliche Patienten auch, eine gute zahnärztliche Therapie. Bei adäquater Vorbehandlung ist auch bei hochgradig ängstlichen Patienten, welche jahrelang die Zahnbehandlung vermieden haben, eine Implantattherapie langfristig erfolgreich (Enkling et al., 2007a). Um einem Rückfall in alte Verhaltensmuster vorzubeugen, müssen Angstpatienten in ein engmaschiges Recallsystem eingebunden und zu mindestens halbjährlichen Kontrollterminen motiviert werden. Ein psychotherapeutischzahnärztlich abgestimmtes Therapieangebot für die Behandlung hochgradig ängstlicher Zahnbehandlungspatienten und Zahnbehandlungsphobikern besteht an den Zahnkliniken der Universitäten Bern und Zürich. Die Literaturliste kann beim Autor angefordert werden Dr. Norbert Enkling Norbert Enkling Jahrgang 1973 Studium der Zahnmedizin in Bonn, Staatsexamen und Approbation 2000 Universität Melbourne (Australien) 1998 Promotion zum Dr. med. dent. 2001 in Bonn und Dr. med. dent. in Bern 2004 Weiterbildung in Zahnärztlicher Prothetik an der Friedrich-Wilhelms Universität Bonn (2000–2003, Prof. Dr. B. Koeck) Weiterbildung in Oralchirurgie, Implantologie in Bochum (2003–2006, Prof. Dr. P. Jöhren) und Tätigkeit im Therapiezentrum für Zahnbehandlungsangst Bochum (Prof. Dr. G. Sartory, Prof. Dr. P. Jöhren) 2002 Wissenschaftlicher Gastassistent Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Universität Bern (Prof. Dr. R. Mericske-Stern) 2002 «A-Diplom Akupunktur» (DAAAM) 2005 «Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie» (DGI) 2005 «Spezialist für Prothetik» durch die Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde (DGZPW) 2006 «Spezialisten für rekonstruktive Zahnmedizin, Ästhetik und Funktion» durch die European Dental Association (EDA) 2006 «Fachzahnarzt für Oralchirurgie» 2004–2006 stellvertretender Leiter der Privaten Zahnklinik Bochum und Lehrauftrag an der Privaten Universität Witten /Herdecke Seit 2007 Oberarzt der Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Universität Bern (Prof. Dr. R. Mericske-Stern) Seit 2002 nationale und internationale Vorträge und Veröffentlichungen Seit 2006 Vorstand AK Psychologie und Psychosomatik der DGZMK, 2008 im Amt bestätigt PARTicipation 06.08 Vermischtes Geblättert Warum wohl haben der Philosoph Goran Grubacevic und unser Vorstandsmitglied, der keine Mühe scheuende Willy Baumgartner, sich so intensiv mit dem Neurobiologen und Hirnforscher Gerald Hüther beschäftigt? (Siehe auch die Beiträge von Grubacevic in der vorliegenden Edition und den von Baumgartner «Biologie der Angst» in Ausgabe 10). Die Macht der inneren Bilder von Gerald Hüther und Wie aus Kindern glückliche Erwachsene werden von Gerald Hüther und Cornelia Nitsch Der zweite Titel tönt so ganz nach Kochbuch: Wie gelingt es mir, aus wilden Fischen eine glückliche Fischsuppe zu kreieren? (Man schafft nicht mehr, man macht sich die Kreation seiner Welt selbst zu eigen). Wenden wir uns zuerst den inneren Bildern zu. Spannend schon der Kommentar zur Umschlagabbildung. • Ist das eine DNA-Schleife? • Ist das der Dampf über einem Samowar? • Ist das die Römerin mit Füllhorn? (Fresco, Stabiae, wie Pompeji 79 n. Chr. verschüttet) • Ist das der Andromeda-Nebel in kosmischer Nacht? • Es ist das Photo von einem Möwenschiss auf Asphalt. Um sofort nachzuhaken: Junge Frau mit Kind sogar 8 PARTicipation 06.08 Diese Lockerheit ermutigt, erleichtert einem den Einstieg. Unter inneren Bildern versteht Hüther Selbstbilder, die wir uns angeeignet haben. Er versucht uns anzuregen, über die Herkunft und die Bedeutung dieser Bilder nachzudenken. Ein Puzzle bestehe aus vielen Teilbildern. Auch wenn das Bild nicht fertig gestellt werden kann, sei ansatzweise dessen Entwurf nachvollziehbar. Ein inneres Bild, das keinen Sinn stiftet und das dem Menschen keinen Ort der Geborgenheit zeigt, ja noch nicht einmal einen Weg zu einem solchen Ort weist, eignet sich offenbar auch nicht als Orientierung stiftende Matrix für die Zuordnung und Einordnung all der vielen anderen inneren Bilder, die das menschliche Gehirn ständig aus alten Erinnerungen und neuen Wahrnehmungen hervorbringt. Menschen ohne Orientierung bietende innere Leitbilder sind verloren (S. 39). Was aber bewegt einen Hirnforscher, sich mit Kindererziehung herumzuschlagen? Andersherum gefragt: Was hindert exakte Naturwissenschafter und Geisteswissenschafter wie Philosophen, das nicht zu tun? Ihr Wissen in der Praxis zu testen? Braucht es dazu eigene Kinder? Jean Piaget hat die seinen einbezogen. Hier liegt auch der vielleicht eigentliche Schwachpunkt solcher Publikationen: Man meidet teuflisch gut ähnliches Gedankengut, um ja nicht in den Verdacht zu kommen, kopiert zu haben. Zwei Bitten also an Veröffentlicher: Erwähnt auch eure aktuellen «Feinde», und gebt uns auch eure Wurzeln bekannt, selbst wenn sie schon lange – physisch zumindest – gestorben sind. Zwei Beispiele mögen das treffliche Buch Hüther/Nitsch illustrieren, die auch in unserer Praxis von einer gewissen Brisanz sind. 1. Süssigkeiten: Untersuchungen zum Thema Selbstregulation. Forscher hatten dreijährigen Kindern Süssigkeiten angeboten. Es wurde ihnen versprochen, sie bekämen noch ein weiteres Dolce, wenn sie eine Viertelstunde warten könnten, bevor sie die erste aufassen. Manche konnten abwarten, die meisten aber nicht. Zwanzig Jahre später, als aus den Kindern Erwachsene geworden waren, stellte man fest: Diejenigen, die als Dreijährige warten konnten und ihre Süssigkeit nicht gleich aufgegessen hatten, waren nun in jeder Hinsicht den anderen überlegen: Sie waren intelligenter, weltoffener, hatten eine bessere Ausbildung absolviert, erfülltere und stabilere Beziehungen, ein besseres Verhältnis zu ihren Eltern etc. (S. 134). Fazit: Ein frühzeitiges Management des Verlangens führt zu besseren Voraussetzungen im Erwachsenenleben (?). Hier erwarte ich Ihre Rückmeldungen aus eigenen Erfahrungen. 2. Angst: Ein entspanntes Kind entwickelt und verinnerlicht neue Wahrnehmungen (Bilder), neue Verhaltensweisen und speichert sie im Gehirn. Ein verunsichertes, ängstliches Kind dagegen handelt unüberlegt, entscheidet vorschnell. Das heisst: Das Gehirn greift in der Eile auf schon eingespielte, verankerte, altbewährte Strategien zur Lösung von Konflikten zurück. Das Kind kann keine über die schon vorhandenen Fähigkeiten hinausgehende Handlungskompetenz entwickeln. Damit vergibt es die Chance, neue Überlegungen anzustellen, aufgrund neuer Eindrücke alte Wahrnehmungen zu korrigieren, anders zu bewerten. Es kann keine neuen Handlungsstrategien entwickeln, die über die schon vorhandenen Kompetenzen hinausgehen. Zwei sehr empfehlenswerte Bücher. Ich enthalte mich einer Zusammenfassung. Meine Aufgabe sehe ich als Appetitanreger. Der Leser, die Leserin findet endlich Theorie und Praxis in sehr bekömmlicher Art serviert. Prof. Gerald Hüther, *15.02.1951, studierte Biologie in Leipzig, Professor für Neurobiologie an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen Cornelia Nitsch, Bad Tölz, Journalistin, hat Sozialwissenschaft studiert, viele Buchpublikationen, u.a.; «Dr. Mama», «Der Elternführerschein» und zusammen mit Hüther «Kinder gezielt fördern» Gerald Hüther: «Die Macht der inneren Bilder», Vandenhoek & Ruprecht 2004, 4. Auflage 2008 Gerald Hüther/Cornelia Nitsch: «Wie aus Kindern glückliche Erwachsene werden», Gräfe und Unzer, 1. Auflage 2008 St.G. Schwerpunktthema Zur medizinischen Behandlung und Betreuung von Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung Dr. med. Felix Brem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH Dieser Artikel will die Aufmerksamkeit auf bisher wenig beachtete Probleme in der medizinischen Versorgung von deutlich bis schwer behinderten, insbesondere erwachsenen Menschen, die meist in Wohnheimen leben, lenken. 1. Einleitung: Der Anteil von Menschen mit geistiger Behinderung an der Bevölkerung beträgt gemäss WHO – ohne eine eindeutige Definition – etwa 3 %; gemäss einer strengeren Definition sind es etwa 1 %, wovon ⅓ als schwer behindert einzustufen ist. Leider gibt es in der Schweiz keine verlässliche Statistik darüber; immerhin sind in den Invaliditäts- und Hilflosenstatistiken des BSV etwa 60'000 Menschen nach verschiedenen Kriterien erfasst. Die Ätiologie der Behinderung dürfte auch heute noch bei jedem 2. Kind ungeklärt bleiben; zwei Generationen früher betraf das etwa 80 %. Zum einen können nun diese Menschen wie alle anderen auch akut oder chronisch erkranken, wenn auch in anderer epidemiologischer Häufigkeit (so ist z.B.gastroösophagaler Reflux viel häufiger). Sie haben jedoch zusätzlich häufig vermehrte Krankheitsrisiken (beispielsweise Aspirationspneumonien oder Folgen von Bewegungsmangel) und leiden dazu oft an behinderungsbedingten (z.B. orthopädischen, ophthalmologischen, otorhinolaryngologischen oder auch zahnmedizinischen) Problemen, die einer Versorgung bedürfen, und bei denen Spätfolgen zu befüchten sind. Oft sind die Betroffenen mehrfach behindert, haben häufiger auch neurologische Leiden, im besonderen auch Epilepsien, und zeigen psychische Störungen, die das Zusammenleben manchmal erheblich erschweren. 2. Probleme bei Untersuchung und Behandlung Menschen mit geistiger Behinderung gelten aus zahlreichen Gründen meist als besonders problematische Patienten. Die Untersuchung ist durch verschiedene Faktoren erschwert, Anamnese– und Befunderhebung sind oft unvollständig; vielfach ist es notwendig, Drittpersonen (Betreuer, Eltern) beizuziehen und alte Akten aufzuspüren. Häufiger als sonst wird eine aufwendige apparative Diagnostik, allenfalls gar unter Narkose, in Betracht gezogen, andererseits aber auch zögerlich verordnet. Schon eine Blutentnahme ist manchmal nur mit grossem Aufwand möglich, eine MRIUntersuchung oft nicht durchführbar. Der Zeitbedarf ist dadurch stark erhöht mit dennoch oft unklar bleibenden Diagnosen, da Beschwerdebilder untypisch erscheinen und die erhaltenen Angaben und Befunde vielfach unvollständig bleiben. Entscheidungen und erst recht die Durchführung von Behandlungen müssen dann oft interdisziplinär und mit Angehörigen und Betreuungspersonal gemeinsam erarbeitet werden. Häufiger als sonst stellen sich auch grundsätzliche juristische Fragen, speziell bei fehlender Urteilsfähigkeit. Nicht selten muss deshalb in Krisensituationen vorerst noch eine Besprechung mit den Personen, die in die Entscheidung einzubeziehen sind, organisiert werden. Die Betreuungspersonen bedürfen oft ausführlicher Anleitungen, auch zur Beobachtung und Dokumentation von Symptomen und Verhalten. Im Praxis- und erst recht im Spitalrahmen ist zudem zu beachten, ob das medizinische Personal auf Verhaltensbesonderheiten vorbereitet oder diesbezüglich völlig unerfahren ist. Öfter als bei anderen Patientengruppen ist die Arzt-Patientenbeziehung auch von Unsicherheit, Angst, Verwirrung, beim Arzt von Hilflosigkeit und Überforderungsgefühl, beim Patienten durch belastende Erfahrungen und Ablehnung geprägt. Im weiteren muss der behandelnde Arzt auch spüren, ob bei den Angehörigen versteckte Schuldgefühle oder auch massive Enttäuschungen vorhanden sind. Allzu oft fühlten sich viele schon alleine gelassen. Dies und oft unerfüllbare Erwartungen erfordern ein erhebliches Fingerspitzengefühl. Dass gegenwärtig auch sogleich Kostenfragen auftauchen, insbesondere wegen des zeitlichen Aufwandes, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. 3. Internationale Erkenntnisse Aus zahlreichen Erhebungen in verschiedenen Ländern ist in den letzten Jahrzehnten klar geworden, dass für diese Menschen in der medizinischen Betreuung typische Versorgungslücken und -Mängel bestehen; dies, obwohl weitgehend unbestritten ist, dass Menschen mit Behinderung ebenso wie Nichtbehinderte ein Recht auf (Früh)erkennung, Vorbeugung und Behandlung von Erkrankungen und ebenso Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation haben. Dennoch führt die Vernachlässigung der oft besonderen gesundheitlichen Bedürfnisse zu erhöhten Gesundheitsrisiken. Krankheiten werden häufig übersehen, Behandlungen sind nicht adäquat (in Ontario fanden sich z.B. 1998 bei behinderten Menschen 43 % nicht diagnostizierte Hypertonien im Vergleich zu 8 % in der Bevölkerung. Bei Verhaltensstörungen werden allzu oft Neuroleptika verschrieben und in ihrer Wirkung und Nebenwirkung nicht regelmässig überprüft). Dadurch leidet aber auch die Lebensqualität erheblich, und die Möglichkeit zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben wird zusätzlich behindert. Zudem haben zwar bedeutende Verbesserungen im Lebensstandard der Bevölkerung insbesondere im 20. Jahrhundert eine gewisse Angleichung der Lebenserwartung und Todesursachen von Menschen mit geistiger Behinderung an diejenige der Allgemeinbevölkerung gebracht. Weiterhin bestehen aber deutlich erhöhte Mortalitätsraten; sie werden jedoch weitherum nicht als Problem wahrgenommen, sondern voreilig als zur Behinderung gehörig erklärt. 4. Ansprüche und Erfordernisse Eine neu herangewachsene Generation von Eltern stellt nun auch deutlich erhöhte Ansprüche an die medizinische Behandlung ihrer Kinder; sie fordern Massnahmen, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit wenn nicht abzuwenden oder zu beseitigen, so zumindest zu reduzieren und deren Folgen zu mildern. Gut ausgebildetes Betreuungspersonal stellt zunehmend kritische Fragen und wünscht nicht selten umfassende Abklärungen. Auch Behinderte selber fordern in vermehrtem Masse Partizipation und Selbstbestimmung. Insbesondere erwarten sie auch eine differenziertere Information und Kommunikation; sie wollen, dass man mit ihnen und nicht PARTicipation 06.08 9 Schwerpunktthema über sie spricht, dass sie als erwachsene Menschen respektiert werden, und dass ihnen Zeit und Mittel zur Verfügung gestellt werden, um sich mitzuteilen. Allzu rasch und häufig wird den behinderten Menschen leider zu Unrecht diese Fähigkeit abgesprochen. Ärzte, die mit Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten, fordern zudem eine Forschung, die sich mehr auch mit Fragen der Kommunikation, der Strukturen, aber auch mit Tipps und Tricks für den Alltag (z.B. Wärmekamera-Einsatz in der Diagnostik) befasst, also mit Erfahrungen und Erkenntnissen, die Ihnen helfen, diese Patienten gut zu betreuen. Es besteht der Eindruck, dass vorderhand oft seltene Syndrome wesentlich mehr Beachtung finden als die Alltagsnöte, wie z.B. chronische Obstipation oder Verhaltensstörungen. Nun begegnet der Arzt eigentlich ausser der Notwendigkeit von einigen speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet genetisch bedingter Erkrankungen keinen Situationen, die er nicht schon grundsätzlich aus Erfahrungen mit Kindern, alten, chronisch erkrankten oder auch psychiatrischen Patienten kennen könnte. Dennoch lassen sich die Erfahrungen mit anderen Patientengruppen nicht unreflektiert übertragen, sondern sind an die Bedürfnisse dieser besonderen Klientel zu adaptieren. Es muss deshalb vorerst bei den Ärzten ein Problembewusstsein dafür geschaffen werden, das in ein verändertes Verhalten, insbesondere durch die Beachtung von Unterschieden in der Epidemiologie und durch mehr Eigeninitiative des Arztes bezüglich Erhebung von Daten und Befunden, erst recht bei diffusen Befindlichkeitsstörungen, sowie in aktiverem Aufwand in der Beratung mündet. Schliesslich benötigen Ärzte auch Kenntnisse über die jeweiligen Strukturen und Ressourcen der Wohnheime, die sehr unterschiedlich sind. 5. Entwicklungen im Ausland Nachdem vor allem im angelsächsischen Raum die erhöhten Krankheitsrisiken von Menschen mit Behinderung erforscht und erkannt wurden, bestehen nun in verschiedenen Ländern Bemühungen, bedarfsgerechte gesundheitsbezogene Leistungen für Menschen mit geistiger Behinderung anzubieten und 10 PARTicipation 06.08 diesbezüglich verbesserte Angebotsstrukturen, allenfalls spezialisierte Zentren aufzubauen. Die Niederlande sind in dieser Hinsicht weit voran: Bereits 1981 wurde eine Ärztevereingung gegründet. Seit dem Jahr 2000 bestehen dort ein spezieller Facharzttitel sowie ein Lehrstuhl für Medizin für Menschen mit geistiger Behinderung. Auch andernorts, unter anderem in Deutschland, sind bereits Curricula ausgearbeitet worden, wie diesbezügliche spezielle Kenntnisse und Kompetenzen von Ärzten erworben werden können. Eine europäische Vereinigung «European Association of Intellectual Dissability Medicine MAMH» mit jährlichen Kongressen besteht seit 1991. Hier wurde das bisherige Abseitsstehen der Schweiz sehr bedauert. Bereits seit 1964 gibt es übrigens die «International Association for the Scientific Study of Intellectual Disabilities IASSID». 6. Situation in der Schweiz Während behinderte Kinder durch die IVFinanzierung der medizinischen Behandlung von Geburtsgebrechen und der Sonderschulung zu einem guten Teil erfasst sind und ein grosses, qualitativ hochstehendes Angebot von medizinischen und rehabilitativen Leistungen, oft in Universitätsinstituten, beanspruchen können, leben erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung zu einem guten Teil in kleinen Institutionen in mehrheitlich ländlichen Verhältnissen, wo sie nun meist von den ansässigen Hausärzten behandelt werden und den Kontakt zu den früher zuständigen Ärzten und Institutionen verlieren. Zahlreiche Haus- und Fachärzte betreuen zwar engagiert und nach bestem Wissen und Gewissen Menschen mit geistiger Behinderung, aber sie sind diesbezüglich nicht vernetzt, haben kaum Austausch untereinander oder mit Spezialisten und kriegen wohl kaum Informationen oder Weiterbildungsangebote in spezifischen Belangen (dies im Gegensatz zu den Zahnärzten; an dieser Stelle sei die SGZBB zum bisher Erreichten beglückwünscht). Die erwähnten Bestrebungen und Erkenntnisse anderer Länder wurden bisher kaum zur Kenntnis genommen. Nur schon deshalb ist nun eine Vernetzung der Ärzte aller Fachrichtungen und Regionen der Schweiz unerlässlich. Daneben bedürfen auch die Sparübungen im IV- und KVG-Bereich sowie neuerdings die Einführung der DRG in ihren Auswirkungen eines besonderen Augenmerks. 7. Gründung einer Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft Auf diesem Hintergrund wurde am 2./3. November 2007 eine Tagung «Medizinische Herausforderungen bei geistiger Behinderung» im Schweizerischen Epilepsiezentrum in Zürich mit über 100 Teilnehmern organisiert. Offensichtlich bestand ein grosses Bedürfnis für einen derartigen Anlass. Der Nachmittag des 2. November stand unter dem Thema «Moderne Medizin und Menschen mit geistiger Behinderung». Das erste Referat brachte einen Überblick von Thomas Dorn zum Problem der Epilepsietherapie bei behinderten Menschen. Eindrückliche Videosequenzen unterstrichen hier etwa das Problem, eine «banale» Verhaltensstörung von einem epileptischen Anfall zu unterscheiden. Der nachfolgende Überblick über die epilepsiespezifische Pharmakotherapie war äusserst umfassend; er illustrierte die Notwendigkeit, als betreuender Hausarzt Hilfe und Beratung von spezialisierten FachkollegInnen in Anspruch zu nehmen. Im zweiten Referat sprach Christian Schanze, Ärztlicher Leiter des St. Camillus-Krankenhauses in Ursberg (Bayern), über «Psychopharmakologische Behandlung bei Menschen mit Intelligenzminderung». Er wusste hervorragend herauszuschälen, wie vor (und oft auch neben oder gar statt) der medikamentösen Behandlung die aktuellen Situation geduldig zu erfassen und als Reaktion auf irgendein Vorkommnis oder eine Entwicklung zu verstehen sei. Der dritte Beitrag war dem Thema «Ambulante Narkose für (geistig) behinderte Patienten» gewidmet und gab Einblick in die Tätigkeit von Matthis Lang, Mitglied der Ärztegemeinschaft für Praxis-Anästhesie. In eindrücklichen und klaren Worten, unterstützt durch eine beeindruckende Videosequenz von der Narkoseeinleitung eines Behinderten beim Zahnarzt, gelang es ihm, den nicht genug zu Schwerpunktthema schätzenden Vorteil einer Narkose in einer Praxis gegenüber einer solchen in einer Klinik aufzuzeigen, und er vergass nicht, darauf hinzuweisen, welche Bedingungen dafür erfüllt sein müssen bzw. welche Kontraindikationen bestehen. Der Tag schloss mit den Ausführungen von Stefan Dierauer, Leitender Arzt der Kinderorthopädie am Kinderspital Zürich, zu den «Orthopädischen Problemen im Erwachsenenalter bei angeborener oder früh erworbener neurologischer Grunderkrankung». Er zeigte auf, welche (unvermeidlichen) Deformierungen am Bewegungsapparat wie, wann und mit welcher Erfolgsaussicht behandelt werden können. Nicht verschwiegen wurde aber auch, welche Massnahmen kaum sinnvoll sind und deshalb vermieden werden sollen. Der 3. November stand unter dem Hauptthema «Alltagsprobleme – wie helfen Fachleute?». In vier kürzeren, aber sehr praxisnahen und berührenden Beiträgen wurden solche Alltagsprobleme aus der Sicht eines Heimleiters (Toni Iten-Bühlmann, Wohnheim Casa Macchi, Hergiswil), einer Heimärztin (Sandra Ohle, Wohnheim des Epilepsie-Zentrums, Zürich), einer Bereichsleiterin (Kathrin Wanner, Behindertenwerke Oberemmental, Langnau i.E.) und eines Hausarztes, der mehrere Wohngruppen betreut (Daniel Gelzer, Basel) zum Ausdruck gebracht. Die prägnanten Schilderungen aller vier RednerInnen machten deutlich, wie sehr bei der Betreuung Behinderter alle Beteiligten auf einen konstruktiven und kreativen gegenseitigen Umgang angewiesen sind, der Anerkennung und Verständnis für das Gegenüber erfordert. Frau Professor Heleen Evenhuis, Lehrstuhlinhaberin für Behindertenmedizin an der Erasmusuniversität in Rotterdam, sprach äusserst sympathisch und lebendig über den jahrelangen Weg beim «Aufbau eines spezialisierten Fachgebietes «Arzt für geistig behinderte Menschen» in den Niederlanden». Ihre unbestechliche, optimistische und humorvolle Hartnäckigkeit wirkte ansteckend und machte Mut, an die Vision einer ähnlichen Entwicklung in der Schweiz zu denken. Christian Kind schliesslich, Chefarzt der Pädiatrischen Klinik in St. Gallen, berichtete als deren Präsident von der Arbeit der Subkommission «Medizinische Behandlung und Betreuung von Menschen mit Behinderung» der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Mit grosser Hochachtung vor der umfassenden Arbeit durften die Anwesenden im Sinne einer Vorinformation vom Inhalt der medizinischethischen Richtlinien und Empfehlungen zu dieser Thematik Kenntnis nehmen, die inzwischen zur Vernehmlassung auf www.samw.ch veröffentlicht wurden. Am Rand dieser Tagung gründeten am 3. November 2007 41 TeilnehmerInnen die «Schweizerische Arbeitsgemeinschaft von Ärzten für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung» zugunsten eines Sondergebietes innerhalb der Medizin, das sich speziell mit der medizinischen Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung auseinandersetzt. Sechs Teilnehmer wurden als Arbeitsgruppe zur Gründung des entsprechenden Vereins gewählt. Seit 29. Januar 2008 ist mit der Verabschiedung der Statuten der Verein nun formal gegründet, und die Arbeitsgruppe bildet den ersten Vereinsvorstand. Bereits ist auch die Homepage online (www.sagb.ch). Aktuell zählt der Verein 64 Mitglieder. Alle Ärztinnen und Ärzte sind eingeladen, Mitglied dieser Arbeitsgemeinschaft zu werden. Aber auch andere Personen oder Körperschaften können ausserordentliche oder korrespondierende Mitglieder werden, wenn sie Zweck und Ziel des Vereines mittragen möchten. 8. Schwerpunkte der SAGB 1. Förderung interkollegialer fachlicher Kontakte für Erfahrungsaustausch und Entwicklung von Synergien. 2. Eröffnung von Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und die Organisation solcher Veranstaltungen. Einflussnahme auf die Weiterbildungscurricula. 3. Erarbeitung von Qualitätsstandards in der medizinischen Begleitung von Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung, speziell auch für Kriseninterventionen. 4. Medizinisches Informationsangebot für Betroffene, Angehörige, Institutionen und Begleiter. Kontakte mit deren Organisationen. 5. Aktive Mitarbeit in nationalen und internationalen Fachgremien. 6. Befassung mit Finanzierungsfragen im Rahmen von KVG, UVG und IV und kantonalem Heimwesen infolge der NFA) 7. Unterstützung von wissenschaftlicher Forschung zugunsten von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Auch wenn hier spezifisch nur von Menschen mit geistiger Behinderung die Rede ist, ist zu betonen, dass nicht eine Abgrenzung, sondern letztlich eine Verknüpfung angestrebt wird mit den Bemühungen um andere Behinderungsformen, mit der Geriatrie und natürlich mit der Rehabilitationsmedizin. Es sollen Brücken zwischen Heimärzten und Fachärzten, unter den Fachgesellschaften, zwischen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenmedizin, zur Zahnmedizin und auch ins Ausland gebaut werden. 9. Schlussbemerkung Der Inhalt dieses Artikels wurde teils in ähnlicher Form in der Schweizerischen Ärztezeitung veröffentlicht. Er gründet auf verschiedenen gelesenen oder gehörten Publikationen und Referaten deutscher Sprache sowie auf eigenen Beobachtungen. Mangels Ressourcen fehlen Quellenforschungen oder neuere eigene wissenschaftliche Recherchen. Deshalb erhebt dieser Artikel keinen wissenschaftlichen Anspruch. Der Abschnitt über die Tagung stützt sich auf ein Manuskript von Dr. med. Florian Suter, 4416 Bubendorf Speziell möchte ich noch hinweisen auf: «European Manifesto about Health care for people with intellectual disabilities» (auch in Deutsch, bei MAMH (http://www.mamh.net/) herunterladbar). PARTicipation 06.08 11 Schwerpunktthema Wie mit der unkontrollierbaren Angst, die aus dem blinden Glauben an die Kontrollierbarkeit der Angst entsteht, umgehen? Gedanken zur Neurobiologie der Angst Die Angst des Philosophen vor dem zahnärztlichen Stressor Bohrer bewirkte bei ihm eine unkontrollierbare Stressreaktion, bei der einige angelegten Verschaltungen in seinem Kopf destabilisiert wurden. Was der Sinn dieses biologischen Mechanismus sein könnte, der die Angst zu etwas sehr Wertvollem macht (wenn sie ganz neu interpretiert wird), fand der Philosoph bei der Lektüre des Buches eines Neurobiologen. Gerald Hüthers Buch Biologie der Angst eröffnet mehrere Lektüreperspektiven, so dass die folgenden Zeilen eher die philosophischen Gedanken in Hüthers Buch in den Mittelpunkt stellen und ganz andere Akzente setzen als die schon erfolgte Besprechung des Buches in PARTicipation. Drei Metaphern dominieren im Text: die Wegmetaphorik, die Hügel-Ebene Unterscheidung und die Melodie (musikalische Metaphorik). Von Sackgassen, gebahnten Wegen, neuen Wegen bis zu intelligenten Wegen u.a. ist die Rede. Die Wegmetaphorik illustriert die Funktionsweise des Gehirns und seine Interaktion mit der Aussenwelt. Die Hügel-Ebene Unterscheidung verweist auf die Notwendigkeit eines Perspektivenwechsels auf das Phänomen Gehirn, der die Ansätze von Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften in einen neuen Dialog bringen will. Der Körper-Geist Dualismus, der lange die Szene der Philosophie beherrscht hat, wird in einen Monismus umgewandelt (ein Monismus der Melodie) mit zwei verschiedenen Texten. Zu den philosophisch aussagekräftigsten Thesen kommt Hüther in seinem Schlusskapitel (Ausblick und Abschied). Dort wird 12 PARTicipation 06.08 wieder der Hügel als symbolischer Ort eines erkenntnistheoretischen Perspektivenwechsels ins Spiel gebracht. Es folgt ein vehementer Angriff auf eine nicht näher benannte Gruppe, die mit ihrer Haltung glaubt, dass sich die Angst dadurch besiegen lässt, dass man immer schneller an immer grösseren Rädern des Getriebes dreht, d.h. immer mehr Macht und Wissen in einer eindimensionalen Weise anhäuft. Gemäss Hüther war die Angst die Triebfeder für die Entstehung und interne Weiterentwicklung der Wissenschaftsdisziplinen; sie hatte als Ziel die Sicherheit durch die Anhäufung von Macht und Wissen zu erlangen. In diesem Zusammenhang ist der folgende bemerkenswerte Satz zu finden (Hüther, Biologie der Angst, S. 111): «Die individuelle oder kollektive Anhäufung von Wissen und Macht, die so lange geeignet schien, die Angst und die damit einhergehende Stressreaktion kontrollierbar zu machen, ist inzwischen selbst zu einer Bedrohung geworden.» Wenn das ein Philosoph zu bedenken gegeben hätte (wie schon mehrmals geschehen z.B. Nietzsche, Anders, Heidegger, Arendt etc.), hätte man dankend für den interessanten Beitrag auf die Realitätsferne desselben verwiesen; stammt diese Bemerkung von einem Neurobiologen, dann bringt uns seine epistemische Glaubwürdigkeit dazu, seine Realitätsnähe genauer zu studieren. Hüthers Modell nochmals in aller Kürze: er geht von der neuronalen Plastizität des Gehirns aus, die unser Gehirn bis weit ins Alter potentiell lernfähig sein lässt. Die Verschaltungen und Bahnungen der Nervenzellen sind durch die Benutzung und die Erfahrungen, die wir in der Aussenwelt machen, remodellierbar. Die Angst vor einem Stressor ruft im Körper eine Stressreaktion hervor, die, vereinfacht gesagt, kontrollierbar oder unkontrollierbar abläuft. Je nach Stressor (Angstauslöser), individuellen Erfahrungen und der Interaktion von verschiedenen Hormonsystemen reagieren wir mit einer kontrollierbaren Stressreaktion, bei der das Gehirn durch schon vorhandene Bahnungen auf die Angst reagieren kann oder mit einer unkontrollierbaren Stressreaktion, für die ein anhaltendes Gefühl von Angst und Verzweiflung charakteristisch ist. Bei der kontrollierbaren Stressreaktion werden die in unserem Gehirn angelegten Verschaltungsmuster stabilisiert, bei der unkontrollierbaren Stressreaktion werden sie destabilisiert und es werden neue Bahnungen vorbereitet. Das Gehirn ist nicht nur Ausgangspunkt sondern auch ein wichtiger Zielpunkt der neuroendokrinen Stressreaktion. Es illustriert modellhaft einen biologischen Mechanismus, der die Angst braucht um immer wieder schon gebahnte Wege auflösen zu können. Für Hüther ist die Funktionsweise des Gehirns ein Modell für die Notwendigkeit einer grossen Aufmerksamkeit auf Veränderungen in der Erfahrungswelt, denn es funktioniert nicht wie ein fest ablaufendes Programm. Diese Zusammenhänge führen im Schlusskapitel zu einer These, die uns aufhorchen lässt und die mit dem obigen Zitat in Verbindung zu bringen wäre. «Wir können uns nur verändern, indem wir die Art des Zusammenwirkens derjenigen Zellen verändern, die unser Verhalten bestimmen.» (Hüther, S. 110) Als Konsequenz aus dem ersten Zitat, das die Bedrohung durch die Anhäufung von Macht und Wissen thematisiert, wäre die Frage zu stellen: Was ist zu denken, zu fühlen, zu tun, wenn die gebahnten Verschaltungen im Gehirn, die auf dem Weg der Entwicklungen der modernen Geistes – und Naturwissenschaften und ihrer Produkte entstanden sind und die massgeblich daran beteiligt waren, die Angst kontrollierbar zu machen, ihrerseits zu einem Stressor geworden sind, der zu einer unkontrollierbaren Stressreaktion führt? Wenn ich Hüthers Grundthese richtig deute, scheint für ihn das Gehirn mit dem biologischen Mechanismus der Stressreaktion ein Modell zu sein für einen erfolgsversprechenden Umgang mit der unkontrollierbaren Stress- Schwerpunktthema reaktion gegenüber den Wissenschaften und der von ihnen geschaffenen Welt. Aus dem zweiten Zitat folgt, dass wir, um uns wirklich verändern zu können, unser Gehirn neu und anders benutzen müssen um einen Remodellierungsprozess in ihm auszulösen, da das Zusammenwirken der Gehirnzellen wiederum unser Verhalten bestimmt. In der Philosophie würde man diese erkenntnistheoretische Variante im paradoxen Terminus des transzendentalen Empirismus wiederfinden, der vom französischen Philosophen Gilles Deleuze vertreten wird. Steht hier das Gehirn für die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung (=transzendental), so wäre es wichtig, dass durch die Erfahrung (Empirismus) immer wieder die Bedingungen der Erfahrung remodelliert werden können. Der von Hüther geforderte Ausbruch aus den bisherigen Bahnen unseres Denkens, Fühlens und Handelns ist eng mit dem Sinn und der Funktion der neuroendokrinen Stressreaktion verbunden. Sie zeigt auf, dass die entscheidenden Veränderungen auf der transzendentalen Ebene (hier im Vergleich: auf der Ebene der Verschaltungen im Gehirn) geschehen; diese Veränderungen kommen aber nur durch die Aufmerksamkeit auf die Erfahrung und das Sich-Affizieren-lassen durch Veränderungen in der Aussenwelt in Gang, die Angst erzeugen. Die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrungen werden retroaktiv im Laufe der sich einstellenden Erfahrungen durch eben diese Erfahrungen remodelliert. Kant nicht und erst recht nicht Deleuze würden sich meiner Meinung nach im Grabe umdrehen, wenn sie hörten, was das Gehirn nach neuesten Forschungen alles kann. Es arbeitet gemäss ihren erkenntnistheoretischen Visionen. Goran Grubacevic, Philosoph PARTicipation 06.08 13 Vermischtes Die Angst des Theologen vor dem Bohrer Nein, ich habe keine Angst vor dem Bohrer. Im Gegenteil, mich fasziniert die Technik – auch wenn ich das pfeifende Geräusch des Bohrers hasse. Angst habe ich vielmehr vor dem Zahnarzt: Hat er einen guten Tag? Zittert seine Hand? Ist er bei der Sache? Ist er seiner Sache sicher? Wie reagiert er auf meinen Mundgeruch? Bohrt er gegen die Konkurrenz? Die Fragen lassen sich beliebig vermehren. Er wirkt souverän, ruhig. Aber was sehe ich schon. Seine Augen, den konzentrierten Blick … Ich schätze die Professionalität meines Zahnarztes. Sachlich wird mir erklärt, was mit meinen Zähnen los ist, welche Behandlung sich aufdrängt, was wünschenswert wäre, was sich auch noch tun liesse. Schön ist es immer, wenn es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten gibt, wenn denn schon eine Behandlung sein muss. Hart indes ist es, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt und ein Zahn gezogen werden muss. Es handelt sich in meinem Alter ja nicht mehr um einen Milchzahn. In solchen Momenten wird mir meine Endlichkeit und Sterblichkeit drastisch bewusst: Da wächst nichts mehr nach. Das ist unwiederbringbar vorbei. Gewiss, es ist «nur» ein Zahn. Aber dieser Zahn hat eine Geschichte. Er hat mich bis jetzt begleitet und mir sehr gute Dienste geleistet. Nicht nur beim Zerkleinern der Nahrung – ich habe auf ihn gebissen bei Schmerzen oder wenn mich etwas geärgert hat, er hat mir das Sprechen erleichtert usw. Wie sehr er zu mir gehört, merke ich jetzt, wo er schmerzt. Vorher war er einfach da und hat seine Arbeit so gut geleistet, dass ich ihn nicht wahrgenommen habe. Und jetzt? Zwar ist der medizinische Befund eindeutig, die Diagnose klar – und mein Kopf sagt mir, dass es richtig ist. Aber mein Herz hat wieder einmal Schwierigkeiten mit der Logik. Es sagt irgendwie noch nicht ja. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht mir nicht um die Verklärung des Schmerzes und schon gar nicht von Schmerzen, deren Ursache bekannt und die deshalb behoben werden können. Es geht mir vielmehr darum, dass der Schmerz auch ein sozialer ist, und er je nach Kultur einen ganz anderen Stellenwert hat. Schmerzen lassen sich leichter aushalten, wenn sie innerhalb eines bestimmten Deutungssystems Sinn haben. Wenn schon Zähne eine Geschichte haben, dann haben auch die Schmerzen teil an dieser Geschichte. Es gibt daher nicht den Schmerz an sich, sondern nur den Schmerz innerhalb einer bestimmten Geschichte. Eine Schmerzbekämpfung, die sich auf die physischen Ursachen des Schmerzes konzentriert, kann zwar sehr wirkungsvoll sein, aber vielleicht wäre sie noch effektiver, wenn das jeweilige Deutungssystem des Patienten unterstützend in die Behandlung miteinbezogen würde. Frage ist nur, ob genug Zeit und genug Interesse dafür da ist. Und da wäre ich wieder beim Zahnarzt. Soll er sich wirklich in meine private Geschichte einmischen? Ich glaube, dass er es tut und tun muss. Ich gehe ja nicht als Gebiss zum Zahnarzt. Mein Mund, meine Mundhöhle, mein Gebiss, sie alle tragen eine private Handschrift und sie gehören zu meiner Persönlichkeit. Ich bin auch alles andere als ein Zusammensetzspiel oder Ersatzteilhaufen. Ich weiss zwar um den Wert einer Prothese, aber eben nur insofern, als meine Persönlichkeit, meine Ganzheit und Integrität, dabei gewahrt wird. Ein Zahn ist ein Zahn, aber der Zahn ist Bestandteil meiner Persönlichkeit. Es kommt darauf an, diese Feinheiten des Ganzen lesen zu lernen. Das ist der Punkt, wo ich mit meinem Zahnarzt auf gleicher Ebene und auf gleicher Augenhöhe stehe: Ich vertraue, dass er fachlich kompetent ist. Da ist er mir weit überlegen. Und das ist gut so. Aber: Ob ich mit Respekt behandelt werde oder nicht, ob ich meinem Zahnarzt mit Respekt begegne oder nicht, das verrät die Sprache. Wer über und vom Schmerz spricht, spricht meist in Bildern oder Metaphern. Weshalb, so frage ich mich, wird bei Schmerzen meist die Sprache des Krieges gebraucht, da wimmelt es nur so von Kampfplätzen – und das wirkt sich wiederum auf die Professionalität aus. Wenn Zahnärzte von einem Genickschuss sprechen, dann meinen sie mit Sicherheit nicht dasselbe wie Obristen, die ihre Rekruten schulen. Aber Redeweisen legen offen. Sie verraten. Deshalb: Die Angst vor dem Bohrer ist beschränkt. Die Angst vor dem Zahnarzt aber lässt sich so einfach nicht beschränken. Was aber hat all das mit dem Theologie zu tun? Um es kurz zu machen: Eine Zahnbehandlung dient dem Wohl des ganzen Menschen. Biblisch wird dieses Wohl mit Schalom umschrieben. Es ist ein Wohl, das die Ganzheit und Integrität, die sozialen Bezüge usw. einer Person und einer Gemeinschaft umfasst. An diesem Wohl mitzuwirken, scheint mir auch eine der vornehmen Aufgaben des Zahnarztes zu sein. Hanspeter Ernst PARTicipation 06.08 15 Schwerpunktthema Buchbesprechung: «Welchen Sinn macht Depression» Depression» Daniel Hell 2. Auflage 2007 ISBN 978 3 499 62016 4 250 S., 19 Tabellen Rowohlt Taschenbuch Verlag Hamburg Die Publikation des Universitätsprofessors und Klinikdirektors an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich nennt sich «Ein integrativer Ansatz» und gilt als ein Standardwerk, welches in der vorliegenden 2. Auflage vom Autor aktualisiert wurde. Es gliedert sich in 6 Teile, welche ein zusammenhängendes Bild der Depression und ihrer Behandlung vermitteln. In seiner allgemein verständlichen Sprache ist das Buch auch für uns Zahnmediziner eine grosse Hilfe, dem depressiven Patienten mit der adäquaten ärztlichen Haltung und Zuwendung zu begegnen. Die orale Gesundheit kann ja letztlich nur durch die Eigenleistung des Patienten aufrechterhalten werden. Und gerade diese ist in der Depression gefährdet oder gar ganz aufgehoben. Schon in Vorwort und Einleitung betont der Autor, dass er die Depression nicht «ins Reich des Bösen» verweisen oder als Mangel, Defizit oder Defekt abtun möchte. Vielmehr sieht er sie als einen defensiven Anpassungsprozess auf Belastungssituationen und stellt sie in einen Sinn machenden, integrativen Zusammenhang mit psychologischen, sozialen, evolutions- und neurobiologischen Vorgängen. Auch wenn die Depression den Charakter einer Störung und in schweren Fällen auch Krankheitswert hat, so möchte Hell ihre Abwehr, Signal- oder Schutzfunktion und ihre Bedeutung und Prognose im Lichte des persönlichen und gemeinschaftlichen Umgangs mit psychischem Schmerz herausarbeiten. Er stellt also nicht nur die Frage nach dem «Warum», etwa nach veränderten Hirnleistungen oder schädlichen Kindheitsverhältnissen, sondern besonders nach dem «Wozu» der Depression. Diese «finale» Sichtweise soll einen Zusammenhang im Wesen dieser oft im Verborgenen ablaufenden Leidensformen erschliessen. Der Autor will die Depression weniger als Fehler sehen, sondern mehr als eine Möglichkeit, auf eine bedrohliche Problematik zu reagieren und sogar eine Botschaft zu vermitteln. Der Suche nach dem Wesen der Depression und nach der Abgrenzung von gesund und krank ist Teil 1 gewidmet. Hell geht zurück bis zu den alten Griechen: Die Not eines depressiven Menschen, welcher «allei16 PARTicipation 06.08 ne durchs Gelände Aleion schweift» wurde schon in der «Ilias» geschildert, und in den «Hippokratischen Schriften» wird als melancholischer Zustand beschrieben, wenn «Angst und Traurigkeit lange anhalten». Der Begriff «Melancholie» (Schwarzgalligkeit) hiess dann im Mittelalter «Akedia» (Trägheit) und wurde erst in der Neuzeit mit «Depression» (Niedergeschlagenheit) benannt. Dieses Phänomen scheint nach Hell also zum Menschsein generell zu gehören. Dies zeige sich auch darin, dass depressives Erleben in verschiedenen Kulturräumen zwar verschiedene Formen annimmt, aber überall bei einem guten Drittel der Bevölkerung zu beobachten ist. Dabei gibt es einen kontinuierlichen Übergang von alltäglicher Deprimiertheit zu leichteren und schliesslich zu schwereren depressiven Verstimmung. Zur wissenschaftlichen Erfassung des Phänomens der Depression schlägt der Autor einen «analogen» und einen «digitalen» Weg vor. Depressives Erleben kann in Analogie zu erfahrbaren Geschehnissen und Bildern gebracht werden, wie etwa die «Schwere einer Last, die man auf den Schultern spürt». Die digitale Methode fragt erkrankte Menschen gezielt nach bestimmten Eigenschaften, um etwa Bedrücktheit, Ermüdbarkeit, Interesseverlust, vermindertes Selbstwertgefühl, Schlafstörungen oder Suizidgedanken aufzulisten. Solche Leitsymptome finden sich auch in den «Diagnostischen Leitlinien der depressiven Episode» nach WHO. Die zahlreichen Klassifizierungsversuche der Vergangenheit werden vom Autor dargestellt, aber er zeigt die Depression mehr als ein Kontinuum. Auch die WHO unterteilt die depressiven Episoden heute nur noch aufgrund ihres Schweregrades und ihres einmaligen oder rezidivierenden Verlaufs. Hell unterscheidet schwermütige, endogene, melancholische Formen von leichteren «schwernehmerischen» Ausprägungen der Depression. Da heute gerade diese leichteren Formen zunehmend in Diagnostik und Behandlung kommen, scheint ein vermehrtes Auftreten der depressiven Störungen zu beobachten zu sein. In den Anfangszeiten der Psychiatrie gelangten eben nur die schwersten, gehemmt und manisch depressiven Störungen im geschlossenen Anstaltswesen zur Erfassung. Teil 2 befasst sich mit den Psychologischen Phänomenen der Depression. Am auffälligsten ist das «Paradox von Denkhemmung und Grübelzwang». Es ist dies ein Zwang, denken zu müssen, ohne denken zu können. Die Patienten fühlen sich verunsichert, innerlich leer und doch unruhig. Sie empfinden nicht mehr wie früher, haben an nichts mehr Freude und das Gedächtnis lässt sie im Stich, was wiederum Angst und Spannung verursacht. Ein weiteres Phänomen ist das veränderte Körper- und Raumerleben, eine Schwere und Erstarrung, sowie ein sich eingeschlossen Fühlen. Der eigene Körper scheint zu blosser unbeseelter Materie zu werden. Parallel dazu erscheint auch das Zeiterleben gehemmt und verlangsamt. Depressive Menschen befassen sich mit dem weit Zurückliegenden. Die Vergangenheit scheint sie subjektiv einzuholen. Der Fluss der Zeit ist angehalten, eine Zukunft gibt es kaum mehr. Die sprudelnde Lebensfreude der andern zeigt dem Depressiven seinen eigenen Selbstwertverlust. Er fühlt sich stets den Blicken anderer ausgesetzt und sieht sein negatives Urteil über sich durch die andern bestätigt. Vor diesen Selbstvorwürfen und vor der Selbstentfremdung sucht er sich durch Isolation und existentielle Leere zu schützen. Nicht identisch mit der Depression ist nach Hell hingegen die neurotische Persönlichkeitsstruktur, die ebenfalls die Phänomene der Selbstabwertung und Verletzlichkeit zeigt und das Auftreten depressiver Episoden ebenfalls fördern kann. Die zwischenmenschlich kommunikative Seite der Depression wird in Teil 3 dargestellt. Die Dynamik der Depression beeinflusst die unmittelbaren Sozialpartner und die Beziehungspartner von Depressiven sowie ihre Kommunikationsstruktur. Der Autor schildert anhand klinischer Bespiele und Experimente, wie Gesprächspartner von Depressiven verunsichert werden und selbst eine Leere und Sinnlosigkeit empfinden, da sie auf ihre Bemühungen zum Helfen kein Echo erhalten. Depressive ziehen sich zurück und blicken ihre Gesprächspartner nicht an, so dass diese wiederum auf der Suche nach einem «Du» ins Leere fallen und nur ein «Es» und dadurch in sich selbst kein «Ich» finden. Therapeuten und Ärzte zeigen oft Schwerpunktthema Depression Depression Depression eine gebückte Körper- und Kopfhaltung beim Gespräch mit den Patienten und vermeiden so unbewusst eine «falsche» Bewegung und den offenen Blickkontakt. Diese nonverbale Körpersprache geht der bewussten verbalen Annäherung stets voraus. Pflegepersonen eignen sich zudem oft eine professionelle Distanz zu den Patienten an, um nicht selbst ins Gefühl der Bodenlosigkeit zu tappen. Beziehungspartner anderseits werden vom Reiz depressiver Symptome sehr stark berührt. Die Erstarrung und Versteinerung können als verzweifelte Hilflosigkeit einen Appellationscharakter haben und Mitgefühl und Anteilnahme provozieren. Gleichzeitig können sie aber auch feindselig wirken und dadurch beim Partner Enttäuschung, Ärger, Spannungen, Stress und Verunsicherungen verursachen. Die Partner müssen oft noch die familiären Pflichten des/der Erkrankten übernehmen, was zu einer neuen Rollenverteilung und sozialem Stress führen kann. Hell zeigt denn auch, dass gerade Ehepaare mit fest gefügter Rollenver- teilung der depressiven Eigendynamik stärker ausgeliefert sind als Paare in offeneren und flexibleren Partnerschaften. Der Kommunikationsstil depressiver Paare wird stockend, kontrolliert und selbst bezogen, bleibt mit Drittpersonen aber oft noch normal. Hell wertet den depressiven Kommunikationsstil als heimliche Beziehungsbremse, als einen Halt des Abstandnehmens und als eine Regulierung im Sinn der Systemerhaltung. In den meisten Fällen würden dadurch die Paarbindungen schlussendlich gefestigt. Teil 4 behandelt die Biologie der Depression. Es wird hervorgehoben, dass die frühere Hypothese einer einfachen, isolierten biochemischen Ursache, etwa eines Mangels an Serotonin, nicht mehr haltbar ist. Vielmehr stehen heute die komplexen Regelkreise, die Selbstorganisations- und Adaptationsprozesse im Vordergrund, die sich mit verschiedenen Neurotransmittern, mit Stresshormonen, erblichen Anlagen, Gehirnentwicklung, Nerven- bahnen und Hirnarealen abspielen. Hell zeigt, wie Belastungssituationen über die hormonelle Stressachse zu einem Aktivitätsmuster derjenigen Hirnareale führen, welche das Verhalten steuern. Bei lange dauernder psychischer Überlastung wird der anfängliche Adrenalinschub heruntergefahren und über die Stressachse wird Kortisol produziert. Dieses löst eine verstärkte Serotonin Synthese aus, um den Energiehaushalt und die Belastung zu kontrollieren. Nach längerer Zeit kommt es aber zu einer Erschöpfung der Serotonin Synthese, wodurch Angst und Aggressivität zunehmen. Normalerweise reguliert sich der erhöhte Kortisolspiegel selbst. Misslingt dies, kommt es zu einer Überflutung der StressKaskade mit Kortisol und über die Rückkoppelung über die Hypophyse, Hypothalamus, Amygdala und Hippocampus zum Bild der Depression. Dies scheint einerseits infolge vergangener oder gegenwärtiger überfordernder Lebenssituationen einzutreten, anderseits können die zentralen Steuerungsvorgänge auch genetisch abgeschwächt sein (kurze Variante des 5-HTT-Transporterprotein-Gens). Die gleichzeitige Hemmung der dopaminergen Systeme führt zu psychomotorischer Antriebsschwächung und Motivationsverlust. Im depressiven Zustand ist das limbische System überaktiv. Höhere Zentren, etwa der präfrontale Kortex suchen diese Reaktionsweise zu kontrollieren und zu kompensieren, was sich in psychomotorischer Unruhe und Gedankenkreisen äussern kann. Die Regulationsmöglichkeit der Rindenzentren kann aber auch überfordert werden, woraus ein Aktivitätsverlust resultiert. Die Areale des präfrontalen Kortex sind auch beim Planen, Auslösen und Durchführen von Gedanken und Handlungen von Bedeutung. Schwere Depressionen sind deshalb mit Apathie und psychomotorischer Verlangsamung verbunden. Die typischen Schlafstörungen der Depressionskranken führt Hell auf eine Störung der tageszeitlichen Periodizität von Neurotransmittern und ihren Rezeptoren zurück. Er empfiehlt den zu Depressionen neigenden Menschen deshalb einen möglichst geregelten Lebensrhythmus. PARTicipation 06.08 1 Schwerpunktthema Bedrohungen nicht abfedern. Solche Individuen reagieren schnell hilflos und apathisch und zeigen Rückzugstendenzen, Bewegungsarmut und neurotische Persönlichkeitsstrukturen. urzeitlichen Säugetierstufe liegt darüber das limbische System als Sitz der vorsprachlichen Grundgefühle und Affekte wie etwa Angst, Wut, Trauer oder Freude. Es wird umschlossen von den beiden hemisphärenartigen Schalen des Grosshirns, dessen Rinde für höhere affektiv-kognitive Leistungen, Denken und Sprechen sowie die Differenzierung und Bearbeitung der Emotionen zuständig ist. Dieses kognitive System erlaubt es, die Grundgefühle als etwas Eigenes wahrzunehmen, womit Denken und Fühlen sich in einer sozial-kommunikativen Ebene verbinden. Diese Selbstwahrnehmung und Selbstbestimmung eröffnet den menschlichen Denk- und Handlungsspielraum und die biologischen Triebe erhalten einen kulturellen Überbau in der Gemeinschaftsbildung. Damit sind im Misserfolgsfall aber Schuldgefühle und Selbstvorwürfe persönlichkeitsabhängig verbunden und bilden den Rahmen für die Depression. Im Teil 5 führt der Autor diese bis dahin geschilderten Ebenen in einem integrativen Modell zu einem organisatorischen Ganzen zusammen: Das depressive Geschehen erklärt sich als sinnvoller Anpassungs- und Reparationsversuch einer Person und ihres Organismus auf eine längere Belastungssituation. Es geht um die Selbstorganisation der Gefühlswelt im Bemühen, in der Umwelt zu bestehen. Hell bezeichnet Gefühle als «sprachlose Meinungen», als ein Bewertungssystem für die verschiedenen Reize und als erlebte Zustände mit dem Zweck, das Verhalten sinnvoll zu organisieren und zu improvisieren. Die Emotion entsteht lange vor ihrer gedanklichen oder sprachlichen Erfassung. Der älteste Hirnteil, das Stamm und Zwischenhirn, regelt automatische Reflexe und Instinkte wie Puls, Atmung, Hunger und Durst. Seit der 18 PARTicipation 06.08 Die Grundgefühle des limbischen Systems beeinflussen also über das Stammhirn die innere, vegetative Regulation des Organismus und über den Neokortex die Anpassung an die äussere Umwelt. Im motorischen, vorsprachlichen Ausdruck wird das Grundgefühl, etwa die Traurigkeit, als Überaktivität des limbischen Systems erkennbar wiedergegeben. Die Bahnen vom limbischen System zum Neokortex und zurück sind in ihrer Funktion von Serotonin abhängig. Bei erschöpfter Serotonin Produktion können die Grundgefühle durch die höheren Hirnzentren zwar noch wahrgenommen, aber nicht mehr rückkoppelnd reguliert werden. Dies kann genetisch bedingt eintreten, oder wenn extreme Belastungs- und Schmerzsituationen sowie zwiespältige menschliche Bindungen in der Kindheit eine erhöhte Anzahl von Kortisolrezeptoren und geschwächte Rezeptoren für Corticotropinreleasing Hormone hinterlassen haben. Die Stressachse kann dann später Der Verlust von Bindungspersonen oder Lebenszielen wird vom Menschen als eine massive Bedrohung empfunden und gehört zu den stärksten Reizen zur Auslösung von Trauerprozessen. Diese nehmen als Betäubung, Verzweiflung und Leere meist etwa ein Jahr in Anspruch. Erst darnach ist eine Neuorientierung möglich. Die Depression kann diesen Ablauf blockieren. Im Tierversuch konnten die hemmenden motorischen Auswirkungen des limbischen Systems bei Bedrohungen analog der Reaktion beim Menschen als unterwürfiger Appell an die Gruppentiere nachgewiesen werden. In der menschlichen Depression sieht Hell zusätzlich einen Halt, eine Bremse oder einen Stillstand, um in einer nicht mehr kontrollierbaren Situation dem aussichtslosen Kampf, einer voreiligen Kurzschlusshandlung, einem Amoklauf oder der Selbstzerstörung zu entgehen. Die totale Erstarrung, welche man bei schweren Depressionen findet, zeigt sich ebenfalls im Tierreich beim «Totstellreflex» in ausweglosen Situationen. Das menschliche Gehirn verfügt aber mit dem Neokortex über ein leistungsfähiges System, welches eine bewusste Modulation der limbischen Grundgefühle ermöglicht. Damit kann die Trauer entweder abgeschwächt und schliesslich durch Neuorientierung aufgelöst, oder aber durch ein kortikales Depressionsgeschehen überlagert und verstärkt werden. Bei Störungen der kortikalen Hirnleistungen (geistige Behinderungen, Demenzen) laufen dementsprechend nur die limbischen Grundgefühle ab. Teil 6 widmet sich nun der Therapie, die dem integrativen Depressionsmodell gerecht wird. Obwohl Depressionen in der Regel Durchgangsstadien darstellen, liegen doch auch erhebliche Gefahren darin. Der Schutzversuch kann misslingen und zu suizidaler Verzweiflung und unerträglichem, chronischem Leidensdruck führen. Es besteht also ein Behandlungsbedarf. Der Therapeut soll das Rückzugsverhalten und die Entfremdung als ein biologisch verankertes Reaktionsmuster verstehen und mit geduldiger Anteilnahme angehen. Die Behandlung bekämpft nicht die biosoziale Reaktionsweise als solche, sondern ihren dysfunktionalen Ablauf. Diesem entsprechend können in verschiedenen Phasen verschiedene Verfahren, somatisch-medizinische, psychologische und soziologische eingesetzt werden. Der Autor präsentiert seine Reihenfolge der therapeutischen Massnahmen bei schweren Depressionen: 1. Entlastung und Symptomlinderung mit medizinisch-biologischen Massnahmen (Antidepressiva) für etwa ein halbes Jahr. Depression 2. Schrittweise Aktivierung mit Psychotherapie (A ktivierungstherapien, kognitive Verhaltenstherapie, interpersonelle und psychoanalytisch orientierte Therapie) 3. Stärkung nicht depressiven Verhaltens und persönlicher Haltungen 4. Eigenverantwortliche Änderung depressionsförderlicher Lebensumstände Die anfängliche medikamentöse Therapie setzt an der biologischen Umstellung an. Die Antidepressiva unterscheiden sich in ihrer Wirkung auf die drei Neurotransmitter Noradrenalin, Serotonin und Dopamin (Monoamine). Depressionsformen, die mit Angststörungen oder Aggressionen verbunden sind, sprechen besonders gut auf Antidepressiva an, welche über Serotonin wirken. Die Nebenwirkungen bestehen in Abhängigkeit des Wirkungsmechanismus in Schwitzen, Herz-Kreislauf-Symptomen, Potenzstörungen, Magen-Darm-Beschwerden, Schlafstörungen, Übelkeit, Gewichtszunahme und Müdigkeit. Auf die für die Zahnmedizin wichtige Verminderung der Speichelproduktion geht das Buch leider nicht ein. Die heutigen Antidepressiva wurden in den 50er Jahren zufällig entdeckt und liegen in zwei grundsätzlichen Stoffgruppen vor (Imipramin und Iproniazid), welche zu einer Anreicherung der Monoamine in den Synapsen führen. Die anschliessenden Psychotherapien haben das Ziel, die Einstellung eines Menschen zu sich selbst zu verändern. Es ist ihnen gemeinsam, dass sie die Selbstabwertung depressiver Menschen mildern und die kompensatorische Selbstüberforderung beseitigen wollen. Die kognitive Psychotherapie versucht die Denkmuster des Patienten zu beeinflussen. Die interpersonelle Psychotherapie behandelt seine zwischenmenschliche Einstellung und die psychoanalytisch orientierte Therapie geht auf die lebensgeschichtlich entwickelten Haltungen wie Angst, Ärger und Enttäuschungen ein. Die Aktivierungstherapien beinhalten etwa Musik- Physio- und Ergotherapien. Bei Therapieresistenz diskutiert der Autor weitere biologische Möglichkeiten wie die medizinische Behandlung von somatischen oder psychiatrischen Begleiterkrankungen, Wechsel, Koordination oder höhere Dosierung des Antidepressivums, Beigabe von Lithium oder Schilddrüsenhormonen, Schlafentzug und Lichttherapien oder Elektrokrampfbehandlungen. Weiter kommen Klinikaufenthalte als Milieuveränderung sowie Paar- und Familientherapien zum Einsatz. Stationäre Behandlungen mit dem Vorteil der klinischen Bündelung der verschiedenen Massnahmen empfiehlt Hell nur bei drohender Suizidgefahr oder Überlastung der Angehörigen. Abschliessend möchte ich den Autor zitieren mit einer Empfehlung, die er für den Schwerpunktthema Umgang mit depressiven Menschen abgibt: «Feindselige Reaktionen wie auch Appelle an den Willen wirken sich auf schwer depressive Menschen belastend aus, ebenso wie gut gemeinte, aber unechte Trostworte oder allzu deutliche Mitleidsbekundungen. Wichtig ist, dass die depressiv Erkrankten verlässliche Zuwendung bekommen, auch wenn sie völlig gleichgültig oder ablehnend darauf reagieren.» Um die orale Prävention und die dentale Kooperation depressiver Patienten nicht zu verlieren, wäre dieser Ratschlag auch von uns wohl zu befolgen. W. Baumgartner Prof. Dr. Daniel Hell *18. Juli 1944 1971 Med. Staatsexamen in Zürich Promotion zum Dr. med. Assistenzarzt u.a. bei Prof. A. Uchtenhagen, Prof. Battegay, Prof. Ernst 1991 Ord. Professor für klinische Psychiatrie an der Universität Zürich Seit 1991 Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) Buchautor: neben dem besprochenen Buch Seelenhunger – der fühlende Mensch und die Wissenschaft vom Leben. Hans Huber Verlag Bern, 2. Auflage 2003 Aufschwung für die Seele. Wege innerer Befreiung. Verlag Herder Freiburg i. Br., 6. Auflage 2006 Die Sprache der Seele verstehen – die Wüstenväter als Therapeuten. Herder-Verlag Freiburg i. Br., 7. Auflage 2006 Leben als Geschenk und Antwort. Weisheiten der Wüstenväter. Herder-Verlag Freiburg i. Br., 2005 Arbeitsgebiete/Schwerpunkte in Forschung und Lehre • Sterbehilfe • Zwangsmassnahmen in der Medizin • Ethik und Psychiatrie/Psychologie • Ethische essentials, z.B. Autonomiefrage Die Erforschung der Depression führte Daniel Hell zu den Wüstenvätern. «In der Art, wie diese Eremiten mit der spirituellen oder depressiven Blockade umgingen, nahmen sie bereits Freuds Theorie und die gesamte kognitive Psychotherapie vorweg» Ab Januar 2009, nach seiner Pensionierung, wird er in der Privatklinik Hohenegg, weiterwirken. St.G. PARTicipation 06.08 19 Schwerpunktthema Prägraduale Ausbildung in der mobilen Zahnklinik Oswald J, Sauter M, Nitschke I Die Ausbildung in der Gerostomatologie sieht an der Universität Zürich unter anderem auch vor, dass die Studierenden am Ende ihres 4. Studienjahrs in der mobilen Zahnklinik, dem mobiDent™, hospitieren. Das mobiDent™ ist ein Projekt des Vereins zur Förderung der Alters- und Behindertenzahnmedizin, altaDent, und der Klinik für Alters- und Behindertenzahnmedizin der Universität Zürich. Vor 11 Jahren ist die Idee einer mobilen Zahnklinik entstanden und realisiert worden. Seit einigen Jahren ist sie mittlerweile zu einem wichtigen Bestandteil der studentischen Ausbildung in Zürich geworden und erfreut sich einer grossen Beliebtheit innerhalb der Studentenschaft. Auch die Pflegeeinrichtungen im Kanton Zürich zeigen zunehmend Interesse an diesem Projekt und nutzen das Angebot des mobiDent™. Im Jahr 2007 haben zwei Pflegeeinrichtungen die Gelegenheit genutzt und bei ihrer Inbetriebnahme das mobiDent™ von Anfang an in den festen Jahresplan eingebaut. Mittlerweile werden 16 Alters-, Pflege- und Behindertenheime regelmässig von der mobilen Zahnklinik besucht. Nach Anmeldung der Patienten seitens der Institutionen wird der zeitliche Ablauf geplant. Für einen mobiDent™ Einsatz werden pro Heim zwei aufeinanderfolgende Tage benötigt. Am ersten Tag trifft sich das mobiDent™ Team (Abb.1), bestehend aus zwei bis drei Zahnärzten, einer Dentalassistentin und vier Zahnmedizinstudenten im letzten Ausbildungsjahr, zur gemeinsamen Abfahrt. Bei Ankunft im Heim baut das Team innerhalb einer Stunde die mobile Zahnklinik auf (Abb. 2), die im Lastwagen transportiert wird (Abb. 3). Diese besteht aus drei Behandlungsstühlen mit dazugehöriger Einheit, einem mobilen Röntgengerät, zwei Geräten zur Sterilisation vor Ort, einem Administrationsbereich sowie zahnärztlichem Instrumentarium und diversen Verbrauchsmaterialien (Abb. 4). Die Studierenden packen dabei richtig kräftig mit an und sind oft verwundert wie schnell aus einem Fernseh-Zimmer ein gut ausgestatteter zahnärztlicher Behandlungsraum wird. Jetzt kann der Studierende seinen ersten Patienten untersuchen und die Therapie mit dem Assistenzarzt besprechen. Gemeinsam werden dann die 20 PARTicipation 06.08 Patienten ihrer Gebrechlichkeit entsprechend behandelt (Abb. 5). Wenn möglich, wird in jedem Fall ein Befund erhoben und eine Zahn- und/oder Prothesenreinigung durchgeführt. Zum weiteren Behandlungsspektrum zählen konservierende Massnahmen, Zahnextraktionen und prothetische Nachsorgen. Sind Unterfütterungen oder Umbauten von Prothesen notwendig, so stehen externe Zahntechniker in der jeweiligen Umgebung des Heimes zur Verfügung. Für die Studierenden bedeutet ihr Einsatz im mobiDent™, dass sie gefordert sind, ganz praxisnah Entscheidungen zu treffen, diese mit einem Assistenzzahnarzt zu besprechen und dann auch zu sehen, ob die Therapieentscheidung sich umsetzen lässt. Der Unterschied zwischen dem objektiven theoretischen und dem objektiven relativierten Behandlungsbedarf, der bis dahin nur in den Vorlesungen abgehandelt wurde, erfüllt sich nun mit Leben und wird dadurch praktisch jedem Studierenden vor Augen geführt. Da ein Einsatz meistens zwei Tage in Anspruch nimmt, bleiben die Geräte über Nacht vor Ort und werden erst nach Beendigung der Behandlungen am zweiten Tag vom Team wieder abgebaut. Die logistische Struktur, die über die Jahre im mobiDent™ entwickelt wurde, ist für die Studierenden nun transparent, da sie für zwei Einsätze Teil dieser Struktur sein konnten. Der Studierende lernt, dass das mobiDent™ sowohl Vorteile für die Heimbewohner als auch für die Institutionen selbst bietet. Die Behandlung findet in vertrauter Umgebung und meist in Anwesenheit von Bezugspersonen statt. Dies trägt dazu bei, dass eventuelle Ängste reduziert werden. Seitens der Heime entfallen aufwändige Transport- und Begleitkosten. Ausserdem ist der Informationsaustausch zwischen Zahnarzt und Pflegepersonal beschleunigt und daher erleichtert. Somit sammeln die Studierenden während ihrer Hospitationszeit nicht nur die Erfahrung, Therapieentscheidungen praktisch umzusetzen, sondern bekommen auch einen Eindruck wie mobile Zahnmedizin funktionieren kann. Die Hemmschwelle, in einer Pflegeeinrichtung zahnärztlich tätig zu werden, wird durch die Erfahrungen bei der Hospitation im mobiDent™ geringer. Auch können erste Kenntnisse gesammelt werden, was wirklich notwendig ist, um sich mobil auszustatten. Die meisten Studierenden beurteilen die Hospitation mit der praktischen Tätigkeit positiv und haben ihre Eindrücke in Tabelle 1 beschrieben. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Integration einer Hospitation für die Studierenden in den Tagesablauf der mobilen Zahnklinik erfolgreich stattgefunden hat. Diese Hospitation mit ihren praktischen Aspekten rundet neben der theoretischen Ausbildung, der Hospitation in der Klinik für Alters- und Behindertenzahnmedizin sowie der im WaidSpital als dritter Hospitationsort die prägraduale Ausbildung im Bereich der Seniorenzahnmedizin an der Universität Zürich ab. Adresse: Klinik für Kaufunktionsstörungen, abnehmbare Rekonstruktionen, Alters- und Behindertenzahnmedizin Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Plattenstrasse 11, CH-8032 Zürich Schwerpunktthema Tabelle 1: Eindrücke der Studierenden des 5. Studienjahres aus der Hospitation im mobiDent™ Positive Eindrücke • Zahnmedizinische Tätigkeit ausüben, fernab vom Studentenkurs • Sieht die Realität der Mundhygiene in solchen Heimen, mangelnde Pflege • Es war immer ein tolles Erlebnis mit einem aufgestellten KAB-Team! • Praktisch zahnmedizinisch tätig sein • Herantasten und unter Aufsicht «behandeln dürfen» bei kranken und dementen Patienten • Einblick, wie die Pflege von alten Menschen in unserem Land organisiert ist • Toller Tag zusammen mit aufgestellten Leuten • Abschätzen, was ist unbedingt nötig, was kann man bleiben lassen, was in der Praxis unbedingt behandelt werden musste • Arrangieren eines Arbeitsfeldes in kurzer Zeit • Kennenlernen einer gut funktionierenden, mobilen Zahnarzt-Einsatzes • Selbständiges zügiges Arbeiten • Arbeiten die man sonst nicht zwingenderweise macht • Mit Ass/OA zusammen behandeln können: Unterfütterung Füllungen an 6 Zähnen Arbeiten mit behinderten/dementen Patienten Extraktionen von Wurzelresten und Zähnen an einem Patienten • Möglichkeit der praktischen Tätigkeit unter realen Bedingungen • Erkennen der Schwierigkeiten in der Behandlungsplanung bei grosser Diskrepanz zwischen der subjektiven Zufriedenheit der Patienten und dem objektiven Behandlungsbedarf Negative Eindrücke • Apparaturen nicht immer optimal für anfallende Behandlungen • Equipement: Sauger saugte schwach, Patienten-Stuhl kippt wenn man an Hebel kommt, mangelhaftes Licht • Alles sehr aufwändig • Zustand von oraler Gesundheit von palliativen Patienten war z. T. sehr belastend • Ein Tag an der Uni verpasst – mühsames Nachholen und Organisieren Abb. 2: Ausladen des Lastwagens für den Aufbau, alle Teammitglieder packen mit an. Abb. 5: Behandlung eines Patienten im Sozialraum der Pflegeeinrichtung. Abb.1: Das mobiDent™Team mit der Leiterin des mobiDent™ Dr. Marion Sauter (Klinik für Alters und Behindertenzahnmedizin KAB) (von rechts), vier Studierende, Zahnarzt Jochen Oswald (KAB), Dentalassistentin Jeannine Baumann (KAB), Besucherin Zahnärztin Manuela Laass. Abb. 3: Im mobiDent™Lastwagen wird die gesamte Ausstattung der mobilen Zahnklinik zu den Einrichtungen transportiert. Abb. 4: Aufbau beendet, 3 Behandlungsstühle stehen den Studierenden und den Assistenzzahnärzten zur Verfügung. PARTicipation 06.08 21 >]g egd[Zhh^dcZaaZg EVgicZg ;zG 9>: L>G@H6B: 8=:B>H8=: EA6FJ:@DCIGDAA: 8JG6H:EI 69H 8]adg]Zm^Y^c"BjcYheajc\ 8JG6H:EI 69H 8]adg]Zm^Y^c <Za"OV]ceVhiZc B^i 8JG6H:EI 69H `Vcc Y^Z EaVfjZW^aYjc\ ZghibVah d]cZ CZWZcl^g`jc" \Zc \Z]Zbbi lZgYZc# 9^ZhZ 8]adg]Zm^Y^c"BjcYheajc\ ^hi ^c YgZ^ VW\Z" hij[iZc jcY \ZWgVjX]h[Zgi^\Zc Ahjc\Zc Zg]~aia^X]# HAH HdY^jb"AVjgna"Hjae]ViZ^cV`i^k^Zgi Y^Z 9Zedil^g`jc\ kdc 8]adg]Zm^" Y^cZ 9^\ajXdcViZ# 6jh Y^ZhZb <gjcY l^gY WZ^ KZglZcYjc\ kdc 8=M"BjcY" heajc\Zc YZg <ZWgVjX] Z^cZg HAH"[gZ^Zc OV]ceVhiV dYZg Z^cZh OV]c\Zah Zbe[d]aZc# @Z^cZ <ZhX]bVX`hkZg~cYZgjc\ Hd \ji l^Z `Z^cZ 7gVjckZg[~gWjc\ YZg O~]cZ 6a`d]da[gZ^Z ;dgbZa " `Z^c 7gZccZc YZg HX]aZ^b]~jiZ 6c\ZcZ]bZg <ZhX]bVX` =d]Z EVi^ZciZcV`oZeiVco 6aaZ 8JG6H:EI <Za"OV]ceVhiZc h^cY HAH"[gZ^ jcY WZh^ioZc Z^cZc G96 LZgi kdc XV# )%# 8JG6H:EI 69H ,%* ,*ba <Za"OV]ceVhiV b^i %#%* 8]adg]Zm^Y^cZ 9^\ajXdcViZ jcY ;ajdg^Y" eaVfjZ" ]ZbbZcY jcY gZb^cZgVa^h^ZgZcY# 8JG6H:EI 69H ''% '%% ba ;g Y^Z `jgooZ^i^\Z >ciZch^kVclZcYjc\# :ci]~ai %#'% 8]adg]Zm^Y^cZ 9^\" ajXdcViZ# 8JG6H:EI 69H ,&' ,*ba <Za"OV]ceVhiV b^i %#&' 8]adg]Zm^Y^cZ 9^\ajXdcViZ [g Y^Z kZga~c\ZgiZ 6clZcYjc\# 8JG6H:EI 69H '&' '%% ba ;g Y^Z kZga~c\ZgiZ 6clZcYjc\# :ci]~ai %#&' 8]adg]Zm^Y^cZ 9^\ajXdcViZ# 8JG6H:EI 69H (*% (% ba <^c\^kVa <Za b^i %#*% 8]adg]Zm^Y^cZ 9^\ajXdcViZ " hX]ioi OV]c[aZ^hX] jcY OV]c[aZ^hX]hVjb kdg jcY cVX] oV]c~goia^X]Zc :^c\g^[[Zc# 8JG6H:EI 69H '%* '%% ba ;g Y^Z AVc\oZ^i"6clZcYjc\ b^i \aZ^X]oZ^i^\Zg @Vg^Zheg~kZci^dc# :ci]~ai %#%* 8]adg]Zm^Y^cZ 9^\ajXdcViZ jcY %#%* ;ajdg^Y# Egd[^i^ZgZc H^Z kdc jchZgZb 6c\ZWdi 8JG6H:EI 69H BjcYheajc\ EgZ^h Zm`a# BlHi# 7ZhiZaabZc\Z 69H ''% '%%ba 69H '&' '%%ba \^Wi Zh ( 69H ,%* dYZg ,&' <Za"OV]ceVhiV | ,* ba ^b LZgi kdc ;g# ''#*% <G6I>H ;g# -#-% $ ;aVhX]Z 69H '%* '%%ba =Zgg 7Z^b @Vj[ kdc &' 8JG6H:EI 69H BjcYheajc\Zc | '%%ba ;gVj CVbZ EAO KdgcVbZ Dgi EgVm^h IZaZ[dc HigVhhZ :"bV^a ;Vm dYZg 8djedc Vc/ 8JG69:C HX]lZ^o 6< q 6baZ]chigVhhZ '' q +%&& @g^Zch q ;Vm %)& (&. )* .% q lll#XjgVYZc#X] Schwerpunktthema BIS(S) ZUM ENDE Special Care in der Zahnmedizin. 17. Jahrestagung der SGZBB. 15. Mai 2008 im Inselspital Bern, Auditorium Ettore Rossi Ludwig Hasler Diese morgendliche Stunde hat es in sich. Leibhaftig sind wir da, unsere Sinne schon wach. Die Vernunft aber reibt sich erst den Schlaf aus den Augen. Bis sie ihre volle Kontrollmacht erreicht, dauert es noch eine Weile. Die Frist will ich nutzen – für ein paar Überlegungen, die nicht schlackenlos auf Correctness achten. Der Schlaf der Vernunft gebiert ja nicht – wie bei Böcklin – lauter Ungeheuer, er macht auch manch heiterer Einsicht Platz. Gerade zum Thema «Special Care». Bis(s) zum Ende. Die Alten und ihre Zähne. Das Alter, eine Verlustgeschichte. Wobei der übelste Verlust nicht am Gebiss droht, nicht am Kniegelenk, an Muskelkraft. Prekärer ist der Verlust an Zeit. Die Zukunft schliesst. Richtig Alte haben nichts mehr vor. Deshalb nehmen sie sich so vieles vor: Walking-Kurs, schönere Zähne, mit dem Zug kreuz und quer durchs Land... Alles gut. Doch nichts wird gut. Das Alter, mit dem Sie sich berufshalber beschäftigen, hat – im Kern – ein Problem mit der Zeit. «Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding», singt die Marschallin im «Rosenkavalier». «Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie. Sie ist um uns herum, und sie ist in uns drinnen.» Die Zeit und das Alter. Nie zuvor ist die Zeit so aufdringlich da – weil bald keine Zeit mehr da sein wird. Die Zukunft schrumpft. Die Kräfte schwinden. Der berüchtigte Zahn der Zeit. Er nagt sogar an sich selbst. Da sind nun Sie gefragt, verehrte Profis der Special-Care-Zahnmedizin. Ihre Seniorenpatienten erwarten eine Behandlung, als hätten sie noch jede Menge vor sich. Als gäbe es – bis 100 und darüber hinaus – pausenlos zu beissen, zu kauen, zu verdauen. Ja, was denn? Wozu denn? Müssen meine Zähne unbedingt meinen Geist überleben? Billy Wilder, der grosse Regisseur, erzählte, als er grad 90 wurde, einen glänzend unkorrekten Witz: «Ein Mann geht zum Arzt. – Der Arzt: Was fehlt Ihnen? – Ich kann nicht mehr pinkeln. – Arzt: Wie alt sind Sie? – 90. – Dann haben Sie genug gepinkelt.» So dürfen nur 90-jährige selber reden. Jedenfalls nicht ihre Ärzte, nicht ihre Zahnärztinnen. Dann schon eher mit Artur Rubinstein, dem genialen Pianisten. Auf die Frage, wie er es schaffe, noch mit 85 so herausragende Konzerte hinzulegen, nannte er drei Gründe: 1. spiele er weniger Stücke – die Kunst, sich zu beschränken. 2. übe er diese wenigen Stücke umso intensiver – die Kunst zu optimieren. 3. spiele er langsame Sätze so langsam, dass dann die schnellen viel schneller wirkten, als er sie spielen könne – die Kunst, Schwächen zu kompensieren. Ein sagenhaftes Altersrezept: Weniger, dafür intensiver, Ausfälle listig überspielend. Liesse sich tel quel übertragen auf den Gebrauch des Gebisses: Weniger Zähne, die aber gezielt einsetzen; langsamer kauen, dafür den Geschmack der einzelnen Speise wahrnehmen. Genuss statt Tempo. Aus der Not eine Tugend machen. Aber das scheint ein Rezept für Pianisten zu bleiben. Die meisten Kunden im Seniorenalter suchen eher den Schein der Intaktheit. Worüber Sie nicht unglücklich sein werden. Die Dentalmedizin steckt ja ein bisschen in der Zwickmühle. Einerseits, lese ich, gibt es «Zahnärzte im Überfluss» (TA, 13. 2. 2008), seit die bilateralen Verträge in Kraft sind und Zahnärzte aus der EU hier beliebig praktizieren dürfen. Anderseits haben die Leute, dank Ihren Bemühungen, entsetzlich gesunde Zähne; um 90 Prozent soll Karies seit den 60er Jahren geschwunden sein. Und ein kariesfreies Gebiss braucht nicht Krone, nicht Wurzelbehandlung, nicht Implantat... Leicht brenzlig, die Situation. Anschwellende Konkurrenz & schrumpfendes Kundenvolumen. Hart am Worst Case. Übler dran sind nur noch die Kirchen: leere Gotteshäuser & jede Menge esoterische Konkurrenz. Was ist in so einem Krisenfall zu tun? Ganz einfach: Man sucht neue Geschäftsfelder – und findet: 1. Dentalästhetik, 2. Special Care. Natürlich sind alte Leute mit Zahnproblemen real. Die erfinden Sie nicht. Sie nehmen sich ihrer Probleme an, edel. Probleme gehören zum Erdenleben. Wann aber ein Problem «normal» ist, wann es entproblematisiert werden muss, dies ist Definitionssache. Auch in der Sozialpolitik: Was zählt zum Existenzminimum? Ein Fernseher? Darüber hätten wir vor 20 Jahren gelacht. Heute ist das selbstverständlich. Wenn Fernsehen ein Menschenrecht ist, dann hoffentlich auch ein brauchbares Gebiss. Wer aber definiert die Brauchbarkeit? Sie. Wer sonst? Die Branche bestimmt die Standards. Heute werden Sie über die 80/20-Norm diskutieren. Mit 80 noch mindesten 20 Zähne. Famos und – wie jede Normierung – ambivalent. Ich stelle mir vor: Ich im Altersheim, 87, heiter vertrottelt, bemüht um eine 82-Jährigen. Die findet mich gar nicht übel, doch sie will, bevor sie schwach wird, erst meine Zähne zählen. So funktioniert die Macht des Normativen. An dieser Macht wirken Sie mit. Sie definieren, was «normal», was «nötig» ist – fürs Kauen, fürs Sprechen, fürs Lächeln. Also kurieren Sie nicht bloss – Sie modellieren mit am neuen Menschenbild. Auf der Webseite der «Initiative pro Dente» lese ich: «Mund und Zähne sind ein wichtiger Teil des Selbstbildes mit hoher sozialer Signalwirkung. Wichtige Funktionen wie eine deutliche Aussprache und die Nahrungsaufnahme hängen wesentlich vom Zustand der Zähne ab. Zwischenmenschliche Kontakte, Lächeln und gemeinsame Mahlzeiten können nur genussvoll und als Lebensgewinn erlebt werden, wenn sich der ältere und alte Mensch nicht schämen muss, weil der Zustand seiner Zähne desolat ist, das Essen Schwierigkeiten bereitet oder er das Gefühl hat, dass er andere durch Mundgeruch belästigt...» Lauter wahre Sätze. Fragt sich bloss noch: Beurteilen Sie den Zustand der Zähne weniger nach ihrer Gesundheit, mehr nach ihrer «soziale Signalwirkung»: dann wecken Sie völlig neue Bedürfnisse – und wandeln sich von Zahnärzten zu Dentalsozialingenieuren. Da, wo ich wohne, an der berüchtigten Zürcher Goldküste, gilt schon 90/28. Wer es sich leisten kann, will das Maximum. PARTicipation 06.08 23 Schwerpunktthema Und Sie, die Zahnärzte, werden das nicht abwinken – als törichte Endlichkeitsflucht oder so. Auch wenn Sie unbegüterte Alte in der Praxis haben, mit Parodontose und Totalprothesen: Stilbildend sind die andern, die es sich leisten können und wollen. So war es und so bleibt es wohl in der Geschichte: die sogenannten Eliten setzen die Standards – und alle andern setzen nach. Zumal die Dentalstandards nicht abzulösen sind von den allgemeinen Humanstandards im Alter. Und da gilt heute, frei nach Udo Jürgens: Mit 66 wird das Leben erst so richtig lustig, mit Weltreisen, über Pässe pedalen, Golf spielen. Dummerweise sah der Schöpfer das so nicht voraus, weshalb wir klapprig werden, lange bevor unsere Unternehmenslust erlahmt. Ein dummer Zwiespalt, den nur Medizin kitten kann. Kitten muss. Der aktuelle Mensch in seinem Selbstverwirklichungspathos versteht da keinen Spass. Das Schicksal, eine Frechheit. Die Intaktheit von Haut und Haar und Zahn, ein Menschenrecht. Lässt sich der Zahn der Zeit schon nicht ziehen, soll er wenigstens unsichtbar nagen. So verwandelt sich Medizin von der Kunst zu heilen zur Generalagentur für Glück und Lebenssinn. Dass das teuer wird, ist dabei nur das eine Problem. Die Biologie ist keine Freundin des Alters; sie investiert in die Jugend, schiebt die Alten ab. Religion wiederum, traditionell zuständig für Kompensation, zieht auch nicht mehr. Himmelsfreuden als Entschädigung fürs Rackerleben? Nein, danke. Also muss Medizin es richten: als Agentur für irdische Aufenthaltsverlängerung. Schafft sie das? Den Tod austricksen wollten Menschen, seit es den Tod gibt. Erfolgsmeldungen sind eher rar. Ernüchternd schon der Fall des altgriechischen Jünglings Tithonos: Auf Betreiben seiner Gattin Eos gewährten ihm die Götter das ewige Leben. Der nunmehr Unsterbliche schrumpfte aber mit der Zeit dermassen zusammen, dass er in eine Zikade verwandelt werden musste, um ein halbwegs würdiges Seniorendasein zu fristen. Über den Zustand seiner Zähne schweigt die Überlieferung taktvoll. Es war, bis noch vor kurzem, sowieso normal, sich mehr oder weniger zahnlos durchs Leben zu schleppen. Goethe genierte sich Zeit seines Lebens wegen seiner Zahnlücke vorne rechts. Carl Friedrich Gauss, dem Mathematikgenie, zog der Bader aus Versehen erst ein paar gesunde Zähne, bevor die entzündeten dran kamen. Die Braut Johann Gottlob Fichtes (ein Grossphilosoph zwischen Kant und Hegel) 24 PARTicipation 06.08 war bereits bei der Hochzeit komplett ohne Zähne. Thomas Mann, der Grossdichter, lebte in panischer Angst vor dem Ausfall seiner Zähne; lesen Sie seinen Roman «Buddenbrocks», da nimmt die illustre Lübecker Unternehmer-Dynastie ein schlimmes Ende, weil der letzte Spross, der die Firma noch im Griff hatte, an untherapierbaren Zahnproblemen stirbt... War alles übel und schmerzlich, aber halbwegs normal, und was als normal gilt, das nimmt der Mensch hin, mal mehr, mal minder klaglos, lehnt sich nicht auf gegen Schicksale, die er nicht wenden kann. Heute gilt – in unserer Wellness-Gesellschaft – als normal, dass Medizin uns die Übel der Vergänglichkeit erspart. Ein sagenhafter Fortschritt. Im Prinzip. Konkret werden wir trotzdem nicht viel glücklicher. Das liegt an der Ambivalenz des Fortschrittes. Kein Fortschritt ohne Pferdefuss. Zunächst objektiv: Jede Verbesserung zeitigt irgendwo unbeabsichtigte Nebenwirkungen. Banales Beispiel: Die raffinierten Zahnpasten, die unsere Kinder vor Karies schützen, neigen dazu, im Mundwinkel oder unter der Achsel so lästige hässliche Ekzeme zu produzieren; es liegt an den feinen Geschmacksstoffen, an den Detergenzien, die so prachtvoll schäumen lassen. So dass wir, als kariesbefreitestes aller Völker, gar nicht mehr auf die Strasse gehen, wegen der Ekzeme. Noch folgenreicher wirkt die zweite Ambivalenz des Fortschritts, die subjektive. Die geht so: Je tüchtiger uns Medizin die Übel entübelt, desto unerträglicher erscheinen uns die Restübel, die bleiben. Früher raffte die Schwindsucht die Leute dahin, heute brechen wir ein unter dem Bisschen Pollenallergie. Früher faulten den Leuten die Zähne, heute – mit gesunden Zähnen – droht die Existenzkrise, wenn ein Zahn nicht mehr blendend weiss ist. Ich übertreibe. Hoffe ich zumindest. Vielleicht wird das alles schon bald obsolet. Im Internet lese ich: «Neue Zähne zu bekommen, soll in Zukunft nicht nur Kindern vorbehalten sein. US-Forscher in Texas entwickeln ein Verfahren, das selbst im hohen Alter Zähne nachwachsen lässt: Man stopft die Löcher mit biotechnischem Material – und der Zahn regeneriert sich von innen selber.» Bis das so weit ist, wird hart an der Perfektionierung des Gebisses gearbeitet. Schon bei den Kindern. Zahnspangen, für Generationen von Teenagern ein Alptraum, sind heute normal, für rund zwei Drittel aller Jugendlichen Alltag. Mehr noch, sie avancieren zum begehrten modischen Accessoire. Klicken Sie mal ein Zahnspangen-Forum im Internet an: «Hy! Ich hätte gerne eine festsitzende Zahnspange, aber bekomme keine, weil ich gerade Zähne habe. Wenn ihr eine Lösung auf dieses Problem habt, mailt mir bitte.» Woher die neue Liebe zur einstigen Genierkette? Es liegt zumindest auch an den Idolen. Immer mehr Stars zeigen sich mit Gebissregulatoren: Strahlemann Tom Cruise, Altersschönheit Faye Dunaway, Topmodel Cindy Crawford gehören zur wachsenden Schar von Prominenten, die sich mit gut sichtbarem Metall im Mund ablichten liessen. Für diese Leute kann ein perfektes Lächeln tatsächlich karriereentscheidend sein. Und offensichtlich reicht dafür das simple Bleichen mit Wasserstoffperoxid oder das Aufkleben von hauchdünnen Zahnfassaden nicht mehr. Was die Stars tun, das wollen auch die, die sie anhimmeln. Weshalb in den USA die Entwicklung zur rein kosmetisch motivierten Kieferchirurgie schon ausgeprägt sei, der Trend zum «flachen Gesicht», sagen Fachleute – und sind besorgt. Weil eine nicht an medizinischen Massgaben orientierte Behandlung oft erst gesundheitliche Probleme erzeuge. Davon verstehe ich nichts. Mich irritiert die neue Hierarchie der Werte. Die akkurate Geometrie im Mund wird Pflicht – wie es im Kopf sonst aussieht, wird Kürz. Zahnspangen sind jeden Preis wert, auch wenn es für ein Buch nicht mehr reicht. Doof darf man sein, langweilig, fantasielos, spiessig auch – doch ein kaum sichtbar schräger Zahn, und das Leben ist futsch. Damit imprägniert man die Jungen auf die Vorherrschaft der Kosmetik. Und die Götter der Jugend bleiben Götter, auch wenn inzwischen an anderen Altären geopfert wird. Immer häufiger trifft man auf feineren Diners ältere Leute, die dauernd ihre Zähne blecken; mehr haben sie nicht zu bieten, keinen Geist, keinen Humor, keine spannenden Geschichten – aber Zähne, perlweiss, super gereiht! Schwerpunktthema Leider passen die – apropos «Signalwirkung» – zu gar nichts. Nicht zu den abgelöschten Augen, nicht zur Haltung. Also wenn schon Ästhetik statt Medizin, dann sollte man ein bisschen was von Ästhetik verstehen. Und sei es nur die alt gediente These: Schönheit hat etwas zu tun mit Harmonie von Sein und Schein. Die äussere Erscheinung als Spiegel des inneren Seins. Das Innenleben im Alter muss nicht gleich weise sein, aber es hat halt mehr hinter sich, in sich, die vielen Jahre Rackerei, die Ausschweifungen, die Enttäuschungen. Darf man dies nicht sehen? Je älter der Baum, umso zerfurchter seine Rinde. Je älter der Mensch, umso zerfalteter seine Haut. In den Falten nistet Lebenserfahrung. Oder wollen wir noch mit 80 wie Teenies aussehen: glatte Haut, schwarze Haare, weisse Zähne – alles künstlich? Wie Gustav Aschenbach in Thomas Manns «Tod in Venedig», der alte Geck, der sich schminkt, die Haare färbt. Das wirkt nicht nur lächerlich, es riecht auch mehr nach Tod als das zerfurchteste Gesicht, die vergilbtesten Zähne. Gleichzeitig ist es Tatsache: Manche 70-jährige Frau denkt, empfindet, handelt heute jünger als bis vor kurzem 50-Jährige. Sollte sie dann nicht auch aussehen, wie sie ist – gemäss traditioneller Ästhetik? Die will, dass Innen und Aussen zueinander passen. Kaum gebremste Lebensenergie jedoch – und ein abgekämpftes Gebiss, das reimt sich nicht. Die Kluft zwischen lebhaftem Innen und abgelebtem Äussern zu mindern, dazu, finde ich, ist ästhetische Medizin okay. Sozusagen als Konsequenz der Fortschritte der medizinischen Medizin: Da die unser Leben in die Länge zieht, soll sie uns gefälligst auch davor bewahren, das halbe Leben wie zerfurchte Greise herumlaufen zu müssen. Da spielt die «soziale Signalwirkung» durchaus ihre Rolle. In einer dynamischen Welt, die sich immer schneller wandelt, müssen auch wir uns immer häufiger wandeln, also erneuern, verjüngen – beruflich wie privat. Sonst werden wir geschäftlich abgehängt, gesellschaftlich sitzen gelassen. Es wird immer heikler, mit nur einer Identität über die Runden zu kommen. Wir müssen – z.B. bei Technologie-Schüben – unser Ich in eine neue Verfassung bringen. Und diese periodische Ich-Erneuerung fällt leichter, wenn wir die äussere Erscheinung gleich mit auffrischen können. sieht, sondern auch die Chance zum Produktiven. Harald Schmidt, der erträglichste aller TV-Nervensägen, sagt: «Hätte ich keine Pickel gehabt, hätte ich nie gelernt, Witze zu reissen.» So wird ein Nachteil produktiv. Adrette Typen mit rosiger Haut, Lockenpracht und Idealzähnen haben alles, um die Frauen anzuziehen. Wir andern, mit Haarausfall und suboptimalem Gebiss, müssen uns anstrengen, müssen Witz entwickeln, Humor, Geist, Charme, damit eine Frau uns nur bemerkt. So entwickeln wir uns selbst, leben plötzlich erfolgreicher als die angeblich Perfekten. Der Mangel als biografischer Standortvorteil. Damit lässt es sich auch besser altern. Wer nur auf schöne Zähne fixiert ist, beisst sich fest an der Endlichkeit. Es ist somit nicht allein der infantile Jugendwahn, der den Trend zur kosmetisch motivierten (Zahn-)Medizin beschleunigt. Auch respektable Beweggründe wirken mit, individuelle wie gesellschaftliche. Massgeblich für mich ist die Frage: Zielen kosmetisch-medizinische Eingriffe auf Anpassung des Äussern ans Innere – oder betreiben sie umgekehrt Übertünchung der Altersschwäche? Diese Unterscheidung kann souverän nur treffen, wer in Schwächen, Defekten nicht nur das Negative, etwas zu Behebendes Special Care Ludwig Hasler *1945. Dr. phil., Studium der Philosophie, Publizist und Buchautor. Ehemaliger stv. Chefredaktor der Weltwoche und Dozent für Philosophie und Medientheorie an den Universitäten Zürich und St. Gallen Um es vorwegzunehmen: Es war etwas vom Farbigsten, Perfektesten, was wir an einer SGZBB-Tagung je erleben durften. Hasler hat uns auf eindrücklichste und angenehmste Weise im Überschalltempo den Schlaf aus den Augen gerieben. Ein Preludio molto vivace. Katsoulis, Kummer und Mericske sei herzlich gedankt für diesen phänomenalen Fischzug. Darum habe ich mich auch glücklich geschätzt, nach dem Referat ein paar Worte mit Herrn Hasler wechseln zu dürfen: Herr Hasler, Sie sehen mich blass vor Neid, Blassheit, die nicht nur von der angezechten Vortagsnacht her stammt, mit welcher Maestria Sie in kurzer Zeit eine solch stringente Analyse des Alters so brillant an den Zuhörer zu bringen vermochten, was uns Zahnärzten während eines langen Berufslebens so nie zu gelingen vermag. Bestechend seine Aphorismen, Bonmots, ironischen Seitenhiebe, sein Skeptizismus auf unser – aber auch auf sein eigenes – Selbstverständnis. Was jetzt folgt, soll nicht als Kritik verstanden werden, sondern die special care aus einer anderen Warte, nämlich der unseren (?) beleuchten. «Das Alter sei eine Verlustgeschichte, vor allem an der Zeit» meinen Sie. Dem möchte ich ein Wort von Goethe gegenüberstellen, sinngemäss transkribiert: das Schlimmste am Alter sei es, nicht mehr von Gleichaltrigen beurteilt werden zu können. Alter ist keine von der special care zu behandelnde Erkrankung. Alter ist ein aus der Biographie herausgerissener Lebensabschnitt, der für sich alleine gesehen keinen Sinn ergibt, genauso wenig wie die ersten Lebensjahre eines Individuums nicht aus dem Kontext eines ganzen Lebens ausgesondert werden können. (Kann der Säugling von Gleichaltrigen beurteilt werden?). Säuglingsalter und Greisenalter sind per se kein Problem. Für PARTicipation 06.08 25 Schwerpunktthema uns Zahnärzte der SGZBB erst recht nicht. Die Probleme erscheinen erst, wenn sich zu jedem Lebensabschnitt eine für uns, scheinbare, zumeist unverschuldete, Abweichung geistiger (kognitiver) Möglichkeiten, gesellt. Wir schaffen uns diese Simulacra (Trugbilder, Blendwerk, Schein) selber, um in unserem jeweiligen Lebensabschnitt bestehen zu können. Wir erhoffen uns davon einen eigenen Vorteil. Special care, kann und soll weder auf der Seite des Betroffenen noch auf der Seite des Behandlers Bedürfnisse wecken. Wir leben in einem Zeitalter der Simulation, meint Jean Baudrillard. Wir lassen es bewusst an Bezügen zum Realen Rationalen fehlen. Wir wollen durch Produktion von Simulacra der Schnelligkeit der Erneuerung ausweichen (Paul Virilio). Herr Hasler, Sie haben einen wunderbaren Satz geprägt, indem Sie Bezug nehmen auf eine anatomische Unvollkommenheit eines Menschen; Er bemühe sich, entwickle Strategien, um seine Unvollkommenheit durch andere Fähigkeiten zu ergänzen. Der perfekte Mensch entwickle sie nicht. Der Mangel sei die Wurzel dieser Überlebensstrategie. Der Mangel müsse wieder ernst genommen werden. Das hat mich überzeugt, und wie ich Ihnen versichert habe, hat diese Aussage allein auch unserer special care Sinn gegeben. Darf ich den vermeintlichen Mangel unserem homme en progrès unterstellen? Was anatomisch als Mangel leicht verifizierbar ist, interessiert 26 PARTicipation 06.08 uns an dieser Stelle nicht. Was aber kognitiv als Mangel bezeichnet werden könnte, können wir nur erahnen und als Antagonismus zu unserem Wissen höchstens approximativ taxieren. Grubacevic bezeichnet diesen «Mangel», den ich eher als unser Unvermögen einer Erfassungsmöglichkeit benennen möchte, als apraktisches Wissen, welches dem geistig Behinderten oder eben – wie wir uns bemühen ihn zu benennen – dem homme en progrès (siehe auch PARTicipation, A. Jollien, G. Grubacevic und St. Gottet) innewohnt. Den Menschen mit diesem apraktischen Wissen an unseren medizinischen Handlungen teilnehmen zu lassen, das möchte ich als special care bezeichnen. Dieser scheinbare Mangel fordert uns heraus, rechtfertigt vielleicht unser Tun. Vielleicht? Ein banaler Vergleich: Sie, Herr Hasler, haben in Ihrer Jugendzeit als Ministrant 20 Rappen pro Messe verdient. Wahrscheinlich an einem barocken Altar, weihrauchfassschwingend, wie Sie es auszudrücken belieben. Quasi im Epizentrum der geistlichen und vielleicht sogar geistigen Simulation. Ich war damals, etwa im gleichen Alter, bereits auf grösserer Distanz. Ich versuchte auf der Empore, um sieben Uhr in der Früh, dem Orgelspiel bei der Totenmesse einen menschlichen, meist aber quäkenden Ton beizufügen, und das auch für den damals üblichen Einheitslohn von 20 Rappen. Mein Ziel war der Kauf eines Zeltes. Als ich endlich die Summe beieinander hatte, hatte ich den Sinn meiner Handlung vergessen. Das haben Sie uns wohl auf Ihre einzigartige Art mitteilen wollen. Nicht Bedürfnisse zu wecken, die kein Glück nach sich ziehen können. Hat uns etwa diese frühkindliche Tätigkeit dazu verleitet, das Simulakrum tradierter Werte zu hinterfragen? Ein Trugbild, das uns gerade durch das Dissimulieren (Verschleierung) der Akteure zu indoktrinieren versucht wor- den ist? Ich glaube, dass das Dissimulieren näher bei der Realität steht, leichter anzugreifen, besser zu entschleiern ist. Indem Sie uns Zahnärzte auf den Zahn gefühlt haben, ist Ihnen ein ganz grosser Coup gelungen. Damit lässt es sich auch besser altern. Wer nur auf schöne Zähne fixiert ist, beisst sich fest an der Endlichkeit, wie Sie am Schlusse ihres Referates bemerkten. Einer Endlichkeit, die endlich bleiben muss und nicht nur dem Alter vorbehalten ist. Jedem Menschen, jeden Alters. In unserer special care soll auch für den homme en progrès in dieser realen Endlichkeit ein Platz sein. St.G. Vermischtes Nachgeworfen, nicht Vorgeworfen 17. Mitgliederversammlung der SGZBB im Auditorium Ettore Rossi des Inselspitals in Bern Bernhard Streich, Sekretär der SGZBB 1999 – 2008 Worte, die auf Grund des allzu lauten Knurrens der Mägen kurz vor dem Lunch der zahlreich im weiten Rund des Auditorium Ettore Rossi / Inselspital in Bern erschienenen Anwesenden nicht ausgesprochen wurden. Dieser bedrohlichen Situation entzog sich der so am Sprechen verhinderte Schreiberling, indem er seine Laudatio und Gedanken der Intimität des PARTicipation anvertraute und damit den scheidenden Sekretär von der unangenehmen Pflicht des Protokollierens dieser dürftigen Wortfetzen entband Nein, das war nicht sein letzter Streich, sicherlich aber auch nicht sein bester, nämlich den Vorstand der SGZBB zu verlassen, mag manch noch weniger inspirierter Zeitgenosse als der Schreibende wohl gedacht haben, als er von dessen Demission erfahren musste. Zum ersten Mal wurde ich mir der Tragweite seines Entschlusses bewusst, als ich vor zwei Wochen bei schönstem Frühlingswetter eines sehr wohlgenährten, halb glatzigen Individuums männlichen Geblütes gewahr wurde, das auf einem dem Ceresio (Luganersee) zugewandten Balkon auf einem glänzend roten Hometrainer sich abstrampelnd eine Menukarte las. Menu? War das nicht eher das Protokoll einer Tätigkeit, die sich in den letzten neun Jahren abgespielt hatte? Nein, vom Einsatz für die SGZBB wird man nicht kahl und korpulent. Solche Privilegien bleiben allein einem ehemaligen Präsidenten vorbehalten. Wenn Sie jetzt glauben, meine Apologie an einen Freund gehe in diesem unpoetischen Rhythmus wei- ter, liebe Anwesende, so seid euch eures Irrtums versichert. Bernhard liebt Geschichten, seine ganz und gar nicht alltägliche, aber äusserst gelungene Irrfahrt können Sie dann im nächsten PARTicipation nachlesen, aber erst, wenn das Plazet des Gott sei Dank noch nicht kanonisierten Sancti Bernardi eingetroffen sein wird und Sie endlich der Gesellschaft aller Gesellschaften, nämlich der SGZBB, beigetreten sind. Stichworte, für die du dich verbürgst: geboren am 16. Juli 1945 im Salem Spital in Bern. Mit anderthalb Jahren nach Luzern umgezogen. Warum immer nur diese Halbheiten? Denkt denn niemand an den späteren Chronisten. Sein Vater hat es immer sehr genau genommen. Er war Jurist. Also nach gut zwei Jahren ist oder besser wurde Bernhard in die schwarze Zentralschweiz übersiedelt. Primarschule, Gymnasium Typhus B, pardon Typus B in Luzern. Zu dieser Zeit habe ich schon gerne Gschichtli gelesen, aber auch Kenntnisse in handwerklichen und technischen Bereichen durch ausgedehnte Basteltätigkeiten erworben. Der Universalgelehrte des Barock war mein Vorbild. Studium: 1. Propädeutikum in Fribourg. Danach zwei Semester mit den Fächern Geographie, Geologie, Urgeschichte, russische Literatur und östliches Privatrecht in Zürich und Bern. 2. Propädeutikum 1971: Zahnmedizinisches Staatsexamen 1975: Doktorat in Bern 1972: Heirat mit Elisabeth Christen aus Hägglingen im Aargau 1973 bis 1981 gebiert sie ihm 4 Kinder, die uns sehr viel gelehrt haben (so wörtlich im Text) Assistentenstellen: Kieferchirurgische Abteilung der Zahnmedizinischen Kliniken der Universität Bern, Privatpraxis in Bremgarten (leider nicht bei mir, von dort hat er aber seine ihn heute noch immer unterstützende Sekretärin entführt), Klinik für Kronen und Brückenprothetik, Zahnmedizinische Kliniken der Universität in Bern. Seit 1975 Privatpraxis in Zug Seit 1996 Mitglied der SGZBB (der ehemalige Präsident Peter Netzle war gut bera- ten Bernhard an Bord der SGZBB zu holen) Seit 1999 deren Sekretär Das Logo der SGZBB stammt von seinem Sohn Dominik Streich, Designer Hobbys: Familie, Haus und Garten; wenn ich ihm telefoniere, bekomme ich immer zur Antwort: ich will gleich schauen, wo und mit was er gerade am «Chlöttere» ist. Alles reparieren, auch so genannt Unwertes (gilt auch für klinische Tätigkeit), Reisen und Wandern, Geschichte, Lesen, zwischendurch gut leben. Lebensphilosophie; Wir sind ein Teil dieser Erde (Häuptling Seattle) und nicht die arrogante Krone der Schöpfung. Benehmen wir uns entsprechend! Unnötigstes auf dieser Welt: Krieg Erkenntnis: Waffen machen keinen Krieg, es sind Menschen Ja, wer ist denn dieser Seattle, der Häuptling der Suquamish- und Duwamish-Indianer, der 1854 dem Gouverneur der Washington Territories, Isaac J. Stevens, solch denkwürdige Sätze übermittelte? Wie kann man den Himmel kaufen oder verkaufen – oder die Wärme der Erde? Wenn wir die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers nicht besitzen – wie könnt Ihr sie von uns abkaufen wollen? Und was hat das alles mit der SGZBB zu tun? Bernhard hat von uns allen die Idee von Giovanni Beretta Piccoli am besten weitergesponnen, den Geist der Freundschaft nicht nur unter uns zu pflegen, sondern ihn tunlichst weiter zu geben, es mindestens Regina Mericske überreicht Bernhard Streich etwas Flüssiges PARTicipation 06.08 2 Vermischtes zu versuchen. Schritt für Schritt. Pas à pas. Homo progrediens. Dem «homme en progrès» auf den Versen bleibend. Seattle: Die Erde gehört nicht den Menschen, der Mensch gehört der Erde. Eben haben die Erde und das Wasser wieder gemeutert. In Burma und China. Wir gehören zum «homme en progrès» und nicht umgekehrt. Hören wir dessen Natur denn beben? Die Ansprache des Seattle wurde als gefälscht bezeichnet, von Ökologen instrumentalisiert. Geschichten ohne Ziel und Zweck, ausser der des gemeinsamen Schicksals? Ziel und Zwecksuche entzweien oft, was zusammengehört, eins sein sollte. Was uns nie entzweit hat, ist der Nektar des Château Turcan. Gewachsen nur ein paar Vogelschwingenschläge östlich der letzten Ruhestätte des Albert Camus. Ironie des Schicksals: zum Lunch wurde uns heute ein Bastide de la Verrerie, Jahrgang 2003, kredenzt, der in gleicher Distanz, aber westlich von Lourmarin unseren Gaumen schmei- Dr. Norbert Enkling Der Vorstand des SGZBB (es fehlt Anna Sekulovski) Willi Baumgartner, Bernhard Streich, Stephan Gottet, Martine Riesen, Arthur Stehrenberger, Regina Mericske Martine Riesen 28 PARTicipation Blumen für alle Anwesenden 06.08 Regina Mericske chelte. Immer auf der Suche nach Gleichgewicht, nach PARTicipation, nach Harmonie Wir entlassen dich aus dem Vorstand, mit diesem PARTicipations-Vermittler. Wir entlassen dich aber nicht aus dem Redaktionsteam des PARTicipation. Bremgarten und Bern, 15. Mai 2008, im Namen des Vorstandes und aller Anwesenden: St.G., le culterreux, der sich auch nicht von dieser Erde trennen mag und dich gerade deshalb und erstaunlicher-, aber nicht bedauerlicherweise, nie aus deinem Gleichgewicht hebeln konnte. Vermischtes Christina Luzi bei ihrem Referat. Proth. Rehabilitation einer Patientin mit einer partiellen Zungenlähmung Regina Mericske dankt Arthur Stehrenberger Die zwei Neugewählten, Dr. Martin Schimmel, Genève, als Mitglied der Wisko und Frau Prof. Dr. Frauke Müller, Genève als Mitglied des Vorstandes der SGZBB PARTicipation 06.08 29 Vermischtes Jahresbericht SGZBB Vor einem Jahr habe ich nach der Generalversammlung 2007 das Präsidium dieser Gesellschaft übernommen. Gleichzeitig haben wir beschlossen, dass der scheidende Präsident offiziell Past-Präsident wird. Am aktuellen Fall lässt sich illustrieren, wie wichtig und sinnvoll das ist. Stephan Gottet hat sich während vieler Jahre für unsere Gesellschaft sehr stark engagiert, und er hat es verstanden, wichtige Netzwerke aufzubauen und Verbindungen zu knüpfen. Sein Wissen und seine persönlichen Kontakte sind unschätzbar, sie bleiben uns nun mit dieser Regelung besser erhalten und werden weitergepflegt. Im vergangenen Vereinsjahr hat sich der Vorstand viermal zu einer Sitzung getroffen, und zwar im Juni 2007 (Orta), im November 2007 (Bern), im Januar 2008 (in Bremgarten anlässlich des Aargauer Symposions) und im März 2008 in Bern. Zudem hat die wissenschaftliche Kommission noch separat getagt. Die SGZBB kann auf eine sehr interessante und erfolgreiche Jahrestagung in Basel, – organisiert und durchgeführt durch die Klinik von Prof. Carlo Marinello – zurückblicken; sie hat sich vor allem dem Thema Geriatrie gewidmet. Frau Dr. Christina Luzi war in der Organisation stark engagiert, und wir möchten hier nochmals unseren Dank aussprechen. Im Weiteren hat Stephan Gottet wiederum das schon zur Tradition gewordene Symposion in Bremgarten mit zahlreichen Teilnehmern und namhaften Referenten am 10. Januar 2008 durchgeführt. Aufgaben und Geschäfte, mit denen sich der Vorstand befasst hat oder die sich der Vorstand vorgenommen hat: • Aktualisieren der Homepage • Kongress- und Jahresbudgets definieren, damit der Kassier arbeiten kann und weiss, woran er ist (würde ich streichen) • Längerfristige Kongressplanungen • Verwendungsmöglichkeiten des Vereinsvermögens definieren • Zusammenarbeit und Kontakte mit anderen Gesellschaften • Aufgaben der wissenschaftlichen Kommission Zur Sprache kamen auch Themen, die nicht abschliessend behandelt werden konnten, solche, die routinemässig diskutiert werden müssen oder neue, mit denen wir uns in Zukunft beschäftigen müssen. Immer wieder sehen wir die Schwierigkeit der SGZBB, sich zu positionieren und ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, d.h. behinderte und nicht behinderte alte und junge Menschen zu integrieren, sich mit Fachgesellschaften, mit denen wir gemeinsame Berührungspunkte haben, auszutauschen oder zusammenzuarbeiten. Hier entsteht aber auch Konkurrenz, da ja alle Fachgesellschaften ihre eigene Jahrestagung abhalten und die Zahnärzteschaft umwerben. Im Weiteren müssen wir den Kontakt zu Behörden, Ämtern, Medizinern und Organen wie der SSO suchen oder erhalten. Den Organisatoren der Jahrestagung, in der Regel eine Uniklinik, wird neu eine feste Entschädigung von Fr. 2000.– ausgerichtet. Dies ist notwendig, weil die Universität sehr genau die Geldflüsse und Konti kennen will, über die die Kongresseinnahmen und Ausgaben laufen, informiert sein möchte, wie viel Zeit dafür aufgewendet wurde, ob und wie viel Briefpapier, Versandmaterial oder Telefonate auf Kosten einer Kongressorganisation gehen. Darüber hinaus hat der Vorstand beschlossen, einen Fonds zu schaffen, mit dem kleine Projekte im In- oder Ausland mitfinanziert oder unterstützt werden 30 PARTicipation 06.08 können. Der Vorstand ist sehr achtsam im Umgang mit dem Vereinsvermögen und arbeitet selber sehr sparsam. Das Vereinsvermögen soll für sinnvolle Zwecke im Geiste der SGZBB investiert werden. Von Ärzten, die sich besonders um die Behandlung von Behinderten bemühen, wurde ein Verein gegründet, um die Interessen dieser Ärzte und ihre Anliegen besser zu vertreten. Der erste und aktuelle Präsident ist Dr. Brem. Mit Stephan Gottet wurden bereits Kontakte geknüpft, und Dr. Brem war im Januar dieses Jahres am Symposion in Aargau dabei. Eine längerfristige Zusammenarbeit in irgendeiner Form wäre sicher denkbar und anzustreben. Insbesondere war diese neu gegründete Gesellschaft erstaunt, dass es bei den Zahnärzten so was bereits gibt. Das PARTicipation, unser Informationsund Publikationsorgan, ist ein sehr schön aufgemachtes und qualitativ hoch stehendes Magazin, das sich gut von den allzu vielen Zeitungen, News, Flashs, Dental Reviews etc. abhebt. Es ist dem grossen Engagement und der Hartnäckigkeit des Editors Stephan Gottet zu verdanken. Keine andere Fachgesellschaft kann etwas Vergleichbares aufweisen. Es erschienen bis heute 12 Ausgaben einerseits mit Fachbeiträgen aus der Geriatrie und Behindertenzahnmedizin, wobei ein Hauptbeitrag jeweils ins Zentrum gesetzt wurde. Daneben informiert uns Stephan Gottet über Projekte aller Art, verfasst selber Beiträge, die zum Nachdenken anregen, oder es gelingt ihm, von namhaften Denkern (Philosophen) Vortragszusammenfassungen und ähnliches abzudrucken. Die jungen Assistenten der Universitätskliniken sind immer wieder Lieferanten von Beiträgen, wobei sie auch vor einem Dilemma stehen, da sie ihre wissenschaftlichen Arbeiten im Rahmen ihrer universitären Karriere für peer reviewed Zeitschriften aufarbeiten sollten. Die wissenschaftliche Kommission organisiert sich quasi selbst, sie hat gemeinsam mit dem Vorstand und allein getagt, und sie ist entsprechend ihrer Aufgabe für die Programmgestaltung verantwortlich. In dieser Vermischtes Kommission nehmen ausschliesslich junge Leute aus den Universitäten Einsitz, was sehr erfreulich ist. Die SGZBB hat nach wie vor einen Vertreter (Dr. Katsoulis, Bern) im Fachrat (SFZ), der sich als Vermittler für kleinere Gesellschaften präsentiert und nun seine Aufgabe in der Zertifizierung respektive Qualifizierung von Fortbildungsveranstaltungen begreift. Allerdings ist dieses Geschäft sehr schwierig in der Durchführung und wird von der SSO nicht eigentlich unterstützt, denn Qualifikationen von Fortbildungsveranstaltungen dieser Art sind politisch sehr heikel. Die Statuten unserer Gesellschaft sind aktuell auf der Homepage zugänglich, es gibt aber seit längerem keine Nachdrucke mehr. Sie stammen aus der ersten Hälfte der 1990er Jahre, und der Vorstand erachtet es als eine wichtige Aufgabe, diese zu überarbeiten und an neue Gegebenheiten anzupassen. Prof. Dr. R. Mericske-Stern U E N Die komplette Mundpflege. Sauber und leicht gemacht. M = 1:1 · · · · · · · · Patentierte antibakterielle Funktion Einfach in der Handhabung Für alle Weichteile im oralen Bereich Sichtbare Entfernung von Belägen Bekämpft Mundgeruch Flexible Passform (elastisch) Mit Sicherheitsschlaufe Ohne Zusatz von Chemikalien Exklusiv zu beziehen bei: Dema Dent AG Grindelstrasse 6 8303 Bassersdorf Tel. 044 838 65 65 Fax 044 838 65 66 www.demadent.ch PARTicipation 06.08 31 Vermischtes «Wir sind offen...sind Sie es?» Christian Traianou In der Ausbildung und Umschulung erhalten Menschen mit einer Behinderung eine zukunftsorientierte und ihrer Behinderung angepasste berufliche Ausbildung oder Umschulung. Neben der fachlichen Qualifikation stehen ein positiver Umgang mit der Behinderung und die Förderung von Selbständigkeit im Vordergrund Das neue Hauptgebäude vom azb Besuch der Stiftung Arbeitszentrum für Behinderte (azb) in Strengelbach, AG am Tag der offenen Türe oder «rencontre mit Patienten an deren Arbeitsplatz». Das azb wurde 1962 als private Stiftung gegründet und finanziert sich aus selbst erwirtschafteten Mitteln, bezahlten Dienstleistungen, Beiträgen des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) und des Kantons sowie aus Spenden. Das azb hat keinerlei Defizitgarantien. Die Institution entwickelte sich rasant in allen Bereichen. Wurden anfänglich 14 Menschen mit einer Behinderung im azb betreut, so sind es heute mehr als 260. Grosses Besucherinteresse 32 PARTicipation Der Arbeitsbereich integriert Menschen mit einer Behinderung entsprechend ihren Fähigkeiten in einen Arbeitsprozess und bietet ihnen damit sinnerfüllende Tagesstrukturen in einem schützenden Umfeld und ein leistungsgerechtes Zusatzeinkommen an. Weitere Informationen sind auf www.azb. ch erhältlich. Einmal pro Jahr findet ein «Tag der offenen Türe» statt, DAS Highlight für alle im azb. Die diesjährigen Besucherzahlen sprengten locker die 1000er Schallgrenze und gab uns beste Gelegenheit, Berührungsängste (ja, ja, ich muss zugeben, es braucht jedes Mal etwas Überwindung, eigentlich völlig grundlos wie es sich im nachhinein immer herausstellt) abzubauen. Der Zahnarzt auf Besuch, eine spezielle Ehre? Den freudigen Reaktionen entnehmend anscheinend doch eine aussergewöhnliche Visite...eine ideale Plattform, Ängste abzubauen und Vertrauen zu schaffen, die Menschlichkeit hochleben zu lassen und ECHTEN Respekt der Menschenwürde zu zollen. Die strahlenden Gesichter zeugen von einer ehrlichen Freude und Wertschätzung. Lukas gewann fünf Medaillen an der Special Olympics 06.08 Diese paar wenigen Stunden, ja nur kurzen Momente, haben eine Nachhaltigkeit, welcher ich mir erst in ein paar Jahren bewusst werden werde... Die erlebte Herzhaftigkeit hat mich sehr gerührt und bleibt eindrücklich in meinen Erinnerungen verankert. ...eigentlich sollte man öfters solche Besuche machen... Walther an der Drehbank Vermischtes «Wir sind offen... sind Sie es?» Werner hat sogar eine Kravatte angezogen! Strenge Hygienemassnahmen in der Schoggiabteilung Elisabeth beim Verpacken Montage von Duschbrauseköpfen Modernstes Laufband für Kaffeemaschinenteile PARTicipation 06.08 33 Jetzt ren profitie Vorteile im digitalen Röntgen: • Höchste Strahlenhygiene 50’000.– Erstmals unter 50’000.- • Exzellente Bildqualität • Diagnosesoftware • Querschnittprogramme • PA Doppelkiefergelenksprogramm • Bissflügelpanoramaprogramm • Verbesserte interproximale Darstellung • Ausserordentlich vorteilhafte Wirtschaftlichkeit • Rechnet sich für jede Praxis EFJ FheEd[ h[Y^d[j i_Y^ Fragen Sie nach dem günstigen Leasingangebot Kaladent AG • Telefon 0844 35 35 35 • kaladent.ch Glosse? Edithoral bis Lapiccola Carie Eine leichte Röte steigt in meine Ohrenspitzen, die, Gott sei es gelobt, ganz von meinen noch immer dunklen Haaren bedeckt, sich den neugierigen Augen meiner Nachbarn elegant entziehen. Geschafft. Ich darf auch eines schreiben. Auf der ersten Seite erscheinen. Ich, die man immer sorgfältig ins Innere des PART verbannt hatte. Zwischen einem Inserat für Bohrprobleme und einem Anmeldetalon zu einem Kongress, wo eben solche bergbautechnische Probleme in extenso erörtert werden und zu dem doch niemand hingehen möchte. Ja, ich darf eines schreiben, sie haben sich nicht verhört, erklärt mir ein übers andere Mal der ach so launenhafte Chefredaktor, der keiner ist, aber bitte nicht mehr als 3000 Zeichen, inkl. Leerschläge, die für den Leser die wichtigsten sind, ermöglichen sie ihm doch der eigenen Phantasie zu frönen. Und bitte nichts allzu Persönliches. Ja, Sie können froh sein, Frauen schreiben immer viel zu emphatisch, empathisch, verzichten, sich in einen anderen zu versetzen, solche Turbulenzen sind gefährlich. Bitte gehen Sie zu einem guten Porträtisten, wir schätzen keine Vogelnesterfrisuren als fotografisches Markenzeichen zur Einleitung des Editorials. Bitte, machen Sie sich keine Sorgen, Sankt G. Meine ornithologischen Ergüsse beschränken sich fast immer nur auf meine haarsträubenden Satzenden. Hm, beginne ich zuerst mit tausend Leerschlägen voller metaphorischer Tiefe? Vielleicht merkt das ja niemand, weil ja alle in die Höhe gucken. Oder gehe ich zuerst zu meinem Photographen lächeln. Eigentlich verdient der das nun wirklich nicht, so wie der aussieht. Lächeln üben. Lächeln, lügen. Schauen Sie nur genau hin. Senken Sie Ihren Blick tiefer. Ja, der ist noch stolz auf seine Matrikelnummer. Direkt einem Verbrecheralbum entstiegen. In welchem Gefängnis, welcher Eitelkeiten er war und – wie mir scheint – immer noch gefangen ist? Bei jener Dame sind die Zahlen ein wenig schwieriger zu eruieren, begreiflich, bei diesem hügeligen Gelände. Sind wir Frauen von Natur aus denn ehrlicher? Ja, ganz gewiss. Wer wohl nur hat uns die Schlange mitten ins Paradies gebracht? Wir haben doch viel zu viel Angst vor diesen Viechern. Und alle Ärzte, dem Asklepios gleich, schämen sich ja nicht, die Schlange als stolzes Attribut um ihren Stab kriechen zu lassen. Wir Frauen sollten uns ein eigenes Standeszeichen schaffen. (Zwei Schlangen? Anmerkung der Redaktion). Natürlich nicht. Die Eule der Weisheit etwa, das Attribut der Athena? Oder die Personifizierung unserer millenären Geduld, die heilige Patientia? Es muss nicht immer nur unser Gegenüber sich in dieser Sparte üben. Patient – Impatient Impatient, was? Den gibt es nicht! Habe ich nicht gerade fünfundachtzig dieser Springkräuter in meinem Garten verpflanzt? Genau genommen 84. Blieben mir doch bei einer, gerade bei der, die mir am liebsten war, Blüten und Blätter in den Händen stecken. Und nur Wurzeln setzen, gedeihen die dann noch? Rote und weisse; Impatiens walleriana und deren Hybriden, Impatiens Neu-Guinea. Da war ich noch nie. Das mag erklären, dass ich sie unwissentlich ihrer Blüten beraubt habe. Sie Närrin! Die meine ich doch nicht. Ich spreche vom IMPATIENTEN. Dem ungeduldigen Patienten also. Unserem Vis-à-vis, der uns Zahnärzte malträtiert und die Unschuld seiner Geduld schon lange mit dem grossen Fachwissen eines Groschenromans vertauscht hat. Der Patiens Patient, das sind wir. Wir versuchen unsere Impatiens Impatienten multicolores, aber nicht miraculosi, die früher einmal Patienten hiessen und waren, mit viel Geduld und Gleichmut ihrer tatsächlichen und auch eingebildeten Gebresten zu entheben. Der Rollentausch ist schleichend eingetreten. Hat uns zu Lakaien befördert, zu Statisten geadelt. Darf ich Ihnen dieses Geschehen an einem Beispiel illustrieren? Es ist Ihnen sicherlich auch schon der eine oder andere Künstler, vornehmlich Musiker, in die Praxis geschneit, und dies vorteilhaft im Winter. Ich spreche hier von einer Geigerin, Soloviolonistin und Vertrauten des Antonio Vivaldi. Mit grossen Abständen und auch zwischen einigen Schluchzern gestand sie mir, dass in der Folge atmosphärischer Klimaänderungen eines der vier Konzerte der «Vier Jahreszeiten» vom Programm gestrichen worden sei, nämlich wegen Nichteintretens derselbigen, die Primavera. Wer, um Gottes Willen, könne jetzt noch das Durcheinanderzwitschern verschiedener Vogelarten, wer die Ritornelle des Murmelns der Quellen, der sanften Winde und wer schlussendlich könne noch ihren virtuosen Solopart im Frühlingssturm erleben? Quattro stagioni, begann mein Magen zu knurren. Was PARTicipation 06.08 35 Glosse? will sie mir von meiner Pizza stehlen? Die Funghi, die Salsicce etwa, die Mozzarella mit Artischockenherzchen oder den ganzen Thunfisch sogar. He, Herr Doktor. Nicht ihren Pizzaiolo, der kann mir gestohlen werden, den Frühling haben sie mir umgebracht. Das ist wie wenn ich keine Zähne mehr hätte. Was würde dann aus Ihrem Beruf? Dieses verrückte Huhn, dachte ich, nicht nur deine Zähne, nein, deine Zunge mögen dir fehlen, und gedachte des kürzlich im 81. Lebensjahr verstorbenen Luigi Malerba (1927 in Parma, geht auch, obwohl er keine Schinken geschrieben hat, bis 8. Mai 2008). Dieser Malerba erzählte mir einmal: Ein verlogenes Huhn klagte eines Morgens beim Aufstehen über starke Zahnschmerzen. Als man es darauf hinwies, dass Hühner keine Zähne hätten, schämte es sich sehr und versteckte sich hinter einer Hecke. Meine erste Geige schämte sich nicht, sie liess nur ihre hinterhältigen Töne über ihre falschen Saiten kreischen. Wenn ich nur drei Jahreszeiten spielen kann, so bekomme ich auch nur ein Honorar für drei. Verstehen Sie? Also darf ich auch von Ihnen, und das aus reiner Solidarität, eine Reduktion Ihrer Rechnung um 25 % erwarten. Und diese zwischen ihren nicht sehr bemerkenswerten Zähnen heraus gezischte Tirade, ganz ohne vermittelndes Fragezeichen. Der Geduldige, der bin ich. Wertes zahnloses Huhn, pardon, gradevole e bellissima violonista. Einverstanden, ich werde Ihnen einfach jeden vierten Zahn nicht flicken, aber ich kann Ihnen versichern, der nächste Frühling kommt bestimmt, und dann geht es all Ihren vierten Zähnchen erst recht an den Kragen, respektiv an den Zahnhals, denn sie hatte die Gewohnheit, recht häufig mit Zitronensaft zu spülen, der ihrer Stimme das nervende Timbre und ihrem Charakter die gefällige unverkennbare kratzige Widerborstigkeit zu verleihen vermochte. 36 PARTicipation 06.08 Sie wollten doch ein Editorial schreiben, oder wie Sie belieben sich auszudrücken, ein Edithoral. Ist das etwa kirgisisch oder Kisuaheli? Wo bleibt da die Edith von der Moral? Unsere Leser haben sich schon gefreut auf eine erotisierende Neubearbeitung aller langweiligen Editorials. Was Sie schreiben macht mich krank. Spekulieren Sie etwa darauf, dass der Leser das Lesen Ihrer Schreibe bei den Krankenkassen einfordern kann, sozusagen als Pflichtleistung? Oder subsummieren sich neuestens Sprachfehler unter Sprachunfällen? Lektüre für einen invaliden Geist, von der Steuer abziehbar? Dann kann ich Ihnen nur gratulieren, Sie müssen damit sehr reich geworden sein, das ist Ihnen wirklich recht gelungen. Einen Essay meinen Sie? Mit Bauch- und Bruchlandung inmitten hahnebücherner Ungereimtheiten? Wissen Sie denn überhaupt was ein Essay für Ansprüche stellt? San Pietro in Vincoli zu Rom Oh heilige Ignorantia! Ihre Löffel sollten Sie sehen. Feuerrot. Schämen Sie sich? Warum? Ich war doch gerade erst in Rom. Im linken Seitenschiff von San Pietro in Vincoli schläft Nikolaus von Kues, auch Nicolaus Cusanus genannt, schrieb er vor und wirklich nehmlich auf Latein. Nicht der ganze Philosoph ruht hier, einer seiner Muskeln, sein Herz, schlägt (?) in Bernkastel-Kues. Meines aber schlägt hier im Gleichtakt seiner Gedanken. Und wie er stelle ich – und hier bin ich einmal mit Ihnen einig, aber nur mit dem Synonym «Löffel» und nicht unbedingt rot, dass ich wie sein löffelschnitzender Idiota (urspr. Laie) – meine Kunst über die aller anderen Künstler, und dies, weil ich bei dieser Tätigkeit nicht die Gestalt von irgendeinem naturgege- benen, naturähnlichen, Gegenstand nachahme (in Klammern selbstverständlich auch nicht kann). Schauen Sie, im gleichen Gotteshaus, ja wie Sie als Rechtgläubiger vermuten, im rechten Seitenschiff. 40 Skulpturen sollte das Werk umfassen und ursprünglich im St. Petersdom installiert werden. Der grosse Michelangelo hatte von Papst Julius II. den Auftrag erhalten, für ihn ein Grabmal aus Marmor zu schlagen. Rachel, Lea und den Mose hat er vollendet. Den gefesselten und den sterbenden Sklaven auch. Als justament ihm das Oberhaupt der Kirche den Gefallen tat, im Jahre 1512, den Sklaven nachzuahmen, und daran starb. Gefesselt an einen Glauben, den nicht alle nachzuvollziehen im Stande sind. Was willst du damit insinuieren, Lapiccola? Er nennt mich immer so, ich habe mich daran gewöhnt, wie wenn ich keinen Vornamen hätte, den verrate ich Ihnen vielleicht einmal später. Lapiccola, ja, vielleicht mein Geist, aber sonst bin ich ganz schnell, agil, habe immer alle männliche Konkurrenz meiner Klasse beim Laufen hinter mir gelassen. Als Atalante, gefürchtet, unerbittlich – oder fast. Er duzt mich meistens. Ich immer ganz servil, gewähre ihm das Sie. Möge er unter das mächtige Rad einer Dampfwalze geraten. Platt wie eine Flunder klebe ich ihn alsbald in mein Schwarzbuch des Vergessens, ins Depot aller schändlichen Erinnerungen. Träumst du, oder was, Lapiccola? Mit meinem süssesten und hinterhältigsten Lächeln antwortete ich, hinterhältig, weil ich ihn gerade als alten stinkenden Fisch ins Inferno meiner wahren Gefühle verdammt hatte. Nein. Blasphemisch, das sind immer nur die anderen. Ihr habt es so gewollt. Ihr habt den liberalen Geist Cusanus ins linke Schiff, den grossen unnachahmlichen und trotzdem nachahmenden Michelangelo ins rechte Schiff verbannt. Ihr seid verantwortlich, dass nicht Glosse? der leiseste Hauch eines Windes mehr die beiden Schiffe in die Ferne treibt. Und tatsächlich stört mich nie jemand, wenn ich schön sittsam inmitten dieser Armada von Schiffen im Zentrum dieses Tempels meinen Gedanken nachhänge. Warum nur habt ihr den Mose nach San Pietro in Vincoli (Fesseln), den gefesselten Sklaven aber in den Louvre nach Paris verbannt? Gefesselt ist nun wer? Die Augen der Touristen, die Schiffe der Basilika, oder gar der Mose? Warum nur hat der Hörner? Ja, drucksen Sie nur herum, Sie aufgeblasener Philologe. Wir Frauen wenigstens können keine Hörner haben und ihr versetzt dem Mose welche und gleichsam auch dem so genialen Michelangelo durch eure falsche Interpretation der Texte, setzt ihr aufs Haupt ihm diese Fortsätze der Hölle, die ohne diese ihn jeden Anflugs von Bösartigkeit enthoben hätten. (Die Mosesstatue zeigt den Mose, als er mit den Gesetzestafeln vom Sinai herabsteigt und die Israeliten beim lüpfigen Tanz um das goldene Kalb erwischt (wie wir Zahnärzte um das güldene Kalb unserer Standesregeln und die Pfeiler unserer Wissenschaft zu tanzen pflegen, wegen denen aber noch kein Mose seine Tafeln aus Zorn zu zerschlagen wagte; vielleicht macht ja unsere kleine Lapiccola diese Hoffnung einmal wahr). Die Hörner auf dem Kopf des Gesetzesvermittlers basieren auf einem Übersetzungsfehler. Im hebräischen Urtext, der keine Vokale kennt, steht das Wort «krn». Als man später daranging, den Text mit Vokalen auszustatten, setzte man zwei «e» ein. Aus «krn» wird «keren», und das heisst «gehörnt». Diese Fassung hält sich durch Jahrhunderte – wie gewisse unserer Lehrmeinungen – und wird so auch in der Vulgata übernommen, aus der Michelangelo sein Wissen bezieht. Durch Vergleich mit anderen Texten erkennt man später, dass richtig zwei «a» eingesetzt werden müssten. Das Wort heisst dann «karan» und bedeutet «glänzend»). Ja, jetzt glänzt Ihre Stirne im Schweisse Ihrer Unwissenheit, und niemand möge sie Ihnen je abwischen. Da lob ich mir die zwei den Mose flankierenden weiblichen Begleiter, Lea als Allegorie der Vita activa und Rahel als Sinnbild der Vita contemplativa. Das Zweite ist Ihnen wohl sehr fremd? Das erstaunt mich nicht, genauso wenig wie Ihr krampfhafter Versuch Ihrem Editorial eine Art Leben einzuhauchen. Lappipiccola! dröhnt es von der ersten Seite, und du erfrechst dich mich so zu sermonieren. Dein Edithoral entspricht genau dem Wissen einer Fliege, hochtrabend, eintägig, stechend wenn Mücke und nichts eintragend. Wobei deren Gedanken doch ungemein höher anzusiedeln sind als deine ganz verkorksten Höhenflüge. Zuerst machst du den Leser an, und liefern tust du nachher nichts als Plattitüden. Einen Essay wolltest du mir liefern. Verdammt, das ist nur schlechte Causerie. Lapiccola, bitte, nicht Lappipiccola, Lappi toi-même, aber das murmelte ich nur. Da haben Sie für einmal Recht, Herr allwissender Redaktor. Ein Essay leitet sich ab vom spätlateinischen «Exagium»: Versuch, Probe, Abwägen. Darum bewundere ich auch alle die das können. Stehe gerne vor romanischen und auch anderen kulturhistorischen analogen Interpretationen des letzen Gerichtes. Den Terminus «Causerie» gebrauchen Sie, um mich zu beschimpfen. Dabei ist gerade das die Quelle meiner piccola ignorantia, so ruft man mich auch ganz im Süden der zu vergessenden Kreaturen. Sie kennen sicherlich, nein natürlich nicht, Sie kennen nur die grossen Geisteswissenschafter der Mutter Philosophie, Sie kennen also nicht den Nährgrund meines bescheidenen Wissens, den eminenten Philosophen Laverdure? Seine wichtigste und auch einzige Maxime zugleich lautet nämlich: Tu causes, tu causes, c’est tout ce que tu sais dire (Raymond Quenau, in «Zazie dans le métro», der Papagei nennt sich Laverdure). An diese Wahrheit halte ich mich ganz beharrlich. Und wie bekannt hat immer noch der Chefredaktor, der Editor, der Spielverteiler oder besser Spielverderber das letzte Wort; hinweg du blödes Federvieh, kannst ja kaum fliegen und dein Geplapper geht mir an meine Haare, bah, an meine Nerven. Darum verdamme ich dich auf die allerletzte Seite des PARTicipation, die hoffentlich der Drucker gefälligst übersehen möge. Sie Idiot, und nochmals lass ich Cusanus aus seinem Werk «Idiota», sprechen, «ich weiss nicht, ob ich Anhänger des Pythagoras oder eines anderen bin (natürlich von Laverdure, das habe ich Ihnen ja schon verraten). Das aber weiss ich, dass ich mich durch die Autorität keines Menschen, auch wenn sie mich zu beeinflussen sucht, bestimmen lasse». Ganz traurig knabbere ich am Ende eines Stiftes, der mir am Anfang des Berichtes so Erfreuliches versprach. Exagium – Versagium. Der Teufel hat die Waage aus dem Gleichgewicht gebracht. Ihre Bleistiftenden zerknirschende Lapiccola. 9. Mai 2008 zu Rom, aufgezeichnet im linken «fluctuat nec mergitur» Seitenschiff der Kirche San Pietro in Vincoli, 200 Schritte nördlich des Colosseo und den noch schlechteren zweiten Teil in der Hostaria da Vincenzo, via Castelfidardo 6, ausgezeichnete Fischküche, auch circa 200 passi, aber diesmal von den Thermen des Diocletians entfernt, aufs büttenweisse Tischtuch gekritzelt. PARTicipation 06.08 3 Schwerpunktthema Patienten mit Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten – Einst Behinderte, jetzt Menschen wie Du und ich!» Vortrag im Rahmen der SGZBB Jahrestagung 2008 in Bern von Dr. med. dent. Wanda Gnoinski Die Diagnose einer Lippen-, Kiefer- Gaumenspalte (LKG) bei einem neugeborenen Kind stellt für die betroffenen Eltern zumeist eine grosse psychische Belastung dar. Aus historischen Bilddarstellungen sind die massiven physiognomischen und funktionellen Einschränkungen, unter der unbehandelte oder in früheren Zeiten behandelte Patienten ein Leben lang zu leiden hatten, allgemein bekannt. Dies schürt bei den betroffenen Eltern natürlich die Ängste, dass ihr Kind ein Leben lang durch die Spalte stigmatisiert sein könnte. Frühzeitige Aufklärung der Eltern und sorgfältig geplantes operatives Handeln bei den Kindern ist daher unbedingt notwendig, ohne dabei in unnötigen Aktionismus zu verfallen. Mit den heutigen Operationstechniken und bei einem geschickten kieferchirurgischkieferorthopädisch-zahnärztlich-logopädisch abgestimmten Behandlungsprocedere können langfristig aus ästhetischer und funktioneller Sicht optimale Behandlungsergebnisse erzielt werden. Im jungen Erwachsenenalter sind LKG-Patienten dann kaum mehr von Altersgenossen ohne LKG Symptomatik unterscheidbar: Lippennarben sind diskret, in Sprachqualität und Gesamtbild des Gesichts fallen Leute mit operierten Spalten heute kaum mehr auf. In ihrem Vortrag beschrieb Frau Dr. Wanda Gnoinski die historische Entwicklung der Therapie der LKG-Spalten und mahnte dazu, in der Vergangenheit angesammeltes Wissen nicht verloren gehen zu lassen: in der chirurgischen Therapie der LKG-Spalten sind Modetrends in Bezug auf den Operationszeitpunkt erkennbar, welche sich in Zyklen Dr. med. dent. Wanda Gnoinski 38 PARTicipation 06.08 ablösen. Da die Ergebnisse dieser Therapievarianten erst definitiv nach 20 Jahren, wenn die Patienten das Erwachsenenalter erreicht haben, beurteilbar sind, sollten Änderungen im Therapieprocedere sorgfältig überdacht werden. Lippen- und Gaumenspalten haben zu allen Zeiten und in allen Weltgegenden Aufmerksamkeit erregt, mit unterschiedlichen Resultaten für die Betroffenen. Schädelfunde belegen, dass schon immer einzelne Individuen trotz schwerer Fehlbildung überlebten; bis Anfang des 20. Jahrhunderts verstarben aber auch in der Schweiz viele Neugeborene mit Gaumenspalten in den ersten Lebenswochen, entweder mangels Ernährungsmöglichkeit oder infolge von Aspirationspneumonien. Abhängig vom Kulturkreis wurden die Spalten in früherer Zeit als göttliche Stigmata entweder positiv oder negativ bewertet. Während Lippenspalten seit Jahrhunderten operiert wurden, gelangen Gaumenoperationen erst im 19. Jahrhundert, und wurden mit Aufkommen der Narkose ab ca. 1860 allmählich zur Routine. Die chirurgischen Verfahren stellten aber nur bedingt die funktionelle Anatomie wieder her. Dies bedingte bis in die 1960er-Jahre für die meisten Patienten mit Gaumenspalten eine markante Sprachstörung. Die schlechte Verständlichkeit ihrer Sprache wurde gemeinhin – und oft zu Unrecht - als Ausdruck minderer Intelligenz gewertet. Die Entwicklung der operativen Behandlungsmethodik bei Spaltpatienten ist eng mit der Möglichkeit einer effizienten Anästhesie verknüpft. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Lachgas zur Narkose eingesetzt, ab den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Intubationsnarkose gebräuchlich und damit einhergehend die chirurgischen Verfahren verfeinert. Aus den USA kam gleichzeitig das Prinzip des multidisziplinären «cleft palate team». Das brachte neue Erkenntnisse und bessere Behandlungsresultate. Aus der klinisch beobachteten und tierexperimentell belegten Tatsache, dass chirurgische Eingriffe in frühen Wachstumsphasen die Kiefer- Gesichtsentwicklung hemmen können und aus dem Wunsch nach früher Wiederherstellung der funktionellen Anatomie im Hinblick auf die Sprachentwicklung, entsteht ein Dilemma, dass je nach Behandlergruppe unterschiedlich angegangen wird. Zwischen den Logopäden und den Kieferorthopäden bestehen entgegen gesetzte Ansprüche: Die Logopäden wünschen eine möglichst frühen Verschluss der Spalten, um die Sprachentwicklung nicht zu behindern. Der Verschluss des Gaumensegels muss bis zum 18. Lebensmonat realisiert sein, da um diesem Zeitpunkt die ersten Wortäusserungen des Säuglings stattfinden. Für die Kieferorthopäden sollte die chirurgische Intervention aufgrund negativer Wachstumsbeeinflussung eher spät erfolgen: die ersten 24 Monate stellen die wichtigste Wachstumsphase des Kindes für den Oberkiefer dar. Dazu kommt die Tatsache, dass sich die wahre Qualität dessen, was beim Säugling gemacht wurde, entwicklungsbedingt erst nach 10 bis 15 Jahren zeigt. Anfänglich gut erscheinende Resultate können sich teils massiv verschlechtern. Daraus erklärt sich die bis heute andauernde Uneinigkeit über die optimale Behandlungsmethodik. Nur Langzeitbeobachtungen lassen eine Wertung der primären Behandlungsverfahren zu, doch pflegen weltweit leider nur wenige Kliniken eine konsequente Langzeitdokumentation. Die Inzidenz von LKG-Spalten liegt in der Schweiz bei ca. einem Kind auf 600 bis 800 Neugeborene. Diese Zahlen beziehen sich auf die angestammt hier lebenden Kaukasier. Die Inzidenz bei Asiaten ist dagegen erhöht, bei Afrikanern reduziert. Bei 80 % der Betroffenen liegt eine isolierte Fehlbildung vor. Nur bei 20 % bestehen zusätzliche Störungen an Herz, Gefässen oder Extremitäten. Somit werden jedes Jahr in der Schweiz ca. 90–120 Kinder mit einer LKG-Symptomatik geboren. In der Abteilung für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten der Universität Zürich werden ca. ⅓ der Schweizer Spaltpatienten betreut, wobei das Behandlungsprotokoll seit ca. 30 Jahren fast unverändert beibehalten wird: Direkt nach pränataler Diagnosestellung «Spalte» durch den Frauenarzt, wird das erste aufklärende Gespräch zwischen Frau Dr. Gnoinski und den betroffenen Eltern geführt, welches unbegründete Ängste nehmen und den notwendigen postnatalen Behandlungsablauf darstellen soll. Hierzu benutzt Frau Dr. Gnoinski Bilddarstellungen von behandelten Patienten, die so gestaltet sind, dass auf der selben Seite sowohl das Ausgangsbild als auch Schwerpunktthema Abteilungsleiterin Lippen-Kiefer-Gaumenspalten Klinik für Kieferorthopädie und Kinderzahnmedizin Zentrum für Zahn-, Mund-, und Kieferheilkunde Universität Zürich das Endergebnis im Alter von ca. 20 Jahren zu sehen ist. Bei einer Gaumenspalte wird direkt nach der Geburt von den Kieferorthopäden eine Abformung des Oberkiefers vorgenommen, um eine passive Trinkplatte anzufertigen. Diese Trinkplatte wird in der Folge durch Freischleifen zum Gaumen regelmässig angepasst, wodurch sich die gespaltenen Gaumenanteile spontan etwas annähern: somit kann in den ersten 18 Monaten die Spaltbreite um etwa 45 % reduziert werden. Im Alter von 6 Monaten wird die Lippe chirurgisch verschlossen, wobei darauf geachtet wird, dass der Muskulus orbicularis oris sorgfältig rekonstruiert wird unter Beibehaltung eines suffizienten anterioren Mundvestibulums. Mit ca. 18 Monaten wird kieferchirurgisch der weiche Gaumen, das sog. Gaumensegel, geschlossen. Dann setzt auch die logopädische Beratung ein, welche über mehrere Jahre fortgeführt wird. Die Operation zum Verschluss des harten Gaumens findet meist im 4. bis 5. Lebensjahr statt. Im Alter von 10 Jahren können die Patienten auf Grund kieferorthopädischer Kriterien in zwei Gruppen eingeteilt werden: reine kieferorthopädische Therapie oder kombinierte kieferorthopädische-kieferchirurgische Therapie. Bei reiner kieferorthopädischer Therapieoption beginnt die kieferorthopädische Behandlung sofort, bei der Kombinationstherapie erst gegen Wachstumsabschluss im Alter von 17 Jahren. Im jungen Erwachsenenalter wird die Behandlung somit erst abgeschlossen und das Endresultat ersichtlich sein. Die zum Abschluss des Vortrages gezeigten Patientenbehandlungsfälle demonstrierten die Effizienz und Perfektion des beschriebenen Zürcher Behandlungsansatzes. Die Behandlung einer Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalte ist komplex und zeigt in einem interdisziplinären Therapieansatz mit gezielten kurzzeitigen Interventionen – verteilt auf eine Zeitspanne von ca. 18 Jahren – ein vorhersagbar ästhetisches und funktionelles Ergebnis Dr. Marco Bertschinger und Dr. Wanda Gnoinski Zürcher Therapieschema zur Behandlung einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte: 1. Pränatal: aufklärendes Erstgespräch mit den betroffenen Eltern (Kieferorthopädie) 2. Direkt nach der Geburt: Bei Gaumenspalte Abformung des Oberkiefers – Herstellung passive Trinkplatte (Kieferorthopädie) 3. Nach 6 Monaten: Chirurgischer Lippenverschluss (Kieferchirurgie) 4. Nach 18 Monaten: Chirurgischer Verschluss weicher Gaumen (= Gaumensegel) (Kieferchirurgie) 5. 4. bis 5. Lebensjahr: Chirurgischer Verschluss harter Gaumen (Kieferchirurgie) 6. Alter 10–12: Beurteilung, ob a) reine kieferorthopädische oder b) kombinierte kieferorthopädische-kieferchirurgische Therapie (Kieferorthopädie und Kieferchirurgie). 7. Ab Alter 10–12: Beginn a) reine kieferorthopädische Therapie (Kieferorthopädie). 8. Ab Alter 15–17 (entwicklungsabhängig): Beginn b) kombinierte kieferorthopädischekieferchirurgische Therapie (Kieferorthopädie / Kieferchirurgie). Ziel ist, wo immer möglich, Zahnersatz zu vermeiden, da dieser höhere Unterhaltsansprüche stellt als eigene Zähne. N. Enkling, Bern PARTicipation 06.08 39 Veranstaltungskalender A noter dans votre agenda In Ihrer Agenda rot unterstreichen! 21. Symposion der SGZBB/ZGA: Donnerstag, 15. Januar 2009. Beginn 16.30 Uhr Ab 20.15 Uhr: Essen mit Betreuten der St. Josef-Stiftung und des Pflegezentrums Reusspark. Thema: Der Angst/Schmerzpatient, in der St. Josef-Stiftung, Bremgarten/AG Das Symposion befasst sich mit dem Angst/Schmerz Phänomen. Die Referate sind aufeinander abgestimmt. Ein abschliessendes Podium gibt den TeilnehmerInnen Gelegenheit Fragen zu stellen. Anmeldeschluss: Freitag 2. Januar 2009 Leitung und Auskunft: Dr. med. dent. Stephan Gottet, Zugerstrasse 9, 5620 Bremgarten Fax: 056 633 12 97, E-Mail: gottet@hispeed.ch Dr. med. dent. Arthur Stehrenberger, Bahnhofstrasse 42, 5400 Baden Fax: 056 222 47 68. E-Mail: stehri@swissonline.ch 18. Jahrestagung der SGZBB: Freitag, 19. Juni 2009 im Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität Zürich. Näheres im PARTicipation 14. Edition Die SGZBB empfiehlt Ihnen: SSO-Seminar «Ethik für Zahnärzt/-innen» Referenten: Urs Brägger, Alberto Bondolfi, Giovanni Maio, Patrick Sequeira 13. September 2008 Auditorium Ettore Rossi, Inselspital Bern (Kinderklinik) Anmeldung und Auskünfte: SSO-Sekretariat, Monika Lang, 031 311 74 71, Fax 031 311 74 70 E-Mail: kongress@sso.ch Alle Ausgaben von PARTicipation können Sie unter www.sgzbb.ch herunterladen. Ihre Beiträge und Tipps können Sie – vorzugsweise auf elektronischem Weg – der Redaktion übermitteln. Redaktionsschluss: 1. September 2008 Mitgliedschaft in der SGZBB Unterstützen Sie das soziale Engagement der SGZBB mit Ihrer Mitgliedschaft (100 Franken pro Jahr) … … und warum nicht Ihrer verdienten Dentalassistentin eine Mitgliedschaft bei der SGZBB für 25 Franken pro Jahr schenken? Besten Dank! Anmeldeformulare können angefordert werden unter: E-Mail stehri@swissonline.ch Ausblick • Bericht über das Symposium vom 13. Juni 2008 in Genève: Le point sur la Gérodontologie (Müller, Schimmel, Deslarzes, Riesen, Gottet) • Nachlese zur 17. Jahrestagung der SGZBB vom 15. Mai 2008 in Bern • Vorbereitende Texte zum 21. Symposion vom 15. Januar 2009 in Bremgarten und zur 18. Jahrestagung vom 19. Juni 2009 in Zürich Vielleicht kontaktieren die Organisatoren nächstes Mal die SGZBB, glauben wir doch, dass gerade in unseren Reihen gute Ansprechpartner zu finden sind. Impressum Redaktion: SGZBB-PARTicipation Med. dent. Anna Sekulovski Via campagna 2 6942 Savosa E-Mail aseku@bluewin.ch Stephan Gottet, Bremgarten: gottet@hispeed.ch Martine Riesen, Genève: martine.riesen@bluewin.ch Arthur Stehrenberger, Baden: stehri@swissonline.ch Christian E. Besimo: christian.besimo@aeskulap.com Dr. phil. Franz Wälti: franz.waelti@rsnweb.ch Dr. phil. Goran Grubacevic: g.grubacevic@bluewin.ch Joannis Katsoulis, Bern: joannis.katsoulis@zmk.unibe.ch 40 PARTicipation 06.08 Regina Mericske, Bern: regina.mericske@zmk.unibe.ch Christina Luzi, Basel: c.luzi@unibas.ch Frauke Müller, Genève: Frauke.Mueller@medecine.unige.ch Bernhard Streich, Zug: streich@tele2.ch Ludwig Hasler, Zürich u. St. Gallen lhasler@duebinet.ch Norbert Enkling, Bern norbert.enkling@zmk.unibe.ch Felix Brem, Weinfelden Felix.brem@hin.ch Dr. theol. Hanspeter Ernst, ernsthp@bluewin.ch Willi Baumgartner, baumwibe@bluewin.ch Christian Traianou, Zofingen christian@traianou.ch Klinik für Alters- und Behindertenzahnmedizin KAB sekretariat.kab@zzmk.uzh.ch Fotos: Vanda Kummer, vanda.kummer@zmk.unibe.ch Stephan Gottet, Bremgarten gottet@swissonline.ch Bilder: Gesichter an einer Schule in Roussas, Dpt. La Drôme, 10 Kilometer südöstlich von Montélimar Zeichnungen: Pietro Ott (14.11.1931–9.1.2005) Anzeigen: Dr. A. Stehrenberger Bahnhofstrasse 42 5400 Baden E-Mail stehri@swissonline.ch Layout: LOGO-SYS AG Täfernstrasse 4 5405 Baden Dättwil E-Mail logo@logosys.ch Druck: Stämpfli AG Wölflistrasse 1 Postfach 8326 3001 Bern Auflage: 4000 Expl. Redaktionsschluss Edition 14: 1. September 2008